Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/24/1988

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - Drucksachen 11/3211, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler ({0}) Strube Frau Rust Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3354 und 11/3425 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Sie sind einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem begonnenen Brauch anschließen und Ihnen einen recht guten Morgen wünschen . . . ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, ich hatte das schon getan. Bloß, das Mikrophon war noch nicht eingeschaltet.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... - vor allen Dingen Ihnen -, bevor Sie mich möglicherweise auch in den Kreis derer einordnen, die unter die Kategorie der Volksverhetzer fallen. Ich möchte für meine Fraktion den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung unter die Lupe nehmen; denn mit 67,7 Milliarden DM hat Minister Blüm einen Haushalt zu verwalten, bei dem die Größenordnung den Finanzminister sicher anregt, im Bereich von Ausgabenkürzungen und Ausgabenmehrungen, die ja beachtlich zu Buche schlagen, Einsparungsmöglichkeiten hier zu suchen, nämlich dann, wenn ihm das Geld fehlt, das er vorher mit seiner unsinnigen Steuerreform an die Großverdiener verschenkt hat. Wenn wir den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit mit 42,7 Milliarden DM Ausgaben hinzunehmen, wird klar, warum dieser Etat zum finanzpolitischen Verschiebebahnhof des Finanzministers geworden ist. Die finanzpolitischen Manipulationen am und im Sozialhaushalt des Bundes werden zunehmend zu einem öffentlichen Ärgernis, ja, ich meine, auch zu einem öffentlichen Skandal, ({0}) für den - das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen - der Bundesarbeitsminister verantwortlich ist. Dieser Skandal erfährt morgen in diesem Hohen Hause einen weiteren Höhepunkt mit dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz, das mit einer Reform im Gesundheitswesen im Sinne des Wortes nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({1}) Ich bestreite nicht den guten Willen des Arbeitsministers. ({2}) Was jedoch das Kabinett an Gesetzentwürfen verläßt und nach Beratungen - wenn man überhaupt noch von Beratungen reden kann ({3}) das Plenum erreicht, ist nach meiner festen Überzeugung ein sozialpolitischer Rückschritt erster Ordnung und eine politische Farce. ({4}) Aber beschäftigen wir uns zunächst mit der Bundesanstalt für Arbeit. 36,8 Milliarden DM beträgt der aus Beiträgen finanzierte Einnahmeteil und 42,8 Milliarden DM der Ausgabenteil des Haushalts der BA. Hinzu kommen Mittel aus dem Bundeshaushalt - Kapitel 12 - in Höhe von 12,8 Milliarden DM. Seit Jahren, also schon jetzt, werden zwischen 8,5 und 10 Milliarden DM für Arbeitslosenhilfe bei gleichzeitigem rasantem Anwachsen der Sozialhilfeausgaben in den kommunalen Gebietskörperschaften ausgegeben. Sieler ({5}) Meine Damen und Herren, dies ist auch ein Indiz dafür, daß die Langzeitarbeitslosigkeit weiter steigt. Die laufende Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes hat eigentlich nur noch die Funktion, die Leistungen für die Arbeitslosen zu kürzen, damit der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit nicht zu einer noch weiteren Erhöhung der Nettokreditaufnahme des Bundes führt. ({6}) Mit der Achten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes hat die Koalition Bundesaufgaben an die Bundesanstalt für Arbeit mit einem Volumen von fast 1 Milliarde DM übertragen, was letztlich dazu geführt hat, daß im Haushalt der Bundesanstalt 1988 neben einem beachtlichen Milliardendefizit eine weitere Finanzlücke von 1 335 000 000 DM entstanden ist, die durch einen eigenen Nachtragshaushalt abgedeckt werden mußte. Aber auch im Haushalt der Bundesanstalt für 1989 ist die Finanzlücke größer, als von der Bundesregierung im Haushaltsansatz festgelegt war. Im Haushaltsausschuß mußten deswegen noch einmal 700 Millionen DM auf die eingestellten 3,3 Milliarden DM draufgepackt werden. ({7}) - Herr Kollege, damit ist das Finanzloch der Bundesanstalt von derzeit 5,9 Milliarden DM aber immer noch nicht gestopft. ({8}) Die Bundesregierung zieht daraus nicht etwa die Schlußfolgerungen - wie das der Herr Präsident Franke von der Bundesanstalt in Nürnberg tut - , die Arbeitslosigkeit durch verstärkte öffentliche Investitionen zu bekämpfen ({9}) und die Qualifizierungsoffensive zu verstärken. Nein, im Gegenteil, die Arbeitslosen werden bekämpft, sie werden ausgeschwiegen und statistisch nach unten reguliert. ({10}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitsminister steht daneben und schweigt oder klopft altbekannte Sprüche. Das ist doch ein erstaunlicher Vorgang: Der Arbeitsminister mit dem Pinsel in der Hand malt an die Außenwand unserer sozialen Sicherheit flotte Sprüche wie etwa „Unsere Renten sind sicher" , ({11}) und hinter der Fassade hat der Bundesfinanzminister schon einen Teil des Gebäudes abgebrochen ({12}) und ist dabei, zusätzlich die lukrativen Teile dieses Gebäudes an die private Versicherungswirtschaft zu verhökern. ({13}) Und der Arbeitsminister malt weiter an einem sozialen Bild von Friede, Freude, Eierkuchen, während die soziale Demontage mit Worten wie Deregulierung, Eigenverantwortung, Mißbrauchsverhinderung kaschiert wird und munter weitergeht. Täglich beklagen sich Arbeitsamtsdirektoren und örtliche Personalräte beim Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und bei den Berichterstattern über die fast unerträglichen Arbeitsbedingungen in den Ämtern. ({14}) Die Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit beklagen sich - wie ich meine, zu Recht - über die Arbeitsbelastungen und Umstände, unter denen nicht nur die Qualität der Verwaltungsarbeit und der Verwaltungsentscheidungen leidet; unter diesen unhaltbaren Zuständen in den Ämtern leidet vor allen Dingen die Betreuung der Arbeitslosen selbst, die Betreuung der Jugendlichen, die Betreuung der Frauen, der Behinderten und nun auch noch die der Aussiedler. Darunter leiden seit Jahren mehr als 2 Millionen Menschen, deren Geduld und deren Nerven nicht selten durch lange Wartezeiten oder unzureichende Beratungszeiten in Ämtern einer argen Belastungsprobe ausgesetzt sind. Daran sind nicht die Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit schuld, dafür tragen Sie, meine Damen und Herren in der Koalition, die ausschließliche Verantwortung. ({15}) Die erneuten Veränderungen im Leistungsrecht für Arbeitslose zeigen, nachdem die Tinte der Unterschrift des Bundespräsidenten unter die Achte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz noch nicht einmal richtig trocken war, wie wenig sich Ihre Politik durch Kontinuität und Solidität auszeichnet. Diese mangelnde Qualität Ihrer Entscheidungen, das schnelle Verfallsdatum beweisen aber auch, wie schlampig und mit welcher Hast die Gesetze und ihre Änderungen auf den Weg gebracht, beraten und verabschiedet werden müssen. ({16}) Dies, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ist weiß Gott keine Sternstunde des Parlaments. ({17}) Daran sollten wir bei Gelegenheit einmal denken. Auch Sie, Kollege Friedmann, erwarten ja von den Bediensteten der Arbeitsämter, daß sie das, was Sie dem Parlament zumuten, in wenigen Tagen begriffen und verinnerlicht haben und es ab 1. Januar für alle Arbeitslosen und Ratsuchende gleichermaßen rechtsfehlerfrei und verwaltungstechnisch schnell anwenden. ({18}) Meine Damen und Herren, der zweite sehr wichtige Grund für die Belastung des Personals der Bundesanstalt liegt, seitdem Sie, Herr Arbeitsminister, die politische Verantwortung tragen, in der anhaltend hohen Sieler ({19}) Arbeitslosigkeit von über 2 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Auch dieser Haushalt enthält keinerlei Ansätze für die aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({20}) Kollege Blüm steht mit dem Rücken an der Wand; denn er hat außer Leistungskürzungen und Gesetzeskosmetik an dieser Stelle wenig zu bieten. Anders verhält es sich allerdings mit dem Bundesfinanzminister, der angesichts des Defizits der Bundesanstalt von 6 Milliarden DM im Jahre 1989 zähneknirschend 3,3 Milliarden DM Bundeszuschuß in den Haushalt eingestellt hat und der während der Beratungen im Haushaltsausschuß noch einmal 700 Millionen DM drauflegen mußte. Meine Damen und Herren, dies bedeutet - das pfeifen inzwischen auch die Spatzen von den Dächern der Bundesanstalt - , daß der Rest des Defizits in Nürnberg von 2 000 Millionen DM über das Arbeitsförderungsgesetz und zusätzlich durch interne Einsparungen aufgebracht werden soll und muß. Hier ist doch auch der nächste Nachtragshaushalt bereits vorprogrammiert. ({21}) Meine Damen und Herren, wir haben übrigens auch schon in anderen Haushaltsjahren den geringen Ansatz des Bundeszuschusses kritisiert. Ich möchte an dieser Stelle nicht ausschließen, daß der Finanzminister Druck in Nürnberg gemacht hat, damit die Ansätze für die zu erwartende Zahl von Leistungsempfängern und möglicherweise auch die Ansätze für die Leistung pro Arbeitslosen geschönt werden konnten, um auch bei der Nettokreditaufnahme der Öffentlichkeit ein besseres Bild des Bundeshaushalts präsentieren zu können. Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen Haushälter, ob das mit dem Grundsatz der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit zusammenpaßt, bezweifle ich. Ich gebe allerdings zu, daß bei der Einschätzung der Zahl der Leistungsempfänger und der Kopfsätze im Haushalt der Bundesanstalt immer gewisse Risiken enthalten sind. Noch ein Wort zum Personal der Bundesanstalt für Arbeit. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer beachteten Entscheidung gegen die Bundesanstalt festgestellt, daß viele hundert befristete Arbeitsverhältnisse in den Arbeitsämtern gegen geltendes Recht verstoßen und in ordentliche Dauerarbeitsverhältnisse umgewandelt werden müssen. Die SPD-Fraktion geht davon aus, daß der Bundesarbeitsminister die Umwandlung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse in Dauerarbeitsverhältnisse durch Engriffe in die Selbstverwaltungshoheit der Bundesanstalt nicht unmöglich macht oder gar erschwert, zumal dies - das möchte ich für die Haushälter sagen - mit kaum nennenswerten finanziellen Belastungen für den Haushalt der Bundesanstalt verbunden wäre, abgesehen davon, daß die Bundesanstalt nichts anderes tun muß, als den Spruch des höchsten deutschen Arbeitsgerichts zu vollziehen, wenn sie gegenüber ihren eigenen Beschäftigten und unserer Rechtsordnung nicht rechtsbrüchig werden will. Herr Kollege Blüm, auch daran wird sich zeigen, ob Sie in Ihrem Hause noch das Sagen haben, übrigens auch der Bundesrechnungshof. - Ich würde darüber nicht lachen, Herr Kollege. - Auch der Bundesrechnungshof hat darauf hingewiesen, daß die Qualität der Verwaltungsentscheidungen bei den Arbeitsämtern durch überhöhte Beschäftigung von befristet eingestellten Bediensteten erheblich leidet und daß damit vermeidbare Mehrausgaben verbunden sind. An dieser Stelle möchte ich noch einmal unterstreichen, daß die defizitäre Situation der Bundesanstalt für Arbeit im wesentlichen auf die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist, die von der Bundesregierung hingenommen wird. Jeder, der die Untätigkeit des Bundeskanzlers an dieser Stelle kritisiert, läuft ja Gefahr, als „Volksverhetzer" diskreditiert zu werden. Lassen Sie mich noch einiges zu den Antworten sagen, die diese Bundesregierung auf die Herausforderung der Massenarbeitslosigkeit gibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. - Das Wort „Volksverhetzer" ist hier einmal gefallen und wird jetzt mehrfach zitiert. Ich finde, wir sollten es aus dem parlamentarischen Sprachgebrauch sofort wieder herausnehmen. ({0}) Ich weiß, daß das nicht an Ihre Adresse gerichtet werden muß. Aber mir liegt daran, daß wir eine Gelegenheit finden, dies hier schnell wieder aus dem Sprachgebrauch herauszunehmen. ({1})

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin für den Hinweis dankbar; ich werde mich bemühen. Lassen Sie mich noch einiges zu den Antworten dieser Regierung auf die Herausforderungen der Massenarbeitslosigkeit sagen, die diese Regierung den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu bieten hat. Die 9. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz ist geradezu ein Paradebeispiel, wie die Bundesregierung an die Lösung des Arbeitslosenproblems herangeht. Hierzu einige Beispiele. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes für junge Arbeitslose ist eine Bestrafung junger Menschen. Der teilweise Entzug der ergänzenden Berufsbildungsbeihilfen, der überwiegend Mädchen trifft, steht doch in eklatantem Widerspruch zu den familienpolitischen Sonntagsreden des Kanzlers und seiner Regierung. ({0}) Und weiter: Die Beseitigung des Rechtsanspruchs auf Kostenerstattung für Arbeitnehmer bei Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen. Der Bundeskanzler hat sich am Anfang dieser Woche darüber beklagt, daß manche Arbeitsämter die Wünsche der Arbeitgeber nach qualifizierten Arbeitnehmern nicht erfüllen könne. Wie soll das denn zusammenpassen, Sieler ({1}) wenn er den Zugang zu weiteren Bildungsmaßnahmen über gesetzliche Eingriffe erschwert? Letztlich sind die massiven Kürzungen bei der ABM-Förderung zu erwähnen, die vor allen Dingen die Wohlfahrtsverbände, die kirchlichen und freien Selbsthilfegruppen und die finanzschwachen Kommunen als Träger solcher AB-Maßnahmen und letztlich die Arbeitslosen selbst treffen. ({2}) Das ist doch weiß Gott keine Glanzleistung dieser Regierung. Der Einsparungseffekt der Bundesanstalt wird mit 1,26 Milliarden DM angegeben. In Wirklichkeit dürften es aber 1,8 Milliarden DM sein, die den Arbeitslosen selbst damit entzogen werden und mit denen nur Haushaltslöcher gestopft werden können. Ich überlasse es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Lande, sich einen Reim auf diesen Arbeitsminister zu machen. ({3}) Für die gesetzliche Altersversorgung von Arbeitern, von Angestellten, Bergleuten, Künstlern sowie für Kindererziehungszeiten, Mutterschaftsleistungen stellt der Haushalt Zuschüsse in einer Größenordnung von fast 42 Milliarden DM zur Verfügung. Dennoch beklagen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, daß der Bund die den Rentenversicherungen übertragenen Lasten wie etwa die Kriegsfolgelasten nicht im ausreichenden Maße finanziert. Die Erhöhung des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung ist daher auch für uns ein entscheidender Eckpunkt für die Reform unserer Alters- und Hinterbliebenenversorgung, Herr Minister. ({4}) Über die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung werden wir noch zu einem späteren Zeitpunkt reden, insbesondere aber über die Reformvorstellungen dieser Regierung. Weshalb allerdings in diesem Haushalt die Mittel für Aufklärungsmaßnahmen über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung um 373 gegenüber dem Ansatz von 1988 auf 5,6 Millionen DM erhöht werden mußten, bleibt angesichts des Selbstdarstellungsbedürfnisses des Ministers kein Geheimnis. Nur hat Imagepflege und Persönlichkeitswerbung eines Ministers nichts mit öffentlicher Aufklärung im Sinne der Bundeshaushaltsordnung zu tun. ({5}) Lassen Sie mich das ein bißchen locker sagen: Norbert Blüm mit einer Leimbürste vor einer Litfaßsäule hat so viel mit Aufklärung zu tun wie der Ochse mit dem Sonntag. ({6}) Wir werden sehr genau aufpassen - darauf können Sie sich verlassen -, wie diese Mittel verwendet werden und ob sie den Erfordernissen der Verfassungsgerichtsentscheidungen entsprechen. Mit weiteren Worten der Kritik möchte ich zur Reduzierung der Mittel für Betreuungsmaßnahmen zur generellen Betreuung ausländischer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kommen. Die Verringerung des Ansatzes 1989 gegenüber dem Haushalt 1988 trifft vor allen Dingen die Spitzenorganisation der freien Wohlfahrtspflege und die dort beschäftigten Helferinnen und Helfer. ({7}) Die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Caritasverband, das Diakonische Werk der EKG, die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben mit allem Nachdruck auf die personellen Konsequenzen hingewiesen, ({8}) die die Kürzung dieser Position bedeutet. Ich ersuche daher die Bundesregierung dringend, diesem Bereich nicht durch weitere Kürzungen die Unterstützung zu entziehen, zumal uns die ausländischen Arbeitnehmer auch vor dem Hintergrund des europäischen Binnenmarktes 1992 weiter beschäftigen werden. Meine Damen und Herren, alles in allem ist der Haushalt des Bundesarbeitsministers zwar in über 90 % seiner Aufgaben rechtlich gebunden, dennoch kommt in diesem Einzelplan nach unserer Meinung eine falsche Gewichtung der Sozialpolitik zum Ausdruck. Im Gesamtgefüge des Sozialbudgets wird die Sozialpolitik - dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen auch aus dem Bereich der Fachgruppe Arbeit und Sozialordnung, sollten Sie sich doch einmal durch den Kopf gehen lassen - zum bloßen Instrument der Haushaltssanierung degradiert. ({9}) Reformen im Gefüge unserer sozialen Sicherheit sind sicher notwendig. Die SPD-Bundestagsfraktion verschließt sich auch diesen Notwendigkeiten nicht. Reformen müssen aber auch reformieren und das soziale Sicherungssystem, um das es hier geht, langfristig stabilisieren. Da alle bisher vorgelegten Vorhaben diesen Anforderungen nicht standhalten und nicht gerecht werden, lehnt die SPD-Fraktion den Einzelplan 11 ab. Ich bedanke mich. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Strube.

Hans Gerd Strube (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sieler, Ihre Rede hat gezeigt, daß Sie und auch Ihre Fraktion in der langen Oppositionszeit noch nicht viel hinzugelernt haben. ({0}) Wir hören hier immer nur Vorschläge, wie man zusätzlich Geld ausgibt. Den Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik haben Sie nach meiner Auffassung noch immer nicht erkannt. ({1}) Lassen Sie sich einmal sagen, meine Damen und Herren: Wohlstand kommt nicht aus dem Geldbeutel, genausowenig wie Strom aus der Steckdose kommt. Meine Damen und Herren, wir behandeln den Einzelplan 11 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung in historisch bedeutender Stunde. Mit der nun fast abgeschlossenen Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung und an der Schwelle zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung befindet sich unsere deutsche Sozialversicherung in einer Zeit des Umbruchs, ({2}) wir wir ihn nicht einmal im Jahr der großen, als Meilenstein betrachteten Rentenreform von 1957 erlebt haben. ({3}) Die Bedeutung der sozialen Sicherung für den Frieden in unserer Gesellschaft sollte uns alle veranlassen, den Aufbruch in die Zukunft gemeinsam, im Konsens, zu vollziehen. ({4}) Worte wie soziale Verwüstung, Flickschusterei, Förderung der Ellbogengesellschaft, mit denen die SPD versucht, von der ruinösen sozialpolitischen Vergangenheit der eigenen Fraktion abzulenken, sind dabei wenig dienlich. Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren: Denken Sie um. Helfen Sie mit, daß der Sozialstaat, der durch die Politik Ihrer Fraktion ins Gerede gekommen ist, weiterhin Sicherheit und Freiheit bietet. ({5}) Meine Damen und Herren, die SPD hat in den Zeiten Ihrer Regierung den mündigen Bürger propagiert. Im Ergebnis wurde dem Bürger jedoch eine sozialpolitische Konsumentenhaltung aufgezwungen. Er wurde gleichsam wie ein Fixer von der Nadel des Sozialstaates abhängig gemacht. Ihm wurde seine Freiheit genommen. Dabei gaukelte man ihm vor, das soziale Füllhorn sei unerschöpflich. Heraus kam die Kolportage des jugendlichen Studenten, der auf perfekte staatliche Ausbildung und Berufshilfe pocht ({6}) und seine Lebensführung und Lebensplanung bereits in der Gesinnung eines Sozialrentners betreibt. ({7}) Wir, die CDU/CSU, setzen auf Wahrheit, Freiheit, Selbstvertrauen und Selbstverantwortung für unsere Mitbürger. Wir haben dem Bürger nach der Regierungsübernahme offen und ehrlich zugemutet, einen Beitrag zur Konsolidierung des Staates zu leisten, wenn die von der SPD hinterlassene finanzielle Verwüstung beseitigt werden sollte. ({8}) Mit gleichem Anspruch sind wir nach erfolgreicher Konsolidierung ({9}) der Systeme der sozialen Sicherung an die Neugestaltung gegangen. - Ich weiß, daß Sie es nicht gerne hören. Aber der Krach hilft auch nicht viel. ({10}) Nachdem bisher - in Ihrer Regierungszeit, darf ich wieder sagen - alle Versuche, die gesetzliche Krankenversicherung zu reformieren, steckengeblieben waren, hat sich die Koalition auf diesem schwierigen Feld, das von hemmungsloser Interessenvertretung, Einkommenslobbyismus ({11}) und Ausplünderung der Kassen geprägt ist, ({12}) als handlungs- und entscheidungsfähig erwiesen. ({13}) Zum Wohle der Versicherten wurden Solidarität auf das Notwendige konzentriert, ({14}) die Gesundheitsvorsorge ausgebaut, ({15}) Sparanreize geschaffen und mit der Pflege eine neue gesellschaftspolitische Herausforderung ersten Grades angenommen. ({16}) Meine Damen und Herren, damit mit den unberechtigten, eigensüchtigen Widerständen, Geschmacklosigkeiten und Unwahrheiten ein Ende wird, ({17}) darf die parlamentarische Verabschiedung nicht länger verzögert werden. Ich will hier keine Debatte über die Reform; die wird zu anderer Zeit zu führen sein. ({18}) Doch ein abschließendes Wort. Kritisch wird immer wieder die soziale Unausgewogenheit ({19}) und übermäßige Belastung des sozial Schwachen bemerkt. Wer solches behauptet, meine Damen und Herren, schlägt sich selbst. Ist es denn sozial, so frage ich, wenn der Umfang der sozialen Sicherung nur durch selbst davon betroffene, daran partizipierende Verbände zu Lasten des einzelnen Bürgers bestimmt wird, wenn die gesetzliche Krankenversicherung Milliardenlasten ohne Ende auftürmt, nachwachsenden Generationen aufbürdet und damit den Generationenvertrag auf das höchste gefährdet. ({20}) Wenn das System einerseits jungen Leuten den Kassenarztberuf verwehrt und andererseits Chefärzte Einkommen erzielen, die denen des gesamten Vorstands bekannter Großunternehmen entsprechen? Meine Damen und Herren, es muß alles daran gesetzt werden, daß die Erfolge der Reform in den nächsten Jahren nicht gefährdet werden. Hier sind auch die Aufsichtsbehörden, beispielsweise das Bundesversicherungsamt, berufen, für eine Stabilität der Beitragssätze zu sorgen. ({21}) Ähnlich der Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werden wir auch die Rente auf Dauer sicher machen. Langfristig wird die künftige Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung ({22}) neben anderen Faktoren vor allem von zwei demographisch bedingten Entwicklungen geprägt: ({23}) vom weiteren Anstieg der Zahl der Rentner und damit der Rentenausgaben ({24}) sowie von einer Abnahme der Zahl der Beitragszahler und damit der Beitragseinnahmen. Daher sind bewährte Strukturen an neue Bedingungen anzupassen. ({25}) Um die Rentenversicherung als lohn- und beitragsbezogenes System zur Lebensstandardsicherung im Alter erhalten zu können, müssen Veränderungen von allen Beteiligten mitgetragen werden, ({26}) von den Beitragszahlern, den Rentnern und nicht zuletzt vom Staat. ({27}) - Nein? Kann ich Ihnen nachweisen. ({28}) An dieser Stelle nochmals der Appell an die SPD, im Interesse unserer Mitbürger von durchsichtigen Wahlmanövern abzusehen. Meine Damen und Herren, das Spiel mit der Angst, das bei der Krankenversicherungsreform von vielen Sozialdemokraten schamlos betrieben wurde und wird, wäre bei der Reform der Rentenversicherung noch verwerflicher; ({29}) denn Sie wissen genauso gut wie wir, daß auch zukünftig die Rente pünktlich gezahlt werden wird. ({30}) Ich bin gespannt, ob Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nach der Polemik zum Thema Krankenversicherung beim Thema Rentenversicherungsreform zur Sachlichkeit zurückfinden werden. ({31}) Vielleicht gelingt es uns aber auch zusammen, die soziale Gerechtigkeit für Familien mit Kindern zu verbessern. Die Kosten der Kindererziehung werden zunehmend überwiegend von den Eltern allein getragen, während der Nutzen der Kindererziehung durch die gemeinschaftlichen Sicherungssysteme vor allem der Allgemeinheit zugute kommt. ({32}) Vor allem der Ausbau des Familienlastenausgleichs, die Gleichstellung der Familienarbeit im sozialen Sicherungssystem und eine familiengerecht gestaltete Arbeitswelt müssen konsequent weiterentwickelt werden. ({33}) Es darf einfach nicht zu einer Polarisierung kommen zwischen Eltern, die mehrere Kinder erziehen und dauernde Pflege leisten, und Ehepaaren, die kinderlos sind, keine Pflegepflichten haben. Clemens Geißler hat es einmal so ausgedrückt: „Die einen haben Kinder und Verwandtschaft, die anderen haben Zeit und Geld". ({34}) Die Strukturdiskussionen werden im übrigen zunehmend von der Diskussion über das wirtschaftliche Verhalten der Sozialversicherungsträger geprägt. Ich warne davor, über die Wirtschaftlichkeit die Menschlichkeit zu vergessen. ({35}) Ich glaube auch nicht, daß man über die Steuerung der Wirtschaftlichkeit allein zu einer Eindämmung der Sozialhaushalte gelangt, um ausreichende Spielräume für den Leistungssektor zu schaffen. ({36}) Dafür ist der Anteil insbesondere der Verwaltungsausgaben an den Gesamtausgaben zu gering. Andererseits kann die Sozialversicherung nicht von uns Hilfe erwarten, solange sie sich vorwerfen lassen muß, im eigenen Hause nicht sparsam und wirtschaftlich zu verfahren. Die Beispiele für Unwirtschaftlichkeit sind zahlreich, wenn man die Hinweise des Rechnungshofes aufmerksam verfolgt. Da ist z. B. zu lesen, daß die deutsche Sozialversicherung bei insgesamt 646 Delegierten aus 104 Ländern allein mit 70 Vertretern an einem Kongreß im Ausland teilnimmt, um, wie es so schön heißt, das Gleichgewicht mit dem Ostblock zu wahren. Ich bezeichne das als eine Verschwendung von Sozialversicherungsbeiträgen. Paroli bieten heißt Qualität und nicht Quantität. ({37}) Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, ({38}) um bei der BFA für die Einhaltung der Grundsätze von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu sorgen, nachdem laut „Bundesarbeitsblatt" , 9/88, die Verwaltungskosten bei der Angestelltenversicherung mittlerweile rund 94 000 DM pro Beschäftigten und Jahr betragen, während bei der Arbeiterrentenversicherung nur rund 52 000 DM ausgegeben werden? Ich fordere auch den Bundesrechnungshof und die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern auf, dafür zu sorgen, daß künftig mehr Verantwortlichkeit für die Beiträge geübt wird. Der Konjunkturaufschwung in der Bundesrepublik, der bereits im sechsten Jahr anhält, ist 1988 stärker ausgefallen, als es noch zu Beginn des Jahres Skeptiker überhaupt für möglich gehalten hätten. Die gesamtwirtschaftliche Produktion hat im Vorjahresvergleich erfreulich zugenommen. Das Bruttosozialprodukt wächst mit steigender Dynamik. Die derzeit vorliegenden Konjunkturindikatoren signalisieren, daß sich die daraus günstige Entwicklung auch für den Rest des Jahres und darüber hinaus fortsetzt. Die Linie, auf der wir uns bewegen, stimmt also. Was uns besonders freut, ist, daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht am Arbeitsmarkt vorbeigeht, sondern ihn in die positiven Impulse einbindet. Die Arbeitslosen profitieren deutlich von dem starken wirtschaftlichen Aufwind. ({39}) Die Arbeitsmarktdaten der letzten drei Monate haben erfreuliche Ergebnisse gebracht. Die Kurzarbeiterzahl, in der sich die gesamtwirtschaftliche Lage unmittelbar widerspiegelt, hat den niedrigsten Punkt nach 1979 erreicht. ({40}) Der Rückgang der Arbeitslosigkeit im Oktober fand in einem in dieser Jahreszeit nicht üblichen Umfang statt. Mit einer Arbeitslosenquote von 7,2 %, gemessen an allen Erwerbspersonen, stehen wir international sehr gut da. ({41}) Der Beschäftigtenanstieg in der zweiten Jahreshälfte hat wieder mehr an Dynamik gewonnen. Im Durchschnitt des abgelaufenen Dreivierteljahrs 1988 hatten wir einen Anstieg von Erwerbstätigen um 134 000 Personen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Um noch eine Beschäftigungsmomentaufnahme zu machen: Im September 1988 waren 147 000 Menschen mehr in Arbeit als im September des vergangenen Jahres. Die seit Jahresbeginn gemeldeten offenen Stellen und der Stellenbestand insgesamt signalisieren, daß sich die Kräftenachfrage von Wirtschaft und Verwaltung gegenüber 1987 deutlich verbessert hat. Im Verlauf des Jahres wurden bisher 1 660 800 offene Stellen gemeldet. Das ist ein Plus von 80 300 Stellen. ({42}) Man muß schon bis 1980 zurückgehen, um für Oktober einen ähnlich hohen Stellenbestand zu registrieren. Wäre nicht zugleich die Zahl der Arbeitssuchenden zunächst wegen der auf den Arbeitsmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge, aber auch wegen der auf einem historischen Höchststand angelangten Erwerbsbeteiligung der Frauen und neuerdings wegen sprunghaft wachsender Aussiedlerzahlen deutlich gestiegen, dann hätte sich die Zunahme der Arbeitsplätze in vollem Umfang spiegelbildlich in einen Abbau der Arbeitslosigkeit umgesetzt. ({43}) Dennoch: Allen Gegebenheiten zum Trotz werden wir bald 1 Million neuer Arbeitsplätze geschaffen haben. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren von der SPD, daß mehr als 1 Million Arbeitsplätze in ihrer Regierungszeit vernichtet wurde. ({44}) Im Jahr 1982 hatten wir eine Steigerungsrate von 44 bei der Arbeitslosigkeit. Das waren Ihre Zahlen. ({45}) Erheblichen Anteil an der heute positiven Beschäftigungstendenz hat die Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik. Seit 1982 hat sich die Zahl der in öffentlich geförderte berufliche Qualifizierungsmaßnahmen eingetretenen Arbeitnehmer von 266 000 auf rund 600 000 im Jahr 1987 mehr als verdoppelt. ({46}) Gleichzeitig wurde die Zahl der in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten von 29 000 auf 115 000 vervierfacht. ({47}) Das sind unsere Zahlen. ({48}) Die Zahl der schwer Vermittelbaren, denen mit Eingliederungshilfen zu einem Arbeitsplatz verholfen wird, liegt in diesem Jahr doppelt so hoch wie 1982. Meine Damen und Herren, Arbeitsmarktpolitik ist aber kein Ersatz für Anstrengungen der Unterneh7712 men, Tarifpartner und Betriebsräte, Arbeitsplätze und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Und es kann auch nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung sein, auf ihre Kosten den Bedarf der Unternehmen und Verwaltungen an qualifzierter Arbeit und damit an beruflicher Weiterbildung abzudecken. ({49}) Die Arbeitsverwaltung in Nürnberg erhält über den Haushalt des Bundes 1989 4 Milliarden DM an Zuschuß. Wir dürfen erwarten, daß die Bundesanstalt für Arbeit bei der Besetzung von Arbeitsplätzen noch mehr Phantasie und Flexibilität entwickelt. ({50}) Wir werden das Vorgehen der Bundesanstalt für Arbeit aufmerksam und kritisch begleiten. Meine Damen und Herren, der heute vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung zu beschließende Haushalt des Bundesarbeitsministeriums ist mit 67,7 Milliarden DM wieder der größte Einzelhaushalt. Er steigt gegenüber 1988 um 9,5 %. ({51}) Daß auf diese Bundesregierung und vor allem auf diesen Bundesminister Dr. Norbert Blüm Verlaß ist, ({52}) haben wir seit 1982 unzählige Male gezeigt. ({53}) Das galt für die Phase der Konsolidierung, es gilt ebenso für die beginnende Phase der Neugestaltung. Als Haushälter stelle ich fest: Dieser Haushalt ist solide und gleichzeitig sozial, so daß meine Fraktion ihm uneingeschränkt zustimmen wird. Ich bedanke mich. ({54})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wahl der Abgeordneten Däubler-Gmelin zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden wurde in den Tagesthemen folgendermaßen kommentiert: „Eine knieze Frau, " für Nicht-Schwaben: das heißt listig und schlau -, „die zu klug gewesen ist, um sich in die Nische der Frauenpolitik zu begeben." Mit dieser Kommentierung ist mit bewundernswürdiger Offenheit ausgesprochen worden, was Sache ist: Frauenthemen werden als gesonderte behandelt, am liebsten abgeschoben in ein Ministerium ohne Geschäftsbereich. Das hat den Vorteil, daß in den anderen Ressorts so weitergemacht werden kann wie bisher; denn die Frauen sind mit ihrem Ministerium ja bedient. Aber die Realität sieht anders aus: Hinter kaum einem Politikbereich verbirgt sich die Frauenfrage stärker als hinter dem von Arbeit und Sozialordnung. ({0}) Und wenn Frau Süssmuth Frauenpolitik nicht nur hätte repräsentieren, sondern auch durchsetzen wollen, hätte sie nach eben diesem Ministerium statt nach dem Präsidentenstuhl greifen sollen. ({1}) Alles, was in diesem Ministerium getan wird - und nicht getan wird - trifft die Frauen noch einmal in besonderer Weise. ({2}) Die Männer mögen es mir verzeihen, wenn ich den Bereich Arbeit und Sozialordnung heute besonders unter diesem Gesichtspunkt betrachten möchte, nämlich unter dem, was er für Frauen bedeutet. Natürlich treffen Arbeitslosigkeit, die Abkehr vom Solidaritätsprinzip in der Arbeitslosenversicherung, das Gesundheitsreformgesetz und die Rentenreform auch die Männer, und zwar schlimm. Aber die Frauen verschwinden eher in der Rolle der Hausfrauen, Mütter und Pflegenden. Und bei ihnen regt sich niemand auf, wenn sie wenig oder kein Einkommen haben; denn schließlich ist der Platz, der ihnen gebührt, zu Hause. Deswegen werden ihre Bedürfnisse nicht zum Maßstab politischen Handelns. ({3}) Beispiel Nummer eins: die Arbeitsmarktdebatte. Der Begriff Massenarbeitslosigkeit kommt bei Ihnen, Herr Blüm, bekanntermaßen nicht vor. Offensichtlich können Sie mit 2 Millionen Arbeitslosen - und eigentlich sind es ja mehr ({4}) gut leben. Es gibt nicht eine einzige wirklich großangelegte Initiative aus Ihrem Hause, um das zu verbinden, was auf der Hand liegt: die Fülle von unaufschiebbaren Aufgaben im ökologischen und sozialen Bereich und die große Zahl von Menschen, deren Arbeitskraft brach liegt und die ohne Einkommen sind. Dazu braucht es nicht einmal viel Phantasie, um das anzupacken, was quasi auf der Straße liegt. Möglich wäre ohne weiteres ein Sonderprogramm zur qualifizierten Ausbildung und sinnvollen Beschäftigung in Verbindung mit dem Ziel der Umstellung umweltschädlicher Produktions- und Arbeitsweisen und der Erschließung neuer Tätigkeitsfelder. Die Arbeitsverwaltung hätte die Förderung zu bewilligen, anspruchsberechtigt wären alle Erwerbssuchenden, insbesondere Frauen, die nach Phasen der Unterbrechung der Erwerbsarbeit auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Träger könnten sein: handwerkliche und bäuerliche Betriebe, kleine und mittlere Unternehmen, Alternativprojekte, Beschäftigungsgesellschaften, Frauen- und Selbsthilfeinitiativen. Das wäre etwas anderes als die lächerlichen 30 Millionen DM Wiedereingliederungshilfen aus dem Hause Süssmuth. ({5}) Ihre Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit ist dagegen die neunte AFG-Novelle. Ihr Parteikollege Albrecht hat in seiner Initiative zur 50 %igen Übernahme der Sozialhilfelasten durch den Bund ja selber beschrieben, daß in den Krisengebieten inzwischen bereits 40 % der registrierten Arbeitslosen in den Bereich der Sozialhilfe fallen. ({6}) Aber das hält Sie auch nicht davon ab, durch neuerliche willkürliche Eingriffe sowohl den Lohnersatzcharakter der Arbeitslosenversicherung in Frage zu stellen, als auch die Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie Fortbildung und Umschulung, so zu reduzieren, daß selbst von diesen minimalen Ansätzen aktiver Arbeitsmarktpolitik kaum etwas übrigbleibt. ({7}) - Sie müssen es an den über 2 Millionen Arbeitslosen messen. Das ist die einzige Meßlatte, über die Sie hinwegmüssen. ({8}) Von der Kürzung des ABM-Programms ganz zu schweigen, von dem Herr Franke - der ist ja wohl auch Ihr Parteikollege -, sagt, daß es sich zu 97 % refinanziert! ({9}) Solche Maßnahmen streichen Sie zusammen. Wieder sind bei diesen Eingriffen - besser: Angriffen - die Frauen die Gelackmeierten, die sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, um z. B. die lieben Kleinen zu erziehen. Und erst wenn sie vom Naseputzen und Breikochen wieder auftauchen und zurück in die Erwerbstätigkeit möchten, merken sie, daß sie teuer bezahlen müssen für die Entscheidung, Hausfrau und Mutter zu sein, weil ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt versperrt ist. ({10}) Aber nun lassen Sie ja zusammen mit Oskar Lafontaine Ihrer Phantasie freien Lauf und klinken sich in die Arbeitszeitdebatte ein. Damit bin ich beim Beispiel Nummer zwei: Das neue Zauberwort gegen die Erwerbslosigkeit ist nunmehr die Flexibilisierung der Arbeitszeit, ({11}) angeblich mundgerecht für alle Arbeitnehmer, insbesondere für die Frauen. Eigentlich geht es natürlich um die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten und der Betriebsnutzungszeiten, ({12}) aber vordergründig wird es als Rezept Nummer eins zur Arbeitsbeschaffung verkauft. „Vier mal neun" heißt dabei die Version Blüm. ({13}) - Es bleibt richtig, und darüber müssen wir uns auseinandersetzen. Das sind die Fragen, die auf uns zukommen, Herr Kolb. In dieses Konzept paßt die Verlängerung der Ladenschlußzeiten, und Herr Lafontaine stellt sogar den Samstag und Sonntag als in der Regel arbeitsfreie Tage in Frage. Hier gilt es noch einmal zu betonen: Wenn Sie die Frauen endgültig vom Arbeitsmarkt ausschließen wollen, dann verlängern Sie die tägliche Arbeitszeit, gedrängt auf vier Tage, und geben Sie den Samstag als Regelarbeitstag wieder frei! ({14}) Die Frauen werden zu Hause bleiben müssen, weil die Väter nicht einmal mehr zum Gutenachtkuß nach Hause kommen, wenn sie in diese überlangen Arbeitstage eingebunden sind. ({15}) Es wird keine Schule und keinen Kindergarten geben, der Kinder so lange betreut, daß sich Frauen selber in derartige Arbeitsverhältnisse hineinbegeben könnten. ({16}) Am Samstag ist es mit der Kinderbetreuung sowieso Essig. ({17}) Aber dafür haben Sie ja die Teilzeitarbeit. Nur, Herr Blüm, ich kenne bisher keine Initiative aus Ihrem Hause, durch die Teilzeitarbeit wenigstens mit allen nur erdenklichen Schutzrechten versehen würden, ({18}) den Anspruch zur Rückkehr auf einen Vollzeitarbeitsplatz begründen würde und sich Gedanken darüber machte, wie denn die Lohnverluste, die durch Teilzeitarbeit entstehen, ausgeglichen werden könnten. ({19}) Frauen brauchen die tägliche Arbeitszeitverkürzung und Väter brauchen sie auch. Das wäre ein Modell der Arbeitsumverteilung, wenn wirklich ernst gemacht werden sollte mit der Möglichkeit, Erwerbs-und Familienarbeit miteinander zu verbinden. Davon reden inzwischen alle - auch Ihre Partei - , aber heraus kommen nur frauenfeindliche Vorschläge. ({20}) - Sie können an den anderen Tagen die Kinder nicht in den Rauchfang hängen. Offensichtlich haben Sie keine Erfahrung mit Kindern, sonst würden Sie so etwas nicht sagen. Beispiel Nummer drei: das soziale Sicherungssystem, insbesondere die Rente. Bisher hieß es immer: Rente ist Alterslohn für Lebensleistung. Dabei wird elegant übersehen, daß Frauen im Schnitt nach wie vor 30 % weniger verdienen und daß sich die Rentenhöhe an dem Verdienst orientiert. Mit dem bestehen7714 den skandalösen Entlohnungssystem haben letztlich die Frauen bei der Berechnung der Rente immer das Nachsehen. ({21}) Auch zu diesem gesellschaftspolitischen Skandal kein Ton aus Ihrem Hause, Herr Blüm! Bekanntermaßen haben Frauen extrem niedrige Renten - haben sie in ihrem Leben weniger geleistet? Nun wird das ganze etwas modifiziert. Rente ist nun Lebenslohn für Lebensbeitragsleistung. Erziehung wird mit drei Jahren, Pflege aber nur zur Erlangung von Anrechnungszeiten, berücksichtigt, und das ist unter dem Strich sehr wenig; das werden die Frauen dann merken, wenn es um die Berechnung ihrer Rentenzeiten geht. ({22}) Die Grundtendenz bleibt also: Frauen, die den Arbeitsmarkt für soziale Tätigkeiten wie Pflege und Erziehung, verlassen haben, werden dafür weiterhin mit den sattsam bekannten Frauenarmutsrenten bezahlen. Wenn nun die Rentenlaufzeiten auch noch verlängert werden, d. h. 49 Jahre als Berechnungsgrundlage gelten, ({23}) werden Frauen weiterhin im Alter immer in Armut bleiben, denn sie können diese Zeiten in ihrem Leben nie und nimmer erfüllen. ({24}) Um die Grundrente kommt niemand herum, wenn Sie Frauen aus der Altersarmut herausführen wollen. Aber letztlich - damit schließt sich der Kreis - bleibt der Zugang zum Arbeitsmarkt die entscheidende Frage für die eigene Rente von Frauen, womit wir wieder am Anfang wären. ({25})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wohrt hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schon in den vergangenen Jahren ist der Haushalt des Bundesarbeitsministers Spitzenreiter. ({0}) - Darauf kommen wir gleich zu sprechen, Herr Kollege. - Er ist mit über 66 Milliarden DM nicht nur der größte Einzeletat, sondern weist auch im Vergleich zu den Vorjahren eine beachtliche Steigerung auf. Finanzielle Größe allein ist allerdings noch kein ausreichender Maßstab für Sozialpolitik. Diese lebt auch vom besonderen persönlichen Engagement der guten Tat älterer oder jüngerer Bürger. ({1}) Ohne ihr aktives Handeln wären viele unserer Gesetze nichts wert, denn Toleranz, Hilfsbereitschaft, ja, Nächstenliebe schlechthin sind wichtige Voraussetzungen für ein soziales Miteinander; ({2}) ihnen sei dafür herzlich gedankt. ({3}) Die gewaltigen Summen, die in die Sozialpolitik fließen, machen deutlich, ({4}) daß wir uns in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel mehr leisten können. Oder tun wir nur so, als ob wir es uns leisten könnten? Ich meine, daß wir uns stärker als bisher Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit unseren finanziellen Mitteln effizienter gezielter denjenigen helfen können, die dieser Hilfe besonders bedürfen. ({5}) Diese sind oft kleine Gruppen, die nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und keine lautstarke Lobby haben. ({6}) Diese sind Behinderte, Langzeitarbeitslose, Schwervermittelbare, und diese sind, denke ich, Frau Beck-Oberdorf, auch Frauen - das ist zwar keine kleine Gruppe -, ({7}) die Kinder erziehen, Pflegeaufgaben wahrnehmen und im Erwerbsleben und bei der Rente uns Männern gegenüber benachteiligt sind. Wir werden dafür Rechnung und Sorge tragen, daß diese Benachteiligung Schritt für Schritt ausgeglichen wird. Sozialpolitik mit der Gießkanne verfehlt aber ihren Ansatz. ({8}) Sie schafft neue Ungerechtigkeiten, entmutigt die Leistungsbereiten und sichert nicht den sozialen Frieden. Wir müssen deutlicher zwischen dem trennen, was der einzelne zu leisten vermag, welche Lasten von ihm legitimerweise übernommen werden müssen, und den Fällen, in denen es der solidarischen Unterstützung und Hilfe bedarf. ({9}) Diese Meßlatte müssen wir auch bei der Bekämpfung der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit anlegen. Über 12 Milliarden DM wendet der Bund dafür auf. Auch die Bundesanstalt für Arbeit steuert ein beachtliches Scherflein dazu bei. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich also nicht nur in einer steigenden Zahl freier Lehrstellen und dem leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit, sondern auch in einer erheblichen Zunahme der Zahl der Beschäftigten wider. 175 000 waren es allein im letzten Jahr. Die positive wirtschaftliche Entwicklung dieses Jahres wirkt sich also auch positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Die Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung, die der Sachverständigenrat in diesen Tagen veröffentlicht hat, mit Wachstum von 2 bis 2 1/2 % für 1989, lassen erwarten, daß der stetige wirtschaftliche Aufschwung mit einer Steigerung der Zahl der Beschäftigten um ca. 200 000 auch 1989 fortgesetzt wird. Es gibt also keinen Grund schwarzzusehen, aber auch keinen Grund, bei diesen Anstrengungen nachzulassen. Denn auch diese positiven Zahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir etwa 1,5 Millionen Arbeitslose haben, die nicht mehr unmittelbar für Einstellungen in Frage kommen. ({10}) - Hören Sie genau zu; ich differenziere nämlich. Wer sich über Arbeitslosigkeit unterhält und nur Pauschalurteile abgibt, der macht den größten Fehler. ({11}) - Jetzt hören Sie doch mal zu. Herr Kollege Heyenn, jetzt lassen Sie mich doch diesen Gedankengang zu Ende führen. Für diese Gruppen brauchen wir zusätzliche Maßnahmen und viel Phantasie, um sie wieder an den Arbeitsmarkt heranführen zukönnen. Mit Wachstum allein können diese Gruppen nicht erfolgreich eingegliedert werden. Hier müssen wir andere Instrumente suchen. ({12}) Wir sind dabei, unsere Anstrengungen in diese Richtung, die ich gerade eben ausgeführt habe, differenziert voranzubringen. ({13}) Gerade deshalb sollten wir die Forderung des Sachverständigenrates, die Wachstumskräfte durch eine Tarifpolitik zu stärken, die den Strukturwandel, die Investitionsbereitschaft und die Innovationsneigung fördert, nachhaltig unterstützen. Die Tarifparteien sind auch aufgefordert, Ansätze für mehr Flexibilität im Arbeitsleben, bei der Arbeitszeit und den Arbeitsbedingungen, zu verstärken und auszubauen. Insofern ist auch die geplante Einführung des Dienstleistungsabends ein Schritt in die richtige Richtung. ({14}) Es wird höchste Zeit, daß wir da schneller vorankommen. Meine Fraktion läßt es nicht zu, daß das Vorhaben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. ({15}) Koalitionsvereinbarungen müssen in dieser Frage eingehalten werden. Frau Kollegin Beck-Oberdorf, es wird der Sache nicht gerecht, die Flexibilisierung der Arbeitszeit für Frauen nur negativ darzustellen, so wie Sie es getan haben. ({16}) Ich selber habe in meinem Wahlkreisbüro zwei weibliche Halbtagskräfte eingestellt, die keinen Arbeitsplatz hätten, wenn sie von mir nicht die Möglichkeit bekommen hätten, einen Arbeitsplatz mit flexibler Arbeitszeit nach eigenen Wünschen zu haben. ({17}) - Das habe ich überhört. Das brauchen Sie einen Sozialpolitiker nicht zu fragen. Das möchte ich Ihnen sagen. ({18}) - Ja, das ist erstaunlich, Herr Kollege Kolb. Differenzierte und flexible Arbeitszeitregelungen, die den Besonderheiten der einzelnen Betriebe, Branchen und Regionen besser Rechnung tragen, sind gefordert. Rasenmäherartige Verkürzungen der Arbeitszeit sind kein Beitrag zu mehr Beschäftigung und auch kein Beitrag zur Sicherung der Rente. Denn von kürzerer Arbeitszeit kommt kein höherer Beitrag in die Kassen der Versicherungsanstalten. ({19}) Wir müssen vielmehr stärker als bisher zur Entkopplung von individueller Arbeitszeit und betrieblicher Nutzung der Maschinen und Anlagen kommen. Notwendig sind auch zusätzliche Anstrengungen der Tarif- und Betriebspartner zur beruflichen Qualifizierung. Diese künftig an Bedeutung noch zunehmende Aufgabe kann und darf nicht nur den Beitragszahler belasten. Die Bundesanstalt für Arbeit sollte sich bei ihren Maßnahmen in erster Linie auf die Problemgruppen am Arbeitsmarkt konzentrieren. ({20}) Diesbezüglich werden wir in Zukunft die Tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit noch stärker unter die Lupe nehmen müssen. Wir werden den Bericht des Bundesrechnungshofs zur Hand nehmen ({21}) und uns darüber informieren, wo es Mißbrauch gibt und unberechtigterweise Geld gezahlt wird. ({22}) Gerade vor dem Hintergrund des näherkommenden europäischen Binnenmarkts mit seiner sozialen Dimension dürfen wir nicht durch immer neue zusätzliche Leistungen die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die Beschäftigungschancen in Frage stellen. Kurzfristige tarifliche Erfolge müssen langfristig teuer bezahlt werden. Deshalb müssen wir auch bei vertretbarer sozialer Abfederung die strukturellen Umbauprozesse in unserer Wirtschaft vorantreiben und dürfen nicht ängstlich den Status quo um jeden Preis bewahren wollen. Dies kommt, wie die Erfahrungen aus manchen Regionen zeigen, uns alle letztendlich teuer zu stehen. Bei über 28 Milliarden DM Bundes7716 zuschuß in den großen Zweigen der Rentenversicherung wird deutlich, welch große Bedeutung von, wie ich glaube, von uns allen einer funktionierenden Alterssicherung beigemessen wird. Die anstehende Reform der Rentenversicherung und entsprechende Korrekturen in anderen Alterssicherungssystemen, die ganz oder teilweise staatlich finanziert werden, werden uns ja demnächst noch ausführlich beschäftigen. Ich möchte hier eines deutlich zum Ausdruck bringen: Ich unterstütze einen möglichst breiten Konsens aller Parteien. Die soziale Sicherung - dies gilt in besonderem Maße für die Alterssicherung - lebt von dem, was die Aktiven mit ihrer Hände Arbeit schaffen. ({23}) Je kräftiger das wirtschaftliche Wachstum unter Berücksichtigung ökologischer Rahmenbedingungen ist, desto besser kann auch unsere soziale Sicherung ausfallen. ({24}) Die Devise heißt: Rentensicherheit vor Rentensteigerung. Niemand sollte die Illusion verbreiten, dieses ehrgeizige Ziel sei zum Nulltarif zu erreichen. Wir werden die Last breiter verteilen müssen, nämlich auf die Schultern der Beitragszahler, der Rentner und des allgemeinen Haushalts. Wir müssen zugleich aber auch beim Bürger stärker um Verständnis dafür werben, daß Eigenvorsorge und Eigenverantwortung parallel sehr wohl not tun. ({25}) Im Zusammenhang mit den großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode - der Gesundheitsreform, die wir bis zur Erschöpfung diskutiert und beraten haben und morgen verabschieden werden, und der Rentenreform, die im nächsten Jahr unsere Kräfte beanspruchen wird - bedaure ich es sehr, daß ein anderes wichtiges Reformvorhaben, nämlich das der agrarsozialen Sicherung, nicht in einem großen Wurf realisiert werden kann. ({26}) Die Probleme wie mehr Gerechtigkeit im System und eine bessere Verteilung der Lasten brennen uns in diesem Bereich so auf den Nägeln, daß wir uns eigentlich gar keinen Aufschub leisten können. ({27}) Um alle sozialpolitisch dringenden Probleme bewältigen zu können, ist eine engere Verzahnung von Steuer-, Haushalts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik notwendig. Nur so können wir den sozialen Frieden weiter sichern, umweltfreundliches wirtschaftliches Wachstum fördern und einen hohen Lebensstandard aufrechterhalten. Ich meine, der Haushalt wird diesem Ziel gerecht. Meine Fraktion wird diesem Haushalt zustimmen. Herzlichen Dank. ({28})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Zeitlang nicht die Gelegenheit gehabt, in einer sozialpolitischen Debatte zu sprechen, aber ich habe den Eindruck, es ist alles viel schlimmer geworden. Ich habe den Eindruck, daß die Kollegen und Kolleginnen von CDU/ CSU und FDP von einer Problemlösung weit entfernt sind. Es ist in der Tat so, daß wir heute den Haushalt des Bundesministers für Arbeit beraten, und wir sind dabei beim Kernproblem: Eine Regierung, die sich jahrelang mit Massenarbeitslosigkeit abfindet, ({0}) muß sich doch nicht wundern, wenn die sozialen Sicherungssysteme nicht in Ordnung gebracht werden können, denn Arbeitslose sind keine Beitragszahler. ({1}) Sie, meine Damen und Herren, machen eine Politik, die darauf abzielt: ({2}) Wirtschaftswachstum in Ordnung, Preisstabilität in Ordnung, Arbeitslosigkeit leider nicht beseitigt, Leute gewöhnt euch an Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, Sie haben doch das Ziel aufgegeben, die Arbeitslosigkeit wirklich zu beseitigen. ({3}) - Ja, es ist wahr, Herr Strube, es gibt einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Sozialpolitik, aber doch nicht so, daß man erst zusieht, wie sich alles entwickelt, und der Sozialstaat dann mit der Pflasterkiste hinterherläuft und Hansaplast verordnet. Es geht doch darum, daß der Sozialstaat ein entscheidender Standortvorteil dieser Bundesrepublik Deutschland ist und daß der Abbau von Arbeitslosigkeit Vorrang haben muß, damit die wirtschaftliche Entwicklung funktioniert. ({4}) Norbert Blüm sagte 1983 - es ist ja interessant, daran zu erinnern - : Wir werden die Arbeitslosigkeit um eine Million reduzieren. ({5}) Davon ist nichts übrig geblieben. Nun sitzt er wie ein Hamster in dem von ihm selbst verursachten Circulus vitiosus. Er rennt und rennt, und er kann überhaupt nichts mehr beschicken, denn wenn wir nicht bald die Massenarbeitslosigkeit beseitigen, wird es schwieriFrau Fuchs ({6}) ger und schwieriger, die sozialen Sicherungssysteme in Ordnung zu bringen, denn Arbeitslose, meine Damen und Herren, sind keine Beitragszahler. Im Gegenteil, es sind Menschen, die Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe brauchen. ({7}) Deswegen muß es doch Vorrang haben, daß wir alles dafür tun, damit diese Menschen wieder Beitragszahler werden. Das muß Vorrang haben in der Politik des Bundesministers für Arbeit. Aber er tut ja - wie ich gleich erläutern werde - das Gegenteil. Vorrangiges Ziel muß also sein, Arbeitsplätze zu schaffen. Wie können wir dies denn erreichen in einer Situation, die wirtschaftlich und ökonomisch-konjunkturell ganz ordentlich ist? International gesehen haben wir eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Ich freue mich darüber. Die positive Preisentwicklung ist auch in Ordnung. Aber nun kommt doch die spannende Frage: Wenn der Markt es nicht hergibt, Arbeitslosigkeit abzubauen, dann kann man sich damit zwar abfinden; aber dann müßte man wenigstens das Geld zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht in Not geraten. Das ist unser Stichwort „soziale Grundsicherung" . Wenn Sie schon keine Arbeit zur Verfügung stellen, dann müssen Sie wenigstens für eine soziale Grundsicherung für arbeitslose Menschen sorgen. ({8}) Besser aber wäre es doch, wenn wir miteinander darüber nachdenken, ({9}) wo wir den Markt ergänzen können. Darin gebe ich Ihnen recht: Gibt es denn keine Arbeit in unserem Land? Brauchen wir nicht ein qualitatives Wachstum im Dienstleistungsbereich, in den sozialen Berufen, in ökologischen Berufen? ({10}) - Ich sage Ihnen, Herr Kollege, wir geben in diesem Jahre 60 Milliarden DM für die Bezahlung von Arbeitslosigkeit aus. Es fehlt uns doch nur an Phantasie und Kreativität, dieses Geld für mehr Arbeit auszugeben, statt nur die Arbeitslosigkeit zu finanzieren. ({11}) Wachstum in diesem Bereich - ich brauche nicht zu wiederholen, was Sie sagten - : ({12}) Sie machen jetzt das Gegenteil. Ich komme deswegen auf die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu sprechen. Sie haben die Mittel dafür zunächst einmal erhöht - in Ordnung. Es wäre doch aber sehr richtig gewesen, zu sagen: Wir sehen an den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, daß es in dieser Gesellschaft viel sinnvolle Arbeit gibt, sonst würden doch die Träger diese Arbeit nicht annehmen, ({13}) sonst gäbe es nicht ökologisch-soziale Berufe, die über ABM-Maßnahmen finanziert werden. Anstatt nun aber zu sagen: Wir weiten diese Maßnahmen aus, wir helfen den Trägern, damit sie in der Lage sind, die ABM-Kräfte auch irgendwann einzustellen, kürzen Sie in diesem Bereich. Sie tun also genau das Gegenteil als das, was arbeitsmarktpolitisch für diese Gesellschaft sinnvoll ist. Deswegen ist es Hohn, wenn Sie so tun, als wollten Sie wirklich etwas tun, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({14}) Warum muß der Arbeitsminister da wieder sparen? Er muß sparen, weil er ein Defizit verursacht hat. Dieses Defizit entsteht doch nicht, weil die Arbeitslosen zu faul sind, wie Sie immer sagen, oder weil die Bundesanstalt nicht sparsam arbeitet. Erinnern Sie sich: Wir hatten bei der Bundesanstalt eine Rücklage von 5 Milliarden DM. ({15}) Das hat den Stoltenberg auf den Plan geholt. Er hat sich von Bundesaufgaben entlastet. Der Arbeitsminister hat zugelassen, daß Bundesaufgaben auf die Bundesanstalt für Arbeit übertragen wurden, und jetzt haben wir ein Defizit. Zahlen müssen dieses Defizit letztlich wieder die Arbeitslosen. Jetzt werden wieder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekürzt. Das ist der Teufelskreis, den sich der Bundesarbeitsminister selbst zuzuschreiben hat. ({16}) Sie fangen bei den jungen Menschen an. Sie wollen - das ist ja bei Ihnen noch umstritten ({17}) die Bezugsdauer von Leistungen für junge Arbeitslose kürzen. Nun habe ich gehört: Sie wollen es wieder ändern. Aber die Begründung ist toll. Sie ist so, daß Sie sagen: Die Kürzung lohnt gar nicht, weil es so ein kleiner Betrag ist. Nein, Sie haben in den letzten Jahren jungen Arbeitslosen nicht geholfen. Junge Arbeitslose werden auch ganz besonders betroffen, wenn Sie wiederum bei Qualifizierung und Umschulungsmaßnahmen einsparen. ({18}) Lassen Sie mich hier einmal einen Augenblick mit Ihnen zusammen nachdenken: Wissen Sie eigentlich, wie wir mit Menschen umgehen? Ich habe in Zeitungsberichten nachgelesen, wie das zu Beginn der 60er Jahre war: Wie froh waren wir damals über die Geburtenrate. Wir haben uns über die Anzahl der Kinder gefreut, die damals geboren wurden. Heute tun Frau Fuchs ({19}) wir so, als ob die damals von uns begrüßten Kinder für uns eine Belastung seien. ({20}) Wir helfen ihnen nicht, wenn sie arbeitslos sind. Wir streichen ihre Leistungen zusammen. Meine Damen und Herren, wir beklagen, daß so viele dieser jungen Menschen mehr Bildung erstreben, auf die Universitäten wollen und daß sie sogar einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz beanspruchen. Wie gehen wir eigentlich mit denen damals begrüßten Kindern heute um, meine Damen und Herren? ({21}) Diese jungen Menschen, die nicht mehr Kinder sind, sind doch unser Reichtum. Ich finde, es ist ein Trauerspiel, daß wir es nicht schaffen, rechtzeitig und flexibel genug auf lang vorhersehbare Probleme zu reagieren. Die gestrige Debatte um den Bildungsetat und um die Überlastprobleme an den Universitäten war ja ein Trauerspiel in bezug auf die Frage: Wie gehen wir mit diesem Problem um? Herr Möllemann hat für Januar 1989 einen Nachtragsetat angekündigt, um ein Überlastprogramm zu finanzieren. Der Finanzminister hat es abgeschwächt, weil wir sonst die Debatten hätten unterbrechen müssen. Aber, meine Damen und Herren, ob nun noch etwas kommt, weiß man eigentlich gar nicht. Das geht bei dem Nachtragsetat bei Möllemann nach dem Motto: Ob er aber über eine Milliarde oder aber über zwei Milliarden oder ob er überhaupt nicht kommt, ist nicht gewiß. So ist Möllemanns Finanzpolitik. ({22}) Ich denke, meine Damen und Herren, diese jungen Menschen werden diese Demokratie doch nicht bejahen. Glauben Sie, daß sie in die Fähigkeit dieser Gesellschaft, mit Problemen fertig zu werden, Vertrauen haben? Nun sagen wir heute: Wie schrecklich, es werden keine Kinder geboren. Glauben Sie denn, daß die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge Vertrauen haben und sagen: Wir wollen Kinder? Sie müssen doch mit Recht fürchten, daß zwar die Anzahl der Geburten wieder freudig registriert wird, aber die Gesellschaft versagt, wenn die jungen Menschen auf ihrem Lebensweg Probleme bekommen. Sie sind dann wieder ganz auf sich gestellt. Meine Damen und Herren, deswegen sollten wir darüber nachdenken, wie wir eigentlich mit Problemen der jungen Leute umgehen. ({23}) Das einzige, was uns dann noch bleibt, ist, daß wir uns darauf freuen, daß in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge schwächer werden, und daß wir sie dann vertrösten und sagen: Kommt dann wieder, dann bekommt ihr einen Arbeitsplatz. - Ich glaube, so werden wir den Problemen nicht gerecht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, war die von Ihnen damals unter Ihrer Regierungsverantwortung beschlossene Streichung von Kindergeld für arbeitslose Jugendliche ein Beitrag zu der von Ihnen gerade eingeforderten Stabilisierung des Vertrauens junger Leute in die Politik, oder wie erklärt sich das nun im Zusammenhang der Argumentation, die Sie hier vorgetragen haben?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde es immer sehr rührend, wenn Sie nach sechs Jahren noch meinen, Ihre heutige miese Politik mit Beispielen aus der damaligen Zeit begründen zu müssen, die im übrigen nicht stimmig sind, soweit es das Beispiel betrifft, von dem Sie jetzt sprechen. Es zeigt mir, daß Sie überhaupt nicht in die Zukunft schauen, ({0}) sondern daß Sie sagen: Wenn ich schlechte Politik mache, begründe ich das mit damaligen Kürzungen. Ich sage Ihnen: Wenn wir damals falsche Kürzungen gemacht haben, ist das überhaupt kein Grund, daß Sie uns insoweit nachahmen. Sie haben doch gesagt, Sie wollten es besser machen. Sie machen es weit schlechter, als wir es zu unseren schlechtesten Zeiten gemacht haben, Herr Kollege. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Frau Würfel, bitte schön.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Fuchs, wenn Ihre Argumentation schlüssig ist - die Frauen fühlten sich in dieser Gesellschaft nicht mehr wohl und bekämen deshalb keine Kinder mehr - , stimmen Sie mir dann zu, daß Sie während der sozialliberalen Koalition im Grunde genommen verantwortlich gewesen sind für die demographische Entwicklung und für den Geburtenrückgang, der uns weltweit an die Spitze gebracht hat? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, wir hatten damals nicht die Freude, Sie damals als Mitglied der Koalitionsfraktionen dabeizuhaben. Ich würde mich freuen, wenn wir miteinander darüber nachdächten - das war eigentlich mein Ansatz - , wieso wir jeweils nach Tagespolitik mit Menschengruppen und Generationen umgehen. Ich sage Ihnen: Die heutigen geburtenstarken Jahrgänge werden eines Tages ein Rentenberg sein. Ich mache mir Sorge, wie wir dann mit ihnen umgehen. Meine Bitte ist, daß wir alle miteinander darüber nachdenken: Wie können wir das Vertrauen in diese Gesellschaft, in die Fähigkeit stärken, auch langfristig Frau Fuchs ({0}) vorhersehbare Probleme zu lösen? Das ist doch der Punkt. Was wir jetzt z. B. in der Hochschulpolitik an Problemen haben, war lange voraussehbar. Da komme ich auf unsere Koalition zurück. Damals gab es nämlich Ansätze zur Bildungsplanung. ({1}) Wir hatten uns vorgenommen, solche Probleme rechtzeitig anzugehen. Die Lösungsvorschläge sind im Zuge der Wende leider alle kaputtgemacht worden, so daß wir heute vor diesen Problemen stehen. ({2}) Nun werden Sie fragen: Was hat das mit dem Arbeitsminister zu tun? Der Arbeitsminister muß Sorgfalt darauf legen, daß er nicht gerade den Umfang der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für junge Leute reduziert. ({3}) Herr Bundesarbeitsminister, Sie wie auch die Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit haben doch zugelassen, daß durch die Steuerpolitik die öffentlichen Kassen so leer geworden sind, daß nun die jungen Menschen keine Hilfe mehr bekommen. Die Folge dieses Geldmangels ist, daß das Schüler-BAföG gestrichen wurde und daß die Universitäten nicht in der Lage sind, mit dem Studentenberg fertig zu werden. Diese Kürzungen auch im Arbeitsförderungsbereich sind Ausdruck einer gewollten Politik. Sie werden noch erleben, daß diese Menschen wiederum Sozialhilfeempfänger werden. Aber ich habe nicht gehört, daß Frau Süssmuth oder der Bundesarbeitsminister Herrn Albrecht unterstützt hat. Er hatte doch die richtige Idee zu sagen: Die Finanzierung von Sozialhilfelasten, die mit Arbeitslosigkeit begründet werden, ist nicht Aufgabe der Kommunen. Es wäre im Rahmen der gesamtstaatlichen Verantwortung richtig gewesen, diese Aufgabe dem Bund zu übertragen. Ich bedaure, daß weder Frau Süssmuth noch Herr Blüm die Initiative Herrn Albrechts unterstützt haben. Das wäre nämlich auf Grund ihrer sozialpolitischen Verantwortung ihre Aufgabe gewesen. ({4}) Nun komme ich zur Gesundheitsreform. Wir dürfen noch nicht verkennen, daß ein Teil der Probleme im Gesundheitsbereich in den weniger gewordenen Beitragszahlern liegt. Ich will das heute nicht vertiefen, weil wir ja morgen darüber debattieren. Ich will auch das beherzigen, was der Präsident sagt: Wir sollten aufpassen, daß die Begrifflichkeit stimmt. Ich bitte nur, daß man das auch dem Kanzleramtsminister sagt; denn er meint, das sei normaler Sprachgebrauch. Da bitte ich doch auch um ein deutliches Wort. ({5}) Wir hatten angeboten, die Gesundheitsreform nach Abschluß der Arbeiten der Enquete-Kommission gemeinsam zu verabschieden. ({6}) Wir hatten das angeboten, weil wir wissen, wie schwer das ist. Wir hätten Ihnen dann auch anbieten können, daß wir uns miteinander gegen die ungerechtfertigterweise erhobenen Vorwürfe der Interessenverbände zur Wehr setzen. Aber das hat Herr Blüm alles nicht gemacht. Er wollte Norbert der Mutige sein - ich allein gegen die Welt - , der den Gesundheitsbereich reformiert. ({7}) Das haben Sie jetzt davon, meine Damen und Herren: Er ist zu kurz gesprungen, und die Gesundheitsreform wird keine vernünftige Reform. ({8}) - Wenn Sie mir das vorwerfen, will ich Ihnen ganz offen folgendes sagen. ({9}) Ich bin als Bundesgeschäftsführerin der SPD ganz stolz auf das, was Sie uns alles zutrauen. Wir haben in diesen Tagen sehr gut reagiert, und wir sind organisatorisch voll drauf. ({10}) Sie können sich darauf verlassen, daß wir es weiter so machen. Wir haben die Leute nicht zu den Ärzten geschickt, damit sie sich eine Prothese machen lassen. Wir haben auch nicht die Verbände aufgehetzt, Herr Kollege. ({11}) Es ist doch Ihre Politik, die die Leute auf die Barrikaden treibt, und nicht Verlautbarungen, die es hier gibt. ({12}) Meine letzte Redezeit will ich, damit es auch ökologisch stimmig ist, etwas gedämpft mit der Rentenpolitik verbringen. Wenn es nicht gelingt, den Teufelskreis zu durchbrechen - ständig hohe Arbeitslosenzahlen; Herunterdividieren hilft da nichts, vielmehr muß man etwas tun, um neue Beitragszahler zu gewinnen -, wird es schwierig werden. Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel, wie wir für neue Beitragszahler sorgen könnten. Wir wissen, Frauen wollen Beruf und Familie miteinander vereinbaren. Ich denke, die meisten von ihnen sollten auch die Chance auf einen Vollzeitarbeitsplatz haben. Aber wenn Teilzeitarbeitsplatz, dann doch bitte sozialversicherungspflichtig! ({13}) Frau Fuchs ({14}) Dann lassen Sie doch endlich diese 440-DM-Grenze abschaffen, meine Damen und Herren, damit wir ordentliche Teilzeitarbeitsplätze bekommen. ({15}) Der Bundesarbeitsminister hat mir das oft versprochen, zuletzt im Bundestagswahlkampf. Aber er tut wieder einmal genau das Gegenteil - die Grenze ist nämlich erhöht worden. Ich sage Ihnen: Wir werden an diesem Punkt nicht müde. Es ist richtig, daß dies die größte Chance ist, um in der Frauenerwerbsarbeit für vernünftige Bedingungen zu sorgen. ({16}) Das hätte den erfreulichen Nebeneffekt, daß diese Frauen eigene Beiträge zahlen könnten und sich eine eigene soziale Sicherung aufbauen könnten. ({17}) Das ist der Einstieg, den wir in dieser Frage brauchen. ({18}) Herr Bundesarbeitsminister, ansonsten ist Ihr Rentenprogramm noch zu sehr Notprogramm ohne Perspektive. Wir werden darüber diskutieren. Ich will jetzt nicht nach all dem fragen, was wir gern anders hätten. Ich will Sie nur fragen: Wer hat Sie auf die Idee gebracht, das mit der Lebensarbeitszeit in das Konzept zu schreiben? ({19}) Sie machen doch hier den Fehler zu glauben, dann, wenn Sie die Lebensarbeitszeit auf dem Papier verlängern, bekäme irgendein Arbeitsloser einen Arbeitsplatz. Sie täuschen sich doch und rennen der Realität davon. Warum sind denn so viele Menschen durch Vorruhestand, durch Sozialpläne, durch vorgezogenes Altersruhegeld aus dem Erwerbsleben ausgestiegen? - Doch nicht alle aus Jux und Dollerei, sondern weil wir damit den Arbeitsmarkt entlasten mußten. Solange Sie nicht einen vernünftigen Arbeitsmarkt gestalten können, kommt doch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit überhaupt nicht in Frage, meine Damen und Herren. Damit rechnen Sie sich doch reich. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte, Herr Cronenberg. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Fuchs, nachdem Sie uns, wie ich meine, beeindruckend, die Verpflichtung auferlegt haben, in langfristigen Perspektiven zu denken: Meinen Sie nicht, daß es bei einer langfristigen Gestaltung unserer Alterssicherungssysteme sinnvoll wäre, in diesem Zusammenhang die vorhersehbare demographische Entwicklung zu berücksichtigen?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, die demographische Entwicklung wird doch von uns, die wir eine Zeitlang zusammen Sozialpolitik gemacht haben, schon in allen Konzepten berücksichtigt. Deswegen reden wir von einer neuen Rentenformel. Deswegen sind wir in der Frage eines erhöhten Bundeszuschusses durchaus einer Meinung. ({0}) Aber es hat doch gar keinen Sinn, daß Sie Menschen länger arbeiten lassen, wenn Sie nicht zugleich wissen, wie Sie den jungen Menschen, die auch dann noch in das Erwerbsleben hineinwollen, Arbeitsplätze verschaffen können. Deswegen sage ich: Sie können sich nicht durch Modellrechnungen reichrechnen, wenn Sie die Tendenzen so interpretieren, daß wir nicht sicher sein können, daß der Arbeitsmarkt automatisch mit den geburtenschwächeren Jahrgängen entlastet wird. ({1}) Ich habe den Eindruck, daß in vielen Bereichen Arbeitsplätze durch technologische Reserven noch abgebaut werden. Deswegen kann man nicht auf die demographische Entwicklung hoffen und meinen, man hätte dann so viele Arbeitsplätze, daß die Menschen länger arbeiten könnten. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Frau Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie sehen Sie dann z. B. die Harmonisierung in bezug auf die Heraufsetzung der Altersgrenze bei den Beamten sowie den Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wissen, daß wir immer für die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme eingetreten sind. Ich sage Ihnen noch einmal - das wird immer vergessen - : Schon heute kann ein Rentner oder ein Arbeitnehmer so lange arbeiten, wie er will. Wer über das 65. Lebensjahr hinaus einen Arbeitsplatz hat und dafür Beiträge zahlt, erhält eine höhere Rente. Was wir brauchen, um die Lebensarbeitszeit zu verlängern, Herr Kollege Cronenberg, sind einfach Arbeitsplätze. ({0}) Ich glaube, daß sehr viele Menschen länger arbeiten würden. Deswegen habe ich ja gesagt: All diejenigen, die mit dem 58. Lebensjahr aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, waren ja nicht nur froh über diese Entwicklung. Ich sage Ihnen: Wenn wir genügend Arbeitsplätze hätten, dann würden wir automatisch Frau Fuchs ({1}) auch ältere Jahrgänge in der Rentenversicherung behalten. Deswegen halte ich es für typisch FDP, wenn man meint, man müsse Zwang ausüben, damit Menschen länger arbeiten. Wer in Zukunft von unserer flexiblen Altersgrenze noch Gebrauch macht, der muß auch noch Rentenkürzungen in Kauf nehmen. Nein, meine Damen und Herren, das ging damals schon nicht mit der SPD, und das werden wir auch in Zukunft nicht zulassen. ({2}) Ich hätte noch eine Menge zur Rentenreform zu sagen. Ich denke, Herr Bundesarbeitsminister, im Augenblick sind Sie in den Gedanken, die wir kennen, noch nicht dabei, Ungerechtigkeiten, die Sie verursacht haben, wieder rückgängig zu machen. Wir werden anmahnen, daß Sie die Rentenversicherungsbeiträge für Behinderte in den Werkstätten wieder anheben. Wir werden anmahnen, daß Sie hinsichtlich der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten für Hausfrauen noch etwas ändern. Dann werden wir über den Kern der Rentenpolitik hinaus wohl noch einmal sorgfältig zukunftsorientiert reden müssen. Sie müssen sich in der Frage der sozialen Grundsicherung bewegen. Gerade vor dem Hintergrund dessen, was Kollege Cronenberg gesagt hat, möchte ich noch einmal an folgendes erinnern: Unsere Einschätzung ist, daß durch die technische Entwicklung immer weniger Menschen benötigt und immer mehr Maschinen eingesetzt werden, so daß Produktivität mit immer weniger Menschen zustande kommen wird. Deswegen werden wir mit Nachdruck darauf beharren, daß über die Frage, wie der Arbeitgeberbeitrag zu bezahlen ist, debattiert wird; dies werden wir in die Debatte einführen. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß man den Arbeitgeberbeitrag nicht mehr nur an Lohn und Gehalt ausrichtet, sondern an der Wertschöpfung des Betriebes orientiert. ({3}) Meine Damen und Herren, wir müssen in der Sozialpolitik dem Hamsterteufelskreis entkommen, in den sich der Bundesarbeitsminister durch die Massenarbeitslosigkeit begeben hat. Wir müssen Sozialpolitik im Gesamtzusammenhang sehen, und wir müssen die Risiken dort einordnen, wo sie hingehören. Deswegen sage ich auch allen, die gern familienpolitische Leistungen verwirklicht sehen wollen: Das geht nicht zu Lasten der Beitragszahler der Rentenversicherung. Wir werden Mühe genug haben, die Rentenversicherung leistungs- und lohnorientiert zu erhalten. Wer zusätzlich durchaus sinnvolle familienpolitische Leistungen haben möchte, der muß dafür sorgen, daß dafür öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das sage ich allen Politikern in allen Parteien, meine Damen und Herren. ({4}) Sonst ziehen wir Wechsel auf die Zukunft und wundern uns, wenn wir es nicht hinbekommen. Die Bundespolitik hat sich aus meiner Sicht bisher um die Aufgabe des Abbaus der Arbeitslosigkeit herumgedrückt. Die Philosophie ist: Hauptsache wenige haben viel Geld in der Tasche. Solidarität und Gemeinwohlorientierung bleiben bei dieser Politik auf der Strecke. Deswegen werden wir den Haushalt des Bundesarbeitsministers ablehnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Liebe Rentner und Rentnerinnen, ({0}) und vielleicht die, die es noch werden können, damit sie nicht in Armut im Alter fast an der Straße enden! Das möchte ich jetzt in fünf Minuten etwas untermauern. Der Herr Bundesarbeitsminister weiß ja, daß heute Renten nach 45 angerechneten Jahren für die Männer im Durchschnitt bei 1 622 DM liegen. Haben Sie gut zugehört: zwischen 40 und 45 angerechneten Jahren. Bei Frauen - das gibt es in dieser Gesellschaft auch, z. B. Trümmerfrauen haben sehr, sehr viel gearbeitet, rentenrechtlich anerkannt gearbeitet - führt das dann zu Renten unter 1 000 DM. Das ist das Problem. Grüne und Graue Panther haben gesagt: Ab 65 Jahren muß man heute mindestens 1 200 DM haben, um in Menschenwürde in diesem sozial verpflichteten Staat leben zu können. Es geht nicht um die, die Sie immer meinen, die irgendwo im Leben nichts geleistet haben, sondern es geht um die Menschen, im wesentlichen Frauen, die wahnsinnig viel geleistet haben. Sie lassen Ihre eigenen Mütter, Großmütter so unerkannt unmöglich leben und hoffen dann auf die Almosen von einem Sozialamt. Sie mit Ihren christlichen Grundwerten müssen sich in Grund und Boden schämen. Zur gleichen Zeit gibt es in diesem unseren Staat ohne eigene Einzahlung eine Beamtenmindestpension von 1 640 DM. Schreiben Sie sich das mal hinter die Ohren! Wer bezahlt das denn? Das bezahlen doch alle Steuerzahler. Wie können Sie so scheinheilig argumentieren, daß es das nicht gibt? ({1}) Wo ist also die Steuererhöhung in dem Haushalt des Bundesministers? Ein Bundesminister, der nach draußen so rumtäuscht, der muß sich ebenso in Grund und Boden schämen, denn er versinnbildlicht nicht die christlichen Grundwerte in dieser Gesellschaft. Ebenso muß sich dieser Staat schämen, daß 48,7 der Beamtenpensionen bei über 3 500 DM im Monat liegen, ohne eigene Einzahlung. Sie hauen immer auf diesen kleinen Beamten rum; denen wollen wir gar nichts. Wir sagen aber: Bei 3 500 DM muß Schluß sein, das muß eingefroren werden, und dann kann es zu einer gerechten Umverteilung in diesem sozial verpflichteten Rechtsstaat kommen. Die Trümmerfrauen, Ihre eigenen Mütter, wissen nicht mehr, was sie für Söhne in die Welt gesetzt haben, die wissen nicht mehr, was sie für Töchter in die Welt gesetzt haben, die in diesem Deutschen Bundestag nicht darum kämpfen, daß es diesen alten Frauen mit ihren wahnsinnigen Lebensleistungen nicht mindestens so gut geht wie den kleinen Beamten, die immerhin eine Mindestpension - ohne eigene Einzahlung - von 1 640 DM haben. ({2}) Da kann man sich streiten, wie man will. Das ist eine Aufgabe dieses Staates. Herr Blüm, argumentieren Sie nie wieder im Leben draußen mit Ihrem Blödsinn: Lebensleistung - Alterslohn! Und nehmen Sie eines zur Kenntnis: Wenn diese Rentenreform durchkäme, Herr Dr. Vogel ({3}) - ja, ich setze ein Stück Hoffnung auf ihn, ob es euch paßt oder nicht -, ({4}) wenn diese Rentenreform mit den vorgesehenen Kürzungen durchkäme, was die Banausen wollen, ({5}) dann hätten die kleinen Rentner - hören Sie gut zu ({6}) seit 1984, was in Ihre Regierungsverantwortung fällt, bis 1992 wieder 10 Milliarden DM Renten geopfert. Sie wären wieder abdynamisiert worden. Da werden wir mit unserem Kampf um eine gerechte Rentenreform ansetzen. Ich danke Ihnen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Unruh, das Wort „Banausen", das Sie benutzt haben, gehört hier nicht her. Wir sollten es aus der parlamentarischen Debatte heraushalten. ({0}) Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich in meiner Haushaltsrede eigentlich schwergewichtig mit der Zukunft beschäftigen. Aber da die Opposition sehr stark die Vergangenheit beleuchtet hat, bleibt es mir nicht erspart, auf die ewig gleichen Anklagen die ewig gleichen Antworten zu geben. Sonst kommt man in den Verdacht, man hätte dem nichts dagegenzusetzen. Da sagt der Kollege Sieler, der Sozialhaushalt würde abgeschmolzen, der Sozialstaat sei in Gefahr, der Sozialhaushalt, der Haushalt des Bundesarbeitsministers, sei ein Sparhaushalt. Ich antworte darauf mit Zahlen: Der Bundeshaushalt steigt um 5,4 %, der Haushalt des Arbeitsministers um 9,5 %. Herr Kollege Sieler, Grundrechnung: Das sind 4 % mehr, als der Haushalt insgesamt steigt. Anteil am Bundeshaushalt im letzten Jahr: 22,6 %, in diesem Jahr: 23,3 %. Ich weiß, daß man den Sozialstaat nicht mit Zahlen darstellen kann. Wenn hier allerdings Zahlen vorgetragen werden, dann muß es erlaubt sein, dann bin ich sogar verpflichtet, dem entgegenzutreten. Beispielsweise Zahlen zu der Behauptung, wir würden im Arbeitsmarkt nichts machen - ich wiederhole - : 1982, Maßstabsjahr: 6,9 Milliarden für aktive Arbeitsmarktpolitik, heute über 14 Milliarden. Wenn 14 Milliarden nichts sind, was waren dann 6,9 Milliarden? Die Frage müssen Sie beantworten. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: Selbst wenn sie zurückgehen, werden sie über 100 000 liegen. Dann beträgt der Abstand zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ihrer Zeit 70 000. Allein der Abstand ist doppelt so hoch wie das, was Sie 1982 geleistet haben. ({0}) - Die Arbeitslosigkeit war um 20 % niedriger, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind um 300 % höher. Seien Sie vorsichtig, mit mir in statistische Kämpfe einzutreten! Ich finde, die Statistik sagt viel zuwenig; Menschenschicksale stehen dahinter. Aber wenn schon, denn schon. Ich will zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen noch sagen: Hier sind die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gerade als das Patentrezept ausgegeben worden. Unterhalten Sie sich einmal mit der ÖTV, der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Sie sieht in einer weiteren Ausdehnung der AB-Maßnahmen geradezu eine Gefahr für die regulären Arbeitsplätze, da hier ein grauer Arbeitsmarkt entsteht, der originäre Arbeitsplätze wegnimmt. ({1}) Zu dem, was der Kollege Sieler zur Arbeitslosenstatistik sagt, antworte ich ihm - hören Sie einen Augenblick gut zu - : „Ich glaube, daß die Zahlen, die wir bekommen, von vorne bis hinten nicht stimmen. " - Jetzt müßte doch Entrüstung kommen; eigentlich müßten Sie entrüstet sein. - Ich verrate Ihnen, von wem das Zitat stammt: von Hermann Buschfort, veröffentlicht am 28. August 1980. Er sagt, 70 000 könne man sofort aus der Statistik herausnehmen, nämlich die, die nicht mehr vermittelbar seien. Ähnliches gelte für Kindergeldarbeitslose, in Ausbildung Befindliche oder auf einen Studienplatz Wartende; das seien noch einmal 20 000. Dann hat er noch die teilzeitarbeitenden Frauen aufgeführt. - Auf eine solche Betrachtung käme ich nie. Herr Sieler, wenn sich der Zeitpunkt ändert, ändert sich offenbar der Standpunkt der SPD. Meine Damen und Herren, die Hauptaufgabe ist, den Arbeitsmarkt in Bewegung zu bringen, nicht die Zählweise. Die Hauptaufgabe sind die Menschenschicksale. Allerdings sind die Menschenschicksale höchst unterschiedlich. Sie werden doch nicht bestreiten, daß wir vorankommen. Sie können uns sagen: zu langsam, aber Sie können nicht sagen, wir kämen nicht voran. Im ersten Quartal 1988 gab es eine Million mehr Arbeitsplätze als im ersten Quartal 1983! Sie haben behauptet, wir täten nichts für Frauen: ({2}) Zwei Drittel dieser Arbeitsplätze werden von Frauen eingenommen. Wir seien familienfeindlich, heißt es. Auch die Frau Kollegin Anke Fuchs hat in beredten Worten davon gesprochen. Liebe Frau Kollegin Fuchs, warum haben Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit die Kindererziehungszeiten nicht eingeführt? ({3}) Fast drei Millionen Mütter bekommen jetzt Kindererziehungszeiten angerechnet, die unter der SPD keine Mark dafür bekamen. Bei den älteren Müttern, den vor 1921 Geborenen, erhöht sich die Rente um 71 DM im Durchschnitt, bei den jüngeren um 57 DM. 70 000 Frauen erhalten mit Hilfe unserer Kindererziehungszeiten überhaupt erst einen Rentenanspruch. Liebe Frau Fuchs, Sie waren doch sogar in der Regierung. ({4}) Warum sind Ihnen die Klagen nicht früher eingefallen? Hinterbliebenenreform; wir hätten nichts getan. Sie haben sieben Jahre darüber geredet. Getan haben Sie nichts. Das ist überhaupt das Geheimnis der SPD: Sie redet über eine Sache so lange, daß manche glauben, sie habe etwas gemacht. Gemacht haben wir es. ({5}) Also: Eines nach dem anderen. Sie haben zum Kollegen Lammert gesagt, sein Beispiel, daß die jugendlichen Arbeitslosen aus dem Kindergeld herausgeflogen sind, sei nur ein einzelnes Beispiel. Wenn Sie wollen, kann ich die Latte der Beispiele fortsetzen. Ich habe noch ein paar mehr. Sie haben die jugendlichen Arbeitslosen auch aus der Krankenversicherung herausgeschmissen. Es gibt also nicht nur ein einziges Beispiel. Den Spiegel Ihrer Politik kann ich Ihnen vorhalten. Ich weiß nicht, ob das für die Zukunft viel bringt. Wenn wir hier aber so attackiert werden, muß ich darauf antworten können. Es wird gesagt, wir hätten in Sachen Jugendarbeitslosigkeit nichts gemacht. Im Oktober 1982 gab es - zum Mitschreiben - 186 000 junge Arbeitslose. Im Oktober 1988 gibt es 91 927. Das ist die Hälfte der Zahl der jugendlichen Arbeitslosen von 1982. Zum erstenmal haben wir wieder mehr Ausbildungsplätze, als nachgefragt werden. Diese günstige Lehrstellensituation gab es zum letztenmal 1974, also vor einer langen Zeit. Wir haben den jungen Leuten wieder Aussichten geschaffen. Jetzt will ich noch etwas sagen. Natürlich hat unsere Zeit ihre Probleme. Ich stelle hier ja keine Idylle dar. Aber was soll diese Miesmacherei? Offensichtlich gehört bei Ihnen Klagen zur Politik wie die Luft zum Atmen. ({6}) Sie machen doch den jungen Leuten keinen Mut. Sie machen Ihnen angst. Ich behaupte: Es gab kaum eine Generation, die so viele Chancen hatte wie die jetzt lebende junge Generation. Europa schließt sich zusammen. ({7}) Grenzen werden beseitigt. Ich denke, wir haben auch den Frieden sicherer gemacht. Ich sehe nicht, daß Kriege in Europa noch führbar wären. In der Tat sind wir in der Friedenssicherung ein Stück vorangekommen. Wir werden auch in Sachen Arbeitslosigkeit vorankommen. Freilich wird das eine Bundesregierung nicht allein können. Dazu brauchen wir die Sozialpartner. Liebe Frau Kollegin Fuchs, der größte Mangel auf dem Arbeitsmarkt heißt Phantasie. ({8}) Die Kollektivisten haben immer nur Einheitslösungen. Sie suchen immer nur die Patentrezepte. Die gibt es leider nicht. Wir sind nicht Besitzer des Arbeitsmarktes. Wir schaffen bestenfalls die Rahmenbedingungen. Der Arbeitsmarkt wird von den Tarifpartnern bestimmt. Das ist auch gut so. Ich hoffe, Sie wollen das nicht ändern. Wir wollen einen Arbeitsmarkt mit mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung. Halten Sie es für den Höhepunkt menschlicher Entwicklung, daß wir solche starren Arbeitszeiten haben? Ist es ein Ausbund an Freiheit, daß wir immer nur alles oder nichts haben sollten: entweder ganz in die Erwerbsarbeit hineinzugehen oder ganz herauszugehen? Andere Länder sind da viel weiter. Die Niederlande haben doppelt so viele Teilzeitarbeitsplätze wie wir. Schweden hat dreimal soviel. Nur wir, sozusagen im Parademarsch geübt, ordnen das Arbeitsleben noch immer nach alten kollektivistischen Mustern. Ich denke, daß in der Teilzeitarbeit nicht nur für den Arbeitsmarkt, für die Beschäftigung neue Chancen stecken, sondern auch für die Freizeit, für eine Arbeit nach Maß. Gott sei Dank sind die Wünsche der Menschen verschieden. ({9}) Warum wollen denn die Ideologen immer bestimmen, welche Wünsche gut und welche Wünsche schlecht sind? Laßt doch die Menschen selber bestimmen! Ich bin ganz sicher, daß unser Angebot der Altersteilzeitarbeit den Erwartungen vieler älterer Mitbürger entspricht. ({10}) Viele Ältere wollen sogar länger arbeiten, aber sie wollen weniger arbeiten, sie wollen nicht mehr die gleiche Arbeitszeit wie der 20jährige. Manche Mutter und mancher Vater wollen sich in der Zeit der Erziehung ihrer kleinen Kinder die Zeit zwischen Familie und Arbeit anders teilen als später. Und warum müssen denn Bildungszeiten alle ins erste Drittel des Lebens gezwängt werden? Warum müssen denn junge Leute so lange studieren, um dann nur noch 30 Jahre Erwerbsarbeit zu haben? Vielleicht würden die lieber ein bißchen weniger lang studieren und hätten später noch einmal Zeit, aufzutanken. ({11}) Wir stellen uns eine Welt mit mehr Phantasie und mehr Freiheit vor. Ich weiß, daß die Kollektivisten immer nur in Massenpaketen denken. Deshalb haben sie keine Lösungen für die modernen Fragen. Da bin ich ganz sicher. ({12}) Der Dienstleistungsabend ist hier attackiert worden. Ich finde das immer ein Stück öffentlicher Bewußtseinsschizophrenie. Da kommen Leute aus Italien, Spanien, packen ihren Urlaubskoffer aus und zeigen dann bei abendlichen Erzählungen in schönsten Urlaubsbildern, ({13}) wie diese südländischen Städte abends noch voller Vitalität sind, wie man bis spät in die Nacht kaufen konnte. ({14}) Wenn sie dann gerade mitten in der Beschreibung dieser schönen Urlaubserlebnisse sind, packen sie ihren Koffer zusammen und gehen mit der HBV gegen den Dienstleistungsabend auf die Straße. ({15}) Ich frage Sie wirklich - ich brauche hier gar keine Ideologie - : Was ist das eigentlich für eine bornierte Gesellschaft, immer zur gleichen Zeit arbeiten, immer zur gleichen Zeit einkaufen, immer zur gleichen Zeit mit dem Auto im Verkehr? ({16}) Das ist eine Gesellschaft auf Knopfdruck, immer auf Sirene. Das ist scheinbar der Taktstock des kollektivistischen Lebensrhythmus. ({17}) Wir wollen Vielfalt. Wo steht denn geschrieben, daß die Arbeitszeit, wenn wir sie verkürzen wollten, nur in der Zeit von Montag bis Freitag liegen darf? Warum können wir das nicht mehr teilen? Warum sind die Schwimmbäder samstags überfüllt und stehen montags leer? ({18}) Warum sind die Straßen in den Großstädten von 5 bis 7 Uhr überfült, und um 8 Uhr können Sie Spielplätze darauf errichten? Alles Ausfluß der Betongesellschaft, jener Gesellschaft ohne Phantasie. ({19}) Viermal in der Woche neun Stunden arbeiten: Es ist doch überhaupt nicht so, daß ich das vorschreiben wollte. Wer will, der kann. Das geht auch nicht in allen Betrieben. Ich suche überhaupt nicht die generellen Lösungen. Nach diesen Lösungen suchen Sie nämlich immer. Was nicht überall geht, geht nirgendwo - das ist das sozialistische Motto. Nach dem Motto werden Sie alt und werden überhaupt nichts Neues erreichen. Sie sagen immer: Das geht nicht. - Wenn man fragt: Warum geht es nicht?, ist die Antwort: Weil es früher auch nicht gegangen ist. Das hat das Neue so an sich, daß es das früher nicht gab. ({20}) Glauben Sie denn wirklich, wir könten uns den Luxus leisten, vier Tage zu arbeiten und drei Tage teure Maschinen stehen und rosten zu lassen? Das Geld, das da verschleudert wird, hätte ich lieber in den Lohntüten der Arbeitnehmer. Ich will doch überhaupt nichts verschenken. Warum können wir nicht vier Tage arbeiten? Das müßte doch auch Ihnen einleuchten. Da habe ich dann nur viermal An- und Abfahrt. Das ist doch auch von der Umweltbelastung günstiger. ({21}) Da ist auch das Verhältnis zwischen Fahrzeit und Arbeitszeit besser. ({22}) - Ich wollte eigenlich nur ein paar Beispiele bringen. Wenn Sie sagen: Der Achtstundentag ist heiliggesprochen, muß ich entgegnen: Natürlich war der Achtstundentag eine große Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Aber der hat doch heute in einer Zeit, wo wir halb soviel arbeiten wie in der Zeit, wo der Achtstundentag erkämpft wurde, eine ganz andere Funktion. Der Achtstundentag 1918 ist etwas anderes als der Achtstundentag 1988. Aber Sie beten immer noch die Gebetbücher von 1918 runter. Sie merken gar nicht, daß wir 70 Jahre weitergekommen sind. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Arbeitsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Fuchs?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Aber, bitte schön. Ich war so schön in Fahrt, ich wollte Ihnen die Gebetbücher noch länger vorlesen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Frau Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie meinen, wir sollten an vier Tagen neun Stunden arbeiten - viermal neun ist sechsunddreiFrau Fuchs ({0}) Big - , werden Sie dann baldigst den Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes, der im Bundestagsausschuß ist, zurücknehmen; denn dort ist noch die 48-StudenWoche enthalten? ({1})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich kann Ihnen sagen: Ich glaube - und im Hinblick darauf wird die Arbeitszeitordnung noch verbessert werden -, daß der Gesetzgeber zur Wochenarbeitszeit überhaupt nichts sagen sollte, daß wir das den Tarifpartnern überlassen sollten. ({0}) - Nein, ich stelle mir sogar vor, daß die Gewerkschaften in Zukunft möglicherweise Jahresarbeitszeiten vereinbaren und daß die Betriebspartner das nach ihrem Bedarf maßschneidern. Warum soll denn ein Maurer im Sommer, wenn die Sonne scheint, die gleiche Wochenarbeitszeit wie im Winter haben, wenn er sich die Finger blau friert? Das ist doch einfallslos. ({1}) Ich glaube, daß die Arbeitzeitordnung den Tarifpartnern mehr Freiheit geben muß, ({2}) daß darin stehen muß, wie groß die Pausen zwischen zwei Arbeitszeiten sein müssen - das ist Gesundheitsschutz - und wann unbedingt eine Pause innerhalb der Arbeitszeit sein muß. Das ist die Aufgabe der Arbeitszeitordnung. ({3}) Doch zurück. Die Frau Fuchs hat mich beinahe von dem Ziel abgelenkt, darzustellen, warum ich glaube, daß die Leute klüger als die Sozialdemokraten sind. Da ist ja ein peinlicher Abstand. ({4}) Wenn der Achtstundentag den Arbeitnehmern so unverzichtbar wäre, dann müßten sie ja alle die Gleitzeit ablehnen. Die Gleitzeit wird aber in vielen Betrieben, selbst bei der IG Metall, bevorzugt, nämlich in der Form, daß man an einem Tag mehr und an einem anderen Tag weniger arbeiten kann. Viele arbeiten montags länger als acht Stunden, weil sie freitags früher ins Wochenende wollen. Wenn der Achtstundentag die heilige Kuh ist, dann müssen Sie den Leuten das alles verbieten. ({5}) Ich kann nur sagen: Hoffentlich wird diese Gesellschaft von der sozialdemokratischen Einfallslosigkeit nicht angesteckt, denn sonst fahren wir in die Sackgasse. ({6}) Ich glaube, daß sich mit einer solchen Sensibilisierung - Arbeitszeit à la carte - ja auch ganz neue Freiheiten für die Arbeitnehmer ergeben. Die Arbeitszeit in einem starren Korsett ist doch eine der schärfsten Fremdbestimmungen. Insofern verbindet sich für uns Arbeitsmarkt nicht nur mit Mangelverwaltung, Arbeitsverteilung, sondern auch mit mehr Freiheit. Ich will auch das andere große Thema, die Rentenversicherung - auch sie ist ja von Frau Kollegin Fuchs hier aufgegriffen worden - in diese Haushaltsdebatte aus unserer Sicht einführen. Ich wünsche mir nach wie vor, daß es uns gelingen möge, eine große rentenpolitische Übereinkunft zustande zu bringen. Aus meiner Sicht werde ich alles dafür tun, was möglich ist. Nur, Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie das Pferd, auf dem Sie gerade durch den Saal geritten sind, ({7}) auswechseln können und sich im zivilen Gang auf den Konsens zubewegen, wäre es mir lieber. Sie sagen: Der Arbeitsminister muß sich bewegen. - Wollen Sie sich nicht auch einmal ein bißchen bewegen? Ein Konsens kommt ja nur dann zustande, wenn zwei Seiten aufeinander zugehen. Wenn Sie meinen, ich sitze nur da und warte, bis ich mich bewegen darf, dann haben Sie sich getäuscht. Ich sage das nicht aus Ehrgeiz, sondern weil ich glaube, daß ein Konsens nur möglich ist, wenn man kompromißbereit ist. Und wenn es nicht im Konsens geht, dann wird die Reform dennoch kommen müssen. Die Reform muß jetzt kommen. Hätten Sie sie gemacht, dann müßte ich sie jetzt nicht machen. Vieles von dem, was ich jetzt mache, ist seit Jahren als Problem bekannt. Morgen werden wir über die Krankenversicherungsreform sprechen und streiten. Sie wäre völlig unnötig, hätten Sie in den 70er Jahren, als jeder Fachmann erkannte, wohin der Wagen rollt, das gemacht, was ich leider verspätet nachholen muß. ({8}) Warum ist die Rentenversicherungsreform denn notwendig? Weil die Zahl der Kinder zurückgeht. Da zeigt sich, wie Egoismus, Familienfeindschaft, Kinderfeindschaft sich auswirken. Dieser Egoismus rentiert sich kurzfristig. Langfristig ist er nicht nur eine große Dummheit, sondern gefährdet auch jeden Sozialstaat. Bezahlt wird jeder Sozialstaat immer aus der Arbeit derjenigen, die jetzt arbeiten; da können wir Organisationen finden, wie wir wollen. Deshalb glaube ich wie Sie: Die beiden großen Gefahren für Alterssicherung sind Arbeitslosigkeit - egal, wie Sie das System organisieren - und weniger Beitragszahler. Insofern: Wenn wir Arbeitsmarktpolitik machen, wenn wir Familienpolitik machen, dann machen wir auch etwas für Alterssicherheit. Politik für die Kinder ist auch eine Politik für die Omas. Denn ohne Kinder hat die Oma morgen keine Rente, weil sie keinen Beitragszahler mehr hat. ({9}) Deshalb wollen wir die Berücksichtigung der Kindererziehung ausbauen. Ich wiederhole: Wir haben Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht eingeführt. Das war die stille Revolution der Rentenversicherung nach hundert Jahren. Meine lieben Freunde von der FDP und der CDU/CSU, wir müssen viel mehr darüber reden. Die SPD verschweigt das. Nachher glauben die Leute noch, die SPD habe es gemacht. Wir haben Kindererziehungszeiten eingeführt. Wir haben zum ersten Mal die dritte Dimension eingeführt. ({10}) Und wir wollen das ausbauen. Wir wollen zu den Kindererziehungszeiten in der Zukunft noch eine zweite und dritte - ({11}) - Mein Gott, was hat das jetzt mit der 9. Novelle zu tun? Sie sind aus dem Text, Sie haben das falsche Drehbuch von Ihrem Fraktionsgeschäftsführer. Ich bin schon beim nächsten Thema. Guten Morgen, Herr Andres, ich bin schon bei der Rente. ({12}) Also, meine Damen und Herren, wir wollen noch zwei weitere Kindererziehungsjahre. Wir wollen, daß sich Kindererziehung in unserem Rentenrecht nicht nachteilig auswirkt, daß Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden. Wer, weil er Kinder erzieht, nicht erwerbstätig werden kann, soll daraus keinen Nachteil haben. Und wir wollen dem, der Angehörige pflegt, zum erstenmal in der Rentenversicherung verbesserte Bedingungen geben, damit er in dieses System integriert ist. Ich bleibe dabei: Dieses System soll lohnbezogen bleiben. Aber wer aus Gründen der Erziehung, wer aus Gründen der sozialen Hilfe für seinen pflegebedürftigen Nächsten nicht an der Erwerbsarbeit teilnehmen kann, dem soll das ausgeglichen werden. Insofern bleiben wir in einem System, das nicht Fürsorge ist, sondern das leistungsbezogen ist. Frau Unruh: Ich bleibe ein Verteidiger des lohn- und leistungsbezogenen Systems. Denn ich glaube, es ist ganz wichtig, daß unsere älteren Mitbürger wissen, daß sie sich ihre Rente selber verdient haben. Allerdings, so füge ich ausdrücklich hinzu: Leistung nicht nur in der Erwerbsarbeit, Leistung auch in der Familienarbeit, Leistung auch in der Kindererziehung. Was den Bundeszuschuß anlangt, so wollen wir ihn von der Einnahmeorientierung auf die Beitragsanbindung umstellen. Ich denke, daß wir darin übereinstimmen, daß diese Anbindung einen Regelautomatismus schafft, der die Rentenversicherung unabhängiger macht. Ich meine, wir sollten uns gemeinsam anstrengen, eine Rentenversicherung zu schaffen, die von staatlichen Interventionen frei bleibt, die sich selber steuert und auch damit ein Stück Sicherheit gewährt. Denn Rentensicherheit - dessen bin ich sicher - ist nicht nur von der Höhe der Leistungen abhängig, die gewährt werden, sondern die ist auch vom Vertrauen abhängig, das in das System investiert wird. Der Hauptgrund dafür - nicht allein aus Liebe zur SPD, obwohl sie auch in Restbeständen vorhanden ist -, ({13}) daß wir uns zur Erreichung dieses Konsenses anstrengen sollten, ist, das Vertrauen in die Rentenversicherung zu erhalten. Denn ich glaube, ein Riesenrentenstreit, der noch dazu mit sozialpolitischem Deutsch geführt wird, ({14}) das sowieso nur Insider verstehen, schafft nichts als Unruhe. Unsere größte Pflicht und Schuldigkeit gegenüber einer Generation, die gerade jetzt in Rente ist, die Krieg mitgemacht hat - manche zwei Kriege - , die Wiederaufbau mitgemacht hat, ist, diese Generation nicht in Angst und Schrecken zu versetzen, ihr zu sagen: Deine gute Rente bleibt erhalten. Worüber wir diskutieren, ist nicht die Rentenkürzung, wir diskutieren nur über den Anstieg der Rente. Nur darüber wird diskutiert, wie hoch der Anstieg ist. Und da muß man ehrlich sagen: Bäume wachsen nicht in den Himmel. Da Frau Unruh ({15}) an meine Mutter erinnert hat: Also, deren Erfahrungen kenne ich. Die ist durch manche Inflation, Währungsreform gebeutelt worden. Für die war es immer wichtig, eine sichere Rente zu haben. Wenn die die Wahl gehabt hat: entweder eine niedrige Rentenanpassung, aber sichere Rente oder eine hohe Rentenanpassung, die übermorgen bei Null landet, dann hat die sich lieber immer zugunsten - wie ihr Sohn - für Solidität und Sicherheit entschieden. ({16}) - Frau Unruh, machen Sie sich nicht die Mühe, ich kenne meine Mutter besser als Sie.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte, Frau Unruh.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Frau Unruh. ({0})

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erst einmal, Herr Minister: Daß es Ihrer Mutter bei solch einem Sohn selbstverständlich gut gegangen ist, empfinde ich als selbstverständlich. ({0}) Nun gibt es aber sehr viele Söhne und Töchter auch Ihres Alters in der Bundesrepublik, die selbst nur eine Rente z. B. von 1 000 oder 1200 DM haben. ({1}) Meine Frage geht jetzt dahin: Wie soll man dann der Mutter noch etwas zukommen lassen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Unruh, ich halte das für einen Kurzschluß. Nicht jede kleine Rente sagt etwas über den LebensBundesminister Dr. Blüm standard dieses Rentenbeziehers. Viele kleine Rentner - über 50 % der Rentner mit einer Rente von unter 600 DM - leben in Haushalten mit einem Nettoeinkommen von 2 000 DM, das mancher Familienvater nicht hat. Insofern sagt die kleine Rente überhaupt nichts aus. (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Und die anderen 50 ({0}) Viele Frauen, die eine kleine Rente erhalten, haben noch eine Witwenrente. Viele Männer haben noch eine Betriebsrente oder eine Zweitrente. Ich bestreite nicht, Frau Unruh, daß es Armut gibt. Ich bestreite nur, daß es Massenarmut unter Rentnern gibt. Ich sage, es gab unter Rentnern noch nie so viel Wohlstand wie im Jahre 1988. ({1}) Ich will es noch einmal sagen, um hier nicht als hartherzig zu gelten: Damit bestreite ich nicht, daß es auch Armut gibt. Aber als Massenschicksal gibt es sie - Gott sei Dank - bei uns nicht mehr. ({2}) Viele Rentner können sich Urlaubsreisen gönnen, an die mancher Familienvater noch nicht einmal denken kann. Die wirklich Armen in dieser Gesellschaft sind die kinderreichen Familien; denen müssen wir zuerst helfen. ({3}) Ich bin ganz sicher, daß viele unserer älteren Mitbürger im Blick auf ihre Söhne, Töchter und Enkel diese Politik unterstützen werden. Wenn ich das Wort „Armut" höre - z. B. vom DGB das Wort „Massenarmut" -, ({4}) dann muß ich Ihnen sagen: Am ersten Ferientag der Sommerferien dieses Jahres waren auf dem Flughafen in Düsseldorf 46 000 Fluggäste. Das können nicht 46 000 Millionäre sein; so viele Millionäre hat Nordrhein-Westfalen nicht. ({5}) Ich bin ganz sicher, daß da auch viele Rentner waren. Preisstabilität, Frau Unruh, ist doch auch ein wichtiger sozialer Fortschritt für die Rentner. Sie sind in ihrem Leben mehrmals durch Inflation betrogen worden. Wir haben ihnen Sicherheit durch Preisstabilität gebracht. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein, es tut mir leid. Jetzt will ich den letzten Teil meiner Rede im Zusammenhang darstellen. Mir kommt es nämlich darauf an, doch noch auf die Altersgrenze zu sprechen zu kommen. Meine Damen und Herren, glaubt denn jemand im Saal, es gebe ein System, das folgende Entwicklungen aushält - wenn es einer glaubt, soll er nach mir sprechen und sagen, wie er es denn macht - : Die Ausbildungszeiten werden länger, die Menschen kommen später in die Erwerbsarbeit, das Rentenalter sinkt - Arbeitnehmer gehen früher in Rente -, und die Lebenserwartung wird Gott sei Dank länger. Glaubt einer, es gibt irgendein System, daß darauf überhaupt keine Antwort geben muß? Jedes System muß darauf antworten. Wir halten es nicht aus, daß wir hier in der Bundesrepublik die ältesten Studenten und die jüngsten Pensionäre haben. Das halten wir nicht aus! Deshalb glaube ich, daß wir Altersgrenzen schrittweise nach oben bewegen müssen - schrittweise, ganz vorsichtig. Frau Kollegin Fuchs, wollen Sie unterstellen, wenn wir bei der Regelaltersgrenze von 65 Jahren nach dem Jahre 2000 sind, daß wir nach dem Jahre 2000 immer noch Massenarbeitslosigkeit, immer noch hohe Arbeitslosigkeit haben? ({0}) - Wenn Sie drankommen, ist die Gefahr vielleicht größer. Das gebe ich zu. ({1}) Meine Damen und Herren, wir verbinden diese Anhebung der Lebensarbeitszeit auch mit einem Angebot von mehr Wahlmöglichkeiten. Laßt den einzelnen im Rahmen einer größeren Bandbreite selber bestimmen, ob er früher in Rente gehen will oder später. Wenn er früher in Rente gehen will, kann er sich das natürlich nicht von denen bezahlen lassen, die länger arbeiten. Dann wird er einen Abschlag hinnehmen müssen. Aber sind Sie denn der Vormund der Arbeitnehmer? Der eine will eine höhere Rente, der arbeitet länger; der andere fühlt sich möglicherweise verbraucht oder ist es auch und geht früher in Rente. ({2}) Laßt doch jeden Menschen nach seiner Fasson selig werden! Wenn einer nicht ganz in Rente gehen will, dann geht er in Teilrente. Warum denn auch hier alles oder nichts? Ich denke, wir müssen eine Gesellschaft mit mehr individuellen Wahlmöglichkeiten bauen. Ich halte es für eine der schärfsten Fremdbestimmungen, daß eine Reichsversicherungsordnung den Arbeitnehmern vorschreibt, wann sie Schluß machen müssen. Ich halte das geradezu für eine Entmündigung der Arbeitnehmer. ({3}) Sie sind erwachsen genug; laßt sie selber bestimmen. Wer eine solche Anhebung der Altersgrenze verweigert, dem muß man sagen, daß dann das Rentenniveau nicht zu halten ist. Das gehört immer zur Wahrheit. Wir können nicht - jedenfalls ich mache es nicht - eine Politik nach der Rosinentheorie betreiben. Dem Volk, dem Bürger immer nur die angenehmen Sachen vorzustellen und dann um seine Zustimmung zu buhlen, aber die unangenehmen Sachen, die Preise der Vorteile, zu verschweigen, das halte ich für eine zynische Politik. Ich finde, das Wichtigste, was wir in der Politik brauchen, ist der Mut, der Bevölkerung zu sagen, was nötig ist. Wenn wir den Sozialstaat weiterentwickeln wollen, dann geht das nicht nach dem Motto „Immer mehr, immer mehr!". Das geht nur nach dem Motto „Umbauen" , dort, wo zuviel ist, zurücknehmen, um an anderer Stelle, wo zuwenig ist, mehr zu tun. Ich glaube, das große Thema dieser Gesellschaft - darauf kommen wir morgen zu sprechen - heißt Alter. Nur: Das Alter ist nicht mehr so einheitlich, wie wir es aus dem letzten Jahrhundert gewohnt waren. Das sind höchst unterschiedliche Lebensschicksale: Pflegebedürftige, die der Hilfe bedürfen, die sich nicht mehr selber helfen können, und andere Alte, Alterskameraden, Gleichaltrige, die noch vital und mitwirkungsfähig sind. Eine kollektivistische Politik schert alle über den gleichen Kamm. Nein, wir müssen eine differenzierte Politik machen, den Hilfsbedürftigen mehr helfen. Aber dafür müssen andere mehr leisten, und manche wollen ja auch im Alter noch mehr leisten. Ich gebe zu, daß diese Politik eine klare Alternative zur kollektivistischen Novellierung sozialistischer Herkunft ist; dessen bin ich ganz sicher. ({4}) - Sie können ja die Eierschalen abschlagen. Ich sage gar nicht, daß alle von Ihnen in herkömmlicher Weise Sozialisten wären. Ich weiß, daß sich die Sozialdemokratische Partei vielfältig gemendelt hat. Aber Sie werden doch wohl zugeben, daß der Sozialismus eine Tradition der Einheitslösungen hat; das entstammt seiner ganzen Selbstverteidigungsphilosophie. Wahrscheinlich war es auch notwendig, daß das ausgebeutete Proletariat sich zusammenschloß und im Gleichschritt marschierte. Heute aber haben wir eine auf geklärte, differenzierte Gesellschaft und brauchen andere Antworten, als Lassalle, Bebel und auch noch Brandt sie suchten. ({5}) Herr Vogel, ich habe Sie nicht genannt; Sie haben noch weitere Wandlungsmöglichkeiten in Ihrer Entwicklung. ({6}) Ich wollte meinen Ausblick in der Sozialpolitik mit Europa schließen. Ich glaube, das Thema Europa ist auch in der Sozialpolitik noch gar nicht in unseren Köpfen. Das Europa, das wir uns wünschen, soll nicht das Europa lediglich der Unternehmen, der Konzerne, der Banken sein; es muß das Europa der Massen sein und deshalb auch das Europa der Arbeitnehmer. Deswegen muß sich die Sozialpolitik an der europäischen Integration beteiligen, aber wieder nicht mit perfektionistischen Vorstellungen. Ich wünsche mir nicht, daß französisches Rentensystem und deutsches Rentensystem in einen Topf geworfen werden. ({7}) Ich glaube, daß Europa auch hier Vielfalt erträgt und sogar schafft. Aber wir brauchen in Europa Mindeststandards. Wir müssen den Arbeitsschutz verbessern; ({8}) der ist höchst unterschiedlich. Unter der Präsidentschaft Kohl ist in Sachen Arbeitsschutz für die europäische Integration mehr geschehen als in zehn Jahren vorher. ({9}) Wir müssen die Standards von Maschinensicherheit, von gefährlichen Stoffen in ganz Europa auf eine Ebene stellen. Dann kommt es darauf an, daß das, was in Brüssel oder sonstwo auf eine Ebene gestellt wird, dann z. B. in Sizilien auch ausgeführt wird; auch das gehört zur europäischen Integration. Aber ich bleibe dabei, daß Europa auch eine große sozialpolitische Herausforderung ist. Im übrigen wird dieses Europa nie ein Einheitseuropa werden; es wird nur ein Europa der Vielfalt werden. Insofern könnte durch die europäische Integration, durch das Datum 1992, auch frische Luft in unseren an manchen Orten erstarrten Sozialmief kommen, in einen Mief, der nur in alten Gewohnheiten denkt und nicht bereit ist, über Schatten zu springen, neue Chancen zu ergreifen, einen Mief, der nur alte Risiken beschwört, die möglicherweise schon vergangen sind. Ich glaube, daß Europa eine große Herausforderung auch für die Arbeitnehmer ist. Das gilt auch für die Gewerkschaften. Wir brauchen auch eine europäische Gewerkschaftspolitik, die sich nicht in Kongressen und Kommuniqués erschöpft, sondern die in der Tat auch in Europa den sozialen Dialog befördert, so wie er in unserem Land vieles erreicht hat. Denn wir verdanken den Sozialstaat, den wir in unserem Land haben, sicherlich einer Partnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, um die uns andere Länder beneiden. Das wäre eines der besten Erbstücke, die wir in die Integration einbringen: den Dialog zu befördern, die Konfrontation abzubauen, der Vielfalt neue Möglichkeiten zu geben. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer stimmt für den Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3354? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3425? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit - Drucksachen 11/3215, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Kalb Frau Conrad Frau Rust Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3364 bis 11/3367 und 11/3426 bis 11/3429 vor. Nach einer Verabredung im Ältestenrat sind für die Debatte zwei Stunden vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Conrad-Haase.

Margit Conrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000334, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion lehnt den Haushalt der Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ab. Ich will das begründen. Die Bundesregierung wird nicht müde, ihre familien- und kinderfreundliche Politik zu loben. Wir haben ja eben wieder ein Beispiel gehört. Aber ich denke, Legenden darf man erst gar nicht aufkommen lassen. Tatsache ist: Der Familienlastenausgleich, d. h. Erziehungsgeld, Kindergeld, BAföG, steuerliche Freibeträge, jetzt ohne Ehegattensplitting, betrug im letzten Jahr vor der „Wende", 1981, 12,45 % des gesamten Bundeshaushalts und ist dann von sage und schreibe 28 Milliarden DM bis zum Jahre 1985 auf 21 Milliarden DM zusammengeschrumpft. Dies machte dann noch einen Anteil von 8,1 % am Bundeshaushalt aus. Im Haushaltsplan 1989 beträgt der Anteil der Leistungen für Familien gerade noch 11,1 %. Das heißt, Sie haben beim Familienlastenausgleich bis heute nicht das Niveau von 1981 erreicht. Dies ist nicht Fortschritt, dies ist Rückschritt in der Familienpolitik. ({0}) Um es noch deutlicher zu machen: Wenn Sie nur das Leistungsniveau für Familien von damals im Gesamthaushalt gehalten hätten, dann hätten Sie in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung einschließlich 1989 insgesamt 50 Milliarden DM mehr für Familienleistungen ausgeben müssen. Anders ausgedrückt: 50 Milliarden DM haben Sie in den letzten sieben Jahren den Paaren und den Alleinerziehenden mit Kindern vorenthalten. ({1}) Nun gibt es seit 1986 z. B. ein Erziehungsgeld für Mütter oder die Anrechnung eines Kindererziehungsjahres bei der Rente. Der mitrechnende Bürger und die mitrechnende Bürgerin mögen sich fragen, wie es denn geht, daß der Familienlastenausgleich im Bundeshaushalt sinkt und daß trotzdem andere Leistungen hinzukommen. Sie fragen sich mit Recht. Die Antwort ist wiederum sehr entlarvend für Ihre Familienpolitik: Die Leistungen, mit denen Sie sich so gern selbstgefällig auf die Schulter klopfen - wir haben ja eben wieder eine Blümsche Kostprobe erhalten - haben Sie erst aufgenommen, nachdem die Kinderzahlen zurückgegangen waren und Sie vorher die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für Schüler und Studenten kräftig gekürzt hatten. ({2}) BAföG war für meine Generation gleichbedeutend mit gleichen Chancen für die Ausbildung von Jungen und Mädchen, und dies unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. ({3}) Ihre Familienpolitik bedeutet: Die einkommensschwachen Familien und die Jugendlichen in Ausbildung bezahlen ihr Erziehungsgeld und ihr Babyjahr. ({4}) Nicht nur, daß Sie bis heute gegenüber dem Niveau von 1981 50 Milliarden DM gespart haben; Sie haben auch noch innerhalb des Familienlastenausgleichs umverteilt, und zwar von den Familien mit geringem Einkommen zu denen mit hohem Einkommen. Die Entlastung durch den Kinderfreibetrag ist z. B. für eine Bundestagsabgeordnete bzw. einen Bundestagsabgeordneten dreimal so hoch wie für den Arbeiter in der Burbacher Hütte oder in der Halberger Hütte in meinem Wahlkreis. ({5}) Eine alleinerziehende teilzeitbeschäftigte Verkäuferin bei ALDI oder bei Karstadt mit einem Einkommen von unter 11 000 DM im Jahr hat nichts von einem Kinderfreibetrag. ({6}) Diese Frauen können sich in die Warteschlangen der Arbeitsämter einreihen, um einen Antrag auf Kindergeldzuschlag von 46 DM zu stellen, um ihn sich dann eventuell wieder von der Sozialhilfe abziehen zu lassen. ({7}) Unsere Politik dagegen heißt: Jedes Kind muß dem Staat gleich viel wert sein. ({8}) - Dann schauen Sie sich das einmal einschließlich Ehegattensplitting an! Wo waren denn die Anwälte und Anwältinnen der Familienpolitik in der Koalition, als es um die sogenannte Steuerreform ging? Die Auswirkungen für Familien hat Ihnen das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Oktober dieses Jahres vorgerechnet - ich zitiere - : Alleinstehende und Ehepaare ohne Kinder werden durch die Reform weitaus stärker entlastet als Ehepaare und Alleinstehende mit Kindern. Durch den Umstand, daß Kindererziehung eine Minderung der Einkommenschancen - meist für die Frau - bedeutet, ergibt sich ein Einkommensrückstand für Familien gegenüber berufstätigen kinderlosen Ehepaaren, der durch die Steuerreform nicht nur nicht abgebaut werden konnte, sondern sich noch vergrößerte. Dies ist die traurige Bilanz Ihrer Familienpolitik, der ich nichts hinzuzufügen habe. ({9}) Im Einzelplan 15 sind insgesamt 120 Millionen DM für die Jugendpolitik im Bundesjugendplan veranschlagt. Es fällt auf, daß hierfür nur geringfügig mehr ausgegeben wird als 1988, nämlich gerade 1,7 %, während der Gesamteinzelplan um 6 % wächst. Es fällt weiter auf, daß Sie die Mittel umschichten: Die Jugendverbände - die evangelischen, die katholischen, die Falken und andere -, die im Bundesjugendring zusammengeschlossen sind, erhalten immer weniger Mittel, über die sie eigenverantwortlich entscheiden können. Dies ist ein Kennzeichen Ihrer Haushaltspolitik der letzten Jahre im Jugendbereich. Wir haben hier maßvolle Änderungsanträge gestellt, die Sie aber leider abgelehnt haben. Sie vertrauen Jugendlichen nicht und gestehen nicht zu, daß sie verantwortlich und selbstbestimmt ihre Jugendarbeit gestalten. Sie mißtrauen der Jugend und beschreiben damit Ihr Verhältnis zur Jugend schlechthin. ({10}) Jugendpolitik und Jugendsozialarbeit können schon seit einigen Jahren nicht mehr an der Jugendarbeitslosigkeit vorbeigehen. Bereits 1976 haben wir die Beschäftigungsprojekte der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit in den Bundesjugendplan aufgenommen, und wir haben sie bis heute nachhaltig unterstützt. Aber während im Bundesjugendplan gerade 11 Millionen DM für die Beschäftigung und Qualifizierung von arbeitslosen Jungen und Mädchen zur Verfügung stehen - ein geradezu kleinlicher Betrag im Verhältnis zu dem, was die Bundesländer an Programmen auflegen, beispielsweise mein Land, das Saarland, 10 Millionen DM mit dem Schwerpunkt Mädchenförderung - , legt Bundesarbeitsminister Blüm gleichzeitig die 9. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz vor und spart allein bei den Berufsausbildungsbeihilfen für junge Auszubildende 140 Millionen DM, zusätzlich 160 Millionen DM bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - auch davon sind Jugendliche betroffen -; all dies bei einer halben Million arbeitsloser junger Menschen unter 25 Jahren. Das ist Politik gegen die Jugend im großen Stil. ({11}) In der Bundesrepublik „findet Jugendpolitik nicht statt". Dies bescheinigte sogar der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Christoph Böhr, der Bundesregierung in der „Welt" vom 12. Oktober 1988. Wer Jugendministerin war oder es wird, hat sich einzumischen, wenn es um solche beschäftigungs- und jugendfeindlichen Maßnahmen geht, und kann sich nicht hinter den - im Verhältnis zu solchen Kürzungen - Petitessen, also Kleinigkeiten, eines Bundesjugendplans verstecken. Ähnlich wie mit der Jugendpolitik verhält es sich auch mit der Frauenpolitik. Im Haushalt ist ein Projekt „Wiedereingliederung von Frauen" mit 5 Millionen DM ausgewiesen. Wir unterstützen das wichtige Anliegen, Frauen nach Zeiten der Kindererziehung eine Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen. Aber dieses Projekt ist mit 5 Millionen DM doch lediglich eine Duftmarke und verkommt angesichts der vom Finanz- und vom Arbeitsminister verordneten Leistungseinschränkung beim Arbeitsförderungsgesetz doch geradezu zum Alibi. ({12}) 150 Millionen DM werden bei den Eingliederungsbeihilfen und den Einarbeitungszuschüssen kassiert, die damit doch auch wiederum nicht mehr für die berufliche Integration von Frauen nach der Familienphase zur Verfügung stehen. Familien-, Jugend- und Frauenpolitik sind nicht nur Ressortpolitik, sondern Querschnittsaufgabe im Kabinett. Dies verlangt von der Ministerin, die dafür zuständig ist, Einmischungsbereitschaft und Durchsetzungsvermögen. ({13}) Der Haushalt ist dafür kein Beleg. Er gibt wieder, wie desolat es insgesamt in diesen Politikbereichen in der Koalition und im Kabinett Kohl bestellt ist. ({14}) - Das kommt noch, bei AIDS. Daß die Mittel der Bundesregierung für Aussiedler und Aussiedlerinnen gerade ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, hat in Debattenbeiträgen, aber auch beim Deutschen Städte- und Gemeindetag und bei Länderchefs schon mehrmals eine Rolle gespielt. Ich denke, es ist an dieser Stelle auch einmal angebracht, den zugewanderten neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern für ihre Geduld zu danken, mit der sie auf Hilfe, Sprachkurs, Arbeitsplatz und Wohnung warten, und gleichzeitig auch den Frauen und Männern Dank und Respekt auszusprechen, die in vielen Gemeinden in einer kritischen Situation unbezahlbare Nachbarschaftshilfe für die Aus- und Übersiedler leisten. ({15}) Dies lenkt mich aber nicht davon ab, daß ich der Bundesregierung den Vorwurf machen muß, daß sie sich gegenüber Aussiedlerfrauen mit kleinen Kindern aus der Verantwortung stiehlt. Die Kommunen wissen nicht, wie sie plötzlich - bei 200 000 Aussiedlern im Jahr - für zusätzlich 30 000 Kinder unter sechs Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung stellen sollen. ({16}) Die Folge ist, daß gerade Mütter von Sprachkursen und Berufseingliederungsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Und: Wenn kleine Kinder nicht frühzeitig sprachlich integriert werden - und dies ist die Konsequenz, wenn sie in der Obhut ihrer nicht deutsch sprechenden Mutter bleiben - , dann haben sie ein Handicap, das sie in ihrer Schul- und Berufsausbildung nicht mehr aufholen können. Hier tickt eine soziale und politische Zeitbombe. Wir erwarten von der Bundesregierung, gerade auch von einer künftigen Familienministerin, daß sie diese immensen Probleme nicht weiter auf die Länder und die Kommunen abschiebt. ({17}) - Bis jetzt nicht. Wir haben die AIDS-Politik der bisherigen Familienministerin, trotz mancher Kritik im einzelnen, in ihrem Grundkonzept der Aufklärung unterstützt und sie sogar gegen Angriffe der CSU in Schutz genommen. Wir haben uns bei den Haushaltsberatungen für eine Stärkung der Aufklärung und Hilfe für Drogenabhängige eingesetzt. Was wir aber nicht mittragen, ist die Kürzung der Forschungsmittel um 3 Millionen DM. Dies ist nicht zu rechtfertigen, schon gar nicht im Verhältnis zur Nuklear- oder Weltraumforschung, und steht in eindeutigem Widerspruch zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission „AIDS" des Deutschen Bundestages. Wir wissen, daß es in der Koalition erhebliche Kontroversen über Familien- und Frauenpolitik gibt, insbesondere, wenn es um den § 218 geht. Da wird die gesamte Koalition, da wird die Regierung von 40 Abgeordneten erpreßt, die mit der sogenannten Gesundheitsreform gleichzeitig eine Verschärfung des § 218 durchsetzen wollen. ({18}) Als Gegenleistung für deren Zustimmung zur Gesundheitsreform morgen haben Sie wohl in einer abenteuerlichen Aktion in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vorletzter Woche bei den Beratungen im Ausschuß 20 Millionen DM mehr für die Stiftung „Mutter und Kind" in den Haushalt eingestellt, wohlgemerkt, keine Mittel, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht, sondern Gelder, die nach dem Zufallsprinzip verteilt werden und Almosencharakter haben. Wer das Ja zum Kind in dieser Gesellschaft erleichtern will, erreicht dies nicht mit einem Scheck über 700 DM oder 1 500 DM aus Stiftungsmitteln bei der Geburt eines Kindes. Sie lösen damit schon gar nicht einen Schwangerschaftskonflikt. ({19}) Wer das Ja zu einem Kind in dieser Gesellschaft erleichtern will, der darf nicht am Familienlastenausgleich sparen und manipulieren, wie Sie das tun, der darf nicht eine Steuerreform auflegen, ({20}) die den Familien täglich vor Augen führt, daß sie finanziell eigentlich die Dummen in dieser Gesellschaft sind. ({21}) Der, der das Ja zu einem Kind in dieser Gesellschaft erleichtern will, der muß eine Struktur- und eine Strukturhilfepolitik und auch ein Strukturhilfegesetz auflegen und eine Arbeitsmarktpolitik betreiben, die den Ländern und Gemeinden die finanzielle Möglichkeit geben, mehr Kinderbetreuungseinrichtungen bereitzustellen. ({22}) - Entschuldigen Sie bitte einmal: Wenn Sie in der jetzigen Situation, in der Beratung des Strukturhilfegesetzes in Verbindung mit dem dritten Verstromungsgesetz und dem Revierausgleich, die Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen an den Pranger stellen wollen, ({23}) Länder, die momentan darum bangen müssen, daß die Belastung durch den Revierausgleich für Kohle sie mehr kostet als das, was sie über Strukturhilfemittel bekommen, möchte ich einmal sehen, wie Sie dann in dieser Debatte dazu stehen. ({24}) Wir haben ja demnächst eine Abstimmung darüber. Wir werden sehen, ob Sie es mit einer echten Strukturhilfe ernst meinen oder ob Sie sie hintenherum sofort wieder kassieren. Wer also das Ja zu einem Kind in dieser Gesellschaft will, der muß den Eltern eine Perspektive geben, daß ihre Kinder erwünscht sind, auch dann noch, wenn sie als 18jährige Ausbildung und Arbeit haben wollen. Weder der Gesamthaushalt noch der Einzelplan wird diesen Ansprüchen gerecht. Wir werden ihm deswegen nicht zustimmen. Vielen Dank. ({25})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Laufe des Beratungsverfahrens wurde die 20-Milliarden-Schallmauer für den Einzelplan 15 durchbrochen. Die Anpassung mancher Ansätze an die aktuelle Entwicklung bei den gesetzlich fixierten Leistun7732 gen und die weitere Akzentuierung von Schwerpunkten des Haushaltsentwurfes führten zu diesem Ergebnis. So mußte - oder ich will besser sagen: konnte - der Kindergeldansatz um 625 Millionen DM auf 14 Milliarden DM angehoben werden. Erstmals seit Jahren ist hier erfreulicherweise eine Trendumkehr festzustellen. Es sind wieder steigende Geburtenzahlen zu registrieren. Nun behaupte ich nicht, daß diese positive Entwicklung ausschließlich auf die erfolgreiche Familienpolitik dieser Bundesregierung und dieser Koalition zurückzuführen ist. Diese Politik hat aber neben der materiellen Entlastung von Familien mit Sicherheit dazu beigetragen, ein kinder- und familienfreundlicheres Klima zu schaffen. ({0}) Es war das erklärte Ziel der Regierung Kohl und der Unionsparteien, der Familienpolitik größte Priorität einzuräumen und die Leistungen für die Familien zu verbessern. ({1}) So konnten im Jahre 1986, wie bekannt, spürbare Maßnahmen in Kraft gesetzt werden, z. B. steuerliche Entlastung - hier gäbe es viel aufzuklären -, Verbesserung beim Kindergeld, Erziehungsgeld für alle Mütter, Erziehungsurlaub, Anerkennung der Erziehungsleistung bei der Rente und vieles andere mehr. Im übrigen wurden erst durch diese Maßnahmen den Frauen echte Wahlmöglichkeiten hinsichtlich ihrer persönlichen, familiären und beruflichen Lebensplanung eröffnet. Natürlich gibt es noch weitergehende, zum Teil sehr berechtigte Wünsche. Unter den gegebenen Umständen und bei der haushaltsmäßigen Enge stellen die bisher getroffenen Maßnahmen aber einen von vielen nicht für möglich gehaltenen familienpolitischen Durchbruch und Erfolg dar. ({2}) Dabei kommt es hier aber nicht nur auf die Familienpolitik im engeren Sinn an. Ganz entscheidend sind auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In einem Klima der Zukunftsangst, der Kriegsfurcht, der Angst vor technologischem Fortschritt, der Unsicherheit der Arbeitsplätze sowie der Sorge, ob Kinder einmal einen Ausbildungsplatz, einen Studienplatz, eine Anstellung, eine Arbeit bekommen oder ob sie vielleicht einmal sogar eine geplünderte, geschändete und verbrannte Mutter Erde vorfinden, können Entscheidungen für die Gründung einer Familie, für das Ja zu Kindern nur schwer fallen. Nun denken Sie nicht: Wovon redet der denn eigentlich? Vor etwa zehn Jahren, an der Schwelle zu den 80er Jahren, war das, wenn schon nicht die Lage, dann aber zumindest die Stimmung. Ich habe das selbst oft in vielen Gesprächen mit jungen Mitbürgern seinerzeit erlebt und gespürt. Selbst namhafte Politiker sprachen in der Vorschau auf die 80er Jahre von - ich zitiere - „dem dritten kritischen Jahrzehnt im letzten Jahrhundert dieses Jahrtausends". Wenn die Angst vor der Zukunft dem Optimismus, dem Mut zur Zukunft gewichen ist, hat das sicher auch etwas mit den Erfolgen dieser Regierung und dieser Koalition in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik - bis hin zur erfolgreichen Sicherung des Friedens - zu tun. Auch dieser Zusammenhang sollte einmal gesehen werden. ({3}) Ich bin auch sehr froh darüber, daß es heute nicht einmal mehr vorstellbar wäre, in einen Familienbericht so ideologisch verbogene Ansichten zu schreiben, wie das 1975 geschehen konnte. ({4}) Dort hieß es u. a. - ich zitiere - : Die Erziehung der Kinder ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe besonderer Art und Bedeutung. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe überträgt unsere Gesellschaft Familien und außerfamilialen pädagogischen Einrichtungen. ({5}) Weiter wurden dann im schwulstigen Soziologendeutsch Betrachtungen angestellt, wie man die Familienerziehung ersetzen könnte. Dagegen stellte die „Prawda" etwa zur gleichen Zeit schlicht und einfach, aber sehr zutreffend fest - ich zitiere - : „Keine noch so spezialisierte Erziehung kann dem Kind die Familie ersetzen." ({6}) Dem ist nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen. Im Laufe der Beratungen haben wir die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" um 20 Millionen DM erhöht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gilges?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe keine Zeit. Damit wird noch einmal klar, daß wir nicht - wie uns oft böswillig unterstellt wird - Frauen in Konfliktsituationen diskriminieren, sondern wirksame Hilfe leisten wollen. Ich weiß auch, daß seelische Not nicht mit materieller Hilfe allein behoben werden kann. Aber ich weiß ebenso, daß materielle Not seelische Not noch verstärken kann. Ein wichtiger Bereich dieses Einzelplanes ist die Förderung der Jugendarbeit - ich will gerne darauf eingehen, Frau Conrad -, wo wir zusammen mit den Ländern und Kommunen sowie den Verbänden und sonstigen Trägern eine wichtige Verantwortung haben. Es ist ein Bereich, der mir auch persönlich - ich gebe das offen zu - sehr am Herzen liegt. Jugendpolitik ist vielleicht sogar am wenigsten eine Frage der dafür ausgewiesenen Gelder, obwohl ich auch hier gerne noch manchen Schwerpunkt stärker setzen möchte. Es ist vielmehr eine Frage des Hinhörens, der Fähigkeit, sich mit der Jugend auseinandersetzen zu können, ihr Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen und ihr auch eine Chance zu geben, sich für diesen Staat und für diese Gesellschaft erfolgreich zu engagieren. Ich weiß und bin fest davon überzeugt, daß viele junge Menschen bereit sind bzw. bereit wären, sich in gesellschaftlichen, kulturellen und Bildungseinrichtungen zu engagieren, in sozialen, karitativen Organisationen und vielem anderem mehr mitzuarbeiten. Leider ist in unserer Gesellschaft vieles schon so perfekt geregelt, daß sie sofort an Grenzen stoßen, ihre Mitarbeit scheinbar nicht mehr gefragt ist und zum Teil sogar unerwünscht zu sein scheint. Dies trifft im übrigen auch auf viele nicht mehr voll im Erwerbs- und Familienleben stehende Frauen wie auch auf viele sehr rüstige Mitbürger zu. Es ist tatsächlich die Frage, ob wir es uns wirklich leisten können, auf dieses freiwillige ehrenamtliche und unentgeltliche Engagement vieler Mitbürger zu verzichten. Ich habe den Eindruck, daß die Jugendpolitik in den letzten Jahren sehr in den Hintergrund getreten ist, ganz offensichtlich deswegen, weil die Jugend heute wesentlich weniger Probleme bereitet - ich sage ausdrücklich „bereitet" und nicht „hat" -, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Ich wende mich aber dagegen, daß wir uns ihr nur dann zuwenden, wenn von Jugendprotest und -unruhen die Rede ist. ({0}) Dann werden schnell Anhörungen durchgeführt, Diskussionen veranstaltet, eidgenössische Kommissionen gebildet, im Deutschen Bundestag eine EnqueteKommission berufen. Bis all diese Gremien ihre Ergebnisse zu Tage fördern, hat die Jugend längst neue Bedürfnisse und stellt andere Fragen. ({1}) Ich bin davon überzeugt, daß wir es derzeit mit einer guten Generation junger Menschen zu tun haben. Freilich dürfen wir dabei die Problembereiche nicht übersehen. Der Anstieg der Zahl der Drogentoten und Erstkonsumenten ist alarmierend. Alkohol- und Medikamentenmißbrauch nehmen besorgniserregend zu. Wer jemals mit solchen Problemen konfrontiert war - ({2}) - Was neulich im Fernsehen lief, war eine Beleidigung für alle. ({3}) Ich würde gern einmal dahinterschauen, wie hoch der Anteil bei denjenigen ist, die solche Sendungen machen, wie viele sich in ähnlichen Situationen bewegen. Ich will nochmals sagen: Wer jemals mit solchen Dingen konfrontiert war, weiß, daß zwar die Volljährigkeitsgrenze bei 18 Jahren liegt, die Sorge der Eltern - es ist oft eine sehr aufreibende Sorge - aber keineswegs an dieser Altersgrenze endet. ({4}) Wir haben deshalb in diesem Einzelplan nach unseren Möglichkeiten Mittel verstärkt, um in der Aufklärung, der Vorbeugung und der Bekämpfung mehr tun zu können. Ich möchte es mir in Anbetracht der mir zur Verfügung stehenden Zeit versagen, auf den Bereich der Gesundheitspolitik und andere Bereiche einzugehen. Gern hätte ich noch ein Wort zum Bundesamt für Zivildienst gesagt. Wir mußten im Rahmen der Haushaltsberatungen eine erhebliche Aufstockung des Etats vornehmen, um die Einberufung aller Wehrdienstverweigerer umgehend durchführen zu können. Mir war das wichtig, damit das Bundesamt in Köln und der Bundesbeauftragte für den Zivildienst ihre gute Arbeit - ich will das ausdrücklich anerkennen - uneingeschränkt fortsetzen können. Selbstverständlich respektieren wir jede Gewissensentscheidung. Wir wollen aber auch deutlich machen, daß jeder, der aus Gewissensgründen den Wehrdienst ablehnt, mit seiner umgehenden Einberufung rechnen muß und nicht darauf spekulieren kann, eventuell weder Wehr- noch Zivildienst leisten zu müssen. Das sind wir sowohl den Wehrpflichtigen der Bundeswehr wie auch den Zivildienstleistenden, die in ihrer überwiegenden Mehrheit den Dienst mit großer Hingabe ausüben, schuldig. ({5}) Zum Abschluß darf ich mich als Berichterstatter sehr herzlich bei den Mitberichterstatterinnen Frau Conrad und Frau Rust und bei dem Mitberichterstatter Herrn Zywietz für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich danke der Leitung des Ministeriums und allen zuständigen Mitarbeitern und auch den Beamten des Finanzministeriums, die ob unserer Beschlüsse schon manchmal mit Schluckbeschwerden zu kämpfen hatten. ({6}) Wir wissen, daß die bisherige Ministerin morgen ein neues Amt, ein sehr hohes Amt an der Spitze dieses Hauses, übernehmen wird. Ich gebe gern zu, daß ich es persönlich ein bißchen bedaure, daß sie künftig nicht mehr an der Spitze dieses Ministeriums steht und ihre erfolgreiche Arbeit dort fortsetzen kann. ({7}) Es ist ein Haus mit sehr vielfältigen, interessanten und wichtigen Aufgaben. Aber ich glaube, wir alle dürfen ihr auch heute schon alles Gute für ihre Aufgabe im neuen Amte wünschen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, nach § 82 Abs. 1 der Geschäftsordnung hat Frau Kollegin Oesterle-Schwerin das Wort. Ein Antrag wird begründet.

Jutta Oesterle-Schwerin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier zwei Anträge verlesen, die leider noch nicht schriftlich vorliegen. Erster Antrag: Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsplans 1989 Geschäftsbereich der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit In der Abteilung „Familie und Soziales" soll eine Dienststelle „Schwulenreferat" eingerichtet werden. ({0}) Im Arbeitsstab „Frauenpolitik" soll eine Dienststelle „Lesbenreerat" eingerichtet werden. ({1}) Jede dieser Dienststellen soll durch die Schaffung zwei zusätzlicher Planstellen A 16 und durch die Umgruppierung von Mitarbeiter/innen des Ministeriums personell ausgestattet werden. Mehrkosten: 340 000 DM. Begründung: Im Bereich Lesben- und Schwulenpolitik zeichnet sich die Bundesregierung durch völlige Untätigkeit aus. ({2}) Das Verhältnis der Gesellschaft zu homosexuellen Menschen ist aber eine Frage, die alle angeht. Die Lebenssituationen der Schwulen und der Lesben zu verbessern ist daher eine staatliche Aufgabe. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, zu den Niederlanden und Frankreich hinkt die Politik der Bundesrepublik in diesem Bereich der europäischen Entwicklung hinterher. Auch die Stellungnahme der Bundesregierung in der letzten Wahlperiode ({3}) zu den Belangen von Homosexuellen hat wiederholt gezeigt, daß die Bundesregierung in diesem Bereich weder Kompetenz noch Willen zum Einsatz für gleiche Menschen- und Bürgerrechte für Lesben und Schwule zeigt. Um diesem Mißstand abzuhelfen, ist es erforderlich, daß sich zwei Dienststellen in der Bundesregierung für die Belange der Schwulen und der Lesben zuständig fühlen. Zahlreiche andere Organisationen wie ASTEN und die Bundestagsfraktion der GRÜNEN haben mit der Einrichtung solcher Referate positive Erfahrungen gemacht. Zweiter Antrag: In Kapitel 15 02 wird ein neuer Titel - Zuwendung an zentrale Organisationen und für überregionale Maßnahmen der Lesben- und Schwulenbewegung - mit einem Baransatz von 2 Millionen DM eingestellt. Begründung: 5 bis 15 % der Bevölkerung sind Lesben oder Schwule. Homophobie, die Angst vor der Homosexualität, ist jedoch in der Bundesrepublik immer noch ein weitverbreitetes Phänomen. Schwule und Lesben haben insbesondere vor und in der Phase des coming out mit negativen Selbst- und Fremdbildern über Homosexualität zu kämpfen. Eine wichtige Funktion für die positive Identifizierung mit der eigenen sexuellen Orientierung bieten die Einrichtungen schwuler und lesbischer Subkultur. Die Herausbildung einer schwulen bzw. lesbischen kulturellen Identität, die sich in kulturellen und wissenschaftlichen Initiativen niederschlägt, ist eine wichtige Bereicherung der kulturellen Vielfalt der Bundesrepublik und kann dazu beitragen, gesellschaftliche Vorurteile über Schwule und Lesben abzubauen und ein Klima der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensformen zu fördern. ({4}) Bundesweiten Organisationen und den beiden Dachverbänden Lesbenring und Bundesverband Homosexualität kommt bei der Koordinierung und dem Informationsaustausch der regionalen Initiative eine wichtige Funktion zu. Sie sind auch oft gefragte Institutionen zu den Fragen der Homosexualität und Anlaufstelle für Hilfe- und Ratsuchende aus dem gesamten Bundesgebiet. Der Bundesverband Homosexualität hat mit Schreiben vom 3. November 1988 alle Fraktionen des Deutschen Bundestages aufgefordert, durch Vorsehen eines entsprechenden Haushaltstitels im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit eine institutionelle Förderung dieser bundesweiten Organisation zu ermöglichen. Es wäre gar nicht notwendig gewesen, das hier zu verlesen, wenn das Präsidium diesen Antrag wegen der kleinen Wörtchen „Lesbe" und „schwul" nicht abgelehnt hätte. Aber ich mache das ja gerne. Wie der Herr Wittmann von der CDU ja schon sagte: Die Wörter „Lesbe" und „schwul" werden von mir gerade in diesem Hause immer wieder genüßlich ausgewalzt. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich darf dazu vielleicht eine Bemerkung machen, die die Angelegenheit dann klärt. In den Anträgen, die eben begründet wurden, werden Begriffe verwendet, die sprachlich von der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder des Hauses nicht akzeptiert werden können. ({0}) Die Anträge sind deshalb nach ständiger Parlamentspraxis unzulässig. Würden sie angenommen, würde ihr Text in den Einzelplan 15 übernommen und damit nicht nur der Fraktion DIE GRÜNEN, sondern dem ganzen Deutschen Bundestag zugerechnet werden. ({1}) Ich darf daran erinnern, daß sich der Ältestenrat am 29. September 1988 mit breiter Mehrheit dagegen ausgesprochen hat, die Verwendung derartiger BeVizepräsident Frau Renger griffe zuzulassen. Das Präsidium hat vor kurzem in einem vergleichbaren Fall dieselbe Haltung eingenommen. Selbstverständlich werden die Anträge zugelassen, wenn statt der von den Antragstellern verwendeten Begriffe die Begriffe „Homosexuellenbewegung" und „Homosexuellenreferat" verwendet werden. Kann sich der Antragsteller damit einverstanden erklären? ({2}) Bitte, Herr Kleinert, zur Geschäftsordnung.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sehen uns nicht imstande, diesem Vorschlag des Präsidiums zu entsprechen. Es geht nicht darum, daß hier die Gefühle irgendeiner Seite des Hauses verletzt werden sollen, aber es kann umgekehrt auch nicht darum gehen, daß die Gefühle von anderen durch eine bestimme Wortwahl verletzt werden. ({0}) Darum geht es hier in diesem Fall. Deswegen können wir darauf nicht eingehen. Ich beantrage deshalb, daß das Plenum des Deutschen Bundestages über die Zulässigkeit dieser Anträge hier abstimmen soll. Das entspricht auch genau dem Wortlaut des § 77 der Geschäftsordnung und der einschlägigen Kommentierung des § 77, der die Behandlung der Vorlagen hier im Hause regelt. Das heißt, das Haus soll darüber abstimmen, ob diese Anträge in der vorliegenden Form hier zur Abstimmung gestellt werden oder nicht. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Becker, zur Geschäftsordnung, bitte.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es gibt eine breite Übereinstimmung in diesem Hause, daß wir es bei den Homosexuellen mit einer Gruppe in der Bevölkerung zu tun haben, mit der wir uns auseinanderzusetzen und der wir auch zu helfen haben. Aber es kann doch nicht darum gehen, daß hier jetzt ein Streit über Worte entfacht wird, die man im Parlament gebrauchen will oder nicht. Wir sind in der Sache völlig einverstanden damit, daß man sich gründlich mit diesem Thema beschäftigt. Aber dann geben Sie doch bitte zu - nicht um der Schau willen - , daß Sie Begriffe verwenden, die eine breite Mehrheit nicht will, ({0}) die selbst Mitgliedern der Szene, dieser Bevölkerungsgruppe nicht wollen. Das ist doch ein Streit um Worte. ({1}) Nun noch ein Zweites. Warum machen Sie denn nicht von dem nach der Geschäftsordnung vorgesehenen Verfahren Gebrauch? ({2}) Dieses Verfahren heißt doch ganz einfach: Einen solchen Antrag legt man im zuständigen Ausschuß oder im Haushaltsausschuß vor. Das ist nicht geschehen. Warum machen Sie denn formal schon alles falsch? Dann kommt die zweite Sache. Warum erwähnen Sie das auch bei den Berichterstattergesprächen nicht, die vorher stattfinden? Warum wollen Sie einen solchen Schaueffekt hier im Hause? ({3}) Aus diesem Grunde können wir Ihnen bei dem, was Sie vorhaben, leider nicht helfen. Dann sind wir der Meinung der Präsidentin. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir schließen uns Ihrer Auffassung, Frau Präsidentin, die Sie eben hier vorgetragen haben, vollinhaltlich an. Wir haben das auch bereits im Ältestenrat, als wir über diese Thematik gesprochen haben, namens unserer Fraktion nicht nur angedeutet, sondern auch bekundet. Ich glaube, Frau Präsidentin, daß es völlig richtig ist, wie Sie hier entschieden haben. Ich möchte nur in Ergänzung zu Herrn Kollegen Becker darauf hinweisen, daß man sich mit dieser Thematik befaßt. ({0}) Sie versuchen, vor der deutschen Öffentlichkeit zu günstiger Fernsehzeit mit Ihrem Antrag den Eindruck zu erwecken, als würde von dem Deutschen Bundestag oder von dem zuständigen Ministerium die Homosexualität sozusagen tabuisiert und als befaßte man sich politisch nicht damit. ({1}) Das Gegenteil ist gegeben. Wenn Sie hier nicht bereit sind, auf die Anregung der Frau Präsidentin einzugehen, geben Sie solchen Verdächtigungen, nämlich daß es Ihnen im Grunde genommen nicht um die Sache, sondern nur um den politischen Showeffekt geht, nur zusätzliche Nahrung. Das können wir natürlich nicht mitmachen. ({2}) Als allerletztes möchte ich sagen: Nachdem Sie, Frau Kollegin, sich neulich hier in der Debatte so verhalten haben, wie Sie sich verhalten haben, nämlich auf Aufforderung der Frau Präsidentin dieses Rednerpult nicht verlassen haben, muß ich wirklich Zweifel haben, ob Sie überhaupt noch andeutungsweise be7736 rechtigt sind, uns hier für den parlamentarischen Umgang Noten zu geben. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Thema Homosexualität ist auch für meine Kolleginnen und Kollegen in der FDP-Bundestagsfraktion ein Thema, das angesichts der Bedeutung in der Bevölkerung nur mit größtem Ernst und seriös diskutiert werden kann. Nur unter diesem Aspekt ist der betroffenen Bevölkerungsgruppe, ist diesen Menschen, die zum Teil ein sehr schweres Schicksal haben, zu helfen. Wir wehren uns dagegen, daß in diesem Zusammenhang im Deutschen Bundestag Kampfbegriffe eingeführt werden; damit ist den betroffenen Menschen nicht geholfen. ({0}) Wir stimmen dem zu, was das Präsidium hierzu beschlossen hat, und nachdrücklich auch den Ausführungen, die die Kollegen Becker und Bohl hierzu gemacht haben. Wir werden uns für die Sache weiterhin einsetzen, aber seriös und ernsthaft. Vielen Dank.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Da es sich um eine Richtigstellung handelt, erteile ich Ihnen ausnahmsweise das Wort, Herr Kollege Kleinert; zur Geschäftsordnung hatten Sie ja schon gesprochen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur zwei Sätze: Ich will noch einmal in aller Deutlichkeit sachlich richtigstellen: Daß wir uns hier heute morgen damit befassen müssen, liegt daran, daß sich die Bundestagsverwaltung unter Bezugnahme auf das Präsidium geweigert hat, Anträge überhaupt auszudrucken, die die Begriffe „Schwule" und „Lesben" enthalten. ({0}) Das nenne ich eine Sprachzensur der Fraktion DIE GRÜNEN. ({1}) Das ist ein Akt der sprachlichen Zensur, und das ist der Hintergrund für diese Sache.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie wollten hier nur eine Korrektur anbringen!

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir wollen niemandem vorschreiben, wie er zu empfinden hat und welche Begriffe er zu verwenden hat. ({0}) Aber Sie können umgekehrt auch nicht uns vorschreiben wollen, welche Begriffe wir in diesem Zusammenhang für angemessen halten. Deswegen dieser Streit hier, der sonst gar nicht zustande gekommen wäre. Deswegen muß ich auch darauf insistieren, daß das Haus hier darüber abstimmt, ob diese Anträge zulässig sind oder nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben sich wieder einmal nicht an Ihr Versprechen gehalten: Sie haben gesagt, Sie wollten einen Satz zur Korrektur hier anbringen. - Aber bitte schön, wir sind ja nicht so kleinlich. Hier wurde seitens der Fraktion DIE GRÜNEN der Antrag gestellt, das Haus möge entscheiden, ob der Antrag in dieser Form zulässig ist oder nicht. Ich lasse darüber abstimmen, ob dieses Haus den Antrag mit diesen Bezeichnungen, die hier genannt worden sind, akzeptiert. Es geht also um die Zulässigkeit des Antrags in der eingebrachten Form. Wer ist dafür? - Gegenprobe! - Dieses ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 15, der Einzelplan für das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, gehört im Vergleich aller Haushaltspläne, die wir in diesen Tagen in rasanter Reihenfolge diskutieren - so möchte ich es einmal sagen - , mit seinem Volumen von 20 Milliarden DM zu den großen Einzelplänen. In diesem Einzelplan 15, verehrte Kolleginnen und Kollegen, befinden sich zu 90 % direkte Zahlungen und direkte Zuschüsse für Millionen von Familien und Einzelpersonen. Hier kommt also eine unmittelbare Hilfe für sehr viele Mitbürger zum Ausdruck. Die wesentlichen Gelder dieses Haushaltsplans werden für Kindergeldzahlungen in Höhe von 14 Milliarden DM und für Erziehungsgeldzahlungen in der Größenordnung von 3,6 Milliarden DM geleistet. Beides zusammen genommen, die erwähnten 90 % des Gesamtetats, ist eine Vielzahl von unmittelbar und direkt helfenden Leistungen des Staates. Wer die Familienleistungen insgesamt würdigen und vergleichen will, muß einbeziehen, daß bereits in der ersten Stufe der Steuerreform erhebliche steuerliche Leistungen für die Familien eingebaut waren. Erst die direkten Kindergeldzahlungen zusammen mit den steuerlichen Erleichterungen machen das - steigende - Ausmaß der Unterstützung für Frauen und Familien deutlich. ({0}) Natürlich wissen auch wir, daß die Familienförderung nicht allein mit Geld zu machen ist. Ich möchte in der Kürze der Zeit nur hinzufügen, daß auch wir uns darum bemühen, daß ein familien- und frauenfreundliches Klima in diesem Staat weiter gefördert und ausgebaut wird. Wenn auch von einem Gesamtvolumen von 20 Milliarden DM 17,5 Milliarden DM für zwei Bereiche der unmittelbaren Zahlung verwendet werden, verbleiben in diesem Haushalt - wer ihn aufmerksam liest, findet es wieder - doch noch Mittel und Möglichkeiten für klare politische Akzente. Einige dieser Akzente möchte ich aus der Sicht der FDP verdeutlichen. Da sind zum einen die Mittel für den Zivildienst, die um 100 Millionen DM auf nunmehr 1,26 Milliarden DM angehoben wurden. Uns von der FDP ist es ein Anliegen, darauf hinzuweisen, daß wir kein Gefälle in der Behandlung von Wehrpflichtigen bei der Bundeswehr und von Zivildienstleistenden wollen. Alle sind zum Dienst verpflichtet. Hier darf es keine Unterschiedlichkeiten geben. Wer einen Zivildienstplatz möchte, muß ihn durch die Leistungen des Staates auch offeriert bekommen. Das ist die Leitlinie unserer Politik. Sie erfordert nach Lage der Dinge erhöhte Finanzmittel. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen, daß es keinen Rangunterschied zwischen Wehrdienst und Zivildienst gibt. Es ist eine Gleichwertigkeit, eine Wertgleichheit gegeben. So will es auch unser Grundgesetz, und so wollen wir von der FDP es auch in der Ausgestaltung beider Möglichkeiten. Ein zweites Politikfeld ist die Bekämpfung der Seuche AIDS. Hier möchte ich - ich glaube das feststellen zu dürfen - für alle Haushaltsausschußmitglieder, insbesondere Berichterstatter und Mitberichterstatter, darauf hinweisen, daß wir uns mit dieser Thematik im Haushaltsausschuß überdurchschnittlich intensiv beschäftigt haben und nach der Diskussion gemeinschaftlich zu dem Ergebnis gekommen sind, hier die Mittel aufzustocken. Sie belaufen sich jetzt insgesamt - in verschiedenen Bereichen - auf rund 120 Millionen DM. Es sind Mittel für Aufklärung, es sind Mittel für Forschung, es sind Mittel für Heilung. Wir sind bemüht, in der Summierung, für den Globalbereich AIDS all das zur Verfügung zu stellen, was aussichtsreich und hilfreich erscheint. Mir ist nicht bekannt, daß sinnvolle Maßnahmen im informativen, im forschenden oder im heilenden Bereich am Geld gescheitert sind. Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren, ist die Mitteldotation für den Bundesjugendplan. Sie beläuft sich mittlerweile auch auf 120 Millionen DM. Ich möchte hinzufügen, daß es uns darum geht, daß über diesen Bundesjugendplan sowohl verbandlich organisierte als auch die freie Jugendarbeit gefördert wird, und zwar kontinuierlich gefördert wird. Wir freuen uns immer dann, wenn man über Modellversuche neue und andere Wege der Jugendarbeit fördernd aufnimmt. Ich möchte an dieser Stelle eine gewisse Ermutigung zu diesem eingeleiteten Weg aussprechen. Der Bereich Stiftung „Mutter und Kind" ist ausgeweitet worden. Die Finanzausstattung beträgt 130 Millionen DM. Hier, Kollegin Conrad, wollen wir, auch wenn es Probleme gibt, daran arbeiten, daß nichts dem Zufall überlassen bleibt und daß es sich nicht um Verteilung von Almosen handelt. Wir begrüßen den Grundgedanken dieser Stiftung. Wir wollen das Ja zum Kind unterstützen. Wir wollen allerdings auch sichergestellt wissen - und darüber muß man vielleicht an anderer Stelle noch einmal gründlicher, im Detail sprechen - , daß auch wirklich der Stiftungszweck erfüllt wird und Mitnahmeeffekte, möchte ich einmal an dieser Stelle sagen, möglichst vermieden werden. Ein weiterer Akzent liegt bei den Eingliederungsaktivitäten für Aussiedler. Hier gilt für die FDP generell: Deutsche Aussiedler sind uns willkommen. Gerade für die Eingliederung junger Aussiedler haben wir erneut die Ausgabenposition um 52 Millionen DM erhöht. ({1}) Es ist uns ein Anliegen, daß für die sprachliche, die schulische, die berufliche Eingliederung - das ist auch von Vorrednern gesagt worden - das Adäquate getan wird, nicht irgendwie, ich hätte beinahe gesagt: abgequält, sondern aus voller Überzeugung für diese Aufgabe. ({2}) Zwei kurze weitere Punkte, mehr Zeit verbleibt mir nicht. Stichwort: Modellprogramm Wiedereingliederung. Hier ist etwas gegenüber den Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit für Fort- und Ausbildung ausgespielt worden. Ich glaube, es gibt Anlaß, darauf hinzuweisen, daß man die Dinge nicht miteinander vermischen sollte. Hier geht es darum, in Modellvorhaben mehr Erkenntnisse zu erlangen, wann wer aus welchen Gründen nach der Familienphase wieder in die Berufstätigkeit zurückfinden will und welches die zielgerichteten, die adäquaten, die chancenreichen Berufsfelder, Hilfsmittel und Hilfsmöglichkeiten sind, diesen Wunsch auch Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Modellversuch und Hilfsprogramme in diesem Bereich, die erstmals mit 30 Millionen DM belegt werden, können hier, glaube ich, einer erheblichen Zahl von Frauen die Rückkehr in das Arbeitsleben nach der Familienphase erleichtern helfen. Wir begrüßen das ausdrücklich. ({3}) Last not least: In Bonn soll eine Jugendbegegnungsstätte gebaut werden. Auch das mag ein Stichwort sein, das man hier erwähnen und damit in das Blickfeld rücken sollte. Wir wollen keinen Petersberg für jugendliche Staatsgäste. Aber Jugendliche, die in die Bundeshauptstadt kommen, sollten nicht nur in Jugendherbergen untergebracht werden. ({4}) - Dann könnten vielleicht alle im Hotel oder in Jugendherbergen leben. Ich glaube schon, daß es auch zum Stil der Behandlung von Gästen, auch von jugendlichen Gästen - und das ist nicht irgendwer - , auch gerade solchen, die aus dem Ausland hier nach Bonn kommen, gehört, ihnen einen Aufenthaltsort mit Begegnungsmöglichkeit zu geben, der unserer Arbeit und der Darstellung der Demokratie und ihrer Abläufe in Bundestag und Bundesrat angemessen ist. Wir bekennen uns positiv zu diesem Ziel und werden die Realisierung dieser Jugendbegegnungsstätte in Bonn unterstützen und positiv begleiten. ({5}) Ein Letztes: Die Wirkung dieses Ministeriums, dessen Einzelplan ich hier nur in ein paar Stichworten skizzieren konnte, liegt aber nicht nur in der Verausgabung der dargestellten Finanzmittelpositionen. Ich meine, daß sich die Frau Ministerin und das Haus mit gutem Erfolg darum bemüht haben, durch Information und durch Aufklärung die Arbeit in den Politikfeldern Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit positiv und hilfreich möglichst vielen Mitmenschen deutlich zu machen. Dieses begrüße ich ausdrücklich. Verbleibt mir, für die gute sachliche Zusammenarbeit für die Haushaltsgruppe und für die FDP-Bundestagsfraktion Dank zu sagen der Ministerin und dem Haus und insbesondere ihr und auch uns alles Gute für die absehbare neue Verwendung zu wünschen. ({6}) Wir stimmen dem Haushalt zu. Ich bedanke mich. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Schwule und Lesben scheint es in diesem Bundestag ebensowenig zu geben wie Alkoholiker oder Alkoholgefährdete. Ich wollte etwas zum Weggang von Frau Süssmuth sagen. Die Berufung der Ministerin war seinerzeit ein kluger Schachzug. Denn unter dem Druck wachsender Frauenforderungen mußte sich auch die Union den Frauen stellen. Die Wirkung der Ministerin, ihre Erfolge und Mißerfolge werden von links bis rechts sehr kontrovers diskutiert, und weil sie eine Frau ist, wird sie kritischer beurteilt, als es bei Männern üblich ist. Kühle Strategie, wie sie in der Politik geschätzt wird, scheint nicht ihre Stärke gewesen zu sein. Sie hat Symbolkraft entwickelt, die sich aus beharrlicher Parteinahme für die Frauen speist. Wenn wir die Nachkriegsgeschichte betrachten, ist es ihr gelungen, in kürzester Zeit Popularität und Anerkennung zu gewinnen, wie es nur wenigen Frauen in der Politik bisher gelungen ist. Ich sage das aus der Opposition heraus, sozusagen aus einer natürlichen Gegnerinnenschaft heraus, durchaus mit Respekt. ({0}) Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche, zu denen auch eine sich ändernde Geschlechtsrollenidentität gehört. Es ist der Ministerin gelungen, bis weit in das bürgerliche Lager hinein Problemkompetenz für Frauenfragen zu schaffen. Das ist ein Verdienst, das nicht zu unterschätzen ist, ({1}) setzt dies doch Bewußtseinsprozesse in Gang, die un-umkehrbar sind. Gewiß, sie hat Niederlagen eingesteckt; die hohen Erwartungen sind enttäuscht worden. Kinder- und Erziehungsgeld müssen erhöht werden, das Vergewaltigungsgesetz muß raus aus der Schublade, eine JWG-Novelle muß dringend durchgesetzt werden - um nur einige der Enttäuschungen zu nennen. Aber ich weigere mich an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt, Attacken gegen eine Frau zu reiten, die mit ihren Forderungen in dem Kabinett in einem Meer von Ignoranz watete. Man muß sich nur mal die Männer angucken, die da sitzen. ({2}) Wenn hier Ministerschelte gefordert ist, dann kann ich nur sagen: Die Minister für Finanzen, für Wirtschaft, für Verteidigung, für Soziales und für Umwelt machen nicht nur Fehler; sie richten angesichts der sozialen und ökologischen Krise unverantwortbares Unheil an. ({3}) Ich kann Ihnen sagen: Wenn einer von denen gegangen wäre, hätte ich ihm keine Träne nachgeweint. ({4}) Was ich tragisch finde ist, daß eine Frau aus Pflichtbewußtsein und in typischer Frauenmanier nicht nein sagen konnte. ({5}) Sie hat damit eine Machtposition aufgegeben und landet in einem Amt, das in den letzten Tagen durch das Jenninger-Desaster an Bedeutung gewonnen hat, ansonsten aber größtenteils von nackter Symbolik lebt. ({6}) Der Ministerin wird vorgeworfen, sie sei keine Machtpolitikerin. ({7}) Das ist ein Vorwurf, den auch andere Frauen kennen. Aber was Macht ist, meine Herrschaften, unterliegt in dieser Gesellschaft männlichem Definitionsmonopol. Macht ist verbunden mit Rücksichtslosigkeit gegen Mensch und Natur, mit Intrigen und Korruption. Es geht nicht mehr um Macht als solche; es geht um eine Neubestimmung von Macht, die dringend notwendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der SDP - Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig! Angesichts der Neubesetzung des Ministeriums mache ich drei Strukturänderungsvorschläge. Erstens. ({8}) Die Mitfederführung der Ministerin hat sich nicht bewährt. Das Betteln um Zustimmung bei anderen Ministerien ist Ausdruck des Dilemmas der Frauenpolitik dieser Regierung; sie ist nämlich nur zweitrangig. Das Ministerium braucht eine eigene Federführung. Zweitens. Das Ministerium hat einen Beirat für Familienfragen. Dieser Beirat hat sich bewährt. Aber das Ministerium braucht ganz dringend auch einen wissenschaftlichen Beirat für Frauenfragen. Drittens. Wir erneuern unseren Vorschlag eines eigenen Frauenausschusses, den wir ja schon vor längerer Zeit gefordert haben. Ich bin zwar weit weg von Resignation, aber ich glaube, daß Frauenpolitik quer durch alle Fraktionen in einer Sackgasse steckt und daß wir im Bundestag schlecht weiterkommen, und zwar aus folgenden Gründen. Die Männer, die hier sitzen und sich Tag für Tag in ihrer Männlichkeitsrolle bestätigen können, würden sich immer dann, wenn sie sich für Frauenforderungen entscheiden, gegen ihr eigenes Lebensmodell entscheiden; ({9}) und das fällt ihnen schwer. Deshalb sind diese Männer hier so bockig. So. ({10}) Jetzt will ich noch ganz schnell zwei inhaltliche Vorschläge machen, die hier demnächst von uns kommen. Erstens. Es ist dringend notwendig, Kinderbetreuungseinrichtungen auszubauen, und zwar nicht nur deshalb, weil die Frauen mehr und mehr in die Berufsarbeit wollen, sondern auch deshalb, weil Kinder in der Gesellschaft heute als Einzelkinder aufwachsen, und das bedeutet Isolation. Aus dieser Isolation müssen Kinder raus in die Gemeinschaft, ({11}) damit sie lernen, sich zu streiten und sich zu lieben. ({12}) Deshalb machen wir den Vorschlag, den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen als Gemeinschaftsaufgabe zu definieren und in Art. 91 a des Grundgesetzes aufzunehmen. ({13}) Zweiter Vorschlag - ich bin gleich zu Ende, Frau Präsidentin - und Schluß: Wir wollen, daß es analog zum Bundesjugendplan etwas gibt wie einen Bundesfrauenplan, den wir vielleicht „FraueninitiativenFonds" nennen können, damit die vielen Frauengruppen und -initiativen, die hier arbeiten, ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. Ich hoffe sehr, daß der Herr Bundeskanzler uns hier nicht so ein Ei ins Nest legt, daß wir demnächst wieder einen männlichen Frauenminister kriegen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte erst einmal etwas zum Zitat des Herrn Kalb aus dem Familienbericht aus den 70er Jahren sagen. Herr Kalb, wir haben das ja schon hundertmal richtiggestellt. Die damalige Bundesregierung hat diesem Zitat ausdrücklich widersprochen. Nehmen Sie das nun wirklich einmal zur Kenntnis und lassen Sie sich von Ihren Mitarbeitern nicht immer so etwas in Ihre Redemanuskripte hineinschreiben. ({0}) Es ist objektiv falsch, Sozialdemokraten oder aber auch die damalige Bundesregierung mit diesem Zitat ständig zu identifizieren. Das ist objektiv wirklich nicht korrekt. Ich wollte etwas zu mehreren Punkten sagen, die sich insbesondere auf die Frage von Kindern und Jugendlichen in unserer Bundesrepublik beziehen. Ich beginne mit einer Geschichte, die ich schon im Ausschuß erzählt habe. Ich bin vor kurzem in einer Jugendversammlung gewesen. Nach einiger Zeit haben Jugendliche mich dort gefragt, was wir in diesem Parlament mit den jungen Arbeitslosen nun vorhätten, ob wir nun wirklich ernsthaft beabsichtigten, die Anspruchszeiten beim Arbeitslosengeld zu reduzieren, d. h., das Arbeitslosengeld für die unter 25jährigen und die unter 20jährigen zu kürzen. Dies sei eine große Schweinerei. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin auch der Meinung, daß das, was Sie da beabsichtigen, eine große Schweinerei gegenüber den jugendlichen Arbeitslosen ist. ({1}) - Ich komme darauf noch. - Denn das bedeutet ja insbesondere, daß das zunehmend ein Einstieg von jungen Menschen in die Sozialhilfe ist. Und mir geht es hier gar nicht um die sozialpolitische Frage, sondern mir geht es um die pädagogischen Auswirkungen solcher Entwicklungen. Wenn junge Menschen in der Sozialhilfe sind - ich will die Sozialhilfe deswegen nicht diskriminieren, das sage ich hier ausdrücklich -, hat das eben pädagogische Auswirkungen. Herr Pfeifer, ich bin in der Ausschußberatung bestürzt gewesen, daß Sie dazu nichts gesagt haben. Da war Schweigen im Walde. Es wäre angebracht, daß Sie das, was ich heute in den Zeitungen gelesen habe, nämlich daß Sie von dieser Absicht abkommen wollen, das Arbeitslosengeld für jugendliche Arbeitslose zu kürzen, auch Wirklichkeit werden lassen. Es wäre angebracht, daß Sie das hier vor dem Parlament heute einmal eindeutig erklären. ({2}) Das gilt auch für die Kürzung der Zuschüsse für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Auch da will ich mich jetzt nicht auf die sozialpolitischen Fragen einlassen, sondern danach fragen: Welche Auswirkungen hat das nun insbesondere für freie Initiativen, für die, die in der Ausländerarbeit tätig sind, die die Integration von Aussiedlern betreuen, die bei der Integration von jungen Arbeitslosen mithelfen? Deren Arbeit wird mit der Verkürzung der Zuschüsse behindert. Die Stadt Köln hat allein in dem Bereich - ich sage Ihnen das mal - der Betreuung von Aussiedlerkindern mehr als 30, 40 AB-Maßnahmen laufen. Der Caritas-Verband hat mir eine lange Liste zugeschickt, was er denn nun alles in Köln einstellen würde, wenn die Reduzierung von 100 auf 70 % stattfinden würde. Ich weiß nicht, ob Sie das verantworten können. Es wäre wirklich angebracht, Herr Pfeifer, daß Sie im Namen der Bundesregierung nun endlich hier in der Haushaltsdebatte ein klärendes Wort sagen, daß Sie nicht beabsichtigen, die notwendige soziale Arbeit des Caritas-Verbandes, des Roten Kreuzes und all dieser Selbsthilfeorganisationen, die es gibt, zu behindern oder zu erschweren, sondern daß Sie der Meinung sind, daß sie so fortgeführt werden muß wie in der Vergangenheit. Im Gegenteil: Sie muß ja noch verstärkt werden. ({3}) Ich will etwas zu der Frage der Kinder von Aussiedlern und Zuwanderern und deren Versorgung und Integration sagen. Was da stattfindet, ist ja erschrekkend. Zunächst einmal zum Bereich der Vorschulen und Einschulungshilfen. Die Gemeinden sind nicht in der Lage, den Ansprüchen und den Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Überall, wo man hinkommt, hört man, daß es den Gemeinden aus finanziellen und aus organisatorischen Gründen schwer fällt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, die Möglichkeit bekommen, schon im Alter von drei bis sechs Jahren in diesem Bereich so ausgebildet zu werden, daß sie ohne Probleme in die Grundschulen eingeschult werden können. Diese Schwierigkeiten sind vorhanden. Das gilt auch für den Bereich der fördernden Maßnahmen während der Schulzeit, d. h. der schulbegleitenden Maßnahmen. Auch im Bereich der Förderung in der Schule selbst wird zu wenig getan. Ich muß Ihnen als letztes dazu sagen: Wir fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß Kinder und Jugendliche von Aussiedlern in unserer Gesellschaft nicht verkommen. Das ist ein Punkt, den ich unbedingt für wichtig halte. Ich bitte Sie als Bundesregierung, ernster an die Frage heranzugehen, als Sie das in der Vergangenheit getan haben. ({4}) Ich will zum nächsten Punkt kommen, zu der Frage Kinder und Arbeitslosigkeit. Dazu gibt es Untersuchungen; zuletzt hat die Arbeiterwohlfahrt dazu eine Tagung gemacht. Wir stellen fest, daß Kinder von Arbeitslosen zunehmend isoliert sind, daß sie Schwierigkeiten haben, in ihrem Lebensbereich zu bestehen - Probleme mit Langzeitwirkung, die sich da anhäufen. Sie nehmen nicht an der Erlebniswelt der Kinder teil, die ihr Leben unter anderen Bedingungen gestalten können. Die Bundesregierung hat sich diesem Problem überhaupt noch nicht angenommen. Sie geht darüber schweigend hinweg. Ich habe in all den Reden, die in den letzten Tagen und Wochen in diesem Haus geführt worden sind, kein einziges Wort gehört, wie man sich diesem Problem nun nähern will und wieweit man dafür sorgen will, daß Kinder von Arbeitslosen in unserer Gesellschaft nicht zunehmend ausgeschlossen und isoliert werden. Dies ist ein Punkt von sozialpolitischer Brisanz, von dem ich meine, daß sich die Bundesregierung ihm endlich stellen muß. Ich möchte zum nächsten Punkt kommen, zur Frage der Kinder- und Jugendpolitik generell. Ich muß Ihnen sagen, wir haben den Eindruck, daß das Verhältnis der Jugendverbände und auch anderer Organisationen zum Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zunehmend erschwert wird. Es gibt zunehmend Beschwerden über die Behandlung im Ministerium, und es gibt Beschwerden über den Bundesjugendplan. Es wäre nun wirklich angebracht, daß Sie Kinder- und Jugendpolitik weiterhin nicht als ein Stiefkind Ihrer Politik im Ministerium behandeln, sondern als einen wichtigen Bestandteil von Politik betrachten. Wir können nur sagen, daß die Anwürfe und Bemerkungen der Jugendverbände zu diesem Bereich nach unserer Einschätzung vollauf berechtigt sind. ({5}) Wir sehen auch, daß es nicht nur im Bundesjugendplan nicht mehr so klappt, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Was uns noch viel größere Sorgen macht, ist das große Problem beim Zivildienst, insbesondere beim Bundesamt für Zivildienst. ({6}) Ich bin vor drei oder vier Tagen auf der ÖTVBetriebsgruppenversammlung im Bundesamt für Zivildienst gewesen. Die Kollegen haben einhellig berichtet, daß es ihnen zunehmend schwerfällt, die von ihnen geforderte Arbeit zu erledigen. Man muß sich folgendes vorstellen: In einem solchen Amt wird mit 250 Zeitarbeitskräften gearbeitet. ({7}) Das ist eine unmögliche Situation. Ich sage Ihnen schlicht und einfach - so auch die Kollegen - : Die Bedingungen, unter denen das Bundesamt arbeitet, sind ein Chaos. Ich muß Sie in aller Ernsthaftigkeit auffordern, daß Sie dieses Chaos, das Sie in Köln angerichtet haben und das ja auch Auswirkungen auf die betroffenen Zivildienstleistenden haben wird, nun sehr schnell beenden, indem Sie dort Arbeitsplätze schaffen, indem Sie dort die Aufgaben erledigen, die notwendig sind. ({8}) Insbesondere wird dieses Chaos auch noch dadurch verstärkt, daß wir in Zukunft für Zivildienstleistende vier Dienstzeiten haben werden. Wir werden bei dem Gesetz auf diese Frage noch einmal zurückkommen. Sie erleichtern nicht die Arbeit des Bundesamtes, im Gegenteil, Sie erschweren die Arbeit des Bundesamtes. Ich komme zum Schluß. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie im Jahre 1989 in der Lage sein werden, diesem Bundestag die Novelle zum Jugendwohlfahrtsgesetz vorzulegen. Es haben sich daran ja zwei Minister bzw. Ministerinnen schon verbraucht; sie haben es nicht geleistet. Ich hoffe, daß die dritte Ministerin der CDU in der Lage sein wird, dem Deutschen Bundestag ein Gesetz vorzulegen. Sie werden davon ausgehen können, daß wir an diesem Gesetz konstruktiv mitarbeiten werden. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Pack.

Doris Pack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001670, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bilanz der Frauenpolitik dieser Regierung ist eindeutig positiv. ({0}) Nie vorher wurde den Veränderungen in der Lebensplanung von Frauen und dem Wandel der Situation in den Familien in der Bundesrepublik Deutschland so nachdrücklich Rechnung getragen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie Frau Schoppe, die vorhin aus ihrem Herzen zum erstenmal keine Mördergrube gemacht hat und sich dazu bekannt hat, daß dies so ist. ({1}) Ich möchte gerne wissen, ob die Kolleginnen aus der SPD heute die Größe haben, dies auch zuzugeben, denn wenn Sie nicht hier sind, sondern draußen, reden Sie mit uns auch anders und viel positiver über das, was in der Frauenpolitik von Frau Süssmuth geleistet wurde. ({2}) Zu unserer erfolgreichen Frauenpolitik zählen - erstens - die Förderung familienfreundlicher Arbeitszeitregelungen, insbesondere durch die Schaffung eines größeren Angebots an Teilzeitarbeitsplätzen und die Unterstützung von Berufsrückkehrerinnen. Dazu zählen zweitens die wesentlichen Voraussetzungen im Bereich der beruflichen Bildung. Zum Beispiel ist der Zuwachs an Ausbildungsstellen in den letzten Jahren zu ca. 75 % jungen Mädchen zugute gekommen. Ich begrüße das gestärkte Interesse von Frauen an gewerblich-technischen Berufen wie auch im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, wenn auch das Nachfrageverhalten von Frauen insgesamt dabei noch immer unbefriedigend ist. Die von uns eingeleitete Qualifizierungsoffensive hat Erfolge gezeigt - oder ist etwa die seit 1984 eingetretene Verdoppelung der Zahl der Frauen, die an Maßnahmen zur beruflichen Bildung teilnehmen, kein Erfolg? ({3}) Zu unserer erfolgreichen Frauenpolitik zählt drittens: Mit der Durchsetzung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub haben wir ein frauen- und familienpolitisches Signal gesetzt. Daß Mütter oder Väter dies in Anspruch nehmen können, ist einerseits Herausforderung an den Mann und andererseits der erstmalige Versuch, den Graben zwischen Frauen in der Familie und erwerbstätigen Frauen ein Stück zuzuschütten. ({4}) Viertens. Wir anerkennen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die in der Familie geleistete Arbeit. Da hat einer von Ihnen lange gebraucht, bis er das nachgeplappert hat. ({5}) Dies gilt für die Anerkennung von Erziehungszeiten bei der Rente, für die Anerkennung von Kinder- und Pflegekosten im Steuersystem wie für unser Anliegen der besseren Absicherung der häuslichen Pflege. Bisher gilt das erste Jahr der Kindererziehung als rentenbegründend oder rentensteigernd. Dies war ein Einstieg. Wir begrüßen es daher besonders, daß wir mit der Verabschiedung der Rentenreform die Ausweitung der Erziehungszeiten auf drei Jahre vorsehen. ({6}) Dies stärkt die Entscheidungsfreiheit und die Wahlfreiheit von Frauen, die wegen der Kindererziehung eine Berufstätigkeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben können. Fünftens. Mitte 1988 waren ca. 13 % aller Familien Einelternfamilien mit etwa 1,3 Millionen Kindern. Dies ist ein bedeutender Anteil der Familienrealität in der Bundesrepublik. An diesen Zahlen kommen wir nicht vorbei. Der besonderen Problemlage Alleinerziehender haben wir daher gezielt Rechnung getragen. ({7}) So gilt der Kündigungsschutz ab 1988 für ein volles Jahr nach der Geburt des Kindes. So wird bei einer Erwerbstätigkeit bis zu 19 Stunden in der Woche das Erziehungsgeld in voller Höhe weitergezahlt, und so wird das Erziehungsgeld nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet. Bei der Sozialhilfe haben wir der besonderen Situation von Alleinerziehenden durch einen Mehrbedarfszuschlag Rechnung getragen. ({8}) Ich spreche auch vom Freibetrag beim Wohngeld, und ich spreche von den Dingen, die wir bei der Einkommensbesteuerung für die Alleinerziehenden positiv geändert haben. Ich will wegen der Kürze der Zeit auf Einzelheiten nicht eingehen. Sechstens. Wir wissen alle, daß das Problem der Frauenarbeitslosigkeit noch nicht zufriedenstellend gelöst ist. Dennoch möchte ich hier feststellen: 370 000 Frauen haben in den letzten drei Jahren zusätzlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. Ist das nichts? ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß diese positive Bilanz unserer Frauen- und Familienpolitik fortgeschrieben werden muß. Deshalb erwarten wir von der Nachfolgerin von Frau Süssmuth: weitere Maßnahmen auf dem Weg der besseren Vereinbarkeit der Familienphase mit der Berufsausübung einzuleiten, das Bewußtsein der Männer zu schärfen, daß auch sie zugunsten ihrer Kinder eine Reduzierung der Erwerbstätigkeit in Er7742 wägung ziehen müssen, Maßnahmen, um das Gewaltpotential gegen Frauen wirksam zu reduzieren. Dazu zählt, daß Gewalt in der Ehe strafrechtlich gleich zu ahnden ist wie außerhalb der Ehe. Wir erwarten generell, daß alles getan wird, um weiterhin eine familienfreundlichere Ausgestaltung der Arbeitswelt zu unterstützen. Wir erwarten ferner, daß die Förderung und Fortentwicklung spezieller Frauenförderungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst vorbildlich vorangetrieben wird. Besonders, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarten wir, daß die bei der Rentenreform auftretenden Detailprobleme mit Sachkenntnis und politischem Stehvermögen zugunsten der Frauen gelöst und durchgesetzt werden. ({10}) Hierzu zählt, der Ausbau der Berücksichtigungszeiten wegen der infolge von Kindererziehung oder Pflege eintretenden verminderten Erwerbstätigkeit. Ich komme zum Schluß. Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Wir Frauen haben mit dem Frauenministerium unsere Vertretung in der Bundesregierung gewonnen, und diese Vertretung ist nicht gering zu schätzen. ({11}) Die Tatsache, daß dieses Frauenministerium ein Mitspracherecht und eine Mitfederführung hat, ist wichtig, und darauf werden wir auch zukünftig Wert legen. Rita Süssmuth hat für uns alle den Durchbruch in der Frauenpolitik erzielt. Sie hat Bewußtsein geschaffen, auch wenn konservative männliche Leitartikler immer noch glauben, Frau Süssmuths und unsere politischen Auffassungen seien eine Ausgeburt des Zeitgeistes, dem nicht nachzugeben sei. ({12}) - Ich redete von konservativen männlichen Leitartiklern. Ich bitte Sie, richtig hinzuhören. Rita Süssmuth hat in der Frauen- und Familienpolitik die bislang größte Dynamik entwickelt. Dafür möchte ich ihr im Namen meiner Fraktion und gerade auch der Arbeitsgruppe „Frauen und Familie" herzlich danken. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, Sie nehmen den nächsten Rednern Ihrer Fraktion bereits drei Minuten weg.

Doris Pack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001670, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur noch einen Satz. Ich möchte zum Schluß sagen: Die Kontinuität in der Frauenpolitik zu wahren, ist Aufgabe der Nachfolgerin von Frau Süssmuth. - Ich bedanke mich. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.

Heike Wilms-Kegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An der Spitze des Gesundheitsministeriums wird sich in diesen Tagen ein personeller Wechsel vollziehen. Die Nachfolgerin von Frau Süssmuth wird es schwer haben, wie Frau Süssmuth zur Hoffnungsträgerin für viele betroffene Gruppen zu werden. Sie wird aber auch zumindest im Gesundheitsbereich schwer unter Frau Süssmuths Versäumnissen zu leiden haben. Mit Ausnahme einiger pressewirksamer Auftritte hat Frau Süssmuth dem Bereich Gesundheit nie die angemessene Aufmerksamkeit gewidmet, ({0}) wie die „Ärztezeitung" zu Recht kritisiert. ({1}) Frau Süssmuths Weggang aus dem Gesundheitsministerium ist auch ein Ausdruck ihrer Kapitulation vor dem innerparteilichen Widerstand gegen ihre Linie der AIDS-Politik und gegen ihre hoffnungsvollen Überlegungen zur Drogenpolitik. ({2}) Ihre Leistung als Schadensbegrenzungsministerin, als Gegenpol zur bayerischen AIDS-Linie haben wir nie bezweifelt. Ihr mangelndes Durchsetzungsvermögen dafür im Kabinett und in ihrer Fraktion war aber unübersehbar. Die Konsequenzen mußte Frau Süssmuth jetzt ziehen. Den verbalen Bekundungen zufolge hielt Frau Süssmuth Selbsthilfegruppen für wichtige Partner im Gesundheitswesen. ({3}) Nach konservativer Auffassung haben Selbsthilfegruppen aber wohl besonderen Nutzen nur dafür, daß durch sie Geld gespart wird, das dann für angeblich wichtigere Aufgaben ausgegeben werden muß. Es ist aber eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft und der Politik, chronisch Kranke und deren Idealismus uneigennützig zur Stärkung der Betroffenenkompetenz zu fördern, statt sie auszugrenzen. Wir geben Ihnen heute hier die Chance, davon wenigstens etwas wieder aufzuholen, indem Sie unserem Antrag auf Finanzierung einer zentralen Informationsstelle des Deutschen Psoriasis-Bundes für nur 300 000 DM zustimmen. Laut nachgedacht hat Frau Süssmuth über neue Wege in der Drogenpolitik. Wahrscheinlich hat sie sich damit ihre Beförderung „verdient" . Tatsächlich jedoch läuft Drogenpolitik immer noch als Kriminalisierungspolitik und über Strafverfolgung. Die ständig wachsende Zahl der Alkohol- und Medikamentenabhängigen, mit der wir nicht erst seit gestern konfrontiert sind, hat bislang nicht zur Entwicklung neuer, zeitgemäßer Hilfs- und Therapieangebote geführt. Hier muß sich das Ministerium den Vorwurf gefallen lassen, daß der entscheidende Anteil der knappen Gelder in Schadensbegrenzung fließt. Auf dem Gebiet der Verhinderung von Sucht und Abhängigkeit wird immer noch viel zuwenig getan. Statt dessen verFrau Wilms-Kegel dient der Staat an suchtfördernden Maßnahmen erheblich und sichert sich damit eine ergiebige Einnahmequelle. Ich denke an die Zigaretten- und Alkoholsteuer. ({4}) - Wenn Sie möchten, können wir darüber sehr gern diskutieren. Die Bedürfnisse der Bevölkerung werden auch im Gebiet der Naturheilkunde völlig mißachtet, da das Bundesgesundheitsamt und das Arbeitsministerium über die Schiene des Gesundheits-Reformgesetzes die Naturheilkunde ausgrenzen, entgegen allen Beteuerungen aus dem Gesundheitsministerium. ({5}) Es ist unverantwortlich, die Gesundheitspolitik weiterhin dem Hause Blüm zu überlassen. Als Konsequenz fordern die GRÜNEN ein Gesundheitsministerium, das den bisher rein ökonomisch geprägten Gesundheitsverwaltungsbereich dem Hause Blüm abnimmt und mit dem Gesundheitsforschungsbereich des Hauses Riesenhuber und dem Gesundheitsbereich des Hauses Süssmuth vereint. ({6}) Frau Süssmuth hinterläßt als Hoffnungsträgerin aus ihrer Amtszeit aber mehr Fragen als Antworten. Dazu zählen gesundheitspolitische Fehlsteuerungen, dringend ausstehende Gesetze für Psychotherapie, Krankengymnastik, Massage, Heilpraktiker, Heilpraktikerinnen und Naturheilkunde. Aber auch das Nichteingreifen in das unsägliche Gesundheits-Reformgesetz des Herrn Blüm ist eine unterlassene Hilfeleistung der Ministerin gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und daher, wie ich denke, unverzeihbar. ({7}) Hoffnungen hat Frau Süssmuth auch bei den Menschen geweckt, die seit Jahren auf eine angemessene Berücksichtigung ihrer Probleme im Gesundheitswesen hoffen. Aber auch hier bleiben mehr Probleme, als Lösungen gefunden werden. Allerdings müssen wir der Frau Ministerin bescheinigen, daß sie sich bemüht hat, daß bei ihr ein Menschenbild die Politik beherrschte, wie wir es ganz anders bei Herrn Blüm finden. Ich bedaure, daß Frau Süssmuth der Verlockung des Präsidentensessels erlegen ist, ({8}) da ich weit und breit in Ihrer Fraktion keine Nachfolgerin sehe, die ebenso versuchen würde, ein positives Menschenbild in der Politik ihres Ressorts vorherrschen zu lassen. Als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und als gesundheitspolitische Sprecherin meiner Fraktion und als grüne Abgeordnete möchte ich mich bei Frau Süssmuth für die gute, faire und sachliche Zusammenarbeit bedanken. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Link ({0}).

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Haushalt 1989 für die Politikfelder Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zunächst möchte ich feststellen, daß wir einen ausgewogenen Einzelplan 15 - Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit - beraten, ({0}) der ein Steigerungsvolumen von 6,1 % gegenüber dem Vorjahr und eine Gesamtsumme von erstmalig mehr als 20 Milliarden DM aufweist. Wegen der Kürze der Zeit erspare ich es mir, auf die anderen positiven Zahlen des Haushalts einzugehen. Neben den durch die steuerpolitischen Entscheidungen herbeigeführten Leistungsverbesserungen im Bereich der Familie sind die jugendpolitischen Initiativen besonders bedeutungsvoll. Es ist notwendig, jungen Menschen den Einstieg in ihre Lebens- und Arbeitswelt zu erleichtern und die Bemühungen weiter zu verstärken, sie in die Solidargemeinschaft einzubringen. ({1}) Wir müssen jungen Menschen, besonders solchen, die Problemgruppen angehören, weiterhin entsprechende Förderungsprogramme anbieten, ({2}) damit ihnen ihre Lebensperspektive durch Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit nicht verstellt wird. ({3}) Meine Fraktion, die CDU/CSU, begrüßt deshalb das Bundesjugendplanmodell der Bundesregierung arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit. ({4}) Wir hören überall, daß dies gerade von den Jugendverbänden gefordert wird. Wir sind hier also im Gleichklang mit diesen Jugendverbänden. Wenn Sie von der Opposition kritisieren, die Jugendverbände seien unzufrieden: Wir haben ihnen angeboten, mit uns Gespräche zu führen, insbesondere vor dem Haushalt. Es ist keiner gekommen. ({5}) Ich gehe davon aus, daß auch in diesem Jahr durch die Steigerung hier durchaus positive Gesichtspunkte auch von den Jugendverbänden gesehen werden. ({6}) Wie engagiert unsere Jugendlichen sind, zeigt sich auch darin, daß immer mehr junge Menschen nicht nur in pflegerischen und erzieherischen Bereichen eine Betätigung suchen, sondern sich immer mehr der Link ({7}) Lösung ökologischer Probleme wie dem Schutz von Natur und Umwelt zuwenden. Die Einführung eines freiwilligen ökologischen Jahres, wie es von Frau Professor Süssmuth vorgeschlagen wurde, findet unsere volle Unterstützung und wird in entsprechenden Modellprojekten erprobt. Ein erstes Modell wurde bereits am 1. September 1988 in meinem Heimatland Niedersachsen von Ministerpräsident Ernst Albrecht und seiner Landesregierung begonnen. Hier ist ein guter Ansatzpunkt - auch für Zivildienstleistende. Im kommenden Jahr werden 83 000 junge Männer ihren Zivildienst vor allem in der Betreuung kranker und behinderter Menschen, aber auch in ökologischen und anderen dem Allgemeinwohl dienenden Projekten ausüben. Herr Gilges, wenn Sie sich heute morgen hier hinstellen und kritisieren, daß über 100 Teilzeitkräfte ({8}) - 250, noch besser, im Amt für Zivildienst arbeiten, dann war genau Ihre Forderung vor Monaten wegen des Antragstaus - und warum kommt dieser Antragstau, weil viele junge Männer jetzt noch, bevor die Zeit verlängert wird, ihren Dienst tun wollen - , richtig. Aber das Amt stellt sich heute hin und nimmt 250 Teilzeitkräfte auf, um die Frist auf zwei Monate zu verkürzen; das ist heuchlerisch. ({9}) Ich begrüße, daß die Bundesregierung durch die zügige Schaffung von derzeit 96 000 Zivildienstplätzen erreicht hat, daß jeder Verweigerer auch tatsächlich zum Dienst herangezogen werden kann. ({10}) Aufgrund dieser heuchlerischen Meldung heute morgen erlaube ich keine Zwischenfrage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, das Wort „heuchlerisch" wird im Parlamentsgebrauch nicht als parlamentsgemäß angesehen.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Entschuldigung. Ich ersetze das durch „falsche Aussage". Wie unsere Soldaten, die mit ihrem Dienst unsere friedliche Ordnung schützen, verdienen auch die Zivildienstleistenden unseren Respekt und unsere Anerkennung für ihre Arbeit am hilfsbedürftigen Menschen. Ein wichtiges Anliegen, das unserer Unterstützung bedarf, ist die Hilfe bei der Eingliederung von Aussiedlern. Angesichts der wachsenden Zahl von jungen deutschstämmigen Aussiedlern aus Ostblockstaaten ist ihre persönliche, berufliche und soziale Integration eine zentrale jugendpolitische Aufgabe. Alle erzieherischen Hilfen sollen dabei auf der örtlichen Ebene geschehen. Dies sagt unser neues Jugendhilferecht. ({0}) Ich denke, wir müssen alle engagiert mit diesem Referentenentwurf, der jetzt zur Anhörung bei den Ländern ist, bei den kommunalen Spitzenverbänden - und hier meine ich wirklich alle, das gesamte Parlament - dafür Sorge tragen, daß wir dieses neue, moderne Jugendhilferecht noch in dieser Legislaturperiode verabschieden können. Wenn Sie hier kritisieren, Frau Kollegin Schmidt, denken Sie an

Not found (Kanzler:in)

Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Jugendhilferecht. Es ist dreizehn Jahre nichts geschehen; es ist jedenfalls kein Gesetz vorgelegt worden, das annehmbar gewesen wäre. ({0}) Ich möchte jetzt einige Bemerkungen zur Gesundheitspolitik machen, insbesondere zur Suchtproblematik und zu dem in diesem Jahr entbrannten Streit über die Naturheilverfahren. ({1}) - Nun hören Sie gut zu. Ich meine, wir müßten auch hier gemeinsam arbeiten. Seit langem ist in der Bundesrepublik Deutschland die Frage darüber entbrannt, ob für Langzeitdrogenabhängige und in besonderen lebensgefährlichen Situationen, um nicht zu sagen: in Verelendungssituationen, befindlichen Menschen der Einsatz von Methadon erlaubt werden soll. Meine Fraktion hat mit den verschiedensten Fachleuten und der Ärzteschaft darüber diskutiert und ist in völliger Übereinstimmung mit der Bundesministerin Frau Professor Süssmuth zu der Auffassung gekommen, daß über eine erweiterte Indikation nachgedacht werden muß. ({2}) Eine erweiterte Indikation träfe für solche Menschen zu, die in der Verelendung leben. Methadon-Programme lehnen wir ab, denken aber darüber nach, ob wir für Einzelfallhilfe für solche Menschen - ich sage das noch einmal - , die in der Verelendung leben, sein können. ({3}) Diese Einzelhilfen müssen wissenschaftlich, pädagogisch und psychologisch so begleitet werden, als ob es sich hier um eine Therapie ohne Methadon handeln würde. Zu den Naturheilverfahren stelle ich fest: Auch hier haben wir vor wenigen Tagen mit Vertretern des Bundesgesundheitsamtes, der Hufeland-Gesellschaft und der physikalischen Therapie gesprochen. Es war ein gutes Gespräch. Ich habe mit meiner Arbeitsgruppe den Eindruck, daß hier ein neuer Anfang gemacht wird und daß die Fronten aufgeweicht sind. Ich denke, die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, daß wir Naturheilverfahren in Zukunft genauso behandeln wie die Schulmedizin. ({4}) Es ist noch eine Irritation durch eine angebliche Äußerung der Bundesministerin über die Zulassung von Hasch eingetreten. Wir sind uns mit der Bundesministerin darüber einig, daß sie diese Aussage nie Link ({5}) gemacht hat. Ihr ging es lediglich darum, festzustellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland durch die Gerichtsbarkeit unterschiedlich bestraft wird, wenn Hasch vorgefunden wird. Also: eindeutige Ablehnung unserer Fraktion, gemeinsam mit der Bundesministerin. Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz zum Schluß folgendes sagen: Heute morgen ist die Bundesministerin hier für ihre Arbeit in den vergangenen Jahren gewürdigt worden. Wir schließen uns dieser Würdigung an. Wir bedanken uns ganz besonders bei Frau Süssmuth, daß wir eine so hervorragende Zusammenarbeit mit ihr und dem Ministerium in unserer Arbeitsgruppe hatten. Ich schließe meine Bemerkungen heute morgen mit folgenden Sätzen ab, damit doch einmal sehr deutlich wird, welche Leistungen Frau Süssmuth für die ganze Bundesrepublik Deutschland erbracht hat: Frau Ministerin Süssmuth - das ist nicht nur die Auffassung meiner Arbeitsgruppe, sondern der gesamten CDU/ CSU-Fraktion - ist zum Symbol für engagierte Frauenpolitik, gerechte Familienpolitik, zukunftsoffene Jugendpolitik und verantwortungsvolle Behandlung schwieriger gesundheitlicher Probleme geworden. Wir wünschen Frau Professor Süssmuth für ihr neues hohes Amt eine glückliche Hand und Gottes reichen Segen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Meinen Redebeitrag heute habe ich unter die Überschrift gestellt: „Der Unterschied zwischen Repräsentation und Durchsetzung von Politik" oder auch „der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit des BMJFFG". Ich bin mir mit Waltraud Schoppe häufig einig, aber heute hat sie an dieser Stelle neben vielem Richtigen etwas Falsches gesagt. Sie hat gesagt, daß sie Macht ablehnt - ich gebe es jetzt mit meinen Worten wieder. Macht kann selbstverständlich etwas mit Korruption und Intrigen zu tun haben. Aber ich beklage die Machtlosigkeit dieses Ministeriums. ({0}) Ich reklamiere Macht für Frauenpolitik, die bisher nicht da war. ({1}) Frau Pack, wir sind uns ja einig. Auch ich finde, Frau Süssmuth ist eine sympathische Frau. ({2}) Ich mag sie. Nur, der Durchbruch in der Frauenpolitik ({3}) ist nicht das Verdienst von Frau Süssmuth, sondern Ihr Verdienst genauso wie das von Waltraud Schoppe, wie das von Annemarie Renger, die hinter mir sitzt, wie das von Herta Däubler-Gmelin, ({4}) wie das von Helga Timm, die hier sitzt, und das von Ingrid Matthäus-Maier, von Ursula Männle, von Frau Berger, von Frau Schwarzhaupt, von Frau Adam-Schwaetzer, die ich jetzt nicht mehr sehe. Ich nenne im Moment nur einmal die, die ich sehe. Das ist selbstverständlich auch ein Erfolg von Ihnen, Frau Verhülsdonk. Dieser Durchbruch ist ein Verdienst der Frauenbewegung der 68er Jahre. Frau Süssmuth hat selbstverständlich Anteil daran, daß der Stellenwert von Frauenpolitik in dieser Republik gestiegen ist. Aber die Durchsetzung von Frauenpolitik hat sie nicht geschafft. Das ist der Punkt, und darauf müssen wir beharren. ({5}) Ich möchte heute mit Ihnen nicht wieder fruchtlose Diskussionen darüber führen, ob und, wenn ja, mit welchen familien-, jugend-, gesundheits- und frauenpolitischen Ergebnissen im nächsten Jahr ein Kassensturz kommen wird. Ich möchte Sie nicht wieder wie in der ersten Lesung des Haushaltes zu Aussagen provozieren, die dann prompt vom Bundesfinanzminister und vom Koalitionspartner korrigiert werden. Ich bin mir zudem vollkommen sicher, daß Ihnen im nächsten Jahr irgendein familienpolitisches Wahlbonbonchen einfallen wird und Sie damit auf die Vergeßlichkeit von Menschen setzen und davon ablenken werden, daß sechs Jahre - darauf beharre ich - außer Umverteilung nichts stattgefunden hat. ({6}) Ich sage Ihnen jetzt noch einmal: Ich halte den Erziehungsurlaub für richtig. Ich halte es für falsch, daß mit BAföG Erziehungsurlaub bezahlt wird. Das halten wir für falsch, und dabei bleiben wir. ({7}) In der ersten Lesung des Haushalts wurde mir vorgeworfen, ich würde laufend entweder Geld oder Gesetze anmahnen. Ich will dem heute Rechnung tragen und mich darauf beschränken, die vom Ministerium für sich oder für die Bundesregierung erhobenen Forderungen zu reklamieren, erhoben vor mehr als einem Jahr, im Juli 1987. Zitat aus Ihrem Forderungskatalog, Herr Pfeifer: Das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz muß insgesamt zu einem wirksamen Instrument zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau am Arbeitsplatz entwickelt werden. Das BMJFFG wird sich für wirksame Sanktionen, für die Beweislast des Arbeitgebers, für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Ehe- und Familienstandes einsetzen. Das würde übrigens alles keinen Pfennig kosten. Nun frage ich: Was ist aus diesem Anspruch des Frauenministeriums geworden? Wird diesem Anspruch endlich eine vergleichbare Wirklichkeit folgen? Wenn ja: Wann? Wenn nein: Warum nicht? Frau Schmidt ({8}) Ein zweites Zitat - nicht von uns, sondern aus dem Forderungskatalog Ihres Ministeriums; Frau Pack hat das heute ja schon erwähnt - lautet: Die Bundesregierung bereitet zur Zeit einen Gesetzentwurf vor. Die Vergewaltigung in der Ehe soll in § 177 des Strafgesetzbuches aufgenommen werden, um die strafrechtliche Ungleichbehandlung zwischen außerehelicher und ehelicher Vergewaltigung zu beseitigen. Und weiter: Das Ministerium wird sich vor allem mit der Lösung von Finanzierungsproblemen der Frauenhäuser befassen. Und die Wirklichkeit? Es gibt keinen Gesetzentwurf. Statt dessen werden Gesetzentwürfe von uns mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Derzeit ist nur eine absurde Verquickung des Problems von Gewalt in der Ehe und der Frage der Verschärfung des § 218 festzustellen. Nicht festzustellen ist dagegen, wie die Finanzierungsprobleme der Frauenhäuser gelöst werden können. Das ist einer der Punkte: Probleme aufzuzeigen und zu beklagen, darauf darf sich manchmal - nicht allzuhäufig - die Opposition beschränken. Wer regiert, hat die Aufgabe und die Pflicht, Lösungen anzubieten. ({9}) Diese Regierung, diese Koalition haben die Frauenministerin in viel zu vielen Fällen im Regen stehen gelassen. ({10}) Ich glaube ja ihren Forderungen, aber durchgesetzt wurden sie nicht. Sie wollten die Situation Alleinerziehender verbessern durch einen verbesserten Zugang zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch die Übernahme der Kinderbetreuungskosten bei Fortbildungsmaßnahmen, durch die Erweiterung des Freistellungsanspruchs bei Krankheitsbetreuung des Kindes. Wie sieht es in Wirklichkeit aus? - Fehlanzeige. Nicht nur für alleinerziehende Frauen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt verschärft. Novellen des Arbeitsförderungsgesetzes, zu denen das Frauenministerium geschwiegen hat, haben den Zugang zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und zu Rehabilitationsmaßnahmen verschärft. Dort sind sie weiter unterrepräsentiert. Noch nie gab es so viele arbeitslose Frauen wie zu Ihrer Regierungszeit, regelmäßig über der Millionengrenze. ({11}) - Die zutreffende Behauptung, Frau Pack, daß auch mehr Frauen in Beschäftigung sind, bedeutet leider nur, daß einerseits immer mehr Frauen in ungeschützte Arbeitsverhältnisse ausweichen ({12}) und sich andererseits das Arbeitsvolumen für Frauen absolut in Stunden nicht erweitert hat. ({13}) Was wollten Sie, Herr Staatssekretär, doch alles zur Frauenförderung im öffentlichen Dienst prüfen und tun. ({14}) Gibt es inzwischen den angekündigten Kriterienkatalog zur Frauenförderung des Bundes? Wird sich, wie beabsichtigt, etwas verbessern? Oder wurde der Anspruch auf eine effektive Frauenförderung im öffentlichen Dienst des Bundes zwischenzeitlich endgültig aufgegeben? Gibt es eigentlich eine einzige vernünftige Begründung dafür, daß ausgerechnet im ersten Frauenministerium auf Bundesebene bis heute kein Frauenförderplan existiert? ({15}) Sie sagen, die Bundesregierung werde dazu beitragen - hier zitiere ich wieder - , daß Frauen bei ihrer Berufsrückkehr künftig stärker unterstützt würden, und wollten erreichen, daß mehr Frauen an bezahlten Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen könnten, das Informations- und Beratungsangebot für Frauen verbessert werde, bei den Arbeitsämtern Frauenbeauftragte eingerichtet würden. Das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes sollte verbessert werden und nicht so verschlechtert, wie es Herr Blüm beabsichtigt. ({16}) Hier wird der Anspruch erhoben, eines der derzeit wichtigsten Probleme von Müttern zu lösen, nämlich nach einem Zeitraum der Kinderbetreuung wieder in den Beruf zurückkehren zu können. ({17}) Eingelöst wird dieser Anspruch mit absolut unzureichenden Mitteln. Wieder einmal werden Frauen mit Modellvorhaben abgespeist, statt ihnen endlich den Anspruch auf Requalifizierung zu verschaffen. Ganze 5 Millionen DM pro Jahr sind für ein Modellvorhaben vorgesehen für die rund 700 000 Berufsrückkehrerinnen, ({18}) die sich nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zusätzlich zu den registrierten arbeitslosen Frauen - zusätzlich zu den registrierten arbeitslosen Frauen! - im letzten Jahr vergeblich um Erwerbsarbeit bemüht haben. Dies bedeutet einen Betrag von genau 7,14 DM pro Kopf. Sieben Mark ist Ihnen die Verbesserung der Rückkehrmöglichkeiten einer Frau ins Erwerbsleben wert - sieben ganze Mark! Und das noch als Modell und nicht als gesetzlicher Anspruch! Nirgendwo ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit größer als an dieser wichtigen frauenpolitischen Stelle. ({19}) Und wie steht es mit den Frauenbeauftragten bei den Arbeitsämtern? Leider bleibt auch das eine Farce. Ernannt wurden sie wohl. Aber wie das so ist bei dieser Regierung: Kompetenzen bekamen sie nicht, und Zeit, um sich - wie Sie es wollten - den Interessen aller Frauen, besonders den der Berufsrückkehrerinnen, zu widmen, wurde ihnen in ihren Aufgabenfeldern ebenfalls nicht zugestanden. Meine Damen und Herren, eines werde wir nicht reklamieren. Nicht reklamieren werden wir das Schwangerenberatungsgesetz. Wir hoffen, daß das Ministerium hier genauso untätig bleibt wie in anderen Fällen. ({20}) Wir gehen davon aus, daß die Memminger Strafprozesse die notwendige Sensibilisierung herbeigeführt haben, um weniger über Vorschriften und Strafen nachzudenken, sondern endlich mehr über Hilfen für diese Frauen. ({21}) - Wir werden sehen, ob Sie es vorlegen. Die Tendenzen schauen so ungünstig nicht aus, daß es dieses Gesetz nie geben wird. Reklamieren müssen wir aber die Untätigkeit in der Frage des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Auch hier besteht zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine immer größer werdende Kluft. Von Federführung - da haben Sie nämlich nicht nur eine Mitfederführung, sondern da sind Sie federführend - in Sachen Lebensmittelrecht kann nach wie vor nicht die Rede sein. ({22}) Die haben sie den Herren Kiechle und Töpfer überlassen, die sich insofern in einer Interessenkollision befinden. Deshalb wurde die Federführung ja dem Gesundheitsministerium übertragen, nicht etwa dem Umweltministerium oder dem Landwirtschaftsministerium. Aber von Federführung kann, wie gesagt, nicht die Rede sein. Ob es nun um die Strahlenbelastung von Lebensmitteln oder um den Hormonskandal geht: Die Bürger haben ein Recht auf unbelastete Lebensmittel. Sie haben übrigens auch ein Recht auf giftfreies Kinderspielzeug. Hier warte ich seit längerer Zeit, Herr Staatssekretär, immer noch auf Ihre Antworten. Von Ihrem Ministerium ist auf diesem Gebiet in dieser Legislaturperiode trotz Ankündigungen nicht eine einzige Initiative zu verzeichnen. ({23}) - Ich habe Ihren Zwischenruf akustisch nicht verstanden. - Die Erkenntnis, was änderungsbedürftig ist, reicht ebenso wenig wie das Artikulieren von Forderungen. Wenn frau dem Anspruch, regieren zu wollen, gerecht werden will, dazu gehören die Führung und die Verwaltung eines Ministeriums und seiner Behörden ({24}) - selbstverständlich -, ({25}) dazu gehören Delegation und Erfolgskontrolle, so haben wir das Gefühl, daß die - hoffentlich! - Nachfolgerin - das „-in" wird von uns fünfmal unterstrichen - , die ein schwieriges Erbe anzutreten hat, hier erfolgreicher sein wird als ihre Vorgängerin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Politik ist eben mehr als Repräsentieren. Politik ist auch mehr als sensibles und sympathisches Argumentieren. Politik ist das Durchsetzen von Ideen. Erst dann nähern sich Anspruch und Wirklichkeit. Erst dann wird diesem Ministerium die lange vermißte Glaubwürdigkeit zuteil werden. Wir werden dem Ministerium im nächsten Jahr - genauso wie in den vergangenen Jahren - ganz konkrete Gelegenheiten geben, endlich Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Das von uns erarbeitete Gleichstellungsgesetz wird der erste Prüfstein im neuen Jahr dafür sein. Heute haben wir viele Dankesworte gehört. Auch ich bedanke mich für die sympathische Art, in der man miteinander umgegangen ist. Nur, ich hatte heute in bezug auf Teile Ihrer Fraktion schon etwas den Eindruck - nicht was Sie angeht, Frau Pack; das kam aus vollem Herzen - , daß die Erfolglosigkeit und die Machtlosigkeit auch dadurch entstanden sind, daß die vielen Männer in Ihrer Fraktion mit der Frauenpolitik von Frau Süssmuth nichts anfangen konnten. ({26})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Politikbereich, für den der Haushaltsplan des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit steht, behandeln will, wird feststellen, daß viele wichtige Gesetzesvorhaben, die die Jugend, die Familie, die Frauen und den Gesundheitsbereich sehr nachdrücklich betreffen, von diesem Ministerium nicht federführend erstellt werden. Aber dennoch ist vom Ministerium und von dem dazugehörigen Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Einfluß gefordert. Meine Damen und Herren, diesen Einfluß hat Frau Minister Süssmuth mit Erfolg ausgeübt. ({0}) Das kann trotz der vielen anderen Worte, die hier gefallen sind, nicht vertuscht werden. Gerade weil ein Wechsel in diesem Ministerium bevorsteht und es sich um den Haushalt für das nächste Jahr handelt, will ich hier im Parlament einige Anmerkungen als Merkposten für die noch nicht bekannte Nachfolgerin oder für den noch nicht bekannten Nachfolger machen. Ich möchte Fragen zum Thema Rentenreform stellen, hier insbesondere zu Eimer ({1}) dem Plan, Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung für Kinder anzuerkennen, die ab 1986 geboren wurden. Wenn solche Leistungen aus der Rentenversicherung gezahlt werden sollten, was ich für richtig halte, dann können diese zusätzlichen Leistungen nicht auf einmal eingeführt werden, ganz gleich, ob das heute geschieht oder ob die Wirksamkeit der Zahlungen erst in 40 Jahren zu spüren ist. Dies muß in einem langsamen Übergang geschehen, nämlich aus den Rentensteigerungen und nicht aus der Substanz der Rentenversicherung. Es stellt sich die weitere Frage - das betrifft dieses Ministerium - , ob wir durch das Stichjahr 1986 nicht eine neue Gruppe - ich sage das ausdrücklich in Anführungszeichen - von „Trümmerfrauen" schaffen, und das, wie ich meine, ohne Not. Wenn wir diese Leistung aus der Rentenversicherung finanzieren wollen, dann ist es gleich, ob diese Leistung heute oder erst in 40 Jahren wirksam wird. Darüber hinaus scheue ich mich, heute etwas zu beschließen, dessen Realisierung erst in 40 Jahren wirksam wird, d. h. unsere Kinder und vor allem unsere Enkel betrifft. Ich komme zu dem Stichwort AIDS. Der Weg der Aufklärung, der Selbstverantwortung, den dieses Ministerium geht, ist auch unser Weg. Aber nach Selbstverantwortung darf man nicht nur dann rufen, wenn sie nichts kostet, wenn diese Verantwortung nicht eingefordert wird. Ein Vorfall hat den Weg der Aufklärung in Schwierigkeiten gebracht. Ich denke an das Urteil von Nürnberg und die Bestätigung durch Karlsruhe und die Reaktion der Deutschen AIDS-Hilfe. Damit kein Zweifel entsteht: Wer andere der Gefahr aussetzt, bewußt oder fahrlässig, sich mit einer tätlichen Krankheit anzustecken, der macht sich strafbar, ganz gleich, wieviel Schuld auch derjenige hat, der angesteckt worden ist. Ich halte die Entscheidung von Nürnberg und die Bestätigung des Urteils für richtig. Ich kann nicht nur dann Verantwortung tragen wollen, wenn sie mich nichts kostet, weil mein Test negativ ausfällt. Ich war bestürzt über den Aufruf der Deutschen AIDS-Hilfe, vom HIV-Test abzuraten, weil ein Infizierter wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilt wurde. Es muß doch wohl selbstverständlich sein, daß jemand, der bewußt oder fahrlässig andere ansteckt, sich strafbar macht, und es muß doch wohl selbstverständlich sein, daß jeder, der annimmt, infiziert zu sein, so viel Verantwortungsgefühl besitzt, sich testen zu lassen und durch Verhaltensänderung andere nicht zu gefährden. Der Aufruf der Deutschen AIDS-Hilfe ist ein Aufruf zum Egoismus, zur Verantwortungslosigkeit und gefährdet das AIDS-Konzept dieser Regierung. ({2}) Ja, er provoziert sogar harte Maßnahmen. Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Beitrag von Frau Conrad sagen. Frau Conrad, wenn ich sage, was Sie hier gemacht haben, war ein leichtfertiger Umgang mit Zahlen, ist das sehr schmeichelhaft. Ich sage, Sie haben die Zahlen verfälscht. ({3}) - Ich bin gerade dabei. Sie haben die Zahlen als Summe genannt, und Sie müssen auch wissen, wie die Geburtenentwicklung in unserem Land ist. Die Geburtenzahlen haben sich fast halbiert. Ich möchte Sie bitten, die gleichen Zahlen noch einmal vorzutragen, umgerechnet pro Kopf derjenigen, die begünstigt sind. Ich möchte auch gern haben, daß Sie bei diesen Zahlen das berücksichtigen, was steuerlich gemacht worden ist. ({4}) - Meine Redezeit ist bald zu Ende, Herr Kollege, ich kann nicht mehr darauf eingehen. Die Lampe leuchtet schon auf. Ich möchte darauf hinweisen, daß Sie gesagt haben, daß Bezieher geringer Einkommen von Freibeträgen nichts haben. Sie haben dabei aber ganz vergessen, daß diese Bundesregierung dabei einen Sockelbetrag eingeführt hat. ({5}) Sie wissen auch, daß ich gegen diese Lösung war. Aber ich kann es einfach nicht akzeptieren, daß man so wie Sie mit der Wahrheit umgeht. ({6}) Die rote Lampe leuchtet auf. Ich hätte ganz gern noch etwas über die moralisierende Rede von Frau Fuchs gesagt; das geht leider nicht mehr. Ich darf abschließend sagen, daß ich diese paar Merkzettel noch auf den Schreibtisch des neuen Ministers oder der neuen Ministerin legen wollte und daß wir dem Haushalt zustimmen werden. Vielen Dank. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst sagen, daß der Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit für eine außerordentlich erfolgreiche Politik steht. ({0}) Wir haben eine Steigerungsrate von 6,1 %; es handelt sich jetzt um den viertgrößten Haushalt. Er übersteigt erstmals 20 Milliarden DM. Ich möchte allen, die diesen Einzelplan mitgestaltet haben, den Berichterstatterinnen und Berichterstattern im Haushaltsausschuß, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den für die Aufstellung des Haushalts verantwortlichen Ministerien, zunächst einmal herzlich danken. Nun ist von der Opposition - das war nichts anders zu erwarten - an dieser Politik Kritik geübt worden. Ich möchte zu einzelnen Punkten etwas sagen, zunächst einmal zum Thema Frauenpolitik: Frau Schoppe hat von der Macht oder vielleicht auch von der Ohnmacht der Frauenpolitik gesprochen. Frau Schmidt hat gemeint, daß der Durchbruch nicht geschafft worden sei. Meine Damen und Herren, ich meine, ein entscheidender Punkt ist, daß Frau Süssmuth in der Politik für die Frauen in breitem Umfang eine Veränderung von Bewußtsein, eine Änderung von Einstellungen und eine Änderung von Verhalten erreicht hat, ich sage ausdrücklich: auch bei uns in der Unionsfraktion. ({1}) Sie hat den Frauen Selbstbewußtsein gegeben, und sie ist für viele das Symbol einer Politik des neuen Stils, des Aufeinanderzugehens, der Sensibilität und der Offenheit geworden. Meine Damen und Herren, dies ist und bleibt ihr Erfolg weit über ihre Amtszeit als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hinaus. ({2}) Zweiter Punkt: Familienpolitik. Mit der Erhöhung der Kinderfreibeträge und der Einführung des Kindergeldzuschlages, mit der Einführung des Erziehungsgeldes, mit den Verbesserungen zugunsten alleinerziehender Mütter und mit einer ganzen Reihe weiterer familienpolitischer Leistungen haben wir die Einkommenssituation der Familien mit Kindern seit 1985 spürbar verbessert. ({3}) Wenn Sie uns nun dagegenrechnen, daß die Etatansätze für das Kindergeld zwischen 1985 und 1989 zurückgegangen sind - nicht weil wir gekürzt haben, sondern als Folge der demographischen Entwicklung - , dann sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Es bleibt unter dem Strich immer noch übrig, daß 1989 verglichen mit 1985 für die Familien mit Kindern Mehrleistungen von ca. 11 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Das ist nun doch wirklich eine familienpolitische Bilanz, die sich sehen lassen kann. ({4}) Dann komme ich auf den nächsten Punkt zu sprechen: Die Einführung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub war, meine Damen und Herren, eine familienpolitische Großtat. ({5}) Die Kinderpsychologen und die Kinderärzte sagen uns zu Recht, daß kaum etwas für die Entwicklung eines Kindes wichtiger ist als die Zuwendung der Eltern, vor allem der Mutter, in den ersten Lebensjahren des Kindes. Nach den uns vorliegenden Zahlen haben 1988 über 97 % der Eltern nach der Geburt ihres Kindes von der Möglichkeit des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs Gebrauch gemacht. Das heißt, in 97 % der Familien haben die Mutter oder der Vater auf Erwerbstätigkeit verzichtet und diese Zeit dem Kind gegeben. Wir haben damit diesen Vätern und Müttern einen Weg geöffnet, auf dem sie wenigstens im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes aus der Doppelbelastung von Familie und Beruf herausfinden können. ({6}) Wir haben eine ganze Reihe von Bundesländern ({7}) - von der CDU regierte Bundesländer - , die inzwischen ein zweites Erziehungsjahr ermöglichen. Ich würde mir wünschen, daß alle Länder diesem Beispiel folgen würden, und vor allem, daß es uns gelingt, in einer nächsten Phase - darauf komme ich noch zu sprechen - , auch für ein drittes Lebensjahr Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub zu erreichen. Das ist in meinen Augen Familienpolitik, die auf die Dauer gesehen unserer Gesellschaft guttut. ({8}) Damit bin ich bei den familienpolitischen Prioritäten für die Zukunft: Frau Conrad hat zu Recht - ich habe das erwartet - den Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen und das Votum, das von ihm abgegeben worden ist, hier eingeführt. In der Tat: Nach dem Inkrafttreten der dritten Stufe der Steuerreform 1990 werden Kinderlose, die vorher auch höher besteuert worden sind, stärker entlastet werden als z. B. Alleinerziehende oder Ehepaare mit Kindern. Aber, meine Damen und Herren, genau deshalb wurde in der Koalitionsvereinbarung von 1987 festgeschrieben, daß wir in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode, also 1989, über die Erhöhung des Kindergeldes ab dem zweiten Kind entschieden werden. ({9}) Bei diesem Zeitplan bleibt es. In diesem Zeitplan haben für uns, wie es in der Regierungserklärung vom März 1987 angekündigt ist, die Verbesserung des Kindergeldes und die Ausdehnung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub die erste Priorität. ({10}) Wir werden an diesem Zeitplan festhalten. Nun muß aber - auch das ist hier in der Debatte gesagt worden - Politik für die Familien nicht nur den Weg zu Erziehungsurlaub und Erziehungszeiten öffnen; Politik für die Familien muß vor allem für die Frauen, die in ihrem Lebensplan Familie und Beruf miteinander verbinden wollen, den Weg aus der Familienphase zurück in den Beruf öffnen. Für viele Frauen, die nach einer längeren Familienphase in den Beruf zurückkehren wollen, ist es heute Realität, daß sie z. B. infolge der rasanten technologischen Entwicklung in nahezu allen Berufen wenn überhaupt, dann nur unter großen Schwierigkeiten dort wieder anknüpfen können, wo sie ihr Berufsleben unterbrochen haben. In vielen Fällen bedeutet für sie die Rückkehr in den Beruf die Übernahme einer Tätigkeit, die eindeutig unter dem bereits einmal erworbenen Qualifizierungsniveau liegt. Für junge Familien, vor allem für junge Frauen, ist gerade diese Perspektive absolut unbefriedigend. Genau deshalb, meine Damen und Herren, werden wir mit diesem Haushalt ein Sonderprogramm „Zweiter Start in den Beruf" beginnen, für das nicht 5 Millionen DM zur Verfügung stehen, wie hier gesagt worden ist, sondern für das wir insgesamt 30 Millionen DM einsetzen werden. Wir werden in einem fünfjährigen Modellprojekt Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen, umfassend über Beruf splanung vor allem in zukunftsorientierten Berufen, aber auch über Lehrgänge zur beruflichen Qualifizierung und über neue Beschäftigungsmöglichkeiten informieren und sie in solche Beschäftigungen vermitteln. ({11}) Das Thema Frauenarbeitslosigkeit ist angesprochen worden. Auch dazu möchte ich etwas sagen. Zur Bilanz der Politik von Frau Süssmuth gehört, daß 1987 zum erstenmal seit 1983 der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen wieder reduziert worden ist, obwohl jährlich bis zu 320 000 Frauen aus der Familie in den Beruf zurückkehren. Das zeigt doch, meine Damen und Herren, daß wir auch in dieser Hinsicht auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen ihn verstärkt fortsetzen. Ein wichtiger Hebel ist dabei ein qualifizierter Ausbau der Teilzeitarbeit. Hier ist in meinen Augen die Situation am unbefriedigendsten, denn 23 000 offenen Stellen stehen über 328 000 Teilzeitarbeitsplatzsuchende gegenüber. Ich meine, wenn in anderen Ländern der Anteil der Teilzeitarbeit wesentlich höher ist als bei uns, dann müssen wir es auch bei uns erreichen, daß mehr Teilzeitarbeit zur Verfügung gestellt wird. ({12}) Dann möchte ich etwas zur Jugendpolitik sagen. Herr Gilges, eine Kürzung der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für junge Arbeitnehmer wird es nach Ansicht der Koalitionsfraktionen nicht geben. Ein entsprechender Antrag der Koalitionsfraktionen liegt dem federführenden Ausschuß inzwischen vor. ({13}) Zum zweiten. Das für die Jugendförderung 1989 bereitgestellte Finanzvolumen wird gegenüber den ursprünglichen Ansätzen für 1988 um fast 130 Millionen DM anwachsen. Auch das ist doch eine Zahl, die sich sehen lassen kann. Wenn Sie das Thema Aussiedler angesprochen haben: Der größte Teil dieser zusätzlichen Mittel kommt der beruflichen, der kulturellen und der gesellschaftlichen Eingliederung von jungen Aussiedlern zugute. Das ist eine bewußte Entscheidung, die wir bei der Aufstockung dieser Mittel getroffen haben. ({14}) Aber wir werden auch neue Initiativen im gesamten Bereich der Jugendpolitik in Gang setzen. Ich meine, daß neben der politischen Jugendbildung die kulturelle Jugendbildung und die Jugendsozialarbeit einen höheren Stellenwert bekommen müssen. Gerade in der Zeit des technologischen Wandels sind kulturelle Bildung und Jugendsozialarbeit ein ganz wichtiges Element in der Jugendförderung. ({15}) Wir werden Modellversuche mit einem freiwilligen ökologischen Jahr starten und finanzieren. Und wir werden die Möglichkeit schaffen, daß ein freiwilliges soziales Jahr künftig auch im Ausland abgeleistet werden kann. ({16}) Meine Damen und Herren, vor allem ist es unsere Absicht, das Jugendhilfegesetz zu novellieren. ({17}) Wir haben einen Referentenentwurf vorgelegt. Die Resonanz auf diesen Referentenentwurf ist überaus positiv. Ich bin sicher, daß es uns gelingen wird, diesen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode auch zur Verabschiedung zu bringen. ({18}) Das derzeit geltende Jugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahre 1922 geht von der überholten Konzeption aus, daß die Jugendhilfe erst tätig wird, wenn die Familie und die Jugendlichen sich bereits in einer schweren Krise befinden und Kinder in Heimen und Pflegefamilien untergebracht werden müssen. Wir wollen ein Jugendhilferecht, welches dazu beiträgt, daß durch rechtzeitige Beratung und Hilfe die Krise erst gar nicht entsteht, ein Jugendhilferecht, welches die Erziehungskraft und die Erziehungskompetenz von Familien stärkt und das den Kindern und Jugendlichen das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft erleichtert. Meine Damen und Herren, ich möchte schließlich noch etwas zum Thema Gesundheitspolitik sagen. Für die Politik unseres Ministeriums in allen Bereichen - aber das gilt in ganz besonderem Maße für den Bereich der Gesundheitspolitik - gilt: Schaden verhindern ist allemal humaner, sozialer und finanziell vernünftiger, als eingetretene Schäden im nachhinein zu reparieren. ({19}) Aus diesem Grunde gehört zur Bilanz der Politik der letzten Jahre gerade im Gesundheitsbereich, daß es Frau Süssmuth gelungen ist, daß die gesundheitliche Vorbeugung heute in der gesamten Gesundheitspolitik einen wesentlich höheren Stellenwert erreicht hat als je zuvor. Dies kommt z. B. darin zum Ausdruck, daß nach der Gesundheitsreform jährlich 1 Milliarde DM mehr für Prävention zur Verfügung stehen wird. Es kommt aber genauso darin zum Ausdruck, daß das Gesundheitsbewußtsein unserer Bevölkerung enorm zugenommen hat und daß die Nachfrage nach den von uns und den von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung erarbeiteten Informationsmaterialien stärker ist als zuvor. ({20}) In diesen Zusammenhang gehört es auch, daß sich nach den großen Erfolgen der naturwissenschaftlichen Medizin, nach den Fortschritten in der Chirurgie und in der Arzneimitteltherapie das Bedürfnis nach ergänzenden naturgemäßen Arzneimitteln neu und verstärkt meldet. Wir erleben eine Renaissance der Naturheilmittel. Ich kann das nur unterstützen. Hier geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern hier geht es um ein Sowohl-Als-auch. ({21}) Deswegen haben wir diese besonderen Therapierichtungen auch im Gesundheits-Reformgesetz verankert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Saibold?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Präsident, ich möchte das gerne im Zusammenhang zu Ende führen. ({0}) Ich möchte nämlich noch etwas zu dem sagen, was Frau Kollegin Schmidt zum Gesundheits- und zum Verbraucherschutz gesagt hat. Frau Kollegin Schmidt, das ist so, wie Sie es darstellen, nicht richtig. In den zurückliegenden Jahren ist eine Reihe auch von wichtigen rechtlichen Regelungen in diesem Bereich zustande gekommen. Die Neuordnung des Fleischhygienerechts beispielsweise hat heute modellhaften Charakter für die gesamte Europäische Gemeinschaft. ({1}) Und auf der EG-Ebene wurden das Verbot der Verwendung von bebrüteten Eiern und das Verbot von Hormonen zur Wachstumsförderung von dieser Bundesregierung erreicht und durchgesetzt, nicht von den vorherigen Bundesregierungen. ({2}) Vor dem Abschluß steht die Umsetzung der neuen milchhygienischen Regelungen der Europäischen Gemeinschaft - ein Problem, das auch schon zu Ihren Zeiten ein Thema gewesen ist, dessen Abschluß Sie aber in Ihren Zeiten ebenfalls nicht erreicht haben. Allein während unserer Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft sind zehn Richtlinien und gemeinsame Standpunkte im Bereich des Lebensmittelrechts erarbeitet worden. Das ist mehr als in den Präsidentschaften zuvor. Auch das ist ein Erfolg der Politik von Rita Süssmuth. ({3}) Weiter ist hier das Thema AIDS aufgegriffen worden. Dazu möchte ich sagen, weil es zur Bilanz unserer Politik gehört, daß unsere Strategie bei der Bekämpfung von AIDS erfolgreich ist. Die Reichweite der Aufklärungsmaßnahmen ist größer geworden. Der Informationsstand in der Bevölkerung, wie man sich gegen Infizierungen schützen kann, hat sich deutlich verbessert. Die Bereitschaft, AIDS-Infizierten mit Toleranz zu begegnen und sie nicht zu diskriminieren, steigt. Bei der Zahl der Kranken und der Infizierten gibt es Anzeichen dafür, daß die Entwicklung nicht den düsteren Hochrechnungen früherer Jahre folgt. Das sind positive Signale, allerdings Signale, die uns nicht beruhigen, sondern die wir als Aufforderung verstehen, mit allen Kräften die eingeschlagene Strategie und den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. ({4}) Wir sind in den zurückliegenden Jahren in der Jugendpolitik, in der Familienpolitik, in der Frauenpolitik und in der Gesundheitspolitik ein gutes Stück vorangekommen. ({5}) Vor uns steht als weitere Aufgabe beispielsweise die Gentechnologie. Es muß unser Ziel sein, die in der Gentechnik begründeten Chancen in vielfältigen Lebensbereichen zu entwickeln, zugleich aber unvertretbare Risiken für Mensch, Tier und Umwelt auszuschließen. Wir sind dabei, ein umfassendes Gesetz zur Anwendung gentechnischer Methoden in Forschung und Entwicklung und in der Produktion, zum Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen sowie zu deren Freisetzung zu erstellen. Eine Grundsatzentscheidung des Kabinetts über die zu erarbeitenden Eckwerte für ein solches Gesetz ist vorbereitet und steht unmittelbar bevor. Wir sind - auch das macht das Beispiel Gentechnologie deutlich - in einer Zeit des tiefgreifenden technologischen und industriellen Wandels, mit dem im übrigen ein genauso tiefgreifender sozialer und kultureller Wandel einhergeht. Diesen Wandel human zu gestalten, die Chancen, die in ihm liegen, zu nutzen, die Gefahren und Risiken zu meiden, ihn zum Ausgangspunkt für mehr soziale Gerechtigkeit werden zu lassen, dies ist die Aufgabe, mit der unser Ministerium in allen seinen Politikbereichen mehr und mehr Verantwortung für die Bewältigung unserer Zukunftsprobleme übernommen hat. Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat heute diese Bedeutung, eine Bedeutung für die bewegenden sozialen und politischen Fragen der Zukunft gewonnen. Und dies ist das Verdienst von Rita Süssmuth. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Die Abgeordnete Frau Conrad hat gebeten, nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung zu einigen Abstimmungen abgeben zu können.

Margit Conrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000334, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich will kurz eine Erläuterung abgeben, wie unser Abstimmungsverhalten zu den Anträgen der GRÜNEN aussehen wird. Ich sage ganz klar: Wir machen das davon abhängig, ob es möglich war, diese Anträge in den Beratungen des Haushaltsausschusses und in den Berichter7752 stattergesprächen intensiv zu beraten. Ich denke, dies müßte nicht nur dem Selbstverständnis eines einzelnen Abgeordneten - also hier meinem -, sondern auch dem aller - ich meine, auch der GRÜNEN - entsprechen, die sich mit Haushaltsfragen beschäftigen. Ich gebe zu: Viele der Anträge, die jetzt hier vorliegen, haben vorgelegen, und wir konnten sie intensiv beraten, so daß ich heute entsprechend meinem Gewissen darüber entscheiden kann. Es gibt aber auch Anträge, die bei uns zwar durchaus auf Sympathie stoßen, die wir aber nicht beraten konnten. Ich werde sie deswegen heute ablehnen, weil es nicht möglich war, sie inhaltlich, vom Finanzvolumen oder auch von der Deckungsmöglichkeit her intensiv zu diskutieren. Ich weiß, daß das nicht immer unbedingt auf die Berichterstatterinnen zurückzuführen ist, sondern daß das manchmal auch ein internes Problem der GRÜNEN ist. ({0}) Ich halte es also für wichtig, daß das hier klargestellt wird. Denn ich würde mir nicht gerne nachsagen lassen, daß ich in einigen Bereichen, z. B. im Bereich der Jugend, Gelder nicht bewilligen würde, denen ich nach einer intensiven Beratung mit Ihnen zusammen vielleicht gern zugestimmt hätte. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich nach der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufe. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3364? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3365? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3366? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3367? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3426? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3427? Ich bitte ums Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist die gleiche Mehrheit wie beim vorherigen Antrag, die diesen Antrag abgelehnt hat. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3428? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Es ist die gleiche Mehrheit, die auch diesen Antrag abgelehnt hat. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3429? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Auch dies ist die gleiche Mehrheit, die zur Ablehnung führt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe nun auf: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - Drucksachen 11/3214, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Müller ({0}) Dr. Friedmann Dr. Weng ({1}) Kühbacher Kleinert ({2}) Dann rufe ich auch noch auf: Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - Drucksache 11/3226 Berichterstatter: Abgeordnete Diller Kalb Rossmanith Kleinert ({3}) Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3360 bis 11/3363 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3414 vor. Meine Damen und Herren, auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Einzelpläne 14 und 35 90 Minuten vorgesehen. Ich stelle fest, daß es dazu keinen Widerspruch gibt; dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße ganz ausdrücklich die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in den Hochhäusern an ihren Fernsehschirmen jetzt dieser Debatte folgen; denn man kann ja nicht verlangen, daß bei der Ausführlichkeit unserer Debatte jeder jeKühbacher derzeit hier im Plenum ist, weil manche Post noch erledigt werden muß. Wenn wir uns heute mit dem Verteidigungsetat befassen, liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist es, denke ich, eine ganz glückliche Situation, daß oben auf der Tribüne junge Soldaten sitzen. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, meine Herren, Sie hier herzlich zu begrüßen ({0}) und mich symbolhaft bei Ihnen für den Dienst, den Sie leisten oder leisten müssen, zu bedanken. Ich bitte Sie, den Gruß an Ihre Ausbilder weiterzureichen, die ihren Dienst im Interesse der Sache leisten. Einen schönen Gruß an Ihre Standorte! ({1}) Meine Damen und Herren, wenn wir uns jetzt mit dem Verteidigungsetat befassen - 53,3 Milliarden DM -, dann ist es, glaube ich, ganz gut, uns daran zu erinnern, worüber wir heute morgen diskutiert haben: über den Sozialetat mit einem Volumen von 66 Milliarden DM oder über den Familien- und Jugendetat mit einem Volumen von 20 Milliarden DM. Das zeigt in etwa die Spannungsbreite dieser großen Ausgabenblöcke auf, die - auch wenn es so nicht gewollt und gewünscht ist - im Rahmen des Gesamthaushalts vergleichend nebeneinander oder gegeneinander gestellt werden. Bevor ich mich mit Ihnen, Herr Minister Scholz, als Sachverständigen für Ihren Bereich auseinandersetze - ich bedanke mich, daß Sie uns Gelegenheit geben, unseren Dialog, den Sie mit dem Haushaltsausschuß ja sehr kritisch führen, hier im Plenum fortzusetzen; wir werden heute wenig über Tiefflug oder Betriebsstoffe sagen, weil Sie ja sachverständige Gesprächspartner im Verteidigungsausschuß haben; wir werden uns hier über größere Summen unterhalten -, möchte ich doch einige Dinge vorwegschicken, die etwas mit der sozialdemokratischen Standortbeschreibung zum Bundeswehrhaushalt 1989 zu tun haben. Aus unserer Sicht ist dieser Haushalt gekennzeichnet durch wachsende Ressourcenprobleme, durch die demographische Entwicklung, durch die wegen der unabweisbaren anderen Staatsaufgaben zunehmend angespannte gesamte Haushaltslage und nicht zuletzt auch durch die unvertretbaren Kostensteigerungen moderner Waffen und Waffentechnologien. Diese zwingen zu einer Umstrukturierung der Bundeswehr. Eine neue Bundeswehrstruktur muß zudem der Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage innerhalb der Bündnisblöcke entsprechen und zur Lösung von Akzeptanzproblemen unserer Landesverteidigung in der Bevölkerung beitragen. Eine neue Bundeswehrstruktur muß für Streitkräftereduzierungen, die sich aus Fortschritten bei den Abrüstungsverhandlungen ergeben, offen sein. Die Bundeswehrstruktur muß bei Beschaffungsund Rüstungsplanungen Auswirkungen auf die Rüstungskontrollpolitik und auf das sicherheitspolitische Umfeld mit sorgfältigem Augenmaß berücksichtigen. Eine Bundeswehrstruktur muß auf den Grundsatz einer strukturellen Angriffsunfähigkeit so ausgerichtet sein, daß die Staaten des Warschauer Paktes aufgefordert werden können, diesem von ihnen erklärten Ziel in gleicher Weise zu entsprechen. Wir haben dabei eine sogenannte Pilotfunktion. Beiderseitige Beschränkungen der Verteidigungsvorkehrungen auf die Priorität wirksamer konventioneller Vorneverteidigung sollen einen weitgehenden Abbau der zum Angriff fähigen Großverbände und der dazu geeigneten Ausrüstung ermöglichen. Herr Minister, wir erwarten von Ihnen, daß Sie Anstöße für ein umfassendes Abrüstungs- und Rüstungskontrollkonzept der NATO geben. Dies ist genauso unerläßlich wie die Abstimmung einer neuen Bundeswehrstruktur mit unseren Bündnispartnern. Das Augenmerk muß verstärkt auf die Reform militärischer Vorkehrungen des Bündnisses und auf solche bündnisgemeinsamen Rüstungskontrollinitiativen gelegt werden, mit denen die Allianz auf Fortsetzung des mit dem INF-Vertrag eingeleiteten Abrüstungsprozesses bei konventionellen Streitkräften und Nuklearwaffen drängen kann. Rüstungs- und Kontrollplanung des Bündnisses müssen hierfür aufeinander abgestimmt werden und auf dieses sicherheitspolitische Ziel ausgerichtet sein. - So weit, kurz gefaßt, unsere politische Standortbestimmung zum Bundeswehrhaushalt und den vor uns liegenden Aufgaben. Nun zu Ihnen, Herr Verteidigungsminister Scholz. Eine Regierung und eine Koalition, die immer mehr Geld für offensivfähige Waffensysteme wie Flugzeuge, Panzer und Raketen ausgibt, muß sich nicht wundern, wenn die Zustimmung der Bevölkerung zu Verteidigungsfragen abnimmt. ({2}) Insbesondere die mangelnde Akzeptanz junger Menschen in unserem Staat, was Verteidigungsfragen im Verbund der NATO angeht, ist von den riesigen, nicht erklärbaren Summen geprägt, die dieser militärisch-industrielle Komplex verschlingt. 53,3 Milliarden DM sind nicht mehr faßbar. ({3}) - Natürlich, Herr Müller, es ist nur ein Aspekt, aber wir müssen uns damit beschäftigen. - Der Verteidigungsminister verhandelt im NATO-Bereich über die Modernisierung nuklearfähiger Kurzstreckenraketen und Luft-Boden-Raketen. Er verlangt immer mehr Geld für immer teurere Waffensysteme und wundert sich, wenn innerhalb der Bundeswehr selber das Projekt Jäger 90 immer heftiger kritisiert wird. - Ich beklage mich nicht, daß der Herr Bundesminister der Verteidigung nicht zuhört. Offensichtlich ist das eine Retourkutsche auf meinen vorhergehenden Angriff. Aber er kann sich hier im Parlament so verhalten, wie er will. Noch eklatanter wird die Ablehnung, die ein Etat mit 53,3 Milliarden DM erzeugt, wenn man - wie ich das jetzt bewußt tue - die Ausgaben in diesem Etat in das Verhältnis zu den Ausgaben für Bildung und Wissenschaft setzt. Der Verteidigungsetat ist nach der Regierungsübernahme durch den Bundeskanzler Kohl von 44 Milliarden DM um 9,3 Milliarden DM auf 53,3 Milliarden DM angewachsen. Das sind jedes Jahr 1,3 Milliarden DM zusätzlich. In der gleichen Zeit - und das bei steigenden Studentenzahlen und steigender Nachfrage nach Ausbildungsplätzen - ist der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft von 4,5 Milliarden DM auf 3,55 Milliarden DM abgesenkt worden bzw. in diesen sieben Jahren jedes Jahr um 130 Millionen DM verringert worden. Ich sage es einmal ganz brutal: Allein aus den Steigerungsraten des Verteidigungsetats unter der Kanzlerschaft Kohl hätte der Bildungshaushalt dreimal finanziert werden können. ({4}) Für das Überlastprogramm - so haben wir gestern abend gehört - sieht der Finanzminister keinen finanziellen Spielraum, obwohl es unabweisbar ist. Ich denke, die Akzeptanz dafür gerade bei jungen Leuten wird hier kaum zu erreichen sein. Wundern wir uns also nicht, wenn immer weniger junge Leute Vertrauen in die Bundesregierung haben. Wir Sozialdemokraten bemühen uns um dieses Vertrauen ({5}) - natürlich bemühen wir uns - und haben deshalb im Verteidigungsausschuß Kürzungsanträge gestellt, mit denen der Verteidigungsbereich ohne eine größere Beeinträchtigung weiterarbeiten könnte. Wir wollen deutlich machen, daß wir aus den offensivfähigen Waffensystemen herausgehen wollen. Allein das Kapitel betreffend Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung verdient eine gesonderte Betrachtung auch in einem Zeitvergleich. 1982 im Rechnungsabschluß enthielt dieses Kapitel 1,7 Milliarden DM. In der siebenjährigen Kanzlerschaft von Bundeskanzler Kohl hat sich dieser Etat auf 3,039 Milliarden DM fast verdoppelt. Mit den Ausgaben in diesem Bereich - das weiß jeder Fachmann unter uns, Herr Kollege Wimmer - von jährlich 3 Milliarden DM werden die neuen Waffensysteme der 90er Jahre entwickelt. ({6}) - Sie bezeichnen das als hervorragend; ich sage Ihnen: Wer Abrüstungswillen nach außen dokumentiert - ich komme nachher noch einmal auf Ihr Schlagwort zurück - , wer bei Wahlen mit dem Motto „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" antritt, der muß sich fragen lassen, wenn er allein für die Entwicklung neuer Waffensysteme den Ansatz verdoppelt, ob er überhaupt noch gesprächsfähig ist. ({7}) Ich sage Ihnen noch einmal: Wie ist denn die exorbitante Steigerung in diesem Etat damit zu vereinbaren, meine Damen und Herren, daß Sie im Verteidigungsausschuß den Antrag meines Kollegen Klejdzinski, der beantragt hat, für 800 000 DM eine Studie zur Kontrolle konventioneller Truppenreduzierung zwischen Atlantik und Ural mittels eines Verifikationssatelliten in Auftrag zu geben, einen Antrag mit vergleichsweise niedrigen Ausgaben, abgelehnt haben? Sie sagen, daß in einem Etat, in dem 3 Milliarden DM für Waffensystemforschung vorgesehen sind, nicht 800 000 DM übrig sind, um eine Studie für einen Verifikationssatelliten in Auftrag zu geben. Ich sage Ihnen: Dies erhöht das Maß Ihrer Unglaubwürdigkeit. Ein Kollege aus dem Haushaltsausschuß hat von diesem Pult aus einmal ausgeführt, daß die Zahlen die politische Wahrheit an den Tag bringen. Ich denke, der Steigerungsbetrag allein in diesem Rüstungsforschungsbereich von 1,3 Milliarden DM zeigt, daß es der Bundeskanzler mit seiner Aussage „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" nicht so ernst gemeint haben kann. ({8}) Denn wer 3 Milliarden DM jährlich mehr für militärische Entwicklungen ausgibt und sie damit vorbereitet, ist bei der Behauptung unglaubwürdig, Abrüstungsbereitschaft zu zeigen. Der Änderungsantrag meiner Fraktion ist also konsequent, wenn wir in diesem Kapitel, über das ich gerade spreche, gezielt den gesamten Titelansatz für die Entwicklung des Jäger 90 zur Streichung vorschlagen. Wir werden nachher in namentlicher Abstimmung dem Antrag der GRÜNEN, der eine niedrigere Nummer als unser Antrag hat, welcher danach zur Abstimmung steht, zustimmen. ({9}) 560 Millionen DM werden 1989 für den Jäger 90 bereitgestellt. Umweltschutzinvestitionen sind allemal notwendiger als die Entwicklung dieses neuen Jagdflugzeuges. ({10}) Meine Damen und Herren, die Lebenswegkosten - ich muß es jedem einzelnen Abgeordneten immer wieder sagen - hat die Hardthöhe selber mit 52,4 Milliarden DM zu Preisen vom 31. Dezember 1987 bekanntgegeben. Ich habe hier das Entscheidungsblatt LCC zu dem Projekt Jäger 90 auf dem Tisch. Es endet mit 52,431 Milliarden DM, und das bei festgesetzten Preisen. Wenn wir also bei 25 Jahren Lebenswegdauer einen normalen Preisverfall von nur 4 %, wie er im Rüstungsbereich ja leider üblich ist, annehmen - das ist niedrig; in der Vergangenheit haben wir 6 und 7 % erlebt - , dann kommen wir leicht zu einem Gesamtkomplex von über 100 Milliarden DM für den Jäger 90. Dies - ich sage es einmal burschikos - ist Wahnsinn. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Walther, gerne.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Kollege Walther.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kühbacher, nachdem Sie ja hier die von der Hardthöhe selber vorgegebenen Zahlen vorgelesen haben, darf ich Sie fragen, wie Sie die Äußerung des Bundesministers der Verteidigung bewerten, daß diese von mir zuerst genannte Zahl reines Geschwafel sei. ({0})

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Walther, an der Hilflosigkeit mancher Erklärungsversuche zeigt sich ja, daß es entweder mangelnde Glaubwürdigkeit ist, ({0}) die von der Hardthöhe ausgeht, oder daß es eine Erklärung der von ihr gewählten Industriepolitik ist. Die Hardthöhe hat uns ja eine schriftliche Bestätigung geliefert. Ich glaube nicht, das der Verteidigungsminister Scholz dieses Papier zurückziehen will. ({1}) Meine Damen und Herren, ich sage für die SPD-Fraktion: Es ist unverantwortlich, dieses Waffensystem zu entwickeln und zu beschaffen. Der partielle Ausstieg der spanischen Regierung und der spanischen Industrie aus dieser Systementwicklung beweist, daß wir als Bundesrepublik gut beraten wären, wenn auch wir uns lieber heute als morgen aus dieser Entwicklungsentscheidung verabschieden würden. Wir werden nach einer Regierungsübernahme 1990 diesen Entwicklungsvertrag kündigen. ({2}) - Ich sage das nur klar, damit jeder Bescheid weiß. Herr Kollege Friedmann, der Jäger 90 ist und bleibt die Achillesferse des gesamten Wehretats. Jeder Verantwortliche hier im Raum weiß, daß dahinter nicht allein die Notwendigkeit einer militärischen Bedrohung, sondern auch eine Koalitionsentscheidung steht, die mehr auf der industriepolitischen Seite ihre Erklärung findet. Mein Kollege Walther hat es in der „Wirtschaftswoche" doch treffend beschrieben: Es war Ihre Entscheidung als Eintrittsgeld der Bundesregierung für die Schmiedung des Rüstungskonzerns Mercedes-MBB. Damit bin ich bei einem zweiten Themenkomplex, der jetzt, glaube ich, erhöhte Aufmerksamkeit von uns als Haushältern verdient. Wer sich wie wir Verteidigungs- und Haushaltsleute die militärischen Entwicklungs- und Erprobungsetats und die Einzelvorhaben etwas näher ansieht und die Firmen kennt, die in diesem Bereich tätig sind, weiß, daß wir es nunmehr auf dem Markt allein bei der militärischen Entwicklung mit einem Anbieter zu tun haben, der in der Lage ist, zwischen 60 und 70 % aller Entwicklungsaufträge an sich zu ziehen. Wer weiß denn schon in Deutschland, daß dieser neue Rüstungskonzern in der Lage ist, komplette Marinesysteme zu bauen, Schiffe herzustellen und sie militärisch auszurüsten, Luftüberwachungssysteme im Nachrichtenbereich zu planen und zu installieren und den Lastwagenbau für die Bundeswehr praktisch komplett durchzuführen? Wer weiß denn, daß man in einem solchen Betrieb, wenn man das wirtschaftlich genau nachprüfen will, die Verlagerung von Kostenblöcken bei den sogenannten Selbstkostenpreisen kaum nachkontrollieren kann? Künftig wird jede mittelständische Konkurrenz durch diesen Konzern ausgeschaltet ({3}) oder aber zu Preisangeboten genötigt werden, die sie in eine unmittelbare Abhängigkeit von diesem Konzern bringen. Wer sich künstlich über den Begriff „militärischindustrieller Komplex" aufregt, gibt nur zu, daß wir als Parlament ob dieser Angebotsmacht wahrscheinlich nur noch hilflos den geschlossenen Regierungsverträgen zustimmen können. Ich denke, es ist ein Skandal, daß die Bundesregierung und der liberale Wirtschaftsminister einer solchen Angebotskonzentration nicht nur die Hände reichen, sondern diese Angebotskonzentration ganz entscheidend unterstützen. In diesem Zusammenhang muß ich erwähnen, daß es auch der Wirtschaftsminister ist, der dem Wunsch des Haushaltsausschusses, stellvertretend für dieses Parlament, auf Nachprüfung von Selbstkostenpreisen in den Firmen über einen Kabinettsbeschluß entgegengetreten ist und sich hiermit als verlängerter Arm der baden-württembergischen und der bayerischen Landesregierung gezeigt hat. Herr Bangemann und Herr Staatssekretär Schlecht, die diesen Kabinettsbeschluß im Winter letzten Jahres herbeigeführt haben, haben damit Herrn Tandler Tribut gezollt. Sie wollen nicht erlauben, daß der Bundesrechnungshof autonom die aus Steuergeldern gezahlten Selbstkostenpreise nachprüft. Ich denke, wir haben stellvertretend für den Steuerzahler zu verlangen, daß eine selbständige Prüfungsbehörde bei den Firmen, die erlaubterweise auf der militärischen Seite zwischen 4 und 6 % Gewinn verbuchen dürfen, die Berechnung der Selbstkostenpreise überprüft. ({4}) Wer nichts zu verbergen hat, meine Damen und Herren, wer 4 bis 6 % Gewinn auf seine Kosten garantiert bekommt, muß doch geradezu ein Interesse daran haben, daß seine Selbstkosten kritisch überprüft werden. Ich kann den Wirtschaftsminister Tandler nicht verstehen, ich kann Wirtschaftsminister Bangemann und seinen Staatssekretär Schlecht nicht verstehen, die unter dem Vorwand von Prinzipien hier mauern. Meine Damen und Herren, dieser Rüstungskonzern hat auch den Auftrag für 35 ECR-Tornados erhalten. Auch dafür gibt es für uns keine militärische Notwendigkeit. Allein 650 Millionen DM werden im nächsten Jahr beim Einzelplan des Verteidigungsministers für diese weitere offensivfähige Waffengeneration eingestellt. Ich denke, es ist richtig, daß wir als Sozialdemokraten mit unserem Antrag auch hier eine komplette Streichung wünschen. Es gibt einen weiteren Kostenblock, mit dem ich mich beschäftigen möchte, der jedenfalls aus meiner Sicht mit dem Bundeswehrhaushalt nicht direkt und notwendigerweise etwas zu tun hat. Es geht darum, daß wir 225 mal die neue Leopard-2-Generation be7 756 schaffen, obwohl die Division in Sigmaringen bereits komplett mit Leopard-1-Fahrzeugen ausgerüstet ist. Was steckt dahinter? Es wird mit den NATO-Partnern Türkei und Griechenland vereinbart, die vorhandenen Panzer der Bundeswehr zu übernehmen. Sie werden mit Geldern aus dem Wehretat auch noch umgerüstet. Was ist der eigentliche Grund? Der Grund ist, daß die Panzerindustrie der Bundesrepublik Deutschland weiter produzieren kann. ({5}) - Ich habe ja nichts dagegen, daß es NATO-Partner sind. Ich wehre mich dagegen, Kollege Friedmann, daß der Verteidigungsetat, bei dem es an anderen Ecken und Enden kneift, 1 Milliarde DM für den Leopard 2 zusätzlich hergeben muß, weil Industriepolitik betrieben wird, denn die Bedrohungslage in Mitteleuropa erfordert dieses nicht. ({6}) Diese Milliarde für den Leopard 2, die nicht der Bedrohungslage entspricht, fehlt z. B. bei der Unterbringung der Soldaten, bei der Herrichtung von Wirtschaftsräumen. Dieses Geld fehlt bei der Modernisierung von Kasernen. Genau das ist der Punkt, über den wir zu reden haben. Sie wissen doch selbst, daß dieser Ansatz um 200 Millionen DM jährlich verringert wurde. Meine Damen und Herren, ich habe hier einen Zeitungsartikel - es ist ja interessant, wenn man einmal das „Handelsblatt" liest - , in dem der Vorstandsvorsitzende von Krauss-Maffei unverblümt sagt: Er erwartet für seinen Konzern, daß sich Bonn entscheidet, ob die Panzerindustrie weiter benötigt wird. - Es ist ein legitimes Recht, sich so in der Öffentlichkeit zu äußern. Er sagt auch: Er könnte sich einen Konzernumsatz von 1 Milliarde DM jährlich im Bereich der Wehrtechnik gut vorstellen. Das bedeutet, daß der Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland über Panzerbau und Waffenbau die Erhaltung dieser Sparte des Konzerns garantieren soll. Ich denke, Herr Minister, es ist zu hinterfragen, ob wir in diesem Komplex künftig nicht besser europäisch arbeiten. Ich sage dazu als Sozialdemokrat: Wir brauchen für die Bundeswehr und insbesondere für das Heer keine offensivfähigen Systeme, sondern Abschreckungssysteme, die auch dem einzelnen Soldaten ein Gefühl der Sicherheit geben. Um es plastisch auszudrücken: Wir brauchen keine nuklearfähigen Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von fast 500 Kilometern, sondern wir brauchen Flugabwehrraketen wie die Stinger. Wir brauchen keine Panzersysteme - wie den Leopard 2 - , sondern wir brauchen Panzerabwehrwaffen wie die Milan und die Panzerfaust. Für das Nötigste reicht es derzeit nicht. Meine Damen und Herren, ich habe eben angedeutet: Im Unterbringungsbereich kneift es an allen Ekken und Enden. Die Kollegen im Verteidigungs- und Haushaltsausschuß haben dies bestätigt. 40 Millionen DM werden dafür erfreulicherweise - aber das ist natürlich viel zu wenig - zusätzlich bereitgestellt. Herr Kollege Müller, Sie müssen sich ja, wie ich höre, im Saarland dafür verteidigen, daß ein bestimmtes Gebäude nicht gebaut werden kann und auch in der Finanzplanung nicht mehr vorgesehen ist. Es ist nun einmal so: Wenn man in diesem Bereich innerhalb eines Planungszeitraumes von fünf Jahren eine Milliarde herauskürzt, dann bleiben solche Objekte auf der Strecke. Sie haben das, Herr Müller, ob Sie es wollen oder nicht, durch Ihre Zustimmung zum Etat mitzuverantworten. ({7}) Herr Minister Scholz, ich gehe davon aus, daß Sie sich von den Unterbringungsproblemen einzelner unserer Soldaten in den Standorten schon überzeugt haben und daß Sie wissen, daß es dort kneift. Deshalb sind hier Führungsentscheidungen notwendig, die diesen Bereich betreffen, anstatt für die Rüstungsindustrie Löcher freizuschlagen. Ich denke, es muß uns alle im Parlament - und Sie besonders - nachdenklich machen, wenn in der Truppe geflachst wird. Angeblich, so sagen die Soldaten, wenn man sich mit ihnen direkt während einer Wehrübung oder auch sonst unterhält, steht der Mensch im Mittelpunkt. Wissen Sie, wie das bei den Soldaten im Jargon heißt? Es heißt: Der Mensch ist Mittel - Punktum! - Meistens haben solche Dinge einen Kern von Wahrheit. ({8}) Herr Würzbach, das bedeutet doch überhaupt nicht, daß ich das bestreite. Das müßte doch gerade für Sie ein Ansporn sein, andere Schwerpunkte zu setzen. Aber genau das Gegenteil ist doch der Fall. ({9}) Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß kommen. Herr Minister, wir haben das Gefühl, daß der Verteidigungsetat 1989 und auch die Finanzplanung immer mehr in einen Rüstungsetat hineinwachsen, daß immer mehr Großprojekte die Situation der 500 000 Soldaten zu erdrücken drohen. Wir lehnen den Verteidigungsetat 1989 ab, weil wir diese Konsequenz sehen, Herr Minister, und nicht etwa, weil Sie Minister sind. Ich danke Ihnen schön, Herr Präsident. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich sehe, daß der Wehrbeauftragte seinen Platz eingenommen hat. Ich glaube, da viele von uns wissen, welche Krankheit er überstanden hat, dürfen wir ihn heute besonders herzlich begrüßen. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier und in den Büros, meine Damen und meine Herren! Der Verteidigungshaushalt ist in der Tat, verehrter Kollege Kühbacher, auch im nächsten Jahr der zweitgrößte Einzeletat im Bundeshaushalt. Es war nicht ganz leicht, einen so großen Haushalt intensiv zu beraten. Deshalb möchte ich an den AnDr. Friedmann fang gleich einen mehrfachen Dank stellen. Ich bedanke mich vorweg beim Verteidigungsministerium, namentlich bei Prof. Scholz und Staatssekretär Timmermann ({0}) dafür, daß sie immer bei Beratungen zur Verfügung standen. Ich bedanke mich in zweiter Linie bei den Kollegen der Verteidigungsgruppe. Wir hatten eine Reihe kritischer Diskussionen, die aber letztendlich alle gut ausgingen. ({1}) - Vielen Dank, Willy Wimmer. Ich bedanke mich insbesondere auch beim Bundeskanzler persönlich. ({2}) Er hat sich in mehreren Besprechungen intensiv mit dem Verteidigungshaushalt befaßt und dabei immer wieder betont, welchen Stellenwert er der Bundeswehr beimißt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es mir nicht angerechnet wird, gerne.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedmann, Sie haben gerade dem Verteidigungsminister dafür gedankt, daß er bei Beratungen immer zur Verfügung gestanden hat. Können Sie mir denn zustimmen, daß es bei den Beratungen am 9. und 10. so war, daß der Verteidigungsminister um 23 Uhr in den Haushaltsausschuß zitiert werden mußte, weil er nicht anwesend war, sein Sachverstand aber gefragt war?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jungmann, der Verteidigungsminister kam in jener Nacht auf unsere Bitte hin und stand hinterher zeitlich unbegrenzt zur Verfügung. ({0}) Nun, meine Damen und Herren, dieser Haushalt - Herr Kühbacher hat darauf hingewiesen - hat einen Umfang von 53,3 Milliarden DM. Herr Kühbacher hat eine Beziehung zu anderen Einzelplänen hergestellt, wie z. B. zum Sozialhaushalt und soeben auch zum Haushalt für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Es wird ja immer suggeriert, wir würden für Soziales kaum mehr ausgeben als für Verteidigung. Tatsächlich muß man aber wissen, daß soziale Ausgaben auf allen politischen Ebenen geleistet werden, nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern, bei den Kreisen und bei den Gemeinden. Unser Sozialbudget liegt bei 630 Milliarden DM, während die Verteidigungsausgaben rund 63 Milliarden DM betragen. Das heißt, die Verteidigungsausgaben machen ein Zehntel des Sozialbudgets aus. Auf eine Mark Verteidigungsausgaben kommen zehn Mark Sozialausgaben. ({1}) Wir geben also für die äußere Sicherheit ein Zehntel von dem aus, was wir für innere Sicherheit ausgeben. Diese Relation ist mir wichtig, und deshalb wollte ich darauf hingewiesen haben. Die Steigerung liegt diesmal bei 3,8 %. Das sind 1,9 Milliarden DM. Zugegeben, dies ist ein beachtlicher Betrag. Erstmals nach drei Jahren steigen die Ausgaben des Verteidigungshaushalts wieder real. Dies war gewollt - ich sage dies ausdrücklich -; um aber Mißverständnissen vorzubeugen, füge ich hinzu: Von diesen 1,9 Milliarden DM entfallen 1,2 Milliarden DM auf den personellen Bereich. ({2}) Dazu kommen dann noch 250 Millionen DM für Materialerhaltung und andere Dinge mit der Folge, daß wir heute den Beschaffungsanteil, den Materialanteil im Verteidigungshaushalt, zugunsten des Personalanteils zurückgedrängt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ({0})? - Bitte schön.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedmann, wenn Sie die Dimensionen von Sozialhaushalt und Verteidigungshaushalt vergleichen, wie können Sie dann erklären, daß in diesem Verteidigungshaushalt geringfügige Mehrausgaben für soziale Zwecke innerhalb der Bundeswehr, z. B. für eine Vorziehung der Wehrsolderhöhung oder für eine vernünftige Dienstzeitregelung, nicht unterzubringen war? Warum war das denn nicht möglich? ({0})

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben für eine vernünftige Dienstzeitregelung 197 Millionen DM eingeplant. Diese Mittel stehen zur Verfügung. ({0}) Wir haben auch an anderer Stelle das Geld für soziale Dienste und Leistungen erhöht. Sie lenken durch Ihre Frage in die falsche Richtung ab. ({1}) Mir liegt hier an einer weiteren Feststellung: Es gibt ja den Bundeswehrplan, in dem die Bundeswehr immer wieder zusammenträgt, was sie für nötig hält. Man muß natürlich den Verteidigungshaushalt und die mittelfristige Finanzplanung, die ja das Machbare aufzeigt, in Relation dazu sehen. Wichtig ist, daß im nächsten Jahr und in den folgenden Jahren der Bundeswehrplan bis auf 1 oder 2 % durch den Haushalt und durch die Finanzplanung abgedeckt ist, d. h. im Verwaltungsvollzug ist auch dies noch hereinzuholen. Im wesentlichen ist also der Bundeswehrplan durch die Finanzplanung der nächsten Jahre abgedeckt. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß das unter dem Gesichtspunkt der langen Beratungen, die wir noch vor uns haben, irgendwann auf Ihre Redezeit angerechnet wird. Diese Zwischenfrage rechne ich noch nicht an. Bitte schön, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedmann, wenn Sie auf der einen Seite die Heeresplanung 2000 und auf der anderen Seite die Luftwaffenplanung nehmen, stimmen Sie dann mit mir darin überein, daß in den nächsten Jahren ein Betrag in der Größenordnung von 35 Milliarden DM fehlt, wenn man die Ansprüche, die irgendwo artikuliert sind, niederschreibt und auflistet? ({0})

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Klejdzinski, ich möchte Ihnen antworten, daß der Bundeswehrplan selbstverständlich Forderungscharakter hat. Es sind nie alle Wünsche erfüllbar. Sie haben vorhin durch Ihren Kollegen für die ganze SPD kritisieren lassen, daß dieser Haushalt zu hoch sei. Jetzt, ein paar Sätze später, legen Sie dar, daß er eigentlich zu niedrig sei. Sie müssen sich einmal einigen, was eigentlich stimmt. ({0}) Ich möchte in der Kürze der Zeit noch drei wichtige Punkte ansprechen. Eben sind kritische Anmerkungen zum Jäger 90 gemacht worden. Herr Kollege Walther und Herr Kollege Kühbacher, Sie haben mit Ihren Zahlenangaben - der „Spiegel" ist Ihnen da gefolgt - in der Öffentlichkeit wiederholt den Eindruck erweckt, als würde dieses Waffensystem 100 bis 150 Milliarden DM kosten. ({1}) Ausgangslage ist folgendes - ich möchte Ihre Berechnungsgrundlage einmal aufzeigen - : Was sind die Entwicklungs-, die Beschaffungs- und die Lifecycle-Kosten, Preisstand Dezember 1987? Sie haben vorhin einen Betrag genannt, der bei gut 50 Milliarden DM liegt. Sie berufen sich dabei auf die Hardthöhe. ({2}) Sie haben diesen Betrag von sich aus dennoch, ohne es zu begründen, auf 70 Milliarden DM erhöht, ({3}) haben ihn dann über 20 Jahre mit 4,3 % hochgerechnet. Falsch ist an dieser Rechnung erstens, daß Sie 20 Jahre lang mit jährlich 4,3 % rechnen; denn das Geld, das jetzt für die Entwicklung ausgegeben wird, braucht nicht mehr fortgeschrieben zu werden. ({4}) Das ist ein einfacher mathematischer Fehler. Zweitens ist an Ihrer Rechnung falsch, daß Sie 4,3 für jedes Jahr unterstellen. Der Preissteigerungsindex auf diesem Gebiet liegt nämlich niedriger. ({5}) Ein ganz entscheidender Punkt ist: Sie haben die Life-cycle-Kosten für den Jäger 90 in Ihre Rechnung hineingenommen, haben aber versäumt, im gleichen Ausmaß die Life-cycle-Kosten der Phantom-Flugzeuge herauszunehmen, die ja Zug um Zug ersetzt werden. Nach Ihrer Rechnung, Herr Walther und Herr Kühbacher, müßte ein VW Golf, der sonst 20 000 DM kostet, 150 000 DM kosten. Das ist Ihre Rechnung. ({6}) Wir wollen in der Öffentlichkeit jetzt aber auch kein falsches Bild erzeugen. Das eigentliche Politikum des Verteidigungshaushalts ist seine Höhe, ist sein Plafond. Daran werden wir von den Verbündeten gemessen, weil darin zum Ausdruck kommt, was uns die Verteidigung unserer Freiheit wert ist. Wenn wir bereit sind, genug zu tun, tun es auch die Verbündeten. Von daher ist es erst zweitrangig, was mit dem Geld im einzelnen getan wird. ({7}) Wichtig ist der Plafond. Beim Jäger 90 wollen wir doch ehrlich sein: ({8}) Seit Jahren ist ein Flugzeug dieser Art, verehrter Herr Wieczorek, in der Planung der Luftwaffe enthalten. Wenn wir ein amerikanisches Flugzeug gekauft und das angepaßt hätten - das wissen Sie genau -, wäre es doch genauso teuer gekommen wie der Jäger 90. ({9}) Wenn gesagt wird, man sollte ganz darauf verzichten, man sollte sich auf eine Raketenabwehr spezialisieren: Wir haben das im Haushaltsausschuß besprochen. Das Ergebnis mag viele überraschen: Eine bodengestützte Raketenabwehr kostet ein Mehrfaches des Jägers 90 ({10}) und erfordert zusätzlich 70 000 Soldaten, die wir gar nicht haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Kühbacher.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedmann, ich will Ihre letzten Worte ausdrücklich bestätigen: daß wir das besprochen haben. Wollen Sie mir auch bestätiKühbacher gen, daß weder Ihnen noch mir die uns vom Verteidigungsminister Scholz in der Nachtsitzung zugesagten Berechnungsunterlagen bis heute zugegangen sind?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nicht zugegangen, da haben Sie recht, Herr Kühbacher. Aber wenn Sie daraus jetzt ableiten wollen, das, was ich dargelegt habe, sei nicht zutreffend, muß ich sagen: Das ist mindestens genauso belegt wie Ihre Rechnung über 150 Milliarden DM in dem Zusammenhang. ({0}) - Ich diskutiere gern weiter mit Ihnen, wenn der Präsident die Zeit dafür zur Verfügung stellt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, jetzt nicht mehr; das müssen Sie verstehen.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, ich kriege keine Zeit. Ein zweiter Punkt, der mir hier am Herzen liegt, ist folgender. Kollege Kühbacher hat mit Recht kritisch angemerkt, was die Beteiligung von Daimler-Benz an Messerschmitt-Bölkow-Blohm bedeutet. Auch wir sehen die Kehrseite beim Ganzen. Ich selber habe kritisch genug in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen. Aber wir haben es nicht beim Kritisieren belassen. Wir haben gehandelt. Ich selber war beim Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz. Ich habe Bedingungen ausgehandelt, Bedingungen, die wir im Haushaltsausschuß zur Voraussetzung für die Entsperrung gemacht haben. Dies heißt erstens: Die kaufmännischen Ergebnisse der militärischen Flugzeugentwicklung und des militärischen Flugzeugbaus müssen auch dem Airbus zugute kommen. Es ist kein Geheimnis, daß in den USA auch der zivile Flugzeugbau vom militärischen Flugzeugbau profitiert. Zweitens: Daimler-Benz verpflichtet sich, seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrt in einen europäischen Konzern einzubringen. Drittens: Der erweiterte Konzern verpflichtet sich, seine Unternehmen gegenüber der Hardthöhe so zu steuern, daß ein Wettbewerb immer noch möglich ist. Bei dem letzten Punkt weise ich darauf hin: Es handelt sich um beschränkte Ausschreibungen, und bei dieser Art der Auftragsvergabe ist eine solche Steuerung möglich. ({0}) Ein dritter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist folgender. Es bereitet uns allen Sorge, daß immer mehr Aufträge im militärischen Bereich ohne Wettbewerb vergeben werden. Inzwischen sind es mehr als die Hälfte der militärischen Beschaffungen, ({1}) die zu Selbstkostenpreisen plus Gewinnaufschlag vergeben werden. Ich habe dazu heute einen Namensartikel im „Handelsblatt" geschrieben. ({2}) Ich habe mich darüber mit dem Bundesverband der Industrie auseinandergesetzt. Wir haben daraufhin im Rechnungsprüfungsausschuß und danach im Haushaltsausschuß gemeinsam einen Beschluß dahin gefaßt, daß der Bundesrechnungshof künftig bei den Unternehmen vor Ort ein Erhebungsrecht haben wird. ({3}) Ich bin darüber mit den Ländern und mit der Industrie in Konflikte geraten. ({4}) Vor allen Dingen weist man mich und uns darauf hin, daß es die Preisprüfung der Länder gebe. Was wir hier beschlossen haben, ist kein Ausdruck von Mißtrauen gegenüber der Preisprüfung der Länder. Die Aufgabenstellung der Preisprüfung ist eine andere als die des Bundesrechnungshofs. Die Preisprüfer haben darauf zu achten, ob der Preis stimmt. Der Rechnungshof hat die fiskalischen Interessen des Bundes wahrzunehmen. Das ist etwas ganz anderes. Wenn ich mir die Preisprüfung vor Augen halte, frage ich mich: - Welchem Beamten der Preisprüfung ist es zuzumuten, ein Unternehmen in seinem Land, an dem das Land vielleicht sogar beteiligt ist, zu kritisieren, weil es vom Bund zu gut bezahlt wird? Selbst wenn der Beamte den Mut dazu hat - seine Karriere könnte er dann beerdigen. ({5}) Dies ist der Grund, warum wir uns mit der Preisprüfung nicht begnügen wollen ({6}) und nicht begnügen können. ({7}) Meine Damen und meine Herren, dieser Verteidigungshaushalt kann natürlich unter vielerlei Gesichtspunkten kritisiert werden. ({8}) Darüber bin ich mir im klaren. Aber alle, denen er immer noch zu niedrig ist, mögen bedenken: Politik ist die Kunst des Möglichen. ({9}) Ich sage dies an die Adresse jener Offiziere, die vor kurzem in der Öffentlichkeit einen höheren Verteidigungshaushalt verlangt haben. ({10}) Sie mögen bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir das Machbare getan haben und daß es nicht nur das Geld ist, was der Bundeswehr ihre Bedeutung beimißt, sondern vor allem die politische Unterstützung, die dazukommen muß. Für die Koalitionsfraktionen ist diese politische Unterstützung auf jeden Fall vorhanden. So möchte ich zum Schluß noch - ich habe es vorhin vergessen - unserem Koalitionspartner, namentlich Frau Seiler-Albring und Wolfgang Weng, ein herzliches Dankeschön für die gute Zusammenarbeit sagen. Ich glaube, wir haben da vieles zum Guten bewegen können. Ich darf der Bundeswehr abschließend versichern: Unsere Unterstützung wird ihr auch in Zukunft sicher sein. Schönen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Rede hatte schon etwas Gespenstisches, weil es dem geschätzten Kollegen Friedmann offenkundig wohl nur noch darum ging, wie man das Geld ausgibt, aber nicht mehr um die Frage, ob das Geld nicht für andere gesellschaftliche Aufgaben, außerhalb des Rüstungsbereichs, verwendet werden sollte. ({0}) Das abgelaufene Jahr ist für alle Menschen in der Bundesrepublik, die an Abrüstung und Frieden in besonderem Maße interessiert sind, enttäuschend verlaufen, weil in der Sicherheitspolitik nach wie vor das alte Denken dominiert. Der Verteidigungshaushalt steigt um 3,8 %, deutlich mehr als im Jahr zuvor. Es wird ohne Begründung weitergerüstet, als würde ein Angriff drohen. Die Wehrpflicht wird verlängert, eine Maßnahme, die man normalerweise nur in Zeiten zunehmender militärischer Spannungen ergreift. ({1}) Besonders bedenklich ist die Tatsache, daß für den Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung 11,1 % mehr aufgewendet werden. Das sind keine vorübergehenden Ausgaben, denn damit wird die Qualität der Rüstung dermaßen erhöht, daß daraus ablesbar ist, daß man nicht an Abrüstung denkt, sondern daß man sich voll auf Weiterrüsten einstellt. Der Jäger 90 ist das in der Öffentlichkeit mittlerweile zu Recht als Synonym für Fehlausgaben, für falsche Haushaltspolitik bekanntgewordene Großprojekt geworden, ({2}) das in keiner Weise mit der Hoffnung in Richtung auf eine europäische Friedensordnung und Abrüstung vereinbar ist, die in Europa doch von allen mehr oder weniger geteilt wird. Eine sehr bedenkliche Entwicklung liegt in der Verfestigung der ökonomisch-industriellen Basis der Rüstung, nämlich in der hier schon ausführlich diskutierten Frage einer Konzentration der Rüstungsindustrie. Es muß nachdenklich stimmen, daß ausgerechnet in einer Zeit des schwindenden Bedrohungsbewußtseins die innenpolitischen, die gesellschaftlichen Kräfte sich neu formieren. Offenkundig braucht man diese Stärkung, um angesichts nachlassenden Bedrohungsbewußtseins das Wettrüsten, das Weiterrüsten so wie bisher fortsetzen zu können. Vielleicht gibt es aber auch einen Hinweis darauf, was schon bisher zu einem wesentlichen Teil Motor dieses Rüstungsverhaltens war. Ich verweise darauf, daß auch in der Öffentlichkeit der Zusammenhang zwischen ökonomischen Interessen an der Rüstung einerseits und beispielsweise dem Tiefflug andererseits deutlicher gesehen werden muß. Ich will das nicht überziehen, aber jeder Absturz einer Militärmaschine ist natürlich dazu angetan, daß sich einige Rüstungsmanager auf die Schultern hauen, ({3}) weil das 100 Millionen DM Umsatz sind; denn in der Regel wurde für jedes abgestürzte Flugzeug ein neues Flugzeug beschafft. ({4}) - Ich verstehe, daß Sie bei Ihrer Industrieabhängigkeit da besonders reagieren müssen. Ich werde das mit Interesse registrieren. ({5}) - Ja, natürlich. - Jede Stunde Tiefflug heißt: Es klingelt in der Kasse, denn die für die Rüstungsindustrie besonders interessanten Einnahmen im Bereich des Unterhalts und der Wartung hängen von dem Maß ab, in dem Tiefflüge durchgeführt werden. ({6}) Wer einmal darüber nachdenkt, der erkennt die Zusammenhänge zwischen ökonomischen Interessen an der Rüstung und der Frage, warum man trotz der veränderten positiven außenpolitischen Entwicklung den Rüstungsapparat nach der alten Tour weiterlaufen lassen muß. Darüber sollte man einmal nachdenken. Dieses Nachdenken wird nicht durch Zwischenrufe ersetzt. Ich hoffe, daß sich viele Menschen an der überparteilichen Aktion „Schluß mit dem Tiefflug" beteiligen, und zwar auch deshalb, weil man weiß, daß es vor allem den Interessen der Rüstungsindustrie dient, wenn man im bisherigen Umfang weiterfliegt. Die Abnutzung der Waffen ist ein Antrieb für das Weiterrüsten. Das Ganze ist ja gewollt. Das hat Herr Friedmann ja dankenswerterweise soeben gesagt. ({7}) I - Das habe ich nicht gesagt. Das ist nicht meine Ebene. ({8}) - Das habe ich nicht gesagt. Bleiben Sie korrekt! Die Regierung will mit der Politik, die sie betreibt - gewollt, Herr Friedmann -, gegensteuern. Wogegen? Es gibt in der Republik mittlerweile zwei Welten: Die eine Welt ist die des überwiegenden Teils der Bevölkerung, die mit Zustimmung und Hoffnung die Veränderung in der Sowjetunion registriert, die mehrheitlich für einseitige Abrüstungsschritte der NATO eintritt, die Herrn Gorbatschow mehr schätzt als den eigenen Kanzler, von Herrn Moltke vom Katasteramt ganz zu schweigen, und die in der Tat eine sowjetische Überlegenheit sieht, aber nicht mehr in dem Sinne, wie Sie das immer sagen, sondern bezüglich des Abrüstungswillens. ({9}) Sie können darüber lachen. Die Realität ist so: Alle Umfragen bestätigen, daß man der sowjetischen Führung ernsthaftere Abrüstungsabsichten unterstellt als der eigenen Seite. ({10}) Damit wird Ihrer Politik durch die Bevölkerung die Grundlage entzogen. Eine Tatsache ist der Jäger 90.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Mechtersheimer, sind Sie bereit zuzugeben, wenn Sie von Abrüstungswillen sprechen, daß es noch keinerlei Taten in dieser Richtung auf seiten des Warschauer Pakts und der Sowjetunion gibt, daß vielmehr dort die Rüstungsanstrengungen in unverminderter Weise gerade auf dem konventionellen Gebiet weiterlaufen? ({0})

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe das grundsätzlich nicht bestritten, obwohl ein genaueres Beobachten im Seebereich möglicherweise ein anderes Ergebnis gibt. Der entscheidende Punkt ist: Herr Ronneburger, Sie als Mitglied dieser Koalition haben kein Recht, das zu kritisieren, weil Sie sich hier genauso verhalten. Das ist der entscheidende Unterschied. ({0}) Wer von hier einseitige Abrüstung verlangt, der darf auch der Sowjetunion sagen: Runter mit dem, was ihr macht! Aber Sie schaffen dafür keine Voraussetzungen. ({1}) - Augenblick, Herr Biehle. Ich war mitten in einem Gedanken. - Auf der anderen Seite will die Regierung, weil sie offensichtlich ihre Politik als gefährdet ansieht, die NATO gefährdet sieht, mit eigenen Rüstungsmaßnahmen den Eindruck von Gefährdung hervorrufen, die objektiv gar nicht mehr - zumindest nicht mehr in dem Maße - vorhanden ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnete Biehle? - Bitte schön.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, Sie waren mit bei der Nordatlantischen Versammlung und haben den General Galvin gehört. Würden Sie dies als besonderen Abrüstungswillen der Sowjets betrachten, wenn feststeht, daß monatlich 270 Panzer neu produziert werden und damit die Voraussetzungen für monatlich eine neue Division geschaffen werden? ({0})

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe dem Herrn General Galvin, Herr Biehle, eine Frage gestellt, nämlich wie er aus der Sicht von Moskau seinen eigenen Vortrag bei dieser Veranstaltung beurteilen würde. Er hat sich in peinlicher Weise gewunden, weil nämlich ganz klar war: Wer das in Moskau verfolgt, was Herr Galvin insgesamt gesagt hat, sieht eine Rechtfertigung für das, was da drüben gemacht wird. Hier arbeiten sich die Aufrüster auf der einen Seite und auf der anderen Seite ganz schön in die Hände. ({0}) - Ich habe die Frage so beantwortet, wie ich sie als richtig beantwortet ansehe. ({1}) Die Bundesregierung ist noch nicht einmal bereit, Möglichkeiten des Einfrierens, die ihr angeboten werden, zu ergreifen. Ein politischer Ausschuß der Vereinten Nationen hat einen Vorschlag gemacht; die Bundesregierung gehört natürlich zu denjenigen, die zu dem Vorschlag des Einfrierens der Rüstungsausgaben weltweit nein gesagt haben. Demnächst werden wir in der UNO-Vollversammlung eine ähnliche Entscheidung haben, und dann wird sich die Bundesrepublik in weltpolitischer Isolierung befinden. Es wird so viel über Souveränität gesprochen. Da wäre doch mal eine Möglichkeit, zu zeigen, daß sich die Bundesrepublik in „Souveränität zur Abrüstung" auch mal von amerikanischen Bedenken lösen kann. Das wäre der Test, um festzustellen, wie souverän wir sind. ({2}) Wie sieht es mit der Abrüstung aus? Gerade sind die ersten Raketen aus dem INF-Vertrag abgebaut - die Sprengköpfe leider nicht -, da ist die zweite Nachrüstung voll im Gange. Wir müssen an dieser Stelle auch zu diesem Thema sprechen. Mit Flugzeugen und Marschflugkörpern sollen dieselben Ziele bekämpft werden, die vorher für die jetzt abzubauenden Waffen vorgesehen waren. Es gibt keine Perspektive für eine dritte Null-Lösung, es gibt nur die ganz konkrete Absicht, die nächste Nachrüstung in Gang zu setzen. Würden Sie selbst praktizieren, was Sie bei der Sowjetunion begrüßen, nämlich Perestroika, vor allem Glasnost, dann müßten Sie offen sagen: Wir sind dabei, Nuklearwaffen zu modernisieren. Ich kann nur feststellen, daß Sie nicht den Mut haben, der Bevölkerung das zu erklären, was Sie machen. ({3}) Woran liegt das? Das liegt daran, daß die Bevölkerung mit Protest, die Friedensbewegung mit einem Aufstand reagieren würden, nicht nur weil gerüstet wird, sondern weil man sie hintergangen hat, weil man Hoffnungen auf Abrüstung jetzt wieder kaputtmacht. ({4}) - Entschuldigung, ich muß weitermachen. Ich sehe, meine Zeit läuft hier weiter. Es bleibt nur noch ganz wenig. Ich möchte hier in aller Form gegen den Zynismus protestieren, der im Zusammenhang mit der Sprache sichtbar wird, wenn es heißt: Man will modernisieren. Es geht dabei nicht um Modernisierung, sondern darum, nukleare Waffen so einsetzbar zu machen, daß sie im Zuge neuer amerikanischer Kriegsführungsstrategien passen. Damit wird ein Instrument der Massenvernichtung verbessert. ({5}) Es wird hier immer so getan, als ginge es um die Modernisierung von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln oder so etwas. Das sind Tötungsinstrumente, das sind Mittel des Völkermordes. Da hat der Irrsinn in diesem Hause überhaupt merkwürdige Dimensionen - lassen Sie mich das sagen; hören Sie einmal zu - : Hier muß ein Bundestagspräsident zurücktreten, weil er eine schlechte Rede falsch betont hat. Aber die potentiellen Eichmänner des nuklearen Holocaust modernisieren hinter den Kulissen die Instrumente ihres Massenmordes. ({6}) Das ist die Realität. Wenn wir Wiedergutmachung leisten wollen, dann sollte sich das daran erweisen, wieweit wir die Finger von allen Massenvernichtungsmitteln nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Haus wird als süchtig bezeichnet. Das ist ein lächerliches Problem, gemessen an der Nuklearsucht, die sich hier in diesem Haus breitmacht. ({7}) Wir werden erleben, daß dieses Parlament in gewaltiger Mehrheit neuen Versuchen zustimmt, zu Nuklearwaffen zu kommen - nicht voller Mitbesitz, nukleare Mitwirkung heißt das. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Ich verstehe nicht, wie man einem Protokoll zustimmen kann, ({8}) in dem eindeutig steht: Wir sind überzeugt von einer Strategie der Abschreckung und Verteidigung, und für diese Verteidigung werden Nuklearwaffen weiterhin benötigt. Das wird von diesem Haus leider in großer Mehrheit unterstrichen. Sehen Sie nicht, daß hier eine Chance für diejenigen besteht, die unbedingt Atomwaffen wollen - ich unterstelle gar nicht, daß Sie dazugehören -, zu sagen: Wir können bei den Franzosen die Nuklearwaffen vielleicht bekommen, die uns die Amerikaner künftig nicht mehr geben wollen. ({9}) Hier ist ein gefährliches Tor für Nuklearrüstung geöffnet worden. ({10}) - Nein, wir werden das sehen. Wer sich mit Frankreich verbündet, verbündet sich nicht mit einem Land, das besonders an Abrüstung interessiert ist. Die Franzosen haben ein Interesse daran, ihre Nuklearwaffen als Element ihrer Staatsräson zu behalten. ({11}) Man muß wissen, daß man mit Frankreich nicht einen Abrüstungspartner gewinnt. Ich bedaure deswegen - wir werden in der nächsten Woche darüber diskutieren - , daß es hier diese Mehrheit, diese blinde Bereitschaft gibt, sich in eine deutsch-französische Nuklearkooperation hineinzubewegen. Ich bin deswegen der Auffassung, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien von dieser irrigen Vorstellung abrücken sollen, daß man durch die Reaktivierung militärischer Strukturen in Westeuropa irgend etwas für ein gemeinsames Haus Europa tun kann. Aus diesen Elementen - WEU und NATO - läßt sich kein gemeinsames Haus bauen. Da legen Sie nur Sprengsätze in das Fundament dieses Hauses. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Dr. Mechtersheimer ({0}): Mein letzter Satz, bitte. - Gehen wir doch endlich davon aus, daß in Europa, in allen hochindustrialisierten Staaten, Krieg überhaupt nicht mehr führbar ist, auch nicht der sogenannte Nurverteidigungskrieg. Das geht nicht mehr. Da gibt es in keiner Weise mehr eine Chance, etwas zu verteidigen, das dieses Wort Verteidigung verdient.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist abgelaufen.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre eine geistige Grundlage, auf der wir das gemeinsame Haus errichten können. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Dr. Mechtersheimer, wir hier im Präsidium haben uns mit aller Eindeutigkeit vorgenommen, jeglichen Vergleich, der in die Nazizeit zielt oder dortige Begriffe oder Namen herholt, mit Entschiedenheit zurückzuweisen und aus dem parlamentarischen Sprachgebrauch herauszuhalten. Dies habe ich Ihnen nach dem Vergleich, den Sie gezogen haben, zu sagen. ({0}) Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mechtersheimer, die Rednerliste beschert mir wie in jedem Jahr wieder einen Platz hinter Ihnen; die Geschäftsordnung veranlaßt es so. Ab und zu hat es ja Spaß gemacht, hinter Ihnen aufzuräumen. Aber in Anbetracht der Unsäglichkeiten, die sie hier heute geäußert haben, erspare ich mir dieses. ({0}) Meine Damen und Herren, der Kollege Kühbacher hat sich zu Beginn seiner Rede mit der Akzeptanzkrise auseinandergesetzt; auch ich werde das nachher noch einmal tun. Ich nehme es ihm sogar ab, daß es ihm Ernst damit ist. Nur, Herr Kollege Kühbacher, könnten Sie sich nicht vielleicht vorstellen, daß das damit zusammenhängt, daß Sie hier durchaus ernstgemeinte Bekenntnisse zur Integration der Bundeswehr in diese Gesellschaft ablegen, aber in den Ländern und Kommunen von seiten vieler Ihrer Kollegen nichts lieber gesehen wird, als daß die Bundeswehr zurück in die Kasernen und aus dem öffentlichen Blickfeld verschwindet? ({1}) Ich denke, hier können wir gemeinsam etwas tun, damit diese schlimme Akzeptanzkrise abgebaut wird. Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt 1989 ist der erste, für den der neue Verteidigungsminister verantwortlich ist. Wie in jedem Jahr klaffen die Zielvorstellungen des Ministeriums und der Parlamentarier, vor allen Dingen der im Haushaltsausschuß, auseinander. Ich verhehle nicht, daß das in diesem Jahr auch zwischen den Kollegen der Koalitionsfraktionen der Fall gewesen ist. Wir wollten sehr viel mehr, Sie wollten sehr viel weniger. Aber da wir sehr pragmatische Menschen sind, haben wir uns geeinigt, ich glaube, auf einer sehr vernünftigen Linie, Herr Kollege Dr. Friedmann. Hierfür meinen Dank an Sie und an den Kollegen Müller. Dieser Kompromiß hat es ermöglicht - der Kollege Kühbacher ist schon darauf eingegangen - , einige Umschichtungen vorzunehmen, z. B. 40 Millionen DM mehr in die Unterbringung zu investieren. Das sind Mittel, die den Soldaten direkt zugute kommen, ({2}) und zwar in bezug auf die dringend notwendige Verbesserung in ihrem Arbeits- und Wohnumfeld. An dieser Stelle hatte ich mir eigentlich vorgenommen, mein absolutes Unverständnis darüber auszudrücken, daß es bis heute nicht gelungen ist, zu einem endgültigen Beschluß über eine vernünftige Dienstzeitregelung für die Truppe zu kommen. ({3}) Meine Kollegen im Verteidigungsausschuß haben seit langer Zeit artikuliert, wie dieses Modell aussehen könnte, das sowohl den Interessen der Truppe als auch den zur Verfügung gestellten knapp 200 Millionen DM entspricht. Für die Unterstützung der politischen Führung der Hardthöhe, vor allen Dingen in letzter Zeit, bedanken wir uns ganz ausdrücklich und erwarten, daß auch die militärische Führung, die militärische Spitze dieses Hauses den Primat der Politik respektiert. ({4}) Ein Gespräch in den späten Abendstunden des gestrigen Tages signalisiert hier eine einvernehmliche Lösung, so daß die Soldaten bald in den Genuß einer nach unseren Vorstellungen akzeptablen Dienstzeitregelung kommen werden. ({5}) Die Kürzungen im Bereich der Munition, der Betriebsstoffe, bei Forschung und Entwicklung sind ungern und mit den angemessenen Klagen zur Kenntnis genommen worden. Die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr wird nach unserer Ansicht im kommenden Jahr davon nicht berührt. Die Einleitung der Entwicklungsphase für hochkomplexe und deshalb zeitaufwendige Vorhaben wird nicht in Frage gestellt. Das ist eigentlich ein Ablauf wie gewohnt, trotz des Getöses um die Betriebsstoffsperre. Es gab mehr oder minder fundierte Diskussionen über Kürzungsmöglichkeiten im Vorfeld der Haushaltsberatungen. Dennoch, meine Damen und Herren, war es nicht wie sonst. Schon die im Frühsommer plötzlich in der Öffentlichkeit auftauchende Meldung, das 36 Milliarden DM zur Finanzierung der Heeresstruktur 2000 fehlen, war ein Indikator dafür, daß es an der Zeit ist, in grundsätzliche Überlegungen zur Standortbeschreibung der Bundeswehr angesichts sich rapide verändernder gesellschaftlicher, politischer und finanzieller Rahmenbedingungen einzutreten. Für mich standen die Haushaltsberatungen zum Einzelplan der Verteidigung in diesem Jahr in noch stärkerem Maße als in den vergangenen Jahren unter dem Eindruck dieser gravierenden sicherheitspolitischen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen. Obwohl das derzeitige militärische Droh- und Kriegspotential des Warschauer Pakts auch weiterhin auf Offensive angelegt ist und den viel versprochenen Ankündigungen erst noch die entsprechenden Taten folgen müssen, hat die mit dem Gipfeltreffen von Reykjavik eingeläutete Phase der sicherheitspolitischen Neuorientierung zwischenzeitlich zu un-bestreitbaren Fortschritten im Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten und ihren Bündnissen geführt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Moment bitte nicht, Herr Klejdzinski, vielleicht nachher noch. Wir sind ohnehin in Zeitverzug.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe nicht verstanden, was Sie gesagt haben. ({0})

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Moment bitte nicht. Diese Entwicklungen finden in der bundesdeutschen Gesellschaft ihren Niederschlag in dem auch von Ihnen, Herr Kollege Kühbacher, so empfundenen drastisch abnehmenden Bedrohungsgefühl, das Fragen konkreter äußerer Sicherheit in den Hintergrund der öffentlichen Diskussion treten läßt. Ich habe das Gefühl und den Eindruck, daß die Hoffnung auf einen Wandel, die ja durchaus begründet ist, zunehmend schon für den Wandel selber und daß die Formulierung des Ziels bereits für die Realisierung genommen wird. Dies bleibt nicht ohne Wirkungen auf die Bereitschaft der BevölkerUng, materielle und nichtmaterielle Beiträge für die eigene Sicherheit und Verteidigung zu erbringen. Sichtbare Zeichen für die wachsende Akzeptanz- und Legitimationskrise militärischer Sicherheit in unserer Gesellschaft sind die Zuwachszahlen bei den Wehrdienstverweigerungen und die nicht sonderlich hohe Bereitschaft von Reservisten, Wehrübungen zu leisten, eine Tendenz, die sich in den kommenden Jahren angesichts der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt noch verstärken wird. Zu den dadurch wie durch die demographische Entwicklung äußerst begrenzten personellen Ressourcen - das für die 90er Jahre prognostizierte Freiwilligenaufkommen bedarf unserer Ansicht nach ebenfalls der Korrektur - treten die bekanntermaßen äußerst knappen finanziellen Mittel, die auch nicht mehr ausgeweitet werden können, als weitere bindende Restriktion bei der Erfüllung der Verteidigungsaufgaben hinzu. Trotz der positiven Wandlungen in den Ost-West-Beziehungen und im Ostblock bleibt - und hier besteht kein Zweifel - die Bedrohung Europas für etliche Zeit noch latent. Ohne Alternativen bleiben deshalb folglich bis auf weiteres die atomare Abschreckung, die amerikanische Präsenz in Europa sowie die Fähigkeit zu leistungsfähiger konventioneller Vorneverteidigung. ({0}) Dabei werden die europäischen Partner, ihrem im Zeichen des europäischen Binnenmarktes wachsenden politischen und wirtschaftlichen Gewicht entsprechend, künftig nicht umhin können, im Bündnis einen größeren Beitrag als bisher zu erbringen. Der Diskussion um den von den Amerikanern schon seit längerer Zeit geforderten erhöhten Anteil im Rahmen des Burden Sharing werden wir uns kaum entziehen und verschließen können. Ebensowenig wird man die Augen davor verschließen können, daß die Waffensysteme von morgen zwar wirksamer, aber gleichzeitig auch komplexer und teurer werden. Das wird zur Folge haben, daß einzelne Bündnisstaaten künftig unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen und auf Basis ihrer heutigen Streitkräftestrukturen wohl nicht mehr in der Lage sein werden, in allen Bereichen neueste Waffentechnologien zu entwickelt und zu beschaffen. ({1}) Es wird nicht mehr alles von allen bezahlt werden können. Die aufgezeigten Veränderungen lassen konzeptionelle, strukturelle Weiterentwicklungen zwingend notwendig erscheinen, damit die Streitkärfte auch zukünftig ihren Auftrag erfüllen können. ({2}) Auch in konservativen Publikationen werden die Realisierungschancen der erst Anfang dieses Jahres beschlossenen Heeresstruktur 2000 kritisch beurteilt. Die Frage muß erlaubt sein und gestellt werden, ob es tatsächlich noch Sinn ergibt, die Bemühungen um eine Anpassung der Verteidigungsstrukturen schwerpunktmäßig auf das Heer zu konzentrieren, statt das Verhältnis der Streitkräfte untereinander wie auch zur Bundeswehrverwaltung aufgaben- und einsatzorientiert auf Redundanz zu überprüfen, um zu einer zukunftsgerechten, leistungsfähigeren und flexibleren Gesamtstruktur zu gelangen. ({3}) Ich habe deshalb schon in meiner Rede zur ersten Lesung ausdrücklich begrüßt, daß der Generalinspekteur den Auftrag erteilt hat, sämtliche Bereiche der Streitkräfte daraufhin zu untersuchen, ob durch Zusammenfassung von teilstreitkraftübergreifenden Aufgaben Einsparungen zu erzielen sind. ({4}) Einer solchen Redundanz-Prüfung, meine lieben Kollegen, müssen jedoch weitere Schritte folgen. So sind die Friedensstrukturen auf liebgewordene Ecken und Nischen abzuklopfen und auf das funktional Notwendige zurückzuführen. ({5}) Bei einer ernsthaften Strukturbereinigung wird eventuell auch von der einen oder anderen magischen Zahl Abschied zu nehmen sein. ({6}) Die zuvor aufgeworfenen Fragen stellen sich nicht nur auf nationaler Ebene, sondern in gleicher Weise auch auf europäischer und auf Bündnisebene. ({7}) [ch sehe deshalb ebenfalls die Notwendigkeit, daß auf der Grundlage der von den Mitgliedsländern der Westeuropäischen Union definierten europäischen Sicherheitsplattform eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik weiter ausformuliert wird. Langfristiges Ziel muß es dabei sein, die bislang weitgehend nationalstaatlich orientierten Verteidigungsanstrengungen zu harmonisieren und zu einer die Verteidigungsstärke unter den gegebenen finanziellen und personellen Restriktionen optimierenden Aufgabenverteilung und Schwerpunktbildung in Westeuropa wie im Bündnis insgesamt zu gelangen. ({8}) - Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Kollege Kühbacher. Ich habe das Gefühl, daß Sie dem Vortrag Ihres ehemaligen Bundeskanzlers sehr ordentlich zugehört haben. Eine solche grundlegende Reform der Verteidigungsstrukturen auf nationaler wie auf Bündnisebene bedarf gründlicher Untersuchung und umfassender Planung. Realisiert werden kann sie selbstverständlich nur in Phasen. Grundsatzentscheidungen jedoch müssen bald getroffen werden. Abrüstungserfolge, auf die wir hier auch stolz sein können, beruhen auf der Verfügbarkeit leistungsfähiger Abschreckungs- und Verteidigungsinstrumente. Knappe personelle und finanzielle Ressourcen bedrohen diese ausgewogenen Strukturen. Es ist doch richtig, wenn der Generalsekretär der NATO die Frage aufwirft, wie eine bessere Kooperation in allen Bereichen der gemeinsamen Verteidigung, d. h. von den Streitkräftestrukturen über die Rüstungsplanung und -entwicklung bis hin zur Dislozierung, erreicht werden könne. Meines Erachtens läßt sich dieses Problem sinnvoll nur lösen, indem man zu Fortschritten bei der Harmonisierung der konzeptionellen Ziele sowie der Grundsätze für Führung und Einsatz, Ausbildung, Logistik und Ausrüstung der einzelnen europäischen Streitkräfte gelangt. Ein erster Schritt muß sein, unsere bisherige Verteidigungsplanung und die gegebenen Verteidigungsstrukturen auf der Grundlage einer aktuellen und fundierten Bestandsanalyse vorbehaltlos zu überprüfen. Darauf aufbauend, ist eine Bundeswehrstruktur zu entwickeln, die bedrohungsgerecht, rüstungskontrollverträglich, bündnisfähig und finanzierbar ist. Herr Minister, bei dieser sicher nicht einfachen Aufgabe signalisieren wir Ihnen unsere volle Unterstützung. Ich danke Ihnen. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Objektivität und Fairneß gebieten, festzustellen, daß Verteidigungsminister Scholz ein schweres Erbe übernommen hat. ({0}) Die Bundeswehr befindet sich in einer Sinnkrise, deren Ursachen vielfältiger Natur sind. Im Zentrum steht aber ein zunehmender Schwund an Vertrauen in die politische Leitung, aber auch wachsendes Mißtrauen bei Unterführern in Teile der militärischen Führung. Die seit 1984 Jahr für Jahr kosmetisch veränderte, aber nie realisierbare Bundeswehrplanung wird von den Soldaten als unsolide, ja unseriös angesehen, denn sie, wie auch die Planer, wußten sehr wohl, daß Personalplanung, Finanzplanung und Beschaffungsplanung so nicht zur Deckung gebracht werden können. Hier wurde jahrelang an irrealen Zielvorstellungen festgehalten, obwohl man wußte, daß sie bereits in wenigen Jahren von der Wirklichkeit eingeholt würden. Selbstverständlich blieben diese Widersprüche und diese Unredlichkeit den Soldaten und vor allem den Unterführern und Offizieren in der Truppe nicht verborgen. Vertrauensverlust und Perspektivlosigkeit führten zu tiefgreifender Unsicherheit in der Truppe. Sie haben, sehr geehrter Herr Minister, neue Signale ausgesandt. Vor der Friedrich-Ebert-Stiftung und andernorts haben Sie gesagt, der Personalumfang der Bundeswehr sei für Sie nicht sakrosankt. Sehr richtig! Da haben Sie noch viel Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen zu leisten. Unsere Unterstützung für vernünftige Strukturen, die unseren finanziellen Möglichkeiten und den realen außenpolitischen Bedingungen und Erfordernissen Rechnung tragen, haben Sie. ({1}) Noch eines: Belasten Sie sich bitte nicht mit Ihnen aufgehalsten Hypotheken aus der Vergangenheit. Werfen Sie den Bundeswehrplan in den Reißwolf, wo er hingehört. ({2}) Geben Sie damit auch den Soldaten eine neue Chance für realistische Planung. ({3}) In der Rahmenvorlage zur Heeresstruktur 2000 sind neue Ansätze enthalten, mit denen wir übereinstimmen, die die SPD bereits drei Jahre vorher in einem Grundsatzpapier festgelegt hatte, das dann auf dem Nürnberger Parteitag beschlossen wurde. Wenn der Inspekteur des Heeres vier wesentliche Elemente wie verstärkte Kaderung, Teilentmechanisierung, Aufstellung von Sperrverbänden und Verstärkung der Panzer- und Luftabwehr nennt, so entspricht dies unseren bereits vor Jahren erhobenen Forderungen. Lassen Sie mich noch einen weiteren konstruktiven Hinweis geben, Herr Minister: Die Zahl der in der neuen Heeresstruktur vorgesehenen Brigaden werden Sie allerdings so nicht halten können. Das Heer wäre durch die Folgen überfordert, die Verteidigungsfähigkeit letztlich geschwächt, nicht gestärkt. Der Strukturansatz insgesamt entspricht nicht nur technisch, sondern auch politisch unseren Vorstellungen. Im Unterschied zu der gegenwärtigen Struktur ist die Heeresstruktur 2000 rüstungskontroll- und abrüstungspolitisch offener und damit ein Schritt in die richtige Richtung. Ein wesentliches Element der neuen Struktur ist die neue „Konzeption Reservisten" - ein explosiver Totschläger, wie ein Bundeswehroffizier kürzlich formu7766 lierte. Der Wehrbeauftragte hat erst gestern dazu einiges gesagt, was ich zitieren kann: Es kann nicht angehen, daß junge Männer aus ihrer beruflichen Arbeit oder aus dem Studium für Übungszeiten herausgerissen werden, ohne daß sie wirklich sinnvoll eingesetzt und angemessen ausgerüstet, auch finanziell ausgestattet werden. ({4}) Weiter heißt es dann, in einem Großteil der Eingaben an sein Amt klagten die Reservisten darüber, daß die bei Übungen an sie gestellten Anforderungen in keinem Verhältnis zu dem stehen, was sie tatsächlich zu leisten bereit sind. Grundvoraussetzung für praktizierte Wehrgerechtigkeit - so der Wehrbeauftragte - sei, daß Einberufungen zu Wehrübungen künftig vorhersehbar und für die Betroffenen - auch im Interesse der Familie - planbar seien. Dies stimmt exakt mit unseren Vorstellungen, die wir schon seit zwei Jahren entwickelt haben, überein. Ich kann das nur begrüßen. ({5}) Herr Minister, wir haben Ihren Besuch in Moskau in Begleitung des Bundeskanzlers mit Aufmerksamkeit verfolgt und Ihre bemerkenswerte Rede vor der Malinowski-Akademie zur Kenntnis genommen. Zum Prinzip der gegenseitigen Sicherheit gehört die Verpflichtung, die Sicherheit des jeweils anderen in die eigene Sicherheit einzubeziehen. Es gehört Glaubwürdigkeit dazu, und das ist die Probe: Der Verteidigungsminister darf in der Bundesrepublik nicht anders reden als in Moskau. ({6}) Unterschiedliche Aussagen hier und dort erzeugen Mißtrauen. Die NATO darf ihre Glaubwürdigkeit nicht selbst in Zweifel ziehen. ({7}) Sie muß sich fragen lassen, ob das Wort Präsident Reagans im Kommuniqué von Reykjavik heute noch gilt, über die Abrüstung konventioneller und nuklearer Waffen kürzerer Reichweite im Zusammenhang zu verhandeln. „In conjunction with" heißt es eindeutig im Kommuniqué. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Vogel, hat dem Bundeskanzler zur Haltung der Bundesregierung in der Frage der Modernisierung vorgestern präzise Fragen gestellt. ({8}) Der Bundeskanzler hat sich vor der Beantwortung der Fragen gedrückt. Dies ist kein Umgang der Regierung mit dem Verfasssungsorgan Parlament! ({9}) Das Problem ist durch die Berichte in der „Washington Post" und in der „International Herald Tribune" aktualisiert worden. Warum gibt der Bundeskanzler keine Antwort? Warum täuscht er Parlament und Öffentlichkeit, indem er den Amerikanern Zusagen macht und dem Bundestag verschweigt, ob und in welcher Weise er sich festgelegt hat? Die Beantwortung dieser Frage und die Diskussion darüber werden Sie nicht über den Wahltag 1990 hinaus verschieben können. ({10}) Wir werden in dieser Frage nicht nachlassen, sondern Kanzler und Bundesregierung stellen. ({11}) Hier können nicht hinter dem Rücken des deutschen Parlaments gegenüber Dritten - auch nicht gegenüber Verbündeten - Zusagen gemacht und Festlegungen getroffen werden, die die existentiellen Interessen unseres Volkes betreffen. ({12}) Wir werden die notwendigen parlamentarischen Schritte unternehmen, um diesen unglaublichen Vorgang zu klären. ({13}) Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine große Verantwortung in der Frage der Fortsetzung der Abrüstung im Bereich nuklearer Kurzstrecken- und Gefechtsfeldwaffen. Ich stimme den Ausführungen von Außenminister Genscher zu, die er am 7. November 1988 in der „Nordwest-Zeitung" und bei anderer Gelegenheit machte, daß die sogenannte Modernisierung den INF-Vertrag aushöhlt und unterläuft. Sein Kabinettskollege Möllemann spricht sich für einen Verzicht auf die - so wörtlich - überflüssige Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen aus. Helmut Schmidt, den Sie ja so gerne gegen uns zitieren, sagte in Hamburg vor der NAV: Es gibt keine Notwendigkeit für diesen Schritt. ({14}) Notwendig indessen ist vielmehr eine integrierte Rüstungs- und Abrüstungsplanung. Notwendig sind die beiderseitige Änderung der Strategien und nicht zuletzt das Abrücken von völlig überzogenen Bedrohungsperzeptionen. In diesem mühsam in Gang gekommenen Entspannungsprozeß haben die beiden deutschen Staaten eine besondere Verantwortung auch auf Grund einer gemeinsamen Interessenlage der Kriegsverhinderung und der aktiven Friedensgestaltung. Dabei wird auch den Militärs beider Seiten in Zukunft eine größere Rolle zufallen. ({15}) Herr Minister, Sie wissen, worüber ich in diesem Zusammenhang spreche. ({16}) Der deutsche Soldat wird im nächsten Jahrzehnt seine Motivation für die Bundeswehr nicht mehr aus überholten Bedrohungsbildern ableiten können. ({17}) In den Gesellschaften in Ost und West schwindet zu Recht die Furcht vor einem militärischen Überfall der jeweils anderen Seite. Dies ist realistisch - im Unterschied zu der Bedrohungsmonomanie der letzten Jahrzehnte. ({18}) Für Industriegesellschaften ist jede Art des Krieges tödlich. Deshalb wird sich schon im kommenden Jahrzehnt das Bild des Soldaten in unseren Gesellschaften grundsätzlich wandeln müssen. Besorgt - auch das möchte ich sagen, Herr Minister - macht mich ein wechselseitiger Distanzierungsprozeß: einerseits eine zunehmende Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr oder gar in Teilen ihre Ablehnung, andererseits zunehmende Isolierungstendenzen in der Bundeswehr. In der Bundeswehr, vor allem bei höheren Dienstgraden, darf aber keine Wagenburgmentalität entstehen. ({19}) Die Bundeswehr ist eine moderne Großorganisation im technologischen Zeitalter. Alle Großorganisationen unserer Gesellschaft befinden sich in einer Krise, die Kirchen, die Gewerkschaften und nicht zuletzt auch ({20}) die politischen Parteien. Die Bindungskraft der Großorganisationen nimmt zusehends ab. Niemand kann glauben, daß sich die Bundeswehr in einer demokratischen Gesellschaft diesem Prozeß entziehen kann. ({21}) Die entscheidende Frage heißt: Wie und wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt? Eine sachkundige Analyse muß dann Auskunft darüber geben, welches Bild des Soldaten in dieser Gesellschaft wir daraus ableiten. ({22}) Besorgt macht uns dabei die zunehmende Abhängigkeit des Soldaten wie des Bürgers in der übrigen Gesellschaft von der Technik, wobei der Mensch in der Entscheidungssituation oft überfordert ist, wie der Abschuß eines iranischen Airbus durch den US-Kreuzer „Vincennes" zeigte. Diese Irrsinnslogik muß durchbrochen werden, wenn wir in unserer Randlage nicht in fatalistischer Weise das Schicksal unseres Volkes an eine Kombination von menschlichem und technischem Versagen knüpfen wollen. Daran müssen wir arbeiten. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß Sie noch vier Sekunden Redezeit haben. ({0}) Insofern würde ich vorschlagen, Sie kommen zum Schluß.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Horn, Sie haben hier aufgezeigt - ich will Ihnen das persönlich auch gar nicht absprechen - , wie Sie die Situation der Bundeswehr und insbesondere der Soldaten sehen. Aber sehen Sie nicht einen Widerspruch zwischen dem, was Sie hier vortragen, und dem, was sich in Ihrer Partei in Wirklichkeit abspielt, wenn ich z. B. an die Vorgänge in Itzehoe erinnern darf, wo eine grün-rote Mehrheit die Soldaten ausgeladen hat, und wenn ich an Ihren Bundesparteitagsbeschluß erinnern darf, mit dem Sie die Soldaten in die Kasernen verbannen wollen? ({0})

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Nolting, Parteitagsbeschlüsse aller Parteien müssen nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Ich betone: aller Parteien! ({0}) Aber eines ist ganz sicher notwendig: daß wir über neue Formen nachdenken müssen, beispielsweise darüber, wie wir die Gelöbnisfeiern künftig durchführen. ({1}) Nachzudenken haben wir hier über manches in dieser Hinsicht. Eines will ich Ihnen sagen: Diese Schizophrenie tut sich nicht nur auf einer Seite des Hauses auf. Wenn ich Ihre Bekenntnisse zur Allianz und zur Verteidigung betrachte und mir die Haltung der Regierung in Wiesbaden und Ihre Haltung hier ansehe, dann sehe ich das offenkundige Auseinanderfallen Ihrer politischen Deklamation und der Praxis vor Ort. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich den Kollegen Horn für seine Aussage über den Stellenwert der Parteitagsbeschlüsse der SPD herzlich beglückwünschen. Das hat uns sehr gutgetan. ({0}) Meine Damen und Herren, in einer verteidigungspolitischen Debatte muß man feststellen, daß es seit 1.945 noch nie so viele Erfolge in der Abrüstung und in der Rüstungskontrolle gegeben hat wie in den letzten Monaten. „Stimmt denn unser Weltbild nicht mehr?", fragen die Kritiker der Sicherheitspolitik. Bei uns in der Bundesrepublik, ja im gesamten Westen glauben viele Menschen, die Sowjetunion habe ihr selbstgesetztes historisches Ziel, die gesamte Menschheit mit ihrem eigenen Gesellschaftssystem zu beglücken, aufgegeben. Meine Damen und Herren, ich hoffe, hier nicht als Kalter Krieger diffamiert zu werden, wenn ich nur eine einzige Realität nenne, die mich immer so beein7768 Müller ({1}) druckt: In der DDR gibt es mehr sowjetische Panzer und motorisierte Divisionen, als im gesamten amerikanischen Heer vorhanden sind. Es gilt demnach nach wie vor, daß unser Staat nicht wehrlos und politisch erpreßbar sein kann. ({2}) Die Rechtfertigung unserer Streitkräfte leitet sich nicht aus dem subjektiven Bedrohungsempfinden ab, sondern aus der Pflicht des Staates zum Schutz des Gemeinwesens. Das war ein Zitat von Bundesminister Scholz, dem ich mich gerne anschließe. ({3}) Hier von „Bedrohungsmanie" zu sprechen, Herr Kollege Horn, ist in diesem Zusammenhang völlig unangebracht. ({4}) Es gab in unserem Leben natürlich noch keinen Zeitraum, der von außen so wenig gefährdet war, so daß sich einige in der Tat die Frage stellen: Kann man die Mittel nicht für etwas anderes einsetzen? - Einher mit dieser Fragestellung geht die am heutigen Nachmittag schon wiederholt angesprochene Feststellung, daß es eine nachlassende Bereitschaft gibt, Pflichten zu übernehmen. In der Jugend ist man - vielleicht sogar in zunehmender Tendenz - zwar bereit, sich im Verein einzusetzen, sich im Beruf, in der Familie zu engagieren; das ist alles sehr positiv. Aber bei Pflichten für den Staat wächst die Skepsis, ja die Zurückhaltung. Kollege Kühbacher, das hat nichts mit der Höhe der Verteidigungsausgaben zu tun, sondern ist eine ganz allgemeine Feststellung. In unserem konkreten Fall kommen die Probleme der sinkenden Jahrgangsstärken, die Konkurrenz der privaten Wirtschaft und die ansteigende Anzahl der Wehrdienstverweigerer hinzu. Meine Damen und Herren, das ist der Zusammenhang, der nur in wenigen Sätzen angesprochen werden kann, in dem wir diesen Verteidigungshaushalt sehen. Die Forderungen an diesen Haushalt konzentrieren sich daher im wesentlichen auf den Personalsektor. Die Steigerung von 1,2 Milliarden DM, die Kollege Dr. Friedmann angeführt hat, spricht hier ja für sich. Im Vordergrund steht die Absicht, die Attraktivität der Streitkräfte durch die notwendigen finanziellen Maßnahmen zu erhalten und zu steigern sowie beim Zivilpersonal die mit dem Haushalt 1988 begonnenen Verbesserungen fortzusetzen. Die Soldaten haben Anspruch auf eine soziale Stellung, die in anderen Bereichen der Gesellschaft selbstverständlich ist. Es kann nicht hingenommen werden, daß die Soldaten etwa eine Berufsgruppe darstellen, die einen minderen oder einen sozial weniger entwickelten Status in Kauf zu nehmen hätte, als es für andere Berufsgruppen heute gilt. Dies ist - so meine ich - eine entscheidende Feststellung, die für Längerdienende genau so wie für Wehrpflichtige gilt. Deswegen ist dieser Haushalt ein Haushalt für die Soldaten. ({5}) Die Soldaten müssen Priorität haben. Denn der Beruf des Soldaten ist abhängig von Motivation, Einsatzwillen, Leistungsbereitschaft und von dem Bewußtsein, daß er Anerkennung findet und daß man seine Leistung auch gesellschaftlich anerkennt. Dies geht nur dann, wenn der Soldat auch in seiner materiellen Ausstattung adäquat und angemessen von der Gesellschaft honoriert wird, meine Damen und Heren. Ich will hier stichwortartig ganz kurz das auflisten, was wir in Verfolg dieser Zielsetzung in diesem Haushalt alles realisiert haben. Die Geldansatzstärke für Längerdienende bleibt bei 266 000 DM. Für die Einführung einer Weiterverpflichtungsprämie bereits ab 1. Juli stellen wir - einschließlich der Mittel zur Nachwuchswerbung - 100 Millionen DM zur Verfügung. ({6}) Wir flankieren die Verlängerung des Grundwehrdienstes mit einer strukturellen Wehrsolderhöhung, mit einer Verdoppelung des Entlaßgeldes und mit der Auszahlung des doppelten Verpflegungsgeldes auch bei Wochenendurlaub. Wir erhöhen die Zahl der Wehrübungsplätze um 400 auf 7 000, damit wir 210 000 Reservisten Wehrübungen ermöglichen können. ({7}) Was alles flankierend dazu noch gemacht wird, ist ganz erheblich. Es wird eine vorausschauende Einplanung betrieben. Dadurch wird eine Verbesserung der Motivation erreicht. Ich habe dieser Tage meinem heimischen Kreiswehrersatzamt in Saarlouis einen Besuch abgestattet. Dort habe ich von einem leitenden Herrn gehört, in welch hervorragender Art und Weise die Gedanken der Reservistenkonzeption umgesetzt werden. Die Probleme in bezug auf die Wirtschaft, die eben hier angesprochen worden sind, werden dort nicht verschwiegen. Es ist deswegen um so wichtiger, hier auch festzustellen, daß wir in diesem Haushalt die Gleichstellung von Wehrübenden der privaten Wirtschaft mit denen des öffentlichen Dienstes erreicht haben. Daher ist die Kritik von Ihnen, Herr Kollege Horn, hier völlig unangebracht. Ich nenne nur das Stichwort: Achte Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz. Die erhöhten Sachmittel in diesem Bereich sind herauszustellen. Wir verbessern die Planstellensituation für Soldaten. Wir schaffen den Sanitätstourismus in der Bundeswehr durch 150 neue Sanitätsoffiziere ab. Wir öffnen diese Laufbahn sogar für Frauen, meine Damen und Herren. ({8}) Wir lösen jetzt das Problem des Zeitausgleichs, indem wir dafür rund 200 Millionen DM vorsehen. Müller ({9}) Auch im Hinblick auf das Zivilpersonal - das gehört ebenfalls zur Attraktivität der Bundeswehr - muß ich hier sagen, daß wir die 1988 eingeleiteten Fortschritte jetzt fortsetzen. ({10}) Wir haben sichergestellt - ich bedanke mich dafür bei den Kollegen der SPD im Haushaltsausschuß -, daß im laufenden Jahr alle Auszubildenden, die übernahmewillig waren, übernommen wurden. Das hat zu Problemen geführt, die wir, Gott sei es gedankt, alle lösen konnten. Diese Probleme sind es unter anderem auch gewesen, die es uns jetzt haben angezeigt erscheinen lassen, daß wir in diesem Jahr eine Wiederbesetzungssperre und eine globale Stellenkürzung nicht mehr vornehmen. Wir konnten all diese Probleme lösen, weil wir diese Erfahrungen in diesem Jahr gemacht haben. Meine Damen und Herren, wenn ich in der Öffentlichkeit wegen eines angeblich demnächst zu bauenden Bundeswehrdienstgebäudes in Saarbrücken kritisiert werde, so kann ich nur sagen: Dieser Vorwurf ist absurd. Wir haben 40 Millionen DM auf diesen Infrastrukturtitel draufgelegt. Was damit letztlich gemacht wird, ist eine alleinige Entscheidung der Exekutive. Einen solchen Punkt herauszugreifen und jemanden dann deswegen zu kritisieren, entspricht nicht dem Stil, den wir normalerweise im Haushaltsausschuß pflegen. ({11}) Dies wird natürlich nicht die Zusammenarbeit fördern. Meine Damen und Herren, die Pauschalkritik an all dem, was wir gemacht haben, die der Kollege Horn hier vorgetragen hat, ist also allein durch die Auflistung dieser Tatsachen widerlegt. Das alles tun wir, weil die Bundeswehr stets ein entscheidendes Mittel unserer Friedenspolitik war und auch weiter sein soll. Seit nunmehr über 30 Jahren haben zahllose Wehrpflichtige und zahllose Freiwillige selbstlos dieser Friedenspolitik gedient. Sie haben dies getan für uns, für alle Bürger. Sie stehen ein für unsere Werte- und Lebensordnung. Deshalb verdienen diese Menschen unsere volle Unterstützung. Ich bedanke mich. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst ein Wort des Dankes an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, vor allem an die Berichterstatter, die sich mit sehr viel Intensität und sehr viel Engagement um die entscheidenden Fragen gekümmert haben. ({0}) - Auch die Sachkunde bestätige ich jedem, der sie gern haben möchte. Herr Kühbacher, für Sie gern eine Gratisprobe von Sachkunde. ({1}) Ich bedanke mich vor allem dafür, daß sich die Berichterstatter und die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß mit der Verabschiedung dieses Haushaltsentwurfs den besonderen, vor allem strukturpolitischen Herausforderungen offen gestellt haben, diese anerkannt haben und, wie ich meine, für das Plenum eine Vorlage vorbereitet haben, die uns bei der Bewältigung der strukturpolitischen Herausforderungen des kommenden Jahres und der kommenden Jahre, was die mittelfristige Finanzplanung angeht, entscheidend helfen wird. Bereits in der ersten Lesung dieses Haushalts habe ich darauf hingewiesen, daß dieser Haushalt - das ist heute auch von Ihnen angesprochen worden - vor allem ein Haushalt des Soldaten sein muß. Diese Soldaten sind Teil einer demokratischen Gesellschaft. Sie sind Teil einer sozialen Ordnung, aus deren Leistungssystemen und deren legitimen Erwartungen und Bedarfsbildungen sie nicht ausgeschlossen werden dürfèn. Im Gegenteil, unsere Soldaten leisten ihren Dienst für ihr Land, für jeden Bürger in unserem Land. Sie haben einen Anspruch darauf, in gleicher Weise, wie die legitimen Erwartungen anderer sind, behandelt zu werden. ({2}) Selbst wenn dem einen oder anderen in unserem Lande heute im Zeichen eines schwächer werdenden Bedrohungsbewußtseins die Einsicht verlorengeht, daß ein souveräner, ein unabhängiger Staat, daß eine Gesellschaft, die auf Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung setzt, auch und insbesondere einer glaubhaften und funktionstüchtigen Gewährleistung ihrer äußeren Sicherheit bedarf, also entsprechend leistungsfähiger und entsprechend ausgerüsteter Streitkräfte, so ist um so mehr hervorzuheben, daß dieser Dienst, der im ursprünglichsten Sinne des Wortes das Attribut „Gemeindienst" für sich in Anspruch nehmen darf, nicht zum Nulltarif geleistet werden kann, sondern daß er Mittel erfordert, die im Rahmen dessen liegen, was in einer entwickelten sozialen und demokratischen Gesellschaft angemessen ist. ({3}) Auch in diesem Sinne hat die Sicherheitspolitik in unserem Lande immer auf einem hohen Maß an Grundkonsens unter den demokratischen Kräften in unserem Lande beruht. Dieser Grundkonsens muß erhalten bleiben. Man mag über das eine oder andere sicherheitspolitische Detail streiten, aber im Grundsatz muß auch künftig in einer Frage definitiv Einigkeit bestehen, nämlich daß unsere gesicherte Verteidigungsfähigkeit zu den existentiellen Grundlagen unseres Gemeinwesens gehört. Gesicherte Verteidigungsfähigkeit ist ebenso wie in den vergangenen Jahrzehnten auch in der Zukunft im Rahmen des westlichen Bündnisses zu gewährleisten. Dieses Bündnis hat seine Bewährungsprobe in den vergangenen Jahrzehnten bestanden. Wenn sich heute in den Fragen von Abrüstung und Rüstungskontrolle hoffnungsvolle Perspektiven abzeichnen, so ist dies in ganz entscheidender Weise das Verdienst dieses westlichen Bündnisses, seiner ebenso standhaften wie entspannungspolitisch stets offenen und konstruktiven Politik, wie sie vor allem im HarmelBericht ihren unverändert gültigen Niederschlag gefunden hat. Hiernach sind auf der Grundlage der genannten gesicherten Verteidigungsfähigkeit stets Dialog, Interessenausgleich und damit die Grundlagen für politische Entspannung zu suchen. Die gesicherte Verteidigungsfähigkeit als solche kann jedoch niemals zur Disposition stehen. Wer dies in Zweifel zieht, der wird seiner politischen Verantwortung vor unserem Volk nicht gerecht. ({4}) Selbst wenn heute bessere Auspizien auf eine günstigere Zukunft hoffen lassen, wenn bei dem einen oder anderen das Gefühl für aktuelle Bedrohung sinkt, so ändert dies nichts daran, daß diese unsere Verteidigungsfähigkeit zu sichern bleibt, und dies ist ganz entscheidend der Auftrag dieses Haushalts. Wir haben alle Chancen zu politischer Entspannung und damit auch alle Chancen zu Abrüstung und mehr Rüstungskontrolle zu nutzen. Wir haben aber auf der anderen Seite mit unserer Unabhängigkeit, unserer Souveränität und unserer Selbstbestimmung auch unsere äußere Sicherheit wirksam zu gewährleisten und die Unterhaltung und Entwicklung verteidigungsfähiger Streitkräfte formuliert deshalb eine buchstäblich über den Tag hinausreichende - von tagespolitischen Ereignissen unabhängige - Aufgabe unseres Gemeinwesens. Meine Damen und Herren, dies alles ändert natürlich nichts daran, daß im Zuge von Abrüstung und Rüstungskontrolle auch über den konkreten Umfang von Streitkräften nachzudenken ist. Wenn heute auch von sowjetischer Seite darauf hingewiesen wird, daß man zu einem insgesamt niedrigeren Streitkräfteniveau in Europa gelangen müsse, daß es vor allem im konventionellen Bereich darum gehe, auch über den Abbau von Disparitäten und über asymmetrische Abrüstung zu gemeinsamen, möglichst niedrigen Obergrenzen zu gelangen, so ist dies auch an dieser Stelle und erneut mit Nachdruck zu begrüßen. Denn dies sind alles alte westliche Forderungen, denen sich die Sowjetunion beziehungsweise der Warschauer Pakt in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht nur verschlossen hat, sondern die sie buchstäblich durch massive Hoch- und Überrüstung konterkariert hat. Indessen, es sollte niemals zu spät sein, es sollte niemals zu spät für bessere Einsichten für den richtigen Weg, den Weg zu einer besseren und friedenspolitisch gemeinsamen Zukunft sein. ({5}) In diesem Sinne erneuere ich gerne auch an dieser Stelle und heute unseren Willen, möglichst rasch vor allem zur Konferenz über konventionelle Rüstungskontrolle zu gelangen, das entsprechende Mandat bald zu verabschieden, die Wiener KSZE-Folgekonferenz schnell und erfolgreich abzuschließen, um möglichst bald mit der anderen Seite über konkrete Abrüstungsmaßnahmen im konventionellen Bereich zu sprechen. Unser Interesse hieran ist eindeutig und vielfach bekräftigt worden. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Nein. Meine Damen und Herren, nach wie vor bestehen im konventionellen Rüstungsbereich - heute ist mehrfach darauf hingewiesen worden - die erdrükkende Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten sowie die unveränderte Fähigkeit, zu großräumigen offensiven Operationen. Nach wie vor muß uns dies beunruhigen und um so stärker veranlassen, möglichst rasche Abrüstungsschritte zu fordern. Ich habe dies anläßlich des Besuchs des Bundeskanzlers in Moskau auch in meinen dortigen Gesprächen, vor allem in meinem Gespräch mit Verteidigungsminister Jasow, sehr deutlich gemacht. Es geht unverändert darum, daß die bestehenden Ungleichgewichte rasch beseitigt werden und - hier läßt sich Generalsekretär Gorbatschow sehr unmittelbar zitieren, und hier ist er auch direkt beim Wort zu nehmen - daß derjenige, der mehr hat, dann auch mehr abbauen muß. Wir haben nach wie vor zu fragen, warum beispielsweise allein in der DDR mehr hochgerüstete sowjetische Divisionen uns gegenüberstehen, als die Gesamtheit aller präsenten Heeresverbände etwa der Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt ausmacht. Wir müssen - um auch dies noch einmal hervorzuheben - möglichst bald zum erfolgreichen Abschluß der Wiener KSZE-Folgekonferenz gelangen. Es ist darauf hinzuweisen, daß es nicht nur darum geht, ein militärpolitisch tragfähiges und möglichst rasches Ab-rüstungs- und Rüstungskontrollmandat zu erreichen. Es geht um mehr. Es geht um politische Entspannung, und politische Entspannung ist nicht allein durch Abrüstung und Rüstungskontrolle zu erreichen. Politische Entspannung beginnt vor allem dort, wo es um die Menschenrechte geht. Denn wer die Menschenrechte wahrt, wird am wenigsten politische Spannungen hervorbringen, wird am wenigsten andere Staaten, wird am wenigsten Nachbarn gefährden. ({0}) Aus diesem Grunde bleibt das Junktim zwischen dem KRK-Mandat und dem erfolgreichen Abschluß der Wiener KSZE-Folgekonferenz eine wirkliche Notwendigkeit, eine Notwendigkeit, die uns aber auf den richtigen Weg bringen wird. Wir können nur gemeinsam hoffen, daß es möglichst bald zum entsprechenden Konferenzabschluß kommen wird. Meine Damen und Herren, gerade im Hinblick auf die konventionelle Rüstungskontrolle, die uns besonders am Herzen liegt und liegen muß, erlauben Sie mir den keineswegs pessimistisch gemeinten, aber sehr realistischen Hinweis darauf, daß auch nach Verabschiedung des Verhandlungsmandats und nach Konferenzbeginn mit Sicherheit eine Phase sehr langwieriger und schwieriger Verhandlungen beginnen wird, eine Phase, die mit ebenso viel Geduld wie Standfestigkeit und Überzeugungskraft zu bestehen sein wird. Niemand gebe sich hier Illusionen hin. Es gibt wohl kein schwierigeres und kein ambitionierteres Abrüstungs- oder Rüstungskontrollfeld als das einer wirksamen, einer tragfähigen konventionellen Rüstungskontrolle. Die Messung konventioneller Streitkräfte, die Beurteilung konventioneller Mittel, ihr gegenseitiger Vergleich, ihre wechselseitige Abwägung miteinander, dies alles ist von großer Schwierigkeit, von großer Komplexität. So mag niemand darauf bauen, daß es hier zu sehr raschen Ergebnissen kommen wird. Es bedarf vielmehr der Geduld, der Standfestigkeit und sehr viel Arbeit; Geduld und Standfestigkeit, die uns aber den gewünschten, erhofften Lohn und Erfolg bringen können und, wie ich meine, auch bringen werden. Denn wenn die östliche Seite heute zunehmend begreift, welche immensen finanziellen und wirtschaftlichen Lasten gerade mit konventioneller Rüstung verbunden sind, wenn die östliche Seite heute erklärt - ich zitiere nur den sowjetischen Generalstabschef Achromejew -, daß die bisherige sowjetische Militärpolitik die der Überrüstung gewesen ist, wenn man dort heute erkennt, daß die Ziele von Perestroika und Glasnost eine Reform der Lebensbedingungen und der Wirtschaftsordnung in der Sowjetunion sind, wenn dies alles mit solcher Überrüstung nicht vereinbar ist, wenn es also der wirklichen Reduzierung, der wirklichen Besinnung auf hinlängliche Verteidigungsfähigkeit, wie es dort heute heißt, bedarf, dann können sich wirklich Chancen ergeben, die von uns zu nutzen sind. Aber dies ändert alles nichts daran - und darauf habe ich in meinen Gesprächen mit Verteidigungsminister Jasow sehr deutlich hingewiesen -, daß die gegenseitigen Positionen wirklich gründlich und abgewogen einander gegenübergestellt werden müssen und daß diese gegenseitigen Positionen definitiv zur Beseitigung der bestehenden Disparitäten sehr rasch genutzt werden müssen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Abschluß noch einige Bemerkungen zu unseren Streitkräften selbst. Die Probleme, die Strukturfragen, vor denen wir stehen, sind hier heute sehr deutlich angesprochen worden. Diesen Strukturfragen haben wir uns im kommenden Haushaltsjahr wie überhaupt in den kommenden Jahren zu stellen. Nach dem, was von Ihnen gesagt worden ist, kann ich mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken: Wir werden mit dem, was Sie hier heute mit diesem Haushalt verabschieden, die notwendigen Schritte gehen können. Wir werden die Verteidigungsfähigkeit erhalten können. Wir werden die nötigen Maßnahmen, vor allem im personellen Bereich der Bundeswehr, wo wir vor den größten Problemen stehen, in dieser ersten Phase jener strukturellen Reformen, vor denen wir stehen, finanzieren können. Wir werden darüber hinaus im Bereich des Materials und der Ausbildung die nötigen Maßnahmen finanzieren können. Wir werden also insgesamt in ein Jahr gehen, in dem die Bundeswehr ihren Auftrag erfolgreich und gesichert weiter erfüllen wird, in dem unsere Soldaten darauf vertrauen können, daß der Staat, die Bundesrepublik Deutschland, zu ihnen steht und ihnen auch das gibt, worauf sie berechtigten Anspruch haben. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Einzelplan 14, und zwar zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich nach der Reihenfolge der Drucksachen-Nummern aufrufe. Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3360 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3361. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt hierzu namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu beteiligen, und noch nicht abgestimmt hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir mit den Beratungen fortfahren können. Das ist aber nur möglich, wenn Sie die Plätze einnehmen, denn wir kommen jetzt zu Abstimmungen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3362? ({0}) - Das ist ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. - Herr Kollege Walther, ich habe eingangs gesagt, daß ich jetzt der Reihe nach die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN behandle. Auch der nächste Antrag ist ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. ({1}) - Der Service hier ist nicht zu überbieten. Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3363 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3414 ab. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nun zur Schlußabstimmung in der zweiten Lesung. Der Antrag auf namentliche Abstim7772 Vizepräsident Stücklen mung, der ursprünglich gestellt worden war, ist zurückgezogen worden. Ich muß Sie bitten, noch ein bißchen Geduld zu haben. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ist noch nicht da. Das ist zwingend erforderlich. Inzwischen ist also eine beratungsfreie Pause eingetreten. ({2}) - Da kommen wir dann zur Abstimmung über den Einzelplan 35. Das muß schon der Reihe nach gehen. - Aber jetzt kann gesprochen werden. Es kann sich unterhalten werden. ({3}) Herr Abgeordneter Kühbacher zu einer Frage außerhalb der Tagesordnung.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Vizepräsident, ich habe soeben mit großem Erstaunen gesehen, daß Sie während der Beratungsunterbrechung ein Glas zum Mund geführt haben. Sollte es etwa so sein, daß diese perlende Flüssigkeit Sekt ist? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kühbacher, ich muß Sie enttäuschen, und zwar zu meinem Nachteil. Es handelt sich hier nicht um Sekt, sondern es ist reines Wasser. Die Schriftführerin und der Schriftführer wollen das bitte bestätigen. ({0}) - Ja, bitte schön.

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich schlage vor, daß Sie in Zukunft Milch statt Wasser trinken. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich möchte keine Diskussion darüber eröffnen, welche Getränke nach dem Fernsehen des Norddeutschen Rundfunks zulässig sind und welche nicht. ({0}) Unzweifelhaft würde Milch zu den unverdächtigen Getränken gehören. Herr Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vizepräsident, es sollte dann auf jeden Fall Bio-Milch sein, die Sie zu sich nehmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Auch dagegen gibt es keine Einwendungen. Ich kann aber die Fragestunde hier im Parlament nicht fortsetzen. ({0}) Aber bitte, Herr Dr. Wulff.

Prof. Dr. Otto Wulff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Gestatten Sie mir vielleicht den Hinweis, dann Milch zu trinken, wenn die Kühe Weintrauben fressen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Diese Auflockerung hat unsere ansonsten so ernsthaften Beratungen mit Sicherheit nicht gestört. Aber bitte gestatten Sie mir, daß ich nunmehr mit meinen Pflichtaufgaben fortfahre. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3361 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 428 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben 182 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 240. Enthaltungen: 6. Von den 20 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, haben 8 mit Ja und 11 mit Nein gestimmt. Es gab eine Enthaltung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 426 und 20 Berliner Abgeordnete; davon ja: 181 und 8 Berliner Abgeordnete nein: 239 und 11 Berliner Abgeordnete enthalten: 6 und 1 Berliner Abgeordneter ungültig: 1 Ja SPD Frau Adler Amling Andres Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Bernrath Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt Brück Dr. von Billow Frau Bulmahn Buschfort Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Diller Dr. Ehmke ({3}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler Ewen Frau Faße Fischer ({4}) Frau Fuchs ({5}) Frau Fuchs ({6}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gerster ({7}) Gilges Dr. Glotz Graf Großmann Grunenberg Haack ({8}) Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Heistermann Hiller ({9}) Dr. Holtz Horn Ibrügger Jahn ({10}) Jaunich Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski Kolbow Koltzsch Koschnick Kühbacher Lambinus Leidinger Leonhart Vizepräsident Stücklen Lohmann ({11}) Lutz Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Dr. Mertens ({12}) Müller ({13}) Müller ({14}) Müntefering Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({15}) Pfuhl Porzner Purps Frau Renger Reuter Rixe Roth Schäfer ({16}) Schanz Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Schmidt ({17}) Frau Schmidt ({18}) Schmidt ({19}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schütz Seidenthal Sielaff Sieler ({20}) Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling Stahl ({21}) Steiner Frau Steinhauer Dr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Voigt ({22}) Waltemathe Walther Frau Dr. Wegner Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({23}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({24}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({25}) Dr. de With Wittich Zander Zeitler Berliner Abgeordnete Heimann Frau Luuk Dr. Mitzscherling Stobbe Dr. Vogel Wartenberg ({26}) FDP DIE GRÜNEN Frau Beck-Oberdorf Frau Beer Brauer Dr. Daniels (Regensburg Ebermann Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Häfner Frau Hensel Frau Hillerich Hoss Hüser Kleinert ({27}) Dr. Knabe Kreuzeder Frau Krieger Dr. Lippelt ({28}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Frau Schmidt-Bott Frau Unruh Frau Dr. Vollmer Weiss ({29}) Wetzel Frau Wollny Berliner Abgeordnete Frau Olms Sellin Fraktionslos Wüppesahl Nein CDU/CSU Austermann Bauer Bayha Dr. Becker ({30}) Dr. Biedenkopf Dr. Blens Böhm ({31}) Börnsen ({32}) Dr. Bötsch Bohlsen Borchert Breuer Bühler ({33}) Carstens ({34}) Dr. Czaja Dr. Daniels ({35}) Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Eylmann Dr. Faltlhauser Dr. Fell Fellner Frau Fischer Fischer ({36}) Francke ({37}) Dr. Friedrich Fuchtel Funk ({38}) Ganz ({39}) Frau Geiger Geis Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({40}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Gröbl Dr. Grünewald Günther Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({41}) Hauser ({42}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({43}) Dr. Hornhues Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch Graf Huyn Jäger Dr. Jahn ({44}) Dr. Jobst Jung ({45}) Jung ({46}) Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Klein ({47}) Dr. Köhler ({48}) Kolb Kossendey Kraus Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({49}) Lamers Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Frau Limbach Link ({50}) Link ({51}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold ({52}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Müller ({53}) Müller ({54}) Neumann ({55}) Niegel Dr. Olderog Oswald Frau Pack Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riesenhuber Frau Rönsch ({56}) Frau Roitzsch ({57}) Rossmanith Roth ({58}) Rühe Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({59}) Sauter ({60}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({61}) Schemken Scheu Schmitz ({62}) von Schmude Dr. Schneider ({63}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({64}) Schulhoff Dr. Schulte ({65}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({66}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Strube Stücklen Susset Dr. Uelhoff Vizepräsident Stücklen Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({67}) Vogt ({68}) Dr. Voigt ({69}) Dr. Vondran Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß ({70}) Werner ({71}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({72}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink Berliner Abgeordnete Buschbom Feilcke Kalisch Kittelmann Lummer Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig Schulze ({73}) Straßmeir SPD Nagel FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Bredehorn Cronenberg ({74}) Eimer ({75}) Engelhard Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich komme nun zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der zweiten Lesung. Wer dem die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Einzelplan 14 ist in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 35. Der Herr Abgeordnete Walther hat gebeten, nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung abzugeben.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 35 umfaßt die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Truppen in der Bundesrepublik entstehen und auf den Bundeshaushalt entfallen. Meine Fraktion hat in den vergangenen Jahren immer für diesen Einzelplan gestimmt. Wir haben beschlossen, dies auch in diesem Jahr wieder zu tun, und ich werde mich dem, was meine Fraktion empfohlen hat, anschließen. Ich füge aber hinzu: In diesem Einzelplan stehen auch die Kosten, die durch die Abhaltung alliierter Manöver in der Bundesrepublik entstehen. Ich muß auf Grund der Erfahrungen in meinem engeren Bereich feststellen, daß die Manöverkosten dadurch immer wieder steigen, daß sie Erscheinungen darstellen, die ich nur als Manöverterrorismus bezeichnen kann. ({0}) Das Manöver „Golden Crown", das ich in meinem eigenen Wahlkreis erlebt habe, wobei der Bundesverteidigungsminister in der Beurteilung keiner anderen Meinung ist als ich, hat genau gezeigt, das das, was ich hier beschrieben habe, inhaltlich zutreffend ist. Deshalb sage ich: Wenn sich im nächsten Jahr nicht herausstellen sollte, daß sich die alliierten Streitkräfte bei Manövern genauso verhalten wie die Bundeswehr, werde ich diesen Einzelplan ablehnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 35, im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte, in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Einzelplan mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksachen 11/3220, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Schroeder ({0}) Nehm Frau Rust Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3449 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen worden. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering. Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Genscher Grüner Dr. Haussmann Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer Kleinert ({1}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting Paintner Richter Ronneburger Schäfer ({2}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Dr. Weng ({3}) Wolfgramm ({4}) Zywietz Berliner Abgeordneter Hoppe Enthalten SPD Niggemeier FDP Dr. Feldmann Gries Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch Rind Berliner Abgeordneter Lüder

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wohnungspolitik kommt wieder in die Schlagzeilen der Medien. Der Oberbürgermeister von Köln meldet 29 000 Wohnungssuchende und Wohnungsnot in Köln. Die CDU-Ratsfraktion in Düsseldorf stellt am 10. Oktober 1988 fest: Es ist in Düsseldorf eine Situation eingetreten, die als Wohnungsnot bezeichnet werden muß. Erste Ergebnisse der Wohnungszählung zeigen, daß die Wohnungszahl im Lande zu hoch geschätzt worden ist. Es gibt in Hessen offensichtlich rund 75 000 Wohnungen weniger als angenommen, in Bayern offensichtlich 370 000 Wohnungen weniger als angenommen. Die Mieten kommen in Bewegung und sorgen für einen Inflationsschub. Sie sind seit langem und in wachsendem Maße der Preistreiber. Im September lagen sie um 3 % über der Vergleichszahl des vorigen Jahres. Bei Neuvermietungen von Wohnungen sind Erhöhungen von 10 bis 15 % an der Tagesordnung, in Einzelfällen auch bis zu 30 %. In München, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart und sicher auch in vielen anderen großen Städten liegen die Mietpreise bei 15 DM steigend. Das sind noch günstige Lagen; es geht auch bis 25 und 30 DM pro Quadratmeter. In Esslingen meldete die dortige Baugenossenschaft 1985 bei 586 Wohnungsangeboten 311 Wohnungssuchende, heute bei 117 Angeboten 457 Wohnungssuchende. Der Geschäftsführer des Kölner Studentenwerks berichtet über vollgestopfte Wohnheime und über eine Warteliste von 900 Studentinnen und Studenten, die bisher noch keine menschenwürdige Unterkunft gefunden haben. Meine Damen und Herren, es sind die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen, die unter diesem Wohnungsmangel leiden. Es sind die jungen und die kinderreichen Familien, Studenten, Auszubildende, Arbeitnehmer, Deutsche und Ausländer. Viele von ihnen warten schon seit Jahren. Hinzu kommen nun die deutschen Aussiedler und Übersiedler, die jetzt zu uns in die Bundesrepublik kommen dürfen und die täglich in großen Gruppen in den Rathäusern stehen und Hilfe erbitten. Sie landen in alten Hallen, in Baracken, in Containern, in Campingwagen. Nicht alle dieser Notunterkünfte sind beheizbar, und der Winter ist da. Für die Städte und Gemeinden hat der Präsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Schmalstieg, am 7. November festgestellt: Wenn der Bundeskanzler will, daß Aussiedler mit offenen Armen in der Bundesrepublik empfangen werden, dann soll er auch den Gemeinden mit offenen Händen das nötige Geld für ihre Unterbringung geben. Diesem kann man sich ja wohl nur anschließen. ({0}) Daß es 1988 wieder Wohnungsknappheit, punktuell auch Wohnungsnot, gibt, ist unbestreitbar. Vor zwei, drei Jahren lauteten die Meldungen noch ganz anders: Da standen die Leerstände in den Schlagzeilen. Die Frage lautet: Was ist eigentlich in diesen zwei bis drei Jahren passiert, daß sich da so viel verändert hat? Ich denke, zwei Dinge sind in den vergangenen Jahren offensichtlich falsch gelaufen: Erstens. Es gab falsche Prognosen. Das verursachte ein weiteres Schrumpfen des Neubaus. Es gab zweitens ein Herausstehlen des Bundes aus der Mitverantwortung für den Wohnungs- und Städtebau. Zu den Prognosen: Erstens. Es wurde eine sinkende Zahl der Bevölkerung angenommen - das war richtig - und ein Sinken der Zahl der Haushalte - das war falsch - . Heute wissen wir: Bis 1995 werden wir rund 800 000 Haushalte mehr als heute haben, und dabei sind die Aussiedler und Übersiedler noch nicht mitgezählt. Zweitens. Die steigende Pro-Kopf-Versorgung mit Wohnraum hat dazu verführt, zu glauben, damit löse sich das Problem. In Wirklichkeit wohnen immer mehr immer besser auf immer mehr Quadratmetern. Aber davon haben diejenigen, die keine Wohnung haben, überhaupt nichts. Das Ehepaar ist mit zwei Kindern in die 80-qm-Wohnung eingezogen, wohnt dort nach 20 Jahren mit zwei Personen, irgendwann ist es nur noch eine. Die Statistik zeigt, daß die Quadratmeterzahl pro Person steigt; sie hat sich verdoppelt und vervierfacht. Aber diejenigen, die draußen sind, haben davon überhaupt nichts. ({1}) Ich will nicht, daß diese Gruppe, die ich gerade bezeichnet habe, aus diesen Wohnungen heraus soll. Ich sage nur, die Prognose, diese Statistik sei aussagekräftig für den Bedarf, ist widerlegt. Drittens. Das Hantieren mit Durchschnittszahlen war nicht nur bei der Pro-Kopf-Versorgung falsch, sondern auch bei der regionalen Gewichtung. Es gibt Städte und Regionen, in denen der Wohnungsmarkt auch heute noch ausgeglichen ist. Es gibt Städte und Regionen, in denen er nicht ausgeglichen ist, in denen Wohnungsknappheit und Wohnungsnot vorhanden ist. Viertens war an den Prognosen falsch, anzunehmen, die Leerstandszahlen, die damals genannt wurden, seien so markant, wie sie uns ins Auge gesprungen sind. Sie sind überbewertet worden. Sie traten massiert an bestimmten Stellen auf, aber sie waren nicht typisch für das ganze Land. Es war nie eine Situation gegeben, in der mehr als 1 oder 2 % Wohnungen überzählig gewesen sind. 1 bis 2 % mehr muß man schon haben, damit der Wohnungsmarkt überhaupt funktionieren kann. Die Leerstände sind damals dramatischer geredet worden, als sie in Wirklichkeit gewesen sind. Fünfter Irrtum bei den Prognosen: Nachfrageschwäche ist doch keine Bedarfsdeckung. Wenn untere Einkommen, z. B. Arbeitslose, schlichtweg kein Geld haben, um bedarfsgerechte oder teure Wohnungen nachzufragen, heißt das noch nicht, daß es keinen dringenden Bedarf bei ihnen und bei all den anderen, die da auf den Wartelisten sind, gibt. Auch die Steuerreform 1990 ändert daran nichts. Wer vorher mieten, selbst bauen oder kaufen konnte, der kann das jetzt noch besser. Wer nach der Steuerreform mit geringem Einkommen dasteht, kann auch trotz dieser Steuerreform nicht aus eigener Kraft heraus bauen, kaufen oder mieten. Es ist sogar mit dieser Steuerreform eine wichtige Vergünstigung für die Eigenheimbauer, nämlich die zehnjährige Befreiung von der Grundsteuer, weggestrichen worden. Das bedeutet in den Portemonnaies im Durchschnitt wieder 400 DM weniger für die Familien. ({2}) Die Prognosen waren falsch, die wohnungspolitische Philosophie und das wohnungspolitische Handeln der Bundesregierung waren ebenfalls falsch. ({3}) Die Annahme, das Problem Wohnen sei in unserem Lande gelöst und die verbleibenden Restaufgaben würde der Markt schon lösen, war ein Irrtum. ({4}) Es war ein Fehler, daß sich der Bund - auch durch die Schuld aller Bundesländer - in den vergangenen Jahren Zug um Zug aus seiner Mitverantwortung für die Wohnungspolitik zurückgezogen hat. Noch schlimmer war allerdings, daß der Bund mit seinem praktischen Handeln die Bremsspur des Wohnungsbaus noch massiv verstärkte. Der Bund gibt seit 1985 keinen Pfennig mehr für neue Maßnahmen im sozialen Mietwohnungsbau. Jahr für Jahr wurden entsprechende Anträge der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu den Haushaltsberatungen abgelehnt. ({5}) Der Bund reduziert auch Jahr für Jahr seine Mittel für den sozialen Eigenheimbau. Auch 1989, mit dem Haushalt, den wir jetzt beschließen, wird im Bereich des sozialen Eigenheimbaus wieder um 150 Millionen DM reduziert. ({6}) Es ist aber so, daß bisher ungefähr 30 % der Menschen, die bei uns Eigenheime bauen, das nur konnten, weil sie öffentliche Mittel bekamen. Das heißt, die in den unteren Einkommenslagen werden demnächst noch weniger als bisher selbst bauen, selbst eine Wohnung herstellen und haben können. Diese Entwicklung schlägt sich übrigens auch in den Zahlen nieder, was die Entwicklung bei selbstgenutztem Wohneigentum angeht. Das müßte dem Minister Schneider, der das immer so groß herausgestellt hat, ein bißchen wehtun. Zwischen 1978 und 1982 stieg die Zahl der selbstnutzenden Eigentümer von 37,8 % auf 40,5 %, zwischen 1982 und 1987 nur noch von 40,4 % auf 42 %. Es gibt nicht nur beim Mietwohnungsbau, sondern auch beim Bau selbstgenutzter Eigenheime ein Durchhängen in den letzten Jahren. Dazu hat auch beigetragen, daß sich die Bundesregierung nie energisch des Problems der Zwangsversteigerung beim selbstgenutzten Wohneigentum angenommen hat. Diese Seuche, die sich entwickelt hat, ist für die betroffenen Familien ganz schlimm, eine Tragödie. Es ist aber inzwischen auch ein Bauhemmnis für die geworden, die sonst vielleicht den Mut hätten, das Ding anzupacken. Vor wenigen Jahren war es noch so, daß jeder jemanden kannte, der gebaut hatte und der es nach einer Durststrecke geschafft hatte. Heute kennt jeder jemanden, der es nicht geschafft hat. Das ist für viele auch ein Motiv, zu sagen: Halten wir uns da ein Stück zurück. ({7}) Die Bundesregierung hat schon in den vergangenen Jahren die 2 %ige Grunderwerbsteuer auch für kleine Objekte wieder obligatorisch gemacht. Mit der Steuerreform wird jetzt die Arbeitnehmersparzulage für Bausparbeiträge von 23 % auf 10 % gesenkt. Die Bausparprämien werden von 14 % auf 10 % zurückgesetzt. Insgesamt ist festzustellen: ({8}) Das, was die Bundesregierung in den letzten Jahren faktisch getan hat, hat auch dazu beigetragen, daß Eigenheimbau bei uns im Lande schwerer und nicht leichter wird. Der Bund fördert auch die Modernisierung nicht mehr. Er fördert das Energiesparen nicht mehr. ({9}) Es gibt aber viele Wohnbereiche und Siedlungen, gerade auch die hochverdichteten der 60er und 70er Jahre, die dringend modernisiert und in ihrem Wohnwert stabilisiert werden müssen. Daß wir in dieser Zeit der niedrigen Energiepreise die Chance nicht nutzen, Energie zu sparen und eine Hypothek abzubauen, die wir alle irgendwann noch einmal teuer bezahlen werden, ist eines der größten Versäumnisse dieser Bundesregierung. Im Wohnungsbestand sind Sparmargen von 25 %, 30 % da. Das Öl bleibt nicht auf immer und ewig so billig, wie es heute ist. Eines Tages werden wir miteinander all das bezahlen müssen, was wir heute an Energiesparmaßnahmen verpassen, die dringendst erforderlich wären, die aber der Bundesbauminister aus seinem Haushalt herausgestrichen hat und die er nicht mehr forciert. ({10}) Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren die Prognosen auch überhaupt nicht falsch, und die wohnungspolitische Philosophie war nicht auf Irrtümern begründet, sondern vielleicht ist das alles so gewollt. ({11}) Vielleicht ist es gewollt, daß der Markt in immer größer werdenden Teilbereichen die Wohnungsnachfrage bestimmt und lenkt, möglichst bald in allen Teilbereichen. Es ist gewollt, daß durch Wohnungsknappheit die Mietpreise steigen. ({12}) Es ist gewollt, daß sich durch steigende Mietpreise frei finanzierter Mietwohnungsbau wieder lohnt. Ein solches totales Marktsystem im Wohnbereich funktioniert, keine Frage. Es funktioniert für die 5 % + . . ., die Lambsdorff & Co. im Auge haben. Es mag sogar für 50% funktionieren. Es funktioniert nicht für die 20 % oder 30 % unten, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Die 50 % oder 80 % oben - wieviel es auch sein mögen - , sind nicht unsere Sorge. Unsere Sorge sind die, die sich nicht aus eigener Kraft menschenwürdig mit Wohnung eindecken können. ({13}) Die Wahrheit ist schlichtweg: Wir müssen uns in diesem Lande entscheiden, welchen Stellenwert wir dem Wohnen beimessen: ob jeder so wohnen soll, wie es sein eigenes Bankkonto erlaubt, oder ob uns Wohnen mehr wert ist als irgendein Konsumgut, ob es uns soviel wert ist wie Bildung oder wie Arbeit. Zu dieser Wahrheit gehört: Es gibt heute keine leerstehenden preiswerten Wohnungen für einkommensschwächere Nachfrager. Es gibt auch in absehbarer Zeit keine freifinanzierten preiswerten Wohnungen für diese Nachfrager. Das heißt, der Staat - auch der Bund - ist gerufen. Das steht nach wie vor, Herr Minister, im Zweiten Wohnungsbaugesetz drin. Da heißt es: Bund, Länder und Gemeinden und Gemeindeverbände haben den Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baues von Wohnungen, die ... für die breiten Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind ({14}), als vordringliche Aufgabe zu fördern. Aus dieser gesetzlichen und sozialen Verpflichtung stiehlt sich diese Bundesregierung davon. Der Haushalt, der heute hier zur Abstimmung steht, ist ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Zwei Dinge sind unverzichtbar, zum einen schnelle Hilfe für die Menschen, die jetzt akut in Wohnungsnot sind. Da nutzen keine warmen Worte. Da geht es um Geld. Der Bund muß Geld an die Länder und Kommunen geben und mit ihnen zusammen dafür sorgen, daß vor Ort flexibel im Interesse der betroffenen Menschen gehandelt werden kann. Die jetzt einmal vorgeschlagenen und eingebrachten 750 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen, die als Aussiedlerprogramm benannt sind, reichen nicht. Da muß draufgepackt werden. Das muß verlängert werden auch für 1990/91. Bauen dauert lange. Bauen dauert zwei bis drei Jahre, ehe die Wohnung fertig ist. Es ist absurd, daß jetzt eine Maßnahme nur für 1989 eingesetzt wird und keine Klarheit über das geschaffen wird, was 1990/91 getan werden soll. Es ist im Interesse der Betroffenen, der Branche, der Kommunen und der Länder, daß sie wissen, mit welcher Perspektive sie in ihrer Gemeinde planen, entscheiden und Aufträge auf den Weg bringen können. Deshalb ist es nötig, daß wir jetzt darüber entscheiden, daß im Jahre 1989 mehr als 750 Millionen DM und Mittel auch über 1989 hinaus für die Lösung dieser Probleme eingesetzt werden. Der zweite Punkt, der unverzichtbar ist: Die Regierung muß ihr Konzept für den sozialen Wohnungsbau auf den Tisch legen, für Neubau und für Bestand. Da muß in der Koalition entschieden werden, wer recht behält, die Ordnungspolitiker, die rücksichtslos die bewährten sozialen Elemente wegradieren wollen, oder die, die es mindestens in der Union noch gibt, ({15}) die sich ehrlich um diejenigen kümmern wollen, die auf Hilfe angewiesen sind. Wir Sozialdemokraten sind bereit, offen über die Verwerfungen im sozialen Wohnungsbau zu diskutieren, die repariert werden müssen. Die gibt es. Da geht es um die Fragen der Nachfinanzierung in den teuren Jahrgängen. Da geht es auch um das heutige System der Kostenmiete. Darüber muß gesprochen werden. Insgesamt ist an das zu erinnern, was Zille zur Wirkung der Wohnung gesagt hat: „Mit einer Wohnung kann man jemand erschlagen wie mit der Axt". Das gilt auch heute noch. Weil das so ist, wollen wir, daß wir eine Wohnungspolitik in diesem Lande machen, die es ermöglicht, daß jede und jeder in diesem Lande in einer menschenwürdigen Wohnung leben. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Schroeder.

Dr. Conrad Schroeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002075, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das schlimme Bild, das wir gerade von der Miet- und Wohnungspolitik in der Bundesrepublik vom Kollegen Müntefering vorgeführt bekommen haben, ist ein Zerrbild, ({0}) das weitgehend an den Tatsachen vorbeigeht. Dort, wo Notlagen sind, wird von der Bundesregierung und dieser Koalition tatkräftig geholfen. ({1}) Nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses - Herr Conradi, hören Sie da vielleicht mal zu - weist der Bauhaushalt mit 6,3 Milliarden DM ein neues Rekordergebnis aus. ({2}) Damit trägt die Bundesregierung dem gestiegenen aktuellen Bedarf der Länder an Finanzhilfen deutlich Rechnung. Ich werde hier auf fünf Punkte aus dem Bauhaushalt in aller Kürze eingehen. Erstens. Mit einem neuen Dreijahresprogramm für die Städtebauförderung und Dorfsanierung hat die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr einen hervorragenden Beitrag auf diesem Gebiet geleistet. Mit einem Volumen von 660 Millionen DM jährlich gibt der Bund hier Impulse, die nicht nur der Verstetigung der Baukonjunktur dienen, sondern hohen arbeitsmarktpolitischen Wert haben. Mit den Supplementärmitteln der Länder und Gemeinden erreicht das Städtebauförderungsprogramm insgesamt ein jährliches Fördervolumen von 2 Milliarden DM, und die durch das Städtebauförderungsprogramm ausgelösten Investitionsimpulse können mit den hinzukommenden privaten Mitteln zumindest mit fünf vervielfacht werden und haben damit den beachtlichen Gesamteffekt von 10 Milliarden DM jährlich. Damit ist das Städtebauförderungsprogramm das beste Beschäftigungsprogramm. Das Städtebauförderungsprogramm ist weiterhin der große Renner des Bundesbauministers. Es stabilisiert, Herr Müntefering, gerade den Bestand im Wohnungsbau, von dem Sie vorhin gesprochen haben. Dr. Schroeder ({3}) Zweitens. Ein neuer Schwerpunkt, von dem Sie ebenfalls gesprochen haben, Herr Müntefering, im Bereich der Finanzhilfen des Bundes kommt im Jahr 1989, beginnend schon jetzt im Oktober dieses Jahres, ({4}) mit dem Aussiedlerwohnungsbauprogramm hinzu. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung schnell und umgehend auf die Herausforderung reagiert hat, die Hunderttausende von neuen Aussiedlern an unser Land stellen. Diese Menschen dürfen von der neuen Heimat nicht enttäuscht werden. ({5}) Wir dürfen sie in ihrer unverschuldeten menschlichen Not nicht im Stich lassen. Da die Aussiedler als Deutsche das Recht auf freie Wohnortbestimmung haben, können wir sie auch nicht, Herr Müntefering, darauf verweisen, daß es in Teilen unseres Landes, im ländlichen Raum, besonders in Teilen Norddeutschlands, leerstehende Wohnungen gibt, sondern wir müssen dort helfen, wo Wohnungsnachfrage besteht. Und das tun wir. ({6}) Ein zweites Wichtiges, worauf ich mit Nachdruck hinweise: Das Aussiedlerwohnungsbauprogramm geht auch nicht zu Lasten des übrigen sozialen Wohnungsbaus, sondern die Mittel werden nach dem ausdrücklichen Wunsch meiner Fraktion und der gesamten Koalition voll zusätzlich eingestellt. ({7}) Bemerkungen von Sachbearbeitern bei kommunalen Wohnungsämtern - auch Sie haben davon gesprochen, Herr Müntefering - , daß wohnungssuchende Einheimische sich wegen der Aussiedler hinten anstellen müßten, sind unverständlich und unerträglich. Da stimme ich Ihnen zu. Der Bund bietet den Bundesländern für die nächsten drei Jahre zur Förderung des Aussiedlerwohnungsbaus insgesamt 1,125 Milliarden an Finanzhilfen an. Im kommenden Jahr sollen mit 750 Millionen DM Bundesmitteln und dem gleichen Betrag an Landesmitteln, also 1,5 Milliarden DM insgesamt, zunächst 30 000 Wohnungen neu geschaffen werden. Herr Müntefering, ich stimme Ihnen zu, daß der Neubau Zeit in Anspruch nimmt. ({8}) - Herr Kollege Kühbacher, so gern ich die Diskussion mit Ihnen jetzt führen würde: Ich habe in dieser Debatte gelernt, daß die Zeit dafür zwar nicht an meiner Redezeit, aber an der Redezeit der folgenden Redner abgeht. Da möchte ich Solidarität üben. Darum bitte ich um Verständnis, daß wir das vielleicht dann im Ausschuß weiter aushandeln. Zunächst sollen also 30 000 Wohnungen neu geschaffen werden. Der Beurteilung, daß der Neubau länger dauert, stimme ich zu. Deshalb setzen wir auch auf Ausbau, Umbau und Erweiterung. Wie ich höre, ist in Berlin gerade ein großes Dachgeschoßausbauprogramm angelaufen. Ich glaube, das ist genau der richtige Weg, um schnell und unbürokratisch zu helfen. ({9}) Es können auch andere Sozialwohnungsberechtigte begünstigt werden, sofern eine gleichwertige Wohnung für Aussiedler freigemacht wird. Die Belegungsbindung zugunsten von Aussiedlern von sieben Jahren garantiert einerseits die Zweckbindung und gibt andererseits genug Flexibilität und Anreize. Mit Ausnahme von Hamburg haben in der Zwischenzeit alle Bundesländer das Angebot des Bundes angenommen. Ich möchte das hier erwähnen. Hamburg braucht offensichtlich sein Geld für andere Projekte im Wohnungsbau. ({10}) - In der Hafenstraße beispielsweise; ja. Wir appellieren an alle Bürger, die gebotenen Möglichkeiten zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums schnell zu ergreifen. Was das Thema betrifft, das Sie, Herr Müntefering, ebenfalls angesprochen haben, die schnelle Unterbringung, hat der Bund angekündigt, daß er geeignete Liegenschaften mietfrei zur vorläufigen Unterbringung sofort zur Verfügung stellt. Wir fordern auch die Gemeinden auf, kostengünstige Grundstücke für Aussiedler anzubieten. Drittens. Das Aussiedlerwohnungsbauprogramm - da stimme ich Herrn Müntefering zu - ist innerhalb der Gesamtproblematik des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik ein wichtiger Aspekt, aber nur ein Teilaspekt. Wir haben Engpässe bei Studenten, jungen Familien und Auszubildenden. Allgemein von neuer Wohnungsnot zu sprechen, ist aber übertrieben. Der Herr Kollege Dr. Vogel und Sie, Herr Müntefering, haben das in dieser Debatte aufgegriffen. ({11}) - Ich komme zu Herrn Späth und auch zu NordrheinWestfalen noch; Augenblick, Herr Conradi! ({12}) Die Wohnversorgung war in der Bundesrepublik noch nie so gut wie in diesen Jahren, ({13}) und zwar qualitativ und quantitativ. Die Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik hat sich in den letzten Jahren insgesamt nicht erhöht. Dennoch wurden mehr als eine Million Wohnungen neu gebaut. Was sich geändert hat: Die meisten Bürger leisten sich heute mehr und besseren Wohnraum, weil sie auch mehr bezahlen können. Hier kennen Sie alle die VerDr. Schroeder ({14}) gleichszahlen: 1950 waren es im Schnitt 15 Quadratmeter, heute sind es 35 Quadratmeter pro Person. ({15}) Ich kann Ihnen das auch auf Ballungsräume bezogen vorrechnen: auf München, auf meine Heimatstadt Freiburg, auf Karlsruhe, wenn Sie wollen; die Zahlen liegen alle vor. Die Bürger nutzen heute eben mehr Wohnraum. Und wenn die Mieten angesichts dieser Einkommenssituation in den letzten Jahren, beispielsweise von September 1987 bis September 1988, im sozialen Wohnungsbau um 3,6 % und im freifinanzierten Wohnungsbau um 2,2 % gestiegen sind, ist das kein Grund zur Polemik. Die wesentlichen Ursachen hierfür liegen ja in der Anhebung der Verwaltungs- und Instandhaltungspauschalen - das geschieht alle paar Jahre - , und die wurden auf ausdrücklichen Wunsch und mit Zustimmung aller Länder beschlossen. Die Wohnungspolitik der Bundesregierung und die hervorragenden wirtschaftlichen Rahmendaten haben den Wohnungsbau in der Zwischenzeit auch für private Investoren wieder attraktiv gemacht. ({16}) Von besonderer Bedeutung für den Wohnungsmarkt ist dabei, daß sich - bei kräftig ansteigenden Wohnungsbaugenehmigungen - der Mietwohnungsbau inzwischen zum Spitzenreiter entwickelt hat. ({17}) Die Zahl der neu zum Bau genehmigten Wohnungen stieg im September dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um fast 14 %. ({18}) - Die Steigerungsrate bei Mietwohnungen, Herr Conradi, lag sogar bei mehr als 26 %. Und nun zum sozialen Wohnungsbau: Schauen Sie sich hier einmal den Rückzug der Länder an. Um 4,5 Milliarden DM haben die Länder den sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren zurückgefahren, allen voran Nordrhein-Westfalen; das muß hier an dieser Stelle auch einmal gesagt werden. Und das ist kein Ruhmesblatt für die Länder. ({19}) Viertens. Das Wohngeld, das in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung hat, ist mit 2,1 Milliarden DM nach wie vor der bedeutendste Einzeltitel des Bundesbauministeriums. ({20}) Zusammen mit den Wohngeldleistungen der Länder werden hiermit insgesamt rund 4 Milliarden DM spürbare Hilfen für alle geleistet, bei denen die Mietzahlungen zu unzumutbaren Belastungen führen würden. Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß - das wissen auch die Kollegen der Opposition - darauf gedrungen, daß die Erhöhung des steuerlichen Werbungskostenpauschbetrages bei Arbeitnehmern von 564 DM auf 2 000 DM im Zuge der Steuerreform 1990 auch voll auf das Wohngeld durchschlägt. Das führt dazu, daß zahlreiche Arbeitnehmerhaushalte ab 1990 in den Genuß höherer Wohngeldleistungen kommen. Damit ist das Wohngeld auch weiterhin die treffsichere soziale Hilfe für Mieter und entlastet auch unsere Gemeinden kräftig bei den Kosten der Sozialhilfe, worüber die außerordentlich froh sind. ({21}) Fünftens und letztens. Ein weiterer bedeutsamer Titel im Haushalt des Bundesbauministeriums ist die Wohnungsbauprämie. Diese erreicht mit fast einer Milliarde DM im kommenden Jahr ebenfalls eine Rekordhöhe. Allen Unkenrufen zum Trotz können wir heute feststellen, daß die Wohnungsbausparförderung die Steuerreform, meine Damen und Herren von der Opposition, „gut überstanden" hat und weiterhin eine bedeutsame Stütze für den Wohnungsbau bleiben wird. Bei der bestehenden Preisstabilität zahlen sich auch die gekürzten Prämiensätze von 10 % immer noch recht gut aus. Eine Erhöhung des sparberechtigten Einkommens von bisher 48 000 DM auf künftig 54 000 DM bei Ehepaaren - bei Alleinstehenden auf die Hälfte - erweitert den Berechtigtenkreis erfreulich. Die Quellensteuer geht in diesen Fällen ebenfalls an den Sparzinsen vorüber. Ich möchte hier einen weiteren wichtigen Aufgabenbereich des Bundesbauministeriums, und zwar speziell den der Bundesbaudirektion, nämlich den für die Bundesbauten noch erwähnen. Auf Probleme der Bundesbauten wird anschließend der Kollege Jochen Borchert beim Etat des Deutschen Bundestages noch weiter eingehen. Abschließend muß festgestellt werden, daß sich der gesamte Bereich der Wohnungs-, Mieten- und Baupolitik des Bundes in den letzten Jahren außerordentlich positiv entwickelt hat und ein weiteres hervorragendes Markenzeichen dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ist. Meine Fraktion wird daher dem Einzelplan 25 zustimmen. Bei diesen hervorragenden Leistungen täten Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, gut daran, das gleiche zu tun. ({22})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kolleginnen und Kollegen! Während die Warteschlangen vor den Wohnungsämtern immer länger werden, sich die Wohnungsnot ungeheuer verstärkt und die Zahl der Obdachlosen immer größer wird, schreitet die Bundesregierung unbeirrt von einer wohnungspolitischen Dummheit zu der nächsten: Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit, Aufweichungen des Mieter- und Mieterinnenschutzes, Erhöhung der Instandhaltungspauschale etc. ({0}) „Halt, halt", sagte eine Wohnungssuchende zu mir, die gerade vorbeikam, als ich diese Rede schrieb. „So kannst du das nicht sagen. Das sind doch keine wohnungspolitischen Dummheiten, die die Bundesregierung da begeht, das ist knallharte Interessenpolitik. " ({1}) - Die Bundesregierung ist nicht dumm, sie will vielmehr Politik gegen Mieterinnen und Mieter, gegen Wohnungssuchende und für Hausbesitzer, für Spekulanten und für Wohnungsunternehmer machen. Oder? Wie ist es denn? Ist denn die Wohnungspolitik der Bundesregierung Resultat politischer Unfähigkeit, oder ist es böse Absicht? Das können Sie sich jetzt selber aussuchen, wie Sie es definieren. Ich sage Ihnen aber eines: Die Betroffenen werden sich ihre Meinung schon bilden. ({2}) Tatsache ist folgendes: Die Bundesregierung betreibt eine Politik gezielter Verknappung von billigem Wohnraum. Da der eigene Ausstieg aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus diese Verknappung offenbar noch nicht schnell genug vorangetrieben hat, mußte auch noch die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft werden und ein großer Teil preiswerter Wohnungen aus dem Besitz des Bundes zu Schleuderpreisen verkauft werden. Die Folgen sind katastrophale Steigerungen der Durchschnittsmieten - 21 % - und eine Steigerung der Neuvermietungspreise bis zu 60 %. Die Hausbesitzer reiben sich die Hände und fordern, z. B. in Köln, schon jetzt eine Revision des Mietspiegels, obwohl er noch nicht einmal ein halbes Jahr alt ist. Als ich im Februar dieses Jahres hier zum Internationalen Jahr der Menschen in Wohnungsnot gesprochen habe, sprach ich von 100 000 Menschen, die überhaupt keine Wohnung haben. Heute - noch kein Jahr danach - spricht die Caritas bereits von 140 000 Menschen, die keine Wohnung haben. Davon sind 10 % Frauen. Das Wachstum der Armut und der Wohnungsnot haben wir der Politik der Bundesregierung zu verdanken. Kolleginnen und Kollegen, infolge Ihrer eigenen Politik, infolge Ihrer eigenen Boykotthaltung gegenüber dem sozialen Wohnungsbau ist die Bundesregierung heute völlig außerstande, die Aussiedlerinnen und Aussiedler auch nur annähernd angemessen zu versorgen. Da gibt es einen Unterschied. Die Asylsuchenden will die Bundesregierung nicht versorgen; die werden absichtlich schlecht behandelt, um sie abzuschrecken; ({3}) aber die Aussiedlerinnen und Aussiedler kann die Bundesregierung nicht versorgen, weil die von ihr selbst erzeugte Wohnungsnot mittlerweile so groß ist, daß jeder Wohnungsamtsleiter die neuen Wohnungssuchenden aus dem Osten nur mitleidig ansehen und sagen kann: Auf euch haben wir gerade noch gewartet. Die Aussiedlerinnen und Aussiedler haben die Wohnungsnot in der Bundesrepublik nicht geschaffen. Sie haben sie nur abermals sichtbar gemacht. Deswegen kann diese Wohnungsnot auch nicht durch irgendwelche Sonderprogramme gelöst werden. Ganz im Gegenteil, das Programm, das die Bundesregierung dafür vorschlägt, ist nicht nur zu kurz gegriffen; es ist ein weiterer, wahrscheinlich letzter Schritt im Niedergang des sozialen Wohnungsbaus. Das, was da gebaut wird, sind gar keine Sozialwohnungen, sondern Wohnungen, die nur sieben Jahre lang gebunden sind, über deren Mietpreise es nur ganz diffuse Angaben gibt. ({4}) Während Wohnungsunternehmer nach dem ersten Förderungsweg eine 30jährige Bindung eingehen mußten, um ein Darlehen von 100 000 DM zu bekommen, bekommen sie heute 50 000 DM geschenkt und müssen dafür nur sieben Jahre lang an Aussiedler und Aussiedlerinnen vermieten. Danach dürfen die Wohnungen frei vermietet oder verkauft werden. Wer wird denn heute noch nach dem ersten Förderungsweg bauen, wenn der dritte viel lukrativer ist? Jetzt überlegen sie doch selber, was Sie da anrichten! ({5}) Wir beantragen heute 40 Milliarden DM für ein Fünfjahresprogramm zur Bekämpfung der Wohnungsnot, zur Schaffung von 500 000 sozialen Mietwohnungen im Laufe der nächsten fünf Jahre. Das tun wir nicht leichten Herzens. Wir GRÜNE haben durchaus Probleme mit der Erstellung von Neubauten. Uns tut jedes Stückchen Grün, das zusätzlich bebaut, das zusätzlich versiegelt wird, weh. Deswegen wollen wir soziale Mietwohnungen auch zuallererst durch Umnutzung, durch Umbau und durch die Bestanderhaltung schaffen. Wir sind allerdings realistisch genug, um zu wissen, daß wir ganz ohne Neubau nicht auskommen. Das ist in Kürze der Inhalt unseres Antrags. Wir würden uns, Kolleginnen und Kollegen, sehr darüber wundern, wenn die Kollegen aus den Koalitionsparteien im Gegensatz zu ihrem Verhalten im Ausschuß unserem Antrag hier zustimmen würden, denn unser Antrag steht der Politik der Bundesregierung diametral entgegen. Wer Politik für den HausFrau Oesterle-Schwerin und Grundbesitzerverein macht, kann nicht für die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus sein. ({6}) Ebenso erstaunlich wäre es für uns allerdings, wenn die Kollegen von der SPD unserem Antrag nicht zustimmen würden, ({7}) denn er stimmt haargenau überein mit der Forderung des Deutschen Mieterbundes nach der Erstellung von 100 000 Wohnungen im Jahr, und der Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes heißt bekanntlich Gerhard Jahn. Kolleginnen und Kollegen, gegen Wohnungsnot helfen keine Minisonderprogramme. Gegen Wohnungshot hilft nicht die Eigentumsförderung von Besserverdienenden. Zur Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus gibt es keine Alternative. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Haushalt trägt massiv dazu bei, die Baukonjunktur nach magerem Zwischenhoch vollends in den Keller zu fahren. Das war der Kommentar des Kollegen Scherrer im November vorigen Jahres bei den Haushaltsberatungen 1987. Das zeigt die Qualität der SPD-Prognosen. Wenn man darüber nachdenkt, was Sie eigentlich machen, und wenn man die Rede von Herrn Müntefering heute mit einbezieht, stellt man fest, daß Sie im Grunde genommen gar nichts anderes machen, als Verunsicherung und Ängste auszubreiten, ohne Lösungen anzubieten. Das nennen Sie soziale Politik. ({0}) Ich frage mich wirklich, wohin Sie mit Ihrer ganzen Angstmacherei treiben wollen. Der Sachverständigenrat hat Ihnen genau das Gegenteil bewiesen. Noch niemals hatten wir in den letzten Jahren eine derart günstige Baukonjunktur. Die Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze und modernisieren und humanisieren Arbeitsplätze. Der Anteil der wirtschaftlichen Investitionen steigt. Die Bauwirtschaft ist ausgelastet. Es fehlt an Fachkräften und Hilfskräften. ({1}) Die Preise sind relativ stabil. Die Bauinvestitionen haben zur gesamtwirtschaftlichen Belebung wesentlich beigetragen. Das besagt der Bericht der Sachverständigen. Alle Erwartungen, meine Damen und Herren, sind im Grunde genommen weit übertroffen worden, ({2}) weil der Markt, an den die Liberalen immer wieder glauben und appellieren, besser funktioniert als Ihre Prognosen. ({3}) Wir haben die Wohnungsbauinvestitionen sehr stark erhöht. Die Erhaltungsinvestitionen haben gewaltig zugenommen. Trotzdem haben auch die Neubauinvestitionen angezogen. Der Wirtschaftsbau ist durch die verbesserten Abschreibungsbedingungen wesentlich verstärkt worden. Auch die öffentlichen Bauinvestitionen haben gewaltig zugenommen, sowohl im Tiefbau als auch im Umweltbereich und im Verkehrsbereich. Eine Reihe von kontinuierlichen Vorschlägen der FDP in der Wohnungspolitik hat das Umfeld für die gesamte Wohnungs- und Baupolitik wesentlich verbessert. ({4}) Wir haben eine Stabilitätspolitik mit einem günstigen Zinsniveau mitgetragen. Was ist eigentlich eine bessere Voraussetzung für eine konjunkturelle Belebung der Bauwirtschaft als stabile Zinsen? ({5}) Das ist ein entscheidender Punkt. Die Steuerreform hat Kapital freigesetzt und Mut gemacht. Wir betreiben eine Vermögenspolitik -diese haben Sie heute auch noch angeprangert, Herr Müntefering - mit einer Konzeption, die darauf hinausläuft, die Förderung von Produktivkapital besser zu gestalten - es ist also eine Sozialpolitik -, die Partnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu verstärken, das Bausparen im Katalog drinzulassen und das Konten- und Versicherungssparen zu streichen. Dadurch ist ein starkes Anwachsen der Anzahl der Bausparer zu verzeichnen. Alle Bausparkassen haben Verträge noch und noch. Es ist ja wohl nicht mehr zu begreifen, warum man dann auch noch die Steuerbefreiung für selbstgenutztes Wohneigentum kritisiert. Mein Kollege Schroeder hat die Wohngeldentwicklung aufgezeigt. Das Baukindergeld ist eingeführt worden. Die Bundesmittel für Aussiedlerwohnungen und sozialen Wohnungsbau sind wesentlich verstärkt worden. Dennoch, meine Damen und Herren, müssen wir, glaube ich, über die Wohnungspolitik, über die Raumordnungspolitik und über die regionale Wirtschaftspolitik einmal nachdenken. Ich teile Ihre Sorgen um die Wohnungsentwicklungen in den Ballungsräumen, aber wirklich nur in den Ballungsräumen. Uns liegt ein Bericht des Rings Deutscher Makler vor, den Herr Eekhoff im Bauministerium in einem nachlesenswerten Beitrag veröffentlicht und kommentiert hat. Aus diesem Bericht geht hervor, daß heute in Ballungsräumen wie München oder Stuttgart oder Frankfurt die Eigentumswohnungen inzwischen dreimal so viel wie in billigeren Wohngebieten kosten, daß die freistehenden Einfamilienhäuser viermal so teuer sind und daß die baureifen Grundstücke in den Ballungsräumen inzwischen acht- bis zehnmal so hohe Preise wie in anderen Bereichen erreichen. Ich will den Entwicklungen, die die Ballungsräume betrieben haben, gar nicht entgegensteuern; aber eines muß man natürlich sehen: Wenn wir so weitermachen und die Ballungsräume mit ständig neuen Entwicklungen überfrachten, dann muß man auch einmal an die Entsorgung in diesen Gebieten denken. Dort weiß man manchmal nicht mehr, wohin mit dem Müll; man weiß nicht mehr, wohin mit dem Abwasser. Man holt sich das Trinkwasser aus ökologisch wertvollen Gebieten, um die Region überhaupt noch versorgen zu können. Ich glaube, es ist ein Verfassungsauftrag, daß wir dafür sorgen, daß die Lebensbedingungen in den Ballungsräumen genauso gut sind wie in den ländlichen Räumen. ({6}) Ich glaube, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß wir im Auge behalten müssen, die ländlichen Räume wieder stärker in das Blickfeld zu rücken und eine ausgewogene Arbeitsmarktstruktur, eine ausgewogene Wohnungspolitik, vor allen Dingen aber auch eine ausgewogene Verkehrspolitik zu betreiben, wobei Verkehrspolitik nicht darauf ausgerichtet ist, daß man nur noch die Ballungsräume untereinander verbindet, sondern auch die ländlichen Räume wieder stärker mit einbezieht. ({7}) - Sie haben lange genug den Verkehrsminister gestellt. Wir haben ja unter dessen Erbe zu leiden; das ist doch das Problem. Wir werden entsprechende Anträge einbringen, damit die regionale Wirtschaftspolitik in Abstimmung mit der Verkehrspolitik und mit anderen politischen Steuerungsinstrumenten zu einer Ausgewogenheit führt, die einerseits die Ballungsräume entlastet - es ist ja allmählich auch ein Problem, daß man diese Befrachtung nicht mehr bewältigen kann - , andererseits die ländlichen Räume wieder attraktiver macht. Ich glaube, in diesem Sinne müssen wir neu ansetzen. Im Zusammenhang mit der Wohnungs- und Baupolitik darf ich Ihnen, Herr Bauminister, und Ihren Mitarbeitern herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. Die FDP-Fraktion wird diesem Haushalt zustimmen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einem Gesamtausgabenvolumen von 6,3 Milliarden DM bei einer Steigerungsrate von 3 % erreicht der Einzelplan des Bauministers im Jahre 1989 seinen bisherigen Höchststand. ({0}) - Das kann nur bei dieser Regierung geschehen, gnädige Frau. Diese Steigerung ist Ausdruck des hohen politischen und sozialen Ranges, den die Bundesregierung nach wie vor der Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum und der Erhaltung und Erneuerung unserer Städte und Dörfer beimißt. Für die soziale Absicherung familiengerechten Wohnens wenden Bund und Länder im Jahre 1989 knapp 4 Milliarden DM an Wohngeld auf. Das Wohngeld hat sich als die wirksamste wohnungs- und sozialpolitische Hilfe bewährt und wird auch künftig das wichtigste Instrument der staatlichen Wohnungspolitik bleiben. Ich danke dem Haushaltsausschuß, ich danke insbesondere allen Berichterstattern dafür, daß sie sich bereitgefunden haben, die ab dem Jahre 1990 geltende steuerliche Werbungskostenpauschale von 2 000 DM auch der Wohngeldbemessung zugrunde zu legen und die sich aus der Steuerreform ergebenden zusätzlichen Vergünstigungen für Wohngeldbezieher weiterzugeben und nicht zu beschneiden. Immerhin machen diese den Wohngeldempfängern ursprünglich nicht zugedachten Vergünstigungen 100 Millionen DM jährlich aus. Für die direkte Wohnungsbauförderung ist im Haushalt 1989 ein Verpflichtungsrahmen von insgesamt 1,05 Milliarden DM vorgesehen. 750 Millionen DM davon sind für die Förderung des Aussiedlerwohnungsbaus bereitgestellt. Zusammen mit einem gleichhohen Mittelanteil der Länder ist es damit möglich, 30 000 zusätzliche Wohnungen für Aussiedler zu schaffen, ohne die angesetzten Förderleistungen für die einheimische Bevölkerung auch nur um eine Mark zu kürzen. Auch das steht klar: Sollte der Aussiedlerstrom anhalten, sollte er sogar noch weiter anwachsen, ist die Bundesregierung bereit, den schon für 1990 vorgesehenen Mittelansatz von weiteren 375 Millionen DM angemessen, bedarfsgerecht zu verstärken. ({1}) Über das Wohngeld und die direkte Förderung hinaus bedeuten die steuerliche Förderung und die Bausparförderung nach wie vor eine nachhaltige Hilfe und Unterstützung bei der Eigentumsbildung im Wohnungsbau. ({2}) Der Bund unterstützt soziales Wohnen und die Eigentumsbildung an der Familienwohnung durch steuerliche Entlastung und Bausparförderung. ({3}) Im Jahre 1989 belaufen sich diese Entlastungen bzw. Hilfen auf etwa 6,5 Milliarden DM. Wenn jemand - wie soeben gehört - behauptet, wir hätten im Rahmen der Steuerreform das Bausparen schlechtergestellt, so ist dies eine Auffassung, die im Gegensatz zu dem steht, was die Bausparkassen selber meinen. Die Bausparkassen haben in einer eigenen, lesenswerten, instruktiven Broschüre nachgewiesen, daß die Maßnahmen im Rahmen der Steuerreform für die Bausparer viele Vorteile bringen. Ich glaube nicht der BroBundesminister Dr. Schneider schüre; ich glaube der Reaktion der Bausparer. Wir haben zur Zeit über 25 Millionen Bausparverträge mit einem Vertragsvolumen von nahezu 900 Milliarden DM. Die Summe des Haushalts 1989 beträgt 290 Milliarden DM, und die Summe des Bausparvolumens beträgt 900 Milliarden DM! Dieses Verhältnis macht klar, mit welchen Größenordnungen wir es zu tun haben. Ein weiteres: Wir haben den Bausparern eine Reihe von zusätzlichen Vorteilen gebracht. Das Bausparen ist die einzige Sparform, die auch weiterhin in besonderer Weise vom Staat unterstützt und gefördert wird. Alle anderen Sparformen erfahren diese staatliche Förderung nicht mehr. Für die Städtebauförderung haben wir wieder einen Rahmen von 660 Millionen DM vorgesehen. ({4}) Zusammen mit Landes- und Gemeindemitteln stehen damit auch 1989 wieder insgesamt 2 Milliarden DM Fördermittel bereit. Hinzu kommen noch einmal rund 20 Millionen DM Bundesmittel für Maßnahmen des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus. Schließlich sieht auch das Strukturhilfegesetz mit einem Finanzvolumen von jährlich 2,4 Milliarden DM auf die Dauer von zehn Jahren die Förderung städtebaulicher Maßnahmen nach dem Baugesetzbuch vor. Wir alle kennen den hohen politischen Stellenwert, den die Stadt- und Dorferneuerung als Instrument der strukturellen und ökologischen Erneuerung unserer Städte und Gemeinden gewonnen hat und der noch im Blick auf die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes mit seiner verschärften Standortkonkurrenz an Bedeutung gewinnen wird. Wie wichtig die Mittel aber auch für die strukturelle Entwicklung des ländlichen Raumes ist, zeigt sich darin, daß mittlerweile 57 % aller Sanierungsmaßnahmen - in Bayern sogar 84 % - auf den ländlichen Raum entfallen. Ich begrüße deshalb alle Überlegungen und Forderungen, dieses erfolgreichste und wirkungsvollste Strukturprogramm langfristig finanziell zu sichern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Bitte sehr!

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie erlauben, eine Frage. ({0}) - Das ist schon der erste Fehler. Herr Minister, wenn Sie mir aus grundsätzlichen Erwägungen eine etwas unfreundliche Zwischenfrage gestatten: Wären Sie in der Lage, die Rede in derselben Weise zu halten, wenn Sie nicht immer vom Manuskript ablesen würden?

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Sie müssen vielleicht zum Optiker gehen. Wenn Sie dort gewesen wären, würden Sie jetzt beobachten, daß ich natürlich bei einer Haushaltsrede das Plenum so ernst nehme, daß ich, wenn ich Zahlen verkünde, mich dieser Zahlen zuerst mit einem Blick auf das Manuskript vergewissere. ({0}) - Ja gut, ich sehe das nach. Ein Wort zur Bauwirtschaft: Wir haben eine wachsende Wirtschaft, und eine wachsende Wirtschaft hat immer eine wachsende Bauwirtschaft zur Folge. Meine Damen und Herren, es ist erfreulich, heute festzustellen, daß die Bauwirtschaft - jetzt hören Sie einmal zu, ich spreche ohne Manuskript - im Jahre 1988 ein Leistungsvolumen von über 260 Milliarden DM erreicht. ({1}) Etwa 50 % dieser Ausgaben fließen in den Wohnungsbau, in Neubau, in Erweiterungsbau, Modernisierung und Sanierung. Der Anteil des Bauvolumens am Bruttosozialprodukt beträgt rund 15 %. Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der einen gleich hohen Anteil am Bruttosozialprodukt hat. Was die Wohnungsbauinvestitionen angeht, so haben wir einen Zuwachs von rund 6,5 To zu erwarten. Meine Damen und Herren, der Bauminister ist als Verantwortlicher für die Bundesbaudirektion auch für die Ausführung der Bauten des Bundes mitzuständig, ({2}) z. B. auch für die Bauten des Deutschen Bundestages. ({3}) Dazu, was den Petersberg angeht, verehrter Kollege, kann ich Ihnen Erfreuliches verkünden. Die Baumaßnahmen auf dem Petersberg werden im Dezember 1989 abgeschlossen sein. ({4}) Nach einer Erprobungsphase werden Sie die Bezugsfertigkeit, die Inbetriebnahme im April 1990 mitfeiern dürfen. ({5}) - Der Petersberg ist, wenn man die Maßstäbe der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit anlegt, das am weitaus zweckmäßigsten und am wirtschaftlichsten errichtete Bauwerk der Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Auch zu dem, was den Deutschen Bundestag angeht, meine Damen und Herren, darf der Bauminister ein aufklärendes Wort sagen. In der Öffentlichkeit lese ich immer wieder mit wachsendem Erstaunen, der Deutsche Bundestag oder der Bauminister oder sonstwer habe Baukostensteigerungen zu verantworten. Ich stelle fest: Bei den Neubauten des Deutschen Bundestages, auch was den Plenarsaal angeht, hat es bis zur Stunde keine einzige Mark Baukostenüber7784 schreitung gegeben; denn Baukosten kann man nur dann überschreiten, wenn man während des Baus die vor Bau festgesetzten Voraussetzungen überschreitet. Wir haben aber erst das Fundament für den Plenarsaal gebaut, und solange gebaut worden ist, hat es keine einzige Mark Baukostenüberschreitung gegeben. Was der Öffentlichkeit und manchmal sogar Mitgliedern dieses Hauses bei der Beurteilung dieser Vorgänge und bei der Kostenentwicklung nicht immer gegenwärtig ist, ist die Tatsache, daß es sich ursprünglich darum gehandelt hat, einen schadhaften Plenarsaal zu sanieren, daß sich dann aber der Bauherr Deutscher Bundestag entschlossen hat, einen neuen Plenarsaal zu bauen. ({7}) Dann hat er nicht nur einen neuen Plenarsaal beschlossen, sondern auch vier weitere selbständige Bauwerke. Die vier weiteren Bauwerke sind: Eingangshalle, Restaurant mit den entsprechenden Kellerausbauten, ein Gebäude für den Bundestagspräsidenten und schließlich ein Gebäude zur sachgerechten Unterbringung der Herren Vizepräsidenten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister Schneider, wir haben nicht nur männliche Vizepräsidenten!

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Ich entschuldige mich, ich spreche von Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten. Das heißt, es handelt sich bei den Bauten für den Deutschen Bundestag um fünf selbständige Bauvorhaben. Es hat keine Baukostenüberschreitungen gegeben, sondern es hat Kostenausweitungen gegeben, weil man das Bauprogramm ausgeweitet hat. Eines möchte ich dem Deutschen Bundestag als Bauminister versprechen: Beim Neubau in der Gronau, also im sogenannten Schürmann-Bau, wird es derartige Diskussionen deshalb nicht geben können, weil wir mit dem Bauen erst dann beginnen werden, wenn das Bauprogramm abschließend formuliert ist und alle Kosten vor Baubeginn voll erkennbar sind. Wenn ich bei diesem Verfahren die Zustimmung des Deutschen Bundestages gewinne, werden wir uns gegenseitig die Arbeit erleichtern, öffentliches Ärgernis ersparen, Mißverständnisse verhindern und das Bauverfahren beschleunigen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nehm?

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Albert Nehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001585, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist es auch eine Bauausweitung, wenn die Toilettenräume für das neu zu bauende Restaurant im Keller geplant waren, aber der Keller beim Planen vergessen wurde und nachgeplant werden mußte? ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Eine Bauausweitung in dem Sinne, von der ich vorhin gesprochen habe, ist das sicherlich nicht, Herr Kollege Nehm. ({0}) Ich bedanke mich. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich schließe die Aussprache. Ich komme zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3449. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit abgelehnt. Zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich das Wort Frau Abgeordneter Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obgleich es natürlich ist, daß sich diese Debatte überwiegend, fast ausschließlich um die Fragen des Wohnungsbaus gedreht hat, möchte ich mit meiner Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung die Aufmerksamkeit auf eine meiner Ansicht nach völlig unzulässige Genehmigung von Mitteln für zwei große Projekte in Kap. 06 02 lenken. Ich habe fast auf den Tag genau vor einem Jahr, am 26. November 1987, zu diesem Fragenkomplex bereits eine persönliche Erklärung abgegeben. Für die beiden geplanten historischen Museen, für die wir nun Jahr um Jahr immer mehr Beträge zur Verfügung stellen - ich werde sie gleich noch nennen - , liegen bisher weder die gesetzlich noch haushaltsrechtlich erforderlichen Voraussetzungen vor. Von daher gesehen müßten die Mittel meiner Ansicht nach mindestens so lange gesperrt werden, bis diese Voraussetzungen auch wirklich erfüllt sind. Ich kann insoweit dem Haushaltsausschuß den Vorwurf nicht ersparen, daß er hier nicht aufmerksam nach dem Rechten gesehen hat. Es ist so: Seit 1986 kündigt der Bauminister immer wieder ein Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" an. Ein Entwurf ist auch einmal eingebracht worden, aber verfallen und nie wieder eingebracht worden. Insofern sind eben die gesetzlichen Voraussetzungen für dieses Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch nicht geschaffen worden. ({0}) - Herr Vorsitzender, „Hört! Hört! " möchte ich eigentlich an den Haushaltsausschuß zurückgeben. ({1}) - Aber Sie müssen doch überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Bereitstellung von Mitteln vorliegen. Das ist jedenfalls meine Vorstellung. ({2}) Uns liegt noch kein Kostenvoranschlag vor. Man schätzt die Baukosten, wie ich der Vorlage entnehmen konnte, bereits auf 115 Millionen DM nur für dieses Projekt. Sie genehmigen in diesem Jahr bereits 6,1 Millionen DM Personalkosten - das sind 60 % mehr gegenüber dem Vorjahr - ohne die erforderlichen Voraussetzungen. Ich frage also: Wann endlich wird das erforderliche Gesetz eingebracht und verabschiedet? ({3}) - Das ist eine persönliche Erklärung zur Abstimmung. ({4}) Wann wird das Gesetz eingebracht?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich bin auch der Meinung, daß § 31 geschaffen worden ist, um eine persönliche Erklärung zur Abstimmung abgeben zu können.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte sagen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen auch für das Haus der Geschichte in Berlin nicht vorliegen. Auch hier liegen keine Baukostenvoranschläge vor. Dieses Projekt wird jetzt schon sage und schreibe weit über 500 Millionen DM kosten. Aus diesem Grunde möchte ich - obgleich ich der Meinung bin, daß die Abstimmungen hier leider zur Formalität geworden sind ({0}) im Hinblick auf Kap. 06 02 des Etats 25 demonstrativ zu Protokoll geben, daß ich ihm nicht zustimmen kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. ({0}) - Einen Moment. Herrn Abgeordneten Schneider kann ich das Wort nicht erteilen, aber dem Minister muß ich das Wort erteilen. Und das tue ich auch. ({1}) Der Abgeordnete Schneider zieht seine Wortmeldung zurück, weil für die CDU/CSU gar keine Redezeit mehr zur Verfügung steht. Das ist der einzige Grund. ({2}) - Sicher kann der Abgeordnete Schneider eine persönliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 abgeben. ({3}) Im übrigen ist von der zugeteilten Redezeit noch eine Minute übrig.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Abgeordnete Schneider stimmt deshalb dem Einzelplan 25 zu, Frau Hamm-Brücher, weil der Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht ist, weil die Stellungnahme des Bundesrates sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung vorliegen und weil die erste Lesung über dieses Gesetz demnächst stattfinden kann. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Damit § 31 wirklich nach seinem Wortlaut erfüllt ist, müßte der Schluß lauten: Deshalb stimme ich für den Einzelplan 25. ({0}) - Das dauert eben so lange, bis der Schlußsatz kommt. ({1}) Meine Damen und Herren, die Aussprache ist abgeschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer dem Einzelplan 25, Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Der Einzelplan 25 ist in der zweiten Lesung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksachen 11/3201, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Walther Deres Kleinert ({2}) Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksachen 11/3203, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Neuling Würtz Wolfgramm ({3}) Kleinert ({4}) Zum Einzelplan 03 liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Weiss ({5}) und Frau Rock auf Drucksache 11/3463 vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer dem Einzelplan 01, Bundespräsident und Bundespräsidialamt, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. ({6}) Damit ist der Einzelplan 01 in zweiter Lesung angenommen. Vizepräsident Stücklen Wir kommen nun zum Einzelplan 03, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Weiss ({7}) und Frau Rock auf Drucksache 11/3463. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 03 ab. Wer dem Einzelplan 03, Bundesrat, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist der Einzelplan 03 in zweiter Lesung angenommen. ({8}) Ich rufe auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksachen 11/3202, 11/3231 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Esters Kleinert ({9}) Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl sowie der Abgeordneten Weiss ({10}) und Frau Rock auf den Drucksachen 11/3412, 11/3461 und 11/3462 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zum hohen Rang des Deutschen Bundestages, daß er in eigenen Angelegenheiten souverän und selbstbestimmt entscheidet, während die anderen Verfassungsorgane darin vom Deutschen Bundestag und dem parlamentarischen Budgetrecht abhängen. So sind auch Bundeskanzler und Bundesregierung darauf angewiesen, daß ihnen das Parlament die für die Amtsführung notwendigen Mittel bereitstellt. Das Parlament wählt den Bundeskanzler und setzt alljährlich den finanziellen Rahmen, innerhalb dessen er seine verfassungsmäßigen Aufgaben wahrnehmen kann. Es gibt Anlaß, daran zu erinnern. Wer die Vorgänge der letzten beiden Wochen beobachtet hat, der konnte exakt den gegenteiligen Eindruck gewinnen, als ob es das Recht des Bundeskanzlers sei, den Repräsentanten des Parlaments zu ernennen, ({0}) das nach der Art eines Akklamationsorgans in Fremdbestimmung einen höheren Willen nachzuvollziehen habe. ({1}) Die Wucht, mit der der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende - ohne diese Ämter zu trennen - die faktische Entscheidung über das Präsidentenamt an sich gezogen hat, eröffnet eine neue Qualität der Kanzlerdemokratie, die in ihrer Unbekümmertheit von usurpatorischen Zügen nicht frei ist. ({2}) Ich hätte mir einen sorgfältigeren Umgang des Bundeskanzlers mit dem neuen Repräsentanten des ihn wählenden und kontrollierenden Verfassungsorgans gewünscht, in dem die stärkste Fraktion nicht als bloßes Kanzlergefolge und die anderen Fraktionen nicht als zu vernachlässigende Dekorationsstücke hätten erscheinen dürfen. ({3}) Auch die Rolle des Vorsitzenden der größten Fraktion, Herrn Dr. Dregger, war durchaus unrühmlich. Als Vorsitzender der stärksten Fraktion, die das Vorschlagsrecht für das Präsidentenamt hat, hat er sich gegenüber dem Bundeskanzler nicht für das Recht des Parlaments und Ihrer Fraktion eingesetzt, sondern - so jedenfalls der offene Anschein - nur dafür, sein Vorsitzendenamt zu verteidigen. Unser Grundgesetz lebt wie jede rechtsstaatliche Verfassung davon, daß Formen respektiert werden. ({4}) Gerade wer von den anderen Fraktionen verlangt, ungeschriebene Rechte beim Vorschlagsrecht des Präsidenten zu respektieren, sollte an sich selbst mindestens entsprechende Maßstäbe anlegen. Ich bedaure sehr, daß das nicht geschehen ist. ({5}) Um so schwieriger sind die Anforderungen, die an die im Einvernehmen aller Fraktionen designierte neue Präsidentin gerichtet werden. Ich will keine Entscheidungen vorwegnehmen, doch hat Frau Professor Süssmuth durch ihre Kandidatur und die dazu abgegebenen Erklärungen schon jetzt eine durch und durch mißratene Situation wesentlich entschärft. ({6}) Wenn der Inhaber des Bundestagspräsidentenamtes es will und wenn die stärkste Fraktion dies trägt, dann besteht der politische Einfluß, der dem Amt zuletzt abgesprochen wurden, durchaus. ({7}) Anlässe, parlamentarisches Selbstbewußtsein zu zeigen, gibt es angesichts der herrischen Reglementierungsversuche dieses Hauses durch die Bundesregierung genug. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer sich die zahlreichen Dependancen des Deutschen Bundestages, die Schlachten um Gebäude und Räume, die Umzüge, die Wünsche nach überdachten Gängen und Plätzen, ({8}) die verschlungenen Pfade zu Kolleginnen und Kollegen, zu den parlamentarischen Aktionsstätten anEsters sieht, wird an das biblische Zitat erinnert, daß der Herr in seinem großen Zorn sein Volk zerstreute. ({9}) Der Bundestagsabgeordnete ist der provisorischste Mensch im Lande. ({10}) Er ist auf Zeit gewählt. Er lebt in den Sitzungswochen provisorisch in einem Appartement in einer Stadt, die das Hauptstadtprovisorium abstreift, arbeitet in einem von Fassadensanierung, Abriß und Plänen seiner Geschäftsführung bedrohten Zimmer, ({11}) tagt in einem provisorischen Plenum und ist im Zweifel ein Mensch, mit dem EDV-, Telefax- oder TeletexVersuche unternommen werden. ({12}) Dieser Zustand ist nur deshalb erträglich, weil wir ihn selbst herbeigeführt haben oder ihn zu uns zurechnen lassen müssen. Tatsächlich befindet sich der Deutsche Bundestag in einer Übergangsphase, die sich namentlich in seinen Baumaßnahmen und dem schrittweisen Ausbau des Informations- und Kommunikationssystem PARLAKOM zeigt. Die Baumaßnahmen des Deutschen Bundestages sind aber keineswegs singuläre Maßnahmen im politischen Bereich, wenn dies in der öffentlichen Meinung auch so scheinen mag. Diese Bauten gehören vielmehr zu dem Gesamtvorgang, daß sich das Staatswesen Bundesrepublik Deutschland in Anerkennung der politischen Gegebenheiten fest einrichtet. Die geplanten ausgiebigen Feiern zum 40jährigen Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland ({13}) gehören ebenso dazu wie die ausdrücklichen Repräsentationsbauten, Kunst- und Ausstellungshalle des Bundes und Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die in der Verantwortung der Bundesregierung entstehen. Zur selben Zeit, in der der Deutsche Bundestag bei seinen Baumaßnahmen von großer Öffentlichkeit begleitet wird, setzt die Bundesregierung gleichsam im Windschatten ihr 1976 beschlossenes mittelfristiges Unterbringungskonzept und Hochbauprogramm für die Bundesministerien um, ({14}) die mitsamt Gästehaus Petersberg unter dem Stichwort „Ausbau der Bundeshauptstadt Bonn" zusammengefaßt werden. ({15}) Während das Ausbauprogramm der Bundesregierung auf vorhandenen Regierungs- und Ministerialbauten aufbaut und ohne diese bereits bestehenden Bauten bereits ein Volumen von rund 1,5 Milliarden DM umfaßt, belaufen sich die Neubauten des Plenar- und Präsidialbereichs sowie die Schürmann-Bauten auf insgesamt rund 950 Millionen DM. Diese Relation kann bei der Bewertung der Baumaßnahme des Deutschen Bundestages nicht außer acht gelassen werden. Auch in der baulichen Darstellung ist ein angemessenes Verhältnis der Verfassungsorgane zu wahren. ({16}) Ich benutze diese Feststellungen nicht, um Fehler in der Bauplanung des Deutschen Bundestages zu verharmlosen; diese Fehler sind unbestreitbar. Sie haben zu schwer erträglichen Kostensteigerungen geführt, und sie müssen in harter Selbstkritik analysiert werden. ({17}) Es ist skandalös, daß seit Mitte der 70er Jahre allein Planungskosten von mehr als 50 Millionen DM entstanden sind, ohne daß auch nur ein einziger Stein bewegt wurde, ({18}) um den von Baufälligkeit bedrohten alten Plenarsaal zu ersetzen oder der bestehenden Raumnot der Abgeordneten abzuhelfen. Es ist ein Verdienst des Bundestagspräsidenten Dr. Jenninger, diese Groteske beendet und mit Taten begonnen zu haben. ({19}) Dann kamen die Kostensteigerungen über uns wie die ägyptischen Plagen, die aus ständig neuen Forderungen und Entdeckungen der Architekten, von Gremien des Deutschen Bundestages und/oder der Bundesbaudirektion entstanden. Die ursprünglich mit 87 Millionen DM veranschlagten Kosten für den Plenar- und Präsidialbereich erhöhten sich auf 146 Millionen DM und schließlich auf über 200 Millionen DM. Der Haushaltsausschuß und sein Rechnungsprüfungsausschuß haben nach Beratung mit allen Beteiligten den Schluß gezogen, daß eine Kostenobergrenze eingezogen werden muß, um die Lawine aufzuhalten. Dabei hat sich das Gutachten des Bundesrechnungshofs, das ich für dringend erforderlich gehalten habe, als hilfreich erwiesen. Es ist selbstverständlich, daß der Deutsche Bundestag seine von ihm selbst beschlossenen haushalts- und planungsrechtlichen Vorschriften beachtet und sich daran, wie jedermann sonst, messen lassen muß. Würde der Deutsche Bundestag für sich selbst solche Maßstäbe vernachlässigen, dann würden die zuständigen Gremien unglaubwürdig, wenn sie Mißstände bei der Exekutive rügen wollten. ({20}) Als Hauptursachen für die Kostensteigerungen hat uns der Bundesrechnungshof genannt: der Zeitdruck, der auf Bauverwaltung und Architekten ausgeübt wurde, das Fehlen eines abgeschlossenen Raumprogramms bei Beginn der Bauplanung, die Neigung des Architekten, die Grundsätze für öffentliches Bauen als hinderlich zu empfinden ({21}) - ich bin ja vorsichtig, Frau Kollegin, Sie wissen, dann gibt es Briefe - , und schließlich die unzureichende Durchsetzung baufachlicher Grundsätze durch den Bundesbauminister. Der Haushaltsausschuß hat daraus die Schlußfolgerungen gezogen. Er ist bei seiner Bewilligung für den Haushalt 1989 und die Folgejahre von den abschließenden baufachlichen Unterlagen einschließlich der HU-Bau mit endgültigem Raumbedarf und konstruktiver Ausführung ausgegangen. Er hat als Obergrenze für die Gesamtkosten 203,3 Millionen DM - Bauindex 1988 - zugrunde gelegt, der nicht bzw. nur mit vorheriger Einwilligung des Haushaltsausschusses überschritten werden darf. Aus den Fehlern bei den Plenar- und Präsidialbauten sind Lehren für die sogenannten Schürmann-Bauten an der Kurt-Schumacher-Straße zu ziehen. Auch hier sind die Kosten abweichend von der ursprünglichen Planung inzwischen auf rund 630 Millionen DM davongezogen, und auch sie müssen begrenzt werden. Demgemäß hat der Bauminister nach ausgiebiger Beratung mit den Berichterstattern in einem vom Haushaltsausschuß zustimmend zur Kenntnis genommenen Brief an den Bundestagspräsidenten festgestellt, daß der für das Frühjahr 1989 geplante Baubeginn erst möglich ist, wenn zuvor ein endgültiges Raumprogramm mit verbindlichen Planungsanforderungen vorliegt. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, sollte der Haushaltsausschuß die erforderlichen Mittel verfügbar machen oder freigeben. Eine Quelle der Kostensteigerungen liegt darin, daß formeller Bauherr der Bundestagsbauten der Bundesbauminister ist, daß dieser über die Bundesbaudirektion Verträge mit den Architekten abschließt, daß die Anforderungen aber vom Nutzer Deutscher Bundestag kommen. ({22}) Ich halte deshalb sehr viel von der Erwägung des Bundesbauministers, die Bauleistungen für die Schürmann-Bauten gebündelt einem Generalunternehmer zu übertragen, weil dadurch eine klare Verantwortlichkeit in ein und derselben Hand begründet wird. Im Bundeshaushalt 1989 wird die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten auf dem Gebiet der IuK-Technik PARLAKOM fortgesetzt. Veranschlagt sind für Bestand und Ausbau 45,6 Millionen DM. In den Folgejahren soll der vollständige Ausbau fortgesetzt werden. Ein Rahmenkonzept für Ausschüssse und Ausschußsekretariate ist in Auftrag gegeben. Der dazu laufende Versuch des Haushaltsausschusses zeigt erste Fortschritte; wir können nämlich die Tagesordnung bereits donnerstags in den Wahlkreisen empfangen. Bei der EDV-Ausrüstung ist der Deutsche Bundestag - um wieder den Vergleich zur Bundesregierung anzustellen - eher ein Nachzügler. Die Relation in den Kosten ergibt, daß im Exekutivbereich des Bundes die alljährlichen DV-Ansätze rund 3 bis 4 Milliarden DM betragen. Es ist unerläßlich, daß sich der Deutsche Bundestag der EDV-Techniken bedient, will er nicht auf Dauer schwere Kompetenzeinbußen gegenüber der Bundesregierung und der Exekutive erleiden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Esters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Esters, werden Sie als einer der Mitverantwortlichen im Ältestenrat dafür sorgen, daß bei der Erarbeitung der Software für die Dateien, die uns dann künftig über PARLAKOM zur Verfügung stehen werden, den Forderungen nach der Verwendung der weiblichen Formen in der Rechtssprache so frühzeitig Rechnung getragen wird, daß der Brief der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, den wir im Haushaltsausschuß unter Drucksache 0521 zur Kenntnis nehmen mußten, gegenstandslos wird?

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen soviel zusagen, Herr Kollege Kühbacher, da ich im Augenblick diesen Brief nicht da habe ({0}) und wir eigentlich die Absicht hatten, in der dritten Lesung den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses danach zu fragen, da ich weiß, daß der über dieses Exemplar verfügt: Wir werden diesen Brief den Mitgliedern des Ältestenrates mit Hilfe des amtierenden Präsidenten zuleiten. Ich bin ganz sicher, da ich die Entschlußfreudigkeit und Entschlußstärke des Ältestenrates kenne, ({1}) daß der das Seinige veranlassen wird. ({2}) Ich möchte einen dritten Bereich ansprechen, der mir im direkten Vergleich zu Regierung und Ministerien in dieser Übergangsphase des Deutschen Bundestages ebenfalls anpassungs- und änderungsbedürftig erscheint. Er betrifft Struktur und Arbeitsabläufe der Bundestagsverwaltung. ({3}) Die Bundestagsverwaltung hat den personellen Umfang eines größeren klassischen Ministeriums, ohne aber dessen organisatorische Gliederung und Ausstattung zu haben. Die Organisation in Hauptabteilungen und Unterabteilungen erschwert Vergleiche und daraus zu ziehende Schlußfolgerungen. Es ist nicht sachgerecht, daß die Anzahl der Abteilungen in der Bundestagsverwaltung nicht nur von Organisationsnotwendigkeiten, sondern auch davon abhängt, wie viele ehemalige Präsidialbüroleiter aus diesem Amt, ({4}) aus welchen Gründen auch immer, in die engere Verwaltung wechseln. Dank eines derartigen Automatismus von Seiteneinstiegen werden zugleich normale Aufstiegsmöglichkeiten derjenigen Verwaltungsangehörigen blockiert, die anderen, nicht minder wichEsters tigen Organen und Einrichtungen des Deutschen Bundestages dienen. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Sieler.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Esters, besteht angesichts der besonderen Gefahren, die dieses Hohe Haus ständig über sich ergehen lassen muß, und der Suchtgefahren, die man vermutet, die Absicht, einen Psychotherapeuten hier anzustellen - nachdem Sie schon das Personal behandeln? ({0})

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Sieler, ich kenne die Forderung vieler Geschäftsführer ({0}) der einzelnen Bundestagsfraktionen, für den Deutschen Bundestag einen Therapeuten einzustellen. Im Rahmen des vom Haushaltsausschuß vorgeschlagenen und zu genehmigenden Stellenplans wird sich durchaus die eine oder andere Stelle als geeignet erweisen, hierfür herangezogen zu werden. Wir werden allerdings - ich bin ganz sicher, da wird der Ältestenrat an meiner Seite stehen, und zwar komplett - dafür sorgen, daß wir diese Stelle nicht gerade mit einem Psychopathen besetzen. ({1}) Die Lösung des vorher angesprochenen Problems kann nur über eine flexiblere Einstufung der Präsidialbüroleiter erfolgen, die für ihre befristete anspruchsvolle Aufgabe zusätzlich zu einer angemessenen Besoldung Zulagen erhalten können. Hier ist Beweglichkeit gefordert, um organisatorische Effizienz zu sichern. ({2}) Daß der Wissenschaftliche Fachdienst, der vor allem Kollegen unterstützen soll, die nicht kraft Parlaments- oder Fraktionsamt über Personal verfügen, mittlerweile als eine Art Pool mißbraucht wird, ({3}) aus dem sich Enquete- und andere Kommissionen oder die sich leider vermehrenden Unterausschüsse - das geht offensichtlich in Form der Zellteilung vor sich ({4}) personell bedienen, ist dringend änderungsbedürftig. ({5}) Der Haushaltsausschuß kennt die Crux, die die Starrheit des öffentlichen Dienst- und Laufbahnrechts bedeutet. Es müßte jedoch möglich sein, den Wissenschaftlichen Fachdienst mit einem festen Personalkern auszustatten und der Verwaltung gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, auf privatrechtlicher Basis geeignete Kräfte aus Wissenschaft und Wirtschaft für befristete Aufgaben gegen die erforderliche Bezahlung aus einem Geldtitel zu gewinnen. Der Haushaltsausschuß, dem die Berichterstatter dies vorgetragen haben, ist bereit, zu diesen Themen im Rahmen seiner Zuständigkeit Folgerungen zu ziehen. Wir bieten dies auch der neuen Präsidentin ausdrücklich an und hoffen auf Aufgeschlossenheit. Die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung haben Fürsorge verdient. Sie sind in noch weit höherem Maße auf Liegenschaften verstreut als die Abgeordneten selbst. Es gibt über 70 Dependancen und schwierige Arbeitsbedingungen. ({6}) Gleichwohl leistet die Verwaltung, die sich als Dienstleistungsbetrieb versteht, weiterhin eine geräuschlose Zuarbeit für das Parlament, die auch einmal anerkannt werden sollte. ({7}) Es ist mir zuletzt auch ein persönliches Bedürfnis, dem früheren Präsidenten des Deutschen Bundestages, unserem Kollegen Dr. Jenninger, zu danken. Er hat die Bundestagsbauten, die PARLAKOM-Technik und auch die Unterstützung der Abgeordneten durch persönliche Mitarbeiter nach Kräften gefördert und damit einen Reformschub für unsere Arbeit gegeben. ({8}) Er hat die Belange der Abgeordneten mit dem ihm eigenen Temperament verfochten. Wir sind ihm dafür Dank schuldig und wollen dies auch von dieser Stelle aus öffentlich bekunden. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist gut, daß wir nach zwei Tagen kontroverser Debatten, auch nach der kontroversen Debatte heute morgen, am Ende der zweiten Lesung des Haushalts jetzt den Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag - beraten, einen Etat, den wir im Haushaltsausschuß einvernehmlich beraten haben und der unabhängig von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen auch einvernehmlich getragen wird. Mit der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsgesetzes beraten und entscheiden wir vor den Augen der Öffentlichkeit nicht nur über Ausgabeermächtigungen der Exekutive in ihren vielfältigen Bereichen staatlicher Ausgabenpolitik, sondern auch unmittelbar über uns selbst und die Bedingungen, unter denen wir unsere Aufgabe hier als Abgeordnete wahrzunehmen haben. Insoweit, meine ich, ist die Beratung des Einzelplans Deutscher Bundestag auch eine Aussprache über das Selbstverständnis des Parlaments. Auch wenn es wünschenswert wäre, alle Einzeltitel unseres eigenen Etats hier im Parlament ausführlich zu beraten, will ich meine Ausführungen wegen der begrenzten Zeit auf einige Ausgabenschwerpunkte konzentrieren. Bei der vor kurzem hier geführten eingehenden Diskussion über die Parlamentsreform ist vor allem die große zeitliche Belastung aller Kollegen deutlich geworden. Ich meine, sie kann nicht allein an den Plenarsitzungsstunden pro Woche gemessen werden. ({0}) Wir alle wissen, daß den Plenarsitzungen eine unvergleichlich größere Zahl von Ausschuß-, Arbeitsgruppensitzungen und anderen Besprechungen vorausgeht. Hinzu kommt für nahezu alle von uns die Arbeit im Wahlkreis, die dort von uns verlangt wird und die ebenso notwendig ist. Das bedeutet, daß Wochenarbeitszeiten von 70 Stunden und mehr typisch für die Arbeitsbelastung der Kolleginnen und Kollegen sind und nicht Arbeitszeiten von 17, 18 oder 20 Stunden. Wenn wir unsere Aufgabe als Kontroll- und Initiativinstanz gegenüber einer vielköpfigen Exekutive wahrnehmen wollen, brauchen wir die Unterstützung durch qualifizierte Mitarbeiter. Ohne die notwendige Unterstützung durch Mitarbeiter würden wir in Routinearbeiten ersticken und kaum die Möglichkeit haben, die für unsere Arbeit notwendigen Informationen zu beschaffen und auszuwerten. Der steigende finanzielle Aufwand für die Mitarbeiter der Abgeordneten ist, meine ich, Ausdruck unserer Bemühungen, den weiter zunehmenden Belastungen im Wahlkreis, vor allem aber auch hier in Bonn, gerecht zu werden. Dem Ziel, die Arbeitsbedingungen den heutigen Notwendigkeiten anzupassen, dienen auch die Ausgaben zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf dem Gebiet der Information und der Kommunikation, kurz PARLAKOM. Im Modellversuch PARLAKOM werden die Voraussetzungen für ein gemeinsames Informations- und Kommunikationssystem erprobt. In diesem Jahr werden mit dem Anschluß des Haushaltsausschusses am Modellversuch auch die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen dem Ausschußsekretariat und den Ausschußmitgliedern erprobt. Es hat sich gezeigt, daß die Zusammenarbeit sehr heterogener Gruppen - angeschlossen sind ja Abgeordnetenbüros, Wahlkreisbüros, Fraktionen und die Verwaltung - in einem gemeinsamen Informations- und Kommunikationssystem und Geräte verschiedener Hersteller zu nicht unerheblichen Kompatibilitätsproblemen geführt haben. Der Erfahrungsbericht zu dem Modellversuch, den die Verwaltung vorgelegt hat, zeigt neben positiven Ergebnissen auch Schwierigkeiten, vor denen wir beim weiteren Ausbau stehen. Ich meine aber, diese Schwierigkeiten können ausgeräumt werden, und wir sollten einen weiteren Ausbau nicht verhindern. Im Haushalt sind Mittel sowohl für die Fortführung wie den weiteren Ausbau eingestellt. Der Haushaltsausschuß hat jene Mittel qualifiziert gesperrt, die für den Ausbau vorgesehen sind, um die nächsten Ausbauschritte noch einmal im Rahmen eines Gesamtkonzepts ausführlich beraten zu können. Der Kollege Esters hat vorhin die Schwierigkeiten geschildert, die wir im Verhältnis etwa zur Ministerialbürokratie haben. Ich glaube, die Situation ist etwa so: Während die Ministerien im Rahmen des Ausbaus ihrer Informations- und Kommunikationssysteme vom IC auf den Transrapid umsteigen, proben wir nach wie vor mit dem Fahrrad und machen erste Schritte auf diesem Gebiet. ({1}) Bewährt hat sich in diesem Jahr der Einsatz der Teletex-Geräte zur Kommunikation mit den Wahlkreisbüros. Ich meine, sie ermöglichen einen schnellen Austausch aktueller Informationen und tragen damit erheblich zur Erleichterung der Zusammenarbeit mit den Wahlkreisen und den Wahlkreisbüros bei. ({2}) Mit dem Haushalt des Bundestags entscheiden wir auch über die Zuschüsse, mit denen die Arbeit der Bundestagsfraktionen finanziert wird. ({3}) Im Ablauf der parlamentarischen Arbeit haben die Fraktionen wichtige Funktionen zu erfüllen. Sie sind Zentren der politischen Willensbildung im Parlament. Sie koordinieren die Arbeit und die Abläufe der Beratungen. Jede Intensivierung der parlamentarischen Arbeit und jeder Versuch, die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Exekutive zu verbessern, bedeutet zusätzliche Dienstleistungen, die die Fraktionen gegenüber den Abgeordneten zu erbringen haben. Bei der Bewilligung der Zahlungen an die Fraktionen müssen wir wie beim Haushalt des Bundestags insgesamt in eigener Sache entscheiden. Das hat uns schon bei anderer Gelegenheit den Vorwurf eingebracht, das sei gewissermaßen Selbstbedienung aus der Staatskasse. Ich meine, dieser Vorwurf trifft nicht zu. Er ist auch sachlich nicht begründet. Die Zahlungen an die Bundestagsfraktionen werden im Haushalt ausgewiesen, und ihre Zweckbestimmung ist verbindlich. ({4}) Die Mittel dienen der notwendigen sachlichen und personellen Unterstützung der Fraktionen, die sie für ihre Aufgaben im Bundestag benötigen. Für die Verwendung gelten die Maßstäbe, die für alle Zuschüsse aus öffentlichen Kassen gelten. Sie müssen streng zweckgebunden, sparsam und wirtschaftlich ausgegeben werden. Ich meine, daran, daß dies geschieht, haben wir und die Fraktionen selbst ein großes Interesse. Zudem unterliegen alle Fraktionen des Bundestags der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof. Er hat schon alle Bundestagsfraktionen geprüft und wird das auch in Zukunft tun. Nicht nur bei den Fraktionszuschüssen, sondern bei allen Mitteln, über die im Rahmen dieses Einzelplans zu entscheiden ist, müssen wir in eigener Sache entscheiden. Wir müssen es schon deswegen tun, weil uns niemand diese Entscheidung abnehmen kann. Ich meine, wir dürfen gerade deswegen nicht großzügiger sein, als wir es in anderen Fällen auch sind; aber wir sollten auch nicht kleinlicher und restriktiver verfahren und unsere eigenen Arbeitsbedingungen nicht unnötig einschränken. ({5}) Wir haben uns als Berichterstatter und im Haushaltsausschuß bemüht, mit dem Einzelplan 02 genauso kritisch, aber euch genauso sachgerecht zu verfahren, wie wir das insgesamt bei den Haushaltsberatungen getan haben. Wir meinen, daß wir für unsere Arbeit, für die Ausstattung und die Arbeitsbedingungen aller Kollegen in diesem Haus und für die, die uns dabei helfen, das gerade Notwendige getan haben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei unserem ausgeschiedenen Präsidenten, dem Kollegen Philipp Jenninger, bedanken, der sich behutsam, aber mit beharrlichen Schritten für eine weitere Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen eingesetzt hat. Ich hoffe, daß wir diese Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch in den nächsten Jahren fortsetzen können. Lassen Sie mich ein Wort zu den Vorwürfen sagen, die der Kollege Esters hinsichtlich der Regelung der Nachfolge hier angebracht hat. Herr Kollege Esters, Sie haben die Nominierung der Kandidatin für das Amt des Bundestagspräsidenten durch den Parteivorsitzenden und den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion angesprochen. Der Bundesvorsitzende der CDU und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion haben sofort nach der Rückkehr des Bundeskanzlers aus den Vereinigten Staaten Gespräche geführt. Sie haben schon am Freitag den Vorschlag bekanntgemacht, den Sie dann am darauffolgenden Montag der CDU/CSU-Fraktion gemacht haben. Die CDU/CSU-Fraktion hat dann am Montag Frau Minister Süssmuth einstimmig nominiert. Ich glaube, das ist ein Verfahren, das sowohl von der Vorbereitung als auch von der Abwicklung her nicht besser hätte ablaufen können. Ich meine, Sie sollten sich fragen, Herr Kollege Esters, ob die öffentlich - auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion - geführte Diskussion und die Spekulationen, die Sie damit in der Presse ausgelöst haben, diesem Amt nicht geschadet haben. Mehr Zurückhaltung auf Ihrer Seite wie auch auf Seiten der Medien hätte dem Ansehen und der Würde des Amtes sicher besser gedient. ({6}) - Unsere Leute haben die Debatte nicht angefangen. Es ist immer der alte Vorwurf: Es wird erst in der Presse spekuliert, dann werden die Spekulationen von der Opposition aufgegriffen, und anschließend werden den Regierungsfraktionen Vorwürfe gemacht, daß sie nicht schneller entscheiden. ({7}) Es ist, glaube ich, überaus wichtig, daß der Deutsche Bundestag - lassen Sie mich damit zum Thema zurückkommen - in seiner Funktion und in seiner Arbeitsweise den veränderten Bedürfnissen ständig angepaßt wird. Angesichts des umfangreichen Forderungskataloges mag das bisher Erreichte für viele noch zu gering sein. Aber wir können sicher nicht alle Vorstellungen auf einmal verwirklichen. Außerdem können wir gerade auf diesem Gebiet Reformen in der Arbeitsweise nur in einem breiten Konsens und unter Einbindung aller durchsetzen und umsetzen. Auf dem bisher eingeschlagenen Weg sollten wir aber in den nächsten Jahren Schritt für Schritt fortfahren. Obwohl ich weiß, daß die Öffentlichkeit die Reisen der Abgeordneten kritisch betrachtet, haben wir die Mittel für Auslandsreisen auch in diesem Jahr erhöht. ({8}) Mit diesen Mitteln, Herr Kollege, soll sichergestellt werden, daß die zur Informationsbeschaffung für die parlamentarische Arbeit, aber auch für die Kontrolle der Tätigkeit der Exekutive notwendigen Reisen durchgeführt werden können. Die Delegationen der Ausschüsse, der Kommissionen und der Parlamentariergruppen erhalten auf diesen Reisen die notwendigen Kenntnisse, die sie für eine sachgerechte Ausübung ihres Mandates benötigen. Der Einzelplan des Deutschen Bundestages enthält auch die Aufwendungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Ohne die nahezu 2 000 Bediensteten in den verschiedenen Abteilungen, Referaten und Sekretariaten könnten wir unserer Aufgabe kaum nachkommen. Diese Hilfe, die wir von der Verwaltung erhalten, geht über technische Unterstützung und Abwicklung weit hinaus. Sie umfaßt auch Information und Beratung in unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Der Betrieb und der weitere Ausbau von PARLAKOM, die zur Zeit bestehenden drei Untersuchungsausschüsse, fünf Enquete-Kommissionen und die mehr als unzulängliche Unterbringung der Bundestagsverwaltung in mehr als 70 verschiedenen Liegenschaften machen auch 1989 eine Aufstockung des Personals - und zwar um 69 Stellen - notwendig. Wir haben im Haushalt 1988 erstmals sogenannte Verfügungsstellen bewilligt, die es Enquete-Kommissionen, Untersuchungsausschüssen und im Zusammenhang mit großen Gesetzgebungsvorhaben auch den damit befaßten Ausschüssen ermöglichen sollen, Sachverstand von außen auf Zeit bei der Arbeit heranzuziehen und zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hierdurch können Beamte oder Angestellte mit Spezialkenntnissen für besondere Vorhaben zeitlich befristet bei der Bundestagsverwaltung eingestellt werden. Die ersten Erfahrungen, die wir damit in den Enquete-Kommissionen, aber auch etwa im Arbeits- und Sozialausschuß, im Finanzausschuß und im Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gemacht haben, haben gezeigt, daß sich die Einrichtung der Verfügungsstellen bewährt hat. Damit ist der Anfang für die notwendige Flexibilität beim Personaleinsatz gemacht worden, die wir für unsere Arbeit dringend benötigen. Der Bundestag ist eben nicht eine Behörde, die ihr Pensum regelmäßig abarbeitet, sondern ein Verfassungsorgan, in dem mit wechselnden Schwerpunkten und Belastungen aktuelle politische Aufgaben bewältigt werden müssen. Es wäre wünschenswert, wenn wir in den nächsten Jahren weitere Schritte in Richtung mehr Flexibilität durchsetzen könnten. Lassen Sie mich zum Thema Bundesbauten kommen, das sowohl Herr Bundesbauminister Schneider wie auch der Kollege Esters schon angesprochen haben. Im Juni 1987 hat der Bundestag die Entscheidung über den Neubau des Plenarsaals, des Restaurants und des Präsidialbaus getroffen. Die Mittel für den Neubau sind zwar im Einzelplan 25 ausgewiesen, aber ich meine, sie sollten auch an dieser Stelle, beim Etat 02, diskutiert werden. ({9}) Mit der Entscheidung im Bundestag - dies, glaube ich, begrüßen wir alle - ist eine mehr als 18jährige Planungsperiode mit einem Kostenaufwand von mehr als 50 Millionen DM beendet worden. Bei der Beschlußfassung betrugen - darauf ist schon hingewiesen worden - die damals veranschlagten Baukosten 141 Millionen DM. Die seit dem Beschluß durchgeführten Planungsänderungen beim Eingangsbauwerk, beim Restaurant und beim Präsidialbau haben in der Folgezeit zu einer Ausweitung des Kostenrahmens geführt. Wer dies heute kritisiert, der sollte sehr kritisch untersuchen, ob wir ohne die Planungsänderungen nach dem Abriß eines Provisioriums nicht ein neues Provisorium gebaut hätten; ({10}) denn wir sollten sehr wohl überlegen, welche Arbeitsbedingungen wir uns mit diesem Bau schaffen. Ich weiß nicht, ob der Kollege Nehm noch hier ist. Ich habe vorhin bei seiner Zwischenfrage nicht ganz begriffen, ob er, als er darauf hinwies, daß die für die Toiletten notwendigen Keller fehlten, mit dem Verzicht auf den Keller eventuell auch auf die Toiletten im Neubau verzichten wollte. ({11}) - Herr Kollege, Sie hätten dies im Haushaltsausschuß bei den Beratungen natürlich vorbringen können. Das wäre sicher eine Alternative gewesen. ({12}) - Das ist aber in diesem Zusammenhang schon diskutiert worden. Auf Bitten des Haushaltsausschusses hat sich der Bundesrechnungshof mit den Kostensteigerungen befaßt. Er hat in seinem Bericht für diese Entwicklung Ursachen sowohl bei den Architekten als auch bei der Bundesbauverwaltung gesehen. Er hat aber auch den Deutschen Bundestag für einen erheblichen Zeitdruck, der die Planung sicher beeinflußt hat, mitverantwortlich gemacht. Ich glaube, eine wesentliche Ursache für die Kostensteigerung ist darin zu sehen, daß es mit dem Beschluß im Juni 1987 keinen Redaktionsschluß gegeben hat. ({13}) Die nunmehr vom Haushaltsausschuß auf der Grundlage der verbindlichen Bauplanung festgelegten Kosten von rund 202 Millionen DM auf der Preisbasis von 1988 müssen jetzt eingehalten werden. Kostensteigerungen sollten nach unserem Beschluß im Prinzip nur noch im Rahmen der Preisindexsteigerungen möglich sein. Die gegenwärtige Unterbringung des Bundestages in über 70 Liegenschaften führt zu unvertretbaren Kostensteigerungen und Arbeitsbelastungen. Die Mietkosten sind von 9 Millionen DM im Jahre 1987 auf über 12 Millionen DM im Jahre 1989 und die Bewirtschaftungskosten von 8 Millionen DM auf 11 Millionen DM im gleichen Zeitraum gestiegen. Diese Situation führt neben den steigenden Kosten zu wachsenden Problemen in der Verwaltung und damit auch zu steigenden Kosten im Sach- und Personalbereich. Ich meine, daß diese Situation nicht mehr länger hingenommen werden kann. Sowohl die gegenwärtige Unterbringung der Bundestagsverwaltung wie auch die Unterbringung der Abgeordneten, der gestiegene Raumbedarf der Fraktionen machen eine zügige Realisierung der Neubauten an der Kurt-Schumacher-Straße dringend erforderlich. Uns liegt daran, daß aus den bisherigen Erfahrungen für die Neubauten Lehren gezogen werden. Wir werden im Haushaltsausschuß darauf bestehen, daß vor Baubeginn ein verbindlicher Redaktionsschluß festzulegen ist und daß nachträgliche Änderungswünsche eben nicht zu Ausweitungen des Kostenrahmens führen dürfen. Ohne ein verbindliches Raumprogramm mit verbindlichen Planungsanforderungen darf mit dem Bau nicht begonnen werden. ({14}) - Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Conradi, wenn Sie in Ihrer Fraktion dafür sorgen. ({15}) Wir werden uns in unserer Fraktion ebenfalls darum bemühen. Mit diesen Bauvorhaben - auch das lassen Sie mich sagen - sollen keine Prachtbauten am Rhein realisiert werden. Wir streben auch keine übertriebene Repräsentation an, aber ich meine, wir benötigen zumutbare und ausreichende Arbeitsmöglichkeiten für die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter, und wir müssen für uns alle Arbeitsplätze schaffen, die den gesetzlichen Bedingungen entsprechen, die wir ja selbst hier beschlossen haben. ({16}) Mit diesen Bauvorhaben wollen wir eine funktionsfähige Arbeitsstätte für das Parlament schaffen, die aber auch der Würde und dem Ansehen des Parlaments als des zentralen Organs unserer parlamentarischen Demokratie gerecht wird. Wir haben den Einzelplan 02 im Kreis der Berichterstatter, bei denen ich mich für die gute Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken möchte, und im Haushaltsausschuß sehr sorgfältig beraten. Ich meine, dieBorchert ser Einzelplan ist in den einzelnen Titeln sparsam ausgestattet. Er schafft die notwendige finanzielle Voraussetzung für die Arbeit des Deutschen Bundestages, so daß wir diesem Einzelplan mit guten Gründen zustimmen können. Herzlichen Dank. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Etat ist die Versuchung natürlich sehr groß, die Geschichte der Neubaupläne im Bundestag mit mehr oder weniger Ironie nachzuzeichnen. Ich will aus einem bestimmten Grund darauf verzichten und es bei folgender Anmerkung belassen. Der Bundestag hätte sehr gut daran getan, sich rechtzeitig für die baukonservatorische Lösung zu entscheiden. ({0}) Dann wären uns Kosten, die weit über dem liegen, was uns an Kosten vorher genannt worden ist, erspart geblieben, ({1}) dann wäre das Ganze schneller gegangen, und wir hätten eine Bausubstanz erhalten können - ({2}) - Herr Conradi, erregen Sie sich doch nicht gleich so. Sie sind an dieser Stelle immer von einer Empfindlichkeit, ({3}) die dem Vorwurf, daß Sie an diese Dinge nicht immer mit der gebührenden Objektivität herangehen, einfach immer nur neue Nahrung geben. Ich muß es an dieser Stelle einmal sagen: Die Hektik ist schon auffällig, mit der Sie immer dann reagieren, wenn man einfach einmal die Wahrheit sagt. Die Wahrheit ist einfach, daß Geld gespart worden wäre, wertvolle Bausubstanz erhalten geblieben wäre und das Ganze schneller vonstatten hätte gehen können. Herr Weng!

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kleinert, erinnern Sie sich daran, daß ein Teil der betreffenden Abstimmungen mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgegangen wäre, wenn die Abgeordneten der GRÜNEN an dem betreffenden Tag hier ihren parlamentarischen Pflichten nachgekommen wären und sich nicht auf einer Demonstration, ich glaube, in der Eifel, herumgetrieben hätten? ({0})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Weng, das mußte kommen. Ich bin aber immer davon ausgegangen, daß das Einsichtsvermögen hier im Hause so groß ist, daß es dem Haus genügt hätte, daß ich an diesem Tag hier war und diesen Standpunkt mit guten Argumenten hier vorgetragen habe. ({0}) Wir haben das damals für ausreichend gehalten. Wir haben gedacht, wenn einer hier ist, der diese Dinge, mit guten Argumenten versehen, vorträgt, dann reicht das, um eine Mehrheit im Hause wenigstens in diesen Fragen zu einer vernünftigen Entscheidung zu bewegen. Es hat nicht gereicht, Herr Borchert, und die Folgen davon müssen wir ausbaden. In dieser Sache - das muß man doch heute einmal klar feststellen - ist mit Zahlen herummanipuliert worden, daß sich nun wirklich die Balken biegen. Da ist herumgetrickst worden; da ist die Öffentlichkeit getäuscht worden; da sind auch die Abgeordneten hier im Hause getäuscht worden. Wenn das alles anders gelaufen wäre, dann hätte man sich Beträge, die in der Größenordnung von - vorsichtig geschätzt -100 Millionen DM liegen, sparen können. Aber über dieses Thema will ich mich jetzt gar nicht weiter verbreiten. ({1}) - Nein, das ist wichtig. Das, was ich hier sage, ist die Wahrheit. Aber ich muß jetzt auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Ich möchte nämlich noch ein Thema ansprechen, das mit den Fraktionszuschüssen zu tun hat und das auch einen der wesentlichen Gründe dafür darstellt, daß wir mit dem Einzelplan 02 Probleme haben, die auch zur Ablehnung führen werden. ({2}) - Nein, nein, Herr Bötsch; das ist schon ein sehr ernsthaftes Problem. Für die praktische Arbeit hier im Hause ist die Frage der Fraktionszuschüsse zweifellos ein sehr wichtiges Thema. Sie wollen in diesem Haushalt die Fraktionszuschüsse um 5,2 % anheben. Um das gleich klarzustellen: Uns geht es nicht um die Frage, daß die Fraktionen überhaupt staatliche Mittel bekommen können. Alle Seiten des Hauses brauchen natürlich Mittel für ihre laufende Arbeit. ({3}) Ganz besonders die Oppositionsfraktionen brauchen Mittel, weil diese Mittel eine wichtige Voraussetzung dafür sind, daß die Auseinandersetzung mit der Regierung einigermaßen vernünftig stattfinden kann, mit einer Regierung, die sowieso von der finanziellen und von der personellen Ausstattung her meistens meilenweit voraus ist. Aber zwei Fragen müssen gestellt werden. Die eine Frage lautet: Ist das, was die Fraktionen bekommen, angemessen? Kleinert ({4}) Die zweite Frage lautet: Hat das eine vernünftige gesetzliche Grundlage, und gibt es eine wirksame Kontrolle und eine Transparenz dieser Zahlungen? Wenn man diese Kriterien anlegt, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß das heutige System nicht in Ordnung ist. Es geht um zwei Dinge: Erstens. Wenn die anderen Fraktionen des Hauses für das kommende Haushaltsjahr eine Erhöhung der Mittel um 5,2 % beantragt haben, dann muß man auf dem Hintergrund der Tatsache, daß sich die Fraktionszuschüsse in den letzten 20 Jahren mehr als verzehnfacht haben, schon die Frage stellen: Ist es wirklich nötig, daß wiederum 5 To dazukommen sollen? Ist das wirklich nötig? Wir können aus unserer Erfahrung nur sagen: Wir kommen mit dem Anteil, der uns heute zusteht, sehr gut aus, und wir brauchen keinen Pfennig mehr. Aus unserer Sicht könnte der Bundestag, in dem an sonsten so häufig von Sparen die Rede ist, hier klar und deutlich sagen: Wir frieren die Ansätze auf dem Stand ein, den wir 1988 erreicht haben. - Das ist das eine Problem. ({5}) Wichtiger aber noch ist die Frage: Wie transparent ist das, was sich da vollzieht, und welche Kontrolle über die Ausgaben der Fraktionen gibt es? Wer hat eigentlich einen Einblick, was die Fraktionen mit diesen Mitteln anstellen? Wer kann nachprüfen, ob die Mittelverwendung tatsächlich aufgabengerecht erfolgt? Es ist ein untragbarer Zustand, daß bei den Fraktionszuschüssen jenes Mindestmaß an Offenlegungspflicht und Transparenz nicht eingehalten wird, das unbedingt verlangt werden muß, wenn die Fraktionen aus Steuergeldern Zuschüsse für ihre Arbeit erhalten. ({6}) Es ist ein untragbarer Zustand, wenn ausgerechnet an diesen Stellen im Bundeshaushalt diejenigen Offenlegungspflichten nicht eingehalten werden, die ansonsten bei Titeln, die nicht uns selber betreffen, üblich sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borchert?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn sie nicht angerechnet wird, ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich werde die Zeit nicht anrechnen.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, daß es Ihnen die Zustimmung zum Einzelplan 02 erleichtert, wenn Sie auf Ihren Anteil bei der Erhöhung der Fraktionszuschüsse verzichten und wenn wir den Bundesrechnungshof vielleicht bitten, Ihre Fraktion doch möglichst umgehend zu kontrollieren?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der erste Teil Ihrer Frage ist wirklich albern. Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage gestatte ich mir die Antwort: Der Bundesrechnungshof hat eine peinlich genaue Überprüfung der Fraktion DIE GRÜNEN gerade abgeschlossen. Wir warten auf das Ergebnis. Sie können sicher sein, daß die Fraktion DIE GRÜNEN dieses Ergebnis veröffentlichen wird. Da können Sie sicher sein. ({0}) - Was die GRÜNEN angeht. Wir hoffen, Herr Borchert, daß wir damit ein gutes Beispiel für eine Praxis geben, der Sie sich hoffentlich demnächst anschließen werden. ({1}) - Wenn ich jetzt noch eine weitere Frage gestatte, dann komme ich mit der Zeit in die Bredouille. Aber bitte.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der Bundesrechnungshof regelmäßig alle Fraktionen prüft?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß, daß der Bundesrechnungshof verpflichtet ist, alle Fraktionen zu überprüfen. Ich weiß aber nicht, zu welchen Ergebnissen diese Überprüfung bisher bei anderen Fraktionen geführt hat. Jetzt lassen Sie mich hier zum Ende kommen; lassen Sie mich noch das vortragen, was ich hier vortragen muß. Es ist untragbar, daß der Bundestag bei den Titeln, bei denen es wirklich um das geht, was die Fraktionen für sich selbst bewilligen, nicht jene Anforderungen an die Kontrolle und an die Transparenz stellt, die selbstverständlich sind, wenn es darum geht, Mittel zu bewilligen, die für die Bürger oder für irgendwelche Projekte gedacht sind. Das geht nicht, und das muß geändert werden. Es reicht nicht, daß dazu nur ein kleiner Haushaltsvermerk angefertigt wird. Die Fraktionen müssen darauf verpflichtet werden, öffentlich über ihr Finanzgebaren Rechenschaft abzulegen. Deshalb fordern wir auch eine klare gesetzliche Regelung, die diese Offenlegung verbindlich macht, die die Fraktionen auch dazu verpflichtet, das Gesetz entsprechend zu ändern, wenn eine Änderung bei den Zuschüssen an die Fraktionen vorgesehen ist. Es darf auch nicht der Anschein entstehen, daß hier Schlupfwinkel und Hintertürchen für eine verdeckte Form der Parteienfinanzierung zugelassen werden. Darum geht es bei dieser Sache. ({0}) - Herr Bötsch, ich weiß, warum Ihnen das unbequem ist. ({1}) Deswegen werde ich es trotzdem hier zu Ende vortragen. Der Zuschlag, den sich die anderen Fraktionen hier genehmigen wollen, ist unnötig. Er ist nicht nur unnötig; es bedarf einer Diskussion über eine NeuregeKleinert ({2}) lung. Wir lehnen dieses Ansinnen nicht nur ab, weil die 5,2 % völlig unnötig sind, sondern wir schlagen darüber hinaus vor, demnächst eine klare gesetzliche Regelung zu schaffen, die in diesem Bereich strenge, nachprüfbare Maßstäbe bezüglich Durchschaubarkeit und Transparenz setzt. Für uns sollte es eine Selbstverpflichtung sein, gerade an diesen Stellen peinlich genau darauf zu achten, daß alles korrekt zugeht, daß wir klare gesetzliche Regelungen haben und daß die Öffentlichkeit auch überprüfen kann, daß es da anständig zugeht. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag und damit seine Abgeordneten nehmen auf Grund der legislativen Kompetenz und den damit verbundenen Möglichkeiten des Einflusses auf weite Teile des gesellschaftlichen und politischen Spektrums eine durchaus machtvolle und herausgehobene Position im Staatsgefüge ein. Diese Macht, die uns für vier Jahre vom Wähler verliehen wird, verpflichtet uns, Herr Kleinert, natürlich zu sensiblem und verantwortungsvollem Umgang mit den Instrumentarien dieser Macht. Ein machtvolles Instrument ist das Budgetrecht des Parlaments, das - ich freue mich, da fast dieselben Worte wie Sie benutzen zu können - mit besonderer Penibilität im eigenen Geschäftsbereich ausgeübt werden muß. Der vorliegende Haushalt des Deutschen Bundestags ist von den beteiligten Kollegen nach dieser Maxime beraten und beschlossen worden. Wir sind uns natürlich der Tatsache bewußt, daß gerade dieser Einzelplan einer besonders kritischen öffentlichen Würdigung unterliegt, und dies aus den genannten Gründen zu Recht. Ich denke, wir sollten alle gelassener reagieren, wenn eine interessierte und engagierte Öffentlichkeit Entscheidungen kritisch hinterfragt und uns ab und zu einen Spiegel vorhält, in dem Fehlentscheidungen vielleicht unangenehm vergrößert werden. Es liegt in unserer Hand, dieses Bild positiver zu zeichnen. Wenn allerdings - wie in letzter Zeit - dieser Spiegel zum Zerrspiegel wird, dann sollten wir uns nicht scheuen, meine lieben Kollegen, die Dinge beim Namen zu nennen. Ich denke, wir haben einen Anspruch darauf, mit unseren Argumenten gehört zu werden. Da wir im wesentlichen einvernehmlich gewesen sind, tut es mir leid, daß ich die gleichen Positionen - über die wir uns auch einvernehmlich geärgert haben - noch einmal anspreche. ({0}) Ich verspreche Ihnen aber, daß ich es kurz machen werde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich nehme an, Sie sind gerne bereit, eine Frage des Abgeordneten Esters zu beantworten.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gerne.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Seiler-Albring, ist Ihnen bekannt, wohin viele der Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, speziell aus meiner Fraktion, entwichen sind, und könnten Sie uns vielleicht sagen, was sich im Augenblick hinter der Zuschauertribüne abspielt?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Kollege Esters, ich glaube, ich kann das. Ich habe mich ja auch gewundert, daß so wenige von den immer sehr fleißigen Haushältern hier sind, aber ich glaube, meine Informationen sind korrekt, wenn ich sage, daß zwei verdiente Mitglieder Ihrer Fraktion, nämlich der Vorsitzende des Haushaltsausschusses und der Obmann der SPD im Haushaltsausschuß, der Würde teilhaftig werden, die ihrer Arbeit entspricht, und dafür einen Orden verliehen bekommen. Ich beglückwünsche sie dazu, ich glaube, auch im Namen meiner Kollegen. ({0}) Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten haben die Bundestagsneubauten ({1}) - Ja, vielleicht sind die Kollegen der GRÜNEN auch dabei, damit sie mal sehen, daß man tatsächlich für Arbeit hier auch den gebührenden Lohn bekommt. ({2}) - Lieber Herr Kleinert, wir kommen mal zurück zu den Bundestagsneubauten, die ja immer eine Nachricht wert waren, und dies natürlich auch zu Recht. Wenn veranschlagte Kosten von ca. 140 Millionen DM in relativ kurzer Zeit in die atemberaubende Höhe von über 210 Millionen DM hinaufklettern, dann ist das natürlich mehr als ein Anlaß zum Stirnrunzeln. Ich will mich hier auch nicht mehr mit der leidvollen Vorgeschichte befassen, die die Lebensqualität so manches Bundestagspräsidenten beeinträchtigt hat. Ich will mich auch nicht mehr mit der Gestaltung des Plenarsaals auseinandersetzen. Herr Kleinert, hier hätten Sie nun tatsächlich etwas verhindern können, wenn Sie damals dagewesen wären. Es haben uns ein paar Stimmen gefehlt, und dann hätten wir gemeinsam durchsetzen können, was uns beiden wichtig erscheint, nämlich die alte, hergebrachte Sitzordnung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, Sie sind bereit dem Abgeordneten Kleinert zu antworten?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, wenn ich nur das noch ganz kurz sagen darf. Ich fürchte, daß das schließliche Ergebnis demnächst unsere Befürchtungen rechtfertigen wird, nur leider Gottes wird es dann zu spät sein. - Bitte schön, Herr Kleinert.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei der seinerzeitigen Abstimmung - ich glaube, sie war Anfang Juni 1987 ({0}) Kleinert ({1}) - danke - lediglich 20 bis 30 Kollegen - an die exakte Zahl erinnere ich mich nicht - des Hauses für die sogenannte baukonservatorische Lösung gestimmt haben? ({2})

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich beziehe mich gerade auf die Sitzordnung, und da haben uns drei oder vier Stimmen gefehlt, und Ihre Stimmen hätten, nachdem Sie sich in der Vorgeschichte entsprechend erklärt hatten, sicherlich dazu geführt, daß wir zu einem gemeinsam befriedigenden Ergebnis gekommen wären. ({0}) - Doch!

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die baukonservatorische Lösung wurde von 22 Leuten bevorzugt. Selbst wenn 40 Stimmen der GRÜNEN dazugekommen wären, hätten wir vielleicht 63 Stimmen gehabt, und dann wäre immer noch abgerissen worden. Das ist doch die Wahrheit, das wissen Sie doch.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kleinert, Sie sind geschickt genug, dieses in Frageform zu klären. Ich darf auch bitten, daß die Antwort noch stehend entgegengenommen wird, damit die Usancen des Hauses auch von Ihnen gewahrt bleiben.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich denke, ich habe Ihnen meine Antwort erteilt. Das ist es jetzt. Herr Kleinert, ich denke, ich habe Ihre Frage beantwortet. ({0}) Das ist wie vieles im Leben sehr relativ. Meine Damen und Herren, die Fragen nach den Verantwortlichkeiten für diese Kostenentwicklung sind in verschiedenen Sitzungen im Rahmen des Haushaltsausschusses wirklich erbittert diskutiert worden. Auf Grund des nicht gegebenen Redaktionsschlusses ({1}) - könnt ihr euch nicht draußen kloppen? - ({2}) - Vielen Dank, Herr Bötsch - beim Beschluß über die Neubauten im Jahre 1987 war es eben möglich, die Planung so zu verändern, weiterzuentwickeln und auszubauen und Rahmenbedingungen so zu fixieren, daß, obwohl die Mittel im zuständigen Ausschuß noch nicht bewilligt waren, Fakten geschaffen worden sind, die ohne weitere Bauverzögerungen und höhere Planungskosten nicht zu revidieren waren. Wir haben den Rechnungshof gebeten, den Planungsverlauf und die Kostenentwicklung des Bauvorhabens zu untersuchen und den Haushaltsausschuß zu unterrichten. Meine Kollegen, ungeachtet der endgültigen Beschlußfassung im zuständigen Ausschuß kann es aber für uns nur eine Konsequenz aus diesen unerfreulichen Vorgängen geben: daß für die Errichtung der sogenannten Schürmann-Bauten - ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Minister, daß Sie dieses ebenso sehen; wir haben uns darüber ja schon im Ausschuß intensiv unterhalten können - Mittel nur dann bewilligt und freigegeben werden, wenn sichergestellt ist, daß das Raumprogramm abgeschlossen ist und daß für die Bewilligung etwaiger Zusätze oder Veränderungen lupenreine, glasklare Verantwortlichkeiten und Verantwortungsstrukturen nach dem Motto festgelegt werden: Wer mehr bestellt, hat die Mehrkosten zu rechtfertigen und zu verantworten. ({3}) Meine Fraktion ist der Ansicht, daß die Durchführung dieses Riesenprojekts - es ist ja im Volumen noch um ein Mehrfaches größer als die Plenarbauten - einem Generalunternehmer übertragen werden sollte. Wie wir hören, ist die Neigung, dieses zu tun, leider nicht sehr groß. Die Gründe, die dagegen angeführt werden, überzeugen uns nicht, und wir werden diese Forderung weiter diskutieren. Bei allem Ärger über vermeidbare Pannen und Planungsfehler sollte es aber in der Öffentlichkeit, denke ich, konsensfähig sein, daß das Parlament der Bundesrepublik Deutschland einen würdigen und repräsentativen, nicht spektakulären Rahmen hat, daß die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter und die Abgeordneten effizient und funktional sind. Die hier mehrfach angesprochene Vielzahl von Unterbringungen, vor allen Dingen für die Mitarbeiter, aber auch für die Abgeordneten, die ab und zu wie die Hasen zwischen Plenum und Büros hin- und herhetzen, ({4}) ist unzumutbar und der Effizienz der Arbeit aller Beteiligten unzuträglich. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Fraktionszuschüssen, die auch in diesem Jahr wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte sind und auch von Herrn Kleinert eben angesprochen worden sind. Herr Kleinert, Ihre Argumentation wäre sehr viel glaubwürdiger - und wir diskutieren dieses Problem ja jedes Mal anläßlich dieses Haushalts - , wenn Sie wenigstens einmal an den Vorbereitungen und an den Berichterstattergesprächen zu diesem Einzelplan teilgenommen hätten. Dann hätten wir dieses gemeinsam mit Ihnen diskutieren können. ({5}) - Natürlich stimmt das. Die Kollegen Berichterstatter zum Einzelplan 02 werden dieses bestätigen. Natürlich ist die ordnungsgemäße Verwendung dieser Zuschüsse nach Recht und Gesetz der Prüfung des Rechnungshofes unterworfen. ({6}) Der Rechnungshof hat die Prüfung meiner Fraktion in bezug auf diese Zuschüsse gerade abgeschlossen. Bei Ihnen ist er gewesen. Ich denke, auch die anderen Fraktionen sind demnächst dran. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Nur, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir diesen Hinweis: Die inhaltliche, politische Wertung kann natürlich nicht Aufgabe des Rechnungshofes sein. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Herr Abgeordneter Kleinert, wenn Frau Seiler-Albring das genehmigt.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ausnahmsweise noch eine.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Seiler-Albring, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Mensch stets nur an einem Ort gleichzeitig aufhalten kann?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Oh, lieber Herr Kleinert, ich habe genau die gleichen Funktionen wie Sie, und ich habe es möglich gemacht, diesen Pflichten, die ich auf mich genommen habe - mich hat ja keiner dazu gezwungen - , hier nachzukommen. ({0}) Gerade wenn es unseren eigenen Aufgabenbereich anbelangt, dann sollte man diesen Aufgaben auch nachkommen und nicht andere beschimpfen, die dieses getan haben. ({1}) Es wird in der Öffentlichkeit auch Kritik an der Höhe der Zuschüsse geübt. Dieses muß hier einmal sehr deutlich und unumwunden ausgesprochen werden. Wenn die Fraktionen ihren parlamentarischen Auftrag erfüllen können sollen und wenn die Abgeordneten der übermächtigen Exekutive mit ihrer Heerschar von Mit- und Zuarbeitern nicht hilflos ausgeliefert sein sollen und ihre Kontrollfunktionen wenigstens einigermaßen verantwortbar ausüben sollen, dann müssen die Fraktionen u. a. Mitarbeiter beschäftigen, die kompetent und sachkundig, von erstklassiger Qualität sind. Die Fraktionen brauchen eine Infrastruktur, die moderne Verwaltungsabläufe ermöglicht und diesen gewachsen ist. Eine Zukunftsaufgabe muß die Reform der Verwaltungsstruktur des Deutschen Bundestages sein. Der Deutsche Bundestag verfügt mittlerweile über nahezu 2 000 Stellen in einer veralteten, uneffizienten Organisationsstruktur. Wir sollten eine Struktur anstreben, wie wir sie vergleichsweise bei den Bundesministerien haben. Weiter macht uns - auch das ist von den Kollegen bereits angesprochen worden - der Zustand der wissenschaftlichen Fachdienste Sorge, die immer mehr, durch zusätzliche Anforderungen bedingt - durch Enquete-Kommissionen, Untersuchungsausschüsse und ähnliche zeit- und personalaufwendige Vorhaben - , ausgedünnt werden. Der Effizienz des Wissenschaftlichen Dienstes muß zukünftig unser besonderes Augenmerk gelten. Eine Lösungsmöglichkeit könnte in der vermehrten Ausweisung von Verfügungsstellen mit Zeitverträgen liegen, um der Bundestagsverwaltung die notwendige Flexibilität zu geben. Ich möchte erwähnen, daß der ausgeschiedene Präsident Jenninger in diesen Fragen sehr aufgeschlossen war. Wir hoffen, daß die künftige Präsidentin diese Aufgabe ebenso engagiert angehen wird. Wir werden sie dabei gerne unterstützen. Ich möchte mich dem Dank der Kollegen Borchert und Esters an den ausgeschiedenen Präsidenten Philipp Jenninger sehr gerne anschließen. Wir haben gut und effizient mit ihm zusammengearbeitet. ({2}) Abschließend möchte ich den Mitarbeitern in der Bundestagsverwaltung, die es mit den gestreßten und unter Terminnöten leidenden Abgeordneten nicht immer leicht haben, meinen herzlichen Dank und meine Anerkennung aussprechen. Wir wissen, daß wir ohne ihre Zuarbeit und freundliche Unterstützung unsere Arbeit nicht oder nur sehr unvollkommen leisten könnten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl. ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Die Vorfreude ist immer die größte Freude. Jetzt geht es aber zur Sache. Meine Damen und Herren, zum Einzelplan 02 habe ich einen Änderungsantrag eingebracht. Sie haben ihn wahrscheinlich nicht gelesen. ({0}) Es geht darum, daß für mich im Einzelplan zur Ermöglichung einer fairen Auseinandersetzung mit Ihnen hier im Hause und auch außerhalb ein Betrag eingestellt werden möge, der dem vergleichbar ist, den Sie direkt und indirekt über die Fraktionszuschüsse bekommen, sowohl über den Grundbetrag - den sogenannten Sockelbetrag - als auch über das sogenannte Kopfgeld. Zur Erläuterung: Ihre Fraktionen bekommen jährlich einen Sockelbetrag. Insofern beanspruche ich nichts Vergleichbares. Aber darüber hinaus bekommt jede Fraktion entsprechend ihrer Kopfgröße pro Abgeordneten 7 494 DM und die Oppositionsfraktionen 8 243 DM; jedenfalls nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf. Das ist in der Tat sehr viel Geld. ({1}) - Richtig. Eigentlich müßte ich das Doppelte oder Dreifache bekommen, ähnlich wie die Kollegen und Kolleginnen im Europaparlament, weil die Konkurrenzsituation für mich gegenüber allen anderen sehr viel schärfer ist als z. B. die des Restes der Opposition gegenüber der Regierungsfraktion. Aber so eine Forderung stelle ich nicht, sondern ich stelle nur die Forderung, die das absolute Mindestmaß dessen darstellt, was ich allerdings auch brauche, um halbwegs vernünftig mit Ihnen konkurrieren zu können. Konkret bedeutet das: Sie finanzieren sich von diesen Geldern zur Zeit Justitiariate. Das kann ich nicht. Ich muß Fremdaufträge nach draußen geben, z. B. Rechtsanwälte bezahlen. Sie finanzieren sich eine Pressestelle, die Ihnen nicht nur täglich Pressespiegel ins Büro reicht, sondern auch wichtige Konferenzen anderer Fraktionen oder Regierungen besucht oder entsprechende Ticker laufen läßt - „dpa", andere Agenturen - und Sie stündlich, wenn es relevant ist, mit den brandneuesten Informationen versorgt. Das kann ich zur Zeit nicht finanzieren. Ich kann höchstens einmal bei Journalisten anrufen und fragen: Sag mal, ist da etwas gelaufen? Ich habe etwas gehört. - Was ist das für ein Zustand, daß ich als Abgeordneter hinter der Presse herlaufen muß, um in meinen Fachgebieten handlungsfähig sein zu können? ({2}) - Da gibt es nichts zu lachen. Das ist eine Unverschämtheit ersten Grades, die Sie mitverursachen, weil ich nicht solche Mittel zur Verfügung gestellt bekomme, wie Sie sie haben. ({3}) Darüber hinaus kann ich z. B. keine Einladungen an Experten und Expertinnen aussprechen, ob zu Fraktionsanhörungen oder auch zu Einzelgesprächen. Das kostet Geld: Reisegeld, Spesen, Übernachtungsgelder. Ich muß beispielsweise, wenn ich eine Pressekonferenz abhalte, ein Hotel anmieten. ({4}) Das kostet Geld. Es sind 200, 300 DM weg. Das bezahlen Sie aus Ihren Fraktionskontingenten ({5}) oder haben die Möglichkeit, Fraktionsräume zu benutzen. Sie können eine eigene Druckerei benutzen usw. Die Latte ist fast unendlich. Um Ihnen das noch plastischer werden zu lassen: Ich habe in diesem Jahr 80 000 DM zusätzlich, also von meinen Diäten und meinem übrigen Einkommen, das ich als Abgeordneter bekomme, aufbringen müssen, um überhaupt vernünftig arbeiten zu können. ({6}) - Da täuschen Sie sich, dafür kriege ich es nicht. -80 000 DM! ({7}) Das ist ungefähr die Größe, die ich brauche, nämlich das Kopfgeld, das ich hiermit beantrage. Zu zweien der Vorredner, Herrn Kleinert und der Vertreterin der FDP, sei angemerkt, daß natürlich die Debatte um diese Position im Einzelplan 02 absurd ist, wenn behauptet wird, das sei rechtlich vertretbar. Diese Haushaltsstelle ist verfassungswidrig. Es gibt zur Zeit keine gesetzliche Grundlage, auf Grund derer sich die Fraktionen aus den Steuergeldern bedienen. Sie haben einzig und allein eine profane Haushaltsrichtlinie erlassen. Das reicht nun allerdings nicht. Ich bin mir sicher, daß auf meine Organstreitklage ein entsprechendes Urteil aus Karlsruhe erfolgen wird. Nun könnte jemand, wenn er klug ist oder jetzt mitgedacht hat - offensichtlich ist beides nicht der Fall - , mir ähnlich wie Herrn Kleinert die Frage stellen: Warum beantragen Sie denn Geld, wenn Sie sagen, das sei verfassungswidrig? - Ich bin in dem gleichen Sachzwang wie die Grünen, die natürlich, wenn sie bestimmte Haushaltspositionen nicht abrufen, in ihrer Konkurrenzsituation gegenüber den anderen Fraktionen erheblich benachteiligt sind - genauso wie ich es jetzt bin, weil ich das Geld nicht bekomme. Innerhalb dieses Sachzwangs und natürlich auch zur Vorbereitung der mündlichen Beweisaufnahme in Karlsruhe habe ich diesen Antrag eingebracht. Es würde in der Tat ausreichen, wenn an dieser Haushaltsstelle ein Betrag von 40 Millionen oder 50 Millionen DM eingestellt würde; dann wären die Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten immer noch handlungsfähig. Meine Damen und Herren, ich denke, die andächtige Ruhe, die jetzt im Hause eingetreten ist, ist der Ausdruck der Überzeugung dank meines Sachvortrages. Ich bitte Sie, zumindest diesem Änderungsantrag zuzustimmen. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, das war die letzte Wortmeldung. Damit ist die Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt beendet. Wir kommen gleich zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl, der Ihnen auf Drucksache 11/3412 vorliegt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU, FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der Abgeordneten Weiss ({0}) und Frau Rock. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3461? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Antrag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden ist. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3462? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zum Einzelplan 02 insgesamt. Wer dem Einzelplan 02, Deutscher Bundestag, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der SPD, Vizepräsident Cronenberg CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr auf: Haushaltsgesetz 1989 - Drucksachen 11/3229, 11/3230 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({1}) Roth ({2}) Dr. Weng ({3}) Wieczorek ({4}) Esters Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 30 und den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind diese Vorschriften angenommen, und zwar mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989 ({5}) abgeschlossen. Meine Damen und Herren, dies ist, glaube ich, der geeignete Moment, auf einen Sachverhalt aufmerksam zu machen, der soeben schon angesprochen worden ist: Die Kollegen Walther und Wieczorek haben das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Ich gratuliere Ihnen bei dieser Gelegenheit. ({6}) Meine Damen und Herren, ich rufe nun die Punkte VII bis X der Tagesordnung auf: VII. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989 ({7}) - Drucksachen 11/2700, 11/2966, 11/3119, 11/3201 bis 11/3229, 11/3231 VIII. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ({8}) - Drucksachen 11/2969, 11/3009 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) - Drucksache 11/3306 ({10}) Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({11}) Dr. Weng ({12}) Wieczorek ({13}) Frau Vennegerts Unterrichtung über die in zweiter Beratung beschlossene Änderung - Drucksache 11/3466 IX. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen ({14}) - Drucksachen 11/2970, 11/3008 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({15}) - Drucksache 11/3399 Berichterstatter: Abgeordnete Huonker Dr. Meyer zu Bentrup X. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften - Drucksache 11/2971 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) - Drucksache 11/3307 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Struck Borchert Meine Damen und Herren, auch beim Haushaltsbegleitgesetz 1989 können wir in die dritte Beratung eintreten, obwohl in der zweiten Beratung ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 11/3436 angenommen ist. Wir können das dann tun, wenn zwei Drittel der Anwesenden dafür sind. Auf diesen Sachverhalt habe ich gestern schon hingewiesen. Ein Antrag ist fristgemäß eingereicht worden. Ich gehe davon aus, daß das Haus mit meinem Vorschlag einverstanden ist. Erhebt sich Widerspruch dagegen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist dies mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen. Zu verschiedenen Einzelplänen und zum Haushaltsgesetz liegen 18 Entschließungsanträge vor. Über diese Entschließungsanträge wird nach der Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz abgestimmt werden. Meine Damen und Herren, es ist vereinbart worden, daß wir für diesen Beratungsteil nunmehr eine Beratungszeit von drei Stunden in Anspruch nehmen werden. Dies ist jedenfalls der Vorschlag des Ältestenrates, gegen den sich, so hoffe ich, kein Widerspruch erhebt. - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen. Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst einmal dem Abgeordneten Dr. Struck das Wort.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler, der heute leider nicht hier ist, hat vorgestern von einer „Hetzkampagne" gegen Niedersachsen und Ernst Al7800 brecht gesprochen. Das ist nicht nur ein böses Wort, sondern offenbart auch ein schlimmes Staatsverständnis. Niedersachsen ist nicht Ernst Albrecht - das Land gehört ihm nicht - , sondern die Wähler haben der Zählgemeinschaft von CDU und FDP die Regierung nur auf Zeit anvertraut. ({0}) Wer von einer „Hetzkampagne" redet, begibt sich in gefährliche Nähe des Barschel-Skandals in Schleswig-Holstein. Es geht nicht um irgendwelche Kampagnen, sondern es geht um Kritik an der Regierungsarbeit, geübt von einer funktionierenden Presse. Ohne diese Kritik kann eine Demokratie nicht bestehen. Die Wortwahl des niedersächsischen Ministerpräsidenten zeigt, daß er unfähig ist, mit dieser Kritik umzugehen. Er versucht, die Kritik mundtot zu machen, sie auszugrenzen, um in der Machtausübung nicht kontrolliert zu werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, als wenn das Maß noch nicht voll wäre, redet der CDU-Vorsitzende Hasselmann, der als Innenminister zurücktreten mußte, weil er in einem Untersuchungsausschuß gelogen hat, über Feindbilder, die bei ihm geschärft worden seien. Mit „Feinden" meint er die Opposition, die Andersdenkenden. Warum sagt ihm niemand, daß es in einer Demokratie wohl Gegner, nicht aber Feinde geben darf? ({1}) Meine Damen und Herren, das hätte der Bundeskanzler sagen müssen, statt von einer Hetzkampagne zu reden, und damit sind wir bei dem Thema, Herr Uldall, über das wir jetzt sprechen. Der Bundeshaushalt 1989 ist ein Dokument finanzpolitischer Versäumnisse und Fehlleistungen: Steuern werden erhöht, Schulden nicht gesenkt, Arbeitslosigkeit nicht abgebaut, Bürokratie verstärkt, ökologische Krisen nicht bekämpft. CDU/CSU und FDP sind die Parteien von gestern mit der Politik von vorgestern. ({2}) Die Fragen der Zukunft werden von Ihnen nicht gelöst. Dort, wo Sie Weichen stellen, geht es in die falsche Richtung. Für die Haushaltspolitik in den 90er Jahren türmen sich riesige Vorbelastungen auf. Sie haben jetzt hemmungslos bestellt; zahlen sollen später andere. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben an diesen Fehlleistungen den größten Anteil. ({3}) Minister Stoltenberg hat in der ersten Lesung am 6. September dieses Jahres seinen Haushalt so charakterisiert - ich zitiere wörtlich - : „So glänzend ist das Bild auch nicht, das ich Ihnen für die öffentlichen Finanzen hier zeichnen konnte. " Wie wahr, wie wahr! Außerdem ist das ein bisher noch nie dagewesener Fall von Selbsterkenntnis des Finanzministers. Aber das Bild ist nicht nur nicht glänzend, sondern vielmehr außerordentlich trübe. Die wirtschaftliche Entwicklung geht weiter am Arbeitsmarkt vorbei. Auch im siebten Jahr nach der Regierungsübernahme werden 1989 weit über 2 Millionen Frauen und Männer ohne Arbeit sein; eine weitere Million Menschen, überwiegend Frauen, wartet zusätzlich in der sogenannten stillen Reserve auf Arbeit. Noch nie gab es in der Bundesrepublik Deutschland so viele Arbeitslose wie unter dieser Regierung. Sie hat damit ihre Versprechungen gebrochen und das Vertrauen vieler Menschen bitter enttäuscht. ({4}) Die Unterlassungssünden in der Umweltpolitik haben immer schwerere Folgen. Das jüngste Robbensterben in der Nordsee, das anhaltende Waldsterben und die beginnende weltweite Klimakatastrophe zeigen eindringlich, daß unsere natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet sind. Ein sofortiges Umsteuern ist unumgänglich. ({5}) Das Ökosystem Nordsee ist in seinem Bestand akut gefährdet. Zu seiner Rettung ist ein Sofortprogramm erforderlich, um die Schadstoffeinleitung schnell und wirksam auf ein Maß zu begrenzen, daß die Selbstreinigungskräfte der Nordsee nicht übersteigt. Der Vorschlag der Bundesregierung, 10 % der Strukturhilfen an die finanzschwachen Länder für die Nachrüstung und Erweiterung von Kläranlagen einzusetzen, ({6}) ist nicht ausreichend. Ein Verweis auf die Strukturhilfen kann ein Programm zur Nachrüstung und Erweiterung von Kläranlagen nicht ersetzen. Vor allem in den strukturschwachen Regionen entwickeln sich die wachsenden Sozialhilfelasten als Folge der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit mehr und mehr zum Sprengsatz für die kommunalen Haushalte. Sie schwächen die Investitionsfähigkeit der Gemeinden und führen diese tiefer in den Teufelskreis steigender Arbeitslosigkeit bei sinkender Finanzkraft. Durch die Verbrauchsteuererhöhungen der Bundesregierung und die Quellensteuer werden der privaten Nachfrage im Jahre 1989 rund 13 Milliarden DM entzogen. ({7}) Zusätzliche Entzugseffekte in Höhe von rund 10 Milliarden DM entstehen durch die vorgesehenen Leistungskürzungen und Selbstkostenbeteiligungen im Rahmen der sogenannten Gesundheitsreform und durch die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge. Entgegen den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen wird die Binnennachfrage dadurch im kommenden Jahr spürbar geschwächt und der Arbeitsmarkt noch zusätzlich belastet. Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist ungerecht, familienfeindlich, wirtschaftspolitisch verfehlt und nicht solide finanziert. ({8}) Darüber hinaus wird sie den ökologischen Erfordernissen nicht gerecht. Die für 1989 vorgesehenen Verbrauchsteuererhöhungen belasten gerade diejenigen Haushalte mit niedrigem Einkommen und hoher KonDr. Struck sumquote überdurchschnittlich, die von der Steuersenkung 1990 am wenigsten oder überhaupt nichts haben. Dazu gehören vor allem die 17 Millionen Rentner, Studenten, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, und auch viele kinderreiche Familien sind darunter. Und das, meine Damen und Herren, alles nur, damit die 150 000 Großverdiener in der Republik Steuergeschenke erhalten! Dazu nur ein Beispiel: Wer ein Jahreseinkommen von 1 Million DM hat, der spart allein durch die Senkung des Spitzensteuersatzes ab 1990 jährlich 22 500 DM, und das dauerhaft. Dieses Steuergeschenk entspricht in etwa dem, was viele Facharbeiter im ganzen Jahr netto verdienen. Dies ist ein gesellschaftspolitischer Skandal ersten Ranges, der Ihre wahren Absichten enthüllt. ({9}) Dies will die gleiche Koalition, die im letzten Bundestagswahlkampf unter dem Stichwort „Supersteuerreform" mit dem 1 000-DM-Versprechen auf Stimmenfang gegangen ist. Jetzt, mit der Verabschiedung dieser Verbrauchsteuererhöhungen, müssen Sie von der Koalition endgültig von der falschen Behauptung Abschied nehmen, die Koalition betriebe eine Politik dauerhafter Steuerentlastung auch für Durchschnittsverdiener. Die Zahlen entlarven diese Behauptung als Märchen. Unter der Regierung Kohl findet ein beispielloser Marsch in den Lohnsteuer- und Abgabenstaat statt. ({10}) Sechs Jahre nach der Wende ist festzustellen: Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen liegt auf Rekordhöhe. Von jeder verdienten Mark müssen die Arbeitnehmer im Durchschnitt 42,2 Pfennig abführen, und dies trotz der zu Jahresanfang in Kraft getretenen zweiten Stufe der sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten. Im Jahr der Wende 1982 lag die Durchschnittsbelastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben sehr viel niedriger, nur bei 39,8 %. Dieser Steuer- und Abgabenrekord wird auch durch das Steuerpaket 1990 überhaupt nicht abgemildert: Dieses Steuerpaket bringt den Arbeitnehmern mit Durchschnittsverdienst unter dem Strich keine ins Gewicht fallende Entlastung; denn sie müssen die Hauptlast der Finanzierung des Steuerpaketes tragen. Von der Steuersenkung profitieren vor allem Groß- und Spitzenverdiener. Mit der Erhöhung der Benzin-, Heizöl- und anderer Verbrauchsteuern und der neuen Erdgassteuer werden die Arbeitnehmereinkommen wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit Steuern und Abgaben zusätzlich belastet. Von einer Mark bleiben weniger als 57 Pfennig übrig. Ich fordere Sie deshalb auf: Beenden Sie endlich Ihr unwahres Gerede von der dauerhaften Entlastung aller Steuerzahler durch Ihre Steuerpolitik. Nun komme ich zum Thema Quellensteuer; dazu gibt es eine Menge zu sagen. 3,4 Milliarden DM erwartet die Bundesregierung aus dieser finanzpolitischen Mißgeburt. Die Beratung dieser Haushaltsansätze geriet im Haushaltsausschuß zu einem geradezu peinlichen Schauspiel. ({11}) Zunächst beantragte die Bundesregierung im Einzelplan 08 zusätzlich 120 neue Stellen und die Versetzung von fast 400 Beamten der Zollverwaltung zur neuen Außenstelle des Bundesamtes für Finanzen in Trier, besser „Quellensteueramt" zu nennen. ({12}) Die Kollegen von den Regierungsfraktionen lehnten dieses Amt empört ab, und zwar mit der Begründung, das hätten sie nie so beschlossen. Aber natürlich ist das so beschlossen worden, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien; denn selbstverständlich müssen die Anträge von Bürgern, die nicht quellensteuerpflichtig sind, auch bearbeitet werden. Aber von wem? Das ist die Frage. ({13}) Die Finanzminister der Länder und die Deutsche Steuergewerkschaft beziffern den zusätzlichen Personalbedarf in den Finanzverwaltungen mit ca. 5 000 Beamten und Angestellten. Aber niemand wird auch nur eine zusätzliche Stelle in den Ländern dafür bereitstellen - niemand! Im Gegenteil: In Niedersachsen z. B. muß die Finanzverwaltung wegen der desolaten Finanzpolitik der Noch-CDU-Landesregierung in Hannover über 120 Stellen in der Finanzverwaltung einsparen. Das Ergebnis ist klar: Den Bürgern werden, obwohl sie die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Nichtveranlagung erfüllen, erst einmal 10 % Quellensteuer abgezogen. Und dann? - Dann können sie lange, lange warten, bis ihnen der Bund irgendwann das Geld zurückgibt. Dieses Verfahren ist bürgerfeindlich, ({14}) aber eine logische Konsequenz der steuerpolitisch verfehlten Zinsbesteuerung, meine Damen und Herren. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer, selbstverständlich!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Struck, geben Sie mir zu, daß das Verfahren beim Lohnsteuerjahresausgleich, wo zuviel gezahlte Steuern zurückerstattet werden, wenn der Steuerpflichtige geltend machen kann, daß er irgendwelche Werbungskosten oder ähnliches über die Pauschale hinaus hatte, genau dem gleichen Prinzip folgt und daß deswegen das Geschrei über Unrecht an dieser Stelle nicht ganz verständlich wird? ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gebe Ihnen das nicht zu, Herr Kollege Weng. Der Kollege Glos klatscht nur, weil er davon keine Ahnung hat. Aber wir wollen uns jetzt einmal unter Fachleuten unterhalten. ({0}) Herr Kollege Weng, das Problem bei den Finanzbeamten in den Ländern, die Nichtveranlagungsbescheinigungen zu bearbeiten haben werden, ist: Keine einzige Stelle wird in den Finanzverwaltungen der Länder zusätzlich geschaffen. Die Kollegen, die Lohnsteuerjahresausgleichsanträge oder Einkommensteuererklärungen zu bearbeiten haben, müssen das natürlich auch noch tun. Wenn jetzt die Anträge auf Nichtveranlagungsbescheinigungen kommen, wird die logische Konsequenz sein - weil niemand zusätzliches Personal einstellt -, daß die Bürger, die überhaupt nicht quellensteuerpflichtig sein werden, lange, lange warten müssen, bis sie ihr Geld wiederkriegen. Das ist eine logische Konsequenz aus der Tatsache, daß nicht 5 000 neue Stellen geschaffen werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Uldall? - Bitte schön.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, werden die Sozialdemokraten angesichts ihrer Ankündigung, bei einem - sicherlich nicht eintretenden - Sieg bei der nächsten Bundestagswahl die Quellensteuer abzuschaffen, auch die 25%ige große Kapitalertragsteuer bei den Dividenden abschaffen, um konsequent zu bleiben? ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uldall, bleiben Sie doch bei der Sache und reden Sie nicht neben der Sache. Wir reden im Augenblick über die Quellensteuer, ({0}) und zwar über das abstruse Vorgehen, das Sie beschlossen haben. ({1}) Welche Vorstellungen wir haben, haben wir Ihnen doch schon mehrfach gesagt. ({2}) - Nun setzen Sie sich mal hin; es reicht. ({3}) Der zweite Skandal im Zusammenhang mit der Quellensteuer ist aber noch viel schlimmer: Die von der Mehrheit beschlossene Amnestie ist ein Schlag ins Gesicht aller ehrlichen Steuerzahler. ({4}) Mit dem Amnestiegesetz wird im nachhinein darauf verzichtet, daß diejenigen, die ihre Kapitaleinkünfte trotz der bislang eindeutigen Rechtslage dem Finanzamt verschwiegen haben, für die Zeit bis einschließlich 1985 ihre Steuern nachzahlen müssen. Es handelt sich praktisch um eine spezielle Steuerbefreiung für Steuerhinterzieher. Sie werden vom Staat gegenüber den ehrlichen Steuerzahlern begünstigt. Viele ehrliche Steuerzahler werden sich fragen, ob es tatsächlich klug war, im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit der bestehenden Steuergesetze zu handeln. Durch diese Amnestie werden die Rechtssicherheit und auch die Steuermoral auf das schwerste beschädigt. ({5}) Mit der Übernahme des Bankenerlasses in die Abgabenordnung werden Steuerhinterzieher sogar noch gesetzlich geschützt. ({6}) Eine Rechtssicherheit für Steuerhinterzieher ist aber das letzte, was wir uns wünschen sollten. ({7}) Man darf gespannt sein, wie die Gerichte das Amnestiegesetz beurteilen werden. Das niedersächsische Finanzgericht in Hannover hat bereits in einem Urteil festgestellt, daß die im Amnestiegesetz vorgesehene Steuerbefreiung als sachwidrige Differenzierung der Steuerpflicht von Kapitaleinkünften gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes verstößt und damit verfassungswidrig ist. Allerdings war diese Frage in diesem Urteilsfall nicht entscheidungserheblich, so daß dies noch keine endgültige Entscheidung darstellt. Nur: Sie müssen - wir nicht, weil wir das nicht beschlossen haben - mit großer Sorge den Verfahren beim Bundesverfassungsgericht entgegensehen. Sehr zu Recht wird nämlich von Fachleuten die Frage gestellt, ob das von Ihnen beschlossene Gesetz nicht dazu führen muß, daß den ehrlichen Steuerzahlern ihr Geld zurückgegeben wird. ({8}) Wer Unehrliche für strafbares Verhalten belohnt, wie Sie das tun, muß sich danach fragen lassen, wie ernst er es mit der Einhaltung von Gesetzen meint. ({9}) Das Strickmuster Ihrer Steuerpolitik ist leicht zu durchschauen: Vor der Wahl werden den Bürgern Versprechungen gemacht, nach der Wahl wird kassiert. So war es 1986/87, und so wird es 1990/91 wieder sein. Tausend Mark sollte jeder Bürger geschenkt bekommen. So war es 1986 in Anzeigen zu lesen. Nach der Wahl wurde diese Zahl immer kleiner, und die Steuererhöhungen wurden immer größer. ({10}) Zuerst haben Sie die Abschaffung der Steuerbefreiung für Arbeitnehmer in Sonntags- und Schichtarbeit entschieden bestritten. Dann haben Sie es doch gemacht. Ich erinnere mich sehr genau, Herr Minister Stoltenberg, an Ihre Worte von diesem Pult aus, als Sie uns etwas Falsches auf entsprechende Fragen geantwortet haben. Sie geben den Normalverdienern ein Almosen, wenn überhaupt, nachdem Sie ihnen vorher einen dicken Batzen Geld aus der Tasche herausgenommen haben. ({11}) Die sogenannte größte Steuerreform aller Zeiten ist zum größten Beschiß für Normalverdiener geworden. Und so soll das weitergehen. ({12}) Jetzt, vor der Wahl 1990, spricht der Bundesfinanzminister von einer geplanten Erhöhung des Grundfreibetrages. Die Absicht ist klar. In Wahrheit, Herr Stoltenberg, wollen Sie die Unternehmensteuern senken, und dafür brauchen Sie ein Feigenblatt. Aber nach der Wahl wird dann von Ihnen die Rechnung präsentiert. Sie wollen dann die von Ihnen längst geplante, in der Schublade befindliche Erhöhung der Mehrwertsteuer durchsetzen. Das Ergebnis wird wie immer sein: Die Reichen werden beschenkt, Arbeitnehmer und Verbraucher müssen bezahlen. ({13}) Wenn Sie das nicht wollen, Herr Kollege Stoltenberg, dann fordere ich Sie auf, hierherzukommen und zu sagen, daß Sie die Mehrwertsteuer nicht erhöhen wollen. Wie Sie, Herr Bundesfinanzminister, mit Zahlen und Statistiken umgehen, haben Sie gestern in der Debatte in aller Deutlichkeit vorgeführt. Bei Ihren verfälschenden Darstellungen über die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer mußten Sie sich gestern schon von meinem Kollegen Huonker korrigieren lassen, der Ihnen mit Ihren eigenen Zahlen nachgewiesen hat, daß die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer viel stärker steigt, als Sie es hier dargestellt haben. Sie haben uns gestern auch Zahlen vorgeführt, mit denen Sie unsere Behauptung widerlegen wollten, Sie betrieben eine Politik der Umverteilung von unten nach oben. Sie haben sich dabei im Rückgriff auf unselige Schleswig-Holsteiner Zeiten gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel sogar des schlimmen Worts vom Klassenkampf bedient. Sie sagten, die Vermögenseinkommen kämen vor allem den Arbeitnehmern und den Rentnern zugute, und Sie haben sich dabei sogar auf amtliche Statistiken berufen. ({14}) Ihr Umgang mit der Statistik, Herr Stoltenberg, ist eine grobe Verfälschung der Tatsachen. ({15}) Ich nehme dieselbe amtliche Untersuchung mit denselben amtlichen Zahlen wie Sie, und siehe da, es kommt das Gegenteil von dem heraus, was Sie gestern vorgetragen haben. Ich brauche Ihnen nur die Quelle zu nennen: „DIW-Wochenbericht", 38/88, Seiten 512 und 509. Nach der von Ihnen vorgetragenen Statistik betrugen die Vermögenseinkommen in der Bundesrepublik im Jahre 1987 insgesamt 504,2 Milliarden DM. Das hätten Sie übrigens auch auf Seite 509 lesen können und nicht nur auf Seite 512, aus der Sie zitiert haben. Davon entfielen auf die Arbeitnehmer gerade 10 % und auf die Rentner und andere Nichterwerbstätige nicht einmal 6 %. ({16}) 63 %, Herr Stoltenberg, flossen dagegen an die Unternehmen. Das sind 318 Milliarden DM, weit mehr als die Hälfte der gesamten Vermögenseinkommen. Diese 318 Milliarden DM haben Sie hier ganz einfach unterschlagen. Das ist unredlich und falsch. ({17}) So gehen Sie mit Zahlen um, Herr Stoltenberg! Und so versuchen Sie, Stimmung zu machen. Nehmen Sie doch einmal folgendes zur Kenntnis: Nur 10 % der Vermögenseinkommen gehen an die Arbeitnehmer, nur 6 % an die Rentner. Dazu wiederhole ich das, was Sie gestern zu Ihren Zahlen, zu Ihren falschen Zahlen, hier gesagt haben: Das ist christlich-soziale Politik, das ist freiheitlich-liberale Politik. Das ist die Überzeugung dieser Koalition. Sie selbst, Herr Stoltenberg, haben damit dieser Bundesregierung und dieser Koalition ein peinliches Armutszeugnis ausgestellt. ({18}) Und dabei haben gestern, wie das Protokoll ausweist, die Koalitionsfraktionen sogar noch Beifall geklatscht. ({19}) Dafür sollten sie sich heute noch schämen. Im Gegensatz zu Ihnen sind wir Sozialdemokraten bei der Arbeit an unseren Konzepten für eine zukunftsorientierte Politik für die 90er Jahre weit fortgeschritten. Sie sollten sich heute schon darauf einstellen, daß Sie mit Ihrer Parole „Weiter so!" dagegen nicht mehr ankommen. Denn unsere Bürger wissen: So weitergehen wie bei dieser Bundesregierung darf es nicht mehr und darf es nie mehr. „Weiter so! " heißt auch für die Zukunft: Wortbruch auf der ganzen Linie. ({20}) Es heißt, daß Sie auch in Zukunft wieder den Abbau der Massenarbeitslosigkeit versprechen und ihren Anstieg ungerührt hinnehmen werden. Es heißt, daß Sie den armen, verschuldeten Staat wollen, der nur den wenigen Reichen nützt, der aber für die Mehrheit der Bürger notwendige Leistungen nicht mehr erbringen kann. Es heißt, daß bei Ihnen weiterhin die Sorge um die Familien ein Lippenbekenntnis bleibt und daß Sie, wenn es um Taten geht, statt dessen Steuergeschenke für Spitzenverdiener verteilen. Es heißt auch, daß die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen mit einem privilegierten Platz in Ihren Sonntagsreden abgespeist wird, ohne daß in Ihrer praktischen Politik auch nur eine einzige Konsequenz gezogen wird. ({21}) „Weiter so!" heißt auch, daß die drängenden Probleme unserer Zeit wieder als Alibi dafür herhalten sollen, um Ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben weiter fortzusetzen. - Kollege Bötsch nickt dazu. Ich freue mich, daß Sie mir zustimmen. ({22}) So darf es nicht weitergehen. Deshalb stellen wir Ihrer Politik unsere Konzepte für eine zukunftsorientierte Politik für die 90er Jahre gegenüber. Die Bürger werden darüber entscheiden. Wir als Sozialdemokraten sehen dieser Entscheidung mit großer Gelassenheit und Zuversicht entgegen. ({23})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir jetzt in der dritten Lesung sind, möchte ich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen und die Worte des Herrn Präsidenten aufgreifen, der erwähnt hat, daß zwei verdienstvollen Mitgliedern des Haushaltsausschusses das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. Wir von der Seite der CDU/CSU möchten uns dem Glückwunsch herzlich anschließen. ({0}) Das soll aber nicht heißen, daß die beiden Kollegen dieses Verdienstkreuz für ihre Haushaltspolitik bekommen hätten; und es soll umgekehrt natürlich auch nicht heißen, daß auf der Seite der Regierungskoalition nicht ebenfalls verdiente Politiker sind. Es ist höchstens die bessere Regie gewesen. Aber das soll die Verdienste dieser beiden Spitzenkollegen aus dem Haushaltsausschuß nicht schmälern. Wir sind in der dritten Beratung. Das Urteil über den finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung fällt auch hier eindeutig aus. Der Kurs ist verläßlich. Er ist klar. Und er ist erfolgreich. ({1}) Mit diesem Kurs gehen wir bereits in das siebte Jahr des Aufschwungs. Das muß man sich ja erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. ({2}) Ich bin ganz sicher, daß das siebte Jahr nicht das verflixte siebte Jahr wird, sondern daß wir ein ebenfalls exzellentes Jahr bekommen werden, wie es die Bundesbank auch in diesem Jahr bestätigt hat. Das stärkt unsere Bundesregierung. Das stärkt die Politik in diesem Land. Wenn ich die Debattenergebnisse der zweiten Lesung zusammenfasse, stelle ich fest: Es war durchaus Interessantes dabei. Es gab nicht nur den obligatorischen Schlagabtausch und die überzogene Oppositionskritik. Es gab durchaus auch Gemeinsames, zum Beispiel in der Außenpolitik. Das stimmt versöhnlich nach den anstrengenden Tagen hier oder nach den aufreibenden Wochen und Monaten drüben in der 25. Etage im Haushaltsausschuß. Die Generalaussprache über die deutsche Politik machte aber auch deutlich, daß die Opposition manchmal in einem anderen Land zu leben scheint. ({3}) Wie sonst hätten Vogel und Genossen ihre Gebetsmühle wieder abspulen können, wie schlecht es um dieses Land bestellt sei? Doch nichts, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nichts von alledem, was Sie hier gesagt haben, ist wahr, ({4}) wie ein recht unverfänglicher Zeuge, nämlich die „Süddeutsche Zeitung", erst gestern im Kommentar wieder festgestellt hat. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: Außen- wie innenpolitisch, in der Wirtschaftspolitik zumal, spricht die Entwicklung eher dafür, daß die Koalition der nächsten Bundestagswahl mit Optimismus entgegensehen kann. ({5}) Meine Damen und Herren, die Opposition hat sich ja redlich Mühe gegeben, am Lack einer erfolgreichen Regierung zu kratzen. ({6}) Sie hat aber zahlreiche falsche Behauptungen auf gestellt, die sie nicht glaubwürdiger machen. Einige möchte ich jetzt zurückweisen. Die Opposition hat behauptet, die Bundesregierung habe ihren 1982 bekräftigten Willen zum Subventionsabbau nicht in die Tat umgesetzt. ({7}) Das ist falsch. Richtig ist, daß sich die Finanzhilfen und die Steuervergünstigungen in der SPD-Regierungszeit nahezu verdoppelt haben. Ich nenne folgende Zahlen: 1970 waren es 14,3 Milliarden DM für diese beiden Ausgabenposten; 1982, am Ende Ihrer Regierungszeit, waren es fast 25 Milliarden DM. Auch bei uns hat in absoluten Zahlen zwar noch eine leichte Zunahme stattgefunden, aber der Anteil am Bruttosozialprodukt - und so müssen wir rechnen ({8}) ging von 2,1 % im Jahre 1970 auf 1,5 % im Jahre 1988 zurück. ({9}) - Das ist die Wahrheit! Außerdem ist die Opposition auf dem Felde des Subventionsabbaus nicht gerade glaubwürdig; das hat die Debatte erneut bewiesen. Das beste Beispiel ist die Polemik gegen den Airbus, der mit Ihrer Unterstützung aufgebaut wurde, den Sie auch in Zukunft brauchen. Wenn Sie an der Regierung wären, müßten Sie genauso dafür sein. ({10}) Es ist also ein Schattenboxen, das hier in diesem Hause stattfindet. Lediglich die Kollegin Christa Vennegerts nehme ich sehr gerne aus; denn sie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Parlament. ({11}) Als zweite Behauptung hat die Opposition die aufgestellt, die Neuverschuldung betrage in den sieben Jahren der jetzigen Regierung 200 Milliarden DM. ({12}) Das ist ausnahmsweise richtig; denn es handelt sich um die jährlichen 30 Milliarden DM, die wir an Zinsen für die Lasten zu zahlen haben, die Sie uns hinterlassen haben. ({13}) Wenn die Opposition meinte, der Hinweis auf die Erblast sei inzwischen langweilig, ({14}) der Hinweis also auf ihre früheren Taten, dann kann sich der Wähler ja heute schon ausmalen, was er von den jetzigen Reden der Opposition zu halten hat. Die werden ja später wieder sagen: Es ist langweilig, unser Geschwätz von gestern interessiert uns nicht. ({15}) So kann man aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nicht Politik machen. ({16}) Außerdem: Auch hier zeigen die Zahlen völlig andere Zusammenhänge. 1981 war die Nettokreditaufnahme bei einem Haushaltsvolumen von 230 Milliarden DM bei 37,9 Milliarden DM angekommen. Das war einsamer Rekord, und das waren 16 % des Haushaltsvolumens. 1989 wird die Nettokreditaufnahme nur - ich sage das in Anführungszeichen; mir wär's lieber, wenn's noch geringer wäre - 27,9 Milliarden DM betragen, also 10 Milliarden DM weniger, als Sie damals schon hatten, und zwar bei einem Haushaltsvolumen von 290 Milliarden DM. ({17}) Das sind nur noch 9,6 %. Im Vergleich zum Bruttosozialprodukt sind es 1988 für alle öffentlichen Haushalte 2,5 %, während es in der Zeit der SPD 4,5 % waren. ({18})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Rose, sind Sie geneigt, eine - Dr. Rose ({0}): Man braucht nicht Adam Riese zu sein, es reicht, wenn man Klaus Rose ist, um die Zahlen richtig zu interpretieren. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulasen?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gerne bereit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wieczorek.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rose, sind Sie bereit, uns um der intellektuellen Redlichkeit willen auch noch die Zahl von 1988 zu sagen, uns also die Höhe der Nettokreditaufnahme im Jahre 1988 nach dem Nachtragshaushalt zu nennen? ({0}) Dr. Rose: Ich bin erstens sehr gerne bereit, weil ich Ihnen gegenüber als einem mit dem Bundesverdienstkreuz neu ausgezeichneten Kollegen immer höflich bin. Zweitens ist es ja von der Sache her ganz leicht: Die Nettokreditaufnahme dieses Jahres ist durch den Nachtragshaushalt zwar erhöht worden, ({1}) aber sie wird im Endergebnis unter Ihrem Ergebnis von 1982 liegen. ({2}) - Wir sind jetzt bei der Beratung für 1989, und da sollten Sie nicht immer die alten Dinge bringen. ({3}) Ich habe also nur die Tatsachen für das Jahr 1989 geschildert. ({4}) Meine Damen und Herren, die Opposition hat ferner behauptet, Deutschland befinde sich auf dem Marsch in den Lohnsteuerstaat; Kollege Dr. Struck hat das soeben aufgegriffen. Ich möchte die Erklärung dem Herrn Bundesfinanzminister überlassen. Aber die Steuerquote selbst betrug 1960 rund 23 %. Sie stieg unter der SPD auf 26,5 %, und sie wird bei uns bis 1990 wieder auf 22,5 % zurückgehen. Das ist bürgerfreundliche Politik, meine Damen und Herren. ({5}) Die Opposition hat behauptet, wir hätten jetzt einen Haushalt mit den größten Verbrauchsteuererhöhungen der Geschichte. Auch hier ist die Wahrheit anders. Die größten Verbrauchsteuererhöhungen hätten wir mit Ihnen gehabt. Herr Kollege Seiters hat vor einiger Zeit einen Riesenkatalog dessen zusammengestellt, was Sie alles vorgeschlagen haben und was Sie auch in Zukunft machen möchten. 37 Milliarden DM hat er aufgelistet! Also, wenn Sie hier herkommen und von den größten Verbrauchsteuererhöhungen erzählen, dann haben Sie in der Zeit des Wechsels, Frau Kollegin Matthäus-Maier, diese Zahl wohl nicht so richtig mitbekommen. Tatsache ist, daß es mit den Vorschlägen der SPD viel, viel schlimmer aussehen würde. Was bezweckt werden soll, meine Damen und Herren, ist klar: Man will beschimpfen, man will böswillig verächtlich machen, und man will verleumden. Genau das hat uns im Laufe dieser Debatte nicht gepaßt und hat zu manchen schärferen Bemerkungen von unserer Seite geführt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie geneigt, eine Frage des Herrn Abgeordneten Huonker zu beantworten?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich fühle mich geehrt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Gunter Huonker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000981, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir, Herr Kollege, ein Jahr während der sozialliberalen Koalition nennen, in dem Verbrauchsteuererhöhungen oder sonstige Steuererhöhungen in Kraft getreten sind, die dem Volumen der Steuererhöhungen des Jahres 1989 entsprechen? ({0})

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben sehr viel gemacht. Das können Sie ja selber nachvollziehen; Sie waren ja einmal Mitglied der Regierung. Ich habe vorhin gesagt, wenn Ihre Vorschläge Realität würden und wir das alles zusammenzählen würden, was Sie vor dem deutschen Volk ständig ausbreiten, dann kämen wir auf diese 37 Milliarden DM. ({0}) Wir müssen nur dafür sorgen, daß Sie nicht an die Regierung kommen. Das ist das Entscheidende.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Auch die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier bittet Sie, eine Frage zu beantworten.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine dritte gerne noch, aber dann keine weitere.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem Sie, Herr Kollege, zum zweiten Mal nicht mit einer konkreten Zahl auf eine konkrete Frage geantwortet haben, möchte ich noch einmal fragen: Erstens. Wie hoch ist die Neuverschuldung nach dem Nachtragshaushalt für das Jahr 1988? ({0}) - Ich frage nach der verabschiedeten Zahl. Daß die Ist-Zahlen immer erst am Ende des Jahres bekannt sind, ist klar. Zweitens. In welchem Jahr der sozialliberalen Koalition gab es ein Steuererhöhungspaket, das höher war als das, was Sie für 1989 machen? Bitte, konkrete Antworten.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die erste Frage ist sehr leicht konkret zu beantworten, weil es ja überall steht: Nach dem Nachtragshaushalt wäre die Nettokreditaufnahme auf über 38 Milliarden DM gegangen. Die Ihrige war damals 37,9 Milliarden DM - also durchaus fast so hoch - bei einem völlig anderen Volumen. ({0}) Nur, wir warten jetzt noch ab, wie das Ergebnis dieses Jahres wird. ({1}) Das Ergebnis dieses Jahres wird - darauf können Sie sich verlassen - eine sehr günstige Ausgangsbasis für unsere weiteren Diskussionen sein. ({2}) Zweitens. Zu Ihren Verbrauchsteuererhöhungen. Soll ich jetzt die 13 Jahre zusammenzählen? Wir kommen im Laufe der 13 Jahre sehr leicht dazu, daß Ihre Verbrauchsteuererhöhungen viel höher waren als unsere einzelne jetzt. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Rose, Herr Abgeordneter Huonker möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Drei Zwischenfragen am späten Abend sind genug. Es reicht jetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte auch im Interesse des Hauses um ein wenig Verständnis. Bitte, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne noch etwas zu den Äußerungen der Kollegin Frau Matthäus-Maier sagen, weil sie gestern so groß gefordert hat: Lassen Sie diese Verbrauchsteuererhöhung! Ich hätte ja fast erwartet, daß sie dazu gesagt hätte: Denn Ihre Verbrauchsteuererhöhung ist ungerecht; machen Sie unsere Verbrauchsteuererhöhung, die ist gerecht. ({0}) Ein solches Bewußtsein haben Sie gestern verbreitet. Meine Damen und Herren, unabhängig von der Oppositionskritik stellt sich für uns die Frage: Sind wir mit unserer gesamten Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik auf dem richtigen Weg? ({1}) Ich möchte hier sagen, wirtschaftspolitisch gibt es daran ja überhaupt keinen Zweifel. ({2}) Das sagen alle Institute, das sagen alle Meinungsumfragen, das sagen alle Forscher, das hat am Schluß auch das Gutachten der Fünf Weisen festgestellt. Steuerpolitisch gibt es auch keinen Zweifel; denn wir haben die Steuerschraube gelockert. Das VorzieDr. Rose hen einer stärkeren Steuerentlastung im Jahre 1988 hat seine Wirkung nicht verfehlt. Finanz- und sozialpolitisch gibt es ebenfalls keinen Zweifel; denn es ist deutlich mehr Kaufkraft vorhanden, die Renten sind real gestiegen, die Bankkonten der Bürger weisen steigende Ersparnisse auf usw. Haushaltspolitisch gibt es sowieso keinen Zweifel; denn trotz der jetzt einmaligen Ausgabensteigerung betrug der jährliche Zuwachs nur zwischen 2 % und 3 %. Die gestrige Äußerung von Frau Matthäus-Maier, jetzt hätten wir die teuerste Regierung, ist also blanke Polemik. ({3}) Wir sind auf dem richtigen Weg; denn unser Kurs ist verläßlich. Die Skeptiker vom Jahresbeginn wurden Lügen gestraft. Die Horrorvisionen der Opposition sind widerlegt. Die Wirtschaft läuft besser, als selbst Optimisten zu hoffen gewagt hatten. Die Sachverständigengutachten kommen zwangsläufig zu der Beurteilung, daß die Bundesregierung mit ihrer Finanzpolitik, besonders durch die Steuersenkungen, zu dieser erfreulichen Entwicklung beigetragen hat. Jeder kann das ja selbst beurteilen. Die Kollegen von der SPD hier meinten, alles sei falsch gelaufen. Die Bundesbank unter der Führung eines SPD-Mitglieds hat bestätigt, wir hätten ein exzellentes Jahr gehabt. Beurteilen Sie, wer recht hat. Fest steht, daß die so lange geforderten Rahmenbedingungen in der Wirtschaft wieder stimmen. ({4}) Die Wirtschaft und die Bürger haben Vertrauen in die Grundlagen unseres Staatswesens und in dessen Finanzpolitik. Nur wenn die öffentlichen Finanzen und der Geldwert stimmen, geht es mit der Volkswirtschaft aufwärts. Unsere Mark ist wieder so stabil wie vor 1969. Sie ist und bleibt die härteste Währung der Welt. ({5}) Das hat auch günstige Auswirkungen, denn die Unternehmen können heute wieder sicher kalkulieren; das stärkt ihre internationale Konkurrenzfähigkeit. Der kleine Sparer behält sein Geld; sein Vermögen wächst real, nicht nur nominal wie in den 70er Jahren. Die verfügbaren Einkommen haben in den letzten zwei Jahren real um insgesamt 8 % zugenommen. So schaffen wir Wohlstand, Wohlstand für alle, für Sparer und Rentner, für Arbeitnehmer und für Unternehmer, die im Interesse der Arbeitsplätze auch ihre Gewinne brauchen. Die Abkehr von der ausufernden Ausgabenpolitik der SPD hat wesentlich zu Wachstum, Preisstabilität, niedrigen Zinsen und steigenden Beschäftigungszahlen beigetragen. Nicht die Beschäftigungsprogramme der Gewerkschaften und der SPD brachten Arbeit, sondern unser marktorientierte Politik. Der verflossene Kanzlerkandidat der SPD hat deshalb letzte Woche in einem Fernsehinterview - ich dachte, ich höre nicht richtig - erklärt: Die Beschäftigungsprogramme sind passé. ({6}) - Der verflossene Kanzlerkandidat; Sie kennen ihn gar nicht mehr. - Statt dessen will er bei den staatlichen Investitionen stärker zulegen. Aber wie, wenn z. B. beim Verkehrshaushalt von der SPD Kürzungen verlangt wurden und, und, und, wie die zweite Lesung deutlich gezeigt hat? Die Opposition hat für alles, was sich günstig entwickelt hat, erneut die guten Ölpreise verantwortlich gemacht. Das kann nicht stimmen, denn - auch das hörten wir bereits - einerseits gibt es Länder mit ebenfalls niedrigem Ölpreis und trotzdem schlechter Wirtschaftslage und andererseits hatte doch die SPD gleich zu Beginn des Preisrückgangs beim Benzin ein Auffangen durch höhere Verbrauchsteuern gefordert. Es kam also durchaus auch auf die richtige Politik an. Gott sei Dank waren es nicht die Politiker der SPD, sondern es waren unsere. Mir kam allerdings die CSU in dem, was bisher gesagt wurde, ein bißchen zuwenig gut weg. Deshalb erinnere ich nochmals an eine wesentliche Grundlage, nämlich den Tarif 90, den es später auch noch auszubauen gilt. Nach Inkrafttreten der dritten Stufe unserer Steuerreform meine Damen und Herren, im Jahre 1990 werden wir die direkten Steuern seit 1986 um ca. 62 Milliarden DM gesenkt haben. Hiervon werden etwa 18 Milliarden DM durch den Abbau von Subventionen und überkommenen Steuervergünstigungen kompensiert. Selbst wenn man die von der Bundesregierung vorgesehenen Verbrauchsteuererhöhungen gegenrechnet, verbleibt eine steuerliche Nettoentlastung von ca. 34 Milliarden DM; das sind 1,5 % unseres gesamten Bruttosozialprodukts. Die Union hat damit gegen den Widerstand der SPD den Marsch in den Abgaben- und Steuerstaat gestoppt und die dringend notwendige Wende in der Steuerpolitik vollzogen. Wir werden diese Linie konsequent weiterverfolgen. ({7}) In der nächsten Legislaturperiode werden wir vor allem die Unternehmensbesteuerung, aber auch manche Steuerentlastung für den kleinen Mann an die Herausforderungen der neuen Zeit anpassen; Unternehmensbesteuerung wegen des EG-Binnenmarkts, andere Besteuerungen wegen der sozialen Komponenten. Wenn sogar Österreich unter einem sozialistischen Bundeskanzler - Sie hören ja an meiner Aussprache, daß ich nahe an Österreich bin; der Wahlkreis Passau verleitet mich manchmal, mit dem Auge hinüberzuschielen - den Körperschaftsteuersatz auf 30 % gesenkt hat, dann werden wir in Deutschland nicht bei 50 To Körperschaftsteuer oder 53 % Einkommensteuerhöchstsatz bleiben können. Wir haben heute auch noch die Schlagzeilen gelesen: Auch die Schweden wollen eine radikale Senkung der Steuersätze. Dann frage ich, nachdem Sie vor kurzem in Schweden waren, ob das noch Ihr Musterland blei7808 ben wird und Sie das bei uns ähnlich vorschlagen würden. ({8}) Die Einkommensteuer ist die wichtigste Betriebssteuer für die Personenunternehmen. ({9}) Sie darf die Investitionstätigkeit der Betriebe nicht lähmen. Mit der Höhe des Steuersatzes entscheiden wir darüber, wieviel Mittel den Unternehmen für arbeitsplatzsichernde Investitionen bleiben. Mit der Höhe des Steuersatzes entscheiden wir aber auch darüber, wie attraktiv es für den Anleger, für den privaten Sparer, ist, sein Geld über den Kapitalmarkt für Risikoinvestitionen zur Verfügung zu stellen und nicht in risikolose Finanzanlagen auszuweichen. All das sollte uns zum Abschluß der dritten Lesung nochmals deutlich gemacht werden. Weil die SPD in ihrem Entschließungsantrag auf der Drucksache 11/3418 nur sattsam bekannte, aber längst widerlegte Unwahrheiten verbreitet, können wir ihm trotz des sonst recht guten Verhältnisses im Haushaltsausschuß nicht zustimmen. ({10}) Für uns, für die Fraktion der CDU/CSU, gilt das Haushaltsgesetz in der vorgelegten Fassung. Diesem stimmen wir gerne zu. Jetzt habe ich aber gerade noch einen Zuruf gehört, den man natürlich zu so später Stunde weitergeben muß. Wir arbeiten nicht bloß im Haushaltsausschuß gut zusammen, was mich selbstverständlich sehr freut. Ich möchte deshalb auch als stellvertretender Vorsitzender dieses Ausschusses allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit herzlich danken, vor allen Dingen den Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium, aber eben auch den Kollegen der SPD und den - meistens - Kolleginnen der GRÜNEN. Ich möchte also für diese gute Zusammenarbeit herzlichen Dank sagen. ({11}) Der Zuruf besagte aber - deshalb sage ich, daß das zu diesem späten Abend erlaubt sein mag -, daß der Vorredner, den ich ja nicht kritisiert habe - das haben Sie ja gemerkt - , mit mir und mit anderen auch noch in der Abgeordneten-Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages sehr gut zusammenarbeitet. Wir haben heute beim letzten Saisonspiel gegen den Generalbundesanwalt auch noch mit 2 : 0 gewonnen. Das ist doch sicher einen Applaus wert. ({12}) Nicht schlecht war dabei der grüne Kollege Hias Kreuzeder. Meine Damen und Herren, damit ist hoffentlich auch die richtige Tonlage für den weiteren Fortgang der Beratung in der dritten Lesung angeschlagen. Wir sind - das merken Sie - der vollen Überzeugung, daß unsere Politik auf dem richtigen Wege ist. Bitte unterstützen Sie uns auf diesem Weg auch in das Jahr 1989. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts. ({0})

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Ansichten bei der Beurteilung der Finanzpolitik dieser Regierung zwischen dem Kollegen Rose und mir auseinandergehen, ist, denke ich, ganz normal und natürlich. Das werde ich Ihnen jetzt darlegen. Bei der Übernahme der Regierungsverantwortung hat sich diese Bundesregierung großen finanzpolitischen Zielen verpflichtet. Der „Sumpf der sozialistischen Mißwirtschaft" sollte trockengelegt werden, wie Sie sich auszudrücken belieben; so ist Ihr Jargon. Unter der Parole „Leistung muß sich wieder lohnen" sollte dem Privatmenschen wieder zu seinem Glück verholfen werden. ({0}) Für den Bund war also neue Bescheidenheit angesagt. Er sollte seinen eigenen Haushalt konsolidieren, was in der Fachsprache der finanzpolitischen Alchimie soviel bedeutet wie die Verminderung der Nettokredite. Der Bund sollte auch sein Tätigkeitsfeld einschränken, sprich: seine Ausgaben im Verhältnis zu den Ausgaben der Privaten verringern. Das Zauberwort „Verminderung der Staatsquote" sollte auch dem letzten Laien klarmachen, daß dies eine finanzpolitische Notwendigkeit sei. Schließlich hieß es, die leistungshemmende Steuerbürde müßte gemindert werden, wenn die scheuen und verunsicherten armen Unternehmer wieder Vertrauen und Wagemut entwickeln sollten. Klatschen Sie jetzt ruhig. Kurz gefaßt lassen sich die einfältigen und daher einäugigen Ziele oder besser Wunschphantasien der Bundesregierung auf drei Punkte zusammenfassen, die gleichzeitig erreicht werden sollen: erstens Senkung der Staatsausgaben, zweitens Senkung der Nettokreditaufnahme und drittens Reduzierung der Steuern. Daß diesen Wunschphantasien ein kaum umsetzbares, in sich stimmiges finanzpolitisches Konzept entspricht, beweist die finanzpolitische Praxis des Bundes in den letzten Jahren. Erster Akt: Vollmundig wird versprochen, die sogenannten Konsolidierungserfolge durch eine klotzige Steuersenkung für Höherverdienende zu vervollständigen. Gleichzeitig wird angekündigt, daß diese als Jahrhundertwerk angepriesene Reform ausschließlich durch Subventionskürzungen finanziert werden soll. ({1}) Doch die Spezialisten für das finanzpolitische Biedermeier haben ihre Rechnung ohne die Ökonomie gemacht. Der wegen des Dollarverfalls ausbleibende Bundesbankgewinn führte zu Mindereinnahmen von 5,8 Milliarden DM. Gleichzeitig entstanden Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 1,1 Milliarden DM und durch Abführungen an die EG in Höhe von 4,3 Milliarden DM. Die Folge ist eine Steigerung der Nettokreditaufnahme auf insgesamt ungefähr 39 Milliarden DM, Herr Kollege Rose. Im Moment sieht es zwar etwas günstiger für Sie aus, aber warten wir ab, was am Ende unter dem Strich dabei herauskommt., ({2}) - Es sind im Moment 39 Milliarden DM verabschiedet. Eine Steuersenkung ist also nur um den Preis eines nicht konsolidierten Lotterhaushalts zu hab en. ({3}) Zweiter Akt: Schon in der Phase der Eckdatenfixierung zum Haushalt 1989 zeichnet sich ab, daß die Finanzierung der Steuersenkung durch Subventionsabbau unvereinbar ist sowohl mit der gemütlichen Bewirtschaftung der eigenen Klientel als auch mit der Fortfinanzierung der Luft- und Weltraumspielzeuge Airbus, Hermes, Ariane und dergleichen. Das paßt nicht zusammen. Um gleichwohl einen Konsolidierungsfortschritt verkünden zu können, wird ein Paket von Verbrauchsteuererhöhungen ersonnen, das 1989 den Bürgern und Bürgerinnen das aus der Tasche zieht, was ihnen - nur einigen wenigen - 1988 dort hineingestopft wurde. ({4}) Die ökonomischen Fakten widerlegen auch hier wieder Ihre Wunschvorstellung. Die propagierte Senkung der Nettokreditaufnahme ist offensichtlich nur um den Preis einer annähernden Konstanz der Steuerquote zu erreichen, was aber gerade nicht Ziel Ihrer Regierung ist, sofern man ihr überhaupt noch glauben darf. Es kommt noch schlimmer: Während die günstige Wirtschaftsentwicklung zu Steuermehreinnahmen von 5 Milliarden DM führt, entstehen durch das Wirtschaftswachstum Folgekosten für die verfehlte Landwirtschaftspolitik, für die verfehlte Arbeitsmarktpolitik und für eine verfehlte Regionalpolitik von insgesamt ca. 11 Milliarden DM. Ökonomische Scheinerfolge werden zu ökologischen, regionalwirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Mißerfolgen. ({5}) Dadurch wächst nicht nur die volkswirtschaftliche Steuerquote, die Sie, Herr Stoltenberg, doch senken wollen. Das paßt nicht zusammen. Auch der Zuwachs der Staatsausgaben erreicht die Rekordmarke von 5,4 %, was Sie früher als „sozialistische Mißwirtschaft" verdammten. Wie heißt das denn jetzt bei Ihnen? Das würde mich einmal interessieren. Die Verordnung einer globalen Minderausgabe im Haushaltsvollzug kann ich nur als Bankrotterklärung christliberaler Finanzpolitik bezeichnen. ({6}) Inhaltlich-programmatische Prioritäten können nicht mehr gesetzt werden. Wo die Mittel in Höhe von 1,36 Milliarden DM eingespart werden sollen, weiß nicht einmal der Finanzminister. Dann hilft nur noch das Prinzip Rasenmäher. Einen kleinen Vorgeschmack hat uns ja vor allen Dingen der Kollege Weng, der den Antrag zum Subventionsabbau zu verantworten hat, geliefert. Klägliche 100 Millionen DM hat er zu kürzen geschafft - und dann noch bei kleinen und mittleren Betrieben. Der Mittelstand wird sich bei Ihnen bedanken, Herr Weng. ({7}) Diese Kurzbetrachtung der Finanzpolitik der letzten Jahre zeigt, daß hinter der Behauptung der Bundesregierung, es gelte, durch eine mittelfristig angelegte stetige Finanzpolitik die Erwartungen der Marktteilnehmer und die Entwicklung der Wirtschaft zu stabilisieren, ein kaum noch zu überbietender konjunkturpolitischer Dilettantismus steckt. Gesunkene Nettokreditaufnahme, steigende Verbrauchsteuern, aber auch die Leistungskürzungen im Gesundheitsbereich und bei der Arbeitslosenversicherung werden dämpfend auf die Konjunktur wirken. Ich kann daher der Bewertung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Gemeinschaftsgutachten, daß Sie einen konzeptionslosen Zickzackkurs fahren, nur zustimmen. ({8}) Es bleibt darüber hinaus festzuhalten, daß die stimmige Umsetzung der finanzpolitischen Wunschphantasien des Herrn Stoltenberg genauso wahrscheinlich ist wie die Quadratur eines Kreises. Die Befolgung seines finanzpolitischen Konsolidierungsdogmas des Abbaus der Nettokreditaufnahme, die Bedienung seiner bessergestellten Klientel unter dem Schwindeletikett „Steuerreform" und die Fortführung von großtechnologischen Prestige- und Risikoprojekten gehen nicht zusammen. Daß angesichts dieses Zielversagens, der zum Teil selbstproduzierten konjunkturellen Unwägbarkeiten und der schwer vorhersehbaren Erpressungskonstellationen der eigenen Klientel - wie z. B. Daimler/ MBB - eine seriöse Finanzplanung nicht stattfindet, überrascht nicht. Nicht nur der Nachtragshaushalt im Jahre 1988 ist ein Beleg dafür, sondern auch die zunehmenden Haushaltslücken, die sich beim Vergleich der Finanzplanungsansätze 1987 bis 1991 und 1988 bis 1992 auftun. Sie belaufen sich auf ca. 14 Milliarden DM. Das muß man ja auch mal sagen, um zu zeigen, wie schlampig da gearbeitet wird. ({9}) Ein peinliches Beispiel, wie zerrüttet die Planung des Finanzministers bei dem vorliegenden Haushalt ist, haben wir gestern bekommen. Minister Mölle7810 mann konnte sich nicht zurückhalten und kündigte bereits einen Nachtragshaushalt für Januar 1989 an. Ich hatte den Eindruck, Minister Stoltenberg war genauso überrascht wie auch der Rest des Hauses. Von einem unvorhergesehenen und unabweisbaren Mehrbedarf kann im Januar dann nicht mehr gesprochen werden. ({10}) Dies ist ein klarer Verstoß gegen § 33 der Bundeshaushaltsordnung. ({11}) Die finanzpolitische Praxis der letzten Jahre lehrt also: Erstens, daß die finanzpolitischen Zielvorstellungen der Bundesregierung nicht gleichzeitig umsetzbar sind, und die Versuche, dies dennoch zu tun, zu einem Herumtorkeln führen, bei dem man nicht weiß, wohin der nächste Schritt geht. Zweitens aber steht hinter den Leitparolen von der Konsolidierung der Staatsfinanzen bzw. der Senkung der Staatsquote eine nahezu kindliche Zahlengläubigkeit, ({12}) denengemäß etwa die Welt plötzlich wieder in Ordnung ist, wenn nur die Nettokreditaufnahme unter der magischen Zahl von 20 bis 34 Milliarden DM liegt. ({13}) Dieser Wunderglaube hat auch etwas auf die SPD abgefärbt. In ihrem vorliegenden Entschließungsantrag ist auch eine Passage, der ich nicht zustimmen kann. ({14}) Es ist doch offenkundig, daß eine so verstandene Sanierung der Bundesfinanzen nur auf Kosten nachgelagerter Körperschaften erfolgt und insoweit schlicht eine Problemverschiebung, aber keine Lösung darstellt. Die Bundesanstalt für Arbeit wird gezwungen, die letzten Ansätze einer eigenständigen Arbeitsmarktpolitik - wie AB-Maßnahmen, Umschulungen usw. - drastisch zu kürzen. ({15}) - Das ist wirklich ein Skandal. Da paßt dieses Wort einmal, das oft sehr überstrapaziert wird. Hier paßt es. Den Sozialversicherungsträgern werden neue Lasten aufgebürdet, so etwa der Rentenversicherung die Kosten aus der Anrechnung der Kindererziehungsjahre bei Frauen, so etwa der Krankenversicherung die Kosten der häuslichen Pflege. Die Gemeinden werden durch zunehmende Sozialausgaben - unter anderem für Sozialhilfe, die sich seit 1970 verdreifacht hat - in eine Finanzklemme gedrängt, die dazu führt, daß die zu einem nicht geringen Teil umweltrelevanten Sachinvestitionen drastisch zurückgehen. ({16}) Ihr Anteil an den kommunalen Gesamtausgaben hat sich seit 1970 etwa halbiert. Die Regionen sind die Leidtragenden der Sanierung der Bundesfinanzen. ({17}) Bereits jetzt kann man ein Auseinanderdriften zwischen verödeten Regionen mit steigender Arbeitslosigkeit - z. B. das Emsland - und sogenannten attraktiven Industriestandorten, wie beispielsweise dem mittleren Neckarraum, feststellen. Das wird sich noch verschärfen durch Ihre Politik. ({18}) Von den weltwirtschaftlichen Unwägbarkeiten einmal abgesehen, liegt die Hauptursache für die Unmöglichkeit einer praktischen Umsetzung der stoltenbergischen Konzeption von Finanzpolitik darin, daß sie von ihren eigenen Folgekosten immer wieder eingeholt wird. Es ist wie bei dem Wettrennen zwischen Hase und Igel: Immer wenn heute neue Sparmaßnahmen beschlossen werden sollen, sind die Folgekosten der Sparmaßnahmen von gestern bereits da. Der kindliche Glaube an die heilsame Wirkung von finanzpolitischen Zahlen und Quoten beruht schlicht und einfach auf der Verkennung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Es kommt eben entscheidend darauf an, wofür Geld ausgegeben wird bzw. was mit welchen Folgen eingespart wird. ({19}) Sparen an der falschen Stelle kann daher durchaus Verschwendung darstellen und darüber hinaus den Bund teuer zu stehen kommen. Lassen Sie mich diese volkswirtschaftlichen Zusammenhänge anhand eines Gleichnisses verdeutlichen: Stellen Sie sich eine Firma vor, die aus drei Abteilungen besteht. In der ersten Abteilung werden Güter produziert, in der zweiten Abteilung werden diese Güter beschädigt, und in der dritten Abteilung werden diese Schäden wieder repariert. Jeder vernünftige Mensch würde sich dagegen sträuben, dieses Vorgehen als sinnvoll zu betrachten und würde sich dagegen verwahren, die Umsätze aller dieser drei Abteilungen zusammenzufassen und etwa das Wachstum dieser Umsätze als Erfolg und Fortschritt auszugeben. Genau diese widersinnige Betrachtung liegt aber vor, wenn etwa das Bruttosozialprodukt über das hinausgeht, was es ist, nämlich eine Aufaddierung von Umsatzgrößen, die als ein Erfolgsindikator für irgend etwas angesehen wird. ({20}) Sie geben das Anwachsen von Gütern und Dienstleistungen, deren Produktion oder Konsum mit massiven volkswirtschaftlichen Schäden verbunden ist, als Erfolg aus. Das ist unlauter, unredlich und unmöglich. ({21}) Als weiteren Erfolg werten Sie darüber hinaus das Anwachsen von Tätigkeiten, die allein der Reparatur dieser Schäden dienen. Das setzt dem ganzen noch die Krone auf. Untersuchungen haben ergeben, daß mindestens 10 % des Bruttosozialprodukts dieser Reparaturabteilung zuzurechnen sind. Es dürfte aber klar sein: Ein so entstandenes Bruttosozialprodukt ist nicht nur die Summe von Wirtschaftsdaten, sondern bedeutet auch die Zerstörung von Umwelt und Sozialbedingungen. Dieser widersinnige Fetischismus der aufaddierten Quoten und Zahlen liegt aber auch der Finanzpolitik der Bundesregierung zugrunde. Beim magisch gebannten Starren auf die Quoten und Zahlen gerät die fehlerhafte Struktur dieses Haushalts aus dem Blickfeld. Auch hier wirtschaften Schädigungs- und Reparaturabteilung fröhlich nebeneinander her. Da weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut. Zum Beispiel verbleibt die Umweltforschung beim Forschungsminister, die Waldschadenserhebung und die Förderung von Trink- und Abwasseranlagen sowie die Verklappung von Abfällen in die Nordsee verbleibt beim Verkehrsminister, die Festsetzung der Trinkwasserqualitätstandards bleibt beim Gesundheitsminister usw. Der Widersinn der herrschenden Umweltpolitik geht vor allem darauf zurück, daß die Umweltpolitik als reparaturorientierte Fachpolitik festgeschrieben wird. Es ist auch keine Instanz da, die für die Umsetzung einer vorsorgenden, an ökologischen Kriterien orientierten Politik in den Bereichen Energie, Verkehr, Forschung, Wirtschaft usw. sorgt. ({22}) An die Stelle einer aufgabenorientierten Ausgabenplanung, einschließlich einer effizienten Erfolgskontrolle, tritt dann eine Fortschreibung von bornierten Ressortinteressen und damit - lassen Sie mich das hinzufügen - die öde Ritualisierung des Haushaltsverfahrens, dessen Zeuge wir dieses Jahr alle wieder geworden sind. ({23}) Welche gesellschaftlichen Folgekosten dadurch entstehen, daß in Ihrem Haushalt die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, möchte ich Ihnen allen einmal, wohlgemerkt jenseits allen moralischen Lamentos, ganz nüchtern in Heller und Pfennig vorrechnen: Nehmen wir das Beispiel für den Ausbau der Straßen: Bundesmittel ca. 7,6 Milliarden DM. Es steht wohl außer Frage, daß diesem Ausbau der Straßen eine Zunahme des Verkehrsaufkommens entsprechen wird. Entsprechende Zuwachsprognosen für das Verkehrsaufkommen im Jahre 1988 hat das Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstitut bereits vorgelegt. Der Zunahme des Verkehrsaufkommens, insbesondere in Ansehung der lauen Abgasregelung in der Bundesrepublik, entspricht naturgemäß auch eine Zunahme der Luftverschmutzung und der Lärmbelästigung. Bei Zugrundelegen der vorsichtigen Berechnung von Professor Wicke - den Sie kennen sollten - zu den diesbezüglichen Folgekosten unter der Annahme, daß auf den Autoverkehr 30% entfallen, ergibt sich entsprechend der Steigerung des Verkehrsaufkommens pro Jahr ein Zuwachs von 2,6 Milliarden DM für Luftverschmutzung und Lärmkosten. Nun hat aber die bereits erwähnte Studie des Wissenschaftszentrums Berlin ermittelt, daß dem Verkehrsaufkommen von 1986 bereits 57 Milliarden DM Reparaturausgaben in Form von Unfallfolgekosten, Folgekosten von verlängerten Verkehrswegen usw. entsprachen. Der Zuwachs dieser Ausgaben gegenüber 1985 betrug allein schon damals fünf Milliarden DM. Diesen Zuwachs lege ich jetzt auch der Steigerung von 1988 auf 1989 zugrunde: Das macht also 5 Milliarden DM. Schlußfolgerung: Der Erhöhung der Straßenbaumittel um 7,6 Milliarden DM stehen also ebenso hohe zusätzliche gesellschaftliche Folgekosten gegenüber. ({24}) Doch damit nicht genug. Diese Folgekosten werden mit Sicherheit als Zunahme der Gesundheitskosten bei den Sozialversicherungsträgern, als Zunahme der Lärmschutzkosten, als Zunahme der Kosten der Luftreinhaltung, als Zunahme der Kosten für Waldpflegemaßnahmen auch im Bundeshaushalt ausgabewirksam. Für derartige volkswirtschaftliche Widersinnigkeiten lassen sich noch viele andere Beispiele im Bundeshaushalt finden. Ich erspare es mir, weitere Beispiele zu nennen. Ich kann Ihnen aber die Feststellung nicht ersparen, daß der Bundeshaushalt ein aktives Gestaltungselement in einem gigantischen volkswirtschaftlichen Verschwendungs- und Zerstörungskreislauf darstellt, der unter den Schwindeletiketten „Wachstum des Bruttosozialprodukts" und „Konsolidierung der Staatsfinanzen" der Öffentlichkeit verkauft wird. Setzen Sie doch einmal Ihr hinausposauntes Innovations- und Deregulierungspathos in Ihrem eigenen Hause um und schaffen Sie unter dem Motto des ökolologischen Umbaus des Staates eine leistungsfähige und kompetente Verwaltung, die der Aufgabe Umweltsicherung auch wirklich gerecht wird. Statt sich in Grabenkämpfen um Grenzwerte zu verschleißen oder durch nachträgliche Flickschusterei das Nötigste auszubessern, sollte der Bund entsprechende ökologischinnovative Entwicklungsprojekte fördern. ({25}) Wird diese Chance vertan, kann der Natur in der Bundesrepublik, also den Bäumen, den Flüssen und ganzen Landschaften nur empfohlen werden, den Unternehmern zuvorzukommen und ihren Standort anderswohin zu verlegen. ({26})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng ({0}). ({1})

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um Fehldeutungen zu vermeiden, möchte ich eingangs darauf hinweisen, daß die Tatsache, daß im Moment kein Mitglied meiner Fraktion anwesend ist, für mich ein Beleg des großen Vertrauens ist, daß meine Fraktion in meine Ausführungen setzt. ({0}) - Herr Präsident, die Frage, ob nun gerade Mitglieder der Fraktion DIE GRÜNEN die angemessenen Besetzer der Stühle unserer Fraktion sind, möchte ich doch verneinen. ({1}) Die abgelaufene Debatte zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1989 hat verdeutlicht, daß die politische Auseinandersetzung schärfer geworden ist, daß das Verhältnis zwischen Koalition und Opposition von härteren Bandagen gekennzeichnet ist, auch wenn im Moment eine etwas fröhliche Stimmung herrscht, die hoffentlich nichts mit „Panorama"-Berichten zu tun hat. ({2}) Wir haben von dieser allgemeinen Grundstimmung auch etwas in den Beratungen des Haushaltsausschusses gespürt. ({3}) - Herr Kollege Glos, der Zwischenruf mit dem Worn-bat ist immer angebracht. Das zeigt auch die Tatsache, daß der Minister für Forschung und Technologie, als er bei den Beratungen im Haushaltsausschuß das Plüschtier gesehen hatte, das ich dabeihatte, erklärt hat, er halte dieses Tier für geeignet, Liebe unter den Menschen zu verbreiten. Das ist doch eine ganze Menge. Deswegen ist es immer gut, wenn der Worn-bat geistig dabei ist: wegen der Liebe unter den Menschen. Im Rahmen der großen Arbeitsbelastung, die wir im Haushaltsausschuß ja immer haben, ist es nach meiner Erinnerung seit sechs Jahren erstmals so gewesen, daß es auch eine Reihe unsachlicher Auseinandersetzungen - in einem Fall gar eine von einer böswilligen Unterstellung geprägte Auseinandersetzung - gegeben hat. Ich hoffe sehr, daß sich das in der Zukunft nicht fortsetzt, sondern daß unsere Zusammenarbeit wie seither gut ist. Ich möchte dem Vorsitzenden Rudi Walther nochmals ausdrücklich für seine hervorragende Leitung der Ausschußsitzungen danken. ({4}) Schon dafür hätte er den Orden verdient, zu deren Verleihung wir ihm heute alle gratuliert haben. Künftig wird es aber auch Aufgabe des Vorsitzenden sein, Rudi Walther, eine unnötige und nicht sachdienliche Verschärfung der Atmosphäre zu verhindern. Meine Damen und Herren, beim Stichwort Umgang miteinander möchte ich noch einen Satz bezüglich des Ablaufs der gestrigen Plenarsitzung sagen, wenn Sie mir das erlauben. Namentliche Abstimmungen waren in der Vergangenheit immer dann angesagt, wenn es zu einzelnen, ganz wesentlichen Politikfragen bedeutsam erschien, daß die Haltung jedes einzelnen Abgeordneten dokumentiert wurde. Die jetzige Inflation solcher Abstimmungen entschärft natürlich dieses Instrument. Sie macht aus meiner Sicht keinen besonderen Sinn. ({5}) Es ist wohl legitim, solche Abstimmungen zu beantragen. Wenn aber solche Beantragungen namentlicher Abstimmungen offensichtlich systematisch hier in einem Stundentakt stattfinden und damit den Kollegen in Kenntnis der weiten Wege, die hier zum Teil zurückzulegen sind, die Möglichkeit genommen wird, parallel zu der Plenarsitzung anderer wichtiger Tätigkeit nachzugehen, dann halte ich das für einen Mißbrauch dieses Instruments - ähnlich, wie wir es bei der Fülle der Fragestunden in der vergangenen Wahlperiode hatten, als den Kollegen ab 8.00 Uhr morgens die Möglichkeit der Arbeit an anderer Stelle genommen wurde. ({6}) Ich meine, hier sollten die zuständigen Gremien einmal beraten, ob man solchem mißbräuchlichen Anwenden dieses Instruments nicht entgegenwirken kann. ({7}) Politisch hat die Debatte der vergangenen Tage eines erneut offengelegt: Die Opposition hat keine Alternative zur Wirtschafts-, zur Finanz- und zur Haushaltspolitik der Bundesregierung und der Koalition. ({8}) Deshalb ist ihre inhaltliche Offensive ausgeblieben und damit auch ihr Anspruch nicht begründet, selbst Verantwortung übernehmen zu können. ({9}) - Es kommt so langsam in Gang, Herr Kollege. Haushalt als Bilanz einerseits, als Blick voraus andererseits - wir sind sicher, einen konsequent beschrittenen richtigen Weg fortzusetzen, und die wirtschaftliche Entwicklung, die Wohlfahrt unserer Bürger geben uns recht. Steuererleichterungen für die Bürger sind unser erklärtes und hartnäckig angesteuertes Ziel. Dies ist nur durch unsere sparsame Ausgabenpolitik zu flankieren und zu erreichen, und dieses bei voller Erhaltung unserer politischen Handlungsfähigkeit. Die Erfolge sind für jeden greifbar. Es gibt keinen Ernstzunehmenden, der Finanzpolitik und Wirtschafts- und Haushaltspolitik beurteilt, der uns hier nicht beitreten würde. Was heute das „Handelsblatt" schreibt, daß ab 1989 deutsche Unternehmen die höchste Steuerlast in der ganzen Welt hätten, und das trotz der beschlosseDr. Weng ({10}) nen Steuererleicherungen, macht klar, daß auch künftig Steuersenkungen unausweichlich sein werden, ({11}) wenn nicht Arbeitsplätze in großem Maße bedroht sein sollen. ({12}) Mit Blick auf diese Zahlen - ich kann nur raten, das nachzulesen, meine Damen und Herren von der Opposition - sollten Sie sich enthalten, schon jetzt wegen eines sogenannten Steuersenkungswettlaufs - wie gestern geschehen - Zeter und Mordio zu schreien. Aufschwung und Wachstum der Wirtschaft, eine ständig ansteigende Zahl zusätzlich Beschäftigter, steigende Investitionsneigung, was ja Zukunftshoffnung der Wirtschaft ausdrückt -auf diesem Weg wollen wir fortschreiten. Meine Damen und Herren, es kann wirklich nicht oft genug wiederholt werden: 850 000 zusätzliche Arbeitsplätze seit 1983 und nach den jetzt vorliegenden Prognosen für das kommende Jahr ({13}) über eine Million nicht nur neue, sondern zusätzliche Arbeitsplätze. ({14}) Und dann behauptet die Opposition hier immer, unsere Arbeit, unsere Politik, die Ergebnisse unserer Politik gingen am Arbeitsmarkt vorbei, hätten dort keine Auswirkungen. Meine Damen und Herren, das ist bewußte Schwarzmalerei. ({15}) Die Behauptung der SPD, wir sähen nur die Menschen im Licht, trägt ebenfalls an keiner Stelle. Eine Politik, die unter anderem zu Preisstabilität in größtmöglichem Umfang führt, ist auch und gerade eine Politik für die sozial Schwächeren. ({16}) - Ich will außerdem, Herr Kollege Huonker, an die vielen Zahlen erinnern, die der Finanzminister gestern hier dargestellt hat, die zeigen, in welcher Weise sich die Situation der sozial Schwächeren einschneidend verbessert hat in den Jahren der Koalition aus CDU/CSU und FDP. ({17}) - Wenn Sie der Auffassung sind, die Zahlen stimmten nicht, müssen Sie sich mit dem Herrn Finanzminister auseinandersetzen. Ob Sie das nachgewiesen haben, ({18}) läßt sich hier nicht belegen. Nach meiner Überzeugung waren Ihre zitierten Zahlen nicht im Zusammenhang und die des Finanzministers korrekt. Aber Sie können uns zum gegebenen Zeitpunkt aufklären. ({19}) Meine Damen und Herren, große, unabweisbare oder politisch gewollte zusätzliche Ausgaben hatten unseren finanziellen Handlungsspielraum als Parlamentarier zusätzlich eingeschränkt. Ich erwähne nochmals die ausdrücklich investitionsorientierte Strukturhilfe für Bundesländer in Höhe von 2,45 Milliarden DM und den auf 4 Milliarden DM gestiegenen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit. Daß durch den letzteren auf Beitragserhöhungen für die Arbeitslosenversicherung verzichtet werden konnte, bedeutet ja eine zusätzliche Entlastung für Arbeitnehmer und Wirtschaft. Auch dies verbessert das volkswirtschaftliche Klima, auch dies verbessert das Investitionsklima. Einige wenige Beispiele mögen noch verdeutlichen, wo das Parlament mit seinen Mehrheitsentscheidungen, wo also die Koalition politische Signale gesetzt hat und wie wir die finanziell relativ geringen Handlungsspielräume ausgenutzt haben. Wir haben zwar im Bereich des Subventionsabbaus - die Diskussion werden wir natürlich fortführen - nur einen bescheidenen Einstieg erreicht. Ich weise darauf hin, daß die Politik der Bundesregierung mit dem Ziel, auch Großsubventionen Zug um Zug abzubauen, fortgesetzt werden muß, aber sie muß natürlich längerfristig angelegt sein. Aber Sie haben natürlich auch gesehen, daß es nicht ganz unstrittig war, an welchen Stellen dieser bescheidene Einstieg in den Subventionsabbau erreicht wurde. Die Koalitionsfraktionen legen heute jedoch einen Entschließungsantrag vor, der verdeutlicht, daß wir den Bereich der Mittelstandsförderung bestmöglich von weiterem Zugriff ausnehmen wollen. Ich meine, auch hier wird neben all den politischen Rahmenbedingungen und vielfältigen Unterstützungen, die wir dem Mittelstand geben, deutlich, daß unsere Politik mittelstandsfreundlich ist. Wir haben - das muß hier auch gesagt werden - für die Förderung des Technologietransfers erstmals ausdrücklich zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmungen eine Summe von 5 Millionen DM bewilligt. Ergänzend zu der ständigen Verbesserung der Rahmenbedingungen, die ich hier genannt habe und die ja den wesentlicheren Teil unserer mittelstandsorientierten Politik ausmachen, und ergänzend zu einem Bremsen der Lohnzusatzkosten und zu einer überproportionalen Steuererleichterung im Bereich mittlerer Einkommen, welche im Rahmen der großen Steuerreform zu erwarten ist, haben wir hier ein Instrument eingeführt, das zukunftsorientiert ist. Gerade beim Technologietransfer sind kleine und mittlere Unternehmen gegenüber den großen Riesen oft im Nachteil. Hier bedeutet maßvolle Förderung eine vernünftige Strukturhilfe. ({20}) Meine Damen und Herren, man sollte auch die wirtschaftspolitische Diskussion nicht mit dem Zungen7814 Dr. Weng ({21}) schlag führen, daß die Kleinen und Mittleren alleine Träger unserer Wirtschaftsordnung und unserer erfolgreich arbeitenden Wirtschaft sind. Gerade das Nebeneinander der kleinen, mittleren und großen Unternehmungen macht unsere Wirtschaft leistungsfähig. ({22}) - Bei dem, was ich hier trinke, handelt es sich wirklich um reines Wasser, nicht einmal sprudelnd. Das nur zur Klarheit für diejenigen, die gestern ferngesehen haben. Meine Damen und Herren, als ich von der Panorama-Sendung hörte, war ich so erschrocken, daß ich mir erst einmal richtig einen nehmen mußte. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, dann gehören Sie aber nicht mehr zu den 90 %, die gar nichts trinken. ({0})

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das, Herr Präsident, gestehe ich zu. Wenn es denn wirklich 90 % sind, die gar nichts trinken, gehöre ich nicht zu denen; aber schon lange. ({0}) Meine Damen und Herren, auch der sorgfältig abgewogene Schritt in Richtung auf die mögliche Fusion von Daimler-Benz und MBB ist keine Abkehr von unseren ordnungspolitischen Vorstellungen. Und wenn die Bedingungen der FDP erfüllt werden, besteht hier eine echte Chance, zukünftigen Subventionsbedarf im Rahmen der großindustriellen Subventionen in erheblichem Umfang zu reduzieren. Dieser Teil geht bei der öffentlichen Diskussion leider immer verloren. Ich sage noch einmal in Richtung Opposition: Sie haben bei allen großen Subventionsblöcken keine eigenen Vorschläge gemacht. Sie haben im wesentlichen zugestimmt, wenn Sie auch erklärt haben, das sei nicht Ihre Sache. Aber es macht Ihre Haltung unglaubwürdig, wenn Sie überall zustimmen und dann einen geringfügigen Abbau von Subventionen als zu gering bezeichnen. Daß wir mit Blick auf eine künftig zunehmende Nutzung regenerativer und alternativer Energien 1 Million DM für ein Forum „Erneuerbare Energien" zur Verfügung stellen, will ich hier ausdrücklich erwähnen. Dieses Forum soll und wird einen besseren Informations- und Erfahrungsaustausch auf diesem wichtigen Gebiet ermöglichen, auch international, was ja mit Blick auf die globalen Herausforderungen dringend notwendig ist. Es wird auch eine bessere Information der Nutzung solcher Energien für die Öffentlichkeit, für unsere Bürger draußen erarbeiten. Sparsamer Umgang mit Energie bleibt weiter ein wichtiges Ziel unserer Politik. Die hier erreichten Erfolge gerade der Abkoppelung wirtschaftlichen Wachstums von überproportionalem Energieverbrauch sprechen eine deutliche Sprache für diese Erfolge. Dennoch müssen künftig erneuerbare Energien in größerem Umfang einen Anteil an der Energieversorgung leisten. Die Politik der Opposition, weg von der Kernenergie, und dann wollen wir mal sehen, wie es weitergeht, eine solche Politik blinden Ausstiegs gibt es bei uns allerdings nicht. ({1}) Wer ernsthaft die Kernenergie als eine Übergangslösung nutzen will, der muß zunächst konsequent die Alternativen vorantreiben. Das Ozonloch, die sich verstärkende CO2-Konzentration mit dem befürchteten Treibhauseffekt könnten der Energiediskussion in den kommenden Jahren ganz neue Akzente geben. Ich bin hier gespannt darauf, wie man in wenigen Jahren über die Situation reden wird, denn wenn sich die Sorgen einer stärkeren Erwärmung der Erdoberfläche durch Luftverschmutzung und durch CO2-Konzentration bestätigen sollten, dann wird die Verwendung fossiler Energieträger wesentlich zurückgedrängt werden müssen, und dann sind wir in einer völlig neuen Situation. Darf ich beim Umweltthema auch noch auf zwei andere zukunftsgerichtete Beschlüsse zurückkommen, die wir getroffen haben: Das Umweltministerium wird künftig umweltschonende Pilotprojekte auch in der DDR fördern können. Dies nutzt unseren Bürgern in mehrfacher Weise. Erstens hoffen wir natürlich, daß dies eine Anstoßwirkung auf umweltgerechteres politisches Handeln im anderen deutschen Staat hat - die Probleme, die dort entstehen, betreffen uns auch mit, sie sind global -, zum zweiten aber betreffen uns natürlich gerade die Emissionen des Nachbarstaats besonders stark direkt. Bei der Wassersituation wird es besonders offensichtlich, wenn ich hier auf die Elbverschmutzung, die daraus resultierende Verschmutzung des Hamburger Hafens ebenso wie der Nordsee hinweisen darf. Hier muß man erkennen, daß unser Bemühen, auf der anderen Seite an dieser Stelle zu unterstützen, einen vernünftigen Handlungsansatz beinhaltet. Natürlich kann man Idealvorstellungen ausdrücken und daran das Erreichte messen - das mag dann nicht besonders motivierend sein -, wir aber gehen in manchmal kleinen, aber konsequenten Schritten in die richtige Richtung. Das ist politisches Handeln unserer Fraktion. Es gehört hier zum zweiten auch das mehrfach erwähnte Flußufer-Programm dazu. Sie wissen, der Umweltminister wird künftig die Möglichkeit haben, stillgelegte Flächen an Ufern zusätzlich zu bezuschussen, damit hier ökologisch besonders wertvolle Flächen in größerem Umfang stillgelegt werden, so daß hier das Einsickern von Schadstoffen in die Flüsse und damit eine Verschmutzung der Gewässer verhindert wird. Auch hier ein kleiner Einstieg, aber eine vernünftige Geschichte, die uns sicherlich voranbringen wird. ({2}) Daß man auch ohne Finanzbewegungen politisch gestalten kann, haben wir unter dem Stichwort „Tieffluglärm" deutlich gemacht. Jeder Bürger in unserem Land hat Verständnis dafür, daß Verteidigung, daß Dr. Weng ({3}) das Leben in Frieden und Sicherheit gerade an der Nahtstelle der zwei Militärbündnisse seinen Preis hat. Wir tragen den Erfordernissen durch die Höhe des Verteidigungsetats angemessen Rechnung. Wir wollen Waffenpotentiale verringern - jeder kennt unsere Bereitschaft hierzu - , aber die politische Entwicklung der vergangenen Jahre, gerade die Vereinbarungen der Großmächte, haben auch deutlich gemacht, daß einseitiges Abrüsten der falsche Weg wäre. Die Belästigung unserer Bürger durch die hohen bekannten Konzentrationen militärischer Einrichtungen in unserem Lande wollen wir aber natürlich trotz allem so gering wie irgend möglich halten. Wir haben mit der Sperre bei Treibstoffen bei der Bundeswehr und der damit verbundenen Auflage, die Lärmbelästigung durch Tiefflüge auf das tatsächlich erforderliche Mindestmaß abzusenken, ein klares politisches Signal gesetzt. Und wenn ich mir die jüngsten Äußerungen aus dem Verteidigungsministerium in Erinnerung rufe, dann ist man dort unter dem Eindruck unseres Schrittes wesentlich mehr bereit als in der Vergangenheit, zusätzliche Reduzierungen ins Auge zu fassen. Jeder der Kollegen hier hat in der Vergangenheit, soweit sein Wahlkreis von Tiefflügen betroffen war, Briefe an das Ministerium geschickt und hat sich darum bemüht, die Dinge in den Griff zu bekommen. Immer ist uns gesagt worden: Es läßt sich überhaupt nicht weniger machen. Inzwischen wurde doch eingesehen, daß es mit weniger gehen kann. Auch fortschrittliche Technologien, Simulatoren und ähnliches werden hier hilfreich sein, um die Bürger jedenfalls auf das geringstmögliche Maß dieser Belästigungen zu entlasten. Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt von 1989 ist solide erarbeitet. Ein klarer und erfolgreicher Kurs richtiger Politik wird von der FDP-Fraktion nicht nur mitgetragen, sondern mitgestaltet. Ich danke meinen beiden Kollegen aus unserer kleinen Gruppe im Haushaltsausschuß, Ursula Seiler-Albring und Werner Zywietz, recht herzlich für die gute Zusammenarbeit. Wir gestalten mit. Der dahin gehende Erfolg der Regierung und der Koalition ist ebenfalls auch unser Erfolg. Wir stimmen dem Bundeshaushalt von 1989 auch in der dritten Lesung zu. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sollte eigentlich nach Ihnen, Herr Kollege Walther, sprechen und wollte Ihnen - auch Herrn Wieczorek - bei der Gelegenheit gerne gratulieren. Das tue ich hiermit, wie Sie wissen, von ganzem Herzen. ({0}) Das ändert nichts an der Tatsache, daß wir in den Fragen, über die wir hier reden, diskutieren, debattieren, verschiedener Auffassung sind. Dafür gehören Sie der Opposition und ich einer Regierungspartei an. Es bleibt dabei: Mit dem Bundeshaushalt 1989, über den wir hier heute in dritter Lesung abschließend debattieren, wird die solide und langfristig orientierte Finanzpolitik dieser Bundesregierung fortgesetzt. Wir begrüßen und unterstützen diese Politik. ({1}) Wie sehr sich unsere Finanzpolitik von derjenigen der Sozialdemokraten unterscheidet, zeigt insbesondere die Ausgabenentwicklung von 1975 bis 1982 auf der einen und die nach 1983 auf der anderen Seite: Von 1975 bis 1982 stiegen die Bundesausgaben um nicht weniger als 56 %. Nehmen Sie als Vergleich die Zeit nach 1983: Hier stiegen sie - zusammengerechnet - um 19 %. Wenn man diese Zahlen nebeneinanderstellt, wundert es mich eigentlich, Herr Wieczorek, wie Sie sich hier herstellen können und mit dem Anspruch auf Redlichkeit die Zuwachsrate von 5,4 % kritisieren wollen. Immerhin: Sie hatten eine durchschnittliche Zuwachsrate von 9 % in Ihrer Zeit und hatten eine Spitze von 13 %. Diese Zahlen sprechen eigentlich für sich. Die wirtschafts- und finanzpolitische Bilanz der CDU/CSU-geführten Bundesregierung ist gut. Die Wirtschaft der Bundesrepublik befindet sich seit sechs Jahren auf Wachstumskurs. Für dieses Jahr wird allgemein eine Zuwachsrate des realen Sozialproduktes von 3 % erwartet. „Die Prognose, daß die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr auf einem Expansionspfad bleibt, hat eine solide Basis in den Urteilen der Unternehmen, in den aktuellen Konjunkturindikatoren und vor allem in den wirtschaftlichen Rahmendaten" - das sagen jedenfalls die Sachverständigen in ihren Gutachten. Seit Jahren haben wir Preisstabilität. Dies ist und bleibt die beste Sozialpolitik für Arbeitnehmer und Rentner, und sie ist zugleich die beste Grundlage für eine gesunde Wirtschaft. ({2}) Dank dieser Stabilitätserfolge in Verbindung mit der Steuersenkungspolitik dieser Bundesregierung sind die verfügbaren Einkommen so stark gestiegen wie lange nicht mehr. Von 1983 bis 1987 lag der reale Zuwachs bei 12 %. In 1988 werden es weitere 31/2 % sein. Das ist wahre „Umverteilung" zugunsten breiter Bevölkerungsschichten. Das hebt sich von den Zahlen, die Sie genannt haben, ganz erheblich ab. Sie sollten sich daran erinnern, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, daß 1982, also zu Ihrer Regierungszeit, ({3}) die Realeinkommen leider um 2 % zurückgegangen sind. ({4}) - Herr Struck, ich bin so beeindruckt von Ihrer Rede vorhin, ({5}) von Ihren Schlagworten, von Ihrer Schwarzmalerei, von Ihrem Zukunftspessimismus, daß ich diese Hin7816 weis gern aufnehme, ihn allerdings auch nicht bestreite. ({6}) Seit dem Herbst 1983 wurden, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, fast 900 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wer dies gering einschätzt, der sollte nicht vergessen, daß in den letzten beiden Jahren der SPD-geführten Bundesregierung weit mehr als 600 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind. ({7}) „Seit die Aufwärtsentwicklung auch den Arbeitsmarkt erfaßt hat, seit Ende 1983, haben bis Ende 1988 nicht weniger als 923 000 abhängig Beschäftigte einen Arbeitsplatz gefunden, nur bis 1989 dürften es mehr als 1 Million geworden sein." ({8}) „Es kann also keine Rede davon sein, daß sich die Beschäftigungschancen in dieser Zeit nicht verbessert haben" , schrieben die Sachverständigen in dem eben genannten Gutachten. Wenn der Anstieg der Beschäftigten gleichwohl leider nicht ausreichte, um die Arbeitslosenzahl insgesamt deutlich zu vermindern, so ist das vor allem auf das Drängen geburtenstarker Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt und die zunehmende Erwerbsneigung der Frauen zurückzuführen. Aber auch auf dem Arbeitsmarkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Die Zahl der Kurzarbeiter ist von über 600 000 im Jahre 1982 auf 100 000 zurückgegangen. Heute haben wir doppelt so viele offene Stellen - das scheint mir ganz wesentlich zu sein - wie 1982, und die Jugendarbeitslosigkeit ({9}) ist ebenfalls gefallen, um ein Drittel. ({10}) Wenn man also von Perspektiven spricht, möge man sich diese Zahlen merken. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 12. November 1988 schrieb Franz Thoma: Sie - die wirtschaftliche Lage ist so stabil, daß dies kaum noch richtig wahrgenommen wird. ({11}) Hoffentlich, meine Damen und Herren von der SPD, lesen Sie auch Beiträge dieser Art. ({12}) Weil wir vorhin von Pessimismus sprachen und, lieber Herr Struck, von Ihrer Schwarzmalerei, möchte ich an einige Prophezeihungen - so möchte ich es nennen - Ihrer Kollegen erinnern, ({13}) die wir ja immer über uns ergehen lassen müssen. ({14}) Ich erinnere mich, wie Herr Jens hier sagte - es war 1984 -, daß ab 1986 mit einer Abschwungphase zu rechnen ist. Das hat er stolz erklärt und ließ sich auch gar nicht davon abbringen. Herr Kollege Roth sagte 1985: „Nun wissen wir aus früheren Konjunkturzyklen: Wenn du Glück hast, hast du vier oder vielleicht viereinhalb Erholungsjahre, dann kommt die Rezession." Im September 1984 meinte er, es würde einen Zusammenbruch des Exports bringen, ({15}) wenn der Dollar - der damals übrigens bei 3 DM lag - sinken würde. Herr Kollege Apel fragte fast genau vor einem Jahr: „Woher soll eigentlich im nächsten Jahr" - also 1988 - „ein reales Wirtschaftswachstum von 2,2 % kommen?" Heute schreibt Herr Apel in der „Wirtschaftswoche" natürlich etwas anderes. ({16}) - Es war vorigen Samstag, nicht heute. Das ist richtig, Herr Walther. ({17}) Ich muß mich deshalb, glaube ich, nicht korrigieren. Aber immerhin war er damals in einer anderen Funktion, in einer anderen Position. ({18}) Dafür müssen wir Verständnis haben. ({19}) Es bleibt dabei: Noch nie hat eine Bundesregierung so viele und weitreichende Reformen in einer Legislaturperiode angepackt. ({20}) Noch nie, Herr Struck, sind Arbeitnehmer, Familien und Unternehmen so nachhaltig und unmittelbar steuerlich entlastet worden. ({21}) Noch nie zuvor hat es eine so lange Phase nahezu stabiler Preise gegeben, ({22}) die in ihren Wirkungen ungleich sozialer und wachstumsfreundlicher sind als alle kurzatmigen Programme, die Sie fabriziert und darüber hinaus noch mit Schulden finanziert haben. ({23}) Das ist ein Stück Sozialpolitik dieser Bundesregierung. Frau Matthäus, ich erinnere mich sehr gut, gelesen zu haben - ich sage das jetzt auswendig, weil ich die Partitur im Kopf zu haben glaube - , daß Sie für die SPD soziale Kompetenz in dieser Bundesrepublik beanspruchen. - Das las ich in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung ". - Ich neige eigentlich immer mehr dazu, von sozialistischer Kompetenz zu sprechen - um das ganz deutlich zu sagen. ({24}) Aber, Frau Matthäus, zu Ihrer Hoffnung, auf wirtschaftspolitischem oder finanzpolitischem Gebiet die Kompetenz erarbeiten zu können: Meine sehr verehrte Frau Kollegin, dazu haben Sie bei dem Stand der Dinge in dieser Republik wirklich keine Chance. Die SPD hat nicht die Kraft dazu. ({25}) - Sie wissen, ich habe nie Schwierigkeiten gehabt, mit charmanten Damen zu diskutieren. ({26}) Aber es fällt mir schwer, im politischen Kampf mit Damen die Klingen zu kreuzen. ({27}) Aber das ist nun mal so. Das müssen wir hinnehmen. Wir beide haben wohl auch keine Schwierigkeiten. ({28}) Meine Damen und Herren, der wirtschaftliche Aufschwung geht 1989 in das siebte Jahr. Das ist ein Zeitraum, den es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Der Dollar steht heute bei 1,70 bzw. 1,71 DM, und die Exportzahlen signalisieren nach wie vor Rekordergebnisse. ({29}) Sprechen Sie sich mal mit Ihrem Kollegen Roth ab, wie er das zu erklären weiß, wenn er an die Prophezeiungen denkt, die hier vor wenigen Jahren abgegeben worden sind. ({30}) Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik stehen in einem untrennbaren Zusammenhang. Das habe ich schon einmal hier gesagt. Im übrigen: Nicht das Verteilen von Wohltaten allein ist soziale Politik, sondern durch Verbesserung der Wachstumsbedingungen müssen die Fundamente für eine tragfähige, zukunftsorientierte Sozialpolitik ausgebaut werden. ({31}) Hierzu gehört nach meiner Überzeugung auch, daß wir die sozialen Sicherungssysteme rechtzeitig veränderten Entwicklungen anpassen. Das heißt konkret, die Sicherung im Gesundheitswesen und im Rentenbereich muß jetzt erfolgen, ({32}) um die Systeme für die Zukunft haltbar und finanzierbar zu machen. Das ist vorausschauende Sozialpolitik. ({33}) - Herr Struck, ich verstehe Sie sehr gut, was die Sprache und meinen Freund Bötsch sehr gut, was den Inhalt angeht. ({34}) Im übrigen, Herr Struck, die SPD verfügt - das hat diese Debatte leider wieder gezeigt ({35}) - ich war öfter hier als Sie, Herr Walther; ich glaube, Sie täuschen sich da - nicht über ernst zu nehmende oder gar brauchbare Alternativen. Darüber ist schon gesprochen worden. ({36}) Was heißt es denn eigentlich, was Sie auf dem Nürnberger Parteitag so schön beschlossen haben? Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: ({37}) Der jährlich zur Verfügung stehende Verteilungsspielraum der ... nicht auf die Produktivitätszuwachsrate angerechnet werden kann . . . ({38}) Was bedeutet denn das? Von was gehen Sie denn aus? Wollen Sie wieder einmal mehr verteilen, als Sie erwirtschaftet haben? Meine Damen und Herren, was bringt denn das? Das bringt, wie wir erlebt haben, den Verlust von Arbeitsplätzen. Das bringt kein Wachstum, keine Produktivitätssteigerung und keine Investitionen. Und es gibt kein Mehr an Beschäftigten in dieser Republik. ({39}) Es ist schon richtig, was Günter Döding vor wenigen Tagen in der „Welt" schrieb: Die SPD hat in den letzten Jahren arbeits- und beschäftigungspolitische Kompetenz eingebüßt. ({40}) - Deshalb erwähne ich es. Ich erwähne ihn auch deshalb, weil er nicht nur recht hatte, sondern weil sich dem auch Klaus von Dohnanyi anschloß, ({41}) als er sagte, endlich möge die SPD für wirtschaftspolitische Klarheit in der Partei sorgen. ({42}) Bei dem soeben erwähnten Parteitag in Münster hat die SPD den ökologischen Umbau des Steuersystems beschlossen. ({43}) Was das bedeutet - das war für die meisten Bürger schwer verständlich -, ({44}) hat ein profunder Kenner der SPD, der Kollege Dr. Apel, in einem Artikel in der „Wirtschaftswoche" dargestellt. ({45}) Dem, was er schrieb, habe ich überhaupt nichts hinzuzufügen. Darüber sollten Sie sich mit ihm, der ja Ihrer Fraktion noch angehört, auseinandersetzen, aber nicht mit mir. ({46}) Die Redner der Sozialdemokraten haben vorgestern, gestern und heute wieder die polemische Behauptung von der Umverteilung von unten nach oben wiederholt. Ich muß ehrlich sagen: Ich kann das gar nicht mehr hören. ({47}) Was da draußen in den vorgezogenen Wahlkämpfen betrieben wird, ist schon fast unlauterer Wettbewerb. ({48}) Herr Struck, glauben Sie doch nicht, daß Sie Ihren Wahlkampf eröffnen können. Der findet in Niedersachsen erst 1990 statt, aber nicht jetzt. Es hat also gar keinen Sinn, hier eine auf Niedersachsen bezogene Rede zu halten. ({49}) Es bleibt dabei: Gewinner unserer Steuersenkungspolitik sind die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, Familien mit Kindern und der Mittelstand. Allein durch den höheren Grundfreibetrag - das muß ich Ihnen noch einmal sagen - wird 1990 eine halbe Million Menschen steuerfrei gestellt. Ist das nichts? Und wie verträgt sich das, Herr Struck, mit Ihrer ewigen Mitteilung von diesen berühmten 1 000 DM, die wir als Durchschnitt einmal in Ansatz gebracht haben? ({50}) Ich bestreite nicht, daß man die vorgesehenen maßvollen Verbrauchsteuererhöhungen 1989 kritisieren kann. Aber ich spreche Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, die moralische Legitimation dazu ab. Denn Sie waren es doch, die in Ihrer Koalition von 1970 bis 1982 die indirekten Steuern um jährlich 26 Milliarden DM angehoben haben. Ihre Steuererhöhungen erfolgten im übrigen unter dem Vorzeichen überhöhter Ausgabenzuwächse bei hoher Steuerprogression und der Ausweitung des staatlichen Sektors. Auch das unterscheidet uns. ({51}) - Ich habe darüber nachgedacht; ich habe darüber nachgelesen. Das stimmt. Ich danke Ihnen aber, daß Sie zugehört haben. Steuererhöhungen sind, auch wenn sie ein begrenztes Ausmaß haben, im übrigen niemals populär. Auch in Anbetracht des relativ engen Ausgabenrahmens, den wir haben, waren die zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushalts, nämlich Einnahmeübertragungen an die EG, Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit, Strukturhilfen für die Länder, so hoch, daß sie allein durch Ausgabendisziplin nicht aufzufangen waren. Auch das soll hier festgestellt werden. ({52}) Lassen Sie mich noch einen Aspekt aufgreifen, ({53}) nämlich die Vorbereitung auf den europäischen Binnenmarkt bis Ende 1992. Für uns Politiker heißt dies, Maßnahmen zu ergreifen, um die Harmonisierung politisch zu ermöglichen. Einiges ist schon auf den Weg gebracht worden. Aber es bleibt, wie wir alle wissen, noch viel zu tun. Denken Sie an die äußerst schwierige Materie der Steuerharmonisierung, sei es bei der Mehrwertsteuer oder bei den anderen Verbrauchsteuern. Allein dieser Punkt erfordert ein hohes Maß von Kompromißbereitschaft, da die Mitgliedsstaaten in ihrer Steuerpolitik doch erheblich betroffen und eingeengt werden. Andere Bereiche müssen dazukommen. Ich nenne die enge Abstimmung in Wirtschafts-, Finanz- und Währungsfragen. Denken Sie an die sozialen Dimensionen des Binnenmarktes, etwa an die Lebens- und Arbeitsbedingungen oder an den Arbeitsschutz. Die Europäische Gemeinschaft hat für uns bereits heute große Bedeutung: Mehr als die Hälfte unseres Exports geht in die EG. Mehr als zwei Drittel unserer Nahrungsmittelexporte werden in der EG abgesetzt. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Position im internationalen Wettbewerb zu halten. Zum Standort Bundesrepublik gehören viele Vorteile, etwa qualifizierte Arbeitnehmerschaft, leistungsfähiges Bildungssystem, gut ausgebaute Infrastruktur, stabiles soziales Klima. Aber auf der anderen Seite gehören auch dazu: kurze Arbeitszeiten, viel Urlaub, hohe Lohn- und Lohnnebenkosten, mangelnde Flexibilität am Arbeitsmarkt und zu viele Regulierungen. Das scheint mir ein nicht einfacher Weg zu sein. Es bleibt bei unserer Politik, meine Damen und Herren, für Wohlstand und Beschäftigung. Der europäische Binnenmarkt bietet der deutschen Volkswirtschaft Chancen und Herausforderungen. Die deutsche Wirtschaft muß diese Chancen mit beiden Händen ergreifen und darf nicht zögerlich sein. Die Politik muß die Rahmenbedingungen und die Wettbewerbschancen weiter ausbauen. Dies werden wir Schritt für Schritt tun, damit die Vereinigten Staaten von Europa Realität werden. Diesem Ziel dienen sowohl unsere Steuer- als auch unsere Haushaltspolitik und damit auch der Bundeshaushalt 1989, dem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion heute zustimmen wird. Ich danke Ihnen. ({54})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Walther.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich - sicherlich auch im Namen des Kollegen Wieczorek - herzlichen Dank für alle Glückwünsche sagen, die uns heute nachmittag von den verschiedensten Seiten übermittelt worden sind. Das ist ein Zeichen dafür, daß wir uns doch ein Mindestmaß an menschlicher Zusammenarbeit zu eigen gemacht haben. Ich bedanke mich persönlich auch bei denen, die sich die Freiheit genommen haben, meine persönliche Amtsführung im Ausschuß zu loben. Ich versuche, das zu machen, was mir möglich ist. Ich möchte, wie ich das jedes Jahr an dieser Stelle tue, allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses für ihre sorgfältige und auch anstrengende Arbeit Dank sagen, vor allem für ihre Arbeit in den letzten Monaten oder - genauer gesagt - in den letzten Wochen oder - noch genauer gesagt - in der letzten Sitzungswoche, in der Unzumutbares zugemutet wurde. ({0}) Dieses Unzumutbare ist nur noch mit dem vergleichbar, was den Mitgliedern des A- und S-Ausschusses in den letzten Wochen zugemutet worden ist. Ich sage deshalb auch besonderen Dank den vier Obleuten der Fraktionen, die, bedingt durch ihre Führungsaufgaben, besonders belastet waren. Ich sage auch herzlichen Dank den Mitarbeitern in den Ministerien, insonderheit den Mitarbeitern Ihres Hauses, Herr Kollege Stoltenberg. An die Mitarbeiter des Sekretariats des Haushaltsausschusses geht ein besonderer Dank, ({1}) weil sie in aufopferungsvoller Arbeit mit dafür gesorgt haben, daß unsere Beratungen planmäßig abgeschlossen werden konnten. Ich danke auch allen in der Bundestagsverwaltung, die mitgeholfen haben, die vielen, vielen Papiere, die wir alle auf unseren Tischen liegen haben, sorgfältig bereitzustellen. Ich muß aber, meine Damen und Herren, zu Beginn dessen, was ich für meine Fraktion hier vorzutragen habe, den Umgang der Regierung mit dem Parlament ausdrücklich rügen. Das betrifft nicht Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg. Aber wenn man sieht, wie leer diese Regierungsbank in den letzten drei Tagen gewesen ist, ({2}) dann hat man den Beweis dafür, wie wenig die Regierung das Parlament ernst nimmt. ({3}) - Sehr verehrte gnädige Frau, ich freue mich immer sehr, Sie zu sehen. Auf Sie, Herr Kollege Möllemann, komme ich nachher im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt noch zurück. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme auf die Zumutungen der letzten Sitzungswochen zurück. Diese Bundesregierung zeichnet sich - das ist unverkennbar - vor allem dadurch aus, daß sie nicht nur nicht in der Lage ist, ihre Ziele, vor allem ihre strategischen Ziele der Finanzpolitik, klar zu definieren, sie ist vor allem nicht in der Lage, das, was sie unzulänglich anpackt, zumindest handwerklich zu meistern. ({4}) Die mißratene Steuerreform ist nur ein Beispiel, beileibe nicht das einzige. Deshalb muß, Herr Kollege Spilker- Sie waren als Ausschußmitglied im Finanzausschuß ja mitbeteiligt -, ({5}) - Michael, auch du - heute abend noch ein sogenanntes Haushaltsbegleitgesetz, welches in Wahrheit ein Steuerreform-Reparaturgesetz ist, verabschiedet werden, ({6}) ein Gesetz - nämlich das, worüber wir heute reden - , welches nicht notwendig gewesen wäre, wenn die Regierung ihr Handwerk nur einigermaßen vernünftig beherrschen würde. ({7}) Denn die Regierung - Herr Kollege Stoltenberg, muß ich sagen, weil Sie für dieses Gesetz die Federführung hatten - hat den alten Grundsatz, daß Qualität vor Schnelligkeit geht, sträflich vernachlässigt. Übrigens, Herr Kollege Glos, der Wechselbalg Quellensteuer wird trotz dieses Steuerreformgesetzes auch nicht sehr viel appetitlicher. ({8}) Es ist zu vermuten, daß die morgen zu beschließende Gesundheitsreform von gleicher Qualität sein wird und der alsbaldigen Reparatur bedarf. Nein, meine Damen und Herren, Handwerksmeister sind hier wahrlich nicht am Werke, bestenfalls Hilfsarbeiter. ({9}) - Der Kollege Rixe ist Handwerksmeister. Der weiß, wovon ich rede. Dieses Urteil gilt leider auch für den hier in Rede stehenden Haushalt. Alles, was nur einigermaßen relevant war, Herr Kollege Dr. Weng, mußte - das müssen Sie zugeben - in die sogenannte Bereinigungssitzung der letzten Woche verschoben werden. ({10}) Einiges davon war unvermeidlich - das ist zuzugeben. Doch vieles beruhte darauf, daß bei Einbringung des Haushalts die Bundesregierung - der Bundesfinanzminister - ihre Schularbeiten nicht ordentlich gemacht hatte. ({11}) Nicht nur, daß der Regierungsentwurf mit einer globalen Minderausgabe von insgesamt 1,2 Milliarden DM von vornherein unausgeglichen vorgelegt wurde, ({12}) es blieb dem Haushaltsausschuß auch überlassen, die gröbsten Versäumnisse des Regierungsentwurfs zu bereinigen. ({13}) Weit, weit über 2 Milliarden DM mußten in den Beratungen des Haushaltsausschusses nachgebessert, d. h. aufgestockt werden. Ohne den Geldsegen aus Brüssel und die verbesserte Steuerschätzung sähen die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen heute noch älter aus, als sie eh schon aussehen. ({14}) Trotzdem verharrt die Nettoneuverschuldung, Herr Kollege Weng, bei rund 28 Milliarden DM. Das ist immerhin die Summe, die 1982 Ihre Partei als oberste Grenze gesetzt hatte, jenseits derer die Koalition am Ende sein sollte - was sie dann ja auch war. Zu den Hypotheken, Ungereimtheiten und handwerklichen Fehlern des Haushaltsentwurfs 1989 will ich eine Reihe von Beispielen nennen. Eine Hypothek besonderer Art stellt die außergewöhnlich hohe Ausgabensteigerung von 5,4 % dar. Sie liegt deutlich über der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts. Der Haushaltsausschuß war gezwungen, die Ausgabensteigerung, die schon im Regierungsentwurf trotz der globalen Minderausgaben von 1,2 Milliarden DM 4,6 % betragen hatte, aufzustocken, weil im Entwurf absehbare und unabweisbare Ausgaben ohne Vorsorge durch den Bundesfinanzminister geblieben waren. Ich nenne als Beispiel die stets zu niedrig geschätzten Bürgschaftsverpflichtungen, das Kindergeld, das Erziehungsgeld, das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit, das Aussiedlerprogramm, die Kosten für den Anstieg der Zivildienstleistenden, die vorhersehbar waren. ({15}) - Das bestreite ich doch gar nicht. Ich behaupte ja nur, daß der Finanzminister seine Schulaufgaben nicht ordentlich gemacht hatte. ({16}) Die Ausgabensteigerung wäre ja noch weit höher ausgefallen, wenn sich die Koalitionsfraktionen nicht des Kunstgriffs bedient hätten, eine weitere globale Minderausgabe von 316 Millionen DM sowie eine dubiose Subventionskürzung von 100 Millionen DM zu veranschlagen. ({17}) Da frage ich Sie, Herr Kollege Stoltenberg, wo Ihre jährlich tönenden Versprechungen geblieben sind, der Haushaltsanstieg solle nie über 3% liegen. ({18}) Die ständigen Ermahnungen, die Sie im Finanzplanungsrat an die anderen Gebietskörperschaften gerichtet hatten, klingen jetzt ein bißchen pharisäerhaft. Die Koalitionsfraktionen führen den bedenklichen Ausgabenanstieg auf Sonderfaktoren zurück, ({19}) die, Herr Kollege Weng, angeblich nur im Haushaltsjahr 1989 auftreten. In Wahrheit jedoch handelt es sich um bleibende Ausgabenpositionen, ob dies nun die Strukturhilfen für die Länder - dagegen haben Sie vergeblich gekämpft, Herr Kollege Weng - , die in der Grundtendenz steigenden Beträge zum Haushalt der Europäischen Gemeinschaft, die Risiken der Außenhandelsbürgschaft oder der Anstieg der Leistungen für die Bundesanstalt für Arbeit, von der Präsident Franke von der Zukunft her schon gesprochen hat, sind. Es gibt deshalb erheblichen Grund zur Sorge um das künftige Haushaltsgleichgewicht, die durch einen flüchtigen Steuersegen oder höhere Bundesbankgewinne nur vorübergehend kaschiert wird. Dies gilt um so mehr angesichts der zu erwartenden bedeutenden Einnahmeausfälle im Bundeshaushalt 1990 nach Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes. Diese Sorge, meine Damen und Herren, teilt die Koalition ja selbst; denn sie ist trotz gestiegener Steuereinnahmen, zusätzlicher Bundesbankgewinne und vorübergehend geringerer EG-Abführungen nicht bereit, auf die Verbrauchsteuererhöhungen zu verzichten. ({20}) Hier soll auch durch das um ein Jahr vorverlegte Inkrafttreten der Verbrauchsteuererhöhungen ein Polster für die Einnahmeausfälle durch die Steuerreform angelegt werden. ({21}) Das heißt wiederum, daß Bundesbürger, die weniger oder gar keine Vorteile aus der Steuerreform ziehen, an deren Finanzierung schon im voraus beteiligt werden. ({22}) Meine Damen und Herren, dieser unser aller Bundeskanzler, dessen skurrile Sprachfähigkeiten wir ja in dieser Woche erlebt haben, hat im Januar angesichts des von uns damals vorhergesehenen und dann kurz nach Jahresbeginn von der Regierung bestätigten dramatischen Anstieg der Nettoneuverschuldung den nur noch karnevalistisch-humoristisch zu verstehenden Satz gesagt: „Das Gütezeichen dieser Regierung ist, keine Schulden zu machen!" ({23}) Ich wiederhole: „Das Gütezeichen dieser Regierung ist, keine Schulden zu machen! " Ich habe ja damals öffentlich darauf erwidert, das Gütezeichen dieser Regierung sei „Government by Känguruh" : große Sprünge, leere Beutel. ({24}) Nur, meine Damen und Herren, heute muß ich nach dem Hickhack in der Steuerpolitik - Steuern rauf, Steuern runter, Steuern rauf - ergänzen: Das Gütezeichen dieser Regierung ist „Government by Potatoes" : rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! ({25}) Ich komme zu einer weiteren Hypothek des Bundeshaushalts 1989 und beziehe mich dabei auf den fehlenden Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben. Ich halte es für einen Affront der Bundesregierung, insonderheit dieses Bundesfinanzministers, den Haushaltsausschuß und das Parlament von vornherein mit einer globalen Minderausgabe von sich aus zu konfrontieren, die die sorgfältige Arbeit der Berichterstatter desavouiert. ({26}) Entweder ist dem Bundesfinanzminister die Detailarbeit der Berichterstatter im Haushaltsausschuß gleichgültig, weil er sie bei der späteren Erwirtschaftung der Minderausgabe ohnehin wieder umstößt, oder er hätte erwartet, daß der Ausschuß selbst die Verteilung der globalen Minderausgabe für die Einzelbereiche des Haushalts vornimmt. ({27}) - Das hat er gedacht, ja. - Er gibt dem Parlament also praktisch die Hausaufgaben vor - ein völlig unmögliches Verfahren, meine Damen und Herren. ({28}) Ich sage Ihnen einmal, Herr Kollege Weng, auf Ihren Zwischenruf hin - wenn Sie der Kollege von der Landwirtschaft im Moment einmal nicht stört, sage ich Ihnen das noch freundlicher - , ich halte es angesichts dieses parlamentsunfreundlichen Akts des Finanzministers durchaus für verständlich, daß Sie die globale Minderausgabe dringelassen haben und gesagt haben: Gerhard Stoltenberg, nun mach deine Hausaufgaben einmal selber. ({29}) Das halte ich für verständlich. Daß Sie noch eine zweite globale Minderausgabe von 360 Millionen plus 100 Millionen DM eingestellt haben, würde ich an Ihrer Stelle als verständliche Trotzaktion auch gemacht haben. Aber in der Sache ist schärfstens zu kritisieren, daß tatsächlich eine Haushaltslücke von 1,6 Milliarden DM verblieben ist. Im übrigen, meine Damen und Herren - Spaß beiseite - wiederhole ich meine grundsätzliche Kritik, daß globale Minderausgaben einen Verzicht des Parlaments auf sein Haushaltsrecht bedeuten. ({30}) Ich gebe zu - das habe ich hier schon einmal gesagt - : Diesen Quatsch haben auch wir in der sozialliberalen Koalition früher gemacht und haben damit Gott sei Dank aufgehört. Aber Sie fangen mit diesem Quatsch wieder an. ({31}) Die Nettokreditaufnahme, die in den Beratungen des Haushaltsausschusses auf rund 28 Milliarden DM gesenkt wurde, muß deshalb auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Aber ohne Verbrauchsteuererhöhungen von rund 10 Milliarden DM mit der darauf entfallenden Mehrwertsteuer, Haushaltssperren und globaler Minderausgabe läge sie deutlich über 38 Milliarden DM, meine Damen und Herren, den Bundesbankgewinn einmal ganz außer acht gelassen. ({32}) All dies vollzieht sich angesichts eines besseren Wirtschaftswachstums, unerwarteter Steuereinnahmen und EG-Minderausgaben. Wie hat der Kanzler gesagt: Das Gütezeichen dieser Regierung ist, keine Schulden zu machen. Das Haushaltsgesetz 1989 weist eine weitere Kuriosität auf: Mehreinnahmen aus dem Bundesbankgewinn sollen zur Tilgung fälliger Schulden verwendet werden. Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift wird der Bundesbankgewinn bewußt zu gering veranschlagt. Damit wird dem Gebot der Vollständigkeit des Haushalts - Herr Kollege Wieczorek, Sie haben ja oft genug darauf hingewiesen - nicht nachgekommen. Die Haushaltskompetenz des Parlaments wird dadurch weiter ausgehöhlt. Diese Regelung, die lediglich zu einer Verminderung der Bruttokreditaufnahme führt, dient unter dem populären Hinweis des Schuldenabbaus im Ergebnis auch dazu, die Verbrauchsteuererhöhungen trotz einer verbesserten Einnahmesituation des Bundes politisch gegen die Koalitionsfraktionen durchzusetzen. Meine Fraktion verschließt sich ja nicht grundsätzlich einem Beitrag zum Schuldenabbau; jedoch muß er nicht fiskalistisch, sondern auch an politischen Zielen orientiert erfolgen, z. B. durch Stärkung der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Sinne des Sonderprogramms „Arbeit und Umwelt" oder, wie von meiner Fraktion ebenfalls vorgeschlagen, durch eine Entschuldigung der Deutschen Bundesbahn, ({33}) deren Stärkung auch im dringenden ökologischen Interesse liegt. Die wachsende Verschuldung der Deutschen Bundesbahn wegen gemeinwirtschaftlicher Lasten, die ohne ein Entschuldungsprogramm im Jahre 2000 die 100-Milliarden-DM-Grenze erreichen wird, ist eines der schwersten ungelösten Probleme im Bundeshaushalt, deren Lösung Sie sich, Herr Kollege Stoltenberg, bisher beharrlich verweigert haben. ({34}) Ein schweres Haushaltsrisiko und die Schattenseite des Wirtschaftswachstums zeigen sich im Anstieg der Liquiditätshilfe für die Bundesanstalt für Arbeit. Dem Defizit der Bundesanstalt von rund 6 Milliarden DM trägt die Koalition mit einer Erhöhung des Zuschusses auf 4 Milliarden DM Rechnung, und sie verweist im übrigen auf die Einsparungsmöglichkeiten bei der Neunten AFG-Novelle, über die wir heute morgen hier gesprochen haben, sowie auf Einsparungen bei den disponiblen Leistungen der Bundesanstalt. Aber gerade dadurch, meine Damen und Herren - ich sage das in allem Ernst - , werden die Möglichkeiten der Bundesanstalt zur aktiven Arbeitsmarktpolitik erheblich beschnitten, so daß eine weitere Verschärfung der Lage am Arbeitsmarkt und damit verbunden ein weiterer Anstieg des Defizits zu erwarten sind. Denn - das haben wir in unserer Regierungszeit noch erlebt - das ist ja eine Art System der kommunizierenden Röhren; was Sie an der einen Stelle einsparen, kriegen Sie an der anderen Stelle, beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe, wieder drauf. ({35}) Ich prophezeie Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition: Diese Erfahrung werden auch Sie noch machen; von dieser Erfahrung werden auch Sie noch eingeholt werden. Im übrigen, Herr Kollege Stoltenberg - ich weiß, Sie hören das nicht gerne - , verweise ich erneut darauf, daß dieses Defizit zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen ist, daß Sie in verfassungswidriger Weise Aufgaben und deren finanzielle Folgen, für die allein der Bund und nicht die Versichertengemeinschaft zuständig ist, auf die Bundesanstalt abgewälzt haben. ({36}) Zur Strafe für diesen Verfassungsverstoß des Herrn Stoltenberg sollen dafür jetzt die arbeitsmarktpolitischen Leistungen gekürzt werden. Das ist eine Kürzung, die die Arbeitslosenzahlen vor allem in den Problemregionen noch weiter in die Höhe schnellen lassen wird. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig ernst die Bundesregierung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nimmt. ({37}) Auch das ist leider wahr. Die finanzielle Situation der Bundesanstalt und die nach wie vor steigenden Ausgaben des Bundes für Arbeitslosenhilfe machen deutlich - das ist hier in diesen Tagen schon mehrfach vorgetragen worden -, daß es der Bundesregierung in einer Zeit wirtschaftlichen Wachstums nicht gelungen ist, die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Nein, wir haben ja festgestellt, sie hat sich verschlechtert. Der Bundeshaushalt leistet erneut keinen entscheidenden eigenen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Soweit die Investitionen ansteigen, ist dies im wesentlichen auf die nur begrifflich als Investition zu verstehende Ausgabensteigerung bei den Bürgschaften und auf die Strukturhilfen für die Bundesländer zurückzuführen. Insgesamt bleibt die Investitionsrate des Bundeshaushalts 1989 zu niedrig. Da ich gerade vom Strukturhilfegesetz rede: Ich bin gespannt, Kollege Dregger, ob sich der hessische Ministerpräsident Wallmann wirklich mutig genug zeigt, gegen dieses Gesetz in Karlsruhe zu klagen, wie er es lauthals angekündigt hat. Da bin ich richtig gespannt. Insgesamt bleibt die Investitionsrate des Bundeshaushalts 1989 viel zu niedrig. Dabei ist der Bund gerade bei der Bewältigung der drängenden ökologischen und strukturellen Probleme gefordert. Was, so frage ich erneut, ist aus dem angekündigten Programm zur Rettung der Nordsee geworden? Das soll aus dem Strukturhilfeprogramm bezahlt werden. Welche Konsequenzen werden aus dem Bericht der Bundesregierung zur Sanierung von grenzüberschreitenden Gewässern gezogen, in dem ein hoher Investitionsbedarf zur schnellstmöglichen Vermeidung und Behandlung von Abwässern festgestellt wird? Den Forderungen der SPD-Fraktion im Haushaltsausschuß hatte die Koalition nur wieder das genannte Strukturhilfegesetz, das Herr Wallmann für verfassungswidrig hält, und im übrigen eine fehlende Bundeskompetenz entgegenzuhalten. Meine Damen und Herren, als ob es sich hierbei um provinzielle Probleme handeln würde! ({38}) Daß der Bundeshaushalt auch in seinem eigenen Bereich keinen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leistet - trotz des Tarifabschlusses der Gewerkschaften -, das will ich hier nur am Rande vermerken. Ich verstehe, daß die Gewerkschaften dies als einen Bruch der Geschäftsgrundlage der Tarifverträge sehen. Dabei tut sich die Bundesregierung leicht damit, entgegen ihren eigenen Entbürokratisierungsversprechen neue personalaufwendige Aufgaben zu schaffen, wie sich dies bei der Posse um die Quellensteuererstattung und das sogenannte Quellensteueramt gezeigt hat, wo der Haushaltsausschuß - Kollege Struck hat es ja ausführlich dargestellt - noch rechtzeitig ein klein wenig dazwischenfahren konnte. Ach, die Ahnungslosen! Es ist zwar nur eine Kleinigkeit, wie ich zugebe, aber es macht deutlich, was diese Koalition will. Auf ein unmögliches Verfahren bei der Stellenplanbehandlung will ich nur am Rande eingehen. Der Verteidigungsminister, der den Haushaltsausschuß nun wirklich mächtig geärgert hat, bekommt als Dank dafür 13 neue Stellen im Leitungsbereich. Rund um das Ministerbüro werden 13 neue Stellen geschaffen. ({39}) - Um seine Berliner Leute unterzubringen, natürlich. Der Bundesrechnungshof bekommt nur drei neue Stellen; 13 neue Stellen bei Herrn Scholz, drei für den Bundesrechnungshof, der uns Geld spart und nicht, wie der Verteidigungsminister, Geld kostet. ({40}) Ich frage einmal ganz leise: Sollten vielleicht doch diejenigen recht haben, die darin eine Strafaktion dafür sehen, daß sich der Rechnungshof die Freiheit genommen hat, die Kasse einer der Koalitionsfraktionen zu prüfen? Im Bereich des Verteidigungshaushalts steht der Crash noch bevor. Bundeswehrplanung und Finanzplanung klaffen trotz der Anhebung auseinander, und es ist nicht abzusehen, wie die fragwürdigen Milliardenprogramme wie z. B. der Jäger 90 mit Lebenslaufkosten von rund 100 Milliarden DM und Partnern wie Spanien, die zur Beteiligung überredet werden müssen, finanziert werden können. Es handelt sich, um in der Militärsprache zu bleiben, um tickende Zeitbomben. ({41}) Da existieren ein Bericht „Heeresstruktur 2 000" sowie ein „Reservistenkonzept" ; nur, die finanziellen Auswirkungen hat die Bundesregierung bislang nicht dargestellt. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß haben ja mitbekommen, wie intensiv wir nach den finanziellen Folgen gefragt haben, ohne daß wir von der Bundesregierung eine adäquate Antwort bekommen haben. ({42}) Der Haushaltsausschuß hat eine solche Finanzvorlage nachgefordert. Herr Feldmeyer schreibt in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung", daß für die „Heeresstruktur 2 000" trotz erheblicher Mängel immer noch 36,5 Milliarden DM fehlen. In Wahrheit sind es noch mehr. Zwar setze der Führungsstab Heer seine Arbeit an der „Heeresstruktur 2 000" fort, doch erstelle daneben eine gesonderte Arbeitsgruppe an Hand realistischer Planungsdaten ein geändertes Konzept. ({43}) Offenbar weiß auf der Hardthöhe die Linke nicht, was die Rechte tut, Kollege Friedmann, ({44}) während der Verteidigungsminister seine Aufmerksamkeit darauf konzentriert, ob Parlamentsausschüsse über genügend Sachkunde verfügen. ({45}) Ein weiteres kommt hinzu: Verteidigungshaushalt und Bundeswehrplanung lassen noch nicht einmal im Ansatz eine angemessene Reaktion auf die geänderten politischen Verhältnisse im Bereich der Ost-West-Beziehungen erkennen. Dafür weist andererseits - der Kollege Esters hat es hier nachgewiesen - der Einzelplan des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit schon jetzt eine Unterdeckung von mindestens 400 Millionen DM auf und wird überdies mit sachfremden Ausgaben belastet, die eigentlich aus dem Etat des Finanzministers hätten bezahlt werden können. ({46}) - Das ist nicht unzutreffend, das ist zutreffend, Herr Kollege Borchert, und Sie wissen das auch. Aber Sie sind ein tapferer Parteisoldat und machen diesen Unfug mit, ich verstehe das ja. Das haben wir früher auch manchmal gemacht. Das gebe ich ja zu. ({47}) Meine Fraktion ist im Haushaltsausschuß dafür eingetreten, den Einzelplan 23 zu Lasten des Verteidigungshaushalts um eine Milliarde Mark zu erhöhen, um den veränderten politischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und den eingeleiteten Prozeß zu fördern. Meine Damen und Herren, im Bundeshaushalt 1989 ist leider die Voraussetzung für die Industrie und militärpolitisch weitgehende Beteiligung von MBB geschaffen worden. Meine Fraktion begrüßt zwar, daß das Airbus-Programm in die industrielle Eigenverantwortung überführt und damit der Bundeshaushalt mittelfristig entlastet werden soll, nur, es muß bezweifelt werden, ob dieses Konzept von Herrn Bangemann, dieses Ziel erreicht. ({48}) Zunächst einmal sind Subventionen in Milliardenhöhe als Verpflichtungsermächtigung in den Bundeshaushalt aufgenommen worden, ({49}) aber, was heißt da schon, Bernhard Friedmann, „gesperrt", wir wissen doch beide ganz genau, daß, wenn es soweit ist, es so oder so entsperrt wird. Das kennen wir doch alles aus der Praxis.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Walther, ich habe ja mehrmals nachgefragt, wären Sie in der Lage, mir zu sagen, ob die SPD im Haushaltsausschuß der Entsperrung der Mittel auch nur unter den von uns genannten Bedingungen zustimmen wird?

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Weng, ich habe große Zweifel, ob die von Ihnen genannten Bedingungen - von denen der Kollege Friedmann heute nachmittag gesagt hat, er hätte sie im persönlichen Gespräch mit Edzard Reuter ausgehandelt - wirklich eingehalten werden können. Ich sage Ihnen mal, so wie sich das gehört: Wir warten ab, wie die Entsperrungsvorlage aussieht, und dann können wir uns darüber unterhalten, ob aus unserer Sicht die Sperre aufgehoben werden kann oder nicht. Ein Blankoscheck, Kollege Weng, nach all den Vorlagen gibt es von uns nicht. Das muß ich Ihnen einmal sagen. ({0}) Der Bundeshaushalt, meine Damen und Herren, hat als Novität, als Neuigkeit, auch noch für das Wechselkursrisiko einzustehen. Das hat bislang expressis verbis noch nie in einem Bundeshaushalt gestanden. Ferner wird gegen alle wirtschaftspolitischen Grundsätze eine hohe Konzentration in der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie in der wehrtechnischen Industrie hingenommen, die ohne Zweifel einen erheblich negativen Einfluß auf die entsprechenden Ausgaben des Bundes haben müssen. Kollege Kühbacher hat das heute nachmittag eindrucksvoll dargestellt. Die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß sind diesen Bedenken mit Erklärungen zu ihren Erwartungen und sogenannten Klarstellungen entgegengetreten. Meine Fraktion wird mit Spannung verfolgen - und damit versuche ich, Herr Kollege Weng, wenn Sie mal den Kollegen Zywietz einen Moment in Ruhe lassen könnten, auch noch eine Zusatzantwort zu geben - , ob die Regierungsvorlage, das Vertragswerk, die Bedingungen erfüllt, die Sie und Bernhard Friedmann und Ulla Seiler-Albring an die Aufhebung der qualifizierten Sperre im nächsten Jahr geknüpft haben. Nur, daß der Freidemokrat Dr. Friderichs als Nachfolger von Franz Josef Strauß im Airbus-Aufsichtsrat mit seiner Person dafür Zeugnis ablegt, daß der Monsterkonzern marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik in besten liberalen Traditionen entspricht, ist besonders pikant. ({1}) Gemeinsamer Nenner dieser Widersprüche und dieser Personalentwicklung ist allenfalls das verläßliche freidemokratische Motto: Allzeit dabei! ({2}) Oder sollen, Herr Kollege Dr. Weng - da frage ich Sie doch einmal persönlich - mit der Berufung Ihres Parteifreundes Dr. Friderichs bisher vorhandene Widersprüche gegen das Daimler-Benz-Konzept besänftigt werden? ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang feststellen, daß mir die Nahtstellen zwischen den beiden Koalitionsfraktionen brüchiger geworden zu sein scheinen. ({4}) Wir haben das im Daimler-Benz/Airbus-Konzept gemerkt, beim Jäger 90, bei den Weltraumprojekten, beim Schnellen Brüter, und auch in der Frage der Subventionskürzungen schien mir das erkennbar zu sein, bei denen wegen der unterschiedlichen Interessenlage nur ein kleines Beschlüßchen zustandegekommen ist, das allseits Enttäuschungen auslöst und vorhandene Frustrationen, die sich auf die Arbeitsweise der Regierung beziehen, vertieft. Daß Sie dabei auch noch die Mittelstands- und Handwerkerförderung erheblich kürzen wollen, muß angesichts horrender Airbus-Subventionen als ein Stück aus dem Tollhaus bezeichnet werden. ({5}) Deshalb muß ich in diesem Zusammenhang leider auf den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion auf der Bundestagsdrucksache 11/3421 zurückkommen. Ich sage Ihnen einmal im Possenspiel: Diese sogenannte Subventionskürzung für den mittelständischen und handwerklichen Bereich ist wirklich die Spitze des Witzes. Das ist eine Lachnummer. ({6}) - Ich freue mich, Graf Lambsdorff, daß Sie heute abend zu uns gekommen sind. Herzlich Willkommen! Sie kommen gerade an der richtigen Stelle. Dieser Lachnummerantrag widerruft den Versuch der Koalitionsgruppen im Haushaltsausschuß, den großen Sprüchen von der Rasenmähermethode einen Schimmer von Glaubwürdigkeit zu geben und die disponible Subvention in einer geschätzten Größenordnung von 8 Milliarden DM um 100 Millionen DM zu kürzen, und zwar ausgerechnet auf dem Mittelstandssektor. Ich habe immer gedacht, Graf Lambsdorff, das sei Ihre Klientel. Wer nun geglaubt hatte, daß dessen Interessenverbände am ehesten bereit seien, ihre Bekenntnisse zum Subventionsabbau am eigenen Leibe zu praktizieren, sieht sich getäuscht. Da habe ich heute in der Presse gelesen, daß der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages Stihl den Thatcherismus gepriesen und den Subventionsabbau energisch gefordert hat, besonders im Energiebereich, andererseits hat er sich massiv dafür eingesetzt, daß eine andere Subvention, betreffend das Rationalisierungskuratorium, die also dem Verein zugute kommt, natürlich weiter beibehalten werden solle, müsse oder wie immer. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Wir hatten Ihren Antrag im Haushaltsausschuß schon von Anfang an als Lachnummer behandelt. Dieser Antrag - sage ich einmal - ist heute abend die Lachnummer zwei. ({7}) - Aber lieber Herr Graf, ich habe meiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß Sie uns heute abend einmal wieder die Ehre Ihrer Anwesenheit geben. Warum soll ich da traurig sein, insbesondere weil Sie auf dem Gebiet, von dem ich gerade geredet habe, wenn die Zeitungen richtig berichtet haben, auch nicht gerade eine Glanznummer gespielt haben. Meine Damen und Herren, bei einer solchen Liste von Hypotheken und Risiken ist es nicht verwunderlich, daß ein strategischer Ansatz der Finanz- und Haushaltspolitik dieser Regierung überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Einer zumindest - ist er noch da? Ja, da hinten ist er - hatte einen Schimmer davon, was jetzt notwendig wäre: Jürgen Möllemann. ({8}) Er nämlich hatte zu Recht erkannt, daß der Bildungsnotstand an unseren Universitäten ein sofortiges Handeln notwendig mache. Und er hatte sogar einen Einsparvorschlag parat: den Verteidigungshaushalt nämlich, hat er genannt. ({9}) In der Tat: Wenn Minister Scholz die Gnade des Neuanfangs genutzt und eine Strukturreform der Bundeswehr energisch angegangen wäre, hätte sich kurzfristig, vor allem aber mittelfristig, ein erhebliches Einsparungspotential ergeben. Wie gesagt: Statt dessen werden überflüssige und technologisch völlig überreizte Projekte wie der Jäger 90 mitfinanziert, und bis heute, lieber Herr Kollege Jürgen Möllemann, sage ich, ist aus dem Jürgen Möllemann ein Jürgen Mäuschenmann geworden. ({10}) Wir haben ja gestern abend versucht, Kollege Möllemann, Ihren Intentionen zum Ziele zu verhelfen. Wir haben einen Antrag gestellt, so wie Sie ihn haben wollten. Was haben Sie gemacht? Mit Ihrer Stimme ist dieser Antrag abgelehnt worden. ({11}) Dann sind Sie hier hochgegangen und haben einen Nachtragshaushalt für Januar angekündigt. Der Finanzminister mußte hier einräumen, daß er davon noch gar nichts wußte. ({12}) Also, meine Damen und Herren: Hätten Sie unserem Antrag gestern abend zugestimmt, dann hätten wir diese blödsinnige Nachtragshaushaltsdiskussion hier in diesem Hause nicht zu führen. Und so geht es immer weiter, wenn man nach den strategischen Zielen der Finanz- und Haushaltspolitik dieser Regierung fragt: 1,9 Milliarden DM mehr für Herrn Scholz, nur eine mickrige halbe Milliarde DM für Umweltminister Töpfer. ({13}) - Wieso, das ist doch eine liebe Sprache. ({14}) - Ja, aber das, worüber ich rede, wird von Herrn Professor Scholz repräsentiert. Ich sage es noch einmal: 1,9 Milliarden DM mehr für Rupert Scholz - extra, zusätzlich - und insgesamt nur eine halbe Milliarde DM für Klaus Töpfer. Angesichts solcher blamabler Zahlen bleibt Herrn Töpfer bei jeder neuen Umweltkatastrophe nur übrig, sein in der Zwischenzeit bundesweit bekanntes FernsehTrauergesicht aufzusetzen, ({15}) wenn er sich nicht gerade den Jux erlaubt, im Taucheranzug durch den schmuddeligen Rhein zu schwimmen. Ein heute und sofort notwendiger strategischer Ansatz wäre, die Mittel der Finanzpolitik zur Reparatur der geschundenen und, soweit noch vorhanden, zur Bewahrung unserer natürlichen Umwelt einzusetzen. ({16}) Denn Ökonomie und Ökologie sind miteinander vereinbar, was im Ernst ja auch niemand mehr bestreitet. Im Ernst bestreitet auch niemand mehr - das ist von Peter Struck, Christa Vennegerts und anderen ausführlich dargestellt worden - , daß die reine Zahl des Bruttosozialprodukts eigentlich nichts aussagt; denn jede Mark, die ausgegeben wird - für welchen Zweck auch immer - , bedeutet im Zweifel eine Steigerung. Ob wir damit unsere Umwelt verschmutzen oder reparieren, es ist immer eine Steigerung des Wachstums. Die geschundene Natur spielt in einer solchen betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnung überhaupt keine Rolle. ({17}) - Ich sage dir einmal, Jochen Borchert: Ich habe mich auf die betriebswirtschaftliche Rechnung bezogen, weil Frau Vennegerts sie angesprochen hat. Ich bin aber gern bereit zuzugeben, daß das eine volkswirtschaftliche Rechnung ist, wenn man das rein akademisch betrachtet. Uns ist in diesen Tagen immer wieder der Vorwurf gemacht worden, unsere Forderung, das Steuersystem auch als Steuerungssystem zu benutzen, sei nicht zu verwirklichen. Ich sage Ihnen: Sie werden wie immer fünf Jahre später auf das kommen, was wir vorher gesagt haben, und dann so tun, als wären Sie der Erfinder dieses Gedankens. ({18}) Ich will an das letztere noch eine Überlegung anknüpfen, die ich bereits angedeutet habe. Der Ansatz der Bundesregierung, von dem zu erwartenden Bundesbankgewinn lediglich 5 Milliarden DM in den Haushalt einzusetzen, kann abseits aller rechtlichen Bedingungen dann vernünftig sein, wenn man den überschießenden Teil auch vernünftig verwendet. Die Bundesregierung will - sagt sie - mit dem Rest Altschulden abbauen, was immer das sein mag. So weit, so gut. Aber, Herr Stoltenberg, wenn Sie einmal aufhören könnten, Jux zu machen, und zuhören könnten: ({19}) Wer hindert Sie eigentlich daran, aus den Mehreinnahmen einen Fonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu finanzieren, aus dem solche Programme für die Rettung der geschundenen Natur und der Umwelt bezahlt werden könnten? ({20}) Das wäre jedenfalls vernünftiger, als daß sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Airbus-Firma beteiligt und damit auch noch über einen zweiten Weg zusätzliche Risiken auf den Bundeshaushalt verlagert. ({21}) Meine Damen und Herren, zum Schluß: Schwerpunkt und strategisches Ziel sozialdemokratischer Finanzpolitik liegen jetzt und in der Zukunft bei den Themen Umwelt, Arbeit, Investitionen, Renten und Bildung. Alles andere wird auch bei uns zu den Posterioritäten zählen müssen. Täuschen wir uns bitte alle nicht: Die nach uns kommenden Generationen werden nicht danach fragen, wer wann regiert hat und welche vergänglichen Namen dabei eine Rolle gespielt haben. Sie werden uns - wenn es uns dann noch gibt - fragen, was wir getan haben, um das Überleben der Menschheit zu sichern, auch mit den Mitteln der Finanzpolitik. ({22}) Durchwursteln ist nicht mehr gefragt. Es wird höchste Zeit zum Umsteuern. Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind bereit, für eine solche Neuordnung deutscher Finanzpolitik Verantwortung mitzutragen, auch wenn es unpopulär ist. Unser Entschließungsantrag ist dafür eine außerordentlich gute Grundlage. Wir könnten uns sehr leicht verständigen, wenn Sie mithelfen, unserem Entschließungsantrag zur Mehrheit zu verhelfen. Sie werden verstehen, daß wir uns nach diesen schwerwiegenden Kritikpunkten an dem vorgelegten Haushalt außerstande sehen, ihm zuzustimmen. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern, während der zweiten Lesung, habe ich auch für die Bundesregierung den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses dafür Dank ausgesprochen, daß sie in einer kurzen Zeit eine so schwierige und wichtige Aufgabe gemeistert haben. ({0}) Ich habe besonders Herrn Kollegen Walther als den Vorsitzenden erwähnt. Heute möchte ich Ihnen, Herr Kollege Walther, Herr Kollege Wieczorek, wie schon Kolleginnen und Kollegen vorher, als Finanzminister und für die Bundesregierung herzliche Glückwünsche sagen für die hohe Auszeichnung, die Sie heute erhalten haben als eine verdiente Würdigung Ihrer langen parlamentarischen Tätigkeit. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben gestern in über sechs Stunden die zentralen Themen der Haushalts-, der Steuer- und der Wirtschaftspolitik miteinander diskutiert, unterschiedliche Wege und Konzepte erörtert. Es ist wohl unvermeidbar, daß manches, was wir heute in der dritten Lesung zur späten Stunde hören, eine Wiederholung von gestern schon eingenommenen Positionen ist. Deswegen bitte ich um Verständnis, auch im Hinblick auf die Geschäftslage des Hohen Hauses, daß ich mich auf wenige Punkte konzentriere. ({2}) Die Steuerpolitik ist heute in einigen Punkten angeklungen. Der für mich wichtigste Beitrag zur Entwicklung der Steuerpolitik im heutigen publizistischen Bild kommt aus Schweden. Wir können heute in einzelnen deutschen Zeitungen und vor allem in der internationalen Presse lesen, wie das steuerpolitische Reformkonzept der sozialdemokratischen Regierung und Partei Schwedens ist, das jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Es macht deutlich, daß es vollkommen unvereinbar mit dem ist, was hier von der SPD auch heute noch vorgetragen wurde. Es ist nach den ausführlichen Presseberichten bestimmt von drei zentralen Zielen - deutliche Senkung des Tarifs in der Einkommensteuer, insbesondere auch des Spitzensteuersatzes. Nach den Vorstellungen des von mir geschätzten sozialdemokratischen Finanzministers Kjell-Olof Feldt - ich habe ihn in einer steuerpolitischen Grundsatzdebatte vor zwei Jahren hier schon einmal ausführlich zitiert -, der nun die Zustimmung auch seiner Fraktion gefunden hat, ist folgendes vorgesehen. Der Spitzensteuersatz soll zunächst von jetzt 72 % auf 60 % gesenkt werden ({3}) mit der längerfristigen Konzeption - hören Sie doch zu - , ihn auf 50 % festzusetzen. Das, was Sie hier mit verstaubten klassenkämpferischen Parolen bekämpfen, ({4}) ist in Schweden moderne und fortschrittliche Politik. ({5}) Das zweite ist nach den Presseberichten die Absicht, bestimmte, noch nicht im einzelnen konkret dargestellte Erhöhungen bei den indirekten Steuern vorzunehmen. Die drastische Senkung des Tarifs - wobei der Höchststeuersatz in Wahrheit ja nur der Endpunkt des Tarifs ist, nicht eine Größe an sich - kostet den Staat nach diesen Berichten rd. 17 Milliarden DM Steuerausfälle jährlich, und das in einem Land mit einer Bevölkerung von etwa 15 %, 17 % der Bundesrepublik! Deshalb ist man auch in Schweden der Meinung - so, wie wir es jetzt machen -, daß man eine bestimmte begrenzte Korrektur bei den indirekten Steuern benötigt, um dies finanzpolitisch verkraften zu können. Das alles klingt sehr vertraut. Der dritte Grundgedanke ist, durch eine wirksamere Erfassung der Erträge auf Kapitaleinkünfte und das Schließen von Schlupflöchern im Steuerrecht zu einer breiteren Bemessungsgrundlage und damit zu einer gerechteren Besteuerung zu kommen, meine Damen und Herren. ({6}) Ich muß Ihnen sagen: Es ist für mich sehr eindrucksvoll, daß die schwedische Sozialdemokratie wie vorher die österreichischen Sozialisten, die schweizer Demokraten und in der Tendenz auch die italienischen Sozialisten nach langen schwierigen Diskussionen in einem Kurswechsel gegenüber dem Konzept der 60er und 70er Jahre vergleichbare Grundsätze im Steuerrecht vertritt, wie wir sie hier zur Geltung bringen, wie wir sie weitgehend verwirklicht haben, und das alles gegen den erbitterten Widerstand der deutschen Sozialdemokratie. Das ist die Situation. ({7}) Es wird in einem ausführlichen Pressebericht der „Financial Times" noch interessanter. Dort wird aus den in Stockholm vorgelegten Materialien auch geschildert, wie die Belastungswirkung für bestimmte Einkommensgruppen ist. Das paßt alles zu dem, was wir heute wieder an merkwürdigen Parolen hörten. Es heißt hier: Bürger, die 240 000 schwedische Kronen im Jahr verdienen, werden beispielsweise im Tarif um 36 000 Kronen im Jahr entlastet. Bürger, die 160 000 Kronen verdienen, werden eine Verringerung ihrer Steuerschuld um 18 000 Kronen erfahren, und die mit niedrigen Einkommen von rund 90 000 Kronen können eine Steuersenkung von rund 2 000 Kronen erwarten. - Ja, was würde das für ein Geschrei auf der deutschen Linken dieses Hauses geben, wenn wir ein vergleichbares Konzept verwirklichen würden, meine Damen und Herren. ({8}) Der Grund, weshalb sich eine aufgeklärte Sozialdemokratische Partei zu dieser Linie bekennt, ist, daß durch die Erweiterung der Bemessungsgrundlage und das Schließen von Steuerschlupflöchern, der Beseitigung von Sonderregelungen und Gestaltungsmöglichkeiten in Wahrheit natürlich mehr Steuergerechtigkeit hergestellt wird als nur durch die Primitivformeln, die wir ständig auch außerhalb dieses Hohen Hauses hören. Die entscheidende Veränderung mit der Erweiterung der Bemessungsgrundlage und dem Abbau von Steuersubventionen wird von der deutschen Sozialdemokratie bis heute unterschlagen. Meine Damen und Herren, das ist der Punkt, über den man hier reden muß. ({9}) Ich will nur noch weniges zu einigen Randbemerkungen sagen. Ich habe, nachdem mir gegenüber vom ersten Sprecher der SPD heute der Vorwurf der Verfälschung erhoben wurde, mein Zitat noch einmal nachgelesen. Ich stelle zum Thema Lohnsteuer im Jahre 1989 fest, daß ich das Ergebnis der Steuerschätzung mit einem ungewöhnlich niedrigen Anstieg der Lohnsteuer von 2,3 % in diesem Jahr ausweislich des amtlichen Protokolls hier vollkommen korrekt wiedergegeben habe. Mir ist vollkommen unverständlich, wie man in dem Zusammenhang von Verfälschung reden kann. Man kann es ergänzen ({10}) - das ist aber etwas ganz anderes, Herr Huonker in Verbindung mit der Tatsache, daß dies im nächsten Jahr wieder ein Stück ansteigt, wobei wir 1990, wie ich annehme, wieder eine deutliche Rückführung durch die eigentliche Steuerreform haben werden. Aber man kann sich immer mit Gewinn ergänzen. Ich habe gestern noch einmal eine richtige Aussage aus der Rede von Frau Kollegin Matthäus-Maier nachprüfen lassen, die aber auch ergänzungsbedürftig ist. ({11}) - Darum geht es jetzt gar nicht. Es geht um die Argumentation miteinander, Herr Kollege Walther. ({12}) - Das will ich gar nicht bewerten. Ich will mich sachlich mit Ihnen auseinandersetzen. - Schauen Sie, Sie haben gestern gesagt - das war ein Vorwurf gegen uns - : 1982 lag die Lohnsteuerquote noch bei 16 %. 1989 wird sie trotz der vorgenommenen Steuersenkung auf 18,3 % steigen. - Das ist statistisch richtig. Wir haben trotz der Lohnsteuersenkung einen Anstieg der Quote um 2,3 % in sieben Jahren. Nun muß man aber ergänzen, daß die Lohnsteuerquote in Ihrer 13jährigen Regierungszeit um sage und schreibe 6,2 % angestiegen ist, nämlich von 9,8 % auf 16 %. Daraus folgere ich: Die von uns konsequent verwirklichte Senkung der Steuern führt zu einem Abbremsen, zu einer deutlichen Verlangsamung des Lohnsteueranstiegs gegenüber den 70er Jahren und den beginnenden 80er Jahren, und das ist ein Erfolg, vor allem weil es mit Preisstabilität für die Arbeitnehmer verbunden ist. ({13}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei andere Bemerkungen in diesem Teil der Diskussion anfügen. Der erste Sprecher der SPD hat in Verbindung mit meinen Aussagen über die Entwicklung der privaten Vermögenseinkommen von Verfälschung gesprochen. Deshalb habe ich mir die zugrundeliegenden Aufzeichnungen noch einmal angesehen. Ich bekräftige meine Feststellung, die ich hier gestern getroffen habe. Ich habe gesagt, daß 48 % der Vermögenseinkommen im letzten Jahr an Haushalte von Arbeitern, Angestellten und Beamten und weitere 29 % an Haushalte von Rentnern und anderen NichtErwerbstätigen geflossen sind. Der Begriff der Einkommen aus Vermögen ist ein in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, in allen ökonomischen Analysen fest eingeführter Begriff. Daß es daneben Einkommen aus Unternehmertätigkeit gibt, ist unbestritten. ({14}) Nur kann man hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, Herr Kollege Vogel, wenn man diesen unsinnigen Vorwurf der Verfälschung erhebt. Den Vorwurf weise ich mit aller Entschiedenheit zurück, um das hier deutlich zu sagen. ({15}) Wir reden über zwei unterschiedliche Dinge; das kann man doch tun. Sie können die Diskussion genau wie in dem anderen Punkt ergänzen, über den ich mich eben sachlich mit Frau Kollegin Matthäus-Maier auseinandergesetzt habe. Natürlich ist das Thema, wie sich Vermögen in privaten Haushalten bildet, ein sehr bedeutendes Thema. Die Frage, wie sich Vermögen in Unternehmen weiter bildet, hängt davon ab, ob wir auch durch die Tarifpolitik endlich eine noch breitere Streuung von Produktivvermögen bekommen. Das ist ein zweites Thema. Beide Themen sollte man nicht unzulässiger Weise polemisch miteinander vermischen. Meine Damen und Herren, ich möchte einige grundlegende Auffassungsunterschiede aus dieser Diskussion noch einmal an Hand der Punkte hier beleuchten, die in dem Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zur dritten Beratung des Bundeshaushalts angesprochen sind. In neun Punkten finden sich neun anfechtbare Behauptungen. Ich will hier noch einmal feststellen: Die Investitionen sind seit dem Tiefstand Anfang der 80er Jahre auch im öffentlichen Sektor angestiegen. Ich habe das gestern für die Kommunen dargestellt. Ich füge hinzu, weil hier bis hin zu Herrn Walther Kritik am Investitionsverhalten des Bundes geübt wurde: 1981, im letzten vollen Regierungsjahr der SPD, hatte der Bund Investitionsausgaben von 30,5 Milliarden DM, 1989 sehen wir 37,4 Milliarden DM vor. ({16}) - Nun lärmen Sie doch nicht immer dazwischen. Ich möchte zur Sache reden. Allein von 1988 ({17}) - Herr Kollege Walther, ich muß Ihnen sagen: Ihr Verhalten ist unparlamentarisch, wenn Sie mich in einer ruhigen Rede ständig so unterbrechen. ({18}) Allein von 1988 auf 1989 steigen die Investitionsausgaben um 3,3 Milliarden DM. Deswegen ist es vollkommen unsinnig, wenn Sie bei dieser dynamischen Entwicklung der öffentlichen Investitionen, die Sie in den letzten Regierungsjahren der SPD zusammengestrichen haben, behaupten, wir würden nichts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit tun. Eine vollkommen abwegige Behauptung! ({19}) Die zweite Behauptung, fast gebetsmühlenhaft wiederholt, betrifft das angebliche Versagen am Arbeitsmarkt. Als ich das vorhin zum fünften Male hörte, kam mir ein Zitat des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt hier in die Hand. Ich zitiere aus einer seiner letzten wichtigen Reden vor der eigenen Fraktion als Bundeskanzler. Der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat kurz vor dem Regierungswechsel am 22. Juni 1982 vor der SPD-Fraktion folgendes gesagt - ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten -: ({20}) „In diesen zwölf Jahren ist die Zahl der Arbeitsplätze gefallen um 1,3 Millionen. " In zwölf Regierungsjahren der SPD hatten wir einen Verlust von 1,3 Millionen Arbeitsplätzen erlebt, ({21}) und jetzt in den letzten fünf Jahren registrieren wir eine Vermehrung der Zahl der Arbeitsplätze um fast 900 000. Ich muß Ihnen angesichts des Vergleichs dieser Zahlen Ihrer politischen Bilanz und unserer Zwischenbilanz sagen: Es ist schon pharisäerhaft, wie Sie hier polemisch mit uns über Arbeitsmarktpolitik immer wieder reden wollen. ({22}) Wir nehmen derartige falsche Aussagen - „Die wirtschaftliche Entwicklung geht ... am Arbeitsmarkt vorbei." - nicht hin und fühlen uns durch die Prognose des Sachverständigenrats ermutigt, daß im neuen Jahr der Anstieg der Arbeitslosigkeit sich nicht weiter beschleunigen wird. Dritte Bemerkung: Sie, meine Damen und Herren der SPD, reden in Verbindung mit der Bundesanstalt für Arbeit ausschließlich von Leistungskürzungen. Ich möchte sie an zwei Dinge erinnern: In unserer Verantwortung, d. h. im Zusammenwirken von Selbstverwaltung und Regierung, auch durch wichtige Entscheidungen des Parlaments, haben wir die freiwilligen steuerbaren Leistungen der Bundesanstalt für aktive Arbeitsmarktpolitik seit 1983 von rund 7 Milliarden auf rund 14 Milliarden DM erhöht, obwohl Sie sie in der Zeit stark steigender Arbeitslosigkeit zunächst einmal stark gekürzt hatten. Deswegen ist es nicht in Ordnung, wenn Sie diese große Leistung verschweigen, da es jetzt um eine begrenzte Korrektur und Anpassung geht. ({23}) Vierter Punkt: Sie sagen in der folgenden Ziffer Ihres Antrages - das ist zunächst einmal richtig, aber in einem gewissen Punkt dann, weil wir über den Etat 1989 reden, auch irreführend - , die Zinsbelastung des Bundeshaushalts, die sogenannte Zinslastquote, sei von 9 % 1982 auf fast 12 % in diesem Jahr angestiegen. Dies bedarf der Ergänzung: Es ist vorgesehen, daß sie im Bundeshaushalt 1989 wieder auf 11 zurückgeht. Wenn wir - was ich wenige Wochen vor dem Jahresende vermute - zusätzliche Schuldentilgung durch einen höheren Bundesbankgewinn vornehmen können, wird sie noch weiter zurückgehen. Dies sollte man in einem Antrag zum Bundeshaushalt 1989 nicht verschweigen, Herr Kollege Vogel, wenn man exakt resümieren will. ({24}) Nächste Bemerkung: Sie beklagen sich über die ansteigenden Subventionen. Das ist ein ernst zu nehmendes Thema, und hier ist eine differenzierte, kritische, sachliche Debatte, wie wir sie in Ansätzen hatten, durchaus begründet und auch fortzusetzen. Allerdings bin ich sehr erstaunt über das, was Sie dem Hohen Haus hier dann zur Beschlußfassung vorlegen, meine Damen und Herren der SPD. Es heißt hier - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - : Hauptursache sind der steigende Mitteleinsatz für die verfehlte Agrarpolitik und jahrelange Versäumnisse in der Strukturpolitik, die zu einem wachsenden Umfang an Erhaltungssubventionen führen. Dadurch wird der zukunftsweisende Umbau der Volkswirtschaft in den Sektoren Landwirtschaft, Energie und Verkehr blockiert. Was heißt das? - Der prozentual stärkste Anstieg der Subventionen betrifft seit drei Jahren die Kohle. Wenn ich die gewaltigen zusätzlichen Probleme und den Mittelbedarf des Verstromungsfonds hinzurechne, was volkswirtschaftlich notwendig ist, heißt dieser Satz, daß Sie im Gegensatz zu allen Ihren sonstigen Bekundungen und Forderungen die Mittel für die Kohle in Frage stellen wollen. ({25}) Präzisieren Sie doch, was Sie wollen. Was heißt denn das, wenn wir über Subventionen reden, Herr Kollege Kühbacher, ({26}) und Sie eine Neuorientierung der Energiepolitik verlangen? ({27}) - Sie sagen „Quatsch", aber Sie haben nicht den Mut, diese Aussagen zu verdeutlichen. Wir hören von Ihnen Kritik an der Höhe der Subventionen und im zweiten Teil die Forderung nach mehr Subventionen. Das ist die Position der Sozialdemokratischen Partei. ({28}) Dann will ich einen weiteren Punkt nennen: Mir ist die heute wieder vorgetragene Kritik zur Veranschlagung des Bundesbankgewinns in sich unbegründet und nicht schlüssig. Sie haben heftigste Kritik an uns geübt, als wir Ende des letzten Jahres durch eine unerwartete drastische Verringerung des Dollarkurses in sechs Wochen 7 Milliarden DM verloren haben. ({29}) - Darüber rede ich heute abend nicht mehr mit Ihnen. Ich habe Herrn Vogel Anfang des Jahres hier schon einmal gesagt: Wenn er am 15. November gewußt hätte, daß der Dollarkurs Ende des Jahres bei 1,58 DM stände, hätte er Börsenberater werden sollen. Dann wäre er ein reicher Mann geworden, meine Damen und Herren. - Keiner hat es damals gewußt. ({30}) Ich kann es gerne wiederholen, wenn Sie die alten Debatten noch einmal haben wollen. ({31}) - Berater von Anlegern. Ich unterstelle ja auch, daß Sie es gar nicht gewußt haben, Herr Vogel, auch wenn Sie jetzt nachträglich behaupten, es sei nicht unerwartet gewesen. Deswegen habe ich das ja hypothetisch gesagt. Bleiben wir beim Thema. Führen wir nicht die Schlachten vom Januar hier weiter. Meine Damen und Herren, weil wir auch in Zukunft, wenn wir an die kommenden Jahre denken, kurzfristige, nicht kalkulierbare Wechselkursveränderungen nicht ausschließen können, ist es nach den Erfahrungen des letzten Jahres richtig, nur einen Teil des voraussichtlichen, aber nicht sicheren Bundesbankgewinns in die ordentlichen Einnahmen einzustellen und den anderen Teil für die Tilgung von Altschulden zu verwenden, weil wir zu viele Altschulden haben und sie abbauen sollten. ({32}) Wenn Sie als letztes kritisieren, der Finanzminister könne auf eine Nettokreditermächtigung früherer Jahre zurückgreifen, dann will ich nur sagen: Die geltenden rechtlichen Voraussetzungen sind im Jahre 1969 geschaffen worden, damals weitgehend einvernehmlich zwischen den großen demokratischen Parteien. Es ist ein bißchen absurd, Rechtsvorschriften, an denen Sie mitgewirkt haben und die Sie 13 Jahre lang auch entsprechend genutzt haben, jetzt in ihrer Anwendung zu kritisieren. Nein, es geht nicht um eine Minderung der Rechte des Parlaments. Der Deutsche Bundestag nimmt seine Rechte voll wahr, gerade in Haushalts- und Finanzfragen. Ich bekräftige meine gestern ausgesprochene Überzeugung: Wir erreichen in der Grundstruktur des Haushalts dieses Jahres eine spürbare Verbesserung sowohl bei den öffentlichen Investitionen wie vor allem bei der Rückführung der Neuverschuldung. Wir sind nach einigen Turbulenzen wieder auf Kurs. Wir haben die Fundamente gelegt, daß wir bei sparsamer Ausgestaltung in den nächsten Jahren die Steuerreform finanzieren können, von der wir Wachstumsimpulse und bessere Voraussetzungen für mehr Beschäftigung erhoffen. Deswegen bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zu dem Bundeshaushalt und den Begleitgesetzen. ({33})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz 1989. Die Fraktion der GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung hierzu namentliche Abstimmung. Wir haben das in dieser Woche oft genug gemacht. Wir können es also. Ich eröffne die Abstimmung. Darf ich die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß anschließend an diese namentliche Abstimmung eine ganze Reihe von offenen Abstimmungen folgen, sowohl über Gesetze, die wir zu verabschieden haben, als auch über Entschließungen. Ich wäre dankbar, wenn Sie nach der Abstimmung den Weg zurück in den Saal fänden. Vizepräsident Westphal Darf ich fragen, ob es einen Abgeordneten gibt, der an der Abstimmung teilnehmen will, aber noch nicht abgestimmt hat? - Ich schließe die Abstimmung. ({0}) - Ich bitte, Platz zu nehmen. ({1}) - Ich habe die Abstimmung geschlossen. Bei allem Wohlwollen! Wir haben lange genug gewartet und auch lange genug geklingelt. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich komme nun zu den Entschließungsanträgen, die ich in der Reihenfolge der Einzelpläne zur Abstimmung aufrufe. ({2}) - Ich wäre für Aufmerksamkeit dankbar. Das gilt auch für die Kollegen in der Mitte des Ganges. Ein schöner Rücken kann entzücken, aber nicht in diesem Fall. Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 04 auf Drucksache 11/3382 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich rufe jetzt die Entschließungsanträge zum Einzelplan 05 auf. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zum Einzelplan 05 auf Drucksache 11/3423? Ich bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({3}) - Ich glaube nicht, daß ich das vergessen habe. ({4}) - Zu welchem Einzelplan, bitte? ({5}) - Das steht hier tatsächlich nicht. ({6}) - Da ich das nicht auswendig weiß, bitte ich, meinen Fehler zu entschuldigen. Ich rufe also noch einmal auf: Wer für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zum Einzelplan 05 auf Drucksache 11/3423 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. ({7}) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Entschließungsantrag angenommen. Jetzt kommt der Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 05 auf Drucksache 11/3424. Ich bitte um das Handzeichen derjenigen, die zustimmen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt worden. Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Einzelplan 09 auf Drucksache 11/3421 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Einzelplan 09 auf Drucksache 11/3459 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 11. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3383? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt. Wer für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3384 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit derselben Mehrheit wie der vorhergehende abgelehnt worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3385? Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieselbe Mehrheit für die Ablehnung wie davor. Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 14 auf. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3386? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 15. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3387? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Ich rufe nunmehr die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 23 zur Abstimmung auf. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3388? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3389? - Wer stimmt dagegen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 27 auf Drucksache 11/3390. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser EntschließungsanVizepräsident Westphal trag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Ich rufe nunmehr die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 30 auf. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3434? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3435? - Wer stimmt dagegen? - Mit der gleichen Mehrheit wie soeben abgelehnt worden. ({8}) - Die Abstimmung zum Entschließungsantrag 11/3435 soll wiederholt werden. Wenn es der Klarheit dient - und das geht ja ganz schnell - , dann werde ich das eben machen. Ich rufe erneut den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3435 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das verändert das Bild: Der Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3435 ist von der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und mit den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Herr Kleinert hat als Fraktionsgeschäftsführer der GRÜNEN den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 31 auf Drucksache 11/3391 zurückgezogen. Über ihn braucht also nicht abgestimmt zu werden. Nun kommen wir zu den Abstimmungen über die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN zum Haushaltsgesetz 1989. Die Fraktion der SPD hat zu ihrem Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3418 getrennte Abstimmung verlangt. Diesen Entschließungsantrag auf Drucksache 11/3418 rufe ich jetzt auf. Wer stimmt für Ziffer I 1 bis 9? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Teil des Entschließungsantrags ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der GRÜNEN abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zu Ziffer II des Entschließungsantrags. Wer stimmt für Ziffer 1? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das war das gleiche Mehrheitsverhältnis wie vorher bei Teil I des Entschließungsantrags. Jetzt kommt die Ziffer 2. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Das ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer stimmt für Ziffer 3? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der GRÜNEN abgelehnt. Wer stimmt für Ziffer 4? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das gleiche Mehrheitsverhältnis wie bei Ziffer 3, also Ablehnung. Wer stimmt für Ziffer 5? - Wer stimmt dagegen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich komme zur Ziffer 6. Wer stimmt für Ziffer 6? - Wer stimmt dagegen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wer für die Ziffer 7 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dieser Antragsteil ist mit der gleichen Mehrheit wie Ziffer 6 abgelehnt. Wer für die Ziffer 8 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und bei Enthaltungen der GRÜNEN ist dieser Antragsteil abgelehnt worden. Wir kommen zur Ziffer 9. Wer stimmt für die Ziffer 9? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das war die gleiche Mehrheitssituation wie bei Ziffer 8, abgelehnt. Wir sind jetzt bei Ziffer 10. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Der Antragsteil ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen zur Ziffer 11. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antragsteil ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und mit den Stimmen der GRÜNEN abgelehnt worden. Wer für die Ziffer 12 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antragsteil ist mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltungen der GRÜNEN abgelehnt. Wer stimmt für die Ziffer 13? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antragsteil ist abgelehnt mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Wer stimmt für die Ziffer 14? - Wer stimmt dagegen? ({9}) Enthaltungen? - Dieser Antragsteil ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Es hat keine Enthaltungen gegeben. Wer für die Ziffer 15 stimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antragsteil ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden. Wer für die Ziffer 16 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dies ist die gleiche Mehrheit gewesen, die zur Ablehnung geführt hat. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/3460 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Ich verkünde das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1989, das mir jetzt vorliegt: Von den vollstimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 436 ihre Stimme abgegeben. Es waren keine Stimmen ungültig. Mit Ja haben 248 Abgeordnete, mit Nein 188 gestimmt. Es hat keine Enthaltungen gegeben. Vizepräsident Westphal Von den 20 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 12 Abgeordnete, mit Nein 8 Abgeordnete gestimmt. Auch hier hat es keine Enthaltungen gegeben. *) Damit ist das Haushaltsgesetz 1989 angenommen. ({10}) Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung über das von der Bundesregierung eingebrachte Haushaltsbegleitgesetz 1989. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. ({11}) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung über das von der Bundesregierung eingebrachte Verbrauchsteuer-Änderungsgesetz 1988. Wer diesem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden. Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung schließe, bitte ich noch um Ihre Aufmerksamkeit. Der Abgeordnete Oostergetelo wünscht eine Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung außerhalb der Tagesordnung abzugeben, die mit der gestrigen Sitzung ') Endgültiges Ergebnis 111. Sitzung Anlage 2 etwas zu tun hat. Er hat mir den Inhalt gesagt. - Bitte schön, Herr Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern ist während der Haushaltsberatungen, Haushalt 10, hier folgendes gesagt worden. Bei der Würdigung des Strukturgesetzes zur bäuerlichen Hilfe hatte ich formuliert - so steht es im Protokoll - : Es gibt da einige, die dieser Hilfe nicht bedürfen, hatte dabei auch Namen genannt. Daraufhin hat Herr Heereman gefragt, ob ich bereit sei, zur Kenntnis zu nehmen, dies sei die Unwahrheit. Ich stelle jetzt fest, da der Gesetzentwurf wörtlich sagt „zur Förderung der bäuerlichen Struktur" und alle anderen ausschließen will, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder ich sage die Wahrheit, dann ist er nicht ausgeschlossen und Herr Heereman irrt sich und hat hier die Unwahrheit behauptet, oder ich sage die Unwahrheit; dann entschuldige ich mich, dann heißt das: Herr Heereman gehört nicht mehr zur bäuerlichen Struktur und wird von dieser Bundesregierung im Strukturgesetz ausgeschlossen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es wird sicher juristischer Klärung bedürfen, ob er eingeschlossen ist. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte die Gelegenheit nutzen, am Ende dieser sehr ausführlichen Beratungen über den Haushalt dieses Jahres all unseren Mitarbeitern, die über die ganze Woche derartig haben arbeiten müssen, Dank auszusprechen. ({0}) Das gilt für alle diejenigen, die in unserem Plenarsaal oder außerhalb, an welchen Stellen auch immer, für uns tätig gewesen sind. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. November 1988, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.