Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Gedenkworte. Am vergangenen Sonntag wurde die im Südwesten der Volksrepublik China gelegene Provinz Yunnan von einem starken Erdbeben heimgesucht. Mit Erschütterung haben wir die Berichte über die Zerstörungen und die sich daraus ergebende Notlage aufgenommen. Obwohl das ganze Ausmaß der Katastrophe noch nicht zu übersehen ist, steht fest, daß mehr als 900 Tote zu beklagen sind und 100 000 Menschen obdachlos wurden.
Unser Mitgefühl gilt vor allem den direkt Betroffenen - den Verletzten, denen, die Angehörige und Freunde verloren haben, die ihre Wohnung, ihr Hab und Gut einbüßten.
Dem so hart geprüften chinesischen Volk, dem Nationalen Volkskongreß und der Regierung der Volksrepublik China spreche ich im Namen des ganzen Hauses die tiefempfundene Anteilnahme aus.
Meine Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, in der Sitzungswoche vom 21. bis 25. November 1988 mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden durchzuführen. - Das Haus ist damit einverstanden. Danke.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP „Erweiterung der Westeuropäischen Union ({0}) durch Spanien und Portugal" ({1}) zu erweitern. Dafür soll Punkt 16a der Tagesordnung ({2}) abgesetzt werden. Das ist praktisch ein Austausch dieser Anträge. Ist das klar? Wir haben gestern kurz im Ältestenrat von Herrn Reddemann gehört, daß das in Ordnung ist.
Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, die Frage, ob das abgesetzt wird, geht mir jetzt im Augenblick zu weit. Ob sich das durch den Antrag nicht erledigt hat, ist eine andere Frage. Ich bitte, diesen Punkt zunächst zurückzustellen. Absetzen können wir es immer noch.
Danke schön. Ich habe es auch so aufgefaßt, daß es ein Austausch ist.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 11/2685 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({0})
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Wirtschaft
b) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 11/3116 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({1})
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Wirtschaft
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft in den Ländern
- Drucksache 11/3263 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({2})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes 90 Minuten vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftkraft in den Bundesländern löst die Bundesregierung eine Zusage ein, die sie anläßlich der von uns abgelehnten Bundesratsinitiative zur anteiligen Übernahme der Sozialhilfeausgaben durch den Bund gegeben hat. Wir haben den von der Mehrheit des Bundesrats vorgeschlagenen Weg für falsch gehalten. Wir haben eine andere Konzeption entwickelt.
Durch das Strukturhilfegesetz soll eine ausgeglichenere Wirtschaftsstruktur im Bundesgebiet gefördert werden. Das Gesetz sieht, wie Sie wissen, jährliche Leistungen des Bundes an die Länder in Höhe von 2,45 Milliarden DM vor. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre. Investitionen der Länder und Gemeinden sollen bis zu einer Grenze von 90 % gefördert werden können. 1992 und 1995 soll geprüft werden, ob die vorgesehene Verteilung der Mittel der wirtschaftlichen Entwicklung der verschiedenen Regionen noch entspricht oder ob sie angepaßt werden muß. Mit den vorgesehen Hilfen übernimmt der Bund hohe finanzielle Leistungen für strukturschwächere Regionen.
Das ist um so bemerkenswerter, weil sein Anteil am Gesamtsteueraufkommen ja seit 1982 um 3,3 Prozentpunkte auf heute nur noch 45,1 % zurückgegangen ist. Ich sage das auch jenen aus den Ländern, die ständig mehr fordern und dabei verkennen, daß sich der Steueranteil von Ländern und Gemeinden erhöht hat, während der des Bundes rückläufig war.
Der Gesetzentwurf enthält keinen Nebenfinanzausgleich. Ich unterstreiche das, weil insbesondere das Land Hessen eine andere Auffassung vertreten hat. Er stützt sich vielmehr auf die zweite Alternative des Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes. Danach kann der Bund Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden gewähren, die zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet erforderlich sind. Diesem Ziel entsprechen die vom Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen. Ihr Katalog bezieht sich ausschließlich auf die Förderung von Strukturverbesserungen. Er ist bewußt sehr weit gefaßt, um den Ländern die Auswahl solcher Investitionen zu ermöglichen, die zur Stärkung der Wirtschaftskraft einzelner Regionen besonders geeignet sind. Aber die Möglichkeit der Verwendung der Mittel zu einer allgemeinen Verstärkung der Haushaltskraft wird ausgeschlossen.
Wir haben bewußt auf eine enge Begrenzung der förderfähigen Maßnahmen oder auch eine Zweckbindung von bestimmten Prozentanteilen der Finanzhilfemittel für bestimmte Vorhaben verzichtet. Vielmehr halten wir es nach unserem bundesstaatlichen Verständnis für richtig, daß innerhalb der klaren Vorgaben des Katalogs, die auch Grenzen setzen, die Landesparlamente selber über den Einsatz der Mittel entscheiden.
Nach dem Förderkatalog stehen die Mittel für investive Maßnahmen in den Bereichen Umweltschutz, Verkehrsinfrastruktur, Versorgung mit Energie und Wasser, Erschließung von Industrie- und Gewerbeflächen und öffentliche Einrichtungen des Fremdenverkehrs zur Verfügung. Förderungsfähig sind auch Vorhaben der Aus- und Weiterbildung im beruflichen Bereich unter Einschluß der Hochschulen, Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Technologie und der wichtige Bereich der städtebaulichen Maßnahmen einschließlich der damit erfaßten Dorferneuerung.
Im Zusammenhang mit dem weiteren Entscheidungsspielraum, den das Gesetz den Ländern einräumt, hebe ich zwei Erwartungen der Bundesregierung hervor. Von der Entscheidung der Landesparlamente wird es abhängen, in welchem Umfang Strukturverbesserungen in den Flächenländern über die Förderung kommunaler Investitionen erreicht werden. Durch die Art des Förderkatalogs sind die Voraussetzungen dafür gegeben. Die Bundesregierung erwartet, daß die Länder einen erheblichen Teil der Mittel an die Gemeinden weitergeben.
Ziel der Bundesregierung ist es, daß insbesondere Umweltschutzinvestitionen nachhaltig gefördert werden. Diese Investitionen sind bewußt an erster Stelle genannt. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist ausgeführt, daß unter den genannten Voraussetzungen im Umweltbereich breite Anwendungsmöglichkeiten gegeben sind, vor allem bei Gewässerschutz, Abwasserbeseitigung sowie Erneuerung und Ausbau von Kanalisation. Das sind wichtige Voraussetzungen für die Verbesserung der Situation von Nord- und Ostsee, aber auch von Saar und Mosel.
In der bisherigen Diskussion mit den Ländern haben die Kriterien für die Abgrenzung des Kreises der Empfängerländer und die Verteilung der Mittel eine große Rolle gespielt. Ausgangspunkt ist nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes die Wirtschaftskraft der einzelnen Länder. Für die Bestimmung dieser Wirtschaftskraft werden in einer ersten Stufe Einkommens- uind Arbeitsmarktindikatoren, nämlich das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner und die Arbeitslosenquote der zurückliegenden Jahre, zugrunde gelegt. Zum Kreis der Empfängerländer gehören alle Länder, die nach diesen Kriterien einen Rückstand gegenüber dem Bundesdurchschnitt aufweisen. Die in der zweiten Stufe erfolgende Aufschlüsselung der Finanzhilfen auf diese Länder ergibt sich im wesentlichen aus einer Berechnung, die auf dem Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, der Arbeitslosenquote und der Beschäftigtenentwicklung beruht. Diese Elemente sind gleichmäßig mit je einem Drittel gewichtet.
Vorab werden 27 Millionen DM je Land als Sockel angesetzt, um allen geförderten Ländern eine Grundausstattung zukommen zu lassen. Diesen Sockelbetrag schlagen wir im Interesse der kleinen, strukturschwachen Länder und vor allem der Stadtstaaten vor, die sonst - ich sage das zu der Kritik, die wir gehört haben - schlechter wegkommen würden. Bei Berücksichtigung der Interessen der anderen Länder ist eine noch stärkere Förderung der Stadtstaaten nach unserer Auffassung nicht zu begründen.
Rheinland-Pfalz ist wegen seines überdurchschnittlichen Anteils an Stationierungsstreitkräften und den sich daraus ergebenen Problemen für seine Strukturentwicklung mit einem um 40 Millionen DM erhöhten Sockelbetrag bedacht worden.
So ergeben sich folgende Förderungsbeträge: Bayern 158, Berlin 72, Bremen 63, Hamburg 113, Niedersachen 652, Nordrhein-Westfalen 756, Rheinland-Pfalz 272, Saarland 112 und Schleswig-Holstein 252 Millionen DM.
Entgegen manchen anderen Äußerungen ist durch die Verfahrensvorschriften des Strukturhilfegesetzes sichergestellt, daß diese Mittel investiv im Sinne des Förderkatalogs verwandt werden. Danach werden Finanzhilfen nur entsprechend der jährlich fortzuschreibenden Förderlisten der Länder gewährt. Der Bund kann Maßnahmen von der Förderung ausschließen, wenn sie der Zweckbindung nicht entsprechen oder ungeeignet sind, zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft beizutragen.
Es ist ferner vorgesehen, daß die Länder dem Bundesminister der Finanzen eine Erfolgskontrolle ermöglichen und ihn innerhalb von fünf Monaten nach Abschluß des Haushaltsjahres über die zweckentsprechende Inanspruchnahme und Verwendung der Bundesmittel unterrichten.
Wir haben den Gesetzentwurf, vor allem den Verteilungsschlüssel, verfassungsrechtlich besonders sorgfältig geprüft. Danach ergibt sich, daß die Anforderungen des Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes in vollem Umfang erfüllt werden. Nach dieser Verfassungsbestimmung ist kein zusätzlicher Länderfinanzausgleich möglich. Wir können nicht bei einem Finanzhilfegesetz auf dieser Rechtsgrundlage dieselben oder ähnliche Kriterien anwenden wie beim Länderfinanzausgleich. Das möchte ich im Hinblick auf einige vorgeschlagene Verteilungsmodelle hervorheben, denen wir uns aus diesen Gründen nicht anschließen konnten.
Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes verlangt die Förderung von wirtschaftsnahen Investitionen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft. Wir können deshalb etwa die soziale und kulturelle Infrastruktur oder den nicht wirtschaftsnahen Umweltschutz aus verfassungsrechtlichen Gründen hier nicht berücksichtigen.
Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes eröffnet schließlich dem Gesetzgeber einen erweiterten Gestaltungsspielraum im Vergleich zum Länderfinanzausgleich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ein notfalls grober, jedoch für alle Länder im gleichen Maße geltender, sachgerechter Maßstab gefordert. Anders als der Finanzausgleich nach Art. 107 des Grundgesetzes verlangt Art. 104 a Abs. 4 keine durchgehend gerechneten Bemessungskriterien; denn hier geht es nicht um die Angleichung der Finanzkraft, die durch rechenhafte Maßstäbe bestimmt wird. Die Verfassung legt den Gesetzgeber nicht von vornherein auf einen bestimmten Kriterienkatalog fest, sondern verlangt lediglich, daß der Bund bei der Verteilung nach plausiblen und sachlich einleuchtenden Maßstäben verfährt. Die vorgesehenen Zugangskriterien und der Mischschlüssel ergeben durch das Zusammenwirken der genannten verschiedenen Kriterien einen sachgerechten und nachvollziehbaren Berechnungsmodus, der für alle Beteiligten in einer ihren Strukturproblemen gerecht werdenden Weise wirkt.
Ich habe dies besonders hervorgehoben, meine Damen und Herren, weil ja im Bundesrat von einzelnen, wie Sie wissen, andere verfassungsrechtliche Auffassungen vertreten worden sind.
Die Stellungnahme des Bundesrates enthält die Aufforderung, den besonderen Problemen der Stadtstaaten bei der Verteilung der Strukturhilfemittel in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen.
({0})
Wir haben jedoch auf besondere Regelungen zugunsten der Stadtstaaten verzichtet, weil mit dem in der Regierungsvorlage zugrunde gelegten Schlüssel ein nach unserer Überzeugung gerechter Maßstab für alle Beteiligten gefunden wurde.
Im übrigen ist bei Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes ein der Zielsetzung der Maßnahmen entsprechender gleicher Maßstab für die angesprochenen Länder notwendig. Deshalb kommen nur Kriterien in Betracht, die die Wirtschaftskraft der einzelnen Länder erfassen.
Die strukturelle Eigenart der Stadtstaaten im Vergleich zu den Flächenländern ist nach unserer Finanzverfassung ausschließlich ein Problem des Länderfinanzausgleichs. Für darüber hinausgehende besondere Forderungen bei der Verteilung anderer Bundesmittel sehen wir keine Begründung. Durch die Einwohnerwertung wird für die Stadtstaaten Hamburg und Bremen eine finanzielle Besserstellung um viele hundert Millionen Mark erreicht, die ja auch begründet ist, vor allem mit ihrer Zentralitätsfunktion.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat letzten Freitag votiert. Wir prüfen seine Einzelvorschläge und werden dem Hohen Hause unsere Stellungnahme unverzüglich übersenden. Ich begrüße es, daß bei aller vorher breit geäußerten Kritik vieler Länder eine klare Mehrheit des Bundesrats im ersten Durchgang dem Gesetzentwurf grundsätzlich zugestimmt hat. Ich habe das auch zu keinem Zeitpunkt anders erwartet, meine Damen und Herren.
({1})
Ich hoffe, daß auch der Deutsche Bundestag eine positive Entscheidung trifft.
Schönen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, das der Bundesfinanzminister eben noch einmal begründet hat, ist ein wahres Trauerspiel.
({0})
Da ist der niedersächsische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Ernst Albrecht ausgezogen, um seine Parteifreunde hier in Bonn das Fürchten zu lehren.
({1})
Die wichtigste Initiative seiner Amtszeit sollte das sein, nämlich die Umverteilung der Sozialhilfelasten von den Ländern und Gemeinden auf den Bund, damit endlich das Süd-Nord-Gefälle bekämpft wird. Im Bundesrat hat er am 29. April dieses Jahres dazu gesagt:
Wir wollen keine Almosen; wir wollen Gerechtigkeit,
und er war um das Verfassungsgebot der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bemüht.
({2})
Und was ist nun dabei herausgekommen? Wenig, sehr wenig, zwar mehr als Null, aber das Ziel ist deutlich verfehlt worden.
({3})
Herr Albrecht ist Schritt für Schritt demontiert worden, immer kleiner gemacht, nachdem er sein Faustpfand, die Ablehnung der sogenannten Steuerreform im Bundesrat, leichtfertig aus der Hand gegeben hat. Von dem großen Wind, den er machte, ist nur noch ein laues Lüftchen geblieben.
({4})
Wenn es nur um die Demontage von Herrn Albrecht ginge, wäre das alles nicht so schlimm. Aber es geht um viel mehr. Die Länder Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und das Saarland sind schmählich im Stich gelassen worden, als es um die Verwirklichung der Entlastung von Sozialhilfekosten ging. Es ist bechämend, meine Damen und Herren, wenn Ministerpräsidenten oder Finanzminister dieser Länder aus der Zeitung entnehmen mußten, wie hinter verschlossenen Türen von CDU-Klüngelkreisen ihre berechtigte Forderung nach Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Schritt für Schritt verstümmelt worden ist.
({5})
Die SPD-regierten Länder erhielten von Besprechung zu Besprechung weniger Mittel, während die CDU-regierten Länder einen immer größeren Anteil vom Geldsegen erwarten konnten. So verliert Bremen fast 100 Millionen DM gegenüber dem ursprünglichen Konzept, Hamburg 248 Millionen, Nordrhein-Westfalen mehr als 1 Milliarde DM, das Saarland 18 Millionen DM und Schleswig-Holstein 7 Millionen DM. Rheinland-Pfalz erhält statt dessen wesentlich mehr, und auch das Land Bayern kann mit den jetzt angebotenen 158 Millionen DM mehr als zufrieden sein.
({6})
Dieser Vergleich zeigt, daß der Gesetzentwurf über die Strukturhilfe nicht - hier widerspreche ich Ihnen ausdrücklich, Herr Stoltenberg - nach nachvollziehbaren Kriterien erarbeitet wurde, sondern die CDURegierungen sich mit tätiger Mithilfe des Bundesfinanzministers auf Kosten der SPD-Länder bedient haben.
({7})
Es ist nicht sachgerecht geprüft worden, sondern es ist (I politisch berechnet worden.
({8})
In diesem unwürdigen Schauspiel hat der Bundesfinanzminister eine tragende Rolle.
({9})
Sie haben, Herr Minister Stoltenberg, den Auftrag des Grundgesetzes mißachtet und nur parteipolitisch gedacht.
({10})
Böse Zungen hier in Bonn behaupten sogar, das Gesetz sei von Ihnen deshalb so unzulänglich erarbeitet und vorbereitet worden, weil Sie es im Grunde gar nicht wollen und es wie die Zwangsanleihe von 1983 vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert sehen möchten. Wir Sozialdemokraten werden das verhindern. In den Beratungen werden wir für Verfassungsmäßigkeit sorgen. Wir wollen, obwohl dieses Gesetz nur die drittbeste Lösung ist, daß wenigstens dieser Anfang gemacht wird. Aber für uns bleibt die Umverteilung der Sozialhilfelasten weiter auf der Tagesordnung.
({11})
Die Sozialhilfekosten entwickeln sich mehr und mehr zum Sprengsatz der kommunalen Haushalte. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger stieg im Jahre 1986 auf über drei Millionen Einwohner. Die Gesamtaufwendungen für Sozialhilfe verschlingen inzwischen mehr als 25 Milliarden DM, wovon die Gemeinden netto mehr als 17 Milliarden DM zu tragen haben.
Die Gesetzesinitiative der nord- und westdeutschen Länder im Bundesrat war daher nur logisch und konsequent, wenngleich wir Sozialdemokraten eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes für noch besser gehalten hätten,
({12})
um den Kommunen die Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose abzunehmen.
({13})
Die Hauptursachen der Kostenexplosion bei der Sozialhilfe liegen beim Bund, nicht bei den Kommunen, und deshalb, Herr Minister Stoltenberg, hat der Bund auch die Verantwortung für die Entlastung der Länder und Gemeinden. Auf diese Weise hätten dann auch die strukturschwachen Regionen mehr Mittel zur Verstärkung ihrer Investitionen, um wirklich das SüdNord-Gefälle langsam abbauen zu können. Das Strukturhilfegesetz ist kein Ersatz für die Sozialhilfeentlastung der Gemeinden.
Die Äußerungen des hessischen Ministerpräsidenten Wallmann zu diesem Gesetzentwurf lassen Böses vermuten. Nach einem Bericht der „Hannoverschen Neuen Presse" vom 5. November hat weder Bundeskanzler Dr. Kohl noch Finanzminister Dr. Stoltenberg versucht, Herrn Wallmann von seiner angekündigten Klage in Karlsruhe abzuhalten; Ich frage: Wird hier mit gezinkten Karten gespielt?
Jetzt ist der Deutsche Bundestag gefordert. Dem Gesetzeswortlaut ist vieles nicht zu entnehmen. Die
Erläuterungen in den Begründungen geben auch keinerlei Hinweis auf die Sachgerechtigkeit des Verteilungsschlüssels. Die Bundesregierung hat von ihrer Verfassungskompetenz nach Art. 104a Abs. 4 Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift haben Sie die Kompetenz, Ländern und Gemeinden bei ihren Investitionsbemühungen zu helfen, um das bestehende wirtschaftliche Gefälle zu verringern.
Meine Damen und Herren, von dieser Ermächtigung ist schon einmal Gebrauch gemacht worden, und zwar von einer sozialliberalen Bundesregierung: durch das sogenannte Zukunftsinvestitionsgesetz, abgekürzt ZIP. Dieses sogenannte ZIP 1
({14})
hat Investitionen der Länder und Gemeinden gefördert, von denen viele heute noch profitieren. Ihr Zwischenruf, Herr Uldall, zeigt mir, daß sie nun wirklich keine Ahnung davon haben.
({15})
Das Zukunftsinvestitionsprogramm ist eines der wesentlichen Konjunkturprogramme der sozialliberalen Bundesregierung gewesen, das nach wie vor, noch heute, wirkt.
({16})
- Nun reden Sie mal nicht dazwischen! Stellen Sie eine Zwischenfrage; die beantworte ich dann gerne.
Die pauschale Verteufelung der sozialliberalen Investitionsprogramme durch die damalige Opposition und die heutige Regierung ist durch das, was jetzt in diesem sogenannten Strukturhilfegesetz, das nichts anderes als ein ZIP 2, ein zweites Zukunftsinvesitionsprogramm, ist, vorgelegt ist, als falsch und unseriös entlarvt worden.
({17})
Ebenso falsch, meine Damen und Herren, war die pauschale Ablehnung unseres Programms Arbeit und Umwelt, denn alle seine wesentlichen Bestandteile und Merkmale sind jetzt in diesen Förderungskatalog der Bundesregierung aufgenommen worden. Wir bedanken uns ausdrücklich dafür.
({18})
Sie wollen also heute etwas fördern, was auch wir für wichtig und richtig halten. Deshalb, Herr Bundesfinanzminister, kritisieren wir Sie nur sehr milde.
({19})
Aber das, was Sie und wir wollen, haben Sie äußerst schlampig vorbereitet.
({20})
Wir werden die Kritik und die Anregungen, die der Bundesrat vorgebracht hat, so weit wie möglich aufnehmen und für ein fehlerfreies und gerechtes Gesetz sorgen.
Die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion zu diesem Gesetz in einem Satz zusammengefaßt: Dieses Gesetz
ist die drittbeste denkbare Lösung; aber weil wir uns darüber im klaren sind, daß angesichts der politischen Verhältnisse in diesem Hause zur Zeit offenbar nur diese Lösung mit diesem Finanzvolumen durchsetzbar ist, werden wir im Interesse der strukturschwachen Länder diese Lösung mittragen, nachdem wir das Gesetz verfassungsdicht gemacht haben.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, daß wir ein Gesetz heute in erster Lesung beraten, das vor allen Dingen den strukturschwachen Ländern insbesondere im Norden der Bundesrepublik helfen soll, und dann von allen Seiten, insbesondere von den Bundesländern, nur Kritik festzustellen ist. Allerdings hat der Kollege Struck zum Schluß dann wieder die Kurve gekriegt und dieses Gesetz immerhin als eine „drittbeste Lösung" bezeichnet.
({0})
Meine Damen und Herren, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist gut. Die Wirtschaft der Bundesrepublik wächst. Die Zahl der Beschäftigten steigt; das gilt auch im Norden. Die Zahl der offenen Stellen ist die höchste seit 1981; in diesem Jahr wird es 150 000 Beschäftigte zusätzlich geben.
({1})
- Die Zahl der Arbeitslosen ist noch immer zu hoch; aber sie liegt inzwischen niedriger als im Schnitt des Jahres 1982.
({2})
Diese Entwicklung gilt generell im Bund, aber sie gilt nicht generell in allen Bundesländern. Wir bezeichnen diese Entwicklung in den letzten Jahren, seit Ende der 70er Jahre, als das Süd-Nord-Gefälle, das von verschiedener Seite aus angegangen wurde, aber ohne daß bisher konkrete Lösungsergebnisse herbeigeführt worden sind.
Ich möchte etwas zu dem ZIP sagen - Herr Kollege Struck, Sie haben es als beispielhaft bezeichnet - : Machen Sie doch bitte eine Berechnung auf: die Entwicklung dieses ZIP, die Laufzeit, die Entwicklung der Arbeitslosenzahl parallel und die Entwicklung der Verschuldung parallel. Dann werden Sie feststellen, daß dieses Programm eine einzige Pleite gewesen ist.
({3})
Wir haben statt dessen mehrfach versucht, die Entwicklung durch Sonderprogramme für Norddeutschland, durch Sonderprogramme für Werftersatzarbeitsplätze, durch Sonderprogramme auch für Bremen zu beeinflussen. - Ich hoffe, daß der Kollege Grobecker dankend auch zu dem etwas sagt, was in der Vergangenheit passiert ist. - Wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gezielt, gerade auch für die von der
Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Regionen aufgestockt.
So ist festzustellen - ich sage das einmal bezogen auf meinen Wahlkreis; denn es ist am besten, man wird konkret, wenn man solche Dinge nennt - : In meinem Wahlkreis, in der Region, im Bereich des Arbeitsamtes Elmshorn, sind seit dem Regierungswechsel 6 600 neue, zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Dies ist konkret zurückzuführen auf die Hilfe aus dem Bund. Es ist besonders interessant, und das nehmen die meisten nicht zur Kenntnis: Von diesen 6 600 zusätzlichen Arbeitsplätzen sind drei Viertel den Frauen zugute gekommen. Also, auch im Norden kommt die Hilfe an; aber wir müssen Weiteres dafür tun.
Nun hat der niedersächsische Ministerpräsident - ich finde, dafür muß man ihm danken - praktisch als erster hier einen Stein ins Wasser geworfen, nach unserer Meinung allerdings mit einem falschen Ansatz, nämlich mit dem Ansatz der Sozialausgaben.
({4})
Ich sage: Die zusätzliche Hilfe, gemessen an den Sozialausgaben, ändert nur etwas an den Symptomen. Sie bedeutet keine Beseitigung der Ursachen. Sie ist in die Vergangenheit gerichtet und nicht in die Zukunft.
Die Bundesregierung und auch der baden-württembergische Ministerpräsident schlagen deshalb einen anderen Weg vor, nämlich die Unterstützung nach Art. 104 a Abs. 4 für „besonders bedeutsame Investitionen" . Das Geld soll nicht in die Haushalte hineinfließen, sondern für die Zukunftsentwicklung ausgegeben werden. Wir wollen die Länder voranbringen. Sie sollen die technologische Explosion im Süden aufnehmen, Umweltqualität sichern und verbessern, Wirtschaftsstrukturen entkalken und aus den brachliegenden Beschäftigungsreserven, die wir haben, Qualifizierungsreserven machen.
Nach dem Beschluß des Bundeskabinetts vom Juli ist auch klar, daß dies mit Hilfen gerade auch für Forschung und Entwicklung im Land einhergehen soll. Forschung von heute sind Arbeitsplätze von morgen.
Ich habe gesagt, daß wir den Ansatz der Sozialhilfe für falsch halten, u. a. auch deshalb, weil man nicht einfach eine Gleichung aufmachen kann: Die Sozialhilfeausgabenentwicklung ist identisch mit der Arbeitslosenentwicklung. Es gibt viele andere Dinge, die bei der Entwicklung der Hilfe für sozial Schwache eine Rolle spielen. Dazu gehören auch gescheiterte Ehen, dazu gehört auch die Anhebung der Sozialhilfesätze, und die liegt in der Verantwortung der Länder. Dazu gehört auch der Anstieg der Pflegefälle. Niemand kann heute fordern, daß der Bund die zusätzlichen Kosten für die angestiegene Zahl der Pflegefälle bezahlen soll.
Wir wollen mit den Finanzhilfen in Höhe von fast 2,5 Milliarden DM jährlich über zehn Jahre - ich sage es noch einmal ausdrücklich: der Bund leistet hier 25 Milliarden DM Hilfe für strukturschwache Länder - die Investitionskraft gerade auch der Kommunen stärken. Es liegt bei den Ländern, dafür zu
sorgen, daß dies bei den Kommunen dann auch ankommt.
Ich habe das Land Schleswig-Holstein als Beispiel vor Augen. Frau Minister Tidick kann dazu etwas sagen. Das Land hat vorgesehen, von den 252 Millionen DM einen Anteil von 50 Millionen DM an die Kommunen weiterzugeben.
({5})
Dies halte ich für kläglich, wenn man die Situation auch der großen Städte im Lande sieht. Die Länder sind dafür verantwortlich, daß die Mittel entsprechend ankommen.
Nun lassen Sie mich eine Rechnung aufmachen, wohin das Geld tatsächlich geht. Knapp 2 von den 2,5 Milliarden DM gehen in den Norden, einschließlich Nordrhein-Westfalen. Da kann doch niemand sagen, daß wir uns parteipolitisch ausgerichtet hätten, Herr Kollege Struck.
({6})
Das Geld geht dorthin, wo die Hilfe gebraucht wird, aber wenn Sie mal vergleichen, welche Regierungen jeweils dran sind, dann können Sie allerdings gewisse Rückschlüsse auf Fehlverhalten, insbesondere bei sozialdemokratischen Regierungschefs, ziehen.
({7})
Das sind also knapp 2 Milliarden DM, und für die eigentlich klassischen vier norddeutschen Länder sind dies 1,2 Milliarden DM. Wenn ich die drei Damen und Herren dort sehe, dann kann ich sagen: Für Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ist das eine halbe Milliarde DM pro Jahr. Ich hoffe, dafür kommt hier heute auch ein klares Dankeschön.
Wenn man die Diskussionslage im Bundesrat verfolgt, muß man sich allerdings wundern; denn der Bundesrat ist nicht einmal in der Lage, einer Beschlußempfehlung des Finanzausschusses des Bunderates zu folgen, der gesagt hat, man begrüße diese Hilfe des Bundes. Das heißt, die Bundesländer begrüßen noch nicht einmal in ihrer Mehrheit die Hilfe. Dann könnte man eigentlich sagen: Nach dem bürgerlichen Recht ist das grober Undank. Weshalb sollten wir diese Hilfe dann eigentlich gewähren?
({8})
Ich erwarte also, daß eine klare Aussage hinsichtlich dieser zusätzlichen Hilfeleistung erfolgt.
Das Land Hessen, Herr Kollege Struck, sieht hier eine Nachbesserung des Finanzausgleichs. Dem kann man meines Erachtens begegnen, wenn man die Hilfe auch konkret auf Investitionsentscheidungen abstellt. Ich könnte mir denken, daß wir eine Formulierung in das Gesetz einbringen - ich bitte, hier genau zuzuhören - : ,Durch die Finanzhilfen werden Investitionen gefördert, die im Volumen um 90 - das ist der Anteil des Bundes - ihres Gesamtbetrages über der durchschnittlichen Investitionssumme des jeweiligen Bundeslandes im Schnitt der letzten drei Jahre liegen.' Dann hätten wir sichergestellt, daß es sich um zusätzliche Investitionen handelt, daß nicht
wie in Schleswig-Holstein auf der einen Seite Straßenbaumittel gekürzt und über diesen zusätzlichen Topf zusätzliche Mittel für Straßenbau ausgegeben werden.
Stellte man bei dieser Hilfestellung auf die Arbeitslosenzahlen ab, gäbe es eine klare Trennung zwischen dem Süden und dem Norden. Stellte man auf die Finanzkraft ab, müßte in jedem Fall Hamburg herausfallen. Beide Länder, Bremen und Hamburg, sind im Finanzausgleich Nettozahler.
Meine Damen und Herren, das Unbehagen, das an diesem Gesetzentwurf teilweise besteht, ist im Grunde genommen nur eine Beschreibung der Situation der Finanzverhältnisse zwischen Bund und Ländern insgesamt. Es ist gar nicht zu bezweifeln, daß es hier knirscht und daß wir auch in der laufenden Beratung dieses Gesetzes und auch in der zukünftigen Diskussion darauf achten müssen, wie sich die weitere Gestaltung der Verhältnisse von Bund und Ländern künftig entwickelt.
Wir sind der Überzeugung, daß die Strukturhilfe - ich nenne sie lieber eine Zukunftshilfe, denn es ist eine Hilfe für zukünftige Entwicklung der Länder - nicht dadurch wirkungslos werden darf, daß einzelne Länder eine geradezu wachstums- und wirtschaftsfeindliche Politik betreiben,
({9})
die darüber hinaus gegen die gesamtstaatlichen Interessen gerichtet ist. Ich will das mal am Beispiel des Landes Schleswig-Holstein deutlich machen.
({10})
Jeder fragt sich, wie das dort mit der politischen Entwicklung nach der Wahl aussieht und wie die Kurskorrektur ausfällt. Da kann ich nur feststellen, daß diese Kurskorrektur schärfer ausgefallen ist, als sich ein großer Teil der Wähler dies sicher gewünscht hat. Ich will das mal sagen: Wir stellen hier in dem Land Schleswig-Holstein jedes Jahr 252 Millionen DM zur Verfügung. Und was tut das Land Schleswig-Holstein?
({11})
Es beschließt den Ausstieg aus dem gemeinsamen Energiekonzept. Das hat dazu geführt, daß ein großes deutsches Papierunternehmen gesagt hat: Wir stellen unsere Investitionsentscheidungen von 500 Millionen DM zurück. Das sind zwei Jahresraten der Strukturhilfe, die dort auf Eis liegen.
({12})
- Ich kann das keinem Unternehmer übelnehmen, wenn er sagt: Das ist mir zu unzuverlässig, was der Herr Engholm da macht; in diesem Land investiere ich nicht.
({13})
Die Straßenbaumittel des Landes werden gekürzt, die
weitere Elbquerung wird abgelehnt, und jetzt kommt
das Interessanteste: Auf der einen Seite fordert man
mit Hamburg die vierte Elbtunnelröhre, und dann stimmt Frau Simonis im Finanzausschuß des Bundestages dagegen. Hier werden Investitionsentscheidungen blockiert.
Ein anderes Beispiel: In meinem Wahlkreis liegt die Errichtung einer Sonderabfallverbrennungsanlage auf Eis, weil das Land meint, man müßte dort unbedingt staatliches Geld hineinstecken, auch wenn der private Investor alleine investieren will. Auch dies ist eine Antwort auf die Frage: Was tun Unternehmer, und was tut die Politik?
Wir haben uns in diesem Jahr dazu entschlossen, die Werfthilfe für 1989 weiter aufzustocken, auch die Schiffbauhilfe. Ich halte das für vernünftig. Wir können inzwischen feststellen, daß eine gewisse Stabilität bei den Werften, bei den Werftarbeitsplätzen eingetreten ist. Was tut das Land Schleswig-Holstein? Es kürzt die Hilfe für die Werften. Wenn dann der Wirtschaftsminister sagt, er wisse sich in weiten Bereichen einig mit dem DGB, dann frage ich mich allerdings, ob dies der richtige Kurs ist. Wenn Sie sich weltweit umsehen, stellen Sie fest, ob in Nordafrika, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Birma, in Osteuropa, in der Sowjetunion, überall ist der Sozialismus wirtschaftlich gescheitert, aber in Schleswig-Holstein soll er eingeführt werden.
({14})
Dies bezahlen wir nicht über ein Programm „Arbeit und Umwelt" durch Steuergelder.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Struck, Herr Kollege?
Nein. Der Kollege Struck hatte ausführlich Gelegenheit, sich hier darzustellen, leider hat er die Zeit nicht genutzt, dies mit vernünftigen Argumenten zu tun.
Ich will Ihnen eines ganz klar sagen: In dem Entwurf für den Landeshaushalt 1989 der Landesregierung Schleswig-Holstein steht, daß ein Teilbetrag der 252 Millionen DM für ein Programm „Arbeit und Umwelt" ausgegeben werden soll. Sie können doch nicht so töricht sein, anzunehmen, daß wir mit Bundesgeld, mit schwarzen Spendierhosen, Ihre roten Spendierhosen finanzieren.
({0})
Wir werden darauf achten, daß entsprechende Sicherungen eingebracht werden, daß dem Bürger erkennbar ist, welches Geld woher kommt und welche Investition im Land von wem bezahlt wurde.
({1})
Wenn Sie dann sehen, wie es mit der Zukunftssicherung aussieht, dann stelle ich fest, daß Sie in Ihrem Haushalt für das kommende Jahr, Frau Tidick, die Mittel für Forschung kürzen wollen, daß Sie Geld für überflüssige Gerichtszweige ausgeben, um willkürliche Richter zu haben, daß Sie Tempolimit auf den Autobahnen einführen und daß die Landesregierung bisher nicht glaubhaft gemacht hat, daß sie das Geld dort hingibt, wo es tatsächlich gebraucht wird, nämlich an die strukturschwache Westküste. Unser
Wunsch muß doch der sein, daß das Geld nicht nach Düsseldorf, nach München, nach Hannover fließt, sondern die Regionen der jeweiligen Länder die Hilfe erhalten, wo die Hilfe gebraucht wird. Das ist z. B. in Schleswig-Holstein - das müßten Sie wissen - besonders die strukturschwache Westküste.
({2})
Ähnlich wie in Schleswig-Holstein verhält es sich in Nordrhein-Westfalen. Wir haben gestern im Haushaltsausschuß über die Energiepolitik diskutiert. Das Ansehen des Standorts Bundesrepublik hängt auch von der Berechenbarkeit in der Frage der Energiepolitik ab. Es ist doch nicht einzusehen, daß wir der Kohle, also vor allem Nordrhein-Westfalen und dem Saarland helfen, und dann von dort Knüppel in das Genehmigungsverfahren beim Schnellen Brüter geworfen werden, was die Bundespolitik und das, was Bundes- und länderweit seit Jahrzehnten gilt, konterkariert. Dies werden wir nicht tun. Ich bin der Meinung, ein bundesfeindliches Verhalten, das Bundeshilfe in Frage stellt, muß auch entsprechende Konsequenzen haben.
({3})
Investitionshilfe für Investitionsbremser macht wenig Sinn.
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen dem Norden und den strukturschwachen Ländern helfen. Wir haben dies in dieser Woche bei den erfolgreichen Beratungen für den Haushalt 1989 mehrfach gezeigt. Wir haben die Straßenbaumittel verstärkt - gegen den Willen der SPD im Haushaltsausschuß - , wir haben die Hilfen für den Flugzeugbau verstärkt. Auch dies hilft dem Norden, hilft den strukturschwachen Ländern. Und wir stellen jetzt über diese Strukturhilfe Geld für wirtschaftliche Infrastruktur bereit, für Verkehrswege, Versorgung mit Energie und Wasser, Erschließung von Gewerbegebieten, Fremdenverkehr, Maßnahmen der beruflichen Bildung, Forschungsprojekte, Stadt- und Dorferneuerung und, was mir besonders am Herzen liegt, für Umweltschutzinvestitionen.
Im Umweltausschuß wurde das Programm des Umweltministers erörtert und ein Maßnahmenkatalog für den Gewässerschutz von Nord- und Ostsee erarbeitet. Ich halte es für besonders wichtig, und halte Lösungsansätze auf Grund dieses Gesetzes für möglich. Die Zukunftshilfe aus Bonn begründet neue Hoffnung für den Norden, für die Küste und für die sie umgebenden Gewässer. Die Beratungen in den Ausschüssen werden den Erwartungen der Bürger an diese Hilfe aus Bonn Rechnung tragen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die gerade gehörte Rede wird das Bundesverfassungsgericht sehr interessieren. Sie haben ziemlich deutlich gemacht, daß es Ihnen nicht
nach objektiven Kriterien ging, sondern allein parteitaktisches Kalkül der Maßstab war, Gelder zu verteilen.
({0})
Die Bundesregierung legt hier ein Strukturhilfegesetz vor, das sie in der Öffentlichkeit als gleichwertige oder sogar als bessere Alternative zu der Bundesratsinitiative und zu unserem Gesetzentwurf verkauft, den wir übernommen haben, da der Bundesrat von dieser Initiative zur Übernahme der Sozialhilfekosten offensichtlich Abstand genommen hat. Dies ist aber offenbar nicht der Fall, wenn wir uns die Diskussion und die Argumente noch einmal genau angucken, die ja nichts an Gültigkeit verloren haben, wie Sie vor der Sommerpause und gerade auch in Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der Regierung, für ziemliche Aufregung gesorgt haben.
Gerade im Licht der Diskussion um die Steuerreform und um die zu erwartenden Mindereinnahmen, besonders bei den Kommunen, stellte Ministerpräsident Albrecht u. a. fest, daß sich seine Gemeinden in keiner beneidenswerten Finanzsituation befinden. Daß dies nicht nur in Niedersachsen so ist, sondern grundsätzlich viele Gemeinden betrifft, im besonderen Fall die Gemeinden in den wirtschaftlichen und strukturellen Problemregionen - hier hauptsächlich im Norden und im Westen dieser Republik - war offensichtlich. Um dies festzustellen, genügt ein einfacher Blick in die offiziellen Statistiken.
Einer der Hauptgründe für die finanzielle Erdrosselung der Länder und Gemeinden sind die stetig steigenden Sozialhilfeausgaben. Dies ist eindeutig belegt in dem Gemeindefinanzbericht, in den Veröffentlichungen der verschiedensten Wirtschaftsinstitute und auch im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank.
So reichten 1970 noch 3,2 % des Steueraufkommens aus, um die Sozialhilfe bezahlen zu können. 1985 benötigten die Länder und Gemeinden allerdings schon 7,2 % ihres Steueraufkommens bei weiter steigender Tendenz, um die Anprüche aus den Sozialhilfeforderungen zu befriedigen.
Gerade an den Brennpunkten der Arbeitslosigkeit haben sich die Aufwendungen für diese Gruppe seit 1981 verzehnfacht. In dem Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfelasten macht sich ein deutlicher Strukturunterschied in der Bundesrepublik bemerkbar.
Dies ist unseres Erachtens in keiner Weise verwunderlich; denn in ihrer ursprünglichen Funktion war die Sozialhilfe vorgesehen, um in individuellen Notlagen zu helfen. Heute ist es so, daß die Sozialhilfe als kollektive Unterhaltssicherung für durch Arbeitslosigkeit in Not geratene Bürger einspringen muß. Mittlerweile nennen schon über ein Drittel der Sozialhilfeempfänger, die einen Antrag auf Hilfe in besonderer Lebenslage stellen, als Grund hierfür Arbeitslosigkeit. Dies sollte uns zu denken geben.
Von dieser heute grundsätzlich anderen Intention und der erheblich größeren Aufgabenbewältigung des Bundessozialhilfegesetzes leitet sich der berechtigte Anspruch ab, daß ebenfalls der Bund zur BewälHüser
tigung dieser Aufgaben beitragen muß. Es steht nirgendwo auf alle Zeiten festgeschrieben, daß dies nur in den Händen der Gemeinden zu bleiben hat.
Es liegt unseres Erachtens ebenfalls auf der Hand, daß die nord- und westdeutschen Länder durch die erhebliche finanzielle Belastung keine Mittel mehr zur Verfügung haben, um die Ursachen der steigenden Zahl der Sozialhilfeempfänger, nämlich gerade Massen- und Langzeiterwerbslosigkeit, durch Investitionen zur Strukturverbesserung und zur Schaffung von neuen Erwerbsarbeitsplätzen zur Verfügung haben.
Die betroffenen Kommunen und Länder bewegen sich in einer Art Teufelskreis, weil mit jeder Reduzierung der kommunalen Investitionen zur Finanzierung der Sozialhilfekosten die Arbeitslosigkeit steigt und infolgedessen noch mehr Sozialhilfe aufgebracht werden muß. Es gilt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Ebenso wissen wir aus Erfahrung, daß in den Gemeinden, wo die notwendigerweise unabweislichen Ausgaben steigen, in der Regel gerade bei den freiwilligen Aufgaben gekürzt wird. Dies hat ursächlich zur Folge, daß die kommunale Selbstverwaltung zur Unkenntlichkeit verkümmert. Um dies zu verhindern - was den GRÜNEN ein Anliegen ist - , um mehr politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf die Ebene zu bringen, die von den Betroffenen noch direkt kontrolliert und beobachtet werden kann, ist es notwendig, daß die Ausgabenseite der Kommunen entlastet wird.
Ich will hier noch einmal grundsätzlich auf einen Punkt eingehen: Die GRÜNEN halten eine grundsätzliche Neuorientierung gerade der Sozialsicherungssysterne für notwendig. Ich nenne hier nur das Stichwort „Grundrente", die voll vom Bund finanziert werden müßte. Aber die GRÜNEN halten auch deswegen diese Bundesratsinitiative zur Übernahme von 50 der Sozialhilfekosten für wichtig, weil sie ein erster Schritt in die richtige Richtung war. Wir haben diesen Antrag hier noch einmal eingebracht, damit das nicht in Vergessenheit gerät.
Auch ist es, glaube ich, ein sehr wünschenswerter Nebeneffekt, wenn der Bund am eigenen Leibe und in der eigenen Kasse die gesamte Dynamik der Sozialhilfekosten spüren würde, um dann eventuell geeignete politische Schritte zu unternehmen. Jedoch ist hier eher zu befürchten, daß diese Bundesregierung dies nur als Anlaß nehmen würde, weitere Leistungskürzungen zu vollziehen, um die Kassen zu sanieren.
Ein Punkt ist in der ganzen Diskussion auch immer vergessen worden, und zwar die Situation der Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen. Hier wird durch unsere Initiative die Situation der Gemeinden grundsätzlich verbessert, daß sie auch im Bereich der freiwilligen Aufgaben Zusätzliches leisten können. Aber ich glaube, hier darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Bedarf der Sozialhilfeempfänger insgesamt drastisch nach oben gesetzt werden muß, damit sie überhaupt zu einem menschenwürdigen Leben in der Lage sind.
Es ist offensichtlich und auch für jeden nachvollziehbar, daß die von mir gerade angesprochenen Probleme mit dem Strukturhilfegesetz in keiner Weise zu lösen sind. Von daher ist es schon ein bißchen verwunderlich, wie sich die Länder - dies gilt meines Erachtens auch für einige SPD-Länder - diesen Tausch haben aufringen lassen.
({1})
- Da Sie ja nicht die Mehrheit haben, war es überhaupt nicht notwendig, daß Sie diesen Gesetzen zustimmen; Sie hätten ja mit politischem Druck auf der alten Initiative weiter bestehen können.
Die Schlußfolgerung liegt nahe. Hauptsächlich liegt es, glaube ich, im Interesse von Herrn Albrecht, wenn man seine Argumentation verfolgt, daß es ihm in Wahrheit überhaupt nicht darum ging, die Situation der Kommunen aufzubessern, sondern für ihn einzig und maßgeblich eben eine Konsolidierung seiner eigenen Landeskasse Vorrang hatte.
Dies leitet zu einigen Kritikpunkten über, die wir an dem Strukturhilfegesetz haben. Es ist unseres Erachtens in keiner Weise gewährleistet, daß hierdurch wirklich neue Investitionen getätigt werden. Unseres Erachtens ist es eher wahrscheinlich, daß schon geplante und begonnene Investitionen jetzt eben nur mit Bundesmitteln finanziert werden und somit nur eine Entlastung der Länderhaushalte stattfindet.
Lassen Sie mich drei Kriterien nennen, durch die sich das Strukturhilfegesetz unseres Erachtens selbst disqualifiziert. Dies betrifft zum einen den gesamten Bereich der Verteilungskriterien. Es ist doch offensichtlich und ist schon mehrfach betont worden, daß der Sockelbetrag ursächlich eigentlich in den Länderfinanzausgleich gehört. Aber ich glaube, er ist hier geschaffen worden - um ein Beispiel zu nennen -, um das Saarland einzukaufen, damit es hier zustimmt, weil bei dieser Alternative das Saarland mehr als bei der Bundesratsinitiative bekommt.
Dasselbe gilt unseres Erachtens auch für die Sonderlasten Rheinland-Pfalz, das 40 Millionen DM für die angebliche Mehrbelastung durch die Stationierung ausländischer Streitkräfte erhält. Wieso sind Sie nicht auf die Idee gekommen, auch einmal über Sonderlasten Kohle, Stahl, Schiffsbau nachzudenken?
({2})
Damals bei der Diskussion um den Länderfinanzausgleich sind diese Punkte wohlweislich außen vor gelassen worden,
({3})
weil hier eine Einigung nicht ersichtlich war; da war es weise, daß alle diese Punkte herausgenommen worden sind. Aber diese Maßnahme war nötig, damit Rheinland-Pfalz diesem Gesetzentwurf überhaupt zustimmt.
Der dritte Punkt. Das Kriterium Arbeitslosigkeit wurde eben nicht nach Länderdurchschnitten berechnet, sondern nach Bezirken. Das hatte auch zur Folge, daß Bayern eingekauft worden ist.
Auch daß das Kriterium der Beschäftigungsentwicklung widersinnig ist, läßt sich eindeutig dadurch belegen, daß es logisch ist, daß dort, wo ein hoher Beschäftigungsstand ist, die Zuwachsraten natürlich niedriger sind als in einem Gebiet, das sowieso schon auf niedrigstem Level ist, und wenn da einige Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden, hat das statistisch natürlich zur Folge, daß hier hohe Zuwachsraten sind. Dies konterkariert das Kriterium der Arbeitslosigkeit zur Unsinnigkeit und zeigt eindeutig, daß es hier nicht darum geht, objektive Kriterien zu wählen, sondern daß hier eben auch eigentlich schon gut dastehende Gemeinden im Süden und hauptsächlich in Bayern bevorzugt werden sollten.
Diese Kriterien zeigen unseres Erachtens, daß hier nur nach dem Ergebnis gerechnet worden ist. Wir sind sicher, daß das Bundesverfassungsgericht Ihnen dies ins Stammbuch schreiben wird.
Ich möchte noch auf den Investitionskatalog eingehen. Die Intention am Anfang war, daß die schlechte Situation der Gemeinden eigentlich verbessert werden sollte. Aber es reicht nicht aus, Herr Stoltenberg, daß Sie nur die Hoffnung ausdrücken, daß das Geld an die Gemeinden geht. Das Mindeste, das hier notwendig wäre, wäre eine pauschale Weiterleitung an die Gemeinden, damit die hier wirklich investieren können. Auch dies würde nicht ausreichen, weil viele Gemeinden, bei denen der Verwaltungshaushalt schon defizitär ist, gar nicht in der Lage sind, zusätzlich zu investieren und die Folgekosten aufzubringen.
Der letzte Punkt: Sie hätten unsere Zustimmung zu dem Strukturhilfegesetz gehabt, wenn Sie den Mut oder den Willen aufgebracht hätten, hier wirklich notwendige Investitionen zu fördern. Es gibt genug. Ich nenne hier nur den Bau von Kläranlagen zum Schutz der Nord- und Ostsee. Hier hätten uns 2,45 Milliarden DM jährlich weitergebracht. Ebenso wären Investitionen z. B. im öffentlichen Nahverkehr oder zur Einsparung von Energie sinnvoll gewesen. Das gilt jedoch nicht für diese pauschale Weiterleitung von Geldern nach dem Gießkannenprinzip.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn eine politische Entscheidung gefallen ist, tut man gut daran, diese Entscheidung konsequent zu vertreten. Dies gilt auch dann, wenn eine solche Entscheidung nach langer Diskussion und in kontroverser Auseinandersetzung getroffen worden ist
({0})
und schon daraus deutlich wird, daß eine große Zahl unterschiedlicher Aspekte in eine solche Entscheidung Eingang gefunden hat. Die vielfältigen Zwischenrufe machen deutlich, was wem dabei dann als allererstes einfällt.
({1}): Vielfältig? Es waren nur
zwei!)
- Zwei ist bei der Besetzung hier doch schon eine ganze Menge.
Bei dem heute in erster Lesung beratenen Gesetzentwurf der Bundesregierung fällt dies trotzdem schwer, weil eine Fülle von politischen, von rechtlichen, sogar von moralischen Fragen mit der Vorgeschichte und der geplanten gesetzlichen Maßnahme verbunden ist.
Natürlich zeigt diese Häufung offener Fragen auch, daß mit solchen Regelungen, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, an Grenzen gestoßen wird. Ich sage voraus, daß es nicht so schnell wieder zu vergleichbaren Lösungen kommen wird! Dennoch geht meine Fraktion mit dem erklärten Ziel in die weiteren Beratungen, dem Gesetz nach sorgfältiger Abwägung eine parlamentarische Mehrheit zu sichern.
Lassen Sie mich auf einige der hier gestellten politischen und auch rechtlichen Fragen in aller Kürze eingehen. Nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes kann der Bund den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden unter gewissen Voraussetzungen gewähren. Da die Finanzverhältnisse zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in mehrfacher Hinsicht geregelt sind, muß jede zusätzliche Regelung besonders sorgfältig daraufhin untersucht werden, ob sie das bestehende System nachhaltig stört. Das wird einerseits vom Umfang zusätzlicher Leistungen, andererseits natürlich auch von ihrer vorgesehenen zeitlichen Dauer abhängen.
Bei dem heute und hier zur Diskussion stehenden politischen Kompromiß ist die zeitliche Dauer von geplanten zehn Jahren erheblich, auch wenn die während der Dauer der Laufzeit vorgesehene und mögliche zweimalige Überprüfung des Verteilerschlüssels hier noch einen gewissen Spielraum läßt.
Wer sich zusätzlich vor Augen hält, wie eng die Haushaltsspielräume aller öffentlichen Hände geworden sind - nach der Beratung des Etats für das kommende Jahr im Haushaltsausschuß, die wir gestern abend abgeschlossen haben, weiß ich wirklich, wovon ich rede - , muß erkennen, daß auch die hier geplanten jährlichen Leistungen von 2,45 Milliarden DM, die den Bund treffen und an die Bundesländer gehen sollen, einen erheblichen finanziellen Umfang darstellen.
Die Koalition hat das erklärte Ziel, so viel Geld wie möglich beim Bürger zu belassen und mit öffentlichen Geldern sparsam umzugehen. Deshalb haben wir eine große Steuerreform beschlossen, die ab 1990 natürlich auch den Bundeshaushalt stark strapaziert; die rechnerischen Einahmeverluste des Bundes sind ganz erheblich. Das macht die engen Spielräume aus, mit denen wir arbeiten müssen.
Die zusätzliche Belastung dieses Bundeshaushalts durch die im Gesetz vorgesehene Summe von jährlich 2,45 Milliarden DM ist erheblich. Natürlich stellt sich auch die Frage, ob wir hier in Bonn auf Dauer unsere Aufgaben noch ordnungsgemäß erfüllen können, wenn wir uns derart selbst beschränken.
Wir dürfen schließlich nicht übersehen, daß sich die Verteilung der Steuereingänge in den letzten Jahren immer mehr zu Lasten des Bundes verschoben hat. Der Bund hatte noch vor wenigen Jahren etwa einen
Dr. Weng ({2})
Anteil von 50 To am gesamten steuerlichen Aufkommen. Inzwischen sind es nur noch zirka 45 %. Man muß sich einmal vor Augen halten, wie sich die Aufgaben verteilen. Es ist ja nicht so, daß die Zahl der Bundesaufgaben geringer geworden wäre; eher ist sie größer geworden. Diese Entwicklung ist deshalb als solche schon bedenklich.
Noch bedenklicher ist, daß hierzu parallel eine politische Diskussion in der Öffentlichkeit, die das nicht immer in den Details der Struktur durchschaut, läuft, die die Verantwortlichkeiten zudeckt. Wenn z. B. über die Probleme der hoch belasteten Nordsee diskutiert wird - ein Thema, das ja gerade nach dem in den Ursachen immer noch nicht abschließend geklärten Robbensterben die Öffentlichkeit emotional besonders stark bewegt hat - , dann wird aus den Bundesländern der Ruf laut, es müsse etwas geschehen. Vertreter aller politischen Parteien stimmen in diesen Ruf ein. Aber da, wo das aus den Bundesländern kommt, ist es die Methode „Haltet den Dieb"; denn nicht nur die Verantwortung für die notwendigen Maßnahmen des Gewässerschutzes, sondern auch die dazugehörende Finanzausstattung liegen bei den Bundesländern.
Jetzt und hier bekommen die Länder mit dieser Entscheidung des Bundestages - wenn sie denn so fällt, was ich einmal unterstelle - zusätzliches Geld, das sie unbedingt für Investitionen in umweltverbessernde Maßnahmen ausgeben müssen. Das ist ein dringender Wunsch von uns. Wenn der Redner der GRÜNEN diesen Wunsch auch geäußert und gesagt hat, man sollte das gefälligst als Auflage machen, dann muß ich sagen: Er sollte die Rechtslage studieren; dann wird er feststellen, daß diese Auflage leider nicht möglich ist. Wir hätten gerne solche Abhängigkeiten geschaffen. Aber im Sinne der föderativen Struktur sind solche Auflagen eben nur politisch, d. h. argumentativ möglich. Wir werden ja sehen, ob sich die Ländervertreter, die hier nachher ihr Klagelied anstimmen werden, genau zu diesem Punkt äußern, ob zusätzliche Investitionen im Umweltbereich getätigt werden, was wir ausdrücken wollen und, soweit wir es überhaupt können, hier festzulegen bereit sind.
({3})
Ich wiederhole, was ich in anderem Zusammenhang gesagt habe: Es spricht viel dafür, die Verantwortung für solche Bereiche auf den Bund zu übertragen. Aber das wird dann auch bedeuten müssen, daß die Finanzmittel dazu auf den Bund übertragen werden. Da sind die Bundesländer dann - mit Recht - auch wieder schnell sehr zugeknöpft. Föderalismus ist nicht nur eine bewährte Struktur unserer politischen Landschaft, er hat auch einen Preis. Vieles, was in der Verantwortung von Ländern und Gemeinden liegt, könnte gerade heutzutage mit einer kleineren, einer enger werdenden Struktur besser zentralstaatlich geregelt werden.
({4})
Aber es ist ja auch unser erklärter Wille, die Gebietskörperschaften mit echten Kompetenzen auszustatten bzw. ausgestattet zu lassen. Sie müssen diese Kompetenzen dann aber ordnungsgemäß ausfüllen.
Ein Ministerpräsident eines süddeutschen Bundeslandes, der gleichzeitig stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei ist und dessen Namen ich hier nicht nennen will,
({5})
hat kürzlich einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt: Ich halte es für sehr problematisch, wenn zehn von elf Ländern im wirtschaftsstärksten Staat Europas quasi erklären, sie seien ohne ernsthafte Strukturhilfe des Zentralstaats gar nicht mehr fähig, ihre Probleme zu lösen. Das eher jämmerliche Gerangel der Bundesländer um den Verteilungsschlüssel der zur Verfügung gestellten Gelder verdeutlicht zusätzlich, wie richtig diese Bemerkung ist.
({6})
In Bewertung der Gesamtsituation der Struktur öffentlicher Finanzen entsteht spätestens nach Inkrafttreten der Steuerreform im Jahr 1990 und nach ersten Erfahrungen bezüglich der hieraus resultierenden Steuerverteilung die Notwendigkeit, die Finanzstrukturen zwischen Bund und Ländern zu überdenken. Gegebenenfalls - das wird sicher eine schwierige politische Aufgabe sein - muß die gesamte Struktur neu geregelt werden. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß hierbei das heute beratene Gesetz mit seinem Inkrafttreten solche Überlegungen in keinem Fall stören darf, d. h. wir dürfen wegen dieses Gesetzes dann nicht zehn Jahre darauf warten, die notwendige Neustrukturierung in Angriff zu nehmen. Das heißt auch: Eine solche Neustrukturierung wird die Beträge mit berücksichtigen müssen, die auf Grund des hier zu beratenden Gesetzes an die Bundesländer fallen.
Daß es dem Finanzminister mit der Zusage dieses Strukturausgleichs gelungen ist, einen massiven Zugriff der Bundesländer auf die Bundeskasse unter dem Stichwort „Sozialhilfelasten" abzuwenden, bedarf zusätzlicher Erwähnung. Gerade hier, meine Damen und Herren, macht es sich die SPD - von den GRÜNEN will ich in solchem Zusammenhang gar nicht reden - sehr leicht, wenn sie aus der Tatsache heraus argumentiert, daß sie im Bund nur als Opposition Verantwortung trägt.
({7})
- Es ist in der Ausdrucksweise für Sie vielleicht nicht ganz verständlich gewesen, was ich damit ausdrükken wollte, Herr Struck.
({8})
Aber denken Sie noch einmal darüber nach. Dann wird Ihnen vielleicht ein besserer Zwischenruf als der einfallen, den Sie hier gerade gemacht haben.
({9})
Die Übernahme einer solch wesentlichen Aufgabe zu Lasten des Bundeshaushalts hätte die gesamte Finanzstruktur unseres förderalen Staates erheblich gefährdet.
Obwohl es in den Ausschüssen sicherlich noch viel Beratungsbedarf gibt, kann ich mir persönlich nicht
Dr. Weng ({10})
vorstellen, daß daß Gesetz im Verfahren noch wesentliche Veränderungen erfährt. Zu unterschiedlich sind die Interessen, aus denen heraus das politische Zerren stattfindet.
Ich sage abschließend, meine Damen und Herren: Sollten nach Inkrafttreten des Gesetzes Bundesländer wirklich gegen dieses Gesetz klagen, sehen wir von der Seite des Bundes dem Urteil des Verfassungsgerichts mit großer Gelassenheit entgegen.
({11})
Das Wort hat der Präsident des Senats der Hansestadt Hamburg, Herr Dr. Voscherau.
Präsident des Senats Dr. Voscherau ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag schickt sich an, ein Gesetz zu beraten und - wie wir soeben gehört haben - im wesentlichen unverändert zu verabschieden, gegen das sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken richten, hinsichtlich dessen eine Normenkontrolle durch das Land Hessen bereits angekündigt ist und das zutiefst sachwidrig ist.
Wenn ich mich als Mitglied des Bundesrates und als Bürgermeister des Landes Hamburg gegen diese Absichten wende, so, meine Damen und Herren, nicht etwa in der Absicht, hier in Sack und Asche zu kommen, und auch nicht in der Absicht, mir vorhalten zu lassen, die Länder stimmten ein Klagelied an, weil, Herr Kollege Austermann und Herr Kollege Weng, diese Aussagen zutiefst verkennen, daß wir es mit einer grundgesetzlich festgelegten föderalen Struktur zu tun haben, die die Eigenstaatlichkeit der Länder ebenso wie die gemeindliche Aufgabenerledigung garantiert, so daß diese - lassen Sie mich so sagen - gönnerhafte Art und Weise, sich über eine solche wichtige Gesetzgebung zu äußern, vom Geiste her gegen diese grundgesetzliche Struktur verstößt.
({1})
Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt der Debatte, die hier geführt werden muß, war der Einbruch in die kommunalen und die Länderfinanzen als Folge der Steuerreform sowie, kompensatorisch angelegt durch den Kollegen Albrecht, der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Sozialhilfeproblematik. Ausgangspunkt war die Einsicht, daß der rapide Anstieg der Sozialhilfelasten für viele Gemeinden zu unerträglichen finanziellen Belastungen geführt hat, daß dieser Zuwachs wesentlich aus Bereichen kommt, in dem der Bund Finanzierungsverantwortung trägt. Sozialhilfe ist ursprünglich als das letzte Auffangnetz für exzeptionelle individuelle Notlagen angelegt gewesen. Nur insoweit ist die Finanzverantwortung der Gemeinden gerechtfertigt. Nur insoweit ist auch ihre Finanzausstattung gegeben. Daraus ist heute hingegen eine Regelsicherung für immer mehr Menschen geworden, die aus dem Standardsystem der sozialen Sicherung herausfallen oder - sollte man so sagen? - herausgedrängt worden sind.
Folgekosten der Langzeitarbeitslosigkeit, Pflegekosten, Alterssicherung: Das alles sind nicht Aufgaben,
die der Sozialhilfe aufgebürdet werden dürfen. Vielmehr der Bund ist gefordert. Entweder er sorgt in seinen Standardsystemen sozialer Sicherung nach dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes für angemessene Absicherung, damit nicht immer mehr Bürger aus der Sozialhilfe herausfallen, oder er beteiligt sich zumindest an den Kosten der Sozialhilfe.
Im Sozialbericht 1986 der Bundesregierung selbst wird ausgeführt, daß das Sozialbudget des Bundes seit 1980 um 16,9 %, das der Länder und Gemeinden aber um 29,7 % gestiegen ist. Es ist deshalb unverständlich, daß sich die Bundesregierung in der gesamten bisherigen Diskussion jeder ernsthaften Auseinandersetzung über den Gesetzentwurf des Bundesrats entzogen hat.
({2})
Allgemeine verfassungsrechtliche Bedenken reichen nicht aus. Sie sollen ja wahrscheinlich auch nur das eher durchsichtige Motiv verdecken, daß sich der Bund der bedrohlichen Dynamik der Sozialhilfekostenentwicklung entziehen will. Auch dies reicht nicht aus.
Das jetzt ersatzweise vorgelegte Strukturhilfegesetz löst nur scheinbar die Zusage ein, von der der Bundesfinanzminister hier gesprochen hat. In Wahrheit düpiert dieser Gesetzentwurf alle jene, die bei ihrer Zustimmung zur Steuerreform auf die Zusage der Bundesregierung vertraut haben; denn der Gesetzentwurf ist eklatant sachwidrig. Er verbindet sich mit tiefgreifenden und aus der Sicht der beiden Stadtstaaten mit sehr prinzipiellen föderalen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit. Die hessische Normenkontrollklage wird dies auch erweisen.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines Handels - vielleicht sollte man sagen: von Händeln - ausschließlich zwischen CDU/CSU-regierten Bundesländern.
({3})
Wenn Herr Kollege Weng dieses eben als jämmerliches Gerangel qualifiziert hat, so erlaube ich mir, mich dieser Bewertung anzuschließen.
({4})
Die Verteilung ist so lange hin- und hergerechnet worden, bis die richtigen Länder in der notwendigen - besser sollte man sagen: in der opportunen - Höhe bedacht worden sind, zu Lasten sachgerechter verfassungsmäßiger Kriterien und zu Lasten Dritter, nämlich der nicht beteiligten Länder.
Es ist einfach ein Unding und ein bundesunfreundlicher Akt gegen die föderale Struktur des Grundgesetzes, daß fünf Länder bei diesen Verhandlungen völlig außen vor gelassen worden sind.
({5})
Der Vertreter der Bundesregierung hat im Bundesrat erklärt, das Grundgesetz verlange nicht rechenhafte Maßstäbe; es reiche aus, wenn der Bund bei der Verteilung der Finanzhilfen nach plausiblen und sachlich einleuchtenden Maßstäben verfährt.
Präsident des Senats Dr. Voscherau ({6})
Nicht einmal diesem abgemagerten Anspruch wird der vorliegende Gesetzentwurf gerecht, in der vorliegenden Fassung jedenfalls nicht. Herr Kollege Weng, Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie an der vorliegenden Fassung festhalten wollen. Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator: Jeder Fachmann weiß, daß es zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation der Stadtstaaten völlig ungeeignet ist. Die Abweichung von der bundesdurchschnittlichen Beschäftigungsentwicklung als Verteilungsmaßstab: Werden denn strukturstarke Regionen gleich zu Krisengebieten, wenn sie einmal leicht unterdurchschnittliche Wachstumsraten haben? Oder umgekehrt: Sind wirtschaftsschwache Regionen schon deshalb saniert, wenn sie für einige Jahre überdurchschnittliche Wachstumsraten haben?
Der Kollege Austermann, dessen Wahlbürger ja alle in meiner Stadt in Lohn und Brot stehen
({7})
- in unserer Freien und Hansestadt Hamburg; das gilt auch für die CDU- und FDP-Abgeordneten dieser Stadt, die das alle auch wissen -, sollte sich gut überlegen, wie sachgerecht es aus der Sicht des Nordens ist, sich hier für eine parteipolitische Argumentation gegen den Norden einspannen zu lassen.
({8})
Bei dem Indikator Arbeitslosigkeit differenziert der Gesetzentwurf nicht einmal danach, ob eine Region eine Arbeitslosenquote von 9,4 % oder von 19 % hat. Jede Region, die über dem Bundesdurchschnitt liegt, wird unterschiedslos einbezogen. Bei einem sachgerechten Schlüssel muß aber natürlich eine Rolle spielen, wie weit jemand vom Bundesdurchschnitt abweicht.
Der eben nicht genannte Kollege Späth hat völlig recht: Neun oder gar, wie ursprünglich geschehen, zehn von elf Ländern als strukturschwach zu bezeichnen, das ist absurd. So, wie der Bundesfinanzminister es heute getan hat, mit einem Sockel für neun Länder als besondere Förderung zweier Stadtstaaten zu argumentieren, das ist nicht nur absurd, es ist unlogisch, und das ist schlimmer.
Ich komme zu den 40 Millionen DM Sonderbonus für Stationierungslasten des Landes Rheinland-Pfalz: Meine Damen und Herren, die Landesregierung von Rheinland-Pfalz selbst ist es doch, die seit Jahren rühmt, daß die Stationierung ausländischer Streitkräfte 30 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz mit sich bringt.
({9})
Der Hessische Ministerpräsident hat im Bundesrat ausgeführt - ich zitiere ihn - :
Der Bund - ich muß das leider sagen - hat in diesem Falle nicht gestaltet. Ihm blieb nur die Rolle des Notars.
- Das zitiere ich ungern. ({10}) Entsprechend ist der Gesetzentwurf auch ausgestaltet.
({11})
Der Bund hat zu keiner Zeit versucht, in geeigneter Weise mit allen Ländern einen Konsens zu finden. Eine sachgerechte Lösung ist nicht vorgeschlagen. Auch wenn manche Länder sicher in ihrer Notlage nach dem Motto vorgehen müssen: „Wir nehmen jeden Pfennig, den wir kriegen können" , erkennen und fürchten auch sie,
({12})
daß dieses Gesetz jedenfalls in der gegenwärtigen Fassung nicht von Bestand sein wird.
Ich appelliere an den Deutschen Bundestag und an Sie als Abgeordnete dieses Parlaments, die Versäumnisse der Bundesregierung wettzumachen, nicht ein erkennbar wahrscheinlich verfassungswidriges Gesetz zu beschließen, sondern im Hinblick auf die Beratung dieses Gesetzentwurfs ausgleichend und die Verfassungsmäßigkeit bewirkend tätig zu werden.
({13})
Das Wort hat der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, Herr Grobecker.
Senator Grobecker ({0}) : Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In aller Kürze und auch in der einem Mitglied des Bundesrats gebotenen Zurückhaltung,
({1})
zumal da viele von Ihnen wissen, daß ich auch ein großes Harmoniebedürfnis habe,
({2})
sage ich angesichts der Rede, die aus der Mitte der CDU-Fraktion hier gehalten worden ist: Die Länder der Bundesrepublik Deutschland kommen nicht zum Bund nach Bonn zum Betteln. Wir sind hier nicht bei Hofe. Wir wollen unser Recht haben. Wir wollen keine Klinken putzen, sondern unser Recht haben. Darum beraten wir hier.
({3})
Bei der Zurückhaltung, zu der ich mich zwinge, sage ich Ihnen: Der Gesetzentwurf, der Ihnen heute vorliegt, ist drittklassig, schlicht drittklassig. Es ist die dritte Klasse eines Beratungsstands, den wir vom Sommer 1988 an bis heute hier haben. Mit diesem Gesetzentwurf soll eine gute Idee endgültig erledigt werden, die im Sommer im Schatten der Beratung über die Steuerkonterreform geboren worden ist. Das Gesetz über die Aufteilung der Sozialhilfekosten war ein vernünftiges Gesetz. Es war eine gute Idee, weil auf diese Weise Länder und Gemeinden mit den Mitteln, die ihnen verbleiben, selber entscheiden konnten, was und wie sie investieren.
({4}) Das wird hier jetzt kaputtgemacht.
Senator Grobecker ({5})
Dann kam die Idee des Ministerpräsidenten Späth, mit der wir uns durchaus anfreunden können: Die Mittel sollen direkt für Investitionen an die Länder überwiesen werden, wie es in Art. 104 a des Grundgesetzes dargelegt ist. Diese Idee ist nicht verwerflich. Im Gegenteil, sie nutzt und benutzt das, was im Grundgesetz vorgeschrieben ist. Aber was ist jetzt daraus gemacht worden? Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren Abgeordneten, daß Sie das besonders im Haushaltsausschuß nutzen.
Die drei Indikatoren sind für eine gerechte Verteilung dieser Mittel nicht sachgerecht. Darum geht es uns.
({6})
Bürgermeister Voscherau hat soeben dargelegt, daß der erste Indikator, nämlich das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, die Stadtstaaten außen vor läßt, auch deshalb, weil man wohl nicht weiß, was ein Stadtstaat ist, und weil man immer glaubt, wir seien wie ein kleines Flächenland zu behandeln. Wir sind eine Großstadt mit Staatscharakter. Das Bruttoinlandsprodukt ist in Frankfurt, in Stuttgart, in Düsseldorf, in Hannover usw. ebenfalls höher als in der Fläche. Deshalb ist dieser Indikator für die Stadtstaaten nicht sachgerecht.
({7})
Auch der zweite Indikator - ein an sich vernünftiger Indikator - , die Arbeitslosenquote, ist, wie soeben dargelegt, undifferenziert, wenn man nur schlicht das Überschreiten der bundesdurchschnittlichen Arbeitslosenquote zugrunde legt und dabei unberücksichtigt läßt, ob es 10 To oder 15 % Arbeitslose sind.
Der letzte Punkt: Wenn man von Null oder einem sehr tiefen Stand ausgeht, sich anstrengt und Beschäftigung schafft, viel zulegt, dann gilt man als strukturstark. Wenn man einen hohen Arbeitssockel, also viel Beschäftigung hat und ein bißchen zulegt, kann das Umgekehrte gelten. Das ist kein Indikator, der sachgerecht ist.
({8})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich herzlich, daß Sie in den Beratungen noch einmal darüber nachdenken.
Noch ein Wort zur generellen Lage der Stadtstaaten: Ich finde es jetzt langsam wirklich zuviel, ständig so behandelt zu werden, als seien wir kleine Flächenländer. Die besondere Struktur der Stadtstaaten ist hinlänglich bekannt. Versuchen Sie doch, hier eine Zweidrittelmehrheit zu kriegen und das Grundgesetz zu ändern, um uns abzuschaffen, wenn Sie uns abschaffen wollen. Aber uns über diesen Weg kleinzuhalten, ist völlig unmöglich und grundgesetzwidrig.
({9})
Wenn ich mir noch ein Wort, Frau Präsident, zu Art. 2 dieses Gesetzes leisten darf, das nur Bremen betrifft: Herr Bundesminister, wir freuen uns, daß unsere Argumentation aus dem vorigen Jahr fruchtbar war, daß Sie sich hinsichtlich der Bundesergänzungszuweisungen bewegt haben. Wir bitten Sie, den letzten kleinen Schritt auch noch zu tun - hier spreche ich vor allem die Abgeordneten im Haushaltsausschuß an - , uns mit dem Saarland gleichzustellen
({10})
- der Bundesrat hat das vorgeschlagen - und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß das Unrecht, das uns im letzten Jahr passiert ist, beseitigt wird, es also für 1987 und 1988 noch einen Nachschlag gibt. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich in diese Richtung bewegen könnten.
({11})
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Ministerin für Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein, Frau Tidick.
Frau Minister Tidick ({0}): Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Nach den Stadtstaaten, deren Anliegen ich unterstütze, wenngleich wir nicht alle Bedenken teilen, möchte ich Ihnen nun kurz die Lage aus der Sicht eines armen Flächenlandes darstellen, das nach einhelliger Sicht aller anderen zehn Länder zu Recht das Etikett „strukturschwach" trägt. Herr Abgeordneter Austermann, auch die Wähler hatten ganz offensichtlich den Eindruck, daß dieses Land nach 38 Jahren CDU-Regierung strukturschwach ist.
({1})
Den Frust, der aus Ihren Worten sprach, sollten Sie vielleicht besser gegen die eigene Vergangenheit als gegen die jetzt von uns getätigte Politik richten.
({2})
Die schleswig-holsteinische Landesregierung ist - wie auch meine Vorredner - nach wie vor der Ansicht, daß der ursprüngliche Ansatz, der ursprüngliche Weg der Hilfe für strukturschwache Länder über die Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten der bessere gewesen wäre. Noch besser wäre natürlich eine verfassungsgerechte Finanzverfassungsreform. Die Beteiligung an den Sozialhilfelasten wäre auch deswegen vernünftiger, weil sie wirklich die Verantwortung klarmachte.
Unsere Gemeinden und kreisfreien Städte geraten durch die ständig wachsenden Anforderungen in diesem Bereich an den Rand der finanziellen Existenzfähigkeit. Die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Strukturhilfe in Höhe von 2,45 Milliarden DM ist eine Leistung, die das Land SchleswigHolstein dringend braucht. Sie ist aus gesamtstaatlichen Erwägungen zwingend notwendig. Ich schließe mich Herrn Grobecker und Herrn Voscherau ausdrücklich an: Es handelt sich hier nicht um ein Almosen, es handelt sich nicht um eine milde Gabe, für die wir Dank sagen müßten.
({3})
Wir bitten den Bund nicht darum, sondern wir fordern
die Erfüllung eines verbindlichen VerfassungsaufFrau Minister Tidick ({4})
trags im Bund-Länder-Verhältnis ein, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
({5})
Ich denke, wenn man dem Patienten zuvor ins Bein schießt und ihm dann Krücken verpaßt, ist das keine ausreichende Therapie. Das ist aber die Situation, in der wir uns befinden.
({6})
Daß wir dabei jetzt auch noch an das Gängelband Bonns geraten, statt uns wirklich selber helfen zu können, ist der betrüblichste Aspekt dieses Gesetzes.
({7})
Noch ein Wort: Die 252 Millionen DM, die nach dem Entwurf der Bundesregierung jährlich an das Land Schleswig-Holstein fallen, werden von der schleswigholsteinischen Landesregierung sinnvoll - und das heißt: zusätzlich - eingesetzt werden. Auf Mark und Pfennig werden wir jedes Jahr nachweisen, daß die Mittel des Bundes für Schleswig-Holstein für echte strukturelle Verbesserungen eingesetzt worden sind. Über die 50 Millionen DM für die Kommunen hinaus werden auch die anderen Investitionen selbstverständlich den Kommunen mittelbar zugute kommen, und sie werden in den Umweltschutz gehen. Nur - das sage ich noch einmal ausdrücklich, auch an den Herrn Bundesminister der Finanzen und an Sie gerichtet - : Es kann doch nicht richtig sein, daß wir aufgefordert werden, den Klärwerksbau zum Schutz von Nord- und Ostsee zu finanzieren, denn gerade dies ist auch eine Aufgabe des Bundes, der endlich seine Versprechen aus der Nordseeschutz-Konferenz einlösen sollte und mit einem vernünftigen Programm
({8})
zur Rettung von Nord- und Ostsee überkommen sollte,
({9})
während auf der anderen Seite die süddeutschen Länder die Mittel nehmen, um in High-Tech zu investieren und an die Max-Planck-Gesellschaft Sonderzuweisungen hinüberzuschieben. Das würden wir auch lieber tun.
Außerdem, denke ich, kann das nicht in einem Zeitraum von zehn Jahren passieren. Weder der Betrag des Bundes noch der Zeitraum sind ausreichend. Deswegen appelliere ich ausdrücklich an Sie, meine Herren und Damen Abgeordneten, Änderungen an dem Entwurf mit dem Ziel einer zeitlichen Beschränkung keinen Raum zu geben.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf zwei spezifische Anliegen des Landes Schleswig-Holstein lenken, die wir auch zum Gegenstand von Anträgen im Bundesrat gemacht haben. Nach Auffassung der Bundesregierung sollen nur Sachinvestitionen gefördert werden. Der Begriff der Investition ist nirgends gesetzlich definiert. So wie er hier angewandt wird, ist er aus unserer Sicht überholt und viel zu eng. Er paßt nicht mehr in die Landschaft. Er ist gar nicht, wie der Herr Bundesminister der Finanzen betont hat, breit, sondern er geht von Bauten aus. Das wesentliche Kapital bei uns ist jedoch menschliches Know-how. Das menschliche Know-how stärkt nicht nur die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb, sondern es ist auch für den Ausgleich regionaler Wachstumsunterschiede von hervorragender Bedeutung. Sachinvestitionszuschüsse bewirken gesamtwirtschaftlich eine Verbilligung des Produktionsfaktors Kapital und führen damit zu einem Ersatz von Arbeit durch Kapital. Das ist es gerade nicht, was angesichts der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit sinnvoll ist.
Deswegen appelliere ich sehr an Sie: Überprüfen Sie noch einmal ausdrücklich den Investitionsbegriff, der diesem Gesetz zugrunde liegt.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rose.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Achtung vor der Länderkammer gebietet es, zurückhaltend zu antworten, obwohl das nicht ganz leichtfällt. Denn schließlich ist es die Mehrheit innerhalb des Deutschen Bundestages, die sich für die Durchsetzung dieses Gesetzes starkmachen muß. Wenn ich vom Kollegen Grobecker höre, daß er diesen Gesetzentwurf als drittklassig bezeichnet, möchte ich wissen, was er dann als erste Klasse bezeichnet. Würde das heißen: noch mehr Geld?, würde das heißen: noch mehr Griff in die Kasse des Bundes?,
({0})
nachdem gerade Bremen zu den besonders Bevorzugten gehört. Man muß diese Dinge in den richtigen Zusammenhang stellen.
({1})
Meine Damen und Herren, Grundlage unserer heutigen verbundenen Debatte war der ursprüngliche Wunsch eines Bundeslandes, zur Behebung seiner Schwierigkeiten durch zu starke Sozialhilfelasten einen Finanzausgleich vom Bund zu bekommen.
({2})
Die Entwicklung ist inzwischen über diesen Wunsch hinweggegangen. Schon bald nach dem Ausgangspunkt hatte nämlich die politische Debatte einen anderen Weg genommen. Nicht die Bezahlung von Lasten aus einer anderen Kasse war die Weisheit letzter Schluß, sondern die Stärkung der Eigenkräfte und der Eigendynamik.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Gerne, der Kollege Struck darf immer.
Herr Dr. Struck!
Herr Kollege Rose, wollen Sie bitte so freundlich sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich nicht um die Initiative eines einzigen Bundeslandes handelte, sondern um die Initiative von insgesamt sieben nord- und westdeutschen Bundesländern, die am 29. April im Bundesrat beschlossen wurde?
({0})
Herr Kollege Dr. Struck, was soll ich dazu antworten? Sie wissen doch, daß sich diese sieben Länder erst dann gemeldet haben, nachdem ein Bundesland begonnen hatte.
({0})
- Es war am Anfang ein Bundesland, dann waren es am Schluß sieben, und inzwischen möchten alle etwas haben. Die letzten zwei, die bisher nicht drin sind, möchten auch noch dazukommen.
Es ist also so, daß dieses Gesetz eine Veränderung in der Zielsetzung erfahren hat, weil es nicht darum gehen kann, daß nur Lasten bezahlt werden, die zurückliegend sind, sondern weil wir zukunftsweisende Entscheidungen treffen müssen. Der Gesetzentwurf hat deshalb auch einen anderen Titel bekommen, nämlich: Gesetzentwurf zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft in den Ländern. Dieses Gesetz ist also jetzt in der parlamentarischen Beratung. Ich möchte als Mitglied des Haushaltsausschusses gleich zu Beginn sagen - wir sind der federführende Ausschuß - : Der Bund wird nach diesem Gesetzesvorschlag zu einem gewaltigen finanziellen Kraftakt gezwungen. Manche Kollegen hier im Saal und besonders die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß werden noch Bauchschmerzen haben, wenn sie an die Frage denken, wie diese Lasten überhaupt hereinzubringen sind, wie diese 25 Milliarden DM im Laufe der nächsten zehn Jahre bezahlt werden sollen. So einfach wird das nicht sein; dieser Kraftakt wird überhaupt nur dank der zurückliegenden finanzpolitischen Entscheidungen vertretbar sein, dank der Entscheidungen auf Grund einer Politik der Bundesregierung, die uns überhaupt in die Lage versetzt, mit einem einigermaßen geordneten Haushalt, mit einem gestiegenen Wirtschaftswachstum und mit all den guten Rahmendaten die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß man Geld verteilen kann. Die gestern erfolgte Schlußberatung des Haushalts 1989 beweist diese gute Finanz- und Wirtschaftslage.
Wenn man die optimistischen Schlagzeilen liest, wundert man sich ja eigentlich darüber, daß es überhaupt noch Forderungen von Länderseite gibt, in eine Förderung durch den Bund hineinzukommen, denn dann, wenn das Wirtschaftswachstum paßt und die Steuern kräftig sprudeln, glaubt man ja kaum, daß es woanders schlechter zugehen kann. Jeder weiß aber, daß es auch dann, wenn das allgemeine Gefüge gut ist, durchaus noch Probleme in einzelnen Ländern geben kann. Hinzufügen möchte ich: Das gilt nicht
bloß für einzelne Länder, sondern auch für bestimmte Regionen innerhalb der Länder.
({1})
Insofern muß ich zurückweisen, daß immer auf Bayern und auf München geschaut wird. Gott sei Dank ist es in Bayern aufwärtsgegangen, Gott sei Dank ist Bayern inzwischen zu einem führenden Industrieland innerhalb der Bundesrepublik geworden. Aber auch innerhalb Bayerns gibt es Regionen, die genau in diesen Gesetzentwurf passen. Nehmen wir z. B. die Region Donau-Wald, nehmen wir Niederbayern. Das ist eine Region, die von der Fläche her genauso groß ist wie Schleswig-Holstein. Man sollte nicht vergessen, daß man auch solche Zielsetzungen immer wieder betrachten muß, um bei der Verteilung von Finanzmitteln auch Bayern zum Zuge kommen zu lassen.
({2})
Meine Damen und Herren, häufig wird geradezu der Eindruck erweckt, als wäre das Gesetz von Bayern erfunden worden. Das stimmt natürlich nicht. Aber wenn es denn schon sein muß und wenn man bestimmte Kriterien für die Mittelverteilung entwickelt, steht Bayern ein gerechter Anteil zu. Würde man diesen Anteil pro Kopf berechnen, kämen wir sowieso schlecht weg. Ich nehme deshalb gern einmal die Gelegenheit wahr, in diesem Zusammenhang auf die gute, solide, zukunftsgerichtete Politik des Freistaates Bayern hinzuweisen. Bayern hat die geringste ProKopf-Verschuldung, Bayern hat die höchsten Investitionen, Bayern hat ein kräftiges Wirtschaftswachstum, und Bayern hat, insgesamt gesehen, auch ein günstiges Arbeitsmarktklima. Trotzdem liegt der Freistaat beim Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen noch unter dem Bundesdurchschnitt, und der Titel des Gesetzentwurfes paßt natürlich auch auf Bayern. Zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft braucht es weitere entschlossene Schritte. Wir alle tun gut daran, die Gesetzeskriterien auf bestimmte Investitionen zur Beseitigung der regionalen Strukturprobleme zu beziehen.
({3})
Meine Damen und Herren, besonders als Mitglied des Haushaltsausschusses sage ich: Was wir nicht tun dürfen, ist die bloße Verteilung von Finanzhilfen an leistungsschwache Länder. Das wäre ja gar ein Anreiz, daß man sich alles erlauben kann, weil später ein anderer bezahlt. Es wäre ein Anreiz, arm zu bleiben, weil immer jemand da ist, der die Schulden übernimmt. Das kann nicht das Ziel dieses Gesetzentwurfes sein. Das Gesetz muß im Gegenteil dazu dienen, strukturschwächere Gebiete auf kräftige Beine zu stellen, und zwar möglichst auf Dauer.
Diesem Ziel dienen die bereits vorhandenen Paragraphen. Zwar wehren sich die Länder, wenn ihnen ein strenges Aufgabenkorsett umgelegt wird, und das ist ja auch verständlich, denn sie wollen einen eigenen Spielraum bei der Verteilung der Gelder haben - das wollen logischerweise nicht bloß die Finanzministerien, sondern auch unsere Kollegen in den Landesparlamenten - , aber wir können kein Interesse daran
haben, daß eine Zweckentfremdung von Mitteln stattfindet.
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So ist es auch richtig, daß ein Aufgabenrahmen vorgeschrieben wird. In der heutigen ersten Beratung des Gesetzentwurfes kann ich nur betonen, daß auch ein richtiger Auftragsrahmen gefunden wurde. Bei den folgenden Ausschußberatungen werden wir uns aber zusätzliche Überlegungen vorbehalten. Den Weg gewiesen hat bei den Bundesratsverhandlungen am 4. November 1988 aus meiner Sicht der bayerische Finanzminister, der versprach:
Wir setzen das Geld zielgerecht dort ein, wo es gebraucht wird und auch etwas bewirkt, d. h. vor allem im Grenzland und in den übrigen strukturschwachen Regionen mit besonderem Gewicht auf kommunalen Investitionen.
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- Ja, Herr Kollege Hinsken, das ist der richtige Weg. Zunächst geht es also um die Länder, die nach dem objektiven Verteilungsschlüssel Berücksichtigung finden können. Daß es über diesen Schlüssel unterschiedliche Auffassungen gibt, ist ganz normal. Aber man hat sich jetzt zu einem Schlüssel durchgerungen, der auf Grund der zurückliegenden Daten der Jahre 1985 bis 1987 richtig ist. Jetzt wird man innerhalb dieser Länder natürlich einen Ausgleich finden müssen. Die Selbstachtung gebietet es jeder Landesregierung, daß sie die Mittel nicht in prosperierenden Ballungszentren draufsattelt, sondern daß sie die Mittel in Problembereiche gibt; das Grenzland zur DDR und zur CSSR gehört dazu. Deshalb kann ich nur sagen: Bayern kann diese Mittel gut gebrauchen.
Ich gehe noch auf den Inhalt des Gesetzes ein; denn praktisch alle diese geplanten Förderungsmaßnahmen passen auf unser Gebiet: Die Erschließung von Industrie- und Gewerbeflächen, die Verkehrsinfrastruktur, die Energie- und Wasserversorgung, der Fremdenverkehr, die Förderung der beruflichen Aus-und Weiterbildung sowie von Forschung und Technologie gehören ebenso dazu wie städtebauliche Maßnahmen. Aus bayerischer Sicht mit unserer großartigen ländlichen und kleinstädtischen Struktur müßte auch der Gedanke der Dorferneuerung - zumindest als städtebauliche Dorferneuerung - weiter verfolgt werden. All diese Maßnahmen dienen nämlich dem Strukturwandel, der - wie es auch in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt - „ein wichtiges Element und die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum in der Bundesrepublik" ist.
Meine Damen und Herren, ich denke zurück an einen langjährigen Streit zur Erschließung von Regionen: Da ging es um den Bau von Autobahnen. Es war in früheren Jahren immer üblich, nur davon zu reden, Autobahnen könnten nur gebaut werden, wenn sie die entsprechende Nachfrage hätten. Dadurch sind viele Regionen in unserem Bundesgebiet zu lange zurückgeblieben, sind zu lange im Dauerschlaf geblieben. Der Erschließungseffekt ist zu wenig gesehen worden. Wir brauchen also bei diesem Gesetzentwurf auch diesen Erschließungseffekt, und zwar in all diesen Maßnahmen; dann ist es auf dem richtigen Weg.
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Jede Region, die keine richtige verkehrsmäßige Anbindung hat, die ohne ausgewiesene Industriegebiete ist, die ohne eine preiswerte Energieversorgung und ohne den Einsatz von moderner Technologie leben muß, ist eine Region ohne Zukunft. Gerade deshalb trifft der vorliegende Gesetzentwurf den Kern einer gesunden Strukturentwicklung.
Darüber hinaus - davon ist heute schon die Rede gewesen und auch gestern im Haushaltsausschuß, Kollege Weng hat vorhin darauf hingewiesen - gibt es zusätzliche Einsatzmöglichkeiten für den Gesetzentwurf z. B. im Umweltschutzbereich: Die grenzüberschreitenden Gewässer, die Nord- und die Ostsee, die Kläranlagen, die Abfallbeseitigung, alle diese Gebiete werden Betätigungsfelder bieten. Der Phantasie werden in unseren Ausschußberatungen also keine Grenzen gesteckt sein; natürlich ist die finanzielle Machbarkeit zu bedenken.
Ich hoffe, daß nach dem etwas verunglückten Start des einen Bundeslandes, dann der sieben, dann des Streites zwischen der Länderkammer und dem Bundestag jetzt die Beratungen innerhalb des Bundestages in den Ausschüssen, die in den kommenden Wochen stattfinden werden, auf den richtigen Weg kommen und daß wir gemeinsam mit diesem Gesetzentwurf zur Stärkung der Wirtschaftskraft in strukturschwachen Regionen dazu beitragen, daß im Laufe der nächsten zehn Jahre der Weg in das nächste Jahrtausend beschritten wird, indem unsere Bundesrepublik Deutschland nicht bloß insgesamt als ein prosperierendes Land, sondern auch in den bisher benachteiligten Regionen gestärkt wird und damit auch Attraktivität für die gesamten Menschen in unserem Land hat.
({7})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Diese Vorlagen sollten außerdem zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Weiter sollen die Gesetzentwürfe zu den Tagesordnungspunkten 14a und 14b zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie der Gesetzentwurf zu Tagesordnungspunkt 14 c zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Zur Tagesordnung möchte ich Ihnen noch mitteilen: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1989, Drucksache 11/2965, sowie um die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Meldungen in der Mineralölwirtschaft,
Vizepräsident Frau Renger
Drucksache 11/2043, erweitert werden. Diese Zusatzpunkte sollen am Ende der Tagesordnung ohne Debatte aufgerufen werden. - Danke schön.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 7 auf: Aktuelle Stunde
Jüngste Äußerungen von Politikern der CDU und SPD zur Wochenarbeitszeit
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung
({0})
- bitte etwas leiser - eine Aktuelle Stunde zu dem oben genannten Thema beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Arbeitsminister Blüm, aber auch Oskar Lafontaine sind für die Ausweitung von Wochenendarbeit. Wir sind es mittlerweise gewöhnt, daß insbesondere Norbert Blüm sein Anliegen mit flotten, ablenkenden Begriffen vorträgt, die es mancher Bürgerin und manchem Bürger erschweren, das zu erkennen, was dahinterliegt.
({0})
Ich will versuchen, in fünf Minuten Argumente dagegenzusetzen.
Herr Blüm bietet drei Kröten und ein Bonbon an. Die erste Kröte: Die Arbeitnehmer sollen den Samstag als Regelarbeitstag in Betrieben und Läden akzeptieren.
({1})
Die zweite Kröte: Der Arbeitstag soll auf neun Stunden ausgedehnt werden.
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Die dritte Kröte - nachzulesen in dem von Herrn Blüm eingebrachten neuen Arbeitszeitgesetz - : die Möglichkeit der Erweiterung von Sonntagsarbeit gegenüber der bisherigen Gesetzgebung.
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Das Bonbon ist die Vier-Tage-Woche.
Sehen wir uns das näher an: Herr Blüm sagt, wir müssen flexibler werden, in Wahrheit schlägt er, wie bei BMW und IBM z. B. praktiziert, starre Blöcke von Arbeitszeit und auch der Freizeit vor, die am Wochenende und mitten in die Woche plaziert sind, nach der Regel: zweimal samstags arbeiten und einmal frei.
({4})
Die durch Arbeitszeit gewonnene freie Zeit und durch den Neun-Stunden-Tag angesammelte Zeit ist der Selbstbestimmung der Kolleginnen und Kollegen entzogen. Die Verfügung über eigene Bedürfnisse und Gestaltung kann nicht von seiten der Kollegen vorgetragen oder wahrgenommen werden, die Zeit muß
genommen werden, wie es die Maschinen erfordern. Auch Lafontaine sollte sich das hinter die Ohren schreiben und sich das mal vor Ort ansehen.
({5})
Weiter sagt Herr Blüm: Wir gewinnen Lebensqualität. Frauen und Männer sind bei neun Stunden Arbeit am Tag - hinzukommen in der Regel ein bis zwei Stunden Wegezeit ({6})
noch weniger in der Lage, ihre individuellen Bedürfnisse, z. B. der Kindererziehung, der Weiterbildung, der Teilnahme am öffentlichen Leben, in einer berechenbaren und kontinuierlichen Weise wahrzunehmen.
({7})
Dagegen sind wir GRÜNE für eine Arbeitszeitgestaltung, die es z. B. Kindererziehenden ermöglicht, Männern und Frauen, abwechselnd z. B. morgens um acht Uhr mit der Arbeit anzufangen, um zusammen mit den Kindern den Tag zu beginnen, die Kinder zu versorgen. Das ist flexible Arbeitszeit, das ist Erhöhung der Lebensqualität und nicht das, was Herr Blüm vorschlägt.
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Herr Blüm sagt: Wir müssen die Arbeitszeit und die Nutzungszeit der Maschinen entkoppeln. Ich will Ihnen sagen: Die Bundesrepublik liegt in der Entkoppelung an der Spitze in Europa.
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Die Bundesrepublik hat eine Nutzungszeit der Maschinen von 61 Stunden im verarbeitenden Gewerbe, in der metallerzeugenden Industrie von 79 Stunden, im Textilbereich von 81 Stunden. In der Nachtschichtarbeit und Schichtarbeit allgemein liegen wir höher, als es der Situation in Frankreich und den USA entspricht.
({10})
Herr Blüm sagt: Wir müssen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die Binsenwahrheit ist aber, daß eine zeitlich verlängerte Nutzung der Maschinenzeit in einem Betrieb mit zusätzlichen Arbeitsplätzen bei gleichbleibender oder sogar geringfügig steigender Produktion in anderen Standorten zum Abbau oder zur Stillegung von Produktion führt. Herr Blüm schafft Fakten, und er versucht, dies hinzukriegen. Er weiß genau, daß die 35-Stunden-Woche kommen wird,
({11})
und mit seinem Vorschlag versucht er, heute schon Fakten zu setzen, die die Leute in feste, starre Blöcke von Arbeitszeit, von Freizeit einzwängen, um damit die Möglichkeiten, die die einzelnen haben, zu untergraben. Gegen so eine flexibilisierte Rund-um-dieUhr-Gesellschaft, in der die Menschen kaum noch über gemeinsame Zeit verfügen, wehren sich die
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 107. Sitzung. Bonn, Freitag, don 11. November 1988 7381
Leute in den Betrieben. Gehen Sie und Herr Lafontaine doch zu BMW und IBM, und sehen Sie sich an, daß den Leuten dort diese Neun-Stunden-Zeit nur mit dem Argument aufgezwungen wird, daß sonst verlagert wird, und sie so nur mit erpresserischen Argumenten in diese Situation gebracht werden!
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Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des Kollegen Hoss - ich kann es nicht anders bezeichnen - ist eigentlich ein superkonservativer.
({0})
Sie und einige Gewerkschaften wollen am liebsten alles beim alten lassen, den Status quo möglichst festfahren.
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- Ich komme darauf, Kollege Hoss, seien Sie beruhigt.
Dabei wird so getan, als lebten wir auf einer Insel der Seligen, als seien wir nicht von den Veränderungen auf dem Weltmarkt, auf dem wir unsere Produkte zu verkaufen haben, abhängig. Wir müssen einfach mit dem Faktum leben, daß es die Konkurrenz aus dem Ausland gibt, wo am Wochenende auch gearbeitet wird. Der Tarifexperte der IG Chemie, Horst Mettke, hat zu Recht darauf hingewiesen: Auch 10 km vor dem Vatikan wird sogar sonntags gearbeitet, und wenn ich mich richtig erinnere, wird auch im Vatikan sonntags gearbeitet.
({2})
Wichtig ist auch seine Feststellung, daß die Gewerkschaften nicht die Augen vor der technologischen Entwicklung in den Betrieben verschließen dürften und daß, wenn der tarifliche Vorsprung der Bundesrepublik gegenüber den Nachbarstaaten gehalten werden soll, darüber geredet werden müsse, wo die Gewerkschaften bei Wochenendarbeit an Ecken, wo es Sinn macht, nachgeben können. Es ist zwar überraschend, wenn die Blumschen Vorschläge einerseits von der SPD als völlig unausgegoren bezeichnet werden und andererseits Oskar Lafontaine erklärt, er habe das gleiche Modell als Beleg für seine Thesen angeführt. Auch der von mir geschätzte Professor Farthmann hat gestern abend in Hagen in einer Podiumsdiskussion eine ähnliche Position eingenommen.
Nun sage ich nicht, daß diese Meinungsvielfalt etwas Schlechtes ist, sondern ich glaube, daß dieser Meinungsbildungsprozeß, der in einer Partei oder gesellschaftlichen Gruppe stattfindet, etwas Positives ist. Insoweit hat Streit auch etwas Positives,
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insbesondere wenn es zu einem positiven Ergebnis kommt.
Sicher ist richtig an dieser Überlegung, daß die Maschinenlaufzeiten und individuelle Arbeitszeit stärker entkoppelt werden müssen. Mehr Flexibilität ist in allen Bereichen der Wirtschaft notwendig. Wenn ich dennoch diesem Modell, Norbert Blüm, nur bedingt zustimmen mag, gibt es dafür zwei Gründe: Kolleginnen und Kollegen, wir sind Weltmeister in der Arbeitszeitverkürzung. Wir arbeiten viel weniger als alle anderen. Ein japanischer Entwicklungsingenieur arbeitet bis zum Jahre 2000 dreieinhalb Jahre länger als ein deutscher. Das soll uns guttun, so meinen einige.
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- Hochverehrter Herr Kollege Scharrenbroich, die Lohnstückkosten bei uns sind etwas niedriger, weil unsere Ingenieure bis jetzt länger gearbeitet haben.
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Damit das aber so bleiben kann, müssen sie weiter arbeiten können, und diese Möglichkeit darf ihnen nicht genommen werden.
Das vorgeschlagene Modell mag ja in einigen Großunternehmen, die in Schichtbetrieb produzieren, vertretbar sein, für Handwerksbetriebe, kleine und mittelständische Unternehmer, die nicht mehrere Schichten fahren, ist es meiner Auffassung nach nicht akzeptabel. Hier haben wir das Problem, daß es uns an qualifizierten Kräften fehlt. Wir möchten gerne mehr qualifizierte Leute einstellen, sie fehlen uns.
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Deswegen ist es für diesen Bereich sicher nicht richtig, ein solches Modell einzuführen. Es würde auch dem Sinn flexibler Regelungen widersprechen, alles über einen Kamm zu scheren, Kollege Hoss. Flexibilität lebt davon, daß unterschiedliche, den Interessen der Belegschaft und des Unternehmens angepaßte Lösungen gefunden werden.
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Angebliche Patentrezepte helfen nicht. Deswegen möchte ich mit der Bitte schließen, die eigentlich den „grünen" Kollegen passen müßte, mit dem Motto: Laßt viele Blumen blühen, aber steckt bitte die Blumen nicht in Zwangsjacken, wie einige das offensichtlich wollen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar für die Gelegenheit, die Auffassungen unserer Fraktion zu diesem Thema vortragen zu können.
Wir haben auf dem Münsteraner Parteitag beschlossen, daß bei fortlaufenden Verkürzungen insbesondere der wöchentlichen Arbeitszeit eine Entkoppelung der betrieblichen Laufzeiten, der Maschinenlaufzeiten und der individuellen Arbeitszeit unver7382
meidlich ist. Der Streit geht nicht um das Ob der Entkoppelung, der Streit geht um das Wie der Entkoppelung. Die Kernfrage ist: Wer steht im Mittelpunkt, der Mensch oder die Maschine?
Wir haben bereits heute in hohem Maße flexible Regelungen zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Ergebnis der Deregulierungspolitik der Bundesregierung. Nach Untersuchungen des nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums hatten im Jahre 1987 nur 27 % der bundesdeutschen Arbeitnehmerschaft ein sogenanntes Normalarbeitsverhältnis, d. h. regelmäßige Wochenarbeitszeit, keine Wochenendarbeitszeit bei täglich nicht variierter Arbeitszeit. Das heißt, wir haben schon gegenwärtig in hohem Maße deregulierte Arbeit zu Lasten und auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Sozialdemokraten lehnen die Einbeziehung des Sonntags und die verstärkte Einbeziehung des Wochenendes in die Erwerbsarbeit insgesamt kategorisch ab.
({0})
Wer in Sonntagsreden die kinderfreundliche Gesellschaft bemüht und am anderen Tag für sonntägliche Erwerbsarbeit plädiert, stellt seine eigenen Ansprüche brutal auf den Kopf.
({1})
Diejenigen, die die wirklichen Kosten verstärkter Wochenendarbeit zahlen, sind die Kinder unserer Gesellschaft, unsere Kinder.
({2})
Der große Freizeitblock Wochenende ist für die allermeisten Menschen die einzige, jedenfalls die vorrangige Gelegenheit, sich zu begegnen und zu treffen, im Verwandten-, im Bekannten- und im Freundeskreis.
({3})
Wer das freie Wochenende aus rein ökonomischen Zweckerwägungen preiszugeben bereit ist, führt diese Gesellschaft in zunehmende Kontaktarmut und wachsende Isolation ihrer Bürgerinnen und Bürger.
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- Ich weiß nicht, warum Konservative dies lächerlich finden können, wenn sie die Denkschriften der katholischen und evangelischen Bischöfe zur Sonntagsarbeit nachlesen. Ich weiß nicht, warum Sie hier so lärmen, so lachen und so feixen können.
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- Ja, dann geht der Vater mit den Kindern zum Fußballspiel. Auch das Vereinsleben findet überwiegend am Wochenende statt. Auch da legen Sie die Axt an die Wurzeln. Für das Stichwort bin ich dankbar.
Ich will zu einer anderen These eine Bemerkung machen. Es wird gelegentlich argumentiert, die Einbeziehung des Wochenendes in die Erwerbsarbeitszeit würde zu positiven Beschäftigungseffekten führen.
({6})
Diese Argumentation ist im Regelfall absurd. Das Gegenteil ist der Fall: Die Beschäftigungseffekte, die über Arbeitszeitverkürzungen erreicht werden, werden durch die komplette Einbeziehung des Wochenendes konterkariert.
Steinkühler hat auf dem SPD-Bundesparteitag ein einleuchtendes Beispiel gebracht. Wenn die Ford-Werke in Europa mit ihren fünf Standorten das komplette Wochenende in die Wochenarbeitszeit einbeziehen, führt dies bei gleichbleibendem Produktionsvolumen im Ergebnis zur kompletten Schließung eines Standortes, beispielsweise in Köln oder in Saarlouis. Das heißt, bei einer Konzentration auf die kostengünstigen, die kapitalintensiven Betriebe führt zumindest die Einbeziehung des Wochenendes in die Erwerbsarbeitszeit zu einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit und nicht zu gegenteiligen, entlastenden Effekten.
({7})
Die Sozialdemokraten respektieren den wachsenden Wunsch vieler Menschen nach einer größeren Zeitautonomie.
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Wir haben in der Programmkommission der SPD einstimmig beschlossen, daß als perspektivisches Ziel, als Wunsch, als unser Zeithorizont bis zum Jahr 2000 die 30-Stunden-Woche bei einer täglichen Regelarbeitszeit von sechs Stunden erreicht werden soll. Dies würde vielen Menschen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Dies würde vielen Menschen die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und notwendiger Arbeit außerhalb des Erwerbslebens in der Familie, im Hause, bei der Kindererziehung erleichtern.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit; für den Lärm müssen Sie sich selbst bedanken.
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Meine Damen und Herren, die Redner können bei einer Redezeit von fünf Minuten nicht auf die Zwischenrufe antworten. Ich bitte deswegen, sich etwas zu zügeln.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Arbeitszeiten werden vielfältiger. Ich bin ganz sicher, die Einheitsmuster „alles nach gleichem Muster" verlieren an Zugkraft, verlieren auch an Attraktivität. Deshalb: Flexibilisierung ist ein Gebot der Stunde. Die Zustimmung ist ja auch allgemein da, nur wenn es ins konkrete Detail geht, dann nimmt die Begeisterung meistens ab. Deshalb muß die Diskussion jetzt
aus der Höhe von Allgemeinplätzen auf diskutable Modelle heruntergeholt werden. Nichts anderes habe ich gemacht.
({0})
Noch etwas sage ich. Wenn die Menschen kürzer arbeiten wollen, dann werden die Maschinen länger laufen müssen. Da muß man sich entscheiden. Wenn kürzer gearbeitet werden soll, dann können die Maschinen nicht mitmachen, dann müssen die Maschinen länger laufen.
({1})
Deshalb glaube ich, viermal neun Stunden auf die Woche verteilt ist eine Möglichkeit, Arbeiten zu verkürzen und dennoch die Kosten nicht hochzutreiben. Daß es geht, beweist doch BMW in Regensburg: 900 neue Arbeitnehmer wurden eingestellt.
Ich glaube, die ganze Arbeitszeitverkürzung mit der Knapserei, eine halbe Stunde hier und eine Viertelstunde da, führt zu nichts anderem, als daß ein bißchen schneller gearbeitet werden muß, aber eine Veränderung geht davon nicht aus.
({2})
Ich will noch einmal festhalten: Die Regierung setzt nicht die Arbeitszeiten fest; insofern sind die Tarifpartner gefordert.
Auch den Vorschlag, den ich gemacht habe, habe ich nie als Patentrezept angeboten. Patentrezepte gibt es nämlich nicht mehr. Ich weiß auch, daß mein Vorschlag nicht überall paßt. Dann realisiert ihn aber wenigstens dort, wo es geht! Die Lösungen „entweder für alle oder für niemanden" sind doch einfallslos, die sind doch borniert. Was wir brauchen, was der Gesetzgeber machen muß, ist eine neue Arbeitszeitordnung.
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Ich will noch einmal sagen: Längere Maschinenlaufzeiten fangen Kosten auf. Die Kosten, die da gespart werden, stehen doch für Einkommensverteilung zur Verfügung, die stehen für andere Arbeitszeiten zur Verfügung; ich will doch nichts verschenken. Daß Maschinenlaufzeiten und Kapitalausstattung heute wichtiger werden als vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren, können Sie daran sehen: Ein Arbeitsplatz hat 1960 im Durchschnitt 45 000 DM gekostet; heute kostet er im Durchschnitt 160 000 DM. Wer Kosten sparen will, muß also die Maschinen ausnutzen. Glaubt denn jemand, die könnten drei Tage rosten, wir könnten uns diesen Luxus leisten?
Nun gebe ich zu, daß in dem Vorschlag zwei Seiten enthalten sind. Zunächst einmal betrifft er die Arbeiter, weil sie nur vier Tage arbeiten und drei Tage frei haben sollen. Das ist doch ein Vorteil - oder ist es kein Vorteil, Herr Kollege Hoss? Sind drei Tage frei mehr als zwei Tage frei? Die Antwort gibt die Mathematik. Sie brauchen nur bis fünf zu zählen.
Zweitens. Längere Maschinenlaufzeiten sind ein Vorteil auch für die Unternehmer. Nun behaupte ich: Es gibt keinen sozialen Fortschritt nach der Rosinentheorie: Jeder sucht sich nur den Teil aus, der ihm in den Kram paßt. Ich glaube, wir brauchen hier Übereinstimmung.
Noch etwas, wenn der Samstag so hoch gehalten wird. Ich behaupte nicht, daß an jedem Samstag gearbeitet werden muß; es werden doch noch viele Samstage frei bleiben. Der Samstag war für mich noch nie heilig.
({4})
„Mir ist lieber, der Papi gehört samstags der Firma, als montags bis freitags Herrn Stingl".
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Das hat Franz Steinkühler gesagt, und zwar am 24. März 1984 im Hessischen Rundfunk. Ich schließe mich nur meinem Vorsitzenden an und unterstütze ihn in dieser Einsicht; das ist alles.
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Noch etwas, Herr Kollege Schreiner: Welchen Buhmann bauen Sie denn wieder auf? Ich proklamiere doch nicht die Sonntagsarbeit. Ich möchte, daß der Sonntag aus der Flexibilisierung herausgehalten wird.
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Nie habe ich in diese Flexibilisierung die Sonntagsarbeit einbringen wollen; erstens aus religiösen Gründen. Aber wer diesen Standpunkt nicht teilt: Es gibt auch kulturelle Gründe. Daß der siebte Tag frei ist, ist nicht nur eine biblische Botschaft; das ist die Erfahrung vieler Kulturen. Daß die Welt nicht einen Tag wie den anderen hat, daß wir nicht im grauen Einerlei versinken, daß ein Tag sich verändert und sich von anderen unterscheidet, ich glaube, das hat etwas mit dem seelischen Haushalt einer Gesellschaft zu tun. Deshalb darf der Sonntag nicht wirtschaftlichen Gesichtspunkten geopfert werden. Dabei ist doch niemand so borniert, daß er nicht sagt, daß es auch Notwendigkeiten für Sonntagsarbeit gibt; etwa im Krankenhaus, bei der Feuerwehr - oder wollen Sie die Feuerwehr sonntags abstellen? - , bei der Polizei, in der Gastwirtschaft - viele von uns gehen auch sonntags in die Gastwirtschaft - ist Sonntagsarbeit notwendig. Aber ich bleibe dabei: Der Sonntag sollte aus der Flexibilisierung herausgehalten werden, weil Flexibilisierung sonst nichts anderes als ein grauer Zeitbrei wäre. So wie das Jahr Feste braucht - Weihnachten, Ostern, Pfingsten - , so braucht auch die Woche Gliederung und Gesicht. Deshalb verteidige ich den Sonntag.
Was, Herr Kollege Hoss, den Vorschlag anbelangt, wiederum nicht als Patentrezept:
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Geben Sie doch zu: Wenn jemand viermal neun Stunden arbeitet, verändert sich das Verhältnis von Fahrzeit zu Arbeitszeit. Wenn er sechs Tage zur Arbeit fahren muß, verbringt er doch mehr Zeit auf den Straßen, verstopft die Straßen mehr und belastet die Umwelt mehr. Ich weiß gar nicht, wieso ein GRÜNER
ausgerechnet gegen den Vorschlag sein kann, mit dem unsere Infrastruktur entlastet wird.
Ist es denn vernünftig, daß samstags und sonntags alle Schwimmbäder überfüllt sind, daß sie aber montags, dienstags und mittwochs leerstehen? Könnten wir nicht durch eine neue Zeitordnung auch die Raumordnung entlasten? Benutzen oder belasten wir nicht die Infrastruktur geradezu gezeitenhaft?
Mir fällt bei der Arbeitszeit noch viel mehr ein, z. B. in bezug auf Teilzeitarbeit. Wir sind, was Teilzeit anbelangt, das rückständigste Land unter allen Industrienationen.
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In Schweden - das ist doch das sozialdemokratische Musterland - gibt es dreimal so viel Teilzeit.
Wir können die Teilzeit mit Humanisierung verbinden. Ist es denn vernünftig, daß die Menschen bis zum letzten Tag ihrer Erwerbsphase volle Pulle arbeiten und am nächsten Tag Null? Kann Teilzeit nicht mit Altersteilzeit, wie wir es jetzt vorschlagen, und mit Teilrente verbunden werden, damit der Übergang sachter ist? Wollen wir denn nicht auch den Versuch unternehmen, Familienleben und Arbeitszeit stärker miteinander zu kombinieren und auch den Arbeits-und Lebensrhythmus wieder miteinander zu versöhnen?
Heute nimmt die Arbeitszeit am Maschinentag Maß. Du wirst angeknipst; du wirst abgestellt. Warum nicht teilweise in die Arbeitswelt hinein und teilweise wieder heraus, auch im Lebensphasenwechsel?
Ich stelle mir jedenfalls eine viel buntere und eine viel vielfältigere Welt vor, als es der Einfallslosigkeit - mit Verlaub gesagt, Herr Hoss - Ihres Beitrags entspricht.
Wenn Sie sich nun als Vertreter der Arbeitnehmerwünsche hierhinstellen: Ja, was ist denn? Der 8-Stunden-Tag war eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Aber bei den heutigen Arbeitszeiten gehen die Arbeitnehmer damit lockerer um. Ich kenne viele Gleitzeitmodelle, von den Arbeitnehmern gewünscht, in denen man an einem Tag länger arbeitet, um am Freitag früher Schluß machen zu können. Wollen Sie das ablehnen? Sind Sie der Oberlehrer der Arbeitnehmer?
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Bestimmen Sie die Wünsche der Arbeitnehmer? Ich will Ihnen sagen: Diese sind alt genug; diese wissen am besten, was für sie gut ist.
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Auch der Dienstleistungsabend gehört in eine Welt, die ihre Zeitkontingente besser verteilt. Die Sturheit, in der wir 200 Jahre trainiert sind, ist jetzt an das Ende gekommen. Vielleicht war sie in der ersten Phase der Industrialisierung mit Dampfmaschine und Fließband unumgänglich. Aber die neue Technologie läßt doch Individualisierungen zu. Ich frage Sie: Ist das Fortschritt, oder ist das kein Fortschritt? Für mich ist Vielfalt Fortschritt.
Vielleicht brauchen wir Jahresarbeitszeiten und Arbeitszeiten nach Maß. Das werden die großen Tarifabschlüsse nicht schaffen. Wir werden sozusagen eine Kooperation zwischen Betriebs- und Tarifpartnern brauchen. Viel Umstellung wird uns abverlangt. Umstellung ist immer unbequem. Ich weiß auch, daß das Neue immer Widerstände hat. Meistens wird gesagt: Das geht nicht. Wenn man fragt, warum nicht: Weil es das nie gab. Da kann ich nur sagen: Das neue hat es so an sich, daß es es noch nie gab. Lebten die Techniker nach der Maxime „Das gab es noch nie", dann würden wir unsere Bundestagssitzung heute noch auf Fellen durchführen. Das Neue hat es immer so an sich, daß ihm keine Erfahrungen aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen.
Ich möchte auch mit meinem Beitrag nur dazu ermuntern, ein bißchen mehr Phantasie in dieses graue Einerlei einer kolonnenhaft organisierten Industriegesellschaft zu bringen, etwas mehr Phantasie. Und ein bißchen Mut brauchen wir dazu auch.
({12})
Meine Damen und Herren, da die Fraktionen jetzt Fraktionssitzungen beantragt haben, unterbreche ich die Sitzung. Ich kann nicht sagen, wann sie wieder beginnt. Gleichzeitig sage ich für die Mitglieder des Ältestenrates: Die Sitzung des Ältestenrates beginnt um 12 Uhr.
Ich unterbreche die Sitzung. ({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte die unterbrochene Sitzung fortsetzen und bitte die Schriftführer, mir zu assistieren. - Durch die Unterbrechung dauert natürlich die Aktuelle Stunde länger als gewöhlich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Mit noch so blümeligen Worten kann das Problem sozialpolitisch nicht richtig erklärt werden.
({0})
Wer die Wochenendarbeit und die Tagesarbeit ausweiten will, fördert den sozialpolitischen Rückschritt. Mein Vater hat als Metallarbeiter zu Beginn dieses Jahrhunderts mit seinen Kollegen für den Achtstundentag gekämpft, weil sie wußten, daß dies ihrer Gesundheit und auch dem Menschsein außerhalb der Arbeitszeit nützt. Soll das heute nicht mehr gelten? Geht es nur noch um die Arbeitskraft als Ware? Was stimmt eigentlich noch an der Aussage „Im Mittelpunkt allen Geschehens steht der Mensch"? Ich habe den Eindruck, unter dem Deckmantel der Flexibilisierung soll das Risiko von den Arbeitgebern auf die Arbeitnehmer verlagert werden.
({1})
Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit und die Verlagerung auf das Wochenende sind frauenund familienfeindlich. Die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie ist nur durch eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit für Männer und Frauen zu erreichen. Wer es anders will, verdrängt die Frauen aus der Erwerbsarbeit.
({2})
Neun Stunden am Tag, samstags Arbeit, möglichst auch sonntags, am liebsten wohl unbegrenzte Verfügbarkeit der Arbeitnehmer rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche, das alles ist ein Eingriff in das Privatleben
({3})
und bedeutet eine Einschränkung des Familienlebens. Kindergärten und die meisten Schulen sind samstags geschlossen, aber den Arbeitnehmern will man Wochenendarbeit schmackhaft machen, eine wahrhaft fortschrittliche Familienpolitik!
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Neun Stunden am Tag, Arbeit am Samstag und eventuell auch am Sonntag
({5})
- das kann man nicht oft genug sagen! - sind auch vereinsfeindlich. Wie ist das eigentlich mit der Förderung des Sports für alle zu vereinbaren? Die Möglichkeiten, sich sportlich aktiv zu betätigen oder an Sportoder Kulturveranstaltungen teilzunehmen,
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würden erheblich eingeschränkt. Das freie Wochenende und die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit werden der Technik und den längeren Maschinenlaufzeiten mit irreführenden blumenreichen Worten untergeordnet, statt daß solche Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die Männern und Frauen Beruf und Familie und damit Kindererziehung besser ermöglichen, als es bisher der Fall ist.
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Das wäre eine sozial- und familienpolitisch wirklich fortschrittliche Politik. Nicht neue Wortschöpfungen und unausgegorene Gedanken sind gefragt, sondern der wirkliche Ausbau des Arbeitsschutzes einschließlich der Arbeitszeitverkürzung für Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Arbeitnehmers als eines Menschen mit all seinen Bindungen in Familie und Gesellschaft.
Was für eine Politik ist das eigentlich? Der Vater muß statt bisher acht nun neun Stunden arbeiten.
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Die Mutter kann das mit den Familienpflichten nicht vereinbaren und muß daher die Erwerbstätigkeit aufgeben. So ist das. Vater: längerer Arbeitstag und Samstagsarbeit, Mutter: zurück von der Erwerbsarbeit in den Haushalt!
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Sollte hier gar ein Stück Arbeitsmarktpolitik dahinterstecken, um Frauen mit Kindern von der Erwerbsarbeit fernzuhalten?
Nein, Vereinbarkeit der Arbeitswelt mit der Familie ist gefragt, und das heißt: Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf sechs Stunden für Männer und Frauen; Kinder haben doch Mütter und Väter. Die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit würde auch den Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung verbessern.
({10})
Nicht eine Abkehr vom 8-Stunden-Tag und vom freien Wochenende ist gefragt, sondern eine Weiterentwicklung des Arbeitszeitrechtes für mehr Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Arbeitsleben und in der Familie. Nicht Lippenbekenntnisse, sondern Taten in sozialer, fortschrittlicher Politik sind gefragt.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist eine erstaunliche Debatte, die wir hier heute morgen führen, insbesondere vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, die wir in regelmäßigen Abständen hier miteinander beklagen und die wir für dringend änderungsbedürftig halten. Das einzig Aufregende an den hier zur Diskussion gestellten jüngsten Äußerungen von Politikern aus den verschiedensten Fraktionen zur Arbeitszeitfrage ist für mich die allgemeine Aufregung, die diese Äußerungen in großen Teilen der Öffentlichkeit erzeugt haben. Bemerkenswert ist im übrigen auch die Rollenverteilung, daß hier in einem Bereich, der ganz unzweifelhaft zum vorrangigen Aufgabenbereich der Tarifpartner gehört, durch die Politik die Bewegung zumindest erst einmal in die Diskussion und hoffentlich später auch in die Tarifverträge gebracht werden muß, die seit vielen Jahren dringend überfällig ist.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es macht doch keinen Sinn, und es ist ganz gewiß nicht ehrlich, wenn wir hier ständig die Änderung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt einfordern und gleichzeitig im konkreten erklären, es müsse aber alles so bleiben, wie es jetzt ist.
({0})
Meine Damen und Herren, die Wahrheit lautet: Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist, dann bleibt auch die Arbeitslosigkeit, wie sie jetzt ist. Deswegen sage ich ausdrücklich: Ich begrüße die jüngsten Äußerungen von Politikern aus den verschiedensten Fraktionen, die mit dem Ziel, hier Bewegung zunächst in die Köpfe und dann hoffentlich auf den Arbeitsmarkt zu bringen, sich mit neuen Vorschlägen und Vorstellungen zur Gestaltung des Arbeitsmarktes in den letzten Tagen und Wochen profiliert haben.
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Ich schließe da nicht nur den Arbeitsminister ein, der hier besonders liebevoll, aber, wie ich finde, keineswegs besonders überzeugend von der Opposition angenommen wird, sondern auch den einen oder an7386
deren auffälligen Vertreter der Opposition, der bisher in den Wortbeiträgen der sozialdemokratischen Kollegen nur nicht die richtige Würdigung erfahren hat. Ich hoffe, daß das im Verlauf der weiteren Debatte nachgeholt werden kann.
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Im übrigen würde ich mir wünschen, wenn ein Teil der Reden, die etwa auf dem Zukunftskongreß der IG Metall vor wenigen Tagen auch und gerade von prominenten Sozialdemokraten gehalten worden sind, wenigstens mit Spurenelementen in der heutigen Debatte bei den Einlassungen der sozialdemokratischen Kollegen wiederzufinden wären.
({3})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann kein ernsthafter Zweifel daran möglich sein, daß wir auf dem Arbeitsmarkt nicht an einem Mangel an Festlegungen leiden, sondern an einem Mangel an Flexibilität.
({4})
Es kann doch kein ernster Zweifel daran bestehen, daß die Tendenz, möglichst einheitliche zentrale Regelungen zu finden, die dann allenfalls mit marginalen Varianten auf der betrieblichen Ebene korrigiert werden können, der Weg in die Aufschüttung von Hürden für mehr Arbeitsplätze gewesen ist und daß deswegen, auch wenn es unbequem für alle Beteiligten ist, der Versuch, hier eine Kurskorrektur herbeizuführen, nur durch die Beseitigung dieser Hindernisse und Hürden wieder erfolgen kann.
Ich sage für mich ganz persönlich dazu, daß ich die Diskussion beispielsweise um den Dienstleistungsabend nicht deswegen kritisieren würde, weil hier überhaupt an einen Besitzstand wieder herangegangen wird, sondern weil ich persönlich dies zu kraftlos, zu zögerlich und zu mutlos finde, gemessen an den Aufgaben, die wir tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt hier miteinander erledigen müssen.
Wir brauchen dringend bei der künftigen Gestaltung der Tarifpolitik, die wir den Partnern nicht abnehmen wollen und nicht abnehmen können, ein höheres Maß an Phantasie, an Kreativität und an geistiger und organisatorischer Beweglichkeit, als das in den letzten Jahren beobachtet werden konnte.
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Wir brauchen, lieber Kollege Schreiner, intelligentere Verknüpfungen zwischen Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, Weiterbildungskonzeptionen und Kapitalbeteiligung am eigenen Unternehmen,
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und zwar nicht im Sinne von plumpen Alternativen, entweder das eine oder das andere, sondern im Sinne von intelligenten Kombinationen.
Die hier kritisierten Äußerungen von Politikern haben bei den Tarifpartnern offensichtlich - jedenfalls die eine oder andere Äußerung - Empörung hervorgerufen. Im übrigen finde ich es auch intellektuell nicht besonders überzeugend, daß sich die Arbeitgeberverbände dafür bedanken, daß hier ein höheres Maß an Flexibilität auch von seiten der Politik vorgeschlagen werde, sich aber gleichzeitig bitter darüber beklagen, daß hier gleichzeitig die Möglichkeit von Arbeitszeitverkürzung politisch eingeräumt werde,
({7})
während umgekehrt die Gewerkschaften sagen, man begrüße nachdrücklich die Bereitschaft der Politik, Arbeitszeitverkürzung zu flankieren, aber es sei unglaublich, daß dabei auch das Wochenende in die Betrachtung mit einbezogen werden könnte.
Wenn, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, diese Art von Äußerung und die sich daran anknüpfende Empörung bei den Tarifpartnern den Ehrgeiz erzeugt haben sollte, mit überzeugenderen Lösungen zur Gestaltung der Tarifpolitik in Zukunft aufzuwarten, dann hätten sie voll und ganz ihren Sinn erfüllt.
({8})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Herr Dr. Lammert, es ist nicht so, daß es jetzt zum erstenmal Aufregung geben würde, sondern die 35-Stunden-Woche hat sehr wohl Aufregung mit sich gebracht, und es ist nicht so, daß es bisher keine Diskussion um die Umverteilung von Arbeit oder um ihre Andersgestaltung gegeben hätte. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche ist eine Antwort auf die Arbeitslosigkeit gewesen, und die Idee, die dahintersteckte, war Umverteilung der Arbeit auf die, die erwerbstätig sein wollen, die die Arbeit brauchen.
Jetzt noch etwas zu diesem Acht- oder Neun-Stunden-Tag, zu der Vier-Tage-Woche, zu dieser Phantasie, die Herr Blüm uns anbietet. Es ist die Phantasie von Männern, Herr Blüm,
({0})
die eben ausklammern, daß man Kinder nicht in den Rauchfang hängen kann. Wenn der Arbeitstag an vier Tagen der Woche neun Stunden ausmacht, so ist man - plus Wegezeit - elf Stunden von zuhause weg.
({1})
Es ist ein Unterschied, ob ich die Kinder sieben oder elf Stunden irgendwo unterbringen muß. Das müssen Sie in Ihre Überlegungen mit einbeziehen. Das heißt nichts anderes, als daß dieser Neun- bzw. Elf-Stunden-Tag an den Normalarbeitstag anknüpft, der für den Mann konzipiert ist, der eine Hausfrau hinter sich hat, die ihm das Kreuz freihält und die Oma und die Kinder versorgt. Wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß Erwerbstätigkeit inzwischen auch etwas ist, was das Leben von Frauen bestimmt, dann können Sie weiter solchen Phantasien nachhängen. Sonst drängen Sie die Frauen allerdings wieder in die Rolle derFrau Beck-Oberdorf
jenigen ab, die Lückenbüßerinnen sind. Die dürfen dann noch einen Putzfrauenjob annehmen, für die drei bis vier Stunden, in denen es geht, während die Kinder in der Schule sind, und sie sind weiterhin diejenigen, die rentenrechtlich und sozialrechtlich ins Leere gucken, in die Röhre gucken, wenn sie dann mit 65 Jahren sehen, welche Rentenansprüche sie akkumuliert haben, weil sie mit diesen Modellen keine gleichberechtigte Rolle auf dem Erwerbsarbeitsmarkt bekommen können, von Alleinerziehenden ganz zu schweigen, denn da ist überhaupt niemand zuhause, der irgendwo in die Bresche springen könnte, und das ist eine erkleckliche Anzahl von Frauen in dieser Gesellschaft. Ich sage noch einmal: Diese Phantasien, die auf Verlängerung des täglichen Arbeitstages hinausgehen, können nur Männerköpfen entspringen. Sie haben mit der Lebensrealität von Frauen nichts zu tun und lassen sich mit ihr nicht vereinbaren.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Viel Lärm um nichts. Diese Feststellung kann man leider wie so häufig bei den von GRÜNEN beantragten Aktuellen Stunden auch heute wieder treffen. Künstliche Aufgeregtheit, wenn es ein Bundesminister einmal wagt, die wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit neuer Wege in der Arbeitszeitpolitik zu betonen. Sicherlich geht er damit auch ein Risiko ein, das Risiko anfechtbarer Vereinfachungen, vielleicht aber auch - an die GRÜNEN gerichtet - hämischer Schadenfreude über den offenkundigen Zwiespalt, der zwischen Betonköpfen und Querdenkern in SPD und DGB unvermeidlich auftritt.
({0})
- Ich halte Sie ja für einen Querdenker, nicht für einen Betonkopf, Herr Kollege Dreßler. Das Kompliment möchte ich Ihnen doch machen.
({1})
Für die Pose des Anwalts von Arbeitnehmerinteressen gibt diese Parteitaktik der GRÜNEN nicht viel her.
- „Querkopf", Herr Kollege Feilcke, paßt auch nicht schlecht.
Meine Damen und Herren, am Vorabend der Vollendung des europäischen Binnenmarktes sollte es längst eine Binsenweisheit sein, daß endlich ernstzumachen ist mit einer flexibleren Gestaltung der Arbeitszeiten. Im Wettbewerb kann unsere Industrie wirklich nur bestehen, wenn sie bei den Maschinenlaufzeiten wie auch bei den Arbeitskosten mit der Konkurrenz mithält. Wer die Augen gegenüber dieser Entwicklung verschließt, wie sie nicht nur in Fernost, sondern ebenso bei unseren Nachbarn stattfindet, der schlägt freilich nicht nur die Interessen der Unternehmer und der Arbeitnehmer in den Wind, er beweist auch zugleich mangelndes Verständnis für die Arbeitsuchenden.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine unheilige Allianz mit einer rückwärts gewandten und stockkonservativen Sozialromantik, die sich in dieser Frage zwischen grün und rot auf dem Rücken der Arbeitslosen bildet.
({2})
Da scheut man nicht einmal, das abgedroschene und natürlich völlig haltlose Gespenst an die Wand zu malen, die arbeitenden Menschen sollten um ihr wohlverdientes Wochenende gebracht werden. Wie töricht,
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wie sehr neben der Sache, wie billig, Herr Kollege Dreßler.
Meine Damen und Herren, für uns Liberale ist die Forderung einer flexiblen Reaktion auf die Anforderungen des wirtschaftlichen Strukturwandels und die Herausforderung des Weltmarkts wirklich nichts Neues und erst recht nichts Anstößiges. Zur Überwindung der Arbeitslosigkeit - und das kann man nicht oft genug hervorheben - gibt es nur einen langfristig erfolgversprechenden Kurs: Wir setzen eindeutig auf marktwirtschaftliche Instrumente und die Verantwortung der Tarifparteien. Wir scheuen uns nicht, deren Beitrag auch unermüdlich einzufordern. Das heißt konkret, daß Tarifverträge künftig anders aussehen müssen und auch anders aussehen werden, wenn wir nicht zu einer sozialkonservativen Provinz herabsinken wollen.
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Meine Damen und Herren, wenn wir nicht zu einer Landschaft werden wollen, in der die Kluft zwischen Arbeitbesitzenden und Arbeitsuchenden unüberbrückbar bleibt,
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dann sind Abschied vom liebgewordenen Besitzstandsdenken, Herr Kollege Schreiner, und Offenheit für neue Wege gefordert, um alle Chancen zu nutzen,
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nicht Polemik und nicht rückwärts gewandtes Denken.
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Dazu gehört nicht zuletzt die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten. Einzelne Betriebsvereinbarungen wie z. B. bei Ikea,
({8})
sollten die Gewerkschaften zu der Einsicht bringen, daß die Entwicklung nach dem Willen und zum Nutzen der betroffenen Arbeitnehmer schon jetzt über sie hinwegrollt und daß gerade die eigenen Mitglieder die starre Haltung nicht länger hinzunehmen bereit sind.
Auch die Schaffung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen ist erforderlich. Die Situation des einzelnen Betriebes, der einzelnen Branche, auch die Größenord7388
nung des Unternehmens muß dabei Priorität haben. Musterlösungen nach einheitlichem Zuschnitt sind nicht mehr gefragt. Kritik an den Überlegungen und Denkanstößen des Bundesarbeitsministers mag insofern vielleicht berechtigt gewesen sein, als sein Modell den Aspekt individueller und differenzierter Regelungen zu kurz kommen läßt. Er hat dies aber inzwischen, wie ich weiß, zurechtgerückt.
Meine Damen und Herren, ein einheitliches Arbeitszeitmodell für alle und für jeden wird es zukünftig nicht geben können und auch nicht geben dürfen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Andres.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Beckmann und Herr Lammert, Ihre Diskussionsbeiträge haben mit dem, was der Arbeitsminister vorgeschlagen hat, überhaupt nichts zu tun. Die gesamte öffentliche Debatte bezieht sich auf ein Interview im „Express". Ich muß sagen, es ist eine Schande für den Arbeitsminister, daß in diesem Interview der Begriff „Arbeitslosigkeit" nicht ein einziges Mal vorkommt.
({0})
Sein gesamter Vorschlag hat etwas mit Betriebswirtschaft, mit Kostenrechnung und Ähnlichem zu tun;
({1})
aber er hat überhaupt nichts mit einer Konzeption für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun.
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Zweitens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer den Arbeitsminister häufiger hört, der weiß, daß er blumenreiche Gemälde malen kann. Nur, wer sie häufiger vorgeführt bekommt, weiß, daß es immer die gleichen Stereotypen sind. Von der grauen, kolonnenhaft organisierten Gesellschaft, die er hier erwähnt hat, haben wir schon häufiger gehört. Ich frage nur: Von welcher Gesellschaft spricht er eigentlich? Erstens gibt es sie so nicht, und zweitens fordert sie hier in diesem Haus keiner.
Drittens. Der Vorschlag des Arbeitsministers ist mit vielen Bildern versehen worden: mit Fröschen und Ähnlichem. Man konnte lesen, Blüm habe einen Versuchsballon hochgelassen, einen Stein ins Wasser geworfen. Am schönsten finde ich seine eigene Klassifizierung. Er hat nämlich gesagt, es sei ein Knallfrosch und man müsse mehr Knallfrösche loslassen, damit man ordentlich Bewegung in die Tarifpolitik bringt.
Da ich dazu meine erste Frage stellen möchte, gehe ich die Vorschläge des Arbeitsministers Stück für Stück durch. Der Arbeitsminister fordert den arbeitsfreien Sonntag als Knallfrosch oder sonst etwas. Gleichzeitig liegt diesem Parlament der Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes vor, mit dem die Bedingungen geschaffen werden, Sonntagsarbeit weiter zu ermöglichen und die Bedingungen dafür zu verbessern. Was ist nun richtig, Herr Arbeitsminister? Stimmen Ihre Formulierungen in § 7 Abs. 2 Nr. 19 des Gesetzes, oder stimmt Ihr Vorschlag? Ich fordere Sie auf, den Knallfrosch Arbeitszeitgesetz zurückzuziehen; denn dann ist das, was Sie gesagt haben, Realität und wahr. Ich fordere Sie gleichzeitig auf, ein prinzipielles Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zu regeln, von dem natürlich bestimmte Ausnahmen möglich sein müssen.
({3})
Das ist jedem klar.
Zu meiner zweiten Frage. Herr Blüm, Sie sprechen für die generelle Einführung von Samstagsarbeit. Nun will ich Ihnen sagen, die gibt es in vielen Bereichen. Ich weiß, wovon ich rede. Sie haben hier das Beispiel Regensburg gebracht. Dann frage ich den Bundesarbeitsminister folgendes: Ich hätte gerne von Ihnen gewußt, wie es sich auf den Arbeitsmarkt auswirken würde, wenn in allen Automobilfirmen künftig am Samstag gearbeitet würde,
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und ob das in der Tat ein Beitrag dazu wäre, unsere Gesellschaft menschlicher zu machen.
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Auf Familienpolitik und ähnliche Dinge ist hingewiesen worden.
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang sagen: Es ist ja selbst bei Betriebsräten und bei Managern von Automobilkonzernen in der Zwischenzeit ein geflügeltes Wort, daß der Sonnabend arbeitsfrei bleiben muß, damit man Sonderschichten vereinbaren kann. Das Problem ist nämlich, daß beispielsweise in Konjunkturphasen, in denen Mehrarbeit notwendig ist, dies eine sinnvolle Regelung ist und beschäftigungssichernd wirkt. Wenn Sie aber den Samstag generell zum Arbeitstag machen, dann erreichen Sie genau den gegenteiligen Effekt.
Zu meiner dritten Frage. Sie reden von dem 9-Stunden-Tag; in Ihrem Gesetzentwurf machen Sie den 10Stunden-Tag möglich. Sie reden von der 4-Tage-Woche; in Ihrem Gesetzentwurf machen Sie die 6-TageWoche möglich. Ich fordere Sie auf, Herr Arbeitsminister, zu sagen, welcher Knallfrosch denn stimmt, welcher denn korrekt ist. Ihr Arbeitszeitgesetzentwurf oder das, was Sie hier modisch in die Diskussion einwerfen?
Ich muß Ihnen leider sagen, Herr Arbeitsminister, keine dieser Regelungen, die Sie wie einen Luftballon, Knallfrosch oder sonst etwas in die Luft geblasen haben, hat etwas mit gesellschaftlicher Realität zu tun, keine dieser Regelungen hilft uns arbeitsmarktpolitisch oder gesellschaftspolitisch weiter. Ich fordere Sie ganz ausdrücklich auf, wenn Ihre Vorschläge ernstzunehmen sind, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Ich füge hinzu, damit hier alle beruhigt sind: So manchen Vorschlag aus der sozialdemokratischen Partei zur Sonntagsarbeit halte ich weder für hilfreich noch für besonders klug durchdacht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})
Nun hat der Herr Abgeordnete Kolb das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man diese Diskussion hier erlebt, hat man den Eindruck, wir würden in einem Land der Lemminge leben, wo ab und zu die Betonköpfe der Funktionäre bestimmen, was geht. Wenn sich Politiker über Äußerungen von Funktionären aus beiden Lagern so aufregen würden, die uns als Hilfe für die Politik gegeben werden, würden wir uns nur noch aufregen. Wenn die Politiker diesen Funktionären einmal einen Hinweis geben, dann ist das schon fast eine Majestätsbeleidigung.
Es kamen vom Kollegen Andres gerade Andeutungen, daß man die Betriebswirtschaft vernachlässigen könnte.
({0})
Das mag ja sein. Aber ich bin der Meinung, daß, seitdem Helmut Schmidt Mitherausgeber der „Zeit" ist, sie dann zur Pflichtlektüre von Ihnen gehören würde. Da gab es gestern einen Artikel von Nikolaus Piper „Wunderkind mit Weltschmerz":
Amerikaner, Briten und Franzosen sind irritiert über die fehlende Dynamik der bundesdeutschen Wirtschaft.
Der Schluß lautet:
Fazit: Die Deutschen sind hervorragende Techniker und zuverlässige Kundendienstleute, aber auch verwöhnt, phantasielos und ziemlich langweilig.
Bei einem so widersprüchlichen Bild neigt mancher ausländische Beobachter dazu, die Probleme der Deutschen nicht so sehr in ihrer Ökonomie als vielmehr in ihrer Seele zu suchen. Der Londoner „Guardian" schrieb: „Tatsächlich besitzt die westdeutsche Wirtschaft noch enorme Kraft, ihr scheinbarer Niedergang läßt mehr als nur eine Interpretation zu. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich die Ausländer von der Neigung der Deutschen zu schwermütiger Nabelschau täuschen ließen. "
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vorschlag, vier Tage mit neun Stunden zu arbeiten, beinhaltet doch auch, daß ich dann mit der anderen Gruppe am Freitag, Samstag, Montag und Dienstag arbeite, um dann mit der Gruppe, mit der ich vorher am Montag angefangen habe, am Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag zu arbeiten. Da habe ich fünf freie Tage. Sie rufen „Familie", dabei haben Sie die Chance, fünf Tage zu Hause zu bleiben.
({1})
- Entschuldigen Sie, Frau Beck. Ihre Argumentation
war so schwach wie sonst noch etwas. Frau Beck, können Sie mir erklären, wenn eine Frau, wie Sie sagen,
mit An- und Abreisezeit an fünf Tagen zehn Stunden weg ist und jetzt an vier Tagen eine Stunde länger weg ist und einen Tag mehr zu Hause hätte, wo eigentlich der Gewinn für die Familie ist? Das müssen Sie anderen Leuten zu begründen versuchen als uns.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind doch in der deutschen Industrie in einigen Bereichen in der Situation, daß die Kosten eines Arbeitsplatzes schon in die Millionen gehen. Wie lange, glauben Sie, können wir diese teuren Arbeitsplätze ab Freitag mittag bis Montag morgen stillegen? Es kann doch möglich sein, daß in einem Industriebereich die eine Gruppe im Vier-Tage-Rhythmus und die andere im Fünf-Tage-Rhythmus arbeitet und dann noch Teilzeit möglich ist.
({3})
Warum darf eigentlich Flexibilität nicht gefragt sein? Ich habe so den Eindruck, bei uns möchten Funktionäre bestimmen, was das Wohl und das Wehe für alle ist, und der Rest hat dann zu folgen. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich nur noch einmal auf den genannten Artikel verweisen. Wir müssen die Situation erkennen, in der wir leben, und dann müssen wir flexibler sein.
Herr Andres, weil Sie gerade auch noch die Automobilindustrie angesprochen haben: Ich schaue schon mit Verwunderung auf die Zulassungszahlen von Autos, die um die halbe Welt transportiert wurden, mit dem Ergebnis, daß, wenn sie hier gekauft werden, Leute sagen, und zwar sitzen die quer durch die Bevölkerung, egal welche Partei sie wählen: Die sind preiswerter hergestellt worden. - Deswegen sollten wir uns schon ein bißchen aufraffen, daß wir den Funktionären von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die jedesmal, wenn es brennt, zu uns gerannt kommen und sagen „Helft uns", ab und zu auch einmal Anstöße geben dürfen. Wenn Tarifpartner unflexibel werden, so nach dem Motto „Die Guten gehen ins Kröpfchen und die Schlechten ins Töpfchen der Politik", dann, sehr verehrte Damen und Herren, haben wir unsere Aufgabe verfehlt.
Deshalb kann ich uns nur ermuntern, noch weitaus mehr ein bißchen zukunftsorientiert zu denken und nicht in den Betonschuhen der Vergangenheit hängen zu bleiben.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Rudolf Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was bringen eigentlich solche Vorschläge unserer Gesellschaft? Ich frage mich: Wie handlungsfähig zeigen sich eigentlich Politiker mit solchen Einlassungen? Ich diagnostiziere: Unausgereift, voller Widersprüche, auf das Füllen von Zeitungsspalten be7390
dacht, an der praktischen Umsetzbarkeit in der Regel grundsätzlich vorbeiredend,
({0})
vergeuden sie Zeit, die zur Erledigung dringlichster Aufgaben die ihres Amtes wären, benötigt wird. Was reizt eigentlich Politiker, die leichtfertige Ausweitung von derzeit 13 % in Nachtschichten Beschäftigten, von 12 % in Schichtarbeit Stehenden und von rund 30 regelmäßig an Samstagen arbeitenden Männern und Frauen zu ignorieren, oder, wenn sie es wissen, dies zu fordern, was reizt sie? Die Wirtschaft fordert jederzeit - das ist völlig in Ordnung, finde ich - verbesserte Verwertungsbedingungen für das eingesetzte Kapital, also Maschinenlaufzeiten so lange, wie durchsetzbar. Man kann der Wirtschaft nicht verdenken, daß sie eigene Interessen vertritt. Aber die Politik ist zuständig, zu verhindern, daß sich Interessen hemmungslos durchsetzen können. Es geht auch um die Beachtung des Gemeinwohls.
({1})
- Dabei dürfen die Millionen Beschäftigten, Herr Kolb, nicht unter die Räder kommen.
Damit verbunden ist die Beantwortung der Frage, ob sich der Mensch der Arbeits- und Industriewelt anzupassen hat und ob die Politik den Menschen eben nicht mehr im Mittelpunkt sieht. Für mich ist die Einbeziehung des Wochenendes in die Normalarbeitszeit eine Unterwerfung der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensformen unter die Ausnutzung betrieblicher Einrichtungen und Anlagen.
({2})
Diese Art eines neuen Hauptinteresses - gemeint ist die Maschinennutzung - zielt auf den Abbau jener Rechte, die die Mehrheit der Bevölkerung aus dem Nummerndasein vergangener Jahrzehnte herausgeführt hat.
Hinzu kommt, daß das praktische Durchdenken dieser sogenannten Vorschläge ein volkswirtschaftliches Nullsummenspiel ist. Durch die Verschiebung der Arbeitszeit in das Wochenende gibt es unter dem Strich eben nicht mehr Arbeitsplätze. Es wäre ein Wettrennen zu Lasten anderer, d. h. eine Lösung auf dem Rücken der mittelständischen Betriebe und der Handwerksbetriebe.
Das ist, Herr Kolb, noch nicht einmal konservativ; das ist schlicht dumm.
({3})
Es gehört darüber hinaus in die Kategorie der täglichen opportunistischen Anpassung als Linie der Politik.
Die Vorschläge sind darüber hinaus familienfeindlich und frauen- und kinderfeindlich. Meine Fraktionskollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat es gestern auf den Punkt gebracht: Eine Verlängerung des Normalarbeitstages auf neun Stunden setzt den männlichen Erwerbstätigen voraus, marginalisiert die
Frauenarbeit und drängt Aufgaben wie Kindererziehung an den Rand.
({4})
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die sich jahrzehntelang in Tarifverträgen auf das jetzt von einzelnen Politikern kritisierte Modell verständigen konnten, wie schwer dies im Einzelfall auch war, erlaubt sich der amtierende Arbeitsminister „erstarrte Truppen" zu nennen, und seine Vorschläge nennt Herr Blüm in gleichem Atemzuge, wie wir soeben gehört haben, „Knallfrösche".
Ich denke, zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit benötigt diese Gesellschaft keine Knallfrösche; von einem verantwortungsvollen Bundesminister erwartet die Gesellschaft Konzepte. Allerdings sind Knallfrösche als Silvesterscherze bekannt; sie gelten als ungefährlich, weil auch Kinder damit spielen dürfen, wie wir wissen.
({5})
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften hätten gleichwohl einen Arbeitsminister verdient, den sie ernstnehmen können. Aber man kann eben nicht alles haben.
Im Zusammenhang mit den erwähnten Ergüssen redete sich der amtierende Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in eine Art Hochform und kam zu der Feststellung: Wir sind eine Insel der Verkalkung. Das war zweifelsfrei auf die Bundesrepublik bezogen. Herr Blüm wird uns sicherlich noch verraten, ob er konkret die Insel Bundeskabinett oder sein Büro gemeint hat. Das ganze Land, meine Damen und Herren, wird er nicht gemeint haben wollen.
({6})
Die Neigung einzelner Politiker, sich an der Tarifpolitik zu versuchen, ist uns mittlerweile geläufig. Sie versuchen, uns verstärkt zu sagen, was Tarifpolitik eigentlich sei. Dabei wird zunehmend deutlich - das war besonders bei Herrn Kolb gerade der Fall -, daß diese Politiker immer noch nicht wissen, was Tarifpolitik eigentlich ist.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, als Sie in Ihrer Eigenschaft als FDP-Kollege sprachen, haben Sie die GRÜNEN als konservativ bezeichnet. Wahrscheinlich war das mehr eine Beleidigung oder der Versuch einer Beleidigung. Ich möchte Ihnen sagen: Es ist eigentlich eher für uns beleidigend, wenn Sie die GRÜNEN als konservativ bezeichnen. Die Konservativen bewahren ja das Bewährte und verändern das Notwendige. Die GRÜNEN wollen starr sein; sie wollen unbeweglich bleiben;
({0})
sie wollen das Denken einstellen. In Fortsetzung der Beckmannschen Wortspiele kann man sie dann vielleicht als Betondenker bezeichnen.
Ich bin der Meinung, wir sollten das, was der Arbeitsminister vorgeschlagen hat, so nehmen, wie es ist.
({1})
- Ja, manchmal. Es ist eine wichtige Anregung in der Diskussion um die notwendige Flexibilität der Arbeitszeit.
({2})
Wie dringlich diese Diskussion ist, zeigt die heutige Debatte. Ich glaube, bei Ihnen ist ein großer Informationsrückstand und auch ein gewisser Rückstand in der Fähigkeit vorhanden, flexibel auf die Notwendigkeiten der Zeit zu reagieren.
Die technologischen Zwänge können Ihnen nicht verborgen bleiben. Daß es notwendig ist, die kapitalintensiven Anlagen besser zu nutzen, hat ja auch Ihr stellvertretender Parteivorsitzender erkannt.
({3})
- Einer Ihrer stellvertretenden Parteivorsitzenden. Ich finde übrigens, daß Ihre Rede, Herr Kollege Schreiner, als Saarländer besonders mutig war. Sie können wahrscheinlich den Namen Ihres Ministerpräsidenten nicht aussprechen. Ich helfe Ihnen gern dabei.
Um über diese Vorschläge, auch von Herrn Blüm, diskutieren zu können, muß man wissen, daß es eine veränderte Einstellung auch der Menschen zur Arbeit und zur Arbeitszeit gibt. Es ist notwendig, die betrieblichen, die volkswirtschaftlichen, die individuellen und die gesellschaftlichen Aspekte in Übereinstimmung zu bringen. Nun kommen natürlich die einen und sagen: Alles ein alter Hut - stimmt ja sogar -, alles schon einmal dagewesen. Es sei eine unzumutbare Beschneidung kostbarer Arbeitnehmerrechte. Dieses Argument stimmt natürlich nicht.
Andere argumentieren: ein Kostenexplosionsmodell ohne generelle Anwendungsmöglichkeit. Stimmt. Generell soll es auch gar nicht angewandt werden. Aber wer hindert uns eigentlich daran, es da anzuwenden, wo es paßt?
Ich finde, der Vorschlag von Herrn Minister Blüm zeigt eines deutlich: Es fehlt vielen von uns an der Fähigkeit, an der Flexibilität, an dem Sachverstand, an der Fortschrittlichkeit, sich verändernde Grundprämissen in unserer Gesellschaft zu berücksichtigen. Wir reden von einem Modell, und das kann den Wunsch der Arbeitgeber nach verlängerten Maschinenlaufzeiten in Übereinstimmung bringen mit den Freizeitwünschen der Beschäftigten.
Übrigens, nach Meinung Lafontaines kann die Verwirklichung einer solchen Überlegung bis zu 20 To mehr Arbeitsplätze schaffen, soweit ich ihn verstanden habe. Da sich gleichzeitig die Produktivität kräftig erhöht, rechnet sich das auch für den einzelnen Unternehmer.
Natürlich kommen hier die berühmten Einwände, auf die ich nicht länger eingehen will; davon haben wir zur Genüge gehört. Wenn das, was Arbeitsminister Blüm vorgeschlagen hat, auch nur in einigen Wirtschaftsbereichen funktioniert,
({4})
sollten wir uns darüber freuen. Wir sollten alles dafür tun, daß es zur Anwendung kommen kann.
Diese Einschränkung kann doch nicht bedeuten, daß für die übrigen Wirtschaftssektoren nicht auch Alternativen zur gegenwärtigen Arbeitszeitgestaltung denkbar sind. Ich bin der Meinung, daß wir alle als Politiker, die nun wirklich nicht Tarifpartner sind, Kreativität entwickeln und unser Denken auf die jeweiligen Bereiche einstellen sollten, über die wir sprechen. Wir sollten die Borniertheit, die heute insbesondere auch in einigen Wortmeldungen der GRÜNEN zum Ausdruck kam, gemeinsam bekämpfen.
Übrigens läßt schon die geltende Arbeitszeitverordnung das alles zu, worüber wir kontrovers diskutieren. Aber nicht nur die geltende Arbeitszeitverordnung läßt das zu, wir sollten auch geltendes Recht nicht als Barriere für das Nachdenken betrachten. Ich finde, auch geltende Gesetze dürfen uns nicht am Denken hindern. Wenn ich mir überlege, mit welcher Verbissenheit wir in Deutschland z. B. über die Arbeitszeiten im Einzelhandel diskutieren:
({5})
Warum geben wir den Beteiligten in allen Wirtschaftszweigen nicht generell die Möglichkeit, den für sie passenden eigenen Weg zu finden? So, glaube ich, sollten wir Minister Blüm auch verstehen.
Das gilt im Bereich des Einzelhandels für die beteiligten Händler, für die betroffenen Beschäftigten und nicht zuletzt auch für die Kunden. Gilt nicht auch hier, daß es sinnvoller wäre, vorhandene Kapazitäten, Herr Arbeitsminister, besser zu nutzen?
Solche Vorschläge wollen keine Patentrezepte sein, und das ist eben ihre Stärke. Sie sind praxisorientiert, undogmatisch und um Kompromisse bemüht. Meine Damen und Herren, solche Denkanstöße zeigen Möglichkeiten auf, wie der drohenden Verkrustung auf dem Terrain der Arbeitszeitregelung zukünftig entgangen werden kann.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allein die Tatsache, daß es die Opposition heute für notwendig gehalten hat, gegen eine Forderung Sturm zu laufen, die so überhaupt nicht aufgestellt worden ist, nämlich die Ausweitung der Sonntagsarbeit, zeigt, welche Ratlosigkeit in diesen Fragen dort herrschen muß.
Der Vorschlag des Bundesarbeitsministers beinhaltet im wesentlichen zwei Punkte: zum ersten die Einbeziehung des Samstags in die normale Arbeitszeit
und zum zweiten eine weitere Arbeitszeitverkürzung unter ganz bestimmten Voraussetzungen.
Für viele ist das Arbeiten am Samstag auch jetzt schon Arbeitsalltag. Für viele ist die Aussicht, zwar an manchen Samstagen zu arbeiten und einen längeren Arbeitstag zu haben, dafür aber mehrere zusammenhängende freie Tage zu haben, ein durchaus attraktives Angebot.
({0})
Andere wollen natürlich den arbeitsfreien Samstag auch in Zukunft nur äußerst ungern missen.
Die Grundidee des Vorschlags ist, eine bessere Nutzung des Maschinenparks zu erzielen, wobei die Menschen etwas kürzer, aber die Maschinen dafür um so länger arbeiten sollen.
({1})
Für eine Anzahl von Betrieben liegt hier natürlich ein ganz erheblicher wirtschaftlicher Vorteil, und zwar nicht nur im betriebswirtschaftlichen Sinn, sondern letztlich auch in bezug auf die Volkswirtschaft. Deswegen ist die Äußerung von Herrn Dreßler, der hier von einem Nullsummenspiel gesprochen hat, so unsinnig.
({2})
Man muß sehen, daß Maschinen heute in der Regel eben nicht mehr wegen Verschleißes ausgesondert werden, sondern daß sie in den modernen Betrieben häufig wegen technischer Veralterung abgeschrieben werden müssen.
({3})
Das bedeutet, daß in der Zeit, in der die Maschinen „aktuell" sind - ich sage es einmal so - , möglichst viel aus ihnen herausgeholt werden muß, und das geht eben nur auf diesem Weg.
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Ich finde es durchaus gerechtfertigt, wenn dann die Forderung erhoben wird, die dadurch bedingten ungünstigeren Arbeitszeiten - was allerdings nicht von jedermann so empfunden werden muß - durch eine kürzere Wochenarbeitszeit auszugleichen. Ich glaube aber, daß dieser Vorschlag insgesamt natürlich auch eine größere Flexibilität in bezug auf die Gestaltung der Arbeitszeit und in bezug auf das Lohngefüge beinhaltet.
Wir dürfen hier eines nicht vergessen: Das, was für kapitalintensive Betriebe gilt, kann ganz selbstverständlich nicht für Handwerksbetriebe und Dienstleistungsbetriebe gelten. Ich glaube, daß Arbeitszeitverkürzung in diesen Bereichen zwar ein wünschenswerter sozialer Fortschritt sein kann, daß Arbeitszeitverkürzung als ein arbeitsmarktpolitisches Instrument letztlich jedoch unsinnig ist. Das hilft dort nicht. Insbesondere Dienstleistungen sind bereits so teuer, daß sie sich viele Leute nicht mehr leisten können. Indem man hier weiter fortfährt - Arbeitszeitverkürzungen gehen direkt in den Preis ein - , werden immer weniger Leute sich das leisten können. Sie werden auf den grauen Markt, auf Schwarzarbeit und ähnliches ausweichen. Das kann nicht im Interesse der Betroffenen
sein, denn das geht letztlich zu Lasten der weniger Qualifizierten.
Lassen Sie mich hier noch einen Gedanken anbringen, der mir sehr wichtig ist. Wir sprechen immer davon, wir hätten in der Bundesrepublik das höchste Lohnkostenniveau. Wir sprechen sogar von den höchsten Löhnen. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, daß wir zwischenzeitlich zusammen mit der Schweiz bei den Lohnkosten an der Spitze sind, daß aber die Nettoeinkommen im Vergleich mit Japan, den USA und ähnlich großen Industrienationen
- auch der Schweiz - erheblich niedriger sind. Das heißt - lassen Sie mich es in einem Wort sagen -: Alles, was darauf hinausläuft, daß gerade die Lohnkosten noch mehr ansteigen, wird etwas bewirken, was ich folgendermaßen bezeichnen möchte: Die deutschen Arbeitnehmer, insbesondere die in den Ballungsgebieten, verdienen - im internationalen Vergleich - zu wenig, aber sie kosten zu viel.
({5})
Alles, was dieses Mißverhältnis noch größer werden läßt, geht zu Lasten der Arbeitnehmer und letztlich auch der Verbraucher.
Ich denke, wir müssen überlegen, was mit einer gewissen Flexibilität sinnvollerweise erreicht werden kann. Die Tarifparteien sind aufgefordert, möglichst rasch und möglichst differenziert auf die Probleme einzugehen.
Ich bedanke mich.
({6})
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich dem Abgeordneten Schemken das Wort.
({0})
Ja, vielleicht ist das sogar angebracht.
({0})
- Ja. Wir begrüßen auch den Knallfrosch. In manche vermuffte und verschlafene Ecke gehört auch einmal ein Knallfrosch hinein. Ich meine das auch bezogen auf die Politik, aber insbesondere auf das Funktionärstum. Deshalb ist es gut, daß Norbert Blüm einmal die Zusammenhänge zwischen Freizeit, also den Möglichkeiten, die sich aus der Technologie ergeben
- das ist ja auch eine Chance - , und der Möglichkeit der größeren Nutzung der Produktionsanlagen aufzuzeigen und miteinander in Einklang zu bringen versucht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer mehr Menschen in sinnvolle Arbeit, in Beschäftigung bringen will, muß von starren Formen der Arbeitszeit weg - dies steht außer Frage -, denn die Zukunftsarbeitsplätze sind eben kapitalintensiv. Da beißt keine Maus den Faden ab. Deshalb ist es richtig, daß bei der gerechten Verteilung der Arbeit auch in der Gestaltung ein anderer Rhythmus her muß.
Viele Kritiker fordern neue Wege und Impulse. Wir werden ja immer wieder angemahnt, gerade von der Opposition, wirksame Wege zur ArbeitszeitgestalSchemken
tung und zum Abbau der Arbeitslosigkeit vorzuschlagen. Dies hat Norbert Blüm getan.
Ihr Parteifreund Lafontaine sagt zu solchen Wegen und wahrscheinlich auch zu den von ihm vorgeschlagenen: „Es ist ein zwingendes Gebot. " Das ist ein Zitat Ihres Parteifreundes Lafontaine.
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Es geht doch darum, daß wir bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit auch an die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten denken müssen. Dies läßt sich nur durch eine andere Gestaltung der Wochenarbeitszeit regeln. Es kann doch nicht sein, Herr Andres, daß die zusätzliche Schicht dem Samstag vorbehalten bleibt. Sollte sie notwendig sein, gehört sie den Arbeitslosen. Das ist das Thema, das in dieser Stunde ein Rolle spielen sollte.
Daß wir diese Regelung nicht in Klein- und Mittelbetrieben insgesamt einführen können, ist uns auch klar. Es ist aber ein Anstoß, einmal darüber nachzudenken, wie wir flexibler auf die Herausforderungen reagieren können.
Es bleibt doch kein anderer Weg, um den Fortschritt und die soziale Sicherung möglichst über die Maschine, die ja zukünftig vieles erledigt, zu bewältigen. Das muß in den Intervallen der neuen Investitionen ermöglicht werden, damit Arbeitsplätze gesichert und attraktiv erhalten werden. Entscheidend ist, das soziale Gut des Arbeitsplatzes auch zukünftig durch hohe Investitionen sicherzustellen.
Deshalb bin ich der Meinung, daß es bei der wöchentlichen Arbeitszeit eine flexible Regelung geben muß. Manche Gewerkschafter denken kreativer, als das bei Funktionären der Fall ist. Dürften sie so handeln, wie sie denken, würde manches in Frage gestellt. Dieses ist aber leider auch bei Ihnen nicht der Fall.
Ein strittiger Punkt, der ständig in die Diskussion eingeführt wird, steht gar nicht zur Diskussion, nämlich die Sonntagsarbeit. Der Minister hat sie in überhaupt keiner Weise angesprochen. Es geht dabei um eine sinnvolle Verteilung der Arbeit an Maschinen über sechs Tage. Ich sage Ihnen ganz offen: Die gleitende Arbeitszeit führt oft dazu, daß die vier Tage von den daran Interessierten schon realisiert werden, indem sie nämlich am Montag, am Dienstag und am Mittwoch bis an die zehn Stunden arbeiten und am Freitag möglichst schon um 11 Uhr den Arbeitsplatz verlassen. Das kann ich aus eigener Anschauung hier sagen.
Wir sind allerdings der Meinung - hier sind wir uns mit den Kirchen einig - , daß der Sonntag und die gesetzlichen Feiertage der Arbeitsruhe und der Erholung vorbehalten bleiben sollten.
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Wir sind der Meinung, daß die notwendige Ruhe und Erholung in Kultur einmünden müssen. Wir sind auch der Meinung, daß zusammenhängende Freizeiten durchaus zur Weiterbildung und damit auch
zur Absicherung des eigenen Arbeitsplatzes in Zukunft genutzt werden müssen.
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Deshalb sind zusammenhängende Freizeiten über Tage - ich sage das bewußt - sehr sinnvoll.
Zu den Frauen muß ich sagen: Es ist kein Problem, darüber zu reden. Das kann man aber nicht mit acht und auch nicht mit neun Stunden erreichen. Bei einem Alleinerzieher brauche ich eine völlig andere Arbeitszeitaufteilung. Es kann sogar sein, daß er an sechs Tagen vier Stunden arbeitet, um dem Kind zur Verfügung zu stehen.
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Um so mehr ist die flexible Arbeitszeit gefordert. Wir möchten durchaus weiter über einen solchen Weg sprechen. Wir fordern Sie dazu mit auf. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Sonntag heilig bleiben muß. Er sollte auch wieder in eine andere Kategorie eingeordnet werden. Es muß ein Stück Kultur in den Sonntag hinein. Es wird an Sonntagen manches getan, was nicht in diesen Kulturrahmen, wie wir uns ihn vorstellen, hineingehört. Das sage ich ganz deutlich. Dazu gehört auch die eine oder andere Freizeitbeschäftigung. Sie gehört auch nicht in einen Sonntag, wie wir ihn uns vorstellen, hinein.
Deshalb fordern wir Sie auf, flexibel zu sein, um den Anliegen der Arbeitslosen Rechnung tragen zu können, um Arbeit einigermaßen gerecht zu verteilen und auch die Sonntagsruhe zu schützen. Dies, glaube ich, ist nach dem Vorschlag von Norbert Blüm durchaus realisierbar.
Schönen Dank.
({5})
Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Sie über eine interfraktionelle Vereinbarung informieren und Ihre Zustimmung dazu einholen. Es handelt sich um die Haushaltswoche vom 21. bis zum 25. November. Interfraktionell ist vereinbart worden, daß in der Haushaltswoche keine Fragestunde, keine Aktuellen Stunden und keine Befragungen der Bundesregierung stattfinden sollen. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall, so daß wir das als beschlossen feststellen können.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16b:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Oktober 1987 bis 31. März 1988
- Drucksache 11/2201 Uberweisungsvorschlag des Altestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß
Vizepräsident Cronenberg
und den Zusatzpunkt, den wir heute morgen auf die Tagesordnung gesetzt haben:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU, SPD und FDP
Erweiterung der Westeuropäischen Union ({1}) durch Spanien und Portugal
- Drucksache 11/3298 Dieser Antrag ersetzt den Antrag auf Drucksache 11/2107.
Die Fraktionen sind bereit, ihre Redezeit auf ein Minimum zu beschränken. Im Namen des Präsidiums und des Hauses bedanke ich mich für dieses Bemühen.
Ich möchte jetzt eigentlich den Abgeordneten Reddemann aufrufen. Aber wenn ich es richtig überblicke, ist er nicht da, so daß wir mit dem Abgeordneten Dr. Klejdzinski anfangen. Herr Dr. Klejdzinski, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten begrüßen natürlich das Interesse von Spanien und Portugal an einem Beitritt zur Westeuropäischen Union, und ich begrüße ausdrücklich, daß wir nun einen interfraktionellen Antrag haben, nämlich von der CDU/CSU, der FDP und der SPD. Ich will das nicht kommentieren, sondern ich begrüße das. Ich kann um so leichter unsere Zustimmung vom Grundsatz her signalisieren, als sich wesentliche Elemente unseres Antrags vom 13. April 1988 im interfraktionellen Antrag wiederfinden.
Ein altes Sprichwort heißt: „Was lange währt, wird endlich gut." Der Beitritt von Spanien und Portugal ist von großer Bedeutung für die politische Entwicklung Europas. Der Beitritt dieser beiden Staaten ist ein wichtiger Schritt in die Richtung auf eine sicherheitspolitische Einigung Europas. Von der Erweiterung der WEU ist eine Signalwirkung auch auf andere Staaten Europas zu erwarten. Das Sicherheitsbündnis wird nach Westen hin als geographisch zusammenhängendes Gebiet massiv gestärkt.
Die „Europäische Stimme" - und dies ist sehr wichtig - erhält mehr politische Relevanz nicht nur innerhalb der NATO, sondern vielmehr auch bei Verhandlungen mit dem Warschauer Pakt, denn je mehr Staaten dem Verteidigungsbündnis angehören, desto stärker ist das politische Gewicht im Ost-West-Dialog.
Jede Stärkung der Westeuropäischen Union erweitert den Spielraum für weitere Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West. Die Bedeutung der seit dem 1. Januar 1986 in Paris arbeitenden Agenturen, nämlich der Agentur I zur Untersuchung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsfragen, der Agentur II zur Untersuchung von Sicherheits- und Verteidigungsfragen und Agentur III zur Zusammenarbeit im Rüstungsbereich, sind nach meiner Ansicht sehr wesentlich. Wir können dort sehr viel tun. Ich finde, wir können so einen wichtigen Beitrag zur Entspannung leisten, natürlich ohne dabei die NATO im Grundsatz in Frage zu stellen.
Ich betone nochmals: Die Erweiterung der WEU um Spanien und Portugal ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die Einigung Europas. Wie wichtig dieser Schritt ist, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Zeitpunkt der Gründung der WEU nun schon mehr als 30 Jahre zurückliegt.
Nicht zuletzt zeigen die im Jahre 1984 eingeleiteten Bestrebungen, die WEU zu reaktivieren, langsam einen Erfolg. Die seit 1984 auf Ministerebene, an der die Verteidigungsminister gemeinsam mit den Außenministern teilnehmen, begründete Ebene begünstigt natürlich den Prozeß der einheitlichen Abstimmung europäischer Sicherheitsinteressen. Wir Sozialdemokraten kritisieren allerdings in diesem Punkt, daß die WEU-Versammlung als parlamentarische Versammlung in die Meinungsbildung für die Haager Plattform nicht so einbezogen worden ist, wie es sicher erforderlich gewesen wäre. Sicherheitspolitik für Europa kann und sollte nicht allein der Ministerebene, dem Ministerkomitee, vorbehalten bleiben.
Zu begrüßen ist natürlich in dem Zusammenhang, daß sich die Regierungen in der Haager Plattform verbindlich auf die Ziele und Vorgaben für eine europäische Sicherheitspolitik geeinigt haben; diese Einigung schließt auch Frankreich ein, was ich für sehr wichtig halte. Dieser sicherheitspolitische Konsens dokumentiert auch, daß sich das sicherheitspolitische Bedürfnis innerhalb Westeuropas nicht in nationalstaatlich unterschiedlich bewertete Konzeptionen aufsplittern läßt, sondern daß die europäische Sicherheit nur einheitlich und unteilbar ist und auch nicht anders behandelt werden kann.
Das Bewußtsein und die Einsicht in diesen Kernbestand europäischer Sicherheitspolitik nimmt auch in anderen Staaten ständig zu. Das Interesse von Spanien und Portugal am Beitritt zur WEU bringt zum Ausdruck, wie sehr sich die Überzeugung von einer starken, einheitlichen europäischen Sicherheitspolitik auch in anderen europäischen Staaten durchsetzt.
Beachtenswert in dem Zusammenhang ist, daß, geographisch gesehen, das gesamte europäische Territorium westlich der Bundesrepublik mit den Benelux-Staaten, Frankreich und jetzt auch Portugal und Spanien als zusammenhängendes Gebiet der WEU angehört. Die WEU wird damit in ihrer Westachse entscheidend gestärkt. Ich finde, je mehr Staaten sich in einem Bündnis für europäische Sicherheit engagieren, desto größer werden natürlich auch die Attraktivität und die politische Relevanz der Westeuropäischen Union.
Diese zunehmende politische Relevanz leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung von Freiheit und Frieden in Europa. Sie hilft damit der Westeuropäischen Union bei der Erfüllung ihrer vorrangigsten Aufgabe, nämlich den Frieden und die Sicherheit zu festigen und die Einheit Europas zu fördern.
Das heißt nicht, daß sich die WEU innerhalb der Allianz als NATO-Ersatz versteht. Ihrem Selbstverständnis liegt vielmehr die Auffassung zugrunde, der europäische Pfeiler der NATO zu sein. In diesem europäischen Pfeiler müssen wir uns auch mit unseren eigenen Sicherheitsinteressen wiederfinden. Ich betone ganz bewußt „mit unseren eigenen SicherheitsDr. Klejdzinski
interessen" , weil die WEU eben für uns das Diskussionszentrum ist, um unsere Sicherheitsinteressen einzubringen und auch zu formulieren.
Richtig ist: Die Erweiterung der WEU um Spanien stärkt natürlich auch die Allianz unmittelbar. Das Gewicht der von Europa selbst zu formulierenden, einzubringenden und politisch durchzusetzenden Sicherheitsinteressen innerhalb der Allianz wird durch den Beitrag weiterer europäischer Staaten gestärkt. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß es einen Dialog zwischen Westeuropäischer Union auf der einen Seite und der NATO auf der anderen Seite darüber geben muß, inwieweit eben der europäische Pfeiler in dieser Allianz ausgebaut wird.
Sehr treffend hat der spanische Verteidigungsminister Narcis Serra davon gesprochen, daß die WEU das europäische Forum für Verteidigungsfragen sein solle. Das ist auch insoweit interessant, als Spanien, anders als Portugal, selbst nicht in die militärische Struktur der NATO integriert ist. Dieser Gesichtspunkt verleiht dem spanischen Interesse - sieht man einmal von den sonstigen Hintergründen ab - am Beitritt zur WEU eine besondere, nach meiner Einschätzung europäisch orientierte Komponente.
Ich habe schon mehrfach an dieser Stelle betont, daß wir keine Angst vor weitgehender Abrüstung haben dürfen. In einer Rede vor der WEU-Versammlung am 17. Dezember 1987 habe ich die WEU-Versammlung aufgefordert, daß wir für den Westen eine Friedens- und sicherheitspolitische Gesamtkonzeption entwickeln müssen, und zwar eine Konzeption, die dem Vorbild des INF-Abkommens entspricht, d. h. einen disproportionalen Abbau bis auf null oder bis auf eine gemeinsam zu findende Maximalgröße.
So sind nach meiner Einschätzung nach wie vor die Konzepte für Abrüstung im konventionellen Bereich, im Bereich der chemischen Waffen und auf dem Gebiet der Nuklearwaffen jetzt notwendiger und dringlicher denn je. Dem habe ich heute insofern nicht viel hinzuzufügen.
Abschließend möchte ich nur noch folgendes bemerken. Wir alle wissen: Keine europäische Nation kann mehr allein die Herausforderungen unserer Zeit beantworten. Nur in europäischer Zusammenarbeit können wir den Frieden sichern. Nur gemeinsam werden wir Europäer die Zukunft Europas selbst bestimmen können. Ein wichtiger Pfeiler dazu ist die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Ich halte die WEU dazu für ein sehr geeignetes Forum.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Ministerrat und der Präsidialausschuß der Versammlung der Westeuropäischen Union haben vorletzte Woche in London vereinbart, die gemeinsame Sitzung beider Gremien in der kommenden Woche in London zu nutzen, um die Republik Portugal und das Königreich Spanien einzuladen, die Mitgliedschaft in der Westeuropäischen Union zu erwerben. Dem Haus liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, FDP und CDU/CSU vor, diese Entscheidung zu begrüßen. Er ersetzt den am 13. April von der Fraktion der SPD eingebrachten Antrag, der durch die Entwicklung inzwischen überholt wurde.
Wir haben als Deutscher Bundestag durch die Anträge die Möglichkeit bekommen, noch vor dem Beitritt der beiden Staaten der Iberischen Halbinsel den Willen des deutschen Parlaments zum WEU-Beitritt zu dokumentieren. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Initiative unserer sozialdemokratischen Kollegen, die mit ihrem Antrag auf Drucksache 11/2107 schon frühzeitig versuchen wollten, die deutsche Haltung zum Beitritt der beiden Staaten parlamentarisch zu verdeutlichen. Mein Dank gilt aber ebenso der Bundesregierung, die von Anfang an den Beschluß der Parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union unterstützt hat, Portugal und Spanien diese weitere Chance der europäischen Zusammenarbeit einzuräumen.
Ohne Zweifel, meine Damen, meine Herren - ich glaube, darüber muß wirklich nicht gestritten werden -, steht die WEU durch die Erweiterung um zwei Staaten an einem Wendepunkt. Die so oft totgesagte Organisation, die manche über lange Jahre lediglich als westliche Kontrollinstanz gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ansahen, kann wieder neues Profil gewinnen, und zwar sowohl als Verteidigungspakt wie als Abrüstungsinstrument der kerneuropäischen Staaten.
({0})
Als der Brüsseler Pakt, auf dem die Union bisher aufgebaut ist, 1948 unterzeichnet wurde, war er theoretisch noch gegen Deutschland gerichtet. Im Hintergrund stand indessen die Sorge von Belgiern, Luxemburgern und Franzosen, die beim kommunistischen Putsch in der Tschechoslowakei wieder deutlich gewordene sowjetische Aggressionspolitik könnte über die in Jalta geschaffenen Grenzen schwappen und zum zweitenmal binnen zehn Jahren eine Invasion in den drei Staaten auslösen.
Als sechs Jahre später das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft am Veto der französischen Nationalversammlung scheiterte und die Bundesrepublik als souveräner Staat in die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft einzog, war die Westeuropäische Union als revidierter Pakt von 1948 in der Tat eine Institution, die dazu beitrug - weil sich die Bundesrepublik freiwillig Kontrollen unterwarf -, Vertrauen in der westeuropäischen Welt zu schaffen. Die Westeuropäische Union war seit dieser Zeit in der Tat ein Instrument der Vertrauensbildung.
Dreißig Jahre später haben wir dann in Vorbereitung der Sondersitzung von Rom die Kontrollen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß es die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union damals lieber gesehen hätte, wenn die für die Bundesrepublik geltenden Kontrollen auf die anderen Staaten ausgedehnt wor7396
den wären. Aber die Regierungen und die parlamentarischen Delegationen unserer sechs Partner drehten damals Lenins vielzitiertes Wort um. Für sie war unter den demokratischen Staaten Westeuropas Kontrolle zwar vielleicht in früheren Jahren gut, inzwischen Vertrauen aber besser geworden.
Nach den Beschlüssen von Rom - hier möchte ich auch einen Dank an die Bundesregierung einfügen - war es möglich, durch die sogenannte Plattform von Den Haag, die am 27. Oktober 1987 unterzeichnet wurde, der gesamten Westeuropäischen Union eine neue Richtung zu geben, eine Richtung, aus der deutlich hervorging, daß die jetzigen Sicherheitsbemühungen eben nicht mehr Bemühungen waren, die aus der Angst vor einer Aggression entstanden waren, sondern daß es sich um Sicherheitsbemühungen handelte, bei denen man mit Rüstungskontrolle und Abrüstung dafür sorgen wollte, ein stabiles Kräftegleichgewicht auf dem niedrigsten mit unserer Sicherheit zu vereinbarendem Niveau zu erreichen. Rüstungskontrolle und Abrüstung, so heißt es in der Plattform, sind integrale Bestandteile der westlichen Sicherheitspolitik, nicht eine Alternative zu ihr.
Die neue Rolle der Westeuropäischen Union geht indessen - das sollten wir uns noch einmal vor Augen führen - weit über den bisherigen Sicherheitspakt hinaus. Alle Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, die WEU zu einem Instrument bei der Schaffung der in der Europäischen Akte geplanten Europäischen Union zu machen. Wir sind überzeugt - so darf ich die Plattform noch einmal zitieren - , daß das europäische Einigungswerk unvollständig wäre, solange die Integration nicht auch Sicherheit und Verteidigung umfaßt.
Leider ist das - dies gehört zu einer Beschreibung der Situation - , was sich in der Realität der Westeuropäischen Union abzeichnet, längst nicht so gut, wie es in der Fassung der Plattform sichtbar ist. Vor allem zwischen der Französischen Republik und dem Vereinigten Königreich erleben wir heute noch einen - nicht einmal mehr nur unterirdisch schwelenden - Streit wegen des künftigen Sitzes der Westeuropäischen Union. Wir wissen noch nicht, wo wir die zentrale Agentur der Westeuropäischen Union unterbringen können. Wir haben immer noch die überholte Konstruktion, daß die Botschafter am Hof von St. James den Ständigen Rat der Westeuropäischen Union bilden. Hinzufügen muß ich: Es gibt gerade auf militärischem Gebiet noch so viele nationale Eifersüchteleien, daß man als militärischer Laie darüber manchmal nur staunen kann.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Bundesregierung ermuntern, in vier Punkten die Probleme einer Lösung zuzuführen und dies nicht zuletzt bei den deutsch-französischen Konsultationen zu tun:
Erstens. Die Frage des Sitzes der WEU-Institutionen darf die Errichtung einer arbeitsfähigen Agentur nicht länger behindern. Solange eine mit qualifizierten Fachleuten zu besetzende Agentur nicht arbeitsfähig ist, kann die WEU ihren Auftrag - den Auftrag sowohl aus dem Vertrag als auch aus der Plattform - nicht erfüllen.
Zweitens. Der Ständige Rat der WEU darf nicht länger das Arbeitsfeld der jeweils jüngsten Legationsräte in den Londoner Botschaften bleiben. Die Mitglieder des Ständigen Rates dürfen ihre Aufgaben nicht länger als Teilzeitarbeiter erledigen. Der Ständige Rat muß ein Gremium von Regierungsvertretern werden, deren Hauptaufgabe die Reform und die Ausgestaltung der WEU ist.
Wenn es angesichts der französischen Vorbehalte nicht möglich ist, die NATO-Botschafter mit der Arbeit des Ständigen Rates zu betrauen, sollte man, Herr Außenminister, erwägen, ob nicht die ohnehin damit befaßten Referenten der Außenministerien in Zukunft den Ständigen Rat bilden. Angesichts der heutigen Verkehrsverhältnisse könnte ein solcher Ständiger Rat reaktionsschneller arbeiten als eine Botschafterkonferenz der bisherigen Art, die erst auf Anweisungen aus der Zentrale warten muß.
Drittens. Alle sieben, in Zukunft neun Mitgliedstaaten haben sich auf die Plattform von Den Haag gestellt. Die Institutionen der WEU sollten möglichst schnell die Forderungen der Plattform in die Tat umsetzen. Auf die Bundesregierung und die französische Regierung kommen dabei - das muß hier besonders betont werden - Aufgaben größerer Art zu. Sie haben den übrigen Mitgliedstaaten durch Vorschläge und Praxis zu zeigen, daß die engere deutsch-französische Zusammenarbeit im militärischen Bereich nicht der Schaffung eines exklusiven Klubs dient, sondern ein Modell auch für die Zusammenarbeit aller neun Partner sein kann.
Viertens und letztens. Die in der Erklärung vom 12. Juni 1987 festgehaltene Absicht, das Gesamtkonzept für Rüstungskontrolle und Abrüstung weiter auszugestalten, sollte in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden. Herr Außenminister, die Versammlung der Westeuropäischen Union ist sicher bereit, hierzu Vorstellungen beizusteuern. Ich möchte an den Deutschen Bundestag appellieren, die Kollegen, die er in die Arbeit der Westeuropäischen Union geschickt hat, dabei zu unterstützen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Westeuropäische Union aktivieren oder erweitern möchte, muß wissen, daß er eine Militärorganisation aus der Zeit des Kalten Krieges stärkt. Die WEU ist eine Organisation der Blockpolitik. Ich bin erschüttert und bedaure außerordentlich diese Aufrüstungskoalition, die sich hier bei den nicht grünen Mitgliedern des Hauses in dieser Frage abzeichnet.
({0})
Wer dies wie die SPD, die das initiiert hat, betreibt, muß schon erklären, wie er diese Aktion mit seinen Friedens- und Abrüstungsbekenntnissen vereinbaren will.
({1})
Ich will versuchen, das zu erklären - es ist ja auch kennzeichnend, wer hier heute von der SPD diese Themen repräsentiert - : Die WEU ist ein Militärpakt mit einer automatischen militärischen Beistandsklausel, wie sie noch nicht einmal der Nordatlantikvertrag enthält. Militärische Beistandsklauseln sind Mechanismen der Kriegsausweitung und Eskalationsautomatik. Sie treiben möglicherweise noch beherrschbare Krisen zum großen Krieg.
({2})
Dem Entspannungsprozeß in Europa war es dienlich, daß die WEU organisatorisch und politisch bisher ein Schattendasein führte.
Herr Abgeordneter, Herr Dr. Klejdzinski möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte, da ich offenkundig der einzige bin, der in dieser halben Stunde eine Gegenposition darstellt, zunächst einmal fortfahren.
Das ist Ihr gutes Recht, Herr Abgeordneter.
So wie auch die Versammlung der WEU mit ihrer Mehrheit ein nicht öffentlicher Hort von kalten Kriegern war, wo man sich im Lamento über die wachsende militärische Bedrohung durch die Sowjetunion und in Forderungen nach verstärkter westlicher Aufrüstung erging, so wird auch künftig der Tenor in dieser Vereinigung sein.
({0})
- Ich war bei der letzten Veranstaltung dabei, wie das Protokoll ausweist. - Ich kann mir nicht vorstellen, daß die SPD-Fraktion diesen hier initiierten Antrag eingebracht hätte - ich rede jetzt nicht von den Sprechern, sondern von der Fraktion insgesamt; das meine ich ganz ernst - , wenn sie das gelesen hätte, was in Paris bei der letzten Versammlung beschlossen wurde. Ich zitiere aus dem Protokoll:
Die Versammlung ... ist sich darüber im klaren, daß sich ein Seekrieg oder Kampfhandlungen außerhalb des NATO-Bereichs, wie z. B. der Krieg zwischen Iran und Irak, rasch zu einem größeren Konflikt ausweiten könnten, wenn sie nicht durch entsprechenden politischen Druck von außern oder gegebenenfalls durch Anwendung von Gewalt
- Anwendung von Gewalt! unter Kontrolle gebracht werden.
Die Versammlung ist sich infolgedessen bewußt, so heißt es weiter,
daß das westliche Bündnis seine Vorzüge, wie z. B. Seeluftstreitkräfte, beibehalten muß, da sie für Operationen innerhalb und außerhalb des NATO-Bereichs gleichermaßen von Bedeutung sind, sowohl im Falle räumlich begrenzter Konflikte als auch bei einem totalen Krieg.
Daraus folgt eine Empfehlung
({1})
- Mehrheitsbeschluß, und das ist das, was die Politik bestimmt - , eine Empfehlung - und da kenne ich keinen Protest - , die sich wie der Forderungskatalog des europäisch-militärisch-industriellen Komplexes liest.
Wie will die SPD-Fraktion - daß die CDU und vielleicht auch die FDP dem zustimmen, ist kein Thema; aber daß die SPD hier zustimmt, ist ein Punkt - der Friedensbewegung und vor allem ihrer eigenen Basis erklären, wie sie einerseits mit uns gemeinsam den Einsatz der Bundesmarine im Mittelmeer als Vorstufe für einen Einsatz out of area verurteilt, andererseits aber eine Organisation stärken und erweitern möchte, die sich als Koordinationsinstrument für den Einsatz von Mitgliedstreitkräften auch im Persischen Golf versteht. Das können Sie doch nicht verdrängen!
Herr Abgeordneter, dies veranlaßt nun zwei Kollegen, um eine Zwischenfrage zu bitten.
Ich habe nur noch zwei Minuten; das geht nicht.
Herr Abgeordneter, ich pflege die Zwischenfragen nicht auf die Redezeit anzurechnen. Es liegt also in Ihrer Hand, zu entscheiden, ob Sie antworten wollen oder nicht.
Dann hoffe ich anschließend auf Ihre Großzügigkeit. Ja, bitte.
Herr Kollege, wenn Sie da waren, wie können Sie dann behaupten, daß die SPD dem Beschluß zugestimmt hat?
Das habe ich überhaupt nicht getan.
({0})
Ich habe den Geist dieser Organisation beschrieben, der sich nicht nur in diesen permanenten Mehrheitsbeschlüssen, sondern auch in dem zeigt, was der Ministerrat praktiziert. Der Ministerrat versteht sich als Koordinationsinstrument für den Einsatz von fünf NATO-Mitgliedern für den Bereich out of area. Das ist doch eine Tatsache, und da können wir die WEU nicht plötzlich zu einem Abrüstungsinstrument umdefinieren, nur weil bei Ihnen einige Restbestände von alten militärischen Westeuropa-Integrationsvorstellungen bestehen.
({1})
Nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann.
Herr Reddemann verträgt sich doch mit Herrn Ehmke ganz gut; dann können wir darauf verzichten.
Sie gestatten also keine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Nun könnte man doch durchaus noch darüber diskutieren, ob durch die Erweiterung einer Organisation ein anderer Charakter entsteht. Da frage ich Sie aber: Warum haben Sie nicht den Beitritt von Griechenland mit beantragt?
({1})
Doch deshalb nicht, weil die antinukleare Politik Griechenlands in diesem Konzert, das man dort anstimmen will, natürlich stört. Sonst hätten Sie doch gesagt: Wir erweitern den Antrag.
Die WEU ist für die aufrüstungsbesessenen Regierungen Westeuropas ein günstigeres Instrument als die EG, wo möglicherweise Staaten wie Irland zögerlich sind bei diesem Versuch, aus Westeuropa - das ist der Fall - eine militärische Integration zu machen.
Mit dem WEU-Beitritt Spaniens hat sich schon abgezeichnet, was jetzt fortgesetzt wird. Da gab es ein Land auf der Iberischen Halbinsel, das überhaupt keinen Feind hatte. Jetzt wird Spanien in die militärische Ost-West-Struktur eingeordnet, völlig überflüssig aus Sicherheitsgesichtspunkten, reine Ideologie, Stärkung des eigenen Potentials. Im Osten kenne ich so was überhaupt nicht. Dann geht die SPD hin und wettert hier gegen den Jäger 90, unterstützt durch diesen Internationalismus, durch die sozialistische Internationale der westeuropäischen Integration im Sinne des Militärs, und das sind genau die ökonomischen Kräfte, die dafür sorgen, daß der Jäger 90 von Spanien auch gebaut wird. Hierzu sollten Sie wirklich eine ernste Diskussion in Ihrer eigenen Partei führen.
({2})
Ich bin sicher, daß ich für viele Sozialdemokraten, vor allem an der Basis, spreche, die das nicht mittragen werden.
Meine Zeit ist um, deswegen mein letzter Satz: Meine Fraktion lehnt in voller Übereinstimmung mit der Friedensbewegung den Aufrüstungsantrag, von der SPD hier initiiert, entschieden ab. Dieser Antrag steht in eklatantem Widerspruch zu allen Parteitagsbeschlüssen und Erklärungen der SPD der letzten Jahre.
({3})
Sie geben sich hier zu etwas her, was die SPD selbst in der sozialliberalen Koalition nie hätte mittragen können. Das ist unerklärlich, ein Skandal!
(Beifall bei den GRÜNEN - Reddemann
[CDU/CSU]: Bei solchen Reden muß man
selbst die SPD in Schutz nehmen!
({4})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Tagesordnung im Moment für eine Erklärung, die ich hier zu verlesen habe.
Herr Dr. Jenninger hat mir folgendes geschrieben:
Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten des Deutschen Bundestages und gebe dazu folgende Erklärung.
Die Reaktionen auf meine gestrige Ansprache vor dem Deutschen Bundestag haben mich erschreckt, und sie bedrücken mich auch. Meine Rede ist von vielen Zuhörern nicht so verstanden worden, wie ich sie gemeint hatte. Ich bedaure das zutiefst, und es tut mir sehr leid, wenn ich andere in ihren Gefühlen verletzt habe. Während meiner ganzen politischen Laufbahn, zuletzt als Präsident des Deutschen Bundestages, habe ich mich in besonderer Weise für die Aussöhnung mit den Juden und für die Lebensinteressen des Staates Israel engagiert. Ich war stets ein kompromißloser Gegner jeder Form totalitärer Herrschaft, nicht zuletzt wegen der Erfahrungen meiner Eltern unter dem NS-Regime, die gegen die Diktatur eingestellt waren und dafür Nachteile in Kauf nehmen mußten.
Es ist wichtig, daß das Amt des Bundestagspräsidenten keinen Schaden leidet. Ich muß davon ausgehen, daß viele Kolleginnen und Kollegen mir das für meine Amtsführung notwendige Vertrauen nicht mehr entgegenbringen. Aus diesem Grunde erkläre ich meinen Rücktritt vom Amt des Bundestagspräsidenten.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat soeben dem scheidenden Präsidenten Philipp Jenninger seinen Dank und seinen Respekt ausgesprochen.
({0}) Wir fahren in den Beratungen fort.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt, daß bereits am kommenden Montag in Brüssel die Urkunden über den Beitritt Portugals und Spaniens zur Westeuropäischen Union unterzeichnet werden. Deshalb haben wir die vorliegende gemeinsame Erklärung angeregt. Die FDP hat den Beitritt beider Länder von Beginn an unterstützt, denn dieser Beitritt stärkt Europa. Da wir hier bisher eine große Übereinstimmung feststellen konnten, werde ich mich kurzfassen.
Herr Kollege Mechtersheimer, ich bedaure Ihre beleidigenden Unterstellungen. Wir sind keine Aufrüstungskoalition.
({0})
Herr Kollege, Sie wissen, diese Bundesregierung hat bisher mehr Abrüstung erreicht und mehr Entspannung in die Wege geleitet, als Sie sich erträumen konnten.
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Herr Kollege, wir wollen auch die WEU zu einem Instrument der Abrüstung und Entspannung machen. Das wissen Sie ganz genau, wenn Sie die „Plattform" einmal korrekt und ehrlich auslegen.
Die Westeuropäische Union ist ein wichtiger Schritt zu einer europäischen Sicherheitsunion, und die wollen wir. Sie ist die notwendige Ergänzung zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Wir wollen, daß die Europäische Gemeinschaft auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur mit einer Stimme spricht. Deshalb wollen wir die WEU, deshalb werden wir alles tun, um die WEU als Instrument der Harmonisierung europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken.
Die Europäische Gemeinschaft ist heute schon eine Wirtschaftsmacht, die mit der Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes noch zunehmen wird. Wenn es ihr aber nicht gelingt, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik ihr Gewicht gemeinsam in die Waagschale zu werfen, werden die politischen Möglichkeiten dieser Gemeinschaft weit hinter ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten zurückbleiben. Wir dürfen in den gemeinsamen Anstrengungen zur Revitalisierung der WEU nicht nachlassen.
({2})
Meine Damen und Herren, die im Oktober 1987 beschlossene Plattform gemeinsamer Sicherheitsinteressen ist ein qualitativer Sprung. Sie zeigt, daß die WEU mehr ist als die Addition der nationalen Streitkräfte. Ihr Ziel ist, nationale Interessen in europäische Interessen umzumünzen. Die WEU ist auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des europäischen Pfeilers in der westlichen Verteidigungsallianz. Europas Antwort auf die Fragen der gemeinsamen Verteidigungslasten wird die neue amerikanische Regierung und auch die amerikanische Öffentlichkeit überzeugen müssen. Dies ist, wie der Bundeskanzler erst vorgestern erklärt hat, nicht unbedingt mit mehr Verteidigungsausgaben verbunden. In der WEU geht es ja gerade darum, vorhandene Mittel durch Rüstungskooperation besser zu nutzen, um damit gemeinsam Kosten zu sparen.
Herr Kollege, ich gebe Ihnen ja gerne zu, Rüstungszuammenarbeit ist natürlich nicht alles, auch nicht in der WEU. Die WEU ist aber weit mehr als ein Militärbündnis. Gerade die WEU-Plattform zeigt, daß Dialog und Zusammenarbeit integraler Bestandteil der gemeinsamen Sicherheitspolitik sind.
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Auch Bedenken der Sowjetunion gegenüber unserem Zusammenschluß in der WEU sind nicht berechtigt. Die WEU ist kein Hindernis auf dem Weg zu gesamteuropäischer Kooperation und zur Abrüstung in Europa. Im Gegenteil, unser Zusammenschluß soll den Prozeß der Rüstungskontrolle und Entspannung in Europa fördern und beschleunigen.
Die WEU hat auch eine gesamteuropäische Zielsetzung. Es ist ihr höchstes Ziel, die Schaffung einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung zu erreichen. So steht es in der Plattform.
Herr Präsident, gestatten Sie mir noch eine Schlußbemerkung. Die WEU kapselt sich auch nicht ab. Die systemöffnende Kooperation, zu der uns der Bundespräsident bei der Verleihung des Karlspreises aufgefordert hat, ist auch Ziel der WEU. Nicht nur in Verteidigungsfragen, vor allem auch in der Abrüstung sind wir gefordert, unsere Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit im Interesse des ganzen Europa zu beweisen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung begrüße ich die Gelegenheit, den Stand der Bemühungen um die Erweiterung und die Belebung der Westeuropäischen Union dem Deutschen Bundestag erläutern zu können.
({0})
- Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, Herr Kollege.
Die Westeuropäische Union ist Schritt für Schritt dabei, in die Rolle hineinzuwachsen, die ihr die Plattform vom 27. Oktober 1987 gegeben hat. Die Westeuropäische Union soll dem Europäischen Einigungswerk die sicherheitspolitische Dimension verschaffen, ohne die die Europäische Union nicht vollständig wäre.
Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir bei der bevorstehenden Ministertagung der Westeuropäischen Union am 14. November in London das Protokoll unterzeichnen werden, nach dessen Ratifikation durch die beteiligten Staaten Spanien und Portugal Mitglieder der Westeuropäischen Union sein werden.
Dieses Protokoll, mit dem die beiden neuen Mitglieder dem modifizierten Brüsseler Vertrag von 1954 beitreten werden, ist ein nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes zustimmungsbedürftiges Abkommen. Die Bundesregierung wird deshalb dieses Protokoll dem Hohen Hause entsprechend den geltenden Verfahren unterbreiten.
Mit ihrem Beitritt zur Westeuropäischen Union vollziehen Portugal und Spanien einen weiteren bedeutsamen Schritt auf dem Wege zu ihrer völligen Eingliederung in den Prozeß der europäischen Zusammenarbeit. Sie sind bereit, den geänderten Brüsseler Vertrag
der europäischen Bündnispartner in allen seinen Teilen zu akzeptieren und der Erklärung von Rom vom 27. Oktober 1984 sowie der Plattform der europäischen Sicherheitsinteressen vom 27. Oktober 1987 ohne Vorbehalte zuzustimmen und an deren Verwirklichung mitzuarbeiten.
Auf der Basis dieser Zusagen der beiden neuen Mitglieder sind die Gespräche zügig verlaufen, zu denen die Westeuropäische Union Spanien und Portugal im Anschluß an die Ministertagung in Den Haag im April 1988 eingeladen hatte. In diesen Gesprächen wurden den beiden neuen Mitgliedern insbesondere die Ziele im einzelnen beschrieben, die sich die bisherigen Mitglieder in der WEU-Plattform gesetzt haben. Gleichzeitig wurde ihnen das gesamte Vertragswerk des modifizierten Brüsseler Vertrages erläutert.
Es besteht Übereinstimmung zwischen allen Beteiligten, daß Teile diese Vertragswerkes aus den 50er Jahren dem heute erreichten Stand der Zusammenarbeit beim Ausbau der Europäischen Union nicht mehr entsprechen. Es hätte aber zu viel Zeit gekostet, das Vertragswerk vor Erweiterung zunächst an diesen Stand anzupassen. Um eine rasche Aufnahme der beiden neuen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, haben sich die bisherigen und die neuen Mitgliedstaaten deshalb darauf geeinigt, daß Spanien und Portugal dem gesamten Vertragswerk, so wie es zwischen den bisherigen Mitgliedstaaten in Kraft ist, beitreten.
Zusammen mit der Unterzeichnung des Erweiterungsprotokolls wird aber eine politische Erklärung abgeben werden, das Vertragswerk unter Berücksichtigung der Praxis, der Ergebnisse und der Ausrichtung der Zusammenarbeit für die Zukunft in geeigneter Weise zu überprüfen.
Mit dieser ersten Erweiterung der Westeuropäischen Union nach ihrer Umformung durch die Vereinbarung von 1954 erhält sie nach den Beschlüssen von Rom erneut einen wichtigen politischen Impuls. An der Belebung der Westeuropäischen Union seit 1984 war die Bundesregierung von Anfang an maßgeblich beteiligt. Einzelheiten über die Entwicklung seither erläutert der Ihnen vorliegende Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der WEU.
Erlauben Sie mir bitte, folgendes zusätzlich hervorzuheben: In der Plattform haben die Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union ihr Konzept europäischer Sicherheit niedergelegt. Es umfaßt politische Solidarität mit ausreichender militärischer Stärke innerhalb des Atlantischen Bündnisses ebenso wie Rüstungskontrolle und Abrüstung und das Streben nach umfassender Zusammenarbeit mit den Staaten des Warschauer Paktes.
Es geht der Bundesregierung europapolitisch darum, eine umfassende Zusammenarbeit in allen Fragen der Sicherheitspolitik zu entwickeln. Damit soll zugleich allianzpolitisch der europäische Pfeiler des Bündnisses gestärkt und die europäische Rolle im Bündnis verdeutlicht werden, um die Basis für eine gleichgewichtige atlantische Partnerschaft zu gewährleisten.
Herr Kollege Mechtersheimer, man kann nicht beklagen, daß europäische Sicherheitsinteressen nicht ausreichend berücksichtigt würden, und im gleichen
Atemzug das Forum, wo es darum geht, diese Sicherheitsinteressen zu formulieren und zu definieren, als Aufrüstungsgemeinschaft denunzieren.
({1})
Auch die Arbeit der Westeuropäischen Union ist darauf ausgerichtet, eine dauerhaft und gerechte Friedensordnung in ganz Europa zu schaffen.
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Der Harmel-Bericht des westlichen Bündnisses, die Politik der Europäischen Gemeinschaft und die Arbeit der Westeuropäischen Union stehen in der Verantwortung für das ganze Europa, einer Verantwortung, die wir mit allen europäischen Staaten teilen, ganz gleich, ob sie neutral und ungebunden oder Mitglied des Warschauer Pakts sind.
Die USA und Kanada nehmen durch den HarmelBericht und durch die Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki an dieser Verantwortung teil. Die seit 1984 in der Westeuropäischen Union intensivierten Konsultationen haben ergeben, daß in allen Mitgliedstaaten und, wie die Erweiterung zeigt, darüber hinaus ein deutliches Interesse an der Entwicklung einer Zusammenarbeit besteht, mit der diese Zielsetzung verwirklicht werden kann. Präsident Mitterrand hat allerdings recht, wenn er fordert, die Westeuropäische Union so zu reformieren, daß diese Ziele auch tatsächlich erreichbar werden. Die erweiterte WEU wird sich dieser Aufgabe stellen.
Danke.
({3})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 16b wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. So ist dies beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/3298. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN wurde dieser gemeinsame Antrag angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 22. Januar 1988 zum Vertrag vom 22. Januar 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit
- Drucksachen 11/3258, 11/3265 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Vizepräsident Cronenberg
Hier ist eine Redezeit von einer Stunde als Höchstredezeit verabredet worden. Jede Unterschreitung wird dankbar angenommen.
Zunächst einmal hat der Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag berät heute in erster Lesung den Entwurf des Zustimmungsgesetzes zu den beiden Protokollen zum Elysee-Vertrag über die Schaffung eines Verteidigungs- und Sicherheitsrats sowie eines Finanz- und Wirtschaftsrats.
Beide Protokolle sind am 25. Jahrestag des ElyseeVertrags am 22. Januar 1988 in Paris in einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet worden. Die Denkschrift zu den Protokollen ist der französischen Regierung mit Verbalnote übermittelt worden. Mit den Vorhaben, die dem Deutschen Bundestag heute zur Beratung vorliegen, haben beide Staaten ihre auf der Grundlage des Elysee-Vertrags gewachsene Zusammenarbeit in entscheidenden Bereichen konkretisiert. Sie stellen damit die Dynamik und Zukunftsorientierung unserer Zusammenarbeit erneut unter Beweis.
25 Jahre nach Abschluß des Elysee-Vertrags können wir feststellen: Beide Staaten nutzen die Chance, ihre Beziehungen zu einer echten, unumkehrbaren Partnerschaft zu entwickeln. Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gehen damit auf dem Wege zur europäischen Union voran, die unser gemeinsames Ziel ist. Es ist wahr: Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist eine feste Konstante der europäischen Politik.
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Unsere Partnerschaft gibt dem Einigungsprozeß in der Europäischen Gemeinschaft Dynamik; deshalb ist sie auch Motor, Herr Feldmann. Es ist nicht eine Partnerschaft gegen andere, sondern für Europa.
Gemeinsam setzen wir unsere Kräfte dafür ein, daß die Einheitliche Europäische Akte mit dem Ziel der europäischen Union verwirklicht wird. Wir sind entschlossen, den europäischen Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden. Es bedarf einer außerordentlichen Kraftanstrengung unserer Gemeinschaft, auch die Dimension des gemeinsamen Sozialraumes, des gemeinsamen Währungsraumes und des gemeinsamen Technologieraumes zu verwirklichen und unsere Außenpolitik zunehmend gemeinsam zu gestalten.
Wir werden uns dabei durch nichts entmutigen lassen, sondern in gemeinsamer Anstrengung vorangehen. Im deutsch-französischen Verhältnis haben wir dafür die Voraussetzungen geschaffen. Die ständige politische und persönliche Abstimmung ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Das haben die 52. deutsch-französischen Gipfelkonsultationen in der letzten Woche erneut nachdrücklich unter Beweis gestellt.
Die Unterzeichnung des Protokolls über die Errichtung eines deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates in Paris zeigt die Entschlossenheit beider Länder, den eingeschlagenen Weg durch gemeinsames sicherheitspolitisches Handeln zielstrebig fortzusetzen.
Über die schon im Elysee-Vertrag von 1963 vorgesehene verteidigungspolitische Zusammenarbeit gehen wir ein gutes Stück hinaus. Nach Art. 4 des Zusatzprotokolls wollen wir eine zunehmende Abstimmung zwischen beiden Staaten in allen die Sicherheit Europas angehenden Fragen gewährleisten. Das schließt den Bereich der Rüstungskontrolle und der Abrüstung ein.
Der letzte deutsch-französische Gipfel am 3. und 4. November 1988 hier in Bonn hat bestätigt, wie nah wir uns in unseren Ansichten sind. Wir sind uns einig: Die Herstellung konventioneller Stabilität ist das Kernproblem europäischer Sicherheit. Der Westen muß deshalb für diese Verhandlungen, die wir noch in diesem Jahr wollen, konkrete Vorschläge vorlegen. Das gleiche gilt für die Verhandlungen über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen unter den 35 Teilnehmerstaaten, die die bereits in Stockholm vereinbarten Maßnahmen zur Schaffung von Vertrauen und Transparenz weiterführen und vertiefen sollen.
Die Erkenntnis, daß sich beide Staaten zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden haben, das Bewußtsein besonderer Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt tragen Früchte. Wir setzen Zeichen, aber wir fordern auch die kontinuierliche und stetige Fortsetzung der Arbeit für die europäische Zukunft.
Durch unsere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik können wir zugleich einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung und zu einer gerechten Verteilung der Lasten in der Allianz leisten.
Bei der Schaffung eines Verteidigungs- und Sicherheitsrats haben wir uns von der Überzeugung leiten lassen, gemeinsame Einsichten in konzertiertes politisches Handeln umsetzen zu können. Unser Vorhaben wird vom Bekenntnis beider Staaten zum obersten Ziel der westlichen Sicherheitspolitik, der Verhinderung jeder Art von Krieg, getragen.
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Mit dieser gemeinsamen Zielsetzung ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist eine vertragliche Festlegung auf eine bestimmte Strategie nicht verbunden. Von entscheidender Bedeutung ist, daß sich beide Länder einig sind, daß in der heutigen Zeit jede Strategie nur Kriegsverhinderungsstrategie sein kann. Wir werden alle Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens und zu seiner konstruktiven Gestaltung unternehmen. Das sind die Ziele, die die Bundesregierung stets als oberste Ziele deutscher Sicherheitspolitik bezeichnet hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit der Schaffung eines deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrates wird eine noch engere Zusammenarbeit beider Länder im Bereich der Finanz- und Wirtschaftspolitik verwirklicht werden. Beide Länder haben das Ziel, ihre Wirtschafts- und Währungspolitik weitgehend aufeinander abzustimmen. Sie erörtern jedes Jahr die Grundlinien der nationalen Haushalte.
Sie werden sich außerdem um gemeinsame Positionen in internationalen Organisationen bemühen.
Der deutsch-französische Finanz- und Wirtschaftsrat steht in einer zukunftsweisenden europäischen Perspektive. Die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes 1992, die den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr ermöglichen wird, setzt eine konvergente Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzpolitiken in Europa voraus. Dies wird nur durch eine außerordentliche Kraftanstrengung erreichbar sein, zu der die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich mit ihrer Zusammenarbeit wichtige Beiträge leisten.
Die Einigkeit in der Zielsetzung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland und unsere Entschlossenheit zur Durchführung hat schon wiederholt wichtige Entscheidungen in der Europäischen Gemeinschaft möglich gemacht.
Der belgische Außenminister Leo Tindemans, ein erfahrener und überzeugter Europäer, hat das Bild vom deutsch-französischen Versuchslabor für europäische Kompromißmöglichkeiten benutzt. Das beweist, daß auch unsere europäischen Partner erkennen, welcher Wert der deutsch-französischen Zusammenarbeit für den europäischen Integrationsprozeß zukommt.
In dem Finanz- und Wirtschaftsrat sind auch der Präsident der Bundesbank und der Gouverneur der Banque de France vertreten. Die Rechtsstellung der Bundesbank wird durch die Mitarbeit in diesem Gremium nicht berührt. Die Tätigkeit des Rates schränkt somit weder den Handlungsspielraum der Bundesbank ein noch berührt sie ihre Aufgaben, ihre Unabhängigkeit und die Zuständigkeit ihrer Organe. Der deutsch-französische Finanz- und Wirtschaftsrat hat schon mehrfach getagt. Schon jetzt zeigt sich, daß es sich um eine bedeutsame Institution handelt. Sie ist gut dazu geeignet, in der Perspektive der Wirtschafts-und Währungsunion zur dauerhaften Grundlage für die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zu werden und auch die Währungspolitiken beider Länder im nationalen, europäischen und internationalen Bereich mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Abstimmung zu erörtern.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hillerich?
Ich möchte gern fortsetzen, Frau Kollegin, damit wir diese Debatte möglichst bald beenden können.
Unser Wille, die deutsch-französischen Beziehungen in ihrer ganzen Breite fortzuentwickeln, zeigt sich auch an der Fülle von Vorhaben, die wir im Rahmen der kulturellen Zusammenarbeit zu dem Frankfurter Gipfel mit kulturellem Schwerpunkt im Oktober 1986 auf den Weg gebracht haben. Die Beschlüsse zur Gründung des deutsch-französischen Hochschulkollegs, des deutsch-französischen Kulturrats, dessen Konstituierung auf dem Gipfel der letzten Woche bekanntgegeben werden konnte, zeugen von der Ernsthaftigkeit der Bemühungen in beiden Ländern, die
kulturelle Dimension zu einem dynamischen Element unserer Zusammenarbeit zu machen. Mit der Aufnahme von Verhandlungen über die Einrichtung eines deutsch-französischen Kulturfernsehprogramms wird ein weiterer Schritt unternommen, die kulturelle Identität Europas den Bürgern unserer Länder bewußt werden zu lassen.
Meine Damen und Herren, die Dynamik im WestOst-Verhältnis unterstreicht mehr denn je die Notwendigkeit deutsch-französischen Zusammengehens. Für das ganze Europa ist es wichtig, daß beide Länder im Präambeltext des Protokolls über den deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat ihre Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß die Stärkung von Frieden und Freiheit Voraussetzung ist für Fortschritte auf dem Weg zu einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in ganz Europa.
({0})
Diese Zielsetzung befähigt uns, gemeinsam an dem großen Entwurf einer Architektur für das ganze Europa mitzuwirken. Zusammen mit Frankreich wollen wir auch dabei Wegbereiter sein.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Ehmke.
({0})
- Frau Abgeordnete Unruh, bei allem Verständnis bitte ich doch, dem Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die historische Bedeutung des Elysée-Vertrages von 1963 wird heute von niemandem ernsthaft bestritten. Wir haben uns daran gewöhnt, diesen Vertrag als eine Weichenstellung europäischer Nachkriegspolitik zu würdigen. Daß mit der Entstehung und dem Abschluß des Vertrages seinerzeit leidenschaftliche Kontroversen und Debatten verbunden waren, ist vielen kaum noch bewußt.
In der historischen Rückschau von 25 Jahren sind die widersprüchlichen Motive unverkennbar, von denen die beiden Vertragspartner 1963 bewegt worden sind. General de Gaulle sah in dem Vertrag ein Werkzeug, um dem hegemonialen Anspruch der Vereinigten Staaten von Amerika die Unabhängigkeit französischer Politik entgegenzusetzen. Dem vorausgegangen war ein gescheiterter Versuch, innerhalb des westlichen Bündnisses ein Direktorium mit den USA, Großbritannien und Frankreich zu errichten. De Gaulles Mißtrauen gegenüber der westlichen Bündnisvormacht wurde bestärkt durch den von ihm heftig beDr. Ehmke ({0})
kämpften Plan einer Multilateral Force unter deutscher Beteiligung.
Ziel de Gaulles war es, mit dem wiedererstarkten westlichen Teil Deutschlands, mit der Bundesrepublik, ein westeuropäisches Gegengewicht gegen die angelsächsischen Mächte zu bilden. Dabei unterschätzte er die Bedingungen und die Bindungen bundesrepublikanischer Politik. Die Folge war die Vorschaltung einer Präambel vor den Elysée-Vertrag, durch die der deutsche Partner die atlantische Einbettung des mit dem Elysée-Vertrag betriebenen politischen Konzeptes sichern wollte.
Unter solchen Voraussetzungen konnte der ElyséeVertrag die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Zwischen beiden Vertragspartnern entstand eine Phase tiefer Verstimmung, und die deutsch-französische Zusammenarbeit kam damals nur ganz mühsam in Gang. General de Gaulle äußerte seine Enttäuschung gegenüber Carlo Schmid in drastischen Worten. Der General sagte: „Der Vertrag ist tot, ehe er in Kraft tritt. "
In der Bundesrepublik hat der damalige Konflikt zwischen „Atlantikern" und „Gaullisten" lange fortgewirkt. Er tut es bis in unsere Tage. Daher ist es für unser Selbstverständnis und für die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung, Klarheit darüber zu gewinnen, was an de Gaulles Ansatz richtig und was an ihm zeitbedingter Irrtum war.
Zwei Gedanken oder Hintergedanken de Gaulles waren von der politischen Entwicklung schon überholt, als der Elysée-Vertrag noch verhandelt wurde. Die Absicht, unter Ausklammerung der angelsächsischen Mächte ein europäisches Gegengewicht zu schaffen, um Europa, wie de Gaulle sagte, von den „zwei Hegemonien" - den USA und der Sowjetunion - „vom Atlantik bis zum Ural" zu befreien, stand im Widerspruch zu der geopolitischen und geostrategischen Tatsache, daß Westeuropa als westlicher Zipfel des eurasiatischen Kontinents, als Gegengewicht zur sowjetischen Macht und zum Schutz seiner weltweiten Verbindungswege des Bündnisses mit den USA bedarf, wie umgekehrt die Vereinigten Staaten aus eigenem Interesse ihre atlantische Gegenküste nicht unter sowjetischen Einfluß geraten lassen dürfen.
So hat denn auch selbst in Frankreich die Auffassung de Gaulles, die französische Atomstreitmacht sei auf die Dauer nicht nur in der Lage, etwaige deutsche Revisionsgelüste unter Kontrolle zu halten, sondern auch ein Gegengewicht gegen die sowjetische Militärmacht zu bilden, der Einsicht Platz gemacht, daß auch Frankreich und seine Force de frappe unter den gegebenen Bedingungen des amerikanischen Schutzschirms bedürfen.
Auch die Intention de Gaulles, die Briten mit Hilfe Bonns aus der Europäischen Gemeinschaft fernzuhalten, war angesichts der nicht nur die Nationalstaaten des Kontinents betreffenden Notwendigkeit zur wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaftsbildung damals bereits im Ansatz überholt. Europa hört am Kanal sowenig auf wie am Belt oder an der Elbe.
Streicht man diese zeitbedingten Übertreibungen fort, wird der Kerngedanke de Gaulles, der auch der Kerngedanke des Elysée-Vertrages ist, um so deutlicher: daß nämlich nur eine deutsch-französische Schrittmacherrolle die politische Handlungsfähigkeit Europas - auch gegenüber den Vereinigten Staaten - wiedergewinnen kann.
De Gaulle hat dabei sehr weit gedacht. Er hat über ein gestärktes Westeuropa hinaus das ganze europäische Haus im Blick gehabt. Seine Vision reichte weit voraus in eine politische Zukunft, in der er Gesamteuropa die ihm nach 1945 auferlegte Teilung überwinden sah.
In unseren Tagen macht sich Frankreich unter Präsident Mitterrand daran, diese vorübergehend verlorengegangene Dimension seiner Ostpolitik neu zu gestalten. Deutsche und Franzosen müssen es als gemeinsame europäische Aufgabe begreifen, die Teilung Europas im Rahmen des Ost-West-Dialogs, im Rahmen der Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle und des Helsinki-Prozesses Schritt für Schritt zu überwinden. Ich komme darauf noch zurück.
Die Revitalisierung des Elysée-Vertrages begann unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt. Sie fand ihren Niederschlag in der im Frühjahr 1982 beschlossenen Intensivierung deutsch-französischer Zusammenarbeit auf sicherheits- und verteidigungspolitischem Gebiet. Die Ausführung dieses Beschlusses fiel dann bereits in die Zeit nach dem Regierungswechsel.
Vielleicht wird man die von Helmut Schmidt und dem damals erst kurze Zeit amtierenden Präsidenten Mitterrand unterschriebene Gipfelerklärung vom Februar 1982 einmal als eine Weichenstellung europäischer Politik ansehen. Jedenfalls ist sie eine der wichtigen europäischen Initiativen, die von der Regierung Helmut Schmidt ergriffen worden sind, wie z. B. auch die Direktwahl zum Europäischen Parlament oder die Einführung des Europäischen Währungssystems.
({1})
- Ich habe es nachgeprüft; Sie können beruhigt sein, Herr Kollege, daß es stimmt. Sie können sich die Vorlage ansehen, Herr Kollege.
({2})
Die Erklärung vom Februar 1982 setzte sich zum Ziel, „das Gewicht Europas in der Welt wieder zu vergrößern". Die engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit wurde in diesen weiten Rahmen hineingestellt. Gerade damit wurde an den Kern des ElyséeVertrags angeknüpft.
Aber ein wirklicher Durchbruch ist, wenn wir ehrlich sind, bisher dennoch nicht erreicht worden. Auf französischer Seite wurde die Zusammenarbeit von der Besorgnis überschattet, eine nicht fest im Westen - vor allem bei Frankreich - verankerte Bundesrepublik Deutschland könne nach Osten abgleiten.
({3})
Dr. Ehmke ({4})
- Man sollte falsche Besorgnisse nicht unterstützen, Herr Kollege Lamers, wenn man nationale Interessen richtig versteht.
({5})
Diese Besorgnis verstärkte sich Anfang der 80er Jahre, als bei uns - nicht zuletzt dank des Engagements der Friedensbewegung - die Debatte über die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen ihrem Höhepunkt zustrebte. In französischen Augen wuchs damit die akute Gefahr, daß die Westdeutschen in den Neutralismus abdriften könnten: „dérivé allemand".
Dem entsprach auf deutscher Seite Unsicherheit über den politischen Stellenwert und die konkrete Ausgestaltung der neu beschlossenen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Frankreich. Nach dem Regierungswechsel erhielt die Pflege militärischer Symbole - wie etwa der Aufbau einer deutschfranzösischer Brigade - eine unangemessene Bedeutung. An praktischen Schritten, die der Zusammenarbeit vor allem im Bereich konventioneller Streitkräfte politisches Gewicht geben würden, fehlt es nach wie vor.
({6})
- Die Brigade ist doch nur Ersatz, Herr Feldmann. Darüber brauchen wir beide uns doch nicht zu streiten.
({7})
Wir Sozialdemokraten verkennen nicht, Herr Bundesaußenminister, daß auch der Errichtung der in den Zusatzprotokollen vorgesehenen gemeinsamen Räte ein stark symbolischer Zug anhaftet.
({8})
- Fühlen Sie sich bitte nicht ausgeschlossen, gnädige Frau.
Alles, was an deutsch-französischer Zusammenarbeit notwendig ist, ließe sich auch in den alten Prozeduren, d. h. ohne die neuen Räte, bewerkstelligen. Immerhin mögen diese Räte aber - alle Macht den Räten! - der Intensivierung der Zusammenarbeit dienen. Darum stimmen wir ihrer Errichtung mit dem Ratschlag zu, diese Zusammenarbeit so zu handhaben, daß sich andere westeuropäische Partner weder ausgeschlossen noch übergangen fühlen können.
Entscheidend werden aber nicht Gremien und Verfahren, Sonden die Politiken sein, die die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gemeinsam voranbringen. Herr Bundesaußenminister, das Festschreiben betagter Abschreckungsstrategien etwa, wie sie mit einer Anleihe bei der WEU-Plattform in der Präambel zum Protokoll über die Errichtung eines gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsrats umschrieben worden sind, würde z. B. keine Zukunftsperspektiven eröffnen. Der Passus in der Präambel, daß sich eine Strategie der Abschreckung und Verteidigung auch weiterhin auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen müßte, ist für uns Sozialdemokraten
daher nur als Beschreibung des gegenwärtig bestehenden Zustands, nicht aber als Bindung für die Zukunft annehmbar.
({9})
- Wenn alles unredlich wäre, was Sie für falsch halten, gäbe es überhaupt keine Redlichkeit mehr, Herr Kollege Mechtersheimer.
({10})
Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in ihrer Denkschrift zu dem Protokoll klarstellt, daß von diesem keine vertragliche Festlegung auf eine bestimmte Strategie ausgeht. Wir begrüßen es, daß diese Rechtsauffassung mit der Denkschrift der französischen Seite durch Verbalnote notifiziert worden ist. Und wir begrüßen es, daß sich die französische Regierung
- hören Sie doch mal zu, Herr Mechtersheimer, bevor Sie nachher wieder so viele falsche Dinge erzählen wie vorhin in der WEU-Debatte ({11})
bereit erklärt hat, ihrerseits im parlamentarischen Ratifizierungsverfahren klarzustellen, daß sie dieser Rechtsauffassung nicht widerspricht.
Herr Professor, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hillerich?
Mit Vergnügen.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Professor Ehmke, vorhin sprachen Sie davon, daß es sich bei der Passage betreffend die Strategie der Abschreckung und Verteidigung, die sich auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen muß - ich zitiere aus dem Manuskript -, um eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustands handelt. Im Manuskript steht - ich zitiere - , daß sich diese Strategie weiterhin auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen muß. Halten Sie den Ausdruck „weiterhin" für die Beschreibung eines gegenwärtigen Zustands oder für eine Zukunftsperspektive?
Ich halte es für eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustands, daß das die Überzeugung der Allianz und der beiden Regierungen ist, gnädige Frau. Uns kommt es darauf an, statt nur zu meckern und im Negativen zu verharren, die Zukunft für eine Entwicklung offenzuhalten, die von dieser Strategie weggeht. Das ist das Entscheidende in bezug auf dieses Protokoll.
({0})
Dr. Ehmke ({1})
Dabei gestatte ich mir den Hinweis, daß die französische Strategie - nun hören Sie gut zu, Herr Mechtersheimer ({2})
und die Strategie des integrierten Bündnisses ja keineswegs deckungsgleich sind.
({3})
- Es ist ja auch gut, wenn wir feststellen, was sonst Unsinn wäre.
({4})
- Dann muß man so formulieren, daß es nicht völkerrechtlich binden kann.
({5})
Ich sage: Frankreich, das weder über nukleare Gefechtsfeldwaffen noch über taktische Kurzstreckenraketen verfügt, lehnt die NATO-Strategie der sogenannten flexiblen Antwort ab, Herr Lamers. Frankreich lehnt die geltende NATO-Strategie ab, und zwar mit dem einsichtigen Argument, daß diese Strategie aus politischen Waffen Kriegsführungswaffen mache. Das ist für die weitere sicherheitspolitische Diskussion auch in dem neuen gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsrat ein gewichtiges Argument und ein wichtiger Punkt. Logischerweise müßte er - neben anderen, gerade im deutschen Interesse liegenden Gründen - zum französischen Verzicht auf die Einführung der nuklearen Hades-Rakete führen. Das theoretische Etikett „prä-strategisch" , das die Franzosen dieser Waffe anheften, ändert natürlich nichts an ihrer technischen Natur, eine nukleare Kurzstreckenrakete, und das heißt eine Kriegsführungswaffe, zu sein. Im übrigen, um aus der kürzlichen Rede des Herrn Bundespräsidenten in Aachen zu zitieren: „Wen kann ,Hades' vor dem Hades bewahren?"
({6})
Das führt zu dem zentralen Punkt: Eine sinnvolle deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit muß Teil einer gesamteuropäischen Friedenspolitik sein. Für die europäische Zukunft ist heute die Antwort des Westens auf Gorbatschow zentral. Unter den westlichen Mächten haben gerade Frankreich und die Bundesrepublik hier eine besondere Aufgabe. Wenn Frankreich sich von der ursprünglichen de Gaulleschen Vision leiten läßt, wird es sich politisch vom Status-quo-Denken ebenso lösen wie vom strategischen Glacis-Denken.
Herr Kollege Mechtersheimer, nun noch einmal in Ruhe: Das Ziel, Frankreich dafür zu gewinnen, erreicht man nicht, wenn man die deutsch-französische und die westeuropäische Zusammenarbeit in einer so blinden Weise diffamiert, wie Sie es hier heute getan haben.
({7})
Wir Sozialdemokraten werden uns auch in der Zusammenarbeit mit Frankreich weiterhin dafür einsetzen, die Abschreckungsstrategie der gegenseitigen Vernichtung durch eine Strategie der gemeinsamen Sicherheit zu ersetzen. Der Versuch, Sicherheit durch Konzepte der nuklearen Abschreckung und des militärischen Gleichgewichts zu gewinnen, hat zu einem die Menschheit bedrohenden und ihre Ressourcen verschlingenden Rüstungswettlauf mit politisch wie militärisch gleichermaßen wahnwitzigen „Overkill"Kapazitäten geführt.
({8})
Demgegenüber gilt es die Einsicht durchzusetzen, daß im nuklearen Zeitalter Sicherheit nicht mehr rein militärisch, sondern nur noch politisch und nur noch gemeinsam erreicht werden kann. Der Weg zur Verwirklichung dieser Einsicht wird lang und schwierig bleiben. Er wird um so hoffnungsvoller sein, je stärker Deutsche und Franzosen ihn gemeinsam gehen.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf nachdrücklich. Die deutsch-französische Zusammenarbeit war für beide Unionsparteien stets ein Schlüsselelement ihrer Politik, die ein handlungsfähiges Europa zum Ziel hat. Konrad Adenauer hat diese Politik begründet. Franz Josef Strauß war einer ihrer nachhaltigsten Förderer. Ich will auch Helmut Schmidts Verdienste um sie ausdrücklich erwähnen. Der jetzige Bundeskanzler hat sich durch sein unermüdliches, nachdrückliches und erfolgreiches Engagement für diese Politik schon heute einen hervorragenden Platz in dieser von seiner Partei begründeten Tradition gesichert. Der Bundesaußenminister weiß, daß für die zentralen Anliegen der deutschen Außenpolitik die Abstimmung mit Frankreich eine unerläßliche Voraussetzung ist, und er handelt danach.
Ebenso wie wir dieses Vertragswerk begrüßen, fordern wir die Bundesregierung auf, ermuntern wir sie, die nunmehr geschaffenen Institutionen mit voller Energie zu nutzen, um durch einen deutsch-französischen Akkord in den grundlegenden Fragen Sicherheit, Währung und Finanzen die Handlungsfähigkeit des demokratischen Europas schnell und entschlossen weiterzuentwickeln.
Dabei sollte sie sich und sollte Frankreich sich nicht länger mit dem meines Erachtens unnötigen, entfernt an die unglückselige Präambel-Diskussion erinnernden Geplänkel um die Rechtsstellung der Bundesbank und um die angebliche Festschreibung einer Militärstrategie aufhalten. Das, was dazu jetzt in der Denkschrift steht, war meines Erachtens, Herr Kollege Ehmke, ohnehin klar aus dem Gesetzeswortlaut und aus dem Gesamtzusammenhang ersichtlich. Doch in einer Hinsicht war diese Diskussion durchaus nützlich. Sie hat nämlich kurz aufleuchten lassen, Herr Kollege Ehmke, daß die sicherheitspolitischen Grund7406
satzpositionen Ihrer Partei und Frankreichs, auch des sozialistisch geführten Frankreichs, unvereinbar sind, denn es geht selbstverständlich nicht darum, eine Militärstrategie völkerrechtlich festzuschreiben.
({0})
Dagegen hätte ich auch ganz erhebliche Bedenken. Das aber kann schon deswegen nicht der Fall sein - wenn ich das gerade zu Ende ausführen darf - , weil Sie zu Recht festgestellt haben, daß Frankreich und die Bundesrepublik leider noch keine gemeinsame Strategie haben.
Es bleibt trotzdem bei Ihrem Wunsch?
({0})
Bitte schön, wenn der Herr Kollege Lamers einverstanden ist. Lamers ({0}): Ja.
Kollege Lamers, muß ich aus Ihrer Äußerung hier entnehmen, daß die CDUFraktion im Gegensatz zur Bundesregierung nicht glücklich darüber ist, daß diese Klarstellung erfolgt ist?
Nein, selbstverständlich nicht. Ich habe sie nur für unnötig gehalten, und sie ist ja auch als freundliche Geste Ihnen gegenüber zu verstehen, weil es ohnehin klar war, daß das nicht gemeint sein konnte. Man muß sich das einmal vorstellen, Herr Kollege Ehmke: Man schreibt eine Strategie völkerrechtlich fest. Dann können Sie doch beide Seiten nicht mehr verändern. Im übrigen müßte es auch eine gemeinsame Strategie sein, und die haben wir unbestrittenerweise nicht.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Aber Ihnen ist doch sicher bekannt, daß es unter den Völkerrechtlern gar keinen Streit darüber gibt, daß ohne diesen Vorbehalt dies tatsächlich im Protokoll stehen würde. Es war nicht beabsichtigt, aber es ist halt so reingekommen, weil man nicht aufgepaßt hat.
({0})
- Ich sprach über die Völkerrechtler, Herr Feldmann.
Herr Kollege Ehmke, es geht hier überhaupt nicht um Juristisches - um das klar zu sagen -, sondern darum, ob jener Satz, daß sich die Strategie der Abschreckung und Verteidigung auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen muß,
({0}) die gemeinsame Überzeugung und die gemeinsame Politik Frankreichs und der Bundesrepublik weiter bestimmen soll, ja oder nein. Und jeder, der dem Protokoll zustimmt, stimmt dieser Aussage zu.
({1})
Deswegen bin ich sehr gespannt auf Ihr Abstimmungsverhalten in der zweiten Lesung. Es geht nicht um mehr, aber auch nicht um weniger. Der Tanz, den Sie da aufführen, läßt das, was ich behauptet habe und was auszuführen mir die Zeit leider nicht erlaubt, als nur allzu begründet erscheinen.
Was soll das Ziel der Abstimmungen in den beiden Räten sein? Ich will zum Wirtschafts- und Sozialrat nicht viel sagen. Nur soviel: Gemeinsames Ziel Frankreichs und der Bundesrepublik muß sein, eine Währungsunion zu erreichen. Ich meine, daß die Voraussetzungen dafür besser geworden sind, weil alle europäischen Länder und gerade auch Frankreich sich bemühen, eine stabilitätsorientierte, antiinflationäre Politik zu betreiben.
Meine Freunde, ich will auch soviel sagen: Wenn wir zu Recht davon überzeugt sind, daß alle europäischen Völker ihr Schicksal miteinander teilen müssen, um eine gemeinsame Zukunft zu haben, dann kann das nicht beim Geld halt machen. Ohne eine gemeinsame Sicherheitspolitik kann es kein politisch handlungsfähiges Europa geben. Ohne Frankreich und ohne deutsch-französische Initiative und deutschfranzösisches Beginnen kann es keine gemeinsame Sicherheitspolitik in Europa geben. Dieser Zusammenhang kennzeichnet wirklich die essentielle Schlüsselfunktion des deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammengehens.
Zu den tausend guten Gründen, die es schon immer für diese Politik gab, ist ein weiterer hinzugekommen. Die neue sowjetische Politik und der Abrüstungsprozeß verlangen dringend nach einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Antwort nicht nur für das Heute, sondern auch nach einer Antwort, die für die Zukunft tragfähig ist. Auch sie muß auf einem deutsch-französischen Akkord beruhen. Die Entwicklung Westeuropas zu einem handlungsfähigen Akteur ist ein tragendes Element bei der Konstruktion einer neuen Friedensordnung auf unserem Kontinent.
Die Entwicklung der Sowjetunion bietet Chancen für eine solche Friedensordnung, eine bessere. Aber - das ist vielleicht das, was uns unterscheidet, Herr Kollege Ehmke - nur ein starkes Europa der demokratischen Länder unseres Kontinents kann diesen Entwicklungsprozeß in der Sowjetunion beeinflussen, kann den Gefahren von Instabilitäten in der Sowjetunion und im Warschauer Pakt widerstehen, kann das Ergebnis erfolgreicher Reformen, nämlich eine noch mächtigere Sowjetunion, aushalten, ausbalancieren. Partner der Sowjetunion soll Westeuropa schon sein. Aber es muß auch Gegenpart sein können. Es geht nicht um eine europäische Supermacht, aber eine Macht muß Europa schon sein.
Was die Abrüstung angeht, sollten wir uns daran erinnern, daß eine gemeinsame Abrüstungsstrategie eine gemeinsame Sicherheitspolitik voraussetzt. Wir sollten uns klarmachen, daß die Verwirklichung unserer abrüstungspolitischen Ziele strategische wie siLamers
cherheitspolitische Grundpositionen sowohl Frankreichs wie der Bundesrepublik Deutschland berührt. Vor allem aber sollten wir uns eines klarmachen. Unser Ziel bei den Wiener Verhandlungen, konventionelles Gleichgewicht in Europa, d. h. Abbau der sowjetischen Überlegenheit, ist gleichbedeutend mit der Aufforderung an die Sowjetunion, diese regionale Überlegenheit nicht länger als Ausgleich ihrer globalen Unterlegenheit gegen die Vereinigten Staaten zu verstehen.
Dieses Ziel mit seinen außerordentlich weitreichenden Implikationen für die sowjetische Weltmachtrolle werden wir nur erreichen, wenn Europa nicht länger zuläßt, daß seine Sicherheit von der Sowjetunion als eine Funktion ihres Verhältnisses zu den USA betrachtet wird. Frankreich und die Bundesrepublik sind sich heute völlig darüber einig - anders, als das in den 60er Jahren der Fall zu sein schien -, daß die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik das Bündnis zwischen den USA und Europa nicht ersetzen, sondern es im Gegenteil dauerhaft auf eine gesündere, von mehr Gleichgewicht bestimmte Grundlage stellen soll, daß es eben um die Errichtung des europäischen Pfeilers geht. Frankreich und die Bundesrepublik sind sich auch einig, daß unsere Partner in Europa nicht ausgeschlossen werden sollen und die entstehenden deutsch-französischen Sicherheitsstrukturen für eine europäische Sicherheitsunion offenbleiben müssen.
Wenn man im übrigen das Bild des europäischen Pfeilers zu Ende denkt, vermag es den Widerspruch zwischen NATO-Integration und europäischer Verteidigungsidentität aufzulösen. Der Pfeiler bedeutete eben eine grundlegende Veränderung der politischen und militärischen Strukturen des Bündnisses. Statt eines Bündnisses zwischen den USA und 14 europäischen Nationen gäbe es eine Allianz zwischen Europa und den USA.
Auf dem Weg dorthin sind natürlich viele konkrete, handfeste Schwierigkeiten, ja, auch Interessenunterschiede und viele psychologische Widerstände zu überwinden, übrigens nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Bundesrepublik und anderswo. Ob es uns gelingt, sie zu überwinden, wird entscheidend davon abhängen, ob wir die Einsicht beherzigen - und in der Lage sind, entschlossen Konsequenzen aus ihr zu ziehen -, daß Unabhängigkeit, genauer gesagt: ein größtmögliches Maß an Unabhängigkeit in der Sicherheitspolitik wie in allen anderen Politikbereichen alle europäischen Länder, auch Frankreich und die Bundesrepublik, nur noch gemeinsam erhalten können, wenn wir aus der tatsächlich bestehenden Schicksalsgemeinschaft eine Handlungsgemeinschaft gestalten.
Auf dem Weg zu diesem Ziel müssen wir pragmatisch, klug und besonnen vorgehen. Aber pragmatische Schritte - die einem immer in der Antwort genannt werden, wenn man nach dem weiteren Vorgehen fragt - müssen in die richtige Richtung erfolgen, und deswegen, Herr Bundesaußenminister, ist nunmehr die Zeit für eine grundsätzliche Zielbestimmung und Weichenstellung gekommen. Dazu fordern wir die Bundesregierung und die französische Regierung
auf. Wir, die Union, werden sie dabei begleiten, fördernd und fordernd, ermahnend und ermunternd.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß diese Debatte bei Ihnen, Herr Ehmke, jetzt schon einige Nachdenklichkeit auslöst. Sie versuchen hier, etwas miteinander zu verbinden, nämlich Ihre sonstige Position in der Nuklearfrage und diese Protokolle. Das kann ja unter Umständen in der Regierungsverantwortung einmal ein Zwang sein, dem man sich beugen muß, aber für eine Oppositionspartei ist das nicht zwingend, insbesondere dann nicht, wenn diese Oppositionspartei ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen will.
({0})
Wer heute dem deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat zustimmt, muß, glaube ich, schon ganz grundsätzlich die Frage beantworten, ob er wirklich glaubt, daß er den Millionen Franzosen und Deutschen, die in zwei Weltkriegen verblutet sind, dadurch gerecht werden kann, daß Deutsche und Franzosen nunmehr gemeinsam auf andere Europäer schießen sollen.
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- Das sagt man immer dann, wenn man den Krieg vorbereitet.
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Man kämpft zusammen, man macht gemeinsam Manöver.
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- Nein, das Verfahren, das Sie anbieten, kann scheitern, und dann wird gemeinsam gegen einen anderen Teil Europas Krieg geführt. Das wird geübt.
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- Es mag ja sein, daß niemand das will,
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aber es kann jemand eine Politik betreiben, die zu diesem Ergebnis führt.
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Ein deutsch-französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat ist sicherheitspolitisch überflüssig
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und abrüstungspolitisch schädlich. Die deutsch-französische Militärkooperation ist eine Barrikade auf dem Weg zum gemeinsamen Haus Europa.
Das Protokoll beginnt wieder einmal mit einer Begriffslüge. Wieder einmal wird vom europäischen Einigungswerk gesprochen, obwohl es hier um einen Teil Westeuorpas geht. Ich hoffe, daß nach dem Moskau-Besuch des Bundeskanzlers die Sensibilitäten für den Unterschied zwischen westeuropäischer und gesamteuropäischer Politik auch im Regierungslager gewachsen sind.
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Das ist keine semantische Frage. Es ist der prinzipielle Unterschied zwischen Gegnerschaft und Verständigung, zwischen Wettrüsten und Abrüstungspolitik, zwischen Blockkonfrontation und europäischer Friedensordnung.
Es ist folgerichtig, wenn derjenige, der eine westeuropäische Militärmacht schaffen will, eine Identität auf dem Gebiet der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik entwickeln möchte. So steht es im Protokoll.
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- Es kann ja das Ergebnis sein, auch wenn Sie persönlich, Herr Feldmann, es nicht wollen.
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Wer aber ein gemeinsames Haus Europa anstrebt, braucht diese militärische Identität,die hier beschrieben ist, überhaupt nicht.
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Sie ist vielmehr ein Hindernis bei einer wachsenden neuen kulturellen europäischen Identität, die ja wohl nicht die Addition aus zwei Militärbündnissen sein kann.
Nun wird immer wieder erklärt - auch gestern wieder vom Außenminister - , westeuropäische Integration, auch die militärische und rüstungsindustrielle, sei kein Widerspruch zu dem Streben nach einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Leider wird immer nur postuliert, daß das kein Widerspruch sei. Ich kenne von Ihnen kein Konzept, mit dem erklärt wird, wie diese aus meiner Sicht unvereinbaren Widersprüche miteinander in Einklang gebracht werden sollen.
Wird denn eine deutsch-französische Militärachse geschaffen, wird die Westeuropäische Union ausgeweitet und reaktiviert, damit man sie möglichst schnell wieder abschaffen kann? Oder aber - das wäre eine logische Konsequenz - baut man hier etwas auf, was man Schritt für Schritt mit einer neuen Interpretation von Rollback auf ganz Europa ausweiten soll? Das wäre eine theoretische Möglichkeit,
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die ich Ihnen nicht unterstellen möchte. Aber denken Sie doch einfach einmal mit, wie die logische Konsequenz ist.
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- So etwas können Sie sich doch zu dieser späten Stunde sparen.
Wenn man aber diese Militärintegration Westeuropas tatsächlich als eine Vorstufe für eine europäische Friedensordnung, z. B. für ein kollektives gesamteuropäisches Sicherheitssystem, verstehen will, weshalb fragt man dann nicht nach einem spiegelbildlichen Prozeß auf der anderen Seite? Dort findet interessanterweise das Gegenteil dessen statt, was Sie für Westeuropa betreiben. Dort gibt es keine Intensivierung der Militärintegration;
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eher das Gegenteil: Dort gibt es eine ernstzunehmende Abrüstungsbereitschaft aus ökonomischen Interessen. Niemand denkt daran, zwischen Ost-Berlin und Prag oder zwischen Warschau und Budapest eine Militärachse zu installieren. Da merkt man doch, daß irgend etwas an der Spiegelbildlichkeit, an dem Kernansatz, daß man dort etwas zusammenwachsen lassen möchte, nicht stimmt.
Wer sich mit Frankreich auf eine enge militärische Zusammenarbeit einläßt, gewinnt keinen Partner für die Abrüstung, sondern einen Verbündeten für die Aufrüstung und das Wettrüsten.
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Frankreich ist zusammen mit den Vereinigten Staaten hauptverantwortlich für das Scheitern der Verhandlungen zu einem weltweiten C-Waffen-Verbot in Genf; da hatten wir alle gemeinsam Hoffnungen. Darüber kann auch die Konferenz im Januar, die eine Alibiveranstaltung ist, nicht hinwegtäuschen. Daß ausgerechnet diejenigen, die diese Genfer Konferenz mit in diese Schwierigkeiten getrieben haben, diejenigen sind, die jetzt sehr schnell eine Alternativkonferenz in Paris organisieren, sollte doch nachdenklich machen.
Frankreich verweigert sich mit der bekannten Arroganz ohnegleichen, der nuklearen Abrüstung beizustehen, sie zu unterstützen, sie zu betreiben. Vielmehr modernisiert es sein gewaltiges see- und landgestütztes Nuklearpotential mit menschenverachtender Rücksichtslosigkeit. Frankreich wird trotz einiger Ablenkungsmanöver seine neue taktische Nuklearwaffe Hades so stationieren, daß sie damit - wie es heißt - sowjetische Angriffsspitzen auf dem Boden der Bundesrepublik nuklear zerstören kann.
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Mit einem Zynismus ohnegleichen erklärt der französische Präsident, es sei nur ein Einsatz - Herr Ehmke, vielleicht kennen Sie das noch nicht - gegen militärische Ziele geplant.
Statt auf diese Ankündigung des Massenmordes in der Bundesrepbulik - das wäre es - zumindest mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu reagieren, will sich die Bundesrepublik an diesem Konzept auch noch selber beteiligen. Das muß sehr schlechte Gründe haben, und diese schlechten Gründe sind parallel zu dem, was heute schon im Zusammenhang mit der Reaktivierung der WesteuroDr. Mechtersheimer
päischen Union gesagt geworden ist. Es besteht die Gefahr, daß sich die Bundesrepublik auf diese Art für eine deutsche Teilhabe an der französischen Nuklearrüstung vorbereitet.
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Denn in der Denkschrift wird davon gesprochen, daß neue, zusätzliche Verbände eingerichtet werden.
Wenn Sie jetzt beides bedenken - die Grundorientierung, die nicht aus der Welt geschafft ist, die dankenswerterweise von Herrn Lamers bestätigt wurde, und die Bereitschaft, neue gemeinsame Verbände zu schaffen -, dann können Sie nicht ausschließen,
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daß eine gemeiname deutsch-französische Artilleriebrigade geschaffen wird, der Sie mit Ihrem Votum schon heute zugestimmt hätten.
({19})
Das wird heute hier vorbereitet. Eine nächste Brigade - das ist nicht durch diese Verträge ausgeschlossen - z. B. eines nuklearen Artilleriebataillons ist hier völlig abgedeckt,
({20})
und das ist die neue Qualität, die Sie hier vorbereiten. Die Militärachse Bonn-Paris ist eine Ausgeburt des alten Denkens, sie ist eine völlig falsche Antwort auf Gorbatschow.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt im Gegensatz zu dem Vorredner den hohen Grad an Übereinstimmung, den die französische und die deutsche Regierung in vielen wichtigen Politikbereichen erreicht haben. Sie beweist, daß aus ehemaligen Feinden enge Partner, ja sogar Freunde werden können. Das ist ein Zeichen der Hoffnung für Europa. Man kann sogar von einer besonderen Qualität der Beziehungen sprechen, die es jetzt auch erlauben, an besonders schwierige Fragen der Zusammenarbeit heranzugehen. Die beiden Zusatzprotokolle des Elysée-Vertrages handeln von solchen besonders wichtigen, aber eben auch besonders sensiblen Bereichen der Zusammenarbeit.
Herr Mechtersheimer, im Gegensatz zu Ihnen bewertet die FDP jeden Versuch der beiden Regierungen, die deutsch-französischen Beziehungen zu stärken, um zu noch mehr Gemeinsamkeiten zu kommen, positiv.
({0})
Herr Kollege, wenn Sie bezweifeln, daß die deutschfranzösische Zusammenarbeit tatsächlich Ausdruck einer auf Frieden und Verständigung ausgerichteten Politik ist, so kann ich Ihnen nur entgegenhalten: Die
Realitäten der deutsch-französischen Zusammenarbeit und die gemeinsamen Ziele dieser beiden Staaten sprechen eine andere Sprache.
({1})
Herr Kollege, unsere beiden Staaten arbeiten zusammen bei der Vorbereitung der Verhandlungen über konventionelle Waffen in Wien, und zwar mit dem gemeinsamen Ziel, durch Abrüstung mehr Sicherheit in Europa zu schaffen. Herr Kollege, beide Regierungen haben mittlerweile im Gegensatz zu dem was Sie eben behauptet haben, Übereinstimmung über die Dringlichkeit eines weltweiten C-Waffen-Verbots erzielt. Das ist Tatsache.
({2})
Herr Kollege, beide Regierungen bauen ihre Beziehungen zur Sowjetunion und zu den anderen sozialistischen Staaten aus. Auch da stimmt nicht, was Sie gesagt haben. Wir stimmen - gerade jetzt haben es der Bundeskanzler und der Außenminister getan - die Ostpolitik eng aufeinander ab. Auch das ist ein Erfolg für Europa. Herr Kollege Mechtersheimer, es tut mir wirklich auch für Sie leid, daß Sie sich heute hier so verrennen.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik grenzen niemanden aus, sie sind gegen niemanden gerichtet.
({3})
Beide Staaten wollen Wegbereiter für die Stärkung der Europäischen Gemeinschaft sein, für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die dem Frieden und der gesamteuropäischen Zusammenarbeit dient.
Herr Abgeordneter Dr. Feldmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Nein. Ich bin der letzte Redner des heutigen Tages und möchte meine Ausführungen abschließen.
Dies, Herr Abgeordneter Dr. Feldmann, entspricht nicht den Tatsachen.
Außenminister Genscher hat vorhin den Vorwurf, Herr Kollege Ehmke, das Protokoll über den Sicherheits- und Verteidigungsrat schreibe eine bestimmte Strategie fest, die Strategie der nuklearen Abschreckung, richtiggestellt. Herr Kollege Ehmke, könnte es nicht sein, daß der Präsident Mitterrand damals in der Zeit der Cohabitation nur etwas gebremst handeln konnte - ich bedanke mich ausdrücklich, daß Sie mir jetzt Ihr Ohr leihen -, und könnte es nicht sein, daß sich heute bei unserem Nachbarn eine ganz andere Bewegung zeigt, vor allem in dem von Ihnen angesprochenen Bereich?
({0}) - Sie stimmen mir zu, das ist gut.
Auch ich bin kein Anhänger dieser Strategie, die in letzter Konsequenz Vernichtung und Selbstvernichtung einschließt. Aber solange wir nichts Besseres haben, bleibt es so, wie es unser Bundesaußenminister formuliert hat, das Auffangnetz der Ultima ratio. Die Überwindung oder - besser gesagt - die Verdrängung der nuklearen Abschreckung ist die Aufgabe der Friedenspolitik.
({1})
- Herr Kollege, hören Sie doch zu! Nukleare Abschreckung muß durch kooperative Sicherheitsstrukturen überwunden werden. Das ist auch eine Aufgabe der deutsch-französischen Zusammenarbeit.
({2})
Die FDP hat die Verhandlungen zum Finanz- und Wirtschaftsrat gefördert, zugleich aber auch kritisch begleitet. Wir haben von Beginn an Wert darauf gelegt, daß die Autonomie der Bundesbank gewahrt bleibt. Wir haben guten Grund dazu, die Unabhängigkeit unserer Zentralbank zu verteidigen, denn die Bundesbank hat maßgeblich zur Leistungskraft unserer Wirtschaft und zur Stabilität unserer Währung beigetragen.
({3})
Die FDP begrüßt, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank nicht angetastet wird. In der Denkschrift ist eindeutig festgestellt, daß der Finanz- und Wirtschaftsrat nicht die Aufgabe hat, Beschlüsse zu fassen, sondern durch regelmäßige Konsultationen zu einer Abstimmung der Währungspolitik beizutragen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Staaten ist kein Schönwetterflirt, sie ist langfristig angelegt. Die Abstimmung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik muß vor allem dort verstärkt werden, wo beide Staaten noch verschiedene Wege gehen. Z. B. im Bereich der Sicherheitsspolitik, beim Verteidigungs- und Sicherheitsrat, müssen wir über den Rüstungsexport sprechen. Im Wirtschaftsrat müssen wir auch über Umweltschutz sprechen.
({4})
Denn wo Franzosen und Deutsche nicht einig sind - ({5})
- Das ist doch Ziel und Inhalt unserer Politik. Darüber brauchen wir doch gar nicht extra zu sprechen, Herr Kollege.
Lassen Sie mich schließen. Wo Franzosen und Deutsche nicht einig sind, ist auch die Handlungsfähigkeit Europas blockiert. Giscard d'Estaing hat recht, Europa macht Fortschritte, wo Deutsche und Franzosen vereint sind; wo sie aber getrennt sind, stagniert Europa.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})
Das Wort hat der Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Kollege Mechtersheimer hier zu den Absichten gesagt hat, die sich mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit verbinden, und das, was er an Unterstellungen über die Absichten der französischen Politik gesagt hat, wird von der Bundesregierung mit Entschiedenheit und als diffamierend zurückgewiesen.
({0})
Meine Damen und Herren, was unseren Vätern noch als eine unerreichbare Utopie erschien, das verwirklicht sich in der deutsch-französischen Freundschaft und Zusammenarbeit. Hier wird als Kernstück der europäischen Vereinigung gezeigt, daß es sehr wohl möglich ist, Lehren aus einer schrecklichen europäischen Geschichte zu ziehen,
({1})
daß es möglich ist, daß Völker den schönsten Sieg über sich selbst erringen, nämlich den Sieg über nationale Egoismen.
({2})
Diese Gemeinschaft, diese Zusammenarbeit und diese Ziele lassen wir nicht herabsetzen. Das möchte ich Ihnen mit aller Klarheit sagen.
({3})
Lesen Sie sich einmal die Rede durch, die Präsident Mitterrand im Aachener Rathaus gehalten hat, lesen Sie sich seine Rede vor den Vereinten Nationen durch, dann werden Sie wissen, wie dieser Mann um den Frieden in Europa ringt und wie er mit seinen Gefühlen nahe ist bei den Gefühlen eines in zwei Staaten lebenden Volkes, das mit dem ganzen Europa überleben möchte. Meine Damen und Herren, ich kann mir keinen besseren Freund der Deutschen vorstellen als den französischen Präsidenten.
({4})
Deshalb sage ich Ihnen, wir sind zu jedem Dialog bereit, aber wir weisen alles zurück, was geeignet ist, Mißtrauen zwischen Franzosen und Deutschen zu schüren,
({5})
die sich darangemacht haben, eine gesamteuropäische Friedensordnung ernsthaft in Angriff zu nehmen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Darüber hinaus soll die Vorlage zusätzlich an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Ergeben sich dagegen Bedenken? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich rufe nunmehr den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ({0})
- Drucksache 11/2436 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 11/3292 Berichterstatter:
Abgeordnete Weiß ({2})
Frau Hämmerle Dr. Hirsch
Frau Dr. Vollmer
({3})
Meine Damen und Herren, eine Aussprache ist hier nicht vorgesehen, aber der Abgeordnete Becker hat um das Wort zu einer kurzen Erklärung gebeten. Er hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte um die beiden letzten Tagesordnungspunkte hat klargemacht, daß wir gemeinsam für Sicherheit und Frieden in Europa sind. Dann brauchen wir nämlich das, wozu ich jetzt etwas sagen will, in Zukunft nicht mehr zu behandeln.
Wir beraten nämlich die neunte Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz. Hier geht es um zwei Dinge: Zum einen sollen auch jene Heimkehrerwitwen antragsberechtigt werden, deren Männer ehemalige Kriegsgefangene waren, die erst nach dem 31. Dezember 1946 entlassen wurden und mindestens 25 Versicherungsjahre und 36 Monate Ersatzzeiten hatten, und die Witwen geblieben sind, die aber versäumt haben, einen Antrag zu stellen, oder deren Antrag die Einkommenshöchstgrenze geringfügig überschritten hatte, wobei jedoch die 60 % Rente der Witwe, die selbst über kein Einkommen oder nur über ein paar hundert Mark Eigenrente verfügt, weit unter der gesetzten Höchstgrenze liegen, die zur Zeit 1 537 DM beträgt.
Die Novelle soll eine weitere Härte beseitigen. Die Leistungen der Stiftung, die sowieso nur zur Beseitigung einer Notlage gewährt werden dürfen, sollen von der Anrechnung auf die Sozialhilfe freigestellt werden, nachdem sie bereits von der Zwangsvollstreckung ausgenommen sind.
Mit Formulierungshilfe aus den Ministerien und dem Sachverstand unserer Experten in den Ausschüssen ist nun eine Lösung gefunden worden, die den Witwen ehemaliger Kriegsgefangener mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt und einen kleinen finanziellen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt zusätzlich leistet.
Ich möchte allen danken, die mitgeholfen haben, daß wir die neunte Novelle nun endgültig verabschieden können, und bitte Sie alle um Zustimmung zum Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist offensichtlich einstimmig. Damit sind die Vorschriften angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. - Auch dies ist einstimmig geschehen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe nunmehr den Zusatztagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen
- Drucksache 11/2675 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
- Drucksache 11/3288 -
Berichterstatter: Abgeordneter Michels
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gem. § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/3294 Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz ({2}) Diller
Frau Vennegerts
({3})
Eine Aussprache ist hier nicht vorgesehen.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Vizepräsident Cronenberg
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen auch hier zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.
Wir kommen zu einem weiteren Zusatztagesordnungspunkt:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1989 ({4})
- Drucksache 11/2965 Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltung? - Keine Gegenstimmen, bei Stimmenthaltung der GRÜNEN ist auch dieses Gesetz angenommen.
Ich rufe jetzt den folgenden zusätzlichen Tagesordnungspunkt auf :
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Meldungen in der Mineralölwirtschaft ({5})
- Drucksache 11/2043 - Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Ich rufe die §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer Enthaltung und bei den Gegenstimmen der Fraktion DIE GRÜNEN wurde der Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, nun sind wir wirklich am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Dienstag, den 22. November 1988, um 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende und bedanke mich bei denen, die bis zum Schluß hiergeblieben sind, für ihre Geduld.
Die Sitzung ist geschlossen.