Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung und - ({0})
- Bitte, Herr Kleinert.
Ich habe einen Antrag gestellt. Der müßte vor Aufruf der Tagesordnungspunkte behandelt werden!
Es geht offenbar um den Antrag von gestern. Herr Abgeordneter, Ihr Antrag ist unzulässig, weil der Deutsche Bundestag am 10. November 1988 vormittags gar nicht zu einer förmlichen Sitzung mit einer förmlichen Tagesordnung zusammentritt. Vielmehr findet an diesem Tag eine Gedenkveranstaltung statt. Eine Einwirkung auf die Gestaltung dieser Gedenkveranstaltung, wie Sie sie in der Form einer Bitte an den Präsidenten versuchen, ist weder zulässig noch zu diesem Zeitpunkt möglich. Das zuständige Gremium wäre der Ältestenrat,
({0})
der gestern in Ihrer Anwesenheit, Herr Kleinert, Einvernehmen über die Gestaltung dieser Veranstaltung erzielt hat.
Ich rufe jetzt also
({1})
Punkt 18 der Tagesordnung sowie Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf:
18. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen ({2})
- Drucksache 11/2387 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Ausbau des Schienenwegenetzes der Deutschen Bundesbahn ({3})
- Drucksache 11/2410 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({4})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes ({5})
- Drucksache 11/2411 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({6})
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes ({7})
- Drucksache 11/2412 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({8})
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({10}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stückgutfracht 88
- Drucksachen 11/785, 11/1509 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({11}) zu dem Antrag der Abgeord7164
Vizepräsident Westphal
neten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({12})
und der Fraktion DIE GRÜNEN Abkopplung Wiesbadens vom IC-Netz der Deutschen Bundesbahn
- Drucksachen 11/1124, 11/1665 Berichterstatter:
Abgeordneter Jung ({13})
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({15})
und der Fraktion DIE GRÜNEN Beabsichtigte Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr der Deutschen Bundesbahn
- Drucksachen 11/857, 11/1750 -
Berichterstatter: Abgeordneter Kohn
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({17})
und der Fraktion DIE GRÜNEN Schnellbahnverbindung Köln-Paris
- Drucksachen 11/387 ({18}), 11/1961 -
Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Schienenausbaustrecke Dortmund-Kassel zu dem Antrag der Abgeordneten Urbaniak, Daubertshäuser, Amling, Andres, Antretter, Bamberg, Becker ({20}), Dr. Böhme ({21}), Brück, Buschfort, Dr. Ehrenberg, Ewen, Frau Faße, Frau Fuchs ({22}), Dr. Glotz, Dr. Haack, Haar, Hasenfratz, Heistermann, Horn, Ibrügger, Dr. Jens, Dr. Klejdzinski, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Lohmann ({23}), Menzel, Dr. Mertens ({24}), Meyer, Müntefering, Nehm, Dr. Niese, Dr. Nöbel, Pauli, Peter ({25}), Pfuhl, Purps, Reschke, Reuter, Rixe, Schanz, Schluckebier, Sieler ({26}), Frau Seuster, Frau Steinhauer, Toetemeyer, Walther, Weiermann, Westphal, Wiefelspütz, von der Wiesche,
Wischnewski, Wittich, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schnellbahnverbindung Dortmund-Kassel zu dem Antrag der Abgeordneten Tillmann, Straßmeir, Dr. Pohlmeier, Kroll-Schlüter, Fischer ({27}), Pfeffermann, Jung ({28}), Bauer, Rauen, Dr. Uelhoff, Haungs,
Gerstein, Dr. Lammert, Dr. Jahn ({29}) und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ausbau des DB-Abschnitts PaderbornKassel
- Drucksachen 11/1154, 11/1414, 11/1690, 11/2331 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Ibrügger Tillmann
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({30}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu einem europäischen Netz für Hochgeschwindigkeitszüge
- Drucksachen 11/935, 11/2587 -
Berichterstatter: Abgeordneter Lemmrich
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul, Daubertshäuser, Antretter, Bamberg, Ewen, Frau Faße, Haar, Hasenfratz, Dr. Hauff, Horn, Ibrügger, Jahn ({31}), Klein ({32}), Kretkowski, Nehm, Dr. Niese, Pauli, Peter ({33}), Pfuhl, Purps, Reuter, Dr. Sperling, Frau Dr. Timm, Voigt ({34}), Walther, Frau Weiler, Dr. Wieczorek, Wittich, Zander,
Dr. Vogel und der Fraktion der SPD IC-Anbindung Wiesbaden
- Drucksache 11/1616 -
1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daubertshäuser, Antretter, Bamberg, Ewen, Faße, Haar, Hasenfratz, Ibrügger, Kretkowski, Müntefering, Dr. Niese, Pauli, Purps, Roth, Scherrer, Steinhauer, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
DB-Strecke Ruhr-Sieg/Rhein-Sieg
- Drucksache 11/2694 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({35}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Ausbau und Verbesserung der Ruhr-Siegund Rhein-Sieg-Strecke
- Drucksache 11/3072 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({36}) Haushaltsausschuß
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss ({37}), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Westphal
Vorschläge der Koalitionsarbeitsgruppe Bahn zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn
- Drucksache 11/3162 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
({38})
- Nein, es tut mir leid. Wenn es darum geht, kann ich Ihnen das Wort nicht erteilen.
({39})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der erste, der das Wort erteilt bekommt, ist Herr Straßmeir.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute morgen, wie vereinbart, eine umfangreiche Debatte über die Deutsche Bundesbahn, und ich möchte vorab sagen, daß es die CDU/CSU-Bundestagsfraktion überhaupt nicht geniert, wenn zu diesem Punkt auch von den GRÜNEN Anträge eingebracht worden sind, die mit unseren Papieren deckungsgleich sind. Wir fühlen uns dadurch geehrt, nicht behindert.
Wir begreifen die Deutsche Bundesbahn als eine nationale Aufgabe. Ich sage der Opposition gleich vorweg: Das Thema ist völlig ungeeignet, etwa parteipolitische Süppchen zu kochen. Vielmehr wollen wir versuchen - das sage ich Ihnen für die Beratung Ihrer Anträge zu - , gemeinsam das Beste herauszufinden, um der Bundesbahn die notwendige Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben in der Zukunft zu geben.
Ich möchte darauf hinweisen, daß die Deutsche Bundesbahn natürlich unser bedeutendster Verkehrsträger ist. Sie befördert jährlich etwa 2 Milliarden Passagiere und 300 000 t Güter. Damit ist sie einer der Hauptverkehrsträger, und sie wird in einem wachsenden Verkehrsmarkt auch künftig ihre Stellung als wichtiges Dienstleistungsunternehmen behaupten können. Auch für die Deutsche Bundesbahn wird der europäische Binnenmarkt nicht nur eine Herausforderung sein, sondern zugleich auch eine Chance.
Mit über 260 000 Mitarbeitern und über 10 Milliarden DM Auftragsvolumen ist die Deutsche Bundesbahn auch einer der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren in unserem Land. Deshalb ist der Satz in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl nach wir vor richtig: Die Bundesbahn ist unverzichtbar, aber sie darf nicht unbezahlbar werden.
Nun sind Gott sein Dank die schlimmen Prognosen aus den 80er Jahren bei der Deutschen Bundesbahn nicht eingetroffen. Im Jahr 1981 hat der damalige Bundesverkehrsminister Dr. Hauff den jährlichen Verlust der Deutschen Bundesbahn etwa für 1982 auf 4,8 Milliarden DM prognostiziert; 1985 wäre nach den
damaligen Berechnungen die Verschuldung auf 53 Milliarden DM angewachsen. Diese Horrorzahlen sind Gott sei Dank nie Realität geworden.
Das ist zurückzuführen auf die erfolgreichen Anstrengungen der Deutschen Bundesbahn. Aber die Grundlage hierfür haben die Leitlinien der Bundesregierung von 1983 gegeben.
({0})
Der Jahresfehlbetrag sank von 4,1 Milliarden DM kontinuierlich und wird selbst im Jahre 1988 trotz der stark verschlechterten Rahmenbedingungen diese Höhe nicht erreichen. Auch die Nettokreditaufnahme konnte deutlich abgebaut und die Verschuldensentwicklung abgeflacht werden. Die Deutsche Bundesbahn hat mit Blick auf ihre Vermögensentwicklung trotz eines erlaubten Limits von 10 Milliarden DM in den Jahren 1983 bis 1987 nur 5,3 Milliarden DM Fremdmittel aufgenommen.
Nicht zufriedenstellend - dies, Herr Kollege Daubertshäuser, sage ich in aller Offenheit - ist die angestrebte Produktivitätssteigerung und die Kostensenkung. Die Vorgaben bis 1990 werden nicht erreicht, sowohl was die Steigerung der Produktivität als auch die Bemühungen um die Senkung des Personalaufwandes und des Gesamtaufwandes anlangt.
Dennoch ist bei der Bundesbahn etwas geschehen: Die Investitionen im Streckenausbau sind im Zeitraum von 1981 bis 1987 von 4,1 Milliarden DM auf 5,8 Milliarden DM jährlich angestiegen. Der Bund stellt allein für das Jahr 1988 hierfür 4,3 Milliarden DM zur Verfügung.
Es gibt auch andere positive Ergebnisse: die kürzliche Inbetriebnahme des Abschnitts der Neubaustrecke Fulda-Würzburg z. B., der Einsatz des Interregios, der Einsatz des leistungsfähigen Triebwagens für den Nahverkehr vom Typ VT 628 oder der ICE-Plan. All diese Dinge zusammengenommen bilden eine solide Grundlage für ein Wachsen der Attraktivität der Deutschen Bundesbahn.
Trotzdem hat die Deutsche Bundesbahn zu kämpfen, weil sich die Rahmenbedingungen verschlechtern. Der strukturelle Rückgang der Montangüterindustrie bei den Massengutverkehren wird bleiben; es wird kleinere Partien geben. Der Preisverfall im Güterverkehr und auf dem Benzinmarkt ist unverkennbar. Im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt wird die Konkurrenz mit den anderen Verkehrsträgern wachsen.
Die Folge ist, daß unsere Konsolidierungsziele gefährdet sind. Deswegen muß man noch einmal neu ansetzen. Man muß sowohl bei der Bundesbahn wie auch beim Bund selber zu neuen Maßnahmen kommen. Zunächst einmal müssen die Leitlinien weiter verfolgt werden. Der entscheidende Punkt ist wohl der, daß die Schere zwischen Aufwand und Ertrag verkleinert werden muß. Es gilt sicherzustellen, daß die Finanzen und die Finanzentwicklungen der Deutschen Bundesbahn beherrschbar bleiben. Deswegen kann es nicht nur eine Kapazitätseinschränkung geben, es muß auch eine Zukunftsperspektive geben,
die die Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn motiviert.
Der Bund muß seinerseits einen Beitrag leisten. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir gemeinsam fordern, daß der Bund die Kosten des Schienennetzes als staatliche Verkehrsinfrastrukturmaßnahme übernimmt. Die Deutsche Bundesbahn müßte dann an den Bund eine nutzungsabhängige Infrastrukturabgabe zahlen. Dabei wäre wohl auch die von der Deutschen Bundesbahn zu entrichtende Mineralölsteuer anzurechnen.
Ich bin Ihnen, Herr Bundesminister Dr. Warnke, sehr dankbar, daß Sie dem Kabinett vorschlagen wollen, daß der Bund zunächst einen Beitrag zu den Kosten des Fahrweges übernimmt. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Deutsche Bundesbahn eine transparente Kostenrechnung vorlegt, die uns diese Entscheidung überhaupt erst möglich macht. Dieses System der Verrechnung würde zugleich eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern bedeuten. Es wäre deshalb sinnvoll, von einer unabhängigen Kommission die jeweiligen Strecken- und Produktionsstrukturen untersuchen zu lassen. Nutzungsabhängige Ermittlung von Wegeabgaben bedeutet eine bessere Kontrolle und zugleich die Erleichterung der Kalkulation, damit künftig defizitäre Angebote vermieden werden können.
Zur Verbesserung der Finanzstruktur sollte in einem ersten Schritt eine stufenweise Überführung der Altschulden an den Bund erfolgen. Mit dem Beschluß der Bundesregierung, ab 1989 900 Millionen DM Zinsen als Bundesschuld auszuweisen, erfolgt ein erster Schritt.
({1})
Die Altschulden der Bahn werden als Bundesschuld anerkannt.
({2})
Dies ist ein erstes Signal.
Die Bundesbahn muß intern ihre Maßnahmen fortführen. Sie muß Voraussetzungen schaffen, ihr Management erfolgreicher zu gestalten. Dazu gehört erstens verstärktes marktorientiertes Verhalten, das auf die Schaffung von Kundennutzen und Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verkehrsträgern ausgerichtet ist.
Zweitens. Von Organisationsstrukturen zur Bildung von Profit Centern darf nicht nur geredet werden, sie müssen endlich in die Tat umgesetzt werden.
Drittens. Es muß eine Ausgliederung der für die Bahn untypischen Aufgaben erreicht werden.
Wir müssen verstärkt Anreizsysteme für die Mitarbeiter der Bundesbahn schaffen.
Die Bundesbahn muß in die Lage versetzt werden, ihre Kosten durch eigene Erträge zu decken. Wo das nicht möglich ist, weil gemeinwirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen sind, muß der Veranlasser herangezogen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war nur ein kleiner Auszug dessen, was als unmittelbare Hilfe notwendig ist. Wir alle sollten gemeinsam dazu beitragen, daß die Bundesbahn in eine sichere Zukunft fährt.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir und auch viele andere wollen heute wissen, für was und für wieviel die politische Kraft der Bundesregierung in Sachen Bahn ausreicht. Die letzten Monate haben offengelegt: Die Bundesregierung ist mit ihren DB-Leitlinien, Herr Kollege Straßmeir, gescheitert, sie hat damit keinen Erfolg gehabt.
({0})
Nachdem nun die Bahnleitlinien gescheitert sind, weiß sie nicht mehr weiter. Man kann die Sache auf eine Kurzformel bringen: Der Verkehrsminister darf nicht, der Finanzminister will nicht, und der Kanzler weiß nicht. Aber ein solches konfuses und zögerliches Verhalten können wir uns, Herr Kollege Jung, auf die Dauer ganz einfach nicht leisten.
({1})
- Aber, Herr Jobst, die Bundesregierung selbst hat doch einen dramatischen Anstieg der DB-Schulden prognostiziert. Sie kennen doch diesen Entwurf für eine Kabinettsvorlage. Das können Sie doch nachlesen. Von derzeit 40 Milliarden DM werden die Schulden in den nächsten zehn Jahren auf 120 Milliarden DM steigen.
({2})
Diese Zahlen lassen doch keinen Zweifel daran: Der Handlungsbedarf ist dringend, und er ist unaufschiebbar. Deshalb muß man wirklich mit Hochdruck an die Problemlösung herangehen.
Aber der Bundesregierung fehlt doch nicht nur das bahnpolitische, sondern auch das verkehrspolitische Konzept. Sie hat keine überzeugenden Lösungsansätze für die Probleme von heute und morgen. Insbesondere fehlt auch, Herr Kollege Straßmeir, der politische Wille zu einer konzeptionellen Neugestaltung, die die einzelnen Verkehrsträger und die Verkehrssysteme übergreift und die orientiert ist an den Bedürfnissen der Bürger und der Wirtschaft, an den Erfordernissen des Umweltschutzes und der Energieeinsparung und natürlich auch an der Bedeutung einer verstärkten Verkehrssicherheit und der Notwendigkeit einer gestaltenden Raumordnungspolitik. Das heißt, die Verkehrspolitik muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Verkehrsträger und Verkehrsunternehmen ihre Transportaufgaben ökonomisch sinnvoll sowie menschen- und umweltgerecht leisten können. Hier ist dann politische Führung erforderlich, und
zwar politische Führung mit einem sensiblen Blick für die Zukunftserfordernisse der Menschen.
Sie haben in den letzten Jahren mit Ihrer Politik für die Straße und gegen die Bahn gehandelt. Das kann man mit einer ganzen Reihe von Beispielen belegen. Sie haben die Weichen dafür gestellt, daß immer mehr Lkw aus den EG-Ländern zu immer mehr günstigeren Bedingungen unser Fernstraßennetz nutzen können. Die Bundesregierung hat die Zuschüsse für den kombinierten Verkehr gestrichen. Sie hat sie weggekürzt, obwohl sie weiß, daß der gesamtwirtschaftliche Nutzen des kombinierten Verkehrs etwa doppelt so hoch liegt, wie sein Zuschußbedarf ist. Also muß man doch fragen: Ist Ihnen eine gesamtwirtschaftliche Rendite von 100 % zu wenig? Diese Beispiele ließen sich selbstverständlich fortführen. Die Zeit reicht nicht, um Ihr Sündenregister hier im Detail nachzuzeichnen.
({3})
Die Verkehrspolitik der Bundesregierung hat, Herr Kollege Kohn, wesentlich zur Überlastung unseres Straßenverkehrssystems geführt. Die Konsequenzen sind doch auch einfach zu überschauen. Das Verkehrssystem Straße wird in wenigen Jahren überhaupt nicht mehr funktionieren. Schon heute erleben dies unsere Bürger tagtäglich in den Ballungsräumen. Diese Verkehrspolitik hat ausschließlich auf die Straße gesetzt, und sie ist damit gescheitert. Das muß man doch zugestehen.
Die Ankündigung von Herrn Dr. Warnke, für Lkw eine Straßenbenutzungsgebühr einzuführen - im übrigen ein altes sozialdemokratisches Instrument -, ist doch bloßes Wortgeklingel. Es kommen nicht nur Querschüsse aus dem Kabinett; auch Sie von den Koalitionsfraktionen unterstützen diese Pläne doch nicht. Sie nutzen sie lediglich als eine Alibi-Veranstaltung.
Herr Kollege Dr. Jobst, Sie wollen gemeinsam mit der FDP die Kfz-Steuern für Nutzfahrzeuge drastisch senken. Inzwischen sind doch auch die Hausnummern genannt worden. Der Kollege Gries hat im Pressedienst seiner Partei doch von einer Halbierung gesprochen. Es sprengt fast das Maß des Vorstellbaren, Herr Kollege Jobst, wenn nun einseitig die Lkw-Transporte verbilligt werden sollen. Diese abenteuerlichen Absichten haben doch katastrophale Folgen für die Bahn. Eine einseitige Verbilligung der Lkw-Transporte muß zwangsläufig zu Verkehrsverlusten auf der Schiene führen. Hier sind doch auch schon Größenordnungen von einer Milliarde DM jährlich genannt worden.
Da muß man doch fragen: Wer soll denn das bezahlen? Wollen Sie die Bahn auch wegen dieser Defizite, die Ihre Politik dann produziert, auch wiederum auf den Kreditmarkt verweisen? Da kann ich Ihnen nur empfehlen: Lösen Sie die Strukturprobleme der Bahn! Ohne diese Lösung hat die Bundesbahn nicht die geringste Chance, auch im verschärften Wettbewerb eines europäischen Binnenmarktes überhaupt bestehen zu können.
({4})
Herr Dr. Warnke, Sie haben der Öffentlichkeit wiederholt weismachen wollen, Sie hätten die Investitionen für die Bahn zu einem Schwerpunkt Ihrer Verkehrsinvestitionspolitik gemacht.
({5})
- Herr Jung, ich will Ihnen Ihre eigenen Zahlen vorhalten. Die Investitionen für den Bundesfernstraßenbau betragen 4,3 Milliarden DM, für die Schienenwege 1,6 Milliarden DM. Das sind die Zahlen, die die Bundesregierung für den Haushalt 1989 beschlossen hat, und diese Zahlen sind eindeutig.
Sie sollten hier auch nicht verschweigen, daß Sie die Investitionen für die Schienenwege in den letzten Jahren laufend gekürzt haben. Für 1989 beträgt die Kürzung rund 600 Millionen DM, nämlich von 2,2 Milliarden DM im Jahre 1988 auf 1,6 Milliarden DM im Jahre 1989.
Gleichzeitig aber wollen die Koalitionsfraktionen die Straßenbaumittel allein für das nächste Jahr um 250 Millionen DM aufstocken.
({6})
Meine Damen und Herren, das paßt dann wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Herr Kollege Jung, unsere Eisenbahner und die gesamte deutsche Verkehrswirtschaft benötigen endlich ein zukunftsgerechtes und -gerichtetes Konzept der Deutschen Bundesbahn.
({7})
Gerade die letzten Jahre haben deutlich gemacht: Der Straßenverkehr hat seine Wachstumsgrenzen erreicht. Die Vorteile des Verkehrssystems Schiene sind doch wieder stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. In diesem Spannungsfeld zwischen Verkehr und Umwelt, das Sie doch auch kennen, nimmt die Bahn heute eine positive Sonderstellung ein. Das gilt doch für alle Faktoren, die dort berührt sind. Denken Sie an den Energieverbrauch, an den Flächenbedarf, denken Sie an Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Verkehrssicherheit. Diese Querschnittsaufgaben unterstreichen eindrucksvoll: Wir alle - d. h. die Bürger und die Wirtschaft - brauchen die Bahn. Sie ist und bleibt für unser gesamtes Verkehrssystem unverzichtbar. Weil das so ist, müssen wir die Bahn so modern, so leistungsfähig und attraktiv gestalten, daß sie auch einen sicheren Platz in diesem Wettbewerb der Verkehrsträger erhält.
Wenn Sie sagen, Sie seien einverstanden, Herr Dr. Jobst, dann müssen wir sagen: Es ist dringend notwendig, daß man dann zu einer Harmonisierung der Strukturen kommt. Sie wissen, daß unser Land innerhalb weniger Jahrzehnte mit einem leistungsfähigen Straßennetz überzogen wurde, gekrönt von mittlerweile fast 8 500 km Autobahn. Das Verkehrssystem Straße hat damit eine Förderung erhalten, die auch ordnungspolitisch umfassender und wirkungsvoller nicht hätte sein können. Die Wettbewerbsposition des Verkehrssystems Straße ist mit diesen Baumaßnahmen mit der zwingenden Folge durchschlagend
verbessert worden, daß Verkehre von der Schiene auf die Straße gewechselt sind.
({8})
Das gilt übrigens auch für ein anderes wichtiges Konkurrenzsystem der Schiene, nämlich für die Binnenschiffahrt. Auch dort haben wir mit staatlichen Infrastrukturmaßnahmen massiv zu Lasten der Schiene gefördert.
({9})
- Ich nehme hier niemanden aus, Herr Kollege Straßmeir, ich stelle mich hier nicht als Heuchler hin. Ich sage auch: Wenn wir in den Bundesverkehrswegeplan 1985 hineingucken, dann sehen wir, daß dort für den Zeitraum 1986 bis 1995 die Straßen und die Binnenschiffahrt prozentual die größten Bestandszuwächse durch Neubau ausweisen. Aber das ist nun einmal die in Beton gesetzte Ordnungspolitik, die die Produktionsstrukturen des Verkehrssystems Straße
konkurrenzlos und die des Verkehrssystems Schiene chancenlos gemacht hat. Das müssen wir doch bei einer Analyse gemeinsam anerkennen.
Was soll also dieses Gefasel von staatlichen Hilfen und Schutzmaßnahmen für das Staatsunternehmen Bundesbahn, wenn die Mitbewerber investitionspolitisch bevorzugt werden und der Eigentümer das eigene Unternehmen zusätzlich dadurch ins Abseits stellt, daß er dem Veranlasserprinzip, nämlich für geforderte Leistungen auch den vollen Preis zu zahlen, nicht nachkommt, daß er für die veranlaßten Leistungen keine finanzielle Verantwortung übernimmt, sondern das Unternehmen auf den Kreditmarkt verweist, und daß er es zudem noch mit seinen auferlegten Versorgungslasten alleine läßt? Die Deutsche Bundesbahn ist wahrhaftig kein geschütztes Unternehmen, sie ist vielmehr ein vom Eigentümer vernachlässigtes, ja sogar ausgenutztes Unternehmen. Nicht die angeblichen Schutzzäune haben der Deutschen Bundesbahn geschadet, es war vielmehr, Herr Kollege Straßmeir, die von uns allen betriebene einseitige Prioritätensetzung in das Verkehrssystem Straße. Deshalb müssen wir mit dem Märchen aufräumen, es ginge darum, eine strukturkonservierende DB-Schutzpolitik zu betreiben. Es geht uns vielmehr um die Herstellung annähernd gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Deutsche Bundesbahn. Wer die Leistungsfähigkeit der gesamten Verkehrswirtschaft effizienter gestalten will, der muß die Deutsche Bundesbahn doch erst einmal wettbewerbsfähig machen. Kurzsichtiges Ausspielen des einen Verkehrsträgers gegen den anderen - ({10})
- Das machen wir überhaupt nicht, Herr Kollege Jung. Wenn Sie etwas zugehört hätten, dann wüßten Sie, daß wir uns in all den Jahren, in denen Sie hier sitzen, bemühen, endlich einmal ein Gesamtverkehrskonzept von dieser Bundesregierung entwikkeln zu lassen. Da drängen wir doch permanent.
({11})
Aber es gibt andere, mit denen Sie sich auseinandersetzen sollten. Da spreche ich Sie nicht an; die sitzen hier nicht im Plenum. Das sind diese selbsternannten Gralshüter angeblich rationeller Verkehrspolitik, wie sie sich nennen. Wenn man das macht, was die wollen, dann bedeutet das mit Sicht auf den künftigen europäischen Binnenmarkt das wirtschaftliche Aus, und zwar nicht nur für die Bundesbahn, sondern für alle deutschen Verkehrsträger. Weil das so ist, haben wir Sozialdemokraten ein gesetzgeberisches Reformkonzept für die DB vorgelegt. Lesen Sie mal unsere Gesetzentwürfe! Unser Kernziel dort lautet: Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn, und mit diesem Konzept lösen wir fünf Problemkomplexe, die bis heute die Deutsche Bundesbahn finanziell und wirtschaftlich strangulieren, die sie hindern, überhaupt wettbewerbsmäßig agieren zu können: Das Wegeproblem - das kennen Sie alle -, die Abgeltung der der DB auferlegten gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die Entschuldungsfrage -ich nenne nur das Stichwort Hermann Josef Abs, der seit drei Jahren diese Vorschläge macht, die sich in unseren Gesetzentwürfen finden -, die Versorgungslasten und natürlich die veraltete Unternehmensstruktur. Auch das ist in unserem Gesetzentwurf angesprochen.
Nur durch die rechnerische Trennung von Staat und Unternehmen können für die Bundesbahn gleiche Wettbewerbsbedingungen herbeigeführt werden. Den eigenwirtschaftlichen Bereich betreibt die Bahn nach kaufmännischen Grundsätzen, für den gemeinwirtschaftlichen Bereich gibt der Bund die Vorgaben, übernimmt dann aber auch die finanzielle Verantwortung und muß die ungedeckten Mehrkosten tragen. Es gilt dann das Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit, d. h. wir wollen Schluß machen mit der Vermischung der Verantwortung von Staat und Unternehmen. Das gleiche gilt dann auch für die Wegekosten. Der Staat trägt die Kosten für den Bau und die Unterhaltung der Straßen und der Bundeswasserstraßen. Deshalb muß er auch die Kosten für das Schienenwegenetz übernehmen. Natürlich müssen dann entsprechende Wegeabgaben gezahlt werden wie bei den Mitbewerbern auch.
Das sind die Kernpunkte, die aber dringend, Herr Kollege Straßmeir, jetzt geregelt werden müssen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, von uns liegen die Gesetzentwürfe auf dem Tisch. Sie haben ein Papier auf den Tisch gelegt. Da muß der Blick doch wirklich auf die Regierungsbank gehen, und man muß sich fragen, was eine Kommission soll, die noch zwei Jahre tagen soll, offensichtlich wirklich nur, um den Wahltag zu überleben. Wenn die Probleme so drängend sind, muß man jetzt mit der Lösung beginnen.
Ich sage Ihnen: Die heutige Debatte zur Bundesbahn kann, wenn Sie unser Angebot annehmen, der Beginn für größere Gemeinsamkeiten und für ein fraktionsübergreifendes Zusammenwirken in der Bahnpolitik sein. Ob es dazu kommt, hängt ganz alleine von Ihnen ab. Unser Angebot steht. Wir werden mit allen Mitteln für eine positive Zukunft der Deutschen Bundesbahn kämpfen. Mitstreiter aus allen Lagern sind uns dabei herzlich willkommen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns innerhalb von 14 Tagen nun zum zweiten Mal mit dem Thema Deutsche Bundesbahn. Wenn man mit Bürgern, dem vielbeschworenen Mann oder der Frau auf der Straße, spricht, wird man feststellen, daß es sehr disparate Erfahrungen mit der Deutschen Bundesbahn gibt.
Zum Beispiel sagte mir ein Bürger, er fand es unheimlich angenehm, als er nach längerer Zeit wieder die Bundesbahn, nämlich den IC, benutzt hat, daß ihm ein Zugbegleiter beim Einsteigen in den Zug mit dem Koffer, mit dem Gepäck geholfen hat. Er fand es sehr angenehm, daß er, als er in den Speisewagen kam, dort eine gute Qualität und einen freundlichen Service angeboten bekam. Das ist eine Erfahrung, die Bürger mit der Bundesbahn machen.
({0})
Eine andere Erfahrung, die mir Bürger mitgeteilt haben, ist folgende: Wenn ich bei uns den öffentlichen Personennahverkehr benutze, finde ich zum Teil völlig veraltetes Wagenmaterial in einem gotterbärmlichen Zustand vor.
({1})
Ich komme kaum in den Waggon hinein, weil keine Gleichheit in der Höhe zwischen dem Bahnsteig und den Einstiegsmöglichkeiten in den Waggon vorgesehen ist.
Eine dritte Erfahrung, die Bürger machen, ist z. B. eine öffentliche Diskussion über ein neues zusätzliches Verkehrssystem in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich über die Magnetschwebetechnik. Auch das gehört in diesen Komplex hinein.
Ich habe auch erlebt, daß der eine oder andere Eisenbahner mir sagte: Wenn ich irgendwo gefragt werde, wo ich beschäftigt bin, dann sage ich ganz vage: im öffentlichen Dienst. Ich bekenne mich kaum noch dazu, Eisenbahner zu sein, weil mir die Menschen dann sofort sagen: Aha, du bist derjenige, der das Defizit von 4 Milliarden DM pro Jahr produziert.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Dinge, die in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen. Wenn ich dann noch erleben muß, daß mir z. B. Behinderte sagen, daß seit vielen Jahren der Reiseführer für Behinderte, den es gibt, um das Eisenbahnsystem für sie benutzbar zu machen, nicht auf dem neuesten Stand ist, sondern immer noch auf dem Stand von 1984, dann zeigt dies, wie vielschichtig, wie schwierig die Probleme der Bundesbahn sind und welche gewaltigen Anstrengungen wir unternehmen müssen, um in diesem Bereich voranzukommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle diese Bürger mit ihren völlig unterschiedlichen Erfahrungshorizonten stimmen aber meistens in einem Punkte
überein, nämlich darin, daß die Deutsche Bundesbahn eine unverzichtbare Rolle in unserem Verkehrswesen zu spielen hat. Sie sagen, die Bundesbahn müsse in der Gesamtstrategie der Verkehrspolitik die Stärken, die sie auf Grund ihres Systems hat, voll zur Geltung bringen, um die Probleme, die hier vom Kollegen Straßmeir und zum Teil auch vom Kollegen Daubertshäuser beschrieben worden sind, wirklich lösen zu können, nämlich eine rationale Verkehrspolitik zu betreiben.
Wir Liberalen sagen deutlich: Wir wollen, daß die Rolle der Bundesbahn in diesem Verkehrssystem wieder besser wird, daß sie größer wird und daß sie gestärkt wird, u. a. aus Gründen des Umweltschutzes.
Es liegen sehr interessante Gutachten, z. B. über den Flächenbedarf von Neu- und Ausbaustrecken der Bundesbahn einerseits und der Straßen-Verkehrsinfrastruktur und ihren Ausbau andererseits, vor. Wir sagen ja zur Bundesbahn aus Gründen des rationellen Energieeinsatzes. Wir sagen auch ja zur Bundesbahn, weil wir wissen, daß hier ein außerordentlich verkehrssicherer Verkehrsträger agiert. Wir sagen auch deshalb ja zur Bundesbahn, weil wir wissen, daß unsere verladende Wirtschaft auf dieses Rad-SchieneSystem in Zukunft angewiesen sein wird.
({2})
Und - das wird häufig leider vergessen - wir sagen auch deshalb ja zur Bundesbahn, weil die Deutsche Bundesbahn - das ist bei einem Unternehmen mit rund 250 000 Mitarbeitern auch gar nicht anders zu erwarten - ein außerordentlich wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Immerhin trägt die Deutsche Bundesbahn mit 2,6 % zur Bruttowertschöpfung in der Bundesrepublik Deutschland bei.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, sind es drei Fragen, die die Politik beantworten muß. Es sind Fragen aber nicht nur an den Eigentümer der Bahn, den Bund, es sind Fragen auch an diese Gesellschaft insgesamt, nämlich: Welche Eisenbahn wollen wir im Jahr 2000 denn tatsächlich haben? Wie soll diese Eisenbahn organisiert sein? Was darf sie uns kosten, was sind wir bereit für dieses Verkehrssystem tatsächlich auszugeben?
Meine Damen und Herren, ich will sie jetzt nicht mit zu vielen Zahlen bombardieren. Aber es ist manchmal ganz hilfreich, wenn man ein paar Fakten in eine solche Diskussion mit einführt. Schauen wir uns also einmal an: Wie haben sich die Marktanteile im Güterbereich entwickelt? Zwischen 1965 und 1986 - das ist immer meine Vergleichsbasis - sank der Marktanteil im Güterverkehr von 40,6 % auf 27,7 %; im Personenverkehr Rückgang von 11,2 % auf 6,7 %. In dem Zeitraum von 1965 bis 1986 ist das Netz der überörtlichen Straßen in der Bundesrepublik gewachsen, und zwar von 155 000 km auf 173 000 km. Das Schienennetz ist im gleichen Zeitraum von rund 30 000 km auf etwa 27 500 km geschrumpft.
Nun eine Zahl, meine Damen und Herren, die auch außerordentlich wichtig ist. Wenn man sich die Entwicklung der Personenkilometer anschaut, dann kommen wir zu folgenden Resultaten: beim Eisen7170
bahnverkehr eine Stagnation. Vergleichszahlen: 40,6 Milliarden 1965, 42,1 Milliarden 1986. Im Luftverkehr ein dramatischer Wachstumsprozeß von 3,3 Milliarden auf 13 Milliarden. Schließlich im Individualverkehr 267 Milliarden Personenkilometer 1965, 510 Milliarden 1986.
Wenn Sie sich dann noch die Entwicklung der Anzahl der Pkw in der Bundesrepublik in diesem Zeitraum anschauen - Wachstum von 9,3 Millionen auf rund 27 Millionen - , dann erkennen Sie, daß sich hinter solchen nüchternen Zahlen etwas ganz Dramatisches verbirgt, nämlich eine fundamentale Veränderung unserer Gesellschaft im Hinblick auf mehr individuelle Mobilität.
Ich sage, daß Probleme, mit denen wir es bei der Bundesbahn heute zu tun haben, genau darin begründet liegen, daß wir diesen Entwicklungsprozeß - wenn ich jetzt „wir" sage, meine ich damit sowohl die Politik als auch die Gesellschaft, als auch zum Teil die Eisenbahn selbst - schlicht und einfach verschlafen haben.
Ich will mich jetzt hier gar nicht hinstellen und im nachhinein in einer Ex-post-Analyse auf diejenigen zeigen, die in der Vergangenheit die Verantwortung dafür zu tragen hatten; denn wenn man sich die Ergebnisse von politischen Entwicklungsprozessen ansehen kann, ist es sehr viel einfacher, klüger zu sein und zu sagen: Das hätte man damals alles wissen können und müssen und anders machen müssen. Aber ich sage: Jetzt müssen wir die Weichenstellungen vornehmen, um zu verhindern, daß das gesamte Verkehrssystem endgültig kollabiert.
Deswegen sagen wir: Es ist notwendig, daß wir dafür sorgen, daß die Strategie der neuen Produkte verstärkt wird, daß neue Angebote und Dienstleistungen von seiten der Bahn, Abteilung Schienennetz, IC-Verkehr, Abteilung Nachtsprung usw., vorangetrieben werden, daß wir die Probleme, die sich aus einer veränderten Struktur unserer Verkehrswirtschaft mit dem Rückgang klassischer Massengüter ergeben, mit der Zunahme dessen, was man als Kaufmannsgüter bezeichnet, und mit der verringerten Lagerhaltung in unserer Wirtschaft und den sich daraus ergebenden völlig andersgearteten Konsequenzen im Hinblick auf die Anforderungen an einen Transporteur ergeben, endlich zur Kenntnis nehmen.
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren, daß wir 1992 ja alle gemeinsam einen europäischen Binnenmarkt bekommen werden, den wir wollen und zu dem wir ja sagen, aber der natürlich gerade im Verkehrsbereich erhebliche Turbulenzen mit sich bringen wird. Wenn wir dann die Finanzentwicklung noch mitbedenken, die hier schon erwähnt wurde - ich bin immer etwas zurückhaltend, mit solchen dramatischen Defizitzahlen zu operieren, weil sie natürlich nicht gerade dazu geeignet sind, eine Zukunftsdimension in die Diskussion hineinzubringen -, wird jedenfalls eines klar: Es muß gehandelt werden.
({3}) Lassen Sie mich ein Zitat bringen:
Für die FDP steht fest, daß eine leistungsfähige Bundesbahn, die ihre Kosten und ihr Angebot ertragsorientiert an der tatsächlichen Nachfrage ausrichtet, auch zukünftig ihre Chance am Markt haben wird. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht werden wir auf die Bahn nicht verzichten können.
So der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag, Wolfgang Mischnick, am 6. April 1984. Er hat recht.
Aus dieser Analyse haben wir die Konsequenzen gezogen und eine Strategie entwickelt, übrigens - auch das will ich hier einmal deutlich sagen - nicht nur die FDP-Fraktion und insonderheit die Verkehrspolitiker alleine, sondern zusammen mit dem Bundesfachausschuß Verkehr der Freien Demokratischen Partei. Das ist eine positive Erfahrung, die man auch an dieser Stelle einmal würdigen sollte.
Wir sagen: Wir wollen die Deutsche Bundesbahn zu einem modernen Verkehrsdienstleistungsunternehmen fortentwickeln. Das bedeutet Abbau des politischen Einflusses auf die Deutsche Bundesbahn; das bedeutet Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die Deutsche Bundesbahn, und das bedeutet, daß die Deutsche Bundesbahn wie ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen geführt werden muß und handeln muß. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die Leitsätze, an denen wir uns in dieser gesamten Strategie orientieren.
Lassen Sie mich in Konkretisierung einige wenige Aspekte hier anführen. Einmal ist es für uns von besonderer Wichtigkeit, zu einer Stabilisierung des Finanzbedarfs zu kommen. Wir wollen, daß die Altschulden zum Stand von 1972 auf den Bund übertragen werden. Wir wollen, daß eine Pensionskasse eingerichtet wird, um die überhöhten Versorgungslasten, mit denen die Bundesbahn zu kämpfen hat, endlich in den Griff bekommen zu können. Wir wollen ferner, daß die Bundesbahn ihre Strategie der Kostensenkung und der Rationalisierung fortsetzt, weil auch dies zu einer Stabilisierung des Finanzbedarfs unabdingbar ist.
Der zweite Schwerpunkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, betrifft die Abteilung Strukturreform. Hierzu gehört das, was man in der öffentlichen Diskussion unter dem Stichwort der Trennungsrechnung bezeichnet. Das ist manchmal als ein Unternehmen mißverstanden worden, um der Bundesbahn zu helfen, sich gewissermaßen in die schwarzen Zahlen hineinzurechnen. Das ist nicht der Sinn der Übung. Sinn der Übung ist: Wir wollen, daß der eigenwirtschaftliche Bereich, in dem die Bundesbahn wie ein Unternehmen handeln und schwarze Zahlen schreiben muß, anders behandelt wird als der gemeinwirtschaftliche Bereich. Ich nenne hier nur etwa das Stichwort ÖPNV oder Schülerverkehr. In diesem Bereich - so sage ich ganz präzise - muß derjenige, der solche Leistungen bestellt, diese Leistungen auch vollständig bezahlen.
({4})
Ich sage weiter: Wir müssen dafür sorgen, daß im dritten Bereich das erfolgt, was Voraussetzung für einen Erfolg dieser gesamten Strategie ist, nämlich eine Übernahme des Schienennetzes durch den Bund, weil wir der Überzeugung sind, daß dies wie bei den Bundesfernstraßen und wie bei den Bundeswasserstraßen eine staatliche Verkehrsinfrastrukturmaßnahme ist.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle will ich darauf hinweisen, daß es Vorschläge des Deutschen Industrie- und Handelstages gibt, die Gesamtproblematik der Verkehrswege in einem Sondervermögen des Bundes neu zu ordnen. Ich finde, das sind sehr interessante Gedanken, die man eingehend prüfen muß.
Ich möchte schon an dieser Stelle ankündigen: Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode sehr intensiv mit diesen Vorstellungen beschäftigen.
({5})
- Lieber Herr Kollege Weiss, der Unterschied zwischen der Fraktion der GRÜNEN und der Fraktion der FDP besteht u. a. darin, daß wir nur solche Versprechungen machen, die wir hinterher tatsächlich einhalten können.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige wenige Sätze zum Thema der Regionalisierung des ÖPNV sagen. Ich weiß, daß ich damit nicht nur auf Begeisterungsstürme treffe, insbesondere bei denen, die in Zukunft stärker in die finanzwirtschaftliche Verantwortung genommen werden müssen. Aber auch das gehört zu einer ehrlichen und redlichen Debatte. Wir können hier nicht so tun, als könnte die Belastung in diesem Bereich weiterhin maßgeblich alleine beim Bund liegen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Rechnungswesen sagen, weil auch hier manchmal falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit vorhanden sind. Es ist ja nicht so, daß die Bundesbahn kein Rechnungswesen hätte. Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit dieser Thematik beschäftigt und weiß deshalb, daß die Bahn hier auf einem guten Wege ist. Es gibt ganz präzise Vorstellungen, in einem Zeitraum von maximal zwei Jahren ein Rechnungswesen auf die Beine zu stellen, das diesen Namen verdient, und all diejenigen Maßnahmen, die wir tatsächlich für notwendig halten, auch betriebswirtschaftlich abzusichern.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, den dritten und letzten Punkt, die Unternehmensreform, ansprechen. Hierzu gehört die Abteilung Zeitverträge für Führungskräfte und der Einsatz moderner Managementtechniken. Auch hier sage ich deutlich und unterstreiche, was der Kollege Straßmeir gesagt hat: In diesem Bereich ist die Bahn auch selber gefordert, noch stärker und noch intensiver zu handeln, noch kreativer zu sein und dafür zu sorgen, daß diese Managementtechniken tatsächlich genutzt werden. Ich sage auch klar: Wir müssen berücksichtigen, daß sich die Bahn auf ihren unternehmerischen Kernbereich konzentrieren und darüber hinaus die Kooperation mit den Privaten suchen muß.
Meine Damen und Herren, es wäre sehr verlockend, jetzt noch auf die Notwendigkeit neuer Produkte wie Interregio, die Verstärkung des kombinierten Ladungsverkehrs, die Notwendigkeit, den grenzüberschreitenden Verkehr voranzubringen, einzugehen. All dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich aus Zeitgründen nicht mehr.
Lassen Sie mich deshalb zum Abschluß noch sagen, daß die FDP im Januar dieses Jahres ihre Vorstellungen vorgelegt hat. Diese Vorstellungen haben wir dann in sehr vertrauensvollen und guten Gesprächen mit den Verkehrspolitikern von der CDU/CSU in die Form eines konkreten Papiers gebracht. Dieses Papier muß Wirklichkeit werden. Daß dieses Papier gut ist, kann man nicht nur daran sehen, daß seinerzeit der verkehrspolitische Sprecher der SPD diese Vorstellungen begrüßt hat, sondern auch daran, daß heute sogar die Fraktion der GRÜNEN endlich begriffen hat, wie notwendig es ist, in diesem Bereich nach unseren Vorstellungen zu handeln.
({7})
Ich sage hier an die Adresse der Bundesregierung, wissend, daß in der Vergangenheit nicht alles, was ich in Sachen Bundesbahn getan habe, auf ungeteilte Jubelstürme im Ministerium getroffen ist: Wir Liberalen wollen den Erfolg dieser Regierung. Wir wollen den Erfolg dieser Regierung gerade auch im Verkehrsbereich.
({8})
Wir werden sie bei allen Maßnahmen, die hierzu beitragen, massiv unterstützen. Ich appelliere deshalb an alle politisch Verantwortlichen: Handeln wir jetzt, stellen wir die Bahnsignale auf Grün!
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Weiss ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat wohl mit ihren Entscheidungen aus dem Jahre 1983, den sogenannten Leitlinien, versucht, sich aus der politischen Verantwortung für die Deutsche Bundesbahn freizukaufen.
({0})
Was ist da geschehen? Man hat gesagt: Wir wollen einen anderen Bundesbahnvorstand; wir wollen jetzt Manager haben; jetzt müssen wir verstärkt Personal abbauen; die Produktivität muß gesteigert werden und alles mögliche. Die Verkehrspolitik des Bundes, so glaubt man, kann derweil schlafen.
Was geschehen ist, ist natürlich ein beträchtlicher Personalabbau, ist eine Produktivitätssteigerung und ähnliche Dinge. Aber der Umkehrschluß, hier bräuchte in Bonn nichts getan zu werden, ist einfach ein Trugschluß. Der Bund ist Eigentümer und hat hier seine Verantwortung. Was tut der Bund als Eigentü7172
Weiss ({1})
mer? Er setzt eigentlich nur auf Personalabbau, Produktivitätssteigerung, schlechtere Arbeitsbedingungen, also auf die klassischen Ausbeutermethoden für die Eisenbahner,
({2})
aber nicht auf eine sinnvolle Übernahme der Verantwortung, die der Bund ausüben muß.
({3})
Schon seit 1984 liegen die Vorschläge, die heute diskutiert werden, auf dem Tisch. Es sind seit Jahrzehnten immer wieder Kommissionen eingesetzt worden, um zu untersuchen, was man tun könnte und müßte, um die Situation der Bahn zu verbessern. Der Herr Verkehrsminister hält bei verschiedenen Gelegenheiten draußen große Reden und sagt, was eigentlich getan werden müßte.
({4})
Und was ist? Es passiert nichts. Warum? Weil er sich im Kabinett nicht gegen den Finanzminister durchsetzen kann. Und dort, wo Stoltenberg zuschlägt, fährt kein Zug mehr.
({5})
Aber, meine Damen und Herren, wir wissen seit Jahren, was getan werden muß. Herr Kollege Straßmeir hat einige richtige Dinge in seiner Rede gesagt,
({6})
auch Herr Kohn. Auch Herr Warnke erzählt draußen, wenn er irgendwo eine Rede hält, immer wieder, was eigentlich getan werden müßte. Aber was passiert? Scheinlösungen. Da wird von Einstieg in die Entschuldung gesprochen. Gemeint sind Umbuchungen von 900 Millionen DM aus einem Haushalt in den anderen, wobei man sie von den Gesamtmitteln der Bahn abzieht.
({7})
Seit den Leitlinien sind die Leistungen des Bundes für die Bahn praktisch konstant geblieben, aber andere Verkehrsträger haben ständig Erhöhungen erhalten. Gerade Sie sind es ja, die im Verkehrsausschuß immer wieder beantragen, die Mittel für den Straßenbau zu erhöhen.
({8})
Sie sind es, die jedem Vorschlag zustimmen, wenn er von der EG kommt, der dem Straßengüterverkehr neue Vorteile bringt.
({9})
Was machen denn die Koalitionsfraktionen, kommt eine Vorlage zur Erhöhung der Achslasten von Lkw? Natürlich sind die Koalitionsfraktionen vorne und sagen: Das brauchen wir. Kommt eine Vorlage zur Erhöhung der zulässigen Gesamtlänge von Lkw, so kommen sofort wieder CDU/CSU und FDP und sagen: Ja, das brauchen wir.
Ich meine, insofern kann man sagen, daß es eine ganz einseitige Ausrichtung der Verkehrspolitik gibt, nämlich hin zur Straße, hin zum Straßengüterverkehr.
({10})
Diese Interessen vertreten Sie stärker als die Interessen der Bahn, für die Sie nicht nur aus umweltpolitischen, sondern auch aus verkehrspolitischen Gründen zuständig sind.
Jetzt sind Entscheidungen gefordert. Wir wissen doch, daß 1992 der europäischen Binnenmarkt verwirklicht werden soll. Bis dahin bleibt nicht mehr viel Zeit für eine Kommission. Herr Verkehrsminister, wenn man den Zusammenhang mit dem Termin der Bundestagswahl sieht, muß man sagen: Das Datum März 1991 ist sehr fadenscheinig gewählt.
({11})
Wie sollen denn die Vorschläge der Kommission, die im März 1991 vorgelegt werden, umgesetzt werden, damit sie greifen können, bevor die Invasion der ausländischen Lkw auf unseren Straßen einsetzt und die Bahn in diesen gemeinsamen Markt von vornherein mit einem Wettbewerbsnachteil geht und dadurch auf der Strecke - in diesem Fall müßte man besser sagen: auf der Schiene - bleibt? Wie soll das verhindert werden? Dazu gibt es von Ihrer Seite eigentlich keinerlei Vorschläge.
Wir wissen seit 1983 oder schon länger, was getan werden muß. Der Vorschlag der Trennungsrechnung ist nicht neu. Die Notwendigkeit der Übernahme überhöhter Versorgungslasten durch den Bund ist nicht neu. Die Vorschläge werden schon lange diskutiert. Sie konnten sie schon 1984 in dem Entwurf des Bundesbahnsanierungsgesetzes der Fraktion DIE GRÜNEN nachlesen. Aber rein gar nichts ist passiert.
Jetzt stelle ich Ihnen ganz klar die Frage: Warum sind Sie nicht hingegangen und haben gesagt: Wir als Koalitionsfraktionen haben bestimmte Vorschläge, die wir für richtig halten. Auch ich halte diese Vorschläge weitgehend für richtig, aber ich halte sie für nicht weitgehend genug. Ich glaube nicht, daß dadurch eine effiziente Sanierung möglich ist.
Was haben Sie getan? Sie haben eine Pressekonferenz durchgeführt.
({12})
Sie müßten doch eigentlich wissen, daß man die Situation nicht mit Pressekonferenzen ändert. Sie hätten einen Antrag im Bundestag stellen müssen, um irgend etwas zu erreichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohn?
Ja.
Bitte schön, Herr Kohn.
Herr Kollege Weiss, würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß die FDP-Fraktion in diesem Bereich nicht nur Vorschläge unterbreitet, sondern, nachdem diese Vorschläge auf dem Tisch lagen, massive Anstrengungen auf allen ihr möglichen politischen Schienen unternommen hat, um diese Vorschläge zu verwirklichen?
Ich bin bereit, diese Ihre Aussage zur Kenntnis zu nehmen, bitte Sie aber, mir bei Gelegenheit die Nummer der Bundestagsdrucksache zu nennen, auf der Sie Ihre Vorschläge eingebracht haben. Oder ist der FDP vielleicht nicht bekannt, daß der Bundestag dasjenige Gremium ist, das entscheidet, so daß hier im Bundestag ein Antrag hätte vorgelegt werden müssen, wenn Sie es hätten durchsetzen wollen?
({0})
Wir als Fraktion DIE GRÜNEN haben weite Teile aus Ihrem Papier wortwörtlich abgeschrieben, übernommen, weil wir einfach wollen, daß nicht nur geredet wird, sondern daß Sie hier auch einmal entscheiden müssen. Ich kann Ihnen jetzt schon ankündigen: Wenn wir darüber entscheiden, werden Sie nicht umhinkommen, sich in namentlicher Abstimmung dazu zu bekennen, ob Sie Ihr Papier umsetzen wollen oder nicht.
({1})
Es wäre immerhin ein Anfang, ein erster Schritt.
Aber ich kann Ihnen heute schon vorhersagen, was passieren wird: Stoltenberg wird zuschlagen, und Sie werden sich nicht durchsetzen. Das, was in einem eigentlich bahnfeindlichen Papier von Sarrazin aus dem Finanzministerium gekommen ist, wird umgesetzt. Wir merken doch seit Jahren, daß die Bahnpolitik bei dieser Bundesregierung nicht vom Verkehrsminister, sondern vom Finanzminister gemacht wird. Das ist ein unerträglicher Zustand.
Danke.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesbahn gehört zu den Wirtschaftsbereichen, die vom Strukturwandel voll getroffen sind. Nach den einleitenden Darlegungen des Kollegen Straßmeir kann ich mich auf die Stichworte Ansteigen des Pkw-Besatzes in Richtung 30 Millionen Pkw, 40 000 km Bundesfernstraßen mit entsprechender Lkw-Leistungsfähigkeit, Strukturwandel im Massengüteraufkommen, Veränderungen in den Ölpreisen und schließlich Änderung der Bevölkerungsstruktur beschränken. Ich füge noch hinzu: Freiheit des Verkehrsmarktes in Europa ab 1993.
Die Regierung Kohl - und der Bundeskanzler ist es, der sich hier persönlich engagiert - hat klargemacht, daß sie gegenüber dieser Herausforderung auf Wachstum und nicht auf Schrumpfung der Leistungsfähigkeit der Bundesbahn setzt. Mein Amtsvorgänger, Werner Dollinger - dem ich dafür dankbar bin - , hat 1983 mit einem mutigen Schritt entschieden, daß wir unverzüglich ein Hochgeschwindigkeitsfahrzeug, den ICE, entwickeln; Einsatzreife im Jahre 1991. Damit wurde der Anschluß gefunden an die französische Hochgeschwindigkeitsentwicklung des TGV,
({0})
der seit 1980 konkurrenzlos durch Europa gefahren ist.
Wir werden 1991 auf 1 800 km in der Bundesrepublik Deutschland den Hochgeschwindigkeitsbetrieb mit dem ICE aufnehmen; davon werden 1 000 km ausgebaute oder neu gebaute Strecken sein, die Geschwindigkeiten von 200 und 250 km/h ermöglichen. Der ICE ist doppelt so schnell wie das Auto und auch in der Lage, dem Flugzeug Konkurrenz zu machen.
Die Leitlinien für die Bundesbahn, die diese Bundesregierung beschlossen hat, haben dazu geführt, daß die Verschuldung der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1990 mit 49 Milliarden DM nur gut halb so hoch sein wird, wie sie Anfang der 80er Jahre für das Jahr 1990 prognostiziert war, nämlich mit 90 Milliarden DM.
({1})
Herr Kollege Daubertshäuser, wir haben diese Erblast damals auf gut die Hälfte der Verschuldung reduziert.
({2})
Wir werden auch bei der jetzt unter Status-quo-Bedingungen zu erwartenden Entwicklung die Hände natürlich nicht in den Schoß legen. Sie können sich darauf verlassen: So wie diese Schuldenprognose nicht eingetreten ist, wird auch Ihre heutige Schuldenprognose für die Bahn nicht eintreten.
({3})
- Wir wissen nur den Weg, wie man einer solchen Entwicklung Herr wird. Das ist der Unterschied zwischen den Zahlen, die Sie uns hinterlassen haben, und denen, die heute zu erwarten sind.
Über den öffentlichen Personennahverkehr sind in den letzten Jahren Rahmenvereinbarungen mit fast allen Bundesländern getroffen worden. Der Bahnbus wurde kostensenkend in handelsrechtliche Gesellschaftsformen überführt. Die Wirtschaftlichkeit der Beteiligungen an anderen Unternehmen wird durch Zusammenfassung in einer Holding gestärkt.
All das, Herr Kollege Daubertshäuser, hat dazu geführt, daß die Bundesbahn eine gewaltige Produktivitätssteigerung erzielen konnte. 250 000 Eisenbahner
leisten heute in etwa das gleiche, was 1982 durch 314 000 Eisenbahner geleistet worden ist.
({4})
Es ist demoralisierend, wenn Sie vor dem Plenum des Bundestages diesen gewaltigen Erfolg, der ohne den Einsatz der Bundesbahner nicht hätte geschafft werden können, als einen Mißerfolg hinzustellen versuchen.
({5})
Diese zum Überleben der Bundesbahn notwendigen Personalverringerungen werden auch weitergehen. Sie sind übrigens durchgeführt worden, ohne daß ein einziger Beschäftigter entlassen werden mußte - eine in der deutschen Wirtschaft wohl einmalige Entwicklung in einem vom Strukturwandel betroffenen Bereich.
({6})
Natürlich ist es zu Härten gekommen; diese Härten dauern an. Wir müssen in Engpaßbereichen dafür sorgen, daß hier Erleichterung geschaffen wird.
({7})
Wir haben unseren Eisenbahnern auf der einen Seite den Dank für diese Leistung, den wir ihnen schulden, öffentlich auszusprechen.
({8})
Aber es darf auf der anderen Seite nicht beim Aussprechen dieses Dankes allein bleiben.
({9})
Deshalb bin ich dem Bundesfinanzminister verbunden, daß er mitgeholfen hat, in den Haushalt 1989 Verbesserungen im Besoldungsbereich gerade für die Engpaßbereiche in der Bundesbahn einzubringen.
Darüber hinaus müssen wir unseren Bundesbahnern auch sagen können: Wie soll es weitergehen?
({10})
Hier möchte ich sagen: Die Bahn fährt nicht nur auf neuen Gleisen mit neuem Gerät, sondern wir haben auch entsprechende neue Techniken entwickelt, die dafür sorgen, daß die Hochgeschwindigkeit, die der Natur der Sache nach nur zwischen Ballungsschwerpunkten stattfinden kann, auch der Fläche zugute kommen wird.
({11})
Ich nenne das Interregio-Konzept,
({12})
ich nenne den Einsatz des modernen Gerätes VT 628,
({13})
mit dem eben auch Reisespaß geboten wird, was ein ganz wichtiger Teil des Leistungsangebots der Bahn der Zukunft ist.
({14})
Und ich sage mit Genugtuung: Wir haben im vergangenen Monat den Entwicklungsauftrag für eine deutsche Dieselversion des italienischen Elektroschnelltriebzuges „Pendolino" erteilt, die auf alten Strecken Geschwindigkeiten von 140 und 160 Kilometer pro Stunde erreichen kann und damit die Siedlungsschwerpunkte der Fläche an die Hochgeschwindigkeit anschließen wird.
Herr Minister, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Abgeordneten Knabe?
Unter der Voraussetzung, daß das nicht zu Lasten der Diskussionszeit der Parlamentarier geht, gern.
So habe ich es auch beabsichtigt.
Herr Minister, die kurze Frage: Ist es bis in Ihre Etagen gedrungen, daß die Sicherheit der Nebenstrecken durch das Fehlen von Mitteln, für die Unterhaltung, etwa von Brückenbauwerken und anderem, gefährdet ist, weil man die vorhandenen Mittel einseitig auf diese Schnellbahnstrecken konzentriert?
Selbstverständlich kommt keine Gefährdung der Betriebssicherheit bei der Bundesbahn in Frage.
({0})
Was gilt es nun darüber hinaus zu tun? Ich nenne sieben Aktionsfelder, auf denen wir uns in der Zukunft zu engagieren haben. Dies sind: 1. die Investitionen, 2. die Altschulden, 3. die Versorgungslasten, 4. die Fahrwegkosten, 5. das Rechnungswesen der Deutschen Bundesbahn, 6. ein modernes Leistungsangebot der Bahn, 7. die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen.
Erstens. Bei den Investitionen haben wir umgesteuert. Herr Kollege Daubertshäuser, um Sie in den Stand zu setzen, mit den richtigen Zahlen zu arbeiten: Es wird im Zehnjahreszeitraum 1986 bis 1995 in die Bahn - und das heißt natürlich nicht nur in den Streckenbau der Bahn, sondern auch in die Fahrzeuge der Bahn und in einem gewissen Umfang in die Erhaltung der Bahn - durch massive Aufstockung der Investitionsmittel eine Bruttosumme von 50 Milliarden DM
investiert werden. Damit haben wir zum erstenmal mit der Straße gleichgezogen, die Bruttoinvestitionen in der gleichen Größenordnung haben wird.
({1})
Dieses Gleichziehen der Bruttoinvestitionen hätten Sie vorher in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit auch schon machen können. Das haben Sie nicht gemacht.
({2})
Dies ist die Leistung der jetzt amtierenden Bundesregierung. Das wollen wir dann auch noch einmal festhalten.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zweite Punkt sind die Altschulden. Bundeskanzler Willy Brandt hat in der Regierungserklärung 1969 die Übernahme von 12,6 Milliarden DM Altschulden durch den Bund angekündigt. Bis heute ist das nicht geschehen.
({4})
Im Haushalt 1989 wird der Bund jetzt knapp eine Milliarde DM Zinsen für Altschulden, die bisher im Haushalt des Bundesverkehrsministers ausgewiesen waren, in den Titel Bundesschuld übernehmen.
({5})
- Niemand behauptet, daß die Bahn dadurch mehr Geld bekommt, Herr Kollege Daubertshäuser, aber es ist ein Signal, mit dem der Bund Verantwortung für die Altschulden zu erkennen gibt.
({6})
Drittens. Ab 1989 wird der Versorgungsaufwand, den die Bahn selbst zu tragen hat, auf 31 % der Bezüge ihrer aktiven Beamten begrenzt - nach zwei Jahren - , nach fünf Jahren wird dann die Angemessenheit dieser Zahl überprüft werden. In der Zwischenzeit wird exakt abgerechnet. Im Gegensatz zur bisherigen Übung wird der Bahn damit die Planungssicherheit gegeben, die sie seit langem gefordert hat.
Viertens. Ich werde dem Kabinett vorschlagen, daß sich der Bund am Fahrweg der Bahn mit einem Beitrag zu den Fahrwegkosten beteiligt.
({7})
Herr Gohlke hat diesen Schritt als revolutionär bezeichnet. Herr Gohlke hat recht.
({8})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Kollegen von der Arbeitsgruppe der Koalition ebenso wie den Kollegen der Opposition danken, daß sie bei der Erstellung dieses Teils des Bahnkonzepts entscheidende
Arbeitshilfe geleistet haben. Ihr Angebot, Herr Kollege Daubertshäuser, daß es in Fragen der Bahn interfraktionelle Zusammenarbeit geben soll, nehme ich ernst. Wir werden uns zusammensetzen, um diese Möglichkeiten auszuloten. Ich würde es begrüßen, wenn wir hier einen gemeinsamen Weg fänden.
({9})
Fünftens. Ich habe die Deutsche Bundesbahn beauftragt, die erforderlichen Voraussetzungen, um überhaupt einen Beitrag zum Fahrweg leisten zu können, in ihrem Rechenwerk zu schaffen. Die Bundesbahn hat in der Tat in der Erstellung eines aussagefähigen Rechenwerks erhebliche Fortschritte gemacht. Ich gehe mit Ihnen, Herr Kollege Kohn, davon aus, daß diese Arbeiten binnen zwei Jahren zum Abschluß gebracht werden.
Sechstens. So richtig es ist, daß die Bahn nicht ohne Geld saniert werden kann, mit Geld allein kann die Bahn auch nicht saniert werden. Sie muß sich in ihrem Leistungsangebot der Qualität der Konkurrenz, den Anforderungen der Wirtschaft anders anpassen, als das bisher der Fall war. Sie ist auf dem richtigen Wege. Das Stückgutkonzept 1988 hat das gezeigt. Die Bahn muß - und nur der kombinierte Verkehr gibt ihr hierzu die Möglichkeit - in Zusammenarbeit mit dem Lkw in der Lage sein, auch den Nachtsprung binnen 24 Stunden in einem massiven, über das Bisherige hinausgehenden Umfang im Güterbereich vorzunehmen. Die Zeit ist reif dafür. Nicht nur die verladende Wirtschaft, sondern auch der Güterkraftverkehr warten auf eine Ausweitung dieses Angebots. Natürlich soll die Bahn auch in Zukunft im Schienenpersonennahverkehr unserer Ballungsräume gemeinwirtschaftlich fahren. Natürlich wird das auch in Zukunft ein Bereich sein, der nicht kostendeckend gestaltet werden kann, der Zuschuß braucht, aber die Konstruktionen, wie es sie heute bei einem Teil unserer Verkehrsverbünde gibt, daß dort über die Leistungen entschieden wird und der Bund hinterher die Rechnung zu bezahlen hat, sind in dieser Form nicht sinnvoll und überprüfungswürdig.
({10})
Ob im wettbewerbswirtschaftlichen oder im gemeinwirtschaftlichen Bereich, immer haben wir den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten.
({11})
Das heißt im Klartext, sparsam mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen, Herr Kollege Weiss. Die „GRÜNE" Bahn, die Sie hier vorschlagen, ist unbezahlbar.
({12})
Sie kann deshalb nicht verwirklicht werden, weil sie keine Grundlage in den Finanzierungsmöglichkeiten hat.
Deshalb gilt es, wirtschaftliche Optimierungsberechnungen mit dem Ziel aufzustellen, den Bedarf der Deutschen Bundesbahn an Zuschüssen aus dem Bun7176
deshaushalt zu begrenzen und auf lange Sicht zurückzuführen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiss ({0})?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, weil Sie sagen, es sei unbezahlbar, frage ich Sie: Können Sie bestätigen, daß man durch eine Mineralölsteuererhöhung um etwa 18 Pfennig ungefähr 5 Milliarden DM im Jahr mehr hätte, um die Bahn zu finanzieren?
Ich kann nur eines bestätigen, Herr Kollege Weiss: Wenn ich das sehe, was Sie allein im Laufe der letzten anderthalb Jahre hier an Anträgen eingebracht haben, auf Aufrechterhaltung jeder Strecke, von der sich die Bevölkerung aus Gründen, die ihr nicht vorzuwerfen sind, zurückgezogen hat, dann komme ich zu dem Ergebnis: Die Bahn, die Sie propagieren, ist eine unbezahlbare Museumsbahn, nicht aber die Bahn der Zukunft.
({0})
Meine sehr verehrten Kollegen, ich brauche keine lange Begründung, wenn ich sage: Leistungsangebot, Verteilung von gemeinwirtschaftlich entstehenden Defiziten zwischen Bund und anderen Körperschaften, Begrenzung und Rückführung des Bedarfs an Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt, das sind Fragen, die nicht im Wege der Volksbeglückung den Beteiligten übergestülpt werden können. Vielmehr bedürfen die Antworten auf diese Fragen sorgfältiger Vorklärung. Das ist der Grund, weshalb ich dem Kabinett vorschlagen werde, eine unabhängige Kommission aus Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften, von Bund und Ländern, von Banken und Wissenschaft zu berufen und mit der Aufgabe zu betrauen, binnen zwei Jahren den Bericht vorzulegen, der das zukünftige Unternehmenskonzept der Bundesbahn ebenso enthalten soll wie die Finanzverantwortung in entscheidenden Bereichen der Gemeinwirtschaftlichkeit des Leistungsangebots.
Siebentes. Wir brauchen auch Rahmenbedingungen, in denen die Bundesbahn ihre Leistungsfähigkeit entfalten kann. Wir treten mit dem europäischen Verkehrsmarkt in eine neue Ära der Verkehrspolitik ein. Zweierlei kennzeichnet diese neue Ara: Erstens wird der grenzüberschreitende Güter- und Personenverkehr auf der Straße wie in der Luft von allen mengenmäßigen Beschränkungen befreit. Zweitens ist für das zu erwartende und von uns ja gewollte Wachstum des grenzüberschreitenden Verkehrs die Infrastruktur nicht mehr beliebig vermehrbar, weder die Straßen- noch die Flughafeninfrastruktur.
Meine Damen und Herren, ein wachsendes Verkehrsaufkommen in der Luft und auf der Straße und das Fehlen der Möglichkeiten, die Infrastruktur beliebig anzupassen, das bringt für die deutsche Verkehrspolitik eine Grundsatzentscheidung mit sich, die ich sehr einfach formulieren kann: Die problematischen Verkehrsträger Luft und Straße dürfen im Zeichen des Gemeinsamen Marktes nicht auch noch subventioniert werden. Das heißt im Klartext: In dieser Stunde tagt die Länderverkehrsministerkonferenz. Der Bundesverkehrsminister, vertreten durch den Staatssekretär, wird dort vorschlagen, durch An- und Abfluggebühren Kostendeckung im Bereich der Flugsicherung herbeizuführen
({1}) und mit dieser Subvention Schluß zu machen.
({2})
Es heißt im Klartext weiter: Bundesregierung und Koalition unterstützen den Vorschlag der Kommission für eine Infrastrukturabgabe im europäischen Straßengüterverkehr. Wir wollen eine europäische Lösung; wenn aber Europas Mühlen zu langsam mahlen, müssen wir übergangsweise in der Lage sein, auch national zu handeln und, Herr Kollege Weiss, diese Entscheidungen rechtzeitig vor 1993 zu treffen.
({3})
Nur durch diese Handlungsfähigkeit werden wir uns in Europa durchsetzen können.
Der wachsende Markt in der von Grenzen befreiten Europäischen Gemeinschaft bietet eine Chance für alle, für Straße, Luftverkehr, Hochsee- und Binnenschiffahrt, und wir brauchen die Eisenbahn, wenn dieses Wachstum Umwelt- und verkehrssicherheitsgerecht bewältigt werden soll.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß in dieser Verkehrsdebatte, in dieser Bundesbahn-Debatte die Gemeinsamkeit beschworen wurde. Ich stimme Ihnen zu, Herr Daubertshäuser, daß wir bei diesen schwierigen Bahnproblemen möglichst gemeinsam diese Dinge angehen sollten. Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt,
({0})
daß wir in der Zielsetzung einig sind: Wir alle wollen eine leistungsfähige, moderne Bahn, die ihre künftigen Aufgaben erfüllen kann. Aber darüber, welchen Weg wir dabei gehen sollen, welche Bahn wir uns dabei vorstellen, gehen die Meinungen schon auseinander.
Wenn wir über die Deutsche Bundesbahn oder über die Bahn der Zukunft debattieren, dann geht es um die Kernfrage der Bahnpolitik, nämlich: Welche Bahn hat Zukunft, welche Bahn wollen wir, und welche Bahn können wir letzten Endes bezahlen?
Der Vorwurf der SPD, der auch heute wieder gekommen ist, wir hätten die Bahn im Stich gelassen, muß mit Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Wenn Sie von der SPD sich so der Probleme der Bahn
angenommen hätten wie wir und diese Bundesregierung, dann gäbe es diese Situation bei der Deutschen Bundesbahn nicht.
({1})
Bei Ihnen war die Bundesbahn doch das Stiefkind; Sie haben sie nahezu an den Rand des Abgrunds fahren lassen. Es gab keine Zukunftsinvestitionen in der Zeit der SPD-Verkehrsminister; diese hatten einseitig auf Bundesfernstraßenausbau gesetzt.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung Kohl hat gehandelt: Wir haben Leitlinien erarbeitet. Während die SPD die Bahn hat verludern lassen, hat sie jetzt wieder Ansehen gewonnen. Die Eisenbahner sind motiviert; das Leistungsbild hat sich positiv verändert. Die Bundesbahn ist heute natürlich auch umweltpolitisch attraktiv.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erfolge wurden durch gewisse Ereignisse wieder eingeholt: Wir haben die erheblichen Strukturveränderungen in Wirtschaft und Verkehr; wir haben den Rückgang bei den Massenguttransporten; wir haben einen Preisverfall bei den Gütertarifen; wir haben die hohen Belastungen der Bahn im Schienenpersonennahverkehr.
Die CDU/CSU tritt mit Nachdruck für eine leistungsfähige deutsche Bahn ein. Die Bahn, lieber Kollege Daubertshäuser, ist heute nicht mehr das Rückgrat des Verkehrs. Sie hat nicht mehr die Grundversorgungsfunktion wie früher; sie ist nicht mehr das universale Transportmittel. Die Bahn ist heute ein Dienstleistungsunternehmen, das im Wettbewerb steht. Für uns ist dieses Dienstleistungsunternehmen ein unverzichtbares Verkehrsunternehmen. Wir brauchen die Bahn als zuverlässigen Partner in der Wirtschaft. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß neue Aufgaben durch die Verengung im Straßen- und im Luftraum auf die Deutsche Bundesbahn zukommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich die Debatte, die bisher gelaufen ist, jetzt zusammenfassend betrachte, dann glaube ich, daß Umdenken notwendig ist. Wir brauchen ein neues Bahnverständnis. Die GRÜNEN wollen die Deutsche Bundesbahn so, wie sie jetzt ist, konservieren. Die SPD lehnt Strukturveränderungen ab.
({4})
Herr Kollege Daubertshäuser, Sie haben auf die Straßen verwiesen. Auf der Straße haben wir Magistralen. Und was haben wir im Bereich der Bahn? - Ein Netz aus dem vorigen Jahrhundert; es ist über 150 Jahre alt. Die Bahn der Großväter hat keine Zukunft. Bei solchen Vorstellungen würde die Bahn noch viel stärker aus dem Markt geworfen werden.
({5})
Deshalb sind auch die wirtschaftlichen Ergebnisse der Bahn heute alles andere als befriedigend. Die Bahn kann nur 60 % ihrer Gesamtaufwendungen durch am Markt erwirtschaftete Erlöse decken. 17 Milliarden DM eigenen Erträgen stehen 20 Milliarden DM Personalkosten gegenüber. Wir sollten uns eine weitere Zahl ins Gedächtnis rufen: Von 1970 bis 1987 hat die Deutsche Bundesbahn über 200 Milliarden DM Bundesleistungen erhalten. Die Bahn ist in dieser Form und mit dieser Entwicklung, die wir heute haben, auf Dauer nicht bezahlbar. Die Erhaltung des Schienennetzes mit dem gesamten Apparat ist auf Dauer nicht verkraftbar. 85 To der Leistungen der Bahn werden auf 40 % ihres Netzes erbracht. 30 % der Gütertarifpunkte erwirtschaften 90 % des Verkehrsumsatzes.
({6})
Die Bahn muß deshalb als marktorientiertes Unternehmen, Herr Weiss, gesehen werden, und danach müssen die Entscheidungen ausgerichtet werden.
In der Fläche ist das Verkehrsmittel Bahn dem Pkw und dem Lkw hoffnungslos unterlegen. Wir brauchen für den Personenverkehr die Hochgeschwindigkeitsbahn. Wir brauchen im Güterverkehr stärker den Knotenpunktverkehr von Schwerpunkt zu Schwerpunkt, von Industrieregion zu Industrieregion. Das Wichtigste ist: Die Bahn muß unter Bedingungen produzieren, die eine Kostendeckung ermöglichen. Das heißt, sie muß ihren arteigenen Vorteil stärker ausbauen, und sie muß wissen, daß lokale Verkehre mit anderen Mitteln besser und produktiver gestaltet werden können.
Meine verehrten Damen und Herren, die Sanierung der Finanzen der Bahn ist für uns eine wichtige Aufgabe. Das Kernproblem bei der Bahn aber ist die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Die Motorisierung geht weiter. Der Lkw dringt immer mehr in Märkte der Bahn ein. Deshalb braucht die Bahn die richtigen Trassen, in den richtigen Relationen in ihrem Netz.
({7})
Die Zukunftsinvestitionen, die heute erfreulicherweise laufen, kommen viel zu spät, werden viel zu spät verkehrswirksam. Hier liegt das Hauptversagen der SPD: daß sie nicht mit dazu beigetragen hat, daß die Bahn Zukunftsinvestitionen hat vornehmen können.
({8})
- Unter der Bundesregierung Kohl, Herr Daubertshäuser, ist keine Investition gescheitert, weil das nötige Geld nicht zur Verfügung gestanden hätte. Mit dem Neu- und Ausbau der Strecken erhält die Bahn die erforderliche Infrastruktur. Noch niemals in der Geschichte der Bahn sind so hohe finanzielle Mittel in die Zukunft des Unternehmens investiert worden, wie das heute der Fall ist. Es ist unverfroren, wenn immer wieder die Behauptung kommt, wir hätten die Bahn im Stich gelassen. Dies, meine sehr verehrten Damen
und Herren, muß energisch zurückgewiesen werden.
Die Kosten bei der Bahn müssen weiter gesenkt werden. Die Reduzierung des Personalstandes ist keine leichte Aufgabe. Die Eisenbahner tragen diese Aufgabe mit. Dafür schulden wir ihnen Dank und Respekt.
({9})
Meine verehrten Damen und Herren, die DB braucht eine Finanzperspektive. Sie schleppt Lasten mit, die andere Verkehrsträger nicht haben und die ihr abgenommen werden müssen. Während ihre Konkurrenten Fahrwegkosten nur zu bezahlen haben, wenn sie die Fahrwege in Anspruch nehmen, muß die Bahn auch bezahlen, wenn sie die Trassen nicht oder nur wenig benutzt. Wir haben deshalb im Papier der Koalitionsarbeitsgruppe Bahn darauf hingewiesen, daß im Wege der Trennungsrechnung das Schienennetz in die Obhut des Bundes, des Staates, übergeführt werden soll.
Ich stimme dem zu, was hier heute gesagt wurde, daß die öffentlichen Leistungen, die die Bahn erbringen muß, künftig noch stärker abgegolten werden müssen. Für mich ist es auch wichtig, daß für die Bahn, die immer noch zu sehr an den Ketten des Staates hängt, eine gewisse Befreiung eintritt. Die Bahn braucht eine neue Unternehmens- und Organisationsstruktur. Wir müssen deshalb auch prüfen, ob eine Änderung des Bundesbahngesetzes notwendig ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Handlungsbedarf bei der Deutschen Bundesbahn. Das ist eine unumstrittene Tatsache. Gefordert ist zunächst die Unternehmensführung. Die Unternehmensführung muß die Produktion, muß das Marketing verbessern. Die Organisation muß weiterentwickelt werden.
({10})
Auch die Aufgabenstellung der Bahn, Herr Haar, muß weiterentwickelt werden. Dazu brauchen wir auch eine moderne Erfolgsrechnung. Hier hat der Bundesbahnvorstand eine Vorleistung zu erbringen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, weitreichende und mutige politische Entscheidungen.
({11})
Wenn sich der Bundesverkehrsminister aus diesen Gründen für eine richtige Weichenstellung im Blick auf die Zukunft des Sachverstandes und des Rates einer Expertenkommission bedienen will, dann ist das richtig.
({12})
Auf der Grundlage eines neuen Bahnverständnisses brauchen wir jetzt ein geschlossenes Bahnkonzept, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn gestärkt, die Bahn zu einer Bahn der Zukunft gemacht und finanziell saniert wird. Eine genaue Analyse und fundierte Vorschläge sind dazu notwendig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wir wollen diese notwendigen Entscheidungen nicht anderen, wir wollen sie nicht Ihnen
überlassen. Wir sind überzeugt, daß diese Koalition unter Bundeskanzler Kohl nach 1990 die politische Verantwortung weiter zu tragen hat.
({13})
Ihre Behauptung, wir wollten verzögern und die Probleme der Bahn bis nach der Wahl im Jahre 1990 verschieben, ist falsch.
({14})
Wir wollen die Aufgaben selber erledigen, und wir wollen sie gründlich erledigen. Die Eisenbahner erinnern sich an den Zickzackkurs der SPD bei der Bahn. Er ist in bester Erinnerung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn hat tüchtige und fähige Mitarbeiter.
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, aber das waren schon gute Schlußsätze, und Ihre Redezeit ist nun abgelaufen.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. - Für uns, für die CDU/CSU, ist die Deutsche Bundesbahn kein Auslaufbetrieb. Wir setzen auf die Zukunft einer modernen Bahn.
Ich bedanke mich.
({0})
Die letzten Sätze der Kollegen sind immer besonders lang.
Der Abgeordnete Haar hat als nächster das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben mit großem Interesse Ihr Angebot, Herr Dr. Warnke, in Richtung gemeinsamen Handelns in der Bahnpolitik gehört. Diese Forderung, die auch von unserer Seite erhoben wurde, ist nicht neu. Ich denke, wir können Gespräche im Rahmen einer Bestandsaufnahme führen. Nur, unsere Erfahrungen im Zusammenhang mit unserem Angebot, was den EG-Verkehrsmarkt anlangt, waren nicht gut. Vielleicht gibt es jetzt einen besseren Start. Nur noch eine Bemerkung: Die Rede von Herrn Dr. Jobst, der nach Ihnen gesprochen hat, war schon ein Fehlstart.
({0})
- Regen Sie sich nicht auf. Ich sage hier die Wahrheit. Wenn Sie sich darüber aufregen, dann ist es auch gut.
Die Deutsche Bundesbahn befindet sich heute in einer zunehmend gefährlicher werdenden Situation. Verschuldung und Jahresfehlbetrag steigen in einem von Jahr zu Jahr schneller werdenden Tempo. Der Vorstand der Bundesbahn rechnet für 1993 mit einem Schuldenberg in Höhe von über 60 Milliarden DM. Die Aufgabe, Erträge, Aufwand und Investitionen unter einen Hut zu bringen - das ist unbestritten -, wird immer schwieriger. Dies hat bereits dazu geführt, daß sich der Bahnvorstand entgegen langjähriger PraHaar
xis in der vergangenen Woche nicht in der Lage sah, dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn einen beschlußfähigen Wirtschaftsplanentwurf für das kommende Jahr vorzulegen. Er mußte um Verschiebung bis Mitte Dezember bitten.
({1})
Lassen Sie mich zur Charakterisierung der jetzigen Situation einige Beispiele anführen. Angesichts des Kapazitäts- und Personalabbaues in den letzten Jahren bietet die Bahn auf Grund eines Beschlusses ihres Managements Verkehrsleistungen nicht mehr dort an, wo ein Bedarf auf dem Markt erkannt wird, sondern nur noch dort, wo sie sich auf Grund ihrer reduzierten personellen Leistungsfähigkeit dazu in der Lage sieht. Was ist das für eine Situation?
Der Umfang der von den Eisenbahnern geleisteten Überstunden beläuft sich zur Zeit auf rund 5 Millionen Stunden. Um den Bahnbetrieb überhaupt aufrechtzuerhalten, sind einzelne Lokführer und Rangierarbeiter bereits gezwungen, Überstunden in einem Umfang von 20 bis 30 Tagen vor sich herzuschieben. Wo bleibt hier die Fürsorgepflicht des Vorstandes der Bahn und der Bundesregierung gegenüber den betroffenen Eisenbahnern? Gilt eigentlich die Aufforderung von Bundesminister Blüm, Überstunden durch Neueinstellungen zu vermeiden, nur für die Privatwirtschaft und nicht auch für den Bund?
Langfristig zwischen Bahnvorstand und Bundesregierung vereinbarte Investitionsziele werden über den Haufen geworfen, weil der Bundesfinanzminister auf einer weiteren Verknappung des Finanzrahmens der Bahn besteht, so geschehen bei den Investitionen sowohl in die Ausbaustrecken als auch zur Beschaffung der Fahrzeuge für den Interregio-Verkehr. Beide Vorhaben wurden im Genehmigungserlaß des Bundes vom Juni dieses Jahres für den Wirtschaftsplan 1988 der Bahn als nachrangige Prioritäten, d. h. als entbehrlich bezeichnet.
Dies zeigt, wie sehr die Deutsche Bundesbahn in der Krise steckt. Es wird nur noch kurzfristig reagiert statt zielorientiert gehandelt. Herr Minister, Sie haben sieben Leistungs- und Aktionsfelder hier genannt. Ich muß Sie wirklich dringend bitten: Bleiben Sie nicht bei Überschriften und Ankündigungen! Dann wollen wir über jedes einzelne Aktionsfeld konkret wissen, was, bezogen auf die Erfahrungen und die Überlegungen der Koalitionsfraktionen und ihrer Verkehrspolitiker, in Übereinstimmung steht und was wir dann auch rasch nach vorn führen können.
({2})
Ich begrüße es ausdrücklich, daß einige der bahnpolitischen Forderungen meiner Fraktion inzwischen von den Koalitionsfraktionen ernsthaft diskutiert werden. Die Vorschläge der Koalitionsgruppe Bahn vom Juni dieses Jahres stellen auch einen guten Schritt in die richtige Richtung dar. Gleiches gilt für die bei der Eröffnung des Gewerkschaftstages der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands von Ihnen, Herr Bundesminister Warnke, genannten Felder. Sie haben es vorsichtig formuliert - ich habe es zweimal nachgelesen - : Das ist in jeder Richtung prägbar. Aber das
reicht wohl nicht. Ankündigungen helfen der Bahn und den Eisenbahnern jetzt nicht mehr weiter.
({3})
Es muß gehandelt werden - da bin ich mit Herrn Kohn in völliger Übereinstimmung - , und zwar nicht erst irgendwann nach der Bundestagswahl - so etwa mit dem Nebengleis einer Kommission, sondern jetzt. Lassen Sie uns in all den Bereichen, in denen inzwischen Einigkeit über die Notwendigkeit politischer Entscheidungen besteht, rasch zu Beschlüssen kommen. Weiteres Zuwarten wäre im Grunde auch gar nicht zu verantworten.
An erster Stelle ist hier der notwendige Abbau der Verschuldung der Bahn zu nennen. Seit fünf Jahren liegen dazu konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Dr. Abs hat im September 1983 in einem der Bundesregierung vorgelegten Bericht mit seiner Expertengruppe eindeutig festgestellt - hier darf ich wörtlich zitieren - , daß nur eine klare Bereinigung der Finanzstruktur von den Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu einer dauerhaften Lösung führt. - Das zweite wörtliche Zitat: Es wird gesagt, daß zögerliches und kompromißhaftes Handeln nicht mehr vertretbar ist, ohne der Bundesbahn und damit der Deutschen Volkswirtschaft dauerhaften und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen.
({4})
Diese Feststellungen wurden getroffen, als die Verschuldung der Bahn bei 35 Milliarden DM lag. Inzwischen beläuft sie sich auf rund 42 Milliarden DM, und - mein Freund Daubertshäuser hat es schon festgestellt - sie nimmt rapide zu. Im Dezember hat die SPD-Fraktion zur Entschuldung der Bahn einen Gesetzentwurf eingebracht, der am 4. März 1988 in erster Lesung behandelt wurde. Noch ist darüber im Ausschuß nicht beraten worden. Lassen Sie uns wenigstens jetzt zu einem konstruktiven Dialog über die notwendige Kapitalbereinigung bei der Deutschen Bundesbahn kommen.
({5})
Gleiches gilt für die volle Übernahme der überhöhten Pensionslasten der Bahn durch den Bund. Wir haben hierzu einen Entschließungsantrag eingebracht. Auch die Arbeitsgruppe Bahn von CDU/CSU und FDP sieht hier Regelungsbedarf. Hier könnten wir uns schnell auf eine gesetzliche Regelung verständigen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen: Sind Sie dazu wirklich bereit? Wir Sozialdemokraten sind es,
({6})
allerdings unter der Voraussetzung, daß die hierfür notwendigen Mittel nicht nach Taschenspielermanier an anderer Stelle des Bahnhaushaltes gestrichen werden. Das müssen klare Positionen sein.
Der dritte Bereich, in dem über die Notwendigkeit raschen Handelns Einmütigkeit besteht, ist die Frage des Wegenetzes der Bahn. Hier muß gerade im Hinblick auf den bis 1992 entstehenden europäischen
Binnenmarkt eine Gleichstellung der Bahn mit Straße, Wasserstraße und Luftfahrt erfolgen. Wie bei den anderen Verkehrsträgern müssen auch bei der Bahn die Kosten für Unterhalt und Ausbau des Netzes vom Bund übernommen und gleichzeitig eine Schienenbenutzungsgebühr eingeführt werden.
Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU und FDP, haben genau dies zu einem zentralen Punkt Ihrer Vorschläge vom 21. Juni gemacht. Worauf warten wir eigentlich noch? Doch wohl nicht auf detaillierte Rechnungen der Bahn zu jeder einzelnen Strecke. Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß Sie das verlangen würden.
Im übrigen, hat Herr Gohlke vor zwei Tagen bei uns erklärt, sie seien wesentlich schneller in der Lage, solche gewünschten Rechnungen vorzulegen.
({7})
Es ist doch unbestritten, daß auch bei den Schienenwegen in zusammenhängenden Netzen gedacht werden muß. Bei der Straße kommt doch niemand auf die Idee, die Wirtschaftlichkeit einzelner Kreisstraßen zu ermitteln.
({8})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, auf streckenspezifische Rechnungen nicht verzichten wollen, ist dies doch nicht Voraussetzung einer notwendigen gesetzlichen Regelung des Wegekostenproblems, sondern allenfalls ihre Konsequenz.
({9})
- Aber schieben Sie es mit diesem Argument nicht weg, das ist meine Bitte. Schieben Sie die Entscheidung bitte nicht vor sich her! Lassen Sie uns mit konkreten Beratungen im Ausschuß so rasch wie möglich beginnen!
Ein weiterer Punkt, bei dem gemeinsame Auffassungen bestehen, sind die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Bahn im öffentlichen Personennahverkehr. Sie gehören in die staatliche Verantwortung. Wir haben hierzu im Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes einen konkreten Formulierungsvorschlag zur Neufassung des § 28a des Bundesbahngesetzes vorgelegt. Wir hängen hier - wie auch bei den anderen Gesetzentwürfen - nicht an Punkt und Komma.
Bringen Sie Ihre Vorschläge ein; denn durch Liegenlassen werden die Probleme allenfalls nur größer.
({10})
Wer wirklich will, daß die Deutsche Bundesbahn echte Zukunftschancen erhält, der muß jetzt zum Handeln bereit sein.
({11})
Bleiben die Bundesleistungen an die Deutsche Bundesbahn eingefroren, dann ist der Weg zur Schrumpfbahn vorgezeichnet. Ich trage das doch mit zwei Jahrzehnten Erfahrung vor.
({12})
Ich mache da keinen Unterschied in der kritischen Beurteilung der Entwicklung, die hierher geführt hat. Ich habe das wiederholt öffentlich formuliert, auch am Sonntag vor acht Tagen in Nürnberg. Das werden der Minister und Herr Kohn bestätigen.
({13})
Die massive Zunahme der Streckenstillegungsverfahren und die reihenweise Schließung von Wagenladungstarifpunkten, die wir entschieden ablehnen, sind unübersehbare Indizien hierfür. Wer es mit der Sorge für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land wirklich ernst meint, darf bei dieser Entwicklung nicht mehr schweigen.
Wir müssen den Teufelskreis unserer Umwelt- und Verkehrsmisere durchbrechen. Politische Sandkastenspiele und das Hin- und Herschieben der Bundesleistungen an die Bahn von einem Haushaltstitel zum anderen können Eisenbahner und Öffentlichkeit über die wahren Sachverhalte nicht mehr hinwegtäuschen. Die Bahn muß endlich aus dem Würgegriff der Privatisierungs- und Liberalisierungsideologie befreit werden, nicht umgekehrt. Das muß ich deutlich sagen. Ökologische und ökonomische Vernunft gebieten es, den Anachronismus der Bahn- und Umweltzerstörung gemeinsam aufzulösen.
({14})
Ich wiederhole meinen eindringlichen Appell: Die notwendigen Entscheidungen müssen jetzt fallen. Weiteres Zuwarten führt zu einer dramatischen Verschärfung der Lage der Bahn. Lassen Sie Ihren öffentlichkeitswirksamen Versprechungen jetzt Taten folgen! Ich zitiere den früheren Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner: Laßt die Bahn nicht verkommen!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort muß ich aufgreifen, um es zurückweisen zu können und die Position deutlich zu machen: Lieber Ernst Haar, die Bahn aus dem „Würgegriff der Liberalisierung" zu befreien, - das geht an den Realitäten ja wohl total vorbei. Wir wollen die Bahn auch in der Weise liberalisieren, indem wir ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Leistungsfähigkeit in einem liberalisierten Markt stärken. Das ist die Absicht der FDP.
({0})
Das ist genau das, was durch die Ausführungen meines Kollegen Kohn hier deutlich gemacht worden ist. Wir wollen die Bahn. Ich habe eigentlich kein Verständnis mehr für die dauernde Ideologisierung der Verkehrsträger - selbst heute morgen klang es hier
an -, für das dauernd falsche In-Wettbewerb-Setzen von Verkehrsträgern.
({1})
Das geht am Bedarf der Menschen und der Wirtschaft völlig vorbei.
({2})
Wer Eisenbahn fahren will, der wird es tun, und er kann es,
({3})
und wer Auto fahren will, der kann es, und er wird es tun. Sie können die Menschen nicht zu dem einen oder zu dem anderen zwingen. Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür setzen, daß die systemspezifischen Vorteile ausgenutzt werden können. Das ist unsere Aufgabe, und dazu gehört die Bahn. Deshalb wollen wir die Bahn ja in jeder Weise fördern.
Aber ich wollte mich eigentlich ein bißchen aus dieser Grundsatzdiskussion entfernen und mich an ein paar Einzelpunkte in der Diskussion annähern, die auch den Anträgen zugrunde liegen.
Als erstes will ich darauf hinweisen, für wie wichtig wir das europäische Schnellbahnnetz halten, und dabei das Augenmerk auf die beiden Strecken richten, die in dem offener und enger werdenden Europa für uns wichtig sind: Paris-Brüssel-Köln mit der Anbindung an die Strecke Ruhrgebiet-Köln-MannheimSüddeutschland; die zweite Strecke, die wir nicht vergessen wollen: Paris-Saarbrücken-Mannheim.
({4})
Hierauf muß alle Energie verwendet werden. Ich finde es gut, daß die europäischen Verkehrsminister diese Frage in der vergangenen Woche angeschnitten und den richtigen Weg gewiesen haben. Ich hoffe auch, daß jetzt die Vereinheitlichung der Technik und die Finanzierung gesichert werden können.
Ich will auch ein Wort zu der Frage Köln-Frankfurt oder Rhein/Ruhr-Rhein/Main sagen. Ich spreche mich hier ganz eindeutig dafür aus, daß das auf der Schiene mit dem ICE geschieht.
({5})
Das geht nämlich schnell, das wird der Bahn auch gerecht. Das ist keine Absage an Transrapid. Transrapid ist ein System, das von uns gefördert worden ist, das auch weiter gefördert werden muß, das gar nicht in Konkurrenz zur Bahn steht, sondern eigene Verkehrsbedürfnisse erfüllen kann, die über das hinausgehen, was die Bahn kann. Dabei bin ich auch der Meinung, auch da sollte man realistisch sein und nicht immer gleich vom großen C oder von der ganz großen Acht reden, sondern man sollte die Dinge hier realistisch einschätzen. Ich denke, daß Transrapid gerade wegen der Überlastung unserer Straßen und auch des Luftraums eine gute Chance hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beckmann?
Wenn Sie mir freundlicherweise die Zeit anhalten.
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Auffassung, daß für den Fall, daß das Transrapidsystem bei uns eingeführt wird, die Strecke RuhrgebietDüsseldorf-Köln in der Verlängerung nach Süddeutschland die geeignetere ist?
({0})
Herr Kollege Beckmann, Sie wissen so gut wie ich, daß zwei Strecken in der Diskussion sind. Ich bin - mit Bedenken - dafür, daß in Deutschland eine Referenzstrecke gebaut wird. Dabei sind zwei genannt worden: Hamburg-Hannover und EssenKöln-Bonn. Ich würde glauben, daß diese Frage noch untersucht werden muß. Für beide gibt es gute Gründe, und in beiden Fällen werden unterschiedliche Bedarfe abgedeckt. Ich würde meinen, daß ich in meiner letzten Minute diese Entscheidung nicht auch nur einigermaßen begründet darstellen kann.
({0})
Ich bin nur der Meinung, daß dies entschieden werden sollte. Ich bin auch sehr, sehr erfreut darüber, daß die Wirtschaft bereit ist, sich an der Finanzierung zu beteiligen, weil es nicht Aufgabe allein der öffentlichen Hand sein kann, wenn hier eine neue Infrastruktur errichtet wird.
Herr Abgeordneter, trotzdem gibt es noch einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, diesmal vom Abgeordneten Haar, Lassen Sie die noch zu? Ich stoppe hier Ihre letzte Minute. Haar ({0}): Verehrter Herr Kollege, sind wir uns in der gemeinsamen Position aller Fraktionen einig, Doppelinvestitionen, wenn sie nur zu Konkurrenzierung zwischen Verkehrswegen führen, auch künftig zu vermeiden, vor allem wenn es sich um Milliardeninvestitionen handelt?
Herr Kollege Haar, ich glaube, wir sind uns da natürlich einig. Deshalb habe ich gesagt: Man muß die Dinge prüfen und dann realistisch einschätzen. Der ICE ist in kürzerer Zeit zu bauen, und er deckt andere Verkehrsbedarfe ab als der Transrapid, der noch viel länger braucht. Deshalb bin ich der Meinung, wir sollten jetzt bald über die ICE-Strecke, vereinfacht gesagt: über das System Köln-Frankfurt entscheiden.
({0})
Das halte ich für notwendig. Die Bundesbahn kann das auch erwarten. Das ist aber nicht die Absage an Transrapid. Insofern stimme ich z. B. dem nordrhein-westfälischen Minister Zöpel zu. - Vielen Dank, Herr Präsident.
({1})
Ich bin im Grunde auch am Ende. Ich kürze das dann ab. Ich wollte eigentlich noch eine Selbstverständlichkeit erwähnen: daß die FDP natürlich dafür eintritt, daß die Strecke Dortmund-Kassel, und zwar
insgesamt und nicht nur bis Paderborn, und die Strecke, die mit erwähnt ist, Rhein-Sieg, in der gleichen Weise gebaut werden.
Auf Anregung meines Freundes Funke, der heute morgen nicht hier sein kann, sage ich noch etwas, was nicht unmittelbar mit der Eisenbahn zu tun hat, sondern mit den Finanzen der Stadt Hamburg. Wir haben ja auch die Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes auf der Tagesordnung. Sie wissen, die Bundesregierung hat negativ Stellung genommen. Aber ich bin der Meinung, daß wir im Ausschuß einmal darüber reden müssen, ob es hier nicht tatsächlich einen Sonderfall gibt, der nur Hamburg in der Doppelfunktion Stadt und Land betrifft und daß es gegenüber anderen Großstädten natürlich benachteiligt ist. Ich sehe da schon die Benachteiligung.
({2})
- Das steht gar nicht auf meinem Tableau, weil ich hier über die Eisenbahn und nur in diesem Punkt über die Aufteilung der Kosten zwischen der Bundesbahn und einer Gemeinde rede. Über die Straßenbenutzungsgebühr unterhalten wir uns an der richtigen Stelle.
In einem stimme ich allen zu, die hier geredet haben: Wir haben Handlungsbedarf.
({3})
Das gilt für das Parlament wie in der gleichen Weise für die Regierung. Ich stelle hier auch ein so hohes Maß an Übereinstimmung fest, daß es leicht sein müßte, ganz wichtige Entscheidungen demnächst zu treffen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Abgeordente Frau Wollny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier über die Sanierung der Bundesbahn gesprochen wird, dann geht es um Schnellstrecken, um Modernisierung, um Transrapid, um den ganz großen Wurf. Worüber hier überhaupt nicht oder nur ganz am Rande gesprochen wird und wer hier total vergessen wird, das sind die Menschen auf dem Lande, die ebenfalls irgendwo und irgendwie eine Möglichkeit haben wollen und müssen, sich fortzubewegen.
Ich habe den Eindruck, es ist Ihr Ziel, unser Land in einer ähnlichen Weise zu entwickeln, wie wir das in den USA sehen. Da spielt sich das wirtschaftliche und das kulturelle Leben in einigen wenigen Metropolen ab, und die Leute sagen Ihnen selber: Auf dem Lande sind wir auf dem Stand von Entwicklungsländern. Etwas Ähnliches bahnt sich bei uns an, wenn Sie sehen, welche Folgen die Streckenstillegungen auf dem Lande und besonders im Zonenrandgebiet haben, wenn Sie wirklich einmal hingehen. Ich weiß nicht, ich denke immer, ich bin hier auf einem fremden Stern, oder Sie alle, die Sie schon so lange hier sitzen,
haben keine Ahnung mehr, was sich eigentlich da abspielt, wo die Menschen leben.
({0})
Welche Folgen haben die Streckenstillegungen bis heute gehabt, und wie werden sich diese Folgen in Zukunft entwickeln? Gewerbebetriebe, die seit Jahrzehnten in ländlichen Gebieten ansässig waren, gehen weg, weil sie keine Verkehrsanbindungen mehr haben.
({1})
Industrieansiedlungen, um die sich ländliche Gebiete händeringend bewerben, finden nicht statt, weil die Verkehrsanbindung fehlt.
({2})
- Warum? Weil es nötig ist, weil die Leute auf andere Art und Weise nicht mehr wegkommen, nicht weil sie sie brauchen.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Lassen Sie mich bitte weiterreden.
Die Folge dieser Entwicklung sind hohe Arbeitslosenquoten, insbesondere im Zonenrandgebiet oder in den ländlichen Gebieten. Bei mir im Landkreis beträgt die Arbeitslosenquote seit Jahren 20 % , und das trotz der Atomanlagen, mit denen Sie uns beglücken, trotz der Riesenbaustelle des Endlagers, die ja den großen Aufschwung bringen sollte. Nichts in dieser Beziehung hat sich geändert. Die Jugend wandert ab. Niemand findet einen Arbeitsplatz. Sie finden keine Ausbildungsplätze mehr. Was zurückbleibt, sind die Älteren, oder es sind Mütter mit Kindern, da, wo die Männer als Pendler arbeiten.
Aber all diese Leute sind nicht motorisiert geboren. Es gibt ältere Leute, die keinen Führerschein haben, die sich kein Auto leisten können. Es gibt die Jugendlichen, die noch kein Auto haben. Es gibt die Frauen mit ihren Kindern, die das Auto nicht benutzen können, weil der Mann damit unterwegs ist. Diese Leute sind gezwungen, da zu bleiben, wo sie sind.
Busse fahren dreimal am Tag zu Schulzeiten und kosten einen Haufen Geld. Ich sage es Ihnen: 25 km von meinem Dorf bis zur Kreisstadt, wo die Einkaufsmöglichkeiten sind, kosten für eine Fahrt 8,60 DM. Stellen Sie sich eine Frau vor, die mit zwei Kindern zum Schuhekaufen fährt. Sie muß erst einmal dreimal 17,20 DM für den Bus bezahlen. Da bleibt kein Geld mehr für die Schuhe übrig, verflixt noch mal.
({0})
- Okay, mit der Bahn mag es eventuell billiger sein.
Alles das ist auf dem Lande nicht drin. Was heißt: eine
Zehnerkarte? Wie oft sollen die fahren? So oft können sie sich das gar nicht leisten.
({1})
- Wissen Sie, das ist die Frage: Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei?
({2})
Fahren die Leute nicht, weil die Preise zu hoch sind, oder sind die Preise so hoch, weil die Leute nicht fahren? Zwischen diesen beiden Problemen muß man wirklich eine Lösung finden.
Wenn all diese Leute nicht Menschen zweiter Klasse werden sollen, dann muß der öffentliche Nahverkehr auf dem flachen Land aufrechterhalten werden. Das gilt für die Bundesbahnstrecken, die die Anbindung an die großen Strecken bilden, und das gilt für den Busverkehr, der das flache Land erschließt.
({3})
- Sie würden fahren. Wir können uns darüber einmal unterhalten.
Frau Kollegin, das müssen Sie aber anschließend tun, weil jetzt die Zeit abgelaufen ist.
Vielleicht darf ich das noch sagen: Das ist erstens kein Luxus, und zweitens gibt es, wie mir Herr Weiss gesagt hat - ich wußte das gar nicht - die EG-Richtlinie .. .
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
. . . 11/9189,
({0})
nach der die Bundesregierung verpflichtet ist, diese Aufgabe wahrzunehmen und dafür aufzukommen. Darauf möchten wir Sie aufmerksam machen, und dazu fordern wir Sie auf.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn wir heute erneut über die Bundesbahn in einer längeren Debatte sprechen, dann beweist das die Wichtigkeit dieses Themas. Man kann das unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Ich möchte das unter drei Aspekten tun: öffentliches Interesse, Benutzerinteresse und Mitarbeiterinteresse.
Zunächst zum öffentlichen Interesse. Wir wissen alle - das ist heute schon mehrfach angesprochen worden - , daß wir einen erheblichen Zuwachs beim Verkehr haben. Wir haben Staus auf Straßen. Wir erleben das ständig. Wir haben eine erhebliche Zunahme des Pkw- und des Lkw-Verkehrs, insbesondere auch auf Autobahnen. Wir haben eine Zunahme der Verspätungen auf Flughäfen, beim Luftverkehr.
Diese Verspätungssituation ist auch allen bekannt. Wir erwarten eine Verdoppelung des Luftverkehrs bis zum Jahre 2000. Meine sehr verehrten Damen und Herren, daran wird deutlich: Wir brauchen neue Infrastrukturen auch im Bereich der Eisenbahn, wir brauchen Verlagerung von Verkehr, Vermeidung von Staus und umweltschonende Kapazitäten.
({0})
Hier ist viel von der Schaffung von Neubaustrecken gesprochen worden, vom ICE. Alle Fakten sprechen dafür. Ich will einige davon aufzählen. Um die gleiche Transportkapazität zu erreichen, benötigt eine Bahnlinie nur 13,7 Meter Breite, eine sechsspurige Autobahn 37,5 Meter. Bei 50 %iger Auslastung verbraucht der Zug nur ein Drittel der für Pkw oder Lkw aufzuwendenden Energien. Gegenüber dem Flugzeug beträgt dieses Verhältnis sogar 1 : 5,2. Auch bezüglich des Lärms gibt es hier keine Bedenken. Ein moderner Hochgeschwindigkeitszug bei Tempo 250 km/h verursacht weniger Lärm als ein herkömmlicher Intercity bei 160 km/h.
Wir müssen auch an die europäische Dimension denken. Auch das ist deutlich geworden. Ich sage in diesem Zusammenhang: Wichtig ist auch die Ein- und Anbindung Berlins. Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber dieser Stadt. Wünschenswert ist auch der Anschluß von und nach Osteuropa, meine Damen und Herren.
({1})
Ein Herzstück dieser internationalen Verbindung im Hochgeschwindigkeitsbereich - das hat der Kollege Gries eben gesagt - ist die Verbindung Köln-Frankfurt. Die Bundesbahn wünscht hier die Trasse 0 über den Westerwald mit Haltepunkt in Limburg. Sie ist die kürzeste, die billigste,
({2})
die umweltverträglichste Verbindung und die mit dem geschätzten höchsten Passagieraufkommen.
({3})
Es ist wichtig - der Kollege Gries hat es ausgeführt -, daß hier die Entscheidung bald fällt.
({4})
- Ich gestatte, Herr Präsident, die Zwischenfrage des Kollegen Rauen aus Rheinland-Pfalz natürlich gerne.
({5})
Es geschieht nur mit Hilfe des Präsidenten, wenn jemand hier das Wort gibt.
Herr Kollege Jung, können Sie sich vorstellen, daß der Zug zwischen Köln und Frankfurt überhaupt nicht hält, oder, wenn er hält, dann in Bonn und Koblenz?
Ich möchte gern noch nachträglich dem Abgeordneten Rauen das Wort erteilen.
Herr Abgeordneter Rauen, wenn Sie die Unterlagen zur Kenntnis genommen haben, werden Sie festgestellt haben, daß die Bundesbahn dies in ihrer Planung vorgeschlagen hat, weil dort ein erhebliches Passagieraufkommen zu erwarten ist, bis hinein in den mittelhessischen Raum. Wenn wir neue Verbindungen schaffen, dann deswegen, damit diese Verbindungen genutzt werden. Dazu ist das Passagieraufkommen notwendig. Deswegen ist ein Haltepunkt erforderlich, um die Passagiere ein- und aussteigen zu lassen.
Meine Damen und Herren, die örtliche Akzeptanz - auch das sage ich mit großem Nachdruck - solcher Neubaustrecken wird aber nur erreicht werden, wenn wir als die Bahn der Zukunft nicht nur eine solche von Neubaustrecken verstehen und dies sozusagen als Alternative zur herkömmlichen Bahn inklusive des Nahverkehrs verstehen.
Ich sage mit allem Nachdruck, auch als Abgeordneter eines Flächenwahlkreises: Wichtig ist eine Verbesserung von Nahverkehr und Fernverkehr. Es darf keinen generellen Rückzug der Bahn aus der Fläche geben. Das flache Land muß angedient bleiben.
({0})
- Ich bin da in voller Übereinstimmung mit meiner Fraktion, Herr Kollege Weiss. - Ich sage mit Nachdruck: Milliarden sind in die Nahverkehrssysteme der Ballungszentren geflossen. Unsere ländlichen Räume dürfen nicht nur die Aufgabe haben, Flächen für die Neubaustrecken zur Verfügung zu stellen.
({1})
Ich sage genauso deutlich, daß im Verkehrsbereich jeder Verkehrsträger seine Aufgabe hat, ob Auto, Flugzeug, Schiffahrt, Bahn. Ich halte es für verkehrt, wenn hier ein Gegensatz der Verkehrsträger konstruiert wird. Das Ausspielen gegeneinander schadet der Sache, meine Damen und Herren. Es muß vielmehr eine verbesserte Zusammenarbeit und die Schaffung zusätzlicher, verbesserter Infrastruktur geben.
Herr Kollege Weiss, nachdem Sie mir eben applaudiert haben: Ich verstehe in diesem Zusammenhang gar nicht, daß Sie z. B. den innerdeutschen Luftverkehr verbieten wollen, während Sie auf der anderen Seite verhindern, daß wir realistische Alternativen haben, nämlich neue Schnellverbindungen zwischen den Zentren. Vor Ort verhindern Sie nämlich, sofern Sie können, die Realisierung von Neubaustrecken. Damit schaden Sie der Bahn.
({2})
Meine Damen und Herren, ein Wort zum Benutzerinteresse. Die Bahn muß kunden- und benutzerfreundlicher werden. Über den Intercityverkehr und den Geschäftsreiseverkehr dürfen die Pendler nicht vergessen werden. Ich sage auch dies am Beispiel meines Wahlkreises, wo täglich Tausende von Pendlern unterwegs sind, um mit der Bahn zu ihren Arbeitsplätzen zu gelangen. Neuentwicklungen wie der Frühstückszug zwischen Köln und Gummersbach sind zu begrüßen. Die Bundesbahn darf darüber aber nicht die Alltagssorgen von Hunderttausenden von Pendlern außer acht lassen: saubere Züge, im Winter beheizt, Pünktlichkeit, ausreichendes Platzangebot und anderes mehr. Wer zu seinem Arbeitsplatz täglich weite Entfernungen zurücklegen muß, büßt an Lebensqualität ein. Es ist Aufgabe der Politik, auch der Bahnpolitik, dafür zu sorgen, daß die Beeinträchtigungen so gering wie möglich sind.
Dazu gehören zusätzliche Maßnahmen wie z. B. Park and Ride, um Leuten, die keinen direkten Bahnanschluß haben, zu ermöglichen, zur Bahn zu kommen, ihr Fahrzeug dort stehenzulassen und dann die Bahn weiter zu benutzen.
({3})
Hier ergibt sich eine besondere Zusammenwirkungsmöglichkeit mit den Kommunen vor Ort, meine Damen und Herren.
Genauso wichtig - das hat der Herr Verkehrsminister vorhin schon angeführt - ist auch eine Verbesserung des rollenden Materials. Ich nenne hier als Stichworte VT 628 und Pendolino. Auch im Nahverkehr muß die Attraktivität der Bahnbenutzung gegeben sein. Dazu gehört aber nicht, was teilweise noch als Material im Einsatz ist.
({4})
Wir können dabei nicht übersehen, daß die Bahn natürlich schlechte Risiken zu übernehmen hat wie z. B. den Schülerverkehr. Deswegen sage ich auch mit Nachdruck, daß es im Nahverkehr natürlich auch eine Aufgabe der öffentlichen Hand insgesamt gibt, nicht nur der Bundespolitik oder der Bundesbahn. Neben die Appelle der dort Verantwortlichen muß deshalb die Bereitschaft treten, Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht zu übernehmen.
({5})
Meine Damen und Herren, es gibt zu viele, die über die Bahn reden, und zu wenige, die mit der Bahn fahren.
({6})
Die unverzichtbare Rolle der Bundesbahn im Verkehrssystem muß auch im nächsten Jahrtausend noch deutlicher gemacht werden. Die Bahn hat hier ihre eigenen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, was auch für die Politik gilt.
({7})
Ein Wort zum Mitarbeiterinteresse - ich sage das auch ganz deutlich - : Die vergangenen Jahre haben natürlich mit den vorgenommenen Personaleinsparungen und Rationalisierungen zusätzliche Belastungen für die Mitarbeiter der Bundesbahn gebracht. Hier war ein großes Maß an Einsatzbereitschaft und Engagement zu verspüren. Ein Wort des Dankes ist deshalb an dieser Stelle überfällig.
Jung ({8})
Der Abbau des Personals um jährlich zirka 10 000 Mitarbeiter wirft natürlich auch Probleme auf. Fehlende Neueinstellungen, Überalterungen schaffen für viele Dienststellen nachteilige Situationen. Ich bin dem Verkehrsminister dankbar, daß er vorhin gesagt hat, daß hier eine Gesamtabwägung erfolgen muß und nicht das Rasenmäherprinzip Anwendung zu finden hat.
In diesem Zusammenhang sage ich genauso deutlich: Es ist notwendig, daß die Bundesbahn auch eine Vorreiterrolle bei der Verlagerung von Arbeiten in strukturschwache Gebiete übernimmt;
({9})
denn es gibt nach meiner Auffassung durchaus noch Felder, wo Bundesbahntätigkeiten von strukturstarken in strukturschwache Gebiete verlagert werden können, ohne daß Funktionen darunter leiden oder Kosten dadurch entstehen.
({10})
Ein letztes Wort zur Aufgabe der Politik. Da sage ich etwas Kritisches zur SPD; denn sie hat in ihrer Regierungszeit den Mut zu den Reformen, den sie uns heute als fehlend vorwirft, auch nicht aufgebracht und hier zuwenig getan.
({11})
An dieser Stelle gilt mein Dank dem Verkehrsminister, der erhebliche Bemühungen zur Stärkung der Bundesbahn eingeleitet hat. Vordringlich ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auch im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt. Wichtig ist hierbei die Schaffung von Zukunftsinvestitionen, ob im Bereich der Neubaustrecken, des rollenden Materials oder der sonstigen technischen Ausstattung. Hier sind konkrete Vorstellungen von uns auch in einem Positionspapier der Koalitionsparteien enthalten, das schon mehrfach genannt wurde. Ich nenne als Beispiele die Diskussionen über die Übernahme des Fahrweges und der Altschulden.
Deswegen glaube ich, daß wir uns im Moment trotz aller Schwierigkeiten auf dem richtigen Weg befinden. Ich lade auch die Mitglieder der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN ein, auf diesem richtigen Weg mit uns zusammen für eine bessere Zukunft der Bundesbahn weiterzugehen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Kretkowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bewundere eigentlich den Mut, mit dem die Vertreter der Regierungskoalition und auch der Minister heute morgen agieren - der eine, indem er offenbar etwas mehr mit Kreide vorträgt, und die
anderen, die etwas polemischer sind - , obwohl es heute festzustellen gilt, daß Ihre Bahnpolitik gescheitert ist.
({0})
Wenn Sie Vergleiche ziehen zwischen dem, was zur sozialliberalen Zeit, und dem, was zu Ihrer Zeit gemacht worden ist, und so tun, als hätten Sie mehr vollbracht, dann wird man doch wohl noch einmal feststellen können, daß Sie sich heute im Grunde genommen nach wie vor auf dem ausruhen, was von der sozialliberalen Koalition eingeleitet worden ist.
({1})
Wer hat denn die zweite Bahnnovelle eingebracht? Wer hat sie denn im Parlament beschlossen und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir heute einen handlungsfähigen Bahnvorstand haben, der all das auf die Wege bringt, was hinsichtlich der wirtschaftlichen Seite der Bahn notwendig ist?
({2})
Im übrigen, Kollege Dr. Jobst, was die Neubaustrecken angeht: Zu welcher Zeit sind die denn in Planung gegangen?
({3})
Wer hat denn die Planungsaufträge und zum Teil auch die Bauaufträge erteilt? Das ist doch zur Zeit der sozialliberalen Koalition geschehen.
({4})
Bei Ihnen ist in den sechs Jahren, in denen Sie regieren, überhaupt nichts geschehen. Kein einziger Antrag ist von Ihnen im Parlament eingebracht und beschlossen worden.
({5})
Die Anträge, die von uns oder von den GRÜNEN eingebracht worden sind, haben Sie bisher immer wieder abgelehnt. Sie haben Papiere gemacht, Sie haben Kommissionen gegründet und geredet, aber gehandelt haben Sie nicht.
({6})
Wenn ich vom Scheitern Ihrer Politik spreche, dann darf ich Sie einmal an Ihren eigenen Vorstellungen messen. In den DB-Leitlinien von 1983 heißt es:
({7})
Dieses Konzept dient der Zukunftssicherung der Deutschen Bundesbahn. Es schafft langfristig
- langfristig! eine wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Bahn und sichert nach der Konsolidierung auf Dauer auch die Arbeitsplätze. Die Leitlinien haben Konsequenzen aus dem Siechtum der Deutschen Bundesbahn gezogen. Es soll endlich ein klarer Kurs
- endlich ein klarer Kurs! 7186
vorhanden sein für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, für die Bevölkerung und nicht zuletzt für die Eisenbahner selbst.
Meine Damen und Herren, gemessen an diesen Forderungen kann man heute nur immer wieder feststellen: Sie sind mit Ihrer Politik gescheitert. Der Kollege Daubertshäuser hat darauf hingewiesen, daß die Jahresfehlbeträge wieder rasant ansteigen, daß die Verschuldung rasant ansteigt, bis zum Jahre 2000 auf 120 Milliarden DM. Das sind übrigens nicht Zahlen, die wir erfunden haben, sondern das sind Zahlen, die aus der Kabinettsvorlage des Ministers stammen.
({8})
Darauf wird man sich ja wohl noch berufen dürfen.
Und wenn ich von der Kabinettsvorlage rede, dann weise ich darauf hin, daß da am Ende lapidar drinsteht: „Die Ansätze der Mehrjahresplanung verfehlen die Konsolidierungsziele der Leitlinien. " Meine Damen und Herren, das ist doch eigentlich nur eine vornehme Umschreibung dafür, daß Sie mit den Leitlinien am Ende sind, daß Sie gescheitert sind und - das füge ich jetzt hinzu - daß Sie nach wie vor handlungsunfähig sind. Sie legen die Hände in den Schoß. Herr Kollege Dr. Jobst, das deprimiert die Eisenbahner,
({9})
nicht die Tatsache, daß die Opposition auf die Fehlentwicklungen hinweist, sondern die Tatsache, daß Sie nach wie vor nichts tun. Und die Eisenbahner erkennen, daß sie keine Perspektive haben.
Wenn hier immer von den Bundesleistungen die Rede ist, die so hoch gelobt werden, dann muß man ja wohl mal darauf verweisen dürfen, daß die von 1982 bis 1988 zwar nominal konstant geblieben sind, aber daß sie in diesem Zeitraum real rapide zurückgegangen sind. Allein 1988 bedeutet das eine Differenz von 1,4 Milliarden DM. Bezogen auf die Jahre 1982 bis 1988 sind das 5,5 Milliarden DM weniger, die die Bundesbahn aus dem Bundeshaushalt erhält.
({10})
Bis zum Jahre 1993 werden sich diese Zahlen auf etwas mehr als 16 Milliarden DM belaufen. Das ist doch ein unerhörter Vorgang.
({11})
Wenn Sie von den Investitionen für die Strecken und das rollende Material reden und immer sagen, dafür werde das Geld bereitgestellt:
({12})
Herr Minister, da dürfen Sie nun wirklich nicht Äpfel mit Birnen verwechseln. Ich kann verstehen, daß Sie immer versuchen, Ihre Mißerfolge so glorreich wie möglich darzustellen. Aber ich bleibe dabei, daß die Investitionszuschüsse für den Streckenausbau der Bahn von 2,9 Milliarden DM im Jahre 1987 auf 1,64 Milliarden DM im Jahre 1989 zurückgegangen sind und die Bundesinvestitionen für den Straßenausbau mit 4,3 Milliarden DM 1989 praktisch konstant geblieben sind.
Meine Damen und Herren, wenn Sie immer von der Vergangenheit reden: Der Kollege Haar hat gesagt, daß wir uns nicht auf das hohe Roß setzen und uns aus der Vergangenheit stehlen wollen.
({13})
Darum kann es heute nicht mehr gehen, wenn wir der Bahn wirklich helfen wollen. Aber Sie können auch nicht in der Hängematte der Geschichtsbewältigung alleine liegenbleiben.
({14})
Sie müssen mit dafür sorgen, daß wir die Bahn jetzt nach vorne bringen und sie nicht im Stich lassen.
Sie tun im übrigen in Ihrer praktischen Politik das Gegenteil: Sie haben Tempo 100 für die Busse eingeführt; Sie haben die Anhebung der Achslasten und des zulässigen Gesamtgewichts beschlossen; Sie haben die Erhöhung der Treibstoffmengen im grenzüberschreitenden Verkehr beschlossen, die Erhöhung der grenzüberschreitenden Konzession, die Kanalisierung der Saar, die Ausweitung des innerdeutschen Luftverkehrs.
({15})
- Zum Teil haben wir das mitgetragen, das gebe ich gerne zu. Aber man kann nicht darüber hinwegsehen, daß das nach Schätzungen der Bahn pro Jahr Einnahmeverluste in Höhe von 1,5 Milliarden DM bedeutet.
({16})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu der Trennungsrechnung kommen: Ich bin nicht dafür, daß die Bundesregierung jetzt ein Schwarzer-PeterSpiel betreibt und nun so tut, als ob der Bahnvorstand zwei Jahre brauche, um die Zahlen vorzulegen. Der Bahnvorstand - das hat der Kollege Haar gesagt - hat das Gegenteil erklärt. Sie wollen mit diesem Schwarzer-Peter-Spiel offenbar nur Zeit gewinnen.
Ich bin auch nicht sicher - beim Kollegen Jobst hörte sich das schon wieder anders an als beim Kollegen Warnke -, ob das alles wirklich so ist, wie Sie das hier vorgetragen haben. Denn in der - zugegebenermaßen zum dritten Mal zurückgezogenen - Kabinettsvorlage steht ja nicht, daß Sie die Kosten für den Fahrweg übernehmen wollen, sondern darin steht lediglich: Ob und in welchem Umfang Kosten des Fahrwegs übernommen werden, soll nach der Vorlage des Kommissionsberichts geprüft und dann erst entschieden werden. - Nun haben Sie die Vorlage zurückgezogen, auf welchen Druck auch immer. Vielleicht wird die Vorlage beim vierten Versuch, ins Kabinett zu kommen, hier eine entscheidende Verbesserung finden.
({17})
Nur, ich sage Ihnen: Auf diese Taschenspielertricks mit Worten fällt höchstens noch ein Teil des Bahnvorstandes herein. Die Mitarbeiter bei der Bahn und die Bürger in der Bundesrepublik fallen auf solche Taschenspielertricks nicht mehr herein.
Wir haben die Gesetzentwürfe, die diesen Bereich betreffen, vorgelegt. Eigentlich könnten Sie, wenn Sie
es wirklich wollen, nach der entsprechenden Beratung im Verkehrsausschuß hier zustimmen. Da bedarf es keiner weiteren Kommissionen. Wir haben das fünfte und sechste Gesetz zur Änderung des Bundesbahngesetzes vorgelegt, wir haben einen Gesetzentwurf über den Ausbau des Schienenwegenetzes der Deutschen Bundesbahn vorgelegt. Darin sagen wir: Wie bei den Bundesfernstraßen beschließt der Bundestag den Bedarfsplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes; der Staat übernimmt wie bei den Straßen die Kosten für den Bau und die Unterhaltung des Schienenwegenetzes, die Bahn zahlt eine Gebühr entsprechend dem Umfang der Schienennutzung, ähnlich wie im Straßenverkehr über die Mineralölsteuer, der Staat trägt die Verluste der Deutschen Bundesbahn, die ihr auf Grund der Aufgaben erwachsen, die ihr der Staat im Interesse der Allgemeinheit auferlegt hat; der Bund hilft, die Bahn zu entschulden, er übernimmt einen Teil der Schulden in den Bundeshaushalt, und die überhöhten Versorgungslasten der DB werden in den Bundeshaushalt übernommen. Das sind Gesetzesinitiativen oder Anträge, die wir schon im Herbst letzten Jahres eingebracht haben.
Wenn ich Ihre Papiere lese, die leider immer noch keine Anträge sind, geschweige Gesetzentwürfe, wenn ich das höre, was der Minister hier vorgetragen hat, dann sehe ich sehr viele Gemeinsamkeiten und sehe die große Chance, daß wir in dieser Legislaturperiode wirklich etwas bewegen könnten, wenn auf Ihrer Seite der Wille dafür vorhanden ist. Wir brauchen keine Kommission mehr - ich wiederhole das -, die Fragen, die Sie stellen, auch in der Kabinettsvorlage, sind längst beantwortet, schon zu Zeiten der Kommissionsarbeit von Herrn Abs. Es fehlen heute einfach die politischen Entscheidungen. Deswegen: Stimmen Sie unseren Gesetzen zu oder bringen Sie meinetwegen Entsprechendes noch einmal ein, wenn Sie das Erstgeburtsrecht für solche Dinge für sich beanspruchen wollen. Das ist mir völlig egal; denn es geht um die Zukunft der Eisenbahn. Lassen Sie uns deswegen wirklich den Versuch machen, gemeinsam voranzukommen.
Meine Damen und Herren, ich begrüße auch die gemeinsame Beschlußfassung zum Ausbau der Strecke Dortmund-Kassel, die auf unseren Antrag zustande gekommen ist.
({18})
- Okay. - Ich kann mich in Sachen Köln-Frankfurt und Transrapid auf das beziehen, was der Kollege Gries gesagt hat.
({19})
- Ja, warum nicht. - Ich darf das aber ergänzen: Die ausstehende Entscheidung über Transrapid droht die weitere Entwicklung der Bundesbahn zu blockieren. Die Bundesregierung wollte die Entscheidung über Transrapid vor der Sommerpause über die Bühne bringen, dann nach der Sommerpause, jetzt ist sie ein Jahr verschoben. Auch hier Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung, und ich warne dringend davor, so weiter fortzufahren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird, wie das bisher die Praxis war, Herr Präsident.
Ich rechne es sehr ungern nicht an, weil damit meistens der ganze Zeitablauf über den Haufen geworfen wird. Aber bitte sehr.
Herr Kollege Kretkowski, die Anträge, die im Verkehrsausschuß bezüglich der . IC-Strecke Dortmund-Kassel erörtert worden sind, sind für den Teilbereich Paderborn-Kassel mit einem Vorbehalt diskutiert worden, wie er sich aus der Stellungnahme der Bundesregierung ergibt. Haben Sie Erkenntnisse, wann dieser Vorbehalt aufgehoben wird, oder gibt es bereits wirtschaftliche Berechnungen, daß man die Gesamtinvestitionen für die Strecke Dortmund-Kassel freigeben kann?
Kollege Urbaniak, nach unserer Überzeugung müßten die Daten eigentlich vorliegen. Aus den Berechnungen, die uns seinerzeit schon zur Verfügung gestanden haben, ging die Wirtschaftlichkeit klar hervor. Ich hoffe, daß die Bundesregierung den Auftrag des Parlaments etwas schneller realisiert als beispielsweise die Behandlung unseres Antrags „ÖPNV in der Fläche " und daß wir dann Ihre Frage sehr bald positiv beantworten können.
({0})
Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zum europäischen Eisenbahnnetz. Da hat der Minister am 6. Mai 1987 bei seinem Amtsantritt vor dem Verkehrsausschuß erklärt, Voraussetzung für eine neue Rolle der Eisenbahn sei dieses europäische Eisenbahnnetz. Am 18. Juli 1983 ist der Auftrag zur Untersuchung der Schnellbahnverbindung Köln-Brüssel-Paris erteilt worden. Am 12. Juli 1984 hat die Kommission den Bericht vorgelegt. Seit dem 12. Juli 1984 werden Arbeitsgruppen eingesetzt, wird untersucht, werden Zwischenberichte erstellt, werden Berichte entgegengenommen, werden Vorlagen begrüßt, wird von Ministern dieses und jenes erwartet. Der Bundeskanzler macht die Sache zur Chefsache und verhandelt darüber in Karlsruhe.
Inzwischen lachen sich Frau Thatcher und Herr Mitterrand kaputt, denn die bauen ihr Eisenbahnprojekt zwischen London und Paris. Da wird nicht nur die Bundesrepublik vom europäischen Eisenbahnnetz abgekoppelt, sondern auch die deutschen Eisenbahntechnologie wird von der europäischen Entwicklung abgekoppelt. Deswegen haben wir die dringende Bitte an Sie, Herr Minister: Kommen Sie der Beschlußfassung des Ausschusses nach, kommen Sie endlich zu vertraglichen Vereinbarungen, die auch die Finanzierung des umstrittenen Streckenabschnitts sicherstellen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe den Eindruck, daß der Bundesverkehrsminister seit seinem Amtsantritt in vielen Bereichen versagt hat. Er hat die Öffentlichkeit mit Absichtserklärungen gelangweilt. Das gilt für die Verkehrssicherheit ebenso wie für den Luftverkehr, für
den europäischen Binnenmarkt und eben auch für die Deutsche Bundesbahn. Man kann überall hineinstechen; es kommt nur heiße Luft heraus. Dabei gleiten Ihnen, Herr Minister, die Dinge aus der Hand. Es ist schon eine Meisterleistung, eine Kabinettsvorlage dreimal nicht im Kabinett behandelt zu bekommen. Inzwischen versagen Ihnen - der Kollege Gries hat sich vor der Frage gedrückt - die Kollegen aus dem Ausschuß die Gefolgschaft in der Frage der Straßenverkehrsgebühr und fordern statt dessen die Herabsetzung der Mineralölsteuer.
Herr Abgeordneter, Sie hatten versprochen, zum Schluß zu kommen!
Ja, ich komme zum Schluß. - Das wiederum geht zu Lasten der Bahn. Deswegen sage ich: Die Zeit ist eigentlich reif. Lassen Sie uns einen letzten Versuch machen, eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die Bahn dann auch wirklich dorthin zu führen, wohin sie gehört. Die Zukunft sollte der Deutschen Bundesbahn gehören.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss.
({0})
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt schon gesehen haben, daß im Hause der Handlungsbedarf zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich einstimmig anerkannt wird, muß ich einfach sagen, daß das, was Sie heute geboten haben, letztendlich nur Schönfärberei ist, wenn es nicht durchschlägt und wenn wir von Ihnen nicht bald etwas zum Beschließen auf den Tisch bekommen.
Neben den Dingen, die die Sanierung der Bundesbahn betreffen, sollten wir aber in einer solchen Debatte durchaus auch die Frage ansprechen, welche Rolle das Bahnsystem in der Bundesrepublik in Zukunft spielen und welche Entwicklung es nehmen soll. Da habe ich hier leider aus vielen Reden herausgehört, daß Sie es eben mit dem Verkehr in der Fläche doch nicht so ganz ernst meinen, sondern daß immer nur das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz favorisiert wird. Der Kollege Jung hat gesagt, wir seien ja grundsätzlich dagegen oder würden alles behindern. Herr Kollege Jung, es kommt nicht auf die Minutenfuchserei an, nicht darauf, da drei und dort fünf Minuten einzusparen. Es kommt darauf an, Ausbau und Modernisierung auch unter dem Gesichtspunkt der Umweltverträglichkeit vorzunehmen.
({0})
Unter dem Gesichtspunkt der Umweltverträglichkeit muß man eben auch einmal die eine oder andere Kurve in Kauf nehmen, und man muß auch, wenn es notwendig ist, in Kauf nehmen, daß der Zug später
nicht 300 km/h wird fahren können. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage.
({1})
- Wir sind nicht vor Ort generell gegen Neubau! Sie können das doch nachlesen. Was ist denn mit dem Antrag „Dortmund-Kassel"? Da ist es möglich, einen umweltverträglichen Ausbau der Strecke zu machen.
({2})
Wenn ich aber nur mit dem Lineal einen Strich auf der Landkarte ziehe und dann irgendwo fahre, ganz egal, welche Landschaft ich in welcher Form beeinträchtige und was unter den Schienen der Bahn begraben wird, ist das natürlich eine völlig falsche Linie. Wir müssen genau die Umweltverträglichkeitsgesichtspunkte auch bei den Planungen der Schienenwege der Deutschen Bundesbahn in stärkerem Maße berücksichtigen.
({3})
- Wenn es nicht angerechnet wird, bitte.
Gut, ich rechne es nicht an. Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen z. B. bekannt, daß die GRÜNEN alle Bürgerinitiativen anführen, die sich gegen die Schnellbahnstrecke Köln-Frankfurt formieren,
({0})
obwohl dies eine umweltverträgliche Linie direkt an der Autobahn mit gegenüber dem, was wir dort jetzt haben, zusätzlichem Lärmschutz ist?
Zunächst einmal muß ich zurückweisen, daß das eine völlig umweltverträgliche Linie ist. Das resultiert auch daraus, daß die geplante Trassierung, die Bündelung mit der Autobahn in der Form, wie es von Ihnen behauptet wird, nicht möglich ist. Außerdem sind wir nicht grundsätzlich gegen eine Neubaustrecke Köln-Frankfurt. Auch wir wissen, daß es zwischen den Räumen Rhein-Main und Rhein-Ruhr Kapazitätsengpässe auf der Schiene gibt und daß es dringend notwendig ist, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, um z. B. auch auf den bestehenden rechts- und linksrheinischen Strecken wieder Nahverkehr möglich zu machen, der derzeit durch den Intercity-Verkehr nicht möglich ist.
Deswegen sagen wir durchaus ja zu einer Strecke, aber wir sagen nicht blindlings ja zu jeder Planung, die Umweltgesichtspunkte in jeder Form ignoriert. Wenn Sie behaupten, die Trasse über Limburg entlang der Autobahn sei umweltverträglich, dann muß ich Ihnen da klar widersprechen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal an, was die Zielsetzung ist: Es ist wohl die Verbindung der Metropolen. Das flache Land zwischen den Metropolen wird nicht bedient.
Dann kommt als Höhepunkt der Gigantomanie die ganze Diskussion um den Transrapid. Ich muß es einWeiss ({0})
mal sagen: Die Diskussion um den Transrapid schadet letztendlich der Deutschen Bundesbahn. Der Transrapid ist kein mit der Struktur der Bundesrepublik verträgliches Verkehrsmittel. Ganz klar gesagt: Es ist ein Verkehrsmittel, das seine Vorteile, nämlich seine hohe Geschwindigkeit, eigentlich nur dann ausspielen kann, wenn man Haltestellenabstände von 250 km, 300 km oder mehr hat. Die Bundesrepublik ist mit ihrer Siedlungsstruktur nicht ein Land, wo man 300 km fahren kann, ohne zu halten. Deswegen hat dieser Transrapid aus verkehrspolitischen Gründen bei uns nichts zu suchen.
({1})
Zum anderen muß man natürlich auch sagen: Ein Verkehrssystem, in das sich der Güterverkehr nicht sinnvoll integrieren läßt, kann eigentlich auch in der Bundesrepublik nicht sinnvoll eingesetzt werden.
Ich bin der Auffassung, wenn Riesenhuber und sein Ministerium meinen, wir bräuchten unbedingt so etwas, dann sollen sie ihr Spielzeug nehmen und es irgendwo in die Wüste, in die USA oder sonst irgendwo hinstecken, aber nicht bei uns die Landschaft zustellen. Auch wenn man Verkehrswege auf Stelzen setzt, kann man nicht behaupten, sie seien umweltfreundlich. Das allein bringt noch keinen Vorteil.
Wir müssen einfach einmal ganz klar sagen: Es ist, egal wo es realisiert wird, immer eine Doppelinvestition, eine Parallelinvestition zu Schienenwegen der Deutschen Bundesbahn. Solange wir nicht einmal wissen, wie wir die jetzigen Finanzen der Bundesbahn strukturieren oder sanieren sollen, solange es keine Zukunftsperspektive in dem Sinne gibt, daß konkrete Beschlußvorlagen seitens der Regierung vorliegen, wäre es absolut verfehlt, neben den existierenden einen fünften Verkehrsträger in der Bundesrepublik zu installieren, der dann doch nur wieder eine Konkurrenz zu den anderen Verkehrsträgern darstellt. Diese Konkurrenz ist ja real gegeben. Sagen wir es einmal ganz klar: Jede Tonne Güter, die auf der Schiene befördert wird, geht natürlich dem Lkw verloren, und jede Tonne, die auf dem Lkw befördert wird, geht der Schiene verloren. Von daher gibt es diese Konkurrenzsituation.
In dieser Situation kann sich die Regierungskoalition nicht weiter hinstellen und versuchen, es dem Straßengüterverkehr recht zu machen und gleichzeitig die Eisenbahn zu befriedigen. Das geht nicht; hier gibt es einen Zielkonflikt. Hier muß entschieden werden. Diese Entscheidung ist längst überfällig, aber sie ist bis heute nicht gefallen.
Danke.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Bauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja viele mit Zukunftsperspektiven gefüllte Redebeiträge heute morgen gehört. Da von unserem Verkehrsminister und von den Kollegen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion alles in überzeugender Weise dargestellt worden ist, brauche ich hier auf die grundsätzlichen Punkte - ich denke an Handlungsbedarf, Altschulden, Pensionskasse oder Trennungsrechnung - im Grunde nicht mehr einzugehen.
Letztendlich dreht sich heute in dieser Debatte alles um die Zukunft der Bahn bzw. um eine Zukunft für die Bahn, die einfach geschaffen werden muß. Dabei, meine Damen und Herren, kommt es im wesentlichen darauf an, der Bahn entsprechend ihren artspezifischen Vorteilen einen größeren Anteil am wachsenden Verkehrsaufkommen zukommen zu lassen. Daß dies auch der erklärte politische Wille unserer Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ist, brauche ich nicht eigens zu betonen; denn das hat unsere Politik seit 1982 hinlänglich gezeigt.
Als Beweis hierfür führe ich nicht zuletzt auch das Bemühen um eine Verbesserung der Infrakstruktur an. Wir alle wissen, daß fast hundert Jahre in den Streckenausbau nichts mehr investiert wurde. Nach dem Krieg gingen die entsprechenden Mittel vorrangig in den Straßenbau. Im Gegensatz dazu sind jetzt die Investitionsansätze für die Bahn massiv aufgestockt worden. Erstmals - auch das ist heute schon gesagt worden - wurde und wird im Zeitraum 1986 bis 1995 genausoviel Geld für die Bahn ausgegeben wie für die Straße.
({0})
Das ist CDU/CSU-Politik.
Der Bundesverkehrswegeplan '85 bringt auf nationaler Ebene die entsprechenden Weichenstellungen mit sich, damit wir vernünftig in ein zukunftsorientiertes Schienenzeitalter fahren können. So soll in Stufen - und das ist heute mehrmals gesagt worden - ein Hochleistungsnetz geschaffen werden, das entscheidend dazu beiträgt, die unternehmerische Wettbewerbsposition der Bahn zu stärken. Mit Fahrgeschwindigkeiten doppelt so schnell wie das Auto und halb so schnell wie das Flugzeug müssen an den Straßen- und Luftverkehr verlorengegangene Marktanteile zurückgewonnen werden. Dies gilt um so mehr, als es auf unseren Straßen und im Luftraum von Tag zu Tag enger wird. Ich erinnere hier an die Anhörung vom Mittwoch dieser Woche zum Thema Verspätungen im Luftverkehr.
({1})
Meine Damen, meine Herren, ich möchte aber einen anderen Aspekt ansprechen. Das ist die europäische Dimension. Die Zukunft unserer Eisenbahn wird zunehmend von dieser europäischen Dimension geprägt werden. Der grenzüberschreitende Verkehr hat in den letzten Jahrzehnten in Europa sprunghaft zugenommen, aber dies vor allem auf der Straße und in der Luft. Der europäische Binnenmarkt wird mit seinen vielseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen gerade im Verkehrsbereich zu einem weiteren kräftigen Schub führen. Diese positive Entwicklung darf nicht wie bisher am Schienenverkehr vorbeigehen. Dazu brauchen wir eben Neu- und Ausbaustrecken im grenzüberschreitenden Verkehr, die dieses ganze System effektiver und moderner gestalten.
Um den internationalen Schienenverkehr deutlich schneller, attraktiver und konkurrenzfähiger zu machen, reichen, Herr Weiss, Fahrplanverbesserungen nicht aus. Auch begrenzte betriebliche Infrastrukturen, wie Sie von der Fraktion DIE GRÜNEN sie ständig fordern, bringen dies nicht. Hier muß vielmehr der zukunftsorientierte Systemgedanke, neue Fahrzeuge auf neuen Strecken, im Vordergrund aller Überlegungen stehen. Nur mit technischen Innovationen und marktkonformen Angeboten werden sich in der Zukunft auf neu- bzw. ausgebauten Hochgeschwindigkeitsstrecken wirtschaftliche Erfolge für die Eisenbahngesellschaften im Wettbewerb erzielen lassen. Letztendlich hat uns dies doch die französische Staatseisenbahn mit ihrem TGV von Paris nach Lyon nachhaltig demonstriert. Hier stellt sich die Frage: Warum nur Paris-Lyon, warum nicht genauso Paris-BrüsselKöln?
({2})
Das muß gar nicht auf eine bestimmte Strecke konzentriert sein. Es muß nur endlich einmal ein Grundstock gelegt werden, damit wir zu einem solchen europäischen Netz kommen.
Die Weiterführung nach Frankfurt ist angesprochen. Natürlich ist sie sinnvoll in dieses Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn einzubauen. Wir alle wissen, daß es nicht mehr allzulange dauern wird, bis der Ärmelkanaltunnel fertiggestellt sein wird. Auch hier bieten sich doch Chancen für unsere Bahn. Wenn man sich überlegt, daß in dem Dreieck Paris/London/ Rhein-Ruhr-Gebiet 80 Millionen Menschen leben und arbeiten, ist es doch verständlich, wenn wir ein solches System fordern. Meine Damen und Herren, die Möglichkeit, die Zentren Westeuropas künftig in superschnellen Zügen in wenigen Stunden zu erreichen, wird nicht zuletzt auch den europäischen Einigungsprozeß fördern.
({3})
Der Neu- bzw. Ausbau der Strecke wird noch dazu in allen beteiligten Ländern neue Arbeitsplätze in einer Reihe von Industriezweigen schaffen und bestehende dauerhaft sichern. Letztendlich kann damit auch ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung struktureller Probleme in vielen Wirtschaftszweigen geleistet werden. Nicht zuletzt die industrie- und regionalpolitische Bedeutung spricht für eine schnelle Realisierung dieser Projekte. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die überaus große Bedeutung für das Land Nordrhein-Westfalen, ganz speziell auch für die Wirtschaftsregion Aachen mit ihren gewaltigen wirtschaftlichen Problemen.
Die Bundesregierung und die Bahnen sollten deshalb alles daransetzen, die laufenden Gespräche im Kreise der beteiligten europäischer Länder so schnell wie eben möglich erfolgreich zu beenden. Unserem Verkehrsminister möchte ich an dieser Stelle für sein großes Engagement in dieser Angelegenheit besonders danken.
({4})
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen. So wie für die Bahn der Zukunft ein gut ausgebautes europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz existentiell nötig ist, so brauchen wir in unserer Bundesrepublik
ein ebenso effektives IC- bzw. ICE-Netz, und zwar sowohl in Nord-Süd- als auch in Ost-West-Richtung. Voraussetzung dafür ist das rund 2 000 km lange Schnellfahrnetz, das die Bahn auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplans '85 zur Zeit plant und ausbaut.
Erfolge sind bereits zu verzeichnen. Sie alle kennen den Fortschritt bei den Neubaustrecken. Herr Weiss, ich möchte auch sagen: Unterlassen Sie in Zukunft alle Anträge, die irgend etwas mit einer Verbandsklage zu tun haben. Wenn wir dahin kommen, wird sich bei uns in Zukunft überhaupt nichts mehr bewegen.
({5})
In diesem Zusammenhang darf die Forderung nach einem baldmöglichen Ausbau des DB-Abschnitts Dortmund-Paderborn-Kassel nicht unerwähnt bleiben - das ist ja heute auch schon mehrmals angesprochen worden - , die ja vor allem von unserem Kollegen Tillmann mit Nachdruck unterstützt wird. Wir erwarten, daß die Nachbewertung den Nachweis einer ausreichenden Wirtschaftlichkeit erbringen wird.
Ich möchte zur Abrundung einen letzten Aspekt ansprechen. Für die Bahn der Zukunft ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Verkehrsträgern wichtig. Daß hier noch große Marktchancen bestehen, zeigt eindrucksvoll die Entwicklung z. B. auch bei rail & fly. Die Erwartungen für dieses Jahr liegen bei 600 000 Fahrgästen. Wenn man sich überlegt, daß z. B. 12 bis 15 % der Flüge vom Flughafen Frankfurt aus kürzer als 250 km sind, ist es im Grunde unvorstellbar und überhaupt nicht nachzuvollziehen, daß hierfür nicht die Bundesbahn benutzt wird, wodurch sie einen wesentlich größeren Anteil am Verkehrsaufkommen hat.
Bedauerlich ist auch, daß es bei uns eine Reihe von Flughäfen gibt, die nicht über einen Bahnanschluß verfügen. Aber in dieser Unzulänglichkeit sehe ich auch die Chance, zwischen Flughäfen und in unmittelbarer Nähe gelegenen Großstädten modernste schienengebundene Verkehrsmittel einzusetzen, z. B. zwischen den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn und natürlich auch den dazugehörigen Großstädten. Ich bin davon überzeugt - in dieser Hinsicht möchte ich einigen meiner Vorredner widersprechen - , daß sich diese Strecke als Referenzstrecke für den Transrapid geradezu anbietet, denn der Transrapid kann hier ein bestehendes Verkehrssystem sinnvoll komplettieren. Er kann in das bestehende Verkehrssystem eingebunden werden, er muß nicht unbedingt in Konkurrenz dazu treten. Wenn bei uns eine Referenzstrecke gebaut werden sollte, dann würde ich persönlich die von mir angesprochene Flughafenverbindung vorziehen.
Wenn man das alles betrachtet, dann kommen wir, so meine ich, zu einem umfassenden Verkehrssystem, zu einem Verkehrssystem, das ausbaufähig ist und für modernste Entwicklungen offenbleibt. Es ist ja auch wichtig, Offenheit für die Zeit nach dem Jahr 2000 zu schaffen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich bin beim letzten Satz. - Hinzu kommt, daß wir in einer zukunftsorientierten Gesellschaft wie der unseren ein ihr adäquates Verkehrssystem schaffen, ein Verkehrssystem, in dem aber auch unsere Bundesbahn einen festen und sicheren Platz hat.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, den Verlauf dieser Debatte könnte man auf diesen Nenner bringen: Es gibt relativ viele Aussagen mit dem Ziel der Gemeinsamkeit innerhalb des Parlaments. Namentlich in den Reden des Kollegen Jung, des Kollegen Kohn sind weite Passagen angeklungen, die in Übereinstimmung mit dem stehen, was wir an Gesetzentwürfen eingebracht haben.
({0})
- Ich habe mich auf diese beiden Kollegen konzentriert.
Es ist aber auch festzuhalten, daß es ganz offenkundig wenig Einvernehmen zwischen dem Parlament fast insgesamt und der Regierung gibt, denn was wir heute von seiten der Regierung gehört haben, war doch wieder fast ausschließlich Unverbindliches. Insofern hat diese Debatte gezeigt, daß die Bundesregierung nicht fähig ist, sich auf die verkehrspolitischen Erfordernisse im Jahr 1988 einzustellen.
({1})
Nun will ich einmal aufnehmen, was von seiten des Ministers und von seiten der Kollegen der Koalitionsfraktionen gesagt wurde. Verehrter Herr Kollege Gries, wenn wir miteinander streiten und in Punkten uneins sind, dann sollten wir uns in jedem Fall richtig zitieren. Sie haben vorher den Kollegen Haar zitiert, und das war insofern nicht in Ordnung, weil Sie nicht gesagt haben, daß das Schwergewicht seiner Kritik auf der Privatisierung liegt, weil er der Meinung ist
- darin stimmen wir ihm zu - , daß immer mehr Privatisierung immer weniger Gemeinwirtschaftlichkeit in der Bahn heißt, daß immer mehr Privatisierung immer weniger Freiheit für den Bahnbenutzer heißt.
({2})
- Ich will Ihnen das auch erklären. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie zur Kenntnis gegeben haben, daß Ihnen der Zusammenhang unbekannt ist, Herr Kollege. In diesem Fall kann man sich das Ergebnis der Privatisierung leicht ausmalen. Sie sind ja dann zur kostendeckenden Führung der Betriebe verpflichtet, d. h. der gemeinwirtschaftliche Anteil am Verkehr wird annuliert. Er muß auf Null zurückgeführt werden, weil sonst der Gang zum Amtsgericht, Abteilung Konkurs, vorprogrammiert wäre. Und das heißt doch: In dem Maße, in dem Sie privatisieren, ziehen Sie der Gemeinwirtschaftlichkeit per Gesetz den Boden unter den Füßen weg. Das hat der Kollege Haar gemeint,
und es war nicht in Ordnung, daß Sie ihn nur halb zitiert haben.
Ich will mich jetzt im wesentlichen auf den ländlichen Raum konzentrieren, wo Ihre Versagensliste am umfangreichsten ist. Tatsache ist, daß der öffentliche Personennahverkehr in unserem Land politisch immer mehr vernachlässigt wird. Dabei würden die zum Teil dramatischen Probleme auf den Feldern der Ökologie, der fehlenden Anbindung der ländlichen Räume an das öffentliche Verkehrsnetz und die Verkehrssicherheit gerade in umgekehrter Weise verstärkte Anstrengungen erfordern.
Ich möchte Ihnen gern mal gerade am Beispiel des ÖPNV in der Fläche aufzeigen, was Sie schon angerichtet haben. Ihre Maßnahmen führen nämlich nicht zu einer Stabilisierung, wie Sie hier heute wieder gesagt haben, sondern sie führen zu einem Rückzug aus der Fläche. Nein, ich muß es noch schärfer sagen: Sie zerstören das öffentliche Nahverkehrsangebot, insbesondere den ÖPNV auf der Schiene, systematisch.
Herr Minister Warnke, es ist doch nicht richtig, nicht wahr, wenn Sie sagen, der Interregio sei ein Instrument, das der Fläche diene. Was die Fläche betrifft, ist eher das Gegenteil richtig. Der Interregio fährt zwischen großen Städten ohne Halt 100 oder 130 km. Das ist doch kein Dienst an der Fläche.
({3})
Das ist doch das Gegenteil. Davon, daß der Zug z. B. in Stuttgart anfährt, über Backnang und Murrhardt fährt - um aus meinem Land einmal ein Beispiel zu nennen - und dann erst in Nürnberg wieder hält, hat die Arbeiterin oder die Arbeitersfrau in irgendeiner abgelegenen Gemeinde nichts, wenn sie mit ihrem Kind zum Arzt und auch wieder zurück muß. Die ist heute den ganzen Tag unterwegs. Davon hat auch das Mädchen nichts, das am Abend - vielleicht mit dem Bus - irgendwohin ins Jugendzentrum fährt, und abends um 22 Uhr, wenn sie heim will, darauf angewiesen ist, daß sie Vater oder Mutter holt oder daß sie per Autostopp fahren muß. Das ist doch Einbindung und Einbeziehung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Fläche. Auf diesem Gebiet haben Sie versagt.
Ihre Leitlinien sind keine Basis für eine offensive Strategie im Sinne des öffentlichen Personennahverkehrs. Mit Ihrer engstirnigen Plafondierung der Finanzmittel zwingen Sie nämlich die Bahn in unverantwortlicher Weise, den öffentlichen Nahverkehr und die einzelnen Strecken auszuhöhlen.
Damit produzieren Sie in den meisten Fällen gemeinwirtschaftlich unsinnige Lösungen, weil das bei der Deutschen Bundesbahn im Nahverkehr eingesparte Geld, um ein Vielfaches erhöht, an anderer Stelle wieder ausgegeben werden muß etwa im Straßenverkehr, dessen mittelbare und unmittelbare Kosten insbesondere bei den Unfällen und der Umweltbelastung in hohem Maße von der öffentlichen Hand getragen werden. Herr Minister, auch unter diesem Aspekt sollten Sie das Thema Seriosität im Umgang mti den Steuergeldern beurteilen.
Diese unseligen Leitlinien mit ihrer selbstzerstörerischen Plafondierung der Bundesbahnfinanzmittel
führen im Nahverkehr keineswegs nur dazu, daß - was übrigens schon schlimm genug wäre - die Deutsche Bundesbahn im ländlichen Raum massenweise Strecken stillegt und ebenso das Busangebot verringert. Diese Leitlinien erweisen sich auch in den Ballungsräumen als problematisch - ich sage es vorsichtig - , und zwar deshalb, weil Sie gerade in den Ballungsräumen die strengsten betriebswirtschaftlichen Kriterien anlegen. Dies heißt, daß Sie unserem Nahverkehrssystem in der Ballung die Effizienz rauben, weil diese Regionen gerade davon leben und erst effizient werden, wenn sie miteinander verflochten und verwoben sind.
Sie haben von den Rahmenvereinbarungen mit den Ländern gesprochen, Herr Minister. Diese Rahmenvereinbarungen, die wir ja begrüßt haben, erweisen sich nunmehr aber als Instrumente, um die Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche auf die Länder und Gemeinden zu verlagern.
({4})
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Wir halten daran fest, öffentlicher Personennahverkehr in der Fläche kann nur von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam getragen werden. Aber der Bund kann sich aus dieser Verantwortung nicht wegstehlen und Länder und Gemeinden mit ihren Problemen alleinlassen.
({5})
Die Bundesregierung bleibt in dieser Situation weitgehend untätig. Konzepte zur Rettung wenigstens einer Mindestversorgung mit öffentlichem Nahverkehr werden seit Jahren vom Bundesverkehrsminister angekündigt, aber nicht vorgelegt. Dabei brauchte die Bundesregierung noch nicht einmal selbst zu denken. Sie müßte nur bereit sein, ernsthaft und fair mit denen zu verhandeln, die für sie zu denken bereit sind.
Beispielsweise hat der sozialdemokratische Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen auf der diesjährigen Tagung des Landesverbands öffentlicher Verkehrsbetriebe dem Bundesverkehrsminister angeboten, gemeinsam eine Nahverkehrskonzeption zu erarbeiten, bei der einerseits eine bürgerfreundliche Nahverkehrsbedienung gewährleistet ist, bei der andererseits die finanziellen Belastungen des Bundes begrenzt werden. Geschehen ist auf seiten des Bundes auf dieses Angebot hin aber nichts.
({6})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat der Stuttgarter Regierungspräsident Bulling den Vorschlag unterbreitet, an 20 Tagen im Jahr wegen überhöhter Smoggefahr Autos ohne Katalysator nicht mehr fahren zu lassen. Das ist doch ein Signal für den ÖPNV; denn der muß dann in der Lage sein, die Verkehrsteilnehmer, die vorübergehend auf ihr Auto verzichten müssen, aufzunehmen.
Die „Stuttgarter Nachrichten" stellten gestern zu Recht fest: Wenn dies Wirklichkeit wird, dann bricht in diesem Raum der öffentliche Personennahverkehr zusammen. Wir sagen, Sie haben nicht den Mut, das Nahverkehrssystem, z. B. S-Bahnen, das unter sozialdemokratisch geführten Regierungen geplant, finanziert und eingerichtet wurde, mutig fortzusetzen. Dies wäre jetzt erforderlich.
({7})
Ich nenne dieses Beispiel, weil ich damit aufzeigen will, was öffentlicher Personennahverkehr in der Zukunft unter Umweltgesichtspunkten leisten muß. Sie jedoch zwingen mit Ihrer Politik die Menschen, das Auto zu benutzen, so daß von einer Wahlfreiheit im Nahverkehr im Grunde schon lange keine Rede mehr sein kann. Die Folgen dieser Zwangsverdrängung auf das Auto sind uns allen bekannt: Straßen voller Staus mit unzumutbarer Belästigung durch Lärm und Abgase und nicht mehr zu verantwortende Unfallbilanzen, und das nicht nur im Nah-, sondern auch im Fernverkehr. Denn wen man im Nahverkehr als Kunden erst einmal an das Auto verloren hat, den gewinnt man für den Fernverkehr der Bahn kaum jemals wieder zurück.
Worauf es jetzt ankäme, wäre dies: daß wir, so wie wir es damals in den 70er Jahren fertig gebracht haben, unsere Stadt- und Dorfkerne durch ein großes Städtebauförderungsgesetz wieder zu sanieren, wieder in Ordnung zu bringen, nun durch eine ähnliche Gemeinschaftsleistung auch die Probleme der Bahn zufriedenstellend lösen. Für ein tragfähiges Konzept, das wir miteinander ausarbeiten und miteinander durchsetzen, stehen die Sozialdemokraten zur Verfügung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 77. Sitzung am 5. Mai 1988 bei der Beratung des letzten Berichts des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes mit großer Mehrheit die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen angenommen und dabei die Bundesregierung aufgefordert - ich zitiere -,
die Vorbereitungen für den Ausbau der Eisenbahnstrecke Dortmund-Kassel nicht nur auf den Abschnitt Dortmund-Paderborn zu beschränken, sondern alsbald alle erforderlichen Schritte für eine zügige Realisierung der Gesamtmaßnahme einzuleiten.
({0})
Die heutige Debatte gibt Gelegenheit, nochmals mit Nachdruck auf den baldigen Abschluß der Wirtschaftlichkeitsprüfungen auch des Streckenteils Paderborn-Kassel zu drängen. Herr Bundesverkehrsminister Dr. Warnke hatte bekanntlich die Deutsche Bundesbahn aufgefordert, eine erneute Bewertung mit dem Ziel vorzunehmen, die Wirtschaftlichkeit durch Einbeziehung neuer Tatsachen nachweisen zu können. Die Ergebnisse dieser nochmaligen Nachbewertung mit ergänzenden Rahmenbedingungen sind
Böhm ({1})
nunmehr bis Ende November 1988 in Aussicht gestellt worden.
Daß wir heute über diese Strecke diskutieren, verdanken wir übrigens nur der neuen Bundesregierung, denn als die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung im Amt war, wurde über diese Strecke überhaupt nicht gesprochen. Wir sind darum der Bundesregierung dankbar, daß für diese Strecke jetzt endlich eine positive Perspektive eröffnet wurde.
Ich gehe davon aus, daß die erwähnte Wirtschaftlichkeitsprüfung positiv ausfällt, weil die Strecke Dortmund-Kassel ein Teil der sogenannten „Ostachse" Dortmund-Kassel-Würzburg-NürnbergMünchen ist, also vom östlichen Ruhrgebiet nach Süddeutschland. Alle Untersuchungen haben bisher ergeben, daß die gesamte „Ostachse" in allen Varianten wirtschaftlich ist. Es geht eben nicht nur um den Ausbau einer regional wichtigen Eisenbahnstrecke von Paderborn nach Kassel, sondern zugleich um ein unverzichtbares wichtiges Teilstück der Ostachse und darüber hinaus um die notwendige Beschleunigung des Verkehrs zwischen dem Rhein/Ruhr-Gebiet und dem niedersächsischen, hessischen und bayerischen Zonenrandgebiet. Es ist an der Zeit, diese leistungsfähige Ost-West-Verbindung auf der Schiene in der Bundesrepublik Deutschland endlich zu schaffen. Es ist, meine Damen und Herren, gegenwärtig unter zumutbaren Bedingungen überhaupt nicht möglich, auf der Schiene aus dem Raum Koblenz/Bonn/Köln und dem Ruhrgebiet in die genannten Teile des Zonenrandgebiets zu gelangen.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß bei der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 1985 nicht zuletzt die deutschlandpolitischen Aspekte den Ausschlag für die Aufnahme der Strecke Dortmund-Kassel in den „vordringlichen Bedarf" gegeben haben. Die wichtige Funktion der Strecke Dortmund-Kassel als Teilstück der Ost-West-Magistrale im Eisenbahnverkehr zwischen dem nordrhein-westfälischen und dem thüringisch-sächsischen Industriegebiet und damit in den Süden der DDR darf nicht übersehen, sondern muß in vollem Umfang gewürdigt werden.
Die Vornahme einer Teilbewertung der Strecke von Paderborn nach Kassel und damit einer abschnittweisen Betrachtung hat diese deutschlandpolitisch begründete Dringlichkeit ein wenig in den Hintergrund treten lassen. Jetzt, meine ich, wird es aber Zeit, zu unterstreichen, daß gerade diese Bedeutung nach wie vor gegeben ist. Ich unterstreiche, daß der gemeinsame politische Wille aller in diesem Haus, ohne jede Verzögerung das Gesamtprojekt aus den genannten Überlegungen heraus zu realisieren, hier noch einmal deutlich gemacht wird.
Ich zweifle nicht daran, meine Damen und Herren, daß dies auch der Wunsch und die Absicht des Bundesministers für Verkehr ist.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 18 a bis 18 d sowie 181 bis 18m und Zusatztagesordnungspunkt 7 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Dann können wir nunmehr zu den Abstimmungen über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Verkehr kommen.
({0})
- Herr Abgeordneter Weiss!
Es geht um die Tagesordnungspunkte 181 und 18m. Diese betreffen dasselbe Thema, und sie sollten auch in dieselben Ausschüsse. Deswegen schlage ich beim Tagesordnungspunkt 18m die Überweisung auch an den Wirtschaftsausschuß vor.
Ist das hier verstanden worden? Neigt das Haus dazu? ({0})
- Also sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir stimmen zunächst über den Tagesordnungspunkt 18e, und zwar über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1509, ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/785 abzulehnen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses bei vier Gegenstimmen und keiner Enthaltung angenommen, und der Antrag der GRÜNEN ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Tagesordnungspunkt 18f, über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1665 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1124 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Empfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist bei einer Reihe von Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 18 g, und zwar zur Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/1750. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/857 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Gegenstimmen und ohne Enthaltung ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 18h, über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1961 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/387 ({1}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist bei einer Reihe von Gegenstimmen angenommen.
Vizepräsident Stücklen
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 18i, und zwar über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2331. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses?
- Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine.
({2})
- Sie haben sich enthalten?
({3})
- Sie wollen also Ihre Befriedigung zum Ausdruck bringen, daß diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen wurde! - Gut.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2587 ab, Tagesordnungspunkt 18j. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der SPD auf Drucksache 11/1616, Tagesordnungspunkt 18 k. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Damit ist der Antrag der Fraktion der SPD abgelehnt.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen über die Erschließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post- und Fernmeldewesens
- Drucksachen 10/6790, 11/2294 Berichterstatter:
Abgeordnete Büchler ({5}) Böhm ({6})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe, die Zustimmung ist erfolgt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm ({7}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum erstenmal diskutiert heute der Deutsche Bundestag den Bericht des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen über die Erschließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post- und Fernmeldewesens, der auf Grund eines Beschlusses vom 15. Dezember 1982 alle zwei Jahre vorzulegen ist. Damit wird die Bedeutung der Deutschen Bundespost für das Zonenrandgebiet nachdrücklich unterstrichen, eine Bedeutung, die sowohl im Aufbau, in der Erhaltung und im Ausbau der Informationsstruktur liegt, in der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Dienstleistungen der Bundespost, in der Auftragsvergabe eines bedeutenden Wirtschaftsfaktors und schließlich im Angebot zahlreicher Ausbildungs- und Arbeitsplätze dieses bedeutenden Unternehmens.
Bei der sorgfältigen und intensiven Beratung dieses Berichts in den zuständigen Parlamentsgremien wurde von allen Seiten das Bemühen der Deutschen Bundespost anerkannt, den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes gerecht zu werden. Das gilt sowohl hinsichtlich der Erhaltung und der Entwicklung ihres Aktivitätsvolumens im Zonenrandgebiet als auch hinsichtlich der Sicherung der vorhandenen Arbeitsplatzstruktur.
Dennoch waren bei den Beratungen alle Seiten der Auffassung, daß in Zukunft noch überzeugendere Konzeptionen entwickelt werden müssen, die eine Dezentralisierung von Aufgaben zugunsten von Dienststellen im Zonenrandgebiet ermöglichen. Dabei ist sowohl an eine Verlagerung von Dienststellen in das Zonenrandgebiet zu denken als auch daran, neu zu schaffenden Dienststellen einen Standort im Zonenrandgebiet zu geben. Beispielhaft für eine solche Politik der Dezentralisierung zugunsten des Zonenrandgebiets ist die Einrichtung der Besoldungskasse der Oberpostdirektion Frankfurt am Main in Fulda als Ausgleich für die im Rahmen der Automatisierung des beleggebundenen Zahlungsverkehrs notwendig gewordene Auflösung der Außenstelle Fulda des Postgiroamtes Frankfurt. Ebenso positiv war die Einrichtung der Versandstelle für Sammlermarken beim Postamt Weiden/Opf., die eine sehr gute Entwicklung genommen hat.
Anerkennenswert sind auch die von der Deutschen Bundespost in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Fernsprechnandienstes hinsichtlich der Ausweitung von Nahtarifzonen nur im Zonenrandgebiet. Um dieses Gebiet besonders zu fördern, hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen die Nahtarifzonen im Zonenrandgebiet durch eine Erweiterung des Nahzonenradius erheblich vergrößert. Durch diese Maßnahme ist der Anteil der begünstigten Ortsnetze an der Gesamtzahl der Ortsnetze im Zonenrandgebiet auf fast 30 % angestiegen, während der entsprechende Anteil für das übrige Bundesgebiet bei knapp 10 % geblieben ist.
Bei der Einführung neuer Kommunikationstechniken kommt einer den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes und des Raumordnungsgesetzes entsprechenden Berücksichtigung des Zonenrandgebiets allergrößte Bedeutung zu. Wir sind der Auffassung, daß Benachteiligungen gegenüber dem übrigen Bundesgebiet dabei gar nicht erst entstehen dürfen.
Sicher wird die Bundespost nicht die isolierte Vorwegnahme von Entwicklungen im ländlichen Raum durchführen können; sie wäre auch wirtschaftlich unsinnig. Was sie dagegen tun kann - und darauf bestehen wir - , ist die parallele Ausführung zur Vermeidung von Infrastrukturdefiziten im Zusammenhang mit der Telekommunikation. Wenn die Infrastruktur neuer Kommunikationstechniken im Zonenrandgebiet parallel zur Entwicklung in den Ballungszentren geschaffen wird, wird in ihnen eine großartige Chance für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung im Zonenrandgebiet liegen.
Böhm ({0})
Es soll auch anerkannt werden, daß die Deutsche Bundespost generell darum bemüht ist, bei der Verkabelung nicht nur die Ballungsräume, sondern in angemessener Weise auch die überwiegend ländlich strukturierten Gebiete am Zonenrand zu berücksichtigen. Hierbei kommt es immer wieder zu einem Spannungsverhältnis zu der der Deutschen Bundespost besonders vom Bundesrechnungshof auferlegten Forderung, die Rentabilität der Verkabelung in einem überschaubaren Zeitraum zu ermöglichen. Deshalb sei im Interesse einer gleichwertigen Entwicklung der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet dem Bundesrechnungshof empfohlen, bei seinen Stellungnahmen auch die Wirksamkeit des Zonenrandförderungsgesetzes zu bedenken und der Deutschen Bundespost mehr Möglichkeiten bei der Erschließung des Zonenrandgebiets auf dem Gebiet der Breitbandverkabelung einzuräumen. Aus zahlreichen kleinen ländlichen Gemeinden liegen dringende Forderungen vor, möglichst bald an die Kabelnetze angeschlossen zu werden.
Meine Damen und Herren, auch im Rahmen der notwendigen Neustrukturierung der Deutschen Bundespost, die uns in diesen Wochen und Monaten intensiv beschäftigt, muß die gleichmäßige und preiswerte Grundversorgung im Zonenrandgebiet gewährleistet bleiben. Angesichts der bisherigen Entwicklung ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß die Deutsche Bundespost nach wie vor diese Grundversorgung für das Zonenrandgebiet erbringen wird.
({1})
Das wird im Rahmen der Pflichtleistungen geschehen, bei denen es sich um Infrastrukturdienste handelt, an denen vor allem aus Gründen der Daseinsvorsorge ein besonderes öffentliches Interesse besteht.
({2})
Die Verpflichtung zu einer ausgewogenen Grundversorgung soll und wird im Rahmen des Reformkonzepts Post 2000 gesetzlich verankert werden.
Die bisherigen Bemühungen des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen um eine sorgfältige Beachtung des Zonenrandförderungsgesetzes rechtfertigen in vollem Umfang die Erwartung, daß diese Politik auch in Zukunft fortgesetzt wird.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Böhm, das, was Sie zum Schluß gesagt haben, klingt sehr wohl in den Ohren, aber wir als alte Hasen und auch oft Enttäuschte aus dem Zonenrandgebiet wissen, wie das in Wirklichkeit geht. Ich stimme mit Ihnen überein: Der Bericht des Bundespostministers, den wir gemeinsam beurteilt haben, kann von der Unterrichtungsseite her als durchaus zufriedenstellend bezeichnet werden. Über die anderen Punkte müssen wir mit Sicherheit diskutieren.
Man kann auch sagen, wie wir es formuliert haben, daß der Bericht erheblich an Substanz gewonnen hat.
Auch das gestehe ich zu. Er ist ausführlicher als frühere Berichte. Er zeigt mehr Detailkenntnisse und bemüht sich durchaus, bei einzelnen Maßnahmen den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes gerecht zu werden.
Wir haben in den letzten Monaten viel über die Post im Zonenrandgebeit und alles, was damit zusammenhängt, diskutiert. Dahinter steckt natürlich unser Kampf um Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet. Dieser Kampf ist bereits Legende. Uns geht es darum, daß die Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet erhalten bleiben. Leider haben wir, wie wir wissen, nicht immer Erfolg. Ich greife ein Postamt heraus, das Postamt Hof. Ich könnte auch Marktredwitz erwähnen, Weiden, Eschwege oder Lübeck. Dort werden ständig Arbeitsplätze eingespart. In Hof beispielsweise waren es in den letzten Jahren 200 Arbeitsplätze. Die neuen Schalterbemessungssysteme werden natürlich dazu führen, daß noch weitere 20 Arbeitsplätze verlorengehen. Das führt zu Öffnungszeiten, die kürzer sein werden. Auch die Serviceleistung für die Bürger wird damit erheblich verschlechtert.
Dann gibt es noch eine „Entrümpelungsverfügung", habe ich mir sagen lassen, Herr Minister. Die führt ebenfalls zu Arbeitsplatzverlusten. Das bedeutet ohne Zweifel wiederum Serviceverschlechterung.
Es ist zwar sehr erfreulich, daß Jugendliche bei uns ausgebildet werden - das schon - , aber dann finden sie eben keine Zukunft bei uns, sondern müssen in die Ballungsräume abwandern. Das sind Probleme, die wir sehen müssen.
Wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages kämpfen im Zonenrandgebiet um jeden Arbeitsplatz. Jeder Verlust eines Arbeitsplatzes ist ein Stück Verlust an Wirtschaftskraft im Zonenrandgebiet. Bei der Post - das muß man auch sagen - entstehen weniger Dienstleistungen. Für unseren Raum ist damit auch ein Stück Zukunftsverlust verbunden.
Dann gibt es ein paar Kleinigkeiten. Herr Böhm, Sie haben angeführt, daß Institutionen ins Zonenrandgebiet verlagert worden sind. Aber es wäre natürlich ein großartiges Ergebnis, Herr Minister, wenn Sie einmal zu uns in den Ausschuß kämen und sagen würden: Hier habe ich eine Liste von Dienstleistungsbereichen des großen Betriebes Bundespost, die ins Zonenrandgebiet verlagert werden. Das wäre auch eine Erfüllung des Zonenrandförderungsgesetzes. Darauf warten wir eigentlich; denn die moderne Elektronik würde ja ein solches Verfahren möglich machen. Herr Böhm hat ebenfalls darauf hingewiesen. Das wäre ein positives Signal für das Zonenrandgebiet.
Die Wirklichkeit ist anders, wie wir wissen. Der Service auf dem flachen Land nimmt ab, und es wird wirklich immer schwieriger, die Versorgung sicherzustellen. Erst heute erreicht mich eine Meldung, daß in den Mittelstädten vor allem des Zonenrandgebiets die Postkästen zu einem bestimmten Teil abmontiert werden. Das führt doch wieder zu Benachteiligungen. Das ist doch eine Taktik, mit der scheibchenweise der Service der Bundespost draußen zurückgeführt wird.
({0})
Büchler ({1})
- Herr Lintner, wir haben an und für sich immer gemeinsam für Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet gestritten. Diese Bemerkung ist mehr als überflüssig. Wir könnten uns ja auch einmal anders ausdrücken.
({2})
Sie zerschlagen die Bundespost in drei Teile. Die zukünftige Post stellt sich uns dann wirklich dar als eine Institution, die nach Profitgesichtspunkten arbeitet. Das wird - das wissen wir - zu Lasten des ländlichen Raumes gehen, weil dort draußen auf Grund der geringeren Dichte natürlich weniger Gewinn gemacht wird.
Es steht also der Abbau von Dienstleistungen im Zonenrandgebiet ins Haus. Postämter werden ausgedünnt. Das führt - ich sage es noch einmal - dazu, daß der Postservice schlechter wird, daß die Briefbeförderung langsamer vonstatten geht. Und was für mich besonders wichtig ist: Auf Grund Ihrer Strukturreform 2000 hat die Politik, der Bundestag und auch die Regierung, natürlich weitestgehend keinen Einfluß mehr. Selbstverständlich wissen wir, welche Folgen das hat; auch das geht wiederum zu Lasten der ländlichen Strukturen.
({3})
Wir hatten eigentlich gehofft, daß uns diese neuen Medien einen Vorteil bringen. Herr Böhm, Sie haben es angesprochen.
({4})
Die Hoffnung ist leider dahin, wenn das Parlament in diesem Bereich nichts mehr zu sagen hat. Wir werden von den Ballungsräumen abgekoppelt,
({5})
und es werden keine vermehrten Investitionen im Zonenrandgebiet getätigt. Wir hatten darauf gehofft.
({6})
- Wir sind Parlamentarier. Wir haben eine Bundesregierung. Wenn wir uns an die Richtlinien halten, können wir auch Politik machen. Wir haben nämlich ein Raumordnungsgesetz, wir haben ein Grundgesetz, worin deutlich steht, daß wir auch dafür zu sorgen haben, daß im ländlichen Raum keine Benachteiligungen entstehen. Sie benachteiligen den ländlichen Raum durch diese Postreform.
({7})
Das ist alles möglich und wird so kommen.
Diese Postreform hat dort ein Stück minderer Lebensqualität zur Folge, wo auf Grund politischen Auftrages mehr Lebensqualität hingehört. Das ist der Kern der Sache.
({8})
Wie soll es mit der Zerschlagung der Post weitergehen? Das muß man doch einmal fragen. Die Post wird politisch unabhängig. Sie wird sich aus dem Land zurückziehen. Und wer muß einspringen, damit der Service aufrechterhalten wird? Wir haben das Beispiel heute früh gehört: Bund und Land. Nur so kann die
Versorgung in den Gemeinden des Zonenrandgebietes aufrechterhalten werden. Wir werden bei der Postversorgung draußen von den Haushalten der einzelnen Institutionen abhängig. Das ist eine düstere Zukunft, das will ich hier sagen. Nachdem Sie die Investitionszulage im Zonenrandgebiet abgeschafft haben, nachdem Sie hergegangen sind, die Benzinpreise drastisch anzuheben, kommt hier ein gewaltiger Schlag auf das Zonenrandgebiet zu,
({9})
dessen Ausmaß wir überhaupt noch nicht übersehen können. - Herr Pfeffermann, ich weiß ja nicht, ob Sie vom Zonenrandgebiet Ahnung haben. Das ist ja das Problem,
({10})
daß Sie da manchmal etwas durcheinanderbringen. - Also, die Wirtschaft im Zonenrandgebiet wird durch ihre extreme Randlage Wettbewerbsnachteile bekommen. Das Dienstleistungsunternehmen Post wird seinen Service verschlechtern,
({11})
und das wird sich auf die Infrastrukturleistungen im Zonenrandgebiet auswirken.
({12})
Deswegen, Herr Minister, müßten wir über das, was Sie unter „bestimmten Pflichtleistungen" verstehen, sicher noch diskutieren. Denn nach wie vor weiß kein Mensch, was eigentlich darunter verstanden werden soll.
Wir wollen dazu beitragen - das ist der Auftrag der Politik -, daß alle Bürger in der Bundesrepublik gleichwertige Lebensbedingungen haben, unabhängig davon, wo sie leben, ihnen moderne Leistungen garantieren, und zwar zu erschwinglichen Gebühren.
({13})
Und das kann man am besten, wenn diese hervorragende Post - wir sind uns doch einig, daß sie die beste der Welt ist - als solche erhalten bleibt. Es besteht keine Notwendigkeit, diese Post zu zerschlagen. Das sage ich hier nicht als Postfachmann, sondern aus der Sicht eines Abgeordneten aus dem Zonenrandgebiet. Meine Erfahrung aus Großbritannien, das ich ja nun sehr genau kenne, oder den Vereinigten Staaten, die ich sehr genau kenne, ist ja die, daß diese Postzerschlagung nur zur Benachteiligung der ländlichen Regionen und der Menschen dort geführt hat. Das ist also gar keine Frage.
({14})
British Telecom ist draußen im flachen Land doch nicht mehr operativ tätig. Das wissen Sie doch ganz genau, wie Sie auch den Abbau der Arbeitsplätze kennen.
Es geht uns darum den gemeinwirtschaftlichen Auftrag der Bundespost zu garantieren, die Versorgung
Büchler ({15})
aller Bürger mit Dienstleistungen des Post- und Fernmeldewesens sicherzustellen, unabhängig davon, in welcher Region sich der Mensch befindet. Wir fordern, daß die Bundespost ihren wichtigen Beitrag zur Infrastrukturpolitik im Zonenrandgebiet weiterhin voll leistet. Der beste Service wäre, wenn Sie Ihre Postreform vergessen würden.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich meine, daß der Bericht erfreulich ist, und es ist ja auch angemessen, wenn man einmal etwas Erfreuliches sagen darf. Er ist leider etwas angejahrt;
({0})
denn er ist ja schon Anfang 1987 vorgelegt worden. Aber der Ausschuß hat recht daran getan, daß er sich dreimal damit beschäftigt hat, und er hat ja auch wichtige Anmerkungen dazu gemacht. Deshalb ist es sinnvoll, die Berichte, besonders wenn sie technische Bereiche beinhalten - und in der Technik entwickeln sich die Dinge ja sehr rasch, selbst wenn sie nicht immer so rasch umgesetzt werden; das hat auch etwas mit der Frage der Teilprivatisierung zu tun - , dann doch relativ rasch zu diskutieren.
Ich will noch einmal festhalten, daß ich das, was hier für den Zonenrandbereich geschehen ist, begrüße. Ich halte auch fest, daß das Bemühen der Deutschen Bundespost, mit ihren Maßnahmen auch den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes gerecht zu werden, hier deutlich wird. Ich meine, daß sie das in erheblichem Umfang geschafft hat.
({1})
Daß wir hier ortsfeste Postanstalten in Gemeinden erhalten konnten, anders als im übrigen Bundesgebiet, finde ich sehr positiv. Und daß gewisse Privilegien bei den Schalterangelegenheiten erhalten bleiben, finde ich ebenfalls positiv.
Bei der Betrachtung der langen Laufzeit der Briefe bin ich versucht, an meine Vorfahren zu erinnern, die mir erzählt haben, daß ein Brief nach Berlin um das Jahr 1900 nur einen Tag gebraucht hat, wenn man ihn z. B. in dem jetzigen Zonenrandbereich Philippsthal eingeworfen hat. Daß wir das heute mit einem „E + 1" - und einem Zusatztag - versehen müssen,
({2})
ist schon traurig. Aber wenn es denn zu 90 % geschieht, wie ich gehört habe, dann soll es immerhin eine gewisse Erfüllung bedeuten. Jedenfalls will ich darüber keine Scherze machen. Sie wissen, daß man über drei Dinge keine Scherze machen darf: über
Umweltschutz, Frauenemanzipation und Zonenrandförderung.
({3})
Es wäre wirklich vermessen, das in diesem Fall zu tun.
({4})
- Nein, es gibt sicher mehr, aber wir haben seit Urvätertagen diese Dreiteilung, und jeder, der ein gutes Programm vorzuschlagen hat, hat mindestens drei Positionen anzubieten.
Ich will es auch noch einmal begrüßen, daß wir mit einem Drittel der begünstigten Ortsnetze im Zonenrand aufwarten können; dort liegt, was positiv zu bewerten ist, der größere Teil der Ortsnetze mit entsprechenden Vergünstigungen bei den Gesprächsgebühren.
Ich komme zum Ausbau der integrierten Text- und Datennetze, IDN abgekürzt, und damit auch zu der dienstintegrierten digitalen Fernmeldevernetzung, ISDN abgekürzt, von der wir einiges erwarten dürfen, zumindest daß die Standortabhängigkeit gemildert wird. Ich halte das im Zonenrandbereich für einen wichtigen Punkt.
({5})
Da das allerdings nicht so rasch vorangeht, möchte ich das mit einer kleinen Anmerkung von Gerhard Branstner unterstreichen, der sich, allerdings unter Überschrift „Der Esel als Amtmann", in einigen kleinen Geschichten verbreitet hat, und der sagt: „Der Hase rannte einem Wolf davon. Da kam ihm eine Schnecke in die Quere. Um sie nicht zu verletzen, wich der Hase aus und stieß in vollem Lauf gegen einen Baum. Die Schnecke wartete, bis der Hase wieder zu sich kam, dann sagte sie: ,Nimm dir ein Beispiel an mir, ich bin noch niemals beim Ausweichen gegen einen Baum gerannt.' "
({6})
- Die kommt das nächste Mal, lieber Kollege.
Wir sollten also versuchen, diese Dinge ein wenig zu beschleunigen. Auch für die Investitionen danke ich der Bundesregierung und wünsche weiter eine erfolgreiche Tätigkeit im Zonenrandgebiet.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Bundespostministeriums vom Januar 1987, auf den sich die Beschlußempfehlung bezieht, ist, wie eben von Herrn Wolfgramm schon betont, von der realen Entwicklung längst überholt worden. Heute stellt sich vor allem die Frage, welche Folgen die sogenannte Postreform für strukturschwache Gebiete haben wird. Darüber wurde aber im Ausschuß kaum debattiert. Für die Betroffenen stellen sich jedoch viele Fragen: Wird sich
Dr. Daniels ({0})
der Service, vor allem der Brief- und Paketdienst, weiter verschlechtern? Wird sich durch den Einsatz elektronischer Dienste die Benachteiligung grenznaher Gebiete zur DDR weiter verschärfen? Wie entwickelt sich das Arbeitsplatzangebot der Post in der Zukunft in diesen Regionen?
Die Angst, daß sich die Post nach der Dreiteilung ähnlich wie die Bundesbahn entwickeln wird, also Verschlechterung und Verteuerung des Angebots bei gleichzeitiger Arbeitsplatzvernichtung, ist nicht grundlos. Schon vor der Umsetzung der Pläne des Postministers zeichnet sich ein Rückzug der Post aus strukturschwachen Gebieten ab. So wurden im Zeitraum von 1984 bis 1986 49 Poststellen im Grenzgebiet zur DDR geschlossen. Bis 1991 sollen 19 Briefabgangsstellen und ein Bereichsknotenamt dichtgemacht werden. Dies bedeutet zuerst den Verlust von Arbeitsplätzen im strukturschwachen Raum und den Rückzug auf zentrale Orte. Die Kirche bleibt vielleicht noch im Dorf, die Post hat es längst verlassen.
Gerade durch die Postreform und den dadurch wachsenden Rationalisierungsdruck werden die Kundinnen und die Kunden der Post auf dem Land mit Dienstverschlechterung rechnen müssen. Zuerst trifft es aber die Beschäftigten der Post, auf deren Rücken rationalisiert wird. Dies zeigt sich bereits heute an der sogenannten Entrümpelungsverfügung oder der Verordnung über die Krankenüberwachung. Die Arbeitshetze der Kolleginnen und Kollegen der Post wächst.
Die Hoffnung, durch den Einsatz der Informations-und Kommunikationstechnik in strukturschwachen Räumen bei der Post Arbeitsplätze erhalten oder gar schaffen zu wollen, geht an der Realität vorbei. Schauen Sie sich die Situation in der Oberpostdirektion Regensburg an: 139 Fernmeldehandwerker sind mit der Ausbildung fertig geworden; ganze fünf neue Arbeitsplätze werden ihnen angeboten.
({1})
Bei der Einführung elektronischer Briefverteilungsanlagen beispielsweise geht es doch gerade darum, Arbeitsplätze wegzurationalisieren und die Zahl der Abgangsämter zu verringern. Auch die Computerisierung des Telefonsystems, im Technokratendeutsch ISDN genannt, dient der Post vorrangig zur innerbetrieblichen Rationalisierung und bedeutet damit Arbeitsplatzvernichtung. Dies trifft zuerst die gesamte Instandhaltung der Fernmeldeanlagen, die durch die Einführung der digitalen Vermittlung halbiert werden soll.
Die verstärkte Nutzung der neuen Technologien bringt also hinsichtlich der Arbeitsplätze bei der Post in strukturschwachen Gebieten nur Negatives. Deshalb geht die Beschlußempfehlung des Ausschusses, es müßte vor allem um die Sicherung und den Ausbau bestehender Arbeitsplätze gehen, in eine falsche Richtung. Die negative Entwicklung verschärft sich noch durch die in der Postreform angestrebte Dreiteilung der Post und durch den massiven Ausbau des ISDN.
Fällt die Quersubventionierung zugunsten nicht kostendeckender, aber gesellschaftlich notwendiger
Dienste weg, werden zuerst strukturschwache Gebiete dies zu spüren bekommen, nämlich durch die Verschlechterung des Dienstangebots.
Nun antwortet der Bundespostminister auf diese Befürchtung: Aber wir haben doch per Gesetz die Quersubventionierung festgeschrieben. Doch auch hier steckt der Teufel wieder einmal im Detail. Wenn das Teilunternehmen TELECOM massiv in den Ausbau neuer Netze und Dienste investiert und dabei Milliardenverluste entstehen, frißt das die Überschüsse des Telefondienstes auf, und für eine Quersubventionierung ist dann nichts mehr da. Wenn das eingetreten ist, was mit Sicherheit geschieht, sind wieder die strukturschwachen Gebiete die ersten Leidtragenden - mit Dienstverschlechterungen, steigendem Arbeitsdruck oder Arbeitsplatzvernichtung.
Die massiven Technologieinvestitionen der Post gehen also letztlich zuerst zu Lasten der strukturschwachen Gebiete, und dies bei den dort ansässigen Unternehmen. Das ergibt sich auch aus der Stellungnahme des Bundespostministeriums. Der Anteil der Aufträge an Unternehmen in den Grenzgebieten zur DDR liegt, verglichen mit dem Rest der Bundesrepublik, unter dem Bevölkerungsanteil. Das resultiert auch daraus, daß der Großteil der Postinvestitionen in den Fernmeldebereich und damit an Konzerne wie Siemens und SEL geht; diese haben aber kein Investitionsinteresse in strukturschwachen Räumen. Die verstärkte Investition in ISDN treibt diese Tendenz weiter.
Die beschriebenen negativen Entwicklungen sind bereits heute, also ohne Postreform, spürbar. Die Zerschlagung der einheitlichen Post in drei Teilunternehmen und die Möglichkeit für private Konzerne, sich profitable Rosinen aus dem Fernmeldemarkt herauszupicken, verschärfen für den strukturschwachen Raum die bereits bestehenden Probleme. Es kann die Situation entstehen, daß neue Dienstangebote, die früher die Post überall machen mußte, nunmehr als freie Leistungen definiert werden. Das bedeutet, daß weder die Post noch Private diese Dienste anbieten müssen bzw. unterschiedliche Gebühren verlangen dürfen.
Ob die im Gesetzentwurf festgelegte Zustimmung des Bundesrates bei der Bestimmung der Pflichtleistungen die wirtschaftliche Benachteiligung strukturschwacher Grenzgebiete verhindern kann, ist mehr als fraglich. Die Unternehmer werden sich jedenfalls noch stärker an den Ballungsgebieten orientieren oder eine noch stärkere Subventionierung verlangen.
Diese von mir beschriebenen Probleme waren nur sehr verkürzt Gegenstand der Ausschußberatungen. Deswegen geht die Empfehlung des Ausschusses an den realen Problemen der Versorgung mit Postdiensten im strukturschwachen Raum vorbei.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat am 15. Dezember 1982 beschlossen, ihm alle zwei Jahre über die Erschließung des Zonenrandgebiets im Bereich des Post- und Fernmeldewesens zu berichten. Ich möchte hier den Bericht nicht wiederholen; es sind in verschiedenen Bereichen die Dinge bereits genannt.
Ich möchte auf einige wesentliche Schwerpunkte zurückkommen: Die Deutsche Bundespost hat vor einigen Jahren für die Amtsstellenorganisation auf dem Lande ein den heutigen Verhältnissen angepaßtes neues Konzept entwickelt, das auch die Zustimmung des Deutschen Bundestages gefunden hat. Danach betrachtet die Deutsche Bundespost die ortsfeste Postanstalt nach wie vor als Eckpfeiler der Postversorgung auf dem Lande. Dabei sieht dieses Konzept als besondere Förderungsmaßnahme vor, daß im Zonenrandgebiet je Gemeinde bzw. Gemeindeverband mindestens eine ortsfeste Postanstalt auch dann zu belassen ist, wenn diese nach den allgemeinen Organisationsgrundsätzen eigentlich aufgehoben werden müßte.
({0})
Das Zonenrandgebiet ist in dieser Hinsicht versorgungsmäßig also bessergestellt als das gesamte übrige Bundesgebiet. - Das entspricht genau dem Gegenteil dessen, was hier eben ausgeführt worden ist.
Wir haben daneben die verschiedensten innerbetrieblichen Maßnahmen getroffen. Ich erinnere daran, daß wir z. B. bei verschiedenen Postämtern im Zonenrandgebiet die Bearbeitung von Briefsendungen, Paketen und Päckchen nach und aus der DDR sowie Berlin ({1}) konzentriert haben und damit immerhin mehrere hundert Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet bereitgestellt haben. Wir versichern hiermit, daß es dort so bleibt und sich in der Zukunft nicht verändern wird.
({2})
Ich möchte noch einmal einige Sondermaßnahmen ansprechen. Es wurde hier unsere Versandstelle in Weiden schon genannt. Es gibt dort heute immerhin über 60 Beschäftigte, davon 17 Schwerbehinderte, die auf diese Weise dort Arbeit bekommen haben.
Wir haben eine Ermittlungsstelle für Paketsendungen beim Postamt Bamberg, wo inzwischen 41 Personen beschäftigt sind, eingerichtet.
Wir haben den Ausbau der Breitbandverteilnetze für die Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen verstärkt und mit deutlich gesteigerten jährlichen Investitionsvolumina fortgeführt.
Ich finde es ja wirklich großartig, Herr Daniels, wenn ich höre: Da macht die Post diese hohen Investitionen und wird auf diese Weise nachher nicht mehr in der Lage sein, über die Einnahmen des Telefondienstes ausreichende Gewinne zu erzielen, um Quersubventionen vorzunehmen. Sie müssen einmal ein bißchen weiter denken: In 10 oder 20 Jahren würden wir dann einsame Weltmeister in der Gebührenpolitik sein, da die Gebühren beim Telefon dann doppelt oder dreimal so hoch wären wie in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Das heißt, der Standort der Bundesrepublik würde sich dramatisch verschlechtern. Wir müssen neue Dienste in Gang bringen, die uns in den nächsten 10, 20 Jahren zusätzliche Einnahmen bringen.
({3})
Das ist schon heute entscheidend. Bereits in diesem Jahr liegen die Neuanschlüsse beim Kabel weit über den Neuanschlüssen beim Telefon. Wenn wir also schlafen würden und sagen würden: wir haben das Telefon, das wird auf Dauer gesehen immer die Subventionen erwirtschaften, im übrigen lassen wir alles so, wie es ist, dann wäre dieses Konzept ein bißchen unzureichend, um die Zukunft der Telekommunikation und entsprechende Serviceleistungen für die Bevölkerung tatsächlich zu gewährleisten.
({4})
- Herr Kollege Böhm hat mit Recht darauf hingewiesen - : Wir haben die sehr schwierige Balance zu sehen, wie wir im Bereich der Breitbandverteilnetze auf der einen Seite die Rentabilität beachten - wir können hier immerhin sagen, daß wir entgegen aller Kritik die Planungen einhalten, was wir auch im Haushaltsausschuß, im Rechnungsprüfungsausschuß und auch dem Rechnungshof gesagt haben - und wie wir auf der anderen Seite nicht nur in Ballungsgebieten oder Städten, sondern auch auf dem flachen Land Kabelfernsehnetze ausbauen.
Das ist natürlich eine ganz schwierige Gratwanderung. Es sind viele Mitarbeiter damit beschäftigt, wie sie diese beiden Zielkonflikte jeweils zusammenbringen. Das ist, glaube ich, eine große Leistung, wie das von der Bundespost und ihren Mitarbeitern heute gelöst wird.
({5})
Lassen Sie mich etwas zum Telefontarif sagen: Überlegen Sie sich bitte, was es heißt, daß wir damals bei Ortsnetzen mit weniger als 30 000 Anschlüssen 50 freie Gebühreneinheiten im Monat eingeführt haben. Das ging doch vorwiegend gerade auch in den Zonenrandbereich, wo bereits andere Vergünstigungen bestehen. Wir haben hier nicht gesagt: Weil ihr schon andere Vergünstigungen habt, bekommt ihr das jetzt nicht. Vielmehr haben wir das zusätzlich auch in das Zonenrandgebiet hineingebracht.
Es wurde über ISDN und Glasfasernetze gesprochen. Natürlich wird ISDN dazu beitragen, Standortabhängigkeiten zu mildern. Die bundesweite ISDN-Flächendeckung soll nach unseren Planungen Ende 1993 erreicht werden. Es trifft einfach nicht zu - und das können Sie in unserer mittelfristigen Planung für den Ausbau unserer Netze nachlesen -, daß in irgendeiner Stadt oder Gemeinde der Bundesrepublik, wo immer sie liegt, auf Grund der Lage ein ISDN-Anschluß nicht zum selben Preis installiert wird. Wir wissen natürlich, daß das für uns in der Fläche sehr viel teurer ist. Wir könnten in Städten einen ISDN-Anschluß für 20 DM anbieten. Aber wir bieten ihn in der gesamten Bundesrepublik für DM 73 an. Dieses große Unternehmen Bundespost bietet diesen Service
also in der gesamten Fläche zum selben Preis an - auch als Infrastrukturleistung.
({6})
Es stimmt einfach nicht, daß es hier Benachteiligungen gebe. Im Gegenteil, wenn Sie das Verhältnis von Kosten und Erträgen sehen, sind die Flächengebiete erheblich bevorteilt. Das bringt natürlich auch Probleme bei der Bedienung von Großkunden. Aber ein Großkunde im Zonenrandgebiet - und das ist entscheidend - erhält die gleichen Vergünstigungen, wie wenn er in Frankfurt oder Hamburg seinen Sitz hätte. Er hat also im Zonenrandgebiet nicht einen Standortnachteil, sondern erhält die gleiche Qualität geboten wie im übrigen Bundesgebiet.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, wir werden natürlich nicht das tun, was manche verlangen, das Netz allein dort besonders auszubauen; denn das Zonenrandgebiet würde natürlich ohne Anbindung an das Ballungsgebiet wirtschaftlich verarmen. Die Leute dort wollen ja nicht unter sich kommunizieren, sondern sie wollen - wie die Teilnehmer im übrigen Bundesgebiet auch - Verbindungen nach Regionen und anderen Ländern. Nur so hat das auch Sinn für das Zonenrandgebiet.
Eine Bemerkung, was Arbeitsplätze angeht: Ich habe schon einige Beispiele bei der Post selbst genannt. Aber das, was wir in dieses Gebiet investieren, schafft oder erhält Arbeitsplätze dort in den privaten Unternehmen. Nehmen Sie doch auch bitte einmal zur Kenntnis, was wir dort investieren. Über das Fernmeldewesen sind auch in den Jahren 1986 und 1987 Investitionen in Milliardenhöhe durchgeführt worden. Für Fernsprechübertragungseinrichtungen, Vermittlungseinrichtungen, Teilnehmereinrichtungen, Datenübermittlungseinrichtungen und Breitbandverteilnetze haben wir im Zonenrandgebiet in den Jahren 1986 und 1987 immerhin jeweils über 1,3 Milliarden DM investiert. Das sind Aufträge, die großenteils auch in diese Gebiete hineinfließen, natürlich nicht vollkommen, weil Spezialfirmen nun einmal nicht dort sind. Das kann die Bundespost nicht ändern.
Wir haben also im Jahre 1986 Aufträge in Höhe von 1,3 Milliarden und im Jahre 1987 sogar von über 1,5 Milliarden DM in das Zonenrandgebiet vergeben. Ich glaube, das sind Zahlen, angesichts derer jeder sagen kann: Wir sind alle froh, daß uns das gelungen ist. Ich bin sehr dankbar, daß wir dies durchführen konnten.
({8})
Daneben haben wir noch einige schwierige Dinge gemacht. Die Operation der Verlegung der Besoldungskasse von Frankfurt nach Fulda war eine Riesenaufgabe. Kein anderer Minister hatte sich vorher da herangetraut. Den Mitarbeitern der Außenstelle des Postscheckamts Frankfurt war nur gesagt worden: Eure Arbeitsplätze bleiben erhalten. Den Banken wurde gesagt: Wir werden den beleglosen Zahlungsverkehr einführen. Das aber bedeutete: Personalreduzierung. Aber wie diese beiden Versprechungen, auf der einen Seite die Einführung des beleglosen Zahlungsverkehrs und damit die Zentralisierung in Frankfurt, und auf der anderen Seite die Erklärung, in Fulda bleibe alles beim alten, zusammengebracht werden sollten, hat man nicht gesagt. Das hat man dann mir überlassen.
({9})
Die Lösung dieser Frage hat uns immerhin 13,7 Millionen DM gekostet. Aber das ist es auch wert. Dafür sind 200 Arbeitsplätze, und zwar auf Dauer, weil es ein eigenständiger Bereich ist, nach Fulda gekommen. Das waren nicht nur Versprechungen des Inhalts: Ich lasse euch noch ein paar Arbeitsplätze, bis die nächste Rationalisierungswelle kommt. Wir haben eine grundsätzliche Lösung gefunden, die weit in das nächste Jahrhundert trägt.
({10})
Meine Damen und Herren, die Infrastrukturaufgabe ist in dem neuen Poststrukturgesetz ausdrücklich verankert. Es gibt kein entsprechendes Gesetz auf der Welt, in dem neben dem Bereich Wettbewerb/ Monopol der Bereich Infrastruktur gesetzlich als Auftrag für dieses Unternehmen verankert ist. Deswegen möchte ich Sie wirklich bitten: Lesen Sie das Poststrukturgesetz,
({11})
und glauben Sie ein bißchen, daß wir das tun, was darin steht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Wir koppeln kein Gebiet ab. Im Gegenteil, die moderne Telekommunikation wird die Entfernung vom Zonenrandgebiet zu den übrigen Gebieten verkürzen, und zwar - da wir einen Infrastrukturauftrag haben - zu gleichen Preisen wie im übrigen Bundesgebiet. Das ist die moderne Entwicklung, die die Bundespost voll unterstützt. Wir werden uns deswegen nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern wir werden uns jeden Tag neu überlegen, was wir noch zusätzlich tun können. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir werden bei der Konstellation Wettbewerb und Infrastrukturauftrag das Zonenrandgebiet gemäß der gesetzlichen Grundlage mit besonderer Sorgfalt im Hinblick darauf beachten, was wir in diesem Gebiet noch zusätzlich tun können.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seidenthal.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wolfgramm und Herr Daniels, wenn Sie beklagt haben, daß wir uns hier nur im Abstand von zwei Jahren über den Bericht unterhalten, dann stelle ich fest, daß wir hier gemäß einem Beschluß des Bundestages verfahren. Lassen Sie uns gemeinsam einen neuen Beschluß fassen; dann können wir auch jährlich oder halbjährlich auf Entwicklungen eingehen.
Herr Minister, Ihre Postreform wird nicht dadurch besser, daß Sie sie immer wieder anpreisen. Wir werden urnsere entsprechenden Vorschläge im Bundestag schon einbringen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten hat nach wie vor § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Raumordnungsgesetzes vom 8. April 1965 oberste Priorität. Er lautet:
Die Leistungskraft des Zonenrandgebietes ist bevorzugt mit dem Ziel zu stärken, daß in allen seinen Teilen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie eine Wirtschafts- und Sozialstruktur geschaffen werden, die denen im gesamten Bundesgebiet mindestens gleichwertig sind. Die Bildungs-, Kultur-, Verkehrs-, Versorgungs- und Verwaltungseinrichtungen sind vordringlich zu schaffen.
Zur Erreichung dieses Zieles kommt den Maßnahmen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens eine wesentliche Bedeutung zu.
Da mein Kollege Büchler schon einige grundsätzliche Aussagen für die SPD-Fraktion getroffen hat, möchte ich nur noch die folgenden konkreten Punkte einbringen:
Im Unterausschuß „Zonenrandförderung" bestand bei der Beratung des Abschnittes B - Postwesen - Einmütigkeit darüber, daß zur Sicherung der Arbeitsplatzstruktur eine Entwicklung von Konzeptionen erfolgen soll, die eine Dezentralisierung von Aufgaben zugunsten von Dienststellen im Zonenrandgebiet ermöglichen soll. Dabei kommt aus unserer Sicht dem Briefverteilungsdienst eine hohe Bedeutung zu. Hier ist es zwingend erforderlich, daß zu Beginn der 90er Jahre leistungsfähige Briefverteilungsanlagen weniger großen Zuschnitts auf dem Markt sein müssen, die auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Beibehaltung kleinerer Briefabgangsstellen im Zonenrandgebiet rechtfertigen.
Lassen Sie mich als Techniker anmerken, daß in einen Volkswagen oder einen Mercedes auch Motoren mit unterschiedlicher Leistung eingebaut werden können. Das heißt in unserem Fall konkret, daß die Technik dieser Stellen auf den Zonenrand zugeschnitten werden muß; dann ist auch der wirtschaftliche Gesichtspunkt zufriedenstellend zu lösen.
({0})
Das bedeutet: Wenn ich von 120 000 Sendungen ausgehe, dann kann ich bei 80 000 oder bei 70 000 Sendungen keine Wirtschaftlichkeit erwarten.
Im Bericht wird auch auf die Überprüfung von Leitabschnitten eingegangen. Hierzu stelle ich fest, daß sich im konkreten Fall des Postamtes Schöningen aus meinem Wahlkreis sowohl das zuständige Postamt Braunschweig als auch die Oberpostdirektion Hannover nach Überprüfung - ich unterstreiche: nach Überprüfung - gegenüber dem Bundespostministerium für den Fortbestand dieses Leitabschnittes ausgesprochen haben. Nunmehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine erneute Überprüfung angeordnet worden.
Ich frage den Bundespostminister: Herr Minister, lassen Sie so lange überprüfen, bis ein Ihnen genehmes Ergebnis vorliegt, d. h. Auflösung? Ich bitte in diesem Fall unter Einbeziehung der Einflußgrößen Dienstgüte, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit - darauf legen Sie ja auch sehr großen Wert -, die eine Aufhebung nicht zulassen, um die Beibehaltung des Leitabschnittes Schöningen.
Wir begrüßen, daß im Bericht auch auf den Postaustausch mit der DDR eingegangen wird. Wir erkennen die Bemühungen der Deutschen Bundespost an, daß der weitaus größte Teil aller Briefsendungen und des Paket- und Päckchenverkehrs mit der DDR und Berlin ({1}) über im Zonenrandgebiet liegende Postämter abgewickelt wird. Wir fordern die Bundesregierung aber auf, durch intensive Verhandlungen mit der DDR das Problem der verlorengegangenen Postsendungen zu lösen, da die Verlustquote hier wesentlich höher liegt als im übrigen Verkehr der Deutschen Bundespost.
Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, daß im Berichtszeitraum vom 1. Januar 1984 bis zum 1. Januar 1986 im Zonenrandgebiet 49 Poststellen I und II verlorengingen. Auch wir sehen den Grund für die Veränderungen darin, daß die Amtsstellen schon seit den 60er Jahren wegen der Umstellung vom baren auf unbaren Zahlungsverkehr, wegen der ständigen Zunahme der Telefonanschlüsse im privaten und geschäftlichen Bereich leider erheblich an Bedeutung verloren haben. Gleichwohl muß aber auf Grund der demographischen Entwicklung im Zonenrandgebiet eine bürgernahe und flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen weiterhin gewährleistet werden.
Wir bitten als SPD-Fraktion den Bundespostminister, die gegenwärtigen Überlegungen des Ministeriums, ob noch andere Möglichkeiten zur Versorgung geschaffen werden können, in Absprache mit den betroffenen Kommunen zu diskutieren. Ein weiteres Absinken des Standards der Postversorgung im Zonenrandgebeit werden wir Sozialdemokraten jedoch nicht zulassen.
Bei der bundesweiten Einführung des Dienstintegrierenden digitalen Fernmeldenetzes, ISDN, und neuer Kommunikationstechniken muß sichergestellt werden, daß der Zonenrand nicht nachrangig bedient wird. Herr Böhm, ich bin Ihnen dankbar, daß auch Sie darauf eingegangen sind.
Der Unterausschuß „Zonenrandförderung" hat in Kenntnis der Sorge, daß das Zonenrandgebiet hier in einen später nicht mehr aufzuholenden Rückstand gegenüber anderen Regionen geraten könne, eine entsprechende Forderung in die Beschlußempfehlung aufgenommen. Lassen Sie mich wegen der kurzen Redezeit nur anmerken, daß sich der Unterausschuß „Zonenrandförderung" in einer der nächsten Sitzungen auch mit der beabsichtigten Neuordnung des Post- und Fernmeldewesens und den Auswirkungen für das Zonenrandgebiet befassen muß.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden zukünftigen Berichten zur Erschließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post- und Fernmeldewesens kritisch gegenüberstehen und sie kritisch begleiten. Aber einem weiteren Ausbluten des Zonenrandgebietes, das mit Strecken7202
stillegungen der Deutschen Bundesbahn begann, das durch Abstufung von Bundesstraßen fortgesetzt werden soll und mit dem Rückzug der Deutschen Bundespost aus diesem Raum enden kann, werden wir unseren ganzen parlamentarischen Widerstand entgegensetzen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Herr Dr. Hennig.
Dr. Hennig, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gemeinde der Zonenrandpolitiker ist klein. Wir freuen uns, daß sich der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ihr so entschieden an die Seite gestellt hat. Diese Gemeinde entscheidet meist einstimmig, weil es eine Minderheit ist, die hinterher dafür sorgen muß, daß sie durch Werbung in den Fraktionen und im Plenum des Deutschen Bundestages zur Mehrheit wird. Insofern habe ich auch die Rede von Herrn Büchler nicht so ganz verstanden. Sie galt auch eigentlich gar nicht diesem Thema
({0})
- in der Schule würde man sagen „Thema verfehlt" -, denn die Postreform ist ja nicht der Inhalt dieses Berichts
({1})
- vielen Dank, ich hoffe, das Protokoll verzeichnet das hinterher - , sondern die Stellungnahme des Ausschusses trägt ja die Schlußbemerkung „Einmütigkeit im Ausschuß", und der Bericht der Abgeordneten Büchler ({2}) - ich unterstreiche das - und Böhm ({3}) enthält den entscheidenden Satz:
Der Bericht, der erheblich an Substanz gewonnen hat und eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen erkennen läßt, macht das Bemühen der Deutschen Bundespost deutlich, bei ihren Maßnahmen auch den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes gerecht zu werden.
({4})
- Jawohl. Ich freue mich, daß Sie jetzt einräumen, daß Sie vielleicht doch partiell einen anderen Eindruck erweckt haben und daß es Ihnen leid tut, Herr Kollege Büchler.
({5})
Der Bericht belegt, daß sich die Deutsche Bundespost bei ihren betrieblichen, organisatorischen, planerischen, personellen und sonstigen Maßnahmen mit Nachdruck darum bemüht hat, neben den Vorgaben des Postverwaltungsgesetzes auch den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes voll gerecht zu werden. Diese Bewertung teile ich. Ich möchte positiv hervorheben, daß die Angaben über das Zonenrandgebiet durchgängig in Beziehung zum gesamten Bundesgebiet gesetzt und die neuen Kommunikationstechniken ausführlich dargestellt werden.
Diese positive Rückschau wird andererseits nicht den Blick auf die vor uns liegenden Probleme der Erschließung des Zonenrandgebietes bei der Einführung neuer Kommunikationstechniken und auf die Auswirkungen der geplanten Neustrukturierung der Deutschen Bundespost verstellen.
Die Beschlußempfehlung des innerdeutschen Ausschusses an die Bundesregierung, in geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß das Zonenrandgebiet bei der Einführung neuer Kommunikationstechniken eine den Zielsetzungen des Zonenrandförderungsgesetzes und des Raumordnungsgesetzes entsprechende Berücksichtigung erfährt
({6})
und Benachteiligungen gegenüber dem übrigen Bundesgebiet erst gar nicht entstehen, wird Leitlinie zukünftiger Zonenrandpolitik sein.
({7})
Die Bundesregierung hat mit ihrem Kabinetts-beschluß vom 11. Mai ein Konzept zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost verabschiedet. In den politischen Zielvorgaben dazu wird ausdrücklich - unmißverständlich, Herr Kollege Büchler - dargestellt, daß die Nachfrage zu decken und die notwendige Infrastruktur zu sichern und der Entwicklung anzupassen ist. Dabei sind die Grundsätze der Politik der Bundesregierung zu beachten. Diese Zielsetzungen sind für die Unternehmen verbindlich. Sie können sich zur Pflicht konkretisieren, bestimmte Postinfrastruktureinrichtungen bereitzustellen.
Mit diesen Grundsätzen wird auch sichergestellt, daß dem im Zonenrandförderungsgesetz normierten Vorrang des Zonenrandgebietes Rechnung getragen wird.
({8})
- Das ist ja gerade der Inhalt meiner Sätze, lieber Herr Kollege Becker. Ich glaube, wir denken über diese Zielrichtung in gleicher Weise.
({9})
Denn die Zonenrandförderung ist eine der deutschlandpolitisch begründeten Leitlinien der Bundesregierung und ein wichtiges Element ihrer Raumordnungspolitik.
Herzlichen Dank.
({10})
Meine Damen und Herren, ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/2294 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Vizepräsident Westphal
Macht auch die FDP mit? - Unsere Kollegen sind schon im Wochenende.
({0})
- Aber das Wochenende beginnt erst, wenn ich es gesagt habe. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. November 1988, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein erfreuliches Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.