Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen zuerst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 16 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 403 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 230 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben 173 Mitglieder des Hauses gestimmt. 17 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 12 Abgeordnete des Hauses, mit Nein haben 5 Abgeordnete des Hauses gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 402 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 230 und 12 Berliner Abgeordnete
nein: 172 und 5 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker ({0}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens
Böhm ({1}) Börnsen ({2})
Dr. Bötsch Bohl
Borchert
Breuer
Bühler ({3}) Carstens ({4}) Carstensen ({5}) Dr. Czaja
Daweke
Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach
Ehrbar
Engelsberger Dr. Faltlhauser Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Francke ({6}) Dr. Friedmann
Dr. Friedrich Fuchtel
Funk ({7}) Ganz ({8}) Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler Gerstein
Gerster ({9}) Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({10}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({11}) Dr. Hornhues
Dr. Hüsch
Graf Huyn
Jäger
Dr. Jahn ({12})
Dr. Jobst
Jung ({13})
Jung ({14})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Klein ({15})
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({16}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link ({17})
Link ({18}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold ({19}) Louven
Lowack Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({20})
Nelle
Neumann ({21}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Frau Pack Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen
Rawe
Reddemann Repnik
Frau Rönsch ({22}) Frau Roitzsch ({23}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({24}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({25})
Sauer ({26})
Sauter ({27})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schemken Scheu
Schmidbauer Schmitz ({28})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({29}) Schulhoff
Dr. Schulte
({30}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({31})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Strube
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({32})
Vogt ({33})
Dr. Voigt ({34})
Dr. Vondran Dr. Voss
Vizepräsident Frau Renger
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß ({35}) Werner ({36})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Buschbom Feilcke
Kalisch
Kittelmann Lummer Dr. Mahlo Dr. Neuling
Dr. Pfennig Schulze ({37})
Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Eimer ({38})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann Genscher Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Dr. Hoyer Irmer
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Neuhausen
Nolting
Paintner Richter
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Sohns Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({39}) Wolfgramm ({40}) Frau Würfel
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Nein
SPD
Frau Adler Dr. Ahrens Amling
Andres
Bachmaier Bamberg
Becker ({41}) Frau Becker-Inglau Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({42}) Brück
Büchler ({43})
Büchner ({44})
Frau Bulmahn Buschfort Catenhusen
Frau Conrad
Conradi Daubertshäuser
Dreßler
Dr. Ehmke ({45})
Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer ({46}) Frau Ganseforth Gansel
Dr. Gautier
Gerster ({47})
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn
Hiller ({48})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger
Jahn ({49}) Jaunich
Jung ({50}) Jungmann
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({51})
Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski
Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann ({52})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Müller ({53}) Müller ({54}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({55}) Pfuhl
Reimann
Frau Renger Reschke
Reuter
Rixe
Schäfer ({56}) Schanz
Dr. Scheer Schluckebier
Frau Schmidt ({57}) Schmidt ({58})
Dr. Schöfberger Schreiner
Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sieler ({59})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Stahl ({60})
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Vahlberg
Voigt ({61}) Waltemathe
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({62})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander Zeitler
Berliner Abgeordnete
Heimann
Frau Luuk
Wartenberg ({63})
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf
Frau Beer Brauer
Dr. Briefs
Dr. Daniels ({64}) Ebermann
Frau Eid Frau Flinner brau Garbe Häfner
Frau Hensel Hoss
Hüser
Kleinert ({65})
Dr. Knabe Kreuzeder
Dr. Lippelt ({66}) Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Rust Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe
Frau Teubner
Frau Vennegerts
Frau Dr. Vollmer
Volmer
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Fraktionslos Wüppesahl
Der Einzelplan 16 ist angenommen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksachen 11/3208, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Struck Roth ({67})
Frau Vennegerts
Einzelplan 32 Bundesschuld
- Drucksache 11/3224
Abgeordnete Frau Vennegerts
Roth ({0})
Wieczorek ({1})
Dr. Weng ({2})
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 11/3228 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({3}) Borchert
Dr. Weng ({4})
Hoppe
Frau Vennegerts
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 11/3218, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Zander Dr. Schroeder ({5}) Frau Vennegerts
Ferner rufe ich die Punkte II bis VI auf:
II. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ({6})
- Drucksachen 11/2969, 11/3009 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({7})
- Drucksache 11/3306 ({8}) Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({9})
Dr. Weng ({10}) Wieczorek ({11}) Frau Vennegerts
({12})
III. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen ({13})
- Drucksachen 11/2970, 11/3008 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({14})
- Drucksache 11/3399 - Berichterstatter:
Abgeordnete Huonker Dr. Meyer zu Bentrup
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({15}) gem. § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/3400 - Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({16}) Dr. Weng ({17})
Frau Vennegerts
({18})
IV. Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990
- Drucksache 11/2864 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({19})
- Drucksache 11/3399 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Huonker
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({20}) gem. § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/3401 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({21})
Dr. Weng ({22})
Frau Vennegerts
({23})
V. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften
- Drucksache 11/2971 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({24})
- Drucksache 11/3307 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Struck Borchert
({25})
VI. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992
- Drucksachen 11/2701, 11/2967, 11/3118, 11/3308 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({27})
Dr. Weng ({28}) Wieczorek ({29}) Frau Vennegerts
Zu den Einzelplänen 08 und 60 liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor, zum Haushaltsbegleitgesetz 1989 liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/3341, 11/3380, 11/3381 und 11/3436 vor.
Meine Damen und Herren, auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte vier Stunden vor7546
Vizepräsident Frau Renger
gesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Carstens ({30}).
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsausschuß hat auch in diesem Jahr seine Beratungen in dem vorgesehenen Zeitrahmen abgeschlossen, so daß der Bundeshaushalt 1989 wie seine Vorgänger seit 1983 rechtzeitig zum 1. Januar verabschiedet werden kann. Dies spricht auch für Kontinuität, Kurshalten und Verläßlichkeit in der Haushaltspolitik der Bundesregierung.
({0})
Mit dem Ergebnis der Beratungen kann man, wie Sie wissen, sehr zufrieden sein. Trotz der etwas höheren Ausgabensteigerung konnte die Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf ganz erheblich zurückgeführt werden, nämlich von zu erwartenden ca. 32 Milliarden DM auf 27,9 Milliarden DM. Hierbei ist zu berücksichtigen - das wäre zu Zeiten der SPD völlig undenkbar gewesen -, daß der zu erwartende Bundesbankgewinn nur in bescheidener Höhe eingesetzt ist. Wir haben durch die Beschlußfassung im Haushaltsausschuß sichergestellt und werden durch die Beschlußfassung hier im Deutschen Bundestag sicherstellen, daß der Restbetrag zur Abzahlung von Altschulden verwandt wird, ohne Wenn und Aber, meine Damen und Herren.
({1})
Ich darf mit Blick auf das Haushaltsergebnis hier feststellen - es scheint mir besonders wichtig zu sein, daß das auch in der Öffentlichkeit deutlich wird - : Unsere Zusage von Anfang 1988, nämlich die Kreditaufnahme 1989 gegenüber 1988 um mindestens 10 Milliarden DM zurückzuführen, wird so eingehalten, wie wir es zugesagt haben.
({2})
Ich darf feststellen, daß die Haushaltslage des Bundes stabil ist, daß wir die Bundesfinanzen fest im Griff haben und daß - das ist besonders erfreulich - der Bundeshaushalt ein gutes Fundament für die zukünftige Entwicklung unseres Landes ist.
Bei dieser Gelegenheit, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, darf ich mich ganz aufrichtig - jeder, der im Haushaltsausschuß sitzt, weiß, daß ich es aufrichtig meine ({3})
bedanken,
({4})
und zwar einmal bei allen, die im Haushaltsausschuß mitgearbeitet haben, und zum anderen bei all denen, die uns helfend zur Seite gestanden haben.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben Zuarbeit aus den Bundesministerien und den Fraktionen gehabt. Ich darf mich namentlich bei den Beamten des Bundesfinanzministeriums und bei den Mitarbeitern des Sekretariates des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bedanken.
({6})
Ich darf den Bundesrechnungshof in unseren Dank miteinbeziehen und allen ganz herzlich für die zusätzliche Arbeit danken, die in den letzten Wochen und Monaten dort geleistet werden mußte. Wenn ich „dort" sage, dann meine ich die 25. Etage des Neuen Hochhauses. Wenn ich an diese Etage denke, in der wir unsere Arbeit tun, habe ich jetzt besondere Freude, insbesondere einem für seine Mühewaltung, für seine Souveränität bei der Verhandlungsführung und auch für seine unparteiische Verhandlungsführung zu danken, nämlich dem Haushaltsausschuß-vorsitzenden, von der SPD gestellt, Herrn Rudi Walther.
({7})
Meine Damen und Herren, dieser Dank ist aufrichtig. Er geht auch an alle Kolleginnen und Kollegen von der Opposition; ich nehme da niemanden aus.
({8})
Es gibt eben ein besonderes Klima im Haushaltsausschuß.
({9})
Wir setzen uns in der Sache hart auseinander, haben aber ein politisches Klima, welches sicherstellt, daß wir ein gutes zwischenmenschliches Umgehen miteinander praktizieren. Ansonsten wäre die Arbeit dort oben über viele Stunden oft bis in die Nacht hinein wohl auch kaum durchzuziehen. Deswegen einen ganz herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen auch von der Opposition!
Wenn ich das sage, drehe ich mich gerne zur Seite der FDP. Denn mit den Kollegen dort haben wir eine Zusammenarbeit, wie sie besser nicht sein kann. Offene Fragen werden in gemeinsamen Arbeitsgruppensitzungen diskutiert und entschieden. Ich darf hier darauf aufmerksam machen, daß im letzten Jahr nicht eine einzige strittige Frage zwischen uns in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist.
({10})
Deswegen einen ganz herzlichen Dank an Ulla SeilerAlbring, Wolfgang Weng und Werner Zywietz.
({11})
Meine Damen und Herren, zurück zum Haushalt und zur gesamtwirtschaftlichen Lage. Diese gesamtwirtschaftliche Lage ist ja unbestritten besonders gut. Alle Erwartungen, selbst die optimistischen, wurden übertroffen. Das trifft auch auf die Finanzlage des
Carstens ({12})
Bundes zu. Ich möchte deswegen in Richtung SPD einmal sagen: Wenn Sie, Herr Kollege Vogel, und Ihre Kollegen sich trotzdem - so wie gestern geschehen - hier hinstellen und überwiegend nur kritisieren und bemängeln, dann weiß ich nicht mehr so recht, wer Ihre Worte noch ernst nehmen soll.
({13})
Es gibt selbstverständlich auch in Zeiten einer guten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Problembereiche in der Wirtschaft, aber man kann doch nicht daran vorbeisehen, daß selbst die Bundesbank im Jahre 1988 von einem „exzellenten Jahresergebnis" spricht. Das Wort „exzellentes Jahresergebnis" muß man sich einmal so richtig auf der Zunge zergehen lassen, gerade wenn dieses Wort auch noch von der Deutschen Bundesbank ausgesprochen wird,
({14})
so geschehen im Oktober 1988 in einer Drucksache, die dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden ist. Unter Experten ist völlig unstrittig, daß der konsequente Weg der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und der Steuerentlastung zu dieser gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entscheidend beigetragen hat.
({15})
Die Bundesbank geht in dieser Drucksache weiter von voraussichtlich kräftig abnehmenden Haushaltsdefiziten für das Jahr 1989 aus und prognostiziert für 1989 einen Wachstumstrend, der weiterhin eindeutig nach oben gerichtet sein wird.
({16})
Meine Damen und Herren von der SPD, das ist genau das, was Sie immer für unmöglich gehalten haben und noch immer nicht so recht begreifen wollen oder mögen:
({17})
daß, wie uns die Bundesbank hier sagt, die öffentlichen Defizite zurückgehen und der Wachstumstrend gleichwohl ungebrochen ist und weiter nach oben geht.
Wenn die SPD etwas von Konjunkturbeeinflussung hört, dann denkt sie immer sofort an „mehr Geld ausgeben" , an mehr Kredite, an neue Programme, an Pläne, an Auflagen, an neue Abgaben usw. Unsere Politik dagegen gibt dem Staat das Geld, das er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Dieses Geld hat er in den letzten Jahren auch immer bekommen, aber nicht einen Pfennig mehr. Alles, was der Staat nicht in Anspruch nimmt, steht den Privaten zur Verfügung. Die Gesamtheit der Privaten ist überall auf der Welt - auch bei uns - in Fragen wirtschaftlichen Handelns der Bürokratie des Staates allemal weit überlegen.
({18})
Überall in der Welt, wo man auf diese Politik setzt, hat man Erfolg. Nur für Leute, die sich selbst Sozialisten nennen oder im Einflußbereich von Sozialisten Politik machen müssen, ist diese Tatsache nicht einfach nachzuvollziehen. Nur: Überall auf der Welt beginnt man umzudenken. Sozialistische Wirtschaftspolitik ist absolut nicht „in" ; sozialistische Parteien in den westlichen Ländern können Wahlen kaum noch gewinnen,
({19})
und wo sie weiter regieren wollen, müssen sie marktwirtschaftliche Politik machen. Hier hat die SPD noch nicht umgedacht.
({20})
Deswegen wird sie ja auch noch lange in der Opposition verbleiben.
Sie hat wohl auch noch nicht ganz begriffen, was sich im Verlauf des Jahres 1988 getan hat; es ist ja auch schwierig, das nachzuvollziehen, wenn man an die eigenen Aussagen erinnert wird. Wir haben im Januar 1988 zum Ausdruck gebracht, daß die Neuverschuldung in die Nähe von 40 Milliarden DM ansteigen könnte
({21})
und daß wir im Zusammenhang mit den notwendigen Entscheidungen weltwirtschaftlicher Art, die abgestimmt waren, den entfallenden Bundesbankgewinn und die zusätzliche EG-Finanzierung über neue Kredite ausgleichen wollten. Das war in der damaligen Situation auch genau das Richtige.
Zu dieser Zeit überschlugen sich die Meldungen aus dem Oppositionslager. Der damalige finanzpolitische Sprecher Apel sagte im Januar in „Die SPD im Deutschen Bundestag", daß nun - 1988! - vollends klar sei, daß die Finanzpolitik dieser Bundesregierung den Staat in eine dauerhafte Finanzkrise treibe; in diesem Jahr werde die Neuverschuldung des Bundes auf mindestens 45 Milliarden DM hochschnellen, und 1989 - das ist also das Jahr, mit dem wir es jetzt zu tun haben - werde sich das Haushaltsdefizit des Bundes auf 50 Milliarden DM und 1990 sogar auf 60 Milliarden DM zubewegen.
({22})
Der Kollege Vogel hat am 16. April gesagt: In Wahrheit wird die Neuverschuldung jedoch auf mindestens 45 Milliarden DM steigen. Er fügte im April dann noch hinzu:
({23})
Selbst wenn die Koalition - er meint also uns - die Verbrauchsteuern kräftig erhöht, selbst dann wird die Neuverschuldung des Bundes 1989 eher über als unter 40 Milliarden DM betragen.
({24})
Carstens ({25})
Jetzt sind wir bei 27,9 Milliarden DM angekommen!
({26})
Da kann man einmal sehen, wie vollmundig die SPD hier ihre Aussagen gemacht hat und wie bescheiden das alles im Vergleich zu dem, was nun eingetreten ist, aussieht.
({27})
Wer sich derartig vertut, kann ja kein großer Experte in Sachen Finanzpolitik sein. Unsere Prognose war gut, und unsere Zusage, die Neuverschuldung um über 10 Milliarden DM zurückzuführen, wird eingehalten.
Meine Damen und Herren, diese Politik und die daraus resultierenden Erfolge waren nur möglich, weil wir die Bundesfinanzen bis Ende 1987 zwischenzeitlich auf ein solides Fundament gestellt hatten. Es war nämlich eine vorübergehende höhere Kreditaufnahme in 1988 notwendig. Diese war volkswirtschaftlich nur deswegen relativ unproblematisch, weil die Ausgaben des Bundes vorher fünf bis sechs Jahre lang nur um durchschnittlich 2 % je Jahr angestiegen waren; sonst wäre das alles gar nicht machbar gewesen.
Man stelle sich vor, wir hätten einen Sockel von 40, 45 Milliarden DM Neuverschuldung gehabt und hätten diese Beträge noch einmal drauflegen müssen. Nur wegen dieses soliden Fundaments, das zwischenzeitlich gebaut worden war, war diese Politik, volkswirtschaftlich gesehen, vertretbar, wie ja die Ergebnisse nun auch gezeigt haben.
({28})
Ich möchte mit allem Ernst folgendes sagen: Wie wichtig sind doch, meine Damen und Herren, staatliche Selbstbescheidung und staatliche Zurückhaltung auf der Ausgabenseite. Aus der Tagesarbeit der letzten Jahre wissen wir alle, wie schwierig es ist, Ausgabenbegehren zu widerstehen, und wie viel leichter es ist, Ausgabenwünschen nachzukommen.
Meine Damen und Herren, überall auf der Welt, wo die ökonomischen Dinge in Unordnung sind, nichts läuft, Inflation herrscht oder sonst etwas Negatives vorhanden ist, ist fast immer das Ausgabeverhalten der Staaten unsolide; je unsolider, desto größer die Verwerfungen in der Wirtschaft. Überall auf der Welt, wo stabile ökonomische Verhältnisse herrschen, ist so gut wie immer das Finanzgebaren des Staates solide. Das muß eine Richtschnur auch für unser weiteres Verhalten in der Finanz- und Haushaltspolitik sein.
Wir haben trotz dieses erhöhten Anstiegs von 5,4 %) in diesem Jahr auf Grund von zwei Sonderfaktoren, die mit der Bundesanstalt für Arbeit und mit den Strukturhilfen an die meisten Länder in Zusammenhang stehen, einen durchschnittlichen Ausgabenanstieg von 1983 bis jetzt - einschließlich 1989 - in Höhe von 2,5 % festzustellen. Das Bruttosozialprodukt, die Leistung der Wirtschaft, des gesamten Volkes, je Jahr, ist im Durchsnitt um fast das Doppelte, um 4,8 %, und die Steuereinnahmen sind um 4,4 % gestiegen.
Wenn man eine solche Politik der staatlichen Selbstbescheidung macht, dann kann man die Nettoneuverschuldung im Griff behalten, das Fundament stabilisieren und gleichzeitig trotzdem alle paar Jahre die Steuern senken, wie wir es getan haben, ohne deswegen die Bürger neu zu belasten. Das ist eine echte Erwirtschaftung aus der Leistung des Volkes über die Wirtschaft durch Zurückhaltung bei den Ausgaben des Staates.
({29})
Die Bundesbank hat in dem ersten Satz ihrer Stellungnahme folgendes festgestellt - ich möchte das zitieren - :
Die Finanzpolitik
- des Bundes verfolgt seit 1982
- seit 1982, nicht vorher eine Konsolidierungsstrategie, deren wichtigstes Ziel die Reduzierung der Defizite über eine Begrenzung des Ausgabenanstiegs ist.
Als bereits erhebliche Fortschritte auf dem eingeschlagenen Weg erzielt worden waren . . ., wurde die Verringerung der Steuerlast und eine Reform der Einkommensbesteuerung in Angriff genommen, gesamtwirtschaftlich unter der Zielsetzung, die Wachstumsbedingungen für unsere Volkswirtschaft zu verbessern.
Es ist genau so, wie es die Deutsche Bundesbank in ihrer Stellungnahme feststellt. So ist es gedacht gewesen, und so hat es sich nun entwickelt.
Meine Damen und Herren, man darf doch einmal mit Verlaub feststellen, daß es zwar nicht gut ist, euphorisch zu sein - gerade bei der Betrachtung ökonomischer Verhältnisse -; daß wir aber nun schon über Jahre anhaltend eine gedeihliche Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft haben, das kommt doch den meisten in unserem Volk zugute.
({30})
Wenn man sich ansieht, wie die Reallöhne, die Realeinkommen überhaupt, die Realrenten gestiegen sind, erkennt man, daß an dieser Entwicklung die größten Teile unseres Volkes partizipiert haben; daran kann doch überhaupt kein Zweifel bestehen.
({31})
Wir haben darüber hinaus 860 000 zusätzliche Beschäftigte. Das ist doch etwas! Wir brauchen noch ein Jahr; dann haben wir mit viel Mühe und Aufwand das wieder wettgemacht, was die SPD in den Jahren 1981 und 1982 in zwei Jahren kaputtgemacht hat..
({32})
Wir wissen sehr wohl, daß es in Teilbereichen der Wirtschaft noch besondere Probleme gibt. Wir hören z. B., daß in der Bauwirtschaft zwar Aufträge vorhanden sind, daß aber die Rendite nicht so recht stimmt. Wir kennen das auch von den Werften: Die AuftragsCarstens ({33})
lage ist jetzt ganz gut, aber die Rendite paßt noch nicht so ganz.
Aber sehen Sie auf der anderen Seite auf die Steuereinnahmen der öffentlichen Hände: Die ergeben sich doch aus gestiegenen Einkommen. Wenn Sie heute die Zeitungen aufschlagen, dann stellen Sie fest, daß auch in der Wirtschaft insgesamt die Einkommen gestiegen sind, auch die Gewinne, die wieder neue Investitionen ermöglichen und den staatlichen Kassen neue Steuereinnahmen bringen, ohne daß wir die Prozentsätze der Besteuerung anheben müßten.
Man muß hinzufügen, daß all diejenigen, die sich jetzt noch in Sorgen befinden, die Schwierigkeiten mit ihrer privaten oder unternehmerischen Lage haben, natürlich die Hoffnung haben können, daß sie, je besser die Wirtschaft insgesamt läuft, um so eher aus ihren Schwierigkeiten herauskommen. Je schlechter die Wirtschaft läuft, desto mehr Menschen haben Probleme. Je länger sich die Wirtschaft aufwärtsentwikkelt, desto mehr kann man auch die Hoffnung haben, daß immer mehr dabei sind. Es ist ja unser Ziel, möglichst viele, wenn es geht, alle, mit einzubeziehen.
({34})
So haben wir mit unserer Politik in Sachen Haushalt und Finanzen das Notwendige getan, um die Ausgaben so kompakt zu gestalten, daß wirklich nirgendwo überflüssig Geld ausgegeben wird. Wir haben die Mittel für die Stiftung Mutter und Kind noch anheben können. Bei den Kindergeldleistungen, beim Erziehungsgeld, beim Zivildienst, bei all diesen Dingen haben wir noch zusätzliche Gelder zur Verfügung stellen können.
Aber bei den sächlichen Verwaltungsausgaben, bei den eigenen Ausgaben der staatlichen Bürokratie, haben wir wiederum eingespart. Wir haben die Personalstellen nicht ausgeweitet, sondern in den letzten Jahren von 1982 bis heute die Personalstellen beim Bund so weit zurückgeführt, daß sie sich etwa auf dem Niveau von 1969 befinden. Beim Bund ist es nicht zu einer Ausweitung, sondern zu einer Begrenzung der Personalstellen gekommen.
({35}) Auch das scheint mir wichtig zu sein.
Wir haben jetzt auch beim Subventionsabbau den ersten Einstieg gefunden.
({36})
Wir haben gerade die letzten Beschlüsse gefaßt. Das ist ein Hinweis für die Bundesregierung, die Arbeit fortzusetzen. Wir haben über eine Entschließung deutlich gemacht, daß die mittelständische Förderung davon weitgehend ausgenommen werden soll. Das versteht sich von allein; wir halten das für eine selbstverständliche Beschlußfassung.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend sagen, daß wir durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Richtigkeit unserer Haushalts- und Finanzpolitik bestätigt werden. Wir festigen die Rahmenbedingungen, die gesamtwirtschaftliches Wachstum bereits seit 1983 ermöglichen, und sind zuversichtlich bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Wir müssen aber diese Ausgabensteigerung von 5,4 % als eine einmalige Ausnahme betrachten. Schon 1990 müssen wir wieder zu einem restriktiveren Kurs zurückkehren. - Ich sage 1990, auch wenn es sich um das Wahljahr handelt. Hier muß man eine kontinuierliche Linie einhalten. - Die Nettokreditaufnahme in 1990 darf auf Grund des Inkrafttretens der dritten Stufe der Steuerreform nur leicht nach oben gehen; aber das ist zu erwarten.
Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Bundeshaushalt 1989 zu und wünschen, daß von ihm gute Wirkungen für die gesamte Bevölkerung unseres Landes ausgehen.
({37})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1989, den wir in dieser Debatte zu bewerten haben, muß sich an zwei Maßstäben messen lassen. Der eine Maßstab ist, ob die Bundesregierung die Versprechen gehalten hat, die sie vor ihrer Wahl abgegeben hat, und der andere Maßstab ist, ob der Bundeshaushalt den notwendigen Beitrag zur Lösung der drängendsten Probleme unseres Landes leistet. Welchen Maßstab man auch immer an diesen Bundeshaushalt 1989 anlegt, nach unserer Meinung ist die Note in beiden Fällen „mangelhaft" .
({0})
Zuerst zu der Frage, ob Sie die von Ihnen selbst gesetzten Ziele erreicht haben. Wir sind der Ansicht, die Bundesregierung ist ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. Ich möchte das an sechs Beispielen aufzeigen.
Erstens. Die Bundesregierung ist mit dem Versprechen angetreten, die Arbeitslosenzahl auf 1 Million herunterzudrücken. Tatsache ist: Heute sind 2,2 Millionen Arbeitslose registriert. Damit liegt die Arbeitslosigkeit trotz Manipulation an der Statistik
({1})
auch sechs Jahre nach dem Amtsantritt von Helmut Kohl um 400 000 höher als beim Sturz von Helmut Schmidt.
({2})
Das ist der schlimmste Mißerfolg Ihrer Bundesregierung.
({3})
Zweitens. Diese Koalition ist mit dem Anspruch angetreten, die Staatsverschuldung abzubauen. Finanzminister Stoltenberg hatte angekündigt, die Neuverschuldung des Bundes in dieser Legislaturperiode auf unter 20 Milliarden DM pro Jahr ohne Bundesbankgewinn herunterzuführen. Tatsache ist, Herr Stoltenberg: Sie haben Ihr selbstgestecktes Konsolidierungsziel nicht erreicht. Zusammen mit dem Bundeshaushalt 1989 machen Sie in sieben Jahren 200 Milliarden
DM neue Schulden, im Durchschnitt also über 28 Milliarden DM im Jahr.
({4})
Zusätzlich kassieren Sie von der Bundesbank Gewinne von über 60 Milliarden DM.
({5})
- Passen Sie mal auf: Morgens früh müssen Sie vielleicht zum Wachwerden ein bißchen Krach machen; aber ich glaube, wir sollten seriös die Zahlen diskutieren. Sie sind ja dann gleich hier und können alles widerlegen.
({6})
Ohne diese Bundesbankgewinne wäre die Verschuldung in diesen sieben Jahren um über 60 Milliarden DM höher gewesen, hätte sie insgesamt über 260 Milliarden DM betragen. Wir müssen feststellen: Noch nie hat eine Bundesregierung derart enorme Finanzierungslücken in ihren Haushalten gehabt wie diese Bundesregierung mit Finanzminister Stoltenberg.
({7})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Ja.
Frau Kollegin, können Sie mir bestätigen, daß sich diese 200 Milliarden DM, die zusätzlich an Schulden zu verzeichnen sind, dadurch ergeben, daß jährlich in etwa 30 Milliarden DM Zinsen für die Schulden bezahlt werden müssen, die von der Regierung Helmut Schmidt übernommen werden mußten?
({0})
Herr Hinsken, ich weiß, daß Sie gern mit der „Erblast" durch die Gegend gehen. Sie haben das Wort nicht erwähnt, aber das soll der Inhalt sein. Da merken die Bürger längst: Das ist langweilig. Das glaubt Ihnen keiner mehr.
({0})
Jede Zeitung in dieser Woche schreibt, daß dieser Bundesfinanzminister insbesondere beim Konsolidierungsziel versagt und sein Ziel nicht erreicht hat. Das hat mit unseren Schulden nichts zu tun.
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Ihr Bundeshaushalt 1988 weist mit der verabschiedeten Nettokreditaufnahme von 38,6 Milliarden DM eine neue Rekordverschuldung auf. Wenn Sie im nächsten Jahr auf 28 Milliarden DM neue Schulden kommen, dann nur deswegen, weil Sie ungeniert auf fremde Finanzierungsquellen zurückgreifen. Im nächsten Jahr erhöht die Koalition die Verbrauchsteuern um rund 10 Milliarden DM,
({2})
sie kürzt die Arbeitslosenversicherungsleistungen um rund 2 Milliarden DM,
({3})
und sie verbucht wieder einen Bundesbankgewinn von 5 Milliarden DM. Das sind zusammen 17 Milliarden DM. Das ist keine Konsolidierungsleistung. Ohne diese 17 Milliarden DM Fremdfinanzierung läge Ihre Neuverschuldung im Jahr 1989 bei 45 Milliarden DM.
({4})
Das zeigt, worin Ihre angebliche Konsolidierung besteht: den Bürgern in die Tasche greifen, bei der Bundesbank die Hand aufhalten und bei den Arbeitslosen abkassieren. Für jemanden, der angetreten ist, um zu konsolidieren, ist das kein Meisterstück, Herr Stoltenberg.
({5})
Drittens. Diese Bundesregierung ist angetreten, Subventionen abzubauen. Ich weiß, das ist schwer. Aber die sozialliberale Koalition hat gezeigt, daß es möglich ist. 1981 und 1982 haben wir in einer großen politischen Kraftanstrengung Subventionen in Höhe von über 8 Milliarden DM abgebaut. Sie haben dagegen Ihren großspurigen Ankündigungen keine Taten folgen lassen.
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Im Gegenteil: Im nächsten Jahr steigen die Subventionen des Bundes sogar auf einen neuen Rekord von über 33 Milliarden DM. Das sind 8 Milliarden DM mehr als 1982, davon die Hälfte für zusätzliche Subventionen in der Landwirtschaft. Was wir damals eingespart haben, Herr Stoltenberg, haben sie mittlerweile wieder draufgelegt. Also auch an dieser Stelle: Ziel verfehlt.
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Sie haben sogar - das ist besonders bedauerlich - Subventionen wieder eingeführt, die in der alten Koalition gestrichen worden sind. Ich meine die Steuerfreiheit für das Flugbenzin.
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Die sozialliberale Koalition hat die Mineralölsteuerbefreiung für Privat- und Hobbyflieger 1981 abgeschafft.
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Sie, Herr Stoltenberg, haben in diesem Sommer die Steuerfreiheit wieder eingeführt. Entgegen Ihren Versprechungen haben Sie diesen Flugbenzinskandal bis heute auch nicht wieder völlig aus der Welt geschafft. Sogenannte Lufttaxis - eine moderne WortschöpFrau Matthäus-Maier
fung -, mit denen man am Wochenende mal eben von München nach Sylt und zurück fliegen kann, tanken auch in Zukunft steuerfrei. Für die Taxifahrt ins Krankenhaus aber müssen ab Januar 1989 höhere Mineralölsteuern oder Kraftfahrzeugsteuern gezahlt werden.
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Auf Grund Ihrer sogenannten Gesundheitsreform müssen die Kranken diese Fahrten ins Krankenhaus demnächst im Normalfall sogar noch alleine tragen. Diese Ungerechtigkeit ist ein Skandal, und wir erlauben uns das zu behaupten, auch wenn der Kanzler hier tobt.
({11})
Viertens. Die Bundesregierung hat versprochen, die Steuern und Abgaben für die Bürger zu senken. Tatsache ist: Während Ihrer Regierungszeit ist die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer auf neue Rekordhöhen - trotz der Steuersenkungen - gestiegen. Die Lohnsteuerquote - das ist der Anteil der Lohnsteuer an der gesamten Bruttolohn- und Gehaltssumme - ist höher als je zuvor in 40 Jahren der Republik. Allein der Anstieg von 1982 bis 1989 bedeutet für jeden Arbeitnehmer im Durchschnitt eine Lohnsteuererhöhung von fast 1 000 DM.
Auch die Rentenversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge sind während der Amtszeit der Kohl-Koalition höher als je zuvor in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung. Zusätzlich werden die Bürger durch die Erhöhung der Verbrauchsteuern in Höhe von 10 Milliarden DM getroffen. Das ist übrigens die höchste Steuererhöhungsaktion in der Geschichte dieser Republik.
Die Zahlen zeigen: auch hier das Ziel verfehlt. Nie zuvor in der Geschichte der Republik hat eine Bundesregierung den Bürgern so tief in die Taschen gefaßt mit Steuern und Sozialabgaben wie diese Bundesregierung.
({12})
Fünftens. Vor der Wende haben Sie versprochen, die Investitionstätigkeit nachhaltig zu stärken. Das Gegenteil ist eingetreten. Die gesamtwirtschftliche Investitionsquote ist auf einen historischen Tiefstand gesunken. Auch beim Bundeshaushalt ist die Investitionsquote kontinuierlich zurückgegangen. Von 1982 mit 13,1 % wird sie nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung weiter fallen auf 11,5 %. Das ist die niedrigste Investitionsquote, Herr Weng, seit dem Beginn dieser Republik. Dieser Verfall der öffentlichen Investitionen ist eine schwere strukturelle Fehlentwicklung.
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Sechstens. Diese Bundesregierung ist angetreten mit dem Versprechen, Bürokratie abzubauen und das Steuersystem zu vereinfachen. Tatsache ist dagegen: Mehr Bürokratie und ein noch komplizierteres Steuersystem sind das Ergebnis Ihrer Politik. Nicht nur - ich weiß, da regen Sie sich immer auf, aber das sind schon wichtige Details - , daß die jetzige Regierung Kohl die teuerste aller Zeiten ist - zusätzlich zwei Minister und zehn Staatssekretäre -, nein, Sie schaffen jetzt sogar zusätzlich ein neues Amt: das Stoltenbergsche Quellensteueramt. Darauf haben die Bürger gewartet.
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Ein Amt, das zu nichts anderem da ist, als den Bürgern unberechtigt abgezogene Quellensteuer zurückzuzahlen! Das ist ja nur eine von vielen Macken Ihrer sogenannten Quellensteuer. Die Kleinen werden gebeutelt, und bei den Großen bleibt auch in Zukunft Steuerhinterziehung möglich. Und dann noch diese seltsame Amnestie für Steuerhinterzieher, die Millionen hinterzogen haben können! Unsere Alternative ist klar: Die SPD wird die ungerechte Quellensteuer wieder abschaffen.
({15})
Wir werden das Quellensteueramt wieder abschaffen.
({16})
Wir werden - hören Sie einmal zu - die Freibeträge bei der Steuer für den Normalsparer so anheben, daß Millionen Normalsparer bei den Zinserträgen Null Komma gar nichts mehr mit der Steuer zu tun haben.
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Eine echte Steuersenkung für den Normalsparer, wobei wir die großen Zinseinkünfte aber tatsächlich erfassen werden durch ein Mitteilungsverfahren nach Art der USA!
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Unser Konzept ist besser.
Allein diese sechs Beispiele zeigen, daß Ihre Haushalts- und Finanzpolitik im Widerspruch zu Ihren eigenen Ankündigungen und Versprechungen steht.
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Statt weniger Arbeitslosen mehr Arbeitslosigkeit, statt Abbau der Staatsverschuldung drastische Zunahme, statt Subventionsabbau mehr Subventionen als je zuvor, statt weniger Steuern höhere und höhere Sozialabgaben, statt mehr Investitionen die niedrigste Investitionsquote und statt weniger Bürokratie sogar noch ein neues Amt! Diese bitteren Wahrheiten zeigen, Herr Stoltenberg: Sie haben die selbstgesteckten Ziele nicht erreicht.
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Sie wissen, daß ich diese Liste erweitern könnte um Zahlen, was die Pleiten angeht, oder um die Zahl der auf Sozialhilfe Angewiesenen.
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- Die gehen Gott sei Dank zurück. Da freuen wir uns. Aber sechs Jahre lang waren sie drastisch höher als zu Zeiten von Helmut Schmidt.
({22})
Nein, meine Damen und Herren, Sie haben Wunder versprochen und Flops produziert.
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Nun ein Wort zur FDP! Die Wende von Graf Lambsdorff ist eben bis auf die Umverteilung von unten nach oben
({24})
in der Frage der Wirtschafts- und Finanzpolitik gründlich danebengegangen. Graf Lambsdorff wollte dies gestern dadurch vertuschen oder verstecken, daß er gesagt hat, man habe sich die Meßlatte so hoch gesetzt, also so ehrgeizige Ziele gesteckt, daß man ein bißchen zu kurz gesprungen sei. Aber das ist leider nicht einmal die halbe Wahrheit. Sie sind nicht zu kurz gesprungen, Sie sind in die ganz verkehrte Richtung gesprungen.
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Sie sind weiter von den von Ihnen selbst propagierten Zielen entfernt als jede Bundesregierung vor Ihnen.
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Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu dem zweiten Maßstab. Das Urteil über den Bundeshaushalt fällt nicht besser aus, wenn man ihn daran mißt, ob er einen Beitrag zur Lösung unserer drängendsten Probleme für die Zukunft darstellt. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Umweltzerstörung sind die großen Herausforderungen unserer Zeit - egal, wer regiert.
({27})
Aber auf diese Herausforderungen gibt der Haushalt 1989 keine ausreichenden Antworten.
({28})
Die Strukturen dieses Bundeshaushalts sind falsch, die politischen Weichenstellungen, die er vornimmt, führen in die falsche Richtung. Das Verhältnis von Verschuldung, Investitionen und Subventionen stimmt nicht. Es ist ein Haushalt der verfehlten Subventionen, der Verschleuderung von Steuergeldern für unsinnige Großprojekte
({29})
und ein Haushalt der höchsten Verbrauchsteuererhöhung aller Zeiten.
Zusammengefaßt: Dies ist ein Haushalt von vorgestern und nicht einer für die Zukunft, meine Damen und Herren.
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Wenn wir Sozialdemokraten von der Arbeitslosigkeit und von der Umweltzerstörung sprechen, dann unterstellt der Bundeskanzler immer - so auch gestern - , wir malten ein Krisen- oder ein Elendsgemälde. Nein, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wissen: Wir sind ein reiches Land, und wir sind auch ein schönes Land. Das war bei Willy Brandt und bei Helmut Schmidt so, und das ist auch bei Helmut Kohl so. Aber im Unterschied zu Ihnen verschließen wir die Augen nicht davor, daß die Armut in diesem reichen Land wächst und daß in diesem schönen Land die Umweltzerstörung zunimmt.
({31})
Gerade weil wir den Reichtum dieses Landes und die Schönheit seiner Natur sichern wollen, müssen wir auf die schweren Fehlentwicklungen durch Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung hinweisen und vom Bundeshaushalt ein aktives Gegensteuern verlangen.
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Wir sind ein reiches Land, aber im Schatten eines wachsenden Wohlstandes wächst auch die Not. Ich will auf die Zahlen betreffend die Sozialhilfe nicht hinweisen. Aber wer miterlebt hat, wie in der Schule für das Kind eines Arbeitslosen gesammelt werden muß, damit es am Klassenausflug teilnehmen kann, weiß, was das Wort von der neuen Armut heute bedeutet. Wohlgemerkt, wir werfen Ihnen nicht vor, daß Sie die Arbeitslosigkeit nicht über Nacht beseitigt haben. Wir werfen Ihnen aber vor, daß Sie unseren Wohlstand nicht nutzen, um die Arbeitslosigkeit ernsthaft zu bekämpfen.
({33})
Und wir werfen Ihnen vor, daß Sie diese Situation seit sechs Jahren in der unausgesprochenen Hoffnung hinnehmen, die Menschen würden sich irgendwie schon an Arbeitslosigkeit gewöhnen.
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Wir werfen Ihnen auch vor, daß Ihre Politik die Arbeitslosenzahlen sogar noch erhöht. Sie schaffen den Vorruhestand ab, obwohl Sie ihn eigentlich verlängern müßten. Sie schränken die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein, obwohl eine Ausweitung dringend erforderlich wäre. Sie verschlechtern die Aus- und Fortbildungsbedingungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz, obwohl Ihnen alle - auch die Unternehmer - sagen: Wenn wir die Zukunft und die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft sichern wollen, dann brauchen wir nicht weniger, sondern mehr qualifiziert ausgebildete Arbeitnehmer.
({35})
Sie heben die Verbrauchsteuern drastisch an - um 10 Milliarden DM -, obwohl dies Gift für Konjunktur und Arbeitsmarkt ist. Dieser Zickzackkurs ist gegen jede wirtschaftspolitische Vernunft.
Ihre Verbrauchsteuererhöhungen unterscheiden sich grundlegend von unseren steuerpolitischen Vorstellungen.
({36})
Wir Sozialdemokraten fordern eine ökologische, d. h.
am Umweltschutz orientierte Weiterentwicklung unseres Steuersystems. Wir wollen den EnergieverFrau Matthäus-Maier
brauch als eine der Hauptursachen für die Umweltzerstörung auf marktwirtschaftliche Weise verringern.
({37})
- Herr Grünbeck, ich komme doch zu all dem; lassen Sie mich das bitte ausführen. - Das bedeutet höhere Energiesteuern. Wir wollen dieses Geld dem Bürger aber zurückgeben, und zwar durch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer sowie durch eine Förderung von Umweltschutz- und Energieeinsparinvestitionen.
({38})
Dabei ist selbstverständlich, daß es für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, insbesondere für Rentner, einen Ausgleich geben wird.
({39})
- Herr Grünbeck, ich zitiere jetzt CDU-Leute; aber Sie kommen auch noch auf den Dampfer. - Ich freue mich, daß Herr Biedenkopf und Frau Breuel von der CDU mittlerweile ähnliche Vorschläge machen. Es ist meine feste Überzeugung: Wer auch immer hier in Bonn regiert, wird wegen der drängenden Probleme an einer solchen Umorientierung des Steuersystems nicht vorbeikommen.
({40})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Grünbeck, Frau Kollegin? - Herr Kollege Grünbeck, bitte.
Frau Kollegin, Sie verurteilen die Verbrauchsteuern. Sind für Sie Energiesteuern keine Verbrauchsteuern?
({0})
Ja, selbstverständlich, aber ich habe doch gerade gesagt -- Sie geben mir das Stichwort, Herr Grünbeck - : Ihre Verbrauchsteuererhöhungen 1989 haben mit einer umweltgerechten Weiterentwicklung des Steuersystems Null Komma nichts zu tun. Sie finanzieren mit Ihren Verbrauchsteuerhöhungen 1989 Ihre höchst ungerechte Steuersenkung 1990 vor, 10 Milliarden DM!
({0})
Die Masse der Verbraucher bezahlt die Steuergeschenke für Spitzenverdiener. Ihre Steuerpolitik ist unsozial, sie ist ökonomisch unvernünftig und ohne jedes ökologische Konzept. Deswegen fordern wir Sie, Herr Grünbeck, deswegen fordern wir Sie alle auf: Lassen Sie diese Verbrauchsteuererhöhungen 1989.
({1})
Ein Bundeshaushalt mit Zukunftsperspektive müßte endlich energisch darangehen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern und dadurch gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Meine Damen und Herren, wir müssen doch folgendes feststellen:
Erstens. Wir haben eine Fülle privater und öffentlicher Arbeiten zu erledigen wie Kläranlagen, Abwasseranlagen, Energieeinsparung.
Zweitens. Es gibt einschließlich der sogenannten stillen Reserve mindestens 3 Millionen Menschen, die gern arbeiten möchten, aber nicht dürfen.
Und drittens. Die Arbeitslosigkeit kostet im Jahr etwa 60 Milliarden DM an Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe und Steuer- und Sozialabgabenausfällen.
Wir Sozialdemokraten halten das für einen unerträglichen Zustand, und wir sagen: Man muß doch diese drei Elemente zusammenkriegen können, nämlich die Arbeit, die erledigt werden muß, die Menschen, die gern die Arbeit erledigen möchten, und drittens, statt die Menschen für Arbeitslosigkeit zu bezahlen, die Mittel dafür einsetzen, daß sie sinnvolle Arbeit erledigen.
({2})
Das ist die Grundidee unserer Initiative „Arbeit und Umwelt". Wir wollen etwas zur Verbesserung der Umwelt tun und gleichzeitig damit einen wesentlichen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.
Für dieses zukunftsorientierte Rezept gibt es ja in der Vergangenheit ein Beispiel. Wir hatten in den 50er Jahren Wohnungsnot. Adenauer hat damals nicht gesagt: Der Markt wird das schon leisten, sondern in einer großen gemeinsamen Anstrengung von Regierung, Parlament, Gewerkschaften und Unternehmen, Kirchen und Gesellschaft wurde mehr für den Wohnungsbau getan, und das Ergebnis war mehr Wohnungen und mehr Arbeitslose in Arbeit und Brot. Derjenige, der sich so gern Enkel Adenauers nennt, sollte in dieser Frage einmal bei Adenauer nachgucken.
({3})
Für Investitionen in mehr Arbeitsplätze und in mehr Umweltschutz wäre im übrigen auch eine begrenzte Kreditaufnahme vertretbar. Leider haben die Unionsparteien durch ihre Kampagne unter dem Stichwort „Staatsbankrott" gegen die Regierung Schmidt eine rationale Diskussion über Staatsverschuldung sehr erschwert.
({4})
Und Sie, Herr Stoltenberg, haben unter dem Motto „schwarze Schulden" : gute Schulden, „rote Schulden" : schlechte Schulden unsere Kreditaufnahme verteufelt und Ihre zu rechtfertigen versucht. Dabei geht es doch auch anders. Sie haben 1986 in einem Vortrag in Düsseldorf gesagt:
Es ist unbestritten, daß staatliche Kreditaufnahme dann begründet sein kann, wenn sie der Finanzierung öffentlicher Investitionen dient, deren langfristiger Nutzen für die Gesellschaft außer Zweifel steht.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Insbesondere Investitionen, die in Zukunft volkswirtschaftliche Kosten vermeiden oder neue Wachstums- und Beschäftigungschancen eröffnen, sind volkswirtschaftlich rentabel und können über Nettokreditaufnahme finanziert werden.
({5})
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So, wie eine Familie, die ein Eigenheim baut, das sie in der Regel nicht bar bezahlt, sondern durch Kredite, die sie dann über 20, 30 Jahre abbezahlt oder auch wie die meisten Unternehmen den Bau einer neuen Lagerhalle oder den Kauf einer neuen Maschine in der Regel durch Kreditaufnahme finanzieren, kann dies auch der Staat, z. B. beim Bau einer Kläranlage oder Abwasseranlage, über Kredite, denn diese Investition nutzt ja auch den nachfolgenden Generationen. Ich sage Ihnen deshalb, Herr Stoltenberg: Kredite für zusätzliche Arbeit und für mehr Umweltschutz durch private und öffentliche Investitionen ja, aber was Sie da machen, Verschuldung für Steuergeschenke an Spitzenverdiener, für milliardenschwere Subventionen, nein.
({6}) Und, Herr Grünbeck:
({7})
Steuersenkungen und Subventionen auf Pump haben wir nicht gemacht,
({8})
das geht auf Ihre Verantwortung.
({9})
Es gibt ja Geld im Bundeshaushalt, das man durch Umschichtungen freibekommen kann. Einige Zahlen:
Der Haushalt des Verteidigungsministers umfaßt 1989 Ausgaben in Höhe von 53,3 Milliarden DM. Der Haushalt des Umweltministers umfaßt dagegen nur Ausgaben in Höhe von 541 Millionen DM,
({10})
obwohl ich weiß, daß auch in anderen Haushalten etwas hierzu Einschlägiges existiert. Aber diese beiden Zahlen sind klar. Der Umwelthaushalt beträgt gerade 1 % des Verteidigungshaushalts. Allein der „Jäger 90" kostet mehr, als Herr Töpfer in seinem ganzen Haushalt zur Verfügung hat.
({11})
Deswegen sagen wir, da die Kosten des „Jäger 90" in Zigmilliarden gehen werden: Stoppen Sie den Jäger 90 jetzt. Jetzt ist der Schaden gering; später ist er schlimm.
({12})
Ein höherer Beitrag zur Bekämpfung der Umweltzerstörung ist mindestens so wichtig für die Zukunft unserer Kinder wie die Verteidigungsausgaben. Deswegen beantragt die SPD hier beim Haushalt eine Kürzung der Verteidigungsausgaben um 1,8 Milliarden DM, um davon rund 800 Millionen DM in ein Programm „Rettet die Nordsee" zur Säuberung von Flüssen und Gewässern zu stecken. Die verbleibende Milliarde DM wollen wir einbringen in ein Zukunftsprogramm Dritte Welt zur Bekämpfung des Hungers und der Not in den Entwicklungsländern. Verschwendung von Geld für Rüstung ist überall, in West und Ost und Süd, der Hauptgrund für Armut und Unterentwicklung. Herr Bundesfinanzminister, wer sich einer solchen maßvollen Umschichtung aus dem Verteidigungshaushalt in den Entwicklungshaushalt widersetzt, der ist an der Vergangenheit orientiert und nicht an der Zukunft.
({13})
Und wo, Herr Bundesfinanzminister, bleibt das von Ihrem Bildungsminister angekündigte sogenannte Überlastprogramm für die Hochschulen?
({14})
Im Wintersemester besuchen 1,5 Millionen junge Menschen eine Hochschule, und die Hochschulen können jetzt schon ihren Verpflichtungen zu Forschung und Lehre kaum noch nachkommen. Jeder weiß: Wer auf die Zukunft unserer Kinder und die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft setzt, spart bei Bildungsinvestitionen an der falschen Stelle. Deswegen fordern wir Sie auf, zuzustimmen.
({15})
In der Energiepolitik wird besonders deutlich, daß Sie in der Vergangenheit verharren und nicht nach vorne schauen. Immer noch finanzieren Sie mit über 100 Millionen DM im Jahr den Schnellen Brüter in Kalkar, obwohl aus dem vielgepriesenen Phönix längst, wie Otto Graf Lambsdorff sagt, ein toter Vogel geworden ist.
({16})
Gleichzeitig haben Sie das überaus wirksame Heizenergiesparprogramm der sozialliberalen Koalition ersatzlos auslaufen lassen und die Steuervergünstigungen für Verbesserungen an den Heizungsanlagen der Privaten nicht verlängert. Selbst in der CDU/CSU-Fraktion kriegen Sie doch Krach, Herr Stoltenberg, weil Sie zu wenig für regenerative Energiequellen mit der makabren Begründung tun, die sollten sich gefälligst am Markt mit anderen Energieträgern behaupten. Dies ist nun wirklich zynisch. Jedermann weiß, daß die Kernenergie im freien Wettbewerb am Markt nicht die geringste Chance gehabt hätte und sich nur mit massivster Hilfe behaupten konnte.
({17})
Im Dezember 1978 haben einige meiner Freunde und ich im Deutschen Bundestag die Frage gestellt: Wie teuer muß eine Ruine eigentlich werden, bis man endlich den politischen Mut hat, sie stillzulegen? Mehr als 3 Milliarden DM hat der Schnelle Brüter den Bundeshaushalt bisher schon gekostet. Damit nicht noch mehr Geld verschleudert wird, muß die Konsequenz jetzt endlich heißen: Schluß mit dem Schnellen Brüter in Kalkar. Das ist nicht Rückschritt. Das ist Fortschritt. Wer heute bereit ist, in regenerative Energien zu investieren, wird morgen weltweit die Nummer eins in moderner Zukunftstechnologie sein.
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Bitte.
Erwarten Sie, daß Ihr ehemaliger Kollege Haussmann, der zukünftige Wirtschaftsminister, diesem Begehren, das Sie aus der Historie von 1978 zitieren, nachkommt?
Ich könnte ironisch antworten. Da ich ihm aber einen guten Start geben möchte und immer hoffe, daß sich Menschen an das halten, was sie vertreten haben, hoffe ich wirklich sehr, daß Bundeswirtschaftsminister Haussmann diesen Schnellen Brüter in den Mülleimer der Geschichte ablegt. Da gehört er nämlich hin.
({0})
Zu den Fehlentscheidungen Ihrer Finanzpolitik gehört auch, daß Sie die Förderung sinnvoller Investitionen streichen. Von den von Ihnen beschlossenen Maßnahmen - Herr Kollege, Sie gingen eben durch Zwischenruf darauf ein - für das Jahr 1990 in Höhe von 6,9 Milliarden DM ist allein die Hälfte aller Kürzungen bei Investitionen vorgesehen, über 3,5 Milliarden DM durch Streichung des Investitionszulagengesetzes, Auslaufen erhöhter Absetzungen für Energiesparmaßnahmen, Auslaufen erhöhter Absetzungen im Umweltschutz und der Sonderabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Aber wettbewerbsfähig sind wir doch nur dann, meine Damen und Herren, wenn wir unsere Wirtschaft modernisieren. Dazu brauchen wir Investitionen und nicht den Abbau von Investitionsförderung.
Seit dem Ende der sozialliberalen Koalition haben Sie die Förderung des Mittelstandes immer weiter zusammengestrichen. Die jetzige Bundesregierung predigt sonntags das Wort vom Mittelstand, aber montags hat sie sich als Regierung der Großkonzerne und Großbanken erwiesen.
({1})
Wenn sich Herr Bangemann laut Zeitungsmeldung nunmehr in einem Brief an Kanzleramtsminister Schäuble
({2})
besorg über die Kürzung von Haushaltsmitteln im Bereich des Mittelstandes äußert, dann kann man nur fragen: Wo war denn der Herr Bundeswirtschaftsminister, als es darum ging, die Kürzungen zu verhindern? Er war offensichtlich damit beschäftigt, zusammen mit Herrn Riedl die Subventionsmilliarden über den Tisch des Hauses an Daimler-Benz wegen der Fusion mit MBB zu schieben.
({3})
Das ist doch ein Schlag in das Gesicht der vielen kleinen und mittleren Unternehmen.
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Von einer solchen staatlichen Fürsorge, wie sie Daimler-Benz mit der Versicherung der Garantie für geänderte Wechselkurse bis zu 4,3 Milliarden DM bekommt, wagt ein Mittelständler nicht einmal zu träumen.
Hier möchte ich einmal Herrn Pieroth zitieren, den Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der CDU:
Es ist für den Mittelstand völlig unannehmbar, auf der einen Seite die Milliardensubventionierung der Daimler-MBB-Fusion hinnehmen zu sollen, während gleichzeitig die eigenen Förderprogramme gekürzt werden.
Diese Arbeitsteilung bei Ihnen kennen wir schon lange. Sie haben die Sozialausschüsse für die Arbeitnehmer und die Mittelstandsvereinigung für den Mittelstand. Wenn es aber ums Abstimmen geht, stimmen beide immer zu, zu Lasten der Arbeitnehmer und zu Lasten des Mittelstandes.
({5})
Eine Orientierung an der Zukunft vermissen wir in Ihrem Haushalt auch bei der Förderung der Familie mit Kindern. 1974 hatten alle Parteien im Bundestag gemeinsam beschlossen, die ungerechten Freibeträge bei der Steuer durch gleich hohes Kindergeld für alle zu ersetzen. Sie haben die ungerechten Kinderfreibeträge wieder eingeführt. Wir fordern Sie auf: Kehren Sie mit uns gemeinsam zu einem gerechten steuerlichen Familienlastenausgleich zurück. Unsere Forderung heißt: Dem Staat muß jedes Kind gleich lieb und auch gleich teuer sein. Damit kann man steuerliche Kinderfreibeträge überhaupt nicht vereinbaren.
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Wir fordern insbesondere, daß das Kindergeld für das erste und das zweite Kind angehoben wird. Kommen Sie mir bitte nicht mit dem Einwand, Herr Stoltenberg, dafür habe der Staat kein Geld. Er hat. Er muß nur den Mut haben, unser heutiges System des Familienlastenausgleichs zu reformieren. Der Staat fördert den Tatbestand der Ehe mit dem sogenannten Ehegattensplitting ganz massiv.
({7})
Die Kosten des Splittings belaufen sich auf über 30 Milliarden DM. Bis zu 19 561 DM Steuerersparnis jetzt und weit über 22 000 DM Steuerersparnis im Jahr 1990 gibt es allein dafür, daß ein Spitzenverdiener jemanden heiratet, der nicht erwerbstätig ist, ohne daß in dieser Ehe Kinder vorhanden sein müssen. Dieses Geld gibt es auch, wenn man am 31. Dezember des Jahres heiratet. Das sind 20 000 DM cash für das ganze Jahr. Eine Kassiererin bei HUMA in meinem Wahlkreis muß verdammt lange arbeiten, um 20 000 DM netto zu bekommen.
({8})
Wir Sozialdemokraten fordern eine Reform des Splittings zugunsten der Kinderfamilie.
({9})
Wir wollen das nicht abschaffen. Aber ich persönlich
meine, aus einem Topf von 30 Milliarden DM könnte
man 5 Milliarden DM herausnehmen und in den Kinderbereich übertragen.
({10})
Damit könnte man das Kindergeld beim ersten und zweiten Kind anheben.
({11})
Das wäre eine Reform des Splittings zugunsten der Familien mit Kindern.
Herr Ulf Fink von der CDA hat das in diesen Tagen sehr schön formuliert. Er hat gesagt, in Zukunft müsse man stärker von der Eheorientierung des Steuerrechts wegkommen und zu einer Honorierung der Erziehung und der Pflege bedürftiger Angehöriger gelangen. Ich gebe ihm ausdrücklich recht. Sie werden auf Dauer nicht daran vorbeikommen können, die Forderung von uns und auch von Herrn Fink anzunehmen.
In diesen Tagen ist viel vom Standort Bundesrepublik Deutschland und von einem angeblichen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit die Rede. Dabei wird von Teilen der Wirtschaft und auch von seiten der Bundesregierung eine Senkung der Unternehmenssteuern gefordert. Ich bitte alle, die sich in dieser Diskussion zu Wort melden, die Diskussion mit der gebotenen Seriosität zu führen. Warum?
Zum einen scheint mir ein Steuersystem, mit dem es unserer Wirtschaft gelingt, Jahr für Jahr Handelsbilanzüberschüsse von über 100 Milliarden DM zu erwirtschaften, im internationalen Wettbewerb nicht besonders wirtschaftsfeindlich zu sein.
Zum anderen besteht die Gefahr, daß der Produktionsstandort Bundesrepublik kaputtgeredet wird. Zu Recht schreibt die Zeitschrift „Capital" in ihrer November-Ausgabe unter der Überschrift „Rufmord durch Verbände": „Der Industriestandort Bundesrepublik wird mit windigen Methoden niedergemacht." Es ist zu begrüßen, daß der Bundeskanzler dazu gestern hier deutliche kritische Worte gefunden hat.
Wer den Standort Bundesrepublik nicht schlechtmachen will - und niemand kann das wollen, weder die Regierung noch die Opposition - , der sollte auch nicht länger die Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik mit der 70- % -Kampfparole diffamieren, die von praxisfernen Verbandsfunktionären erfunden wurde.
({12})
Diese Kampfparole ist falsch und wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger.
Wer wissen will, wie hoch die Unternehmen tatsächlich besteuert werden, muß nur einen Blick in den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Oktober werfen: Dort finden sich die Zahlen, an denen man ohne große Mühe ausrechnen kann, daß die Steuerbelastung der Unternehmensgewinne tatsächlich nicht einmal 20 Prozent beträgt.
Die Zahlen der Bundesbank zeigen auch, daß die Steuerbelastung der Unternehmen in den letzten Jahren ständig zurückgegangen ist.
Wer bei uns eine Senkung der Unternehmensbesteuerung fordert, muß erst einmal einen umfassenden und realistischen Vergleich der Steuerbelastung unserer Wirtschaft mit der ihrer Wettbewerber in den anderen Ländern vorlegen. Dabei müssen aber alle Elemente der Steuerbelastung einbezogen werden. Steuersätze sind nur ein Element der Steuerbelastung. Mindestens genauso entscheidend sind die Bemessungsgrundlagen, auf die diese Steuersätze angewendet werden.
Ich nenne ein Beispiel, weil viele das nicht verstehen. Wenn ein Unternehmen einen Gewinn von 1 000 DM hat und 70 % Steuern zahlen muß, sind das 700 DM. Aber wenn ich dem Unternehmen erlaube, von den 1 000 DM Gewinn 500 DM abzuschreiben, zahlt es die 70 % nur noch von 500 DM; das sind 350 DM, also 35 %. Sie sehen, wie wichtig die Bemessungsgrundlage ist. In einer seriösen Debatte muß man auf diese Fakten hinweisen.
Dann höre ich: Aber die USA! Dazu muß man wissen: In den USA ist der Körperschaftsteuersatz auf 36 % gesenkt worden. Ganz toll! Aber in der gleichen Gesetzgebung wurde eine Mehrbelastung der Unternehmen von 120 Milliarden Dollar beschlossen. Die Industrie in den USA war darüber nicht sehr glücklich. Sie hätte lieber die 120 Milliarden Dollar behalten und dafür einen höheren Steuersatz in Kauf genommen.
Oder nehmen Sie Österreich, das Sie immer erwähnen. Dort werden die Steuern gesenkt, aber die Abschreibungsbedingungen werden verschlechtert. Dasselbe gilt für Holland und Großbritannien. Mit die besten Abschreibungsmöglichkeiten der Welt, die es in Großbritannien gab, sind abgeschafft worden. Gemeinsam ist diesen „Reformen" , daß Investitionen steuerlich schlechtergestellt werden. Darin kann ich, ehrlich gesagt, keinen Sinn sehen.
Die degressive Abschreibung kostet uns 10 Milliarden DM im Jahr. Damit könnten wir die Spitzensteuersätze und Körperschaftsteuersätze drastisch senken. Aber wenn man die Unternehmer fragt, ob sie eine solche Umstrukturierung der Unternehmensbesteuerung wollen, dann bricht peinliches Schweigen aus. Das kann ich verstehen.
Das enthebt Sie und uns nicht der Pflicht, an einer zukunftsorientierten Reform der Unternehmensbesteuerung zu arbeiten. Wir Sozialdemokraten wollen eine Unternehmenssteuerreform für mehr Beschäftigung und für mehr Investitionen. Wir haben dafür eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt. Wir fordern die Einführung einer steuerfreien Investitionsrücklage für kleine und mittlere Unternehmen, und wir wollen die tatsächliche steuerliche Benachteiligung von Investitionen in Produktivkapital gegenüber risikolosen Finanzanlagen beseitigen.
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Wir werden uns aber an einem undifferenzierten Wettlauf um die Senkung der Spitzensteuer- und Körperschaftsteuersätze nicht beteiligen, und wir werden uns auch nicht daran beteiligen, unter dem Vorwand der Reform der Unternehmensbesteuerung einer weiteren Umverteilung von unten nach oben und einer weiteren Umverteilung von den Löhnen zu den Gewinnen das Wort zu reden.
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Ich fasse zusammen: Der Bundeshaushalt 1989 ist das Ergebnis einer überholten Finanzpolitik. Das ist ein Haushalt ohne Zukunftsperspektive für uns und unsere Kinder. Die Bundesregierung hat nicht die Kraft, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. Die Bundesregierung bleibt im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung untätig.
Falsche Strukturen, steigende Subventionen, sinkende Investitionen und drastische Verbrauchsteuererhöhungen sind die Kennzeichen dieses Bundeshaushalts. Mit dieser Finanzpolitik von vorgestern können wir die Probleme von heute und morgen nicht bewältigen.
Wir müssen mehr tun für Arbeit, für Umweltschutz und für die Familien mit Kindern. Deshalb brauchen wir endlich eine neue Finanzpolitik, eine Politik, mit der wir die Zukunft gewinnen können.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Weng.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Carstens hat mit seinem Dank all denen so ausführlich gedankt, denen gedankt werden mußte, daß ich mich dem nur anschließen und nichts hinzufügen kann. Dies mit einer Einschränkung: Er hat den drei Kollegen meiner Fraktion im Haushaltsausschuß namentlich gedankt. Ich bin leider nicht in der Lage, den 17 Kollegen der CDU/CSU im Haushaltsausschuß namentlich zu danken. Insofern, einer für alle: Manfred Carstens, vielen Dank für die Zusammenarbeit.
({0})
Meine Damen und Herren, die Beschlüsse der Koalition im Haushaltsausschuß, die heute die Grundlage der zweiten Lesung des Bundeshaushaltes für 1989 darstellen, liegen in der Kontinuität der Haushaltspolitik der vergangenen Jahre, auch wenn der erste Eindruck bei Ansicht der Zahlen dem zu widersprechen scheint. Das Ausgabenwachstum mit diesmal 5,4 % gegenüber dem Ansatz des Vorjahres ist auf eine Reihe von Sonderfaktoren zurückzuführen. Der Anstieg läge nur bei ca. 3 %, wenn wir nicht aus politischen Gründen z. B. eine erhebliche Erhöhung der Zuweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit ebenso wie die geplanten Strukturhilfen für Bundesländer in Kauf genommen hätten.
Hier wird dem aufmerksamen Beobachter der politischen Landschaft natürlich auch deutlich, daß die Bereitschaft der Koalition, Steuern zu senken und Geld in den Taschen der Bürger zu lassen, ihren Preis, ihren von uns politisch gewollten Preis hat. Die Haushalte aller Gebietskörperschaften müssen sich dieser Herausforderung stellen und im Bereich ihrer konsumtiven Ausgaben ebenso wie im Bereich ihrer Personalausgaben sparsam wirtschaften.
Daß uns diese Selbstbeschränkung von der Opposition nicht honoriert wird, darf uns nicht wundern. Wir selbst aber wissen, was wir hier leisten. Der wirtschaftliche Aufschwung des laufenden Jahres ebenso wie die positiven Prognosen für das kommende Jahr geben uns in unserer Politik recht.
Was wir von der Haushaltsseite des Bundes zur Verbesserung der Wirtschaftslage beitragen konnten, haben wir in den vergangenen fünf Jahren ebenso geleistet wie mit unserer Entscheidung für den Haushalt 1989.
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- Herr Kollege Esters, der Zwischenruf betrifft, wie Sie wissen, meine Person nicht. Ich kann mich natürlich nicht der Details der einzelnen Bundestagsdebatten aus der Zeit vor meiner Anwesenheit im Bundestag erinnern. Haben Sie deswegen Verständnis, wenn ich hier davon ausgehe, daß sich Haushälter immer bemüht haben. Aber die Ergebnisse waren damals eben nicht so gut. ({2})
Der Kollege Vogel hat gestern behauptet, im Haushalt seien keine beschäftigungsfördernden Elemente hinzugekommen; er hat sogar behauptet, der Haushalt 1989 sei beschäftigungsfeindlich. Das ist eine unrichtige Behauptung. Hierzu darf ich nur zwei von vielen möglichen Punkten feststellen.
Erstens. Das Strukturhilfeprogramm für die Bundesländer, das den Haushalt mit Ausgaben von 2,45 Milliarden DM belastet, ist ausdrücklich ein Programm, mit dem die Länder Investitionen - nach unserem erklärten Willen sogar Umweltinvestitionen - tätigen sollen. Ist das vielleicht nicht arbeitsmarktwirksam, meine Damen und Herren? Wird es vielleicht weniger arbeitsmarktwirksam, wenn einige Bundesländer, egal welcher Couleur, sich aus dieser Verantwortung möglicherweise davonstehlen? Unser Wunsch, unser Wille ist hier klar ausgedrückt.
({3})
Zweitens. Ein großer Posten auf der Ausgabenseite belastet den Bundeshaushalt, weil wir die Zuwendungen an die Bundesanstalt für Arbeit einschneidend erhöht haben. Diese Erhöhung hatte den einfachen Grund - das ist in der politischen Diskussion noch in guter Erinnerung - : Wir wollten eine Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vermeiden
({4})
und damit die ausufernden Lohnzusatzkosten abbremsen.
({5})
Solches, meine Damen und Herren von der SPD, sind die Voraussetzungen, die in der Wirtschaft Investitionsfreude wecken. Es sind diese Investitionen, die die augenblicklich gute Konjunktur ausmachen und begründen.
Natürlich ist unschwer zu erkennen, daß auch eine verbesserte Einnahmesituation unseren Spielraum erweitert hat. Aber Sie wissen auch, meine Damen und Herren, daß wir die Mehreinnahmen außer für unab7558
Dr. Weng ({6})
weisbare Mehrausgaben im wesentlichen zur Absenkung der Nettokreditaufnahme eingesetzt haben. Gerade mit Blick auf das laufende Jahr, in dem die Koalition aus den bekannten Gründen genötigt war
- Sie erinnern sich an die wirtschaftlichen Turbulenzen Ende 1987 - , die Nettokreditaufnahme um bis zu 10 Milliarden DM gegenüber der ursprünglichen Planung zu erhöhen, mußte das Signal gesetzt werden, daß wir es mit dem Schuldenabbau ernst meinen und daß wir uns künftig wieder im Rahmen der Finanzplanung bewegen wollen, mit all den Schwierigkeiten, die das machen wird.
Das fällt auch deswegen nicht leicht, weil die rücksichtslose Haushaltspolitik nach 1969 eine heute immer noch fortdauernde Belastung unseres seit 1983 soliden Haushaltens ist. Herr Kollege Esters, auch dies ist eine Antwort auf Ihren Zwischenruf vorhin. Leider hören Sie jetzt nicht mehr zu. Aber dieses Problem hat man ja immer, daß das Parlament von vielen offensichtlich nur so verstanden wird, daß man spricht, nicht aber auch so, daß man zuhören kann.
({7})
Personen sind ja auch Politik, manchmal mehr als Programme. Ich meine, mit der Übernahme der Kollegin Matthäus-Maier und ihrer Ernennung zur Finanzsprecherin macht die SPD ihre wesentliche Verantwortung für die Finanz- und Haushaltspolitik der sozialliberalen Koalition zusätzlich deutlich.
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- Frau Matthäus-Maier lacht, Herr Kollege Sieler; dann kann es so billig nicht gewesen sein.
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- Daß ich damals nicht da war, ist richtig, Frau Kollegin. Aber ich gebe dem, was Sie gemacht haben, eine Wertung. Immerhin haben Sie sich dazu offensichtlich fröhlich geäußert. Dann kann es ja so falsch nicht gewesen sein, sonst hätten Sie geweint.
Frau Matthäus-Maier hat in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" vom, wie ich glaube, vergangenen Montag gesagt, das, was von der Regierung und der Koalition in der Finanzpolitik veranstaltet werde, zeuge wahrlich nicht von besonderer Kompetenz. Sie hat hinzugefügt: „Das können wir auch. "
Wenn ich einmal unterstelle, daß das Zeitungsinterview richtig wiedergegeben ist, sage ich hier ganz klar: Der erste Satz ist falsch; denn das, was die Koalition tut, ist kompetent. Aber der zweite Satz ist entlarvend.
({10})
Die Sprecherin der Opposition erklärt also selbst, daß ihre Fraktion nichts bessermachen könne. Bisher galt immer, daß die Diskussion um den Bundeshaushalt die Stunde der Opposition sein sollte. Der SPD fehlt es
aber an echten Alternativen in wesentlichen Politikbereichen.
({11})
Deswegen zeichnen sich ihre Beiträge zur Haushaltspolitik, an der Frau Matthäus-Maier, weil sie dem Ausschuß nicht angehört, gar nicht beteiligt ist, durch rein destruktive Kritik oder durch Zwiespältigkeit aus.
Meine Damen und Herren, die Absage der üblichen Pressekonferenz der Opposition nach Abschluß der Haushaltsberatungen zeigt es doch deutlich: Die SPD hatte der Öffentlichkeit und der Presse am Folgetag nach Ende der Haushaltsberatungen nichts zu sagen.
({12})
Wir haben bei den Ausgabenüberlegungen für das kommende Jahr natürlich auch das Jahr 1990 und damit die Haushaltsberatungen des nächsten Jahres im Auge gehabt. Wir haben mit Blick auf den dann wirksam werdenden dritten Teil der großen Steuerreform und die schon heute sichtbar werdende erforderliche höhere Neuverschuldung auf eine ganze Menge einmaliger Ausgabenerhöhungen verzichtet, die 1989 vielleicht in bestimmten Politikbereichen ein großes Volumen bedeutet hätten, bei deren Kürzung für das Jahr 1990 das Wehgeschrei aber wieder ganz laut geworden wäre. Man muß ja der Opposition gerade bei der Qualität der politischen Auseinandersetzung, die wir hier gestern erlebt haben, nicht unbedingt eine offene Flanke bieten.
({13})
Allerdings hätte sich die gleiche SPD, meine Damen und Herren, die öffentlich gerne vom Dialog und möglicher Gemeinsamkeit predigt, hier aus einem möglichen Konsens ebensoschnell wieder verabschiedet, wie es in einer ganz anderen Frage geschieht. Auch hier hat man gestern, wenn man der Rede des Kollegen Vogel aufmerksam zugehört hat, etwas Einleuchtendes mitbekommen.
Meine Damen und Herren, die Frage des Anteils, den der Bundeshaushalt künftig zur Rentenversicherung beitragen soll, ist natürlich politisch nicht unstrittig. Es ist auch eine Entwicklung je nach Größe dieses Bundesanteils, die eine ganze Reihe von Fragen aufwerfen wird. Mit Blick auf den Dialog mit der SPD und auf die Bereitschaft, hier einen Konsens zu finden, haben wir uns bereit gefunden, für die Zukunft eine Bundesbeteiligung in einer Größenordnung von 20 anzusteuern.
({14})
Ich gebe zu, ich selbst habe schon bei diesem Beschluß damals Bedenken geäußert, ob sich die SPD zum gegebenen Zeitpunkt nicht aus den Finanzierungsvoraussetzungen hierfür verabschieden und diese dann nicht mittragen würde.
Dr. Weng ({15})
Nun hat aber gestern der Kollege Vogel hier mitgeteilt, in einem anderen Kernpunkt der Rentenreform, der objektiv leider erforderlichen Erhöhung der Altersgrenze, werde die SPD nicht zustimmen, solange es noch Arbeitslosigkeit in größerem Umfange gebe. Meine Damen und Herren, dies ist die Ankündigung des Ausstiegs aus der gemeinsamen Verantwortung. Denn wer die differenzierte Situation am Arbeitsmarkt kennt und sich diese vor Augen hält, weiß natürlich, daß hier eine nicht erfüllbare Forderung von seiten der SPD angekündigt worden ist.
({16})
Noch ein Wort zur Situation bei der Arbeitslosigkeit. Auch hierüber hat man ja Frau Matthäus-Maier gerade wieder lauthals einseitig klagen hören. Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß die Arbeitslosenzahl aus vielerlei Gründen immer noch zu hoch ist und daß sich dies durch Politik alleine in absehbarer Zeit nicht ändern kann. Jeder weiß dies. Die Tarifpartner müssen hier auch weiterhin Beiträge leisten - ich sage: noch stärkere Beitrage als seither - , um die Situation zu verbessern.
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Aber über die einschneidende Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt spricht die SPD nicht. Diese Verbesserung wird nicht allein in den Arbeitslosenzahlen deutlich, sondern sie wird in der Zahl der Beschäftigten deutlich. Hierzu hören wir nichts von seiten der Opposition.
Der Kollege Walther hat hier vor zwei Jahren - ich meine, mich so zu erinnern -, als wir die steigende Beschäftigtenzahl mit einer Größenordnung von damals 700 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik genannt haben, vehement widersprochen und behauptet, die Zahl stimme nicht. Er hat versucht, über dieses Ablehnen der Zahl den Eindruck zu erwecken, hier sei überhaupt keine Verbesserung vorhanden. Der Bundeskanzler hat gestern von im Moment schon 850 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen gesprochen. Ich unterstelle, daß das die Zahlen sind, die im Augenblick amtlich sind. Er hat darauf hingewiesen, daß wir bei der zu erwartenden Fortentwicklung im kommenden Jahr die Grenze von einer Million zusätzlicher Arbeitsplätze seit Beginn der Koalition aus CDU/CSU und FDP erwarten können. Meine Damen und Herren, auch das ist etwas, was die Situation am Arbeitsmarkt beleuchtet und was hier nicht verschwiegen werden darf.
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Lassen Sie mich noch einige wenige Positionen erwähnen, die im Laufe des Haushaltsverfahrens besonders diskutiert wurden und mir auch politisch bedeutsam erscheinen. Der Haushaltsausschuß hat die für die mögliche Fusion der Firma Daimler-Benz mit MBB erforderlichen Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Diese Gelder sind qualifiziert gesperrt, weil wir die Vertragsverhandlungen flankieren und das Ergebnis der Vertragsverhandlungen bewerten wollen. Sie wissen, daß die FDP die Aufhebung der
Sperre im Haushaltsausschuß von einer Reihe von Voraussetzungen abhängig macht.
({19})
- Herr Kollege Friedmann, ich danke für den Zwischenruf „Wir auch". Mir war nicht ganz klargeworden, ob Sie für die ganze Gruppe der CDU/CSU sprachen. Daß Sie in Ihrer persönlichen Auffassung bei dem lagen, was wir gesagt haben, ist mir klar. Aber diese kleine Unklarheit hat mich daran gehindert, das in meiner Rede so zu formulieren,
({20})
wie es durch Ihren Einwurf jetzt zum Ausdruck
kommt, daß dies auch Auffassung Ihrer Fraktion sei.
({21})
Zu diesen Voraussetzungen gehört u. a., daß es zu einem Verlustausgleich zwischen ziviler und nichtziviler Fertigung bei den künftig aus der Firma MBB entstehenden Firmen geht. Meine Damen und Herren, eines ist allerdings unklar geblieben, nämlich die Haltung der Opposition. Ich reduziere: Nicht die Haltung der GRÜNEN, die Haltung der SPD ist unklar geblieben. Die GRÜNEN haben ja eine ganz klare Haltung gegen alles, wie bei fast allen Dingen.
({22})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es mir auf die Redezeit tatsächlich nicht angerechnet wird.
Aber das wissen doch nun inzwischen alle.
Frau Präsidentin, nein. Mir hat ein kundiger Thebaner gesagt, es werde gesagt, daß es von der Redezeit nicht abgezogen werde, die Uhr aber trotzdem laufe.
Sogar bei dem, was Sie jetzt gesagt haben, war die Uhr schon gestoppt.
({0})
Herr Kollege Weng, stimmen Sie mir denn zu, daß zu dem, was Sie zum Komplex MBB/Mercedes vorgetragen haben, Graf Lambsdorff etwas ganz anderes gesagt hat?
Dann müssen Sie mir sagen, zu welchem Zeitpunkt.
({0})
Kleine Frage: Reden Sie jetzt weiter, Herr Kollege Weng?
Jawohl, Frau Präsidentin, ich war mit den Ausführungen zu diesem Thema noch gar nicht so weit.
Ich meine - das muß man hier klar sagen - , die Haltung der FDP in dieser Frage ist in der Zwischenzeit klar; sie ist klar durch eine ganze Zahl konkreter Äußerungen und durch Handeln sowohl im Plenum des Deutschen Bundestages wie auch im Haushaltsausschuß. Bei der SPD allerdings - das ist auch gestern bei der Rede des Kollegen Vogel wieder deutlich geworden - sagen führende Politiker - der Wirtschaftssprecher Roth z. B. auch -, sie seien gegen diese Fusion. Es gibt such im Gesamtbetriebsrat von Daimler-Benz eine Haltung dagegen; ich glaube, auch im Aufsichtsrat ist voll dagegen gestimmt worden.
({0})
Aber die SPD hat der Einstellung der Mittel im Haushaltsausschuß nicht widersprochen, und sie hat im Unterschied zu uns nicht gesagt, wovon sie die Aufhebung der Sperre abhängig machen würde und ob sie hier die Haltung der FDP und, wie Kollege Friedmann gerade sagt, die Haltung auch der CDU/CSU unterstützt oder ob sie diese Sperre gar unter ganz anderen Bedingungen aufheben würde. Es wäre etwas ganz Wichtiges, hier die Position der SPD zu hören, und die ist nicht klargestellt, meine Damen und Herren; das muß hier festgestellt werden.
({1})
- Das bedeutet nämlich, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß die Koalition öffentlich geprügelt wird, man sich selber aber die Hintertür gegebenenfalls offenläßt. Das ist in der öffentlichen Diskussion natürlich schön einfach. Wenn man die Dinge auf der anderen Seite mitträgt, setzt man sich dem Verdacht aus, andere Pläne zu haben - eine Verhaltensweise, die ich mit parlamentarisch erlaubten Ausdrücken nicht allgemein verständlich belegen kann.
({2})
Meine Damen und Herren, die öffentliche Aufmerksamkeit wurde im Laufe der Haushaltsberatungen auch auf die Quellensteuer und die hieraus resultierenden Notwendigkeiten gelenkt. Auch hier hat Frau Matthäus-Maier wieder ein gutes Beispiel für „solide SPD-Politik" geliefert, indem gesagt wurde, die SPD sei immer für eine viel höhere Quellensteuer gewesen.
({3})
Vor den daraus resultierenden Notwendigkeiten, nämlich den Bürgern, die nicht steuerpflichtig sind, die an der Quelle abgezogene Steuer wieder zu erstatten, verschließt man die Augen.
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Für das Amt, das jetzt eingerichtet werden muß, hatte der Finanzminister ursprünglich 120 neue Stellen vorgesehen, bei einem Gesamtvolumen von geplanten 400 Stellen. Der Haushaltsausschuß hat in seiner Entscheidung für nur 50 neue Stellen dem Rechnung getragen, was die Finanz- und die Haushaltspolitiker der Koaltionen beim Bundesfinanzminister erstritten haben, nämlich eine erhebliche Vereinf achung des Verfahrens bei den festverzinslichen Wertpapieren. Hieraus resultiert die Möglichkeit, den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten.
Meine Damen und Herren von der SPD, uns wäre es doch auch lieber gewesen, wenn die erforderlichen Abwicklungen problemlos von den Banken oder von den Finanzämtern übernommen worden wären. Soweit ich weiß, haben sich die Bundesländer dagegen geäußert und keine Bereitschaft gezeigt. In jedem Fall aber muß diese Steuer denjenigen erstattet werden, die nicht steuerpflichtig sind, Bürgern unseres Landes ebenso wie Bürgern anderer Länder. Dem tragen wir Rechnung, weil dies einfach eine rechtliche Voraussetzung ist.
Das von uns Erreichte, nämlich die Einschränkung auf eine möglichst kleine Bürokratie durch vernünftige Handhabungen bei den sogenannten Stückzinsen festverzinslicher Wertpapiere, ist begrüßenswert. Es ist ein wichtiger Erfolg der Parlamentarier in dem ganzen Verfahren, den ich hier ausdrücklich festhalten will.
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- Ich danke für das Stichwort, Herr Kollege Esters.
Im Bereich der Privatisierung nämlich sind für den kommenden Haushalt große Schritte ausgeblieben. Wenn der Kollege Vogel hier gestern beklagt hat, daß der Haushaltsausgleich durch Privatisierungseinnahmen erreicht werde, so war das die Konstruktion, mit der er seine Antiprivatisierungspassage beginnen wollte, aber es war nur eine Konstruktion; auch die zusätzliche Äußerung, daß die Privatisierung der Deutschen Pfandbriefanstalt den sozialen Wohnungsbau behindern würde, hat keinen realen Hintergrund. Aber die Privatisierung wird nach augenblicklicher Planung höchstens 300 Millionen DM und damit keine riesigen Finanzvolumina in den Haushalt einführen; schon gar nicht wird der Haushalt nur dadurch ausgeglichen.
Sie wissen vielleicht, daß wir bei der neben der Privatisierung der DePfA geplanten Privatisierung der DSL-Bank von FDP-Seite im Augenblick noch etwas gebremst haben, weil uns das Konzept im Moment ordnungspolitisch noch verbesserungsfähig erscheint.
Wir werden aber, unabhängig von den jetzt konkreten Plänen, das Thema Privatisierung im kommenden Jahr erneut beleben; denn Privatisierung als ordnungspolitisches Anliegen darf gerade da nicht aufhören, wo große Einnahmen für den Haushalt erzielt werden. Sie muß auch Beteiligungen und Dienstleistungen betreffen, deren Privatisierung kleine oder keine Geldbeträge für den Haushalt erbringt.
Insbesondere der Verkehrsminister ist hier im Rahmen des Konzepts der Bundesregierung noch erheblich im Rückstand. Aber auch Sie, Herr Finanzminister Stoltenberg, möchte ich heute noch einmal aufforDr. Weng ({6})
dern: Die Aussagen des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung zur Privatisierung betreffen eine fortzuschreibende Aufgabe. Diese Aufgabe ist nicht erledigt, sie muß vielmehr wieder in Angriff genommen werden.
Die Koalition hat - dies ist ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren - im Haushaltsausschuß beschlossen, dem Umweltminister folgende Möglichkeit einzuräumen: Im Bereich landwirtschaftlicher Flächenstillegungen sollen ökologisch besonders wertvolle Flächen an Flußufern zusätzlich bezuschußt werden können, um hierdurch ein Einsickern von Schadstoffen, insbesondere von dem zunehmenden Nitrat, in Flüsse zu bremsen.
Die Forderung an den Landwirtschaftsminister im Zusammenhang mit dieser Entscheidung ist natürlich, bei der EG möglichst darauf hinzuwirken, daß im Rahmen des EG-Flächenstillegungsprogramms eine solche ökologische Abstufung künftig möglich ist. Solange dies aber nicht möglich ist, ist dem Umweltminister mit diesem von uns gewünschten und von uns beschlossenen Programm ein wichtiges Instrument des Umweltschutzes in die Hand gegegeben.
({7})
Ein Weiteres: Erstmals geben wir dem Umweltminister auch die Möglichkeit, umweltschonende Pilotprojekte in der DDR finanziell zur fördern. Dies betrifft unsere Umwelt ja direkt und natürlich auch global, da in Nachbarländern unsere Vorstellungen von Umweltschutz noch nicht geteilt werden. Wir haben hier jedenfalls einen wichtigen umweltpolitischen Schritt nach vorne getan.
Erlauben Sie mir eine scherzhafte Bemerkung zum Schluß, meine Damen und Herren: Graf Lambsdorff, der heute früh leider nicht hiersein kann, hat gestern darauf hingewiesen, daß ein 40jähriges Jubiläum, z. B. das 40jährige Bestehen der Bundesrepublik, nicht zwangsläufig ein Jubiläumsdatum sein muß. Leider haben wir von seiner dahin gehenden Meinung vor den Haushaltsberatungen keine Kenntnis gehabt. Wir hätten sonst für die Feiern und Veranstaltungen die eingestellten Gelder gegebenenfalls einsparen können. Deswegen bleibt uns Haushältern heute hier nur die Möglichkeit, zu versprechen, daß wir verhindern, daß zur Feier des 41jährigen Bestehens der Bundesrepublik im Wahljahr 1990 zusätzliche Gelder ausgegeben werden.
({8})
Meine Damen und Herren, wegen der Kürze der Redezeit werde ich mich zu dem Komplex Subventionsabbau und Finanzhilfen heute mittag beim Etat des Wirtschaftsministers äußern, ich bitte um Verständnis. Ich sage hier: Im Rahmen der günstigen gesamtwirtschaftlichen Bedingungen und auf der Basis einiger wesentlicher Mehrausgaben, die politisch wünschenswert oder unabdingbar verursacht sind, hat die Koalition im Haushaltsausschuß das Mögliche geleistet. Deshalb steht meine Fraktion hinter der heute debattierten Empfehlung des Haushaltsausschusses und wird den hier aufgerufenen Einzelplänen zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist nicht mehr fern, wo Bundesbürgerinnen bei Versprechungen der Regierung Kohl angstvoll zusammenzucken. Das Versprechen von 1982, die Arbeitslosigkeit binnen eines Jahres um eine Million zu senken, führte zur höchsten Arbeitslosigkeit der bundesdeutschen Geschichte. Das Versprechen, die Staatsverschuldung abzubauen, führte zur höchsten Neuverschuldung, die es bei uns je gab. Das Versprechen, die größte Steuerentlastung aller Zeiten zu verwirklichen, entpuppte sich rasch als rigorose Umverteilung von unten nach oben, bei der für das einkommenschwache Drittel der Bevölkerung nur eine Mehrbelastung übrig bleibt.
({0})
Schuld daran sind nicht zuletzt die Steuererhöhungen und -neueinführungen, die die Bundesregierung ungeachtet aller Kritik aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ab 1. Januar 1989 plant, pikanterweise schon ein Jahr vor der gloriosen Steuersenkung.
Konzeptlosigkeit, politische Schlagseite, soziale Ungerechtigkeit und finanzpolitische Flickschusterei, all diese wohlvertrauten Markenzeichen der Steuerreform 1990 feiern fröhliche Urständ im aktuellen Steuererhöhungspaket. Wir warten jetzt nur noch darauf, daß die Bundesregierung diese Steuergesetze genauso aufwendig mit Vierfarbprospekten, Hochglanzbroschüren und Großanzeigen verkauft wie die Steuerreform 1990. Aber wir sind sicher: Die Bevölkerung wird auch so merken, wie ihr geschieht.
Meine Damen und Herren, ein Loblied auf die Finanz- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung wird uns Herr Stoltenberg heute wohl singen, mit Verweis auf niedrige Neuverschuldung und günstige Konjunkturentwicklung. Über die Ursachen der gesunkenen Neuverschuldung schweigt sich die Regierung lieber aus; kein Wunder, denn ihr Anteil daran ist denkbar gering: Bundesbankgewinn, Dollarkursentwicklung, höhere Verbrauchsteuern und geringere EG-Beiträge sind die Gründe dafür und nicht etwa ihre weise Finanzpolitik. Auch die Konjunkturentwicklung erlaubt dem Finanzminister lediglich, als Glücksritter auf einer Woge nach oben zu schwappen, wohl wissend, daß die Zukunft ihn unweigerlich wieder nach unten befördert.
Den dringenden Aufgaben, die die Gegenwart an diese Regierung stellt, wird der Haushalt 1989 in keiner Weise gerecht. Ökologischer Umbau der Produktion und soziale Umverteilung, das wäre angesagt und nicht die Verwaltung der Misere.
({1})
Die Regierung als Organ staatlicher Ordnungspolitik, als Organisatorin eines neuen gesellschaftlichen Konsenses zur Bewältigung der ökologischen und sozialen Krise, das ist das Gebot der Stunde, daran ist
der Haushalt zu messen und nicht an finanzpolitischer Erbsenzählerei.
Die Wachstumsstrategie, mit der diese Bundesregierung angetreten ist, ist nicht einmal in der Lage, die wichtigsten Probleme der Gegenwart zu lösen, geschweige denn die Probleme der Zukunft. Quantitatives Wachstum verschärft mit jedem Prozent die ökologische Krise dieses Wirtschaftssystems und wird zu seinem Kollaps führen, wenn es nicht schleunigst durch qualitatives Wachstum, durch gezielten Umbau ersetzt wird.
Ihre Freude, Herr Stoltenberg, über die gegenwärtige Konjunkturentwicklung zeigt nur, daß Sie über den Tellerrand traditioneller Konjunkturpolitik nicht hinausschauen, sondern gefangen bleiben im Käfig Ihrer Wachstumsideologie, die weder aus der ökologischen Krise noch aus der sozialen Misere der Massenarbeitslosigkeit einen Ausweg bieten kann.
Umweltkatastrophen in immer schnellerer Folge bürgen dafür, daß die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes, die Sie immer beschwören, unbrauchbar sind für die Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen. Die Realität, Herr Stoltenberg, bürgt vor allem für eines, für den Bankrott Ihrer Wirtschaftswachstumsideologie. Das hohe Lied des Wirtschaftswachstums klingt uns noch in den Ohren, ohne daß Sie die Kehrseite dieses Wachstums auch nur der Erwähnung für wert halten. Wirtschaftswachstum heißt nämlich zugleich auch das unüberschaubare Anwachsen von Lawinen an Schrott, an Industriemüll, an Chemiegiften und Luftschadstoffen. Selbst nach konservativen Schätzungen müssen jährlich 160 Milliarden DM aufgebracht werden, um ökologische Schäden zu beseitigen und zu verhindern. Was nützen 3 % Wachstum, wenn sie erkauft sind mit 6 % mehr Autos, die unsere Wälder vernichten, mit 12 % mehr Chemiegiften, die Gewässer und Boden zerstören? Daß ökologischer Umbau nötig ist, wird heute von niemandem mehr bestritten. Wie er zu organisieren und wie er zu finanzieren ist, das ist die offene Frage, auf die die Regierung eine Antwort schuldig bleibt.
Dabei geht es nicht nur um Reparatur, sondern auch um stoffliche Umstellung der Produktion auf eine naturverträgliche Grundlage. Zum Nulltarif wird es ökologischen Umbau für keine gesellschaftliche Gruppe geben. Die Verteilung der Kosten zwischen Produzenten, Verbrauchern und Staat, diese ordnungspolitische Maßnahme ist von der Regierung zu fordern, und zwar nicht aus buchhalterischen Gründen, sondern mit dem Ziel, einen neuen gesellschaftlichen Konsens für die Erhaltung der Lebensgrundlagen dieser Gesellschaft zu organisieren. Daß es derlei Instrumente bereits ansatzweise gibt, zeigt das Abwasserabgabengesetz, noch in der sozialliberalen Koalition verabschiedet. Bemessen nach dem Belastungsgrad der eingeleiteten Abwässer wird hier von industriellen Direkteinleitern und kommunalen Kläranlagen eine Abgabe eingefordert, aus deren Erlös die Umrüstung der Abwasserbehandlungsanlagen finanziert wird. Die kommunalen Kläranlagen leiten die Mehrkosten per Wassersatzung an die Bürgerinnen weiter, die nach Umfrageergebnissen auch durchaus bereit sind, zugunsten der Umwelt Mehrbelastungen in Kauf zu nehmen, wenn auch die industriellen Verursacher finanziell zur Kasse gebeten werden.
({2})
In der Höhe ist diese Abgabe zu niedrig, aber sie zeigt den Weg, auf dem es weitergehen kann.
Dagegen muten die Lösungsvorschläge zur Rettung von Nord- und Ostsee, die uns die Regierung anbietet, eher wie umweltpolitisches Kasperltheater an. Der Umweltminister fordert erst einmal recht sympathisch 20 Milliarden DM für ein Notprogramm, das aber bei näherem Hinsehen in erster Linie von den Kommunen, also von den Bürgerinnen, bezahlt werden soll. Statt die erforderlichen Mittel als Initialzündung zur Verfügung zu stellen oder wenigstens vorzuschießen, verweist die Regierung nach dem Sankt-FloriansPrinzip auf Kommunen, die ohnehin schon unter der finanziellen Last der Gewässerreinigung zusammenbrechen, und vertraut bei der Industrie auf das inzwischen schon berüchtigte Kooperationsprinzip, nach dem Motto: Es hat noch nie geklappt, also versuchen wir es nochmal.
({3})
Im Ergebnis hat die Regierung noch nicht einmal die interfraktionell vorgeschlagenen fünfmal 240 Millionen DM jährlich lockergemacht, die ohnehin nur die Zinskosten für die vorgesehenen Investitionen decken sollten. 20 Millionen DM bekommt Herr Töpfer. Mit einem Promille seiner ursprünglichen Forderung wird er von der eigenen Regierung zum umweltpolitischen Hanspampel deklassiert, der zwar fordern darf, aber mehr bitte auch nicht. Selbst die Töpferschen 20 Milliarden DM waren im Volumen noch tiefgestapelt, denn schon in naher Zukunft werden die Kommunen allein 50 Milliarden DM zur Restaurierung der Kanalsysteme auf den Tisch zu blättern haben. Das sind die finanziellen Kategorien, an die wir uns bei der Reparatur von Umweltschäden zu gewöhnen haben. Die Kosten des stofflichen Umbaus der Produktion kommen dann noch dazu, denn nur durch Beseitigung der Ursachen kann weitere exponentielle Steigerung von Reparaturkosten vermieden werden.
({4})
Als offene Frage bleibt: Wie soll das alles geregelt werden ohne klare und einschneidende ordnungspolitische Maßnahmen? Dringend erforderlich sind eine ökologische Steuerreform mit dem Ziel, den Verbrauch knapper Ressourcen einzuschränken und Produktion und Konsum naturunverträglicher Produkte zu verhindern, Abgaben in einer Höhe, die zum Umbau von Produktion und Landwirtschaft zwingen, Verbote überall dort, wo monetäre Steuerungsinstrumente gar nicht oder zu langsam greifen.
Zum Mißbrauch der ökologischen Krise zwecks prooder antikapitalistischer Rhetorik besteht keinerlei Anlaß. Sowohl der Hinweis auf die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes als auch die Ruhigstellung des Verbrauchergewissens mit Fingerzeig auf die industriellen Übeltäter werden den ökologischen Kollaps nicht verhindern, sondern ihn unvermeidlich herbeiführen. Die Lösung kann nur in der Organisation eines gesellschaftlichen Dreiklangs liegen: erstens Bereitstellung von Steuermitteln aus dem
Bundeshaushalt als Initialzündung eines ökologischen Umbaus; zweitens Heranziehung der Industrie als Hauptverursacher der Umweltzerstörung; drittens finanzielle Beteiligung von Bürgerinnen in angemessenem Rahmen. An dieser Aufgabe, die nichts weniger bedeutet als die Rettung der gemeinsamen Lebensgrundlage für Gegenwart und Zukunft, scheitert der Haushalt der Bundesregierung kläglich.
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Wie ernst es die Regierung mit umweltpolitischen Maßnahmen nimmt, zeigt nicht zuletzt der Gesetzentwurf zur Erhöhung der Verbrauchsteuern. Begründet wird die Erhöhung umweltpolitisch, obwohl die Sachverständigenanhörung im Finanzausschuß ein vernichtendes Ergebnis hatte. Die vorgesehenen Anhebungen seien viel zu gering, um Verbrauchsänderungen zu bewirken. Die Auswahl gerade dieser Energieträger sei nicht überzeugend und im Falle Erdgas sogar umweltpolitischer Blödsinn. Alles völlig richtig.
Bleibt als Begründung für diese Steuererhöhung also nur übrig das Stopfen von Löchern im Staatssäkkel, die durch unverantwortliche Groß- und Rüstungsprojekte gerissen werden. Umweltpolitisch ist die Erhöhung der Verbrauchsteuern ein Flop, sozial eine weitere Verschärfung der bestehenden Steuerungerechtigkeit.
({6})
Zu fordern wäre von dieser Regierung nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Steuerreform zur Entlastung der lohnsteuerzahlenden Bevölkerungsmehrheit. Insbesondere ist seit langer Zeit überfällig eine spürbare Entlastung für Menschen, die Kinder großziehen. Doch der Blick auf die familienpolitische Realität nach der Steuerrreform ist mehr als ernüchternd. Fast 40 Milliarden DM steuerliche Mindereinnahmen wegen Ehegattensplitting nimmt der Staat jährlich in Kauf, um - wie es heißt - Familien steuerlich zu entlasten.
Nun könnten auch wir uns an dieser generösen Haltung erfreuen, wenn es nicht einige kleine Haken an der ganzen schönen Geschichte gäbe. Erster Haken: Die steuerliche Entlastung steigt mit der Höhe des Einkommens. Die Steuerersparnis für verheiratete Spitzenverdiener beträgt bis zu 1 900 DM pro Monat, während sie für ein Durchschnittseinkommen 153 DM beträgt. Das ist unsozial.
({7})
Zweiter Haken: Der Splittingvorteil ist nur an den Familienstand verheiratet geknüpft. Kinder sind dazu nicht nötig. Sie werden nur durch Kindergeld und Kinderfreibeträge berücksichtigt.
({8})
Aber auch dort herrscht Ungerechtigkeit. Eine alleinstehende Verkäuferin erhält ab 1990 für ihr erstes Kind 54 DM Steuerersparnis, Spitzenverdiener kornmen auf 160 DM, natürlich zusätzlich zum Splittingvorteil.
Dritter Haken: In den vollen Genuß der Steuerersparnis kommen nur Ehepaare mit stark unterschiedlichem Einkommen. Sind die Gehälter von Mann und Frau gleich, ist die Steuerersparnis gleich Null. Da im wirklichen Leben doch wohl eher selten der Mann das niedrigere Einkommen hat, heißt das im Klartext: Am höchsten subventioniert wird die nicht erwerbstätige Ehefrau. Mit zunehmendem Einkommen der Frau sinkt auch die Subvention. Das spricht eine deutliche Sprache. Das heißt Begünstigung der Hausfrauenehe gegenüber Diskriminierung weiblicher Berufstätigkeit via Steuersystem.
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Fazit: Hier wird nicht nur Ehe mit Familie gleichgesetzt, sondern insbesondere die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vorausgesetzt und verfestigt. Die dringend erforderliche finanzielle Unterstützung eines Lebens mit Kindern fällt unter den Tisch zugunsten der Verfestigung des Familientypus Ehe. Hier fände sich also ein breites Betätigungsfeld für eine Familienpolitik, die Kinder tatsächlich in den Mittelpunkt rücken will. Hier kann der Hebel ansetzen für eine Steuerreform der sozialen Umverteilung, die diesen Namen wirklich verdient. Hier finden sich fast 40 Milliarden DM, die gerechter an die Familie gebracht werden könnten, ohne daß es den Staat eine müde Mark mehr kosten würde. Doch davon ist die Regierung weit entfernt.
Die angebliche Kinderfreundlichkeit Ihrer Steuerreform entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Popanz, hinter dem die Verschärfung der bestehenden Steuerungerechtigkeit hervorgrinst. Die Benachteiligung Alleinerziehender wird beibehalten, die Ehesubventionierung wird ausgebaut, am Prinzip der Hausfrauenehe-Subventionierung ändert sich nichts, und die soziale Schere zwischen Spitzengehältern und Durchschnittsverdiensten klafft weiter auseinander. Selbst die Durchschnittswerte sind noch alarmierend. Kinderlose Ehepaare erreichen mit 215 DM pro Monat die Spitzenentlastung. Ehepaare mit einem Kind sparen nur 160 DM. Selbst Ehepaare mit zwei Kindern bleiben mit 175 DM monatlich unter der Entlastung von Paaren ohne Kinder. Das ist eine Steuerreform, die weder den Namen sozial noch das Attribut kinderfreundlich in irgendeiner Art und Weise verdient hat.
({10})
Statt dessen fordere ich radikalen Umbau des sogenannten Familienlastenausgleichs zu einem Kinderlastenausgleich, Streichung des Ehegattensplittings zugunsten eines doppelten Grundfreibetrages für Verheiratete, Verwendung der freiwerdenden Mittel für a) ein bedarfsorientiertes, altersgestaffeltes Kindergeld, b) ein Betreuungsgeld mit Lohnersatzfunktion, c) Beiträge an Rentenversicherung für betreuende Personen. All das ist möglich, und all das ist auch zu finanzieren. All das ist ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit für Menschen, die Kinder großziehen. Doch von einer solchen sozial wirkenden Umverteilung der Steuerlast ist diese Regierung so weit entfernt wie eh und je.
({11})
Doch nun zu einem weiteren Prüfstein dieses Bundeshaushalts: der Frauenpolitik. Immer selbstbewußter fordern Frauen in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ein. Diese Bewegung hat inzwischen alle gesellschaftlichen Schichten und alle politischen Lager ergriffen, sie umfaßt Hausfrauen genauso wie Erwerbstätige, und auch Männer haben längst begonnen, ihr Frauenbild und damit ihr eigenes Verhalten kritisch zu überprüfen und schließlich zu ändern.
({12})
Hier zeichnet sich also ein massiver Wandel im traditionellen Geschlechterverhältnis ab, ein neuer gesellschaftlicher Konsens, der zwar noch im Konflikt befangen ist, sich aber eindeutig in Richtung Anerkennung der emanzipatorischen Forderungen von Frauen entwickelt. Auch hier ist der Haushalt also daran zu messen, ob er diesen Aufbruch durch flankierende Maßnahmen finanziell absichert und fördert, denn Frauen wollen eine Änderung der Realität. Mit der Würdigung ihrer Wünsche in wohlklingenden Reden lassen sie sich nicht mehr abspeisen.
({13})
Eine neue frauenpolitische Initiative bietet der Bundeshaushalt nur in einem einzigen Punkt,
({14})
sogar in einem sehr wichtigen, in der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen, die ins Erwerbsleben
zurückkehren wollen. Handlungsbedarf besteht in
diesem Bereich tatsächlich genug. 320 000 Frauen kehren pro Jahr nach Kindererziehungs- oder Pflegephasen auf den Arbeitsmarkt zurück, ca. 2 Millionen planen ihre Rückkehr in den nächsten fünf Jahren. Diese Frauen sind auf grundlegende Qualifikationsmaßnahmen angewiesen, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt auch nur den Hauch einer Chance haben wollen. Daß Berufspausen eine Dequalifizierung mit sich bringen, wird von niemandem ernsthaft bezweifelt. Daß nach längeren Unterbrechungen selbst eine hochrangige Ausbildung nichts mehr wert ist, ist ebenfalls unbestritten. Die Streitfrage ist lediglich: Was darf es denn kosten? Bei der Antwort der Bundesregierung auf diese Gretchenfrage ist wie immer zu unterscheiden zwischen Worten und Taten.
Zuerst zu den Worten: Frau Süssmuth kündigt ein Modellprojekt für Berufsrückkehrerinnen an, Finanzvolumen angeblich 30 Millionen DM. Bereits erste Nachforschungen im Haushalt ergeben, daß lediglich 6 Millionen DM zwecks Beratung der rückkehrwilligen Frauen in ihrem eigenen Einzelplan dingfest zu machen sind. Darüber hinaus kündigt sie Lohnkostenzuschüsse bei Wiedereintritt ins Berufsleben via Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes an. Bezahlt werden sollen die dann von der Bundesanstalt für Arbeit. Soweit zu den Worten.
Doch gleichzeitig schreitet Herr Blüm zur Tat. Er kürzt die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit um 1,8 Milliarden DM und trägt damit die Qualifizierungsoffensive zu Grabe. Die positive Erwähnung von Berufsrückkehrerinnen im Arbeitsförderungsgesetz bleibt also ein verbaler Erfolg, dessen Umsetzung
daran scheitert, daß leider kein Geld zur Verfügung steht. Unter dem Strich bleibt für Frau Süssmuths Reform also weniger als früher. Eine wahrhaft überzeugende Regierungspolitik!
Hätte die Regierung wenigstens einen geringen Betrag, sagen wir: 150 Millionen DM, für diese Reform zur Verfügung gestellt, könnten wir sagen: Es ist angesichts des Notwendigen zuwenig, aber es ist ein Anfang gemacht. So aber müssen wir feststellen, daß die Berufsrückkehrerinnen in puncto Lohnkostenzuschüsse auf eine andere Regierung warten müssen, die bereit ist, Frauenpolitik nicht nur in Sonntagsreden abzufackeln, sondern auch Geld zur Verfügung zu stellen, damit sich im wirklichen Leben der Frauen auch tatsächlich etwas ändert.
({15})
Daß großzügige finanzielle Hilfen für die Rückkehr ins Erwerbsleben möglich sind, zeigt eine männliche Vergleichsgruppe: die Gruppe der Zeitsoldaten. Wenn sich ein junger Mann für zwei bis zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, dann wird ihm selbstverständlich nicht zugemutet, mit leeren Händen und Qualifikationsverlust auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Er bekommt eine generöse Abfindung, absolviert Vorbereitungskurse, wird umgeschult oder macht eine ganz neue Berufsausbildung bis hin zum Hochschulstudium, und all das finanziert aus Steuermitteln, die schweigend und klaglos zur Verfügung gestellt werden.
Aus frauenpolitischer Sicht ist dies nur ein Grund mehr, zu sagen: Schluß mit der falschen Bescheidenheit. All diese Rechte muß es für Frauen auch geben, denn Frauen brauchen Rechte statt leerer Versprechungen.
({16})
Ich fordere: Personen, die auf Grund von Kinderbetreuung oder Krankenpflege für begrenzte Zeit aus dem Erwerbsleben ausscheiden, müssen das Recht haben, mit mindestens der gleichen Qualifikation auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, mit der sie ihn verlassen haben. Dieses Recht soll sich nicht auf Frauen beschränken, denn auch Männer sollen die Möglichkeit haben, Berufspausen wegen Kindererziehung oder Krankenpflege einlegen zu können. Trotzdem ist diese Forderung eine frauenpolitische Notwendigkeit, denn gegenwärtig sind es ja immer noch Frauen, die massenhaft betroffen sind, und nicht Männer.
Kosten einer solchen Reform: ca. 1 Milliarde DM für den Anfang. Nur, diese Milliarde findet sich im Bundeshaushalt nicht. Was sich findet, sind Mittel für Informationsbroschüren und Plakate. Die sollte die zukünftige Frauenministerin ruhig drucken lassen, am besten mit der Forderung an die eigene Regierung, für Berufsrückkehrerinnen endlich Bares zu bewilligen; denn frauenpolitisch ist dieser Haushalt eine Nullnummer.
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Ein weiteres schlagendes Beispiel der Verweigerung gegenüber der gesellschaftlichen Forderung nach Gleichstellung der Frauen ist die Politik der Bundesregierung gegenüber Rentnerinnen. Frauen, die heute dafür büßen, daß sie ihre Familie versorgt
haben und gar nicht, wenig oder für Hungerlöhne erwerbstätig waren, werden mit 25 DM pro Kind abgespeist. Angesichts der Lebenswirklichkeit alter Frauen ist das nicht mehr als ein Trostpflästerchen.
Fazit: Weder auf seit langem bekannte Benachteiligungen von Frauen noch auf neue gesellschaftliche Entwicklungen im Emanzipationsprozeß reagiert diese Regierung mit umverteilenden oder flankierenden Maßnahmen. „Geht zurück in eure alten Schranken" : Das ist die „message" dieses Bundeshaushalts, die auf dem Wege der Verweigerung von Geld an die Frau gebracht werden soll. Doch damit, Herr Kohl und Herr Stoltenberg, wird es nichts werden, denn diese Uhr läßt sich nicht mehr zurückdrehen.
Zu den größten Fehlleistungen dieses Haushaltsplans gehört die Zusammenstreichung der Mittel für die Arbeitslosen. 1,8 Milliarden DM werden bei der Bundesanstalt für Arbeit eingespart; ca. 40 000 Arbeitsplätze fallen dieser Maßnahme zum Opfer.
({18})
- Ja, sicher, Arbeitsplätze. Sie müssen sich einmal anschauen, wie die Maßnahmen wirken, und müssen einmal anfangen zu rechnen. Dann wissen Sie aber Bescheid.
Den Jugendlichen wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Der letzte Rest aktiver Arbeitsmarktpolitik, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, fällt dem Rotstift zum Opfer. Die groß angekündigte Qualifizierungsoffensive bricht zusammen, all dies in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit neue Rekordhöhen erreicht hat. Selbst die Verfälschung der Arbeitslosenstatistik durch die achte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz konnte hieran nichts ändern. Seit dieser Novelle gelten nur diejenigen als Arbeitslose, die sich alle drei Monate beim Arbeitsamt wieder neu arbeitslos melden. Tun sie dies nicht, so fallen sie automatisch aus der Statistik heraus, und zwar mit spürbaren Folgen, z. B. für ihre spätere Rente. Betroffen davon sind ca. 900 000 Langzeitarbeitslose. Daß diese Menschen von der Kürzung ihrer Rentenansprüche oft nicht einmal etwas wissen, gehört zu den herausragendsten Glanzstücken regierungsseitiger Sozialpolitik in dieser Legislatur.
Die neunte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz setzt diese Tradition würdig fort. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft fordere ich deshalb hiermit ausdrücklich auf, sie konsequent abzulehnen und wenigstens dieses eine Mal die katholische Soziallehre höherzustellen als den Fraktionszwang.
({19})
Insgesamt betrachtet zeigt der Bundeshaushalt, daß diese Regierung sowohl angesichts der ökologischen als auch angesichts der sozialen Notwendigkeiten der Zeit versagt. Der Aufbruch der Bevölkerung zu einem neuen gesellschaftlichen Konsens wird von ihr nicht nur ignoriert, sondern auch behindert. Nur auf massiven Druck von unten sieht sie sich zur Bewegung gezwungen, aber selbst dann bewegt sie sich nur millimeterweise.
Daß die Hoffnung auf Neugestaltung der Lebensbedingungen an diesem Beton verzweifelt, kann niemanden wundern. Dazu Hans Magnus Enzensberger in einem Aufsatz mit dem schönen Titel „Mittelmaß und Wahn" :
Von allen Bereichen der westdeutschen Gesellschaft zeigt das Subsystem der institutionellen Politik die geringste Lernfähigkeit. Während die ökonomische ebenso wie die kulturelle Sphäre rasch, ja geradezu süchtig auf neue Reize reagiert, haben die politischen Großorganisationen, Parteien, Verbände und Gewerkschaften die Begriffsstutzigkeit zur ersten Pflicht erhoben. Als Faustregel kann gelten, daß der Groschen immer zuletzt in Bonn fällt.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
({20})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum siebten Mal können wir den Bundeshaushalt fristgerecht im Deutschen Bundestag verabschieden. Ich hebe das hervor, weil das in den 70er Jahren die Ausnahme war.
({0})
Eine gute Finanzpolitik beginnt auch damit, daß wir die im Gesetz vorgeschriebenen Fristen für die Verabschiedung einhalten.
({1})
Dies hat den Kolleginnen und Kollegen vor allem im Haushaltsausschuß sehr viel Arbeitslast zugemutet. Ich möchte mich deshalb dem Dank, der schon aus der Mitte des Hohen Hauses ausgesprochen wurde, auch für die Bundesregierung hier anschließen, dem Dank an alle Mitglieder des Haushaltsausschusses, vor allem seinen Vorsitzenden, Herrn Kollegen Walther, dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich möchte allerdings, weil wir auch über die Haushaltsbegleitgesetze entscheiden, diesen Dank vor allem auf die Kolleginnen und Kollegen des Finanz- und Steuerausschusses und den Kollegen Gattermann als dessen Vorsitzenden erweitern;
({2})
denn auch dort ist eine wichtige Arbeit in kurzer Zeit geleistet worden.
Die politischen Bewertungen fallen recht unterschiedlich aus. Das überrascht niemanden. Sie fallen - ich muß das zu der gestrigen Rede von Herrn Vogel und auch zu Ihrer, Frau Matthäus-Maier, sagen - zum Teil allerdings auch schablonenhaft aus. Denn niemand kann doch ernsthaft übersehen, daß sich zum Jahresende 1988 eine wesentlich günstigere wirtschafts- und finanzpolitische Bilanz ergibt, als das vor zwölf Monaten für möglich gehalten wurde.
({3})
Daran vorbeizureden, liebe Frau Kollegin, wie Sie das getan haben, oder das als ein Werk glücklicher Zufälle darzustellen - ich komme auf die Ölpreisthese von Herrn Vogel noch zurück - hat nun wirklich mit der Arbeit und mit den Entscheidungen des Parlaments und der Regierung überhaupt nichts mehr zu tun. Im Gegensatz zu dem vor einem Jahr weit verbreiteten und von der SPD ja genüßlich hier ausgekosteten Pessimismus ist dieses Jahr eines der besten seit Jahrzehnten geworden. In der Bewertung von Wachstum und Preisstabilität ist es das beste Jahr seit 1969.
({4})
Dynamisches Wachstum vor allem durch beachtlich verstärkte private Nachfrage bei niedrigeren Preissteigerungsraten, stark ansteigende öffentliche und private Investitionen - ich komme, Frau MatthäusMaier, auf Ihre erstaunlichen Bemerkungen über die „Investitionsschwäche" noch zurück - und entsprechend höhere Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden sind hierzu die wichtigsten Stichworte.
Natürlich - ich stimme in dem einen Punkt Frau Kollegin Rust zu - , muß man über die Struktur und die Qualität des Wachstums sorgfältig reden. Ich will das im Augenblick nur sehr kurz tun. Ich glaube, ohne damit weitere dringend notwendige Entscheidungen für die Umwelt zu übersehen, daß wir generell auch mit der Stärkung des Dienstleistungssektors in unserer Volkswirtschaft und modernen Produktionen von einem Trend zu umweltfreundlicherem Wachstum hin und der nachlassenden Rolle für die alten, umweltbelastenden Industrien reden können. Aber diese Feststellung enthebt uns nicht davon, der Notwendigkeit in der Umweltgesetzgebung, im Umweltschutz aktiv weiter voranzugehen.
Meine Damen und Herren, die Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden wird 1988 weniger als 60 Milliarden DM betragen, in diesem Jahr rund 2,5 % des Bruttosozialprodukts. Das ist eine zu hohe Neuverschuldung. Herr Kollege Carstens und Herr Kollege Weng haben daran erinnert, daß wir auf Grund der Sorgen über die konjunkturelle Entwicklung nach dem 19. Oktober letzten Jahres, dem Einbruch an den Aktien- und Devisenmärkten, auch bei einer zuversichtlicheren Einschätzung, die wir hatten, bewußt für ein Jahr eine höhere Neuverschuldung hingenommen haben. Aber in den letzten Regierungsjahren der SPD betrug sie nicht wie in diesem Jahr etwa 2,5 % des Bruttosozialprodukts, sondern bei Bund, Ländern und Gemeinden etwa 4,5 %, 1981 4,9 und 1982 4,3 %. Jeder, der uns weiterhin, wenn auch nicht mehr mit ganz so schrillen Tönen und ganz so falschen Zahlen wie im Frühjahr, als die „Schuldenmacher" darstellen will, sollte - z. B. als Sprecherin der SPD - nicht vergessen, mit welch erschreckenden Größenordnungen Sie sich einmal aus der Regierungsverantwortung verabschiedet haben, meine Damen und Herren.
({5})
Für 1989 rechnen wir - darüber bestand im Finanzplanungsrat letzte Woche zwischen den Vertretern des Bundes, der Länder und der Gemeinden ein ziemlich bemerkenswertes Einvernehmen - mit einer Größenordnung von nur noch 44 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden. Das wäre dann rund 2 % des Bruttosozialprodukts, der niedrigste Wert, gemessen an unserer volkswirtschaftlichen Leistung seit Beginn der 70er Jahre.
Ich finde nicht, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie diesen Tatsachen und Trends in Ihrer betont kritischen Rede, was als Sprecherin der Opposition Ihr gutes Recht ist, angemessen Rechnung getragen haben. Ich finde auch, wir sollten uns in einer - das habe ich bisher von allen so empfunden - ernstgemeinten finanzpolitischen Debatte über die zugrunde liegenden Probleme und Daten angemessen unterhalten.
Das heißt, 1989 wird mit höchster Wahrscheinlichkeit die Neuverschuldung des Bundes in absoluten Zahlen niedriger liegen als in den letzten Regierungsjahren der SPD. Im letzten Regierungsjahr, Frau Kollegin, hatte mein Vorgänger Matthöfer einen höheren Bundesbankgewinn, als wir ihn veranschlagen - nur weil Sie das hier noch einmal gegen uns gekehrt haben. Aber entscheidend ist, wenn wir ernsthaft über vertretbare Verschuldung und Grenzen der Neuverschuldung reden, ja immer die staatliche Verschuldung, gemessen an der volkswirtschaftlichen Leistung, am Bruttosozialprodukt. Wir haben nun einmal ein doppelt so hohes Bruttosozialprodukt gegenüber der Zeit, als Hans Apel hier noch die Bundesregierung und ihre Finanzpolitik zu vertreten hatte.
({6})
Um es etwas anschaulicher zu sagen: Wenn ein Mitbürger in seinem Berufsleben über eine lange Wegstrecke hinweg sein verfügbares Einkommen von 30 000 DM auf 60 000 DM im Jahr erhöht, ist natürlich die Möglichkeit der privaten Kreditaufnahme, die vertretbare Verschuldensfähigkeit beim Hausbau oder bei der Anschaffung langlebiger Wirtschaftsgüter für seinen Haushalt, anders zu beurteilen als zuvor. Das gilt natürlich auch für die Frage: Was ist an Neuverschuldung vertretbar? Deswegen sollte man mit absoluten Zahlen vom Beginn der 70er Jahre etwas vorsichtiger umgehen, als das heute der Fall war.
({7})
- Ich habe, Frau Kollegin, in der Tat einmal eine Perspektive entwickelt und gesagt, eine vollkommen befriedigende Situation für den Bund würden wir erst bei einer Größenordnung von etwa 20 Milliarden DM erreichen.
Ich mache keinen Hehl daraus: Die jetzt vorgesehenen rund 28 Milliarden DM sind eine entscheidende Verbesserung. Wir bekommen damit die Verschuldung des Bundes vor allem unter den Vorzeichen erheblicher Steuersenkungen wieder in eine tragbare Größenordnung. Aber ich vertrete weiterhin die Perspektive, daß wir mittelfristig in die Größenordnung von 20 Milliarden DM kommen sollten. Das wäre noch besser.
({8}) Diese Perspektive sollten wir uns offenhalten.
Meine Damen und Herren, die Zahl von 27,9 Milliarden für die Kreditermächtigung ist genannt. Wir
erreichen damit - die Kollegen Carstens und Weng haben das hervorgehoben - eine ganz erhebliche Verbesserung. Wir halten in der Größenordnung das ein, was wir uns in dem von Ihnen kritisierten Kabinettsbeschluß zu Anfang letzten Jahres vorgenommen haben. Nun ist die Perspektive noch etwas günstiger, wie Sie wissen.
Wir haben, was von Ihnen kritisiert wurde, entschieden - es ist auch der Vorschlag des Haushaltsausschusses jetzt im Haushaltsgesetz -, mögliche, über den Haushaltsansatz von 5 Milliarden DM hinausgehende Mehreinnahmen aus der Ablieferung des Gewinns der Deutschen Bundesbank sollen zur Tilgung alter Schulden verwendet werden.
Vor einem Jahr haben Sie uns heftig kritisiert, daß wir den raschen Abfall des Dollars Ende 1987 nicht rechtzeitig erkannt haben, übrigens mit der gesamten sachkundigen Öffentlichkeit. Heute kritisieren Sie uns, weil wir aus dieser Entwicklung die Konsequenz ziehen, den Bundesbankgewinn vorsichtiger zu verplanen. Ich empfinde das als einen schwer erträglichen Widerspruch, und zwar als derjenige, der von der Kritik des letzten Jahres hart getroffen war.
Es ist richtig, wenn wir den Bundesbankgewinn vorsichtig bemessen und sagen: Wenn er höher ausfällt, verwenden wir ihn zur Tilgung von Altschulden.
({9})
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können wir das im nächsten Jahr tun. Der Anstieg der Verschuldung wird, wenn das geschieht, deutlich unter den 27,9 Milliarden DM sein.
({10})
Das ist dann ein Schritt in Richtung auf die 20 Milliarden DM, die wir einmal als eine längerfristige Zielgröße formuliert haben.
Nein, meine Damen und Herren, alle Prophezeiungen über eine unkontrollierte Ausdehnung der Neuverschuldung des Bundes erweisen sich als unzutreffend. Manfred Carstens hat die Schreckensmeldungen, die Sie von der SPD bis in den Sommer dieses Jahres verbreitet haben, zitiert und in Erinnerung gerufen. Sie haben sich wie so vieles an Ihren negativen Prophezeiungen als falsch erwiesen. Das wird auch für einiges gelten, was wir heute und gestern von Ihnen gehört haben.
Im Verhältnis zur wirtschaftlichen Gesamtleistung, dem Bruttosozialprodukt, erreicht die Kreditaufnahme des Bundes in diesem Jahr voraussichtlich 1,7 %, im nächsten Jahr 1,3 %.
Bei wesentlich verbesserten Wirtschaftsdaten werden auch die Länder ihre Kreditaufnahme erheblich zurückführen können, voraussichtlich von 171/2 Milliarden DM in diesem Jahr auf 14 Milliarden DM im nächsten Jahr. Das ist ein Ausdruck einer bei den meisten Ländern stärker erkennbaren Bereitschaft, die Ausgaben wieder deutlicher zu begrenzen.
Meine Damen und Herren, die spürbare Verbesserung der Wachstumsdynamik dieses Jahres ist nach unserer Überzeugung auch ein Ergebnis unserer Finanzpolitik, auch der Konsolidierungspolitik vergangener Jahre, vor allem aber ein Ergebnis nachhaltiger
Senkung der Steuern auf Arbeit und unternehmerische Tätigkeit.
({11})
Ich beabsichtige nicht, die schlagwortartigen Verzeichnungen und Verdrehungen der sozialen Wirkung unserer Steuerreform, die wir sowohl von der SPD wie von den GRÜNEN heute wieder gehört haben, im einzelnen aufzunehmen.
({12})
Darüber haben wir diskutiert. Ich sage nur: Bereits von 1985 bis 1988 sind Steuerentlastungen mit einem jährlichen Volumen von 30 Milliarden DM wirksam geworden.
({13})
Das bedeutet erheblich verbesserte Bedingungen für arbeitsplatzschaffende Investitionen und zusätzliche private Kaufkraft vor allem der Arbeitnehmer. Diese Politik - sie spiegelt sich in zahlreichen Daten wider - hat Wachstum und private Nachfrage gefördert.
Sie hat übrigens nach vorübergehenden Einbrüchen jetzt auch positive Wirkung für das Steueraufkommen. Nach der letzten Steuerschätzung ergeben sich für Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr Mehreinnahmen von etwa 71/2 Milliarden DM und etwa 10 Milliarden DM in der Prognose für das nächste Jahr.
Ich sage das mit einer gewissen Genugtuung. Denn unser finanzpolitischer Kurs - sparsame Ausgabengestaltung einerseits und schrittweise wirksame Senkungen bei den direkten Steuern - ist von zwei entgegengesetzten Seiten ständiger Kritik ausgesetzt gewesen. Die einen behaupteten - vor allem in der sozialdemokratischen Opposition - , die niedrigere Steuerquote, die wir erreicht haben und weiter erreichen wollen, werde die Finanzgrundlagen der öffentlichen Haushalte gefährden - manche haben auch gesagt: zerstören; heute war es vorsichtiger. Die anderen, darunter vor allem auch Stimmen aus den Wirtschaftsverbänden, haben mit einer im Kern ernst zu nehmenden, aber weiterhin doch überzogenen Debatte über Standortprobleme der Bundesrepublik Deutschland verlangt, daß wir die Steuern viel massiver und schneller senken.
Vor allem Ende vorigen Jahres in der vor mir erwähnten Stimmung des Pessimismus haben wir geradezu verbale Eskalationen in beide Richtungen erlebt. Wenn wir dem Deutschen Gewerkschaftsbund gefolgt wären, hätten wir Investitionsprogramme in zweistelliger Milliardenhöhe kurzfristig beschlossen. Das hätte bei Bund, Ländern und Gemeinden zu einer entsprechend höheren Verschuldung geführt. Wenn wir den deutschen Unternehmerverbänden und manchen anderen gefolgt wären, hätten wir die Steuern, vor allem auf Unternehmen, sofort noch eimal um 10 bis 20 Milliarden DM jährlich gesenkt.
Ich sage mit großer Genugtuung: Es war richtig, daß wir diesen Appellen widerstanden haben und bei einer berechenbaren, verläßlichen Finanzpolitik geblieben sind.
({14})
Um dieses Gleichgewicht der Finanzpolitik, das natürlich in den einzelnen Elementen immer neu bestimmt werden muß, auch in wechselnden wirtschaftlichen Situationen zu erhalten, müssen wir die Begrenzung der Neuverschuldung mit einer Politik wirksamer Steuerentlastungen verbinden.
Der Versuch von Herrn Vogel, die Erfolge unserer Politik glücklichen Zufällen, etwa der Ölpreissenkung, allein oder im wesentlichen zuzuschreiben, ist verfehlt.
Ich habe mir noch einmal die Daten der Entwicklung der Ölpreise angesehen. Es ist richtig: Wir haben vor allem in den Jahren 1985 und 1986 eine ganz erhebliche Verringerung der Ölpreise und seitdem eine eher stabilere Entwicklung gehabt. Aber da muß einmal die Frage beantwortet werden, weshalb eine Reihe anderer Länder in Europa, die von dieser Entwicklung vergleichbar profitiert haben, wesentlich geringeres Wachstum und wesentlich höhere Preissteigerungsraten als wir haben. Das Bild ist ja sehr unterschiedlich. Schauen Sie sich die aktuellen Probleme, was Wachstum und Preissteigerung betrifft, in Schweden oder in Dänemark an oder die großen Probleme, mit denen andere westeuropäische Länder kämpfen.
Nein, entscheidend waren für diesen Erfolg eine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition und der Bundesregierung, eine Stabilitätspolitik der Bundesbank und ein erst in jüngster Zeit, wie ich glaube, beschäftigungsfreundlicheres Verhalten der Tarifpartner. Das sind die Voraussetzungen für den deutschen Erfolg, die wir erhalten und festigen müssen.
({15})
Zu den wirklich schlimmen Legenden, die im vorigen Jahr bis weit in dieses Jahr verbreitet wurden, gehört die Behauptung, unsere Steuersenkungspolitik gefährde die Finanzgrundlagen der Kommunen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Kommunen haben in diesem Jahr überraschend hohe Steuermehreinnahmen, vor allem durch die Gewerbesteuer. Die meisten Gemeinden haben sich erfreulicherweise vor allem bei den Investitionsausgaben - was ich anerkenne - auf diese Entwicklung eingestellt. Es bestätigt sich wieder, daß die ehrenamtlich gewählten Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung in der Regel viel vernünftiger als manche Spitzenfunktionäre sind, etwa die Oberbürgermeister Schmalstieg und Rommel, die diese Tatarenmeldungen zum Teil wider besseres Wissen verbreitet haben.
({16})
Wir haben nicht den Einbruch in die kommunalen Investitionen, den Sie im vorigen Jahr pausenlos verkündet haben. Wir haben in diesem Jahr eine Zunahme der kommunalen Sachinvestitionen um 5 bis 6 %. Das ist die Bilanz.
({17})
- Das will ich Ihnen genau sagen. Ich trage Ihnen die Zahlen gerne vor. Ich habe sie hier. Ich sage Ihnen das gern. Die kommunalen Investitionen sind von 1981 auf 1982 von 31,8 auf 27,5 Milliarden DM zurückgegangen. Das war der schwere Einbruch zum Schluß
Ihrer Regierungszeit auf Grund Ihrer kommunalunfreundlichen und falschen Wirtschaftspolitik, Herr Kollege.
({18})
Sie sind dann 1983 noch einmal geringfügig auf 24,9 Milliarden DM zurückgegangen.
({19})
- Ja, als wir an die Regierung kamen, waren die kommunalen Etats 1983 verabschiedet. Wir reden hier doch nicht unter Laienbrüdern.
({20})
Sie wissen doch ganz genau, daß das eine Umsteuerungszeit braucht, meine Damen und Herren.
({21})
1984 haben sie sich dann bei 24,3 Milliarden DM stabilisiert. Seitdem gehen sie von Jahr zu Jahr nach oben; 1984 war das Jahr der Trendwende. 18 Monate braucht eine neue Politik, um positive Wirkungen im Bereich von Investitionen und Wirtschaft zu haben - mindestens! Das war eine schnelle Trendwende. 25,5 Milliarden DM, 26,9 Milliarden DM, 27,5 Milliarden DM und 29 Milliarden DM ist jetzt der Anstieg. Für das nächste Jahr rechnen wir mit rund 30 Milliarden DM.
({22})
Das ist das Ergebnis einer guten, kommunalfreundlichen Politik, die wir hier verwirklicht haben.
({23})
Ich erkenne ja immerhin an, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie diesen Teil der Standardkritik der SPD heute nicht wiederholt haben; das möchte ich als einen Fortschritt anerkennen. Aber Sie haben noch nicht offen gesagt, daß die Vorhersagen falsch waren. Schauen Sie mal: In Ihrem letzten Regierungsjahr 1981 haben die Kommunen rund 10 Milliarden DM Kredite aufnehmen müssen. In diesem Jahr wird es noch 1 Milliarde DM sein - eine stolze Bilanz bei steigenden Investitionen für kommunalfreundliche Politik, meine Damen und Herren.
({24})
Ich muß auch sagen, daß eine kritische Überprüfung der Thesen der Opposition in einigen anderen Punkten notwendig ist.
Die grundlegende Verbesserung der wirtschaftlichen Daten in diesem Jahr wird kein einmaliger Erfolg bleiben, zurückzuführen etwa, wie Herr Vogel meinte, auf eine nicht wiederholbare Ölpreissenkung. Die entscheidend verbesserte Qualität des Wachstums begründet vielmehr die Erwartung stetiger wirtschaftlicher Expansion bis weit in die 90er Jahre hinein.
Denn Zuwachs beim Bruttosozialprodukt bedeutet heute nicht entsprechend höhere, zusätzliche Staatsausgaben, sondern bedeutet nach unserer Vorstellung vor allem - bei einer positiven Entwicklung auch der öffentlichen Investitionen - verstärkte private Investitionen, zunehmenden privaten Verbrauch
- natürlich nicht nur für eine privilegierte Minderheit, wie hier wieder behauptet wurde, sondern spürbar im Verbrauchsverhalten der breiten Schichten unseres Volkes - und expandierende Einfuhren wie Ausfuhren.
Bei anhaltend guten Unternehmenserträgen wurde die finanzielle Grundlage der Betriebe gefestigt. Das ist ja die Voraussetzung dafür, daß die Investitionen wieder so deutlich steigen. Die Eigenkapitalquote ist nach den Untersuchungen der Deutschen Bundesbank 1987 auf 19,5 % gestiegen. Das ist zwar noch keine berückend schöne Zahl, aber der Trend stimmt wieder; wir müssen das stärken. Insgesamt können die deutschen Unternehmen ihre Investitionsfinanzierung heute wieder ganz überwiegend aus eigenen Mitteln bestreiten.
Da gibt es sehr interessante Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Erträgen, Investitionen und Arbeitsplätzen. Frau Matthäus-Maier, weil Sie da ein ganz anderes Bild gezeichnet haben, will ich doch einmal hervorheben: Seit 1982 sind die entscheidenden Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen im Durchschnitt jährlich immerhin um 4,8 %
- real, preisbereinigt - gestiegen. In diesem Jahr wird der Zuwachs, wie die Sachverständigen meinen, sogar rund 6,5 % sein. Das ist doch eine entscheidende Voraussetzung für die Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit
({25})
und damit auch für die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Schauen Sie: Wenn wir in diesem Herbst die höchste Kapazitätsauslastung seit 1973 erreicht haben
- aber ohne Inflation; damals hatten wir hohe Inflation - , nimmt auch die Zahl der Erweiterungsinvestitionen wieder zu. Das ist die Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze, sichere Arbeitsplätze. Denn Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind zwar sinnvoll, aber es sind nicht dauerhafte und sichere Arbeitsplätze. Deswegen - die letzte amtliche Zahl ist 870 000 - ist es doch außerordentlich positiv, daß wir eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in dieser Größenordnung seit dem Tiefstand Ende 1983 erreicht haben. Wenn die Sachverständigen recht haben, werden wir im nächsten Jahr 1,1 Millionen Arbeitsplätze mehr haben als Ende 1983. Damit bleiben zwar die Arbeitslosenzahlen, damit bleiben die Strukturprobleme, über die hier gestern im Für und Wider auch sehr sachlich geredet wurde. Man kann doch nicht, wenn man über den Arbeitsmarkt redet, an dieser Zahl vorbeigehen. Man kann doch nicht behaupten, wie es die SPD in ihrem vorgelegten Entschließungsantrag tut, daß die wirtschaftliche Entwicklung am Arbeitsmarkt vorbeigehe. Das sind Ihre Standardphrasen in einem Dokument für den Deutschen Bundestag, die mit dieser Entwicklung überhaupt nichts zu tun haben.
({26})
Das gilt übrigens, Frau Matthäus-Maier, für eine Partei, in deren Regierungszeit - und nicht erst 1981/82 - die Zahl der Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft, vor allem auch im Mittelstand, erheblich zurückgegangen ist.
Wenn sich das bis 1980 nicht stärker in den Arbeitsmarktzahlen widergespiegelt hat, dann liegt das daran, daß während Ihrer Regierungszeit im öffentlichen Dienst über 1 Million neuer Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wir können das nicht fortsetzen. Das ist übrigens auch die Meinung der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und der sozialdemokratischen Finanzminister und -senatoren, daß die Vorstellungen über die Expansion des öffentlichen Dienstes nicht finanzierbar sind. Ich könnte Ihnen Ihre Parteifreunde aus den Ländern hier im einzelnen zitieren.
({27})
- Das haben Ihre Parteifreunde aus den Ländern, in denen Sie in der Opposition waren, in vielen Anträgen Anfang der 80er Jahre gefordert.
Nach dem in der letzten Woche veröffentlichten IfoInvestitionstest planen die Industrieunternehmen für 1989 eine weitere starke Ausdehnung ihrer Investitionen um 7 bis 8 %. Das gilt selbst für die Bauindustrie mit ihren schwierigen Anpassungsproblemen der letzten Jahre und jetzt einer gewissen Erleichterung. Dort wird ein Anstieg der Investitionsausgaben um 8 % erwartet.
Meine Damen und Herren, ich sage zu der Grundsatzauseinandersetzung der letzten Jahre, die wir hier oft geführt haben, zu Kernfragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Soziale Marktwirtschaft bewährt sich. Die Stärkung der Angebotsseite unserer Volkswirtschaft, die wir mit der Steuerpolitik nachhaltig gefördert haben, in Kombination mit einer stärkeren privaten Nachfrage hat jetzt Erfolge, die wir dauerhaft festigen, sichern und ausbauen müssen. Das ist unsere Aufgabe.
({28})
Ich will zu der Rede von Herrn Vogel von gestern sagen: Wer die Förderung günstiger Ertrags- und Investitionsbedingungen immer noch als Umverteilungspolitik zugunsten der sogenannten Besserverdienenden kritisiert, hat die entscheidenden wirtschaftspolitischen Aufgabenstellungen bis heute überhaupt nicht begriffen. Ohne wesentlich verbesserte Unternehmenserträge, vor allem - aber nicht nur - für unsere mittelständischen Betriebe, und ohne zusätzliche Investitionen hätten wir diese Fortschritte nicht, hätten wir keine Chance, die Arbeitsmarktlage - was notwendig ist - weiter deutlich zu verbessern und auch zu einem nachhaltigeren Rückgang der zu hohen Arbeitslosigkeit zu kommen. Es gibt keine andere Perspektive.
Die positive Zwischenbilanz zeigt, daß dieses Konzept im Kern richtig ist. Ohne diese Erfolge gäbe es für Aussiedler, die in diesem Jahr verstärkt zu uns kommen, kaum eine Chance, einen Arbeitsplatz zu erhalten.
Ohne diese Erfolge hätten wir auch die Jugendarbeitslosigkeit nicht entscheidend zurückgeführt. Der Bundeskanzler hat gestern die Zahlen genannt. Ohne sie wäre die jetzt eingetretene grundlegende Verbesserung der Ausbildungschancen junger Menschen nie
Wirklichkeit geworden. Ich glaube, das muß hier unterstrichen werden.
Im übrigen ist die von den Sozialdemokraten immer wieder vorgenommene Gleichsetzung von steigenden Vermögenseinkommen mit einem ausschließlichen Zugewinn der sogenannten Besserverdienenden eine grobe Verzeichnung der tatsächlichen Entwicklung. Es ist leider nichts weiter - das muß ich Ihnen leider sagen, auch zu der Art, wie Herr Vogel es getan hat - als eine subtilere Form der alten, primitiven Klassenkampfparolen, die nicht zu der guten Vergangenheit Ihrer Partei gehören.
({29})
Schauen wir uns die amtlichen Statistiken an. 48 To aller steigenden Vermögenseinkommen privater Haushalte flossen im letzten Jahr an Haushalte von Arbeitern, Angestellten und Beamten. Weitere 29 flossen an Haushalte von Rentnern und anderen Nichterwerbstätigen. Die große Mehrzahl des Vermögenszuwachses kommt den breiten Schichten unseres Volkes zugute. Das ist christlich-soziale Politik, das ist freiheitlich-liberale Politik. Das ist die Überzeugung dieser Koalition.
({30})
Sie sollten wirklich aufhören, mit fragwürdigen Rechenkunststücken die sozialen Wirkungen unserer Politik zu bezweifeln.
({31})
- Nein, Herr Kollege Jens, ich komme auf die Rede von Herrn Vogel zurück, die ja auch schriftlich verteilt ist.
Herr Vogel hat gestern die ungünstige Entwicklung der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen ab 1979 beklagt. Ich habe mir einmal die genauen Zahlen geben lassen. Diese zeigen nämlich, daß diese Methoden, die er hier anwendet - ich will mich ganz höflich ausdrücken - , nicht intellektuell redlich sind.
({32})
- Ich will das begründen. Erlauben Sie mir, die Kritik an Ihrem Fraktionsvorsitzenden zu begründen. Denn aus den statistischen Unterlagen ergibt sich folgendes: Die Nettorealeinkommen, d. h. die verfügbaren Einkommen, gerechnet in Preisen von 1980, je beschäftigten Arbeitnehmer waren in Ihren letzten Regierungsjahren von 1979 bis 1982 von 21 288 DM 1979 auf 20 467 DM 1982 rückläufig. Dann sind sie in unserer Regierungszeit trotz zurückhaltender Tarifabschlüsse mit einer Beschleunigung vor allem in den ersten Jahren von Jahr zu Jahr wieder auf 21 232 DM 1987 angestiegen.
Aber der entscheidende Faktor ist folgender: Die Preissteigerung für die Lebenshaltung betrug in Ihrem letzten Regierungsjahr 5,4 %; im Oktober dieses Jahres betrug sie jedoch 1,3 %. Das ist der soziale Fortschritt, der, seitdem wir regieren, steigende Arbeitnehmereinkommen und auch steigende Einkommen der Rentner ermöglicht.
({33})
Ich könnte, wenn meine Redezeit nicht langsam ein bißchen knapp würde, Ihnen etwa auch die Zahlen in bezug auf die Sozialhilfeempfänger vorlesen. Wir wollen deren schwierige Lage nicht bagatellisieren. Aber wer über die Sozialhilfeempfänger redet, muß einmal sagen - das hängt auch mit den steigenden Ausgaben der Kommunen zusammen - , daß der Regelsatz von 1982 bis 1988, also in unserer Regierungsverantwortung - allerdings von Bund und Ländern gemeinsam - , immerhin um 22 % , jährlich um 3,4 %, gestiegen ist, folglich über der Inflationsrate lag, während er in der SPD-Regierungszeit zuletzt zurückging.
Also, etwas weniger Pathos, etwas weniger ätzende Anklage gegen uns, wie wir sie gestern hörten, etwas mehr Genauigkeit und intellektuelle Redlichkeit würde der SPD gut anstehen, meine Damen und Herren.
({34})
Dann kann man nämlich alles fortsetzen, was ich hier sage.
({35})
- Herr Poß, ich mache es doch nach manchem, was Ihr Oppositionsführer gestern gesagt hat, relativ höflich. Sie brauchen mich jetzt gar nicht anzumachen. Ich weiß genau, wie ich hier rede. Ich habe meinen eigenen, unverwechselbaren Stil.
({36})
Ich würde Ihnen wirklich raten, die Rede des Herrn Vogel von gestern noch einmal nachzulesen und mit meiner heutigen zu vergleichen.
Wir sind, gestützt durch den Sachverständigenrat, der Überzeugung, daß wir auf Wachstumskurs bleiben. Wir werden im nächsten Jahr rund 2,5 %Wachstum haben. 1990 wird dann mit der Verwirklichung der dritten und umfassendsten Stufe der Steuerreform zusätzliches Wachstum ermöglicht.
Einige sagen, daß die für 1989 vorgesehene Verbrauchsteuererhöhung das Wachstum bedrohe. Auch bei Ihnen, Frau Kollegin, klang eine solche Einschätzung an. Es ist interessant, daß die Bundesbank gerade während der Gesetzgebungsberatungen eine ganz andere Beurteilung mit sehr viel Verständnis für diese Entscheidung gegeben hat. Das ist interessant und nicht alltäglich. Sie brauchen nur die heutige Veröffentlichung der Bundesbank, die Sie im Wirtschaftsteil der Zeitungen finden, einmal zu lesen, wo die Bundesbank - auch ich habe das getan, aber bisher ohne große Wirkung, jedenfalls bei der Opposition - schildert, in welchem Umfang die Einnahmen des Bundes bis 1992 durch unsere Entschlossenheit, die EG auszubauen und zu stärken, beansprucht werden, um auch zu erkennen, warum die Bundesbank Verständnis für diese Maßnahme hat.
Ich glaube nicht, daß die Befürchtungen mancher hier begründet sind. Wachstumsbeiträge der öffentlichen Haushalte lassen sich nicht aus höheren Finanzierungsdefiziten herleiten. Entscheidend ist vielmehr, daß das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Finanzpolitik gewahrt bleibt und vor allem die zentralen Reformaufgaben gelöst werden.
Die maßvolle Anhebung einiger Verbrauchsteuern ist aus drei Gründen erforderlich, meine Damen und Herren. Wir müssen eine Entwicklung korrigieren, bei der die Staatseinnahmen immer stärker auf der steuerlichen Belastung von Arbeit und unternehmerischer Tätigkeit beruhen. Das ist fast übereinstimmende Auffassung der gesamten deutschen Finanzwissenschaft, auch der internationalen Diskussion, aber es ist in diesem Hohen Hause der Opposition als Argument schwer zu vermitteln. Der Anteil dieser direkten Steuern für die arbeitenden Menschen und die unternehmerische Tätigkeit ist in den letzten 25 Jahren viel zu stark angestiegen, und die Steuern auf Verbrauch gingen in ihrem Gewicht entsprechend erheblich zurück. Wenn wir nämlich über die tieferen Ursachen für Hemmnisse, für mehr Beschäftigung oder auch über die tieferen Ursachen für Schwarzarbeit, die wir in diesem Hohen Haus sicher alle miteinander als eine der großen sozialen Gefahren unter dem Vorzeichen Entsolidarisierung empfinden, reden, kommen wir an dem Thema der zu hohen Belastung an direkten Steuern und - gesetzlich verpflichtenden - Sozialabgaben doch nicht vorbei, meine Damen und Herren.
({37})
Zweiter Punkt. Die Harmonisierung der indirekten Steuern in der Europäischen Gemeinschaft ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Binnenmarkts, übrigens auch für den Wegfall der Grenzkontrollen. Ohne Steuerharmonisierung gibt es keinen Wegfall der Grenzkontrollen, das muß man wissen, und sie ist ohne die maßvolle Anhebung einiger Sätze bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht erreichbar. Schließlich habe ich auf das Thema der wachsenden Beanspruchung unserer Einnahmen durch die aktive EG-Politik hingewiesen.
Ich komme nun zur kleinen Kapitalertragsteuer; dies sage ich zu Ihrem Beitrag, Frau Matthäus-Maier, über dieses Thema. Auch hier muß der Blick endlich einmal auf die europäische Diskussion geöffnet werden. Sie wissen - aber es wissen wenige in der Bundesrepublik Deutschland - , daß wir in den kommenden Monaten in Europa nicht nur über die Harmonisierung der indirekten Steuern reden, sondern auch über die Harmonisierung der Erfassung von Kapitaleinkünften. Das ist eine bindende Verpflichtung, eine rechtliche Verpflichtung, die die Kommission und alle Mitgliedstaaten bei der Verabschiedung der Richtlinie über die Liberalisierung des Kapitalverkehrs eingegangen sind.
({38})
- Ich möchte nur eine weitere Öffentlichkeit einmal darauf hinweisen. Ich hatte auch nicht den Eindruck, daß Sie diesem Sachverhalt bei Ihren Ausführungen voll Rechnung trugen.
({39})
Ich gehe davon aus, daß wir über eine Alternative
reden werden. Wir werden unter dem Vorzeichen
Harmonisierung der Erfassung von Kapitaleinkünften
- so ist meine Einschätzung; die Kommissionsvorschläge kommen in den nächsten Wochen - über das Thema einer generellen kleinen Kapitalertragsteuer in allen EG-Ländern und als Alternative über umfassende Kontrollmitteilungen reden. Hier will ich gleich einmal klarmachen, was Ihr Konzept, das Sie, Frau Kollegin, nur ganz vorsichtig angedeutet haben, bedeutet. Das Konzept der Kontrollmitteilungen heißt, daß die Zinsbewegungen auf den Sparkonten - wie in einzelnen anderen EG-Ländern geltendes Recht - direkt per Datenverarbeitung dem Finanzamt mitgeteilt werden. Das ist die Alternative. Ob das Ihren Vorstellungen über Privatsphäre, Respekt vor den Sparern und Vertrauen in den mündigen Bürger so voll entspricht, darüber werden Sie nun noch einmal zu reden haben, auch mit Ihren eigenen Wählern.
({40})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Huonker?
Aber gerne.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesfinanzminister, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es durchaus ein Verfahren gibt, das durch Stichproben eine ordnungsgemäße Versteuerung von Zinsen ohne die Nachteile, die Sie geäußert haben, sicherstellt, und wären Sie bereit, mit uns über ein solches Stichprobenverfahren gemeinsam nachzudenken?
Nein, Herr Kollege Huonker. Wir haben ja nun die Entscheidung für die kleine Kapitalertragsteuer getroffen, mit der Sicherung der privaten Sphäre des Sparers unter dem Vorzeichen des Bankgeheimnisses und der Ausnahme nur dann, wenn begründeter Verdacht auf ein Fehlverhalten besteht, und dabei bleiben wir auch.
({0})
- Ich möchte zunächst einmal die eine Frage beantworten, bevor die zweite kommt. - Es ist vorstellbar, daß wir in der EG darüber reden, daß sich jedes Land alternativ für einen der beiden Wege entscheiden kann.
({1})
Aber die Zeit, in der nicht gut beratene Berater von Kreditinstituten schlecht beratenen Kunden empfehlen, ihr Geld nach Luxemburg zu geben, weil man da angeblich keine kleine Kapitalertragsteuer zahlen müsse, wird durch die europäische Entwicklung sehr schnell zu Ende gehen, und das ist auch gut so.
({2})
Wir werden mit aller Kraft dafür eintreten, daß in der Wahlmöglichkeit für die Staaten eines der beiden hier skizzierten, noch näher auslegungs- und ausformulierungsfähigen Modelle für die Europäische Gemeinschaft verbindlich wird.
Nun kommen wir zu der nächsten Zwischenfrage.
Ja, bitte, Herr Kollege.
Bitte schön, Herr Dr. Wieczorek.
Herr Stoltenberg, würden Sie mir bitte die Frage beantworten, ob Sie beabsichtigen, bei den anstehenden Verhandlungen über das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA die bisherigen gegenseitigen Mitteilungen nicht mehr zuzulassen, da Sie einen solchen Horror vor derartigen Mitteilungen haben, wie Sie es soeben ausgeführt haben.
Nach meiner nicht exakten Kenntnis - ich muß mich sachkundig über die Details machen - sind diese Mitteilungen auf ganz wenige Fallgruppen eingeschränkt. Ich glaube, daß das, was dort mit den Vereinigten Staaten geregelt worden ist, nicht zu meiner Amtszeit, aber zu früheren Zeiten, insofern mit den Grundsätzen, die ich soeben hier ausgesprochen habe, vereinbar ist.
({0})
Meine Damen und Herren, angesichts zurückgehender Energiepreise und weiter steigender Realeinkommen werden die erforderlichen Anhebungen bei einigen speziellen Verbrauchsteuern die Dynamik der privaten Nachfrage nicht spürbar beschränken. Das ist auch die Einschätzung etwa der Unternehmen nach der Herbstumfrage des Deutschen Industrie-und Handelstages.
Vollkommen andere Folgen würde es allerdings bewirken, wenn die Vorhaben der SPD zur höheren Energiebesteuerung mit einem Volumen von bis zu 40 Milliarden DM jährlich - wie sie namhafte Vertreter dieser Partei gefordert haben - verwirklicht würden. Es ist, Frau Kollegin Matthäus-Maier, ein fundamentaler Widerspruch, den Sie nicht wegreden können, daß Sie auf der einen Seite die jetzt anstehenden Verbrauchsteuererhöhungen von 8,9 Milliarden DM als unsozial geißeln und auf der anderen Seite in Ihrer Partei Konzepte diskutieren und im Grundsatz - nicht im Detail - in Münster beschlossen haben, die eine wesentlich höhere Belastung der Verbraucher mit sich bringen. Dieser Widerspruch ist unbestreitbar.
({1})
Er ist Ihnen ja vor wenigen Tagen in einem stark beachteten Artikel des langjährigen finanzpolitischen Sprechers der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, des Kollegen Hans Apel, in der „Wirtschaftswoche" vorgehalten worden.
({2})
Da zu meiner großen Überraschung keine der deutschen Nachrichtenagenturen den Artikel Hans Apels mit einer Fundamentalkritik an der eigenen Partei so verbreitet hat, wie er es verdienen würde, möchte ich heute dem Hohen Haus und der deutschen Öffentlichkeit mitteilen, was Hans Apel über Ihre Steuerpolitik geschrieben hat.
„Falscher Weg zum Ziel" heißt die Überschrift.
({3})
Hans Apel sagt - ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - :
Offen ist, ob dabei
- er meint, in diesem Konzept der SPD der Einsatz von Kohle verteuert werden soll. Entschieden ist, daß die Verbrennung von leichtem und schwerem Heizöl, von Erdgas, Benzin und Dieselkraftstoff kräftig verteuert werden soll. Dabei will die SPD weit über das hinausgehen, was die Koalition für 1989 vor hat.
({4})
Meine Damen und Herren, der ganze Artikel wäre lesenswert; ich mache es kurz. Er legt die kritische Sonde auch an die Details an. Er sagt:
Wesentlicher ist, daß unsere Unternehmen ... mit einer massiven Verteuerung der Energieeinsätze konfrontiert werden.
Hans Apel schreibt zu diesen Plänen der SPD - ich zitiere noch einmal - :
Offen bleibt die Frage, ob den 17 Millionen Rentnern, Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Studenten, die keine Lohnsteuer zahlen, aber von den Energiesteuern belastet werden, ein Ausgleich gegeben werden soll.
Schließlich sagt er - ich zitiere - :
Das, was die SPD fordert, läßt sich in „Europa" nicht verwirklichen.
Frau Kollegin, ich muß das in aller Freundlichkeit sagen: Sie haben hier mit einer ganz flotten Rede an den wirklichen Problemen vorbeigeredet, vor allem an den verhängnisvollen Folgen der steuerpolitischen Pläne der sozialdemokratischen Partei.
({5})
Herr Bundesfinanzminister, dies veranlaßt die Abgeordnete Matthäus-Maier, eine Zwischenfrage zu stellen, die Sie sicher beantworten werden.
Ja, aber gern.
Frau Abgeordnete, bitte schön.
Herr Stoltenberg, ich weiß - das praktizieren wir alle - , daß wir uns gegenseitig zitieren gegen die Konzepte aus der jeweiligen Partei. Darf ich Sie fragen, wie Sie die Äußerungen von Frau Breuel und Herrn Biedenkopf bewerten, die im Prinzip unserer Umschichtung - die übrigens eine Umschichtung verstärkt zu den indirekten Steuern wäre; ich gebe Ihnen ausdrücklich recht - zustimmen? Denn sie sagen ja, daß das SPD-Konzept mit
höheren Energiesteuern und niedrigeren Lohn- und Einkommensteuern im Prinzip in Ordnung ist.
Frau Kollegin, gegen das Prinzip einer maßvollen Anhebung von indirekten Steuern - einschließlich Energiesteuern - mit einer wesentlich stärkeren Entlastung der Einkommensteuer kann ich schon deshalb nichts sagen, weil ich seit Jahren für dieses Konzept eintrete
({0})
und wir heute den einen Teil hier verabschieden. Aber Sie können mir die allgemeine Orientierung der Aussagen von Parteifreunden jetzt nicht entgegenhalten, wenn ich hier Hans Apel im Hinblick auf die schwerwiegenden Nachteile und negativen Folgen Ihres in Münster beschlossenen Steuerkonzeptes zitiere. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge, die wir hier jetzt in unserer Diskussion nicht miteinander vermischen würden.
({1})
Herr Finanzminister, sind Sie auch bereit, eine Frage des Abgeordneten Sellin zu beantworten?
Ja, bitte sehr.
Herr Stoltenberg, die Debatte läuft rein in finanzpolitischen Gleisen. Aber die Debatte um die Primärsteuererhöhung hat folgenden Hintergrund:
({0})
Stimmen Sie mit mir überein, daß der Verfall der Primärenergiepreise seit 1980 kein Knappheitssignal mehr über die Endlichkeit von Primärenergien gibt und daß von daher alle europäischen Länder, nicht nur die Bundesrepublik, ein Interesse daran haben müssen, durch eine Primärenergiesteuereinführung einen Beitrag dazu zu leisten, daß andere Energieversorgungstechnologien - bivalente Systeme, regenerative Energieanlagen usw. - überhaupt ein rentables betriebswirtschaftliches Kriterium für jeden Investor werden? Das ist der eigentlich Hintergrund.
Es wäre natürlich nett gewesen, wenn Sie das Ganze in eine kürzere Frageform gebracht hätten. Dann hätten Sie sich nämlich geschäftsordnungsmäßig verhalten. - Herr Finanzminister.
Herr Kollege Sellin, ich will zu dem angesprochenen sehr großen Themenkreis zwei kurze Bemerkungen machen: Erstens. Sosehr wir natürlich die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Energiepreissenkungen auf dem Weltmarkt begrüßen, müssen wir dafür sorgen, daß dies nicht ein falsches Signal zum verschwenderischen Umgang mit endlicher Energie ist; darin stimme ich Ihnen zu.
Zweitens. Ich halte die von der SPD und Ihrer Partei kritisierten maßvollen Anhebungen von energiebezogenen Verbrauchsteuern auch deshalb jetzt für sozial vertretbar, weil sie in eine Zeit fallender Verbraucherpreise kommen. Ich will einmal daran erinnern, daß wir noch 1985 pro Liter leichtes Heizöl - das ist nun wirklich ein typisches Verbrauchsgut für die meisten Haushalte - einen Preis von rund 70 Pfennig hatten und jetzt einen von 30 Pfennig haben. Darum brauchte man sich aus sozialen Gründen um die 4,5 Pfennig Steuererhöhung wirklich nicht aufzuregen.
({0})
Bei uns sind diese Preise stärker als bei anderen Ländern gefallen, weil wir zugleich auch durch das wachsende Vertrauen in die Deutsche Mark einen noch nachhaltigeren Preisrückgang hatten als fast alle unsere europäischen Partner.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte gegen Schluß jetzt noch einige wenige Punkte hervorheben: Von entscheidender Bedeutung für das gestärkte Vertrauen in die Rahmenbedingungen ist neben innenpolitischen Entscheidungen auch die wirksame Zusammenarbeit, die wir international vor allem im Bereich der großen Industrienationen, ihrer Finanzminister und Notenbankpräsidenten in den letzten Jahren vertieft und erweitert haben. Nur dadurch konnten wir vertrauensbildend gemeinsam den Schock des 19. Oktober 1987 überwinden. Nur dadurch haben wir ein vergleichsweise größeres Maß an Wechselkursstabilität erreicht, sowohl im Europäischen Währungssystem wie auch im Verhältnis zum amerikanischen Dollar.
Die letzten zwei Wochen zeigen uns, daß das alles nicht selbstverständlich ist. Ich will hier ausdrücklich sagen: Wir erwarten von dem neuen amerikanischen Präsidenten und von der neuen amerikanischen Administration, daß nachhaltige Entscheidungen zur weiteren Rückführung des Haushaltsdefizits so bald wie möglich erfolgen, weil wir Risiken und Verwerfungen in der Weltwirtschaft vermeiden müssen.
({2})
Aber wenn wir dies unseren amerikanischen Freunden sagen, müssen auch wir Europäer unseren Beitrag leisten. Wir müssen den begonnenen Weg der Stärkung der Binnennachfrage konsequent weiterführen. Wir müssen bereit sein, zu einer schrittweisen Öffnung der Märkte zu kommen. Das wird die europäische Haltung - ich hoffe, aller EG-Staaten und Repräsentanten - bei der bevorstehenden GATT-Konferenz in Montreal sein.
({3})
- Frau Matthäus-Maier klatscht. Ich bedanke mich dafür und bin sicher, daß auch die Mehrheit des Hauses dem zustimmt.
({4})
- Die haben es schon verstanden.
Meine Damen und Herren, wir müssen diese Zusammenarbeit fortsetzen, aber vor allem natürlich die Politik im Inneren so gestalten, daß das Vertrauen stärker wird. Die beträchtliche Rückführung der
Nettokreditaufnahme im Jahre 1989 ist um so wichtiger, weil 1990 die Steuerreform mit einer erneuten Nettoentlastung für die arbeitenden Menschen und die Betriebe dann sogar von 19 Milliarden DM
({5})
vorübergehend zu einem gewissen Anstieg der Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden führen wird. Die recht positive Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung des nächsten Jahres durch den Sachverständigenrat begründet die Erwartung, daß unsere öffentlichen Haushalte diese Steuersenkung auch 1990 verkraften können, ohne in die überhöhte Schuldenaufnahme aus der Regierungszeit der SPD zurückzufallen.
Die Voraussetzung dafür bleibt eine sparsame Ausgabenpolitik. Die Gründe, weshalb wir ausnahmsweise in diesem Jahr 5,4 % Ausgabenzuwachs haben, sind genannt. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Das kann nur ein einmaliger Vorgang sein.
({6})
Wir haben von 1983 bis 1988 die Ausgabensteigerung jedes Jahr unter 3 % halten können, im Schnitt etwas über 2 %. Auch in diesem Jahr werden wir einen zufriedenstellenden Haushaltsabschluß um etwa 2,5 herum haben. Wir müssen 1990 in dem verabschiedeten Haushalt wieder eine „2" vor dem Komma haben - das ist unser gemeinsames Ziel -, wenn wir die Steuerreform ohne Nachteile für die öffentliche Finanzwirtschaft durchtragen können, und wir werden das schaffen. Mittelfristig wird nämlich die Steuerreform Wachstumskräfte stärken, und das wirkt sich auch positiv auf die Einnahmen aus.
Noch wichtiger ist, daß die grundlegende Tarifreform, die Erhöhung des Grundfreibetrages und der Kinderfreibeträge berufliche Leistung stärker anerkennen, die Erziehungsleistungen berufstätiger Eltern honorieren und die Bedingungen für arbeitsplatzschaffende Investitionen verbessern. In meinem Verständnis ist 1988 in gewisser Weise ein Testjahr dafür geworden, ob diese Politik erfolgreich sein kann. Ich kann sagen: Es sieht so aus, als ob der Test 1988 positiv ausgeht, und das ist eine Ermutigung.
In der kommenden Wahlperiode geht es dann vor allem darum, die Investitionskraft unserer Betriebe weiter zu verbessern und durch die erneute Erhöhung des Grundfreibetrages - ich verweise auf die Rechtsprechung mit dem Existenzminimum - noch mehr Bürger mit kleineren Einkommen von der direkten Steuerpflicht freizustellen.
({7})
Nur noch eine kurze Anmerkung, Frau MatthäusMaier, zum Thema der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit unserer Steuerpolitik. Sie haben auf das Problem der zu stark steigenden Belastung durch die Lohnsteuer hingewiesen. Ich habe mir mal im Anschluß daran die Steuerschätzungen angesehen. Die Steuerschätzung jetzt vor zwei Wochen geht davon aus, daß das Gesamtsteueraufkommen in diesem Jahr um 4,2 % und die Lohnsteuer in diesem Jahr nur um 2,3 % steigt. Das ist ein klarer Hinweis darauf, daß die
Steuersenkung dieses Jahres den Arbeitnehmern zugute kommt.
({8})
Sie müssen weit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zurückgehen - wenn Sie überhaupt ein Jahr finden -,
({9})
um einen vergleichsweise geringen Anstieg der Lohnsteuer im Verhältnis etwa zum Gesamtsteueraufkommen zu finden. Solche Daten machen deutlich, daß die alte Parole von der Umverteilung von unten nach oben wirklich aus der Mottenkiste vergangener Zeiten stammt,
({10})
daß wir eine sozial fortschrittliche, eine marktwirtschaftliche Politik verwirklichen.
Die Finanzpolitik hat ihren Beitrag geleistet. Wir müssen dafür sorgen, daß sie weiter auf Kurs bleibt. Aber Kurshalten heißt natürlich nicht, gedankenlos dasselbe zu tun, sondern neue Herausforderungen zu erkennen und einen Beitrag für die Meisterung der großen Zukunftsaufgaben unseres Volkes zu leisten.
Schönen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek ({0}).
Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich entschuldige mich, daß ich Sie nicht zuerst begrüßt habe. Aber der Minister hat mich mit seiner Rede so beeindruckt.
({0})
- Ich meine das so. Sie brauchen nicht ironisch zu klatschen. Ich habe selten einen Minister gehört, der so geschickt so viele Unwahrheiten von sich gegeben hat.
({1})
Herr Minister, Sie haben zu Anfang Ihrer Rede intellektuelle Redlichkeit angesprochen. Intellektuelle Redlichkeit muß man, glaube ich, wertend über alles stellen, was man macht. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört auch, daß man den Haushalt nach den Haushaltsgrundsätzen bewertet, die da lauten: Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, die bei Auf stellung, Beratung und Verabschiedung des Haushaltes eingehalten werden müssen.
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit heißt aber auch, daß alle erkennbaren Risiken und auch alle erkennbaren Einnahmemöglichkeiten des Staates etatisiert werden müssen. Von diesem Grundsatzgebot ist der Haushalt 1989, Herr Minister, weit entfernt.
({2})
Wir haben in den vergangenen Monaten bei Ihnen
erleben müssen, daß für den Haushalt 1988 erkennbare Risiken und mögliche EinnahmeverbesserunWieczorek ({3})
gen in erheblichem Umfang nicht etatisiert waren. Sie mußten durch einen Nachtragshaushalt eine Korrektur vornehmen. Deshalb sind auch bei der Beratung dieses Haushaltes große Vorbehalte angebracht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich bitte Sie und uns alle sehr herzlich, die inhaltliche Auseinandersetzung, die wir in der Öffentlichkeit führen, ehrlich zu führen. Dann zeigt sich sehr schnell, daß die zur Schau gestellte Selbstzufriedenheit der Koalitionsparteien, die manchmal selbstgefällige, ja selbstgerechte Züge annimmt, vollkommen fehl am Platze ist. Das ist nichts anderes als der Versuch, einen miserablen Haushalt im Windschatten einer gut laufenden Konjunktur möglichst reibungslos über die Bühne zu bekommen.
({4})
Der Entwurf des Bundeshaushaltes 1989 markiert nämlich den endgültigen Abschied dieser Bundesregierung von einer berechenbaren und glaubwürdigen Finanzpolitik. Er ist ein Dokument finanzpolitischer Fehlleistungen und Versäumnisse.
({5})
Wir alle haben doch diesen Entwurf des Finanzministers nach der Sommerpause in den Fachausschüssen eingehend beraten. Dabei ist auch in den Reihen der Koalitionsparteien viel Unbehagen und Unverständnis sichtbar geworden. An allen Ecken, in allen wesentlichen Punkten widerspricht dieser Haushaltsentwurf den erklärten Zielsetzungen der Koalitionsparteien und der von ihnen getragenen Bundesregierung. Er bedeutet den Bruch vieler Versprechungen, die Sie den Bürgern seit Jahren machen.
Ihr wichtigstes Ziel - das möchte ich noch einmal herausarbeiten - war die Begrenzung des Ausgabenwachstums auf unter 3 %. Statt dessen wird die Steigerungsrate 1989 mit 5,4 % fast doppelt so hoch sein wie vorgesehen. Das bedeutet Mehrausgaben von 15 Milliarden DM. Damit ist Ihre Konsolidierungslegende sicherlich geplatzt.
Sie haben Jahr für Jahr versprochen - sozusagen bis vor wenigen Tagen - , die Subventionen abzubauen. Statt dessen sind sie in Ihrer Regierungszeit beispiellos ausgeufert. Der Sachverständigenrat hat das in seinem jüngsten Gutachten gleich mehrfach in aller Deutlichkeit kritisiert. 1989 erreichen die Subventionen einen Rekordstand von über 33 Milliarden DM. Das sind 30 % mehr als in dem von Ihnen immer angeführten Jahr 1982. Es zeigt sich hier ganz deutlich, wie unglaubwürdig und verfehlt Ihre Finanzpolitik in Wirklichkeit ist.
Sie haben versprochen, die Steuern für die Bürger spürbar zu senken. 1989 werden sie allerdings erst einmal wieder kräftig erhöht, und zwar gegen den Rat der Wirtschaftsforscher, die Ihnen zu Recht einen steuerpolitischen Zickzackkurs vorwerfen.
Herr Minister, auch in der Steuerpolitik sind Sie unberechenbar geworden. Viele Bürger werden im nächsten Jahr erfahren, daß sie durch die Verbrauchsteuererhöhungen mehr verlieren, als sie durch die Einkommensteuersenkungen zurückbekommen.
({6})
Viele, die mit dem Finanzamt bisher nichts oder als Rentner nichts mehr zu tun hatten, werden sich nach dem nächsten Jahr mit der Quellensteuer herumärgern müssen.
Herr Finanzminister, Sie haben versprochen, die Neuverschuldung spürbar zurückzuführen, und Sie haben uns in einem sehr eindrucksvollen Zahlenspiel zu beweisen versucht, daß es so ist. Bei Ihnen passiert allerdings genau das Gegenteil von dem, was Sie hier gesagt haben. Ich glaube, es ist an der Zeit, einmal eine Gesamtbilanz Ihrer Schuldenpolitik zu ziehen. Sie haben seit 1985 ununterbrochen steigende Nettokreditaufnahmen, von 22,4 auf 27,5 Milliarden DM 1987; 1988, im laufenden Jahr, werden es 37 Milliarden DM sein. Dieses Jahr verschweigen Sie gern, weil Sie es über Ihren Nachtragshaushalt korrigiert haben. Im nächsten Jahr kann nur durch die massiven Steuererhöhungen für Verbraucher und Sparer, mit neuerlicher Hilfe der Bundesbank und durch die Leistungskürzungen für Arbeitslose eine Rekordverschuldung von 45 Milliarden DM verhindert werden, Herr Minister. Sie haben eben vergessen, wie Sie in diesem Jahr zu Ihrer Nettokreditaufnahme kommen. 45 Milliarden DM ist die Zahl, die Sie zu verantworten haben. Die „Süddeutsche Zeitung" hat dies gestern mit dem Wort „Desaster" kommentiert.
Es ist in der Tat Ihr haushaltspolitisches Desaster, und es geht nicht an, daß Sie uns Steuererhöhungen für Verbraucher und Sparer und Kürzungen für Arbeitslose als Konsolidierungsleistungen andrehen wollen.
({7})
Zur Selbstzufriedenheit, Herr Minister, besteht nicht der geringste Anlaß, eher zu geharnischter Selbstkritik. Wenn Sie ehrlich bilanzierten, müßten Sie nämlich das Scheitern Ihrer Politik auf der ganzen Linie zugeben. Sie machen Jahr für Jahr mehr Schulden, obwohl die Konjunktur gut läuft und der Bundeshaushalt allein 1989 57 Milliarden DM Steuern mehr einnimmt als 1982. Sie machen mehr Schulden, obwohl Sie seit 1982 55 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen eingesackt haben und die besten Teile des Bundesvermögens gegen gutes Geld verscherbelt haben.
Dieses Ergebnis ist ein finanzpolitisches Armutszeugnis, Herr Minister, und die öffentlichen Finanzen sind bei Ihnen nicht in den guten Händen, wie Sie es uns darlegen wollen.
({8})
Sie gehen genauso leichtfertig mit dem Geld des Steuerzahlers um,
({9}) wie Sie leichtfertig mit Ihrem Wort umgehen.
Meine Damen und Herren, es war wohl mehr ein Versprecher als ein Versprechen, als der Bundeskanz7576
Wieczorek ({10})
ler am Jahresanfang in einer Pressekonferenz erklärte - ich zitiere - : „Unser Markenzeichen ist, daß wir keine Schulden machen. " Diese Behauptung ist nämlich schlicht und einfach falsch. Vielleicht weiß es der Bundeskanzler nicht besser. Wir waren ja auch gestern hier im Bundestag Zeugen dafür, wie sehr er sich in der Wahl seiner Worte zu vergreifen versteht. Er sollte aber wissen, daß diese Bundesregierung ihrem eigenen Finanzplan zufolge mehr Schulden machen wird als jemals eine Regierung vor ihr. 300 Milliarden DM werden es 1992 sein. Der Schuldenstand des Bundes einschließlich seiner Sondervermögen beläuft sich schon heute auf 600 Milliarden DM. Das ist in den sechs Jahren Ihrer Amtszeit, Herr Bundesfinanzminister, und unter der Verantwortung Ihres Bundeskanzlers ein Anstieg von über 200 Milliarden DM.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Wenn ich diesen Absatz im Zusammenhang gebracht habe, können wir uns gern darüber unterhalten.
Die Gesamtverschuldung des Staates hat im Sommer dieses Jahres die Grenze von 1 000 Milliarden DM durchbrochen. Meine Damen und Herren, diese Zahl sprengt jede Vorstellungskraft. Ich will versuchen, eine griffigere Bezeichnung zu finden. Herr Kollege Roth, das bedeutet nämlich, daß jedes Kind, das heute geboren wird, von Ihnen schon bei der Geburt einen Schuldenstand von 17 000 DM mitbekommt. Jedes Kind, das heute geboren wird, hat 17 000 DM Staatsschulden zu tragen.
({0})
Diese Diskussion muß doch notwendig einmal geführt werden, weil dieses Thema viele Bürger in unserem Lande bewegt.
({1})
Herr Bundesfinanzminister, daß Ihnen eine solche Diskussion nicht paßt, ist klar. Das war auch der Grund dafür, daß Sie im Sommer in einem, wie ich zugebe, politisch geschickten Manöver verkündeten, einen Teil des Bundesbankgewinns zur Tilgung von Altschulden einzusetzen. Die fragwürdige Neuregelung funktioniert doch nur auf dem Papier, und das wissen Sie sehr gut. In der Substanz ist es für die Höhe des Schuldenzuwachses und des Schuldenstandes vollkommen irrelevant, ob die erwartete Gewinnabführung so oder so gebucht wird.
Nur, Sie haben sich hier auf einen rechtlich sehr problematischen Weg begeben. Sie verstoßen nämlich mit dieser Änderung des Haushaltsgesetzes gegen die Grundsätze der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit. Sie verstoßen darüber hinaus - das können Sie auch dem Gutachten des Sachverständigenrates entnehmen - gegen die Bundeshaushaltsordnung.
Herr Minister, das hat bei Ihnen Methode. Es ist weiß Gott nicht das erste Mal, daß Sie aus politisch-taktischen Motiven heraus fahrlässig mit dem Haushaltsrecht umgehen. Sie haben damit der notwendigen Diskussion über die vertretbare Höhe der Staatsverschuldung keinen Dienst erwiesen; das wollten Sie auch nicht. Sie wollten den Bürgern Sand in die Augen streuen.
Wie man sich offen und ernsthaft mit dieser Frage beschäfigen kann, hat vor einigen Tagen, Anfang November, Ihre Kollegin, die CDU-Finanzministerin von Niedersachsen, vorgeführt. In einem Beitrag zur „Wirtschaftswoche" hat Frau Breuel die zunehmende Staatsverschuldung sehr pointiert als „zivilisatorischen Kannibalismus" bezeichnet. Recht hat sie. Sie will damit sagen, daß die jetztige Generation über ihre Verhältnisse lebt und ihren Kindern die offenen Rechnungen hinterläßt. Keine Generation vor uns hat jemals ein so hohes Wohlstandsniveau wie die unsere erreicht. Wir können es uns ohne große Abstriche leisten, mehr dafür zu tun, daß es auch den Generationen, die nach uns kommen, gutgeht. Nur, wir tun es nicht.
Die Bundesregierung nimmt in diesem und im nächsten Jahr 65 Milliarden DM Schulden auf, um vor allem die Haushaltslöcher zu stopfen, die sie mit ihren überzogenen Steuersenkungen, die in erster Linie Besserverdienenden zugute kommen, selbst herbeigeführt hat.
({2})
Meine Damen und Herren, hier wird in vielen Fällen privater Luxus mit öffentlichen Schulden finanziert. Sie haben Ihre ungerechte und verfehlte Steuerpolitik zur Ideologie erhoben und sind blind für die Konsequenzen, die sich daraus für unser Gemeinwesen ergeben. Das ist der Kernpunkt meiner Kritik an der Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
({3})
- Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
({4})
Obwohl wir seit Jahren über 2 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik haben, hat die Bundesregierung noch immer kein Konzept zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit.
Obwohl wir heute auf ein Jahr der Umweltkatastrophen zurückblicken, ist ein Konzept zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen im Haushalt 1989 auch mit der Lupe nicht zu finden.
({5})
Diese Bundesregierung betreibt stur ihre kurzsichtige Politik des „Weiter so". Sie verweigert sich hartnäckig der Verantwortung zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung und bürdet damit zukünftigen Generationen unübersehbare Belastungen auf.
({6})
Wieczorek ({7})
Sie betreibt eine Politik, die von der Hand in den Mund lebt.
Meine Damen und Herren, 1982 ist diese Bundesregierung mit dem Anspruch auf geistig-moralische Erneuerung angetreten. Von einer Bundesregierung, die diesen Anspruch zu ihrem zentralen Leitgedanken erhebt, erwarte ich, daß sie über den Tag hinaus denkt.
({8})
Ich erwarte auch, daß sie zu ihrem Wort steht. Die Bundesregierung ist diesem Anspruch nicht gerecht geworden.
In der Regierungserklärung vom Mai 1983 hat
„Aufgabe Nummer eins ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit." Stattdessen ist die Massenarbeitslosigkeit gestiegen. 2,2 Millionen Arbeitslose und ihre Familien werden fortwährend zu Außenseitern der Gesellschaft gestempelt
({0})
oder durch statistische Tricks weggerechnet.
In seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 hat der Bundeskanzler den Umweltschutz zur Staatsaufgabe erklärt und angekündigt, ihn als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Bei dieser Ankündigung ist es geblieben, obwohl 1988 das Jahr der Umweltkatastrophen war - ich darf sie noch einmal in die Erinnerung zurückrufen - mit dem Robbensterben, dem Fisch- und Seevögelsterben in der Nordsee, mit einer weiteren Zunahme der Waldschäden, mit dem skandalösen Auftreten von Giften in Nahrungsmitteln und Trinkwasser, mit neuen besorgniserregenden Erkenntnissen über die Gefahren durch das Ozonloch und die beginnende weltweite Klimakatastrophe.
({1})
Die Regierung hat jahrelang nichts getan. Sie handelt selbst heute noch halbherzig. Der Aktionismus des Bundesumweltministers bis hin zu seinem spektakulären Bad im Rhein kann nicht darüber hinwegtäuschen,
({2})
daß er für die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Umweltqualität nicht die Unterstützung des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers hat.
({3})
Im Haushaltsentwurf 1989 wird der Etat des Bundesumweltministers einen Anteil von ganzen 0,19 % haben. Das ist nicht einmal ein Fünfhundertstel des Bundeshaushaltes und weniger, als 1989 als erste Rate für die Entwicklung des Jäger 90 ausgegeben wird. Das muß man sich in den Dimensionen einmal vorstellen!
Es ist mir unbegreiflich, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie die Probleme der Massenarbeitslosigkeit und der zunehmenden Umweltzerstörung offenkundig so wenig bewegen. Sie lassen die Arbeitslosen im Stich. Sie marschieren in der Umweltpolitik, wie „Die Zeit" in ihrer letzten Ausgabe schreibt, „sehenden Auges in die Katastrophe".
Ihnen fehlt nicht nur die Einsicht. Ihr Dilemma ist auch, daß der Bundeshaushalt denkbar schlecht gerüstet ist, diesen großen Herausforderungen der nächsten Jahre wirksam zu begegnen. Sie haben es sträflich versäumt, in den vergangenen sechs Aufschwungjahren die dafür erforderlichen finanzpolitischen Handlungsspielräume zu schaffen. Graf Lambsdorff hat das sehr gut erkannt, als er in einem Interview mit dem Handelsblatt selbstkritisch und überaus treffend eingeräumt hat - ich zitiere -, „daß wir" - gemeint ist die Koalition - „einen Punkt erreicht haben, bei dem wir vor ähnlichen Konsolidierungsaufgaben stehen wie zu Beginn der Legislaturperiode". Er hat für die schweren finanzpolitischen Versäumnisse der Koalition kein Verständnis gezeigt und seine Kritik in dem Satz zusammengefaßt - ich zitiere noch einmal - :
Wir haben uns benommen wie jemand, der in einem fürstlichen Restaurant ein opulentes Mal zu sich nimmt und nachher erstaunt ist, wenn er die Rechnung sieht.
So wie er müssen viele in den Reihen Ihrer Koalition empfunden haben, als sie dem Bundesfinanzminister im Juni ultimativ zu einem ehrlichen Kassensturz aufgefordert haben und daraufhin Anfang Juli den Haushaltsentwurf für 1989 präsentiert bekamen. Der im Juli vorgelegte Entwurf enthielt aber erst die halbe Wahrheit. In den Beratungen im Haushaltsausschuß mußte der Finanzminister weitere drei Milliarden DM an Risiken nachveranschlagen. Aber selbst das ist noch nicht die volle Wahrheit.
Wichtige finanzpolitische Entscheidungen wurden auf die Zeit nach der Beschlußfassung über den vorliegenden Haushaltsentwurf verschoben, so z. B., Herr Minister, die Sanierung des Verstromungsfonds. In diesem Sondervermögen des Bundes werden bis zum Jahresende zwei Milliarden DM Schulden und vier Milliarden unbezahlter Rechnungen aufgelaufen sein. Jahrelang haben der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister den Verstromungsfonds überfordert und ihn in diese Finanzkrise getrieben, um die Situation des Bundeshaushalts optisch aufzuwerten. Jetzt steht dieser Schattenhaushalt schlicht und einfach vor dem Zusammenbruch, und mit ihm droht die ganze Kohlepolitik der Bundesregierung in den Abgrund gerissen zu werden.
({4})
- Doch, jeder fragt sich doch, warum das Konzept zur angeblichen Sanierung des Verstromungsfonds bis 1991 befristet ist. Meine Damen und Herren, ich habe den schlimmen Verdacht, daß der von Ihnen an den Rand des Ruins getriebene Verstromungsfonds nur noch über die Bundestagswahl im Herbst 1990 gerettet werden soll.
({5})
Ich habe den schlimmen Verdacht, daß Sie den europäischen Binnenmarkt als Vorwand nutzen wollen,
Wieczorek ({6})
um den Jahrhundertvertrag 1992 platzen zu lassen und den heimischen Bergbau damit endgültig zugrunde zu richten.
({7})
Es ist an der Zeit, daß sich der noch amtierende Bundeswirtschaftsminister dazu unmißverständlich äußert.
({8})
Er hat dazu heute nachmittag ausreichend Gelegenheit.
Ähnlich verhält sich die Sache übrigens mit dem längst überfälligen Konsolidierungskonzept für die Deutsche Bundesbahn. Wachsende Schulden- und Ertragsprobleme kennzeichnen nämlich die Lage der Bahn und auch die Lage der Post.
({9})
- Aber mit Schattenhaushalt, Herr Kollege; mit der Thematik sollten Sie sich mal beschäftigen.
({10})
Meine Damen und Herren, nachdem Sie jahrelang, wie Graf Lambsdorff sagt, opulent gelebt und die Steuern auf Pump gesenkt haben, werden sie im Bundeshaushalt 1989 von Ihren finanzpolitischen Versäumnissen eingeholt. Allein die volkswirtschaftlichen Kosten der Massenarbeitslosigkeit belaufen sich nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit auf 60 Milliarden DM pro Jahr. 25 Milliarden DM zahlen der Bund und die Bundesanstalt für Arbeit im laufenden Jahr an Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld aus. Das ist mehr, als der Bund 1988 für Kindergeld, Erziehungsgeld, Wohngeld, Jugendhilfe, Umweltpolitik, Bildung und Wissenschaft ausgibt. Das müssen Sie sich in den Dimensionen doch mal überlegen. Nicht in Zahlen ausdrücken lassen sich das Leid und die menschlichen Tragödien, die sich hinter 2,2 Millionen Arbeitslosen verbergen.
Meine Partei hat in Münster richtungsweisende Beschlüsse für eine Neuorientierung der Wirtschafts-und Finanzpolitik gefaßt.
({11})
Ich will Ihnen sagen, was wir wollen: Wir sollen das marktwirtschaftliche System so fortentwickeln, daß die ökologische Krise, die strukturellen Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt und die anhaltende Schwäche bei den öffentlichen und privaten Investitionen beseitigt werden.
({12})
Ich will Ihnen noch einmal eine Nachhilfestunde geben, damit Sie es richtig verinnerlichen. Ich lese Ihnen den Kernsatz unserer Forderung vor:
Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist,
neben der Sicherung des Wohlstandes durch Erneuerung der Wirtschaft und durch Solidarität in der Gesellschaft alle Möglichkeiten zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und zur ökologischen Erneuerung der Volkswirtschaft zu nutzen.
({13})
Entscheidend dabei ist für mich - und das geht in dem sehr langen Kernsatz allzu leicht unter - die Forderung nach Solidarität in der Gesellschaft.
Das Wort Solidarität, meine Damen und Herren, geht uns allen sehr leicht über die Lippen. Wenn es aber darum geht, Solidarität zu praktizieren und in die Tat umzusetzen, dann - ich möchte es mal salopp ausdrücken - kneift mancher von uns und taucht weg,
({14})
weil Solidarität nämlich nicht umsonst zu haben ist und ihren Preis hat, einen Preis, der schmerzlich sein kann, einen Preis, der allzu gerne als Ungleichbehandlung, als leistungshemmend oder gar als verfassungsbedenklich eingestuft wird, nur damit er nicht gezahlt werden muß.
Wer sich zuerst überlegt, was durch praktizierte Solidarität an Nachteilen auch für ihn selbst entstehen kann, und dann erst versucht, ein Konzept der Solidarität ohne Nachteile aufzubauen, dessen Pläne sind von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Meine Damen und Herren, ich sehe so auch die Vorschläge von Oskar Lafontaine zur Arbeitszeitverkürzung in einem anderen Licht,
({15})
als er von manchem gesehen wird oder gesehen werden möchte. Klar ist doch, daß die durchgesetzten Arbeitszeitverkürzungen in den letzten Jahren Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert und geschaffen haben, auch wenn es sich der Finanzminister als eigene Leistung an den Hut steckt.
({16})
Klar ist doch auch, daß dies ein beeindruckender Erfolg der Gewerkschaften ist, die in den Tarifverhandlungen Arbeitszeitverkürzungen gegen den massiven Widerstand der Arbeitgeber durchgesetzt haben.
({17})
Unklar ist aber nach wie vor, unter welchen Bedingungen und für welchen Preis Arbeitszeitverkürzungen künftig durchgesetzt werden sollen, wie Arbeitszeitverkürzungen finanziert werden sollen, damit weitere, dringend notwendige Arbeitsplätze geschaffen werden, und wie insbesondere über die Finanzierung Solidarität mit den Arbeitslosen praktiziert werden soll. Arbeitslosigkeit darf nicht das alleinige Schicksal der Betroffenen sein. Arbeitslosigkeit geht uns alle an. Daher müssen wir mehr tun, als nur unsere Bereitschaft zur Solidarität kundzutun.
({18})
Wieczorek ({19})
Wir müssen sie in unseren Programmen klar und deutlich durch konkrete Maßnahmen gestaltend umsetzen.
({20})
Solidarität in der Gesellschaft, Herr Bundeskanzler, bedeutet auch, sich mit den Vorschlägen anderer in der Sache auseinanderzusetzen. Ich bitte alle, die in dieser Gesellschaft Verantwortung tragen, ernsthaft zu prüfen, ob kleine Opfer der vielen, die gute Arbeitsplätze haben, nicht angemessen sind, um denjenigen zu helfen, die ohne Arbeit sind.
({21})
Jeder einzelne Arbeitsplatz, meine Damen und Herren, der besetzt wird, bedeutet, daß eine Ledige oder ein Lediger, das ein Familienvater oder eine Mutter, daß ein Mädchen oder ein Junge eine Zukunftsperspektive erhält und sich selbst entfalten kann.
({22})
Dies durchzusetzen, meine Damen und Herren, erfordert Mut, Mut, den Sie, Herr Bundeskanzler, bisher leider vermissen lassen.
({23})
- Ich spreche ihn an, weil der Bundeskanzler eine Institution ist, nicht nur eine Person, Herr Kollege.
({24})
- Sie erzählen ihm alles; ich weiß das.
({25})
- Es fehlt ihm nur die Möglichkeit der objektiven Darstellung, weil sein subjektives Verhalten anders ist.
({26})
Meine Damen und Herren, zu den finanzpolitischen Versäumnissen dieser Bundesregierung rechne ich auch die überfälligen Strukturreformen in vielen Bereichen, die zunehmend das Bild der Bundesrepublik bestimmen. Da ist z. B. die Agrarpolitik. Für die verfehlte und zunehmend irrationale Agrarpolitik muß allein der Bund im nächsten Jahr 91/2 Milliarden DM aufbringen.
({27})
12 Milliarden DM kommen aus dem EG-Haushalt dazu. Zusammen mit den Leistungen der Länder und den speziellen Steuervergünstigungen erreichen die Leistungen für die Landwirtschaft eine Größenordnung von 30 Milliarden DM. Das ist mehr als ein Zehntel des gesamten Bundeshaushalts.
({28})
30 Milliarden DM kostet uns die Agrarpolitik des „Wachsen oder Weichen" , die die Existenzgrundlagen der bäuerlichen Familienbetriebe zerstört
({29})
und die Nahrungsmittelproduktion in immer größeren Agrarfabriken konzentriert.
({30})
Geben Sie doch endlich zu, daß Ihre Agrarpolitik in hohem Maße verlogen ist.
({31})
Während Sie in Ihren Sonntagsreden den idyllischen Familienbauernhof beschwören, zahlen Sie werktags die Subventionen an - im wahrsten Sinne des Wortes - zum Himmel stinkende Mastbetriebe und Großplantagen, die uns mit Nahrungsmitteln immer schlechterer Qualität versorgen.
({32})
Ihre falsche Politik führt dazu, daß die Landwirtschaft immer weniger umweltverträglich erfolgt. In weiten Bereichen besteht sogar, nicht zuletzt durch den überzogenen Einsatz von Chemikalien zur Produktionssteigerung, ein direkter Konflikt zwischen Nahrungsmittelerzeugung und Ökologie. Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Aber weil die Nahrungsmittelerzeugung mittlerweile von anderen Grundsätzen ausgeht,
({33})
schädigt sie die Umwelt.
Meine Damen und Herren, auch in anderen Bereichen der Volkswirtschaft binden die hohen Folgekosten wirtschaftlicher Unterlassungssünden und offensichtlicher Fehlentscheidungen die finanziellen Mittel, die für neue Aufgaben dringend benötigt werden.
Der steigende Subventionsbedarf vieler Sektoren wird zunehmend zum Sprengsatz für den Etat des Bundeswirtschaftsministers. Bei einer Rekordsteigerungsrate von 21 % schießen seine Ausgaben auf 71/2 Milliarden DM hoch. Aber auch hier konzentriert sich die Förderung immer stärker auf große Subventionsempfänger.
Im gleichen Moment, wo das Bundeskabinett bis zu 41/2 Milliarden DM neuer Airbus-Subventionen beschließt, werden die wenigen Mittel zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen drastisch reduziert,
({34})
obwohl heute neue Arbeitsplätze fast ausschließlich von kleinen und mittleren Betrieben geschaffen werden. Die FDP, Herr Kollege Weng, spielt in dieser Frage ja eine ganz unrühmliche Rolle.
({35})
Im Sommer noch haben Sie eine 5%ige lineare Kürzung aller Subventionen versprochen. Das angekündigte Kürzungsvolumen sollte 1,8 Milliarden DM betragen und wäre in der Tat ein ganz wichtiges Wendesignal gewesen. Geblieben sind lächerliche 75 Millionen. Von 1 800 Millionen DM sind 75 Millionen DM geblieben.
({36})
Wieczorek ({37})
Sie sind dann in einer Hauruck-Aktion vor allem beim Mittelstand, bei den Handwerkern und den kleineren Betrieben zusammengekratzt worden. Herr Weng, was Sie da gemacht haben, taugt nicht einmal als Alibi.
({38})
- Ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu; ich habe sowieso schon meine Redezeit überschritten.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen die Zeit der Zwischenfragen nicht angerechnet.
Aber die Zeit der Antwort, Herr Präsident.
Auch das nicht, Herr Abgeordneter.
Ich stimme ausdrücklich dem Grafen Lambsdorff zu, der im „Handelsblatt" orakelt hat:
Wenn wir überhaupt noch ein Stückchen Renommee beim Bürger bewahren wollen, dann muß ein Zeichen dafür gesetzt werden, daß wir endlich bereit sind, auch die Finanzleistungen zu kürzen.
Herr Weng, Ihr Renommee ist mit dem Haushalt 1989 endgültig dahin.
({0})
Sie haben einen Subventionsrekord von 33 Milliarden DM aufgestellt, und mit der im Vorgriff auf die Prüfung durch das Bundeskartellamt angekündigten Ministererlaubnis für die Großfusion Daimler-Benz/MBB haben Sie auch ordnungspolitischen Flurschaden angerichtet, der kaum mehr gutzumachen ist.
({1})
Versäumnisse gibt es auch in der Verkehrspolitik. Ihr halbherziges Konzept zur Sanierung der Bahn ist gescheitert. Die Zustände auf unseren Straßen und in der Luft machen deutlich, daß es so nicht weitergehen kann. Aus den schlimmen Erfahrungen der Katastrophe in Herborn, die die Menschen im Schlaf überraschte, haben Sie nichts gelernt. Der Schwerverkehr, vor allem die Gefahrenguttransporte, gehören auf die Bahn, damit die Straßen entlastet werden und Herborn sich nicht wiederholen kann.
({2})
Nur durch ein zukunftsweisendes integratives Verkehrskonzept
({3})
von Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luftverkehr
kann sichergestellt werden, daß uns nach der Liberalisierung des Verkehrs in Europa nicht der Verkehrsinfarkt auf der Straße und der Zusammenbruch der Bahn drohen.
Versäumnisse gibt es auch in der Energiepolitik. Die muß ich Ihnen einfach noch einmal vorhalten. Es geht nicht an, daß die Energiepolitik zunehmend von demokratisch nicht legitimierten Monopolisten gemacht wird. Die Bundesregierung ist erpreßbar geworden.
Wodurch sonst ist das Pokerspiel der Energieversorgungsunternehmen in Sachen Kohlepfennig oder bei der Finanzierung des Schnellen Brüters zu erklären? Es ist sicher nicht schwer, den Bürgern unseres Landes die Angemessenheit der zusätzlichen Belastung aus dem Kohlepfennig, der ja pro Haushalt und Monat ungefähr 10 DM beträgt, zu vermitteln. Im Verhältnis zu den von Ihnen für die Finanzierung unsinniger Steuergeschenke angehobenen Verbrauchsteuern ist das vertretbar.
({4})
Die Bundesregierung hat sich zu viele Versäumnisse geleistet. Die politischen Defizite haben ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr hingenommen werden kann. Wir brauchen eine Politik, die sich an klaren Prioritäten orientiert und die Herausforderungen der Zukunft konstruktiv und offensiv annimmt.
Ich habe Ihnen über die richtungsweisenden Beschlüsse meiner Partei in Münster
({5}) schon einiges gesagt.
({6})
Zum Abschluß möchte ich Ihnen gern ein paar Sätze darüber sagen, was wir in der Steuerpolitik machen und erreichen wollen. „Durch Umweltsteuern steuern" ist der Slogan, den wir über die ganze Aktion setzen. Das heißt, daß wir einen spürbaren Teil der Steuerlast von Lohn und Einkommen auf den Energieverbrauch und umweltschädigende Produktionen umschichten. Wer die Umwelt schützt, wird sofort entlastet; wer die Umwelt schädigt, muß sofort höhere Steuern zahlen.
({7})
Das soll für Bürger wie für Unternehmen gleichermaßen gelten. Ein System von Umweltsteuern ist ein überzeugender marktwirtschaftlicher Weg, um von einer defensiven Umweltpolitik wegzukommen, die eingetretene Schäden lediglich nachträglich repariert.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie jetzt Ihre Zeit schon kräftig überschritten haben - mit Zustimmung Ihrer Fraktion -, aber der folgende Redner Ihrer Fraktion natürlich dieser Minuten verlustig geht. Es ist ein Gebot der Fairneß, das zu sagen.
Ich nehme auf den nachfolgenden Redner meiner Fraktion jetzt Rücksicht und beende an dieser Stelle meine Rede.
Wieczorek ({0})
Ich bedanke mich sehr, daß Sie mir so diszipliniert zugehört haben.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es zeigt sich: Die Opposition hat es mit ihren Angriffsbildern in der Haushaltsdebatte dieser Woche - wie auch schon in den vergangenen Jahren - sehr schwer. Da braucht man gar nicht die Rede der Kollegin Matthäus-Maier oder den soeben gehörten Beitrag zugrunde zu legen. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man die souveräne Rede unseres Bundesfinanzministers Gerhard Stoltenberg heute hier in diesem Hause mit Verstand in sich aufgenommen hat.
({0})
Es ist eine Souveränität, die fest gegründet ist auf den Boden von Tatsachen und von Erfolgen. Und gegen die Erfolge unserer gemeinsamen Finanzpolitik können Sie mit Ihren Attacken nicht anrennen. Hören Sie also auf damit!
({1})
Sie sind zur Erfolglosigkeit verurteilt.
({2})
Den SPD-Rednern steht die Enttäuschung doch geradezu ins Gesicht geschrieben, daß das Krisen- und Katastrophenszenario 1988, das sie vor diesem Haus wiederholt ausgebreitet haben, nicht eingetreten ist. - Sie schütteln den Kopf, Frau Matthäus-Maier. Ich habe noch einmal die Drucksache 11/1313 in die Hand genommen. Das war keine Glückszahl, wie Sie gleich sehen werden. Die Drucksache 11/1313 ist heute genau ein Jahr alt. Sie datiert vom 23. November 1987, als wir den Haushalt 1988 verabschiedet haben.
({3})
Es ist geradezu absurd,
({4})
zu welchen Aussagen Sie sich damals verstiegen haben. Niemand nimmt Ihnen das Recht, im Blick auf bestimmte Entwicklungen Bedenken zu äußern. Dazu bestand seinerzeit auch ein gewisser Anlaß.
({5})
Wir selbst waren in unseren Annahmen und Aussagen sehr vorsichtig.
({6})
In dem damaligen Entschließungsantrag der SPD steht: „Der Haushaltsentwurf 1988 wird der absehbaren wirtschaftlichen Lage im nächsten Jahr nicht gerecht."
({7}) Und an anderer Stelle heißt es:
Die dem Bundeshaushalt 1988 zugrunde liegende Annahme der Bundesregierung über ein reales Wachstum im Jahre 1988 in Höhe von über 2 v. H. ist unrealistisch.
({8})
Noch unrealistischer ist die Annahme der Bundesregierung, bei Fortsetzung ihres wirtschaftspolitischen Kurses sei bis 1991 ein jahresdurchschnittliches reales Wachstum von 2,5 v. H. zu erreichen.
„Noch unrealistischer" sagten Sie. Meine Damen und Herren, Sie sind durch die Ergebnisse unserer Politik wie immer total widerlegt worden.
({9})
Diese Erfolge bestätigen uns in unserer Arbeit für 1989.
({10})
Alle führenden Tageszeitungen, die Bundesbank, die Institute, der Sachverständigenrat - alle attestieren unserer Politik, daß sie uns jetzt in eines der erfolgreichsten Wirtschaftsjahre der Nachkriegszeit geführt hat. Wir haben eine enorme Kaufkraft, noch einmal 175 000 neue Arbeitsplätze, einen Investitionsboom, und das Wachstum trägt sich selbst. Was wollen Sie eigentlich noch mehr als eine so positive Entwicklung mit einem steilen Anstiegswinkel in das Jahr 1989 hinein?
Meine Damen und Herren, 1981/82, in den letzten 20 Monaten vor Ihrem Regierungszusammenbruch, hat sozialdemokratische Politik i Million Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland vernichtet.
({11})
Mehr als eine Million neuer zusätzlicher Arbeitsplätze wird die Politik der Bundesregierung von Helmut Kohl, gestützt auf die Finanzpolitik unseres Finanzministers, bis zur Jahresmitte 1989 zurückgewonnen haben.
({12})
Und ich sage Ihnen: Diese Botschaft werden wir den Wählerinnen und Wählern bei den Wahlen im nächsten Jahr, aber auch 1990 noch einmal sehr nachhaltig in Erinnerung rufen.
({13})
Roth ({14})
Die Konzeptionslosigkeit, die Sie hier in Ihren Debattenbeiträgen offenbaren, kontrastiert doch in ihrer Tonlage in auffälligster Weise zu den leeren Händen, mit denen Sie vor den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes dastehen.
({15})
Sie haben damals, am Anfang, vom „Kaputtsparen" , vom „Totsparen" geredet. Sie haben geradezu den Zusammenbruch unseres Landes für den Fall vorausgesagt, daß diese „schreckliche Sparpolitik" weiter betrieben würde. Nichts ist eingetreten. Der Sachverständigenrat sagt jetzt, die deutsche Volkswirtschaft habe seit dem Regierungswechsel von 1982 eine sehr stabile Konstitution.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Vogel hat für dieses Jahr immer wieder einen angeblichen Schuldenrekord angekündigt. Weder wird es diesen Schuldenrekord 1988 in absoluten Zahlen geben, verehrter Herr Kollege Wieczorek, noch wird ein solches Rekordbild im sinnvollen Bezug zum Gesamthaushalt oder zum Bruttosozialprodukt darstellbar sein. Wir haben während unserer Regierungszeit die öffentlichen Finanzierungsdefizite in etwa halbiert. Das ist der Konsolidierungserfolg. Wir haben gleichzeitig die Steuern gesenkt. Was rennen Sie eigentlich gegen diese erfolgreiche Politik an?
({16})
- Herr Dr. Struck, vielleicht warten Sie noch einen Moment.
Sie sagen, unsere Steuerreformpolitik sei ein Zeichen von Größenwahn. Das haben wir hier im Hause oft gehört. Jetzt stellt der Sachverständigenrat fest: Die Einkommen der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland steigen in diesem Jahr netto wie brutto um real 4 %, bei stabilen Preisen. Eine der wesentlichen Ursachen dafür ist unsere erfolgreiche Steuersenkungspolitik mit dem völlig neuartigen geradlinigen Tarifverlauf, den wir 1990 in der dritten Stufe einführen werden.
({17})
Es wurden bereits jetzt 30 Milliarden DM Steuern für die Bürger gesenkt. Meine Damen und Herren, was stört Sie daran? Dies ist doch eine eindrucksvolle Bestätigung unserer erfolgreichen Finanzpolitik.
({18})
- Entschuldigung, Kollege Struck, wir haben so bescheidene Redezeiten. Ich möchte mit Rücksicht auf die Folgeredner - ({19})
Herr Abgeordneter Dr. Struck, die Verhandlungen darüber müssen Sie freundlicherweise mir überlassen.
({0})
Herr Abgeordneter Roth, ich würde es in der Tat nicht anrechnen. Aber es ist Ihre Entscheidung, nein zu sagen.
Wenn Sie es nicht anrechnen, Herr Präsident, gut.
Bitte schön, Herr Dr. Struck.
Herr Kollege Roth, vorausschikkend, daß ich Ihren Mut zu dieser Zwischenfrage, die Sie zulassen, bewundere, möchte ich Sie fragen: Wenn die Leistungen der Bundesregierung so glänzend sind, wie Sie sie hier dargestellt haben, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß in allen Meinungsumfragen von Forschungsinstituten die Regierungskoalition weit hinter den Sozialdemokraten zurückliegt?
({0})
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Soweit ich Meinungsumfragen verfolge - ich tue das vielleicht nicht so regelmäßig wie Sie, weil Meinungsumfragen immer Momentaufnahmen sind - , habe ich einen weiten Abstand zwischen unseren beiden Parteien nicht erkennen können. Aber ich erlaube mir zu prophezeien, daß es bei der nächsten Bundestagswahl einen deutlichen Abstand zwischen der Koalition von CDU/CSU und FDP auf der einen Seite und der Sozialdemokratischen Partei auf der anderen Seite geben wird.
({0})
Wir haben bereits jetzt das Bruttosozialprodukt, den Gradmesser unserer Leistungsfähigkeit, um ein volles Drittel vergrößert. 600 Milliarden DM beträgt der Zuwachs seit dem Regierungswechsel. Wir haben gleichzeitig die Staatsquote - das ist der Grad der Einmischung des Staates in den volkswirtschaftlichen Ablauf - um drei Prozentpunkte abgesenkt. Das bedeutet, daß über 60 Milliarden DM in jedem Jahr zusätzlich im Verfügungsbereich der Bürger und der Wirtschaft verbleiben, verglichen mit der alten, überhöhten Staatsquote unter einer SPD-Regierung.
({1})
Ich füge hinzu: Die SPD denkt in ihrer Programmatik überhaupt nicht daran, von diesen überhöhten Staatsquoten herunterzukommen. Herr Kollege Wieczorek, Sie haben doch in Münster und in Nürnberg beschlossen, daß die Staatsquote nicht gesenkt werden soll, daß die Steuerquote nicht geringer werden soll. Wir geben mit unserer Politik den Bürgern eine Dividende für ihre Arbeitsbereitschaft und für den gemeinsamen Erfolg in der Bundesrepublik Deutschland.
Roth ({2})
Meine Damen und Herren, von daher wirkt die Kritik, die Sie heute ausbreiten, wenig glaubhaft. Wir wollen die Rolle des Staates neu bestimmen. Wir wollen seinen Anteil auch in Zukunft weiter reduzieren. Dem dient z. B. die erfolgreiche Privatisierung des industriellen Beteiligungsbesitzes des Bundes. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Auf dem Programm bis 1990 stehen noch die Deutsche Pfandbriefanstalt und die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank. Abgeschlossen sind inzwischen die großen Privatisierungsaktionen bei VW, bei VEBA, bei VIAG und bei der IVG. Sie sind industrie- und ordnungspolitisch erfolgreich gewesen, und sie sind auch finanzpolitisch in Ordnung gegangen,
({3})
obwohl das für uns nie im Vordergrund der Betrachtung stand.
Ich will Ihnen einmal sagen, was das in Zahlen bedeutet. Der Bund verzichtet durch den Verkauf dieser Aktien auf ein Dividendenpotential von 100 bis 200 Millionen DM im Jahr, je nach Wirtschaftsergebnis. Die Höchsteinnahmen an Dividenden lagen übrigens vor dem Verkauf der Aktien bei 161 Millionen DM. Wir haben aus der Privatisierung heraus einen Erlös von 6,5 Milliarden DM erzielen können. Dies bedeutet eine dauerhafte Zinsersparnis für den Bundeshaushalt von rechnerisch mindestens 400 Millionen DM pro Jahr.
Meine Damen und Herren, das ist doch kein Verschleudern von Volksvermögen; das ist ordnungspolitisch gesund.
({4})
Jetzt fließen die Dividenden an private Einkommensbezieher, nicht in die Staatskasse. Diese Privaten zahlen ihre Steuern pünktlich; dann wird der Bund noch einmal davon profitieren. Also, hören Sie doch mit Ihrer Kritik auf!
({5})
Was besonders interessant ist - ich sage das mit großer Genugtuung - : Jetzt kann im Haus des Bundesfinanzministers und damit auch in seinem Haushaltsplan, dem Einzelplan 08, sogar eine ganze Abteilung eingespart werden; die Abteilung VIII wird aufgelöst.
({6})
Der Ministerialdirektor an der Spitze wird eingespart.
({7})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich würde mir einmal ähnliche Vorgehensweisen von sozialdemokratischen Regierungen wünschen. Dies beweist doch: Man kann den Staatsapparat auch schlanker und in seiner Bürokratie effektiver machen.
({8})
Der Bundesfinanzminister ist zugleich Chef der größten zivilen Bundesverwaltung, der Zollverwaltung, der Vermögensverwaltung und der Finanzverwaltung. Es werden weitere einschneidende Änderungen im Personalkörper seines Ressorts im Zusammenhang mit dem Wegfall der Personengrenzkontrollen in der Europäischen Gemeinschaft und mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes eintreten.
Der Zoll wird eine veränderte Aufgabenstellung erfahren. Dies wird beträchtliche personelle Dauereinsparungen ermöglichen. Für die Bediensteten, die ja keineswegs mit dem Schicksal einer Entlassung konfrontiert sind, werden sich gewisse persönliche und berufliche Veränderungen abzeichnen. Wir setzen auf die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen; das betrifft nur einen Teil der Zollbeamten. Wir wollen aber auch, daß sich der Staat umgekehrt in besonderer Weise fürsorglich mit diesen Beamten beschäftigt, daß wir frühzeitig Information herausgeben, daß wir frühzeitig freiwerdende Stellen an anderen Dienstorten bekanntgeben und daß sich damit die betroffenen Zollbediensteten in ihrer weiteren beruflichen Entwicklung auf den Staat, auf ihren Dienstherrn verlassen können.
({9})
Ich glaube, das trägt das ganze Haus so mit.
({10})
Ich erwarte im übrigen auch, daß der Bundesfinanzminister eine entsprechende Rationalisierungsschutzverordnung vorlegt, damit die Stellenkegel angepaßt werden können und entsprechende Verstärkungen in anderen Bereichen - wie bei den Flughäfen, der Zollfahndung und -vollstreckung u. ä. - möglich sind.
Meine Damen und Herren, zum Steuerkapitel des Einzelplans 60 ist viel vorgetragen worden. Es zeigt ein sehr erfreuliches Bild. Ich will noch einmal unterstreichen, daß die Dynamik der Steuereinnahmenentwicklung in ganz besonderer Weise auch unsere kommunalen Haushalte erfaßt hat. Die SPD vergißt oder will in der Debatte zumindest vergessen machen, daß in den Jahren 1981 und 1982 bei den deutschen Kommunen eine Finanzierungslücke von 18 Milliarden DM entstanden war.
({11})
Das war eine geradezu verzweifelte Situation, und die hat es in unseren Jahren nie wieder gegeben. Die kommunalen Haushalte sind heute ausgeglichen.
({12})
Wir haben 1984 und 1985 Jahre mit kommunalen Überschüssen gehabt. Natürlich werden die Kommunen anteilsgerecht mit 15 % an den Einbußen der ersten beiden Steuersenkungsschritte 1986 und 1988 beteiligt sein.
({13})
Roth ({14})
Das Bild von 1988 beweist aber ganz deutlich, daß die Kommunen am Segen der wachsenden Steuereinnahmen voll beteiligt sind: 8 % Einnahmenplus.
({15})
Ich bin der Meinung - vielleicht sollten wir uns das alle einmal vornehmen - , wir sollten die Bürger, wenn jetzt die Kommunalwahlen ins Haus stehen - bei uns in Hessen schon im nächsten Frühjahr -, ermutigen, sich jeden einzelnen Politiker genauestens anzuschauen,
({16})
der bei diesem Geldfluß in die kommunalen Kassen Katastrophenstimmung verbreitet. Wem die Fähigkeit zum Haushalten mit Steuergeldern abgeht, ist fehl am Platz, und der gehört abgewählt.
({17})
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zu dem Bild der Verschuldung, wie es hier vom Kollegen Wieczorek gezeichnet wurde. Meine Damen und Herren von der Opposition, der jüngste Bericht der Bundesschuldenverwaltung - wir haben ihn im Ausschuß gerade diskutiert - zeigt doch auf bedrükkende Weise, welche Dauerschäden sozialdemokratische Schuldenpolitik in den 70er Jahren verursacht hat. Der eigentliche historische Bruch mit einer jahrzehntelangen soliden öffentlichen Finanzwirtschaft in der Bundesrepublik ist doch in Ihrer Regierungszeit eingetreten, als Sie im Durchschnitt Jahr für Jahr um 17 % höhere Schulden gemacht haben.
Herr Abgeordneter Roth, Sie überschreiten Ihre Zeit deutlich.
({0})
Wenn wir mit diesem Einzelplan nicht später als geplant fertig werden wollen und um 14 Uhr mit dem nächsten beginnen wollen, müssen wir uns an die Zeit einigermaßen halten. Deswegen hilft es nichts; Sie müssen zum Ende kommen.
Herr Präsident, ich komme mit zwei Sätzen zum Ende.
Zum einen möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir heute für Zins und Tilgung der Schulden der sozialdemokratischen Regierungszeit bis Ende 1987 bereits 12 Milliarden DM mehr in den Kapitalmarkt hineingeben mußten, als wir im gleichen Zeitraum aus dem Kapitalmarkt in Form von neuen Krediten aufnehmen konnten.
({0})
Das Zweite. Die Zukunft kommt nicht von selbst, Frau Matthäus-Maier, auch wenn ein SPD-Parteitagsmotto etwas anderes aussagt. Wir müssen mit Ideen und Unternehmungsgeist die Zukunft angehen, wir müssen den Kräften der Zukunft Vorrang vor den Bequemlichkeiten des Tages einräumen.
({1})
Der Bundeshaushalt 1989, wie er hier zur Verabschiedung vorliegt, bestätigt, daß die Mehrheit des Hauses in ihrer finanzpolitischen Grundlinie einen weiterhin verantwortlichen Haushaltskurs steuert.
({2})
Wir machen weiterhin vom Budgetrecht, dem parlamentarischen Königsrecht, in vernünftiger Form Gebrauch.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler und Graf Lambsdorff haben gestern die Steuerpolitik der Koalition gelobt. Es war nur die Rede von Steuererleichterungen. Wahr ist, daß dieser Bundestag in dieser Woche das größte Steuererhöhungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschließen wird, und davon war nicht die Rede.
({0})
Tabaksteuer, Erdgassteuer, Heizölsteuer, Versicherungssteuer, Steuer für Diesel-Pkw - zusammen mit der Mißgeburt der Quellensteuer ist das ein Steuererhöhungspaket von 13 Milliarden DM.
({1})
Nehmen Sie doch bitte, Herr Dr. Stoltenberg, endgültig von dem Märchen Abschied, Ihre Koalition betriebe eine Steuerpolitik, die zu einer dauerhaften Entlastung aller durchschnittlich verdienenden Steuerzahler führt. Dies ist nicht wahr!
({2})
Mir fehlt wegen des Debattenablaufs die Zeit; ich kann Ihnen die ganzen Zahlen, die vom Karl BräuerInstitut errechnet worden sind, jetzt nicht vorführen. Fest steht: Wir haben im Augenblick einen Nachkriegsrekord bei der Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer.
({3})
Dieser Rekord wird im nächsten Jahr durch die Verbrauchsteuererhöhungen steigen. Es wird eine kurze Dämpfung im Anstieg durch das Steuer-Paket 1990 geben.
({4})
Danach wird die Steuer- und Abgabenbelastung von Jahr zu Jahr weiter wachsen.
Dies ist die Wahrheit, Herr Gattermann; Sie haben das in der Anhörung zu den Gesetzen selber gehört.
({5})
Zur Lohnsteuer: Warum, Herr Dr. Stoltenberg, haben Sie denn das Jahr 1988 genannt, aber nicht die Steuerschätzung für 1987 und 1989 vorgelesen? Dann hätten Sie nämlich sagen müssen, daß 1988 ein Ausnahmejahr ist. Im Jahr 1987: Gesamtsteuerzuwachs 3,6 %, Lohnsteuer 7,8 %, Herr Dr. Stoltenberg. 1989: Gesamtsteuerzunahme 5 %, Lohnsteuer 6,3 %. Wenn man wahrhaftig argumentieren will, Herr Dr. Stoltenberg,
({6})
dann muß man Zahlenreihen nennen und nicht das herausgreifen, was einem gerade so in den Kram paßt.
({7})
Herr Dr. Stoltenberg, ich komme auf unsere Pläne, auch auf den Artikel, den Sie vorhin erwähnt haben, zurück.
({8})
Ich sage Ihnen schon jetzt folgendes: Das Problem Ihrer Verbrauchsteuererhöhungen besteht darin, daß Millionen von Bürgern - Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Studenten - zwar bei der Steuersenkung völlig leer ausgehen, aber mit den Verbrauchsteuererhöhungen ihren Obolus zwangsweise entrichten müssen, damit Sie im Jahre 1990 Ihre Steuergeschenke für die Groß- und Spitzenverdiener finanzieren können.
({9})
Das ist der Zusammenhang. Darüber können Ihre Argumente nicht hinwegtäuschen.
({10})
- Da Sie, Herr Jäger, hier jetzt nervös dazwischenrufen und schon wieder von Klassenkampf reden, will ich Ihnen folgendes sagen: Ist es für Sie, Herr Jäger, wirklich Klassenkampf, wenn ich feststelle, daß eine Familie, mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 40 000 DM im nächsten Jahr durch Ihre Steuerpolitik fürs Heizen mehr zusätzlich bezahlen muß, als sie ein Jahr später durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge zurückbekommt?
({11})
- Wenn Sie meinen, das sei falsch, dann will ich Ihnen sagen: Diese Familie mit zwei Kindern bekommt durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge insgesamt im Monat 18,20 DM, und da spricht der Bundeskanzler von einer familienfreundlichen Politik.
({12}) Das ist familienfeindlich; das ist ein Skandal.
({13})
Wenn Sie das nicht gerne hören, dann habe ich Verständnis dafür, weil man sich ja eigentlich schämen
müßte, wenn ein christlicher Politiker eine solche Politik verantwortet.
({14})
Wenn man dann noch weiß, Herr Jäger, daß ein Spitzenverdiener durch das Ehegattensplitting zusätzlich pro Jahr, ab 1990, 3 300 DM an Steuersenkung bekommt - allein deswegen, weil er verheiratet ist -, dann wird die Sache natürlich noch schlimmer.
({15})
Warum hat, nachdem die Steuermehreinnahmen jetzt feststehen, nachdem die EG-Abgaben geringer werden, der Bundesfinanzminister den Ratschlägen vieler eigentlich nicht Folge geleistet und die Verbrauchsteuererhöhungen wenigstens verschoben? Die Antwort ist einfach: Der Bundesfinanzminister ist steuerpolitisch gescheitert. Er hat nur noch die Kraft für eine Steuerpolitik des „Augen zu und durch".
({16})
Er hat nicht mehr die Kraft, seine Beschlüsse den geänderten Verhältnissen anzupassen.
({17})
Übrigens, alle Verbalschminke in Sachen Umweltpolitik hilft nicht, diesen Steuererhöhungen den Anschein zu geben, Sie hätten irgend etwas mit Umweltoder Energieeinsparpolitik zu tun. Nein, wer erlebt hat, daß die Höhe des Erdgassteuersatzes nach einer langen Diskussion allein unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität zum Öl festgelegt worden ist, Herr Gattermann, daß das Thema „relative Umweltfreundlichkeit" des Erdgases überhaupt keine Rolle gespielt hat, wer weiß, daß man den Diesel-Pkw steuerlich belastet, den Lkw aber nicht, obwohl 75 % der Partikelemissionen im deutschen Kraftverkehr von Lkw kommen, der weiß: Mit Umwelt- und Energiepolitik hat dies alles nichts zu tun.
({18})
Oder sind denn die Rußpartikel, die aus dem Auspuff eines Diesel-Pkw kommen, krebsgefährdender - wenn überhaupt - als die Rußpartikel aus dem Auspuff eines Lastkraftwagens?
Meine Damen und Herren, wir sagen nein zu dieser Art der Verbrauchsteuererhöhung, und wir sagen ja zu einer ökologischen Erweiterung des Steuersystems.
({19})
Daß natürlich zwischen dem, was wir wollen, nämlich umwelt- und energiepolitisch orientierte Steuern, und dem, was heute zur Entscheidung ansteht, ein himmelweiter Unterschied besteht, kann ich jetzt wegen der Verkürzung der Redezeit im einzelnen leider nicht
ausführen. Ich will in aller Eile nur zu ein paar Punkten etwas sagen:
Natürlich wissen wir, Herr Dr. Stoltenberg, daß man für diejenigen, denen wir die Steuererhöhung nicht über eine Senkung der Lohnsteuer und auch nicht über die Besteuerung der Investitionstätigkeit zurückgeben können, sozial flankierende Ausgleichsmaßnahmen braucht. Es gibt doch Instrumente z. B. für die Fernpendler, z. B. für die Rentnerin über die Erhöhung des Wohngelds; lassen Sie uns doch nicht so tun, als ob es so etwas nicht gäbe.
Daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt werden muß, ist eine blanke Banalität. Ist Ihnen klar, daß Japan seit der Ölpreiskrise die höchsten Industriestrompreise innerhalb der zur OECD gehörenden Industrieländer hat, daß sie dort über ein Drittel höher sind als bei uns, daß aber eben deswegen in Japan die Effizienz der Energieverwendung zwischen 1973 und 1985 um 30 % gesteigert wurde, bei uns aber nur um 18 %?
Natürlich muß man den Wettbewerb beachten; das braucht man Sozialdemokraten nicht zu sagen, schon gar nicht, wenn wir über 2,2 Millionen Arbeitslose reden.
({20})
Es ist zu billig, einfallslos und zeugt von Feigheit vor den Aufgaben der Zukunft, wenn über so etwas nicht nachgedacht, sondern kurzerhand das Totschlagargument der Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit benutzt wird.
({21})
Meine Damen und Herren, in allen Parteien - Frau Breuel und Herr Biedenkopf von der CDU, Herr Baum von der FDP - wird über den Ausbau des abgabeund steuerrechtlichen Instrumentariums für die Umweltpolitik nachgedacht. Ich fordere Sie, uns alle auf: Lassen Sie uns in einen konstruktiven Wettbewerb darüber eintreten, wer denn die besten Ideen auf diesem Gebiet hat. Wir sollten uns auch nicht selber durch das Stichwort EG am Nachdenken hindern.
({22})
Darf denn nur Frau Thatcher bei der Steuerharmonisierung kämpfen, Herr Bundesfinanzminister, wenn es darum geht, den Nullsatz bei der Mehrwertsteuer zu erhalten?
({23})
Unsere Kinder werden uns nicht fragen, ob wir es geschafft haben, die Weinsteuer zu verhindern oder die Sektsteuer beizubehalten. Sie werden uns gerade auch im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt fragen: Was haben wir auch steuerpolitisch und abgabenpolitisch getan, um unsere Umwelt zu verbessern, um Schaden abzuwehren?
({24})
Meine Damen und Herren, Polemik ist keine Kunst. Eine vernünftige, zukunftsorientierte Steuerpolitik, die umweltpolitisch sinnvoll, ökonomisch vernünftig und sozial gerecht ist, das ist die Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen. Mit den Verbrauchsteuererhöhungen, die Sie heute gegen unseren Widerstand beschließen werden, werden Sie all diese Ziele verfehlen. Deswegen lehnen wir diese Verbrauchsteuererhöhungen ab.
Schönen Dank.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Hans Hermann Gattermann.
Verehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Huonker, das Angebot für eine rationale Auseinandersetzung über die besten Wege in der Steuerpolitik nehme ich hiermit gerne und ausdrücklich an. Ich glaube, wir alle sollten ein bißchen darüber nachdenken, wie die Rituale unserer Haushaltsdebatten ablaufen: zu wenig Selbstkritik bei den Regierenden und zu wenig Anerkennung bei der Opposition, polemische Übersteigerungen, Verdrehungen
({0})
und kontinuierlich die tibetanische Gebetsmühle.
({1})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, man sollte nicht glauben, man würde, wenn man es anders machte, vielleicht an Unterhaltungswert einbüßen; vielmehr würde man an Informationswert gewinnen.
({2})
- Vor allen Dingen, Herr Jahn, weiß ein guter Intendant, daß er einen Spielplan nicht nur mit Verwirr-und Rüpelspiel bestreiten kann. Wir sollten da wirklich ernsthaft alle miteinander in uns gehen.
Ich will damit anfangen: Dieser Haushalt 1989 erfüllt nicht unsere Planzahlen, weder in der Steigerungsrate der Ausgaben von über 5 % noch in den Finanzierungsdaten mit immerhin noch rund 28 Milliarden DM Neuverschuldung. Über die Gründe hierfür ist vieles gesagt worden und wird im Verlauf der Debatte wohl noch einiges gesagt werden. Ob es sich um die nicht ganz freiwilligen Aufwendungen für regionale Strukturhilfe handelt, ob es sich um die Defizite der Bundesanstalt für Arbeit handelt, ob es sich um erhöhte Bürgschaftsinanspruchnahmen handelt oder was auch immer, es handelt sich durch die Bank um unvermeidbare Faktoren.
Eines will ich allerdings als erfreulich hervorheben, und das ist der Mehraufwand für Kindergeld. Das ist doch ein Indiz dafür, daß jene Apokalyptiker mit ihrer These vom zunehmend vergreisenden Volk der Deutschen
({3})
etwas schief angesetzt haben, und ich finde, das ist erfreulich.
Die Feststellung, daß der Haushalt aus meiner Sicht jedenfalls verantwortlich und finanzpolitisch auch akzeptabel ist, basiert nicht zuletzt auf dem Umstand,
daß wir hier und heute auch Verbrauchsteuererhöhungen beschließen wollen.
({4})
Herr Huonker hat es eben wiederholt: Viele Berufene oder weniger Berufene empfehlen uns,
({5})
ob der jüngsten Daten der Steuerschätzung und ob der geringeren Abführungsbeträge an die EG doch nun auf die Verbrauchsteuererhöhungen zu verzichten, weil sie fiskalisch nicht mehr notwendig seien. Wir widerstehen dieser populären Empfehlung aus guten Gründen.
Zum ersten ist es für die Wirtschaft, für Bürger und für internationale Partner nicht eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn man im Juni etwas beschließt, um es dann im November wieder sein zu lassen, so frei nach dem Motto: „Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln"
({6})
- so etwas passiert, Frau Kollegin -; zum zweiten ist es auch in der Sache nicht gerade Ausdruck finanzpolitischer Solidität, wenn man auf aktuellen, keineswegs für die Zukunft gesicherten Mehreinnahmen mittelfristige Finanzierungen aufbaut; zum dritten entspricht es auch unserer steuerpolitischen Philosophie, das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern wieder ein bißchen in Ordnung zu bringen; zum vierten darf daran erinnert werden, daß diese Beschlüsse hierfür im Kern bereits im Februar 1987 getroffen worden sind und lediglich aus konjunkturpolitischen Gründen im Gefolge des 19. Oktober 1987 um ein Jahr verschoben wurden; zum fünften vollziehen wir mit den Tarifanhebungen jedenfalls weitgehend einen ohnehin anstehenden Schritt zur Harmonisierung in Europa, und zum sechsten - das will ich als meine ganz persönliche Meinung sagen - glaube ich, daß sie geradezu maßgeschneidert in die konjunkturelle Landschaft passen. Ich sehe das etwas anders als viele Wirtschaftswissenschaftler.
Zum einen treffen diese Beschlüsse auf ein sehr niedriges Preisniveau in dem Bereich der anzuhebenden Steuern - das ist gut - , und zum anderen nehmen sie etwas Dampf aus der konjunkturellen Entwicklung dieses Jahres, um dann im Jahre 1990 bei der voll greifenden letzten Stufe der Steuerreform wieder stimulierend neu auf den konjunkturellen Verlauf einzuwirken.
Zum Timing: Ich gebe ja zu, meine Damen und Herren von der Opposition, daß bei unserer Politik auch ein bißchen Glück mitspielt. Warum denn nicht? Aber es ist das Glück des Tüchtigen, und es trifft auf die Rahmenbedingungen, die die Tüchtigen geschaffen haben. Dadurch kann es sich entfalten.
({7})
Bei den Verbrauchsteuererhöhungen richtet sich die zentrale Kritik gegen die Energiebesteuerung, insbesondere die des Erdgases. Es soll eingeräumt werden, daß aus dem Kranz der Argumente das eine oder andere nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Es sei auch eingeräumt, daß die Einschätzung der ökonomischen Folgen bei einigen industriellen Verbrauchern nicht ohne Restrisiko ist.
({8})
Nichtsdestoweniger meinen wir, mit der unterschiedlichen Dimensionierung - Sie haben ja die Korrekturen im Gesetzgebungsverfahren miterlebt - das Notwendige und Richtige getan zu haben, um weder energiepolitisches noch beschäftigungspolitisches noch gar umweltpolitisches Porzellan zu zerschlagen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung machen zu dem von Frau Matthäus-Maier wieder so genannten Quellensteueramt, und zwar zum Thema Stückzinsen. Immerhin ist es in den parlamentarischen Beratungen gelungen, eine Regelung zu treffen, die aus mehreren Millionen Einzelanträgen einige Zehntausend Sammelerstattungsanträge macht. Das ist ein ganz beachtlicher Schritt zu weniger Bürokratie in diesem Bereich.
({9})
Wir hoffen und wünschen, daß die Erfahrungen der drei Jahre, in denen dieses Verfahren praktiziert werden soll, so sein werden, daß wir demnächst auf Dauer darauf verzichten können als Folge guter Beratung der Banken und als Folge ausbleibenden Mißbrauchs.
Frau Matthäus-Maier, Sie, die Sie ja erfolgreich eine sechsjährige Qualifizierungsoffensive innerhalb der FDP-Fraktion absolviert haben, meinen diagnostizieren zu sollen, daß die Wende ein Sprung in die umgekehrte Richtung gewesen sei. Natürlich steht vieles noch aus,
({10})
aber die Schritte laufen doch durch die Bank in die richtige Richtung. Selbst wenn hier und da einmal einer im Stile der Echternacher Springprozession dazwischen sein sollte, so bleibt doch das zentrale gesellschaftspolitische, finanzpolitische Ziel, daß wir bis zum Jahre 2000 in der Inanspruchnahme des Bruttosozialprodukts in etwa wieder zurückkommen wollen auf die Quotierung Anfang der 70er Jahre: 40 : 60. Drei Punkte auf diesem Wege haben wir bereits erfolgreich hinter uns gebracht.
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier beantworten.
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Gattermann, haben Sie nicht verstanden - vielleicht habe ich mich schlecht ausgedrückt; dann will ich Ihnen das als Frage stellen -, daß doch einer der Hauptinhalte meiner Rede von heute morgen war, herauszuarbeiten, daß Sie das, was Sie, beide jetzigen Koalitionsparteien, vor der Wende versprochen hatten, nicht in die Tat umgesetzt haben? Denn angeblich war es doch so wichtig, sofort die Arbeitslosigkeit abzubauen, die
Staatsverschuldung herunterzufahren, die Sozialabgaben zu senken, die Investitionen anzuheben. Das ist doch alles weitgehend verfehlt worden.
Verehrte Kollegin, Sie wissen, daß die Politik dieser Regierung zur Lösung der von Ihnen geschilderten Probleme wesentlich ansetzt bei der entsprechenden Gestaltung von Rahmenbedingungen
({0})
und daß insofern nicht alle Wirkungen - hier rein, da raus - sofort nachgewiesen werden können.
({1})
- In sechs Jahren - das ist heute morgen mehrfach gesagt worden - haben wir 870 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Aber nicht nur diese sind geschaffen worden, sondern Hundertausende mehr, die nämlich jeweils im Zuge der strukturellen Veränderungen unserer Wirtschaft weggefallen sind. Insofern ist nicht nur der Saldo ausgeglichen worden, sondern es sind rund 900 000 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen worden.
Was das Nichtverstehen betrifft - damit komme ich auf die uralte Diskussion über das Ehegattensplitting zu sprechen, das Sie und auch DIE GRÜNEN immer als Finanzierungsquelle ansehen: Sie haben - damit will ich es jetzt bewenden lassen - schlicht und ergreifend trotz Quotenregelung und Frauenbeauftragten den Grundgedanken der partnerschaftlichen Zusammengehörigkeit von zwei Menschen auf gleicher Baiss, auf gleicher Ebene nicht verstanden.
({2})
Sie haben es schlicht und ergreifend nicht verstanden.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen Satz sagen, weil da schon das Ende signalisiert wird, und zwar weil mir daran liegt, daß es im Protokoll des Deutschen Bundestages steht. Wenn der „Spiegel" in der letzten Woche richtig über Äußerungen aus der Aufsichtsratsitzung von Daimler-Benz berichtet dahin gehend, daß die Meinung der FDP, die im Kabinettsbeschluß ihren Niederschlag gefunden hat, daß Gewinne aus dem Rüstungssektor der Reduzierung des Subventionsvolumens beim Airbus dienen sollen, nicht ernst gemeint sei, falls dies also zutrifft, soll hier gesagt werden, daß die FDP-Fraktion und - ich nehme an, da das eine Kabinettsentscheidung ist - das gesamte Kabinett diese Bemerkung außerordentlich ernst meinen.
({3})
Niemand wird uns bei der Ausarbeitung der Verträge über den Tisch ziehen. Dies verspreche ich hier im Namen der FDP-Fraktion.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meyer zu Bentrup.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jahr 1988 wird zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftsjahre in unserer Nachkriegsgeschichte. Der Zuwachs des Bruttosozialprodukts wird die Rekordhöhe von 107 Milliarden DM erreichen. Grundlage für diese historisch einmalige gesamtwirtschaftliche Leistung und Rahmen für die positive Entwicklung über sechs Jahre hinweg ist eine konsequente Finanz- und Steuerpolitik. Sie baut auf auf Steuerentlastungen und sparsame Haushaltswirtschaft.
In der Zeit von 1983 bis 1987 - ich fasse diese einmal zusammen, weil sie vorher in Frage gestellt worden sind - sind die Unternehmenssteuern in Höhe von 11 Milliarden DM gesenkt worden. In drei Schritten 1986/1988/1990 werden die Einkommen- und Lohnsteuern in der Höhe von 45 Milliarden DM gesenkt werden. Diese Steuerentlastungen
({0})
sind das tragende Fundament realer Einkommenszuwächse und hoher Investitionen. Die höheren Verbrauchsteuern im nächsten Jahr von etwa 8 bis 9 Milliarden DM werden dieses sichere Fundament nicht in Frage stellen.
Erstens. Mit höheren Verbrauchsteuern
({1})
soll der Konsolidierungskurs des Bundeshaushaltes fortgesetzt werden.
Zweitens. Mit höheren Verbrauchsteuern soll es zu einem ausgewogeneren Verhältnis von direkten und indirekten Steuern kommen.
Drittens. Die privaten Haushalte werden auch im nächsten Jahr die höheren Verbrauchsteuern tragen können. Wenn sie in ihrer Kaufkraftentwicklung beeinträchtigt werden, dann wird im Jahre 1990 die dritte Stufe der Steuerreform zu einem kräftigen Anstieg der verfügbaren Einkommen führen. Dies wird insofern ein richtiges Timing sein, wie mein Vorredner und Kollege Gattermann schon gesagt hat.
Die Energiepreise werden im Jahre 1989 die Konjunktur insgesamt nicht gefährden. So sind
({2})
die Ausgaben für Öl- und Gasimporte von 1985 bis heute um 50 Milliarden DM zurückgegangen.
({3})
Der Durchschnittshaushalt zahlte 1985 für sein Heizöl 2 775 DM, heute bei gleicher Menge und dem höheren Steuersatz für 1988 zahlt er nur 1 312 DM, also die Hälfte seiner Ausgaben von 1985.
({4})
Der Durchschnittshaushalt zahlte 1985 für sein Erdgas zum Heizen 2 448 DM; heute zahlt er für die gleiDr. Meyer zu Bentrup
che Menge mit der Steuer von 2,6 Pfennig je Kubikmeter nur 1 618 DM.
({5})
Aus diesen Zahlen können wir verantworten, daß die vorgeschlagenen Steuererhöhungen auch zu verkraften sind.
Die vorgesehene Besteuerung von Erdgas ist kontrovers diskutiert worden. Hier bleibt festzustellen:
Erstens. Heizöl und Erdgas stehen im Wärmemarkt in harter Konkurrenz. Eine von vielen geforderte einseitige, noch höhere Besteuerung von Heizöl bei gleichzeitiger Nichtbesteuerung von Erdgas hätte diesen Wettbewerb völlig verzerrt.
({6})
Der nun vorgeschlagene Steuersatz von 2,6 Pfennig je Kubikmeter nimmt Rücksicht auf die gegenwärtigen Wettbewerbsverhältnisse.
Zweitens. Die Heizölpreise und Erdgaspreise sind vertragsmäßig miteinander verbunden. Eine einseitige Verteuerung des Heizöls führt automatisch mit zeitlichem Verzug auch zu höheren Gaspreisen für den Endverbraucher. Nur, diese höheren Gaspreise werden von den Gaserzeugern und -lieferländern in ihre eigenen Taschen geleitet. Sie gelangen nicht in die Kassen des Bundes. Insofern ist die Erdgassteuer eine Möglichkeit, diese „Sondererträge" in die staatlichen Kassen zu lenken.
({7})
Drittens. Verändert wird mit diesem Gesetz die Besteuerungsebene. Schuldner der Erdgassteuer soll nicht mehr derjenige sein, der das Erdgas zum Verbraucher verteilt, sondern der Hersteller sowie der Importeur. Ein größerer Wettbewerb kann hierdurch zu günstigeren Preisen bei Erdgas für die Verbraucher führen. Wir unterstellen diese Entwicklung.
Viertens. Umweltpolitisch scheint mir die Privilegierung des Erdgases in der Vergangenheit heute nicht mehr gerechtfertigt zu sein.
({8})
Als fossiler Energieträger ist Erdgas heute ebenso umweltbelastend wie Heizöl, wenn auch minimal beim Schwefeldioxid, aber doch ebenso stark bei Kohlendioxid, bei Kohlenmonoxid, bei Stickoxid und bei Kohlenwasserstof f en.
({9})
Der schleichende wie gefährliche Temperaturanstieg der Erdatmosphäre ist gerade hier auf den steigenden Kohlendioxidgehalt der Luft und auf die klimawirksamen Spurengase zurückzuführen. Insofern ist diese Fragestellung hier schon angebracht.
({10})
Wenn Sie von der sozialdemokratischen Fraktion die Erhöhung der Energiebesteuerung in dem Verbrauchsteueränderungsgesetz ablehnen, aber auf Ihre wegweisenden Beschlüsse - ich zitiere den Kollegen Wieczorek - in Münster hinweisen, so frage ich Sie: Wo ist Ihr Gesamtkonzept?
({11})
Geht es hier vielleicht darum, dem schicken Modebegriff von der ökologischen Steuerpolitik hinterherzulaufen?
Ich darf noch einmal Ihren früheren finanzpolitischen Sprecher, Hans Apel, zitieren. Er schrieb in der „Wirtschaftswoche" am 18. November unter der Überschrift „Falscher Weg zum Ziel" :
Selbst wenn diese Rechnung
- eine scharfe Energiebesteuerung und Umlenkung der Mehreinnahmen in eine Entlastung der Einkommen- und Lohnsteuer insgesamt aufgehen sollte, schafft die SPD große Ungerechtigkeiten. Zumindest die Fernpendler werden belastet. Das muß die Schwierigkeiten der revierfernen Regionen weiter verstärken.
({12}) Und er ergänzt:
Offen bleibt die Frage, ob den 17 Millionen Rentnern, Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Studenten, die keine Lohnsteuer zahlen, aber von den Energiesteuern belastet werden, ein Ausgleich gegeben werden soll. Gerade wenn für diesen Personenkreis eine Lösung gefunden wird, muß gefragt werden, warum dieser riesige Umverteilungsmechanismus überhaupt in Gang gesetzt werden soll.
So Hans Apel in seiner Darstellung in der „Wirtschaftswoche".
Wir fürchten es nicht nur, wir sind sicher, daß Ihr Weg der ökologischen Steuerpolitik in die falsche Richtung geht, nämlich in die Richtung eines wachsenden Steuerstaates mit einer wachsenden Bürokratie, die immer neue Umverteilungsmechanismen einbauen muß. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin für Gebührenhaushalte, ich bin auch im Abgabenrecht für das marktwirtschaftliche Element und auch da für das Verursacherprinzip, aber die ökologische Steuerpolitik ist, wie Hans Apel sagt, ein falscher Weg zum Ziel. Deswegen können wir Ihren Gedanken überhaupt nicht nähertreten. Wir sind gespannt, wie das Ergebnis Ihres Gesamtkonzeptes aussieht.
Wir stimmen dem Verbrauchsteueränderungsgesetz 1988 und dem Haushaltsbegleitgesetz 1988 zu.
Vielen Dank.
({13})
Herr Abgeordneter, ich bedanke mich bei Ihnen, weil Sie seit langem der erste sind, der seine Redezeit nicht voll ausgenutzt hat.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Pfennig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kann auch ich Ihnen diese Freude noch einmal machen.
Die Kollegin Wieczorek-Zeul hat sich gestern für die SPD beklagt, daß in dieser Haushaltsdebatte zu wenig über die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft, den Binnenmarkt und den Sozialraum diskutiert wurde. Wir haben jetzt nicht nur den Einzelplan 60, sondern auch das Zustimmungsgesetz zum neuen Eigenmittelsystem der Europäischen Gemeinschaften zu debattieren. Wenn die Opposition glaubt, in einigen ausgesuchten Feldern wie z. B. der Mitbestimmung von der Bundesregierung noch präziseres Handeln in der Europäischen Gemeinschaft einfordern zu müssen, so ist das ihr gutes Recht, aber solche Fragen würden den Blickwinkel auf die Entwicklung in der Gemeinschaft im Augenblick zu sehr verengen.
Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, wenn ich einige Worte über die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft sage, wie der Zustand der Europäischen Gemeinschaft zu Beginn der deutschen Präsidentschaft ausgesehen hat. Die Einheitliche Akte war zwar mit der Zustimmung Irlands verspätet in Kraft getreten, aber die beschlossenen Vertragsänderungen und die Vertragsziele, insbesondere die Verwirklichung des Binnenmarktes, waren nicht mit Leben erfüllt. Der wohl wichtigste Grund dafür war, daß man wieder einmal die Bedeutung der Finanzverfassung für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft unterschätzt hatte. Grenzenloser Binnenmarkt, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt sowie Sozialpolitik als gemeinsame Ziele kamen nicht voran, weil die Finanzausstattung hinter diesen Zielen zurückgeblieben war. Während die Einheitliche Akte als Endziel erstmals die Europäische Union nennt, war die Finanzverfassung Ende 1987 noch immer das System der Eigenmittel der 70er Jahre, das ursprünglich als Regelung zur Finanzierung der Agrarpolitik angelegt war und dieses Niveau auch nicht verlassen hatte. Zwangsläufig gab es immer wieder Haushaltsschwierigkeiten. Alle Mitgliedstaaten, alle Finanzminister versuchten, einer föderalen Ausgestaltung und Neufassung der Gemeinschaftsfinanzverfassung zu entgehen. Das große Verdienst der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers vor allen Dingen besteht darin, daß es in Zusammenarbeit mit der EG-Kommission gelang, den gordischen Knoten auf dem Sondergipfel in Brüssel im Februar 1988 durchzuhauen.
({0})
Ohne diesen Erfolg unter deutscher Präsidentschaft in der Frage der Finanzverfassung würden wir heute nicht über den grenzenlosen Binnenmarkt, nicht über den europäischen Sozialfonds, nicht über europäische Umweltschutzpolitik und nicht über das kulturelle Erbe Europas diskutieren, natürlich auch nicht über Verbrauchsteuererhöhungen und auch nicht über Verbrauchsteuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft, aber wohl auch nicht über diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den ostmitteleuropäischen Staaten.
Nur wenn man dies alles im Zusammenhang sieht, kann man die Leistungen der Bundesregierung in der Zeit ihrer Präsidentschaft zutreffend beurteilen. Nicht nur mein Urteil, sondern auch das Urteil unserer Partnerstaaten lautet, daß unter der deutschen EG-Präsidentschaft mit den Entscheidungen zur europäischen
Finanzverfassung der entscheidende Durchbruch für die weitere Integration Europas erzielt wurde. Die deutsche Präsidentschaft hat dabei vorgeführt, wie dynamisch deutsche Europapolitik sein kann, unter Vertretung deutscher Interessen. Unsere Partner haben unsere Vorschläge als vernünftig angesehen und sind uns gefolgt. Nicht ohne Auswirkung bleibt das auch für die Zukunft, so z. B., wenn jetzt von der EGKommission bei der Rechtsform einer europäischen Aktiengesellschaft das sogenannte deutsche Modell der Arbeitnehmermitbestimmung angeboten wird.
Der eine oder andere mag nun meinen, die Bundesrepublik Deutschland zahle für diese Entwicklung einen zu hohen Preis. In der Tat kann die neue Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften beim Bund bis 1992 zusätzlich ca. 30 Milliarden DM Mindereinnahmen herbeiführen, weil diese Einnahmen der Europäischen Gemeinschaft zustehen. Ich halte diese Entwicklung trotzdem nicht für beklagenswert. Im Gegenteil, ich begrüße ausdrücklich die getroffene Entscheidung für eine neue Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften angesichts der langfristigen Ziele, zu denen für mich auch für die Zukunft gehören muß, daß im Rahmen vertraglich der EG übertragener Einnahmearten Rat und Europäisches Parlament gemeinsame Gesetzgebungsrechte haben. Wir Deutschen haben von dieser Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft nicht nur ökonomische, sondern vor allem politische Vorteile.
Als Abgeordneter aus Berlin ist mir sehr wohl bewußt, welchen Stellenwert es hat, daß Vereinbarungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe sowie seinen Mitgliedstaaten die Zugehörigkeit Berlins zur Europäischen Gemeinschaft akzeptiert haben. Dies ist eine entscheidende Wende gewesen, weil unsere deutsche Position bezüglich Berlins gegenüber der Sowjetunion und anderen RGW-Staaten durch die Europäische Gemeinschaft zusätzlich gefestigt worden ist. Ich weiß die Standfestigkeit der EG-Kommission und des Europäischen Parlaments in diesem Punkt zu schätzen. Die Haltung der Bundesregierung und besonders des Bundeskanzlers, daß die formale und materielle Einbeziehung Berlins beim Ausbau der Ost-West-Beziehungen unverzichtbarer Bestandteil der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist, ist dadurch auch für die Europäische Gemeinschaft als ein Grundsatz ihrer Politik deutlich geworden. Dies kann uns langfristig in vielen Bereichen weit mehr helfen als wir heute schon ahnen. Schon jetzt zeigt sich, daß durch die gleichgerichtete Politik der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft in diesem Bereich verhindert wird, daß Berlin in eine politische und wirtschaftliche Randlagenposition gerät.
Im Gegenteil, Berlin beginnt mit seiner geographischen Position in der Mitte Europas neue wirtschaftliche Bedeutung zu gewinnen. Hierfür ist natürlich von Bedeutung, daß dank der Unterstützung des Bundes, aber auch dank eigener Politik Berlin in vielen Bereichen besser dasteht als in der Vergangenheit.
({1})
Nicht zuletzt gehört dazu, daß die Verkehrsverbindungen insgesamt besser geworden sind und noch
weiter verbessert werden. Hierzu gehört z. B. auch der
neue Südübergang in Berlin im Rahmen der neuen Transitpauschalenregelung.
({2})
Ich weiß, daß dieses für den Bund wiederum eine zusätzliche Belastung ist. Die Höhe der Verpflichtungsermächtigung ist schon jetzt im Haushalt ersichtlich. Deshalb weiß ich auch zu schätzen, daß es hierüber zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages keinen ernsthaften Streit mehr gibt, trotz kritischer Nachfragen der SPD.
Ich hoffe, daß sich eine solche grundsätzliche Einigkeit auch in Zukunft, insbesondere bei der Höhe der Bundeshilfe, erzielen läßt, deren Zuwachs mir in der Finanzplanung des Bundes reichlich knapp angesetzt zu sein scheint, Herr Bundesfinanzminister, vor allem wenn ich sehe, daß Berlin in seiner Planung des Ausgabenanstiegs ehrgeizigere Begrenzungsziele als der Bund hat. Die in diesem Jahr erreichte politische Rükkenstärkung Berlins - auch und gerade durch die Europäische Gemeinschaft - darf uns nicht dazu verführen, nach wie vor bestehende Besonderheiten aus dem Auge zu verlieren.
({3})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache. Aber bevor ich Sie in die Mittagspause entlasse, haben wir noch allerhand Abstimmungen vorzunehmen.
Wir kommen nun zum Einzelplan 08, und zwar zunächst einmal zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf Drucksache 11/3341 vorliegt.
Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Danke. Enthaltungen? - Bei einigen Stimmenthaltungen der SPDFraktion gegen die Stimmen der GRÜNEN ist dieser Antrag abgelehnt worden.
Wir stimmen nunmehr über den gesamten Einzelplan 08 ab. Wer dem Einzelplan 08 - das ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien ist dieser Einzelplan angenommen. Ich nehme an, daß keine Enthaltungen festzustellen sind.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 32. Es handelt sich um den Einzelplan über die Bundesschuld. In der Ausschußfassung liegt er Ihnen vor. Wer dieser Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien ist Einzelplan 32 angenommen worden.
Wir kommen zum Einzelplan 60. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN ab, der Ihnen auf Drucksache 11/3380 vorliegt. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden, und zwar mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3381 - das ist ebenfalls ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN - , wer stimmt also dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist von den Fraktionen der SPD, der FDP und der CDU/CSU abgelehnt worden.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 60 ab. Wer dem Einzelplan 60 - das ist die Allgemeine Finanzverwaltung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dieser Einzelplan ist damit gegen die Stimmen der Oppositionsparteien angenommen worden.
Wir kommen jetzt zum Einzelplan 20, Bundesrechnungshof. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, einstimmig angenommen worden.
Wir stimmen nun zu Punkt II der Tagesordnung ab. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1989. Es handelt sich um die Drucksachen 11/2969, 11/3009 und 11/3306 ({0}). Ich rufe die Art. 1 bis 8 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit sind diese Vorschriften gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN-Fraktion angenommen worden.
Ich rufe den Art. 9 auf. Hierzu liegt Ihnen auf Drucksache 11/3436 der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden.
Wer dem Art. 9 in der so geänderten Form zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Artikel in der so geänderten Fassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.
Wer nunmehr den Artikeln 10 bis 15 der Einleitung und der Überschrift in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich mache darauf aufmerksam, daß die dritte Beratung dieses Gesetzes am Donnerstag stattfindet.
Wir kommen nunmehr zum Punkt III der Tagesordnung. Es handelt sich um die Abstimmung in der zweiten Beratung über das von der Bundesregierung eingebrachte Verbrauchsteueränderungsgesetz 1988. Es liegt Ihnen auf den Drucksachen 11/2970, 11/3008 und 11/3399 vor. Ich rufe die Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden.
Vizepräsident Cronenberg
Wir kommen nunmehr zu Punkt IV der Tagesordnung, zur Abstimmung in der zweiten Beratung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990. Dieser liegt Ihnen auf der Drucksache 11/2864 vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/3399 unter Nr. 2, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
({1})
- Offensichtlich ist sich das Haus nicht ganz im klaren.
({2})
- Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/3399, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich habe die Art. 1 bis 3 aufgerufen. Es handelt sich um einen von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
({3})
- Ich höre soeben, daß der Gesetzentwurf in der Ursprungsfassung aufgerufen werden muß. Dann allerdings ist es anders als üblich. Dann ist es so, daß ich über den Gesetzentwurf der Sozialdemokraten abstimmen lassen muß.
Ich rufe daher jetzt den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf, und zwar die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift.
Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzentwurf, wie er vorlag, abgelehnt worden.
Somit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt V: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften - Drucksachen 11/2971 und 11/3307.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN, mit den Stimmen der SPD -, der CDU/CSUund der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt VI und stimmen über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betreffend den Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 - Drucksachen 11/2701, 11/2967, 11/3118, 11/3308 - ab.
Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/3308 ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen; die SPD-Fraktion und die Fraktion DIE GRÜNEN haben dagegen gestimmt.
Wir könnten in die Mittagspause eintreten, wenn wir nicht die Wortmeldung des Abgeordneten Geißler hätten, der nach § 32 unserer Geschäftsordnung um eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung gebeten hat. Ich gebe dem Abgeordneten Geißler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Wischnewski, der erkrankt ist und dem ich von dieser Stelle aus meine Genesungswünsche übermittle, hat mich gestern nachmittag wegen der Lateinamerikapolitik der Christlich-Demokratischen Union während seiner ganzen Rede heftig angegriffen. Er stützt sich dabei auf falsche, erfundene und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate in einem Wochenmagazin. Seine Angriffe sind um so erstaunlicher, als er selber in seiner Rede bestätigt hat, daß ich ihn gestern vormittag - in Unkenntnis seiner Redeabsicht - informierte, daß diese Berichterstattung nicht den Tatsachen entspricht, und er in seiner Rede zugegeben hat, daß er in Telefongesprächen in Chile festgestellt habe, daß ihm dies „weitgehend ausdrücklich bestätigt" worden sei.
Dann frage ich mich, warum er dennoch diese Rede gehalten hat. Die Christlich-Demokratische Internationale, deren Vizepräsident ich bin, hat den Kampf für die Demokratie unter Führung der Christlichen Demokraten in Chile von Anfang an nachhaltig unterstützt und unterstützt auch heute den Zusammenhalt aller demokratischen Kräfte, die das Nein gegen Pinochet durchgesetzt haben. Wer der nächste Präsidentschaftskandidat sein wird, müssen diese demokratischen Kräfte selber bestimmen. Es ist aber allgemeine Auffassung, daß die Christlichen Demokraten in Chile als führende Oppositionspartei das erste Vorschlagsrecht haben sollten. Ich bin außerdem in Übereinstimmung mit diesen demokratischen Parteien gegen jede politische Gemeinsamkeit mit den Kommunisten, weil sie ebensowenig wie Pinochet die Demokratie wollen. In El Salvador unterstütze ich den Präsidenten Napoleon Duarte in seinem Kampf für die Demokratie, den er gegen zwei Fronten führen muß, nämlich gegen die Todesschwadrone der Rechten und gegen die Guerilla der Linken. Beide morden und zerstören das Land, und ich halte es mit Duarte und Morales Ehrlich für unverantwortlich, daß der kommunistische Guerillaführer Villalobos, an dessen Händen genausoviel Blut klebt wie an den Händen der Todesschwadrone, von den sozialistischen Präsidenten in Costa Rica und Venezuela in ihren Präsidentenpalästen offiziell empfangen wird. Ich frage mich, wie Kollege Wischnewski und die Sozialistische Internationale reagieren würden, wenn die Anführer des Sentiero Luminoso in Peru, die dem sozialistischen Präsidenten Garcia einen mörderischen Kampf lieDeutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 109. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 23. November 1988 7593
fern, von einem christlich-demokratischen Präsidenten wie z. B. Vinicio Cerezo in Guatemala offiziell empfangen werden würden.
Im übrigen stelle ich noch einmal fest, daß alle mir in diesem Zusammenhang in den Mund gelegten Zitate, insbesondere der Satz in bezug auf das Militär in El Salvador „Die Soldaten haben Angst und schießen halt auch, dann kommen unschuldige Menschen ums Leben. ", entweder frei erfunden oder verfälscht sind. Ich werde meine christlich-demokratischen Freunde in der Welt auch in Zukunft unterstützen und es mir nicht nehmen lassen, die Sozialistische Internationale dann anzugreifen und zu kritisieren, wenn sie die demokratische Entwicklung in diesen Ländern durch ihre Arbeit behindert.
({0})
Meine Damen und Herren, nach dieser Erklärung können wir in die Mittagspause eintreten. Ich bedanke mich bei allen, die so viel Geduld gehabt haben, bis zum Schluß hierzubleiben, und wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.
Die Fortsetzung erfolgt, wie ursprünglich geplant, um 14 Uhr. Es gibt also keine Verlängerung der Mittagspause.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe auf: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 11/3209, 11/3221 Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Dr. Weng ({0}) Wieczorek ({1}) Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3342 bis 11/3350 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Sie sind also einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Bundesregierung hat im bisherigen Verlauf der Debatte den Versuch gemacht, die Probleme, die in unserer Wirtschaft bestehen, mit dem Hinweis auf kurzfristige Konjunkturzahlen unter den Teppich zu kehren. Ich finde: Für Selbstzufriedenheit besteht zum jetzigen Zeitpunkt kein Anlaß.
Zur Arbeitslosigkeit: Wer sich ernsthaft mit dem Problem der Arbeitslosigkeit befassen will, kommt ja an der Tatsache nicht vorbei, daß das Auf und Ab der Konjunktur für Zustand und Umfang der Arbeitslosigkeit völlig unerheblich geworden ist.
({0})
Seit 1980 hat sich die Zahl der registrierten Arbeitslosen mehr als verdoppelt: damals 900 000, jetzt 2,3 Millionen. Hinzu kommen etwa 1,2 Millionen nicht registrierte Arbeitslose, die allerdings trotzdem einen Arbeitsplatz suchen. Wir haben 3,5 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland.
Statt dies zu verschweigen, wie es von der Koalition geschieht, sollte dies das Hauptthema der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung sein.
({1})
Wann denn sonst - wenn nicht in einer Phase der Hochkonjunktur - soll die Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden?
Ich gebe allerdings zu: Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben es in der Tat geschafft, das Thema zu verdrängen. Die Verantwortung derjenigen, denen es gutgeht, für diejenigen, die im Schatten stehen, verkümmert zur Zeit. Wer über Arbeitslosigkeit spricht, wird oft genug als einer behandelt, der Randfragen der Politik anspricht. Für mich bleibt es ein Skandal, daß Sie von einer glänzenden Wirtschaftslage sprechen, wenn 3 Millionen Menschen eine Arbeit suchen.
({2})
Erfreulicherweise hat der Sachverständigenrat - da ich ihn in den letzten Jahren öfters kritisiert habe, will ich das hervorheben - dieses Jahr im Jahresgutachten eindringlich an das Thema Arbeitslosigkeit erinnert, und zwar insbesondere an das Thema der Dauerarbeitslosen. Das ist auch ein Aspekt, der kaum diskutiert wird.
Wir haben zur Zeit 700 000 Menschen in der Bundesrepublik, die - registriert - länger als ein Jahr arbeitslos sind. Es waren 1980 200 000. Das zeigt die Verfestigung der Massenarbeitslosigkeit.
Die „Süddeutsche Zeitung" hat in einem Kommentar am Wochenende festgestellt - ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung", weil sie ja insgesamt der Wirtschaftspolitik der Koalition nicht feindselig gegenübersteht - :
Die Forderung der Sachverständigen muß die Koalition doppelt beschämen. Zum einen sind bislang so gut wie keine Initiativen zu beobachten, die psychischen Probleme von Dauerarbeitslosigkeit ernst zu nehmen und wirksam aufzufangen. Zum anderen ist man gerade dabei, die einzig vorhandenen Instrumente der Wiedereingliederung von Betroffenen, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Programme zur beruflichen Qualifizierung, mit der Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes kräftig zusammenzustreichen.
Herr Blüm hat offenbar alles vergessen, was er früher als Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse mit großem Pathos verkündet hat. Das ist meines Erach7594
tens keine „Blümage" mehr, sondern das ist schlicht eine politische Schande.
({3})
Meine Damen und Herren, eine Haushaltsplandebatte hat vor allem die Aufgabe, die Grundlinien der Politik, in diesem Fall der Wirtschaftspolitik, zu diskutieren. Es geht nicht so sehr um Haushaltsdetails, so wichtig sie natürlich im Einzelfall sein mögen.
Ich möchte aus der Vielzahl von Themen vier Problembereiche herausgreifen: erstens die Vorbereitung der Bundesrepublik auf den Binnenmarkt 1992, zweitens die Herausforderungen an unsere Wirtschaft im Hinblick auf die ökologische Erneuerung, drittens die Zuspitzung der regionalen Strukturkrisen und viertens die Ordnungspolitik, in diesem Zusammenhang vor allem das Thema Daimler-Benz/MBB.
Sie wissen, daß das Jahr 1988, was die Außenwirtschaftsprobleme betrifft, unter dem Vorzeichen der Vollendung des Binnenmarktes im Jahre 1992 steht. Wir hätten nun erwartet, daß der Etat 1989 wirtschaftspolitisch von der Strukturpolitik her die Schwerpunkte auf die Vorbereitung auf den europäischen Binnenmarkt setzt: Wo sind die Stärken unserer Wirtschaft? Wo sind Schwächen? Wo sind strategische Ansatzpunkte, um die Binnenmarktpolitik zu verbessern? Zu diesen Fragen haben wir bisher nichts gehört. Vielleicht wird der Kommissar in spe anschließend etwas dazu sagen.
Wir hören zwar seit Monaten Ankündigungen, daß die Bundesrepublik im Hinblick auf den Binnenmarkt auf den Prüfstand müsse: Löhne und Lohnnebenkosten seien zu hoch; Umweltschutzanforderungen seien überzogen; die Unternehmensbesteuerung sei überhöht. Alle Themen, worüber Lobbyisten seit Jahren jammern, erfahren jetzt mit Bezug auf den Binnenmarkt wieder eine Reprise. Das ist keine Binnenmarktpolitik, sondern das ist Jammerei, meine Damen und Herren.
({4})
Ich halte es auch für irreführend. Denn, meine Damen und Herren, darüber müssen wir uns doch wohl einig sein: Die Bundesrepublik ist und bleibt ein Hochlohnland. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen Sozialstaat. Wir wollen, daß dieser Sozialstaat erhalten bleibt. Wir haben nicht zuviel Umweltschutz, sondern zuwenig Umweltschutz in Europa. Das heißt, diese Belastungen bleiben. Meine Meinung ist: Man muß vor dem Hintergrund dieser Belastungen überlegen: Wo sind unsere Stärken, und wo können wir unsere Wirtschaftsstruktur verbessern? Wir sollten da ansetzen, wo wir wissen, daß wir stark geworden sind, z. B. bei der Qualifikation und der Leistungsfähigkeit unserer Arbeitnehmer, z. B. bei der hervorragenden Infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland, die in den 70er Jahren geschaffen worden ist und um die uns alle beneiden.
Es sind mehr Anstrengungen zur Qualifikation notwendig, nicht weniger, wie Sie planen; siehe die Einschnitte im Arbeitsförderungsgesetz.
Wir können unsere Wettbewerbsfähigkeit auf Dauer nur sichern, wenn unsere Arbeitnehmer ihre Qualifikationsvorsprünge erhalten.
Es sind mehr, nicht weniger Investitionen zum Ausbau unserer Infrastruktur notwendig, von der Telekommunikation bis zum Ausbau eines europäischen Bahnsystems.
Es sind mehr Investitionen im Umweltbereich zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen notwendig und vor allem auch, um Umweltschutztechnologien voranzutreiben, die für Zukunftsmärkte ganz entscheidend sind.
Wie wenig die Bundesregierung die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland auf den Binnenmarkt vorbereitet, will ich an einigen Beispielen verdeutlichen.
Beispiel eins: Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Hier liegt ja eine traditionelle Stärke der deutschen Volkswirtschaft und auch ein Erfolg der Wirtschaftspolitik der Vergangenheit. Was kommt jetzt? Die Großunternehmen rüsten in Richtung Binnenmarkt auf.
({5})
Ihre Stabsstellen bereiten für den Binnenmarkt Kooperationen, sogar Fusionen vor. All diese Möglichkeiten stehen der kleinen und mittleren Wirtschaft nicht zur Verfügung - oder nur in ganz seltenen Ausnahmefällen. Ihre Verbände helfen zwar, sie auf den Binnenmarkt vorzubereiten, aber ohne eine umfassende Unterstützung durch die nationale Wirtschaftspolitik werden die kleinen und mittleren Unternehmen im europäischen Binnenmarkt benachteiligt sein.
({6})
Wo ist ein Projekt Binnenmarkt für kleine und mittlere Unternehmen, meine Damen und Herren? Während beispielsweise die französische Regierung den Binnenmarkt zur nationalen Frage gemacht hat, geht die Bundesregierung mit unseren Stärken fahrlässig um.
Wir haben noch in der sozialliberalen Koalition - Herr Haussmann, Sie wissen es - ein Instrumentarium zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen geschaffen, das vorbildlich ist. Was passiert im Etat 1989? Dieses Instrumentarium wird zusammengestrichen.
({7})
Jetzt haben Sie angeblich vor, in der dritten Lesung eine Resolution einzubringen, statt die Titel zu verbessern. Ich halte das für verfehlte Politik, was Europa anbetrifft. Wir müssen das Gegenteil tun.
({8})
Übrigens steht dieses Zusammenstreichen der Mittel für kleine und mittlere Unternehmen in bezeichnendem Widerspruch zu Ihrer Politik für Subventionen bei Großunternehmen. Meine Damen und Herren, die mangelnde Vorbereitung auf die Binnenmarktpolitik zeigt sich vor allem im Technologie- und Forschungsbereich. Im Grunde betreibt der derzeitige Forschungsminister nur noch Abwicklung von Altprogrammen, und daran hält er sogar fest, wenn sie
völlig verfehlt sind, wie beispielsweise beim Schnellen Brüter.
Überhaupt frage ich: Wo bleibt eigentlich die Zukunftsorientierung in Richtung auf ökologische Erneuerung? Warum gibt es keine Integration der Forschungspolitik in diese Richtung? Eine solche Strategie ist in der Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Typisch ist der Fall Energiepolitik. Sie zeichnet sich durch das starre Festhalten an der Kernenergie und eine völlig unzulängliche Unterstützung von regenerierbarer Energie auf der einen Seite und Energiesparen auf der anderen Seite aus
({9})
- und dies, obwohl jetzt die Klimabedrohung zeigt, daß wir Alternativen, und zwar langfristige Alternativen in der Energiepolitik brauchen. Nur entstehen langfristige Alternativen nicht langfristig, sondern kurzfristig, indem man in den Etat etwas hineinschreibt, was in die Zukunft weist. Das geschieht nicht.
({10})
Übrigens gilt das auch für andere Schlüsselsektoren: Bio- und Gentechnik und Informationstechnik. Der Schritt der BASF, ihre gentechnische Forschungskapazität jetzt in die USA auszulagern, ist wahrhaft kein Kompliment in Richtung auf diese Bundesregierung. Damit werden nicht nur 150 Millionen DM Investitionsmittel in die USA gegeben, es fehlen auch 200 Hochtechnologie-Arbeitsplätze. Vor allem fehlt auf diesem Gebiet eine forschungspolitische Perspektive, die wichtig ist.
Meine Damen und Herren, die mangelnde Vorbereitung auf den Binnenmarkt zeigt sich nun besonders drastisch auf dem Gebiet des Verkehrs, der Verkehrspolitik. Niedrigere Preise für Verkehrsleistungen auf der Straße und in der Luft als Ergebnis der Liberalisierungspolitik stehen jetzt an. Dies wird unsere Verkehrsinfrastruktur, den Luftraum bis zur Grenze des Möglichen belasten.
({11})
Es ist so, daß wir schon heute am Rande eines Verkehrsinfarkts in der Bundesrepublik Deutschland sind.
({12})
Was passiert jetzt ab 1992, wenn durch die Freiheit des Speditionsmarktes zuhauf holländische, spanische, portugiesische Lastwagen in die Bundesrepublik drängen? Wie soll die - notwendige - Mobilität in der Bundesrepublik Deutschland erhalten bleiben? Wo sind hier Antworten im Etat des Jahres 1989? Wir brauchen eine integrierte Verkehrspolitik. Wir brauchen vor allem eine Renaissance der Bahn. Sie wissen, daß wir entsprechende Anträge gestellt haben; Sie haben diese Anträge abgelehnt. Kommen Sie im Jahr 1992/93 nicht mit irgendwelchen Ausreden auf diesem Gebiet! Es gab klare Alternativen.
Ich kritisiere vor dem Hintergrund des europäischen Binnenmarktes vor allem das Fehlen einer ausreichenden ökologischen Dimension Ihrer Wirtschaftspolitik. Ich sage noch einmal: Die ökologische
Dimension ist keine Angelegenheit unter anderen. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist jetzt vielmehr das wirtschaftspolitische Hauptthema des nächsten Jahrzehnts; nicht mehr Wachstum schlechthin, sondern ökologische Erneuerung.
({13})
Was hat das mit dem Binnenmarkt zu tun? Ich bin sicher, daß in den 90er Jahren dadurch, daß in allen europäischen Ländern die Forderung nach ökologischer Erneuerung lauter und lauter wird, derjenige in Europa wettbewerbsfähig sein wird, der ökologische Produkte und ökologischere Produktionsverfahren anbietet. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Umweltorientierung. Dieser Widerspruch muß endlich aus der Debatte heraus.
({14})
Meine Damen und Herren, der wird Exportweltmeister in den 90er Jahren, um die Jahrtausendwende sein, der die produktivere, ökologischere Politik betrieben hat. Das ist die Wahrheit.
({15})
Meine Damen und Herren, nicht weniger gravierend sind Ihre Versäumnisse in der Regionalpolitik. Es ist doch offenkundig, daß der Verfassungsauftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu schaffen, zur Zeit zur Disposition steht. Sie haben praktisch eine räumlich orientierte Klassengesellschaft eingeführt. Es sind schon Klassenstrukturen, wenn benachteiligte Regionen 20, 25 % Arbeitslosigkeit haben und in anderen Regionen die Arbeitslosigkeit 3 % beträgt. Denken Sie an die Zukunftschancen eines Schulabgängers in Leer und an die eines Schulabgängers im Großraum Stuttgart. Das sind unterschiedliche Lebenschancen. Im Grundgesetz haben Sie den Auftrag von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Die Schere zwischen guten und schlechten Räumen geht immer mehr auf. Hier von glänzender Wirtschaftssituation zu reden ist geradezu grotesk.
Es hat in den letzten Jahren keinerlei substantielle Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe gegeben. Sie stagniert auf dem Niveau Ende der 70er Jahre, obgleich die Probleme seit den 80er Jahren explodiert sind. 1990 geht die Bundesregierung sogar noch einen Schritt weiter in die falsche Richtung: Dann werden mit der Streichung der regionalen Investitionszulage im Zusammenhang mit der sogenannten Steuerreform die zur Verfügung stehenden Mittel weiter reduziert, und zwar wird genau eine Milliarde DM im Regionalbereich gestrichen werden, obgleich sich die Probleme verschärfen.
Im Zusammenhang mit der Finanzierung der Regionalpolitik muß ich auch ein Wort zum Strukturhilfegesetz sagen dürfen. Die dadurch bereitgestellten Mittel hatten ursprünglich durchaus die Intention und die Zielsetzung durch Herrn Albrecht und andere, daß sie regionalpolitisch hätten richtig genutzt werden können. Eine ursprünglich gute Idee wurde aber bis zur Unkenntlichkeit verändert, verwässert. Es ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, wie das Geld verteilt wird. Ich habe einen Verdacht: Der Finanzminister schludert bei der Gesetzgebung an diesem Ge7596
setz so herum, daß relativ sicher ist, daß das Gesetz beim Verfassungsgericht in Karlsruhe scheitern wird. Dann spart der Bundesfinanzminister Geld, und die Situation der benachteiligten Räume wird noch schlechter.
({16})
Meine Damen und Herren, geradezu unglaublich ist, wie Sie in diesem Zusammenhang die Kohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland behandeln. Einerseits versprechen Sie ihnen im Gesetz Strukturhilfe, andererseits streichen Sie den Revierausgleich und die Hilfe für die niederflüchtige Kohle, und das in einem Umfang, daß die gesamte Strukturhilfe weit überstiegen wird.
({17})
Das heißt, die beiden Länder bekommen unter dem Strich weniger Geld als vorher. Das ist die Realität. Das ist unerträglich.
Meine Damen und Herren, auf keinem Gebiet der Wirtschaftspolitik sind die Fehlleistungen dieser Regierung in den letzten Jahren so deutlich geworden wie auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik.
({18})
Geradezu fassungslos steht die deutsche Öffentlichkeit vor der staatlich organisierten Fusion DaimlerBenz/MBB. Ein Wirtschaftsminister, der ja die Aufgabe hat, die Wettbewerbsordnung in der Bundesrepublik zu schützen und zu verteidigen, betätigt sich als Konzernschmied der größten Unternehmensfusion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, ja, Deutschlands überhaupt.
Mit der Fusion von Daimler mit MBB entsteht ein Konzern mit über 70 Milliarden DM Umsatz, mit fast 400 000 Beschäftigten. Das ist der größte Unternehmenszusammenschluß, der überhaupt in der westlichen Welt im letzten Jahrzehnt stattgefunden hat, und alles mit Hilfe, mit Unterstützung der Bundesregierung.
Mit Recht hat der ehemalige Präsident der Monopolkommission, Herr Professor Kantzenbach, den Sie in den ganzen Jahren, in denen er Chef der Monopolkommission war, immer gelobt haben, vor der Gefahr gewarnt, daß ein solcher Rüstungskonzern zu einem Staat im Staate werden würde mit fatalen Folgen für Politik und Wirtschaft. Eines ist klar: Wer auch immer auf der Hardthöhe Verteidigungsminister ist, er ist durch Ihre Entscheidung abhängig gemacht worden von einem einzelnen Konzern, der etwa 70 % des Marktes beherrscht.
Ich frage auch: Wie paßt eigentlich die Bildung eines Rüstungssuperkonzerns - mit staatlicher Hilfe, wohlgemerkt, nicht über den Markt - in die jetzige Phase der Abrüstung und der Entspannung? Das Beispiel steckt an: Jetzt bilden beispielsweise - weitgehend in der Öffentlichkeit übersehen worden - Siemens und der größte englische Konzern General Electric eine gemeinsame Rüstungsfirma, die dann schrittweise eine ähnliche Dimension in Europa bekommen wird.
Meine Damen und Herren, die Fusion Daimler/MBB wird zum größten Fusionsfall in der Geschichte der Bundesrepublik und zugleich zu Ihrem ordnungspolitischen Sündenfall allererster Ordnung. Ich zitiere aus der „Zeit" :
Ludwig Erhard, der der Bundesrepublik als Wirtschaftsminister seinen Stempel aufdrückte, und zu dessen Erben sich Politiker von CDU und FDP in Sonntagsreden gern selbst ernennen, hatte nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen Monopole und Kartelle gemacht. Sein Leitbild war der Leistungswettbewerb in einer Marktwirtschaft. Der Staat hatte die Grundsätze einer freien, demokratischen Gesellschaftsordnung zu gewährleisten. Gegen den Widerstand der deutschen Industrie und deren Lobby in der eigenen Partei setzte er 1953 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das Kartellgesetz, in Kraft. Daß sich heute Sozialdemokraten auf Ludwig Erhard berufen, hätte sich dieser gewiß nicht träumen lassen.
({19}) - Sagt die „Zeit" in Ihre Richtung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng? - Bitte schön, Herr Weng.
Herr Kollege Roth, folgen Sie mir in der Auffassung, daß es wünschenswert wäre, wenn Sie außer Ihrer Kritik an der Haltung der Koalition in der Frage der Fusion Daimler/MBB auch die Position Ihrer Fraktion hier völlig klarlegen würden, insbesondere auch die der haushaltsmäßigen Ausgestaltung,
({0})
wo ja die Kollegen Ihrer Fraktion eine zumindest variable Haltung eingenommen haben, weshalb die Konsequenz dessen, was von Ihrer Seite aus geschehen wird, offenbleibt?
Herr Kollege, Sie wollten in der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses, daß die SPD mit Nein stimmen und sich nicht enthalten würde, damit Sie öffentlich sagen können: Ihr macht in Bremen, in Hamburg, am Bodensee und in Bayern Arbeitsplätze kaputt. Dieses Spielchen machen wir nicht mit. Wir sagen ja zum Airbus, und wir sagen nein zu einem Superkonzern, der keinen Sinn macht. Das ist die Wahrheit.
({0})
Im Grunde ist den Sätzen aus der Wochenzeitschrift „Die Zeit" wenig hinzuzusetzen.
Herr Abgeordneter, Herr Weng möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Im Moment nicht. - Man sollte aber das zentrale ordnungspolitische Problem unter aktuellem Bezug noch einmal ganz scharf akzentuieren - Graf Lambsdorff, hören Sie zu - : Damals, in den 50er Jahren, ist jede Fusion in Deutschland gegen Erhard mit der Weltmarktintegration begründet worden. Jetzt wird jede Fusion mit dem europäischen Binnenmarkt begründet, mit der Behauptung: Größer ist besser, größer ist leistungsfähiger, groß ist wirtschaftspolitisch gut. Stimmt das eigentlich?
Meine Damen und Herren, der deutsche Maschinenbau ist kein konzentrierter Wirtschaftsbereich. Da gibt es viele kleine und mittlere Unternehmen, vor allem mittlere. Er hat sich als der leistungsfähigste Wirtschaftsbereich in der Industrie in den 80er Jahren herausgestellt. Der deutsche Maschinenbau ist leistungsfähig und innovativ, gerade weil er einen harten Wettbewerb und keinen Superkonzern hat. Sicher, wir brauchen im Einzelfall auch größere Unternehmen - ein Auto kann man nicht in der Werkstatt produzieren - , aber viele Fusionen sind machtbestimmt und nicht marktbestimmt und nicht leistungsorientiert.
({0})
Gerade der deutsche Telekommunikationsmarkt, in dem zwei Unternehmen den gesamten Markt beherrschen, ist ein Beweis dafür, daß Innovation, Leistungsfähigkeit, Größe und Marktbeherrschung nicht zusammengehen.
Aus all diesen Gründen muß die wettbewerbspolitische Leitlinie wieder werden: im Zweifel für den Wettbewerb und im Zweifel gegen die Fusion. Größe ist nicht nur stets ein Machtfaktor, Größe bedeutet oft genug Bequemlichkeit. Also muß der Staat, der Bundeswirtschaftsminister Fusionen nicht fördern, sondern bremsen. Das gilt gerade dann, wenn die Wirtschaft so liquide ist wie zur Zeit. Die haben ja viel Geld, die haben ja große Kriegskassen, die können einsteigen, wie der Fall General Electric und Siemens zeigt. Gerade in dieser Phase bewährt sich die ordnungspolitische Kraft des Bundeswirtschaftsministeriums. Es darf in dieser Phase nicht selbst Fusionen stiften, sonst brechen die Dämme. Das Kartellamt und die Monopolkommission haben schon angedeutet, daß sie nein sagen werden. Dann kommt die Ministererlaubnis, die im Vorweg schon versprochen worden ist, und Sie entscheiden gegen die beiden Hüter des Wettbewerbs.
Das ganze Verfahren ist ein Verstoß gegen den Geist des Kartellgesetzes,
({1})
und das Kartellgesetz ist nicht irgendein Stück Papier oder irgendeine Verordnung, sondern es ist das Grundgesetz für die Soziale Marktwirtschaft, auf die Sie sich so gern berufen.
Herr Haussmann, wir kennen uns aus vielen wirtschaftspolitischen Debatten des letzten Jahrzehnts, und ich habe Sie immer als einen Kollegen geschätzt, der Wirtschaftspolitik ganz wesentlich als Ordnungspolitik versteht. Sie haben in den letzten Tagen immer wieder betont, Sie wollen der Wirtschaftsminister für die kleinere und mittlere Wirtschaft sein, insbesondere ihre Interessen wahrnehmen. Wir Sozialdemokraten werden Sie in dieser Absicht in den nächsten Jahren voll unterstützen.
Herr Haussmann, dies ist meine dringende Bitte vor Ihrer Amtszeit: Übernehmen Sie nicht kritiklos die Entscheidungen, die Vorentscheidungen Ihres Herrn Vorgängers! Sie haben die Möglichkeit, die Fusion Daimler-Benz mit MBB abzuwenden; denn dafür wird eine Ministerentscheidung gebraucht, das ist heute schon klar. Sie wissen, daß das Bundeskartellamt und die Monopolkommission gegen die Fusion entscheiden werden. Jeder, der es mit der Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ernst nimmt, lehnt diese Fusion ab. Ich weiß, in Ihren Reihen in der FDP gibt es genügend Kollegen, die diese Fusion nicht nur innerlich ablehnen, sondern das auch öffentlich gesagt haben. Ich weiß durch Gespräche mit Kollegen der Union, daß es auch bei Ihnen genügend Leute gibt, die diese Fusion für völlig verfehlt halten. Jetzt kommt ein neuer Mann in das Wirtschaftsministerium. Ich finde, neu anfangen heißt auch Mut beweisen. Herr Haussmann, ich bitte Sie dringend: Fassen Sie all Ihre Kraft und Ihren Mut zusammen, stehen Sie gegen den größten Konzern der Bundesrepublik, und entscheiden Sie dann, wenn die Zeit dafür da ist, gegen diese Fusion! Dann haben Sie einen Eindruck in der Öffentlichkeit als Mann für die kleine und mittlere Wirtschaft gemacht, und dann werden Sie bewundert werden. Ich wünsche Ihnen den Mut.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Darlegungen des Herrn Kollegen Roth findet die Diskussion über den Haushalt 1989 des Bundesministeriums für Wirtschaft vor dem Hintergrund einer verhältnismäßig günstigen wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland statt. Wir haben eine hohe Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts und ein hohes Maß an Preisstabilität. Wir haben eine Auslastung unserer Industrie wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Auch in den Problemregionen wie z. B. im Ruhrgebiet gibt es Anzeichen dafür, daß der notwendige Strukturwandel greift. Auch in der Stahlindustrie erleben wir derzeit einen völlig unerwarteten Boom.
Natürlich ist das Problem der Arbeitslosigkeit noch ein Problem, das der Bewältigung, das großer Anstrengungen bedarf. Nur darf man nicht übersehen, daß wir in den vergangenen sechs Jahren annähernd 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
Vor diesem Hintergrund hat die Erörterung des Haushalts des Bundesministers für Wirtschaft im Haushaltsausschuß und auch die Berichterstattung darüber in einem relativ entspannten Klima stattgefunden. Sie ist an sich gar nicht so stark kontrovers verlaufen.
Für die konstruktive Zusammenarbeit darf ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern ebenso herzlich bedanken wie bei den Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Finanz7598
ministeriums und natürlich auch bei der Leitung dieser Häuser.
({0})
Das Volumen dieses Einzelplans beträgt nach den Beratungen in den Ausschüssen gut 7,5 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um exakt 1 Milliarde DM oder, relativ ausgedrückt, um 17,9 %.
({1})
- Ich komme schon darauf. - Die hohe Steigerungsrate erklärt sich im wesentlichen durch die Zuwächse bei den dollarkursabhängigen Ausgaben für den deutschen Steinkohlenbergbau und für den Airbus.
Neben den Hilfen für die Werften und die Ausgaben für die regionale Wirtschaftsförderung sind die auf den Mittelstand zielenden Förderprogramme Schwerpunkt der jährlichen Erörterung des Haushaltes. Ich werde im folgenden auf diese Bereiche noch zurückkommen. Am Schluß möchte ich auch noch einige Bemerkungen zum Thema Subventionsabbau und globale Minderausnahme machen.
Ich glaube, der Stellenwert, den der Bund der Förderung der regionalen Wirtschaftspolitik beimißt, ist auch deutlich aus der Steigerung der hierfür vorgesehenen Mittel ablesbar. Der Anstieg der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe um 125 Millionen DM resultiert aus dem im Vorjahr beschlossenen Sonderprogramm für die Arbeitsmarktregionen Aachen und Jülich und aus dem von der Montan-Konferenz am 24. Februar dieses Jahres beschlossenen Programm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und im Saarland. Wir werden im Jahr 1989 zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft und zur Verbesserung der Infrastruktur ein Mittelvolumen in Höhe von insgesamt mehr als 1 Milliarde DM zur Verfügung haben. Im Zeitraum von 1989 bis 1993 werden das 6,8 Milliarden DM sein. Ich glaube, das ist eine stolze Zahl, die man in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 09 auch einmal deutlich nennen sollte.
Letztendlich ist aber natürlich nicht die Höhe der Mittel entscheidend, sondern vielmehr der wirksame Einsatz dieser Gelder. Ich bin der Meinung, daß hier jetzt die Länder und Regionen gefordert sind.
Im Bereich der Werftindustrie haben wir ja durch die Erhöhung der Ansätze bei den Verpflichtungsermächtigungen dafür gesorgt, daß die deutschen Werften - das ist ein regionales Problem, aber natürlich auch ein Branchenproblem - über die Zeit hinaus, die bisher vorgesehen war, weiter Hilfe erhalten können. Wir haben allein die Verpflichtungsermächtigung für die Zinszuschüsse auf 700 Millionen DM angehoben. Die Werften werden für das Jahr 1989 allein noch etwa 200 Millionen DM Bundesmittel für Neuzusagen zur Verfügung stehen haben.
Natürlich befindet sich auch die deutsche Steinkohle nach wie vor in einer sehr schwierigen Situation. Das hat niemand geleugnet. Wir haben auch entsprechend gehandelt. Während der Absatz an die Elektrizitätswirtschaft in den ersten drei Quartalen dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum leicht zurückging und der Koks- und Kohleabsatz an die deutsche Stahlindustrie um etwa 1,5 Millionen t anstieg, ist eben die Absatzlage auf dem Wärmemarkt durch die günstige Preisgestaltung im Erdöl- und im Erdgasbereich zurückgegangen. Ich glaube, daß es deshalb richtig ist, daß wir die Ausgaben für die Stützung der deutschen Steinkohle deutlich angehoben haben, und zwar von 2,9 Milliarden DM im Jahre 1988 auf 3,4 Milliarden DM im kommenden Jahr.
Auf den politisch sicherlich unumstrittenen Teil der Kohlepolitik, nämlich den Kohlepfennig, möchte ich jetzt hier nicht näher eingehen.
({2})
Der Haushaltsausschuß hat hier einen, wenn ich recht sehe, insoweit unumstrittenen Beitrag geleistet, als er Vorsorge für die Verlängerung der Erblastenerstattung bis 1991 getroffen hat. Die qualifiziert gesperrten Mittel werden freigegeben, wenn eine Gesamtlösung bei der Versorgung erreicht sein wird.
Sicherlich hat gerade bei der Beratung des Wirtschaftsetats die Förderung der Luftfahrttechnik einen breiten Raum eingenommen. Jenseits der Kontroversen über die Neuordnung der deutschen Luftfahrtindustrie, die in den letzten Wochen hier in diesem Hohen Hause und in der Öffentlichkeit ausgetragen worden sind, kann man, so glaube ich, von folgenden Positionen ausgehen.
Erstens. Eine eigenständige zivile Luftfahrtindustrie in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa ist gewollt und muß meines Erachtens auch gewollt sein. Es gibt in diesem Zusammenhang für die deutsche Industrie einfach keine Alternative zur Beteiligung am Airbus.
Zweitens. Die Risiken des Airbus-Programms und die hohen Anfangsinvestitionen machen den Airbus in hohem Maße von staatlicher Förderung abhängig.
Drittens. Der Bund trägt zur Zeit das Wechselkursrisiko zu 100 %. Dies und die bislang nicht ausreichend kontrollierte Kostenentwicklung verlangen ja geradezu nach neuen Lösungen. Ich wäre Ihnen, Herr Roth, sehr dankbar gewesen, wenn Sie wenigstens ansatzweise dargelegt hätten, welche Regelungen Sie sich zur Bewältigung dieser Problematik vorstellen.
Außerdem besteht unter den Koalitionsfraktionen Übereinstimmung darüber, daß die Bundesregierung mit ihren jüngsten Beschlüssen zur Neuordnung der Luftfahrtindustrie eine akzeptable Übergangsregelung geschaffen hat, an deren Ende im Jahre 2000 die volle industrielle Verantwortung für die deutschen Airbusaktivitäten stehen wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Förderung der Luftfahrttechnik insgesamt hinweisen, die gegenüber dem Vorjahr einen erheblichen Zuwachs aufweist. Insgesamt sieht der Haushalt annähernd 1,3 Milliarden DM allein für diesen Bereich vor. Diese Mittel erreichen nicht nur die sogenannte Großindustrie, sondern kommen in wesentlichem Maße auch der mittelständischen Wirtschaft zugute.
Ich möchte jetzt noch einige Sätze zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sagen. Hier stimme ich mit Ihnen, Herr Roth, überein. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird dem widersprechen. Sicherlich hängt
die hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei uns im wesentlichen Maße von den mittelständischen Unternehmungen ab. Deshalb ist die Erhaltung und die Förderung des selbständigen Mittelstandes für uns ein ganz wesentlicher Aspekt unserer Politik. Mehr als andere bedürfen kleine und mittlere Unternehmen der Förderung, Beratung und Unterstützung in vielfältigster Form. Ich möchte deshalb aus dem Mittelstandsbereich hervorheben, daß im Haushalt 1989 Vorsorge dafür getroffen wurde, daß das Eigenkapitalhilfeprogramm um weitere drei Jahre verlängert wird - ich glaube, eine Maßnahme, die von großem wirtschaftspolitischem Wert ist und die gerade den kleinen und mittleren Unternehmen eine große Hilfe darstellt.
Ein im doppelten Sinne des Wortes neuer Ansatz wird mit dem Versuch gemacht, den Technologietransfer aus der Wissenschaft in kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern. Mit zunächst 5 Millionen DM soll hier ein neues Feld betreten werden, das sich - davon bin ich überzeugt - als sehr fruchtbar erweisen wird.
Ich möchte, wie angekündigt, zum Abschluß noch einige Bemerkungen zum Subventionsabbau und zu der vom Haushaltsausschuß mit Stimmenmehrheit der Koalitionsfraktionen beschlossenen globalen Minderausgabe machen.
Im Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft bilden ja die Finanzhilfen, also Wirtschaftssubventionen, einen Schwerpunkt. Alles andere im Einzelplan 09 - sei es im Einzelfall auch noch so wichtig - tritt demgegenüber in den Hintergrund. Da es gleichzeitig ein unbestrittenes ordnungspolitisches Ziel aller Wirtschaftspolitiker ist - ich kenne niemanden, den ich ernsthaft ausschließen könnte - , Subventionen möglicht gering zu halten und abzubauen, stehen wir hier natürlich immer vor einem großen Dilemma. Von diesem Dilemma frei sind außer den reinen Theoretikern nur noch die Interessenten, die unter Subventionen natürlich immer nur das verstehen, was die anderen bekommen. Der Verantwortliche wird nolens volens immer gezwungen, in einem schwierigen und möglicherweise auch schmerzhaften Abwägungsprozeß zu entscheiden, wo abgebaut werden kann oder wo unter Umständen sogar Subventionszuwachs notwendig ist.
Um dem Subventionsabbau nach der Einzelberatung noch einmal einen stärkeren Akzent zu geben, hat sich die Ausschußmehrheit deshalb entschlossen, in gezielter Kürzung weitere 100 Millionen DM Subventionen aus dem Haushalt herauszunehmen.
({3})
Daß es mit 42,6 Millionen DM überproportional den Haushaltsplan des Bundesministers für Wirtschaft trifft, macht mich alles andere als glücklich. Aber das ist nun einmal die sozusagen normale Folge der Tatsache, daß die meisten Finanzhilfen hier veranschlagt sind. Natürlich wollen wir dabei den mittelständischen Bereich weitgehend verschonen. Ich möchte deshalb aus dem Entschließungsantrag, den wir eingebracht haben, wörtlich zitieren:
Beim Aufbringen des Anteils an den gezielten
Ausgabekürzungen ist zu gewährleisten, daß
durch eine flexible Mittelbewirtschaftung Umschichtungen im Einzelplan 09 vorgenommen werden können, damit die Mittelstandsförderung konsequent fortgesetzt werden kann.
({4})
So heißt es in unserem Entschließungsantrag.
({5})
- Es tut mir leid, ich habe nur noch eine Minute Zeit.
({6})
- Ja, bitte schön.
Einen Augenblick. - Darüber, ob angerechnet wird oder nicht, entscheidet derjenige, der hier oben sitzt. Bei so langen Redezeiten bin ich unter dem Gesichtspunkt, daß die anderen Kollegen heute abend irgendwann nach Hause wollen, nicht so gerne bereit, das auf die Redezeit anzurechnen. Sie müssen entscheiden, ob Sie eine Zusatzfrage zulassen wollen.
Wenn Sie es nicht anrechnen, gerne; ansonsten nicht.
Es tut mir leid. Rossmanith ({0}) : Es tut mir leid.
Die darüber hinaus von der Mehrheit ebenfalls beschlossene globale Minderausgabe von 1 Milliarde DM enthält dagegen keine Vorgabe an die Bundesregierung oder den Finanzminister. Sie dient deshalb nach meinem Verständnis auch nicht etwa vorrangig dem Subventionsabbau. Es kann meines Erachtens auch nicht Sinn der Übung sein, gerade zufällig die Programme nachträglich wieder einzuschränken, die noch nicht zu Rechtsverpflichtungen geführt haben.
({1})
Im Einzelplan 09 wäre dies ein Großteil der Mittelstandsprogramme. Ich meine, hier ist der Bundesminister der Finanzen aufgefordert, den Bundeshaushalt in seiner ganzen Breite heranzuziehen und die Einzelpläne nicht überproportional zu belasten. Deshalb ist in unserem Entschließungsantrag nochmals deutlich zum Ausdruck gekommen, daß die Maßnahmen für den Mittelstand im Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft von der Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe im wesentlichen freigestellt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß man unter dieser Maßgabe diesem Einzelplan zustimmen kann. Ich bitte um Zustimmung.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Wirtschaftsetat der Bundesregierung ist Teil der Krise, in der sich die herrschende Wirtschaftspolitik bewegt. Den auffälligsten Teil des Wirtschaftsetats bilden die explodierenden Airbus-Subventionen. Die GRÜNEN lehnen solch eine Industriepolitik Schlichtweg ab. Wer im Jahre 1989 1,35 Milliarden DM für das Airbus-Programm verausgabt - das sind 65 000 DM pro Arbeitsplatz - , muß sich allerdings nach seinem Konzept der Industriepolitik fragen lassen.
Nimmt man die Praxis, bildet der Airbus im Wirtschaftsetat das Herz der Industriepolitik der Bundesregierung. Nimmt man den Verteidigungsetat, bildet der Jäger 90 das Herz der Industriepolitik der Bundesregierung. Nimmt man den Forschungsetat, bildet die bemannte und unbemannte Raumfahrt das Herz der Industriepolitik der Bundesregierung.
Der AEG-Chef Dürr beklagt in der Wirtschaftswoche vom 18. November, daß die Aufsplitterung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Bundesregierung eher vorsintflutlich scheine, und fordert eine koordinierte Industriepolitik nach dem Beispiel des MITI in Japan. Diese Forderung überrascht eigentlich nicht, denn im Konzernmoloch von Daimler-Benz, MBB, MTU, AEG haben sich alle subventionierten Sparten industriepolitischer Optionen versammelt. Daimler-Benz ist kein unabhängiger Industriestern, sondern hängt am Tropf des Bundesetats.
Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Privatisierungspolitik einen industriepolitischen Giganten gezimmert, der nun, kaum ist die Weichenstellung für die Fusion vollzogen, die politische Verantwortung einklagt. Heinz Dürr, der AEG-Chef, verlangt nach einer zentralen Koordinierungsabteilung für Industriepolitik beim Bundeskanzleramt. Die gesellschaftspolitische Akzeptanz für industriepolitische Entscheidungen in der Reichweite von bemannter und unbemannter Raumfahrt, Kommunikationstechnologie, Gentechnologie, konventioneller Aufrüstung kann ein Industriekonzern wie Daimler-Benz eben nicht leisten. Der Image-Stern von Daimler-Benz beginnt bereits zu sinken.
Herrschende Wirtschaftswissenschaftler der Marktwirtschaft lehnen industriepolitische Koordination durch den Staat ab, da der Wettbewerbsgedanke absoluten Vorrang genießen sollte. Es ist heute offensichtlich geworden, daß die Marktwirtschaftsideologen der FDP, die Herren Lambsdorff, Haussmann, Bangemann und Compagnie, die teure Industriepolitik der CSU mittragen. Das Eingeständnis der Herrschenden, Industriepolitik zu betreiben, ist gegenüber der Wettbewerbsideologie in den Sonntagsreden jedoch ein Fortschritt.
Die GRÜNEN begrüßen, daß die Debatte über Industriepolitik endlich parlamentsfähig geworden ist; denn ich meine, daß Industriepolitik im Rahmen des Strukturwandels der Wirtschaft über die Lebensqualität und Lebensfähigkeit in den Industrieländern maßgeblich entscheidet. Die Politik muß dafür eintreten, daß die Entscheidungsdiskussion sowie die Entscheidungsfindung über industriepolitische Optionen Gegenstand der Politik und des Parlaments und damit auch der Gesellschaft werden.
Technologiefolgen oder Technologiewandel sind für die Struktur der industriellen Welt nicht neutral, sondern lebensgestaltendes oder lebenszerstörendes Element. Demokratie verlangt geradezu die Politisierung industriepolitischer Entscheidungen. Daimler-Benz hat nicht das Recht, über das Verkehrsleitsystem im Jahre 2000 zu entscheiden. Gentechnologische Forschungsergebnisse müssen sich der politischen Bewertung für die Folgen jeglichen Weiterlebens stellen. Atomtechnologie hat sich als alltägliche internationale Gefahr für das Überleben der Menschheit herausgestellt. Die atomare Abschreckungsideologie spielt mit der Drohung der Vernichtung der Menschheit.
Wirtschaftspolitik muß sich die Aufgabe stellen, industriepolitische Dimensionen für eine Entscheidung im Parlament oder auch in Form von Volksentscheiden zurückzuerobern. Es geht nicht darum, wie Heinz Dürr formuliert, Staat, Gewerkschaften, Unternehmen und Kirchen zusammenzubringen, um die Fähigkeit zum Konsens zu erproben, sondern darum, den Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie in den einzelnen industriepolitischen Dimensionen gesellschaftspolitischen Entscheidungen zuzuführen. Es geht nicht um Akzeptanzdiskurse für einen dann angeblich vorhandenen Konsens, sondern um die Notwendigkeit, Technologiewahlentscheidungen nach wissenschaftspolitischen Diskursen in der Gesellschaft und mit der Gesellschaft zu fällen. Auf diese Art und Weise würde die Politik durch die Wirtschaft weniger erpreßbar.
({0})
Die Airbus-Entscheidungen der Bundesregierung werden seitens der USA kräftigen Widerstand hervorrufen; diese Nachricht brachte nicht überraschend Herr Kohl aus den USA mit. Der Handelsbeauftragte der US-Regierung Clayton Yeutter, erklärte im „Tagesspiegel" vom 9. November:
Man muß sich fragen, wie die deutsche Regierung reagieren würde, wenn ihre Handelspartner damit begännen, all ihren Exportfirmen Wechselkursgarantien anzubieten.
Garantien für Wechselkurse haben die USA laut dem US-Botschafter Kingon bei der EG nie akzeptiert. Die Bundesregierung wird als Vertreter des Exportweltmeisters Bundesrepublik mir riesigen Leistungsbilanzüberschüssen berechtigterweise ganz schön unter Druck geraten. Einseitige Exportförderung zu Lasten der Dritten Welt und zu Lasten konkurrierender Industriegiganten muß irgendwann Schiffbruch erleiden. Protektionismus entsteht aus dem Erlebnis des Übervorteiltwerdens. Gegenteiliges Reden überzeugt nicht, wenn die Exportförderung absolute Priorität in der Politik behält. Die Bundesregierung hat keinen eigenen Beitrag zum Abbau der Handelsbilanzungleichgewichte geleistet. Die Ungleichgewichte haben eher zugenommen als abgenommen.
Das Wirtschaftswachstum des Jahres 1988 überdeckt die gravierenden strukturell bedingten Probleme der Industriegesellschaft Bundesrepublik. 3,5 % Wachstum bedeuten längst keinen Wohlstandsgewinn mehr, weil die rein quantitative Zunahme der produzierten Güter und Dienstleistungen nichts darSellin
über aussagt, wie die ökologischen und sozialen Folgekosten dieses industriellen Wirtschaftswachstums zugenommen haben. Das Ziel des stetigen Wachstums der Volkswirtschaft führt in den Kollaps der Industriegesellschaft.
Beispiel 1: Die Sondermüllberge, die heute nur noch durch Exporte in die DDR entsorgt werden können, sind ein hartes Warnsignal für den bevorstehenden Kollaps.
({1})
Beispiel 2: Der Massenverkehr der Automobile belastet allein durch Folgekosten der Verkehrsunfälle die Bundesrepublik mit 5 Milliarden DM pro Jahr. Die volkswirtschaftliche Verschwendung durch ein Verkehrssystem, das sich durch alltägliches Stop and Go - wie gestern abend auch rund um den Bundestag -,
({2})
riesigen Flächenverbrauch und trotz Katalysatoren steigende Stickoxidemissionen auf Grund zunehmender Autozulassungszahlen auszeichnet, kann nicht befriedigen.
Beispiel 3: Noch gravierender sind die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre". Danach droht eine Klimakatastrophe, die das Leben auf der Erde gefährden würde. Der Ozonabbau in der oberen Luftschicht und der Treibhauseffekt in der unteren Luftschicht werden zur generellen Überlebensfrage.
Eine neue, ökologisch und sozial orientierte Wirtschaftspolitik wird solchen Problemen nicht gerecht, wenn sie nicht eine Allokation wirtschaftlicher Ressourcen gestalten kann, die zu einer Verminderung des Energie- und Rohstoffverbrauchs pro Kopf der Bevölkerung in den Industrieländern führt. Nicht mehr stetiges Wachstum des Bruttosozialproduktes ist Ausdruck der adäquaten Steuerungsfähigkeit der Volkswirtschaft, sondern das selektive Wachsen und Schrumpfen von industriellen und infrastrukturellen Sektoren im ökologischen und sozialen Interesse der Menschen.
Ökologische und soziale Folgekosten einzelwirtschaftlicher Investitionsentscheidungen müssen ökonomisch zu Lasten des Investors gehen, des Verursachers.
({3})
Infrastrukturelle Wahlentscheidungen sind gesellschaftspolitisch zu treffen und der industriellen Einzelentscheidung zu entziehen. Produktentwicklung, Produktgestaltung, Produktfolgen haben sich der Mitentscheidung durch Belegschaften und Verbraucherverbände zu unterwerfen, weil nur durch die Demokratisierung industrieller Entscheidungen die Überlebensmöglichkeit überhaupt denkbar wird.
({4})
Das Stabilitätsgesetz enthält das überholte Ziel, sich für stetiges Wachsen der Volkswirtschaft einsetzen zu müssen. Eine intelligente Wirtschaftspolitik würde sich von diesem Expansionsstil industriellen Wirtschaftens schleunigst verabschieden und sich der se- lektiven Wertung und Entwicklung industrieller und dienstleistungsbezogener Bereiche der Wirtschaft im ökologischen und sozialen Kontext widmen. Eine Wirtschaftspolitik, die einen materiellen Lebensstandard mit sinkendem Energieverbrauch und Rohstoffverbrauch gestalten will, wird die Umverteilung von Arbeit und Einkommen in ihre Überlegungen einbeziehen müssen; denn nur durch eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit unter Umverteilung der notwendigen Arbeit auf möglichst alle Menschen, Frauen und Männer, wird ein lebenswertes Arbeits-und Lebensmodell in der Industriegesellschaft entstehen, welches nicht darauf ausgerichtet ist, materiellen Reichtum höher zu bewerten als immaterielle Werte des Lebens außerhalb der Erwerbsarbeit.
Ein so umrissenes intelligentes System der Reproduktionswirtschaft kann attraktive Alternative gegenüber dem expansiven Wirtschaftsstil dieser Bundesrepublik sein, die von der Bundesregierung vertreten wird.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Wirtschaftsministeriums ist gegenüber dem Vorjahr schon im Regierungsentwurf um 17,2 % gestiegen. Genaugenommen könnte man sogar von einer Steigerung von rund 20 % sprechen, wenn man die ursprünglichen SollAnsätze des Haushalts von 1988 zugrunde legt. Leider allerdings ist diese Steigerung im wesentlichen auf unabweisbare oder politisch notwendige Unterstützungen im Bereich von Kohle und Stahl einerseits, der Zivilluftfahrt andererseits erforderlich geworden. Der Kollege Rossmanith hat in seinen Ausführungen sehr deutlich und detailliert dargelegt, welche einzelnen Positionen zu dieser Steigerung führen. Ich will deswegen an dieser Stelle darauf verzichten.
Ich will aber auf den Zwischenruf von seiten der SPD erwidern: Meine Damen und Herren, Sie sind bei all diesen globalen Ausgaben nicht dagegen gewesen. Insofern wundert es mich immer etwas, wenn hier der Eindruck erweckt wird, sie seien dagegen gewesen. Die Unterstützung aus dem Bereich des Wirtschaftsministeriums für die Bereiche Kohle und Stahl und für die Zivilluftfahrt ist, soweit ich mich erinnere, von Ihnen voll getragen worden. Ich würde bitten, hier nicht andere Eindrücke zu erwecken.
Daß auf Grund neuer Schätzungen beim AirbusProgramm gegenüber dem Regierungsentwurf rund 70 Millionen DM gekürzt werden konnten, hätte man hier als einen enormen Abbau von Subventionen darstellen können. Aber das wäre unehrlich. Denn hier gibt es keine grundsätzliche Änderung des Subventionsbedarfs, sondern im Moment sind die Schätzungen für den erforderlichen Bedarf bei der Markteinführung der betroffenen Airbusse einfach niedriger. Dem haben wir durch unsere Beschlußfassung Rechnung tragen können.
Auch hier weise ich darauf hin: Der Bau der zivilen Flugzeuge ist im politischen Konsens Ende der 60er
Dr. Weng ({0})
Jahre beschlossen worden und wird seither im politischen Konsens fortgeführt. Ich meine, es muß Klarheit unter denjenigen herrschen, die das für eine wichtige politische Aufgabe hielten. Man sollte sich nicht aus der Verantwortung davonzustehlen versuchen, wie das von seiten der SPD getan wird.
Meine Damen und Herren, eine ganz wichtige Rolle hat in den Beratungen des Haushaltsausschusses die schon mehrfach angesprochene Frage möglichen Subventionsabbaus gespielt. Die Mehrheit des Ausschusses hat in einem volumenmäßig eher bescheidenen Umfang einen Beschluß zum Subventionsabbau herbeigeführt, der nach meiner Überzeugung auch dann vertretbar ist, wenn einzelne Positionen - bei einer Auflistung einzelner Positionen ist das naheliegenderweise immer so - für die Kürzung weniger wünschenswert erscheinen. Hier hat Subventionsabbau seinen Preis. In einem Einzelfall ist es mir selbst so gegangen. Als Berichterstatter für das Wirtschaftsministerium hatte ich eine Erhöhung einer Subvention beantragt. Jetzt haben wir hier gekürzt. Ich meine, das muß man in der Politik mit einer gewissen Ehrlichkeit dann hinnehmen, wenn man die grundsätzlich richtige Position Subventionsabbau vertreten will.
Ich will, ohne allzu tief einzusteigen, darauf hinweisen: Ich selbst bin Angehöriger des Mittelstandes. Ich habe mir eine selbständige Existenz aufgebaut. Auch auf Grund dessen, was ich seither politisch vertreten habe, wird niemand auf die Idee kommen, daß ich mittelstandsfeindlich orientiert sei. Ich trage trotzdem in diesem Hause eine Strukturreform im Gesundheitswesen mit, die meinen Berufsstand wirtschaftlich erheblich belasten wird,
({1})
weil ich hier ein System sichern will.
({2})
Ich meine schon, daß man solche Dinge vergleichen kann. Auch darauf muß man hinweisen, wenn hier der Versuch gemacht wird, die Dinge so darzustellen, als wäre wegen dieser Kürzungen von irgendeiner Seite aus der Koalition plötzlich eine Gegnerschaft zum Mittelstand entstanden. Das ist nicht der Fall.
Wir unterstützen die Steuererleichterungen der laufenden Wahlperiode und natürlich insbesondere die ab 1990 geplante große Steuerreform vehement, wodurch gerade der Bereich der mittleren Einkommen überproportional entlastet wird. Ich kann nicht glauben, daß die Angehörigen des Mittelstandes nach jahrelanger Erhöhung bestimmter Subventionen die bescheidene Kürzung als eine Abkehr von mittelstandsfreundlicher Politik ansehen;
({3})
denn hier geht es ja auch um die Rahmenbedingungen. Wir haben im laufenden Haushalt hohe Risiken der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Bundeshaushalt abgedeckt, damit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht erhöht werden mußten und die Lohnzusatzkosten niedrig bleiben.
Dem gleichen Ziel dient die Strukturreform im Gesundheitswesen. Hier sollen Lohnzusatzkosten gesenkt werden.
Das alles sind ausdrücklich mittelstandsfreundliche Komponenten
({4})
und gute Rahmenbedingungen für den Mittelstand.
Die Angriffe der Opposition im Bereich Subventionen waren zu erwarten. Die Rolle der SPD - - Frau Matthäus-Maier, Ihr Zwischenruf macht dies nicht besser.
({5})
Die SPD hat hier die Rolle gespielt, die man an vielen Stellen der Subventionsdiskussion sieht. Auf der einen Seite ist es viel zuwenig, was gekürzt wird; dauernd wird dies hier zugerufen. Auf der anderen Seite ist sie bei allen großen Subventionsbereichen voll dabei, natürlich aus guten politischen Gründen. Aber niemals sagt sie eine eigene Position, wo es richtig wäre.
({6})
- Das ist, gnädige Frau, traurig genug, was für ein Bild Sie da machen.
({7})
Ich sage das mit Blick auf das, was die Opposition hier macht. Da war nichts anderes zu erwarten. Wir haben, Herr Kollege Esters, einen Beschluß gefaßt. Der Beschluß ist nicht so groß, wie wir es ursprünglich gedacht hatten.
({8})
Er ist umstritten genug. Sie äußern sich nicht dazu - auch der jetzige Zwischenruf macht es deutlich -, wo Sie ansetzen würden.
({9})
Ich sage nur: Sie befrachten damit die Subventionsdiskussion mit genau dem, was ich immer angreife,
({10})
nämlich daß alle sagen: Subventionen abbauen; und an der Stelle, wo es konkret wird, stehen dieselben Leute auf der Matte und sagen nein.
Wir haben einen gewissen Kürzungsbereich beschlossen.
({11})
Dr. Weng ({12})
Wir haben das einvernehmlich in der Koalition mit den bekannten Schmerzen auf allen Seiten beschlossen.
({13})
Aber die Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition, die seitdem stattfinden, sind nach meinem Dafürhalten zum Teil von Unkenntnis der Abläufe geprägt. Sie sind für die Sache auch unnötig, zumal da zur Problematik durch den Entschließungsantrag klargestellt wird, daß von der Kürzung, die die Regierung auf Grund der globalen Streichung vornehmen wird, der Mittelstandsbereich weithin ausgeschlossen bleibt.
Es ist Erfahrung - Herr Kollege Wissmann, das sage ich besonders Ihnen, denn von Ihnen sind solche Nachrichten über den Ticker gegangen -, daß es nicht sinnvoll ist, innerhalb der Koalition, ohne sich in Kenntnis gesetzt zu haben, öffentliche Auseinandersetzungen zu führen. Sie haben öffentlich Behauptungen aufgestellt, die einfach nicht richtig sind. Ich kann das wegen der Kürze der Zeit nicht im Detail darlegen,
({14})
bin aber gern bereit, das auf Wunsch zu tun.
({15})
Ich meine, mit dem Entschließungsantrag, den wir morgen verabschieden wollen, wird auch hier wieder Ruhe einkehren, weil das Problem, das plötzlich im Raum stand, gelöst erscheint.
({16})
Gerne hätte ich hier noch einige wichtige Einzelentscheidungen kundgetan. Die mir zur Verfügung stehende Redezeit läßt mir nur die Möglichkeit, zu erwähnen -
Die Zeit ist vorbei!
Wenn sie vorbei ist, Herr Präsident, bitte ich, mir einen kleinen Zusatz zu erlauben, weil ich nach meiner Rede zum Ministerium eine persönliche Anmerkung machen wollte.
Ja aber, Herr Kollege; das ist - Dr. Weng ({0}) ({1}): Ich erlaube mir, den Rest der Rede zu Protokoll zu geben,
({2})
und sage folgendes: Der scheidende Wirtschaftsminister Martin Bangemann hat an vielen Stellen politische Zeichen gesetzt, die in seinem Haus und in der politischen Landschaft überdauern werden.
({3})
Dies betrifft z. B. die Position des Wirtschaftsministeriums zur Europäischen Gemeinschaft. Unter Bangemanns Leitung wurde Europa zu einem Schwerpunkt in der Wirtschaftspolitik gemacht.
({4})
Der Blick des Ministeriums auf Europa wurde wohlwollender. Das betrifft auch die Haltung des Wirtschaftsministeriums zu den Kohle und Stahl betreffenden Bereichen.
({5})
Hier wurde nicht blindlings hinzusubventioniert, sondern die künftige Entwicklung berücksichtigt und zwar mit Blick auf die größere, die Europäische Gemeinschaft, wirklich weitsichtig. Weitere Beispiele könnten folgen.
({6})
Ich meine, es sollte besonders festgestellt werden: Die Person Martin Bangemann ist zu loben, besonders seine persönliche Bereitschaft zur Ehrlichkeit und zur Offenheit in den politischen Fragen und den politischen Auseinandersetzungen. Diese Eigenschaften wurden nicht von allen genügend gewürdigt und gerade von der Opposition, die sich auch hier des Schreiens nicht enthalten kann, häufig mißbraucht. Aber es sind Eigenschaften, die wir an ihm besonders schätzen.
({7})
Unsere guten Wünsche für sein künftiges europäisches Engagement sind verbunden mit der Bereitschaft, seine dortigen Erkenntnisse auf kurzem Weg in die Politik unserer Fraktion und damit in dieses Parlament einzubringen.
Alles Gute, viel Glück und viel Erfolg, Martin Bangemann!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Die Redezeiten werden zwar kürzer, aber ich erlaube mir, zwei Vorbemerkungen zu machen.
Ich muß zum einen sagen, daß ich es nahezu schon ein trauriges Schauspiel finde, was die FDP da bietet: Wann geht Herr Bangemann? Wann kann der neue Wirtschaftsminister in das Amt eingeführt werden? Die GATT-Verhandlungen, um die es da geht, werden ja fortgeführt, die werden am 9. Dezember nicht abgeschlossen. Und wenn das so ist, dann wäre es sinnvoll, daß der alte Wirtschaftsminister möglichst schnell geht, den Hut nimmt und den neuen in Amt und Würden bringt.
({0})
Ich sage, der Wechsel müßte schnell stattfinden - je eher, desto besser für die Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Meine zweite Vorbemerkung: Da wurde viel davon gesprochen, daß wir beim Airbus endlich eine industrielle Führung bräuchten. Jetzt hat man den Aufsichtsratsvorsitzenden gefunden. Es ist der ehemalige Wirtschaftsminister der FDP,
({2})
Herr Friderichs. Für die Dresdner Bank ist Herr Friderichs wegen seiner Verurteilung betreffend Steuerhinterziehung nicht mehr tragbar. Für die AirbusIndustrie ist er offenbar noch tragbar - aus unserer Sicht eine schlimme Entwicklung. Aber Bundeskanzler Kohl - das wissen wir ja mittlerweile - läßt alte Weggefährten eben nicht verkommen.
Meine Damen und Herren, einige weitere Anmerkungen: Deutlicher als bisher hat der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten die aktuellen wirtschaftlichen Probleme erneut auf den Tisch gelegt und sehr deutlich klargemacht, daß es nach wie vor um den Abbau der Massenarbeitslosigkeit, um die Entzerrung des internationalen Leistungsbilanzgefüges, um einen verbesserten Umweltschutz, um die Lösung der brennenden Strukturkrisen geht. Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahren offenbar nicht stattgefunden. Angesichts dieser Krisen kann man seitens der Regierung wirklich nicht von großen Erfolgen sprechen.
Der Rat hat wiederum eindrucksvoll verdeutlicht, daß das unvorhergesehene Wachstum von dreieinhalb Prozent in diesem Jahr auf Sonderfaktoren zurückgeht. Die Wachstumskräfte sind nach wie vor viel zu schwach, insbesondere um das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu lösen. Ich meine - und da hat er völlig recht - , es besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf in der Wirtschaftspolitik durch die Bundesregierung.
Da wird vom Rat sehr deutlich gemacht, daß die Deregulierungen bisher unzureichend sind. Das ist ein Schlagwort, über das man konkret diskutieren muß, und wir Sozialdemokraten haben Vorschläge für Deregulierungen gemacht:
({3})
im Energiesektor, im Versicherungsbereich, im Kreditwesenbereich. So konkret, wie wir das gesagt haben, haben Sie dem bisher noch nicht beipflichten können, was ich sehr bedaure.
({4})
Der marktwirtschaftliche Ansatz für mehr Umweltschutz, um einen zweiten Punkt aufzugreifen, wäre aus unserer Sicht eigentlich eine bessere Aufklärung der Verbraucher. Die Verbraucher müßten bei ihren Kaufentscheidungen auf Umweltprobleme viel stärker Rücksicht nehmen. Wir haben im Haushalt 09 entsprechende Mittel eingefordert, um ein Umweltprogramm aufzulegen, um das Personal bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände aufzustokken. Leider ist das durch die Regierungskoalition abgelehnt worden. Dabei wäre gerade dies, wie wir meinen, ein liberaler und auch ein wirksamer Beitrag zur Verringerung der Umweltprobleme.
Ein Wort zur Kohle, weil dies besonders aktuell ist. Was auf diesem Felde passiert, ist aus meiner Sicht unerträglich. Hier wird nämlich mit der Angst der Bergleute im Revier Schindluder getrieben.
({5})
Das Vertragswerk hat eine Laufzeit bis 1995. Weil Sie den Kohlepfennig nicht anheben, sorgen Sie nicht dafür, daß dieses Vertragswerk eingehalten werden kann.
({6})
Zu den vertraglich festgelegten Absprachen über die Verstromung der heimischen Steinkohle gehören auch der Revierausgleich und die Übernahme der besonderen Belastungen für die niederflüchtige Kohle.
({7})
Beides will die Regierung aufkündigen, und zwar mit der Begründung: Die SPD hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen.
({8})
Merken Sie denn eigentlich gar nicht, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird?
({9})
Man kann doch nicht schriftliche Verträge aufkündigen, weil die SPD auf einem Parteitag für die ferne Zukunft etwas beschlossen hat. Aber das ist eben konservative Politik mit ihrer ganzen Tragweite. Sie gehen nach dem Motto vor: Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.
({10})
Die Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen verkommt unter dieser Regierung zu einer Restgröße.
Herr Abgeordneter Dr. Jens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Es wird ja angerechnet; insofern lasse ich es nicht zu.
Ich richte mich immer nach den Redezeiten, je nachdem, ob sie über oder unter zehn Minuten liegen. Da Sie eine Redezeit von über zehn Minuten haben, muß ich auch bei Ihnen konsequent bleiben.
Während der Sachverständigenrat endlich den Abbau von Subventionen fordert, verspricht die Bundesregierung soeben neue SubventioDr. Jens
nen für das Wechselkursrisiko bei der Produktion des Airbus in Höhe von 4,3 Milliarden DM, und zwar für den größten deutschen Industriekonzern. Die kleinen und mittleren Unternehmen werden diese Politik mit Sicherheit nicht vergessen. Wir - das verspreche ich Ihnen - werden immer wieder dafür sorgen, daß das auch bei den Kleinen und Mittleren nicht in Vergessenheit gerät. Aber das ist die Politik dieser Regierung: Den Großen wird gegeben, und den Kleinen und Mittleren wird genommen. Gekürzt wird beim Eigenkapitalhilfeprogramm, bei den Lohnkostenzuschüssen, bei der Beratungsförderung.
({0})
- Ich kann mir natürlich gut vorstellen, Herr Lambsdorff, daß Ihnen das nicht paßt. Wir können uns ja noch einmal persönlich darüber unterhalten.
Jetzt haben wir plötzlich noch einen Antrag von CDU/CSU und FDP auf den Tisch bekommen. Er sieht aber lediglich vor, daß für 1989 keine weiteren Kürzungen im Mittelstandsbereich erfolgen sollen. Wir stimmen dem zu. Aber das ist ein kleines Übel.
({1})
Ich bitte Sie aber auch: Stimmen Sie unserem Antrag zu, der vorsieht, daß die 1988 vorgenommenen Kürzungen zurückgenommen werden. Damit täten Sie, Herr Hauser, wirklich etwas für kleine und mittlere Unternehmen.
({2})
Meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten kommt es in Zukunft ganz wesentlich auf zwei Dinge an. Wir wollen, wenn wir die Chance dazu hätten, eine Offensive für die Qualifizierung der deutschen Arbeitnehmer einleiten, und wir wollen eine Offensive für die Verbesserung der Investitionen und Innovationen in diesem Lande. Der Sachverständigenrat hat sehr deutlich zur Verminderung der Arbeitslosigkeit für mehr Fortbildung und Umschulung, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für Lohnsubventionen und sogar für die Förderung von Beschäftigungsgesellschaften plädiert.
Bei all diesen Vorschlägen findet der Rat uns auf seiner Seite.
Völlig unverständlich ist es deshalb, daß etwa durch die 9. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz gerade in diesem Bereich gekürzt wird. Hier wird wiederum bei den Schwächsten in unserer Gesellschaft gekürzt. Gleichzeitig bekommen die Besserverdienenden kräftige Steuersenkungen. Der Protest gegen diese Kürzungen im Zuge der 9. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz wird immer lauter. Mittlerweile hat sich auch die Evangelische Kirche in Deutschland massiv gegen dieses Gesetzgebungsvorhaben ausgesprochen.
Aber wie in der Steuerpolitik zeigt sich eben auch hier: Die Bundesregierung will eine Umverteilung von den Schwächsten auf die Besserverdienenden. Unsere Gesellschaft - so behaupte ich - ist seit Jahren erheblich kälter geworden. Mir läuft manchmal ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, wie materiell reich und wie geistig arm unsere Gesellschaft ist.
Noch immer ist es nicht gelungen, einen sich selbst tragenden Investitionsaufschwung zu erreichen; dafür gibt es viele Gründe. Unser Steuersystem begünstigt die ausgeschütteten und in Kapitalmarktpapieren angelegten Gewinne viel stärker als die einbehaltenen reinvestierten. Das muß umgedreht werden. Dafür haben wir Vorschläge gemacht. Wir brauchen dringend eine steuerstundende Investitionsrücklage. Ich glaube, um einen sich selbst tragenden Investitionsprozeß in Gang zu setzen, ist auch ein wesentlich niedrigerer Realzins notwendig, als wir ihn heute kennen. Es mangelt dieser Regierung eben nicht nur an Kompetenz; es mangelt ihr vor allem am politischen Willen, die Massenarbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen.
Die Bundesregierung schwimmt mit ihrer Wirtschaftspolitik, wie ich meine, auf einer Welle des Zeitgeistes. Das kommt manchmal bei den Bürgern ganz gut an.
Wir Sozialdemokraten haben grundsätzlich nichts gegen Deregulierung, nichts gegen mehr Flexibilität und nichts gegen Entbürokratisierung. Aber ich sagte schon, es sind Schlagworte. Es geht jedoch um die konkreten Inhalte. Über diese müßte man mit uns konkret diskutieren. Die Politik der Regierung fördert auf alle Fälle, wie ich meine, das individualistische Verhalten. Wie hatte Siegfried Lenz in seiner berühmten Rede in der Paulskirche vor kurzem noch gesagt:
Auf einem Grabstein unserer Zeit könnte stehen: Jeder wollte das Beste - für sich selbst.
Doch auf diese Weise sind die Probleme unserer Zeit nicht zu bewältigen: weltwirtschaftliche Herausforderung, Umweltkatastrophe, Massenarbeitslosigkeit. Mir scheint, wenn wir hier vorankommen wollen, brauchen wir nicht mehr Individualismus; wir brauchen vielmehr - sicherlich auch von jedem einzelnen - mehr Verantwortung für diese gesellschaftlichen Probleme. Der Zeitgeist, dem diese Regierung huldigt, gehört bereits der Vergangenheit an. Immer mehr Menschen spüren, daß individualistische Denken muß zugunsten eines Denkens und Handelns in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen verändert werden. Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In früheren Debatten zur Wirtschaftspolitik haben die Kollegen Jens und Roth jeweils die, wie sie meinten, schwierige wirtschaftliche Lage aus ihrer subjektiven Sicht dargestellt. Heute, nachdem die Daten alle für einen anhaltenden Aufwärtstrend sprechen, versuchen sie sozusagen, andere Themen zu wählen und von der erfreulichen Wirtschaftsentwicklung, die wir alle feststellen können, abzulenken.
({0})
Wir werden am Ende dieses Jahres ein Wachstum des realen Bruttosozialprodukts von 3,5 %, vielleicht sogar mehr, haben. Wir haben eine Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen mit einer Steigerung von 6,5 % und der Bauinvestitionen von 6 %.
Wir haben nach den jüngsten Daten der Bundesbank im ersten Halbjahr 1988 einen Zuwachs der verfügbaren Einkommen breitester Schichten unseres Volkes von 4 %. Wir hatten schon zwischen 1985 und 1987 einen Zuwachs der verfügbaren Einkommen der breiten Mehrheit unserer Mitbürger von 8,5 %.
Meine Damen und Herren, da die Sozialdemokraten dem nicht mehr widersprechen können, weil sie selber von dieser Entwicklung überrollt worden sind - sie, die sie am Anfang des Jahres noch erwartet haben, 1988 liege die Steigerung des realen Bruttosozialprodukts unter einem Prozent - , reden sie inzwischen nicht mehr von den eigentlichen Wirtschaftsthemen, sondern sprechen, Herr Jens, hier von der geistigen Armut. Sie haben das Problem, daß Sie mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, eine wirtschaftspolitische Armut haben.
({1})
Sie haben zu den Zukunftsthemen der Wirtschaftspolitik eigentlich nichts mehr beizutragen.
Ich will, meine Damen und Herren, nur einmal in Kürze vortragen, was der Kollege Roth für die SPD in den letzten fünf Jahren an Wirtschaftsprognosen verbreitet hat. Im Dezember 1983 sagte er - ich zitiere wörtlich - :
Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist geprägt durch Hilflosigkeit und durch Illusionen in der konjunkturellen Entwicklung.
Im November 1984 der Kollege Roth: Die Politik der Bundesregierung setze Schönfärberei vor und verdränge die Wirklichkeit.
({2})
Anfang 1986 der Kollege Roth: Die Bundesregierung verbreite seit Monaten einen geradezu überschäumenden Optimismus. Im Juli 1986 wiederum der Kollege Roth: Die Bundesregierung müsse Vorsorge für einen Konjunkturabschwung treffen; seit dem Herbst 1985 habe der Aufschwung - wörtliches Zitat - „deutlich an Kraft verloren". Im Dezember 1986 wiederum der Kollege Roth: Ein Aufschwung ohne Kraft gehe zu Ende.
({3})
Im April 1987 wiederum der Kollege Roth: Die Bundesregierung betreibe Konjunkturgesundbeterei.
Lieber Kollege Roth, Sie und die Sozialdemokraten haben bewiesen, daß Sie von Zukunftsprognosen nichts verstehen. Sie verstehen davon genausowenig wie von Zukunftspolitik. Ich finde, das muß hier im Bundestag einmal gesagt werden, weil Sie diese Linie im Grunde genommen ständig fortsetzen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen Vorsorge dafür getroffen, daß die Basis für den Aufschwung breiter geworden ist. Wir haben mit dazu beigetragen, die Staatsquote zurückzuführen, die Steuerbelastung zu verringern, erste Privatisierungsschritte zu unternehmen, denen weitere folgen müssen, die Stärkung von Flexibilität und Mobilität voranzubringen und mit den Beschlüssen zur Postreform eine Öffnung für mehr Wettbewerb im Telekommunikationssektor herbeizuführen. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß wir diesen Kurs in der Zukunft eher noch entschiedener fortsetzen müssen.
Nur eines, meine Damen und Herren Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion geht nicht. Immer dann, wenn Sie am Horizont eine schlechtere Entwicklung vermuten, sagen Sie, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung sei schuld.
({5})
Sobald sich die Daten bessern, reden Sie schon gar nicht mehr über die Daten und reden auch nicht mehr über die Verantwortung. Sie müßten doch dann sagen, daß es mindestens auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ist, die zu diesen guten Entwicklungen beigetragen hat, sonst sind Sie doch unlogisch mit dem, was Sie ständig an Gründen für eine, wie Sie behaupten, schlechtere Entwicklung vortragen.
Meine Damen und Herren, wir sind auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt. Noch rund 50 Monate trennen uns von dem Datum der Vollendung eines einheitlichen Wirtschaftsraums am 31. Dezember 1992 in Europa, dem dann zweitgrößten Wirtschaftsraum, was das Bruttosozialprodukt angeht, nach den USA auf unserer Erde. Wir sind uns alle darüber im klaren - ich hoffe, über Parteigrenzen hinweg - , daß dieser Binnenmarkt auch gewaltige Anpassungsherausforderungen an unsere eigene Volkswirtschaft stellt. Ich will einige wenige Beispiele nennen. Wir haben bei der Lohn- und Einkommensteuerreform einen ersten Schritt in die Richtung der Anpassung unternommen, aber wir wissen alle, wir müssen bei den Unternehmenssteuern, bei der Gewerbesteuer, bei der Körperschaftsteuer, auch bei den ertragsunabhängigen Steuern in der nächsten Wahlperiode weitere Schritte unternehmen, damit die kleinen und mittleren Unternehmen, damit alle Unternehmen in diesem größeren europäischen Wirtschaftsraum wettbewerbsfähig bleiben. Die Belastungsquote bei typischen Kapitalgesellschaften bei der Steuer liegt 1986 bei einer Bandbreite von etwa 40 bis 55 %. Damit liegen wir weit vor Ländern wie der Schweiz, Großbritannien und den USA. Auch bei der Belastung bei Personengesellschaften - trotz der erfreulichen Lohn- und Einkommensteuerreform - sieht man uns im internationalen Verhältnis immer noch auf einem Mittelplatz. Es ist keineswegs so, daß wir bereits alle Voraussetzungen für eine entsprechende Wettbewerbsfähigkeit getroffen hätten. Mit anderen Worten: Wir müssen dafür sorgen, daß sich auch unsere kleinen und mittleren Unternehmen in diesem kommenden Binnenmarkt durch eine geringere Steuerbelastung behaupten können. Ich will nur ein Beispiel aus einem speziellen Bereich nennen. Es kann natürlich im Jahr 1992 oder 1993 nicht mehr so sein wie heute, daß ein deutscher Spediteur für denselben Lkw im Jahr 10 000 DM Steuern zahlt, für den sein holländiWissmann
scher Kollege 1 000 DM Steuern zahlt, sondern wir müssen auch hier Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich unsere mittelständischen Unternehmen im europäischen Konzert behaupten können.
Meine Damen und Herren, zur Mittelstandspolitik. Wir wissen genau, daß wir ohne einen lebendigen Mittelstand auf Dauer die Substanz unserer Volkswirtschaft verlieren.
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99 % aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen sind mittelständisch, 50 % aller steuerbaren Umsätze kommen aus dem mittelständischen Bereich, 66 % aller Arbeitnehmer arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. Vier von fünf Patentanmeldungen kommen aus kleinen und mittleren Unternehmen.
({7})
Ich füge folgendes hinzu, Herr Kollege Roth: Bei den zwischen 1977 und heute neu geschaffenen Arbeitsplätzen kommt der Löwenanteil aus den neu gegründeten Unternehmen und aus den Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten,
({8})
während die Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sogar insgesamt Arbeitsplätze abgebaut haben.
Herr Kollege Roth, deswegen bin ich froh, daß es durch eine gemeinsame Anstrengung von Wirtschaftspolitikern der Koalition gelungen ist, die Basis des Eigenkapitalhilfeprogramms - also der Existenzgründungen - nicht zu streichen, sondern für die Zukunft zu erhalten - das gilt nicht nur für 1989, sondern auch für die kommenden Jahre - , weil ich glaube, hier ist Wirtschaftspolitik gefragt und nicht nur Buchhaltung. Hier ist Zukunftspolitik für die kommenden Jahre gefragt.
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Meine Damen und Herren, ich füge folgendes hinzu: Wir wollen auch in Zukunft die Hilfen für den Strukturwandel - konkret für Innovationsförderung, für Existenzgründungen, für Technologieförderung, für Zusammenarbeit von kleinen und mittleren Unternehmen - im Bundeshaushalt erhalten und stärken. Es wäre geradezu paradox, wenn wir die Mittel für die Strukturkonservierung erhöhten und die Mittel für den Strukturwandel kürzten.
({10})
Ich bin froh, daß wir mit dem Entschließungsantrag beider Koalitionsfraktionen dafür Sorge tragen, daß die Mittelstandsförderung für den Strukturwandel auch in Zukunft erhalten bleibt.
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Lassen Sie mich einen Aspekt ansprechen, meine Damen und Herren, der uns ebenfalls nicht gleichgültig bleiben kann. Ich meine die immer noch trotz der erfreulichen Zunahme von 850 000 neuen Arbeitsplätzen seit 1983 zu hohe Arbeitslosigkeit. Keiner von uns kann dieses Thema an den Rand drücken wollen. Wir
alle wissen, daß wir in der Arbeitsmarktpolitik der Zukunft, bezogen auf den Staat und auf die Tarifparteien, mehr Phantasie und Beweglichkeit brauchen als in der Vergangenheit.
Erstens. Wir brauchen eine Tarifpolitik, die den Strukturwandel fördert und ihn nicht verhindert. Wir brauchen eine Lohnpolitik, die sich stärker nach Regionen und Branchen differenziert.
Zweitens. Wir brauchen Arbeitszeitregelungen, die eine noch stärkere Flexibilisierung und Differenzierung möglich machen. Ich wäre froh, wenn in der SPD zu diesem Thema nicht die Betonfraktion siegen würde, sondern diejenigen, die sich für mehr Differenzierung und Flexibilität einsetzen.
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Drittens. Wir brauchen mehr Teilzeitarbeitsplätze. Wir sind nach einer jüngeren Untersuchung von McKinsey immer noch eines der rückständigsten Länder der Erde in Sachen Teilzeitarbeit, obwohl wir wissen, daß 250 000 Arbeitslose allein Teilzeitarbeit suchen und daß 600 000 Menschen, die in Arbeit sind, gerne auf Teilzeitarbeit umstellen würden. Deswegen muß nicht nur der Staat, sondern müssen auch Gewerkschaften und Arbeitgeber für Teilzeitarbeitsplätze mehr tun, und zwar auf allen Qualifikationsebenen.
Viertens. Wir brauchen, meine Damen und Herren, mehr Maßnahmen auch der Tarifparteien zur Qualifizierung, weil sich, wir wissen, nicht nur die Menschen in den Betrieben weiterqualifizieren müssen, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollen, sondern auch, weil 51 To der Arbeitslosen ohne Qualifikation sind. Deswegen, finde ich, war es vorbildlich, daß im nordwürttembergischen Tarifbereich IG Metall und Metallarbeitgeber erstmals einen Abschluß über gemeinsame Qualifikationsanstrengungen getroffen haben. Ich wünschte mir, daß in der Tarifpolitik der Zukunft nicht nur über Lohn und über Arbeitszeit, sondern mehr als bisher auch über Qualifikationsanstrengungen verhandelt wird, damit man einen Teil des zu Verteilenden für gemeinsame Qualifikationsmaßnahmen für die, die drin sind, und für die, die draußen sind, einsetzt.
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Wir sollten auch als Bundestag so etwas einmal zum Ausdruck bringen, weil wir glauben, daß nicht der Staat alleine hier gefordert ist, sondern auch die Tarifparteien gefordert sind.
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Meine Damen und Herren, wir brauchen flexiblere Methoden der Arbeitsvermittlung, eine Lockerung des Monopols der Bundesanstalt für Arbeit, mehr Freiraum für private Initiativen. Meine Damen und Herren, ich kenne das Beispiel Mannheim, einer solchen unkonventionellen Arbeitsvermittlungsinitiative, sehr genau, wo Betriebsräte, wo Handwerker, wo viele Mitbürger durch ein privates Engagement, unterstützt von der Landesregierung, versucht haben, neue Wege zu finden. Was war das Ergebnis? - 1 000 zusätzliche Stellen sind gemeldet worden, die besetzt werden
I könnten, und 200 Vermittlungen sind in wenigen Wochen zusätzlich vorgenommen worden. Meine Damen und Herren, wir sollten in der Zukunft weniger in monopolistischen Strukturen denken und mehr dem Wettbewerb, dem Ideenreichtum und der Kreativität unserer Mitbürger Raum geben, auch bei der Arbeitsvermittlung.
({15})
Wir würden damit einen Beitrag zur Bewältigung des Problems der Arbeitslosigkeit leisten.
Mit anderen Worten: Neben jener Steuer-, Wirtschafts- und Mittelstandspolitik, die ich hier zu skizzieren versucht habe, bedarf es unkonventionellerer Methoden, auch und gerade dann, wenn es um die Vermittlung von freien Arbeitsplätzen für die geht, die Arbeit suchen.
Ich bedaure es sehr, daß heute weder der Kollege Roth noch der Kollege Jens zu diesen eigentlichen Themen von Arbeitsmarkt, Mittelstand und Steuerpolitik Stellung genommen haben, sondern daß sie statt dessen die Gefechte von gestern geführt haben. Es bestätigt sich der Eindruck: Mit den Sozialdemokraten wird auf absehbare Zeit eine vernunftorientierte Marktwirtschaftspolitik für die Zukunft nicht geführt werden können.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Herr Präsident! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Gestern sagte Herr Dr. Vogel, er könne die Bitterkeit der Handwerker und der Mittelständler verstehen, wenn man beobachte, wie hier ganz leicht Millionen und Milliarden verschoben werden, sei es im Haushalt des Bundeskanzleramtes oder in Richtung Großindustrie. Diese Bitterkeit kann ich sehr wohl nachvollziehen; ich kenne sie auch aus den Bereichen der Verbraucherorganisationen.
Dort stehen Etatkürzungen und notorischer Personalmangel einem wachsenden Beratungsbedarf gegenüber. Verbraucherberatung kostet nun einmal Geld.
({0})
- Warten Sie doch, Herr Rossmanith. - Es gibt aber keine einflußreiche Lobby, die sich dafür stark macht. Denn an der Verbraucherarbeit ist eben nichts zu verdienen. Deshalb hätte die Regierung die Aufgabe, hierfür ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen.
Gerade Sie von den Koalitionsparteien reden doch dauernd von der Marktwirtschaft und vom Wettbewerb. Wenn frau sich dann aber die Taten der Regierung anschaut, stellt sich eben heraus, daß die Wirtschaft direkt und indirekt auf Teufel komm raus subventioniert wird.
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Durch den hochgepriesenen EG-Binnenmarkt wird die Machtzusammenballung noch forciert, und sogenannte Handelshemmnisse in Form von Verbraucher-und Umweltschutzvorschriften werden abgebaut. Die Worte Soziale Marktwirtschaft oder auch Wettbewerb sind ebenso wie der ständig aus Ihren Reihen zu hörende Begriff von der bäuerlichen Landwirtschaft längst zu einem Orwellschen Lügenwort verkommen.
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- Das kennen Sie wohl nicht?
Wenn die Rahmenbedingungen der ökologischen Misere entsprechend richtig gesetzt wären, könnten marktwirtschaftliche Mechanismen tatsächlich bei einigen Problemen ohne größere gesetzliche Eingriffe zur Lösung beitragen. Wenn z. B. umweltschädliche Produkte mit hohen Steuern belastet oder Produkte aus der Massentierhaltung gekennzeichnet wären, würden die Umsätze wohl schnell zurückgehen. Auf Grund der Komplexität der Probleme und bei den derzeitigen Werbestrategien - alles ist Bio oder umweltfreundlich - ist es zwingend notwendig, daß die Konsumentinnen Informationen über Produkte erhalten, die möglichst frei von wirtschaftlichen Interessen sind, denn erst dann könnten sie die richtigen Entscheidungen am Markt treffen. Die Verbraucherzentralen sind jedoch völlig überfordert. Nach jeder Katastrophe und jedem Lebensmittelskandal steigt der Beratungsbedarf; doch seit Jahren werden die Mittel nicht erhöht.
Neben den Verbraucherzentralen gibt es noch die Stiftung Verbraucherinstitut in Berlin, die den Verbraucherzentralen in verschiedenen Bereichen Hilfe - stellung leisten soll. Seit dem zehnjährigen Bestehen dieser Organisation gab es jedoch keinerlei Ausweitungen des Stellenplans, lediglich 15 Personen arbeiten dort.
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Im Wirtschaftshaushalt sind ganze 28 Millionen DM für die offizielle Verbraucherunterrichtung und Verbrauchervertretung vorgesehen. Das sind lediglich 0,004 To der gesamten Ausgaben des Wirtschaftsministeriums.
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- Ich will jetzt gar nicht, Herr Hinsken, wieder auf die 1,35 Milliarden DM für den Airbus zurückkommen, um aufzuzeigen, wohin die Gelder fließen, sondern ich möchte aus Zeitgründen nur eine Einsparmöglichkeit aufzeigen. 17 Millionen DM bekommt z. B. das Bundeskartellamt, und jetzt wird dauernd gesagt und laut verkündet, daß der Wirtschaftsminister, wer immer das dann sein wird, ein Nein des Bundeskartellamts zur Fusion von Daimler und MBB aufheben wird. Was soll eigentlich dieses Amt? Da könnten wir es doch gleich zusperren und das Geld für andere Sachen nehmen. Sie sehen, Geld wäre ohne weiteres
aufzutreiben, wenn man nur wollte. Aber nein, mit der Arroganz der Macht wurden alle unsere Anträge im Ausschuß abgelehnt, und nicht einmal die SPD stimmte dafür, trotz der schönen Worte hier.
Zur heutigen Beratung haben wir nur einen Änderungsantrag in Höhe von 3 Millionen DM eingereicht. Mit diesem Betrag soll ein Fonds gebildet werden, aus dem speziell freie und unabhängige Verbraucherorganisationen unterstützt werden sollen. Deren Arbeit ist nämlich gerade jetzt nötiger denn je, wo die Lobby der Nahrungsmittelindustrie versucht, den Behörden bei Skandalen einen Maulkorb umzuhängen.
Zum Schluß noch ganz kurz ein Wort an die Mitglieder der Koalitionsfraktionen: Sie haben auch Politik für die Verbraucher und Verbraucherinnen und nicht nur für die Betriebe in der Industrie zu machen. 3 Millionen DM sind im Verhältnis zu den Beträgen, mit denen hier jongliert wird, praktisch nichts; da werden selbst Sie mir zustimmen. Mit welchen Argumenten wollen Sie eigentlich unseren Antrag ablehnen? Das einzige Argument ist doch wieder, daß einfach einem Antrag der GRÜNEN nicht zugestimmt werden kann.
({5})
Ob ein solches Argument einsehbar oder eher ein Armutszeugnis ist, überlasse ich Ihrem politischen Fingerspitzengefühl und der Beurteilung der Leute.
Danke.
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Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Strukturwandel ist immer eine wichtige Aufgabe für Wirtschaftspolitik, aber ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu sagen, daß in den letzten fünf Jahren Strukturwandel eine Art Leitmotiv war, sowohl für unsere Wirtschaft als auch für die Wirtschaftspolitik. Diesen Strukturwandel zu unterstützen durch die Beseitigung unnötiger Hemmnisse, unnötiger Rigiditäten, Denktabus zu durchbrechen und manchmal auch unkonventionell erscheinende Wege zu mehr Wachstum und Beschäftigung durchzusetzen, das ist eine der Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre gewesen und wird sie sicher auch bleiben. Dabei ist ganz wichtig, daß man Angst und Verzweiflung, die häufig Menschen befallen, wenn sie vor den Anforderungen eines solchen Strukturwandels stehen, bekämpft, und deswegen gehört zu einer richtigen Wirtschaftspolitik, daß man solche Aufgaben realistisch beschreibt und daß man optimistisch ist, wenn man vor der Frage. steht, ob man sie bewältigen kann. Wer das nicht versteht, wer nicht versteht, daß man Menschen, gerade Menschen in Bedrängnis, auch mal Mut machen muß, der hat heute nicht verstanden, was es heißt, mit der Politik den Strukturwandel zu unterstützen.
({0})
Deswegen habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, wenn ich mir das vor Augen halte - Herr Wissmann hat das ja noch einmal getan - , was wir hinsichtlich unserer eigenen Einschätzungen von der Opposition immer wieder zu hören bekamen; denn in der Tat ist das, was wir gesagt haben, eher zum Guten hin übertroffen worden - wie auch in diesem Jahr -, als daß sich der Pessimismus der Opposition bewahrheitet hätte.
({1})
Wie die Sachverständigen an Hand der günstigen Wirtschaftsdaten für dieses und für das kommende Jahr auch gezeigt haben, trägt diese Wirtschaftspolitik ihre Früchte.
({2})
Ein Zitat aus diesem Gutachten: „Expansion bei Stabilität - das ist das Markenzeichen der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, die nun in ihr siebtes Jahr geht. " Meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn wir jetzt im siebten Jahr einen ungebrochenen Wirtschaftsaufschwung haben, dann kann man das nicht mehr mit Zufällen oder mit unverdientem Glück beschreiben. Dahinter steckt eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik; sonst wäre das nämlich nicht möglich gewesen.
({3})
Nun mag es natürlich schwierig sein - insbesondere dann, wenn man in den großen Visionen der Makroökonomen in den Reihen der Opposition schwebt - , das zu erkennen, was manchmal in der Tat ein mühsames Bohren dicker Bretter ist. Und das ist die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit. Es ist nicht wahr, daß die Regierung an diesem Problem vorübergegangen wäre, daß sie sich nicht selbst Gedanken gemacht und auch Aufforderungen an alle die gerichtet hätte, deren Aufgabe es ist, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Langsam, Herr Jens, zeigt ja auch das, was wir dort immer wieder vorgetragen haben, Erfolg.
Ich kann mich noch erinnern, daß mein Kollege und Freund Helmut Haussmann und ich vor einigen Jahren - drei, vier Jahre wird es her sein - ganz allein waren, als wir zum erstenmal davon gesprochen haben, daß manche Regeln unserer Tarifverträge so steif und inflexibel geworden sind, daß sie bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein Hindernis darstellen. Niemand in der ganzen Arena hat uns Beifall gezollt. Wir wurden vielmehr dargestellt als die Lohndrücker, die Tariftreiber und ähnliche Dinge mehr. Dabei weiß heute jeder - das wird ja sogar von Ihnen eingeräumt - , daß da ein Haupthemmnis bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit liegt. Deswegen müssen wir ohne Scheuklappen an dieses Problem herangehen.
Die Wirtschaft der Bundesrepublik arbeitet auf einem hohen Lohnniveau. Das ist gut so. Niemand hat je gesagt, wir wollten die Löhne senken, was wir erstens gar nicht könnten, was zweitens unsozial und drittens wirtschaftspolitisch auch unsinnig wäre.
({4})
Aber wenn ein hohes Lohnniveau einschließlich vor
allen Dingen der Lohnnebenkosten vorhanden ist
- es ist exzeptionell hoch - , dann ist doch selbstverständlich, daß damit eine höhere Anforderung bei der Qualifikation einhergeht. Mit anderen Worten - das habe ich immer wieder gesagt - : Das Problem der Langzeitarbeitslosen in einer solchen Industriegesellschaft ist ein Problem mangelnder Qualifikation. Es ist also nicht so, daß wir davor die Augen verschlossen hätten, sondern wir haben das immer wieder gesagt.
({5})
- Da mir die Zeit angerechnet wird - - Oder nicht?
Ja.
Da mir die Zeit angerechnet wird, sind Sie mir zu teuer. Ich möchte gerne weitermachen.
({0})
Aber Herr Minister, bei 28 Minuten Redezeit.
Ich habe ja nichts dagegen.
({0})
- Sie können sich ja anstrengen. Vielleicht werden Sie auch einmal Wirtschaftsminister.
({1})
Es ist ja auch nicht falsch, wenn der Sachverständigenrat darauf hinweist, daß wir seit 1983 rund 870 000 Arbeitsplätze neu geschaffen haben. Ich weiß, daß sofort das Argument kommt: Aber wir haben diese Arbeitsplätze neu geschaffen, ohne daß die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Darin liegt ein weiterer Beweis für meine These. Wenn wir neue Arbeitsplätze schaffen, werden sie auch besetzt, aber leider eben nicht von Arbeitslosen, weil in vielen Fällen ihre Qualifikation dafür nicht ausreicht.
({2})
1989 werden wir nach Schätzungen des Sachverständigenrats erneut 200 000 Arbeitsplätze zusätzlich neu schaffen können, so daß wir dann die Millionengrenze überschreiten. Das ist ein Ergebnis von Wirtschaftspolitik, das sich gerade auch auf dem Arbeitsmarkt sehen lassen kann.
({3})
Nun, es ist richtig, daß sich in dem Etat, den ich hier vorlege, die Steigerung ausschließlich aus der Steigerung von Subventionen ergibt. Es ist völlig in Ordnung, daß die Frage gestellt wird: Wie verträgt sich das mit dem Ziel des Wirtschaftsministers und der Bundesregierung und der Koalition, Subventionen abzubauen?
Deswegen ist es notwendig, daß man darauf einmal einen Blick wirft. Aber, meine Damen und Herren, es hilft natürlich weder der Regierung noch der Opposition, wenn auch sie das Ziel haben sollte, Subventionen abzubauen - was ich nicht genau weiß - , daß man das global macht.
({4})
Global hat gar keinen Sinn.
({5})
Ich nehme einmal ein Beispiel. Wenn es um die Werften geht, die Werfthilfe - ich komme auf alle diese Punkte noch zu sprechen -,
({6})
dann ist es ja doch wohl ganz offensichtlich, daß im Einverständnis aller Fraktionen im Haushaltsausschuß der Ansatz der Regierung heraufgesetzt worden ist. Das ist nicht ganz unerheblich. Das ist eine Zahl, die Eingang in meinen Haushalt findet. Ich finde, dann sollte niemand den leichten Versuch machen, sich hier hinzustellen und die Erhöhung der Subventionen zu bejammern,
({7})
aber sich dann zu verdrücken, wenn es um die politischen Entscheidungen geht.
Daß die Weichen eindeutig auf Subventionsabbau gestellt sind, will ich an einigen Beispielen darstellen.
Erstens: Stahl! Die Bundesregierung hat in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt, daß eine stahlspezifische Subventionierung in der Gemeinschaft nicht mehr stattfindet. Ich weiß, daß das schwierig zu kontrollieren ist. Aber daß es eine Anforderung ist, die alle Mitgliedsländer ernst nehmen, zeigen die Bemühungen Italiens, seine eigene neue Subventionierung dadurch zu rechtfertigen, daß dort Kapazitätsabbau betrieben wird. Das geschieht nicht in genügendem Umfange, wie wir gesagt haben; wir haben unsere Position im Ministerrat ganz klar verteidigt und gehalten. Man kann jedenfalls nicht davon reden, daß das Subventionswesen beim Stahl sein Ende gefunden habe.
Zweitens: Werften! Auch hier haben wir auf EGEbene erstmals eine Begrenzung der Subventionen auf 28 % des Auftragswerts durchgesetzt. Das gilt nicht nur für uns, das gilt für alle in der EG. Daß der Kapazitätsabbau bei der deutschen Werftindustrie vorangekommen ist, so daß wir für den internationalen Wettbewerb inzwischen besser gerüstet sind, ist auch deutlich zu sehen.
Drittens: Kohle! Meine Damen und Herren, die Kosten der Kohlepolitik haben sich seit 1983 mehr als verdoppelt, aber nicht, weil wir neue Subventionen der Art oder der Methode nach erfunden hätten, sondern weil wir einen Mechanismus vorgefunden haben, der eine Open-end-Veranstaltung ist. Er bezieht sich auf den Dollarkurs. Er bezieht sich bei der Verstromung von Kohle - wie jedermann weiß - auf einen fiktiven Konkurrenzpreis. Denn daß das schwere Heizöl heute nicht mehr der Hauptkonkurrent bei der Verstromung der Kohle ist, weiß jeder. In
Wahrheit hätte man damals schon den Preis von importierter Kohle nehmen müssen, um eine tatsächlich vernünftige Rechnung aufstellen zu können.
({8})
Weil man das aber nicht gemacht hat, stehen wir heute vor dem Problem, daß sowohl auf Grund des gesunkenen Dollarkurses wie auch auf Grund der gesunkenen Preise für schweres Heizöl die Summe der Beträge, die notwendig sind, immer weiter heraufgesetzt werden muß, ohne daß der Mechanismus selber verändert werden kann, denn jedermann weiß: der Jahrhundertvertrag garantiert die Menge bei der Verstromung.
Meine Damen und Herren, das geht nun nicht; man kann nicht beides gleichzeitig wollen. Ich habe hier vor gut einem Jahr, als wir zum erstenmal über die neuen Lösungen bei der Verstromung gesprochen haben und als wir die damalige Kohlerunde noch vor uns hatten, gesagt: Ich werde das Mengengerüst bei der Verstromung verteidigen. Und das habe ich getan. Ich habe die Gespräche mit den EVU sofort an den Punkten abgebrochen, an denen deutlich wurde, daß die EVU den Jahrhundertvertrag kippen wollten.
({9})
Das haben Sie mir damals nicht geglaubt, daß ich das tun würde. Ich habe es gemacht. Aber daß das dann bedeutet, meine Damen und Herren, daß mein Haushalt diese Mittel auch enthalten muß, kann doch niemand bestreiten. Man kann nicht für das Mengengerüst kämpfen und gleichzeitig der Bundesregierung oder besonders mir vorwerfen, wir täten nicht genug für den Subventionsabbau. Das ist nicht vernünftig.
({10})
Wir haben bei der Verkokung, bei der Verhüttung zum erstenmal - wie Sie wissen - einen Plafond umgesetzt, so daß wir bis 1991 eine klar begrenzte Menge an Subventionen zahlen und nicht mehr wie früher eine unbegrenzte Subventionierung vornehmen müssen.
Daß wir jetzt bei der Verstromung - darüber werden wir ja noch zu sprechen haben - einen solidarischen Beitrag aller brauchen, wenn wir das schwierige Kapitel bewältigen wollen, will ich hier im allgemeinen nur einmal ankündigen.
Dann will ich mich in diesem Zusammenhang auch mit der Frage Airbus beschäftigen. Meine Damen und Herren, es wäre mir sehr recht, wenn es möglich wäre, an Hand der Tatsachen die Frage zu prüfen, wie die neue Lösung im Vergleich zur alten Lösung zu werten ist, denn es hat ja keinen Sinn, wenn man so tut, als ob sich die Bundesregierung zum erstenmal mit dem Airbus beschäftige. Der Airbus ist ein Unternehmen, daß die Bundesregierung ja nun schon länger als zehn Jahre beschäftigt, und zwar auch die Bundesregierung, die damals ja noch von FDP und SPD gebildet worden ist.
({11})
- Herr Vogel, wenn Sie das einräumen, dann wundere ich mich über manche Ihrer öffentlichen Äußerungen.
({12})
- Na, wenn Sie einräumen, daß es die Regierung gab, dann zeigen Sie, daß nicht nur Ihre Sicht nach vorn, in die Zukunft begrenzt ist,
({13})
denn jetzt leiden Sie schon unter Sehstörungen, wenn Sie in die Vergangenheit schauen.
({14})
Die jetzige Subventionspraxis bedeutet - ich bitte, daß das endlich einmal zur Kenntnis genommen wird - : Wir subventionieren Forschung und Entwicklung, aber auch die Serienproduktion und auch die Vermarktungskosten und das Wechselkursrisiko zu 100 %. Das ist die heutige Praxis.
({15})
- Ich gucke Sie an, Herr Vogel, weil ich glaube, daß Sie es am nötigsten haben.
({16})
- Ich will es Ihnen wirklich einmal erklären. - Das ist die heutige Situation. Und jetzt kommt die neue Lösung. Nach der neuen Lösung werden, wie international üblich, die Entwicklung und die Erforschung ziviler Flugzeuge weiter gefördert, aber natürlich nach Prüfung im Einzelfall. Es gibt keine Subventionierung bei der Serienproduktion neuer Modelle mehr, und es gibt keine Vermarktungskosten, und das Wechselkursrisiko wird über 75 %, 50 % für die öffentliche Hand auf Null abgebaut. Das heißt: Im Kapitel Subventionierung ist die neue Lösung ein Weniger und eine Überbürdung von Kosten, die heute von der öffentlichen Hand übernommen werden, auf die Privatindustrie. Das und nichts sonst ist die Wahrheit.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Nein, vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, deswegen ist das unter diesem Stichwort nicht anders zu behandeln.
Ich begrüße auch den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen, denn die doppelte Kürzung - es handelt sich ja um die globale Minderausgabe plus die Sonderkürzung, die beschlossen worden ist - wäre in meinem Haushalt in der Tat nur zu verkraften, indem auch die Mittel für den Mittelstand in Anspruch genommen werden müßten. Das wollen wir gemeinsam nicht. Deswegen begrüße ich diese Entschließung. Ich bin der Meinung, daß sie einen richtigen Weg aufzeigt.
Der Herr Jens hat hier davon gesprochen, daß er bzw. seine Partei ja gar nichts gegen Privatisierung, Flexibilisierung und Deregulierung und Entbürokratisierung einzuwenden habe. - Er bestätigt das noch einmal.
({0})
Immerhin hat er eine Position vertreten, die sich über eine Stunde lang gehalten hat. Das ist ja schon einmal von großem Vorteil.
({1})
Aber er sagt im gleichen Atemzug, das alles seien Schlagworte, und man möge doch einmal an konkreten Beispielen die Bereitschaft der SPD prüfen zu privatisieren, zu flexibilisieren und zu entbürokratisieren.
({2})
- Vielen Dank, Graf Lambsdorff, für das Stichwort. Manche Ihrer Stichworte sind sogar brauchbar.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn das Stichwort Privatisierung von der SPD global und allgemein akzeptiert wird, dann frage ich nur: Wo ist denn die SPD geblieben, als es bei der Privatisierung von Volkswagen um die Zustimmung der Opposition ging? Wo waren Sie denn da? Das ist ein konkretes Beispiel.
({4})
Wenn ich schon beim Thema Flexibilisierung bin: Wie ist denn die Haltung der SPD zum Ladenschluß? Welche Position nehmen Sie denn da ein? Und wenn es um Entbürokratisierung geht: Was sagen Sie zur Postreform? Meine Damen und Herren, wenn es darauf ankommt, konkret Roß und Reiter zu nennen und zu dem zu stehen, was man allgemein verkündet, dann ist von der SPD nichts zu sehen, überhaupt nichts.
({5})
Meine Damen und Herren, die Poststrukturreform ist ja ein Beispiel dafür, daß die Bundesregierung das Notwendige tut. Es stimmt, daß die Kosten der Informationsübermittlung ein ganz wesentlicher Standortvorteil oder Standortnachteil in der Zukunft sein werden.
Herr Roth hat vom Binnenmarkt gesprochen und der nach ihm mangelnden Vorbereitung unserer Wirtschaft darauf. Ich will jetzt nicht alle einzelnen Maßnahmen aufführen, die wir oder auch die Kommission unternehmen, um insbesondere das Handwerk und die kleinen und die mittleren Betriebe dafür fit zu machen.
Ich will nur noch einmal eines mit großer Deutlichkeit sagen: Die Diskussion über den Investitionsstandort Bundesrepublik, die wir aktiv begleitet haben, die wir zwar nicht angestoßen, aber sehr gern auf genommen haben, hatte eine Gefahr, nämlich die, daß man nur das Negative beschrieben hätte - damit hätte man den Produktions- und Investitionsstandort Bundesrepublik Deutschland natürlich geschädigt -, hatte aber auch eine große Chance, nämlich die Chance, daß unsere Schwächen aufgezeigt werden. Und Gott sei Dank ist beides geschehen. Wir haben auf der einen Seite durchaus Schwächen zu verzeichnen, und zu diesen Schwächen gehört nun einmal eine starre Struktur etwa bei der Versorgung mit Informationen. Zu den Stärken aber gehört das, was mit Recht auch unterstrichen worden ist: Wir haben eine im Durchschnitt hohe Qualifikation der Arbeitnehmer, wir haben ein vernünftiges Infrastruktursystem, wenn man das auf die klassische Infrastruktur bezieht. Jedenfalls sind die Schwächen, die dort aufgetreten sind, auch wieder zu beheben.
({6})
Deswegen ist es schon wichtig, daß wir im Zuge der anstehenden Reformen auch einmal gemeinsam versuchen, festzustellen, was notwendig ist, um den Produktionsstandort Bundesrepublik Deutschland attraktiv zu machen.
Aber, meine Damen und Herren, die Steuerreform muß man dann eben auch in ihrem Teil Unternehmensbesteuerung sehen, denn es gibt inzwischen einen Wettbewerb europäischer Länder insbesondere bei der Herabsetzung der direkten Besteuerung der Unternehmen, und da sind wir nicht an der Spitze des Fortschritts. Und in diesem Zusammenhang muß man eben auch einmal über den Spitzensteuersatz reden können, ohne daß die Bundesrepublik Deutschland, die zwar keine Eidgenossenschaft ist, plötzlich zur Neidgenossenschaft wird.
({7})
Das muß man schon einmal machen können! Und da fehlen Sie leider.
Ich gebe zu und bin sehr froh darüber, daß die Gewerkschaften anfangen, nachdenklicher zu werden. Vielleicht hat auch der Binnenmarkt darauf einen günstigen Einfluß gehabt. Man muß sich da auch einmal den Bereich der sozialen Rechte anschauen. Unsere Gewerkschaften haben ja festgestellt, daß die Erarbeitung eines europäischen Gesellschaftsrechts an einem Punkt zu scheitern drohte, nämlich an der Mitbestimmung. Da hat sich also herausgestellt, daß wir hier nicht das Schlußlicht sind, vielmehr ist bei sozialen Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmer die Bundesrepublik Deutschland einsame Spitze.
({8})
Wir sind wesentlich besser als alle anderen Mitgliedsländer. Und das bringt den anderen Schwierigkeiten, nicht uns.
({9})
- Das ist ja auch gut so, Herr Jens. Deswegen ist es auch wichtig, daß Sie sich an dieser Diskussion positiv beteiligen. Wenn Herr Breit z. B. sagt - Bildzeitung vom 6. 11. 1988; vielleicht sollte er sich ein etwas seriöseres Medium aussuchen ({10})
- vielen Dank, Herr Roth, daß Sie dieselbe Meinung haben - : „Wir können über Wochenendarbeit reBundesminister Dr. Bangemann
den", ist das, wie ich meine, eine sehr gute Erkenntnis, auf die wir ein paar Monate haben warten müssen, aber wir begrüßen, daß er das jetzt sagt. Und wenn der Herr Steinkühler ({11})
- ich weiß nicht, ob das schon in Ihren Reihen überall verbreitet ist, deswegen zitiere ich es hier - sagt: Wir werden die Arbeitszeit noch flexibler ausgestalten, als wir das in der Vergangenheit getan haben
({12})
- das „noch" kann man etwas sarkastisch sehen -,
({13})
so zeigt sich hier ein Sinneswandel, aus dem ganz deutlich wird, meine Damen und Herren: Dieser Strukturwandel wird neue soziale Chancen bieten, aber wir werden ihn nicht im Sinne der Arbeitnehmer nutzen können, wenn wir mit den alten Rezepten versuchen, diese neuen Chancen zu erreichen. Das wird nicht möglich sein.
({14})
Wir haben jedenfalls auch dank der Reformpolitik der jetzigen Bundesregierung die Bundesrepublik als Wettbewerber für diesen Standortwettbewerb gerüstet.
Ich darf vielleicht, wenn alle Fakten nichts nützen, ganz zum Schluß noch einen kleinen Beweis dafür liefern, daß sich bei uns die Dinge gebessert haben, wenigstens was das Klima angeht. Der Geschäftsklima-Index des Ifo-Instituts hatte 1984 einen historischen Tiefstand von minus 9. Seitdem ist er auf plus 15,9 emporgeklettert,
({15})
- „überhitzt" - , wo er noch nie war. Und das, meine Damen und Herren, ist bei aller Skepsis gegenüber solchen Zahlen doch ein kleiner Hinweis darauf, daß die Bilanz dieser sechs bis sieben Jahre, in der die Koalition für die Wirtschaftspolitik verantwortlich ist,
({16})
eine gute Bilanz ist, nicht, weil wir sie gut machen wollen, sondern weil sie gut ist. Die Menschen in der Bundesrepublik wissen, daß es ihnen besser geht, obwohl es viele Menschen gibt, die keine Arbeit haben. Aber insgesamt weiß jeder: Diese Wirtschaftspolitik war erfolgreich. Das wird nicht bestritten. Und weil es nicht bestritten werden kann, meine Damen und Herren, bin ich auch stolz darauf, daß ich wenigstens eine Zeitlang an diesem Problem habe mitarbeiten können.
({17})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich nach der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufen werde.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3342? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3343? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3344? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist mit der gleichen Mehrheit wie der Antrag zuvor abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3345? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Die gleiche Mehrheit lehnte den Antrag ab.
Dann kommen wir zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/3346. Wer stimmt dafür? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gleiche Mehrheit wie davor.
Wir kommen zum Antrag auf Drucksache 11/3347. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3348? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Dann stimmen wir über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3349 ab. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Das ist die gleiche Mehrheit wie davor, die diesen Antrag abgelehnt hat.
Dann kommen wir zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/3350. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Das ist die gleiche Mehrheit gewesen, die auch den Antrag davor abgelehnt hat.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer dem Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksachen 11/3222, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Rust Austermann
Zywietz
Vizepräsident Westphal
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3416 und 11/3430 vor.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Vereinbarung des Ältestenrats, für diese Beratung eine Stunde vorzusehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Sie sind einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Forschung und Technologie gewinnen ständig an Bedeutung für unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Neue Erkenntnisse der Wissenschaft, die Forschungsförderung und die Entwicklung neuer Technologien sowie deren beschleunigte Einführung und Anwendung beeinflussen und verändern die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen unserer Gesellschaft. Sie verändern den Zustand unserer Umwelt und nicht zuletzt unser Denken.
Aufgabe der Politik aber, meine Damen und Herren, ist die aktive Gestaltung der Technologieentwicklung. Sie, die Politik, muß Prioritäten setzen. Sie muß gesellschaftliche Perspektiven entwickeln und die Möglichkeiten für den gesellschaftlichen Fortschritt, für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, für die Schonung der natürlichen Ressourcen und für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen erschließen. Politik muß dazu beitragen, unsere Gesellschaft gegenüber wissenschaftlich-technischen Entwicklungen hand-
') lungsfähiger zu machen, sowohl im rechtzeitigen Erkennen und Nutzen der Chancen neuer Technologien als auch in der frühzeitigen Erkenntnis ihrer Risiken und ihrer Gefahren, denen wir durch politische Entscheidungen rechtzeitig begegnen müssen. An solchen Ansprüchen gemessen ist der vorliegende Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie unbefriedigend und unzureichend.
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Meine Damen und Herren, wir können feststellen: Der Forschungsetat wird gegenwärtig in einer Weise umstrukturiert,
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die jedenfalls wir Sozialdemokraten nicht billigen können. Der Bundesminister läßt zu, daß ständig neue Projekte in Angriff genommen werden, ohne angemessene Erhöhung der Finanzausstattung. Der Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie soll im nächsten Jahr um 2,9 % steigen, der gesamte Bundeshaushalt, wie wir alle wissen, um rund 5,4 %, also um knapp das Doppelte.
Ich will nur am Rande bemerken, daß selbst diese 2,9 % nur das Ergebnis einer Zahlenmanipulation zwischen Soll- und verschiedenen Ist-Zahlen sind. Vergleicht man das Soll 1988 mit dem Soll 1989, steigt der Etat für Forschung und Technologie nur um magere 1,1 %.
Die Tatsache, die sich daraus ergibt, ist, daß der Anteil der Ausgaben, den diese Bundesregierung für Forschung und Technologie, also für Zukunftssicherung, ausgeben will, absinkt. Ich füge hinzu: Er sinkt
erneut. Denn auch in den Vorjahren war der Anstieg teilweise unterdurchschnittlich. Was übrigens die öffentlichen Hände in der Bundesrepublik insgesamt angeht - also nicht nur den Bund - , werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung 1989 erstmals real um 2,3 % zurückgehen.
Mit vielen Sachverständigen aus Wirtschaft und Instituten kritisiere ich hier die nachlassende Dynamik der staatlichen Forschungs- und Entwicklungspolitik
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und zwar nicht nur 1989, sondern auch in der mittelfristigen Finanzplanung, die ja heute auch zur Diskussion steht. Wir Sozialdemokraten können es jedenfalls nicht akzeptieren und haben uns dementsprechend in den Haushaltsberatungen, wenngleich ohne großen Erfolg, um eine Aufstockung des Forschungsetats bemüht.
Meine Damen und Herren, kennzeichnend für den vorliegenden Forschungshaushalt ist nicht nur der erneut zu geringe Anstieg. Dramatischer noch ist die innere Verschiebung zu Lasten zahlreicher Forschungsvorhaben und zugunsten der großen ESAWeltraumprojekte. Ich will auch diese Entwicklung mit Zahlen belegen. Das Kapitel 30 06, Weltraum und Luftfahrt, hatte 1987 einen Anteil von 17,4 % am Forschungshaushalt. Für 1988, also das laufende Jahr, stieg dieser Anteil bereits auf 18,7 %. Im nächsten Jahr sollen es 20,5 % und 1992 bereits 23 To sein.
Natürlich geht das zu Lasten anderer Forschungsbereiche. Inhaltlich lassen sich die Folgen dieser Verschiebung in den nächsten Jahren an Hand der Gebiete darstellen, für die immer weniger Geld vorhanden ist. Weniger Geld ist vorhanden für die Schlüsseltechnologie Informationstechnik, für die Fertigungstechnik, für technologieorientierte Unternehmensgründungen. Weniger Geld ist eingeplant für die Meerestechnik, für die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, für die Humanisierung des Arbeitslebens schließlich,
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was ich als besonders tragisch empfinde. Für die Umwelttechnologien gibt es trotz wachsender Probleme und zunehmenden Handlungsbedarfs im Projektbereich Absenkungen; nur durch einige Umwidmungen im Bereich der Großforschungseinrichtungen wird hier eine Ausweitung der Aktivitäten simuliert.
Meine Damen und Herren, es schließt gut an den Einzelplan 09, der eben behandelt wurde, an, wenn ich sage: Die Mittel zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen werden gekürzt. Ganze Programme sollen völlig auslaufen, so, als ob die Bundesregierung die erfreuliche Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen will, daß im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen in den letzten Jahren die weit überwiegende Zahl der neuen Stellen geschaffen worden ist. Am 14. November, also vor wenigen Tagen, erschien die Pressemitteilung des BMFT unter der Überschrift: „Handwerksunternehmen bewältigen die technologische Herausforderung - der BMFT als Partner des Handwerks". Bravo, Herr Minister, möchte man saZander
gen, wüßte man nicht, daß die Mittel für kleinere und mittlere Unternehmen auch vom Forschungsminister gekürzt worden sind:
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Förderung der Auftragsforschung für Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft: minus 4 Millionen; ein SPD-Antrag auf Aufstockung wurde abgelehnt; Förderung des Zuwachses der Forschungs- und Entwicklungskapazität der Wirtschaft: minus 25 Millionen; ein Antrag der SPD, 20 Millionen wieder aufzustokken, wurde ebenfalls abgelehnt; Beteiligung am Innovationsrisiko technologieorientierter Unternehmensgründungen: minus 6 Millionen; ein SPD-Antrag aufzustocken, wurde abgelehnt. Also Kürzungen auf der ganzen Linie, wo es um kleinere und mittlere Unternehmen geht.
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Und der BMFT schreibt: Er sieht sich als Partner des Handwerks.
Ich frage: Muß das Handwerk von diesem Kakao, durch den es von der Bundesregierung gezogen wird, auch noch trinken?
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Vielleicht verschont das Pressereferat des BMFT die Handwerksunternehmen künftig von dem Hohn solcher falscher Darstellungen.
Ich führe das alles als Beispiele dafür auf, wie die radikale Ausrichtung auf Weltraumprojekte ohne Aufstockung des Etats jeden Spielraum für wichtige andere Forschungsprojekte erdrückt.
Besondere Aufmerksamkeit müssen wir auch in diesem Jahr wieder dem Energiethema widmen.
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Für Kernenergie will der Bundesforschungsminister - inklusive Fusion - fast immer noch mehr als eine Milliarde DM ausgeben. Die nicht-nukleare Energieforschung kümmert vor sich hin.
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Da läßt sich der Bundesminister von einem Ad-hocAusschuß in Sachen „Solare Wasserstoffwirtschaft" beraten. Das Ergebnis ist ein beachtliches Programm, dessen Dringlichkeit angesichts der großen und wachsenden ökologischen Probleme wohl von niemandem bestritten werden sollte. Aber der Bundesminister hat kein Geld; und der Bundesminister mußte schon wissen, daß kein Geld da war, als er die Fachleute mit der Ausarbeitung dieses Gutachtens beauftragte.
Auf den jüngsten Klimakongressen - wir alle haben es in den letzten Wochen lesen können - wurde eine Art Ökologie-Notstand verkündet. Statt jetzt mit einem überzeugenden Energieprogramm mit erheblich ausgeweiteter nicht-nuklearer Energieforschung herauszukommen, macht der Bundesforschungsminister „weiter so" wie bisher, als sei nichts geschehen - eben weil er die Mittel anderweitig gefunden hat und gar nicht mehr darüber verfügen kann.
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Wir wollen diesen Weg nicht mitgehen. Wir legen Ihnen heute einen Antrag zur Abstimmung vor, der einen Betrag von 135 Millionen DM für solare Wasserstoffenergiewirtschaft vorsieht. Wir wollen die erforderlichen Mittel bei den Ansätzen für neue Reaktorlinien und Wiederaufarbeitung einsparen.
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Die an sich erfreuliche Tatsache, daß alle Fraktionen im Haushaltsausschuß sich einem Vorschlag der Berichterstatter angeschlossen und 20 Millionen für Demonstrationsvorhaben im Solar- und Windenergiebereich bereitgestellt haben, ist zu begrüßen, deckt aber die Notwendigkeiten bei weitem nicht ab.
Ziel der SPD ist eine sichere Energieversorgung ohne Atomkraft. Deshalb lehnen wir die auf eine Weiterentwicklung der kerntechnischen Energieerzeugung gerichteten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ab. Wir meinen: Die nicht-nukleare Energieforschung muß demgegenüber deutlich stärker gefördert werden, als es von der Bundesregierung im Haushaltsentwurf vorgesehen ist.
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Unabhängig davon, wie man im einzelnen die Zeit des Übergangs zu einer sicheren Energieversorgung ohne Kernkraft einschätzen mag, lehnen wir den Einstieg in die großtechnische Nutzung von Plutonium ab, wie er mit dem Schnellen Brüter von Kalkar und der Wiederaufarbeitungsanlage von Wackersdorf vorgesehen ist. Wer es mit dem Wort „Kernenergie als Übergangsenergie" wirklich ernst meint, der muß jedenfalls mit uns gegen die Aufnahme neuer Kernenergiedimensionen stimmen,
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nämlich gegen den Weg in die Plutoniumwirtschaft. Ich sage das besonders in Richtung FDP.
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Meine Damen und Herren, die in diesem Etat stattfindende falsche Prioritätensetzung wird selbstverständlich auch in der Fachwelt kritisiert. Die „Mitteilungen" der Deutschen Forschungsgemeinschaft zitierten unter der Überschrift „Die politischen Prioritäten sollten richtig gesetzt werden" den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft wie folgt:
Wer meint, statt dessen die knappen Mittel lieber mit Astronauten in Umlauf schießen oder einer gigantischen Agrarsubventionsverschwendung zuschießen zu sollen,
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der muß sich fragen lassen, ob er die politischen Prioritäten richtig setzt, um uns im Wettbewerb der führenden Nationen auch künftig unseren Platz zu sichern.
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„SiegTech" schreibt: „Die Weltraumlastigkeit des Forschungsetats kommt immer mehr zum Tragen." Über den Anstieg der Mittel für diesen Bereich heißt es dort weiter - Zitat - :
Damit wird für die Weltraumforschung mehr Geld ausgeworfen als für so zukunftsträchtige Bereiche wie Biotechnologie, erneuerbare Energiequellen und rationelle Energieverwendung, ökologische Forschung, Umweltschutz-Technologien, Klimaforschung, Meeresforschung und Informationsverarbeitung zusammengenommen.
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Die Kritik, meine Damen und Herren, umfaßt übrigens nicht nur das Finanzvolumen, sondern auch die wissenschaftliche Plausibilität. Der „Max-PlanckSpiegel" berichtete über die Jahrespressekonferenz des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft mit folgendem Zitat:
Professor Staab wies darauf hin, daß es für die Projekte keine ausreichenden wissenschaftlichen Begründungen gebe, die aus der Sicht der Grundlagenforschung den vorgesehenen Aufwand rechtfertigen könnten.
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Weiter heißt es dort, ohne Aufstockung des BMFTEtats „müsse befürchtet werden, daß angesichts der Milliardenbeträge, die hier zur Diskussion stünden, die Leistungsfähigkeit der Grundlagenforschung insgesamt in der Bundesrepublik irreversibel geschädigt werde".
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Da der Etatanstieg erneut unter dem Durchschnitt des Bundeshaushalts geblieben ist, trifft dieser Vorwurf in voller Schärfe die Politik von Bundesminister Riesenhuber und seinen Weltraum-Ehrgeiz.
Der Spielraum für neue Forschungsansätze wird - das wollte ich hier im wesentlichen zeigen - enger. Die Hauspostille des BMFT aber stellt den Haushaltsentwurf 1989 unter der höhnischen, zynischen Überschrift „Mehr Spielraum für neue Forschungsansätze" vor.
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Angesichts des Schadens, der hier für die Forschungslandschaft entsteht, ist das wohl der dazugehörige Spott.
Meine Damen und Herren, Kritik an der Zuverlässigkeit der Kostenschätzungen für die ESA-Projekte ist oft genug vorgetragen, vom zuständigen Minister auch ebenso oft bagatellisiert worden. Es gibt aber Grund, Herr Bundesminister, zu einer Reihe von Fragen, ob denn die vorgesehenen immensen Mittel für die ESA-Projekte im nächsten Jahr überhaupt ausreichen.
Und ich würde gerne fragen, Herr Minister: Erstens. Stimmen Informationen, daß die ESA schon für 1989 mit deutlichen Mehrkosten im Vergleich zum Voranschlag rechnet?
Zweitens. Stimmt es, daß die Kostenüberschreitungen z. B. bei ARIANE im nächsten Jahr rund 20 % betragen?
Drittens. Wie soll gegebenenfalls ein sich daraus ergebendes Defizit ausgeglichen werden?
Viertens. Wie hoch ist dieses Defizit bereits im Jahre 1989, für das wir ja soeben den Bundeshaushalt beraten? Sind es für das kommende Jahr 80 oder bereits 100 Millionen DM, die Ihnen fehlen werden?
Fünfte Frage - sie geht eigentlich mehr an die Adresse des Finanzministers, Herr Dr. Voss - : Bis wann eigentlich soll die ARIANE noch mit staatlichen Mitteln gefördert werden? Wann wird sie, die ja gute Erträge beim Satellitenstart einbringt, von der staatlichen Förderung abgenabelt?
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Oder will das Finanzministerium hier sehenden Auges einen neuen „Airbus" entstehen lassen?
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Herr Bundesminister, wenn meine Informationen zutreffen, muß ich weiter fragen: Warum verschweigen Sie heute dem Parlament, daß Sie wissen, daß Sie mit den vorgesehenen Ansätzen für 1989 nicht auskommen werden und daß damit sehenden Auges gegen die Grundsätze der Haushaltswahrheit verstoßen wird?
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Eine letzte Frage schließlich: Gehen inzwischen Aufträge für die Projekte Columbus und Hermes auch an nichteuropäische Industriefirmen, obwohl uns bei der Beschlußfassung über die ESA-Projekte das Gegenteil versichert worden ist?
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen nach dem Finanzmanagement und der Finanzkontrolle des Bundesministers für Forschung und Technologie sind zahlreich genug. Es wäre gut, Herr Minister Riesenhuber, wenn Sie hier heute wenigstens einige beantworten könnten.
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Zu diesem Kapitel der Finanzkontrolle und der Wahrheit über die wirklichen Anforderungen gehört auch, Herr Bundesminister, der nach wie vor vorhandene offene Dissens zwischen Ihnen und dem Finanzminister. Der Finanzminister hat die finanziellen Zusagen, die Sie gegenüber der ESA eingegangen sind,
in der mittelfristigen Finanzplanung nicht ausgewiesen. Hier werden in den nächsten Jahren, bis 1992, einige 100 Millionen DM fehlen. Ich bin bereit, zu wetten, daß diese Beträge ebenfalls wieder zu Lasten anderer wichtiger Forschungsvorhaben eingespart werden.
Zum Schluß, Herr Präsident, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Diesem Schrumpfetat mit Weltraumschlagseite wird die SPD-Fraktion nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was der Kollege Zander hier gezeigt hat, war der typische Blick durch die verstaubte Brille von Technologiemuffeln. Deutlicher kann man eigentlich nicht zeigen, welche eklatanten Unterschiede es zwischen der Politik der SPD in der Vergangenheit und der heutigen, der Zukunft zugewandten Forschungs- und Technologiepolitik gibt.
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Die Zielsetzungen unserer Politik in den letzten Jahren sind klar: Sie konzentrieren sich auf eine verstärkte Förderung der Grundlagenforschung. Was der Herr Staab dazu sagt, hat überhaupt nichts mit der Realität zu tun. Der Anteil der Grundlagenforschung am Haushaltsvolumen ist um 12 % erhöht worden.
Wir konzentrieren uns auf die Vorsorgeforschung: Gesundheit, Umwelt, Klimaforschung. Wir wollen eine marktorientierte Technologieförderung betreiben. Wir verbessern die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen. Wir stärken die Forschungsgebiete mit langfristiger Perspektive und betreiben dadurch eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit. Das kommt auch wesentlichen neuen Projekten zugute.
Wenn man sich die Zahlen genauer ansieht, muß man feststellen, daß ein paar der von der SPD erwähnten Dinge offensichtlich einem anderen Haushalt entnommen wurden. Zumindest stehen sie nicht in dem Haushalt, über den wir jetzt diskutieren, lieber Herr Kollege Zander. Wenige Zahlen belegen dies:
Die Ausgaben für die Umweltforschung stiegen seit dem Regierungswechsel um 74 %. Die Ausgaben für die Weltraumforschung stiegen um 85 %. Die Ausgaben für die Meeresforschung stiegen von 140 auf 223 Millionen DM.
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Die Ausgaben für die Kernforschung sanken - das ist interessant auch im Hinblick auf den Antrag, den die SPD hierzu vorgelegt hat - von 1,47 Milliarden DM im Jahre 1982 auf 700 Millionen DM im nächsten Jahr. Die Ausgaben für die Kernforschung sinken bei uns also etwa um die Hälfte. Aber hier wird davon geredet, daß wir bestimmte Dinge nicht täten!
Für erneuerbare Energien - das ist nach unserer Meinung ein wichtiges Thema; in allen Bundesländern, in denen die CDU regiert, wird erneuerbare Energie eingesetzt, was man woanders nicht feststellen kann - stellen wir 60 Millionen DM mehr bereit als 1982. Auch dies ist vielleicht eine interessante Zahl.
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Ich glaube, an Hand der geänderten Linien der Forschungspolitik unter diesem Forschungsminister ist deutlich geworden, daß wir eine erfolgreiche Forschungspolitik betreiben. Wir sind weltweit zusammen mit den Japanern und den Amerikanern Spitze. Das ist wichtig, weil in Forschung investiertes Geld die Arbeitsplätze von morgen sichert. Ich möchte darauf hinweisen, daß sich hier Wirtschaft und Staat ergänzen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Vorhin wurde ja im Zusammenhang mit dem Etat des Wirtschaftsministeriums über Strukturpolitik gesprochen.
Wir betreiben auch bei der Forschungspolitik eine aktive marktwirtschaftliche Industriepolitik. Das möchte ich einmal deutlich sagen. Wir sorgen für verläßliche Grundlagen privater Entscheidungen, für Investition und Innovation. Ich glaube, man kann deutlich sagen: Damit haben wir den Mief aus der Forschungspolitik geblasen. Die SPD stand mit dem Rükken zur Zukunft.
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Wir gehen endlich an neue Themen heran.
In Schlüsselbereichen der neuen Technologien sagen wir aus industriepolitischer und regionalstruktureller Sicht, daß wir bereit sind, Entwicklungsprozesse mit zu unterstützen, z. B. in der Informationsverarbeitung, in der Informationstechnologie. Die Informationstechnik spielt als Wachstumsbranche und als Motor für Innovationen eine herausragende Rolle. Mit dem Haushalt 1989 läßt sich dies auch deutlich dokumentieren - ich freue mich, daß die SPD dem zugestimmt hat - , z. B. bei dem europäischen Gesamtprojekt JESSI zur Entwicklung des Mikrochips der Zukunft.
Der Bund ist bereit und das Parlament ist bereit - ich sage dies ausdrücklich - , seinen Beitrag für die Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit einer europäischen Mikroelektronik zu leisten. Das haben wir mit Erfolg beim 4-Megabit-Chip gezeigt. Der erste Typ wird 1989 ausgeliefert. Es ist unseren Physikern gelungen, im Wettbewerb mit Fernost gleichzuziehen. Jetzt geht es um Mikroelektronikfertigungsequipment, um das Können der Maschinenbauer, um Chemiker und Fertigungstechniker. Jetzt brauchen wir Werkzeuge, die sie benutzen müssen; jetzt brauchen wir ein Zentralinstitut für Siliciumtechnologie und für Innovationsforschung in Mikrosystemtechnik.
Ich glaube, daß wir mit unserer Entscheidung in diesem Bereich deutlich gemacht haben, daß wir das Thema „Informationstechnologie" wichtig und ernst nehmen. Die Entscheidung bleibt da nicht - wie das hier oft erwähnt worden ist - bei einem JESSI-Forschungszentrum an einem ganz bestimmten Standort stehen, sondern sie zeigt den Weg in eine europäische
Zusammenarbeit, mit Chipfabriken, CAD und Technologie für Mikrostrukturen auf Halbleiterbasis.
Grundsätzliche Überlegungen sind erforderlich, und wir sind bereit, dies zu unterstützen. Wir wollen vor allen Dingen auch dafür sorgen, daß nicht nur die Industrie, sondern auch der Zulieferbereich, kleine und mittlere Unternehmen daran teilhaben können, JESSI ist das Programm für den europäischen Rohstoff der Zukunft.
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- Dies zeigt deutlich, was Sie von dem Thema verstehen, Herr Kollege Vosen. Das ging in die Hosen, Heri Vosen.
Wir wollen dafür sorgen, daß unsere Produkte auch in Zukunft technologisch Spitze sind und daß wir die Möglichkeit haben, auch in Zukunft durch den Export von intelligenten Produkten viele Millionen Arbeitsplätze zu sichern.
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Deswegen müssen wir auch ein Zukunftssignal setzen. Ich frage: Was sind hier 200 Millionen DM jährlich - befristet - im Vergleich zu den Investitionen für Kohle, Stahl, Werften, Raumfahrt und Kernenergie?
Dabei sage ich durchaus nichts gegen den Bereich Kernenergie. Sie werden feststellen, daß wir auch dort weit auseinander sind. Wer heute ernsthaft über Energieforschung diskutiert, wird feststellen, daß es wegen der Klimaentwicklung und wegen des Ozonmantels der Erde eigentlich nur zwei Energieträger mit langfristiger Zukunft gibt.
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- Das sind auslaufende Modelle mit ganz schwacher Energie. Dagegen war eine Taschenlampenbatterie revolutionär.
Es gibt nur zwei Energieträger mit einer langfristigen Zukunft: die Kerenergie - nur mit ihr hat die Kohle eine Chance - und die erneuerbaren Energien. Wir sind bereit, mehr für erneuerbare Energien zu tun. Wenn Sie einen Blick in den Haushalt werfen, werden Sie feststellen, daß dafür allein im nächsten Jahr 240 Millionen DM vorgesehen sind. Es kann also nicht die Rede davon sein, daß wir hier einsparen würden, weder bei Wind- noch bei Sonnenenergie. Allerdings muß ich bemerken: Derjenige sagt etwas Falsches, der den Eindruck erwecken will, daß wir im Jahre 2000, in zwölf Jahren, durch Sonne, Wind und Wasserkraft mehr als 10 % des Energiebedarfs decken könnten. Wir beginnen mit einem massiven Programm der Markteinführung. Ich hoffe, daß die Vorlagen des Ministeriums sicherstellen, daß dies nicht unter bürokratischen Hemmnissen versickert.
Jüngste Erkenntnisse zeigen, wie es um das Klima bestellt ist und wie falsch es ist, weiter fossile Brennstoffe einzusetzen. Ich sage: Die Zeit rückt näher, wo sich die Rigorosität der Kernkraftkritik den fossilen Brennstoffen zuwenden wird. Wir sagen deshalb ein klares Ja zur alsbaldigen Genehmigung des Schnellen Brüters in Kalkar. Ich glaube, dies muß man deutlich sagen. Wir fordern die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf, ihre unverantwortliche
ideologisch begründete Genehmigungsverweigerungstaktik zu beenden.
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Ein nachträglich angefordertes Gutachten liegt in Düsseldorf seit einem Jahr ungelesen im Schrank!
Ich stelle fest, daß die Energieversorgungsunternehmen die Brütertechnologie bejahen, auch wenn man manchmal, insbesondere bei den RWE, Zweifel hat. Sie haben sich im September, was weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit geschehen ist, zu einem Projekt EFR, European Fast Reactor, zusammengeschlossen, um ein entsprechendes Forschungsprogramm weiterzuführen. Dies kann doch nur bedeuten, daß die Energieversorgungsunternehmen in der Brütertechnologie eine Zukunft sehen.
Der Bund leistet seinen Beitrag, sein Drittel, zum Schnellen Brüter. Aber ich sage auch: Wir werden nicht zulassen, daß der Schnelle Brüter ein „Staatsreaktor" wird, wenn sich die Energieversorgungsunternehmen daraus zurückziehen.
Aus der gleichen Überzeugung wollen wir dafür sorgen, daß die Energieversorgungsunternehmen z. B. auch die Verantwortung für die Uranbevorratung übernehmen. Wir haben es in diesem Jahr geschafft, den sogenannten Piratenschatz des Ministers zu veräußern. Das sorgt dafür, daß wir mehr Geld für erneuerbare Energien bereithaben. Allein im nächsten Jahr werden es 50 Millionen DM sein.
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Die Gewinnung von Wasserstoff aus Wind, Sonne und Kernenergie als Energiespeicher gehört dazu, aber auch Biotechnologie und nachwachsende Rohstoffe.
Wesentliche Mittel, meine Damen und Herren, stellen wir auch für Raumfahrt, auch bemannte Raumfahrt, zur Verfügung. Es wäre vielleicht einmal interessant, Kollege Zander, wenn sie sich mit Herrn Koschnik, der ja aus Bremen kommt und dort mit Raumfahrt zu tun hat, darüber unterhalten würden, ob bemannte Raumfahrt Sinn hat oder nicht. Ich will dazu nichts weiter sagen, weil wir die Diskussion dazu letztes Jahr geführt haben.
Eines möchte ich aber feststellen. In künftigen Jahren muß der Gesamthaushalt dem Forschungshaushalt einen Teil der Last abnehmen, wenn nicht wichtige Themen leiden sollen. Dies sage ich auch als Haushaltspolitiker.
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Dies bedeutet, daß der BMFT-Haushalt künftig überproportional wachsen muß. Ich sage auch: Wir sorgen dafür, daß er auch wachsen wird.
Der nächste Schritt, die Hyperschalltechnologie nach dem System Sanger, erscheint faszinierend. Er könnte dazu führen, das Transportkosten und fossile Treibstoffe eingespart werden - gewissermaßen der „Sanger" als grünes Flugzeug - , und könnte zu neuen Triebwerken führen, in denen mit Sonnenenergie flüssiger Wasserstoff verarbeitet wird. Wir werden uns im Januar im Haushaltsausschuß mit diesem Thema befassen.
Meine Damen und Herren, ich erwarte auch, daß in absehbarer Zeit die Entscheidung nicht nur über den Standort der Raumfahrtbehörde DARA getroffen wird, sondern daß man sich auch darüber unterhält, mit welcher Struktur dieses Korsett ausgefüllt werden soll.
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Es kann ja nicht so sein, daß wir sagen „Das Ganze läuft privatrechtlich" und daß dann über öffentlich-rechtliche Stellenpläne ein Zwang ausgelöst wird, der das Vorhaben stranguliert.
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In den letzten drei Jahren habe ich jeweils bei den Haushaltsberatungen die Forderung erhoben, daß wir gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der Gentechnologie einleiten. Inzwischen hat eine EnqueteKommission getagt. Ich stelle heute fest: Viel weiter sind wir bisher nicht. Das bedauerliche Ergebnis: Einige Unternehmen schicken sich an, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, wofür nach der gegenwärtigen Rechtslage kein Alibi gegeben ist. Aber ich glaube, es ist an der Zeit, daß die vier beteiligten Ministerien - das trifft nicht federführend den Forschungsminister, allenfalls in der Konsequenz - sich zusammensetzen und einen Gesetzentwurf vorlegen, der so kompliziert wohl gar nicht sein muß wie die umfangreichen Vorlagen, die bisher erarbeitet worden sind. Sollte dies nicht der Fall sein, meine Damen und Herren, haben wir, die Forschungspolitiker und vielleicht auch die Haushaltspolitiker, wohl Veranlassung, aus der Mitte des Parlaments heraus im nächsten Jahr einen Entwurf vorzulegen, um nicht zu dem Ergebnis zu kommen, daß große Industriebetriebe mit der Zukunft zugewandter Forschung unser Land verlassen.
Neue Wege gehen wir im kommenden Jahr - auch dies ist vielleicht ein Teil eines Lernprozesses für die SPD - auch im Bereich der technologieorientierten Unternehmensförderung. Wir stellen hier im kommenden Jahr nicht 6 Millionen DM weniger bereit, sondern 60 Millionen DM mehr, und zwar als Verpflichtungsermächtigung für einen Risikokapital-fonds für kleine und mittlere Unternehmen. Das soll ein echter Risikokapitalfonds sein, der junge Unternehmer - davon gibt es in den letzten Jahren immer mehr, pro Jahr etwa 150 - bei der Unternehmensgründung unterstützen soll.
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Die wesentliche Akzentverschiebung, meine Damen und Herren, liegt aber in dem Bereich, wo wir sagen: Wir müssen von der Problembeschreibung zur Problemlösung kommen. Ich nenne das Thema Altlasten. Hier muß es Modellvorhaben geben, an denen deutlich gemacht wird, daß der Staat handlungsfähig ist, daß dieses Problem der 35 000 Altlasten im Bundesgebiet
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an einem Thema beispielhaft aufgegriffen wird. - Kommen die von den GRÜNEN verursachten noch hinzu, dann sind es doppelt so viele.
Zum Thema Waldsterben: Hier muß beispielhaft dafür gesorgt werden, daß wir einige Flächen kurieren, um dies als Möglichkeit zu nehmen, daraus für andere Gebiete zu lernen. Es geht um die Belastung unserer Gewässer. Hier ist in den letzten Tagen der Bewilligungsbescheid für Forschungsmaßnahmen zur Sanierung von fünf Flüssen herausgegangen: für die Hunte, die Lahn, die Stör, die Vils und die Werse. Dabei ist für mich interessant - ich glaube, auch für die Kollegen aus Schleswig-Holstein - , daß den schlechtesten Antrag - fast ohne Genehmigungsreife - Umweltminister Heydemann aus Schleswig-Holstein eingereicht hat.
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- Ja, ich weiß nicht, vielleicht liegt das auch an der ideologischen Brille.
Wir wollen mehr für erneuerbare Energien tun. Ich bin dafür, daß sich der Bund hier ähnlich wie bei der Einführung von Katalysatoren bei Dienstfahrzeugen beispielhaft verhält. Weshalb sollen nicht auf dem Neubau des Bundestages, auf dem Neubau des Umweltministeriums, auf dem Neubau der Abgeordnetenhäuser beispielhaft Sonnenkollektoren errichtet werden, um zu zeigen, daß der Bund es mit erneuerbaren Energien ernst meint?
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Ich möchte wenige Sätze dazu sagen - Sie werden mir als norddeutschem Abgeordneten das verzeihen -, inwieweit dieser Haushalt auch Akzente für Norddeutschland setzt. Ich habe die beispielhafte Sanierung der Flüsse angesprochen.
Wir wollen die Gülleforschung wesentlich stärker vorantreiben;
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ein Problem für die Landwirtschaft. Wir wollen die Erforschung der Nordsee mit zusätzlich 12 Millionen DM vorantreiben.
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Wir tun mehr für Seehundforschung. Ich weise darauf hin, daß wir in der letzten Zeit allein für die Erforschung der Nordsee 75 Millionen DM ausgegeben haben.
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Wir tun etwas für JESSI, für neue Energiequellen, für einen ganzen Katalog zusätzlicher Maßnahmen. Auch bei der GKSS wird mehr Geld für nachwachsende Rohstoffe ausgegeben, z. B. für Amylose-Forschung, für eine Stabsstelle für Sonnenenergie, „Solara", mit mehrheitlich wirtschaftlicher Beteiligung, die erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen soll. Ferner modernisieren wir die Häfen und treiben das Thema „Magnetbahn" zügig voran.
Herr Abgeordneter Austermann, Sie sehen offensichtlich nicht, daß ich Sie durch rotes Licht darauf aufmerksam machen will, daß es wirklich Zeit ist, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, es wundert mich bei Ihnen besonders, daß Sie rotes Licht verwenden. Deshalb glaubte ich gar nicht, daß es an dem ist.
Ich möchte schließen. Die Weiterentwicklung von Forschung und Technologie bleibt ein zentrales Element unserer Politik, ein Baustein für die Zukunft. Der Forschungshaushalt 1989 leistet dafür einen wichtigen Beitrag. Wir stimmen dem Haushalt zu und lehnen selbstverständlich die Anträge der Opposition ab.
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Frau Abgeordnete Rust, nun haben Sie das Wort.
Ich bevorzuge grünes Licht.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum ein Bereich dieses Haushalts ist, gemessen an der staatlichen Aufgabe der Zukunftsvorsorge, für die Gesellschaft von so entscheidender Bedeutung wie gerade der Forschungsbereich. Durch die Forschungs- und Technologiepolitik wird vorentschieden, wie das gesellschaftliche Leben zukünftig aussehen soll, wie wir unsere Arbeit gestalten wollen und in welchen Formen unser Umgang mit der Natur organisiert wird.
Meine Damen und Herren, ich muß jedoch feststellen, daß der vorliegende Forschungshaushalt diesem essentiellen Postulat einer vorausschauenden und demokratischen Politik nicht gerecht wird. Dieser Haushalt ist vielmehr erneut ein Dokument technokratischer Ideenlosigkeit, mit dessen Hilfe die Bundesregierung nur das zu realisieren trachtet, was technisch machbar erscheint.
Dieser Entwurf ist verantwortungslos, weil er ohne Skrupel den Megamaschinenwahn der Technikgläubigkeit
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- wenn Sie nicht buchstabieren können, kann ich nichts dafür; dann hören Sie wenigstens zu - exekutiert nach dem Motto, daß Umwelt- und Sozialprobleme, die ja häufig Folgen verantwortungslosen Technologieeinsatzes sind, nur durch noch mehr und noch größere Technologien behoben werden können.
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- Ich schon.
Dieser Entwurf ist undemokratisch, weil die Bundesregierung jede Bereitschaft zum Dialog vermissen läßt. So ist sie immer noch entschlossen, ihre Atomstaatsvisionen in Form der Wiederaufarbeitungsanlage mit aller Gewalt durchzusetzen - gegen die
Mehrheit der Bevölkerung, die den Ausstieg aus der Atomindustrie ja bekanntlich ausdrücklich wünscht.
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Angesichts der ökologischen Krise möchte einen die Verzweiflung anfallen, wenn man genauer betrachtet, was Sie, Herr Nachsorgeminister, uns mit diesem Zahlenwerk an sogenannten Problemlösungen hier anbieten. Noch immer geben Sie 0,9 Milliarden DM für Atomenergie und Kernfusion aus, 1,3 Milliarden DM für Weltraumforschung, 490 Millionen DM für Beschleunigerforschung, über 780 Millionen DM für Informations- und Kommunikationstechnologien, und 170 Millionen DM fließen in die Kohleforschung. Das sind die fünf Großprojekte, die beinahe die Hälfte Ihres gesamten Etats in Anspruch nehmen.
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Der Handlungsspielraum für wirkliche Zukunftsvorsorge tendiert angesichts derartiger Etatposten beinahe gegen null. Zu diesem Konzept paßt wie die Faust aufs Auge, daß der Titel „Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für neue chemische Technologien" ersatzlos gestrichen wird und die vormals hier etatisierten Mittel auf andere Titel verteilt werden.
Die Situation des Gesamtetats wird sich in den nächsten Jahren durch steigende Ausgaben für die Weltraumfahrt noch erheblich zuspitzen. Hier können wir im übrigen das gleiche Politikmuster feststellen wie beim Schnellen Brüter: Zuerst wird mit Renommiergehabe der bundesdeutsche Einstieg in die Weltraumfahrt beschlossen, von der Industrie eifrig begrüßt. Dann zieht sich die Bundesregierung aus „marktwirtschaftlichen Gründen" aus der weiteren inhaltlichen Planung der Projekte zurück und überläßt den zukünftigen Auftragnehmern nicht nur die Programmgestaltung, sondern auch die Kostenschätzungen.
Diese in aller Regel um einige hundert Prozent zu niedrig angesetzten und deshalb unseriösen Kalkulationen werden dann von der Bundesregierung zur Grundlage ihrer Haushaltsplanungen gemacht. Ist der Zug erst einmal in Bewegung, darf der Steuerzahler immer neue Milliardenruinen finanzieren, wie uns das beim Schnellen Brüter derzeit vorexerziert wird.
Angesichts der Frage, warum Schneller Brüter und Weltraumforschung derartig forciert werden, erscheint jedoch selbst der Verlust von Steuergeldern in dieser Höhe als sekundäres Problem. Die Antwort liegt in der eindeutig militärischen Option, die viele Forschungsbereiche bieten.
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Als ebenfalls höchst problematisch betrachte ich auch die Förderung der Bio- und Gentechnologie mit über 170 Millionen DM. Dies mag ein vergleichsweise geringer Förderbetrag sein. Wenn man jedoch bedenkt, daß in diesem Forschungsbereich die Investitionskosten oft geringer als die Personalkosten sind, wird deutlich, welches Risikopotential hier gefördert wird.
Statt sich am derzeit intensiven gesellschaftlichen Dialog über die Einschätzung der Gefahren der Gentechnologie zu beteiligen, schafft die Bundesregierung vollendete Tatsachen unter Mißachtung selbst der Ergebnisse und Empfehlungen, die die EnqueteKommission Gentechnologie erarbeitet und vorgelegt hat. Bis heute warten wir vergeblich auf einen Bericht der Bundesregierung über Möglichkeiten von gesetzlichen Regelungen im Bereich der Gentechnik. Das heißt, eine Technologie mit existenziell bedrohlichem Risikopotential wird hier wieder einmal mit Steuergeldern in ihrer Entwicklung massiv beschleunigt, ohne daß Parlament und Öffentlichkeit auch nur den Hauch einer Chance hatten, das Ob und Wie einer demokratisch legitimierten Kontrolle von Forschung, Entwicklung und Anwendung zu erörtern.
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Genau diese Art von Forschungspolitik ist es, die technisch bedingte Gesellschaftsumwälzungen demokratisch enteignet und an der Demokratie vorbei vollendete Tatsachen schafft, selbst um den Preis der Vernichtung unser aller Lebensgrundlagen.
Ich komme zu unseren Forderungen: Wir fordern einen konsequenten ökologischen Umbau aller umweltbelastenden Produktionszweige, insbesondere der Chemieindustrie. Wir fordern erhebliche Aufstokkungen der Mittel für Umweltforschung, nicht nur zwecks Reparatur, sondern mit dem Ziel der stofflichen Umstellung auf umweltverträgliche Produktionen. Wir fordern den Ausbau des Programms „Humanisierung der Arbeit" unter Verkopplung mit den Programmen Rationalisierungs- und Innovationsförderung und unter weitestgehender Mitbestimmung der Arbeitnehmer.
Wir fordern obligatorisch projektbegleitende Technikfolgenabschätzung in Höhe von mindestens 3 der Gesamtmittel, Streichung aller Mittel für Atomforschung und Förderung der Endlagerforschung nur unter der Bedingung des Ausstiegs aus der Atomenergie, statt dessen ein umfassendes Programm zur Förderung der rationellen Energieverwendung, der regenerativen Energiequellen sowie Finanzierungshilfen für deren Markteinführung.
All das bietet dieser Haushalt nicht. Deshalb werden Sie ihn gegen unsere Stimmen beschließen müssen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe sieben Minuten für diesen 7,7-Milliarden-Haushalt, möchte es mir aber ersparen, vielleicht im Minutentakt jeweils eine Milliarde zu kommentieren. Ich sage pauschal - das ist das Ergebnis der Aussprachen, der Vorbereitungsabläufe für diese Haushaltsaufstellung - , daß sowohl das Volumen als auch die Struktur und die Tendenzen dieses Haushaltes für Forschung und Technologie von der FDP begrüßt werden.
Ich möchte einige Minuten darauf verwenden, das Bild, das hier die Oppositionsparteien SPD und GRÜNE zu zeichnen versuchen, von diesem Haushalt fernzuhalten. Denn dieser Haushalt ist hier als ein Stagnationshaushalt charakterisiert worden. Das Gegenteil ist richtig: Es ist ein Stimulationshaushalt. Denn hier werden für Forschung und Entwicklung in Schlüsselbereichen, in wesentlichen Bereichen, die für die Zukunftsgestaltung unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft wichtig sind, richtungweisende Akzente gesetzt.
Man kann auch nicht sagen, hier schrumpfe ein Haushalt, korrekter gesagt: hier schrumpfe Forschungs- und Entwicklungsaufwand, und das sei ein Haushalt mit Schlagseite, Kollege Zander. Was das Schrumpfen anbelangt, muß man einmal deutlich zur Kenntnis nehmen, daß, über längere Zeit gesehen, dieser Etat überproportionale Steigerungsraten gehabt hat.
Aber das ist noch gar nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, daß über diesen Haushalt etwa ein Achtel des Forschungs- und Entwicklungsaufwandes in dieser Republik stimuliert wird. Der Rest wird über die Wirtschaft - mittlerweile schon zu zwei Dritteln - und auch über Aktivitäten der Länder kreiert.
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Es ist, Kollege Zander, wie beim Fußballspiel: Da kommt es auch nicht sosehr darauf an, wer das Tor schießt, sondern darauf, daß Tore geschossen werden,
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d. h. es kommt auf die Forschungsergebnisse und die Forschungsdynamik an, und diese Forschungsergebnisse und diese Forschungsdynamik sind gerade in Kooperation der Anstrengungen von Bund, Land und vor allem in steigendem Maße der Wirtschaft sehr überzeugend.
Dieser Haushalt ist stimulierend und nicht stagnierend, denn die Koalition und auch wir von der FDP haben sehr bewußt den Anteil der Grundlagenforschung in diesem Haushalt gestärkt, weil die marktorientierte, die verwendungsorientierte Forschung sehr wohl - da unterscheiden sich offensichtlich unsere politischen Lebensbilder - bei uns von der Marktwirtschaft getragen werden und nicht per Definition in riesigem Ausmaß und auf Ewigkeit Aktivitäten des Staates sein müssen. Das heißt, gerade deswegen, weil wir auch marktnahe Bereiche abgeben, hat sich eine größere Dynamik überhaupt im Bereich von Forschung und Entwicklung ergeben, und das ist das Entscheidende für die Zukunft unseres Staates, für die Wirtschaft, die von diesen Aktivitäten profitiert, die geradezu eine gewisse Grundlage für die Dynamik der Wirtschaft darstellen.
Wenn, verehrte Kollegin Rust, jemand so viel Technikfeindlichkeit hier in den Raum hinein äußert,
({2})
so muß ich denjenigen eigentlich fragen, woher die
Arbeitsplätze und das Bruttosozialprodukt kommen
sollen, von dem Sie immer soviel erwarten. Meine Erinnerung geht dahin, daß das Bruttosozialprodukt immer mehr durch technikorientierte und technikfundierte Berufe und Zweige geschaffen wird und nicht durch die anderen. Wer gerade so hohe Ansprüche an das Sozialprodukt stellt, der müßte eigentlich, wenn er in seiner Logik verbliebe, diesem Bereich mehr Aufmerksamkeit schenken, damit die Beschäftigung, die Sie wollen, die Sicherheit der Renten,
({3})
das üppige soziale Netz und vieles andere mehr finanziert werden kann. Nur auf dem Weg über Technik, die hier nicht ihre Unterstützung erhält, ist dies zu erreichen.
Wenn von falschen Prioritäten die Rede ist, dann muß ich das auch zurückweisen, weil es faktisch nicht stimmt. Die wesentliche Priorität liegt derzeit neben Raumfahrt, neben Elektronik, neben Klimaforschung, Umweltschutz bislang im Bereich der Energiepolitik. Hierzu muß ich doch feststellen, daß offensichtlich das Erinnerungsvermögen auf seiten der SPD sehr schlecht geworden ist, denn ich gehörte diesem Haus auch schon mal an, als gerade die Projekte, die Sie alle beklagen und wo Sie den Einstieg in die Kernenergie jetzt kritisieren, mit Ihrer Zustimmung geschaffen worden sind. Das ist sogar in Ländern der Fall, die immer von Sozialdemokraten regiert wurden.
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Wir müssen doch mal „Butter bei die Fische tun" : Der Hochtemperaturreaktor, der Schnelle Brüter, die ganze Kernenergieforschung sind Produkte aus einer Regierungszeit, in der Sie maßgeblich waren und den Kanzler gestellt haben.
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- Das ist nicht der Schnee von gestern. Es muß sich jemand mal wegen seiner Glaubwürdigkeit abfragen lassen, der so mit Hurra in eine Entwicklung hineingeht und nachher nicht mehr dabeigewesen sein will. Wie soll ich denn jemandem glauben, der Politik mit solchen Schlangenlinien macht? Wenn er heutzutage neue Vorschläge macht, dann muß ich drei Fragezeichen machen und sagen: Das Ganze kann nicht recht seriös sein, wenn Sie sich hinterher von Ihren eigenen Errungenschaften so distanzieren.
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Wer für die Klimaforschung und gegen die Gefahren des Ozonlochs etwas tun will - da sind wir auf Ihrer Seite - , der kann nicht nur das Hohe Lied der Kohle singen.
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Das ist vollkommen klar. Er wird wohl mit den Realitäten der Kernenergienutzung auf absehbare Zeit zu leben haben, wie es auch andere Staaten, auch sozialistischer Prägung, zu tun haben. Er wird Energien
darauf zu verwenden haben, wie man durch rationelle Energieverwendung den Energiebedarf reduziert und wie man auch den Anteil der regenerativen Energien stärkt. Just das haben wir auch in diesem Haushalt gemacht. Hier wurde gesagt, daß die nichtnuklearen Energien verkümmert sind, und das ist eine Aussage, die Sie präziser fassen müssen. Teile der Kohleforschung sind reduziert worden, und das ist auch richtig so, wenn man an die klimatischen Auswirkungen denkt. Die regenerativen Energien sind in diesem Haushalt, den wir unterstützen, gesteigert worden.
Ein letzter Gedanke. Es scheint so zu sein - die FDP hält das für berechtigt - , daß der Anteil der Luft- und Raumfahrtforschung und -entwicklung in Zukunft steigen wird. In der Linie ist das wohl richtig, aber wir müssen sehr darauf achten, daß erstens die nationale Nutzendefinition wirklich sorgfältig erfolgt und daß es keine Überschneidungen und Doppelarbeiten gibt. Es muß ein klares Ziel vorhanden sein. Zweitens müssen wir darauf achten, daß das zielgerichtete Management für solche Luft- und Raumfahrtaktivitäten auf der Höhe der Zeit ist. Ich meine, daß die Raumfahrtagentur DARA eine richtige Idee ist. Sie muß aber so konstruiert werden, daß sie ein leistungsfähiges Management im Blick auf die riesigen anstehenden Aktivitäten hat.
In diesem Sinne stimmen wir dem vorliegenden Haushalt zu, weil es ein zukunftsorientierter Haushalt ist.
Ich bedanke mich.
({8})
Das Wort hat der Minister für Forschung und Technologie.
({0})
Ich bin im Besitz eines Konzepts. Ich habe fleißig mitgeschrieben.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Haushalt ist natürlich kein üppiger Haushalt. Dies ist eine sparsame Regierung. Aber der Haushalt kann deshalb mit einer Steigerungsrate von 2,8 % auskommen, weil - auch dazu werde ich gleich etwas sagen - die Zuwachsraten in dem Bereich der großen ESA-Projekte kleiner waren, als es vor einem Jahr angenommen worden war. Die Zuwachsraten liegen bei etwa 60 Millionen DM statt der zunächst erwarteten 200 Millionen DM.
Daß wir im Jahr 1990 erhebliche Zuwächse brauchen werden, liegt auf der Hand. Darüber besteht Konsens mit dem Finanzminister und da kann ich Ihnen allerdings nur zustimmen, daß das in der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht voll abgedeckt ist.
Die Frage des Vergleichs zwischen Haushaltswachstumsraten ist müßig; denn das, was der Regierungsentwurf für 1988 vorsah, ist durch die Entscheidung des Parlaments erledigt. Wenn das Parlament den Haushalt teilweise pauschal kürzt, dann ist das die neue Grundlage. Auf dieser Grundlage ist das Soll
des Haushalts 1989 gegenüber dem Soll des Haushalts 1988 um 2,9 % bzw. um 2,8 % gewachsen.
({0})
Ich halte im Kontext das für sehr begründet, was der Kollege Zywietz vorgetragen hat. Bei Forschungspolitik kommt es nicht darauf an, daß der Staat behauptet, alles tun zu können und alles tun zu sollen. Es kommt nicht darauf an, daß der Staat in Anspruch nimmt, die Tore schießen zu wollen. Es kommt darauf an, daß die Tore fallen.
Wenn ich mir die letzten Jahre anschaue: Für deutsche Wissenschaft, für deutsche Technik, für deutsche Forschung, für deutsche Wirtschaft sind das sehr erfolgreiche Jahre gewesen. In der Wissenschaft sind in diesem Jahr - vor vier Wochen - wieder drei Nobelpreise an Deutsche gegangen: an Johann Deisenhofer, Robert Huber und Hartmut Michel. Wir schreiben uns deren Erfolge nicht zu. Aber wir freuen uns, wenn großartige deutsche Wissenschaftler wie in jedem Jahr seit 1984 Nobelpreise kriegen. Das ist eine Bestätigung der Qualität der Wissenschaftslandschaft.
({1})
Hier wird über den Stand der Technik geredet. Wie sieht es aus? Der größte Markt für Patente ist der Markt der Vereinigten Staaten. Wir haben es verglichen: Der Aufstieg der Japaner war phänomenal, aber es ging nicht zu Lasten der Deutschen. Wir haben unseren Anteil gehalten. Die Zahl der Patentanmeldungen aus Deutschland ist so hoch wie in Großbritannien und Frankreich zusammen. In allen Klassen hält Deutschland mehr Patente außer in der Kommunikationstechnik - dort sind es die Franzosen - und außer in der Pharmazie, wo die Briten führend sind.
Was wir in der Wissenschaft und Technik erreicht haben, was sich in der wachsenden Wirtschaft zeigt, was sich in den wachsenden Exporten zeigt, was sich in den wachsenden Anteilen forschungsintensiver Produkte auf unseren Märkten zeigt, ist eine Bestätigung dessen, was Herr Zywietz sagte: Die Tore fallen, die Bedingungen sind von der Regierung richtig gesetzt. Einen besseren Ausweis für eine insgesamt gelungene Politik kann es nicht geben.
({2})
Ich nehme die einzelnen Punkte auf, die Herr Zander angesprochen hat. Sie sprachen von der Förderung, die in einzelnen Bereichen wachse und in anderen schrumpfe. Ich zeige Ihnen einmal, wo die Wachstumsraten liegen und was passiert. Es ist über die Universitäten gesprochen worden. Die Forschungsförderung an den Universitäten ist in den letzten Jahren ständig weiter gestiegen. Der BMFT stellt den Universitäten in diesem Jahr 540 Millionen DM für die Forschungsförderung zur Verfügung. Der Betrag für 1982 - er ist nur langsam zu steigern gewesen - lag bei 300 Millionen DM.
Wir haben die Grundlagenforschung gesteigert - es ist von Herrn Austermann und Herrn Zywietz darauf hingewiesen worden - von 26 auf 38 % des Haushalts,
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denn hier liegt eine grundsätzliche Verantwortung des Staates. Wir haben hier natürlich auch Schwierigkeiten. Wenn in einer Zeit, in der der Bund seine Aufwendungen um 33 % steigert, die Länder ihre Aufwendungen nur um 19 % steigern, sind die Schwierigkeiten groß, und das sehen wir heute an den Universitäten. Die Differenzen in verschiedenen Bundesländern kann sich jeder genau ansehen, denn ich rede hier nicht über einzelne Länder. Nur dann, wenn die Forschungslandschaft insgesamt gestaltet wird - unseren Beitrag haben wir geleistet - , kann sie insgesamt gelingen.
Dies gilt natürlich auch für die Forschungsförderung in der Wirtschaft. Herr Zander hat einige Titel herausgegriffen und gesagt, die Forschungsförderung bei kleinen und mittleren Unternehmen sei rückläufig. Herr Zander, was Sie übersehen, ist ein Sachverhalt, der essentiell ist. Wir machen nicht immer mehr vom Gleichen - das kann nicht funktionieren - , sondern wir bauen hier Programme auf zur Mikroelektronik zur Fertigungstechnik, zu Aktoren und Sensoren, zu Auftragsforschung, zum Technologietransfer, zum Zugang zu Datenbanken und fahren sie wieder runter. Alles das löst einander ab. Wenn Sie die saldieren, sehen Sie, daß wir von 300 Millionen DM im Jahre 1982 auf 450 Millionen bis 500 Millionen DM gesteigert haben. Wir wissen, daß die mittelständischen Unternehmen wesentlicher Träger der Innovationen sind, und wir haben die Voraussetzungen so geschaffen, daß sich die Dynamik in den letzten Jahren in einer großartigen und faszinierenden Weise entfalten konnte.
Dazu zählt auch die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Nur, wenn wir das, was wir in der Wissenschaft entwickeln, schnell umsetzen, wird es fruchtbar für Arbeitsplätze. Es zeigt sich, daß die Kooperation so eng war wie noch niemals zuvor. Die Zahl der Aufträge, die die Wirtschaft an Universitäten gegeben hat, ist in den letzten sechs Jahren fast auf das Dreifache gestiegen. Auch dies gehört zu dieser Strategie.
Es sind einige kritische Bemerkungen zur Weltraumforschung gemacht worden. Herr Zander, wir haben in den allgemeinen Programmen für das nächste Jahr - wenn ich recht sehe - 770 Millionen DM bei ESA vorgesehen; davon sind jetzt 730 Millionen DM bereits eingegangene Verpflichtungen. Wir haben also hier eine durchaus konservative Strategie angelegt. Anlässe, mit höheren Ausgaben als das, was im Haushalt bei den Titeln vorgesehen ist, zu rechnen, habe ich aus den mir vorliegenden Unterlagen nicht. Ich habe hier beim Weltraum nicht die Steigerung, die Sie genannt haben. Wir haben eine Steigerung von 100 Millionen DM von 1988 auf 1989, eine relativ moderate Steigerung. Was wir insgesamt haben, ist eine Strategie, in der die Nationen Europas in einer einzigartigen Gemeinschaftsarbeit eine Strategie aufbauen, im Weltraum präsent zu sein, Techniken von der Grundlagenforschung bis hin zur Nachrichtenübermittlung zu entwickeln und daraus Zukunft zu gestalten. Weil die Europäer sich zusammengefunden haben, kommen wir mit Beträgen aus, die ein Bruchteil dessen sind, was die Russen oder Amerikaner ausgeben. Aber wir sind in diesen Bereichen präsent. Ich halte diese Strategie für richtig - nicht in der Weise,
als wollten wir eine Festung Europa aufbauen, nein, in der Weise, daß aus einer starken europäischen Position Partnerschaft entstehen kann. Die Zusammenarbeit an Columbus mit Amerika, das Weltraumabkommen mit der Sowjetunion zeigen, wie wir eine solche Strategie angelegt haben.
Nun haben Sie, Herr Zander, sich kritisch zur Umweltforschung geäußert und gesagt, hier seien die Wachstumsraten zu klein und das Programm zu gering. Ich kann das nicht nachvollzuziehen. Sie sprachen von den Projekten. Die Projekttitel in Umweltforschung, in Klimaforschung und in Sicherheitsforschung wachsen zusammen um 6,4 %, also weit überproportional. Jetzt das Entscheidende! Was ist das Programm in seinem Gewicht im europäischen Vergleich, im weltweiten Vergleich? Es gibt keine Nation in Europa, die ein so großes und vielfältiges Umweltprogramm hat wie Deutschland. Alle anderen Lander der Europäischen Gemeinschaft insgesamt haben ein Umweltprogramm, das kleiner ist als das Umweltprogramm der Deutschen.
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Dies werden wir machen, weil wir wissen, daß wir verantwortlich sind für eine verletzliche Umwelt. Nur, wenn wir sie verstehen, können wir sie vernünftig gestalten.
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Deshalb haben wir die Mittel für die Klimaforschung seit 1982 versechsfacht, Umweltforschung ständig weiter gesteigert, neue Systeme in der Ökosystemforschung entwickelt. Nur auf diese Weise kann man verantwortliche Strategien anlegen.
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Wir haben in kritischen und schwierigen Bereichen, in der Gesundheitsforschung unsere Verantwortung in einer vernünftigen Arbeit mit dem Wissenschaftsrat, mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit der Max-Planck-Gesellschaft und mit den Ländern immer weiter ausgebaut. Daß wir jetzt die klinischen Forschergruppen hinkriegen, ist ein Neubeginn einer klinischen Forschung über ein großes Spektrum von Aufgaben in Deutschland. Weil Gesundheit hier diesen hohen Rang hat, weil wir gesagt haben, daß in wichtigen Bereichen wie etwa Aids kein Projekt an fehlenden Geldmitteln scheitern darf, haben wir ständig und überproportional gesteigert. Auch dies gehört zu einer verantwortlichen und vernünftigen Strategie.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, hier ist kurz das Thema Energieforschung angesprochen worden. Ich darf zwei Punkte, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben, aufgreifen.
Ich nenne zum einen die Frage der Brütertechnik. Hier ist unsere Position sehr klar. Wir halten den Schnellen Brüter in Kalkar forschungspolitisch für begründet. Wir haben vor einem Jahr auf Wunsch der FDP ein Gutachten vorgelegt, warum dies so sei. Ich wiederhole die inhaltlichen Aussagen hier nicht.
({8})
Entschuldigung, Herr Minister, daß ich Sie unterbreche. - Der Geräuschpegel steigt derart an, daß das eine Zumutung für den Redner ist. Ich wäre dankbar, wenn sich die Damen und Herren auf den hinteren Plätzen, auf den Stehplätzen etwas ruhiger verhalten würden.
({0})
Dabei ist es eine ziemlich gute Rede. Insofern ist es eigentlich ein bißchen schade.
({0})
Herr Minister, ich werde es mir ersparen, von hier aus eine Bewertung darüber vorzunehmen.
({0})
Ich frage Sie, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Ja, wenn mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ich werde auch dies großzügig handhaben.
Herr Minister, ist es richtig oder falsch, daß der Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie im Verhältnis zum Gesamthaushalt des Bundes unterdurchschnittlich gestiegen ist?
Wir haben hier mit großem Interesse die Sondereinflüsse auf andere Haushalte diskutiert. Es ist richtig, was Sie sagen.
Ein Zweites. Wir hatten die gleiche Auseinandersetzung mit dem Kollegen Zander zum Haushalt 1987. Damals haben wir über sechs Jahre Bemittelt. Damals hat sich gezeigt, daß die Annahme, der Haushalt wachse ständig unterproportional, falsch war, denn der Nachtragshaushalt, den wir 1982 einzubringen hatten, um Ihre Schulden abzudecken, bedeutet eine zusätzliche Leistung der Koalition und ist nicht vom Plafond abzuziehen.
Im übrigen habe ich darüber gesprochen, was Qualität und was Quantität ist. Die Schwierigkeit in der Debatte besteht manchmal darin, daß bei einigen die feste Überzeugung besteht, durch mehr Geld könne man unzureichende Intelligenz ersetzen. Dies ist in aller Regel ein Irrtum. Wir setzen auf die Intelligenz der Menschen und nicht auf die Flut des Geldes.
({0})
Wir werden also dafür eintreten, daß der Brüter ans Netz geht, wenn er die strengen Sicherheitsauflagen erfüllt. Aber ich sage gleichzeitig eines: Der Brüter kann nicht vom Staat, er kann nicht vom Forschungsminister betrieben werden. Deshalb sind wir auf die Partnerschaft mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen angewiesen. Wir erwarten ihre Entscheidung.
Andererseits ist gesagt worden, die Förderung der regenerativen Energien sei ungenügend. Ich muß IhBundesminister Dr. Riesenhuber
nen sagen, daß es weltweit nicht ein überlegenes Programm gibt. Die USA sind allenfalls gleichwertig. Nicht in einem Land gibt es ein so breites, so vielfältiges und so reichlich ausgestattetes Programm zur Erforschung regenerativer Energien wie in Deutschland.
({1})
Herr Kollege Walther hat in der ersten Lesung des Haushalts sinngemäß gesagt: Herr Riesenhuber, sorgen Sie doch dafür, daß Deutschland auch in diesem Bereich Spitze wird. - Tatsache ist: Die Bundesregierung hat über 260 Millionen DM im Jahr für die Erforschung regenerativer Energien in den Haushalt eingestellt; 95 % dieser Summe sind in den Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie eingestellt worden. Tatsache ist, daß kein Land Europas diese Größenordnung erreicht. Tatsache ist, daß alle anderen Länder Europas diese Zahl nicht erreichen. Wir liegen hier über dem Niveau Japans; allenfalls die USA sind gleichauf, und auch das wird sich im nächsten Jahr ändern.
Insofern ist der Antrag der SPD ein bißchen rätselhaft. Die SPD sagt hier, sie wolle 135 Millionen DM für eine solare Wasserstoffenergiewirtschaft zusätzlich einstellen. Sie beruft sich auf einen Ad-hoc-Sachverständigenbeirat des BMFT. Ich habe mir die Ansätze einmal angeschaut. Es mag ein Zufall sein, aber die Ansätze in unserem Haushalt betragen genau 135 Millionen DM. 94 Millionen DM sind für die beiden Photovoltaik-Titel vorgesehen. Wir haben 20 Millionen DM im Bereich der solarthermischen Kraftwerkstechnik eingestellt. Weitere 20 Millionen DM sind im Bereich der Speicher, der Elektrolyse und im Bereich der verschiedenen Brennstoffzellen-Technologien vorgesehen.
Dies alles zusammen ergibt genau diese Strategie, eine international überlegene Strategie. Wir halten diese hohen Aufwendungen für gerechtfertigt; wir halten sie für begründet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wir hier zugrunde legen, ist eine Strategie, in der die Initiative des einzelnen ermutigt wird, in der der Staat nicht behauptet, alles zu sollen oder zu können. Wenn wir behaupten „der Staat richtet's", dann entspannen sich die Unternehmer und dann entspannen sich die Wissenschaftler. Und für die Zukunft Deutschlands ist nichts so gefährlich wie ein entspannter Unternehmer oder ein entspannter Wissenschaftler.
({2})
Deshalb schaffen wir die Voraussetzung, daß das Neue entstehen kann. Wir freuen uns, daß es in diesen Jahren mit großem Schwung und großer Dynamik gewachsen ist, der Glanz der deutschen Wissenschaft gewonnen hat, neue Techniken auf den Markt gekommen sind, dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen worden sind und wir unserer Verantwortung für eine verletzliche Umwelt zunehmend mit Kraft und Intelligenz gerecht werden.
Ich bedanke mich.
({3})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der Aussprache. Ich komme zu den Abstimmungen. Zunächst einmal rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3416 auf. Dieser Antrag ist gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung zur namentlichen Abstimmung gestellt. Zunächst möchte ich mich vergewissern, ob die Urnen besetzt sind. Sind alle Urnen ordnungsgemäß besetzt? - Dann können wir mit der Abstimmung beginnen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob sich noch jemand im Saal befindet, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat. - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. *)
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie umgehend die Plätze wieder einnähmen, damit wir noch weitere nicht-namentliche Abstimmungen zu diesem Einzelplan vornehmen können. Ich habe die Absicht, das Haus dann zu fragen, ob wir mit der Beratung des Einzelplans 10 beginnen können.
Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3430 abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag der GRÜNEN ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.
Wir können über den Einzelplan 30 verständlicherweise erst abstimmen, wenn das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. In Übereinstimmung mit den Geschäftsführern der Fraktionen unterbreite ich Ihnen den Vorschlag, daß wir diese Abstimmung über den Einzelplan zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen und jetzt mit der Beratung des nächsten Einzelplans, des Einzelplans 10, beginnen. Das erspart uns zehn Minuten. - Ich sehe, das Haus ist mit dem Vorschlag einverstanden.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers. für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 11/3210, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({0}) Diller
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Ihnen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3351 bis 11/3353 und 11/3433 vor.
Im Ältestenrat ist eine Beratungszeit von einer Stunde vereinbart worden. - Hier ergibt sich offensichtlich kein Widerspruch. So ist dies beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Diller.
*) Ergebnis Seite 7639A
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr, bei der Beratung des Agrarhaushalts, plagten meinen Kollegen Schmitz ({0}) von der CDU große Zweifel an der Qualität der Agrarpolitik seiner Bundesregierung, als er ausführte - ich zitiere - :
Es kann eigentlich nicht Sinn .. .
({1})
Herr Abgeordneter, ich versuche nur, die von Ihnen gewünschte Ruhe herzustellen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident.
Es kann eigentlich nicht Sinn der Agrarpolitik sein,
- so damals der Kollege Schmitz ({0}) daß wir demnächst einen Agrarhaushalt von 10 Milliarden und trotzdem unzufriedene Bauern haben.
Nun, Herr Kollege, die 10 Milliarden DM sind fast erreicht, doch die Bauern sind noch unzufriedener, das Höfesterben geht ungebremst weiter, weil die Politik der Bundesregierung noch immer falsch konzipiert ist, indem sie den Großen gibt und die Kleinen hängen läßt.
({1})
Zu warnen ist übrigens vor der Annahme, die 11%ige Steigerung - gleich 1 Milliarde DM - auf der Ausgabenseite sei eine echte Mehraufwendung für die Landwirte. Nichts dergleichen. Die 715 Millionen DM neue Ausgaben für das Strukturgesetz ersetzen nur den Zwei-Prozent-Teil des pauschalen Mehrwertsteuerausgleichs. Haushaltsmäßig wird damit etwas als Ausgabe veranschlagt, was bisher als Steuermindereinnahme in Erscheinung trat.
Abzuziehen sind 100 Millionen DM, die geleistet werden, um die Zahlungsunfähigkeit der EG aus den Vorjahren zu verschleiern. 50 Millionen DM wurden in letzter Minute durch den Haushaltsausschuß aus dem Flächenstillegungsprogramm gestrichen. Völlig ungewiß ist, wie sich die globalen Minderausgaben von 1,36 Milliarden DM auf diesen immerhin doch beachtlichen Haushaltsplan auswirken werden.
Ende September hat mir der Bundesminister der Finanzen die Frage beantwortet: Wie hoch sind die Ausgaben aus öffentlichen Haushalten ({2}) und die Steuervergünstigungen, die die bundesdeutsche Landwirtschaft derzeit erhält, und auf wie viele Landwirte bzw. insgesamt in der Landwirtschaft tätige Personen verteilen sich diese Mittel? Die Antwort des Kollegen Voss für den BMF war, bezogen auf 1987:
Erstens. Die Marktordnungsausgaben der Europäischen Gemeinschaft zugunsten der deutschen Landwirtschaft beliefen sich auf 9 858 Millionen DM.
Zweitens. Im Agrarhaushalt des Bundes sind Beitragszuschüsse nach dem Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz von 362 Millionen DM, an Altershilfe für Landwirte 2 415 Millionen DM, an Krankenversicherungszuschüssen 1 191 Millionen DM enthalten.
Drittens. An Steuervergünstigungen durch Bund und Länder gibt es 3 699 Millionen DM.
Viertens. An Finanzhilfen des Bundes gibt es 3 076 Millionen DM.
Fünftens. An Finanzhilfen der Länder sind 1 719 Millionen DM zu verzeichnen.
Insgesamt wurden damit 22 318 Millionen DM an öffentlichen Hilfen für die Landwirtschaft aufgebracht. In jenem Jahr - so der BMF - waren in der Landwirtschaft rund 1,22 Millionen Personen erwerbstätig, davon 485 000 vollbeschäftigt.
Meine im Haushaltsausschuß gezogene Schlußfolgerung, das wären also öffentliche Hilfen von 18 300 DM pro landwirtschaftlichen Erwerbstätigen oder 46 000 DM pro Vollbeschäftigten in der Landwirtschaft, löste dort heftige Proteste aus: So könne man, so dürfe man es nicht sehen. Wahrscheinlich - so vermute ich - , weil es peinlich für die Regierung ist und das ganze Dilemma der CDU/FDP-Agrarpolitik deutlich vor Augen führt. Denn in der Tat sehen nur wenige Landwirte solche Summen staatlicher Transfergelder auf ihren Konten. Die Mehrzahl der Landwirte, z. B. bei mir auf dem Hunsrück, sieht davon nur einen Bruchteil, der zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel ist und sie weiterhin ohne Perspektive läßt.
Das hängt zum einen an der Fehlleitung öffentlicher Gelder. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der christlichen Union: Müßte nicht endlich das tatsächliche Gesamteinkommen eines Landwirts berücksichtigt werden, bevor man entscheidet, ob seine Beiträge zur sozialen Sicherung durch Bundeszuschüsse ermäßigt werden dürfen? Müßte es nicht auch im Agrarstrukturgesetz eine Einkommensobergrenze geben? Müßten nicht die Obergrenzen für Vieh- und Dungeinheiten erheblich gesenkt werden, damit die Millionen den wirklichen bedürftigen klein- und mittelbäuerlichen Betrieben zugute kommen?
({3})
Aber auch hier handelt die Koalition nach dem Strickmuster ihrer Steuergeschenke: Wer schon viel hat, dem wird auch viel gegeben.
({4})
Zum anderen bringt die Vielzahl von Programmen, die teils parallele, teils konträre Zielrichtungen haben, die von Bundesländern und vom Bund angeboten und gelegentlich nach kurzer Laufzeit wieder gestrichen werden, bei denen oft bei der öffentlichen Ankündigung noch nicht feststeht, ob die EG ihre Zustimmung zu dem Programm geben wird, den Landwirten mehr Verunsicherung als verläßliche Orientierung bei der betrieblichen und damit bei ihrer Lebensplanung.
Man betrachte dazu nur einmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Heft.
({5})
Es bringt auf 60 eng beschriebenen Seiten, was es an Hilfen von EG, Bund, Ländern und Kreditanstalten gibt. Es nennt sich „Sonderausgabe 1988". In einem Monat wird es Makulatur sein. 1989 muß es neu formuliert werden, weil es völlig neue Programme gibt.
Gleiches Durcheinander gibt es bei der Forschungs- und Anwendungsförderung innerhalb der Bundesregierung:
({6})
Fördert es der BML, der BMU oder der BMFT? Was der BMFT für Unfug hält, wird gelegentlich vom BML sogar gefördert. Beispiel: Ahausen-Eversen. 10 Millionen DM Zuschuß jährlich für ein unverkäufliches - weil viel zu teures - Produkt: Bioäthanol.
({7})
Statt den anliefernden Landwirten und den Beschäftigten der Anlage durch die Ausbringung des kw-Vermerks mit Jahresangabe ein rechtzeitiges Signal zur Umstellung zu geben, werden die Menschen durch qualifizierte Sperren im ungewissen gelassen. Nur wir wissen, daß in der mittelfristigen Finanzplanung nichts vorgesehen ist. Sollen die 10 Millionen DM Zuschuß auch als jährliche Zitterprämie verstanden werden?
Auch in der Personalpolitik für sein Ministerium kümmert sich Minister Kiechle anscheinend lieber um das Wohlergehen der Top-Verdiener als um das der kleinen Leute.
({8})
Seit 1982 hat sich die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre verdoppelt, hat sich die Zahl der beamteten Staatssekretäre verdoppelt. Ist seine Politik damit besser geworden? Mitnichten! Und jetzt will er die Zahl der Ministerialdirektoren, besoldet nach B 9, sogar von 6 auf 7 aufgestockt bekommen.
({9})
Herr Kiechle, der an dieser Stelle gleichzeitig ausgebrachte kw-Vermerk 1990 läßt den Eindruck aufkommen, daß es sich dabei um einen persönlichen Freundschaftsdienst handelt.
({10})
Keine Anstrengungen unternimmt der Minister dagegen, um seinen jungen Ausgebildeten, z. B. im Bereich der Forschungsanstalten, die Weiterbeschäftigung wenigstens bis zur Bundeswehrzeit zu ermöglichen. Nichts! Erst auf mein Drängen im Ausschuß versprach er, sich darum zu kümmern.
({11})
Große Sorge bereitet uns die Zukunft der Agrarreform. Die von der Bundesregierung hochgeschraubten Erwartungen auf eine neue Agrarpolitik erfüllt dieser Haushalt jedoch nicht. Der Mißerfolg bei der Flächenstillegung - die mangelnde Nachfrage - zeigt das Mißtrauen der Landwirte in die Politik der Bundesregierung sehr deutlich.
({12})
Große Sorgen haben wir auch bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. 2,7 Milliarden DM sind als Zuschüsse zur Alterssicherung veranschlagt. Eine Systemänderung ist dringend erforderlich und wird von allen anerkannt. Sie haben das sogar in der Koalitionsvereinbarung verabredet. Doch wo bleibt ein erstes Ergebnis?
({13})
Während die Zahl der Rentenempfänger bei den Bauern die Zahl der aktiven Beitragszahler schon längst überstiegen hat, die Probleme also immer dringender werden, läßt die Bundesregierung die Dinge ungelöst treiben und gefährdet so das System der agrarsozialen Sicherung, ein System, das von Sozialdemokraten wesentlich geformt und geprägt wurde.
({14})
Den Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten lehnen wir ab.
Nun ein paar Sätze zu den Anträgen der GRÜNEN. Die Anträge der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3351 und 11/3352 müssen wir aus formalen Gründen ablehnen, obwohl wir die Grundanliegen - wie ich bereits ausführte - teilen. Ein Blick in die Kommentierung des § 17 der Bundeshaushaltsordnung, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, würde Ihnen zeigen, daß man mit Ihren Anträgen das Instrument der Erläuterungen überfordern würde. Was Sie wollen, läßt sich nur durch eine Änderung des Rechts, aber nicht durch eine Ausweitung der Erläuterungen im Haushalt erreichen.
Den Antrag auf Drucksache 11/3353 müssen wir ablehnen, weil wir zum einen durch EG-Recht dazu verpflichtet sind, ein Flächenstillegungsprogramm durchzuführen, und zum anderen Ihr Deckungsvorschlag - ersatzloser Wegfall des neuen Flächenstillegungsprogramms - zu einem furchtbaren Vertrauensverlust bei denjenigen führen müßte, die erst in den letzten Wochen ihre Anträge eingereicht haben.
Nun als letztes eine Bemerkung zu Ihrem Antrag auf namentliche Abstimmung. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe ja etwas dafür übrig und kann es durchaus leiden, wenn man mich mit einem sehr persönlich gemünzten Antrag aufs Glatteis führen will. Aber dann muß das in Ordnung sein. Vom Volumen her ist Ihr Antrag überhaupt keine na7628
mentliche Abstimmung wert, sondern ein Hohn für dieses Parlament.
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Zum Inhaltlichen haben wir das Notwendige im Ausschuß gesagt. Wir haben unsere Anträge gestellt und sind parlamentarisch dabei unterlegen. Das müssen wir akzeptieren.
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Ihre Fraktion gibt Ihnen nicht mehr Redezeit. Sie haben sie jetzt schon sehr, sehr deutlich überschritten.
({0})
Erlauben Sie noch einen Satz?
Ich erlaube es, aber es geht nur auf Kosten des Abgeordneten Oostergetelo.
({0})
- Okay.
Die neue Verwendung läßt sich sicherlich auch aus den vorhandenen Mitteln bedienen.
({0})
Nur müssen Sie dazu erst einmal erreichen, daß Anträge gestellt werden, die überhaupt entscheidungsfähig sind.
({1})
Schließlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wenn hier ein Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt wird - verehrte Frau Unruh, da stimmen Sie mit mir sicherlich überein -,
({2})
dann sollten zumindest das Handwerkliche stimmen und die angegebenen Haushaltsstellen richtig und nicht falsch sein.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Diller, dem letzten Teil Ihrer Ausführungen kann ich hier unumwunden zustimmen; das ist richtig.
({0})
Was weite Strecken des ersten Teils Ihrer Ausführungen angeht, so würde ich den Kollegen empfehlen, dies einmal in den Bauernblättern abzudrucken.
({1})
Vor allen Dingen spricht aus diesen Worten ja ein
ungeheures Maß an Fehleinschätzungen, auch ein
ungeheures Maß an falschen Darstellungen, was die Entwicklung auf dem Agrarmarkt ausmacht.
({2})
Das ist ganz klar. Wer weiß, daß der Agrarmarkt seit Jahren als einziger vergemeinschaftet worden ist und die anderen Märkte nicht nachgezogen haben, mußte wissen, daß sich die Instrumentarien der Marktordnung so auswirken, wie sie sich ausgewirkt haben. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({3})
Wenn Sie hier auf die Neidkomplexe abheben, dann finde ich das, gemessen an Ihrer Arbeit im Haushaltsausschuß, eigentlich unseriös. Ich würde mich für solche Dinge nicht hergeben. Meine Empfehlung steht.
Meine Damen und Herren, auch in diesem Jahr hat der Einzelplan 10 gegenüber dem Vorjahr eine kräftige Steigerung erfahren. Er hat eine Rekordhöhe von 9,467 Milliarden DM. Das ist gegenüber dem letztjährigen Agraretat eine Steigerung von insgesamt 10,7%, also um rund 912 Millionen DM.
({4})
Berücksichtigt man zudem, daß der Bundeshaushalt insgesamt im Vergleich nur um 5,4 % steigt, ist das eine ordentliche Steigerungsrate, die sich sehen lassen kann, meine Damen und Herren. Noch nie wurde so viel Geld für den Bereich der Landwirtschaft bereitgestellt. Das sollten Sie einmal anerkennen.
({5})
Zu Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung sah die Entwicklung noch ganz anders aus. Im Zeitraum 1979 bis 1982 ist der Gesamthaushalt des Bundes um durchschnittlich fast 6 % gewachsen, der Agrarhaushalt aber - das darf ich Ihnen einmal sagen - jährlich um 2 % gesunken. In der Zeit der Regierungsverantwortung der unionsgeführten Bundesregierung ist der Agraretat allein von 1983 bis 1988 - das sollten Sie sich auf der Zunge zergehen lassen - um 44 aufgestockt worden.
({6})
In der gleichen Zeit wuchs der Gesamthaushalt lediglich um 12 %. Das sind die Vergleichszahlen.
({7})
Dies alles macht deutlich, wie ernst diese Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung die Sorgen der deutschen Landwirtschaft nehmen. Ganz konkrete Schritte werden bzw. sind zur Lösung der anstehenden Probleme eingeleitet.
({8})
Den mit Abstand größten Schwerpunkt im Agraretat bildet die Agrarsozialpolitik. Mehr als 50 % der Ausgaben im Einzelplan 10 - und dies ist in der Tat so gewollt - umfaßt eben dieser Agrarsozialetat. Er erfährt eine Steigerung um 6 %.
({9})
Schmitz ({10})
- Sind Sie dagegen?
({11})
- Gut, wenn Sie dagegen sind, dann nehmen wir das zur Kenntnis, die Bauern auch. - In diesem Bereich beläuft sich die Steigerungsrate auf 6 %. Das heißt in Zahlen ausgedrückt: 293 Millionen DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir gerade in dem Bereich, in dem wir jetzt die entsprechenden Erhöhungen vorgenommen haben, auch darauf achten, daß diese Mittel sozial gerecht verteilt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Agrarpolitik bleibt die Strukturpolitik im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe. Die Mittel dafür sind um 240 Millionen DM oder 16,2 % auf den Betrag von 1,725 Milliarden DM aufgestockt worden.
Meine Damen und Herren, hier ein Einschub: Wir haben im Haushaltsausschuß eine Kürzung um 30 Millionen DM vorgeschlagen. Es gehört zur Ehrlichkeit, das zu sagen. Wir gehen aber davon aus, daß diese Summe innerhalb des großen Etats zu verkraften ist. Wir wissen, was wir hier getan haben.
Wir sind in der Agrarpolitik ein gutes Stück vorangekommen. Flächenstillegungen und Produktionsaufgabenrente gehören sachlich zusammen, weil den Landwirten eine Chance gegeben werden muß, in Abhängigkeit von ihrer betrieblichen und familiären Situation zwischen zwei Maßnahmen zu wählen. Das sind Schritte in die richtige Richtung.
Älteren Landwirten wird eine Alternative zur Weiterbewirtschaftung des Hofes eröffnet. Sie sind nicht mehr wie bisher darauf angewiesen, bis zum Erreichen des normalen Rentenalters die Substanz ihres Betriebs aufzuzehren oder sogar mit Schulden belastet in den Ruhestand zu gehen. Meine Damen und Herren, dies ist eine Errungenschaft.
Diese Vorruhestandsregelung verstärkt zusätzlich den Marktentlastungseffekt der Flächenstillegung. Die landwirtschaftliche Produktion wird gesenkt. Das wollen Sie doch auch. Die Schwierigkeiten liegen in der Überproduktion; diese wollen wir beseitigen.
Weiterhin wird gleichzeitig durch die vorgesehene Strukturkomponente die Betriebsstruktur der landwirtschaftlichen Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland verbessert. Dies hat eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund eines nicht unbeträchtlichen Abstands deutscher Betriebe zur Konkurrenz innerhalb der EG.
Meine Damen und Herren, erstmalig im Bereich des Einzelplans 10 ist 1989 der soziostrukturelle Einkommensausgleich für landwirtschaftliche Betriebe in Höhe von 715 Millionen DM veranschlagt. Am 19. Oktober hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft verabschiedet, der nun zur parlamentarischen Beratung ansteht. Die bäuerlichen Familienbetriebe zu stärken, aber auch der Massentierhaltung entgegenzuwirken und umweltschonende Produktionsweisen zu fördern sind die wichtigsten Ziele der unionsgeführten Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Wir sind hier mitten im Diskussionsprozeß. Ich hoffe, das wird zu einem vernünftigen Ende geführt werden können.
Neben den Flächenstillegungen und der Produktionsaufgabenrente ist in diesem Agrarstrukturgesetz ein weiterer Meilenstein unserer Politik, die Landwirtschaft durch direkte Hilfen zu stärken. So sollen von 1989 bis 1992 bäuerliche Familienbetriebe einen betriebsbezogenen Einkommensausgleich für währungsbedingte Einkommensverluste erhalten. Dieser Ausgleich wird für die nächsten Jahre 90 DM je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche betragen. Dabei sind ein Mindestausgleich von 1 000 DM und ein Höchstausgleich von 8 000 DM pro Betrieb vorgesehen. Durch diesen Einkommensausgleich können wir teilweise die Einkommensverluste ausgleichen.
Ein entscheidender Punkt ist auch für uns in der Tierhaltung die Förderobergrenze. Hier erwarten wir, daß wir vernünftige Maßstäbe für die Bundesrepublik Deutschland einsetzen können, damit wir nicht einen totalen Nord-Süd-Gegensatz haben.
Wir erwarten auch vom Bundeslandwirtschaftsminister, daß er in dieser Frage in beratender Funktion der Fraktion zur Seite steht. Ich denke, dieses müssen wir miteinander austragen. Eine enge Bindung der Tierhaltung an die Fläche ist dabei für uns ein wesentliches Merkmal der bäuerlichen Landwirtschaft.
Bei all diesen Maßnahmen ist jedoch darauf zu achten, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern innerhalb der EG nicht gefährdet werden darf. Ich wiederhole das. Bei all den Maßnahmen, die wir ergreifen - bei der Flächenstillegung, auch bei der Einschränkung der Massentierhaltung - , ist darauf zu achten, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern nicht gefährdet wird.
({12})
Lassen Sie mich zum Stichwort EG noch folgendes sagen. Es ist vollkommen klar, daß die meisten Probleme in der Landwirtschaft, wenn sie ökonomisch sinnvoll gelöst werden sollen, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft insgesamt angepackt werden müssen. Isolierte Lösungen bringen nur Verwerfungen in der Bundesrepublik selbst. Es muß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu einem Konsens kommen.
({13})
- Ich denke, in der Frage der Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft, von der das größte Risiko ausging, ist der Bundeskanzler während seiner Präsidentschaft und im Vorfeld so aufgetreten, daß Sie sich darüber nicht zu beklagen brauchen. Ich denke, zumindest darüber sind wir uns einig.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Anbaumethoden, Tierhaltung, landwirtschaftliche Produktion insgesamt haben sicherlich auch einen starken umweltpolitischen Einfluß. Nur eines darf uns nicht passieren: Wir dürfen in der Umweltpolitik und in der
Schmitz ({15})
Agrarpolitik nicht zu einem Gegensatz kommen, daß die Landwirtschaft im Endergebnis - ({16})
- Nun schreien Sie doch nicht so. Ich habe noch gute Ohren; so alt bin ich auch noch nicht. Schreien Sie doch nicht so.
Frau Abgeordnete Flinner, Sie sind als nächste Rednerin an der Reihe. Sie können Ihre Position dann dem Hause sehr viel besser verdeutlichen als durch unverständliche Zwischenrufe.
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Herr Präsident, ich bedanke mich sehr dafür.
Meine Damen und Herren, dies darf nicht zu einem Gegensatz führen; dies müssen wir gemeinsam lösen. Deswegen ist es auch notwendig, daß der Umweltminister und der Landwirtschaftsminister dem Plenum, aber auch der Fraktion und der Koalition Gesetzesvorhaben in enger Abstimmung vorlegen, die in sich geschlossen sind, meine Damen und Herren. Isolierte Lösungen helfen uns hier nicht weiter. Deswegen hoffe ich, daß dies auf einem guten Weg ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den GRÜNEN sagen. Alternative Produktionen sind keine Zauberformeln; sie lösen das Überschußproblem nicht; sie können nur Marktnischen ausfüllen. Das hat all dies gezeigt. Auch hier hat der Landwirtschaftsminister da, wo es möglich ist, Hilf e-stellung gegeben. Aber es ist schlicht und einfach absurd, meine Damen und Herren, zu glauben, wir könnten die Probleme mit Ihren Vorstellungen lösen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung unter Hemut Kohl hat die richtigen Schritte unternommen. Wir wissen, vor welchen Schwierigkeiten die Koalition damals bei der Übernahme der Regierung gestanden hat. Ich will das Wort „Erblast" nicht zitieren. Es wäre reizvoll, darauf einzugehen.
({0})
- Es war sicherlich auch Josef Ertl. Aber warum sollte man den Leuten Steine nachwerfen?
({1})
Lieber Herr Kollege Walther, wir wissen, vor welchen Schwierigkeiten wir standen. Deswegen bin ich froh darüber, daß wir in den wichtigsten Punkten nicht nur die Ansätze gefunden haben, sondern in der Tat auf dem richtigen Weg sind. Deswegen ist auch für uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Agraretat 1989 - lassen Sie mich das ganz ruhig sagen, Herr Kollege Diller - eine tragfähige Grundlage für eine solche Politik, die wir fortschreiben wollen. Das setzt natürlich auch voraus, daß wir diese Politik da, wo wir anderer Meinung sind, kritisch begleiten. Das haben wir immer getan. Deswegen können wir auch guten Gewissens diesem Einzelplan 10 zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
So, Frau Abgeordnete Flinner, jetzt haben Sie das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Diller, ich möchte Ihnen nur sagen: Formal ist unser Antrag ganz in Ordnung; Sie ärgern sich nur, daß Sie nicht selber den Antrag eingebracht haben. Das ist es.
({0})
Ich bedaure sehr, daß wir heute nur eine Stunde Zeit haben, um diesen Haushalt zu beraten.
({1})
Aber das zeigt mir, daß die Regierung diesen Bereich überhaupt nicht ernst nimmt.
({2})
- Das ist richtig. Wir haben im Ausschuß zwar beraten, aber viel zu kurz.
Teilweise verborgen vor der Öffentlichkeit läuft hier eine Entwicklung ab, die katastrophale Folgen für den gesamten ländlichen Raum und für die Bevölkerung haben wird.
Gegenüber dem Vorjahr haben wir eine Steigerung des Agraretats um etwa 1 Milliarde DM.
({3})
Das ist sehr viel Geld. Der Öffentlichkeit wird eingeredet, wir Bauern bekämen nun noch mehr zugesteckt.
Aber in Wirklichkeit sind die Einkommen der Bauern im Vergleich zur restlichen Bevölkerung seit Jahren rückläufig. Es gibt nur noch halb so viele landwirtschaftliche Betriebe wie vor 20 Jahren. Von der landwirtschafltichen Arbeit können heute nur noch halb so viele Menschen leben. Jedes Jahr werden weitere 23 000 Höfe aufgegeben, verlieren 50 000 Menschen einen sinnvollen Arbeitsplatz.
In Anbetracht dessen muß die Landwirtschaftspolitik der Regierung für vollkommen gescheitert erklärt werden.
({4})
Ziehen Sie, Herr Kiechle, daraus die Konsequenz? Nein. Mit dem vorgelegten Haushalt verfolgen Sie weiter die gleiche Politik, die unsere Bauern und Bäuerinnen in den Ruin treibt.
Bei der Anpassung der Landwirtschaft an die EG und der Ausrichtung auf den Binnenmarkt steht der Regierung die bäuerliche Landwirtschaft im Weg. Sie muß schnellstens abgeschafft und durch eine sogenannte moderne, d. h. industrielle Landwirtschaft ersetzt werden. Weshalb interessiert sich denn neuerdings die Industrie sehr für die Landwirtschaft? Sie will nachwachsende Rohstoffe auf den deutschen Feldern erzeugen lassen.
({5})
Diese sollen möglichst billig produziert werden. Natürlich geht das nicht ohne weitere Konzentration im Agrarbereich und ohne weitreichende Abhängigkeit der Erzeuger von der Industrie. Für selbstbestimmt und eigenverantwortlich geführte Bauernhöfe ist da kein Platz.
Ein großer Anteil am Agrarhaushalt ist daher folgerichtig nichts anderes als Industrieförderung.
({6})
Etwa 24 Millionen DM sind für Vorhaben eingeplant, die nur für Industrie und Handel interessant sind. Zum Teil werden Verfahren gefördert, deren Unwirtschaftlichkeit schon jetzt wissenschaftlich erwiesen ist bzw. deren verfahrenstechnisch bedingte Umweltschädlichkeit feststeht.
({7})
Von diesem Geld hat kein einziger Bauer einen Vorteil.
Viel schlimmer aber ist die Tatsache, daß im Haushalt etwa 3 Milliarden DM für Maßnahmen vorgesehen sind, die den Strukturwandel beschleunigen. Herr Dregger hat gestern behauptet, daß Flächenstillegung, Milchrente, Betriebsaufgaberente und Strukturgesetz Maßnahmen für die Bauern seien. Seien wir doch einmal ehrlich: Diese Maßnahmen fördern den Strukturwandel, den Arbeitsplatzabbau und das Höfesterben. Wer behauptet, damit den Bauern zu helfen, weiß es nicht besser oder verdreht wider besseres Wissen die Wahrheit.
({8})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paintner?
Nein.
Betrachten wir speziell das Strukturgesetz, das den irreführenden Namen „Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft" trägt. Hierfür werden 1,1 Milliarden DM jährlich ausgegeben, davon 715 Millionen DM vom Bund, den Rest müssen die Länder tragen. Der Name des Gesetzes ist ein unverschämter Etikettenschwindel,
({0})
denn nicht die bäuerlichen Betriebe erhalten die meiste Förderung, sondern die Großbetriebe, die Agrarfabriken. Je größer ein Betrieb, desto höher soll seine Förderung sein.
({1})
- Lesen Sie es doch! - Erst ab einer landwirtschaftlichen Fläche von 89 Hektar erhält ein Landwirt den höchstmöglichen Betrag von 8 000 DM. Dagegen erhält ein Betrieb mit einer durchschnittlichen Größe
von 17,4 Hektar nur etwa 1 550 DM. Er ist hoffnungslos benachteiligt.
({2})
Die Fördergrenzen in der Tierhaltung bieten geradezu einen Anreiz für die Ausweitung der Viehbestände und treiben damit die Massentierhaltung voran.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Nein.
Auch nicht.
Wenn die Haltung von 1 700 Mastschweinen, Herr Gallus
({0})
- lesen Sie doch Ihr Gesetz -, 50 000 Legehennen bzw. 100 000 Masthähnchen noch förderungswürdig ist - was ist daran noch bäuerliche Landwirtschaft?
({1})
In den begünstigten Betrieben sind bis zu drei Dungeinheiten je Hektar gestattet. Das bedeutet 240 kg Gesamtstickstoff allein schon aus dem Wirtschaftsdünger. Für Grund- und Trinkwasser heißt das eine enorme Verschärfung der schon jetzt erheblichen Nitratbelastung. Hier werden Belastungswerte zur Förderung zugelassen, wie sie nur in extrem belasteten Gebieten anzutreffen sind. Ein verantwortungsvoller Bauer würde das so nicht praktizieren.
({2})
Für Bauernverbandspräsident Heereman aber gehen diese Auflagen angeblich weit über das erträgliche Maß hinaus. Der Verband tut so, als ob die Großbauern von dem Gesetz benachteiligt würden. Das ist bewußte Täuschung der Öffentlichkeit. Heereman vertritt nicht die Bauern, sondern die Agrarindustrie.
({3})
Für dieses Gesetz wie für den ganzen Haushalt gilt: Die angeblich angestrebten Ziele werden in keinem Fall erreicht. Nicht die bäuerlichen Familienbetriebe werden gestärkt, sondern die Großbetriebe, die Agrarfabriken.
({4})
Nicht die umweltschonenden, sondern die agrarindustriellen Produktionsweisen werden gefördert. Im Gegensatz zu allen Beteuerungen will die Regierung auch gar nichts anderes bewirken. Sie will den Konzentrationsprozeß beschleunigen. Sie rechnet damit, daß zur Jahrtausendwende nur noch ein Drittel der jetzigen Höfe bewirtschaftet wird - das sind Ihre Worte, Herr Gallus - , daß dann nur noch ein Bruchteil der heutigen Bauern und Bäuerinnen mit ihrer Arbeit ein Auskommen hat.
Auch Flächenstillegung und Randstreifenprogramme sind doch nur zum Schein ökologisch vorteilhaft. In Wirklichkeit bleibt die Bewirtschaftungsinten7632
sität insgesamt gleich hoch. Weil die anderen EGStaaten bei der Flächenstillegung und beim Überschußabbau nicht mitmachen, nehmen sie unseren Bauern Marktanteile weg. Das ist eine Tatsache.
({5})
Wie wollen Sie das alles den Bäuerinnen und Bauern gegenüber verantworten? Sagen Sie den Menschen im ländlichen Raum, der durch Ihre Politik verödet, die Wahrheit? - Nein, Sie betreiben Etikettenschwindel: Sie sagen „Bäuerlichkeit" und meinen „Agrarindustrie", Sie sagen „Umwelt" und meinen „Verschmutzung", Sie sagen „Förderung" und meinen „Sterbehilfe".
({6})
Diesem Haushalt können wir nicht zustimmen. Mit unseren Änderungsanträgen verfolgen wir eine Politik für Bauern und Bäuerinnen, die sich nicht zu abhängigen Landschaftspflegern abwerten lassen. Wir wollen die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft fördern, dort sinnvolle Arbeitsplätze erhalten und die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel für die Verbraucher sichern. Einen Wunsch habe ich, daß die Bauern einmal hier sitzen könnten, in Ihren Reihen.
({7}) - Nein, die Bauern sind nicht hier.
({8}) Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Flinner, ich weiß nicht, ob man auf so etwas, auf diese Märchenstunde, überhaupt antworten sollte.
({0})
Es waren im Grunde genommen zehn Minuten nur
Tatsachenverdrehungen, die Sie uns hier vorwerfen.
({1})
- Frau Flinner, hören Sie doch einmal in Ruhe zu.
Wenn Sie sagen, die Politik dieser Koalitionsfraktionen treibe die Bauern in den Ruin, dann möchte ich Ihnen allen Ernstes folgendes sagen: Wenn Sie durch solche Behauptungen, die Sie hier aufgestellt haben, und durch solche Verdrehungen unseren Bauern falsche Hoffnung machen, dann treibt Ihre grüne Politik die Bauern in den Ruin;
({2})
denn dann werden sie eventuell noch dazu aufgefordert, falsche Berufsentscheidungen oder falsche Investitionsentscheidungen zu treffen. Bedenken Sie diese Dinge bitte einmal.
Meine Damen und Herren, der Agraretat umfaßt im kommenden Jahr einen Finanzierungsansatz von rund 9,5 Milliarden DM. Das ist gegenüber 1988 eine beachtliche Steigerung um 10,7 %.
Für die FDP begrüße ich diese Mittelausstattung. Wir haben ja schon mehrmals unterstrichen, daß wir bereit sind, für die Agrarpolitik vorübergehend mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Allerdings haben wir auch immer gesagt, daß mit dem Mehr an Geld auch etwas bewegt werden muß. Das heißt, daß es gezielt eingesetzt wird,
({3})
um Einkommensprobleme, Strukturprobleme und Fragen der sozialen Absicherung in der Landwirtschaft zu lösen. Es muß uns sicher zu denken geben, daß trotz der in den letzten Jahren erheblich angewachsenen Mittelausstattung im Agraretat die Zufriedenheit der Landwirte mit der Agrarpolitik nicht unbedingt im selben Maße zugenommen hat.
Die Agrarsozialpolitik bleibt haushaltsmäßig mit über 5 Milliarden DM der größte Brocken. Es ist erfreulich, daß es in der Bereinigungssitzung zu einer Mittelaufstockung für die Altershilfe gekommen ist. Langfristig läßt sich der Gordische Knoten von sozialer Absicherung und steigenden Kosten nicht durch eine alleinige Erhöhung der Bundesmittel lösen. Wir müssen uns hier vor Flickschusterei hüten.
Wir brauchen in diesem Bereich eine umfassende Reform. Wie notwendig sie ist, haben uns in diesem Herbst Sachverständige bei einer FDP-fraktionsinternen Anhörung noch einmal klargemacht. Die FDP bedauert, daß sich in dieser Legislaturperiode in diesem Bereich wohl nicht mehr viel bewegen läßt. Das Maydell-Gutachten, das uns zu einer Reform hinführen sollte, liegt uns schließlich schon über ein Jahr vor.
({4})
Auf dem Milchmarkt sind wir in eine gewisse Zwickmühle geraten. Die in der Koalitionsvereinbarung versprochene Flexibilisierung der Milchquotenregelung bis hin zur Handelbarkeit liegt leider immer noch auf Eis. Der Grund hierfür ist die zuviel ausgegebene Differenzmenge, der sogenannte Bauchladen. Leider geht das Herauskaufen von Quoten über die Milchrentenaktion nur sehr schleppend vonstatten.
Meines Erachtens müßte die Milchrente attraktiver ausgestaltet werden. Ich hoffe, daß wir über die Kombination von Vorruhestand und Milchrente hier schneller zum Ziel kommen.
Ansonsten brauchen wir zusätzliche Maßnahmen, um so schnell wie möglich den Ballast der zuviel verteilten Quoten loszuwerden, die verkrusteten Strukturen durch Verrechnung von Unter- und Überlieferung aufzubrechen und der Handelbarkeit den Weg zu bereiten.
Die FDP will hier in gemeinsamen Verhandlungen mit dem Koalitionspartner erreichen, daß die Weichen in diese Richtung zu Beginn des nächsten Milchwirtschaftsjahres, also ab April 1989, gestellt werden.
({5})
Die Kernpunkte der Mittelaufstockung im Agraretat sind erstens das Flächenstillegungsprogramm, zweitens die Produktionsaufgaberente, also das sogenannte FELEG-Programm - Förderung der Einstellung landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit - , und drittens der soziostrukturelle Einkommensausgleich.
Insbesondere mit dem Flächenstillegungsprogramm und der Produktionsaufgaberente sind jetzt die FDP-Vorschläge aus dem Jahr 1985 auf EG-Ebene durchgesetzt. Mit den Brüsseler Beschlüssen vom Februar dieses Jahres ist eine echte agrarpolitische Wende eingeleitet worden. An dem Flächenstillegungsprogramm, dessen Antragsfristen jetzt auslaufen, nehmen bei uns über 23 000 Betriebe teil. 170 000 Hektar werden zu einem Preis von rund 189 Millionen DM aus der Produktion herausgenommen.
Leider sind in anderen EG-Mitgliedstaaten die Gesetze entweder noch nicht in Kraft oder inhaltlich so schlecht ausgestattet, daß die Resonanz bei den Landwirten schwach ist. Wie wollen wir aber in Europa gemeinsam die Überschüsse zurückführen, wenn sich die einzelnen Mitgliedstaaten so ungleichgewichtig verhalten? Die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland darf hier nicht dazu führen, daß wir Marktanteile an unsere Konkurrenten verlieren.
Die Produktionsaufgaberente soll ab Anfang des nächsten Jahres angeboten werden. In den parlamentarischen Beratungen haben wir die strukturverbessernde Komponente jetzt bessergestellt. Die Vorzüglichkeit der Marktentlastungskomponente ist gemäß den Brüsseler Beschlüssen aber nach wie vor gegeben.
Für nicht in Ordnung halte ich allerdings die Absicht des BML, die Milchgarantiemengenverordnung dahin gehend zu ändern, daß bei Verpachtung von Grünlandflächen statt 20 % dann 50% der Milchquote auf den Staat übergehen. Dann wird es in Grünlandgebieten keinen vernünftigen Strukturwandel mehr geben.
Notwendig ist aber auch, daß unsere EG-Nachbarn ihren Landwirten eine attraktive Produktionsaufgabe-rente anbieten. Es kann nicht sein, daß sich allein die Bundesrepublik um den Abbau der Überschüsse kümmert.
Ab Beginn des nächsten Jahres dürfen 2 % der 5 % Vorsteuerpauschale, wie wir alle wissen, nicht mehr umsatzbezogen verteilt werden. Wir wollen jetzt diese 1,1 Milliarden DM für die deutsche Landwirtschaft flächenbezogen verteilen, sicherlich auch zur Abmilderung der Folgen sinkender Erzeugerpreise. Ich erkläre hier für die FDP, daß wir dieses mittragen werden. Wir sind allerdings immer der Auffassung gewesen, daß es besser gewesen wäre, von den 5 % 3% umsatzbezogen und 2 % - diese 1,1 Milliarden DM - gezielt einzusetzen.
Wir haben dazu ein sogenanntes Agrarstrukturgesetz, Gesetz zur Förderung bäuerlicher Landwirtschaft, Anfang des nächsten Jahres zu verabschieden, einen Gesetzentwurf, der einen sehr anspruchsvollen Namen trägt. Wir werden sicher Anfang 1989 diesen Gesetzentwurf eingehend beraten müssen. Ich meine, daß hier noch vieles veränderungsbedürftig ist. So frage ich mich schon heute, ob es wirklich gelingt, mit diesem Gesetz die bäuerliche Landwirtschaft zu fördern und die sogenannte Agrarindustrie zu beschränken.
Das ursprüngliche Vorhaben, die Zuschläge für übernormale Viehbesätze zu halbieren, ist nicht mehr in diesem Vorschlag enthalten. Ich kann hier für die FDP sagen, daß wir alles daransetzen werden, daß uns der Bundesfinanzminister eine entsprechende Verordnung vorlegt, bevor wir zu einem abschließenden Ergebnis kommen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Steigerungsraten im Agraretat sprechen für sich. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen messen der Landwirtschaft einen hohen Stellenwert zu. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß der EG-Binnenmarkt vor der Tür steht und daß sich der Wettbewerb zwischen den einzelnen Landwirtschaften noch verstärken wird.
Herr Abgeordneter, wenn ich bei Ihnen noch großzügiger bin als bei Ihrer Vorrednerin, könnte ich in den Geruch der Parteilichkeit kommen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt zum Ende kämen.
Danke. - Ich komme zum Schluß: Mir war es anläßlich dieser Haushaltsdebatte wichtiger, aufzuzeigen, was noch zu tun ist, als einen agrarpolitischen Rückblick zu geben. Wichtig ist vor allem, daß die Agrarpolitik klare, verläßliche Rahmenbedingungen schafft und damit unseren Landwirten die Informationen an die Hand gibt, die sie brauchen, um sich entscheiden zu können.
Die FDP wird dem Einzelplan 10 zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Jahr gibt die Haushaltsdebatte die Möglichkeit, Bilanz zu ziehen. Die Bilanz für die Bauern in Deutschland ist negativ. Daran kann es keinen Zweifel geben, und wir sollten uns hier nichts vormachen, auch wenn Koalitionsabgeordnete vielleicht die Veranlassung sehen, das eine oder andere schönzumalen. Der Bauernverband sagt, die Einkommensverluste - dies ist gerade herausgekommen - liegen in einigen Bereichen über 30 %. Auch wenn hier und da Berufsschwarzmalerei dabeisein mag, sind die Aussichten für die Entwicklung der bäuerlichen Einkommen dunkel genug. Daran kann es keinen Zweifel geben. Wir sollten uns nicht etwas vormachen.
Zweitens. Zur Bilanz des Wirtschaftsjahres gehört auch die Verwirklichung der Beschlüsse der EG-Regierungschefs zur Flächenstillegung, zur Extensivierung, zur Erzeugungsumstellung, zur Vorruhestandsregelung für Landwirte sowie zur direkten Einkommensübertragung. Auch hier ist die Bilanz, gemessen an dem, was versprochen worden ist, negativ. Die nur „kleckerweise" Verwirklichung des Gesamtpakets macht es den betroffenen Landwirten unmöglich, ihre Entscheidung über die künftige Lebensplanung in
Kenntnis aller Einzelmaßnahmen zu treffen. Dies müssen wir beklagen. Ich weiß, daß Sie dort gar nicht anders denken. Es ist nicht gelungen, ein Bündel der Maßnahmen bis heute wirklich zustande zu bringen. Die Bauern können nämlich nicht mehr von Sprüchen leben,
({0})
die z. B. vom Bundeskanzler kommen oder wie sie Herr Dregger hier gestern gesagt hat. 73 Betriebe müssen pro Tag die Hoftore schließen; da helfen doch keine Sprüche mehr.
({1})
Die Bauern brauchen Hilfe jetzt, Geld, das auf den Höfen ankommt, und nichts, was bei ihnen vorbeifließt.
({2})
Wir müssen die Agrarkrise lösen; dies ist eine gesellschaftliche Frage geworden. Alle notwendigen Maßnahmen müssen EG-weit greifen, um die Überschüsse abzubauen. Das ist unser Dilemma. Die Fachleute wissen, was das heißt. Solange aber diese Maßnahmen, meine Freunde, nicht gleichzeitig durch sozial gerechte Einkommenshilfen flankiert werden, so lange werden die Bauern ihre Höfe aufgeben, so lange haben die jungen Landwirte keine Entwicklungschance, so lange besteht die Gefahr, daß der ländliche Raum zum Nachteil unserer gesamten Gesellschaft entleert wird und verödet.
Herr Minister, ich freue mich, daß die Bundesregierung diese Gefahr sieht und endlich ein Gesetz zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft vorgelegt hat. Im Bundesrat wird zur Zeit darüber verhandelt. Die Bundesregierung hat nach langem Zögern endlich einen Schritt auf dem Weg eingeschlagen, den wir Sozialdemokraten lange gefordert haben: direkte produktionsneutrale Hilfen, differenzierter Flächenausgleich, Förderobergrenzen, Begrenzung des aufzubringenden Wirtschaftsdüngers und anderes mehr. Ca. 1 Milliarde DM sollen direkt verteilt werden. Bisher wurde dies von der Union nachhaltig abgelehnt. Hier ist ein Sinneswandel eingetreten.
({3})
- Das ist nicht wahr, Herr Kollege. Ich komme darauf.
Wird der neue Gesetzentwurf mit dem Ziel des Schutzes bäuerlicher Familienbetriebe diesem hohen Anspruch gerecht? Ich sage, er wird ihm nicht gerecht, und ich will das auch begründen. Die Förderobergrenzen sind doch viel zu hoch und schließen doch fast niemanden aus.
({4})
Schlimmer noch, Herr Eigen, die bisher gültige Begrenzung von 330 Vieheinheiten je Betrieb wird in einigen Bereichen, z. B. in der Hähnchenmast, um etwa das Dreifache überschritten.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, dies veranlaßt den Abgeordneten Eigen, eine Zwischenfrage zu stellen.
Ich lasse sie nur zu, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ich rechne Ihnen das nicht an. Bitte sehr.
Ist die von Ihnen eben aufgestellte Behauptung, daß die Bestandsobergrenze zu hoch angesetzt ist und niedriger sein sollte, mit dem Landwirtschaftsminister Wiesen aus Schleswig-Holstein abgestimmt?
Herr Eigen, die Bestandsobergrenzen stehen nicht zur Diskussion. Hier geht es um Förderobergrenzen. Wir haben in der Klausurtagung gemeinsam gesagt: Dies ist viel zu hoch. Jetzt will ich Ihnen sagen, warum Sie das verwechseln. 100 000 Hähnchenplätze bedeuten 700 000 Tiere Jahresproduktion. Bei 700 000 Tieren brauche ich, wenn ich den Dung verantwortbar aufbringen will, einen Betrieb von 900 ha. Ist das bäuerlich? Das wollen Sie doch wohl nicht sagen.
({0})
- Lenken Sie nicht ab. - Sie versuchen durch die Hintertür in Wirklichkeit die bis heute gültige 330Vieheinheiten-Grenze zu unterlaufen. Das war Ihr Versuch damals mit dem Multiplikator 2,5. Heute machen Sie das offen.
({1})
Ich sage Ihnen: Gehen Sie einmal in die Bauernversammlungen! 900 ha sind erforderlich, um den Dung unterzubringen. Das kann doch nicht wahr sein.
({2})
Oder nennen wir eine andere Zahl. 120 Kühe - hier wird nicht von Quote gesprochen - können 800 0001 Milch geben. Haben diese Bauern wirklich noch Direkthilfe nötig, damit die Kleinen ganze 90 DM bekommen? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({3})
- Herr Eigen hat mich korrigiert. 1 000 DM ist das Mindestgeld. Recht hat er.
({4})
Das bedeutet, ein Bauer mit 11,1 ha bekommt 1 000 DM, und einer mit 89 ha bekommt 8 000 DM. Das bedeutet das, damit das genau dargestellt wird.
Ich denke, die Interessen der Landwirte sind hier nicht gewahrt. Über die Senkung der Dungaufbringung müssen wir diskutieren.
Ich bitte Sie auch: Wenn wir nicht in jedem Land eine andere Regelung wollen - Sie wissen, was das heißt - , dann dürfen wir mit der aufgebrachten
Dungmenge nicht über die Maße hinausgehen, die ökologisch verantwortbar sind.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus? - Bitte schön, Herr Gallus.
({0})
Herr Kollege Oostergetelo, gehört nicht zu einer verantwortungsvollen und ehrlichen Agrarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, daß wir einerseits, wenn wir von Betriebsgrößen reden, die Tatsache berücksichtigen, daß wir viele Nebenerwerbsbetriebe haben und diese gerade im unteren Bereich unter 20 ha liegen, und andererseits die Forderung, daß wir in der EG wettbewerbsfähig bleiben bzw. werden müssen? Im Milchbereich haben bei uns z. B. nur 3 % der Betriebe über 50 Kühe, während es in England über 50 % sind.
({0})
Herr Kollege Gallus, ich lasse die Ablenkung - das gilt jedenfalls für mich - nicht zu.
({0})
Hier geht es um einen Direktausgleich für Betroffene. Es geht nicht um die Frage, wie unsere Betriebsstruktur insgesamt aussieht. Wer mehr erzeugt, kann mehr verdienen. Aber hier werden Gelder des Staates direkt ausgegeben,
({1})
und das auch an Betriebe, die ein Supereinkommen haben.
({2})
Deshalb sagen wir Ihnen in aller Klarheit: Bei der Direktbezahlung muß das Gesamteinkommen angerechnet werden. Es muß eine Obergrenze geben. Es muß nicht so sein, daß wir, Herr Eigen, Herr Gallus, Herr Heereman oder Oostergetelo, noch zusätzliche Direkthilfen bekommen. Ich denke, wir werden ohne diese Hilfen fertig.
({3}) Wir sind alles Nebenerwerbslandwirte.
({4})
- Herr Schorlemer braucht sie auch nicht. Richtig so.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heereman?
Ich lege Wert darauf.
Herr Kollege Oostergetelo, stimmen Sie mir zu, daß Sie gerade die Unwahrheit gesagt haben,
({0})
indem Sie behauptet haben, daß einige meiner Kollegen - Sie haben Schorlemer und mich genannt - von diesen Beihilfen etwas bekämen? Das ist nämlich die Unwahrheit.
({1})
Herr Kollege Heereman, ich habe auch keinen Zweifel, daß es Sie nicht in existentielle Nöte bringt, wenn Sie tatsächlich auf die 8 000 DM verzichten.
({0})
- Nein, das hat mit Neid nichts zu tun, Herr Kollege. Wenn Sie keine Obergrenze einbauen, heißt das, daß jeder, der einen Betrieb hat, diese Hilfe unabhängig von seinem Einkommen bekommt. Das wollen wir nicht. Wir wollen, daß die Bauern diese Hilfe bekommen, die sie zur Existenz nötig haben. Herr Schorlemer, mit Neid hat das nichts zu tun.
({1})
Ich will noch zwei Argumente aufgreifen. Freunde, wir wissen, was aus der Flächenstillegung geworden ist. Wir exekutieren, die anderen übernehmen den Markt. Wir brauchen die Bündelung der Maßnahmen, daran gibt es unter uns keinen Zweifel.
Ich will noch etwas zum Vorruhestand sagen. Das gehört hier hinein. Wenn Sie, Herr Schorlemer, über den Vorruhestand auch noch den sogenannten Bauchladen abbauen wollen, dann wollen Sie doch wohl, daß die Milch in den benachteiligten Gebieten verschwindet. Anschließend bieten Sie als Hilfe den käuflichen Erwerb an. Wo geht wohl die Milch hin? - Doch wohl nicht zu demjenigen, der schon heute nichts zu beißen hat. Von welchem Geld soll er das denn kaufen? Nein, Freunde,
({2})
hier wird deutlich, was Sie wollen: Handelbarkeit und Hilfe für denjenigen, der schon genug hat. Dies können wir nicht zulassen!
Zum Schluß ein Wort zum Währungsausgleich. Wir sind traurig darüber, daß bei jeder Paritätsveränderung die Einkommen der Starkwährungsländer darunter leiden müssen. Hier ist eine große Aufgabe. Ich denke, wir sollten Widerstand leisten gegen den Abbau des Währungsausgleichs und die Aushöhlung des Restsystems. Solange wir keine Wirtschafts- und Währungsunion in der EG haben, bedeutet der Wegfall des Währungsausgleichs, daß man die Landwirtschaft in Starkwährungsländern opfert.
Schlußwort: Meine Damen und Herren, damit das klar ist: Wir wollen beim Strukturgesetz helfen. Wir wollen konstruktiv helfen ohne Fristeinrede. Das werden wir durchhalten. Aber wir sagen: Wir wollen unter Politik für den ländlichen Raum verstehen, die Vielfalt der bäuerlichen Struktur zu erhalten, und
nicht Förderobergrenzen, die alle segnen und niemandem helfen. Letzteres dürfen wir nicht wollen, wenn wir das, was alle Parteien sagen, durchführen wollen. Wir sagen: Gesellschaftlich wollen wir die bäuerliche Struktur.
({3})
Dann muß man uns an unseren Äußerungen messen. Dann werden wir erfreut sein, wenn das Strukturgesetz in die Diskussion geht, und dann müssen Sie einmal beweisen, daß Ihre Förderobergrenzen für die bäuerliche Struktur optimal sind. Ich freue mich auf die Beratung, und ich hoffe, wir kommen zu einem Ergebnis, das wirklich diejenigen rettet, die wir für die Gesellschaft so bitter notwendig brauchen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß gar nicht, warum hier soviel Aufregung herrscht und soviel Stimmaufwand betrieben wird. Wir diskutieren hier ganz nüchtern über Fakten und Tatsachen.
({0})
Ich möchte ein paar Vorbemerkungen machen, allerdings in gebotener Kürze.
Herr Abgeordneter Diller, wir haben uns schon im Ausschuß über das Märchen unterhalten, das Sie da wieder aufgetischt haben, indem Sie die Aufzählung aufgewendeter Mittel durch das Finanzministerium schlicht und einfach als Subventionen bezeichnen und auf Personen aufteilen. Wenn Sie seriös genommen werden wollen, dürfen Sie es so nicht machen. Da Sie es nun im Plenum wieder machen, bitte ich Sie, wenigstens beim nächstenmal etwas vorsichtiger zu argumentieren.
({1})
Ich möchte noch ein zweites zu Ihnen sagen. Ich finde es nicht fair, ich finde es aber auch nicht gut, daß Sie sich hier hinstellen und sagen, der Minister tue nichts für kleinere Beamte oder Leute, dagegen aber für die Top-Verdiener, und daß Sie von Verdoppelung der Zahl der Staatssekretäre - sowohl der beamteten als auch der politischen - reden. Außerdem ist das kein aktuelles Thema. Zwei politische Staatssekretäre gibt es seit dem Jahr 1983. Damals hätten Sie es kritisieren können. Dafür gibt es eine politische Entscheidung. Ein zweiter beamteter Staatssekretär ist auf meinen Vorschlag vom Bundeskanzler und vom Finanzminister und vom Kabinett bewilligt worden, weil wir die Menge an Arbeit insbesondere im Bereich Europa einschließlich GATT-Verhandlungen und vieler anderer Dinge allein so nicht mehr zu bewältigen in der Lage waren. Man kann das ja kritisieren, wenn man will, aber man sollte das nicht mit Polemik tun.
Zu Ihnen, Frau Flinner, kann ich nur sagen: Wenn Sie die Rede selbst gemacht haben,
({2})
dann müssen Sie sich gewandelt haben. Wenn Sie sie nicht selbst verfaßt haben, dann haben Sie fremde Polemik verkündet.
({3})
Ich muß Ihnen folgendes sagen: Wenn Sie hier behaupten, die meisten Mittel würden für die Industrie und die Großen ausgegeben, dann stimmt das nicht. Ich werde es Ihnen nachher auch noch beweisen.
Daß Sie das Wort „Etikettenschwindel" verwenden,
({4})
bleibt Ihnen natürlich unbenommen. Aber ich finde es nicht gut, weil es nicht stimmt.
({5})
Es stimmt jedoch, daß wir mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen den Strukturwandel, den niemand verhindern kann und der auch auf der freien Entscheidung der Bauern selbst beruht,
({6})
sozial abfedern. - Sie mögen das ja nicht für richtig halten, aber ich sage Ihnen: Das ist unsere politische Absicht. Daß sie angenommen wird, ersehen wir ja aus der Akzeptanz dieser Maßnahmen. Ich meine, gerade Sie sollten, wenn Sie solche Dinge beurteilen, etwas vorsichtiger sein; denn diese Maßnahmen dienen dem Ziel, auch diejenigen zu honorieren, die weniger produzieren, und nicht nur, wie Sie früher gelegentlich zu Recht angemerkt haben, dem Ziel, durch ein Mehr an Produktion sozusagen auch zu einem Mehr an Partizipation an den Subventionen, die aus Brüssel kommen, zu gelangen. Wir haben hier nun einen anderen Weg beschritten.
Herr Oostergetelo, Sie haben gesagt: 73 Betriebe pro Tag. Ich habe es nachgerechnet. Es sind nicht ganz so viele, aber im Jahre 1974 waren es 109 pro Tag, im Jahre 1979 waren es 92 pro Tag. Wir könnten ständig solche läppischen Rechnungen gegenseitig aufmachen. Ich halte das für nicht gut.
Die Frage von Herrn Gallus haben Sie nicht beantwortet. Ich bedaure das,
({7})
weil er ja eine ganz sachliche Frage unter Zugrundelegung von Zahlen gestellt hat. Wahrscheinlich haben Sie sich mit Ihren Behauptungen leichter getan.
Was die Handelbarkeit von Milchquoten betrifft, so gibt es das ja auch jetzt auf der Basis von Flächen. Auch hier ist es so, daß derjenige, der am meisten für solche Pachten ausgibt, die Flächen bekommt. Da änBundesminister Kiechle
dert sich mit einer erleichterten Handelbarkeit, was die Fläche betrifft, künftig fast nichts.
({8})
Im übrigen muß ich sagen: Dieser Entwurf des Agrarhaushalts, meine Damen und Herren, wird ein deutliches Zeichen der Solidarität mit unserer Landwirtschaft und der Ermutigung für unsere Bauern setzen. Das ist in dieser Zeit auch ganz wichtig; denn wir wissen ja, daß die Landwirtschaft es schwer hat, daß sie eine schwierige Phase durchmacht, daß die Einkommensentwicklung zu wünschen übrig läßt und daß die öffentliche Meinung auch vielfältige Kritik an der Landwirtschaft und ihren Produktionsweisen übt. Sie wird leider oft durch eher verzerrende und hysterische Berichterstattungen mancher Medien und wenig qualifizierte Aussagen von Pseudo-Wissenschaftlern und vermeintlichen Oko-Politikern angestachelt.
Die heutigen Schwierigkeiten sind ja auch nicht unerwartet gekommen, meine Damen und Herren. Sie sind vielmehr Folge einer jahrelangen unbegrenzten und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht immer berücksichtigenden Steigerung der Agrarproduktion auf Grund falscher agrarpolitischer Signale in der gesamten Europäischen Gemeinschaft in der vergangenen Zeit. Es ist mittlerweile eine Binsenwahrheit: Die beste Preis- und Einkommenspolitik für Landwirte ist und bleibt die Ordnung der Märkte, d. h. die Ausrichtung der Produktion an der absetzbaren Menge. Die Milch ist ja ein gutes Beispiel für die Wiederherstellung des Marktgleichgewichts und auch für eine positive Erzeugerpreisentwicklung. Immerhin hat der Landwirt im Oktober 1988 im Vergleich zum Oktober des Vorjahres einen im Bundesdurchschnitt um 5 % höheren Milchpreis erhalten. Auch einige Gegner - sogar die meisten - der Garantiemengenregelung sind heute verstummt. Wer noch immer kritisiert, hält sich halt mit Randerscheinungen und Anlaufschwierigkeiten auf.
Es ist jetzt gelungen, nach der Milch auch bei der pflanzlichen Erzeugung ein EG-weites Konzept der Produktionsbegrenzung in der EG einzuführen. Zu dem Konzept, das von der Bundesregierung entscheidend mitgestaltet wurde und das einseitig belastende Maßnahmen für die Bauern abwehren soll, gehören die Einführung von sogenannten Haushaltsstabilisatoren - sie sind das Ergebnis eines mühsamen Kompromisses - , die freiwillige Teilflächenstillegung, die Extensivierung und die Umstellung der Produktion, all dies gegen Einkommensausgleich. Dazu gehört auch die Förderung der freiwilligen Einstellung landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit. Dies ist keine Förderung des Bauernsterbens,
({9})
wie Frau Flinner hier wieder gegen jegliche Wahrheit verkündet, sondern es ist eine soziale Flankierung für Leute, die ohnehin aus der Produktion ausscheiden wollen.
Meine Damen und Herren, diese Maßnahmen sind in den übrigen EG-Ländern angelaufen. Sie sind auch bei uns angelaufen. Die Produktionsaufgaberente für ältere Landwirte ist nach den EG-Beschlüssen nicht zwangsläufig gewesen; trotzdem haben wir sie gemacht. Das Gesetz befindet sich jetzt in der parlamentarischen Beratung.
Wir wissen, daß in vielen Betrieben zur Zeit die Hofnachfolge nicht gesichert ist, und daß die jungen Leute fragen wie es weitergehen soll. Denn wie andere Berufsgruppen auch, wollen unsere Bauern nicht von der Hand in den Mund leben, sondern Anerkennung für ihre Arbeit finden. Zu ihrer Arbeit gehört auch, Natur und Landschaft zu erhalten und zu pflegen.
({10})
Was der Ausspruch soll, wir wollen keine Landschaftspfleger sein, das müßte man mir erst erklären, es ist eine ganz vornehme Aufgabe der Landwirtschaft, dies zu tun.
({11})
Allerdings müssen wir sagen: Der Staat kann nicht alles regeln. Er kann aber wirtschaftliche Eckdaten und Rahmenbedingungen setzen, er kann Umstellungsprozesse erleichtern, soziale Sicherheit gewährleisten, strukturelle Dauernachteile bei der Bewirtschaftung bestimmter Regionen auffangen, Marktordnungen aufrechterhalten und damit klare Signale für die Zukunft setzen. Darauf ist der Einzelplan 10 für das nächste Haushaltsjahr abgestellt.
Die Zahlen sind hier genannt worden. Es handelt sich immerhin um eine Steigerung von gut 900 Millionen DM oder um über 10 %. Dies sind die Fakten und Taten. Die ganzen schönen, netten Sonntagsreden oder gar Reden, mit denen man Aufwiegelung der Leute betreibt, nützen hier gar nichts.
Im Zentrum des Einzelplans steht weiterhin die landwirtschaftliche Sozialpolitik mit mittlerweile über 5 Milliarden DM. Ich muß daher hinzufügen, Agrarpolitik hat nicht nur die Aufgabe, durch geeignete Maßnahmen für die Stabilisierung der Märkte und angemessene Einkommen in der Landwirtschaft zu sorgen oder den Strukturwandel in sozial vertretbarem Rahmen ablaufen zu lassen. Agrarpolitik hat auch die Aufgabe, den ländlichen Raum als Ganzes zu sehen und zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage beizutragen. Hier ist Vorbeugen besser als Heilen. Der notwendige Schutz dieser natürlichen Lebensgrundlagen verlangt, die Hilfen für die Landwirtschaft stärker flächen- und betriebsbezogen auszurichten. Diesem Ziel dient in beispielhafter Weise die Ausgleichszulage für Betriebe in benachteiligten Gebieten. Wir haben die Bundesmittel für diese Maßnahmen in vier bzw. fünf Jahren von 64 auf 445 Millionen DM aufgestockt. Wir haben die ausgleichszulagenberechtigten Flächen von 1,4 auf 6 Millionen ha ausgeweitet.
Derselbe flächen- und betriebsbezogene agrarpolitische Ansatz kommt auch im Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft zum Ausdruck, mit
dem von 1989 bis 1992 jährlich über eine Milliarde DM und damit insgesamt 4 Milliarden DM an Bundes-und Landesmitteln den Bauern direkt zur Verfügung gestellt werden sollen. Dabei wollen wir bekanntlich übergroße und weniger an den Boden gebundene Tierhaltungen vom flächenbezogenen soziostrukturellen Einkommensausgleich ausschließen.
Wer daran kritisiert, muß wissen, in welcher Form er das tut und bessere Vorschläge machen.
Der Entwurf stößt - ich weiß das - auf vielfache Zustimmung, aber er stößt eben auch auf Widerspruch. Die Kritiker des Gesetzentwurfs sollten zur Kenntnis nehmen, daß man sich vieles wünschen und über vieles diskutieren kann, daß aber in einer parlamentarischen Demokratie letztlich nach Abwägung der unterschiedlichen Interessen - die gibt es auch; da kann man nicht nur einen bestimmten Standpunkt einer bestimmten Region oder eines Landkreises gelten lassen - entschieden werden muß. Hier sind Taten gefragt und nicht schöne Sonntagsreden zum bäuerlichen Familienbetrieb. Wir haben gehandelt und dabei besonders Länderüberlegungen, aber auch Vorstellungen des Berufsstandes in unsere Überlegungen übernommen, die auf Bundesebene konsensfähig sind.
Wir haben mit der Flächenstillegung, dem Strukturgesetz und der Produktionsaufgaberente in diesem Jahr bereits drei große Vorhaben für unsere bäuerlichen Betriebe auf den Weg gebracht. Denen, die sich über diese Maßnahmen nur in Kritik ergehen können - auch was Obergrenzen und anderes anbetrifft -, möchte ich sagen: Bisher haben sie in dem Punkt gar nichts. Wenn wir nicht handeln würden, dann hätten sie auch weiterhin gar nichts. Da können Sie, Frau Flinner, mit Ihrem Antrag schöne Sonntagsreden halten; da geschieht auch gar nichts. Jetzt bekommen Sie wenigstens einmal eine Grenze.
({12})
Die politischen und finanziellen Anstrengungen zur Verwirklichung waren übrigens auf allen Ebenen - in der Europäischen Gemeinschaft und in der Bundesrepublik - ungewöhnlich hoch. Wir haben alle schon oft erfahren, meine Damen und Herren: Wer nur zuschaut, dem ist natürlich keine Arbeit zu schwer, der weiß auch alles besser und kann sich auch vieles wünschen. Nur, mit Wunschbildern können wir unseren Bauern überhaupt nicht mehr helfen.
({13})
Deshalb haben wir in dieser Richtung einmal klare Daten und damit Zielvorgaben und auch Signale gesetzt.
({14})
Unsere Bauern sollen wieder Mut fassen können. Das ist meine Meinung. Wir geben ihnen mit dem Einzelplan 10 des Bundeshaushalts die aus unserer Sicht mögliche und auch notwendige Unterstützung für die zukünftige Ausrichtung ihrer Betriebe. Wenn auf der
einen Seite, möglicherweise auf derselben Versammlung, der eine klagt und brüllt und schreit und jammert „Bauernsterben" und dann ein anderer kommt und sagt: wir brauchen eine Wachstumschance, dann ist eben zwischen den beiden extremen Polen die Regierung gezwungen, etwas an Substantiellem aufzubieten. Auch da liegt die Wahrheit in der Mitte und nicht bei Ihrem extremen polemischen Standpunkt.
({15})
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen des Parlaments und des Haushaltsausschusses, möchte ich Ihnen danken,
({16})
daß Sie trotz mancher unterschiedlicher Standpunkte zum guten Gelingen der Beratungen beigetragen haben.
({17})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache und bedarf wieder Ihrer ausgesprochenen Aufmerksamkeit, damit wir das jetzt folgende Abstimmungsverfahren in ordentlicher Weise zu Ende kriegen.
Wir kommen zuerst zu einigen offenen Abstimmungen über Änderungsanträge, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich nach der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufen werde.
Wer für den Änderungsantrag Drucksache 11/3351 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wer für den Änderungsantrag Drucksache 11/3352 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist mit der gleichen Mehrheit wie davor abgelehnt worden.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3353 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die gleiche Mehrheit, mit der die anderen Änderungsanträge abgelehnt worden sind. Das führt zur Ablehnung.
Jetzt unterbreche ich die Beratungen zu Einzelplan 10 und rufe erneut Einzelplan 30 auf, zu dem wir zunächst einmal hören müssen, wie in der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3416 entschieden worden ist. Das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis lautet:
Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 426 ihre Stimme abgegeben. Es war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 169 gestimmt, mit Nein 242. Es hat 15 Enthaltungen gegeben. Von den Stimmen der 19 Berliner Abgeordneten, die abgestimmt haben, war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 6 gestimmt, 12 mit Nein. Es hat eine Enthaltung gegeben.
Vizepräsident Westphal
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 425 und 19 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 169 und 6 Berliner Abgeordnete
nein: 241 und 12 Berliner Abgeordnete
enthalten: 15 und 1 Berliner Abgeordneter
Ja
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt
Brück
Büchler ({3}) Büchner ({4}) Dr. von Billow
Frau Bulmahn Catenhusen
Frau Conrad Daubertshäuser Diller
Dr. Ehmke ({5}) Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer ({6}) Frau Fuchs ({7}) Frau Fuchs ({8}) Gansel
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Haack ({9}) Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn
Hiller ({10})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger
Jahn ({11}) Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner Kißlinger
Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lohmann ({12})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Müller ({13}) Müller ({14}) Müller ({15}) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({16}) Dr. Pick
Porzner
Poß
Reuter
Rixe
Schäfer ({17}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({18}) Schmidt ({19})
Dr. Schmude Schreiner
Schröer ({20}) Schütz
Seidenthal Sielaff
Sieler ({21})
Singer
Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Frau Steinhauer
Dr. Struck Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Voigt ({22})
Waltemathe Walther
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({23}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({24}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({25})
Dr. de With
Wittich
Würtz
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Heimann
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels ({26}) Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Hoss
Kleinert ({27})
Dr. Knabe
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({28}) Dr. Mechtersheimer Frau Rust
Frau Schoppe Frau Teubner Frau Unruh Frau Vennegerts
Frau Dr. Vollmer
Weiss ({29})
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Berliner Abgeordnete Sellin
Fraktionslos
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann
Bauer
Bayha
Dr. Becker ({30}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({31}) Börnsen ({32})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Bühler ({33}) Carstens ({34}) Carstensen ({35}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({36}) Daweke
Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({37})
Francke ({38})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Funk ({39})
Ganz ({40})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({41})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({42})
Hauser ({43})
Hedrich
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoff acker
Frau Hoffmann ({44})
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Graf Huyn
Jäger
Dr. Jahn ({45})
Dr. Jobst
Jung ({46})
Jung ({47})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Klein ({48})
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Dr. Kronenberg
Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs Lenzer Frau Limbach
Link ({49})
Link ({50})
Linsmeier
Lintner
Louven
Lowack
Vizepräsident Westphal
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({51})
Nelle
Neumann ({52}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Regenspurger Repnik
Frau Rönsch ({53}) Frau Roitzsch ({54}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({55}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({56})
Sauer ({57})
Sauter ({58})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken
Schmidbauer Schmitz ({59})
von Schmude
Dr. Schneider ({60}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({61}) Schulhoff
Dr. Schulte ({62}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({63})
Vogt ({64})
Dr. Voigt ({65})
Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({66}) Werner ({67})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({68})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Buschbom Feilcke
Kalisch
Kittelmann Lummer
Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig Schulze ({69})
Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({70}) Eimer ({71})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({72})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Neuhausen
Nolting
Paintner Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({73})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({74}) Wolfgramm ({75}) Frau Würfel
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Enthalten
SPD
Dr. Ehrenberg Dr. Gautier
Niggemeier
Rappe ({76}) Stahl ({77})
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Frau Beer
Ebermann
Hüser
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Schmidt-Bott Stratmann
Volmer
Berliner Abgeordnete Frau Olms
Der Antrag ist damit abgelehnt.
Wir kommen nun zur Schlußabstimmung, die eine offene Abstimmung ist, über den Einzelplan 30 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie - in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Nun kehren wir zurück zu Einzelplan 10 - Geschäftsb ereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - und kommen dazu zunächst - ich erkläre das erst einmal - zu einer namentlichen Abstimmung. Wir werden dann in den Beratungen mit einem nächsten Einzelplan fortfahren und die Endabstimmung wiederum bei Ende der Beratungen des nächsten Einzelplans durchführen. So haben wir es eben schon gemacht; ich glaube, das hat ganz gut funktioniert.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3433. Die Fraktion der GRÜNEN hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Gibt es Abgeordnete, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, das aber bis jetzt noch nicht getan haben? - Befinden sich im äußeren Raum noch Kollegen, die an der Abstimmung noch nicht teilgenommen haben, dies aber noch zu tun wünschen? Dann sollten sie das jetzt tun.
Ich kann jetzt die Abstimmung schließen. Sie ist geschlossen.*)
Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 11/3223, 11/3231 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Scheu Diller
Frau Seiler-Albring Frau Rust
*) Vorläufiges Ergebnis Seite 7655 C
Vizepräsident Westphal
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/3375 bis 11/3378, 11/3417, 11/3431 und 11/3432 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann können wir die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Diller.
({78})
- Darf ich um ein bißchen Aufmerksamkeit an und auf der Regierungsbank bitten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Welche Begriffe fallen Ihnen eigentlich ein, wenn Sie an Herrn Bundesminister Möllemann und seine Arbeit denken?
({0})
Beständigkeit? Sicher nicht. Denn beständig ist an ihm höchstens die Neigung, Sprechblasen zu allen möglichen Feldern der Politik aufsteigen zu lassen, denen man nachguckt, bis sie zerplatzen.
Erfolgreiches Wirken als Minister? Nein. Das Jahr über war er öfter als Promotor eines Kandidaten für den Bundesvorsitz der FDP denn als Minister mit bildungspolitischen Konzepten im Gespräch.
({1})
Erfolgreich im Ausbau des Bildungswesens? Nein. Denn Bildungspolitik wird bei dieser Regierung vom Finanzminister miterledigt, d. h. zusammengestrichen. Zur Erinnerung: Als Sozialdemokraten dieses Ministerium führten, war der Bildungshaushalt ein Haushalt, der den Jugendlichen Zukunftschancen eröffnete, der Chancengleichheit herstellte, der unserem Land einen Spitzenplatz in der schulischen, der beruflichen und der wissenschaftlichen Ausbildung und Bildung sicherte.
Ich nenne dazu beispielhaft die großen Leistungen, die wir mit der Schaffung des BAföG und dem Ausbau bzw. der Neugründung vieler Hochschulen und Universitäten in den 70er Jahren erbrachten.
Was ist unter dieser Regierung daraus geworden? Das BAföG zerstörte sie in seinen Grundstrukturen; die damit verbundenen finanziellen Leistungen wurden um fast die Hälfte gekürzt. Der angerichtete Schaden von 1 Milliarde DM ist so groß, daß man ihn nicht in einem Schritt heilen kann. Ein Erfolg wäre es schon, wenn es wenigstens gelänge, die ständig steigenden Einnahmen im BAföG-Bereich - im wesentlichen Tilgungsleistungen ehemaliger Studenten - zweckgebunden zu einem Neuaufbau des BAföG zu verwenden.
({2})
Seit wenigen Wochen liegen das Ergebnis einer Anhörung sowie der Beiratsbericht vor. Wir fordern Sie auf, Herr Minister, daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen und in den Chef-Gesprächen mit dem Finanzminister endlich einmal Härte zu zeigen und nicht wieder sogleich zu kuschen.
Was ist aus dem Hochschulbauprogramm geworden? Auch dieses ist unter den Beschuß des Finanzministers geraten, der es am liebsten Jahr für Jahr drastisch kürzen würde. Unser Antrag, den Forderungen aus dem Bundesrat zu entsprechen und 200 Millionen DM zur Förderung des Hochschulbaus zusätzlich bereitzustellen, wurde von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wie notwendig die Beträge wären, zeigt der Run der Jugendlichen auf Studienplätze an den Hochschulen. Meine Kollegin, Frau Odendahl, wird auf dieses Problem noch besonders eingehen.
In der ersten Lesung verwies der Minister darauf, daß die Mittel für den Bau überbetrieblicher Ausbildungsstätten deutlich aufgestockt wurden. Dies ist richtig und wird von uns anerkannt. Nur, Herr Minister Möllemann: Erklären Sie bitte einmal dem Parlament, warum Sie beim letzten Haushaltsplanentwurf das genaue Gegenteil machten und die Mittel für überbetriebliche Ausbildungsstätten drastisch zusammenstreichen ließen.
({3})
Kommt auch da Ihre Sprunghaftigkeit zum Ausdruck? Oder haben Sie die nachträgliche Aufstockung der Mittel durch uns Berichterstatter und den Haushaltsausschuß und unsere vor einem Jahr vorgetragene Begründung so beeindruckt, daß Sie diesmal selbst die richtigen Akzente setzten?
Uns und das Handwerk jedenfalls freut die Aufstokkung, wird doch damit die Ausbildungsfähigkeit des Handwerks in weiten ländlichen Regionen gesichert und damit den Jugendlichen, die dort leben, eine wohnortnahe Zukunftsperspektive eröffnet.
({4})
Nicht einverstanden sind wir mit den von Ihnen vorgesehenen Begrenzungen der noch zu schaffenden überbetrieblichen Ausbildungsplätze und der Verschlechterung der Förderungsbedingungen für die Träger.
({5})
Mit dem Handwerk empfinden wir es als schändlich, daß auf Betreiben der FDP, Ihrer Freunde im Haushaltsausschuß, der vorgesehene Betrag gekürzt werden soll, weil er eine Subvention sei. Noch ist es nur eine Empfehlung des Haushaltsausschusses. Wehren Sie sich dagegen! Zeigen Sie Rückgrat, Herr Minister!
({6})
Ein Schwerpunkt der SPD-Anträge war die Förderung der Frauen. Unser Antrag, statt Millionen für Propagandaschriften lieber 1 Million DM auszugeben, damit Hilfen angeboten werden, die Frauen den Übergang ins Berufsleben erleichtern, wurde abgelehnt.
Abgelehnt wurde unser Antrag, Vollzeitausbildungsplätze gezielt für Mädchen und junge Frauen zu schaffen,
({7})
die, aus welchen Gründen auch immer, noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, aber gern einen hätten.
Abgelehnt wurde unser Antrag, auf fünf Jahre befristet 100 Stellen für Nachwuchswissenschaftlerinnen im sogenannten Post-Doc-Programm zu schaffen. In diesen Ablehnungen zeigt sich eben, was CDU, CSU und FDP für die Förderung der Frauen tun wollen: herzlich wenig bis nichts!
({8})
Beklagen müssen wir, daß an der Christlich-Demokratischen Union - ich betone hier, Herr Kollege Scheu, das Wort „christlich" ({9})
erneut unser Antrag scheiterte, einen Fonds zu schaffen, aus dem Hilfen für unverschuldet in Not geratene Studenten gewährt werden können. Mein Eindruck ist, daß die FDP eigentlich will, sich aber nicht traut, einmal mit wechselnder Mehrheit abzustimmen, auch wenn es wenig Geld kostet und sachlich sehr geboten ist.
({10})
Wann, Herr Kollege Scheu, werden Sie Ihrem Herzen einen Stoß geben?
({11})
Abschließend ist noch ein besonderer Erfolg des Ministers zu vermerken. Den Berichterstatterunterlagen mußte ich entnehmen, daß er im Haushaltsvollzug nicht nur - wie die CSU schon letztes Jahr kritisierte - die Parteifarben der FDP zu den offiziellen Farben der Drucksachen seines Ministeriums machte
({12})
- das hat letztes Jahr schon den Kollegen Scheu mächtig aufgeregt - , sondern in letzter Zeit auch - das haben wir jetzt entdeckt - die FDP-nahen Hochschulgruppen und Studentenvereinigungen mit außergewöhnlichen Steigerungsraten massiv zu Lasten der übrigen förderte.
({13})
Ich habe dies im Berichterstatter-Gespräch gerügt und nicht nur - siehe Antrag der GRÜNEN - bei Frau Rust, sondern auch beim Kollegen Scheu von der CSU Verwunderung, ja, Empörung über das Handeln des Ministers feststellen können. Ich hoffe, daß sich solche parteipolitischen Machenschaften im Haushaltsvollzug 1989 nicht wiederholen. Mit Blick auf den Antrag der GRÜNEN meine ich, daß genug Geld da ist, es muß nur gerecht verteilt werden.
Herr Minister, es genügt überhaupt nicht, wenn Sie - wie in den letzten Wochen geschehen - auf die Stellen im Bildungswesen, an denen es brennt, mit großem öffentlichen Tatütata aufmerksam machen. Eine Feuerwehr muß löschen können und nicht nur Alarm schlagen, Herr Minister.
({14})
Damit Sie wenigstens den größten Brandherd bekämpfen können, erbitten wir die Zustimmung des
Parlaments zu unserem Antrag, ein Sonderprogramm zur Entlastung der Hochschulen von jährlich 150 Millionen DM für die Jahre bis 1995 zu bewilligen. Den ähnlich klingenden Antrag der GRÜNEN mußten wir leider schon im Haushaltsausschuß aus verfassungsrechtlichen Gründen ablehnen.
Den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3376 lehnen wir unter Hinweis auf § 17 der Bundeshaushaltsordnung ab. Man kann - ich habe das vorhin schon bei einem anderen Einzelplan unterstrichen - nicht durch Erläuterungen im Haushaltsplan notwendige Gesetzeskorrekturen ersetzen. Ihrem Antrag auf Drucksache 11/3431 werden wir aber zustimmen.
Den Haushaltsplan des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft müssen wir auch dieses Jahr ablehnen, weil er unsere Jugend nicht in dem notwendigen Umfang und nicht in gerechter Weise fördert.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Scheu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Karl, Empörung und Verwunderung waren geteilt. Ich war bei den Stellen, die du angesprochen hast, zwar verwundert, aber nicht empört.
Ohne Qualifikation keine Erneuerung. Dieser knappe Satz faßt die Bedeutung von Aus- und Weiterbildung im Rahmen einer zukunftssichernden Gesamtpolitik prägnant zusammen. Technische Erneuerungen und notwendige Strukturveränderungen stoßen vorwiegend dort auf Akzeptanzprobleme, wo es an Wissen und Können fehlt. Qualifikationsdefizite erweisen sich als Fortschrittsbremsen. Mit dem Vorsitzenden der IG Chemie, Papier, Keramik, Hermann Rappe, kann man es auch so sagen: „Einsicht und Fähigkeit zum Konsens setzen Bildung und Ausbildung voraus. " Bildungspolitik behält daher einen erstrangigen Stellenwert. Investitionen in Bildung und Wissenschaft und berufliche Weiterbildung sind Investitionen in unsere Zukunft.
Der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft für das Jahr 1989 setzt deutlich Akzente, daß die Koalition bildungspolitischen Aufgaben Vordringlichkeit beimißt.
({0})
Die Investitionen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau werden gegenüber der bisherigen Finanzplanung - ganz zu schweigen vom Vergleich mit dem Rückfall zu Ende der sozialistisch-liberalen Regierung - um mehr als 500 Millionen DM auf 1 Milliarde DM jährlich - durchgeschrieben bis 1992 - erhöht.
({1})
Auch wenn damit noch nicht allen dringlichen Anforderungen der kommenden Jahre entsprochen werden kann, unter finanzpolitisch nach wie vor angespannten Verhältnissen ist und bleibt das ein großer und beachtenswerter Schritt, den durchzusetzen erhebliche Anstrengungen gekostet hat.
Neben dieser Steigerung für den Hochschulbau sind nach jahrelangem gegenläufigem Trend auch die Mittel für die Forschungsförderung und für die Sonderprogramme beträchtlich erhöht worden. Viele andere Verbesserungen, z. B. bei der Förderung der Weiterbildungsbereitschaft gerade der Frauen, vervollständigen das Gesamtbild.
Aus- und Weiterbildung besitzen im Handwerk eine lange Tradition und einen hohen Stellenwert. Die Betriebe des Handwerks haben in den vergangenen Jahren durch quantitative und qualitative Anstrengungen einen großen Beitrag zur Sicherung der beruflichen Zukunft unserer Jugend geleistet. Der Dreiklang Lehrling-Geselle-Meister verdeutlicht die enge Verbindung des Handwerks mit der beruflichen Weiterbildung. Die dritte industrielle Revolution mit der immer rascheren Einführung neuer Technologien stellt auch das Handwerk vor neue Herausforderungen. Die überbetrieblichen Beruf sbildungszentren sollen die Eigenversorgung mit qualifiziertem Fachkräftenachwuchs aufrechterhalten. Für ihre Förderung und investive Ausstattung mit modernen Technologien sind nun, nachdem wir noch im Vorjahr große Sorgen hatten, im Haushalt 1989 und für die Folgejahre rund 300 Millionen DM Bundesmittel eingesetzt, und es ist eine Förderungskonzeption vorgelegt worden.
({2})
Damit verbucht das Handwerk bei den OAS-Mitteln den proportional größten Zugewinn im Einzelplan 31, wovon auch ein sogenannter Subventionsabbau von 6,2 Millionen DM praktisch keinen Abstrich bedeuten könnte, da die für 1989 angesetzten 124 Millionen DM ohnehin kaum hätten restlos ausgegeben werden können. Für 1990 sehen wir weiter, ob ein Subventionsabbau ausgerechnet beim mittelständischen Handwerk zu empfehlen ist.
Natürlich hat die staatliche Weiterbildungspolitik die Aufgabe, die Eigenverantwortung der Betriebe, Träger und Beschäftigten zu stärken.
({3})
Begrenzte staatliche Unterstützungspflichten für den Ausbau überbetrieblicher Bildungsstätten im Handwerk zu Weiterbildungs- und Technologiezentren ergeben sich aber daraus, daß es hier gilt, größenbedingte Wettbewerbsnachteile für kleinere und mittlere Betriebe zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, noch vor wenigen Jahren prognostizierte die Kultusministerkonferenz in der Dokumentation Nr. 86 den Höhepunkt der Zahl der Studienanfänger auf die Jahre 1986/87. Gleichzeitig nahm man an, die durchschnittliche Verweildauer für die Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen würde sich von 12 auf 11 Semester verkürzen. Noch 1987 wollte mancher nicht ausschließen, daß auf Grund sinkender Studentenzahlen ab Mitte der 90er Jahre sogar notfalls Hochschulen geschlossen werden müßten.
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Eingetreten ist das Gegenteil. Das verwundert den nicht, für den die Richtigkeit des Satzes feststeht, daß Planung oftmals der Ersatz des Zufalls durch den Irrtum ist. Die durchschnittliche akademische Studienzeit beträgt derzeit 14 Semester, und für 1988 wird mit einem neuen Rekord bis zu 250 000 Erstimmatrikulierten gerechnet, wobei auch wieder optimistische Berufserwartungen eine erhebliche Rolle spielen.
Vielleicht gibt Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, das einmal Anlaß, diese Entwicklung daraufhin zu überprüfen, ob manche Argumente hinsichtlich der furchtbaren Folgen eines angeblichen BAföGKahlschlags noch tragen.
Mit über 92 000 hat die absolute Zahl der weiblichen Studienanfänger 1987 im übrigen einen historischen Höchststand erreicht.
Die Konsequenzen aus dieser steigenden Bildungsbeteiligung werden in Gestalt eines befristeten Sonderprogramms für die besonders belasteten Fachrichtungen heftig diskutiert. Der Hauptengpaß liegt im Augenblick zweifelsfrei beim Lehrpersonal. Für diese Grundausstattung mit Personal sind verfassungsrechtlich ausschließlich die Bundesländer berufen. Der Bund hat keinerlei Finanzkompetenz.
({5})
Dabei sollte man strikt bleiben. Der Gedanke mag verführerisch sein, möglicherweise sei das Geben von Geld für Lehrpersonal seitens des Bundes verfassungswidrig, die Annahme durch das Land aber in jedem Fall verfassungskonform.
({6})
Durch die Hintertür wäre aber doch mit der Aushöhlung der Bildungshoheit der Länder, einem Kernstück ihrer Eigenstaatlichkeit, begonnen. Es kann nach meiner Auffassung nicht Aufgabe des Bundes sein, dann in die Bresche zu springen, wenn Länderminister ihren verfassungsrechtlichen Obliegenheiten nicht gerecht werden und in einer Situation der Überlast sogar noch mit Stellenstreichungen im Hochschulbereich fortfahren. Bildungskompetenz bedeutet auch Bildungsverantwortung.
Der Bildungshaushalt hat in den kommenden Jahren ohnehin Mühe genug, seinen - Kollege Diller hat zu Recht darauf hingewiesen - eigenen bildungspolitischen Aufgaben, z. B. beim Hochschulbau und möglicherweise beim BAföG, nachzukommen.
({7})
Im übrigen, meine Damen und Herren, kann man nicht pauschal sagen, alle Länder bauten Hochschulstellen ab. Die bayerische Hochschulpolitik z. B. strengt sich an, neben den seit 1982 kontinuierlich gesteigerten und von 1982 bis 1988 verdoppelten Mitteln für den Hochschulbau auch die notwendige personelle Ausstattung an den Hochschulen verbessert bereitzustellen.
({8})
Im Doppelhaushalt 1985/1986 hatte der Freistaat Bayern bereits 617 neue Personalstellen ausgebracht.
({9})
Von 1987 bis 1990 sind bzw. werden insgesamt 1 881 neue Hochschulplanstellen zusätzlich geschaffen, wovon 916 Stellen auf die Universitäten ohne Miniken und die Fachhochschulen entfallen.
Die freistaatlichen Haushaltsansätze für die Bewältigung der Überlast zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten wurden seit 1981 von 17 Millionen bis 1987 auf rund 40 Millionen DM aufgestockt. Bis 1990 werden sie auf 44 Millionen DM erhöht.
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Auch damit sind die Probleme sicherlich nicht alle gelöst. Aber man sieht jedenfalls in Bayern ein ernsthaftes Bemühen, in der gegebenen Überlastlage ernsthafte und spürbare Anstrengungen zu unternehmen.
({11})
Nicht von ungefähr kommt es, daß in der Rangliste der „Wirtschaftswoche" von dieser Woche unter den ersten sechs vier bayerische Universitäten aufgeführt sind.
Entsprechende Bemühungen und finanziell gleichgewichtige Beteiligungen aller Bundesländer und auch der Länder, in denen Sie von der Sozialdemokratischen Partei Verantwortung tragen, müssen Voraussetzung bleiben, daß es im Rahmen der jeweiligen Verantwortlichkeiten zu einem kooperativen BundLänder-Überlastprogramm kommen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Diller?
Ja.
Bitte schön, Herr Diller.
Da Sie alles so relativieren, Herr Kollege, und auf die Länderzuständigkeit verweisen, frage ich: Bedeutet dies, daß bezüglich des Überlastprogramms der Bundesbildungsminister mit seinem Vorhaben bei der CDU/CSU-Fraktion auf Granit beißt?
Herr Kollege, ich werde auf diese Frage im weiteren Verlauf meiner Ausführungen noch eingehen.
Ich habe nur darauf hingewiesen, daß es nicht stimmt, daß alle Bundesländer mit der Kürzung von Personalstellen fortfahren, sondern daß es hier auch Ausnahmen gibt. Daß sich der Fortschritt auch in diesem Bereich in Bayern zeigt, mag Ihnen persönlich nicht angenehm sein, aber es ist die Wahrheit. Ich empfehle Ihnen etwas sozialistische Theorie der Erkenntniswissenschaft. „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen", sagt Deng Xiaoping. Das sollten auch wir gemeinsam tun.
({0})
Entsprechende Bemühungen - ich wiederhole es - und finanziell gleichgewichtige Beteiligungen aller Bundesländer müssen Voraussetzung dafür bleiben, daß es im Rahmen der jeweiligen Verantwortlichkeiten zu einem kooperativen Bund-LänderÜberlastprogramm kommen kann.
({1})
Die Situation erfordert eine Kraftanstrengung auf allen Seiten. Hierzu wünschen wir den anstehenden Verhandlungen den notwendigen Erfolg.
({2})
In diesem Zusammenhang müßte auch einmal im Detail geprüft werden, welche Schäden viele sogenannte Hochschulreformen der 70er Jahre angerichtet haben. Der Bundespräsident hat in seiner bemerkenswerten Rede anläßlich der Jubiläumsfeier der Universität Heidelberg vor zwei Jahren die Situation treffend gekennzeichnet, als er sagte - ich zitiere - :
Der eigentliche Gewinner im Kampf um Macht zwischen Lehrenden und Lernenden war die staatliche Verwaltung.
Unsere Universitäten wurden im Laufe der Zeit mit einer Flut von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen überschwemmt, die den ganzen Betrieb mit Tausend kleinen Fäden wie Gulliver domestizieren. Auch diese ,,Lähmung der Wissenschaft durch ein alles überziehendes Paragraphennetz" gilt es zurückzudrängen, wenn wir die personelle Leistungsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems sichern wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wetzel?
Wird es mir auf die Zeit angerechnet?
Ich stoppe noch einmal. Bitte schön.
Herr Kollege Scheu, ich habe mich sehr gefreut, von seiten eines Unionsvertreters zu hören, daß Sie ein kooperatives Bund-Länder-Überlastprogramm ins Auge fassen. Wie sehen die entsprechenden Haushaltsansätze dafür aus? Oder meinen Sie, daß ein derartiges Programm ohne finanzielle Beteiligung des Bundes in Gang zu setzen ist?
Ein kooperatives Bund-Länder-Überlastprogramm im Rahmen, Herr Wetzel, „im Rahmen ihrer jeweiligen Verantwortlichkeiten" - Sie kennen die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten - setzt voraus, daß einerseits der Bund in seinen Bereichen Mittel aufbringt, wenn er sie aufbringen kann,
({0})
und andererseits die Länder in den ihnen zustehenden Verantwortlichkeiten das ihre tun.
({1})
- Sollen wir das vorgestern machen, nachdem sie heute darauf gekommen sind, daß hier Probleme da sind?
({2})
Sagen Sie das bitte Ihren sozialdemokratischen Wissenschafts- und Finanzministern, daß sie mit der Politik der Stellenstreichungen aufhören sollen.
({3})
Es paßt doch wohl nicht zusammen, daß sozialdemokratisch geführte Länder auf der einen Seite Stellen streichen und dann zum Bundesfinanzminister und Bundesbildungsminister kommen und sagen: Du, Bund, finanzier das bitte. - So kann man Politik schließlich nicht machen.
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Herr Abgeordneter - Scheu ({0}): Herr Präsident, ich möchte zum Schluß kommen.
Meine Damen und Herren, um die Ausbringung der Leerstelle für den noch zu bestellenden Generalsekretär des Wissenschaftsrats im Einzelplan 31 ranken sich erhebliche Mißverständnisse, weswegen ich kurz darauf eingehen möchte. Uns haben jegliche Erwägungen hinsichtlich der Unabhängigkeit des Wissenschaftsrats vollkommen ferngelegen. Die Auswahl des Kandidaten steht weiterhin allein dem Wissenschaftsrat zu. Es gab vielmehr zunächst rein haushaltsrechtliche Einwände, die Versorgungslast, um die es ja in erster Linie geht, allein beim Bund anzusiedeln. Andererseits hätte das Präsidialamt auch wegen der von Länderseite initiierten besoldungsmäßigen Einstufung Probleme, im Falle des - bisher allerdings noch nie eingetretenen - Falles die Leerstelle verwendungsgerecht zu realisieren. Allein deshalb erfolgte die Ausweisung im Einzelplan 31. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft selbst hat stets die Präsidiallösung befürwortet.
({1})
Wir nehmen zur Kenntnis, daß BMI-Staatssekretär Dr. Anders bei der konstituierenden Sitzung des Wissenschaftsrats in Anwesenheit von Bundespräsident Professor Dr. Heuss am 6. Februar 1958 erklärt hatte, für den Leiter der Geschäftsstelle werde „im Stellenplan des Bundespräsidialamtes eine Planstelle der Besoldungsgruppe B 8 ausgebracht". Im Zuge der Beratungen des Bundeshaushalts 1990 werden wir eine Lösung herbeiführen, die den Überlegungen des Präsidialamtes und dem Anliegen des Wissenschaftsrates, seine Unabhängigkeit nicht tangiert zu sehen, Rechnung tragen wird.
({2})
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Einzelplan 31 für das Haushaltsjahr 1989 ist ein gutes Stück auf dem Weg der Zukunftsvorsorge vorausgegangen. Er setzt mit deutlich erhöhten Mittelansätzen klare Schwerpunkte für die Absicht der Koalition der Mitte, gute Rahmenbedingungen für Aus- und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung zu gewährleisten, und er verdient deshalb, meine Damen und Herren,
Ihre Zustimmung, um die ich Sie für meine Fraktion bitten darf.
Gleichzeitig bitte ich Sie um Ablehnung des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3417.
({3})
Auch dieser Antrag stellt in seiner Begründung auf die Bereitstellung „zusätzlichen Lehrpersonals" ab, wozu auch Art. 91b des Grundgesetzes dem Bund keine Befugnisse gibt.
({4})
Auch der Hinweis auf die Finanzierung durch freiwerdende Mittel im Verkehrshaushalt oder durch die Erdgassteuer - man kann da an vieles denken - erscheint mir wenig seriös.
Der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist, um es zu wiederholen, nicht Reservekasse für wissenschaftspolitisches Fehlverhalten von Länderwissenschafts- und -finanzministern, die ihre originäre Verantwortung gegenüber der studierenden Generation nicht oder nicht hinreichend erkennen können oder wollen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen die wichtigsten unserer Anträge für die zweite und dritte Lesung kurz vorstellen.
Mit 124 Millionen DM in diesem Haushalt wollen Sie, Herr Minister, die überbetrieblichen Ausbildungsstätten fördern. In Ihren öffentlichen Verlautbarungen soll dies vor allem dem Nachvollzug der technologischen Entwicklung in der Berufsausbildung des Handwerks zugute kommen. Tatsächlich aber geht aus einer prognostischen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung hervor, daß Lehrgänge mit neuen Technologien in drei Vierteln der überbetrieblichen Ausbildungsstätten von Industrie und Handel, und zwar vor allem in der Weiterbildung, und nur in knapp 50 % in denen des Handwerks stattfinden. Dies bestätigt unsere Einschätzung, daß es sich bei den Fördermitteln für überbetriebliche Ausbildungsstätten in erster Linie um eine bildungspolitisch verbrämte Subventionierung der Klein- und Mittelbetriebe und gar nicht so sehr des Handwerks handelt, deren Qualifikationsdefizite vor allem in der betrieblichen Weiterbildung für die betriebliche Anwendung neuer Technologien mit öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden sollen.
Im Unterschied zum freidemokratischen Koalitionspartner in der Bundesregierung haben wir GRÜNEN nichts gegen politisch sinnvoll begründete und mit entsprechenden Auflagen versehene Subventionierungen auch von Aktivitäten privatwirtschaftlicher Akteure.
In diesem Kontext sehen wir unseren Antrag zur Verwendung der für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten vorgesehenen Mittel. Wir wollen den Einbezug neuer Technologien in die Berufsbildung nur dann öffentlich fördern, wenn ein integratives Konzept ökologisch und sozial verantwortlicher Technikgestaltung vorliegt und die Lernorte gleichberechtigt miteinander kooperieren.
({0})
Ich habe dies in der Berufsbildungsdebatte Ende Oktober ausführlich begründet.
Im übrigen liegen wir mit unserem Vorschlag, Berufsschulen gleichberechtigt einzubeziehen, gar nicht so weit entfernt von den lobenden Worten, die Staatssekretär Schaumann jüngst für den Bildungsauftrag und die innovative Rolle der Berufsschulen fand.
({1}) Lassen Sie den Worten doch Taten folgen!
Herr Minister, wir wollen Sie beim Wort nehmen in Ihrem Anliegen, die Ausbildungs- und Berufschancen von Frauen zu verbessern. Wir begrüßen es, daß sich dies im Bildungshaushalt im Bereich der Weiterbildung und der Berufsbildungsforschung niederschlägt. Aber, wenn es Ihnen wirklich darum geht, das - ich zitiere Sie - „Hemmnis traditionellen Rollendenkens zu überwinden" , dann müssen Sie erstens früher ansetzen, nämlich während der Schulzeit, wo beides - berufliche Orientierung und Rollenverhalten - schon aufeinanderwirkt, und zweitens die Jungen mit einbeziehen; denn auch sie müssen sich ebenso frühzeitig mit ihrer künftigen Rolle in Beruf und Familie und Haushalt auseinandersetzen.
Es ist notwendig, diese Zielsetzung im Bereich der Bildungsforschung durch Modellvorhaben zu initiieren und als bildungspolitische Aufgabe zu verankern. Das ist Zweck unseres entsprechenden Änderungsantrags.
Zum Hochschulbereich. Die Debatte um die längst überfällige Reform der Ausbildungsförderung hat sich in der letzten Zeit vor allem durch das Gutachten des Beirats für Ausbildungsförderung in eine erfreuliche Richtung entwickelt. Insgesamt stellt der Beiratsbericht eine vernichtende Kritik des immer weiter ausgehöhlten Systems der Ausbildungsförderung dar. Selbst Sie, Herr Minister Möllemann, mußten kürzlich zugeben, daß an der Wiedereinführung des Zuschußanteils zum BAföG wohl kein Weg vorbeiführt.
Wir GRÜNEN legen in diesen Haushaltsberatungen einen Antrag vor, um die Mittel für das BAföG aufzustocken und um folgende Ziele zu erreichen: Wiedereinführung der Förderung für Schülerinnen und Schüler, Umstellung von Darlehen auf Zuschuß, Erhöhung der absoluten und relativen Freibeträge, Anpassung der Bedarfssätze an den tatsächlichen Bedarf und Verlängerung der Förderungshöchstdauer. Es wäre wünschenswert gewesen, Herr Minister, wenn Sie bereits jetzt einige der BAföG-Reformvorschläge aufgegriffen hätten, anstatt sie auf das Ende dieser Legislaturperiode zu verschieben.
({2})
Die völlige Überlastung unserer Hochschulen ist schon im Gespräch gewesen und in den letzten Wochen zum Gegenstand öffentlicher Debatte geworden; das mit Recht: Eine Rekordzahl von Studienanfängerinnen und -anfängern in diesem Wintersemester trifft auf Hochschulen, die zum großen Teil weder von der Personal- noch von der Sachmittel- und auch nicht von der Raumausstattung her in der Lage sind, diesen jungen Menschen eine qualifizierte wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen.
Während die Zahl der Studierenden in den letzten zehn Jahren von knapp 900 000 auf heute 1,5 Millionen gestiegen ist, ist wissenschaftliches Personal - ausgenommen in Kliniken - abgebaut worden. Die Folge ist Überlast. Das heißt konkret, den Hochschulen fehlt gegenwärtig wissenschaftliches Personal für die Betreuung von über 600 000 Studierenden. Das bedeutet, es fehlen ca. 40 000 bis 50 000 Stellen.
Die Folgen sind unzumutbare Lehr- und Lernbedingungen, ein Prüfungsstau, der die Studienzeit verlängert, fehlende Stellen für qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs, eine Ruinierung der Hochschulforschung. Inzwischen gibt es einen Kampf der Fächer untereinander, und jede Fakultät kämpft notfalls auf Kosten der anderen um ihr Überleben.
Angesichts dieser dramatischen Situation ist es unverantwortlich, wenn sich Bund und Länder weiterhin gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, wie in der Rede meines Vorredners deutlich geworden ist. Nur durch ein gemeinsam von Bund und Ländern aufgelegtes hochschulpolitisches Notprogramm kann eine Milderung der Überlastsituation erreicht werden.
({3})
Ein solches Notprogramm kann es kostenneutral, zum Nulltarif, nicht geben.
Die GRÜNEN haben ein Hochschulüberlastprogramm erarbeitet und stellen heute den Antrag, dieses Programm, mit dem binnen drei Jahre 9 000 zusätzliche Stellen für wissenschaftliches Personal geschaffen werden können, in den Bundeshaushalt einzustellen. Art. 91 b des Grundgesetzes ermöglicht es diesem Haus durchaus, diesem Antrag zuzustimmen.
({4})
Das positive Echo, das unsere Vorschläge für ein Überlastprogramm gefunden haben, Herr Möllemann, straft Ihre Behauptung Lügen, es handele sich um eine - ich zitiere Sie - „völlig verstiegene und auch dem Steuerzahler nicht zu vermittelnde Größenordnung". Völlig verstiegen, Herr Minister, ist es vielmehr zu glauben, daß durch Ihre Appelle an die Hochschulen, doch bitte die überfüllten Vorlesungen zu wiederholen - mit welchen Lehrkräften eigentlich? - oder die Bibliotheken etwas länger offenzuhalten - mit welchem Personal? -, das Überlasproblem ernsthaft angegangen werden kann. Ihr Vorschlag für ein Überlastprogramm, Herr Minister, mit der bescheidenen Summe von 150 Millionen DM pro Jahr von seiten des Bundes reicht keinesfalls aus, um
zu einer spürbaren Verbesserung an den Hochschulen zu kommen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Verlegung von Seminaren auf 6 Uhr morgens, das Anmieten von Sporthallen, auch die Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen wie im Fach BWL sind kostenneutrale Scheinlösungen auf dem Rücken der Studierenden und der Lehrenden.
Wir dagegen sagen: Nur ein finanziell ausreichendes, kurzfristig auf der Ebene der einzelnen Hochschulen und Fachbereiche wirksames Notprogramm kann die unzumutbare Lage an den Hochschulen wirksam verbessern. Deshalb bitten wir Sie um Unterstützung unseres Antrags bei der gleich folgenden namentlichen Abstimmung.
Auch den heute vorgelegten SPD-Antrag für ein Sonderprogramm zur Entlastung der Hochschulen halten wir GRÜNEN für unzureichend, weil er über den Möllemann-Vorschlag nicht hinausgeht. Trotzdem wird unsere Fraktion diesem Vorschlag zustimmen. Wenn sich die FDP-Fraktion an ihre Parteitagsbeschlußlage hält,
({6})
könnte es heute vielleicht zu einer Mehrheit zumindest für den Einstieg in ein Hochschulhilfsprogramm kommen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß ganz schnell sprechen, weil ich nur fünf Minuten zur Verfügung habe.
Herr Kollege Diller, ich habe ja sehr großes Verständnis dafür - wenn man zu so vielen Themen sprechen muß - , daß man dann in diesem speziellen Gebiet die Zuflucht entweder in die besonnte Vergangenheit - der übrigens nicht sozialistisch-liberalen Koalition, Herr Scheu, wie ich mit Verwunderung, aber nicht mit Empörung zur Kenntnis genommen habe - sucht
({0})
oder aber sich in völlig schiefe Bilder flüchtet: Herrn Möllemann mit dem Begriff „kuschen" in Verbindung zu bringen, ist nun wirklich abwegig.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, hier bestätigt sich wieder ein Satz nicht von Demokrit, Herr Kuhlwein, sondern von Heraklit. Er sagte einmal: Die Wachenden haben eine einzige und gemeinsame Welt, doch im Schlummer wendet sich jeder von dieser ab in seine eigene. - Das ist offenbar nicht nur beim Schlafen und Träumen so, sondern auch in der Politik. Denn es besteht ja die Gefahr - ich habe jedenfalls den Eindruck bei den Diskussionen hier - , daß man aus sehr privaten Spezialwelten heraus diskutiert und nicht aus der gemeinsamen Welt der Fakten.
({2})
Statt z. B. Kräfte und Gedanken auf die gemeinsame Lösung des sehr ernst zu nehmenden, akuten Problems zu bündeln, das durch den hohen Anstieg der Zahlen von Studienanfängern in bestimmten Fächern und an bestimmten Hochschulen entstanden ist - wir haben das kürzlich ja sehr kompetent gemeinsam erfahren können - , und zu überlegen, was unter Berücksichtigung der Kompetenz, aber auch der Verantwortungsschwerpunkte im Verhältnis von Bund und Ländern von der Schwergewichtigkeit der speziellen Verpflichtungen her möglich ist - was aber nur sehr sorgfältig, abgestimmt und differenziert geschehen kann - , legen nicht nur die GRÜNEN, sondern auch Sie hier zwei verfassungsrechtlich durchaus auch in ihrer Formulierung bedenkliche Schnellschußanträge vor, die diesen Voraussetzungen eben nicht genügen. Wenn Sie, meine Damen und Herren, dazu noch eine namentliche Abstimmung verlangen, dann ist ja der Verdacht, daß es sich hier um eine - ich sage das nicht; ich würde das sagen, wenn ich einen anderen Sprachstil hätte - Irreführung der Öffentlichkeit handelt, nicht von der Hand zu weisen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, was wir dazu sagen.
({4})
- Nein, Herr Kuhlwein, ich muß jetzt meine Gedanken zusammenhalten.
({5})
Meine Damen und Herren, ich spreche von dem, was wir wollen: Wie das Präsidium der FDP am Montag dieser Woche schon festgestellt hat, begrüße ich
- Ihren Vorschlägen gegenüber - die Absicht der Bundesregierung, die Situation an den Hochschulen in gemeinsamer Anstrengung mit den Ländern zu verbessern. Das entspricht der Forderung des FDP-Bundesparteitages.
({6})
Für den 15. Dezember ist ein Gepräch des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder zum Zwecke dieser Abstimmung vorgesehen, und für Januar ist die Vorlage eines entsprechenden Nachtragshaushaltes beabsichtigt.
({7})
Wenn Sie, meine Damen und Herren, jetzt nach Zahlen fragen, dann kann ich Sie an Ihren eigenen Antrag verweisen, wo Sie ja das Möllemann-Modell abgeschrieben haben, wenn auch mit schwierigen Erläuterungen.
({8})
- Natürlich, ich sage ja: Wenn auch mit schwierigen Erläuterungen.
({9})
- Hier ist Gott sei Dank nicht Rhodos, sondern der Deutsche Bundestag, und hier geht es seriös zu und nicht so, wie Sie es sich vielleicht vorstellen. Aber Feuerwerker haben immer ein Gefühl für blendende Effekte, wir nicht sosehr.
Aber ich möchte auch zu den Kollegen von den GRÜNEN sagen: Wenn Sie z. B. hier einen Antrag zur individuellen Ausbildungsförderung vorlegen, mit dem Sie so mal eben über 3,6 Milliarden DM in den Haushalt einstellen wollen, dann erweisen Sie dem Thema, um das es geht, einen Bärendienst. Wir haben jetzt den bereits erwähnten Bericht Bericht des BAföG-Beirats vorliegen, und wir werden ihn seriös und vernünftig beraten. Aber ich glaube nicht, daß die Art und Weise, wie Sie das hier in einer solchen Abendstunde einbringen, ohne daß die Möglichkeit einer präzisen, vernünftigen, genauen Beratung besteht, der Sache, um die es uns gemeinsam gehen sollte, gerecht wird.
Das Licht leuchtet, meine fünf Minuten sind abgelaufen. Sie haben mich abgelenkt; ich bedanke mich trotzdem für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte zur ersten Lesung des Haushalts habe ich darauf hingewiesen, daß der Bildungshaushalt in den Jahren 1982 bis 1988 um über 1 Milliarde DM abgebaut worden ist. Dieser Haushalt ist seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Kohl, der ja für die junge Generation das Tor aufmachen wollte, um etwa 20% geschrumpft. Auch der Anteil der Bildung am Gesamthaushalt ist in dieser Zeit ständig bis auf heute 1,23 % abgesunken, und zwar trotz einer kleinen Steigerung des Haushaltsansatzes im vorliegenden Entwurf des Einzelplans 31. Wie sich eine solche Haushaltspolitik eines Bundeskanzlers im Laufe der Jahre auswirkt, bekommen heute Studierende und Lehrende wie Forschende an den Hochschulen der ganzen Republik zu spüren. Besonders dringend stehen hier zwei Probleme zur Lösung an: Eines ist die Überlast an den Hochschulen, das andere die Verbesserung der Ausbildungsförderung.
Am 11. Oktober 1988 legte der BAföG-Beirat, ein vom Bildungsminister einberufenes Gemium, seinen Bericht vor: Wiedereinführung des Schüler-BAföG, Abschaffung des Volldarlehens und Fortsetzung der Förderung von Studierenden im Examen finden sich in der Liste der Vorschläge. Das sind alles Empfehlungen, die die SPD-Fraktion seit dem von Ihnen verursachten Kahlschlag am BAföG in diesem Hause Jahr für Jahr gefordert hat.
({0})
Die 1982 vorgenommene Kappung des BAföG in Milliardenhöhe rechtfertigen Bundeskanzler und Bundesbildungsminister als eine zur Haushaltskonsolidierung unvermeidliche Maßnahme. Der Beirat empfiehlt dringend, die eingetretenen Mißstände schnell zu beseitigen, um die durch das BAföG beabsichtigte Chancengleichheit im Bildungsbereich dadurch wiederherzustellen. Dazu müßte unverzüglich ein Umsetzungs- und Finanzierungskonzept der Bundesregierung in die Wege geleitet werden. Aber auch zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts liegt von seiten des verantwortlichen Ministers kein Antrag auf Mittel für das Jahr 1989 vor,
({1})
d. h. er schiebt es weiterhin auf die lange Bank.
({2})
Zum Wintersemester drängen 250 000 Studienanfänger in die völlig überlasteten Universitäten und Fachhochschulen. 1,5 Millionen junge Menschen besuchen gegenwärtig eine Hochschule, die höchste Zahl, die es je in der Bundesrepublik Deutschland gab. Überfüllte Fächer mit Massenseminaren, zuwenig Praktikumsplätze, lange Wartezeiten für Prüfungstermine und Prüfungsergebnisse bedeuten für die Studierenden längere Studienzeiten unter verheerenden Bedingungen.
Das wissenschaftliche Personal an den Hochschulen kann seinen Verpflichtungen zu Forschung und Lehre in vielen Bereichen kaum noch nachkommen.
Inzwischen wurde, um überhaupt dem Andrang der Studierenden standhalten zu können, für das Fach Betriebswirtschaftslehre der Numerus clausus beschlossen, und eine ähnliche Entwicklung - machen wir uns nichts vor - zeichnet sich im Fach Informatik ab. Wir sind uns in diesem Hause doch wohl wenigstens darüber einig, daß der Numerus clausus immer die schlechteste aller Lösungen ist.
({3})
Die heutige Entwicklung war abzusehen, obwohl seit der Regierungsübernahme von Kanzler Kohl die Bildungsplanung abgeschafft und durch ein grandioses Bildungssparprogramm ersetzt worden ist.
({4})
Ich will dem Bildungsminister nicht vorwerfen, daß er die Situation der Hochschulen zu spät erkannt oder falsch eingeschätzt hat. Da war er viel schneller als viele Kollegen von Ihnen, Herr Scheu. Bei den Mitteln für den Hochschulbau ist in diesem Haushalt erstmals wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Aber dem Minister mußte ja auch auf die Sprünge geholfen werden.
({5})
Ich will dem Bildungsminister auch nicht vorwerfen, daß er sich um die Probleme der Hochschulen nicht kümmert. Er tut das auf seine Art und an Orten, die er für wichtig hält. Es wäre allerdings für die Hochschulen besser, wenn Herr Möllemann seine Aktivitäten für ein Überlastprogramm in Höhe von 2 Milliarden DM als Bund-Länder-Hilfe ins Kabinett verlegen würde,
({6})
anstatt sie auf dem FDP-Parteitag großspurig anzukündigen, ohne dafür eine müde Mark in der Tasche zu haben.
({7})
Der Bildungsminister beschwört gern Bundeszuständigkeiten im Hochschulbereich.
({8})
Diese sind in der Verfassung festgelegt, Herr Scheu. Natürlich hat der Bund Mitverantwortung bei der Forschungsförderung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, bei BAföG, beim Hochschulbau einschließlich Ausstattungsinvestitionen usw. Hier hat der Bund jedoch seinen Finanzierungsanteil um fast ein Drittel reduziert. Als im November 1977 durch Vereinbarung der Regierungschefs von Bund und Ländern unter Bundeskanzler Schmidt die Öffnung der Hochschulen für die Studierwilligen der geburtenstarken Jahrgänge erreicht wurde, konnten harte Zulassungsbeschränkungen begrenzt werden, und das rechtzeitig.
Zusätzlich haben die Länder Überlastmittel in Höhe von rund 950 Millionen DM eingesetzt. Die Überlastung der Hochschulen konnte dennoch nicht abgebaut werden. Die Zahl der Studierwilligen nahm nicht ab. Heute ist die Überlast der Hochschulen der Normalf all.
Den Länderanteil an der Finanzierung der Hochschulen und der Überlast, der immerhin vier Fünftel beträgt, stelle ich mit besonderem Grund heraus. Nachdem Sie Bayern sosehr gerühmt haben, Herr Kollege Scheu, will ich einmal auf Nordrhein-Westfalen zu sprechen kommen. Nordrhein-Westfalen hat nicht nur den geburtenstarken Jahrgängen das Studium ermöglicht durch Ausbau der Hochschulstruktur und Gründung neuer Universitäten in Industrieregionen, als Bayern noch nicht daran gedacht hat.
({9})
Dieses Land hat seit 1977 rund 235 Millionen DM im Rahmen des Notzuschlagprogramms für die Universitäten, Fachhochschulen und Gesamthochschulen des Landes zur Verfügung gestellt.
({10})
- Hören Sie mal schön zu. - Damit trägt es rund 38 To der von den Ländern veranschlagten Überlastmittel.
Für 1989 werden noch einmal 36 Millionen DM bereitgestellt. Außerdem bildet Nordrhein-Westfalen einen Stellenpool als Versuch, auf Personalengpässe besser reagieren zu können,
({11})
was allerdings nicht überall auf Gegenliebe stößt.
Eine solche Anstrengung im Bildungsbereich ist hoch zu bewerten. An solchem Beispiel zeigt sich, daß Hochschulpolitik - was Sie immer noch nicht begriffen haben - auch Strukturpolitik ist.
({12})
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß nun seit Wochen die Überlast der Universitäten und
Fachhochschulen Thema in der Öffentlichkeit und in den zuständigen politischen Gremien ist. Erwartet wird ein gemeinsames Programm von Bund und Ländern zur Entlastung der Hochschulen. Die Länder haben dazu ihre Bereitschaft signalisiert.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft konnte bisher nur ein 2-Milliarden-DM-Überlastprogramm ankündigen, aber keinem der betroffenen Gremien sein Konzept und die Finanzierung eines solchen Programms vorlegen. Es ist ja nachgerade ein Skandal, mit einem Nachtragshaushalt für Januar zu operieren, wo noch nicht einmal die dritte Lesung des Haushalts abgeschlossen ist.
({13})
Das hat es in diesem Hause noch nicht gegeben.
({14})
Weder in der Haushaltsbereinigungssitzung noch zur jetzigen Beratung des Bildungshaushalts wurden vom Minister Anstrengungen unternommen, über den Bundestag Mittel für ein Sonderprogramm zur Entlastung der Hochschulen bewilligen zu lassen. Noch in der Fragestunde vor zwei Wochen hoffte er auf die zweite Lesung,
({15})
aber auch heute ist er noch immer ein Minister ohne Portemonnaie.
({16})
Ohne finanzielle Zusage kann auch Kanzler Kohl in dem für den 15. Dezember geplanten Gespräch mit den Landesregierungen nicht die Leistungen seines Vorgängers wiederholen.Dabei können im Augenblick nur zusätzliches wissenschaftliches Personal und mehr Mittel für sächliche Ausstattung die miserablen Arbeits- und Studienbedingungen erleichtern. Man kann nicht über Jahre hinweg durch eine verfehlte Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik die Kassen der Länder Leerräumen und sie dann mit Appellen abspeisen wollen.
({17})
Deshalb beantragt die SPD-Bundestagsfraktion zur zweiten Lesung des Haushalts 1989 ein Sonderprogramm zur Entlastung der Hochschulen mit einem Umfang von 2 Milliarden DM.
({18})
Über diesen Antrag soll der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung entscheiden.
Für das auf sieben Jahre befristete Sonderprogramm werden im Einzelplan 31 des Bundeshaushalts 150 Millionen DM bereitgestellt. Sie wissen ganz genau, daß der Artikel 91 b die Möglichkeit dazu bietet.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wie steht doch so trefflich als Überschrift über einem Zeitungsinterview des Bildungsministers?
({19})
- Ja, hören Sie einmal zu, es tut Ihnen gut. - „Wer
was werden will, muß was tun. " Mit dem hier vorlie7650
genden Änderungsantrag gibt Ihnen die SPD-Fraktion dazu die Gelegenheit.
({20})
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern ein paar Bemerkungen zu den Schwerpunkten des vorliegenden Haushalts machen.
Erster Punkt: Die Bedeutung des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland bleibt ganz entscheidend von der Qualifikation der Erwerbstätigen und damit nicht zuletzt von der Qualität der beruflichen Bildung abhängig. Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind ein entscheidendes Instrument bei der qualitativen Weiterentwicklung des dualen Systems. Ein außerordentlich hoher Zuwachs mit rund 100 Millionen DM ist deshalb auch für den Ausbau und die Modernisierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten vorgesehen, für den Zeitraum 1989 bis 1992 insgesamt rund 300 Millionen DM. Ich will hier klar sagen: Die auf dieser Grundlage bewilligten Projekte werden auch durchgeführt werden - selbst, wenn es auf Grund einer Entscheidung im Haushaltsausschuß in diesem Jahr möglicherweise an einer Stelle eine Verzögerung gibt. Das Projektvolumen wird durchgeführt.
({0})
- 300 Millionen DM in den vier Jahren.
Zweiter Punkt: Auch die Bildungspolitik ist aufgefordert, ihren Beitrag zur Unterstützung notwendiger Strukturverbesserungen im Ruhrgebiet und in den Montanregionen zu leisten. Die Bundesregierung hat deshalb in den Bildungshaushalt 1989 ein Sonderprogramm zur Sicherung von Ausbildungskapazitäten, die durch Stillegung im Ruhrgebiet betroffen sind, neu aufgenommen. Dieses Programm wird mit dem Land Nordrhein-Westfalen gemeinsam finanziert. Auf Bundesseite sind für mehrere Jahre insgesamt 75 Millionen DM dafür vorgesehen. Dies bedeutet, daß in den kommenden drei Jahren viele Lehrlinge mit einer Ausbildung beginnen können, die sie sonst nicht hätten aufnehmen können. Die Bundesregierung sieht darin einen wesentlichen Beitrag des Bundes zum Abbau regionaler Unterschiede beim Ausbildungsplatzangebot.
Drittens: Zum Mittelaufwuchs im Hochschulbau! Die wider Erwarten hohe Zahl von Studienanfängern
- wir erwarten in diesem Jahr erstmals über 250 000
- sowie erforderliche strukturelle Veränderungen im Zusammenhang mit Studienzeitverkürzung und Weiterbildung machen es erforderlich - auch unter Berücksichtigung längerfristig zurückgehender Studentenzahlen -, die anstehenden Probleme im Hochschulbereich durch eine adäquate Steigerung der Haushaltsansätze zu bewältigen.
Ich habe mich in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen für 1989 und bei der Finanzplanung dafür eingesetzt, daß die Mittel für Zukunftsinvestitionen im Hochschulbereich gegenüber der geltenden Finanzplanung um eine halbe Milliarde DM erhöht worden sind und auf dem hohen Stand von 1 Milliarde DM jährlich bis zum Jahr 1992 fortgeschrieben werden. Das ist gelungen. Diese Verstetigung kommt der auf mittelfristige Zeiträume angelegten Hochschulplanung entgegen. Bund und Länder haben auf dieser Grundlage den 18. Rahmenplan für den Hochschulbau beschlossen. Allerdings erwarten die Länder für den Fall, daß die vorgesehenen Mittel nicht ausreichen, daß sich der Bund um eine Erhöhung ab 1990 bemüht, damit der Ansatz für eine hälftige ausgaben-begleitende Mitfinanzierung ausreicht. Wenn die sich abzeichnende Tendenz ansteigender Hochschulinvestitionen anhält, wird in der Tat über den Mehrbedarf im Haushalt für 1990 und für die Folgejahre zu entscheiden sein.
Das Offenhalten der Hochschulen ist ein Kernstück der Bildungspolitik der Bundesregierung. Dafür ist bis zu dem erst ab Mitte der 90er Jahre zu erwartenden Rückgang der Studentenzahlen ein verstärktes Engagement von Bund und Ländern erforderlich, das möglichst auch durch Hilfen aus der Wirtschaft ergänzt werden sollte.
Ich habe Vorschläge für einen Beitrag des Bundes zur Verbesserung der Situation an den Hochschulen in besonders belasteten Fächern vorgelegt, über die am 17. November im Bundeskabinett beraten wurde.
({1})
- Ich komme dazu; seien Sie ganz getrost.
Wie ich hier in der Fragestunde am 9. November dargestellt habe, setzt die Hilfe des Bundes voraus, daß die Länder ihrerseits die Grundausstattung der Hochschulen sichern - das ist nun einmal ihre Aufgabe - und zusätzliche Maßnahmen in der Lehre vorsehen. Der Schwerpunkt der möglichen und von mir gewollten Bundesmaßnahmen muß entsprechend den Zuständigkeiten des Bundes in der Forschungsförderung liegen, was die Länder entsprechend entlastet und ihnen mittelbar Möglichkeiten zur Hilfe in der Lehre verschafft.
In jedem Fall setzt ein Hochschulsonderprogramm des Bundes zusätzliche Überlastmaßnahmen der Länder in gleicher Höhe voraus. Darüber hinaus müssen sich Bund und Länder über die gemeinsame Durchführung struktureller Verbesserungen wie z. B. dem Abbau überlanger Studienzeiten verständigen, denn, Frau Odendahl, es ist natürlich beides richtig. Es stimmt der eine Satz, den Sie gesagt haben: Auch weil die Hochschulen überfüllt sind, wird so lange studiert; aber natürlich sind sie auch so überfüllt, weil überlange Studienzeiten gegeben sind.
({2})
Wir müssen zu strukturellen Veränderungen kommen, die die Studienzeiten auf ein normales und erträgliches Maß eingrenzen. Darüber stehen wir ja in Verhandlungen mit den Ländern. Im Dezember reden wir darüber.
({3})
In der Besprechung der Regierungschefs der Länder mit dem Bundeskanzler am 15. Dezember soll über notwendige Maßnahmen beraten werden. Wenn in diesen Beratungen eine Einigung dergestalt zustande kommt, daß die Länder Mittel in der gleichen Höhe, wie sie vom Bund vorgeschlagen worden sind, zusätzlich in ihre Haushalte einstellen
({4})
- 2 Milliarden DM; 1 Milliarde Bund, 1 Milliarde die Länder - , dann ist die Bundesregierung entschlossen
- sie ist aber auch nur dann entschlossen -, dem Parlament zu Beginn des nächsten Jahres einen entsprechenden Nachtragshaushalt vorzulegen.
({5})
- Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es nicht dem üblichen Verfahren entspricht, bei der zweiten und dritten Lesung eines Haushalts über einen Nachtragshaushalt zu sprechen. Aber, Herr Koschnick
- ich rede jetzt von dem Bundesland, aus dem Sie kommen; deswegen finde ich Ihre Reaktion geradezu unglaublich - , in Bremen haben Sie dazu beigetragen, daß der Numerus clausus für Betriebswirtschaft eingeführt worden ist.
({6})
Sie stellen sich hier hin, reden von Offenhaltepolitik und schließen die Hochschulen in Ihrem Bundesland. Sie sind ein schlechter Prophet für das, was Sie propagieren.
({7})
Weil das so ist und weil ich noch nicht glaube, daß den verbalen Bekundungen, die Sie hier von sich geben, tatsächlich die Bereitschaft in den SPD-regierten Ländern folgt, zusätzliche Mittel einzustellen, warte ich darauf, daß eine verpflichtende Festlegung der Länder in dem Gespräch am 15. Dezember erfolgt.
({8})
Wenn dies möglich sein sollte, wird die Bundesregierung ihrerseits Anfang des nächsten Jahres - das greift dann zum nächsten Semester - die entsprechenden Mittel in einen Nachtragshaushalt einstellen und diesen Nachtragshaushalt dem Parlament vorlegen. Ich halte das Verfahren für in Ordnung.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Diller?
Ja, natürlich.
Bitte schön, Herr Diller.
Herr Minister, verstehe ich Sie richtig, daß Sie vorhin ankündigten, daß die Bundesregierung bereit ist, und zwar mit Zustimmung des Bundesfinanzministers, dafür eine Milliarde DM bereitzustellen, oder ist das nach wie vor nur Ihre Forderung?
Ich möchte gerne, Herr Kollege Diller, deutlich machen: Mein Vorschlag als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft zielt hin auf ein ZweiMilliarden-DM-Programm.
({0})
- Liebe Kollegen, das wissen Sie doch auch: Die Einigung wird im Gespräch zwischen Bundeskanzler und Ministerpräsidenten möglicherweise in einer Größe diesseits oder jenseits dieser Grenze liegen. Ich weiß angesichts der Vorgespräche, die geführt worden sind, nicht, wo die tatsächlichen Beiträge bestimmter Bundesländer liegen werden. Aber gehen Sie davon aus: Die Bundesregierung strebt eine nachhaltige und spürbare Gemeinschaftsanstrengung mit den Ländern an.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Ja.
Bitte schön, Herr Kuhlwein.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Staatssekretäre der Wissenschaftsministerien von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft am 9. November übereinstimmend dargestellt haben, daß ihre Länder bereit seien, sich an einem solchen Programm in gleicher Höhe wie der Bund zu beteiligen, und daß sie auch eingeräumt haben, daß der Bund auf ein solches gemeinsames Programm auch inhaltlich soll Einfluß nehmen dürfen?
Lieber Herr Kollege Kuhlwein, das ist genau der Punkt, auf den ich Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, jetzt einmal im Blick auf das Auseinander-klaffen von Worten und Taten hinweisen will. Ich habe gehört, daß das gesagt worden ist. Aber die Ministerpräsidenten der SPD-regierten Länder haben vor etwa sechs Wochen erklärt, sie hielten am Offenhaltebeschluß der Hochschulen fest. Drei Tage später haben die Vertreter von Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen dann den Numerus clausus in Betriebswirtschaft eingeführt. Wo liegt denn die Glaubwürdigkeit bei der SPD in dieser Frage?
({0}) Das ist nicht in Ordnung.
Herr Minister, es gibt noch weitere Wünsche.
Ich möchte jetzt fortfahren.
({0})
- Ich stehe den Kollegen für persönliche Gespräche gern hinterher zur Verfügung.
Der vierte Schwerpunkt: Zum Thema Mittelaufwuchs in der Forschungsförderung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hier haben wir eine spürbare Steigerung der Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorgenommen, es handelt
sich um einen Zuwachs von 3,3 %. Die Länder haben ihrerseits mittlerweile erklärt, sie tragen diese Steigerungsrate - erfreulicherweise - mit.
Ich unterstütze außerdem mit Nachdruck die Vorschläge des Wissenschaftsrates zur Einrichtung von Graduiertenkollegs als neuer, im Ausland seit langem bewährter Form einer intensiven, konzentrierten und zugleich kürzeren Qualifizierung von Doktoranden. Ich hoffe, daß wir sehr bald zwischen Bund und Ländern zu einer Einigung kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen letzten Punkt von dem ansprechen, was hier vorgetragen worden ist. Sie wissen, daß ich zu Beginn meiner Amtszeit den Beirat für Ausbildungsförderungsfragen gebeten habe, das System der individuellen Ausbildungsförderung einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Das ist mittlerweile geschehen. Das Gutachten liegt den Kollegen, die sich dafür interessieren, vor. Es umfaßt 181 Seiten. Wir werden uns über drei wesentliche Punkte in diesem Gutachten unterhalten müssen, auch über die Frage, welche Schlußfolgerungen wir daraus ziehen.
Der für mich wesentlichste Punkt ist die kritische Auseinandersetzung mit der Situation der Bezieher sogenannter mittlerer Einkommen, die aus allen staatlichen Förderungsleistungen gleichzeitig herausfallen und sich dann schlechter stehen als zuvor. Das ist leistungsfeindlich und bedarf deshalb der Korrektur.
Wir werden uns mit dem verfassungsrechtlichen Argument zu beschäftigen haben, daß eine vollständige Darlehnsförderung deshalb fragwürdig sei, weil Studierende vom Bezug von Wohngeld ausgeschlossen sind. Wohngeld wird als Zuschuß gewährt, BAföG und damit auch der Wohngeldanteil als Darlehen. Das ist in der Tat ein ernst zu nehmendes Argument.
Aber eines, meine Damen und Herren, kann ich nun wirklich nicht akzeptieren: daß behauptet wird, die derzeitige Situation des BAföG habe zu einem Einbruch in der Bildungsbeteiligung breiter Schichten der Bevölkerung geführt. Wir hatten noch zu keinem Zeitpunkt eine so hohe Zahl von Jungen und Mädchen auf weiterführenden Schulen, auch noch nie einen so hohen Prozentanteil.
({1})
Wir hatten noch nie so viele Studierende an den Hochschulen. Es ist doch absurd, daß Sie uns gleichzeitig ein Überlastprogramm für die Hochschulen vorlegen, mit dem diesem Massenandrang entsprochen werden soll, und andererseits davon reden, es gebe nicht die Wahrnehmung breiter Bildungschancen durch die Angehörigen verschiedener Bevölkerungsschichten. Das trifft nicht zu.
({2})
Deswegen lassen Sie uns, meine Damen und Herren, zweierlei tun: zum einen eine vernünftige Beratung über das führen, was in der Ausbildungsförderung tatsächlich zu verbessern ist. Ich halte es für denkbar und möglich, Verbesserungen zum Juli 1990 in Kraft zu setzen. Das ist ein gutes Datum, ein interessantes Datum.
Der zweite Punkt: Meine Kollegen von der SPD, Sie haben heute einen Antrag zum Thema „Überlastprogramm eingebracht. Es heißt in der „Neuen Osnabrücker Zeitung", Sie würden damit den MöllemannPlan einbringen. Das finde ich ja liebenswürdig von Ihnen.
({3})
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wenn es Ihnen wirklich darum geht, in einer Gemeinschaftsanstrengung von Bund und Ländern ein solches Programm zustande zu bekommen, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar,
({4})
wenn Sie auf die Landesregierungen, an denen Ihre Partei beteiligt ist, Einfluß nähmen, damit sie nicht Stellen streichen. Und Nordrhein-Westfalen streicht Stellen, Frau Odendahl. Ich kann das natürlich geschickt mit einem Pool verkleiden: Ich nehme den Universitäten 100 Stellen weg und gebe 50 wieder hin und nenne das einen Pool. Das ist Wegnehmen von Stellen. Also bitte, wirken Sie auf Ihre Landesregierungen ein, daß sie mehr tun, nicht weniger, und machen Sie hier nicht ein Schattenboxen, wie Sie es hier vorgeführt haben.
Vielen Dank.
({5})
Bevor ich zum Abschluß der Beratung komme, liegt mir eine Meldung des Abgeordneten Wieczorek ({0}) zur Geschäftsordnung vor. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesbildungsminister hat gerade im Namen der Regierung hier gesprochen und angekündigt, daß die Regierung beabsichtige, im nächsten Jahr einen Nachtragshaushalt vorzulegen.
({0})
Die Bundesregierung ist auf Grund der Bundeshaushaltsordnung verpflichtet, alle erkennbaren Risiken, die den Haushalt für das nächste Jahr beeinflussen könnten, zu berücksichtigen. Wenn jetzt schon erkennbar ist, daß im nächsten Jahr
({1})
- im Januar sogar - zur Verstärkung der Ausgabenmöglichkeiten des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ein Nachtragshaushalt ansteht, müssen wir die zweite Lesung unterbrechen
({2})
und den Bundesfinanzminister bitten, schon jetzt das Haus davon in Kenntnis zu setzen, mit welchen Risiken wir im nächsten Jahr zu rechnen haben. Die Gesamtabstimmung über den Haushalt wäre nicht sachgemäß und sachgerecht, wenn wir erkennbare Risiken außer acht ließen.
Ich beantrage für meine Fraktion, die zweite Lesung zu unterbrechen.
({3})
Es ist ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt worden. Gibt es jemanden, der zur Geschäftsordnung sprechen will? - Zuerst Herr Bohl, bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Wieczorek wollte sicherlich noch ein wenig Aufmerksamkeit in diesem Hause für seine Person erzielen.
({0})
Dafür haben wir ein wenig Verständnis, nachdem die Personalentscheidungen in der SPD-Fraktion so gefallen sind, wie sie gefallen sind.
({1})
Herr Kollege Wieczorek, es ist ganz klar: Der Bundesfinanzminister hat den Haushaltsentwurf hier eingebracht. Er ist in den Ausschüssen beraten worden. Er wird in dieser Woche in zweiter Lesung beraten und morgen abend in dritter Lesung auch verabschiedet werden.
({2})
Es ist der Haushaltsplan für das ganze nächste Jahr. Daran ist hier gar kein Abstrich vorzunehmen. Ihr Antrag ist nur ein Show-Antrag.
({3})
Wir werden ihn geschlossen zurückweisen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich würde Ihnen wirklich raten, zur Sachlichkeit zurückzukehren. Dieser Antrag ist ein reiner Show-Antrag. Er wird von CDU/CSU und FDP geschlossen zurückgewiesen werden.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Kollege Bohl, wenn Sie einmal in die Bundeshaushaltsordnung geguckt hätten, wüßten Sie ganz genau, daß es dummes Zeug ist, was Sie hier eben erzählt haben.
({0})
Gerade Sie, gerade diese Seite des Hauses ist ansonsten sehr genau mit dem Anspruch, daß es hier nach Recht und Gesetz zugehen soll, meine Damen und Herren. Wenn es hier nach Recht und Gesetz zugehen soll, dann muß man sich genau angucken, was in der Bundeshaushaltsordnung drin steht. Und da steht genau das drin, was der Herr Kollege Wieczorek hier richtig vorgetragen hat.
({1})
Das verpflichtet Sie dazu, vor der Verabschiedung
eines Bundeshaushalts in diesem Bundeshaushalt all
das einzustellen, was an Leistungen auf den Bund vorhersehbar zukommen wird. Wenn Sie das nicht tun, sind Sie Ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung nicht gerecht geworden.
({2})
Deshalb ist der Antrag, den der Kollege Wieczorek hier begründet hat,
({3})
in der Sache voll und ganz berechtigt. Deshalb wird sich meine Fraktion diesem Antrag anschließen.
({4})
Aber nicht nur das. In Anbetracht dieses Sachverhalts ist es nötig und erforderlich, daß der Bundesfinanzminister dazu unverzüglich eine Erklärung abgibt.
({5})
Wir wollen wissen - denn der Finanzminister hat diesen Haushalt zu verantworten - , wie so etwas zustande kommen kann, daß ein Finanzminister einen Haushalt einbringt, daß hier ein Haushalt debattiert werden soll, der so wichtige Eckdaten nicht enthält. Deshalb muß sich Herr Stoltenberg dazu sofort äußern.
({6})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Weng ({0}).
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich habe mich beim Kollegen Möllemann im Moment noch mal erkundigt, was er hier konkret gesagt hat.
({0})
Ich glaube doch, daß wir auf der Basis des hier konkret Gesagten verhandeln und auf der Basis des hier konkret Gesagten auch handeln.
Der Kollege Möllemann hat hier vorgetragen, daß er aus heutiger Sicht Entwicklungen nicht ausschließt,
({1})
die im Verlauf des kommenden Jahres einen Nachtragshaushalt erforderlich machen könnten.
({2})
- Ich verstehe die Aufregung nicht.
Meine Damen und Herren, solche Entwicklungen kann niemand zu irgendeinem Zeitpunkt ausschließen.
({3})
Aber es gibt im Augenblick - auch das ist durch den Diskussionsbeitrag des Bundesministers für Bildung in keiner Weise relativiert worden - keinen Grund, anzunehmen, daß mit Sicherheit ein solcher Nachtragshaushalt zu erwarten wäre. Deswegen ist all das, was hier von seiten der Oppositionsfraktionen bean7654
Dr. Weng ({4})
tragt worden ist, zwar menschlich verständlich, hat aber keinen konkreten Hintergrund.
Unsere Fraktion lehnt deswegen den Antrag ab, hier eine Unterbrechung herbeizuführen.
({5})
Auch ein Präsident ist in der Lage, die Lage zu überblicken. Er braucht nicht ständig neue Geschäftsordnungsanträge. Wenn ich richtig verstanden habe, gibt es aus den Oppositionsfraktionen zwei Anträge. Der eine zielt darauf ab, daß sich der Bundesminister der Finanzen äußert. Dem kann ich nur folgen, wenn eine Wortmeldung vorliegt, oder ich kann darüber geschäftsordnungsmäßig abstimmen lassen.
({0})
Wenn er sich meldet, wird er das Wort bekommen.
Es gibt einen weiteren Antrag, der die Unterbrechung der zweiten Lesung über diesen Haushaltsplan fordert.
({1})
- Ich gehe davon aus, daß es eine Wortmeldung des Bundesfinanzministers gibt. Die nehme ich zuerst dran. Nachher kommt die Entscheidung über den Antrag. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die nach meiner Meinung vollkommen korrekten Darlegungen, vor allem des Kollegen Weng,
({0})
die Informationsbedürfnisse
({1})
- also, Herr Koschnick, bei so viel Aufgeregtheit auf Ihrer Seite ist ein bißchen Ironie ja auch angebracht - der Opposition noch nicht befriedigt haben, will ich folgendes sagen. Herr Kollege Möllemann hat beachtliche Argumente vorgetragen,
({2})
die für ein Gemeinschaftsprogramm des Bundes und der Länder sprechen. Wir sind darüber in einem konstruktiven Gespräch, das innerhalb der Bundesregierung eigentlich noch nicht abgeschlossen ist. Wir müssen, wie Herr Möllemann gesagt hat, dann klären, ob die Länder bereit sind, sich an eventuellen - und mehr sage ich heute nicht - gemeinschaftlichen Initiativen zu beteiligen.
({3})
Und erst dann sind wir in der Lage, zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt ein zusätzlicher Finanzbedarf entsteht.
({4})
Deswegen ist es vollkommen richtig, daß der Haushalt jetzt so verabschiedet werden kann, wie er zur Beschlußfassung vorliegt.
({5})
Ich lasse nun - ({0})
- Herr Möllemann, ist das eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung, oder ist es eine normale Wortmeldung? Wir haben die Aussprache noch nicht beendet. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, weil mir das Thema zu wichtig ist und es mir darauf ankommt, daß wir das angestrebte Ergebnis erreichen, wörtlich zitieren, was ich hier vorgetragen habe. - Ich zitiere wörtlich:
In der Besprechung der Regierungschefs der Länder mit dem Bundeskanzler am 15. Dezember 1988 soll über notwendige Maßnahmen beraten werden. Die für die Bundesseite erforderlichen Mittel können im Fall einer Einigung zwischen Bund und Ländern in einem Nachtragshaushalt bereitgestellt werden, der im Januar vorzulegen wäre.
({0})
Ich habe dies ausdrücklich als meine Position hier vorgetragen, und ich empfinde es, wenn es Ihnen wirklich um das Thema, um eine Einigung in dieser Sache geht, nicht als sinnvoll, daß hier der Eindruck erweckt wird, es sei eine Mitteilung gemacht worden, daß das definitiv so sein werde. Ich habe die Konditionierungen hier ergänzt und sehr detailliert vorgetragen, und dabei bleibe ich.
({1})
Ich lasse nun über den Geschäftsordnungsantrag abstimmen.
({0})
- Das ist eine neue Geschäftsordnungsmeldung? - Ich möchte gern den Versuch machen, zu Ende zu kommen. Aber bitte, Sie haben das Recht, sich zu melden, Herr Wieczorek, Sie kriegen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst stelle ich fest, daß es einen deutlichen Dissens in der Regierung gibt.
({0})
Der Bundesfinanzminister hat eine Möglichkeit angedeutet, die er am Horizont sieht. Der Bundesbildungsminister dagegen hat sehr konkret sein Verhandlungsziel genannt. Und dieses Verhandlungsziel hat mit finanziellen Auswirkungen für den Bundeshaushalt 1989 zu tun.
({1})
Wieczorek ({2})
Im übrigen, Herr Kollege, sage ich Ihnen: Wir haben die Aussprache gerade neu eröffnet. Und ich werde mich jetzt auf meinen Platz begeben. Wir werden nämlich nach den Einlassungen von Herrn Möllemann die Debatte weiterführen können. Denn er hat mit seiner Darstellung des Problems hier gerade die Debatte wieder neu eröffnet.
({3})
Mir geht es aber nicht um den Sachteil. Den können meine Kollegen aus den Fachausschüssen - ({4})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie einen Moment zuhören würden und die zweite Hälfte des Satzes ebenfalls anzuhören noch die Gnade hätten, würde das anders werden. Meine Kollegen aus den Fachausschüssen können diesen Teil besser beurteilen. Mein Teil ist der finanzpolitische. Und der finanzpolitische heißt schlicht und einfach, daß der Bundesfinanzminister voller Wissen jetzt einen Haushalt vorlegt, von dem er weiß, daß er nicht stimmt. Und damit entspricht er nicht mehr der Verfassung.
({5})
Es wäre sehr hilfreich, Herr Finanzminister, wenn Sie klar und eindeutig sagen würden, ob Sie auf den Haushalt 1989 jetzt zusätzliche Risiken zukommen sehen oder nicht. Wenn Sie sie sehen, müssen wir die Beschlußfassung über den Einzelplan 31 heute in der Tat aussetzen, die neuen Risiken bewerten und sie dann in das Gesamtfinanzgefüge einfügen. Das ist ein korrektes Verhalten. Sie können hier nicht mit einer Mehrheit die Verfassung niederstimmen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt über den Geschäftsordnungsantrag abstimmen, der darauf abzielt, die zweite Lesung dieses Einzelplans zu unterbrechen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? ({0})
Dann ist dieser Geschäftsordnungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Nun komme ich zum Abschluß dieser Debatte. Wir hatten die Aussprache noch nicht beendet. Das muß ich formell tun und tue es hiermit.
Ich brauche jetzt Ihre Aufmerksamkeit für das weitere Verfahren. Wir stehen vor einer Reihe von Abstimmungen. Es ist gut, wenn Sie noch einmal genau zuhören, wie wir da verfahren.
Zunächst muß ich zum Einzelplan 10 zurückkehren, weil wir dazu noch eine abschließende Abstimmung vorzunehmen haben. Ich werde dann diejenigen Änderungsanträge zum Einzelplan 31 aufrufen, bei denen es eine offene Abstimmung gibt. Im Anschluß daran kommen wir zu den zwei Änderungsanträgen - einer von der Fraktion DIE GRÜNEN, einer von der SPD-Fraktion -, zu denen eine namentliche Abstimmung verlangt wird. Wir haben also zwei namentliche Abstimmungen nacheinander. Dann fahren wir wieder in der Debatte fort und führen die Schlußabstimmung über den Einzelplan 31 im Zusammenhang mit der nächsten Debattenrunde über den nächsten Einzelplan durch.
({1})
- Ich stelle Einverständnis fest.
Nun teile ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3433 mit.
Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 418 ihre Stimme abgegeben; davon war keine ungültig. Mit Ja haben 31, mit Nein haben 387 gestimmt. Es hat keine Enthaltungen gegeben.
Von den 20 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 2 Abgeordnete, mit Nein 18 gestimmt. Es hat keine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 416 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 31 und 2 Berliner Abgeordnete
nein: 385 und 18 Berliner Abgeordnete
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Frau Beer
Brauer
Dr. Daniels ({2}) Ebermann
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe
Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hüser
Kleinert ({3})
Dr. Knabe
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({4}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Frau Teubner Frau Unruh Frau Vennegerts
Volmer
Weiss ({5})
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Fraktionslos Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker ({6})
Vizepräsident Westphal
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({7}) Börnsen ({8}) Dr. Bötsch
Bohlsen
Borchert
Breuer
Bühler ({9}) Carstens ({10}) Carstensen ({11}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({12}) Daweke
Frau Dempwolf Deres
Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell
Fellner
Fischer ({13}) Francke ({14}) Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Funk ({15}) Ganz ({16}) Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({17}) Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({18}) Hauser ({19}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Höffkes
Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({20}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Graf Huyn
Jäger
Dr. Jahn ({21}) Dr. Jobst
Jung ({22})
Jung ({23})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Klein ({24}) Kolb
Kossendey
Kraus Krey
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({25}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link ({26})
Link ({27}) Linsmeier
Louven Lowack Maaß Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({28})
Nelle
Neumann ({29}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald Pesch Petersen
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Regenspurger
Repnik
Frau Rönsch ({30}) Frau Roitzsch ({31}) Dr. Rose
Roth ({32})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({33})
Sauer ({34})
Sauter ({35})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schemken
Scheu Schmidbauer
Schmitz ({36})
von Schmude
Dr. Schneider ({37}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({38}) Schulhoff
Dr. Schulte
({39}) Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing Seiters Spilker Dr. Sprung
Dr. Stark ({40})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({41})
Vogt ({42})
Dr. Voigt ({43})
Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({44}) Werner ({45})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({46}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Buschbom Feilcke
Kalisch
Kittelmann Lummer
Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig
Schulze ({47}) Straßmeir
SPD
Frau Adler
Amling Andres Antretter Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({48})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({49}) Börnsen ({50}) Brandt
Brück
Büchler ({51})
Büchner ({52})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Frau Conrad Daubertshäuser
Dreßler
Dr. Ehmke ({53})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer ({54})
Frau Fuchs ({55})
Frau Fuchs ({56})
Gansel
Dr. Gautier
Gilges Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Haack ({57})
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({58})
Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({59})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Müller ({60}) Müller ({61}) Müller ({62}) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Dr. Osswald
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({63})
Dr. Pick Porzner
Poß
Reuter
Rixe
Schäfer ({64}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({65})
Frau Schmidt ({66}) Schmidt ({67})
Dr. Schmude
Schreiner
Schröer ({68})
Schütz
Seidenthal Sielaff
Sieler ({69})
Singer
Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({70})
Frau Steinhauer
Vizepräsident Westphal
Frau Terborg Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Voigt ({71})
Waltemathe Walther
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({72})
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({73})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({74})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Heimann
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
Wartenberg ({75})
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann
Cronenberg ({76}) Eimer ({77})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann Gries
Grünbeck Grüner
Dr. Haussmann Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({78}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Möllemann Neuhausen
Nolting
Paintner Richter
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Sohns Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({79}) Wolfgramm ({80}) Frau Würfel
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Ich komme nun zur Schlußabstimmung über den Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in der Ausschußfassung. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich kehre nun zum Einzelplan 31 zurück. Wir stimmen zunächst über diejenigen Änderungsanträge ab, die eine offene Abstimmung ermöglichen. Das ist zunächst der Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3376.
Wer diesem Änderungsantrag auf Drucksache 11/3376 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/3377. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der
Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/3378 zu? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Nun kommt der Änderungsantrag auf Drucksache 11/3375, ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, die dazu namentliche Abstimmung verlangt haben. Sofort danach kommt noch eine namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3375.
Gibt es noch Kollegen, die an der Abstimmung teilzunehmen wünschen und das noch nicht getan haben? Sie mögen das jetzt bitte tun.
Ich stelle fest, daß ich die Abstimmung jetzt schließen kann. Sie ist damit geschlossen.*)
Mir ist aufgefallen, daß ich über zwei Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN, über die offen abzustimmen ist, noch nicht habe abstimmen lassen. Das läßt sich, glaube ich, zwischendurch machen. Darf ich Ihr Einverständnis feststellen? - Danke schön.
({81})
- Ich nenne zunächst die Nummern, damit die Geschäftsführer mit überlegen können. Es geht zunächst um den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3431. Wer diesem Antrag in einer offenen Abstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wir haben noch einen solchen Antrag; mit mehr belästige ich Sie nicht.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3432 stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
({82})
- Drucksache 11/3432 liegt nicht vor?
({83})
Sie betrifft den Haushalt, den wir jetzt behandeln. Der Änderungsantrag behandelt das Kapitel 31 02 Titelgruppe 02. Eine Erläuterung wird verändert.
Ist das jetzt klar? Tut mir leid; das kann im Laufe der Geschäfte einmal passieren.
Wer dem Antrag auf Drucksache 11/3432 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist auch dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich komme nun zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3417. Die Fraktion der SPD hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob sich noch jemand im Saal befindet, der seine Stimme nicht
') Vorläufiges Ergebnis Seite 7672C
Vizepräsident Cronenberg
abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.' )
Meine Damen und Herren, wir können über diesen Einzelplan erst abstimmen, wenn das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir genauso verfahren wie bei den Einzelplänen, die wir eben gehabt haben. Da haben wir die Abstimmungen später vorgenommen. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? ({0})
- Über den Einzelplan 31 können wir erst abstimmen, wenn wir das Ergebnis der namentlichen Abstimmungen haben. Wir stellen diese Abstimmung zurück und behandeln jetzt die Einzelpläne 06, 36 und 33. Wenn wir zur Abstimmung über diese Pläne kommen, werden wir die Abstimmung über den Einzelplan 31 nachholen. Das spart uns viel Zeit. Ich nehme an, daß das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann rufe ich auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 11/3206, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Kleinert ({1})
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksachen 11/3227, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude Kühbacher
Frau Seiler-Albring
Kleinert ({2})
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 11/3225 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({3}) Kühbacher
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor, und zwar auf den Drucksachen 11/3332 bis 11/3338 und 11/3379.
Für diese Debatte ist im Ältestenrat ebenfalls eine Stunde vereinbart worden. Erhebt sich Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
s) Vorläufiges Ergebnis Seite 7674 A
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Bitte vorweg. Was die Abstimmungssituation angeht, ist uns angekündigt worden, daß die GRÜNEN bei der Schlußabstimmung über Einzelplan 06 eine namentliche Abstimmung beantragen würden. Diese würde sich gegen den gesamten Einzelplan 06 richten. Ich denke, da würde es keine großen Schwierigkeiten geben, sich zu entscheiden.
Nun höre ich von den GRÜNEN, sie sind sich gar nicht sicher, ob sie die namentliche Abstimmung zum Einzelplan 06 oder zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/3338 verlangen.
({0})
- Ich muß Ihnen sagen: Damit bringen Sie uns in wirklich große Schwierigkeiten.
({1})
Dieser Antrag ist im Haushaltsausschuß nicht gestellt worden; ich kann mich jedenfalls nicht erinnern. Der Antrag, mit 300 000 DM ein zusätzliches Kapitel einzurichten, um während des NS-Regimes geschädigten Zwangsarbeitern eine Entschädigung zahlen zu können, ist von der Sache her kaum ablehnbar; ich sage: kaum ablehnbar. Sie bringen uns hier im Parlament wirklich in die Situation, in namentlicher Abstimmung eine Summe von 300 000 DM ablehnen zu müssen, um dieses Parlament, so sage ich einmal, in der Öffentlichkeit zu blamieren. Ich wäre dankbar, wenn sich die GRÜNEN bei der Fairneß, die wir miteinander haben, noch einmal überlegten, ob man hier ein zusätzliches Kapitel für den Haushalt beantragt, nachdem das Haushaltsverfahren so gut wie abgeschlossen ist, und hier eine namentliche Abstimmung macht, nachdem man dieses Thema im Ausschuß nicht angesprochen hat.
Ich war bei den Verhandlungen im Innenausschuß dabei; da ist dies nicht beantragt worden.
({2})
- Frau Olms, ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sie ein neues Kapitel beantragt haben. Im Haushaltsausschuß bin ich Berichterstatter; dort habe ich das auch nicht gehört.
Ich sage Ihnen einmal: Man kann diesen Antrag als Parlamentarier guten Gewissens nicht ablehnen. Sie bringen uns hier wirklich in große Schwierigkeiten. Wenn Sie das wollen, um daraus politischen Nutzen zu ziehen, ist das ein legitimes parlamentarisches Recht, aber ich würde dann meinen Kollegen empfehlen, daß an diesem Punkt die Sitzung unterbrochen wird. Wir Sozialdemokraten werden diesen Antrag kaum ablehnen können.
({3})
- Herr Wüppesahl, so einfach geht das ja nicht, hier einfach zuzustimmen. Das ist ein Thema, mit dem sich, glaube ich, das ganze Parlament noch einmal befassen sollte. Man sollte sich fragen, ob das Thema der Zwangsarbeiter während der NS-Zeit, die bei der Stiftung, die ja gemeinsam gemacht worden ist, durch irgendwelche Gitter gefallen sind, in der gegenwärtigen Situation jetzt hier abgehandelt werden sollte.
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 109. Sitzsinn. Bonn. Mittwoch. den 23. November 1988 7659
Über dieses Thema ohne eine ordentliche Vorbereitung hier abstimmen zu lassen, finde ich nicht in Ordnung.
({4})
- Frau Nickels, es tut mir herzlich leid. Sie sind im Haushaltsausschuß ja leider nicht dabei, sonst hätten Sie das ja verfolgen können.
({5})
- Wir werden es ja noch in Ruhe diskutieren können.
Deshalb spreche ich es ja zu Beginn der Debatte an.
Nun zu dem Etat des Innenministeriums. Herr Präsident, ich hätte mir eigentlich vorgestellt - meine Redevorbereitung geht auch dahin - , daß der Innenminister hier heute anwesend wäre.
({6})
- Ich sage das doch nur, Herr Kollege Fellner. Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Oder ist es das schlechte Gewissen?
Nun höre ich, der Innenminister war unabkömmlich bei einer Sportministerkonferenz, die er in Moskau als deutscher Vertreter unbedingt besuchen mußte. Nun muß der Innenminister es ja für sich selbst entscheiden, ob er diese Sportministerkonferenz in Moskau wichtiger nimmt als seinen eigenen Etat. Ich denke, es kennzeichnet den Stellenwert, den der Innenminister in der Bundesregierung hat.
({7})
Deswegen, denke ich, ist es gar nicht an der Zeit, sich jetzt mit dem Kollegen Waffenschmidt über bestimmte Dinge auseinanderzusetzen.
({8})
- Ich glaube kaum, daß Herr Staatssekretär Neusel als beamteter Staatssekretär hier anschließend reden wird.
({9})
- Das bestreite ich ja gar nicht.
Herr Waffenschmidt, ich bitte Sie, dem Innenminister auszurichten, daß ich meine Redebeiträge mehr in Frageform kleiden muß, weil ich den Innenminister nicht ansprechen kann. Es ist nun keine üble Nachrede, die ich hier mache,
({10})
- das tue ich ja -, wenn ich von dem Innenminister sage, daß - was wir Sozialdemokraten bemängeln - in seiner Amtszeit das Mißtrauen breiter Bevölkerungskreise gegenüber staatlichem Handeln gewachsen ist und daß die Distanz zwischen Bürgern und Staat immer größer wird.
({11})
Das hat etwas mit Verhaltensweisen zu tun; denn wir Sozialdemokraten erwarten von einem Innenminister, daß er vorrangig die Aufgabe erfüllt, das Vertrauen der Bürger zu den demokratischen Einrichtungen des Staates zu festigen. Von einem solch wichtigen Ministerium müssen positive Signale ausgehen, die den Menschen in unserem Land das Gefühl der Sicherheit vermitteln. Sie könnten demokratische Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt sehen, wenn ohne jede Gefahr für sie selber verbale Rundumschläge erfolgen. Der Bundesminister des Innern sollte aus unserer Sicht ein Gralshüter liberaler und freiheitlicher Grundrechte sein.
Dieses hat der Bundesinnenminister in der Vergangenheit versäumt. Von ihm sind keine fördernden Signale für eine solche liberale Grundeinstellung ausgegangen. Mit seiner Innenpolitik verbinden sich eher Initiativen zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, zur Verunsicherung Andersdenkender und manchmal auch zu Maßnahmen der bloßen Repression.
Der Innenminister Zimmermann hat sich Sprachentgleisungen geleistet gegenüber Ausländern, Asylbewerbern und Demonstranten, die darauf hinauslaufen, letzten Endes immer wieder neue Repressionen in Gesetzesform zu fordern, ohne daß konkrete Anlässe dafür vorhanden gewesen wären.
Die Grundzüge des politischen Handelns finden sich bei diesem Innenminister kaum irgendwo deutlicher und klarer als im Bereich der inneren Sicherheit. Statt hier mit nüchterner Analyse, statt mit erkennbar föderalistischer Kooperation mit den Innenministern der Länder, statt mit Sensibilität und Nachdenklichkeit zu arbeiten, finden sich in der Politik des Innenministers Zimmermann schematische Inanspruchnahmen der Politik eines Gesetzgebers: Mit kalter Repression sollen Andersdenkende in die Schranken verwiesen werden. Alles das, was der Innenminister Zimmermann als Widerstand gegen den Staat empfindet, den er mit neuen Gesetzen bekämpfen will, ist auf eine breite Palette bei ihm vorhandener ideologischer Vorurteile zurückzuführen.
({12})
Meine Damen und Herren, typisch für das Verhalten dieses Ministers und der ihn unterstützenden Abgeordneten hier aus dem Parlament ist die Absicht, das Demonstrationsrecht weiter einzuschränken und durch das strafbewehrte Verbot der Vermummung, durch die Erweiterung des Haftgrundes für Wiederholungstäter und durch andere Einschränkungen eine Apathie hinsichtlich der bürgerlichen Demonstrationsfreiheitsrechte zu erzeugen.
Die SPD ist nach wie vor in voller Übereinstimmung mit der Gewerkschaft der Polizei, mit dem Deutschen Richterbund, mit dem Anwaltverein und zahllosen Polizeipraktikern und Wissenschaftlern der Auffassung, daß die vom Innenminister geplante Strafbarkeit der sogenannten Vermummung nicht dazu beitragen wird, das Demonstrationsgeschehen zu beruhigen.
Wir sind der Meinung, daß die Friedlichkeit bei den Demonstrationen geradezu gefährdet wird, wenn den Polizeibeamten zwangsläufig abverlangt wird, in Demonstrationsguppen hineinzugehen, um sogenannte Täter festzustellen. Die Gerichte werden später vor der unlösbaren Aufgabe stehen, zu klären, ob eine Mütze, eine Brille oder ein Motorradhelm der Un7660
kenntlichmachung oder lediglich dem gesundheitlichen Schutz dienen sollten. Ich denke, der Gesetzgeber sollte diese schwierige Aufgabe nicht den Gerichten auftragen. Hier sollten wir mit größerer Gelassenheit all die beschwerlichen Situationen überstehen.
Die Kollegen von der FDP haben in dieser Frage eine widerspüchliche Haltung: Einerseits beschwören Sie - einige jedenfalls immer wieder - die Grundsätze der Liberalität, andererseits sind andere Kollegen wegen des Koalitionsfriedens bereit, gegen besseres Wissen einzelner Mitglieder der FDP-Fraktion die parlamentarischen Mehrheiten zu besorgen.
({13})
- Ach, ich würde das nicht als Doppelstrategie der FDP bezeichnen; aber letzten Endes ist es ja traurig, daß einzelne Abgeordnete aus Fraktionsräson gegen ihr eigenes Wissen und Wollen stimmen müssen.
({14})
- Ja, zu dem Überzeugungstäter Fellner könnte ich schon einiges sagen.
Meine Damen und Herren, auch wenn die Zahl der terroristischen Anschläge in den letzten Jahren zurückgegangen ist, muß doch die vom Terrorismus ausgehende Gefahr gesehen und ihr begegnet werden. Eine dramatische Entwicklung ist aber nicht festzustellen. Aus meiner Sicht - das sage ich hier in aller Offenheit und Nüchternheit - haben die Terroristen niemals eine echte Chance gehabt, unsere Gesellschaftsordnung im Kern zu gefährden.
Dennoch reagiert der Bundesinnenminister auf die vom Terrorismus ausgehende Gefahr in einer Weise, die von ernst zu nehmenden und wichtigen Repräsentanten der deutschen Rechtspflege als unerträgliche Belastung dargestellt wird. Professor Pfeiffer, der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, hat in einer öffentlichen Anhörung vor Jahresfrist zu der vom Bundesminister des Innern geplanten Kronzeugenregelung wörtlich ausgeführt, für das allgemeine Rechtsbewußtsein stelle sie - die Kronzeugenregelung - eine unerträgliche Belastung dar.
Meine Damen und Herren, ich denke, auch wenn der Minister heute in Moskau ist, muß ihm in diesem Zusammenhang die Frage gestellt werden: Was sollte es eigentlich, daß er über ein Massenblatt dazu auffordert, jeder Politiker solle sich künftig eine Waffe besorgen? Ist das ein Innenminister, der ernst genommen werden will? Wollte er uns zu Schießübungen einladen? Oder was immer verbirgt sich dahinter?
In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Waffenschmidt, habe ich eine Frage. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir im Haushaltsausschuß und im Innenausschuß das Konzept 106 zur vorbeugenden Sicherung und auch zur Ergreifung von terroristischen Straftätern gemeinsam beraten und erhebliche Personal- und Sachmittel bereitgestellt. In einem Bericht des Chefs des Bundeskriminalamtes, Boge, während unserer Haushaltsberatungen mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß diese Personalstellen, die wir zur Verfügung gestellt haben - es war eine erhebliche Anzahl - zur Zeit mit Kommissaranwärtern, die die Schule besuchen, besetzt sind. Genau das ist der Punkt. Gefordert wurde das Konzept von Herrn Zimmermann deswegen, weil er offensichtlich glaubte, auf dem Markt den Ländern Beamte abwerben zu können. Das Konzept ist kläglich gescheitert, und
- ich drücke es wirklich einmal polemisch aus - die Terroristen und ihnen Nahestehende können warten, bis die Kommissaranwärter nach drei, vier Jahren die Schule verlassen haben; dann geht es mit der organisierten Bekämpfung dieses Verbrechenselementes weiter.
Herr Waffenschmidt, vielleicht können Sie uns einmal folgendes erklären: Wenn man nach dem Konzept 106 vorgegangen wäre, hätte der Anschlag auf den Staatssekretär Tietmeyer nicht passieren können. Der Innenminister, der hier immer für Law and order argumentiert, hat hier aus meiner Sicht wirklich kläglich versagt. Sie sollten dem Parlament schon sagen, wie Sie es verantworten können, daß mit „Kommissarauszubildenden" der Terrorismus bekämpft werden soll. Statt tatsächlich zu handeln, legen Sie dem Parlament immer neue Gesetzentwürfe vor. So hat z. B. der Innenminister die Absicht, gesetzliche Regelungen für den Verfassungsschutz, für den Datenschutz, für den Militärischen Abschirmdienst, für das Bundeskriminalamt, für den Bundesgrenzschutz neu aufzustellen, die von uns in Einzelbereichen absolut abgelehnt werden. Wir sind nicht grundsätzlich gegen neue gesetzliche Regelungen, sondern gegen die Tatsache, daß aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 gesetzgeberische Konsequenzen gezogen werden sollen, die dem Grundtenor dieses Gerichtsurteils diametral entgegenlaufen.
In der Nachkriegszeit ist allen bewußt geworden
- es ist so gewollt gewesen - , daß es eine Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten gibt, und an dieser Trennung darf aus unserer Sicht nicht gerüttelt werden. Dennoch versucht der Innenminister persönlich, die Polizeien der Länder und den Bundesgrenzschutz zum verlängerten Arm der Nachrichtendienste zu machen und widerspricht damit dem Geist unserer Verfassungsordnung.
({15})
Ich hoffe wirklich auf die hinhaltenden Widerstände innerhalb der FDP, daß dieses Gesetz gar nicht erst in die Beratung kommt, denn die Polizeien sind nicht der Informationsbeschaffer für die Nachrichtendienste. Eine klare und saubere Trennung, für jeden Bürger nachvollziehbar, dieser beiden Einrichtungen ist für uns unverzichtbar.
({16})
Meine Damen und Herren, das Geiseldrama von Gladbeck ist von den Politikern der Union genutzt worden, um den Todesschuß erneut in die Diskussion zu bringen. Ich höre aus Ticker-Meldungen, daß einer unserer Kollegen nunmehr vehement nach der Ermordung eines Kindes wiederum die Todesstrafe fordert. Beide Verhaltensweisen, die Forderung des Todesschusses nach Gladbeck und die Forderung der Todesstrafe nach der Ermordnung dieses Kleinkindes,
sind populistische Forderungen, die auf Urängste hinzielen.
({17})
- Das ist ein Kollege des Kollegen Fellner. Man kann das in den Ticker-Meldungen nachlesen.
({18})
- Weil er zur CSU gehört, damit der Kollege Bohl das zuordnen kann. Ich sage das nur mal in eine bestimmte Richtung.
Ich denke, daß die geschmacklose Polemik der konservativen Propagandisten in der Behauptung gipfelt, die SPD würde, wenn sie solchen Forderungen nicht nachgehe, den Täter- vor den Opferschutz stellen. Ich denke, Sie sind gut beraten, wenn Sie sowohl Ihren Kollegen, der jetzt die Todesstrafe fordert, und auch den Innenminister, der seine Gesetzgebungsdiskussion mit dem Todesschuß wieder erneuert hat, in die Schranken weisen würden.
({19})
- Natürlich ist das ein Unterschied, aber beide müssen trotzdem in die Schranken gewiesen werden, der Innenminister Zimmermann wie der andere Kollege.
({20})
Ich denke, daß einige Vertreter der Unionsparteien der Versuchung nicht wiederstehen können, aus dem Unglück anderer Menschen parteipolitisches Kapital zu schlagen. Ich stelle jedenfalls für mich fest, daß über die Frage des Todesschusses in den 70er Jahren ausreichend diskutiert worden ist - ich denke, damals waren Sie noch Innenminister, Herr Baum - und daß man sich aus gutem Grund dafür entschieden hat, von der gesetzlichen Normierung des sogenannten Todesschusses abzusehen. Dabei sollte es vernünftigerweise auch bleiben.
Herr Waffenschmidt, ich hätte dem Innenminister gerne persönlich gesagt, daß ich es zum Teil unerträglich finde, in welcher Form er und andere Kollegen in der CSU Stimmung gegen die Asylbewerber in unserem Lande machen. Ich hätte ihn auch gern nach der Verantwortlichkeit des Rücktransportes bestimmter Kinder gefragt, die hierher in die Bundesrepublik gebracht werden sollten, welche Verantwortung er in diesem Zusammenhang jedenfalls für sich selber sieht. Nun ist er nicht da, und man kann diese Diskussion mit ihm nicht weiter führen.
Ich meine, daß Sie im Innenministerium aufgefordert sind, die Beschleunigung des Asylverfahrens wirklich voranzubringen. Da stehen wir vor einem ähnlichen Dilemma, Herr Waffenschmidt. Natürlich bewilligte Ihnen das Parlament vor zwei Jahren und auch in diesem Jahr wiederum neue Stellen für die Behörde in Nürnberg bzw. Zirndorf. Aber die Besetzung dieser Stellen macht die gleichen Schwierigkeiten wie beim Bundeskriminalamt. Mich bedrückt es, daß wir auf die jungen Fachhochschulabsolventen, auf die jungen Inspektorinnen und Inspektoren, warten, die dann in Zirndorf als Entscheider eingesetzt werden. Mit allem Respekt vor dem fachlichem Können der jungen Leute glaube ich, daß sie nach dem Abitur und nach einem dreijährigen Ausbildungsgang überfordert sind, wenn sie als Entscheider über das Lebensschicksal ganzer Familien zu befinden haben, die zu uns kommen, mögen sie nun aus Polen, aus Afghanistan, aus Kuba oder aus Afrika kommen. Das können diese jungen Leute auf Grund ihrer eigenen Lebenserfahrung kaum.
Ich meine, die Position des Entscheiders im Bundesamt in Zirndorf ist für ausgereifte Persönlichkeiten gedacht gewesen. Das entspricht ja in etwa auch der Bezahlung, die wir dort vorgesehen haben. Mich bedrückt es ein wenig, daß wegen der Personalenge, der wir gegenüberstehen, Menschen mit einem solchen beruflichen Hintergrund und mit so einer Lebenserfahrung diese Verantwortung als Entscheider übernehmen.
Herr Waffenschmidt, ich habe eine Frage, die Sie vielleicht heute beantworten können. Sollten wir nicht gemeinsam überlegen - wir wissen ja um die Wohnungsnot der Aussiedler, die zu uns kommen -, ob es nicht vernünftiger wäre, auf den Bau von Schutzräumen und von Bunkern zu verzichten - 101 Millionen DM sind im nächsten Jahr für den Bau von Schutzräumen und deren Herrichtung vorgesehen - und dieses Geld zu verwenden, um den Aussiedlern zumindest in den Übergangswohnheimen, die sie brauchen, Wohnraum zur Verfügung zu stellen? Denn der Atomkrieg und auch der konventionelle Krieg stehen ja nicht an.
({21})
Herr Waffenschmidt, sollten wir nicht gemeinsam überlegen, ob das Konzept für den Katastrophenschutz und hier speziell für den Transport mit Luftfahrzeugen nicht ein wenig durchdachter angegangen werden kann? Ich weiß jedenfalls nicht, woher das zusätzliche Flugpersonal kommen soll, um künftig die Rettungsflüge durchzuführen.
Herr Waffenschmidt, im Bereich der zivilen Verteidigung gibt es zwei Bereiche, die ungeklärt sind. Was wird mit dem THW? Wie wird es nach den Einwänden des Bundesrechnungshofs organisiert? Wir haben es hier schließlich mit einem Etat von 109 Millionen DM zu tun. Ich kenne aus dem Innenministerium keine klare Konzeption, keine Antworten. Es wird weitergewurstelt.
({22})
- Herr Kollege Gerster, Sie sind da ja noch nicht.
Was wird mit dem Bundesverband für den Selbstschutz? Hierfür sind 66 Millionen DM vorgesehen. Herr Waffenschmidt, auch hier fehlt es an einer Konzeption, die ich heute eigentlich vom Innenminister erwartet habe. Ich dachte, daß er einige Perspektiven aufzeigt.
Was wird mit der Katastrophenschutzschule, was mit der Akademie für zivile Verteidigung, die zunehmend unter die Kritik derjenigen gerät, die diese Einrichtung besuchen? Die Kritik erfolgt erstens wegen des nicht mehr adäquaten Unterrichtsstils und zweitens wegen der Unterrichtsinhalte.
Herr Waffenschmidt, ich kann es Ihnen nicht zum Vorwurf machen, aber ich frage mich, ob der Innenminister eigentlich seine Hand im Spiel hat bei der unverdrossen fortgesetzten Speziwirtschaft in Ihrem Hause. Ich nenne die Speziwirtschaft in der Beschaffungsstelle des Innenministeriums, die zu entsprechenden Eruptionen geführt hat. Ich nenne die Speziwirtschaft um das Lastenausgleichsarchiv und nunmehr um diese neue - ich sage einmal - Auffangsituation in Oldenburg, um dieses wunderschöne Bundesinstitut, das in Oldenburg errichtet werden soll. Diese Form von Personalpolitik - ich will sie nicht weiter ansprechen - zeigt auch nicht gerade die Seriosität des Innenetats.
Herr Waffenschmidt, es wird Sie nicht wundern: Wir werden den Innenetat gerne und mit Nachdruck ablehnen.
({23})
Zu einer kurzen Klarstellung hat der Abgeordnete Esters um das Wort gebeten. Ich erteile es ihm außerhalb der traditionellen Rednerreihenfolge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kollegen Kühbacher ist sicherlich entgangen, daß der Kollege Kleinert bei den Beratungen im Haushaltsausschuß ausweislich des Protokolls bei Kapitel 643 den Antrag gestellt hat, einen Ansatz von 300 Millionen DM einzustellen für: Entschädigung für NS-Unrecht - Bundesfonds für die Entschädigung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen unter dem NS-Regime.
Diesem Antrag haben CDU/CSU, SPD und FDP im Haushaltsausschuß nicht folgen können, obwohl wir in der Sache auf gleicher Linie lagen wie der Kollege Kleinert; denn das war zu dieser Zeit nicht haushaltsreif. Jetzt, in der zweiten Lesung, ist es auch nicht haushaltsreif.
Ich empfehle den Kollegen meiner Fraktion, sich bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme zu enthalten. In der Sache sind wir nicht auseinander.
({0})
Dazu hat der Kollege Kleinert ebenfalls um das Wort zu einer kurzen Stellungnahme gebeten. Bitte schön.
Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich mich für die Klarstellung, die der Kollege Esters vorgenommen hat, ausdrücklich bedanken. Ich möchte das aber mit einer Anmerkung verbinden.
Ich habe mich durch diesen Vorgang persönlich gekränkt gefühlt, durch diesen Vorgang ({0})
- nee, nee, nee, so einfach ist das nicht - , daß hier unterstellt worden ist, daß von uns bei einem so sensiblen Thema nicht die Notwendigkeit gewahrt worden wäre, rechtzeitig und formal völlig korrekt mit den Anträgen umzugehen. Damit hätte der Eindruck
entstehen können, die GRÜNEN versuchten, bei so einem Thema eine billige Show abzuziehen.
({1})
- Darf ich bitte zu Ende führen? ({2})
Ich finde so etwas sehr bedauerlich. Ich habe mich dadurch zunächst einmal sehr gekränkt gefühlt. Deshalb bedanke ich mich auch dafür, daß die Sache aus der Welt geschaffen ist.
Aber ich will aus gegebenem Anlaß eines deutlich machen: Ich habe in den letzten Wochen verschiedentlich erleben müssen, wie Vertreter unterschiedlicher Fraktionen hier im Haus in Situationen, die für sie selbst peinlich waren, mit der Wahrheit, was meine Person anbetrifft, sehr merkwürdig umgegangen sind. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren,
({3})
daß es hier im Haus mittlerweile an der Tagesordnung ist, bei Sachen, die einem selbst unangenehm sind, alles, aber auch alles zu erzählen, um ja die Schuld oder das Problem von sich selbst abzuladen - auch, wenn der Preis der ist, daß andere unberechtigterweise an den Pranger gestellt werden
({4}) und der Lüge bezichtigt werden.
({5})
Ich habe in den letzten Wochen in einem viel brisanteren Zusammenhang persönlich erfahren müssen, was das bedeutet.
Ich nehme diese persönliche Erklärung zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß ich der Meinung bin, daß unbeschadet aller persönlichen Gegensätze, wie groß sie auch immer sein mögen, bestimmte Umgangsweisen, auch bestimmte Umgangsweisen mit der Wahrheit - wenigstens darüber, wer wann was gesagt hat
- gewahrt werden sollten und daß alle Seiten in einem übereinstimmen sollten, nämlich daß man den Versuch machen muß, Probleme, die man plötzlich selbst bekommt, nicht auf andere abzuladen, um sich auf eine ganz billige Weise aus der Verantwortung herausstehlen zu können.
({6})
- Nein, Herr Bohl, ich spiele mich hier überhaupt nicht auf.
({7})
Ich will darauf verzichten, bei dieser Gelegenheit noch ein paar andere Dinge mitzuteilen.
({8})
Ich will bei dieser Gelegenheit darauf verzichten. Es kam mir nur darauf an, das hier noch einmal deutlich herausgestellt zu haben. Das ist keine vernünftige Umgangsform.
({9})
Zu diesem speziellen Sachverhalt auch noch außerhalb der traditionellen Reihenfolge der Abgeordnete Gerster ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, die Belehrungen des Kollegen Kleinert ausgerechnet über Umgangsformen sprechen für sich. Ich schlage vor: Fangen Sie einmal mit den Umgangsformen an und geben Sie als Fraktion oder einzelne Mitglieder der Fraktion andere Beispiele. Da wären Sie gut beraten.
Punkt 2! Meine Damen, meine Herren, ich muß mitteilen - weil dieser Antrag überraschend gestellt wurde - , daß die CDU/CSU-Fraktion natürlich über das Schicksal von Zwangsarbeitern genauso wie andere betroffen ist. Das ist gar keine Frage. Dennoch werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Wir werden ihn ablehnen - aus folgendem Grund. Die Wiedergutmachung basiert im wesentlichen auf zwei Prinzipien, auf dem Territorialitätsprinzip, das besagt, daß Deutsche gegenüber dem Staat einen individuellen Anspruch auf Wiedergutmachung haben, und auf dem Londoner Schuldenabkommen, das gegenüber anderen Ländern, deren Bürger deswegen keinen individuellen Anspruch haben, Pauschalabgeltung bedeutet.
Wenn wir nunmehr hingingen und Zwangsarbeitern einen individuellen Antrag zugeständen, würden wir sowohl die Verhandlungen, die gesamte Basis des Londoner Schuldenabkommens, durchbrechen
({0})
als auch das Prinzip der bisherigen Wiedergutmachung in Frage stellen. Die Wiedergutmachung hat bisher 80 Milliarden DM gekostet. Sie wird auf Grund gesetzlicher Ansprüche weitere 20 Milliarden DM kosten, also 100 Milliarden DM. Würden wir diesem Antrag zustimmen, kämen garantiert weitere Milliarden DM von Menschen aus vielen europäischen Ländern und natürlich auch aus Israel oder sogar noch von Juden aus anderen Staaten hinzu. Das ist keine Frage. Da dies so ist, ist eine Stiftung mit einem Volumen von 300 Millionen DM weder in der Lage, diese Probleme zu lösen, noch sind diese Vorstellungen etatreif; sie können gar nicht etatisiert werden. Aus diesem Grund müssen wir diesen Antrag ablehnen.
Meine Damen und Herren, nachdem wir nun auf den Inhalt des Antrags zu sprechen gekommen sind, kann ich es dem Abgeordneten Lüder natürlich nicht verwehren, auch eine Stellungnahme für seine Fraktion dazu abzugeben. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich im Anschluß an das, was Herr Kollege Gerster gesagt hat, folgendes ausführen: Herr Gerster hat nur einen Teil der Probleme aufgezeigt, die hier besprochen werden mußten. Aber auch noch einige andere Themen gehören dazu. Wir müssen z. B. die Frage stellen, ob wir mit einer solchen Stiftung - wenn wir nach den Kriterien, die Herr Gerster hier aufgestellt hat, überhaupt dürften - z. B. andere Fragen, andere Bezugspunkte - auch anderer Geschädigter - nicht außer acht lassen. Wir haben im letzten Jahr, als es um den Härtefonds für die NSGeschädigten ging, eigentlich eine grundsätzliche Klärung vorgenommen. Eines ist dabei offengeblieben - dies ist hier noch gar nicht angesprochen worden - , z. B. die Frage, wie wir in der Rentenreform die Zwangsarbeiter berücksichtigen, die nicht kleben durften. Ich will diese Frage nur aufwerfen, ich will hier keine Forderung anmelden.
Ich sage nur, daß wir mit einem solchen Antrag betreffend das ganze Stiftungsverfahren - wir wissen, daß dahinter auch die Forderung steht, die Härteregelung für die NS-Opfer insgesamt letztlich in Zusammenhang mit einer Stiftung zu bringen - eine Diskussion eröffnen, die wir hier an dieser Stelle nicht so führen dürfen.
Meine Damen und Herren von der SPD, dann aber können wir uns nicht mit einer Enthaltung um eine Entscheidung herumdrücken, sondern dann müssen wir hier und heute deutlich nein sagen. Wir können die Sachdiskussion im Ausschuß auf der Grundlage eines Antrages führen. Aber hier in der Haushaltsberatung sage ich nein, und ich sage nicht jein, sosehr jein sonst ein liberales Wort sein mag.
Danke.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge der Redner zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
Meine Damen und Herren, ich wäre natürlich sehr dankbar, wenn wir einen Teil der Zeit, die wir jetzt verbraucht haben, mit berücksichtigten. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kleinert, ich bin doch sehr betroffen, daß Sie die Beratung des Einzelplans 06 zum Anlaß genommen haben, sich hier generell zu beklagen, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Ich meine, das ist den Kollegen Mitberichterstattern gegenüber nicht gerecht. Wir haben uns viel Mühe gemacht, und wir haben gut zusammengearbeitet. Deswegen möchte ich mich, Herr Kleinert, von hier aus auf jeden Fall für die gute und menschliche Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nüchtern, wie Sie es sind und wie auch ich es heute abend bin,
({0})
möchte ich mich dem haushaltsreifen Einzelplan 06
zuwenden, dies zu einer Uhrzeit, in der viele im Pano7664
rama-Café bereits ihren Dämmerschoppen hinter sich haben.
({1})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin jetzt im zweiten Jahr Berichterstatter zum Einzelplan 06. Ich habe schon mehrere Male an den Sitzungen des Innenausschusses teilgenommen. Das werden die Kollegen gern bestätigen können. Deswegen lassen wir diese Dinge jetzt besser sein.
Herr Kollege Kühbacher, Sie haben soeben formuliert, es zeichnet den Stellenwert des Ministers, daß er an der Sportkonferenz in Moskau teilnehme. Ich meine, Sie haben nur ein einziges Wort vergessen: Es zeichnet den Stellenwert des Ministers a u s. Es ist eine Auszeichnung, daß der bundesrepublikanische Innen- und Sportminister in Moskau weilt, und ich wäre dankbar dafür, wenn Sie den Begriff „in die Schranken verweisen" wegen Vorschlägen im Bereich der inneren Sicherheit zurücknehmen würden. Sie behaupten auch, daß dieser Bundesinnenminister Stimmung gegen die Asylbewerber macht. Herr Kollege Kühbacher, ich weiß nicht, warum Sie ihm das jetzt anhängen wollen. Ich hatte eben den Eindruck, als wenn Sie versuchen, einen Ausgleich für die Stimmung, die Lafontaine gegen die Aussiedler gemacht hat, herbeizuführen.
({2})
Noch ein letztes zu dem Stichwort Schutzräume. Heute morgen hatten wir ein Berichterstattergespräch über die Bauten der Bundesfachhochschule und der Bundesschule für die Weiterbildung der Finanzbeamten. Herr Kollege Kühbacher, dort haben Sie zustimmend zur Kenntnis genommen, daß Schutzräume eingebaut werden sollen, und heute abend verlangen Sie hier die Streichung der Mittel. Ich meine, das stimmt irgendwo nicht und paßt nicht zueinander.
Aber jetzt zur Sache selbst, um unsere Stellungnahme zu diesem Haushalt so schnell wie möglich, Herr Präsident, durchzuziehen. Die Ablehnung des Innenhaushalts ist für Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, offensichtlich zu einer reinen Pflichtübung geworden. Aber inhaltliche Alternativen, wie man sie von einer ernsthaften Opposition erwarten kann, sind weit und breit nicht zu sehen. Statt dessen - würde man der SPD folgen - soll die Republik am Wahlrecht für Ausländer, an übersteigertem Datenschutz auf Kosten der inneren Sicherheit sowie an einer Kopf-in-den-Sand-Politik gegenüber Gewalt bei Demonstrationen genesen.
({3})
Eine solide Innenpolitik sieht anders aus. Die Koalitionsfraktionen haben dafür die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für das kommende Jahr geschaffen:
Erstens. Die Wahrung der inneren Sicherheit, der Schutz von Leben, Freiheitsrechten und Rechtsgütern unserer Bürger ist und bleibt die entscheidende Grundlage für ein lebenswertes Dasein. Wenn die Innenpolitik hier ansetzt und die Voraussetzungen dafür zu schaffen und zu erhalten sucht, ist das kein Selbstzweck und darf erst recht nicht als Polizeistaat oder dergleichen diffamiert werden. Mit einer entschlossenen Politik zur Bekämpfung von Kriminalität, Gewalt und Terror tragen wir vielmehr dem Interesse jedes einzelnen Bürgers Rechnung.
Auch ein Jahr nach den Todesschüssen an der Startbahn West, zwei Jahre nach den Terrormorden von 1986 an Zimmermann, Beckurts und seinem Fahrer sowie von Braunmühl und elf Jahre nach dem Mordterror der RAF von 1977 bleiben die Gewährleistung der Friedlichkeit von Demonstrationen sowie eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus an der Spitze der Prioritätenliste. Die gewalttätigen Ausschreitungen bei der Anti-NATO-Demonstration in Hamburg in der vergangenen Woche haben einmal mehr die Notwendigkeit eines strafbaren Vermummungsverbots gezeigt.
({4})
Aus dem sogenannten Schwarzen Block begehen vermummte Gewalttäter ihre Straftaten, während die Veranstalter und viele - im übrigen friedliche - Demonstranten eine Distanzierung von den Vermummten ablehnen und diesen statt dessen bewußt Dekkung gewähren.
An der Hamburger Hafenstraße, der Düsseldorfer Kiefernstraße und dem Geiseldrama von Gladbeck haben wir beispielhaft gesehen, daß ein Paktieren
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mit Rechtsbrechern nur zu immer neuen Straftaten führt und dazu, daß der Rechtsstaat in der Gefahr ist, vor die Hunde zu gehen.
Meine Damen und Herren, und in dem Zusammenhang darf ich Sie darauf hinweisen, daß inzwischen im ZDF berichtet wurde, daß Herr Innenminister Schnoor den Innenausschuß, den Landtag von Nordrhein-Westfalen sowie die Öffentlichkeit über den Ablauf des Gladbecker Geiseldramas nicht nur lükkenhaft, sondern objektiv falsch informiert hat.
Damit fällt die bisherige Ausflucht der SPD, Herr Schnoor untersuche den Polizeieinsatz bei der Gladbecker Geiselnahme vom August mit Nachdruck und Sorgfalt und dürfe dabei nicht durch Rücktrittsforderungen behindert werden, in sich zusammen.
({6})
Minister Schnoor klärt nicht auf, sondern er verdunkelt.
({7})
Um so mehr tritt das Versagen von Minister Schnoor während des Geiseldramas in den Vordergrund. Die vom Minister selbst zu verantwortende Linie des abwartenden Nichtstuns, des Versäumens von Zugriffs-und Befreiungsmöglichkeiten hat zum Tod von drei unschuldigen Menschen geführt. Schnoor trägt dafür die Verantwortung. Die Bundestagsfraktion der CDU/
CSU fordert den Ministerpräsidenten Johannes Rau auf, Herrn Schnoor zu entlassen.
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- Ich habe selten welche, das kann ich Ihnen versichern.
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Mit gutem Grund werden deshalb im nächsten Jahr bei uns mehr als 1,9 Milliarden DM, d. h. rund 45 der Ausgaben beim Einzelplan 06, für die innere Sicherheit aufgewandt werden. Damit ist sichergestellt, daß die wesentlichen Verbesserungen der Ausstattung des Bundeskriminalamtes, des Bundesgrenzschutzes sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz fortgeführt werden können. Der BGS wird 1989 1 500 Dienstanwärter einstellen können. Das Stellenanpassungsprogramm wird durch Hebung von weiteren 290 Planstellen im mittleren Polizeivollzugsdienst fortgesetzt. Die Mittel für die Aufstellung einer siebten Bereitschaftspolizeiabteilung in Bayern stehen zur Verfügung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Verabschiedung des Haushalts vor einem Jahr waren wir alle der Auffassung, für die angestiegene Zahl von deutschen Aussiedlern Vorsorge getroffen zu haben. Die Entwicklung in diesem Jahr ist weit darüber hinausgegangen. Bis Mitte des Monats sind bereits über 175 000 deutsche Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa sowie über 20 000 Zuwanderer aus der DDR und Berlin ({10}) zu uns gekommen.
Gemeinsam mit der Bundesregierung haben wir deswegen erhebliche personelle und materielle Verbesserungen für die Aufnahme und Eingliederung der Aussiedler vorgesehen. Allein im Haushalt des Bundesinnenministeriums wurde der Mittelansatz um ein Drittel auf 728 Millionen DM erhöht. Damit werden die Mittel für die Rückführung, für Einrichtungsdarlehen und Leistungen an ehemalige Kriegsgefangene und politische Häftlinge dem gestiegenen Bedarf angepaßt. Außerdem haben wir 236 neue Stellen insbesondere beim Bundesverwaltungsamt sowie bei den Suchdiensten eingerichtet, damit das Registrierverfahren in den nunmehr vier Aufnahmestellen Friedland, Unna-Massen, Nürnberg und Osnabrück in einer vernünftigen Zeit abgewickelt und die Aufenthaltsdauer der Aussiedler mit ihren Familien in den Aufnahmelagern deutlich verkürzt wird.
Meine Damen und Herren, unsere Fraktion bekennt sich ausdrücklich zu unserer Verantwortung für die deutschen Aussiedler. Wir stehen dafür ein, daß alle deutschen Aussiedler hier Aufnahme finden. All den Krämerseelen, die jetzt über Aufnahmequoten nachdenken und die Belastung der öffentlichen Haushalte beklagen, frage ich: Wo bleibt Ihre Verantwortung für die Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in den Genuß des Marshall-Plans kommen und nicht im freien Teil Deutschlands zu einem in unserer Geschichte beispiellosen Wohlstand gelangen konnten? Wenn wir Deutschen noch eine Gemeinschaft sein wollen, die nicht nur durch den gesetzlichen Anspruch auf Sozialhilfe sowie die freie Fahrt auf Autobahnen zusammengehalten wird, müssen wir die deutschen Aussiedler, die doch außer uns niemanden mehr auf der Welt als Fürsprecher haben, großherzig aufnehmen.
Meine Damen und Herren, leider ist durch die Vorbemerkung meine Zeit ein gutes Stück eingeschränkt worden. Sie ist jetzt abgelaufen. - Ich möchte aber noch darauf hinweisen, daß wir in diesem Innenhaushalt insbesondere im kulturellen Bereich einen besonderen Schwerpunkt gesetzt haben. Die großen Museumsvorhaben des Bundes in Bonn und Berlin sowie die Stiftung Friedrich-Ebert-Gedenkstätte und die Einrichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh werden jetzt zügig anlaufen oder fortgesetzt.
Die Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit wird konsequent vorangetrieben. Wir haben die Mittel seit 1983 angemessen erhöht.
Meine Damen und Herren, was mich besonders freut, ist, daß im Zusammenhang mit dem MoskauBesuch des Bundeskanzlers der „Deutschlandfunk" ein eigenes Büro in Moskau einrichten kann und so die Berichterstattung aus Osteuropa beträchtlich intensiviert werden kann. Ich möchte in dem Zusammenhang aber auch darauf hinweisen, daß wir fordern, daß die Sowjetunion die Störungen der „Deutschen Welle" jetzt endgültig einstellt. „Perestrojka" und „Glasnost" möchten wir dann auch hier ein Stück verwirklicht haben.
({11})
Meine Damen und Herren, abschließend zum Sport ein Wort. Wir sind dankbar, daß der Gewinn an Medaillen so groß ausgefallen ist. Wir haben trotzdem Anlaß, die großzügige Förderung zu überprüfen und gegebenenfalls noch bessere Wege für die Zukunft zu suchen.
Noch einmal herzlichen Dank. Wir stimmen dem Haushalt zu.
({12})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen Vorschlag machen. Wir sollten hier einmal unter uns Kollegen für ein Bild von Herrn Zimmermann sammeln. Das könnten wir hier aufstellen. Das Bild wäre nämlich sehr gut anzuwenden. Wir könnten es gleichzeitig mit in den Innenausschuß nehmen,
({0})
weil er auch da nie auftaucht. Vielleicht nehmen Sie meine Anregung einmal auf, und wir können das hier machen.
Meine Damen und Herren, im Rahmen meiner sehr begrenzten Redezeit möchte ich bei der Behandlung des Etats des Innenministeriums auf zwei Punkte näher eingehen, zum einen auf das, was sonst im Etat inhaltlich überhaupt nicht zur Sprache kommt: die
Harmonisierung der Asylpolitik und der Bereich der inneren Sicherheit im Kontext des EG-Binnenmarktes 1992, zum anderen auf den Titel betreffend die Regelung der Entschädigung von Opfern des nationalsozialistischen Regimes.
Wie wenig maßgebliche Repräsentanten dieses Hauses den Opfern und den Verbrechen des Nationalsozialismus gerecht werden konnten, haben wir erst in den letzten Tagen verfolgen können, gerade eben auch von Herrn Gerster. Die Anerkennung und Entschädigung für die bislang ausgeschlossenen NSOpfer wurde mit der Entscheidung des Bundestages vom 3. Dezember 1987 und den anschließenden Richtlinien der Bundesregierung zu einem beschämenden Ende gebracht. Ganze Gruppen von Opfern bleiben weiterhin ausgeschlossen oder erhalten eine völlig unakzeptable Entschädigung für das an ihnen begangene Unrecht. Ich nenne hier nur stellvertretend die Zwangssterilisierten, die Kommunisten, die Homosexuellen, die sozial Geschädigten und die Kriegsdienstverweigerer.
Dies werden die GRÜNEN auch weiterhin nicht akzeptieren. Mit dem Antrag der GRÜNEN zu den Schadenersatzforderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen hat man sich in den Ausschüssen gar nicht befaßt. Unser Antrag wurde ohne jegliche Argumente im Innenausschuß einfach abgelehnt.
({1})
Wir sehen uns deshalb genötigt, diese Forderungen in Form eines Gesetzesvorschlags demnächst erneut in den Bundestag einzubringen, um einen Einstieg in die Entschädigungsregelung für diesen Personenkreis zu ermöglichen. Unsere Fraktion hat deshalb in den Haushaltsberatungen einen Haushaltstitel in Höhe von 300 Millionen DM für das Jahr 1989 eingebracht. Ein solcher Titel müßte auch in den folgenden Jahren für den Bundeshaushalt vorgesehen werden.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum zweiten Punkt. Im Bereich der inneren Sicherheit, der Rechts- und Flüchtlingspolitik zeichnen sich einschneidende Veränderungen im Kontext des EG-Binnenmarktes ab. Die Stichworte hierzu lauten: Schengen, TREVI, Wiener Club, Berner Club, SIS - das heißt Sicherheits-Informations-System. Viele von meinen werten Kollegen und Kolleginnen werden diese Kürzel wahrscheinlich noch gar nicht gehört haben oder sich nichts Genaues darunter vorstellen können. Schon das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal ersten Ranges. Denn hinter diesen Stichworten verbergen sich handfeste Programme, die die EG-Bürokratie und die Innenministerien der EG-Länder miteinander verhandeln, ohne das zuständige Parlament vorher oder hinterher zu informieren, ohne die erzielten Ergebnisse dem Parlament in ausreichender Form zur Kenntnis zu geben. Klammheimlich arbeiten die Exekutiven der EG-Länder in autoritärer, ja absolutistischer Weise an einer sogenannten Harmonisierung der Asylpolitik, an einer Feinabstimmung der Polizei-, Repressions- und Geheimdienstapparate.
Was da auf uns zukommt, möchte ich - in Anbetracht der Kürze der Zeit - nur am Beispiel der Flüchtlingspolitik verdeutlichen. Der bayerische Innenminister Stoiber hält die bei uns geführte Diskussion über eine Änderung des Grundgesetzartikels 16 für „schon fast überholt". Denn, so sagte Stoiber weiter, das Problem werde sich über die europäische Integration lösen. Um eine EG-Harmonisierung im Asylrecht zu erreichen, müßten wir - so Stoiber - unseren „Rechtszustand ändern". Sein CSU-Kollege Huber wurde noch deutlicher. Mit Hilfe einer entsprechenden EG-Richtlinie, die bei uns geltendes Recht bedeutet, könnte der Art. 16 faktisch vollends ausgehebelt werden.
All diese Fragen werden zwischen den fünf Mitgliedern des Schengener Abkommens derzeit diskutiert, ohne daß, wie gesagt, wir Abgeordneten umfassend und ausreichend informiert werden.
Aber da ist noch mehr im Busch. Von einer europäischen Fahndungsunion ist im Rahmen von Schengen und auch von TREVI die Rede. Meine Damen und Herren, unter dem Vorwand des Abbaus der gemeinsamen Grenzkontrollen vollzieht sich in absolut obrigkeitsstaatlicher Weise die Formierung eines westeuropäischen Repressionsapparates und einer einheitlichen Flüchtlingspolitik mit dem erklärten Ziel einer nahezu vollständigen Abschottung. Auch an diesem Punkt ist die EG-Politik zu bekämpfen. Sie ist nicht nur unsozial und unökologisch. Sie ist auch zutiefst undemokratisch und im Bereich der Flüchtlingspolitik von einer reinen Festungsmentalität durchdrungen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer mein Schicksal, nach Frau Olms zu sprechen.
({0})
- Ja, selten. Sie malt stets eine so schreckliche Welt, daß ich immer ganz verzweifelt bin, wie man das wieder in Ordnung kriegen kann.
({1})
Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte kann ich mich nicht an mein Manuskript halten. Allen, die es haben, sage ich: Es gilt auch der schriftliche Text.
Wir teilen die Rüge betreffend die Abwesenheit des Innenministers nicht. Er wird durch zwei hervorragende Staatssekretäre so gut vertreten, daß es auch ohne ihn ganz gut gehen wird.
({2})
Es hat auch gar keinen Sinn, die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiter wieder aufzuwerfen. Wir haben gerade im Laufe des letzten Jahres die Frage der Wiedergutmachung immer wieder im Innenausschuß mit aller Sorgfalt behandelt. Ich denke gar nicht daran, mit einer Handbewegung die Wiedergutmachungsabkommen und die Entschädigungsregelungen, die wir gefunden haben, und auch die Frage der
Beteiligung der privaten Wirtschaft an irgendwelchen Abkommen dieser Art wegzuschieben. Wenn man das seriös machen will, muß man sorgfältig beraten.
({3})
Zum Haushalt. Die Daten geben keine Veranlassung zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung. Wir hätten einzelne Schwerpunkte anders gesetzt. Ich nenne Beispiele. Bei der Öffentlichkeitsarbeit und bei den Themen der Forschungsaufträge zeigt sich für unsere Begriffe eine etwas ängstliche Abwehrhaltung, wo es gälte, für unsere Grundrechte, für aktive Toleranz, für offene, vorurteilsfreie Begegnungen mit unseren europäischen Nachbarn während des täglichen Arbeitslebens, nicht nur im Urlaub, zu werben. Wir müßten nicht nur für die ostdeutsche Kulturarbeit, also für die Bewahrung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen, Mittel einsetzen, sondern genauso für die Begegnung mit der heutigen osteuropäischen Kultur, die ja ebenfalls zu unserem gemeinsamen Erbe gehört. Aber das alles ist nicht so entscheidend, wie vieles am Haushalt zwangsläufig ist: Mehrausgaben für innere Sicherheit, für Europawahl, für Eingliederung der Aussiedler, die wir ja nicht aus verstaubter „Deutschtümelei" willkommen heißen, sondern weil wir uns ihnen menschlich und politisch verpflichtet fühlen.
({4})
Wir sind solidarisch mit diesen Menschen, die in ihre alte Heimat zurückkehren oder in die Freiheit wollen, was ja auch kein schlechtes Motiv ist. Ich frage mich: Wenn Herr Rommel und Herr Lafontaine unter ihnen, also außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik wären, würden sie dann auch sagen: Es muß alles quotiert werden; gut Ding hat Weile? Ich halte das nicht für angemessen.
({5})
Das Wort von der „Deutschtümelei" ist deswegen besonders bedauerlich, weil es eigentlich niemandem hilft, sondern im Ergebnis den politischen Streit um Aussiedler und Flüchtlinge verschärft, wo mehr Nächstenliebe oder mehr Solidarität geboten wäre.
Ich brauche nicht zu verheimlichen, daß es in der Koalition in der Innenpolitik Meinungsunterschiede gibt, die politisch ausgeglichen werden sollen. Eine Koalition ist kein Watschenverein auf Gegenseitigkeit. Es kann nicht funktionieren, wenn man dauernd versucht, sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen, sondern man muß die Grundposition des Gegenübers und seine Grundüberzeugungen respektieren und versuchen, darauf aufzubauen, wenn das ganze Unternehmen Erfolg haben soll.
({6}) Wir wollen eine liberale Innenpolitik,
({7})
für die die innere Sicherheit zwar wichtig, aber kein Selbstzweck ist. Sie muß sich an der Notwendigkeit orientieren, den inneren Frieden in unserer Gesellschaft zu wahren. Dieser innere Frieden kann nach unserer Überzeugung nicht oder jedenfalls nicht allein auf staatlichen Machtmitteln beruhen, sondern muß auf der Überzeugung und dem Vertrauen des Bürgers gründen, daß er nicht ein wehrloses Objekt staatlicher Macht, also Untertan, ist, sondern Bürger in einer freien Gesellschaft. Staatliche Macht muß mit Fingerspitzengefühl ausgeübt werden. Polizei und neue Gesetze sind keine Ausfallbürgen für nicht geleistete politische Überzeugungsarbeit.
({8})
Polizei kann Krawalle verhindern, aber sie kann die politischen Ursachen nicht ausräumen. Das ist der Kern des Unternehmens.
({9})
Wir appellieren erneut an den Innenminister, gerade im Bereich der Polizei die Zusammenarbeit mit den Ländern unabhängig davon zu suchen, welche politische Farbe die jeweilige Landesregierung hat.
({10})
Die innere Sicherheit kann nur gewährleistet werden, wenn die Polizeien von Bund und Ländern eng zusammenarbeiten, und das geht nicht ohne die aktive politische Mitarbeit des Innenministers zur Überwindung dieser politischen Grenzen.
({11})
Es ist ein Jammer, daß die Innenminister nicht die Kraft haben, das Auseinanderfallen des Polizeirechts zu überwinden. Wir haben dazu konkrete Vorschläge vorgelegt. Hiltrup muß ausgebaut werden. Der dortige Lehrkörper muß frei sein, er kann nicht nach den Meinungen eines Politikers gegängelt werden.
({12})
Natürlich bedarf es der intensiven Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Frage, was denn aus den Beamten des BGS wird. Man kann nicht einfach sagen: Wir übernehmen die Bahnpolizei. Da muß man sich natürlich nicht nur mit dem Verkehrsminister, sondern auch mit den Ländern genau unterhalten.
Natürlich hat Frau Olms in dem einen Punkt recht, daß das Schengener Abkommen enorme Konsequenzen haben wird - nicht nur für die Polizei. Da kann man an den Innenminister nur dringend appellieren, sich hinsichtlich der einzelnen Schritte mit dem Parlament sehr sorgsam abzustimmen,
({13})
damit weder er noch wir plötzliche Überraschungen in dieser Frage erleben. Wir wollen kein Europa mit weniger Freiheit - das habe ich schon einmal gesagt -, sondern wir wollen ein Europa der Bürgerrechte.
({14})
Es ist - die Zeit drängt - das Thema der Datenverarbeitung angesprochen worden. Polizei und Dienste müssen natürlich getrennt sein. Ich staune, daß immer
von Sicherheitsgesetzen gesprochen wird. Es sind Gesetze zum Schutz der Privatheit der Bürger.
({15})
Unser Ziel ist es, den Verfassungsschutz damit endlich aus dem Geruch des Geheimnisvollen, des Mystischen herauszuholen,
({16})
weil seine Arbeit auf Dauer nur möglich ist, wenn er mehr öffentliches Vertrauen genießt. Diese ganze Geheimnistuerei führt doch im Ergebnis dazu, daß er mehr schadet als nützt, wenn das so weitergeht. Darum ist es ganz wichtig, daß die Datenverarbeitung auf klare Grundlagen gestellt wird, daß gesetzliche Regelungen über Kontrollen, Auskunftspflichten, Löschungspflichten und natürlich über die politische Verantwortung für die Einzelheiten dieser Datenverarbeitung geschaffen werden. Die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz habe ich schon erwähnt.
Ein Wort noch - die Zeit läuft ab - zur Ausländer-und Asylpolitik. Wir wollen und können über die Ängste in der Bevölkerung nicht einfach hinweggehen. Aber wir dürfen uns nicht daran beteiligen, die Ängste zu schüren.
({17})
Das ist nicht erträglich. Darum werden wir uns im Februar in der Anhörung sehr intensiv um die Verwaltungspraxis, um die, wie wir glauben, zahlreichen Unzulänglichkeiten in der Praxis kümmern.
Es wird dabei bleiben, daß unsere Verfassung den politisch Verfolgten ein Recht auf Asyl gewährt. Ebenso halten wir an der Überzeugung fest, daß in der Bundesrepublik lebende Ausländer auf Dauer nicht als geduldete, aber lästige Fremde behandelt werden können, Ausländer der zweiten Generation schon gar nicht.
Der Ausländerbeauftragten, den Kirchen und den karitativen Organisationen schulden wir für ihre Arbeit Dank.
({18})
Ebenso möchte ich bei der Gelegenheit den Kollegen Gerster und Fellner dafür danken, daß sie sich bemühen und dazu beitragen, in diesem Bereich noch in dieser Legislaturperiode mit uns zusammen zu vernünftigen Regelungen zu kommen.
({19})
Wir wollen eine offene Gesellschaft, in der das kulturelle Zusammenleben vieler akzeptiert wird: nicht als eine Lästigkeit, sondern als eine Notwendigkeit in einem zusammenwachsenden Europa.
({20})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Kürze der Zeit möchte ich nur einige Schwerpunkte aus der Diskussion ansprechen. Zunächst, Herr Kollege Kühbacher: Ich wurde daran erinnert, daß Sie den Innenminister in einer Haushaltsdebatte einmal sehr gelobt haben. Das war Ihnen schlecht bekommen. Jetzt müssen Sie den Innenminister offenbar zehn Debatten hintereinander kritisieren. Da tun Sie mir eigentlich richtig leid.
Meine Damen und Herren, da der Kollege Kühbacher hier unbegründete Angriffe gegen Minister Zimmermann in dessen Abwesenheit gerichtet hat, so will ich zweierlei sagen: a) müssen sie um der Sache willen zurückgewiesen werden, aber b) möchte ich gerade auch zu Ihrem Monitum sagen: Wir sollten Minister Zimmermann auf dieser wichtigen internationalen Konferenz, auf der er unser Land in Moskau vertritt, Glück und Erfolg für unser Land wünschen und ihn hier nicht in Abwesenheit kritisieren, meine Damen und Herren.
({0})
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sind doch auch dafür, daß wir die internationalen Kontakte pflegen,
({1})
daß wir wichtige Initiativen auf internationalen Konferenzen ergreifen. Dies tut der Minister in diesen Stunden in Moskau.
Herr Kühbacher hat uns gute Ratschläge für die innere Sicherheit gegeben. Kollege Kühbacher, eine ganze Reihe Dinge, die Sie hier mit Einzelpositionen angesprochen haben, haben wir im Innenausschuß erörtert bzw. werden sie im Innenausschuß erörtern. Wenn Sie insgesamt soviel für die innere Sicherheit werben wollen, dann möchte ich Ihnen einen Ratschlag geben: Ermutigen Sie Ihre Kollegen von der SPD, die in Düsseldorf und Hamburg Verantwortung tragen, daß sie in der Kiefernstraße und in der Hafenstraße für Recht und Ordnung sorgen. Dann tun Sie einen guten Dienst für die innere Sicherheit. Das beträfe die Praxis, und da wäre eine gute Zusammenarbeit mit uns möglich.
Herr Kollege Deres hat hier schon aufgezählt, was wir in den Haushaltsberatungen für die innere Sicherheit erreichen konnten. Ich möchte hier unterstreichen: Eine gute Ausstattung für das Bundeskriminalamt oder für den Grenzschutz ist nicht ausreichend, sondern was unsere Beamten im Einsatz für die innere Sicherheit brauchen, ist, daß sie sich allezeit auf uns verlassen können, daß sie den politischen Rückhalt für den Einsatz für die innere Sicherheit haben. Ich denke, dies können wir hier gemeinsam leisten.
Auch an dieser Stelle und in dieser Debatte möchte ich den Beamten in Bund und Ländern, vor allem den Polizeibeamten, ein ganz herzliches Wort des Dankes sagen für ihren Einsatz für die Sicherheit in unserem Land, oft unter Einsatz ihres Lebens.
({2})
Wir haben einen besonderen Bereich der Kriminalität und der Gefahren zu bedauern. In diesem Jahr werden wir z. B. einen traurigen Rekord durch das Umsichgreifen des Rauschgifts haben. Hier sind wir alle gefordert. Das Innenministerium hat zusammen mit dem Bundeskriminalamt ein Konzept erarbeitet. Ich bitte Sie alle: Unterstützen Sie unsere Aufklärungsarbeit, unseren Einsatz, um Menschen, insbesondere junge Menschen, vor dieser Geißel zu schützen.
Ich möchte noch drei Schwerpunkte aus unserem weiten Tätigkeitsbereich nennen. Es ist in diesem Jahr gelungen, etwas für den öffentlichen Dienst zu erreichen. Ich freue mich, daß wir dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen konnten, wonach die einmal notwendig gewordene Absenkung der Eingangsgehälter wieder aufgehoben werden soll. Dies ist ein Schritt, mit dem wir dem öffentlichen Dienst in unserem Lande deutlich machen: Im Rahmen des finanziell Möglichen wollen wir seine Arbeit unterstützen.
Ferner wollen wir mit der Ausbringung eines neuen Spitzenamts in den unteren Besoldungsgruppen zeigen, daß wir durch eine entsprechende Bezahlung dieser Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ihren wichtigen Dienst unterstützen. Ich meine, dieser erste Schritt als Konsequenz aus dem Strukturbericht ist eine wichtige Initiative für den öffentlichen Dienst in unserem Lande.
Ich will auch an dieser Stelle den Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Bund, Ländern und Gemeinden, für die wir ja das Recht setzen, für ihren Einsatz für das allgemeine Wohl herzlich danken. Dies sollte bei der Debatte über den Haushalt des Bundesinnenministeriums zum Ausdruck gebracht werden.
({3})
Hier ist mit Recht ein weiterer Schwerpunkt angesprochen worden, nämlich die Betreuung und der Einsatz für die deutschen Aussiedler, die zu uns kommen. Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders den Kollegen im Innenausschuß und auch im Haushaltsausschuß Dank sagen, die uns im Zusammenhang mit dem Sonderprogramm des Bundes unterstützt haben. Wir werden ja in diesem und im nächsten Jahr erhebliche Milliardenbeträge zur Verfügung stellen.
Aber, meine Damen und Herren, es ist ganz wichtig, daß wir etwas darüber hinaus tun. Die Menschen brauchen das Gefühl, daß sie bei uns willkommen sind, sie brauchen Zuwendung. Ich will es folgendermaßen zusammengefaßt formulieren: Wir fordern niemanden auf, seine heutige Heimat, seinen heutigen Wohnort zu verlassen. Wenn aber diese Menschen, diese deutschen Menschen, sich in freier Entscheidung entschlossen haben, zu uns, in ihr Vaterland, zu kommen, dann haben wir die rechtliche und moralische Pflicht, sie dabei zu unterstützen und sie hier herzlich aufzunehmen.
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Ich bin sehr dankbar - ich sage das auch als Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung - , daß Bund, Länder und Kommunen, aber auch die Kirchen, die sozialen Verbände und viele andere hier einen
Beitrag leisten. Ich hatte gerade in dieser Woche die Landesbeauftragten für Aussiedlerfragen bei uns im Innenministerium. Ich kann Ihnen sagen: Es geschieht alles Menschenmögliche, um diesen Menschen, diesen unseren deutschen Mitbürgern, das Einleben hier zu erleichtern.
Lassen Sie mich noch auf einen Bereich eingehen, der bei den letzten Haushaltsberatungen hier immer wieder eine Rolle spielte. Es ist der Bereich der Initiativen im kulturellen Sektor und im Sektor des Sports, den wir in der Innenpolitik zu verantworten haben.
Meine Damen und Herren, es ist uns gelungen, ein Aktionsprogramm für die ostdeutsche Kulturpolitik, auch mit erheblichen finanziellen Mitteln, vorzulegen. Ich will an dieser Stelle sagen: Das ist doch ein guter Beitrag als Brücke zu den Aussiedlern, die zu uns kommen. Ich finde, hier liegt auch eine nationale Aufgabe. Dieses Kulturgut aus den ostdeutschen und südosteuropäischen Bereichen, in denen deutsches Kulturgut gewachsen ist, zu wahren und es für künftige Generationen zu erhalten, ist ein wichtiger kultureller Beitrag auch mit Blick auf das Zusammenwachsen in Europa.
Ich möchte hier sagen: Ich wünsche all denen, die an unserem Aktionsprogramm „Ostdeutsche Kulturarbeit" arbeiten werden, bis hinein in die Wissenschaft, Glück und Erfolg. Das ist eine nationale Aufgabe zur Bewahrung unseres kulturellen Erbes.
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Nun ist bei der letzten Haushaltsdebatte der Sport angesprochen worden. Meine Damen und Herren, ich hätte eigentlich erwartet, auch von seiten der SPD, die das immer wieder vorgebracht hat, einmal ein Wort der Anerkennung für das großartige Sportförderungsprogramm, das uns im Zuge der Steuerreform gelungen ist, zu hören. Wir werden eine Regelung haben, die gerade den vielen Sportvereinen draußen im Lande hilft, den wichtigen ehrenamtlichen Einsatz im Breitensport zu leisten.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß wir gerade auch im Sinne der Forderungen, die der Deutsche Sportbund und die vielen Tausende Sportler vor Ort an uns gerichtet haben, etwas tun.
Wir wollen an dieser Stelle auch noch einmal unseren Medaillengewinnern und den Aktiven und Erfolgreichen von Seoul gratulieren. Das wollen wir tun, meine Damen und Herren.
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Unsere Sportler bei den Olympischen Spielen waren gute Botschafter für unsere Bundesrepublik Deutschland. Dafür wollen wir Ihnen herzlich danken, meine Damen und Herren.
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Wir werden - Bundesinnenminister Zimmermann hat das eingeleitet - Folgerungen für unsere Sportförderung zu ziehen haben. Wir haben eine gute Bewährung der Olympiastützpunkte zu verzeichnen. Gleichwohl werden wir sehen müssen, was noch besser zu machen ist.
Meine Damen und Herren, es wurden mit Recht in den Debattenbeiträgen noch einige wichtige andere
Aufgabenbereiche angesprochen. Ich sage es in Stichworten. Wir werden uns bemühen, ein Ausländerrecht vorzulegen, das dem entspricht, was mit Recht die Zielsetzungen unserer Ausländerpolitik, die wir ja gemeinsam in der Koalition tragen, sind. Dazu zählen die Begrenzung des Zuzugs, die Hilfe bei der langerwarteten Eingliederung für manche Ausländer, aber auch die Rückkehrhilfe für die, die in ihre Heimatländer gehen wollen.
Es bleibt beim Asylrecht für die, die wirklich politisch verfolgt werden. Aber, meine Damen und Herren, wir werden alle Verfahren in Bund, Ländern und allen zuständigen Behörden verstärken und intensivieren müssen, damit wir für die über 90 %, die keine Asylgründe haben, schnell zur Klarheit kommen. Ich finde, wir werden das Asylrecht nach dem Grundgesetz nur bewahren und stärken können, wenn auch diejenigen, die kein Asylrecht haben, alsbald erfahren, daß sie bei uns auf Dauer nicht bleiben können.
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Meine Damen und Herren, zusammengefaßt: Es steht eine Menge von Aufgaben im innenpolitischen Bereich an. Die Haushaltsberatungen haben uns in den Stand gesetzt, das Programm, das Innenminister Zimmermann mit den Mitarbeitern unseres Ministeriums und der nachgeordneten Dienststellen erarbeitet hat, im kommenden Jahr auf einen guten Weg zu bringen.
Ich möchte den Mitarbeitern, aber vor allen Dingen den Mitgliedern des Innenausschusses und des Haushaltsausschusses, allen voran den Berichterstattern, für diese intensive Unterstützung der Arbeit in unserem Hause ganz herzlich danken.
Ich meine, dieser Haushalt für das Innenressort eröffnet einen guten Weg, in unserem Land Innenpolitik im nächsten Jahr zu machen. Ich habe aber auch ein herzliches Wort des Dankes an all die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die uns im ehrenamtlichen Einsatz und im hauptberuflichen Einsatz dabei unterstützen, daß unser Land eine freiheitliche, rechtsstaatliche Demokratie sein kann, in der der Bürger sein Recht hat, seine Freiheit hat und in dem es sich lohnt zu leben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
({0})
Ein sehr freudiger Empfang. Selbstverständlich füllt sich auch der Saal während der zehn Minuten, die mir zur Verfügung stehen, überdeutlich.
Ich möchte noch einmal darauf eingehen, daß der Bundesinnenminister Zimmermann auch bei dieser Beratung wieder fehlt. Das ist, Herr Waffenschmidt, inzwischen nicht mehr entschuldbar, weil wir das als Normalzustand in 99 von 100 Fällen im Innenausschuß und auch bei allen wichtigen Debatten über sein Ressort hier im Plenum erleben. Wenn Sie ihn dann verteidigen, dann kann ich das gedanklich zwar nachvollziehen - dafür werden Sie als Parlamentarischer Staatssekretär bezahlt -, aber substantiell ist das nicht mehr entschuldbar.
Was ich nicht gedanklich nachvollziehen kann, ist das, was Sie uns geboten haben, Herr Hirsch. Es sind inzwischen sicherlich als schöngeistige Ausführungen zu bezeichnende Ansprüche, die Sie formulieren, im besonderen im Bereich des Datenschutzes.
Immer dann, wenn es zum Schwur kommt, wie auch heute vormittag im Innenausschuß in Sachen AraberDatei des BKA, kneifen Sie und heben Ihre Hand, um rechts- und verfassungswidrige Zustände weiter aufrechtzuerhalten.
Nun zum letzten Vorredner, auf den ich vor meinem eigentlichen Redeteil Bezug nehmen möchte, Herrn Deres von der CDU/CSU-Fraktion. Ich finde es wirklich bezeichnend, daß Sie von dieser Fraktion geschickt worden sind. Was Sie uns geboten haben, war eine - allerdings brisante - Mischung für das Ressort, über das wir hier zu debattieren haben, zwischen einem Bürokratenkopf und einem Stammtischgeschwätz wie im tiefsten Bayerischen Wald.
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Nur ein Beispiel, Herr Deres. Eine Gleichsetzung zwischen Kiefernstraße, Hafenstraße und Gladbeck ist eine solche inhaltliche Absurdität und Ungeheuerlichkeit, daß ich in der Tat glaube, daß diese Bezeichnung zutreffend ist.
Eigentlich hätte ich Lust, am Bereich des Datenschutzes sehr ausführliche Kritik zu üben. Ich beschränke mich auf einen einzigen Punkt, und auch da hebt die FDP nicht ihre Stimme zur Korrektur. Wir haben die Tatsache zu konstatieren, daß beim BKA im APIS-System, also dem System, in dem die staatsgefährdenden Personen gespeichert werden sollen, 70 000 Staatsbürger/innen dieser Republik gespeichert sind. Gleichzeitig wissen wir, daß wir beim Bundesamt für Verfassungsschutz in den beiden Dateien für Links- und Rechtsextremismus nur 60 000 gespeicherte Personen haben.
Man halte sich das vor Augen: Beim Verfassungsschutz, der einen viel niederschwelligeren Verdachtsgrad zum Anlaß nehmen muß, um Personen zu speichern, gibt es um über 12,5 % weniger Personen als bei der Polizei, obwohl beim Staatsschutz der Verdachtsgrad entsprechend viel höher liegen muß.
Solche Zustände, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, tragen Sie zur Zeit mit. Das ist in der Tat nicht mehr tolerabel, auch nicht mit dem Verweis auf irgendwelche Gesetze, die vielleicht zu irgendeinem späteren Zeitpunkt geschaffen werden sollen.
Mein eigentlicher Redeteil bezieht sich aber - das ist geradezu zwangsläufig - auf die Polizei. Ich möchte Ihnen zu Gehör bringen, was die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten zu einem ganz wesentlichen Feld eines Problemgebietes unserer Gesellschaft vorschlägt.
Spektakuläre Polizeiübergriffe der jüngeren Zeit - Stichworte: Hamburger Kessel, EBLT-Einsätze, Wackersdorf und Brokdorf - belegen, daß eine wirkungsvolle Kontrolle kaum möglich ist, weil Polizeibeamte selten identifizierbar sind; bei nicht wenigen Politikern und Polizeiführern - das gilt im besonderen für das Innenministerium in Bonn - der Hang dazu besteht, Übergriffe zu bagatellisieren, indem darauf verwiesen wird, daß man selbstverständlich „Einzelfällen" nachgehen werde; Polizei in Politikbereichen zum Politikersatz geworden ist und verantwortliche Politiker kein Interesse daran haben können, daß ihre Polizeieinsätze überprüft werden, weil dann ihre eigene Rolle ins Zwielicht geriete. Deshalb wird nach offizieller Version - wenn überhaupt - nur von „schwarzen Schafen" gesprochen.
Dabei wissen wir inzwischen - spätestens nach Berlin und den Äußerungen des Innensenators Kewenig - , daß von höchster Stelle Polizeiübergriffe gefördert werden; daß über Jahrzehnte gepflegtes informelles Korpsgeistdenken bis heute seinen Einfluß nicht verloren hat, auch wenn dies sogar von liberalen Kräften immer wieder bestritten wird; daß bis heute die Polizeiausbildung in vielen Bundesländern ihren Schwerpunkt in den Eingriffsnormen sieht, ohne vorher die Bedeutung des Grundrechtes in angemessener Gewichtung herauszustellen; daß Polizei bis heute in einem Ausbildungsgetto die Berufsanfänger des mittleren Dienstes auf ihre zukünftige Verwendung vorbereitet - die Ausbildung findet in für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Kasernen statt -; daß in der Polizei also bis heute ein dem demokratischen Auftrag nicht angemessenes Rollenverständnis gepflegt wird.
Deshalb fordere ich, meine Damen und Herren, und dies als Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten und Polizistinnen, für die ich an dieser Stelle sprechen darf, folgendes
({1})
- Herr Carstensen, Sie haben doch soeben gehört, für wen ich spreche - :
Erstens. Uniformierte Polizeibeamte sind mit Namensschildern auszustatten.
In anderen Fällen - das gilt auch für die Bundesbeamten, ob beim BGS oder beim BKA, soweit nicht Ermittlungen im Zivilbereich notwendig sind - ist die Identifizierbarkeit der Beamten beim Eingreifen sicherzustellen.
({2})
Dies wäre durch eine entsprechende Dienst- und Fachaufsicht in der Tat möglich, wenn man es wollte. Damit würde polizeiliches Handeln jederzeit nachprüfbar.
Von Verantwortlichen wird bei entsprechenden Vorwürfen immer wieder gefordert, Roß und Reiter zu benennen, wie von Herrn Kewenig laut „Frankfurter Rundschau" vom 30. September 1988, in dem Bewußtsein, daß dies kaum möglich ist.
Deswegen ist auch die Darstellung, Herr Deres, die Sie gegeben haben, an der einen Stelle korrekt, daß bei Demonstrationen Vermummte im Schutze von
Gleichgesinnten Übergriffe machen. Vermummte sind inzwischen viel häufiger auf seiten der Polizei in der von Ihnen beschriebenen Art und Weise tätig.
Die Ausstattung mit Namensschildern ist nicht, wie der Berliner PDB-Vorsitzende Egon Franke meint, „menschenunwürdiges Verhalten" , sondern angesichts der immer wieder gegenseitig erhobenen Vorwürfe eine auch im Interesse der Glaubwürdigkeit polizeilichen Einschreitens dringend gebotene Maßnahme. Ein Namensschild signalisiert dem Bürger schon von vornherein, daß der Beamte für eine dienstliche Handlung persönlich einzustehen bereit ist. Darüber hinaus wirkt der Name auf den Beamten zurück, so daß er sich dieser Verantwortung immer persönlich bewußt ist.
Dies wäre ein erster Schritt für eine verbesserte Kontrolle, aber auch eine vertrauensbildende Maßnahme für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn dem Bürger bei jedem Eingriffshandeln der Verwaltung der Beamte namentlich bekannt wird, wäre es eine Privilegierung der Polizei, bei ihren Eingriffen anonym zu bleiben.
({3})
In Zukunft werden sich Politiker dann nicht mehr hinter ihren anonymisierten Polizeibeamten verstecken können, und ihre wahren politischen Motive werden deutlich.
({4})
Ich werde den Versuch unternehmen, Ihnen für die restlichen zwei Minuten die notwendige Ruhe zu verschaffen, Herr Abgeordneter. Dies betrachten Sie bitte als einen ernsthaften Appell, sich noch einige Minuten in Geduld zu üben.
Bitte, fahren Sie fort.
Ich bedaure an dieser Stelle allerdings auch, daß es nicht möglich gewesen ist, innerhalb der GRÜNEN-Fraktion einen Antrag mit dieser Zielsetzung auf den Weg zu bringen, weil es irgendwelche Unstimmigkeiten aus mir nicht erfindlichen Gründen gegeben hat.
Zweitens. Es ist in allen Bundesländern und beim Bund die Einrichtung von unabhängigen Polizeikontrollbehörden anzustreben. Diese sollen in erster Linie Anlaufstelle für Bürger sein, die sich über staatliches Handeln beschweren wollen. Gleiches gilt übrigens für Polizeibeamte, die innerdienstliche Kritik äußern wollen. Ihnen muß der Zugang zu dieser Stelle auch außerhalb des Dienstweges ermöglicht werden.
Die Kontrollausschüsse sollen mit einem umfassen-den Akteneinsichtsrecht ausgestattet werden. Hierbei sind Erfahrungen aus dem Ausland, z. B. der Police Complaints Authorities in Australien, zu berücksichtigen.
Um die Effektivität und Wirksamkeit der neu einzurichtenden Stellen zu gewährleisten, sollen Reformkommissionen eingesetzt werden, bei denen Institutionen wie CILIP, „Bürger kontrollieren die Polizei",
die Polizeigewerkschaften und sachverständige Kriminologen ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen sollten.
Drittens: Thematisierung von polizeilichen Übergriffen in der Polizeiausbildung. Interdisziplinärer Unterricht zum Thema „polizeiliche Straftäter unter psychologischen, strafrechtlichen und beamtenrechtlichen Aspekten". Dadurch Enttabuisierung dieses Komplexes und Vorbereitung des Berufsanfängers auf einen möglichen Praxisschock. - Meine Damen und Herren, es gäbe noch mehr Forderungen in diesem Bereich aufzustellen.
Ich kürze an dieser Stelle ab und möchte nur noch den Hinweis darauf bringen, daß Sie im Bereich des Zivilschutzes eine schwelende Kontroverse nicht auf den Punkt führen. Wir wissen um die Janusköpfigkeit des Technischen Hilfswerkes,
({0})
weil es immer wieder versucht, in die zivilen Bereiche des Katastrophenschutzes einzubrechen. Dieser Zustand wird zur Zeit nicht nur toleriert, sondern aus dem Bundesinnenministerium aktiv gefördert.
Ich bin der Auffassung, daß es sehr viel heilsamer wäre, die notwendigen technischen Geräte und Bergungszüge für einen wirksamen Katastrophenschutz in die allgemeinen Feuerwehren zu überführen, damit wir diese unselige Organisation
({1})
mit dem THW im Bereich des Zivilschutzes - was
nichts anderes als aktive Kriegsvorbereitungsmöglichkeit, Herstellung der Kriegsführungsfähigkeit bedeutet - beenden können.
({2})
Herr Abgeordneter, ich bitte nun um Verständnis: Sie nehmen eine längere Redezeit in Anspruch, als die kleineren Fraktionen hier heute zu diesem Tagesordnungspunkt zur Verfügung haben. Ich möchte Sie herzlich bitten, die Ihnen zugestandene Redezeit nun nicht noch deutlich zu überschreiten. Das ist eine wirkliche Überforderung nicht nur des Präsidiums, sondern auch des ganzen Hauses.
({0})
Herr Präsident, Sie haben völlig recht. Ich habe im Eifer das rote Licht nicht gesehen und bringe meinen Schlußsatz: Ich wünsche mir also, daß Sie diese Zielrichtung, das THW abzuschaffen, die vorhandenen Züge in die Feuerwehren zu überführen, auch in dem Haushalt durch eine entsprechende Politik vorführen können.
Für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre lebhafte Anteilnahme an diesen Ausführungen danke ich ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich komme nunmehr zurück zum Einzelplan 31. Hier gebe ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3375 bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 404 ihre Stimme abgegeben, ungültig: keine, mit Ja: 30, mit Nein: 373, Enthaltungen: 1. 20 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, ungültig: keine, mit Ja: 2, mit Nein: 18, Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 403 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 30 und 2 Berliner Abgeordnete
nein: 372 und 18 Berliner Abgeordnete
enthalten: 1
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf
Frau Beer
Dr. Daniels ({0}) Ebermann
Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Hüser
Kleinert ({1})
Dr. Knabe Kreuzeder
Dr. Lippelt ({2}) Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe
Frau Teubner
Frau Unruh Frau Vennegerts
Volmer
Weiss ({3})
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Fraktionslos Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Bauer Bayha
Dr. Becker ({4}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({5})
Börnsen ({6})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert
Bühler ({7}) Carstens ({8}) Carstensen ({9}) Clemens
Dr. Czaja Daweke
Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({10}) Francke ({11})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Funk ({12})
Ganz ({13})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({14})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({15}) Hauser ({16}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Vizepräsident Cronenberg
Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({17})
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Graf Huyn
Jäger
Dr. Jahn ({18})
Dr. Jobst
Jung ({19})
Jung ({20})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Klein ({21})
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({22})
Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link ({23})
Link ({24})
Linsmeier
Lintner Louven Lowack Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({25})
Nelle
Neumann ({26})
Niegel
Dr. Olderog
Oswald Pesch
Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Regenspurger
Repnik
Frau Rönsch ({27}) Frau Roitzsch ({28}) Dr. Rose
Roth ({29})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({30})
Sauer ({31})
Sauter ({32}) Scharrenbroich
Schemken
Schmidbauer
Schmitz ({33})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer
Schreiber
Dr. Schroeder ({34}) Schulhoff
Dr. Schulte
({35}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({36})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({37})
Vogt ({38})
Dr. Voigt ({39})
Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({40}) Werner ({41})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({42}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Buschbom Feilcke
Kalisch
Kittelmann Lummer
Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig
Schulze ({43}) Straßmeir
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Antretter
Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({44})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({45}) Börnsen ({46}) Brandt
Brück
Büchler ({47}) Büchner ({48})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Frau Conrad
Dreßler
Dr. Ehmke ({49})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Frau Faße
Fischer ({50})
Frau Fuchs ({51})
Frau Fuchs ({52})
Gansel
Dr. Gautier Gilges
Dr. Glotz Graf
Großmann Grunenberg Haack ({53})
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({54})
Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({55})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Müller ({56}) Müller ({57}) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({58})
Dr. Pick Poß
Reuter
Rixe
Schäfer ({59}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({60})
Frau Schmidt ({61}) Schmidt ({62})
Dr. Schmude Schreiner
Schröer ({63})
Schütz
Seidenthal Sielaff
Sieler ({64})
Singer
Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Voigt ({65}) Waltemathe
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({66}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({67})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({68})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Heimann Frau Luuk Dr. Mitzscherling
Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg ({69})
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({70}) Eimer ({71})
Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gries
Grünbeck Grüner
Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({72})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Möllemann Neuhausen
Nolting
Paintner
Richter
Vizepräsident Cronenberg
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. So1ms
Dr. Thomae
Timm
Dr. Weng ({73}) Wolfgramm ({74}) Frau Würfel
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Enthalten
FDP
Frau Dr. Hamm-Brücher
Der Antrag ist damit abgelehnt.
Das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3417 lautet wie folgt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 399 ihre Stimme abgegeben, ungültig: keine, mit Ja: 167, mit Nein: 229, Enthaltungen: 3. 20 Berliner Abgeordnete haben wie folgt abgestimmt, ungültig: keine, mit Ja: 7, mit Nein: 12, Enthaltungen: 1.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 399 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 167 und 7 Berliner Abgeordnete
nein: 229 und 12 Berliner Abgeordnete
enthalten: 3 und 1 Berliner Abgeordnete
Ja
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({75}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({76}) Börnsen ({77}) Brandt
Brück
Büchler ({78}) Büchner ({79}) Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Catenhusen
Frau Conrad
Dreßler
Dr. Ehmke ({80}) Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Frau Faße
Fischer ({81}) Frau Fuchs ({82})
Frau Fuchs ({83}) Gansel
Dr. Gautier Gilges
Dr. Glotz Graf
Großmann Grunenberg
Haack ({84}) Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger
Jahn ({85}) Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner Kißlinger
Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart
Lohmann ({86})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Müller ({87})
Müller ({88}) Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({89}) Dr. Pick
Poß
Reuter
Rixe
Schäfer ({90}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({91})
Frau Schmidt ({92}) Schmidt ({93}) Schreiner
Schröer ({94})
Schütz
Seidenthal Sielaff
Sieler ({95})
Singer
Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Voigt ({96}) Waltemathe
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({97}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({98}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({99})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zeitler
Berliner Abgeordnete
Heimann
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
Wartenberg ({100})
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Brauer
Dr. Daniels (Regensburg Ebermann
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hillerich Hüser
Kleinert ({101})
Dr. Knabe
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({102}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Schoppe Frau Teubner Frau Unruh Frau Vennegerts Volmer
Weiss ({103}) Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Berliner Abgeordnete Sellin
Fraktionslos
Nein
CDU/CSU
Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker ({104}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({105})
Börnsen ({106})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Bühler ({107}) Carstens ({108}) Carstensen (Nordstrand Clemens
Dr. Czaja
Daweke
Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Engelsberger Dr. Faltlhauser Fellner
Frau Fischer Fischer ({109}) Francke ({110})
Dr. Friedmann Dr. Friedrich Fuchtel
Funk ({111})
Ganz ({112})
Vizepräsident Cronenberg
Frau Geiger Geis
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({113})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele Hames
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({114})
Hauser ({115})
Hedrich
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Höffkes
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({116})
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch Graf Huyn Jäger
Dr. Jahn ({117})
Dr. Jobst
Jung ({118})
Jung ({119})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki
Klein ({120}) Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({121})
Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs Lenzer
Frau Limbach
Link ({122})
Link ({123})
Linsmeier Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({124})
Nelle
Neumann ({125})
Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack Pesch
Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Regenspurger
Repnik
Frau Rönsch ({126}) Frau Roitzsch ({127}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({128})
Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({129})
Sauer ({130})
Sauter ({131}) Scharrenbroich
Schemken Scheu
Schmidbauer Schmitz ({132})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({133}) Schulhoff
Dr. Schulte
({134}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({135})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Strube
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({136})
Vogt ({137})
Dr. Voigt ({138})
Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({139}) Werner ({140})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({141}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach Zeitlmann Zink
Berliner Abgeordnete
Buschbom Feilcke
Kalisch
Kittelmann Lummer
Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig
Schulze ({142}) Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({143}) Eimer ({144})
Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({145})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Möllemann Neuhausen
Nolting
Paintner Richter
Rind
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Thomae
Timm
Dr. Weng ({146}) Wolfgramm ({147}) Frau Würfel
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Enthalten
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Oesterle-Schwerin Frau Schmidt-Bott
Berliner Abgeordnete Frau Olms
Der Antrag ist damit abgelehnt.
Nun möchte der Abgeordnete Wieczorek eine Erklärung abgeben.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Wegen der ungeklärten Lage, auch zwischen dem Bundesfinanzminister, der keine Klärung herbeigeführt hat, und dem Bundesbildungsminister, wird sich die sozialdemokratische Fraktion an dieser Abstimmung nicht beteiligen.
({0})
Nach dieser Erklärung
- damit ist auch klar, worum es sich handelt, nämlich um den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft - komme ich zur Abstimmung über den Einzelplan 31.
({0})
- Wenn Sie hier einen geschäftsordnungsmäßigen Antrag zu stellen wünschen, dann müssen Sie das tun. Ein Zuruf in dieser Sache genügt mir nicht.
Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 31 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 31 mit den Stimmen der Koalition aus CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der GRÜNEN bei Nichtteilnahme der SPD-Fraktion angenommen worden ist.
({1})
- Darf ich um etwas mehr Ruhe und Geduld bitten.
Jetzt komme ich zum Einzelplan 06 zurück. Hier komme ich zunächst zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich in der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufe.
Vizepräsident Cronenberg
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3332? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3333? - Wer stimmt dagegen? - Mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP wurde dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3334? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3335? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3336? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.
Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/3337 zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf der Drucksache 11/3338 vorliegt. Die Fraktion der GRÜNEN hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt.
Die SPD-Fraktion hat gebeten, den Abgeordneten Kühbacher vor dieser namentlichen Abstimmung eine Erklärung abgeben zu lassen. Ich erteile dem Abgeordneten Kühbacher das Wort.
Herr Präsident! Der Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3338 hat in seiner Begründung folgenden Wortlaut:
Nach der letztjährigen Plenardebatte sind die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen unter dem NS-Regime im Bundeshaushalt 1989 bisher finanziell nicht berücksichtigt worden. Zur Ausstattung einer umgehend zu schaffenden Bundesstiftung sind daher im Bundeshaushalt 1989 zunächst 300 000 TDM bereitzustellen. Diese können dem Bund teilweise wegen des gewählten Stiftungsmodells über private Zuwendungen wieder zufließen. In den folgenden Haushaltsjahren sind entsprechende Beträge einzustellen.
Die Kollegin Olms hat vorhin erklärt, daß die GRÜNEN beabsichtigen, im nächsten Jahr zu diesem Thema einen umfassenden Gesetzentwurf, der auch Abgrenzungen beinhalten soll, vorzutragen. Da man diesem Antrag von der Sache her aus der Sicht der SPD nahetreten muß, die Haushaltslage aber bei weitern nicht geklärt ist, die Rechtslagen bei weitem nicht geklärt sind und natürlich einer seriösen und intensiven Beratung bedürfen, wird sich meine Fraktion bei diesem Antrag der Stimme enthalten.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit kann ich nunmehr die namentliche Abstimmung über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3338 eröffnen.
Ich mache die Damen und Herren darauf aufmerksam, daß es hiernach noch einige Abstimmungen zum Einzelplan 06 gibt.
({0})
Ich stelle fest, daß keiner der Abgeordneten mehr an der Abstimmung teilnehmen will. Alle haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Dann schließe ich die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen, weil wir dann mit den offenen Abstimmungen fortfahren können, die zu diesem Einzelplan noch durchzuführen sind.
Wir verfahren in ähnlicher Weise wie bei den anderen Einzelplänen. Die Endabstimmung über den Einzelplan 06 kann erst erfolgen, wenn wir das Ergebnis der jetzigen namentlichen Abstimmung vorliegen haben *). Sie wird also vertagt.
Ich rufe die Endabstimmung über den Einzelplan 36 auf. Dazu liegt allerdings noch ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3379 vor. Über diesen Änderungsantrag lasse ich zunächst abstimmen. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Endabstimmung über den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - in der Ausschußfassung. Wer dieser zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit einer Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN und eines einzelnen Abgeordneten aus der SPD angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 33, Versorgung. Ich stelle ihn zur Abstimmung in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Einzelplan 33 angenommen worden.
Jetzt rufe ich auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 11/3212, 11/3231 Berichterstatter:
Abgeordnete Purps Wieczorek ({0}) Windelen
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion die GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/3355 bis 11/3359 und 11/3413 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde
*) Vorläufiges Ergebnis Seite 7688A
Vizepräsident Westphal
vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann kann ich die Aussprache eröffnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Purps.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Eigentlich könnte man sich zum Einzelplan 12, Bundesminister für Verkehr, eine Menge Bemerkungen sparen und auf die Ausführungen des letzten Jahres verweisen; denn im Prinzip hat sich in der Verkehrspolitik nichts, aber auch gar nichts zum Positiven verändert, und dies trotz gestiegener Schwierigkeiten, die man tagtäglich der Presse entnehmen kann, den Radiomeldungen, den Meldungen der Luftverkehrsgesellschaften usw. usf. Es ist offensichtlich sowieso vollkommen sinnlos, den Verkehrsminister und die Verantwortlichen in der Regierung darauf hinzuweisen, daß bei der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit kein Investitionshaushalt heruntergefahren werden dürfte. Es geschieht hier aber nichts. In diesem Haushalt sinkt die Investitionsquote. Statt aktiver Verkehrspolitik wird der Verkehrsstau verwaltet, und das nicht nur auf der Straße, sondern in der letzten Zeit zunehmend auch in der Luft. Die Verkehrsteilnehmer befinden sich im Stau, die Verkehrspolitik tut nichts dagegen.
Schon ein Blick auf die Haushaltszahlen zeigt, daß seit 1982 - Herr Minister, da waren Sie noch nicht verantwortlich - die Steigerung des Verkehrshaushalts immer deutlich unter der des Gesamthaushalts gelegen hat und in diesem Jahr mit 3,2 % minus einen traurigen Rekord erreicht.
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Wohlgemerkt: Minus 3,2 %! Das müssen Sie einmal in Relation setzen zu der 4,5-%-Steigerung des Gesamthaushalts.
Noch schlimmer sieht es mit den Investitionen aus. Im zweiten Jahr schrumpft der Investitionsanteil auf 12,96 Milliarden DM. Das ist eine Abnahme um 1,3 % gegenüber dem Vorjahr.
Jahr für Jahr bekommen wir im Verkehrshaushalt den Beweis dafür geliefert, daß der Verkehrsminister nicht in der Lage ist, sich beim Finanzminister durchzusetzen, und daß er im Kabinett keinen Rückhalt findet, auch nicht beim Bundeskanzler,
({1})
um die Anliegen des Verkehrs in Mark und Pfennig deutlich durchzusetzen.
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Ich sage Ihnen, Herr Warnke, die wohlformulierten - wenn sie denn wohlformuliert sind - Pressemeldungen aus Ihrem Haus sind kein Ersatz für verkehrspolitische Alternativen, sie sind kein Ersatz für Mangel an investiven Mitteln. Wenn überhaupt etwas geschieht, kommt es meist zu spät, dann wird es halbherzig gemacht, finanziell schmalbrüstig, politisch unausgegoren usw. Bei Ihnen hat nur eines Priorität: Das ist der Rotstift des Finanzministers.
So gleicht denn eben die Verkehrspolitik der alten Dampflok, die die meiste Zeit vergessen im hinteren Teil des Schuppens steht. Wenn sie sich dann einmal unter dem Ausstoß gewaltiger schwarzer Qualmwolken in Bewegung setzt, endet ihre Fahrt meist nach kürzester Strecke im Sackbahnhof des Finanzministeriums.
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So ist das nun einmal in der Koalition, meine Damen und Herren, so ist das seit 1982, so war es bei Herrn Dollinger, so ist es bei Ihnen, Herr Warnke, und daran wird sich nichts ändern. Ich habe die Hoffnung verloren. Politik wird bei Ihnen vom Gesetz der Serie bestimmt: Wenig Ideen, kein Geld, Verkehr im Stau, Politik im Stau, der Minister ist finanziell gesehen der plafondierte Mann, gedeckelt, finanziell gedeckelt, ohne Perspektive in der Politik. Wenn nicht ab und zu im Haushaltsausschuß und bei den Verkehrspolitikern dafür gesorgt würde, daß etwas geschieht - siehe Flugsicherung, siehe Personal oder einige andere Punkte - , dann wüßte ich gar nicht, worüber wir heute abend überhaupt reden sollen.
Lassen Sie mich konkret auf einige Punkte zu sprechen kommen.
Ich komme zunächst zum Thema Seeschiffahrt. Bei den Seeschiffahrtshilfen wollte die SPD den bestehenden Ansatz um 40 Millionen DM erhöhen. Sie hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Koalition hat den Antrag abgelehnt und wieder einmal unter Beweis gestellt, daß außer Worten bei Ihnen nicht viel zu erwarten ist, und dies angesichts der Situation an der Küste und angesichts der Situation der Seeleute auf den Schiffen. Sie kennen die Proteste; Sie haben sie selbst am Fernsehen miterlebt. Sie wollen dort nichts tun.
Es lag ein begründeter Antrag aller vier Küstenländer vor. Ich halte diesen Antrag für sachlich begründet. Sie haben ihn abgelehnt. Das ist Ihre Sache.
Zugleich bin ich aber auch der Meinung, daß wir diese Seeschiffahrtshilfen angesichts der ungeklärten Lage in der Frage eines Zweitregisters solange hätten qualifiziert sperren sollen - wie wir es auch beantragt haben - , bis eine Klärung herbeigeführt ist. Ich meine, in einer Sache können sich die Betroffenen an der Küste sicher sein: Die Subventionierung der deutschen Reeder auf der einen Seite, um Ausflaggung zu verlangsamen oder sogar zurückzuführen, und zugleich die Vernichtung von Arbeitsplätzen für deutschen Seeleute durch ein Zweitregister auf der anderen Seite, dies beides ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen. Entweder bleiben die Arbeitsplätze für deutsche Seeleute erhalten und das Zweitregister entfällt - dann wären wir bereit, auch die Seeschifffahrtshilfen zu erhöhen - , oder mit dem Zweitregister werden die Arbeitsplätze für die deutschen Seeleute vernichtet; dann ist über die Reederhilfe von Grund auf neu nachzudenken. Denn, meine Damen und Herren, glauben Sie etwa, daß im Falle der Existenz eines Zweitregisters noch viel in dem jetzigen Register verbleibt? Dann wird das Zweitregister zur Selbstverständlichkeit; alles geht da hinein oder flaggt sofort total aus. Dann noch Steuergelder bereitzuhalten, die auch von denen aufgebracht werden, deren Arbeitsplätze verlorengehen, das ist doch wohl eine Verhöh7678
nung derjenigen, die jetzt um ihre Arbeitsplätze auf den Schiffen kämpfen.
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Sie haben sich nun einmal dagegen entschieden, und Sie tragen die Verantwortung für das, was da kommen wird.
Zum Straßenbau. Die Verwirklichung eines Autobahn- und Bundesstraßennetzes mit ökonomisch und ökologisch vernünftigen Dimensionen kann auch im Rahmen des vorhandenen Plafonds durchgeführt werden. Deshalb haben wir konsequenterweise auch die Erhöhung der Straßenbaumittel für den flächenfressenden Neubau abgelehnt.
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- Ja, warten Sie einmal ab! - Wir halten es für richtiger, diese Mittel zusätzlich für Schallschutz- und Lärmschutzmaßnahmen auszugeben.
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- Ich sagte: „zusätzlich". - Hiermit wird dem Bürger nämlich wirksamer geholfen, und es wären dringend erforderliche zusätzliche Maßnahmen auch im Rahmen des Plafonds zu verwirklichen, und zwar allein schon deswegen: Wenn Sie nämlich dem Antrag der SPD im Jahre 1986 auf Drucksache 10/5572 gefolgt wären und in jedem Bereich des Straßenbaus, der ökonomisch und ökologisch nicht mehr zu vertreten war, so ein bißchen abgespeckt hätten, dann wären diese Gelder durchaus vorhanden. Wenn es jetzt kneift, haben Sie es durch Ihre damaligen Entscheidungen wohl wirklich selbst zu verantworten.
Sie sollten lieber die Konsequenzen aus den vorliegenden Urteilen zum Lärmschutz ziehen und ein neues Konzept entwickeln; ich meine die Fraktion und den Minister. Damit helfen Sie den lärmgeplagten Bürgern, Sie sorgen für niedrige Dezibelwerte und entsprechenden Lärmschutz. Sie würden auch der mittelständischen Bauwirtschaft helfen. Sie fänden Zustimmung bei der Bevölkerung und auch bei uns. Im übrigen ist Lärmschutz nicht nur für die Straße, sondern auch für die Bahn vonnöten.
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In diesem Zusammenhang ein persönlicher Appell an Sie, Herr Minister: Legen Sie doch in dem Sonderprogramm „Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle" ganz besonderen Wert auf das Thema defensives Fahren! Dem leider weiterhin zunehmenden Trend zur Raserei auf unseren Straßen, teilweise geschürt durch für mich verantwortungslose PS-Manie in der Automobilwerbung, muß entgegengewirkt werden. Die wieder ansteigende Zahl von Toten und Verletzten, Herr Minister, die statistisch ja nun unbestritten feststeht, müßte Sie veranlassen, auf diesem Gebiet schnellstens tätig zu werden, wenn Sie denn schon kein Tempolimit wollen.
Es ist noch gar nicht so lange her - es war im April - , als der „Spiegel" schrieb: „Chaos am Himmel". Er charakterisierte damit die Zustände im deutschen Flugverkehr. Und er traf ins Schwarze, Herr Kollege. Der Stau am Himmel ist nämlich nicht mehr die Ausnahme, er ist die Regel geworden: Man kommt nämlich entweder nicht rauf, oder man kommt nicht runter.
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Ich nehme München oder Frankfurt als Beispiel; das ist Ihnen ja bekannt. Bald ist es auch in Düsseldorf soweit. Überbeanspruchung der Fluglotsen und des technischen Personals, millionenfacher Ärger, geplatzte Termine, Luftverschmutzung und Warteschleifen sind Ihnen alles bekannte Schlagzeilen in der Bundesrepublik. Millionenverluste für die Fluggesellschaften.
Und was tun Sie dagegen? In Kenntnis der bestehenden Schwierigkeiten hatte der Haushaltsausschuß schon im vergangenen Jahr einen Bericht angefordert, der dann im April vorlag. Der Inhalt war schwammig, konturenlos, ohne Konsequenzen. Es herrschte bei allen Betroffenen einhellige Ablehnung gegen diesen Bericht. Im übrigen war er schon deswegen völlig wertlos, Herr Minister, weil er noch nicht einmal mit dem Finanzministerium abgestimmt war. Das ist übrigens typisch für das gute Verhältnis zwischen diesen beiden Ministerien.
Der Haushaltsausschuß hat einen neuen Bericht angefordert. Wir werden ihn diskutieren. Aber so viel läßt sich schon jetzt sagen: Sollte sich der Verkehrsminister nicht noch zu neuen Erkenntnissen durchringen und noch etwas Fleisch an den Knochen bringen, Herr Minister Warnke, dann kann man diesen Bericht auch nur wiederum als ein Eingeständnis der Kapitulation vor dem Finanzminister - er sitzt ja neben Ihnen - bezeichnen.
Ich sage Ihnen, ich bin jedenfalls nicht bereit, in dieser wichtigen Frage nach dem Motto zu handeln: Problem erkannt, diskutiert, Akte abgelegt, Finito.
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Dafür ist die Situation zu ernst. Dafür stehen viel zuviel wesentliche Fragen an wie die Sicherheit der Bundesdeutschen im Flugverkehr - vielleicht sagen Sie da auch einmal Quatsch! - ({10})
Dafür stehen viel zuviel Fragen an wie die Sicherheit der Bundesdeutschen im Flugverkehr, die Rechte der Nutzer auf eine problemlose und pünktliche Beförderung, die Frage des Image der deutschen Luftfahrttechnik und natürlich auch die Beeinträchtigung des Niveaus des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland. Wenn in dieser Hinsicht nichts geschieht, werden sich u. a. Luxemburg, Brüssel und Amsterdam freuen.
In der Luftfahrt nützt es nun einmal nichts, an den Symptomen herumzukurieren. Hier ist ein großer Wurf nötig. Er muß notfalls auch außerhalb des Beamten- und Haushaltsrechts gesucht und gefunden werden. Es ist eine Lösung nötig, die auch im Jahre 2000 noch Bestand hat.
Wenn wir hier den Minster zur Jagd tragen müssen, dann werden wir das tun. Notfalls werden wir ihm auch noch das Wild zutreiben, aber es muß endlich etwas geschehen.
Es ist schon beschämend, wenn die notwendigen Stellenvermehrungen bei der Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland, die ausschließlich auf der 39-Stunden-Woche beruhen, nicht der Minister durchsetzt, er vielmehr die Haushälter dafür braucht, um dies im Haushaltsausschuß durchzubekommen, was ihm der Finanzminister nicht bewilligt. Das ist ja wirklich schon ein Stück aus dem Tollhaus. Das kann ich Ihnen nur sagen.
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Beim öffentlichen Personennahverkehr und beim kommunalen Straßenbau - nur als Anmerkung - sind 200 Millionen DM wegen der Deckelung im vorigen Jahr verschwunden, konnten nicht mehr verbaut werden, investive Mittel sind nicht mehr geflossen.
Im übrigen habe ich in dem Zusammenhang eine Frage, Herr Minister. Vielleicht können Sie darauf antworten. Sie haben am Anfang Ihrer Amtstätigkeit immer soviel Wert darauf gelegt, daß Sie Ihr besonderes Augenmaß dem ÖPNV in der Fläche widmen würden. Ich erinnere mich noch an viele Pressemeldungen. In der letzten Zeit gibt es darüber keine mehr. Ist es richtig, daß wir befürchten müssen, daß dies Ministerium stiekum, heimlich ad acta gelegt worden ist? Wollen Sie sich in der Frage des ÖPNV in der Fläche aus der Verantwortung stehlen? Haben Sie das heere Ziel Ihrer ersten Tage mittlerweile unter dem Eindruck dessen, was beim Finanzminister wohl nicht zu machen ist, endgültig abgeschrieben? Hierzu sollten Sie einige Worte sagen.
Meine Damen und Herren, das düsterste Kapitel ist die Bundesbahnpolitik. Die Bahn erstickt in ihren Schulden. Das liegt nicht am Management der Bahn. Es ist keine Lösung der Verschuldensproblematik in Sicht. Die Umbuchung von 900 Millionen DM, Herr Minister, ist ein Taschenspielertrick. Das bringt der Bahn keine müde Mark mehr. Das Abs-Gutachten - immer zitiert - verstaubt in der Ablage, und die Hilfe der Bundesbahn, die der Kanzler zugesagt hat, ist bis heute nicht eingelöst. Sie haben Anfang Juli einen Bericht im Kabinett vorgelegt. Er wurde mittlerweile dreimal von der Tagesordnung abgesetzt; einige sagen: aus Zeitmangel, andere sagen, in diesem Bericht sei wenig Substanz. Es ist mir egal, ob das stimmt oder nicht. Jedenfalls war der Bericht dreimal nicht kabinettsreif. Das ist, sage ich mal, schon kabarettreif.
Es könnte gelacht werden, wenn man so etwas hört, aber dazu sind die Finanzprobleme der Deutschen Bundesbahn im Bundeshaushalt viel zu ernst. Das haben auch die bei der Deutschen Bundesbahn Beschäftigten nicht verdient, die zur Zeit, gerade jetzt in den Wintertagen, unter erschwerten Bedingungen Tag für Tag ihre Pflicht tun.
Bei der Bahn steht der Bundeskanzler im Wort. Wir erwarten, daß es eingelöst wird. Die Sozialdemokraten erwarten, daß endlich die Trennung von Wegekosten und Betriebskosten in die Wege geleitet wird, wie wir das schon seit Jahren fordern. Wir erwarten auch, daß für die Bahn endlich die entsprechenden Finanzmittel fließen. Es muß Schluß sein mit der Trickkiste Sondervermögen. Schulden der Bahn sind nun mal Bundesschulden und nichts -anderes. Wenn Sie und der Finanzminister das endlich anerkennen, so braucht man doch darüber gar keine große Pressemeldung zu machen. Das ist nichts Weltbewegendes. Das ist auch nichts Außergewöhnliches. Das ist etwas völlig Normales und längst Überfälliges.
Die oben erwähnte Umbuchung von 900 Millionen DM bringt bekanntlich der Bahn nicht eine Mark mehr, ebensowenig, Herr Kollege Windelen, wie die Umbuchung von 60 Millionen DM für den kombinierten Verkehr, die wir immer wieder vornehmen müssen, wenn Sie sie aus dem Bereich der Investitionszuschüsse wieder herausschneiden. Es ist schon schlimm genug - da gebe ich Ihnen natürlich recht - , daß wir dies immer wieder im Haushaltsausschuß machen müssen, weil die Schulaufgaben im Ministerium nicht gemacht werden.
Sicherlich muß man auch sagen, daß sich die Bahn zur Zeit in einem schwierigen Anpassungsprozeß und einer Übergangsphase befindet. Sie wird 1991 und 1992 durch das verbesserte Leistungsangebot auf den dann fertigen Neubaustrecken schon profitieren. Aber die Entscheidungen, wie es denn dann weitergehen soll, müssen jetzt getroffen werden, und zwar finanzpolitisch, rechtspolitisch und auch personalpolitisch.
({12})
Da nützt es nichts, Herr Minister, wenn Sie jetzt noch eine Kommission einsetzen, die die längst bekannten Probleme und die auch längst bekannten Lösungsmöglichkeiten für diese Probleme noch einmal zusammenfaßt, aufschreibt, kompiliert und anschließend in einem schönen Fototermin publikumswirksam überreicht. Dies wird dann nach der Wahl sein. Da drängt sich doch wohl der Verdacht auf, daß bis dahin nichts geschehen soll, daß man sich mit dieser Kommission über die Wahl hinwegretten will. Da wollen Sie so ein bißchen Action vermitteln, damit man im Ministerium besser zur Ruhe gehen kann.
Der Finanzansatz ist deshalb qualifiziert gesperrt worden. Somit muß die gesamte Konzeption noch einmal in den Haushaltsausschuß. Da werden wir dann, Herr Minister, Tacheles reden. Ich bin jedenfalls nicht bereit, für Alibi-Veranstaltungen Geld zur Verfügung zu stellen.
({13})
- Was der Bundesbahn wirklich helfen würde, Herr Kollege, das haben wir in unserem Entschließungsantrag zur dritten Lesung deutlich gemacht, Ihnen zur vorsorglichen Lektüre anempfohlen.
Setzen Sie das, was wir Ihnen da aufgeschrieben haben, mal um. Stimmen Sie dem zu. Sagen Sie dem Kanzler, daß da was passieren muß. Hauen Sie im Kabinett vielleicht auch mal auf den Tisch. Es muß da ja nicht immer so vornehm zugehen. Dafür bekommen Sie unsere Unterstützung, nicht aber für das, was Sie zur Zeit tun: Stau verwalten und Probleme verschieben.
({14})
Das Gewurstele in der Verkehrspolitik muß nun endlich aufhören. Wir brauchen ein europaweites Konzept, das trägt, das über das Jahr 2000 hinaus für alle Verkehrsträger trägt, das die zunehmenden Verkehrsströme zu kanalisieren weiß und in dem Ökonomie und Ökologie gleichrangig behandelt werden. Da das bisher noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar ist, Herr Kollege, lehnen wir den Haushalt ab. Das wird Sie nicht verwundern. Wer nämlich dem Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland gute Fahrt wünschen will, der muß den Verkehrsminister und diese Regierung stoppen.
Vielen Dank für Ihr Zuhören.
({15})
Meine Damen und Herren, nunmehr hat der Abgeordnete Windelen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Kollege Purps hat mit seinem Beitrag
({0}) - ich hoffe: pflichtgemäß ({1})
sein polemisches Plansoll erfüllt. Ein konstruktiver Beitrag zur Verkehrspolitik war das allerdings nicht.
({2})
Meine Damen und Herren, wie sozialdemokratische Verkehrspolitik aussieht, kann man täglich hier in Nordrhein-Westfalen studieren.
({3})
Rekordhalter in Staumeldungen, das kann für uns kein Vorbild sein.
({4})
Herr Kollege, ich weiß auch nicht, woher Sie Ihre Zahlen über den Haushalt bezogen haben. Er steigt auch im kommenden Haushaltsjahr. Sie haben die Umbuchung der 800 Millionen DM in einen anderen Haushalt erwähnt. Wären sie im Einzelplan 12 geblieben, wäre die Steigerung dagewesen.
({5})
- Möchten Sie die Umbuchung rückgängig machen? Ich gehe nicht davon aus.
({6})
Hätten wir allerdings die Kürzungsanträge Ihrer Fraktion angenommen, wäre der Haushalt zurückgegangen.
({7})
Auch bei den Investitionen steigt das Volumen. Im vergangenen Jahr waren es 49,8 % des Haushalts. Im kommenden Haushaltsjahr werden es 51,1 % sein. Es ist also eine Steigerung und kein Rückgang.
({8})
Meine Damen und Herren, die Verkehrspolitik des Bundes wird bei der wachsenden Arbeitsteilung unserer Wirtschaft und der zunehmenden Öffnung des europäischen Marktes immer wichtiger werden. Deswegen hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung 1987 festgestellt, daß der weitere umweltgerechte Ausbau von Verkehrswegen für Wachstum, für Beschäftigung, aber auch für die Verkehrssicherheit notwendig ist.
({9})
- Der umweltgerechte Ausbau. Ich bitte zuzuhören. Ich weiß, daß das um 22 Uhr manchem etwas schwerfällt.
Öffentliche Investitionen in die Verkehrswege sichern nicht nur direkt etwa 250 000 Arbeitsplätze, sondern bestimmen zugleich entscheidend die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen. Sie sind für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik unverzichtbar. Unser Verkehrsnetz wird aber seine Funktion nur dann erfüllen können, wenn es ordnungsgemäß unterhalten, repariert und erneuert wird, wenn Netzlücken geschlossen werden, wenn strukturschwache und entlegene Regionen besser angebunden werden,
({10})
wenn die Verkehrssicherheit erhöht wird, wenn Engpässe auch durch mehr Ortsumgehungen beseitigt werden, wenn überlastete Autobahnen ausgebaut werden, wenn der Lärmschutz verbessert wird und wenn vorhandene Kapazitäten durch flexible Verkehrsleitsysteme optimal genutzt werden.
Die Hauptlast des Verkehrs hat heute der Straßenverkehr zu tragen. Aber er stößt zunehmend an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Deswegen muß zur Entlastung der Straßen soviel Verkehr wie möglich auf die Schiene verlagert werden. Aber selbst wenn es möglich wäre, den Personenverkehr der Bahn um 50 % zu steigern, würde dies lediglich die Hälfte des Zuwachses im Straßenverkehr entlasten. Deswegen wird unser Straßennetz als Produktions- und Standortfaktor immer wichtiger. Die Fertigungstiefe unserer Wirtschaft nimmt ab. Die Zulieferungen nehmen zu. Die Straße wird mehr und mehr sozusagen zum zwischenbetrieblichen Fließband. Jede Störung in diesem „Fließband Straßenverkehr" durch Staus verteuert die Produktion, schwächt unsere Wettbewerbsfähigkeit, kostet Arbeitsplätze und gefährdet Produktionsstandorte.
({11})
Das, meine Damen und Herren, sei besonders an die Adresse jener gerichtet, die den umweltgerechten Ausbau und die Erhaltung unserer Verkehrswege aus
ideologischen Gründen behindern oder verhindern wollen.
({12})
Das gilt leider besonders für mein Heimatland Nordrhein-Westfalen.
({13})
Die Mittel für den Landesstraßenbau haben sich hier von 545 Millionen DM im Jahre 1980 auf inzwischen 291 Millionen DM im laufenden Haushaltsjahr zurückentwickelt.
({14})
Der nominale Rückgang seit 1980 beträgt also 46 %. Rechnet man die Preissteigerungen dazu, so ist der Rückgang größer als 50 %.
Auch in diesem Haushaltsjahr wurden, Herr Kollege Purps, zu unserem gemeinsamen Schmerz von Nordrhein-Westfalen wieder fast 58 Millionen DM Bundesmittel für den Neubau von Bundesfernstraßen nicht abgerufen.
({15})
Fast 30 Millionen DM sind deswegen in andere Bundesländer gegangen, die einen erhöhten Bedarf hatten.
Bei einer solchen Haltung ist es nicht verwunderlich, daß Nordrhein-Westfalen in seiner Attraktivität als Wirtschaftsstandort so weit hinter Bayern und Baden-Württemberg zurückgeblieben ist.
({16})
Sie wissen, daß der Sachverständigenrat diesen Tatbestand ausdrücklich noch einmal kritisch vermerkt hat.
Der Haushaltsausschuß hat sich in seinen Beratungen bemüht, den dringenden Notwendigkeiten im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten Rechnung zu tragen. So hat er schon im vorigen Jahr die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz um 100 Millionen DM gegenüber der Regierungsvorlage erhöht.
({17})
Auch in diesem Jahr hat er die Ansätze für die Erneuerung, den Um-, den Aus- und den Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen einschließlich Schallschutzmaßnahmen und einschließlich Mitteln für intelligente Verkehrsleitsysteme um 100 Millionen DM erhöht. Die Abgeordneten der Koalition wollten damit ein Zeichen setzen.
({18})
Sowohl der Verkehrsausschuß des Bundestags als auch der Bundesrat haben, und zwar mit den Stimmen aller Länder, allerdings mit Ausnahme Schleswig-Holsteins, eine namhafte Erhöhung, so heißt es, der Straßenbaumittel gefordert. Man dachte an eine Aufstockung um 200 bis 300 Millionen DM. Die Opposition im Haushaltsausschuß hat allerdings ihre Zustimmung selbst zu der bescheidenden Erhöhung von 100 Millionen DM verweigert.
({19})
Sie hat darüber hinaus eine Kürzung der Mittel für den Grunderwerb in Höhe von 150 Millionen DM gefordert. Aber diese Mittel dienen nicht nur dem Kauf von Grundstücken, sondern werden zunehmend für die Entschädigung von Bürgern für Lärmschutz oder für Lärmsanierung an Gebäuden und Grundstücken benötigt.
({20})
- Nein, dies ist nicht ein anderer Titel, sondern es wird aus diesem Titel entnommen, was Sie leicht feststellen könnten, wenn Sie sich etwas intensiver mit der Sache beschäftigt hätten.
Die Opposition hat auch beantragt, die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen Neubau- und Schallschutzmitteln aufzuheben. Dann wäre es nicht mehr möglich gewesen, unverbrauchte Mittel für andere Maßnahmen auszugeben oder einen Mehrbedarf für Schallschutzmaßnahmen noch zu bedienen.
Für die Zukunft unserer Bundesbahn, die wir im übrigen 1982 in einem desolaten Zustand übernommen haben,
({21})
werden mit dem Haushalt 1989 die Weichen in eine bessere Zukunft gestellt.
({22})
Eine unabhängige Kommission wird den Auftrag erhalten, eine tragfähige Grundlage für die langfristige Entwicklung der Bahn zu erarbeiten.
Nur mit Geld sind die Probleme nicht zu lösen, allerdings auch nicht ohne Haushaltsmittel.
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiss beantworten?
Herr Präsident! Ich möchte im allseitigen Interesse meine - ({0})
- Sie können lachen. Sie hatten 20 Minuten Redezeit. Ich habe 13 Minuten und muß noch auf das, was der Kollege Purps gesagt hat, zu antworten versuchen. Das sind für jede Milliarde 30 Sekunden. Ich finde, das ist nicht zuviel.
({1})
Voraussetzung für die Gesundung der Bahn aber sind Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Leistungsfähigkeit entfalten kann. Als Schritt auf diesem Weg ist die Kabinettsentscheidung zu begrüßen, ca. 900 Millionen DM Zinsen für die 12,6 Milliarden Altschulden auf den Bundeshaushalt zu übernehmen. Auch
wenn das nur auf dem Weg der Umbuchung geschah, ist es ein erster Schritt auf einem richtigen Weg. Weitere werden folgen müssen.
({2})
Der Luftverkehr - Herr Kollege Purps, das hätten Sie eigentlich billigerweise dazusagen müssen - wird bis Ende dieses Jahres gegenüber 1985 um 40 gewachsen sein. Sagen Sie bitte, das hätten Sie vorausgesehen, und sagen Sie bitte, das hätte ein anderer uns vorhergesagt.
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- Na gut, dann verfügen Sie über eine höhere Weisheit. Warum haben Sie es dem Finanzminister nicht im Jahre 1985 gesagt?
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Aber eines ist sicher richtig: Der Luftverkehr stößt damit an die Grenzen der Möglichkeiten. Wenn dennoch größere Störungen vermieden worden sind, ist das vor allem dem Einsatz des in der Flugsicherung tätigen Personals zu danken.
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Aber um einen Zusammenbruch des Flugverkehrs für die Zukunft zu verhindern, sind durchgreifende Maßnahmen notwendig.
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Für den Nachholbedarf im technischen Bereich wurden die nötigen Haushaltsmittel und auch die Verpflichtungsermächtigungen bereitgestellt. Herr Kollege Purps, Sie wissen genau, daß die Lieferung dieses Materials erhebliche Lieferzeiten erfordert, die man auch nicht mit mehr Mitteln abkürzen kann.
Im personellen Bereich wurden sowohl durch Hebung von Planstellen als auch durch Schaffung neuer Planstellen alle Anforderungen des Ressorts bewilligt
- eine Ausnahme, die der Haushaltsausschuß wegen der Dringlichkeit der Probleme nur in diesem Bereich gemacht hat.
Notwendige weitere Maßnahmen in der Flugsicherung werden sich in der bisherigen Organisationsstruktur - hier sind wir uns einig - wohl nicht mehr lösen lassen.
Der Haushaltsausschuß wird noch im Dezember darüber beraten. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, Lösungsmöglichkeiten vorzulegen. Auch die Luftraumnutzer haben dazu nachdenkenswerte Vorschläge unterbreitet. Voraussetzung für die Bewältigung dieser Probleme aber sind kostendeckende Gebühren, die nur mit Zustimmung der Bundesländer erhoben werden können. Der Haushaltsausschuß
- hier darf ich, glaube ich, für den ganzen Ausschuß sprechen - appelliert an die Bundesländer, ihre Mitwirkung dabei nicht zu verweigern.
Für die Verbesserung der Verkehrssicherheit bereitet der Bundesverkehrsminister eine nationale Kampagne in Zusammenarbeit mit dem Verkehrssicherheitsrat vor. Der Haushaltsausschuß begrüßt dies gleichermaßen wie der Verkehrsausschuß. Er erwartet möglichst bald die Vorlage eines Konzepts, damit die Mittel freigegeben werden und die Maßnahmen anlaufen können.
Der Haushaltsausschuß hat bei der Beratung des Verkehrshaushalts einige neue Akzente gesetzt. Er folgt damit weitgehend den Forderungen der Verkehrspolitiker von Bund und Ländern. Leider mußte er diese Entscheidungen gegen den Widerstand der Opposition, die drastische Kürzungen gefordert hatte, durchsetzen. Trotz starker Spannungen und wachsender Engpässe in verschiedenen Bereichen hat unser Verkehrssystem seine Belastungsprobe im großen und ganzen bestanden und seine Leistungsfähigkeit bewiesen. Allen, die dazu beigetragen haben, gebühren Dank und Anerkennung.
({7})
Der Ihnen vorliegende Verkehrshaushalt ist ein vernünftiger Kompromiß zwischen dem Wünschenswerten und dem jetzt Möglichen. Ich bitte Sie um Annahme.
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Das Wort hat der Abgeordnete Weiss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Schon die Zeit, zu der wir die Debatte über diesen viertgrößten Einzelhaushalt mit immerhin fast 26 Milliarden DM Umfang hier führen, belegt, daß Verkehrspolitik in diesem Hause eigentlich kaum einen Stellenwert hat. Der Stellenwert, den die Verkehrspolitik in diesem Hause hat, dürfte ungefähr der Rolle entsprechen, die der Verkehrsminister in diesem Bundeskabinett spielt.
({0})
Denn der vorliegende Haushalt und die verkehrspolitischen Entscheidungen des letzten Jahres zeigen, daß in diesem Kabinett eigentlich von allen Verkehrspolitik gemacht wird, nur nicht vom Verkehrsminister.
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Lassen Sie mich das an einigen Beispielen belegen.
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Erstes Beispiel: Deutsche Bundesbahn. Der Herr Minister hat einmal sehr richtig gesagt: Langfristig brauchen wir etwa 5 Milliarden DM mehr im Jahr für die Bahn, um sie vernünftig zu sanieren. Aber was passiert? Es wird nur vertagt. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen einmal § 28 Abs. 2 des Bundesbahngesetzes vorlesen. Darin heißt es:
Die Deutsche Bundesbahn beschafft sich die erforderlichen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben selbst. Ist sie hierzu nicht in der Lage, soll der Bund das Eigenkapital verstärken oder ihr Darlehen aus Haushaltsmitteln gewähren.
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Wenn ich lese, was im Gesetz steht, und mir gleichzeitig den Haushalt und die Verschuldung anschaue, dann kann ich nur sagen: Das, was in den letzten JahWeiss ({4})
ren in der Verkehrspolitik gelaufen ist, ist zumindest hart an der Grenze des Rechtsbruchs.
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Das ist einfach eine Tatsache. Sie pochen doch immer sehr darauf, daß Sie Gesetze einhalten. Dann lesen Sie sich einmal das Bundesbahngesetz durch.
Offensichtlich ist es so, daß sogar Politiker der Koalitionsfraktionen vernünftige Vorschläge gemacht haben. Auch der Minister hat sehr vernünftig darüber geredet. Bloß: Er hat sich nicht durchsetzen können. Die Politik macht im Zweifelsfall der Finanzminister.
Ein ähnliches Beispiel ist der Flugverkehr. Wir wissen längst, wie leicht Engpässe zu beheben wären. Wir bräuchten nur einmal die militärisch genutzten Lufträume in der Bunderepublik einzuschränken.
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Nirgendwo in Europa gibt es so viele ausschließlich militärisch genutzte Lufträume wie in der Bundesrepublik. Was aber ist? - Der Minister kann sich kaum gegen den Verteidigungsminister durchsetzen. Es wurde im Monat Juli ein geringer Kompromiß erzielt. Das war komischerweise zeitgleich mit der Rücknahme der Stellungnahmen des Bundesverkehrsministers in Sachen US-Hubschrauberstationierung in Wiesbaden-Erbenheim. Das betraf das Luftverkehrsgesetz. Mit einer merkwürdigen Gleichheit konnte der Verkehrsminister eine geringfügige Ausweitung der Kapazitäten durchsetzen. Aber generell kann man schon sagen: Der Verkehrsminister kann sich gegen den Verteidigungsminister nicht durchsetzen.
Transrapid ist ebenso ein ähnliches Beispiel. Wir wissen doch, daß es zwischen dem Bundersverkehrsministerium und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie durchaus Differenzen gibt. Aber wer setzt sich durch? - Nicht der Verkehrsminister, sondern der Forschungsminister. Transrapid ist aber nun einmal eines der verkehrspolitisch unsinnigsten Projekte, die wir in der Bundesrepublik haben.
Als nächstes Beispiel möchte ich die Schwerverkehrsabgabe nennen. Der Herr Minister hat sehr vernünftige Vorschläge gemacht. Er hat gesagt: Wir brauchen bis 1990 eine Schwerverkehrsabgabe. Als erstes bekommt er natürlich aus den Regierungsfraktionen in entsprechenden Stellungnahmen die schroffe Ablehnung zu spüren. Herr Minister, nicht einmal bei Ihrer eigenen Fraktion können Sie sich durchsetzen.
Ein anderes Beispiel ist die Verkehrssicherheit. Wir wissen längst, daß der sinnvollste Weg, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, das Tempolimit ist.
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Wir wissen auch, daß dies das Mittel ist, mit dem man sofort die finanzielle Situation der Deutschen Bundesbahn entscheidend verbessern könnte.
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Das wäre durchaus eine Möglichkeit. Mit einer effektiv überwachten Geschwindigkeitsbeschränkung
könnten Sie sofort 30 bis 50 % mehr Reisende im Fernverkehr der Bundesbahn haben. Nur: Das wird nicht gemacht. Da kann sich der Verkehrsminister wohl nicht gegen die Automobilindustrie durchsetzen.
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Daneben gibt es eine ganze Reihe von weiteren Beispielen dafür, daß die Verkehrspolitik in diesem Lande im argen liegt.
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Ich kann sie gar nicht alle ansprechen. Dazu zählt beispielsweise der öffentliche Personennahverkehr in der Fläche.
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Man muß es einfach einmal so sagen.
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Der Verkehrsminister sollte sich doch einmal melden und sagen: An diesem Punkt habe ich echt etwas erreicht, da habe ich verkehrspolitisch einen Fortschritt erreicht. Er wird aber keinen solchen Punkt finden.
Tatsache ist: Der Verkehrsminister kann sich nicht gegen die Automobilindustrie durchsetzen, nicht gegen den Verteidigungsminister, nicht gegen den Finanzminister,
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nicht gegen den Forschungsminister, in Sachen Schwerverkehrsabgabe nicht einmal bei den Koalitionsfraktionen.
Ich frage Sie: Wie sollen wir eigentlich von einem solchen Minister dann noch erwarten können, daß er sich im Rahmen der anstehenden Harmonisierungsdebatte zum EG-Binnenmarkt überhaupt im europäischen Rahmen durchsetzen kann, wenn er es nicht einmal in diesem Kabinett kann?
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Ich jedenfalls sehe deshalb schwarz, daß mit diesem Verkehrsminister im Zusammenhang mit dem EGBinnenmarkt und der vorgesehenen Liberalisierung im Straßengüterverkehr die anrollende Lawine von Lkw noch aufgehalten werden kann. Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit des Verkehrsministers und die Anti-Verkehrspolitik dieser Bundesregierung dokumentieren sich auch sehr deutlich in dem vorliegenden Bundeshaushalt. Deshalb werden wir ihn eindeutig ablehnen.
Danke.
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Nun hat der Abgeordnete Zywietz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß es kurzmachen, da ich, wenn ich richtig informiert bin, nur sieben Minuten Redezeit habe.
Herr Kollege, das, was Sie ablehnen wollen, unterstützen wir von der FDP. Ich glaube, dafür gibt es auch ganz gute Gründe.
Dieser Haushalt läßt natürlich wie jeder Haushalt den einen oder anderen Wunsch offen. Aber insgesamt ist er eine solide Fortschreibung der Möglichkeiten, die sich im verkehrspolitischen Feld eröffnen. Da brauchen wir uns zu später Stunde gar nicht so sehr zu ereifern. Dieser Haushalt - das haben Sie richtig festgestellt - zeichnet sich mindestens durch zwei Merkmale aus: einmal daß in der Tat über 50 % investiver Anteil sind.
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Investitionen heißt Aufträge, heißt Arbeit, heißt Einkommen, Dinge, die man eigentlich begrüßen kann. Das ist also ein Haushalt, der sich durch diese Eigenschaft auszeichnet.
Er zeichnet sich auch durch eine andere aus, die etwas problematischer ist, nämlich durch die Tatsache, daß über 50 % der Mittel aus diesem Etat für Zwecke der Deutschen Bundesbahn - so möchte ich einmal sagen - zur Verfügung gestellt werden müssen. Das ist ein Zustand, den man nicht auf Dauer sich weiterentwickeln lassen kann. Es gibt Besserungsansätze. Wir alle sind ja nicht nur Benutzer von Flugzeugen, sondern zuweilen auch Autofahrer und Benutzer der Deutschen Bundesbahn. Ich stelle immer fest, daß sich im Personenverkehr manches verbessert hat. Auf dieser Linie muß weitergemacht werden, um es vielleicht einmal etwas prononçiert und in der Kürze der Zeit nur in einem Bild anzudeuten.
Allerdings ist, Herr Minister, aus unserer Sicht und für unsere Gruppe bei der Bundesbahn Handlungsbedarf festzustellen. Es ist des Schweißes der Edlen wert, die Konzepte, für die Kollegen auch aus unseren Reihen wertvolle Anregungen gegeben haben, durchzusetzen. Wir warten in der Tat mit großem Interesse auf die Kabinettsentscheidung, wie die Zukunft der Bundesbahn weiter gestaltet werden soll.
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Es muß da etwas geschehen. Ich sehe dafür mindestens drei Gründe, um das aufzuzählen: einmal das Jahresdefizit, zweitens der Schuldenstand und drittens die wettbewerbspolitische Herausforderung, die sich aus dem EG-Binnenmarkt 1992 ergibt. Einzeln oder zusammengenommen sind das Gründe, die - sagen wir einmal - zu einer größeren Handlungsstringenz Veranlassung geben.
Wo es langzugehen hat, ist eigentlich ebenfalls mit wenigen Blicken festzustellen. Altlasten aus dem Verkehrsetat herauszunehmen - damit haben wir begonnen - , ist sicherlich hilfreich.
Aber zweitens muß etwas im Bereich des Rechnungswesens geschehen. Man muß erst mal über seine Ist-Daten, über die Kostenstruktur, über die Erlös- und die Deckungsbeiträge klare Kenntnisse haben, bevor man ein Unternehmen zielorientiert steuern kann. Da muß etwas laufen. Auch das Management muß mehr Freiheitsgrade haben, wenn es etwas bewirken will.
({2})
Marktorientierung ist ebenfalls vonnöten. Das sind offenliegende Gründe.
Das Heil wird allerdings nicht durch Umbuchungen zu erzielen sein, sondern es wird durch bessere Leistung am Markt, am Kunden, am personenbeförderungsinteressierten Kunden und am Kunden, der Güter befördert sehen will, zu erreichen sein. Dieses Marktdenken muß noch weiter ausgeprägt werden. Ohne dies geht gar nichts. Das Geld wird am Kunden verdient und sonst nirgendwo anders. Dieser Aspekt der ganzen Angelegenheit muß bei aller berechtigten Akzeptanz dessen, was schon geschehen ist, noch forcierter und noch prononçierter gehandhabt werden.
Ein weiterer Punkt: der Straßenbau. Daran kann man nicht so vorbeigehen, Kollege Purps. Ich habe mich auch ein bißchen über die Widersprüchlichkeit der Darstellung gewundert, muß ich ehrlich sagen. Wer hat nicht schon das Bild von Staus im Straßenverkehr erlebt? Aber die Schlußfolgerung, die Remedur, war doch in mehrfacher Hinsicht total auf den Kopf gestellt. Ich kann doch nicht die Staus beklagen, aber die Straßenbaumittel nicht aufstocken wollen und noch nicht einmal die Mittel für den Erwerb von Grundstücken für Bundesstraßen, nicht die Mittel für Grundstückserwerb für Bundesautobahnen erhöhen wollen. Das ist doch nicht die Remedur. Wer die Staus beseitigen will, muß Straßen bauen. Das ist doch so logisch und so einfach wie das Amen in der Kirche.
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Auch wer etwas mehr für die Sicherheit im Straßenverkehr tun will, soll Straßen bauen und nicht ein Tempolimit und all solche Dinge einführen. Ich bekomme Zuschriften aus Schleswig-Holstein und aus dem Wahlkreis, in denen mir gesagt wird, die Kurve müsse weg, die Ortsumgehung müsse weg und die Hügel müßten weg; das sei alles unter Sicherheitsgesichtspunkten richtig. Es sind auch Zuschriften, die ich aus sozialdemokratischen Reihen bekomme. Jeder möge seine eigenen Zuschriften prüfen. Ich bekomme sie aus dem Lauenburgischen, aus Nordfriesland, aus allen Ecken und Enden. Das heißt doch, Straßen auszubauen und bessere Straßen zu bauen; dann ist es auch mit der Sicherheit besser.
Andere Dinge sind eher ergänzender Art. Das ist hier der zentrale Punkt. Der Sicherheit im Straßenverkehr wird durch vernünftig und ausreichend gebaute Straßen am besten entsprochen. Bringen wir einmal die Dinge in die richtige Gewichtung.
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Dritter Punkt: Der Luftverkehr ist angesprochen worden. Ich muß sagen, ich bin da über alle Fraktionen im Haushaltsbereich hinweg, aber auch mit den Kollegen aus dem Fachausschuß eigentlich sehr froh, daß in dieser Angelegenheit durch große Einigkeit in der Zielrichtung etwas bewegt werden konnte. Das
kommt ja auch nicht alle Tage vor, und deswegen soll man es ruhig auch einmal sagen.
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Denn die Steigerungsraten - ob man sie in diesem Ausmaß vorhersehen konnte, lasse ich einmal beiseite - sind hoch, noch höher, als auch von Optimisten vermutlich erwartet. Aber das hilft alles nichts. Jetzt muß Remedur geschaffen werden. Wir gehen davon aus, daß die Überbrückungsmaßnahmen hilfreich sind: Stellenzulage, Stellenausweitung, mehr für das technische Gerät - haben wir alles in diesem Haushalt gemacht; das ist gut. Was ansteht, ist aber eine konzeptionelle Veränderung. Es muß zur Vollkostendeckung gehen. Die, die den Luftraum nutzen - um es ganz einfach und bildhaft zu sagen - , müssen auch für die Kosten aufkommen. Das ist jetzt nicht der Fall, und das muß in Zukunft sichergestellt werden. Die Investitionen, die dann getätigt werden, sind dann auch von dem richtigen Interesse getragen, denn die Charterflieger, die Privat- und Wirtschaftsflieger und vor allem die großen Linien werden schon darauf achten, daß sie die Sicherheit im Luftverkehr durch die Sicherungssysteme und die Personalausstattung ohne Warteschleifen etc. pp. haben, die ihrem Geschäft und ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Dieses Eigeninteresse müssen wir in ein Konzept einbringen, ohne so viel staatliches Hineinreden, dann werden sich die Dinge am besten entwickeln, dessen bin ich sicher. Ich bin, wie gesagt, in gewisser Weise stolz, daß wir das offensichtlich gemeinsam in diese Richtung bewegen.
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Ein letztes, und das muß man als Norddeutscher vielleicht noch sagen dürfen; ein, zwei, drei Sätze.
Besser zwei als drei.
Zweites Schiffsregister. Ich will nur sagen, Kollege Purps, da sollten wir nicht das zweite Schiffsregister gegen die Seeschiffahrtsförderung ausspielen. Das sind beides Dinge, die zum Erhalt auch nur einer adäquaten eigenen Flotte sein müssen. Wir spielen auch bei der Kohle nicht immer das eine gegen das andere aus, sonst müßten wir auch die Hilfen für die Seeschiffahrt zur nationalen Aufgabe machen. Denn ein export- und importorientierter Staat wie wir braucht ein Minimum an Seeschiffahrt. Das zweite Schiffsregister ist fast eine Notmaßnahme, um Extremes und Schlimmes zumindest etwas zu mildern.
({0})
Das sollten wir nicht gegenüber Kappungsgrenzen bei der Seeschiffahrtshilfe ausspielen. Wir brauchen beides, um auch nur eine faire Chance für die Reederei und die Seeschiffahrt in unserem Land zu erhalten.
Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, nun hat der Bundesminister für Verkehr, Dr. Warnke, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Zu später Stunde", da mag der Kollege Weiss ja recht haben. Nur, Herr Kollege Weiss, wenn Sie heute nicht so viele namentliche Abstimmungen beantragt hätten, dann würden wir diesen Haushalt nicht nach 22 Uhr, sondern vor 21 Uhr beraten, und das fände ich in der Tat angemessener.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in der Tat am Beginn einer neuen Epoche im Verkehr im gemeinsamen Markt. Es ist eine schwierige Epoche, und sie würde eine von großer Intensität und großem Ernst getragene Debatte rechtfertigen, denn die Vorzeichen dieser Epoche sind widersprüchlich. Auf der einen Seite Wegziehen der Bremsklötze, Befreiung des grenzüberschreitenden Verkehrs von Schwierigkeiten und damit verbunden - bewußt und gewollt als Ziel unserer Politik - zusätzliches Wachstum des Verkehrs und auf der anderen Seite - da sind Widerstände in allen Ländern Europas zu merken - Grenzen, die die Umwelt dem Ausbau der Infrastruktur für diesen Verkehr setzt, insbesondere im Luftverkehr und auf der Straße. Um so mehr gilt es, meine Kollegen, gerade die vom Bundestag selbst beschlossenen Ziele im Straßenbau nun auch zu erfüllen. Das ist schon heute schwer genug, weil Umwelt- und Landschaftsschutz unseren Straßenbau erheblich verteuert haben und weil wir das Zieljahr 2000 für die Deckung des vordringlichen Bedarfs bei dem gegenwärtigen Sachstand nicht einhalten können. Für die Beschlüsse des Haushaltsausschusses die Straßenbaumittel um effektiv 100 Millionen DM im kommenden Jahr aufzustocken, zusätzliches Personal im Schichtdienst sowie eine Stellenverbesserung im Flugwetterdienst zu gewähren, bin ich deshalb besonders dankbar.
Aber, meine Damen und Herren, der Antrag der SPD, Straßenbaumittel noch zu kürzen, geht verkehrspolitisch genau in die falsche Richtung.
({1})
Herr Kollege Purps, ich habe erst einmal gedacht, ich hätte nicht richtig gehört, als Sie sich beklagt haben, daß die Investitionen heruntergefahren werden. Ja, wer fährt sie denn herunter? - Sie mit Ihrem Antrag. Ich darf Ihnen aus der Begründung dieses Antrags vorlesen:
Die vorhandene Infrastruktur der Bundesautobahnen und Bundesstraßen in die Bundesrepublik Deutschland ist ausreichend.
({2})
Deshalb können die Haushaltsansätze zurückgeführt werden
Gezeichnet: Dr. Vogel und Fraktion.
({3})
- Herr Kollege Purps, wer den Straßenbauhaushalt von heute als Ersatzkasse für beliebige andere Zwecke mißbraucht, der schafft die Ursachen für das Verkehrschaos von morgen.
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Meine verehrten Kollegen, Straßenbau bedeutet nicht nur Verkehr von heute und morgen, Straßenbau bedeutet auch Arbeitsplätze von heute: Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft, Arbeitsplätze in der Baumaschinenindustrie. Straßenbau bedeutet aber vor allem, Herr Kollege Purps - das möchte ich Ihnen und Ihren Kollegen von der SPD-Fraktion hier einmal eindringlich sagen - , Arbeitsplätze von morgen in jenen Randgebieten und in jenen ländlichen Räumen, in denen der Ausbau der Verkehrsverbindungen in den 70er Jahren vernachlässigt worden ist und Entwicklungschancen verschenkt und verspielt worden sind.
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Dank meines Amtsvorgängers Werner Dollinger sind im Bundesverkehrswegeplan 1985 die Entwicklungsbedürfnisse dem Bedarf sdeckungsprinzip gleichgesetzt worden. Dieses Straßenbauprogramm der Bundesregierung ist Wiedergutmachung für den ländlichen Raum. Es verträgt keine Kürzungen.
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Gleichzeitig ist dieses Straßenbauprogramm ein Faktor der Verkehrssicherheit. Für Ortsumgehungen sind in dem Fünf-Jahres-Zeitraum 1986 bis 1990 5 Milliarden DM vorgesehen. Hier geht es nicht nur um flüssigeren Verkehr; hier geht es um den Schutz von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer. Gerade hier zeigt sich, daß der Straßenbau, dessen Mittel Sie kürzen wollen, ein bewahrendes Element der Achtung vor Umwelt und Mensch ist. Die, die diese Entwicklung verhindern wollen, sollten den Gemeinsinn in unser aller Interesse wieder in den Vordergrund stellen und so verstandenen Straßenbau nicht als Manipuliermasse für irgendwelche anderen Zwecke nehmen.
({7})
Meine sehr verehrten Kollegen, ich möchte zum öffentlichen Personennahverkehr nur so viel sagen: Wir haben zum erstenmal eine Busförderung in der Fläche, dort wo der Bus Ersatz für Schienenverkehr ist, von dem sich der Bürger in weiten Bereichen zurückgezogen hat.
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Wir haben sie zum erstenmal durchgesetzt und haben
dort geholfen, wo Bedarf ist, und nicht irgendwelchen
Ideologischen Zwangsvorstellungen Rechnung getragen.
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Herr Kollege Weiss, ich kann Ihren Informationsstand nur bedauern, auch bezüglich der Straßenbenutzungsgebühr. Sie haben anscheinend übersehen, daß die Koalition beschlossen hat, eine solche Straßenbenutzungsgebühr ab 1. Januar 1990 einzuführen, begrenzt auf fünf Jahre, weil wir damit Europa vorwärtsbringen und nicht Europa bremsen wollen.
({10})
- Herr Kollege Haungs, das ist ein kleines arithmetisches Problem: Wir haben es für 1990 bis 1994 beschlossen. Weil Sie das Jahr 1990 mitzählen müssen, sind es fünf Jahre, für die wir diese Straßenbenutzungsgebühr einführen.
Mit der Einführung dieser Straßenbenutzungsgebühr beenden wir die faktische Subventionierung des ausländischen Schwerlastverkehrs, der zu seinen We-gekosten in Deutschland einen viel zu geringen Beitrag leistet. Gleichzeitig erreichen wir auch eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für unsere Fuhrunternehmen. Diese Straßenbenutzungsgebühr ist europakonform, da sie den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften aufgreift.
Der Zufall - nicht die Regie - hat es so gefügt, daß die Europäische Kommission heute diesen Vorschlag detailliert und erklärt hat, sie schlage eine Straßenbenutzungsgebühr in Form der Vignette vor; in den Ländern mit niedrigen Kraftverkehrs- und Mineralölsteuern solle ein höherer Beitrag für die Vignette gezahlt und in denjenigen mit höheren Kraftverkehrs-und Mineralölsteuern ein niedrigerer Beitrag für die Vignette gezahlt werden. Dazu kann ich nur sagen: Da liegt die Koalition mit ihrem Vorschlag auf dem richtigen europäischen Pfad.
({11})
- Da freuen Sie sich, Herr Kollege Daubertshäuser. 13 Jahre haben Sie es umsonst versucht, aber jetzt ist der Durchbruch geschafft worden.
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- Danke für die Unterstützung; seit 1966 waren Sie im Verkehrsministerium zu Hause.
Allerdings ist dies keine dirigistische Maßnahme; das möchte ich hier im Namen aller Koalitionsparteien dick unterstreichen. Wir wollen marktkonforme Rahmendaten und nicht eine Verkehrslenkung zugunsten oder zu Lasten dieses oder jenes Verkehrsträgers. Dem Benutzer muß eine echte Wahlmöglichkeit eingeräumt bleiben.
Meine verehrten Kollegen, unsere Verantwortung für Natur und Umwelt gebietet, die Bahn in die Lage zu versetzen, Teile des künftigen Verkehrswachstums zu übernehmen. Mit 13 Milliarden DM wird die Deutsche Bundesbahn in der Tat auch im Jahre 1989 den Löwenanteil des Verkehrshaushalts erhalten.
Daß wir eine knappe Milliarde im Einvernehmen umgebucht haben, sollte man nicht im Ernst als eine
Herabsetzung der Bundesmittel für den Verkehrshaushalt bezeichnen.
({13})
Es wäre ein Taschenspielertrick. Ich unterstelle niemandem, daß er mit diesem Argument hausieren geht. Aber eines ist richtig: Von Durchbruch spricht niemand, aber daß hier Dinge auf die Bundesschuld umgebucht worden sind, die auf die Bundesschuld gehören, ist ein Signal, das übrigens von den Eisenbahnern, mit denen ich Kontakt zu halten empfehle, Herr Kollege Weiss, auch als solches verstanden wird.
Schließlich haben wir nicht zur Signale, sondern auch neue Fakten gesetzt. Für die Zehnjahresperiode 1986 bis 1995 ist erstmals in Aussicht genommen, daß die Bruttoinvestitionen für die Bundesbahn mit denen für den Straßenbau gleichziehen.
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Das ist die Handschrift des Bundeskanzlers, Herr Kollege Purps, die hier zu erkennen ist.
Die Rekordinvestitionen für die Deutsche Bundesbahn, die im vergangenen Jahr vorgenommen worden sind - höher als jedes Jahr zuvor - , sprechen ebenfalls eine Sprache der Fakten, die bei den Eisenbahnern verstanden wird.
Meine sehr verehrten Kollegen, für die Luftfahrt stehen im neuen Haushalt dreiviertel Milliarden DM zur Verfügung, fast 100 Millionen DM mehr als in diesem Jahr. Davon gehen 230 Millionen DM in die Flugsicherung. Damit tragen wir dem explosionsartigen Anstieg des Luftverkehrs Rechnung. Nur sind diese Ansätze, die eine staatliche Subventionierung des Flugverkehrs bedeuten, nach unserer Meinung dringend korrekturbedürftig. Diese Subventionierung wollen wir beenden und haben deshalb vorgeschlagen, durch An- und Abfluggebühren die Kosten der Flugsicherung mit Zielrichtung im Haushalt 1990 streichen zu können, indem wir das in Zukunft voll decken.
({15})
Meine sehr verehrten Kollegen, im Bereich Umweltschutz möchte ich nur erwähnen, daß für die Ölunfallbekämpfung auf See 8,8 Millionen DM bereitgestellt sind. Hierin sind Mittel zur Finanzierung der zweiten Generation des Luftüberwachungssystems enthalten und Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht.
({16})
- Herr Kollege Carstensen, Schwerpunkt Nordsee. Damit wird der 50 %ige Bundesanteil abgedeckt.
Ich spreche gerade von der See: In der Seeschiffahrt stehen wir vor großen strukturellen Problemen. Ich bitte, auch eines klar zu sehen - Beweis: die heutige Erklärung des Hamburger Senats - : Die Art, wie das angegangen wird, insbesondere auch im Bereich des internationalen Schiffahrtregisters, ist durchaus auch innerhalb der SPD umstritten. Es gibt aus Bremen unterschiedliche Stimmen. Was der Hamburger Senat uns heute signalisiert hat, ist durchaus die Bereitschaft, auch mit dem internationalen Register, das Sie, Herr Kollege Fischer, dem Parlament unterbreitet haben, die Zukunft zu bewältigen, damit es auch in Zukunft deutsche Besatzungen unter deutscher Flagge auf deutschen Hochseeschiffen geben wird.
({17})
Ich komme zum Schluß. Wir stehen vor einer Herausforderung in der Verkehrssicherheit. Wir werden die Verkehrssicherheit dank der Bereitschaft des Haushaltsausschusses und des Parlaments, Mittel zur Verfügung zu stellen, auch in einer „Nationalen Kampagne Verkehrssicherheit" fördern. Da brauchen Sie allerdings, Herr Kollege Weiss, keine Sorge zu haben, daß nicht zu defensivem Fahren aufgefordert wird. Wir werden - Sie haben es, glaube ich, auch angesprochen, Herr Kollege Purps - den deutschen Kraftfahrer, der das Privileg hat, eine Automobilindustrie hinter sich zu haben, die leistungsfähiges Gerät zur Verfügung stellt,
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auffordern, davon verantwortungsvoll Gebrauch zu machen. Diejenigen, die sich heute noch nicht entsprechend verhalten, auch mal am Portepee des Verantwortungsgefühls für ihre Familie, für ihre Kinder, für ihre Ehegatten, für ihren Freundeskreis zu packen, das wird ein Schwerpunkt der Verkehrspolitik der Regierung Kohl im kommenden Jahr sein.
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Damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich wiederum in der Reihenfolge der Drucksachennummern vornehmen werde.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3355? - Wer stimmt dagegen? - Mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3356? - Wer stimmt dagegen? - Mit gleicher Mehrheit wie eben abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/3357? - Wer stimmt dagegen? - Mit den gleichen Mehrheiten abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3358? - Wer stimmt dagegen? - Mit den gleichen Mehrheiten abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3359? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD ab, der Ihnen auf Drucksache 11/3413 vorliegt. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN abgelehnt.
Vizepräsident Cronenberg
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 12 insgesamt ab. Wer also dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr in der Ausschußfassung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Bereich mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zurück zum Einzelplan 06. Es handelt sich um den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich verlese das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN, der Ihnen auf der Drucksache 11/3338 vorliegt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 389 ihre Stimme abgegeben. Ungültig keine. Mit Ja haben 44, mit Nein 229 gestimmt. Enthaltungen 116.
Die 20 Berliner Abgeordneten haben wie folgt abgestimmt: mit Ja 2, mit Nein 12, Enthaltungen 6.
Der Antrag wurde abgelehnt.*)
Damit ist die Voraussetzung geschaffen, daß wir über den Einzelplan 06 insgesamt abstimmen können. Wer diesem Einzelplan seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Enthaltungen habe ich nicht festgestellt.
Ich rufe auf - für heute last, but not least - : Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 11/3213 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Walther
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht, so daß ich das als beschlossen feststelle.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Glotz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein gutes Gefühl, eine der wichtigsten Reformen dieser Bundesregierung in diesem gesprächsfähigen Kreis mit Geduld und Sachkenntnis zu erörtern.
({0})
Ich möchte meinen Beitrag mit einem Satz des Vorstandsvorsitzenden der AEG, Heinz Dürr, beginnen, der vor ein paar Tagen in der „Wirtschaftswoche" folgendes gesagt hat:
) Endgültiges Ergebnis und Namensliste 110. Sitzung, Anlage 2
Wir müssen erlernen oder wieder erlernen die Fähigkeit zum Konsens. Wenn wir, Staat, Gewerkschaften, Unternehmer und Kirchen, uns auf einen solchen Konsens einlassen, dann werden wir auch leichter die Frage beantworten können, wie wir mit den Bedürfnissen umgehen, die die Gesellschaft hat und für die sie in Form von Subventionen oder Zuschüssen bezahlen will, weil sich die Befriedigung dieser Bedürfnisse ansonsten betriebswirtschaftlich nicht rechnet.
Ich möchte Herrn Dürr ausdrücklich zustimmen,
({1})
und ich wende den Gedanken von Herrn Dürr auf unseren Gegenstand, nämlich die Postpolitik an. Die Post ist das größte Unternehmen der Bundesrepublik, über 500 000 Arbeitnehmer, 17 oder 18 Milliarden DM Investitionen im Jahr.
({2})
An diesem Unternehmen kann man nicht - ({3})
- Nein, nicht nur nicht vorbeigehen. Nun lassen Sie mich doch wenigstens ein paar Sätze sagen, bevor Sie Ihre scherzhaften Zwischenbemerkungen machen.
Meine Damen und Herren, der Präsident möchte Sie herzlich bitten, die Verhandlungen in dieser späten Stunde nicht noch durch unsachgemäße Zwischenrufe zu stören.
Herr Präsident, ich bedanke mich ausdrücklich für diese Hilfe.
Ich glaube, an diesem Unternehmen kann man nicht Wahlperiode für Wahlperiode herumdoktern. Es geht nicht, daß eine Regierung dereguliert, die nächste wieder reguliert und die übernächste wieder de-reguliert. Wenn irgendwo, dann wäre beim Thema Postreform ein Streben nach Konsens notwendig. Das Bedauerliche ist, Herr Bundesminister, daß Sie derzeit versuchen, ein, wie wir glauben, des Fragens würdiges - ich drücke mich sehr vornehm aus - Konzept nicht nur gegen den Willen der Opposition, sondern auch gegen den Willen von Teilen Ihrer eigenen Fraktion nach dem Motto „Augen zu und durch" durchzuziehen. Das halten wir für die falsche Politik.
({0})
Wenn ich heute lese „CDU-Arbeitnehmer über Niederlagen auf allen Ebenen verbittert" - „Frankfurter Rundschau" - , muß ich sagen: Herr Kollege Pfeffermann, wir fühlen mit Ihnen. Jetzt wäre nur noch dafür zu sorgen, daß auch Herr Schwarz-Schilling mit Ihnen fühlt. Das wäre das nächste.
Ich weiß schon, Herr Kollege Schwarz-Schilling, daß Sie in Ihrer Fraktion nach erheblichen Auseinandersetzungen eine Mehrheit für Ihr Konzept der Dreiteilung der Post bekommen haben. Aber wir wissen natürlich auch, daß der Arbeitnehmerflügel Ihrer Fraktion wie wir für ein stärkeres Direktorium und wie wir gegen Wettbewerb beim Mobilfunk eintritt. Wir kennen die ordnungspolitischen Bedenken beispielsweise der CSU. Uns ist klar, daß die Bundesregierung
in einer schwierigen Situation ist, daß die FDP in die eine Richtung zieht, die CSU in die andere und Sie dazwischen stehen und aufpassen müssen, daß Ihnen die Arme nicht ausgekugelt werden. Herr Schwarz-Schilling, dafür haben wir alle Verständnis. Aber wenn Sie verhindern wollen, daß wir in den 90er Jahren über die Telekommunikation die gleiche oder eine vergleichbare Diskussion wie über die Kernenergie in den 80er Jahren bekommen,
({1})
dann sollten Sie sich im Zuge der weiteren parlamentarischen Beratungen weniger an der kleinen, feinen Minderheit der Deregulierer in der FDP orientieren, sondern mehr an der Mehrheit von sozial orientierten Politikern in Ihrer Fraktion oder in den Fraktionen der Opposition. Das wäre die bessere Politik, Herr Kollege Schwarz-Schilling.
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Ich halte Ihnen nicht vor, Herr Bundesminister, daß Sie mit den verschiedenen Gruppen zuwenig geredet haben. Sie haben mit vielen Leuten geredet. Das Problem ist, daß Sie aus den vielen Gesprächen bisher jedenfalls keinerlei Konsequenzen gezogen haben. Das Gute wäre, wenn im Verlauf der weiteren parlamentarischen Debatte solche Konsequenzen gezogen werden könnten.
Es macht keinen Sinn, daß wir jetzt wiederholen, was in der ersten Lesung des Poststrukturgesetzes gesagt worden ist. Die Position der Sozialdemokraten ist klargemacht worden. Wir haben niemals eine glatte Blockadepolitik, eine platte Blockadepolitik vertreten - weder eine glatte noch eine platte. Wir wissen, daß die neue Entwicklung der Telekommunikation auf bestimmten Feldern auch ein neues institutionelles Arrangement verlangt. So haben wir beispielsweise immer gesagt, daß wir unter bestimmten Bedingungen einer Trennung von hoheitlichen und Betriebsaufgaben zustimmen. Wir sind weiter zu einer solchen konstruktiven Diskussion bereit. Das verlangt dann aber auch bestimmte Zugeständnisse der Bundesregierung. Deswegen lassen Sie mich noch kurz ein paar Bemerkungen zu einigen Punkten machen.
Schauen Sie erstens: Wir erleben gerade diesen großen industriepolitischen Prozeß Daimler-Benz/MBB. Wie immer man dazu steht - Tatsache ist: Da wird es mehrere selbständige Unternehmensbereiche geben, aber es gibt eine Holding-Lösung, d. h. die Arbeitnehmervertretung wird nicht wie ein Hase zwischen unterschiedlichen Igeln hin- und hergeschickt. Es ist doch absurd, Herr Schwarz-Schilling, daß ein großer privater Konzern die Interessen der Arbeitnehmerschaft ganz offensichtlich vernünftiger berücksichtigt, als Sie sie für ein öffentliches Unternehmen wie die Bundespost berücksichtigen wollen.
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Ich habe nicht die Absicht, die Dreiteilung der Post hier noch einmal in allen Einzelheiten zu diskutieren. Ich bin der Meinung, daß es Sinn machen kann, diesen Bereich der Telekommunikation, diesen riesigen Zukunftsbereich, in einem eigenen Unternehmen zu organisieren. Aber mit der Dreiteilung schaffen Sie mindestens zwei weitere Unternehmen mit teuer bezahlten Vorständen und komplizierten Aufsichtsräten, bei denen die Gefahr besteht, daß sie vor sich hinkümmern.
Überlegen Sie einmal: Postbank! Wenn Sie mir sagen würden, Sie wollten die Synergieeffekte der Post nutzen, um aggressives Marketing für die Postbank und damit Konkurrenz gegen private Banken zu machen, dann würde ich sagen, das hätte einen Sinn. In Wirklichkeit verhindern Sie doch bisher - alle haben es bisher verhindert -, daß beispielsweise darauf aufmerksam gemacht wird, daß die Post länger offenhat als die Banken, daß die Vorteile der Post gegenüber den Banken deutlich gemacht werden. Wenn Sie diese Synergieeffekte gar nicht nutzen wollen, dann macht es auch nicht Sinn, ein eigenes Unternehmen mit Vorstand und Aufsichtsräten und allem Drum und Dran in die Welt zu setzen und mit einer Dreiteilung der Post zu beginnen.
Das wichtigste Argument aber betrifft die Arbeitnehmervertretung. Die Bundesregierung sollte nicht vergessen, was sie in diesem Bereich, der Post, an einer Einheitsgewerkschaft hat, die verantwortlich und überlegt agiert hat. Ich sage noch einmal: Wenn Großunternehmen wie Daimler-Benz über einen Gesamtbetriebsrat verfügen, ist nicht einzusehen, warum eine neu konzipierte Bundespost die Personalräte zwischen dem Bundespostminister und drei Unternehmen hin- und herschicken sollte. Ich warne, Herr Schwarz-Schilling, dringend vor einer solchen Konfrontation mit den Beschäftigten der Bundespost und mit ihrer Gewerkschaft.
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Zweitens. Wenn man die Telekommunikation in einem erfolgreichen öffentlichen Unternehmen betreiben will, braucht man die Möglichkeit, das Personal leistungsbezogen zu bezahlen. Auch eine Verselbständigung der Telekommunikation in einem eigenen Unternehmen macht nur Sinn, wenn dieses Unternehmen dann als Unternehmen handeln kann. Wenn aber der Innen- und der Finanzminister da weiter hineinregieren, dann - darüber sind wir uns ja wohl einig - wird ein selbständiges Unternehmen nicht dabei herauskommen.
Nun akzeptiere ich und anerkenne ich, Herr Bundespostminister, daß Sie zustande gekriegt haben, daß die Verordnungen pari passo beschlossen werden sollen. Das Parlament wird also sehen, was Sie mit Ihren Kollegen zustande kriegen. Das ist ein wichtiger Schritt, den man akzeptieren muß. Mein Problem ist nur: Wenn jetzt der Bundesrat eine Verordnung verlangt, zu der seine Zustimmung notwendig ist, und dann die Interessen der Länderfinanzminister durchschlagen, die natürlich Angst haben, daß es entsprechende Folgerungen für ihre Bundesländer gibt, dann ist zu befürchten, daß sich dieses Unternehmen überhaupt nicht bewegen kann. Es zu verselbständigen, ohne daß es sich dann als Unternehmen bewegen kann, das wäre sinnlos.
Ich weiß, daß Finanzminister überparteiliche Ängste haben; das ist nicht nur auf CDU-Länder begrenzt. Deswegen wäre es gut, wenn Sie hier den Konsens
noch stärker suchen würden, als Sie das bisher getan haben.
Ich mache eine knappe Bemerkung zum Mobilfunk. Man hört, daß Sie einen privaten Netzträger zulassen wollen, bevor das Gesetz den Bundestag überhaupt passiert hat. Herr Bundesminister, es wäre eine Desavouierung des Parlaments, wenn Sie Bestimmungen, die in Ihrem Gesetz stehen, vorwegnehmen würden, bevor dieses Parlament diese Bestimmungen überhaupt beschlossen hat.
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Das darf doch wohl nicht gehen. Wir glauben ja, daß das ein Aufräufeln des Netzmonopols von unten sein könnte. Deswegen sind wir skeptisch. Aber wenn Sie das schon machen, dann will ich doch zumindest fragen: Wollen Sie einen oder mehrere private Netzbetreiber? Herr Bundesminister, wenn Sie schon Markt wollen, wäre es dann nicht sinnvoll, nicht ein Konsortium - sagen wir mit deutsch-amerikanischen Großbetrieben - , sondern unterschiedliche zu begünstigen und auch zwischen Netzbetreibern und Dienstanbietern zu unterscheiden? Wenn Sie schon Markt wollen, wäre das unter Umständen sinnvoll. Übrigens könnte hier auch das Monopol der Bundespost besser bewahrt werden.
Eine vierte kurze Bemerkung zum Thema Infrastrukturrat oder Poststrukturrat oder wie immer das heißen mag. Ich denke, das ganze Parlament ist sich einig - ich hoffe, es setzt es auch durch - : Soweit hoheitliche Aufgaben betroffen sind, muß das Parlament über den Post- oder Infrastrukturrat auch weiterhin sein Mitbestimmungsrecht ausüben können. Ein Beirat mit Frühstückskompetenzen reicht nicht aus, um die Mitbestimmungsrechte des Parlaments abzulösen.
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Jetzt bin ich bei einem Problem, das mir am Herzen liegt, das uns allen am Herzen liegt: Das ist die Forschung, Herr Bundesminister. Die Internationalisierung der Kommunikation wird zu einer schrittweisen Öffnung der Märkte führen, aber ich betone: zu einer schrittweisen Öffnung. Wir sollten unseren Markt der Telekommunikation für die Amerikaner oder die Franzosen oder die Japaner genau in dem Maße öffnen, in dem die Franzosen oder die Japaner oder die Amerikaner ihre Märkte für unsere Industrie öffnen. Da muß ein Geben und Nehmen auf allen Seiten gleichzeitig vor sich gehen. Sie können sich auch der Unterstützung der Opposition sicher sein, wenn Sie da dem Druck des einen oder anderen großen Verbündeten widerstehen wollen.
Jetzt spreche ich ein konkretes Problem an. Weltweit - auch im EG-Bereich - werden von den Netzbetreibern unterschiedliche Verfahren der Forschungsfinanzierung praktiziert, die von der indirekten Abgeltung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen über die Gerätepreise wie bei uns, wie bei der Deutschen Bundespost, bis zu gezielten Entwicklungsaufträgen oder eigener Geräteentwicklung reichen. Bei uns stecken allein 2 Milliarden DM in den Gerätepreisen. Die Förderung für Vergleichbares, die der Forschungsminister betreibt, liegt bei 110 Millionen DM. Das ist der Unterschied. Jetzt kann bei europaweiter Ausschreibung passieren, daß genau die Praxis, die wir bisher in der Bundesrepublik betrieben haben, nicht mehr funktioniert. Wie sind dann Forschung und Entwicklung und auch die Kooperation zwischen Staat und Industrie bei Forschung und Entwicklung zu sichern, Herr Schwarz-Schilling? Dies ist eine ganz unpolemische Sachfrage, von der ich bitten würde, daß Sie sich dazu äußern.
Ich nenne ein einziges Beispiel: die Franzosen. Im Jahre 1986 haben die Franzosen mit eindeutiger industriepolitischer Absicht Forschungs- und Entwicklungsaufträge in der Größenordnung von 2,6 Milliarden Franc nach außen gegeben. Zusätzlich verfügt die France Telekom über eine zentrale Institution, die CNET, mit rund 4 300 Mitarbeitern und einem jährlichen Kostenaufwand von fast 2 Milliarden Franc im Jahre 1986 und einem Investitionsvolumen von 800 Millionen Franc. Zweidrittel der Aktivitäten dienen der Forschung und Entwicklung zur Förderung der mittelständischen Industrie oder auch zur Kooperation mit Großunternehmen. Diese direkt von der France TELECOM finanzierten Forschungs- und Entwicklungsleistungen, rund vier Milliarden DM im Jahr, führen zu erheblichen Preis- und damit Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten von Anbietern, die ihre Forschungs- und Entwicklungsaufträge marktwirtschaftlich über die Verkaufspreise decken müssen. Dies ist nun ein ganz konkretes Problem für die deutsche Industrie und muß kein Zankapfel zwischen Opposition und Regierung sein. Das heißt, wir müssen eine Lösung suchen, so daß entweder unsere deutsche Praxis in der EG verpflichtend und allgemein wird oder aber, daß die TELECOM einen bestimmten Prozentsatz ihres Umsatzes für praxisbezogene Forschung und Kooperation mit der Industrie verwenden kann, damit die deutsche Industrie dabei keine Nachteile erleidet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns sagen würden, welche praktische Lösung Sie bevorzugen.
Im übrigen sage ich noch einmal: Ich rate der Wirtschaft und der Politik dazu, die eigenen Interessen genauso selbstverständlich und strikt im Auge zu behalten, wie dies beispielsweise die amerikanische oder auch japanische Wirtschaft und Politik für ihre Länder tut. Das Interesse unserer amerikanischen Verbündeten an der Öffnung der deutschen Telekommunikationsmärkte nehmen wir gerne zur Kenntnis.
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- Einverstanden, ich streiche das Wort „gerne".
Aber ich sage als Parlamentarier, und zwar auch in der Unterstützung der Bundesregierung: Wir können unsere Märkte, wie gesagt, anderen nur in dem Maße öffnen, in dem sie auch ihre Märkte für unsere Industrie öffnen. Dies ist eines der entscheidenden Probleme in der Zukunft der Telekommunikation.
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Ich wäre dankbar, wenn ich dazu von Ihnen auch heute nur ein paar Sätze hören würde.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir reden ja hier über Industriepolitik - ({9})
- Ja schon. Das Thema Poststrukturgesetz ist das wohl entscheidende Reformvorhaben, das vorliegt, und die entscheidende Diskussion, die wir hier gemeinsam zu führen haben. Das ist wirklich eine der großen Reformen, jedenfalls eine der wichtigen. Ob es eine große wird, das wird sich hinterher zeigen. Dieses Thema hängt mit Industriepolitik zusammen. Ist es nicht ein wenig so, daß es bei dieser Bundesregierung, jedenfalls als ganzer, Industriepolitik nicht geben darf? Die Zahl, die ich gerade genannt habe, ist doch absurd, meine Damen und Herren. Zwei Milliarden DM stecken über dem Postminister in den Gerätepreisen. Die Förderung, die der BMFT im gleichen Bereich macht, sind 100 oder 110 Millionen DM. Ich sage, wir müssen von der verschämten Industriepolitik unter dem Tisch zu einer bewußten koordinierten Industriepolitik kommen, die auch vom Parlament diskutiert und dann entschieden werden kann.
Da erlaube ich mir noch einmal den Herrn Dürr zu zitieren, der in der Wirtschaftswoche ein deutsches MITI gefordert hat: Keiner glaubt, daß man japanische Lösungen für die Bundesrepublik einfach beliebig übernehmen kann. Aber eine koordinierte Industriepolitik ist notwendig, die das nicht nur unter der Hand tut, beispielsweise im Posthaushalt, wo die Leute gar nicht merken, daß vielmehr Industriepolitik gemacht wird als im Wirtschafts- und Forschungsministerium zusammen. Daß muß man sich überlegen und dann auch wirklich eine neue Struktur des Regierens schaffen. Denn Sie müssen ja noch regieren, Herr Schwarz-Schilling - ich spreche Sie nicht als Person an -, in einer Struktur, die 1969 modern war, als Willy Brandt antrat, die aber heute längst nicht mehr modern ist. Sie sollten sich als Bundesregierung überlegen, ob man hier nicht eine Struktur schaffen kann, die den Problemen angemessener ist als heute.
Ich bin am Schluß, indem ich sage: Die Postminister der Vergangenheit sind ein bißchen als Hausväter und manchmal auch als Postillions aufgetreten; die späteren Postminister sind als kühle Manager neuer Technologien aufgetreten. Herr Schwarz-Schilling braucht jetzt sozusagen einen Reformer mit - ich gebrauche einen Begriff aus dem frühen 18. Jahrhundert - gärtnerischen Qualitäten. Was nötig wäre, Herr Schwarz-Schilling, wäre eine Art Freiherr von Stein für das mikroelektronische Zeitalter. Damals, im 18. Jahrhundert, redete man von einer pflanzenden Reformpolitik. Von jenem Freiherr von Stein stammt der schöne Satz: „Kenntnis der Örtlichkeit ist die Seele des Dienstes." Ich bin bereit, diesen Satz für Sie, Herr Schwarz-Schilling, in Emaille schlagen zu lassen und Ihnen diese Tafel zu Weihnachten zu schenken. Nur, dem Haushalt können wir leider trotzdem nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Glotz, ich bin durchaus für gärtnerische Qualitäten. Ich hoffe aber nicht, daß eines Tages der Bock zum Gärtner gemacht wird.
({0})
- Nein, jetzt haben wir nach der Qualifikation des Kollegen Glotz ja einen anderen; denn seine Zukunftserwartungen gingen ja auf die gärtnerischen Qualitäten hin.
Lassen Sie mich auf die Frage eingehen: Wie ist der Konsens möglich? Herr Kollege Glotz, ich meine, dazu müßten mindestens zwei aufeinander zugehen und sich nicht einer von der Zerschlagung der Bürgerpost als Oberthema regulieren lassen.
Ich war mit dem Kollegen Rudi Walther in Japan. Wir haben uns fünf Tage mit der Post dort befaßt. Da hat es Konsens zwischen den Gewerkschaften und der total privatisierten NTT gegeben.
({1})
Ich meine, wir sollten uns, wenn wir auch nicht alles übernehmen können - dafür bin ich sowieso nicht -, zumindest ein Stück von dem abschneiden, was da an Konsens möglich war.
Aber jetzt einige schlichte Bemerkungen aus dem grauen Alltag des Haushaltsausschusses zu dem aber trotzdem sehr erfreulichen Einzelplan 13, der nur die Personalausgaben für den Herrn Bundesminister und den Parlamentarischen Staatssekretär umfaßt, die Ablieferung der Deutschen Bundespost und die Ansätze für die Bundesdruckerei.
({2})
- Die haben wir in den Haushaltsberatungen generell nicht angehoben, auch nicht beim Bundespostminister.
({3})
Bei der Bundesdruckerei steht eine Kapitalzuweisung von immerhin rund 21 Millionen DM eine Gewinnerwartung im kommenden Jahr von 17 Millionen DM gegenüber. Das ist im Vergleich mit dem Vorjahr ein verbessertes Ergebnis. Die Bundesdruckerei erlebt in diesem Jahr einen Auftragsboom durch die neuen Ausweispapiere. Dieser Boom wird sich auch 1989 fortsetzen. Dabei kann man davon ausgehen, daß der vorliegende Auftragsstau, der zu erheblichem Unmut in der Öffentlichkeit geführt hat, bis Ende des Jahres abgebaut wird.
Das Hauptaugenmerk richtet sich bei diesem Einzelplan auf den Bereich, der gar nicht direkt sein Bestandteil ist. Das Sondervermögen Deutsche Bundespost ist neben den genannten Ausgaben für den Minister und den Staatssekretär mit der Ablieferung enthalten. Hier werden 1989 rund 5,5 Milliarden DM als Einnahmen für den Bund erwartet. 1988 beträgt der Ansatz 5,1 Milliarden DM. Der Bundeshaushalt wird also auch im kommenden Jahr deutlich vom Einnahmenzuwachs der Bundespost profitieren.
({4})
- Es ist hervorragend, daß Sie hier eine solche Feststellung mit Ausrufezeichen machen. Das Fragezeichen war nämlich nicht zu hören, wie das immer so bei Reden ist.
({5})
Meine Damen und Herren, bei einem Budgetvolumen von 82 Milliarden DM, Umsatzerlösen von 55 Milliarden DM und Investitionen von rund 20 Milliarden DM erwartet die Deutsche Bundespost 1989 in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung einen Gewinn von 2,6 Milliarden DM.
({6})
- So ist das. Wieder ein Ausrufezeichen.
Das ist ein vorsichtiger Wert, der natürlich von der Realität - wie könnte es bei uns anders sein? - wahrscheinlich übertroffen werden wird.
({7})
Hier haben wir einen deutlichen Beleg dafür, daß die Post nach wie vor auf gesunden Beinen steht.
({8})
Natürlich steckt hinter den Gewinnen die Erhöhung der Postgebühren, die im kommenden Jahr wirksam wird.
({9})
Wirtschaftliches Handeln, Rationalisierung, ein leistungsstarkes Personal und erfolgreiches Marketing haben aber ebenso ihren Anteil an diesem positiven Ergebnis.
({10})
Herr Abgeordneter Deres, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche - Herr Abgeordneter Paterna, Sie haben nicht das Wort.
({0})
Ich bitte Sie, sich auch in der letzten halben Stunde entsprechend zurückzuhalten.
({1})
- Ich lasse mich nicht mit Ihnen auf irgendeine Diskussion ein, sondern fordere Sie allen Ernstes auf, die gebührende Zurückhaltung zu wahren.
Herr Abgeordneter Deres, Sie haben das Wort. Fahren Sie fort.
({2})
Es darf dabei nicht übersehen werden, daß es gleichzeitig mit der Korrektur der Postgebühren für die Kunden zu erheblichen Entlastungen im Fernmeldebereich kommt, Entlastungen in der Größenordnung von mehr als 400 Millionen DM in 1989. Weitere Schritte wird es in 1990 und 1991 mit Entlastungen von kumuliert 1,2 Milliarden und 1,6 Milliarden DM geben.
({0})
Diese Beträge sind beschlossene Sache.
Im Posthaushalt machen die Personalausgaben rund 49 % der gesamten Betriebsausgaben aus. Obwohl sich als Folge der allgemeinen Verteuerung des Produktionsfaktors Arbeit die Personalausgaben ständig erhöht haben, ist ihr relativer Anteil an den Gesamtausgaben rückläufig. Im Vergleich der Arbeitskosten der Arbeitnehmer liegt die Deutsche Bundespost mit dem produzierenden Gewerbe übrigens in etwa gleich.
Die jährlichen Rekordinvestitionen führen zu stärkeren Wachstumsraten bei den damit verbundenen Folgeausgaben.
({1})
Abschreibungen von 12 Milliarden DM und Zinsen für Fremdkapital von mehr als 3 Milliarden DM dokumentieren auch hier die Anstrengungen der Post zur Modernisierung und Innovation.
({2})
Ein entscheidender Eckpunkt des Posthaushalts ist das Investitionsvolumen von rund 20 Milliarden DM.
({3})
Die Deutsche Bundespost bleibt damit der mit Abstand größte Investor im Land. Die Postinvestitionen entsprechen mehr als einem Viertel des gesamten Investitionsvolumens von Industrie - ({4})
Herr Abgeordneter Paterna, ich lasse Sie aus dem Saal entfernen, wenn Sie weiterhin den Redner in dieser Form stören. Ich meine das ernst.
({0})
- Herr Abgeordneter Paterna, ich bitte Sie, die notwendige Zurückhaltung auch in der letzten halben Stunde zu wahren; andernfalls mache ich von meinen geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeiten Gebrauch.
({1})
Herr Abgeordneter, fahren sie fort.
Die Postinvestitionen entsprechen mehr als einem Viertel des gesamten InvestiDeres
tionsvolumens von Industrie, Bergbau und Handwerk in der Bundesrepublik.
({0})
Zum Vergleich: Das Unternehmen Daimler-Benz hat 1987 3,7 Milliarden DM im Inland in Sachanlagen investiert, Siemens 3,4 Milliarden DM. Bei der Post waren es immerhin 17,6 Milliarden DM.
({1})
Die Masse der Postinvestitionen gilt dem Fernmeldebereich und hier den neuen Diensten und Techniken: Digitalisierung des Netzes, Glasfaserkabel, Mobilfunk usw.
({2})
Damit werden die Voraussetzungen für künftiges Wachstum geschaffen.
Ein derart hohes Investitionsvolumen schlägt sich natürlich in der Finanzierung nieder. Trotz des erfreulichen Gewinns - der zur Investitionsfinanzierung voll im Unternehmen verbleibt - ist eine Kreditaufnahme von netto knapp 5 Milliarden DM vorgesehen.
({3})
Die Bundespost wird Ende des Jahres 1989 voraussichtlich ein Vermögen von 135 Milliarden DM haben.
({4})
Der Eigenkapitalanteil wird bei rund 42 % liegen. Das ist ein Wert, der deutlich über dem von der Bundesregierung fixierten Minimum von einem Drittel des Gesamtkapitals liegt und der sich nunmehr seit zehn Jahren in dieser Größenordnung bewegt.
Diese positiven Werte zeigen, daß die Post - salopp formuliert, Herr Paterna - gut im Saft steht.
({5})
Das kann aber kein Freibrief sein, die Hände in den Schoß zu legen. Weltweit registrieren wir eine Neustrukturierung der Post- und Telekommunikation. Die Entwicklung geht zu einer Trennung der hoheitlichen und der betrieblichen Aufgaben, zu mehr Wettbewerb in der Telekommunikation. Die Deutsche Bundespost arbeitet organisatorisch nach Strukturen, die auf dem Reichspostfinanzgesetz der 20er Jahre beruhen. Eine Reform, eine Anpassung an die neuen Entwicklungen in der Technologie, auf den neuen Märkten und an die weltweite Verflechtung ist überfällig. Ich meine, meine Damen und Herren, auch zu später Stunde auf die Beratungen des Einzelplans 12 und die Deutsche Bundesbahn an dieser Stelle zurückgreifen zu dürfen, um Ihnen deutlich zu machen, wie schwierig es ist, aus einer anderen Position heraus Reformen darzustellen.
({6})
Je stärker sich das Unternehmen Post präsentiert, je positiver die wirtschaftlichen Daten sind, desto größer sind die Erfolgschancen einer Neustrukturierung. Eine notleidende Post ist schwerlich in der Lage, die Kraftanstrengungen zu vollbringen, die erforderlich sind, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Deregulierung und Marktöffnung bringen nicht nur dem Unternehmen deutliche Vorteile. Sie sind auch ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Wachstums- und Beschäftigungspolitik sowie für wachsenden Wohlstand in unserer Bundesrepublik Deutschland.
Wenn wir die Qualität des Standortes Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2000 und darüber hinaus sichern wollen, müssen wir heute handeln. Unsere Wettbewerber sind uns da schon voraus. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ab 1992 wird der europäische Binnenmarkt Realität werden. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Telekommunikation zu. Sie liefert die nötige Infrastruktur für die Kreation neuer Dienste und Produkte in liberalisierten Märkten. Die Telekommunikation in Verbindung mit der Informationsverarbeitung und Bürokommunikation ist weltweit der derzeit am stärksten wachsende Wirtschaftszweig. Ich hoffe, daß auch PARLACOM weiter wächst. Anfang der 90er Jahre wird dieser Bereich die Automobilindustrie überflügeln.
Um die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen, müssen sich in der Telekommunikation die ordnungspolitischen Entwicklungen in Europa aufeinanderzubewegen. Das Grünbuch der EG-Kommission enthält die Leitlinien, deren Realisierung die Basis dafür bildet, daß die Staaten Westeuropas sich auf dem Weltmarkt der Telekommunikation behaupten können.
({7})
Der Entwurf des Poststrukturgesetzes stellt einen entscheidenden Schritt in diese Richtung dar. Er liegt voll auf der Linie der EG-Empfehlungen und bietet unserer Volkswirtschaft wie auch der Deutschen Bundespost die notwendigen Perspektiven für die Zukunft. Die Abgrenzung von wirtschaftlich handelnden Unternehmen schafft die erforderliche Flexibilität. Sie rüstet die Deutsche Bundespost für den Wettbewerb und ermöglicht den optimalen Einsatz der Ressourcen. Auch in der Telekommunikation muß künftig der Grundsatz gelten, daß der Wettbewerb die Regel und das staatliche Monopol die zu begründende Ausnahme ist.
({8})
Voraussetzung für das Sichbehaupten im Wettbewerb sind der Erhalt und die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Deutschen Bundespost. Die Bundespost braucht einen angemessenen Selbstfinanzierungsbeitrag für ihre Investitionen. Dieser Selbstfinanzierungsbeitrag wird durch die hohe Ablieferung an den Bund empfindlich geschmälert. Soll auch das so bleiben, Herr Paterna?
({9})
Einen deutlichen Fortschritt bringt die Neuregelung der Ablieferung. Seit der Erhöhung des Ablieferungs7694
Satzes im Jahr 1981 - wer hat das eingeführt, Herr Paterna? ({10})
zahlt die Post 10 % ihrer Betriebseinnahmen an den Bund; 5,5 Milliarden DM im kommenden Jahr. Diese Regelung entspricht dem traditionellen kameralistischen Denken und ist allein an den Zahlungsstrom der Umsätze geknüpft. Sie nimmt dabei keine Rücksicht auf die Ertragslage des Unternehmens. Die Ablieferung ist sogar bei Verlust zu tragen.
Das Poststrukturgesetz beschreitet hier einen neuen Weg, indem es - nach einer Übergangsfrist mit deutlichen Reduzierungen in den Jahren 1994 um voraussichtlich 1,8 Milliarden DM und 1995 um 3 Milliarden DM - ab 1996 die Bundespost einer Ablieferungsregelung unterwirft, die an die Ertragskraft der künftigen Unternehmen geknüpft ist. Die Bemessung der Ablieferung entsprechend der Besteuerung von selbständigen Unternehmen bringt nicht nur der Post eine finanzielle Entlastung, sie beseitigt auch Wettbewerbsnachteile auf den nationalen und internationalen Märkten.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Möglichkeiten flexiblen Handelns auf den Märkten der Zukunft und die Neuordnung des Finanzwesens durch das Poststrukturgesetz zeigen der Bundespost positive Perspektiven. Sie sind Gewähr dafür, daß die Post ihre Rolle als Motor des technischen Fortschritts auch weiterhin wahrnehmen kann.
Wir stimmen diesem Posthaushalt zu.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Würtz, wir haben in den vergangenen Monaten die ganze Zeit auf ein Signal der SPD, auch von Herrn Paterna, gewartet, daß es hier zu einer konsensfähigen Poststruktur kommt.
({0})
Bislang haben Sie sich dem immer versagt und in das gleiche Horn wie die Postgewerkschaften geblasen.
({1})
Wir nehmen allerdings mit großem Interesse zur Kenntnis, Herr Kollege Würtz,
({2})
daß Sie immerhin die verlängerten Öffnungszeiten der Post, die ja möglich sind, zur Diskussion stellen. Gleichzeitig erwarten wir natürlich Ihre Vorschläge für verlängerte Ladenöffnungszeiten im gesamten gewerblichen Bereich. Denn wenn Sie das für den Postbereich fordern, warum tun Sie das eigentlich nicht auch für die sonstigen Dienstleistungsbereiche und den sonstigen kaufmännischen Bereich?
({3})
Meine Damen und Herren Kollegen, wir beraten diesen Bundeshaushalt der Post eigentlich das letzte Mal in der bisherigen Form.
({4})
- Nein, in der bisherigen haushaltsmäßigen Form! Denn wir werden den Haushalt der Deutschen Bundespost im Jahre 1990 nach der Poststrukturreform anders vorfinden, als er heute vorliegt. Und wir begrüßen die Dreiteilung in Postdienste, Postbank und Telekommunikation. Wir begrüßen die Trennung von Hoheit und Betrieb.
Die parlamentarischen Beratungen, die vor uns stehen, werden sicherlich sehr intensiv geführt werden; wir haben ja in der nächsten Woche die Anhörung. Wir werden darauf achten, daß die drei Unternehmensbereiche ein effektives Management erhalten, damit nämlich die Unternehmen - ({5})
- Das sollen sie auch, jawohl, Herr Kollege Paterna.
({6})
Wir wollen, daß die Postbank am Markt sehr intensiv tätig wird und gegenüber den anderen Bankinstituten auch konkurrenzfähig ist. Das ist überhaupt keine Frage.
({7})
Dazu bedarf es aber auch einer effektiven und leistungsfähigen Unternehmensstruktur. Die darf nicht nur behördengerecht, sondern muß auch unternehmensgerecht ausgestaltet werden.
({8})
Ich bedaure, daß der Bundesinnenminister - er ist hier nicht mehr vertreten ({9})
sich nicht in der Lage gesehen hat, bei der Besoldung der Postbeamten etwas flexibler zu sein. Wir werden bei der Beratung darauf achten, daß dies möglichst doch noch umgesetzt wird.
({10})
Wir werden auch darauf achten, daß die Unternehmensbereiche der Deutschen Bundespost tatsächlich
- und das gilt auch für den Telekommunikationsbereich - in den Wettbewerb gestellt werden. Wir werden es nicht zulassen, daß die Marktwirtschaft und der Wettbewerb von Gewerkschaften und sicherlich auch Wirtschaftsinteressenten verteufelt werden. Wettbewerb und Marktwirtschaft sind in der Vergangenheit der Erfolg unserer deutschen Volkswirtschaft geweFunke
sen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum dies nicht auch für die Deutsche Bundespost gelten soll.
({11})
Wir werden uns auch dafür einsetzen, daß die Unternehmensbereiche der Deutschen Bundespost gegenüber den Mitwettbewerbern wettbewerbsfähig sind, daß also auch die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen.
({12})
Wir werden auch darauf achten, Herr Paterna, daß es nicht zu Rosinenpickerei kommen wird.
({13})
Der Bundeshaushaltsplan für den Gesamtbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen zeigt, daß auch im nächsten Jahr immerhin 20,7 Milliarden DM investiert werden. Wir begrüßen diese massiven Investitionen. Auch im Jahre 1988 beliefen sie sich bereits auf 21,6 Milliarden DM und waren sicherlich eine starke Stütze der Konjunktur.
Wir sehen aber auch einige Sorgen damit verbunden, nämlich die zusätzliche Kreditaufnahme, insbesondere die Nettokreditaufnahme. Diese muß mittelfristig abgebaut werden, damit der Zinsen- und Tilgungsdienst die unternehmerische Freiheit der Unternehmensbereiche der Post nicht allzusehr einengt.
({14})
- Vielleicht kommen wir ja nun doch noch zu dem Konsens, Herr Paterna.
({15})
Die Ablieferung der Deutschen Bundespost an den Bundesfinanzminister - und da teile ich die Auffassung des Kollegen Deres nicht - in Höhe von immerhin 10 % der Betriebseinnahmen, unabhängig davon, ob sie Defizite oder Gewinne macht, belastet die Deutsche Bundespost. Der Abbau erst im Jahre 1994, 1995 oder 1996 ist uns nicht schnell genug. Wir würden es in den Beratungen sehr begrüßen, wenn dieser Abbau früher erfolgen könnte.
({16})
Der Haushaltsplan des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen umfaßt - ich hätte beinahe gesagt: leider - auch die Bundesdruckerei. Diese hat uns ja in diesem Jahr große Sorgen bereitet, und zwar sowohl von der Organisation als auch vom Management her. Wir hoffen, daß diese Probleme im nächsten Jahr beseitigt werden und daß die Bundesdruckerei ohne „Knirschgeräusche" arbeiten kann.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß wir wissen, daß die Neustrukturierung der Deutschen Bundespost für die Mitarbeiter der Deutschen Bundespost eine große Belastung ist. Wir danken dem Bundesminister und den Mitarbeitern für die bisher geleistete Arbeit.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN lehnt die Pläne zur Postreform mit Entschiedenheit ab.
({0})
Ebenso lehnen wir diesen Bundeshaushalt ab. Der Zusammenhang ist eindeutig. Die Neuregelungen bringen nichts.
Weshalb wir dieses tun, wird Ihnen der Kollege Briefs bei anderer Gelegenheit sicher noch in aller Ausführlichkeit darlegen.
({1})
Er ist heute leider verhindert.
Danke schön.
({2})
Das Präsidium erlaubt sich, sich im Namen .des Hauses für die Kürze des Beitrags zu bedanken.
Nun hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Dr. Schwarz-Schilling, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Glotz, ich habe mit Freude Ihre nachdenklichen und durchaus erwägenswerten Überlegungen gehört.
({0})
Ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie gesagt haben, daß die Post des Jahres 1969, wenn wir das Jahr 1988 sehen, natürlich verändert werden muß.
({1})
Es geht nicht nur darum, ob wir zwischen unseren Parteien einen Konsens feststellen können oder nicht, sondern die Frage lautet, wer in der Lage ist, sich an eine weltweite Entwicklung - und wir stehen ja immer mehr miteinander im Verbund - anzupassen, und wer nicht. Ich muß Ihnen sagen: Es wäre doch ganz gut gewesen, wenn bei der Reise der Delegation der Sozialdemokratischen Partei nach Schweden einige Postexperten der Fraktion mitgefahren wären,
({2})
um festzustellen, was dort von einer sozialistischen Regierung und den Gewerkschaften an Neuorganisation und Liberalisierung des Fernmeldewesens durchgeführt worden ist.
Ich spreche jetzt absichtlich von Ländern, in denen eine Labour-Regierung Postreformen durchgeführt hat: Gehen Sie nach Australien oder nach Neuseeland. Oder schauen Sie auf unser Nachbarland, die Niederlande. Dort wurde zwischen Regierung und Gewerkschaften ein Konsens erzielt, und zwar auf einer Basis, die hier bei uns offensichtlich unvorstellbar ist.
({3})
Ich würde es wirklich begrüßen, wenn es das auch bei uns gäbe.
Was aber schlägt uns hier bei den Fernmeldeämtern und Postämtern, wenn sie von mir oder anderen aus der Koalition besucht werden, entgegen? Es wird gesagt, mit dieser Poststrukturreform würden wir die Post zerschlagen.
({4})
Es wird in diesem Zusammenhang von einer Privatisierung, einer Ausblutung der gelben Dienste, von einer Einstellung der Dienste auf dem flachen Lande gesprochen. Jeder, der sich mit dem Poststrukturreformgesetz wirklich beschäftigt hat, weiß, daß wir hier zum erstenmal Infrastrukturleistungen normiert haben, was bedeutet, daß es keine Verringerung der Dienste dieser Art geben darf. Der Infrastrukturauftrag wird für alle drei Unternehmensbereiche der Deutschen Bundespost normiert! Dies gilt natürlich insbesondere im Bereich der Postdienste und im Bereich der Fernmeldedienste.
({5})
Es wurde von Ihnen, Herr Kollege Glotz, gesagt, wenn wir diese Neuorganisation durchführten, bestünde die Gefahr, daß diese drei Unternehmensbereiche vor sich hinkümmern. Nun muß ich Ihnen eines sagen: Schon in der bestehenden Organisationsform hat die Deutsche Bundespost nicht vor sich hingekümmert. Ich glaube, das zu sagen sind wir auch denjenigen schuldig, die bis heute diese Arbeit getan haben, auch wenn die Organisation bisher nicht optimal ist. Was geleistet wurde, ist exorbitant, gerade trotz dieser Organisation; das möchte ich hier ganz deutlich sagen.
({6})
Zweitens. Herr Kollege Glotz, Sie haben hier die Frage der Rolle der Bundesländer und des Bundesrates gerade auch im Hinblick auf die Verordnungen für das Personal angesprochen. Uns war immer klar, daß wir unter keinen Umständen die Deutsche Bundespost in den Wettbewerb führen dürfen, ohne Änderungen im personellen Bereich in Richtung mehr Flexibilität und mehr Leistungsorientierung vorzunehmen, was im öffentlichen Dienst in unserem Lande nicht unbedingt Tradition hat.
Es war bestimmt nicht einfach, beim Innenminister und beim Finanzminister für diese Erfordernisse eine entsprechende Zustimmung zu erhalten. Es hat ja auch bisher kein Minister in dieser Form eine solche Zustimmung erhalten.
Ich bin dem Innenminister und dem Finanzminister wirklich dafür dankbar, daß sie auf diesem Feld wegen der einzigartigen Situation, die die Deutsche Bundespost haben wird, zugestimmt haben. Es ist ja nicht wie bei einem kommunalen Unternehmen, daß auch dann, wenn irgendwelche Dinge nicht in Ordnung sind, die Existenz niemals gefährdet ist, weil das Regionalmonopol für Gas oder Elektrizität nach wie vor bestehen bleibt, sondern hier geht es ja darum, daß die Post, wenn sie nicht leistungsfähig ist, von Monat zu Monat Marktanteile verliert. Aus diesem Grunde ist dieses Unternehmen mit anderen öffentlichen Verwaltungen nicht vergleichbar. Ich bin dankbar, daß der Innenminister und der Finanzminister ein solches Einsehen gehabt haben, um diese Verordnungen, die wir pari passu verabschieden wollen, auch durchzuführen.
Ich wäre eigentlich der Sozialdemokratischen Partei sehr dankbar, wenn Sie - so wie ich ja auch bei den Koalitionsparteien werbe - in den jeweiligen Ländern dafür werben würde, diese Personal-Verordnungen nicht über den Bundesrat zu leiten, weil dann die Gefahr einer Präjudizierung, die aus einem Sachmißverständnis entsteht, derartige Regelungen auch bei kommunalen Unternehmen einzuführen, natürlich sehr viel größer wäre. Den Sachverhalt jeweils auf zu-klären ist sehr schwer.
Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie auch in Ihren Ländern in dieser Richtung Aufklärung betreiben würden, damit nicht diese Verordnungen, die wir dem Innenminister und dem Finanzminister mühsam abringen konnten, so verwässert werden, daß im Grunde genommen für das Personal nichts mehr übrig bleibt.
({7})
Ich muß Ihnen sagen: Es gibt einige von Sozialdemokraten regierte oder mitregierte Bundesländer, die sich, wie wir auch schon bei den letzten Bundesratsabstimmungen gesehen haben, außerordentlich vernünftig eingelassen haben. Diese Vernunft möchte ich für die nächste Zeit noch ausweiten.
({8})
Nun, meine Damen und Herren, der nächste Punkt. Es wurde die Frage gestellt: Wie wird der Mobilfunk zu behandeln sein? Herr Kollege Glotz, eines möchte ich hier doch einmal klarstellen: Wir werden heute natürlich noch nichts unternehmen, was etwas mit dem neuen Gesetz zu tun hat. Das, was wir mit dem Mobilfunk machen, ist nach dem alten Fernmeldeanlagengesetz, so wie es heute besteht, eine Lizenzierung, so wie man früher, am Anfang des Jahrhunderts, das Recht Nebenstellenanlagen zu betreiben, gewährt hat und auch nicht gesagt hat: Um Gottes willen, hier wird ja das Monopol beseitigt. Nichts wurde beseitigt. Es ist eine Lizenzierung auf der Grundlage des Monopols, und nichts anderes geschieht beim Mobilfunk. Wir halten an dem Netzmonopol absolut fest. Aber es gibt eine Lizenzierung, weil wir der Auffassung sind - wie auch die Franzosen, die Engländer, die Schweizer, die Holländer, die Schweden, die Italiener - , daß mehrere Mobilfunkanbieter sinnvoller sind als ein Monopol. Das machen wir auf der heutigen Grundlage, und ich halte das auch für absolut legitim.
Wir mußten das auch jetzt tun, weil nämlich sonst die Lizenzierten im Grunde genommen gar keine gleiche Wettbewerbschance haben, wenn wir zuviel Zeit vergehen lassen; denn wir als Bundespost haben ja
unsere ganzen Installationen schon bestellt, während für den zweiten Betreiber die Lizenzierungsbedingungen jetzt erst ausgearbeitet werden. Ich werde Ihre Anregungen, mehrere zu nehmen, gerne aufnehmen. Wir haben einen Lenkungsausschuß aus dem Wirtschaftsministerium, dem Forschungsministerium und dem Postministerium gebildet, um hier wirklich allen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Aber auf Grund der Knappheit der Frequenzen ist es die Frage, ob man wirklich mehrere zusätzliche Betreiber zulassen kann. Wenn es möglich wäre, wäre ich der erste, der es gerne machen würde.
Was Sie zur Forschung gesagt haben, ist außerordentlich richtig. Ich brauche dem nicht sehr viel hinzuzufügen. Ich muß nur eines sagen: Natürlich haben Sie recht, daß verschiedene Länder eine andere Politik machen, auch die Franzosen. Nur muß ich Ihnen sagen: Ich kann unsere Forschungspolitik, den Franzosen natürlich nicht verbindlich vorschreiben. Wir werden mit Sicherheit bei der Telekom mehr und mehr auch Forschung betreiben, nur hielte ich es für falsch, wenn wir als Staat Vorgaben machen und sagen würden: Soviel mußt du für Forschung ausgeben. - Das ist dann ein Herausschmeißen von Geldern. Vielmehr sagen wir: Wir sind dafür, daß in ähnlichen Größenordnungen Forschung betrieben wird, wie bei entsprechenden Unternehmen auf dem Weltmarkt, und das wird eines Tages wahrscheinlich ein Umsatzanteil von 2 % oder 3 % sein, vielleicht sogar noch mehr. Dafür muß es aber auch innere Entwicklungen geben, da müssen entsprechende Innovationen in Gang kommen. Das wird dann Jahr für Jahr proportional zu dem, was man dort dann auch geistig beherrscht, gemacht werden können.
Im übrigen finde ich unser System, daß die Forschungsausgaben hauptsächlich von den privaten Unternehmen getragen werden, sehr gut. Es wird sehr viel staatliche Mißwirtschaft reduziert, in dem wir nicht sagen: Jetzt mußt du alles das nachbauen, was wir hier erfunden haben. In anderen Ländern ist das teilweise so, im übrigen auch in Japan, wo dann die privaten Unternehmen eher im Exportmarkt mit ihren Innovationen sind, weil in Japan die entsprechende Innovation, die über die NTT kommen sollte, noch nicht à jour ist. Ich glaube, da sind wir sehr gut dran.
Nun, meine Damen und Herren, wenn wir einmal feststellen, daß wir unsere Investitionen in einer Größenordnung von 19 Milliarden, 20 Milliarden, 21 Milliarden DM fahren, wenn wir feststellen können, daß wir unseren Eigenkapitalanteil, obwohl wir die Investitionen von 12 Milliarden DM jetzt auf 20 Milliarden DM hochgefahren haben, 1982 bei 42,7 % und im Jahre 1988 bei 42,5 % hatten, und wenn wir dabei noch nicht einmal Gebührenerhöhungen hatten, dann sehen Sie, was für eine Aufbruchs- und Leistungsintensität hier entstanden ist. Wenn Sie das 1982 prognostiziert hätten, hätte jeder gesagt: Das ist doch völlig ausgeschlossen, Investitionen fast verdoppeln, keine Gebühren erhöhen, und dann wollen die den Eigenkapitalanteil halten. - Das hat diese Deutsche Bundespost durch ihre Anstrengungen auf allen Gebieten tatsächlich fertiggebracht. Da bin ich auch allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich zutiefst dankbar, daß so ein Ergbnis in dieser Zeit möglich war. Auch wenn alle Welt sagt, das sei doch ein Wachstumsmarkt, muß man das erst einmal hinbekommen.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben hier gehört, daß die Postbank unter Umständen vor sich hindümpeln würde. Da sind wir nun ganz anderer Meinung. Wir sind der Auffassung, daß durch entsprechende Verantwortungszuordnung in diesem Bereich auch eine entsprechende Mobilisierung und Dynamisierung entsteht.
({10})
Ich muß Ihnen sagen: Wir sind der Ansicht, daß bei der Postbank in dem Rahmen, der durch das Grundgesetz und das Kreditgesetz eingeräumt ist, allerdings noch eine ganze Menge mobilisiert werden kann und muß, damit nicht die Gewinne im Sparkassendienst durch Verluste des Girodienstes aufgefressen werden und damit die Postbank auch eine Quelle wird, die später für einen Finanzausgleich, wenn er erforderlich ist, wenn nämlich die Abgaben reduziert sind, mit zur Verfügung steht; denn die Telekom hat bei ihren Investitionen außerordentlich viel Kapitaldienst zu leisten und wird nicht immer als ein Subventionsspender für die Postdienste zur Verfügung stehen können. Es wäre ein sträfliches Versäumnis, wenn die Postbank nicht mit allen Möglichkeiten ausgestattet würde, um ein gewinnspendendes und damit auch für den Finanzausgleich zuträgliches Unternehmen zu sein.
({11})
Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen. Meine Damen und Herren, Ihre Äußerungen zur Frage der Arbeitnehmerinteressen verstehe ich nun überhaupt nicht. Wir haben drei Hauptpersonalräte. Insgesamt wird es mehr Hauptpersonalratsvertreter geben als heute.
({12})
- Ja, ja, „Quantität". Es ist ja durchaus auch eine Frage, ob man reduziert. Wenn Sie hören, daß in einem Aufsichtsrat plötzlich drei Leute der Arbeitnehmerseite weggenommen werden, dann würden Sie wohl nicht mehr nur von „Quantität" sprechen. Dann würden Sie sagen: Das ist auch eine Qualitätsänderung.
({13})
Wir nehmen keine Qualitätsänderung vor, sondern erreichen eine stärkere Beteiligung, als sie heute im Personalrat gegeben ist. Wir haben drei Hauptpersonalräte. Ich muß Ihnen sagen: Wir richten uns hier absolut nach dem, was in dieser Frage gesetzlich festgelegt ist.
Ich muß Ihnen vorhalten: Sie sind ja selber noch nie in der Lage gewesen, mit den Gewerkschaften einen Konsens herzustellen. Woran sind denn all Ihre Refor7698
men Anfang der 70er Jahre gescheitert? Daran, daß Sie an diesem Punkt mit der Postgewerkschaft nicht übereingekommen sind!
({14})
Also, stellen Sie erst einmal einen Konsens mit der Postgewerkschaft her, ehe Sie hier anfangen, mit uns in dieser Weise zu diskutieren.
({15})
- Doch, wir legen sehr großen Wert darauf. Wir haben mindestens zehn Gespräche geführt.
({16})
Ich möchte Ihnen sagen: Wenn diese Gespräche von Anfang an so sachlich gewesen wären, wie sie jetzt seit etwa sechs Wochen zu verlaufen beginnen, dann wäre sicherlich mehr bewegt worden, als es heute der Fall ist.
({17})
Aber es ist schon sehr spät, um diesen Konsens zu suchen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen.
({18})
Wir haben eine Strukturreform vor uns, die sicherlich einen gewaltigen Schritt nach vorne bedeutet, die aber keine Revolution ist. Es wird keine Privatisierung vorgenommen, und es wird keine Zerschlagung vorgenommen. Die Gemeinwohlorientierung, die Daseinsvorsorge und der Infrastrukturauftrag werden ausdrücklich betont. Wir haben weiterhin einen internen Finanzausgleich. Die Gelbe Post wird, wenn die Abgaben auf die Weise zurückgeführt werden, wie wir es mit dem Finanzminister ausgehandelt haben, Mitte der 90er Jahre in die schwarzen Zahlen kommen. Sie werden es sehen! Wir werden den Wettbewerb in den Diensten und Endgeräten nach der EGRegelung rechtzeitig einführen. Wir befinden uns in völligem Konsens mit der EG-Regelung, die ja in den anderen Ländern bereits zum größten Teil eingeführt wurde.
({19})
Wir werden auf diese Weise eine Reform mit Maß und Mitte machen, kein Extrem. Wir werden dafür sorgen, daß wir im Vergleich zur weltweiten Entwicklung nicht weiter zurückstehen, daß wir auf den Gebieten, wo wir vorn und Spitze sind - in der Standardisierung, in verschiedenen Technologien - , vorne bleiben und daß in den anderen Gebieten, wo wir große Rückstände haben, ein entsprechender Sprung nach vorne gemacht wird.
Die Gelbe Post wird, meine Damen und Herren, einer der wesentlichen Gewinner dieser Poststrukturreform sein; denn wir werden es erreichen - auch wenn Sie alle es heute nicht glauben -, daß Mitte der 90er Jahre dieser große Betrieb seine Tüchtigkeit zeigen kann, indem er seine Ausgaben, die er hat, auf allen Gebieten durch Einnahmen erwirtschaften wird.
({20})
Das werden wir mit dieser Postreform schaffen. Dann werden wir einmal sehen, wer der richtige Mann war, der die Post nach vorne gebracht hat, welche Koalition ein Strukturgesetz gemacht hat.
({21})
und wer nur immer gemeckert und dagegen gewettert hat, aber selber keine Reform zustande gebracht hat und jetzt auch noch Horrorgemälde in der Bevölkerung und bei den Mitarbeitern verbreitet. Hören Sie mit den Horrorgemälden auf, dann können wir über einen Konsens reden!
({22})
Damit sind wir am Ende der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer dem Einzelplan 13, Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Einzelplan gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei denjenigen, die bis zum Ende ausgeharrt haben, und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. November 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.