Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema
Besorgnisse im In- und Ausland über die Wahrung der Presse- und Demonstrationsfreiheit bei unter Mitwirkung der Bundesregierung durchgeführten Tagungen und Großveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ({0})
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der westliche Teil Berlins hat die Schlagzeilen bekommen, die er verdient hat:
({0})
nicht Kongreßmetropole, nicht Weltstadt der Toleranz, sondern Bunker Berlin oder Berlin im Belagerungszustand. Für diese Prädikate seitens der internationalen Presse sorgten diese Bundesregierung, der Berliner Innensenator und rund 10 000 Polizisten aus Berlin und dem Bundesgebiet.
Der Hintergrund dieser Berichterstattung: Anläßlich der 43. Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank wurde an der Spree der Ausnahmezustand verhängt. Die Banker im Bunker des Internationalen Congress Centrums spielten nur eine Statistenrolle. Dafür veranstalteten die Polizeieinheiten in der Stadt eine kampfbetonte „grüne Woche", ein Großspektakel staatlicher Gewaltmonopolpolitik.
({1})
Aber all das Blaulichtgetöse, die Verbote von Protestaktionen gegen die Politik von IWF und Weltbank, die
Einschränkung der Demonstrations- und Pressefreiheit, die gnadenlosen Knüppeleinsätze gegen demonstrierende Menschen, die zahlreichen Polizeikessel - in Hamburg noch ein Skandal, in Berlin zum verschärften Normalzustand ausgeufert - , die knapp 1 000 Massenfestnahmen von Demonstranten in jener Woche - all das hat nicht Protest und Widerstand gegen die mörderische IWF- und Weltbankpolitik verhindern können. Gegenveranstaltungen und Demonstrationen auf den Straßen waren ein voller Erfolg. Nicht die Show der Banker, sondern der Protest auch gegen die Politik dieser Bundesregierung gegenüber den Ländern der Dritten Welt standen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses hier und im Ausland. Berlin hat damit seinen Ruf erneuert, nicht Kongreßmetropole, sondern Protestmetropole zu sein.
Aber, meine Damen und Herren, diese Erfolge der breiten Opposition gegen die Bankertagung, gegen die Politik von IWF und Weltbank wurden teuer bezahlt. Zahlreiche Demonstrationsteilnehmerinnen trugen infolge der brutalen Knüppeleinsätze der Polizei schwere Verletzungen davon. Auf Fernsehbildern ist dokumentiert, wie vier Polizisten eine Frau zu Boden stießen und ihren Kopf mehrmals auf das Straßenpflaster schlugen.
In jenen Tagen nahm die Polizei wahllos knapp 1 000 Menschen fest. Bei diesen Massenfestnahmen standen am Ende ganze fünf Personen unter Tatverdacht. Daraus folgt, daß 99,5 % aller Festnahmen rein präventiv erfolgten, allein mit dem Ziel, die Festgenommenen bis zu 48 Stunden ohne ersichtliche Gründe in Gefängniszellen festzuhalten.
Aber trotz dieser beispiellosen Härte polizeilicher Einsätze haben es die Verantwortlichen nicht geschafft, den Widerstand zu entmischen. Das ist ihnen ebensowenig gelungen, wie die Aktionstage zu unterbinden. Mit der bewährten Strategie der „flexible response" , der Vielfalt der zahlreichen Aktionen gelang es, die Polizeistrategie zu durchkreuzen. Die Medien berichteten nicht über den Hochglanzkongreß im ICC, sondern kritisch über die Folgen der IWF- und Weltbankpolitik, nicht über Randale, sondern über knüppelschwingende Hundertschaften in Grün. Nicht Bilder der von Ihnen so genannten „vermummten Chaoten" , sondern von vermummten Polizisten gingen um die Welt.
Meine Damen und Herren, als Mitglied im Unterausschuß für Menschenrechte weiß ich nur zu gut, was es heißt, wenn elementare Freiheitsrechte wie die Demonstrations- und Pressefreiheit zumindest vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Daß speziell der Berliner Senat ein mehr als gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit aufweist, ist nicht erst seit den jüngsten Ereignissen bekannt. Da denkt der Berliner Regierende Bürgermeister darüber nach, die sogenannte vierte Gewalt, also die Medien, staatlich zu kontrollieren. Da sprach der Berliner Innensenator Kewenig - wir haben ihn ja heute hier - vor einigen Monaten zynisch vom sogenannten Berufsrisiko von Journalisten. Dieses „Berufsrisiko" bekamen Journalisten, Fotografen und Kamerateams im Rahmen der Berichterstattung über Protestaktionen gegen den IWF buchstäblich hautnah zu spüren: Journalisten wurden zusammengeknüppelt; Fernsehteams von WDR und ZDF machten mit dem Schlagstock Bekanntschaft; etwa 25 Journalisten wurden von der Polizei eingekesselt.
All das, meine Damen und Herren, waren keine menschlichen Fehlleistungen einzelner Polizeibeamter, kein menschliches Versagen, sondern die Einschränkung der Pressefreiheit. Dies hat der Berliner Senat zu verantworten. Wer wie der Oberpolizist Kewenig öffentlich erklärt, die Pressefreiheit müsse schon mal gegenüber den Einsatzplänen der Polizei zurückstehen, der verrät ein zutiefst antidemokratisches, polizei- und obrigkeitsstaatliches Verständnis von Freiheitsrechten der klassisch-preußischen Tradition aus dem vorigen Jahrhundert.
({2})
Frau Kollegin, ich würde Sie bitten, daß Sie einmal über einige Ihrer Vokabeln nachdenken. Sie sind eigentlich eines Ordnungsrufes würdig; aber es lohnt sich nicht.
({0})
Herr Abgeordneter Gerster, Sie haben das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rechtsstaat hat sich selbstverständlich die Polizei an Recht und Gesetz zu halten. In der Demokratie unterliegt natürlich der Einsatz der Polizei auch der öffentlichen Kontrolle. Es ist keine Frage, daß das, was dort in Berlin geschehen und zu verantworten ist, im Berliner Abgeordnetenhaus genau zu kontrollieren, zu gewichten und zu werten ist und daß natürlich Konsequenzen zu ziehen sind, wo dies notwendig ist. Das ist nicht Sache des Bundestages.
Es geht hier, um das deutlich zu sagen, darum, über das Ungeheuerliche zu reden, was im Umfeld dieser Tagung mit Verantwortung der GRÜNEN veranstaltet worden ist.
({0})
Frau Olms hat nicht über mehr als 100 Anschläge im Umfeld dieser Tagung geredet; sie hat nicht von dem Mordanschlag gegen Herrn Tietmeyer geredet;
({1})
sie hat nicht von einem Szenario geredet - ich werde Ihnen gleich ein Beispiel geben -, das geboten wurde, um diese Tagung mit Gewalt zu verhindern.
({2})
Ich darf hier einige Zitate anbringen. So haben die Autonomen bereits im September 1986 in einem Blatt geschrieben:
Wir sollten die zwei Jahre Vorbereitungszeit als Prozeß begreifen. Es ist klar, daß für uns alle im Herbst '88 Berlin angesagt ist.
Das gleiche Blatt schrieb im März 1987:
Unser Vorschlag: Verhindern wir den Kongreß ... Verhindern heißt, ihnen klar zu zeigen: Es wird keine Prestige-Tagung ... werden.
Dann heißt es wörtlich weiter:
... und das wird nicht in ungestörter Harmonie verlaufen.
In diesem Chor befinden sich die GRÜNEN, die in ihrem Blatt „Imperialismus Konkret" geschrieben haben:
IWF und Weltbank haben in dieser Stadt mehr Namen und Anschriften als das Tagungsbüro auf dem Messegelände, das schon einmal Ziel eines Brandanschlages war.
Meine Damen, meine Herren, in diesem Konzert befinden sich die GRÜNEN mit der Zeitung „IWF/ Weltbank - Zahltag". Hier lauten Überschriften: „Demonstration Karl-Marx-Straße", „Menschenjagd in der City" , „Adler-Blockade am Kudamm". Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes sind Sie, Frau Olms.
Ich will einmal vorlesen, was Sie in dem Blatt schreiben:
Wir wollen uns bei KaDeWe, Wertheim und BILKA ... treffen zwecks „Kaufhausbegehung", um dort unsere Phantasie walten zu lassen. Zum Beispiel: Waren aus Südafrika und Israel besprühen, Flugis verteilen, unsichtbares Theater spielen, Detektive ärgern, das Durcheinander nutzen, um uns die Taschen zu füllen,
- Aufruf zum Kaufhausdiebstahl Sicherungsetiketten abknipsen, Kassen sabotieren und vieles mehr.
Meine Damen, meine Herren, das ist hier passiert. Sie, Frau Olms, sind auf Kosten des Bundestages als offizielles Delegationsmitglied zu dieser Tagung mitgefahren, um dann auf den Straßen gegen diese Tagung anzuheizen. Zahlen Sie zunächst einmal die Kosten, die Sie verursacht haben, zurück. Sie haben nämlich
Gerster ({3})
den Bundestag mißbraucht, um hier mobil zu machen.
({4})
Meine Damen, meine Herren, selbstverständlich war, ist und muß die Pressefreiheit garantiert bleiben. Selbstverständlich ist die Polizei an Recht und Gesetz gebunden. Aber hier ist doch nicht die möglicherweise vorhandene Panik einzelner Polizisten vor Ort oder mögliches Fehlverhalten, das wir hier nicht feststellen können, das, wenn es festgestellt wird, aber auch zu Konsequenzen führen muß, zu verantworten, sondern hier ist doch festzustellen, daß Sie sich nicht nur wie die Alternative Liste in ihrem Wahlprogramm jetzt wieder für die nächste Berliner Abgeordnetenwahl zur Gewalt bekannt haben,
({5})
sondern daß Sie versucht haben, eine internationale Konferenz auch unter Anwendung von Gewalt zu stören und zu verhindern. Sie haben sich zu verantworten. Darüber, was in bezug auf die Polizei geschehen ist, wird im Berliner Abgeordnetenhaus zu reden sein.
({6})
Aber Sie haben sich hier für eine Politik doppelter Schritte zu verantworten: daß Sie hier den Eindruck demokratischen Verhaltens erwecken und dort auf den Straßen mit Autonomen auf den Rechtsstaat, auf die Demokratie und auf die Pressefreiheit anlegen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Sonntag-Wolgast.
Eine Vorbemerkung, Herr Gerster: So ganz haben Sie, glaube ich, das Thema dieses Morgens nicht begriffen. Sie haben schon eine pauschale Schuldzuweisung betrieben, um die es hier heute bei diesem Thema nicht geht.
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! In der Diskussion über die Vorgänge bei der IWF-Tagung gibt es einen erschreckenden Schlüsselsatz - ich muß ihn noch einmal erwähnen - des Herrn Kewenig, den wir hier sitzen sehen. Man kann diesen Satz nicht oft genug wiederholen - er ist bisher undementiert, Herr Kewenig - : Am Tatort muß dann auch mal die Pressefreiheit zurückstecken. Das ist ja nun weit mehr als ein lockerer Rat nach dem Motto: Lassen wir mal Fünfe gerade sein!
({0})
Da setzt jemand vielmehr ein Kernstück unseres Grundgesetzes zumindest zeitweilig mal so eben außer Kraft, und das können wir einem Politiker nicht hingehen lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, Journalistenverbände, Gewerkschaften, Beteiligte und Betroffene berichten
ja in jüngster Zeit immer öfter, daß sie bei Demonstrationen behindert, beschimpft, angegriffen werden, nicht nur - aber auch - in Berlin. Ich will sagen, nicht dem einzelnen Beamten ist das vorzuwerfen, wohl aber politisch Verantwortlichen, die, wie in Berlin geschehen, den Polizisten raten - ich zitiere das - , „verstärkt in Eigeninitiative zu handeln", und ihnen zugleich versichern - noch einmal zitiert -, „daß auftretende Fehler in jedem vertretbaren Maß durch Polizeiführung und Politik gedeckt werden".
({2})
Das ist nicht Anweisung und Aufklärung, das ist vielmehr ein Persilschein für mögliche Übergriffe, ausgestellt in dem Bestreben, sich etwa bei internationalen Kongressen vor aller Welt als glänzender Organisator zu brüsten.
({3})
Ich meine schon, da verbreitet sich ein Geist, der die Anwesenheit der Medien bei sogenannten heiklen Anlässen als lästiges Störmanöver brandmarkt, und das darf in einer Demokratie nicht passieren. Es kann sein, daß diese Rechnung vordergründig und kurzfristig aufgeht, aber die Bundesrepublik verspielt damit dann das Recht, sich mit gutem Grund über Eingriffe in die Demonstrations- und Pressefreiheit anderswo zu ereifern, sei es in Chile oder Polen, sei es in Südafrika oder Ost-Berlin, worüber wir gestern debattiert haben.
Polizisten haben die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit zu schützen, aber auch das Demonstrationsrecht und die freie Berichterstattung, auch unbequeme Kritik, dürfen eben nicht als Ärgernis empfunden werden. Sie dienen vielmehr dem öffentlichen Interesse und der Aufklärung. Wir Sozialdemokraten haben in aller Schärfe die Anschläge auf Staatssekretär Tietmeyer und Ingomar Hauchler verurteilt. Wir erinnern aber auch daran, daß die friedlichen Gegenveranstaltungen zum IWF-Kongreß das Bewußtsein und das Wissen über die rigorose Politik der Industriestaaten gegenüber der Dritten Welt vielleicht mehr geschärft haben als die vielen offiziösen Verlautbarungen zusammengenommen.
({4})
Ich weiß sehr wohl, daß Reporter keine Engel sind und sich gelegentlich mit rabiaten Methoden Bild- und Tonmaterial besorgen.
({5})
Und der Konkurrenzkampf wird stärker. Gerade diejenigen,die sich jetzt besonders über das Blitzlichtgewitter erregen, haben immer gesagt, daß die vielen, vielen privaten Programme kommen sollen, und sie haben damit dem Konkurrenzkampf der Medien Tür und Tor geöffnet. Wir wollen das nicht vergessen.
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Wenn Journalisten schlecht arbeiten, dann kann man sie kritisieren wie jeden anderen Berufsstand auch, und das passiert ja auch. Aber es geht nicht an, daß Foto- und Filmdokumente je nach Gusto beurteilt werden. Zum Beispiel rangiert das, wenn sie Fehler der Polizei zeigen, gern unter sensationslüsterner Ver6932
zerrung, in anderen Fällen beschlagnahmt man Filmmaterial aber als authentische Grundlage für juristische Ermittlungen. Auch das ist jetzt mit ZDF-Material in Berlin geschehen. In dieser Atmosphäre, die sich da ausbreitet, müssen wir das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten stärken und ausbauen, statt es auszuhöhlen.
({7})
Noch eins: Die Übergriffe der Polizisten müssen geklärt und geahndet werden, gerade auch im Interesse der vielen anderen Beamten, die sich einwandfrei und besonnen verhalten haben. Das haben sie verdient. Pauschale Polizistenschelte können wir uns da ebensowenig leisten wie undifferenziertes Schimpfen auf die angeblich so sensationslüsterne Journaille. Schlichtweg unerträglich finde ich die Äußerung, Knüppelschläge gehörten zum Berufsrisiko des Reporters.
Eine Schlußbemerkung. Dem Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit wäre wohl besser gedient, wenn der Bundesinnenminister für die Waffe des freien Wortes kämpfen würde und nicht für die Anschaffung privater Pistolen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern konnte man im Fernsehen einen Ausschnitt aus der unglaublich beeindruckenden Rede von Ernst Reuter sehen: „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt! " Wir müssen dafür sorgen, daß Berlin ein Symbol der Freiheit, ein Anziehungspunkt für viele Menschen und eine weltoffene Stadt bleibt. Dazu brauchen wir nicht die Ermahnung des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Jackson; das machen wir und das Abgeordnetenhaus von Berlin selber.
({0})
Wenn man einmal selbst Verantwortung für große polizeiliche Einsätze getragen hat, dann verfolgt man mit großem Unbehagen die Diskussionen, die sich hinterher immer darstellen.
({1})
Hat man zuviel Polizei hingestellt, dann wird über „grüne Wochen" gehöhnt; hat man zuwenig Polizei hingestellt und es passiert etwas, dann sagen alle: Warum hat sich dieser Innenminister bzw. dieser Innensenator nicht darauf eingestellt? Unglaublich; der Mann ist unfähig und muß zurücktreten.
Nach polizeilichen Ereignissen findet man immer nur Leute, die es besser wissen bzw. besser gewußt haben. Das geht nicht! So kann man weder mit politisch Verantwortlichen noch mit der Polizei umgehen. Die Polizei ist weder verantwortlich für die Lösung politischer Probleme, noch ist sie eine Art Ausfallbürge für nicht geleistete politische Arbeit. Die Polizisten sind keine Übermenschen, sondern es sind Leute, die man provozieren kann, und sie sind auch keine Propheten, die wissen, ob etwas passiert oder nicht.
Die Polizei hat einen Anspruch darauf, daß sie politisch da geschützt und gestützt wird, wo sie nach pflichtgemäßem Ermessen handelt. Die Polizei muß wissen, daß die Bewertung ihrer Handlungen immer im Licht der gegebenen Einsatzsituation erfolgt, und nicht aus nachträglicher Besserwisserei und schon gar nicht von denen, die die Handlungen selber provoziert haben.
({2})
Die Polizei muß schließlich aber auch wissen, daß sie sich ohne zu zucken an die geltenden Gesetze zu halten hat und daß gerade diese Tatsache die eigentliche Überlegenheit und die Stärke des Rechtsstaates ausmacht.
In Berlin hat es wirklich beachtliche Provokationen gegeben. Die Berliner Polizei befand sich in einer schwierigen Situation. Viele tausend zu schützende Gäste und Personen waren in Berlin. An Herausforderungen hat es nicht gefehlt. Damit meine ich nicht den Gegenkongreß des IWF, ich meine nicht friedliche Demonstrationen, sondern ich meine massive Übergriffe und Gewaltausübungen und auch den Aufruf dazu. Ich habe hier ein ganzes Dutzend von Flugblättern mit empörenden Aufrufen. Es gab körperliche Angriffe, Belästigungen, Verletzungen von Gästen und Besuchern des Kongresses und maßlose Beschimpfungen der eingesetzten Polizeibeamten. Das ist die eine Seite.
({3})
Wir sagen auf der anderen Seite aber ebenso, daß wir die Äußerung des Innensenators, die Pressefreiheit müsse eben mal zurücktreten, nicht akzeptieren können. Wir sagen auch, daß wir schockiert sind von den Fernsehbildern, die zeigen, daß Polizeibeamte auf Berichterstatter zugehen und die Hand vor die Objektive halten, wie wir es bisher nur aus Ostblockstaaten gesehen haben. Es wird von etwa 50 Übergriffen rechtswidriger Art in Berlin gesprochen. Wir erwarten vom Senat, daß er ohne jede Vorbehalte das Abgeordnetenhaus dabei unterstützt, diese Vorgänge ebenso aufzuklären wie die Straftaten, die gegenüber der Polizei und gegenüber den Gästen des Währungsfonds begangen worden sind.
Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, daß ohne jede Rechthaberei und ohne Überheblichkeit im Urteil dafür gesorgt wird, den Ruf Berlins als eine freie und weltoffene Stadt zu erhalten.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
({0})
Der Kollege Graf fehlt auch noch!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte einen anderen Einstieg wählen. Ich bin der Auffassung, daß
Sie, der Gesetzgeber, solche Vorkommnisse, die wir in West-Berlin erlebt haben, zuläßt und geradezu fördert, und zwar nicht nur durch die Ablehnung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten, sondern auch durch solche Äußerungen, wie sie Herr Gerster und Herr Hirsch hier gemacht haben.
Ein Beispiel: In Hamburg stellen sich zwei Zivilbeamte am Schanzenviertel hin und locken irgendwelche Menschen heraus. Hinter den Mauern stehen mehrere Gruppenkraftfahrzeuge, und beim ersten Versuch geht das fehl. Statt dessen benutzen diese Beamten die Schußwaffe, geben Warnschüsse ab. Trotzdem passiert nichts. Beim zweitenmal klappt es, beim drittenmal nicht.
Zweites Beispiel: Drei Gruppenfahrzeuge werden ohne Sinn und Verstand mit Blaulicht an die Hafenstraße gestellt, damit sie angegriffen werden. - Provokation, Herr Hirsch.
Drittes Beispiel: Berufskollegen verprügeln Berufskollegen. Sie kennen die Beispiele inzwischen reihenweise.
({0})
Ich selbst war mit einem in der Studiengruppe, der übelst von Kollegen krankenhausreif geschlagen worden war. Diese Kollegen wurden zum Glück, ausnahmsweise, verurteilt.
1 800 Berufskollegen berauben Hunderte von Mitbürgern und Mitbürgerinnen ihrer Freiheit - und keiner merkt es? Keine Remonstration. Nichts, Herr Hirsch. - Was macht die Politik? Was machen Sie bei solchen Dingen?
Mehrere tausend Berufskollegen helfen mit, einen verfassungs- und rechtswidrigen Landfrieden durchzusetzen. - Denken Sie an das Brokdorf-Urteil. Und keiner merkt es? Keine Schlußfolgerungen werden daraus gezogen.
In Hamburg werden nach einer Solidaritätsdemonstration Taxen demoliert.
Allgemein bekannt ist, daß Provokateure in Demonstrationen mitlaufen. In Berlin - natürlich wieder in Berlin! - , am Potsdamer Platz, bewegen sich welche aus dem Demonstrationszug raus, zünden Bauwagen an und begeben sich sofort hinter die Polizeilinie. Jeder hat es gesehen. Was passiert? Nichts. Sprechblasen, so wie heute hier. Statt dessen wird daraufhin CS-Gas in die Gruppen geschossen.
Und was noch viel gravierender ist: Sie nehmen solche Dinge nur noch zur Kenntnis, wir können das nur noch angemessen diskutieren, wenn Journalisten in dieser Weise traktiert werden. Über die Hunderte von Verletzten in Berlin, „normale" Mitbürger/innen, spricht doch außer Frau Olms - hier vorhin - gar keiner mehr. Was haben wir denn inzwischen für Zustände in der Bundesrepublik Deutschland,
({1})
daß sich ein Innensenator Kewenig bereits in den Bereich der Strafvereitelung begibt? Denn so dumm kann er nicht sein, daß er nicht mitbekommen hat, was seine Beamten vor Ort gemacht haben. Es wurde geprügelt, es wurde getreten, es wurde an den Haaren
gerissen, es wurde mißhandelt von Polizeibeamten in der Bundesrepublik Deutschland.
Und was passiert, wenn Beamte selbst so etwas kritisieren? Dann werden sie kaltgestellt. Die Anzeigenerstatter werden verfolgt. Die machen inzwischen Spießrutenlaufen.
Ein weiteres Beispiel, Herr Hirsch, Nordrhein-Westfalen gibt der Innenminister Schnoor: Das ist zwar harmlos, der Kollege landet nicht in der Gosse, aber als Kritiker wird er zwangsumgesetzt und degradiert. Ich meine den Kollegen Manfred Such. Das ging gerade dieser Tage durch die Gazetten.
({2})
Es gibt sehr unterschiedliche Äußerungen. Sie machen sich selbst und auch der „deutschen" Polizei vieles kaputt, wenn Sie sich bei vergleichbaren Vorfällen so unterschiedlich verhalten, also auf der einen Seite zu Ost-Berlin, auf der anderen Seite zu West-Berlin.
({3})
Herr Ronneburger sagte gestern, in West-Berlin sei es um die Abwehr angekündigter Gewalt gegangen, und deswegen sei das nicht vergleichbar, sei das Verhalten der Kollegen in West-Berlin eher tolerierbar. Das ist es gerade deshalb nicht, weil wir hier den Anspruch auf Rechtstaatlichkeit erheben. Dies ist um so verwerflicher, weil man sich intern bei den Polizeien ganz anders strategisch und taktisch darauf hat einstellen können. Was sind denn das für Gewichte, die hier diskutiert werden?
Es gibt aber auch ein paar vernünftigere Äußerungen, so z. B. von Herrn Blens aus der CDU/CSU: „Wenn wir hier nicht Laut tun", hat er gestern gesagt, „könnte das in der DDR mißverstanden werden" . Da hat er recht. Deswegen müssen wir Laut tun zu den Dingen, die dort gemacht worden sind. Wir müssen aber genauso zu dem Laut tun - das geht vor allem an Sie - , was in der Bundesrepublik Deutschland in sogar gravierenderer Weise in diesem Vergleich geschehen ist.
Ich verstehe auch nicht, wieso es nicht möglich sein kann, so wie heute morgen in den Zeitungen und gestern in Rundfunk und Fernsehen über die Aktuelle Stunde von gestern lesen oder hören zu können: „einvernehmlich von allen Fraktionen verurteilt! " - Wieso ist das nicht möglich, daß wir so etwas morgen lesen, Herr Hirsch, Herr Gerster? Oder laufen Sie blauäugig durch die Gegend?
Herr Kollege, die Redezeit ist zu Ende.
Abschließend ein Satz, Frau Renger. Zitat aus der Pressemitteilung der Bundesregierung zu den Vorfällen in Berlin:
Dieses Vorgehen steht in krassem Gegensatz zu den Bestimmungen der KSZE-Schlußakte .. .
Und nun ist es zu Ende.
... und verstößt gegen die Vereinbarungen . . .
Ich kann mich diesem Satz voll anschließen, meine Damen und Herren. Ich hoffe, auch Sie.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Zeitlmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema dieser Aktuellen Stunde heißt: Besorgnisse im In- und Ausland über die Wahrung der Presse- und Demonstrationsfreiheit aus Anlaß der IWF-Konferenz.
Was hat stattgefunden? Wir hatten vor diesem Kongreß ein Attentat auf einen Staatssekretär. Wir hatten zahlreiche Aufrufe in der Öffentlichkeit, in Presseorganen, zur Gewalt. Ich glaube, jeder in diesem Land hat die prickelnde Situation, die Bedrohungssituation vor dieser Tagung in Berlin gespürt.
Was war konkret in Berlin? Wir hatten 8 800 Polizeibeamte, wird uns gesagt. Wir hatten 12 000 Gäste in Berlin. Es gab 1 600 akkreditierte Presseleute.
Wenn hier davon die Rede ist, daß es eine grenzenlose Pressefreiheit gäbe - diesen Eindruck möchte man manchmal haben - , so ist das objektiv falsch. Jeder Grundgesetzkommentar weist Ihnen zum Thema Pressefreiheit aus, daß es eine Schranke gibt. Selbst im Presseausweis oder auch in der Vereinbarung zwischen dem Presserat und der Innenministerkonferenz ist ganz deutlich gesagt, daß es Aufgabe der Journalisten ist, einen Polizeieinsatz nicht zu behindern.
Nun hört man, daß es gegen eine Kollegin oder gegen Vorstandsmitglieder der GRÜNEN sogar zwei Strafanzeigen aus Anlaß der Demonstrationen in Berlin gibt,
({0})
weil sie vehement beleidigt hätte - es ist Ihre Kollegin Frau Ditfurth -, Polizeibeamte „alte Schlampe", „hysterische Ziege", „kaputte Frau" genannt haben soll. Im übrigen soll sie einen Presseausweis haben. Ich frage mich: Woher kommen diese Presseausweise?
({1})
Wo sind diese Herrschaften alle beschäftigt? Die „taz" schreibt in einem Artikel am 8. Oktober 1988 unter der Überschrift „Moderne Zeiten" und dem Untertitel „Schiedsrichter an die Wand" u. a.:
Schon gibt es nur noch ganz wenige Linke in der Stadt, die keinen Journalistenausweis haben.
({2})
- Satire hin, Satire her: Solange die Pressefreiheit bei uns von Ihnen offensichtlich mißbraucht wird, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn in Einzelfällen auch mal von seiten der Polizei versucht wird, diese
Presseleute zurückzudrängen, die Schranke, der auch die Pressefreiheit unterliegt, zu beachten.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine ganz objektiv, wer die Geschehnisse in Berlin heute Revue passieren läßt, der muß feststellen, daß es weder eine Bedrohung der Pressefreiheit noch eine Einschränkung irgendwelcher Freiheitsrechte gegeben hat.
({4})
Es ist problematisch, 12 000 Gäste sicher zu bewahren. Ich stehe völlig zu dem, was der Kollege Hirsch sagt: daß man hinterher immer schlauer ist. Einzelvorfälle, die bei Hunderttausenden von Einsatzstunden vorkommen, überzubetonen, das kann nicht unsere Aufgabe sein. Ich sehe überhaupt keine Berechtigung, über eine Gefährdung von Freiheitsrechten in Deutschland besorgt zu sein.
({5})
Ich sehe allerdings die Gefahr, daß Sie sich weiterhin nicht von der Gewalt distanzieren. Das, was der Kollege Gerster gegen Sie, Frau Olms, hier vorbringen konnte, ist unglaublich:
({6})
daß Leute, die in politischer Verantwortung hier im Plenum sitzen, die Gewalt forcieren.
Ein letztes an die Adresse der SPD. Ich finde Ihren Artikel in „PPP" vom 4. Oktober, wo dem Herrn Innensenator Kewenig SA-Manier vorgeworfen wird, genauso unhaltbar. Sie sollten die Gelegenheit nehmen, diese Dinge hier klarzustellen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Berliner Innensenator hat einige Wochen vor der IWF-Tagung gesagt, daß das Verhalten und das Auftreten der Polizei während dieser Tagung eine Gratwanderung werden würde und daß die politischen Vorgaben zum Schutz dieser Tagung nicht einfach sein würden. Man kann im nachhinein feststellen - das ist keine nachträgliche Besserwisserei -, daß diese Gratwanderung weitestgehend nicht gelungen ist. Der Innensenator ist nicht allein wegen der schwierigen und schlimmen Vorfälle im Verlauf von Demonstrationen und wegen des Verhaltens einzelner Polizisten vom Grat abgestürzt, sondern vielmehr deswegen, weil er nicht in der Lage war, die Kritik und die Auseinandersetzung, die sich daran entzündeten, vernünftig zu bewältigen. Wenn heute eine sehr erregte Debatte über Pressefreiheit und Behinderung von Presseleuten im Verlauf von Demonstrationen stattfindet, hat das sehr viel damit zu tun, wie Sie, Herr Senator, hinterher aufgetreten sind
Wartenberg ({0})
- unabhängig davon, was während der Einsätze der Polizei tatsächlich geschehen ist.
Es war unumstritten, daß die Polizei umfängliche Vorsorgemaßnahmen für die IWF-Tagung treffen mußte. Da gibt es gar keine Zweifel. Aber es ist festzustellen - wie es auch ein Berliner Journalist ausdrückte - , daß es zwischen polizeilicher Präsenz und einer Heerschau, die weniger abschreckend als erschreckend auf den Bürger wirkt, Abstufungen gibt, die eine kluge Polizeiführung zu beachten hätte.
Im direkten Einsatz während der IWF-Tagung sind die versprochenen guten Vorsätze ganz offensichtlich über Bord gegangen. Vielleicht waren die guten Vorsätze auch nicht so ganz ernst gemeint. Berichte über eine massive Behinderung der Arbeit von Journalisten hat es eigentlich nach einer internationalen Tagung in Deutschland noch nie gegeben. Diese Vorgänge sind einmalig.
Die Vorwürfe von Pressevertretern gegenüber dem Senat können jedoch von den Konservativen und von Ihnen nicht abgetan werden nach dem Motto „Das kommt von den notorisch linken Nörglern" . Dies geht weit bis ins konservative journalistische Lager hinein, die als Zeugen für das Verhalten von Polizei und politischer Führung dieser Stadt auftreten.
Übergriffe gegen Journalisten und Behinderungen der freien Berichterstattung sind ja bekanntlich kein Kavaliersdelikt, sondern schwere Verstöße gegen unsere verfassungsmäßige Ordnung. Es handelt sich dabei nicht nur um unzulässige Einschränkungen der Pressefreiheit, sondern in jedem Fall auch um die rechtswidrige Gewaltanwendung gegen Unschuldige und Unbeteiligte. Insofern muß man wohl feststellen, daß die Vorfälle von vor über einer Woche dem Ansehen Berlins geschadet haben.
Angesichts der Unterdrückung der freien Berichterstattung im Ostteil unserer Stadt muß gerade in WestBerlin der Umgang mit der Presse besonders korrekt und sensibel sein.
({1})
Wer immer nur den Splitter im Auge des anderen sieht, wird bald nicht mehr in der Lage sein, den Balken bei sich selbst wahrzunehmen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die Vorgänge in Ost-Berlin und in West-Berlin gleichsetzen, aber ich halte die Vorgänge in West-Berlin für uns für dramatischer als das, was in Ost-Berlin passiert.
({2})
Es ist nämlich relativ simpel, einem Regime, von dem wir alle denken, daß es nicht demokratisch ist, nachzuweisen, daß es gegen die Pressefreiheit verstößt. Wenn wir aber in unserem eigenen Selbstverständnis davon ausgehen, daß die Pressefreiheit einer der wesentlichen Grundsätze und eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für die Demokratie ist, dann müssen wir diese Vorgänge, und mögen es auch nur kleinste Störungen in diesem Sektor sein - diesmal waren es größere - ganz besonders heftig kritisieren und uns besonders intensiv damit auseinandersetzen,
übrigens viel intensiver als mit dem, was in Ost-Berlin geschieht.
({3})
Die Äußerung von Senator Kewenig, daß die Pressefreiheit am Tatort schon einmal zurückstehen muß, ist eine Aussage, die dann nicht zur Verwunderung führt, wenn Beamte in einer komplizierten Einsatzsituation zu Journalisten sagen: Art. 5 des Grundgesetzes ist im Augenblick außer Kraft. Da zeigt sich die Wirkung, die Ihre Äußerungen auf teilweise verunsicherte junge Beamte haben. Die handeln nicht nur aus der Situation, sondern in einem ganz bestimmten Klima. Dieses Klima, das Sie in dieser Auseinandersetzung mit geschaffen haben, hat bestimmt mit zu Fehlverhalten geführt.
Ich meine, es wäre nicht so schwierig, nur über diesen Vorfall zu sprechen, wenn nicht beispielsweise schon am 1. Mai der Berliner Polizei ein Vorgehen nachzuweisen gewesen wäre, bei dem sie sogar ihre eigenen Vorgesetzten verprügelt hat.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Es ist offensichtlich an der Tagesordnung, daß bei der Berliner Polizei Fehlverhalten vorkommt. Deswegen kann ich Ihnen nur raten: Treten Sie jetzt schon zurück, Herr Kewenig; Sie stehen das nicht mehr lange durch.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Klein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Daß die Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Berlin trotz der fanatischen, langfristig geplanten und teilweise mit menschenverächterischer Gewalt ausgeführten Gegenaktionen weitgehend reibungslos verlaufen ist und zu eindrucksvollen Ergebnissen für die Entwicklungszusammenarbeit mit den Menschen in der Dritten Welt geführt hat, ist zu einem beträchtlichen Teil dem pflichtbewußten und aufopferungsvollen Einsatz der Polizei zu danken.
({0})
Nicht die Demonstrationsfreiheit war während der letzten Septemberwoche in Berlin gefährdet, sondern auf Grund mißbrauchter Demonstrationsfreiheit die Bewegungsfreiheit, ja Leib und Leben Tausender ausländischer Gäste, hauptsächlich aus der Dritten Welt.
({1})
Auch die Informationsfreiheit und die Meinungsfreiheit sind, wenn ich an das Massenaufgebot von Medienvertretern bei den Demonstrationen denke und an die überproportionale, teilweise von giftiger Einseitig6936
keit gekennzeichnete detaillierte Demonstrationsberichterstattung, nicht eingeschränkt gewesen.
({2})
- Ich bin selbst Journalist von Beruf, Herr Kollege Lutz, und ich habe mir bis heute die ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber behördlichen Behinderungen oder Einschränkungen journalistischer Arbeit bewahrt.
({3})
Aber für mich wie für die überwiegende Mehrheit meiner alten Berufskollegen ist jene Form der sensationsorientierten oder parteiergreifenden Zusammenarbeit mit Gesetzesbrechern,
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wie sie im Spätsommer dieses Jahres bei dem tödlichen Geiselspektakel geübt wurde, nicht annehmbar;
({5})
auch dann nicht, wenn der Bruch des Gesetzes politisch motiviert ist. Sollte es in Einzelfällen gleichwohl gesetzlich unzulässige Einschränkungen oder Behinderungen gegeben haben, so ist das auf rechtsstaatlichem Wege zu klären und gegebenenfalls zu ahnden.
Aber da wird unter ausdrücklichem Hinweis auf seine Rolle bei der Weltbank- und IWF-Tagung ein Mordanschlag auf Finanzstaatssekretär Tietmeyer verübt, da kleben - vielfach seit Jahresfrist - Mordaufrufe gegen die Tagungsteilnehmer an Wänden und Bauzäunen in Berlin, da werden von den einschlägigen Organisationen Handlungsanweisungen zur Gewalt in großer Auflage zirkuliert, da brennen während der Tagung Bankniederlassungen, da gehen Schaufenster- und Wohnhausscheiben in Trümmer, da werden Kraftfahrzeuge angesteckt, da wird eine junge Polizistin eingekesselt, nackt ausgezogen und halb totgeschlagen,
({6})
da werden unsere Besucher aus den Ländern der südlichen Erdhälfte, wo die Gastfreundschaft heilig ist, durch Gewaltdemonstrationen so eingeschüchtert, daß sie sich nicht trauen, einen Einkaufsbummel zu unternehmen. Es gehört schon ein unglaubliches - wenn im Falle der GRÜNEN auch niemanden erstaunendes - Maß an Unverfrorenheit dazu, dieses Hohe Haus als Plattform für Ihre Sympathisantenrolle zugunsten der Gewaltszene zu mißbrauchen.
({7})
Die Gruppen, als deren parlamentarischer Arm DIE GRÜNEN sich hier aufspielen, haben den positiven Eindruck des öffentlichen Engagements vieler seriöser Organisationen für die Menschen in der Dritten Welt zerstört.
Der Erziehungsminister eines marxistischen schwarzafrikanischen Landes, dessen Schwägerin
von gewalttätigen Demonstranten tätlich angegriffen worden war, beschwerte sich bitter bei mir: „Diese ungewaschenen Typen" - so seine wörtliche Formulierung - „behaupten, für unsere Interessen einzutreten. Woher kennen die unsere Interessen? Solche Verbündeten ekeln uns an."
Ich schließe mich diesen Worten an.
({8})
Letzteres war ein Zitat.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Da sprach ein Minister und ein Journalist, der anderen Giftigkeit und Einseitigkeit vorwirft und der hier eine Fülle von Behauptungen aufgestellt hat, die ich leider nicht nachprüfen kann. Aber die Rede war giftig. Sie war einseitig. Sie hat das Thema verfehlt.
({0})
Meine Damen und Herren, wer will bestreiten, daß es in früheren Jahren für einen Staat einfacher war, als Gastgeber großer Tagungen und international beachteter Veranstaltungen zu agieren? Man heimste die Ehren und die öffentliche Beachtung ein. Das ist ein Grund, warum sich die Staaten auch heute noch um eine Gastgeberrolle reißen. Heute trüben Protestdemonstrationen die Gastgeberfreuden. Heute ist bei internationalen Großveranstaltungen bedauerlicherweise nicht auszuschließen, daß auch die Terrorszene mitmischen will. Also hat der staatliche Gastgeber von heute auf dünnem Eis zu wandeln: Er muß für den störungsfreien Verlauf der Veranstaltung und für die Sicherheit seiner Gäste sorgen, und er muß als Garant der Freiheitsrechte seiner Bürger eben auch diese garantieren.
Die Innenminister und -senatoren sind um ihre Aufgabe sicher nicht zu beneiden. Einige reagieren besonnen, andere hektisch und nervös. In Berlin erlebten wir einen Innensenator in hektischer Aktion. - In hektischer Aktion; ich will das einmal zu seinen Gunsten annehmen.
In Bonn haben wir wiederholt einen Landesinnenminister erleben dürfen, der sich noch allemal Großveranstaltungen und Großdemonstrationen - seien sie nun nationaler oder internationaler Art - gewachsen zeigte. Für den einen mag dies eine Frage des unterschiedlichen Temperaments sein. Für uns ist es eine Frage der Eignung für dieses schwierige Amt. Und dies ist nicht zuletzt - es sei vielmehr an allererster Stelle genannt - eine Frage der Staatsauffassung und der demokratischen Gesittung.
({1})
Was will ich damit sagen? Der oberste Verantwortliche bestimmt mit seinem Wissen, seinen Überlegungen, seinem Verhalten letztlich auch das Verhalten der Polizeibeamten an der Demo-Front. Ein hypernervöser, allzusehr auf die Staatsgewalt pochender und die ebenfalls zu schützenden Freiheitsrechte der Bürger zeitweise verdrängender Senator löst allein durch sein Vorbild Konfliktsituationen aus, die dann nur schwer zu beherrschen sind.
({2})
Fehlerhaft programmierte Einsatzleiter, falsch motivierte Zugführer können vor Ort nicht jenen kühlen Kopf bewahren, der von ihnen eigentlich erwartet werden muß.
Wen wundert es dann, daß Polizisten durchdrehen und was sonst noch alles geschehen ist? Ich kann nicht beurteilen - die wenigsten Kollegen hier in diesem Saal können das -, was in der aktuellen Situation notwendig und was nicht notwendig war. Aber eines weiß jeder von uns: Der demokratische Staat darf auch in einer schwierigen Situation bei Ausübung der Staatsgewalt die Fesseln, die ihm die Verfassung auferlegt, nicht sprengen oder zeitweilig suspendieren.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben gestern, ebenfalls in einer Aktuellen Stunde, über die jüngsten Einschränkungen von Meinungsfreiheit in der DDR lebhaft und, wie ich meine, mit Recht Klage geführt. Wir haben heute, so denke ich, eigentlich einvernehmlich zu bekräftigen, daß wir auch bei uns ein zeitweiliges Außerkraftsetzen der Pressefreiheit nicht dulden.
({4})
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß sich weder tatsächlich noch optisch die Bilder in den beiden Teilen Berlins und überall sonst in der Bundesrepublik gleichen, und zwar nicht etwa deshalb nicht, weil der journalistische Augenzeuge erfolgreich am Berichten gehindert werden konnte.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Senator für Inneres, Herr Dr. Kewenig ({0}).
Senator Dr. Kewenig ({1}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz zwei Fragen nachgehen. Die erste lautet: Hat die Polizei etwa ihre eigentliche Aufgabe - die schwierigste, die sie in Berlin nach dem Kriege hatte - vernachlässigt, um sich statt dessen prügelnd und verfolgend mit der Presse auseinanderzusetzen? Das ist die erste Frage, der ich nachgehen möchte.
Ich möchte hier mit allem Ernst und mit aller Deutlichkeit sagen: Das, was der Polizei hier unterstellt wird, ist schlicht und einfach falsch. Die 8 800 Polizeibeamten, die über Tage im Einsatz waren, haben sich grundsätzlich und generell in jeder Situation ihrer
Aufgabe gewachsen gezeigt und haben sich auch der Presse gegenüber, den 1 600 akkreditierten Journalisten und den vielen anderen gegenüber, die noch in der Stadt waren, perfekt und ordentlich verhalten, meine Damen und Herren.
({2})
Ich darf vielleicht einmal eine Zahl nennen, weil Sie, Herr Hirsch, von 50 offenbar rechtswidrigen Aktionen der Polizei gegen Journalisten gesprochen haben. Ich darf hier nur sagen: Insgesamt liegen bei Polizei und Staatsanwaltschaft heute 17 Anzeigen vor; von diesen 17 Anzeigen sind 5 von Journalisten. Nach einem so großen Einsatz über zehn Tage ist also das Ergebnis: Es liegen 17 Anzeigen - über die Anzeigen selber kann ich hier nichts sagen, auch über die Qualität der Anzeigen nicht - vor, und davon sind nur 5 Anzeigen von der Polizei.
({3})
- Von Journalisten, Entschuldigung. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: Das pauschale positive Urteil, das ich dem pauschalen negativen Urteil bestimmter Presseorgane und bestimmter Politiker entgegensetze, kann und soll natürlich nicht verhindern, daß wir den Beschuldigungen in jedem Einzelfall, der uns vorgelegt wird - in jedem Einzelfall! - , nachgehen.
({4})
Und ich versichere hier: Wenn ein Polizeibeamter die ihm vom Rechtsstaat gesetzten Grenzen verletzt hat, dann werden dem nicht nur die Staatsanwaltschaft und die Gerichte nachgehen,
({5})
sondern dann werden auch wir, d. h. die Polizei und die Innenverwaltung, diesen Dingen mit disziplinarischen Maßnahmen nachgehen.
({6})
Nur, ich wehre mich dagegen, meine Damen und Herren, daß hier pauschal von einer großen Hetzjagd der Polizei gegenüber der Presse gesprochen wird.
Zwei Beispiele werden da immer wieder zitiert: einmal die berühmte Frau, die von der Polizei offenbar dreimal mit dem Kopf auf das Pflaster gestoßen worden sein soll. Meine Damen und Herren, ich stelle hier fest - wir haben den Film alle gemeinsam gesehen - : Diese Anschuldigung ist schlicht und einfach falsch. Der Film belegt diese Anschuldigung nicht.
({7})
Zweiter großer Vortrag: wir hätten einen Polizeikessel gebildet, 25 Journalisten seien 20 Minuten lang in einem Polizeikessel gewesen. Meine Damen und Herren, wir haben einen Film. Sie alle sind aufgerufen, sich diesen Film anzusehen.
({8})
Senator Dr. Kewenig ({9})
Wir haben ihn auch im Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses gezeigt.
({10})
Er zeigt ganz eindeutig, daß es keinen Polizeikessel gegeben hat. Da aber die Presse und auch bestimmte Abgeordnete nicht bereit sind - selbst wenn sie die Wahrheit sehen -,
({11})
ihre vorherigen falschen Behauptungen zu korrigieren, haben wir dann das wunderbare Wort von dem nach zwei Seiten offenen Polizeikessel erfunden, um wenigstens über diesen Vorgang noch weiter sprechen zu können.
({12})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch etwas zu einem zweiten Thema sagen, nämlich zu der Frage: Welchen Stellenwert hat die Pressefreiheit in Berlin, und zwar in unserem Teil Berlins? Ich möchte dazu, und zwar auch im Namen der Polizei, hier feststellen: Wir wissen wirklich - und wir wissen es nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch -, daß die Pressefreiheit eines der konstitutiven Elemente unserer freiheitlichen Demokratie ist. Wir sind stolz auf sie und wissen, daß die Polizei die Aufgabe hat, die Pressefreiheit nicht zu schützen, sondern - ({13})
- Wunderbar, Entschuldigung. - Wir wissen, daß die Polizei die Aufgabe hat, die Pressefreiheit und ihre Ausübung zu schützen und nicht zu behindern. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie uns mit dem Ostteil der Stadt immer in einen Topf werfen: Das ist der große Unterschied, und wir sind stolz darauf, daß es diesen Unterschied gibt.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte Sie darauf hinweisen - Sie lesen ja ab und zu auch im Grundgesetz -, daß Art. 5, der die Pressefreiheit garantiert, auch einen Abs. 2 hat. Und in diesem Abs. 2 heißt es: „Diese Rechte" - nämlich das Recht der Pressefreiheit - „finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, ..."
({14})
Das heißt, ganz konkret auf den Punkt gebracht: In einer schwierigen polizeilichen Situation muß der junge Polizeibeamte - nicht der große Abgeordnete oder ein Verfassungsrechtler - eine Entscheidung treffen, eine Güterabwägung vornehmen, wie es im konkreten Fall aussieht: ob er agieren kann und die Grundrechtspositionen schützt, die hinter seiner polizeilichen Tätigkeit stehen, Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum von Rechtsgenossen, oder aber ob er sich zurücknehmen muß und der Pressefreiheit den Vortritt läßt.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist es meines Erachtens vollkommen klar, daß
- das können Sie überall nachlesen - die polizeiliche Arbeit vorgehen muß. Die Presse kann die polizeiliche Arbeit zwar beobachten, aber die Polizei kann ihre schützende Funktion nicht außer Kraft setzen, auch nicht nur für einen Moment, weil die Damen und Herren Pressereporter etwas festhalten wollen.
({15})
Nur in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist meine viel zitierte Äußerung zu sehen. Ich darf sie Ihnen einmal vollständig vorlesen; Sie können sie im „General-Anzeiger" ja nachlesen. Ich habe im „General-Anzeiger" auf die Frage „Wie halten Sie es denn mit der Pressefreiheit?" gesagt:
Ich lege großen Wert darauf, daß die freie Berichterstattung gewährleistet ist. Wir werden jedem einzelnen Konfliktfall nachgehen. Nur: Wenn Pressevertreter die Arbeit der Polizei behindern, kann es zu Konflikten kommen. Am Tatort muß dann auch schon mal die Pressefreiheit zurücktreten.
Jawohl, meine Damen und Herren, ich stehe zu diesem Zitat, und ich wiederhole es hier.
Im polizeilichen Einsatz kommt, auch wenn man die Pressefreiheit verteidigen will, zunächst die Arbeit der Polizei,
({16})
dann kommt der Journalist, der diese Arbeit begleitet.
({17})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen, indem ich hier noch einmal mit allem Ernst und aller Deutlichkeit folgendes feststelle: Wir - das heißt, die Polizei und alle für die Sicherheit in WestBerlin verantwortlichen Menschen - betrachten es als unsere erste und vornehmste Aufgabe, Bürgerrechte einschließlich der Pressefreiheit zu verteidigen. Wir lassen uns dabei von niemand den Rang ablaufen.
({18})
Wir verteidigen allerdings mit Besonnenheit und Konsequenz diese Bürgerrechte auch gegenüber denjenigen, die bewußt - ich wiederhole: bewußt - Mißbrauch mit diesen Bürgerrechten betreiben. Nicht jeder, der Gott ständig im Munde führt, ist deshalb ein besonders guter Christ.
({19})
Hüten wir uns vor allem vor den Pharisäern unter uns!
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalisch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Olms, es ist schon
Deutscher Bundestag - 1 i. Wahlperiode Kalisch
eine tolle Sache, wenn Sie hier als Abgeordnete des deutschen Volkes - ich muß es fast in Anführungsstriche setzen -({0})
zu Straftaten aufrufen und dann hier noch Zwischenrufe machen. Wissen Sie: Eigentlich ist es die Sache nicht wert; denn zu dem Verhalten eines Kollegen, der es nicht einmal für nötig hält, sich bei einer Totenehrung vom Platz zu erheben, meine ich, daß er einen ganz besonders starken Haß auf alles haben muß, was sich hier abspielt. Ich bedaure das sehr.
Der Kollege Wartenberg hat sich hier sehr sachlich eingelassen. Dennoch bin ich ein wenig traurig, daß auch hier parteipolitische Dinge eine Rolle spielen; denn er selber muß wissen, wie es aussieht. Stellen Sie sich vor, daß, wenn die Feuerwehr zu einem brennenden Haus anrückt, die Presse im Wege steht. Da wird die Feuerwehr nicht erst die Presse abfertigen und dann an das Haus heranfahren! Es gibt doch Situationen, meine Damen und Herren, in denen einiges nicht zu vermeiden ist, um die Sicherheit und die Ordnung zu bewahren. Das kann doch kein Mensch leugnen.
({1})
In diesem Sinne war die Äußerung des Senators zu verstehen.
Frau Kollegin Sonntag, Demonstrationsfreiheit und Pressefreiheit sind für uns unverzichtbare Grundrechte. Sie sind auch für uns Kernstücke - wie Sie sagen - eines freiheitlich demokratischen Staates. Demonstrationsfreiheit und Pressefreiheit verlangen gerade wegen ihres hohen Wertes eine besonders sensible Behandlung. Das gilt für alle, aber auch wirklich für alle, die an Demonstrationen teilnehmen, sowohl für die, die die Demonstrationen sichern, aber auch für diejenigen, die darüber berichten.
({2})
Gerade die Berliner Polizei - ich kann das weiß Gott aus Erfahrung sagen - hat viele Beispiele dafür gegeben, daß sie diese Grundrechte im Einsatz immer gewahrt hat und daß sie diese Grundrechte nicht nur gewahrt, sondern auch verteidigt hat. Demonstranten, die ihr Gesicht maskieren oder gewalttätig gegen Polizei und andere Bürger oder deren Eigentum vorgehen, mißbrauchen diese Grundrechte und schaden der Demokratie.
({3})
Nun, zur IWF-Tagung und Weltbank-Tagung. Man stelle sich vor, meine Damen und Herren: Vom 15. bis 30. September gab es ca. 1 000 Veranstaltungen, dazu 80 Gegenveranstaltungen. Man stelle sich vor: wochenlanges Trommelfeuer gegen diese Tagung, wochenlanges Trommelfeuer: „IWF Berlin verhindern", das war die Parole. Es gab noch andere sehr schöne und sehr eindrucksvolle Parolen, indem gesagt wurde: „IWF Mördertreff". Das sind so richtige psychologische Situationen, Frau Olms, die Sie als Abgeordnete des deutschen Volkes geholfen haben mitzuschaffen und durch die Sie den Boden so richtig in Ihrem Sinne zu bereiten versuchen.
Was heißt das aber für diejenigen, die für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlich sind? Das heißt eine umfassende Vorbereitung und Sicherung aller Aktivitäten in dieser Zeit und in der Stadt, das heißt, sich auf alle möglichen Situationen vorzubereiten, das heißt für alle Beteiligten Einsatz rund um die Uhr. Wer könnte - nun frage ich Sie einmal wirklich aus dem vernünftigen Menschenverstand heraus - in einer solchen Situation eine Spannung total ausschließen? Ich habe, soweit es mir zeitlich möglich war, die Berichterstattung verfolgt und dabei festgestellt, daß hier sehr unausgewogen berichtet wurde. Sie haben das ja selbst gesagt, Frau Kollegin Olms: Man sah in der Dunkelheit zwar die hell angestrahlten Polizisten, nicht aber die randalierenden Steinewerfer.
({4})
Sie haben sicherlich Phantasie genug, sich in die Psychologie dieser Szenerie hineinzudenken. Aber auch die Resonanz - damit will ich zum Schluß kommen; hier leuchtet schon wieder das Zeichen - vieler Bürger hat gezeigt, daß das Verhalten der Polizei positiv beurteilt worden ist. Ich darf einen ganz kurzen Beitrag zitieren. Es sagt ein Bürger:
Wer vertritt aber eigentlich die Bürger, die ständig durch die vielen Demonstrationen und die damit verbundenen Straßensperrungen in ihren Grundrechten eingeschränkt werden, den Autofahrer, der auf dem Heimweg von der Arbeit im Stau steht oder riesige Umwege in Kauf nehmen muß, den Fußgänger, der seine Einkäufe oder sonstigen Erledigungen nicht durchführen kann oder sonst stark behindert wird?
Zitatende.
Und auch Ihre Redezeit, Herr Kollege.
Auch diese Verpflichtung - -({0})
Herr Kollege, ich muß alle ermahnen.
Jawohl. - Allen gebührt Dank, der Polizei und Berlin. Berlin hat sich als internationale Kongreßstadt bewährt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nur Ruhe, meine Damen und Herren, ich versuche, allen gerecht zu werden. Es ist nicht immer so einfach.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Bernrath das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gern nehme ich das Wort von Herrn Dr. Hirsch auf, daß wir hier nicht rechthaberisch miteinander sprechen sollten, sondern uns bemühen sollten, uns dadurch näherzukommen, daß wir nachdenklich über diese Ereignisse sprechen, daß wir Folgerun6940
gen ziehen und uns gemeinsam darauf einstellen, aber nicht giftige Reden austauschen.
Der Anlaß, meine Damen und Herren, die IWF-Tagung und das, was dazugehörte, waren ausreichend Anlaß zu Demonstrationen, zu friedlichen Demonstrationen. Die unsägliche Schuldenlast der vielen Völker, die damals auf Berlin schauten, Völker, die sich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit befinden, berechtigt uns nicht nur zu diesem friedlichen Protest - sie macht ihn geradezu notwendig,
({0})
wenn wir Folgerungen aus dem ziehen wollen, was wir mitverantworten. Die Demonstranten, die friedlich blieben, haben uns sozusagen ins Gewissen demonstriert. Solche friedlichen Demonstrationen zu behindern, Berichte darüber unmöglich zu machen, kann auch nicht mit Provokationen gerechtfertigt werden.
({1})
Natürlich ist es Provokation, Frau Kollegin Olms, wenn Sie sagen: Laßt eure Phantasie walten! - Das ist nichts anderes als Aufforderung zur Gewalt.
({2})
Sehr viel deutlicher haben Sie es einige Zeilen weiter gesagt, wo Sie dazu auffordern, öffentlich Fahnen zu verbrennen. Da heißt es: Plündert Supermärkte und Kaufhäuser, enteignet, löst Feuermelder aus und und und. Das ist nichts als Aufforderung zu Gewalt,
({3})
nicht Waltenlassen von Phantasie. Die Phantasie, die wir haben, sollten wir walten lassen, um das friedliche Miteinander zu sichern, nicht um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen.
({4})
Darum meine ich, daß in der Tat Besonnenheit erforderlich ist, wenn wir versuchen, diese Ereignisse ohne Rechthaberei aufzuarbeiten und daraus Folgerungen zu ziehen. Ein aufgeheiztes Klima, Herr Senator, ist allerdings nicht geeignet, Besonnenheit zu praktizieren. Wer das Klima aufheizt, verliert seinerseits Souveränität,
({5})
und wer nicht souverän handelt, wer gerade als ordnende Gewalt nicht souverän handelt, kann auch nicht mehr besonnen Polizei einsetzen, der kann nicht Taktik auf sachliche, auf tatsächliche, auf aktuelle Notwendigkeiten abstimmen, der provoziert seinerseits und erleichtert das Brechen der Gesetze, der erleichtert es, sich von der Verfassung zu entfernen.
Darum noch einmal meine Bitte - Ihre Bitte, Herr Hirsch, wiederholend - , nicht rechthaberisch miteinander umzugehen, jede Provokation zu vermeiden, zur demokratischen Ordnung zu stehen und damit gemeinsam zu versuchen, den Menschen, um die es in Berlin ging, die von der Schuldenlast gedrückt sind, zu helfen, das öffentlich zu machen und damit in der Tat handlungsfähig zu werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.
Ich will erst einmal die von Herrn Gerster den GRÜNEN vorgeworfenen Brandanschläge und den Anschlag auf Tietmeyer zurückweisen. Es ist absurd, solche Vorwürfe hier auszusprechen. Wir haben mit diesen Anschlägen nichts zu tun. Das ist Ihnen auch ganz klar. Nur um der billigen Polemik willen wurden diese Sachen hier in Ihre Rede mit eingebaut.
({0})
Zum anderen will ich Ihnen noch ein bißchen Belehrung geben: „Verantwortlich im Sinne des Presserechts" heißt nicht, für alles verantwortlich zu sein, was dokumentiert wird. Hier wird auch wieder einmal ganz deutlich, was Sie unter Presserecht verstehen und wie Sie sich auskennen.
({1})
- Kann ich einmal weiterreden?
Ich komme jetzt zu einem weiteren Verstoß von Herrn Kewenig. Die politische Führung in Berlin stellte den Polizeikräften eine Art Freibrief für ihre verstärkten Eigeninitiativen - wie es in einer polizeilichen Dienstanweisung, die ich auch dabei habe, heißt - aus. Auftretende Fehler, also auch illegale, rechtswidrige Einsätze und Übergriffe der Polizei, würden, so heißt es in dieser Anweisung, in jedem vertretbaren Maß durch Polizeiführer und Politik gedeckt. Meine Damen und Herren, das Skandalöse daran ist, daß diese Dienstanweisung bereits vor den Polizeieinsätzen herausgegeben wurde. Die illegalen und rechtswidrigen Übergriffe der Polizei gegenüber Presse und Demonstranten wurden vom verantwortlichen Innensenator also voll gebilligt. Dies allein würde schon die Rücktrittsforderung rechtfertigen. Die Pressefreiheit ist also vorsätzlich zu Teilen außer Kraft gesetzt worden, ein Vorgang, der nicht nur in Diktaturen oder in Ost-Berlin, sondern leider auch in West-Berlin möglich ist.
Meine Damen und Herren, in West-Berlin sind Aktionen gegen die Pressefreiheit durchgeführt worden, die - ich zitiere aus der Protesterklärung der Nachrichtenagenturen und Journalisten - „in der ganzen Welt Befremden und Abscheu hervorgerufen haben und für jede Demokratie völlig unakzeptabel sind" . Dem ist nichts hinzuzufügen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Olms, so billig kommen Sie hier damit nicht weg!
({0})
Sie sind die Mitverfasserin von Aufrufen, die wirklich schlimm sind. Wir haben dort ein Flugblatt, das in der Tat anonym ist, aber doch aus derselben Gesellschaft kommt.
({1})
Wir haben ein Flugblatt, in dem geschrieben wird: Für den Angriff auf die Infrastruktur Berlins!
({2})
- Ich komme gleich darauf; eine Sekunde. - Für schlimme Bilder vor den Kameras der Weltpresse!
Wo ist denn nun Ihre Stellungnahme zu diesen unmaskierten Aufrufen zur Gewalt? Woher nehmen Sie die moralische Berechtigung, sich hier über Handlungen der Polizei aufzuregen, wenn Sie selber nicht ein einziges Wort dazu finden, in welch empörender Weise in Berlin zu Straftaten, zur Gewalt, zur Provokation
({3})
und zur Plünderung aufgerufen worden ist? Wo ist Ihre Stellungnahme dazu? Tun Sie so, als ob es das nicht gegeben hat? Sind Sie davon vollkommen frei? Haben Sie damit überhaupt nichts zu tun? Gar nichts? Diese Fragen müssen Sie beantworten. Vor allen Dingen müßten Sie sich diese Fragen einmal selber stellen, ehe Sie hier im Plenum eine derartige Rede halten.
Ich wollte eigentlich nur ein paar Worte zu dem sagen, was Sie, Herr Senator, hier ausgeführt haben. Zunächst einmal: Wir finden es wirklich hervorragend, daß Sie sich dieser Debatte hier stellen. Denn zu einem Teil tun wir ja das, was eigentlich im Berliner Abgeordnetenhaus debattiert werden müßte, wahrscheinlich sehr viel sachkundiger, sehr viel näher an den Tatsachen, um die es dabei geht.
Es kann gar keine Frage sein - da folgen wir Ihnen - , daß der Polizeieinsatz unter äußerster politischer Gefährdung stand, daß die Einsatzlage außerordentlich kompliziert war und daß die Polizei dort mit einer wirklich empörenden Provokation zu tun hatte. Das ist alles unbenommen.
Nicht folgen können wir Ihnen aber bei Ihren Bemerkungen über die Pressefreiheit. Sie haben recht, daß die Pressefreiheit unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht. Aber es gibt kein Gesetz etwa darüber, daß die Polizei die Pressefreiheit oder die Berichterstattung bei einem Einsatz ausschalten könnte.
({4})
Ich rede nicht von Journalisten, die die Polizei behindern. Ich rede nicht von Journalisten, die sich selber polizeiliche Handlungen anmaßen, was ja auch vorgekommen ist, nicht in Berlin, aber in Köln. Vielmehr rede ich z. B. von den Filmberichterstattern, die - wie
man sehen konnte - im Abstand von dem Polizeieinsatz tätig waren. Und dann geht ein Polizeibeamter auf einen zu und hält die Hand vor das Objektiv. Ich denke an Polizeieinsätze der Berliner Polizei in Bayern, wo eine ganze Reihe von Strafverfahren eingestellt worden ist, weil die Polizeibeamten nicht identifiziert werden konnten.
Ich habe das dunkle Gefühl, daß die Handlungsweise einzelner Beamter, die man sehen konnte, mit auf die Vorstellung zurückzuführen ist: Ich möchte bei dieser oder jener Handlung nicht erkannt werden.
Deshalb sage ich Ihnen zu dieser etwas zufriedenen Art der Darstellung, die Pressefreiheit müsse einmal zurücktreten: Die Pressefreiheit muß nicht zurücktreten. Der Journalist darf polizeiliches Handeln nicht behindern. Die Pressefreiheit braucht nicht zurückzutreten und darf es nicht.
Mein Appell und der Appell unserer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an Sie lautet, auf den Geist der Polizei gerade in Berlin sorgfältig zu achten, daß sie dem Ruf gerecht wird, daß Berlin eine freie Stadt ist und eine freie Stadt bleiben muß.
({5})
Die letzte Wortmeldung, Herr Abgeordneter Gerster ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde lautete : „Besorgnisse im In- und Ausland über die Wahrung der Presse- und Demonstrationsfreiheit ...". Ich glaube, man sollte am Ende dieser Aktuellen Stunde feststellen: Die Pressefreiheit war, ist und bleibt in diesem Lande natürlich garantiert, und auch und ausgerechnet in West-Berlin. Darum wurde das, was mit dieser Aktuellen Stunde beabsichtigt war, von den GRÜNEN natürlich nicht erreicht, und Sie können sicher sein, daß das auch die Öffentlichkeit so sehen wird.
({0})
Zweite Feststellung: Natürlich hat das Berliner Abgeordnetenhaus, haben Staatsanwaltschaften und Gerichte in Berlin z. B. auf Grund der Anzeigen zu überprüfen, ob es Fehlverhalten von Polizisten gegeben hat. Wir haben das volle Vertrauen, daß dies in aller Klarheit und Deutlichkeit ohne Ansehen von Personen korrekt geschieht, wie es der Demokratie und dem Rechtsstaat entspricht.
Dritte Bemerkung: Wir möchten angesichts der Tatsache, daß über 8 000 Polizeibeamte über Tage, zum Teil rund um die Uhr, im Einsatz waren, daß über 1 000 Veranstaltungen zu sichern waren, daß, wenn ich es recht weiß, über 12 000 ausländische Gäste zu schützen waren, doch feststellen, daß es im Hinblick auf 17 Strafanträge nicht zulässig ist, hier zu verallgemeinern. Wir haben allen Grund, der Polizei, der Einsatzleitung in Berlin und auch dem Innensenator dafür
Gerster ({1})
zu danken, daß diese Tagung ohne größere Gefährdungen über die Bühne gehen konnte.
({2})
Um die Relationen deutlich zu machen: Niemand mußte auf Grund polizeilicher Eingriffe in Krankenanstalten stationär behandelt werden. Es gab hier Dinge, die zu klären sind. Aber das Bild, das hier vermittelt wird, als wären Leute verletzt, körperlich schwer geschädigt worden, trifft ganz offenbar nicht zu.
Unklar ist und bleibt einzig und allein - das hat Kollege Hirsch noch einmal deutlich gemacht - die Rolle, die die GRÜNEN im Verhältnis zur Gewalt und im Verhältnis zu Gewaltaktionen in Berlin gespielt haben und offenbar noch spielen. Bitte denken Sie daran, was Ihr Wirken hervorrufen kann. Immerhin sind Sie als Fraktionen in Parlamente gewählt. Immerhin vertreten Sie deutsche Wähler. Immerhin sind Sie aufgerufen, am Weiterbau dieser Demokratie und an der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats mitzuwirken. Bitte denken Sie daran, wie es wirken muß, wenn Mitglieder Ihrer Fraktion unverblümt zur Gewalt aufrufen und sich unverblümt an Aktionen gewalttätiger Art beteiligen.
({3})
Sie können sicher sein: Wenn Sie dieses Beispiel nicht gäben, wären mit Sicherheit auch keine Polizeieinsätze in dieser Größenordnung notwendig, wie sie in Berlin leider Gottes notwendig waren.
({4})
Das heißt, die Verantwortlichkeit für diese Vorgänge liegt auch bei Ihnen, auch die politische Verantwortlichkeit.
Ich bin der Meinung, wir sollten hier klar festhalten, Herr Senator Kewenig: Natürlich haben Sie das zu tun, was Ihre Pflicht ist, was die Aufklärung betrifft. Natürlich haben wir gemeinsam der Masse der Polizeibeamten zu danken. Natürlich haben wir für das zu danken, was, Herr Minister Klein, auf dieser Tagung beraten und besprochen worden ist, letzten Endes im Interesse der Menschen in der Dritten und Vierten Welt, denen diese Tagung helfen wollte.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Beer, Dr. Lippelt ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einstellung der Tiefflüge der Bundesluftwaffe in Ntesinan ({1})
- Drucksache 11/2354 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einstellung von Tiefflügen
- Drucksache 11/2866 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Beer, Dr. Lippelt ({2}), Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einstellung von Flugveranstaltungen Abschaffung von Tiefflügen
- Drucksache 11/2904 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunkts eine Stunde vereinbart worden. - Kein Widerspruch; so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer kurzen Debatte erörtern wir heute im Deutschen Bundestag den Antrag der SPD-Fraktion, die Bundesregierung und die NATO aufzufordern, rasch ein Verteidigungskonzept zu erarbeiten, daß den Verzicht auf militärische Tiefflugübungen endgültig möglich macht. Bis zur Verwirklichung eines solchen Konzepts soll in unserem Land auf Tiefflüge der Luftwaffe verzichtet und nachdrücklich auf die Alliierten eingewirkt werden, ihre militärischen Tiefflüge einzustellen bzw. in ihre Länder zurückzuverlagern.
({0})
Wir diskutieren damit einmal mehr das Thema, das wie wenig andere Themen in unserer Republik die Menschen bewegt, ja erregt. Die Bevölkerung empfindet sich zunehmend durch Tiefflugübungen aller Art unzumutbar belastet, vor allem in den sogenannten Tiefstfluggebieten bis hinab zu 75 m Flughöhe. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger haben den Eindruck, daß diese Belastung stärker geworden ist. Es darf nicht bei 68 000 Stunden Tief- und Tiefstflügen im Jahr und bei dem dadurch erzeugten Lärm und der dadurch hervorgerufenen Angst vor drohenden Abstürzen bleiben.
({1})
Ein spürbare Verringerung wird von der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes übereinstimmend gefordert. Dies ist auch deshalb der Fall, weil verständlicherweise die Katastrophe von Ramstein die Besorgnis gegenüber jedweder Flugbewegung, insbesondere dem Tiefflug, noch einmal verstärkt hat, obwohl zwischen dem Unglück und dem Problem der Tiefflüge kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Die Besorgnis, ja, die Wut der Betroffenen steigt; denn Entscheidendes für die lärmgeplagte Bürgerschaft geschieht bisher nicht.
({2})
Die Maßnahmen des Bundesministers der Verteidigung vom 29. Juli 1988 bewirken dies jedenfalls nicht. Durch diese werden die derzeit 68 000 Flugstunden zu Beginn der 90er Jahre lediglich um 2 000 Stunden, also nicht einmal um 3 % , reduziert.
Im übrigen erklärte auch der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach laut „Stuttgarter Zeitung" vom 3. Oktober erst unlängst, daß sich bei den militärischen Tiefflügen mittelfristig ohnehin nichts ändern werde. Kurzfristig schon gar nicht, kann ich da nur weiter folgern.
Damit wird deutlich: Die Bundesregierung hat die Brisanz des Themas immer noch nicht erfaßt.
({3})
Diese Bundesregierung muß - Herr Kollege Dr. Bötsch, auch Sie sollten das mit aufnehmen - endlich erkennen, daß es heute eine neue Qualität des Protestes gegen Fluglärm und Flugschauen gibt.
({4})
Unsere Bevölkerung, meine Damen und Herren, hat ein Recht darauf, daß sich der zuständige Verteidigungsminister endlich für die Ängste und Sorgen unserer Bürger aufschließt.
({5})
Zu Recht schreibt der „Mannheimer Morgen", ein sicherlich nicht sozialdemokratisches Blatt:
({6})
Der Verteidigungsminister reagiert auf die Proteste weiter in einer Art und Weise, wie man lästige Bittsteller abwehrt.
Die Zeitung meint weiter, daß das überholte konservative operative Denkschema der Militärs aufgebrochen werden müsse. Darum geht es sicherlich auch.
Doch zuerst, meine Damen und Herren, sind die Politiker gefragt.
({7})
Wir tragen die Verantwortung für die Tiefflüge; denn dem militärischen Vollzug liegt der Verteidigungsauftrag der Politik zugrunde. Diesen Auftrag für die Streitkräfte den veränderten Gegebenheiten anzupassen, ist das Anliegen des vorliegenden SPD-Antrags.
({8})
Der Inhalt dieses Antrags ist die Konsequenz unseres Dialogs mit vielen Bürgerinitiativen und kommunalen Interessengemeinschaften gegen militärische Tiefflüge überall im Land. Er ist die Folgerung aus den zahllosen Petitionen, die uns erreicht haben. Er entspringt der Auseinandersetzung mit juristischen wie medizinischen Gutachten. Er folgt den Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung. Er zieht Konsequenzen aus der bisherigen Arbeit des Untersuchungsausschusses des Verteidigungsausschusses „Militärischer Fluglärm/Truppenübungsplätze". Er nimmt auch das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt auf und ist schließlich nicht zuletzt das Resultat der einfach nicht abreißenden Unfallserie bundesdeutscher wie alliierter Militärflugzeuge. Erst gestern stürzte wieder ein amerikanischer Düsenjäger bei Hahn in Rheinland-Pfalz ab - Gott sei Dank diesmal ohne Menschenopfer.
Wir glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach allem nicht, daß wir uns weiter in alten Geleisen bewegen dürfen. Wir brauchen ein neues Verteidigungskonzept der NATO, das es erlaubt, auf militärische Tiefflüge zu verzichten. Selbst ein höhenmäßiger Kompromiß, z. B. durch teilweisen Verzicht auf Tiefflüge unter 300 Meter, hilft nicht, da dies nicht der Tiefflug ist, der zur ursprünglichen Auftragserfüllung notwendig ist.
Darüber hinaus ist es nicht zu verantworten, unsere Flugzeugbesatzungen den hohen psychischen und physischen Anforderungen des Tiefflugs im Manöver und im Auslandstraining auszusetzen. Daß damit Auswirkungen auf die Flugsicherheit überhaupt verbunden sind, versteht sich dabei von selbst. Wer denkt eigentlich an die Familien unserer fliegenden Besatzungen, die in ständiger Sorge leben? Also bleibt als schlüssige Folgerung nur die sofortige Einstellung aller Tiefflüge.
({9})
Nach sorgfältigem Abwägen kommen wir zu dem Schluß, daß wir aus Verteidigungskonzepten aussteigen müssen, die nicht imstande sind, erhebliche Beeinträchtigungen, Schädigungen und Gefährdungen der Bevölkerung auszuschließen.
({10})
Zu Recht formuliert dazu ein Parteitagsbeschluß der SPD von Münster - ich zitiere - :
Während sich die Einsicht immer mehr durchsetzt, daß unter den Bedingungen der modernen Technostruktur hochindustrialisierter Länder weder konventionelle noch nukleare Kriege führbar oder gar gewinnbar sind, müssen die Folgerungen für eine zivilisationsverträgliche und konsensfähige Landesverteidigung in Friedenszeiten erst noch gezogen werden.
Sicherheitspolitik darf nicht bei der Landesverteidigung aufhören, sondern muß vielmehr zu einer umfassenden Vorsorgepolitik werden. Dazu gehört es, daß eben nicht schon im Frieden durch Tiefflugübungen oder Manöver das beeinträchtigt, beschädigt oder gar zerstört wird, was verteidigt und geschützt werden soll, nämlich die eigenen Bürger und das eigene Territorium.
({11})
Der Grad der Beunruhigung und des Aufgebrachtseins der Bevölkerung wegen der Tiefflugbelastungen und Manöverschäden, z. B. auch aus Reforger '88, hat - das wissen Sie doch alle - ein Ausmaß erreicht, das die Akzeptanz von Verteidigungseinrichtungen der Bundeswehr und der alliierten Streitkräfte insgesamt nachhaltig und irreversibel berührt. Die Argumente für Landesverteidigung zu Luft und zu Land drohen sich angesichts bleibender Gesundheitsschäden, insbesondere für Kinder in den sieben 75-Meter6944
Tieffluggebieten, und angesichts von immer mehr Toten, Verletzten und Sachschäden bei NATO-Manövern umzukehren. Der bisher zweifellos vorhandene Konsens zur Landesverteidigung bei der Bürgerschaft bleibt dabei auf der Strecke. Da nützt es auch nicht viel, wenn der Haushaltsausschuß 100 Millionen DM für Flugbenzin spart; dies ist nur ein symbolischer Akt, wenn für 500 Millionen DM weitergeflogen werden darf.
({12})
Immerhin erkenne ich die Sensibilisierungssteigerung bei der Regierungskoalition an. Beim militärischen Tiefflug kann es aber nur die Konsequenz geben, die Übungen der Luftwaffe sofort einzustellen und die Alliierten aufzufordern, dies auch zu tun.
Es genügt auch nicht, daß uns die Verteidigungsminister Carlucci und Younger ihr Verständnis für die Tiefflugsituation in der Bundesrepublik bekunden. Auch die politisch Verantwortlichen der NATO-Partner müssen einsehen, daß es im Frieden bei uns nicht zugehen darf wie in einem Frontstaat am Vorabend eines Krieges. Hier ist unser Souveränitätsanspruch gefordert, um unsere Interessen durchzusetzen.
({13})
Ein weiteres traditionell angelegtes „Tiefflugkonzept für die Zukunft" , das die Unionsfraktion laut „Welt am Sonntag" vom 2. Oktober 1988 „mit Verteidigungsminister Scholz und Führungskräften der Luftwaffe" erstellen will, darf keine Zukunft haben. Wir brauchen ein Verteidigungskonzept ohne militärische Tiefflugübungen als Grundlage für den Auftrag der Streitkräfte der NATO im Frieden.
Vom Frieden, meine Damen und Herren, sprach auch Siegfried Lenz am vergangenen Sonntag als Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche. Sicher sprach er über die großen Zusammenhänge des Friedens auf der Welt, doch auch im kleineren Zusammenhang mit der Tiefflugproblematik gilt, so meine ich, sein Wort - hören Sie bitte zu, meine Damen und Herren - :
Was wir brauchen, ist eine neue Politik ... Es zeigt sich, daß der Friede, in dem wir leben, aus mehrfachen Gründen unfertig ist, daß wir sozusagen am Rande des Friedens leben.
Sollte uns dies nicht zu denken geben, wenn wir täglich mit Tiefflugübungen zum Schaden der Bürger den Krieg simulieren?
({14})
Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Francke ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema dieses Morgens war Gegenstand einer ausführlichen Debatte, die wir vor ungefähr einem halben Jahr geführt haben. Gegenüber den Fakten, die damals ausgetauscht worden sind, und der Situation, die wir heute haben, gibt es keinerlei neue Erkenntnisse; denn die schrecklichen Zustände oder Umstände von Ramstein und
Nörvenich haben mit dem Generalthema des Tiefflugs nichts zu tun.
Es gehört zu den Erkenntnissen der Mitglieder des Unterausschusses „Tiefflug" aus der Bereisung der angesprochenen Tiefflugzonen, daß trotz der erheblichen Verbesserungen, d. h. der Verminderung der Zahl von Übungen der deutschen Luftwaffe und der durch Minister Professor Scholz getroffenen zusätzlichen Maßnahmen, die Sensibilität der Bevölkerung nicht abgenommen, sondern zugenommen hat. Dafür habe ich menschlich volles Verständnis. Ich möchte aber ausdrücklich der Bemerkung des Kollegen Kolbow widersprechen, der behauptet, es gebe keine Sensibilität auf seiten dieser Bundesregierung. Sie, Herr Kolbow, wissen doch ganz genau, wie es Gott sei Dank auch die Bevölkerung weiß, daß zu Zeiten Ihrer Bundesregierung noch nicht einmal im Ansatz darüber nachgedacht worden ist, wie und wo Tiefflug geübt werden sollte.
({0})
Es ist vor allem auch nichts geschehen, um die Zahl der Übungen zu vermindern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß zu Zeiten der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition, seit 1974 bis mindestens September 1982, also bis zum Übergang der Verantwortung auf Herrn Wörner, die sieben Tieffluggebiete für die deutsche Luftwaffe im Normalfall deaktiviert waren und daß Ihre Bundesregierung diese Tieffluggebiete reaktiviert, die Zahl also erhöht hat?
Tatsache bleibt, daß SPD-geführte Bundesregierungen zu einer tatsächlichen Verminderung in dem heute vorhandenen Umfang von 50 % keine entscheidenden Schritte getan haben.
Wir könnten es uns bei dieser Sachlage, die ich geschildert habe, einfach machen und populistisch entscheiden. Wir werden das aber nicht tun. Dafür möchte ich zwei Gründe nennen.
Erstens. Die erkennbare Entwicklung im Bereich der Luftverteidigung macht es auch in Zukunft notwendig, die Angehörigen der Luftwaffe auf einem hohen Niveau der Aus- und Weiterbildung zu halten.
Zweitens. Sowohl zur Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit wie aber auch zum Schutz der einen Auftrag erfüllenden Piloten der Luftwaffe ist es auch in Zukunft notwendig, Tiefflug in der Bundesrepublik zu üben. Tiefflug wird nicht zum Vergnügen der Piloten veranstaltet. Es ist sogar für Piloten kein Vergnügen, Tiefflug üben zu müssen.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir im übrigen ausdrücklich die Präambel der Entschließung des Bundesrats vom 28. September. Die im Zusammenhang damit konkret erhobene Forderung nach EinFrancke ({0})
stellung von Übungen unterhalb von 300 m kann jedoch derzeit nicht erfüllt werden.
({1})
Meine Damen und Herren, andererseits erwarten wir von der Bundesregierung die Fortführung der Bemühungen in Form eines Bündels von kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen, den derzeitigen Umfang der deutschen Tiefflugübungen, aber auch der Tiefflugübungen der Alliierten in unserem Lande mit dem Ziel einer deutlichen Reduzierung noch einmal zu überprüfen.
({2})
Außerdem erwarten wir, daß die Gespräche mit den Ministerpräsidenten der Länder nachhaltig geführt werden, um zu einer Entzerrung der zur Zeit nur Teilen der Bevölkerung obliegenden Belastungen zu kommen. Nach meinem Verständnis kann es nämlich nicht angehen, daß ein Verteidigungsauftrag der Bundesrepublik Deutschland in den konkreten Auswirkungen nur einem geringeren Teil der Bevölkerung wirklich als Belastung erfahrbar gemacht wird.
({3})
Am Anfang einer folgenden Diskussion muß also eine Diskussion über das Gesamtmengenproblem der zukünftigen Tiefflugübungen stehen, um danach, wie gesagt, durch kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen zu einer anderen Organisation zu kommen. Dazu gehört auch unsere Erwartung, daß die Bundesregierung die Industrie dazu anhält, derzeit noch nicht vorhandene Software-Programme für Simulatoren in Auftrag zu geben, um auch hierdurch Entlastungen zu erreichen, und daß zusätzliche Skyguard-Geräte angeschafft werden. Die vorgenommenen Verlagerungen ins Ausland haben eine wesentliche Reduzierung der Tiefflugübungen in der Bundesrepublik herbeigeführt.
({4})
Wir erwarten, daß diese Bemühungen fortgesetzt werden,
({5})
daß die Angebote der kanadischen Regierung positiv aufgenommen werden.
Es ist im übrigen müßig, auf die Argumente der GRÜNEN einzugehen. Sie sind mehrfach widerlegt worden. Sowohl die kanadische Regierung als auch die Bundesregierung haben bei ihren Verhandlungen und Vereinbarungen eine volle Beachtung der Umweltgesichtspunkte vorgenommen.
Wir erwarten auch, daß die Bemühungen zur weiteren Fortführung von Möglichkeiten in Beja wie in Diecimomano wie aber auch die Verhandlungen auf NATO-Ebene über die Einführung eines zusätzlichen Übungsgebietes in Konia in der Türkei schnell und zügig zu Ende geführt werden.
Was den Antrag zu Flugtagen betrifft: Wir haben einen Untersuchungsausschuß. Dort wird die Praxis ausführlich diskutiert. Einen Handlungsbedarf gibt es nicht, weil der Minister angeordnet hat, daß bis zur
Beendigung der dortigen Arbeiten keine Flugtage mehr durchgeführt werden.
Zusammengefaßt: Die CDU/CSU-Fraktion ist willens, eine gerechte Güterabwägung zwischen dem notwendigen Verteidigungsbeitrag und einer Verminderung der Belastung für die Bevölkerung vorzunehmen. Dazu bedarf es einer sachgerechten Aufarbeitung der Fakten, offener und konstruktiver Gespräche mit unseren Verbündeten und der Zurverfügungstellung erheblicher zusätzlicher Finanzmittel. Im übrigen, meine Damen und Herren, ist durch Vereinbarung der Fraktionen klar, daß sich der Verteidigungsausschuß am 9. November abschließend mit dem Thema beschäftigten wird und dabei dem Plenum auch einen Bericht zustellen wird. Ich darf ankündigen, daß meine Fraktion zum 9. November, zu dem Abschlußbericht für das Plenum einen ausführlichen, detaillierten, konkreten Vorschlag zur Lösung des Gesamtproblems vorlegen wird.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.
Die Anträge und die Diskussionen hier belegen den Versuch, Ramstein/Nörvenich und Tiefflug fein säuberlich zu trennen. Deswegen haben wir das letzte Mal diskutiert, und deswegen müssen wir heute noch einmal extra diskutieren. Aber Tiefflüge und Flugtage hängen zusammen. Durch Tiefflug lernen Piloten das, was sie dann auf solchen Flugschauen darstellen sollen. Dieser Gedanke setzt sich Gott sei Dank auch langsam bei der SPD durch, wie z. B. Herr Scharping in einem Interview in der „Welt" vom 1. Oktober bewiesen hat.
Das Argument, Tiefflug sei ein besonders wichtiges Zeichen der Abschreckung und diene dem Verteidigungsauftrag möchte ich hier widerlegen. Ich möchte dem energisch widersprechen. Das ist längst als Lüge entlarvt; denn die Aufgaben sehen wir in Krisen- und Kriegsgebieten heutzutage, im Irak, wo Giftgaseinsätze geflogen werden, im Libanon, wo israelische Kampfflugzeuge palästinensische Flüchtlingslager bombardieren usw.
Ramstein war ein Unfall von unbewaffneten Tieffliegern. Was aber kann bei den Tieffliegern passieren, die hier drüberrasen und von denen vermutlich ein Drittel mit A-, B- und C-Waffen bewaffnet sind? Darüber macht sich noch niemand Gedanken.
Das heißt also, die Ausbildung und die Übungen der Piloten sind letztendlich eine Vorbereitung zu organisiertem Massenmord an der Zivilbevölkerung.
({0})
Es gibt eine Verbindung zu den sogenannten Abstandswaffen, z. B. den Marschflugkörpern. Von den Tieffliegern sollen praktisch genau die Waffen ersetzt werden, die jetzt wegverhandelt wurden. Da sehen wir schon wieder, was unter dem Begriff Modernisierung und unter dem Begriff Abrüstung zu verstehen
ist, nämlich weitere Aufrüstung und sonst gar nichts.
({1})
Die Bedrohungslüge als Rechtfertigung für die Bevölkerung und als eigene Rechtfertigung wird immer dann herausgeholt, wenn man neue Waffensysteme schmackhaft machen will. Eines der jüngsten Beispiele ist der Jäger 90. Dann wird immer versucht, den Leuten klarzumachen, wie sehr wir doch bedroht sind. Die Bevölkerung glaubt es aber nicht mehr.
Der Begriff Verteidigungsauftrag - was ,,zumutbar" ist, was „erträglich" sein soll - muß definiert werden. Er ist im Grundgesetz - aus der Geschichte der Bundesrepublik heraus - nicht definiert, weil damals klar war, was Verteidigung heißt. Das ist heute auf Grund der neuen Strategien nicht mehr klar bzw.: Es ist klar. Es ist keine Verteidigungsstrategie mehr, es ist eine Angriffsstrategie. Deswegen müssen USA, NATO und Bundeswehr hier einbezogen sein. Denn immerhin werden 60 % der Tiefflüge über dem Gebiet der BRD von den USA durchgeführt.
({2})
Es ist außerdem so, daß selbst Carlo Schmid schon damals im Parlamentarischen Rat gesagt hat: Wer gibt schon zu, daß seine Kriegsvorbereitungen nicht der Verteidigung dienen würden?
({3})
Ich möchte auf ein weiteres Problem hinweisen. Es wird hier immer nur auf Tieffluglärm abgestellt. Ich möchte mit einem Spruch verdeutlichen, daß es nicht nur um Lärm gehen kann: Wenn das Vieh im Schlachthof wüßte, was das Geräusch der Knochensäge bedeutet, hätte es sicher andere Sorgen, als das Geräusch der Knochensäge zu dämpfen.
({4})
Ich denke, daß man darüber einmal nachdenken sollte.
Die militärische Entwicklung hat Tiefflüge im militärtechnischen Bereich ebenfalls schon selbst ad absurdum geführt. Durch sogenannte Look down/shoot down-Systeme können Tiefflieger auch unter Radar geortet werden. Zum Beispiel kann mit jeder StingerRakete ein Tiefflieger sofort vom Boden aus leicht heruntergeholt werden. Also: Sowohl von oben als auch von unten lassen sich Tiefflieger ganz leicht bekämpfen. Das dürfte selbst innerhalb der militärischen UnLogik den Un-Sinn in doppelter Weise belegen.
Das heißt also: Weder in der Bundesrepublik Deutschland noch im Ausland noch über See ist Tiefflug notwendig. Die Bevölkerung im In- und Ausland wird vollkommen umsonst gequält, gemartert, terrorisiert, und zwar von Staats wegen. Die Bundesluftwaffe hält sich z. B. gerade in Labrador, wo die Innus ein Gebiet innehaben und wirklich terrorisiert werden, noch nicht einmal an die begrenzten Auflagen der dortigen Regierung. Dabei muß man hinzufügen,
daß die Bundesluftwaffe auf einem Territorium übt, das den Innus gehört
({5})
und das sich die Regierung einfach geklaut hat.
({6})
Das muß man hier einmal ganz klar sagen.
Ich möchte im weiteren die Abstürze erwähnen. Dazu könnte man sehr viel sagen. Die Bundesrepublik ist der Schrottplatz für die Verbündeten. Auf Umweltgefahren will ich nur schlagwortartig hinweisen, da ich nicht sehr viel Redezeit habe. Das Interesse der Rüstungslobby und der Militärs wird hier verfolgt und nicht das der Bevölkerung.
Ich möchte zum Schluß noch sagen: Wir müssen sozial aufrüsten und nicht militärisch. Hier mögen Rechtsgutachten eine beredte Sprache sprechen, die die Gesundheitsschäden der Bevölkerung nachweisen und ganz klar und deutlich belegen.
Ich möchte zum Schluß wörtlich zitieren, was auf unserer Unterausschußreise die versammelten Bürgermeister der Kommunen an Kritik geäußert haben: Wir zahlen Steuern für Terror. Wir wollen in Ruhe und angemessener Würde nach dem Grundgesetz leben. Alles wird menschen- und umweltverträglich gemacht, nur der Tiefflug nicht. Der Minister wird an seinen Amtseid erinnert. Die Grundrechte der Bürger werden verletzt. Verantwortliche verletzen ihren Eid, weil sie die Menschlichkeit nicht berücksichtigen. Ich schäme mich vor meinen Enkeln. Wir sehen nicht ein, daß Sie - nämlich die Parlamentarier - die Kraft für Veränderungen nicht aufbringen. Tiefflug muß abgeschafft werden. Der Minister verstößt gegen den Amtseid und das Grundgesetz. Wenn die Exekutive nichts tut, dann sollte wenigstens die Legislative handeln. Das Parlament hat Verfassung und Recht zu achten. Wenn das Parlament nicht mehrheitlich gegen Tiefflug beschließt, stellt es sich außerhalb der Verfassung.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Es besteht absoluter Handlungsbedarf.
({0})
Soweit die Zitate von Kommunalpolitikern der CDU/ CSU und der SPD vor Ort, vor allen Dingen aber der CDU/CSU!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schluß ihrer Rede hat Frau Schilling
etwas gesagt, dem ich ausnahmsweise einmal zustimmen kann - das ist ein sehr seltendes Ereignis; deshalb möchte ich es nutzen - : Es besteht Handlungsbedarf.
Wir sind uns, Herr Kollege Kolbow, glaube ich, in den Zielen grundsätzlich einig,
({0})
aber Sie haben es auf den Punkt gebracht. Es geht darum, die Bürger in einem höchstmöglichen Maß von Belastungen zu entlasten. Dazu werden wir eine ganze Reihe von Vorschlägen machen. Es gibt einen Unterausschuß, dem Sie vorstehen.
({1})
und der einen entsprechenden Vorschlag machen wird. - Sehr geehrter Herr Müller, ich werde sehr wohl zu dem stehen, was ich im Frühjahr gesagt habe. Das ist eben der Punkt, in dem wir uns unterscheiden.
Ich glaube, wir können uns auch noch dahin gehend einigen, Herr Kolbow, daß wir uns langfristig ein Sicherheitssystem wünschen, bei dem wir so etwas wie Tiefflug nicht brauchen. Aber ich glaube, diese Möglichkeit jetzt an die Wand zu malen, wird dem nicht gerecht, was die Bürger von uns erwarten, nämlich verantwortbare Lösungen jetzt und nicht die Vorwegnahme eines Abrüstungserfolges, den wir uns alle wünschen, der aber bei bestem Willen und bei größter Anstrengung aller Beteiligten wohl noch etwas auf sich warten lassen wird.
({2})
- Wissen Sie, Herr Müller, gerade unsere Fraktion braucht sich keine Vorhaltungen machen zu lassen und keine Lektionen erteilen zu lassen, was Abrüstungsbemühungen angeht. Im Gegensatz zu Ihnen sind unsere Abrüstungsbemühungen aber nicht so, daß wir die zweite Säule der Harmel-Doktrin nur in Sonntagsreden verbraten, sondern wir sorgen dafür, daß die Aufrechterhaltung der Landesverteidigung auf dem Weg zur Abrüstung nicht gefährdet ist.
({3})
- Wenn Sie mich nun mahnen, Herr Müller, zum Thema zu kommen, dann frage ich mich, was Ihre Zwischenrufe sollen. Ich mache mir die Mühe, darauf einzugehen, weil ich sie normalerweise zumindest ernst nehme.
Es sind heute drei recht unterschiedliche Anträge eingebracht worden. Wir haben sie in den Ausschüssen zu diskutieren. Das gibt uns Gelegenheit, gewissermaßen ein Zwischenresümee über die Arbeit des Unterausschusses „Militärischer Fluglärm" zu ziehen. Ob das heute so sinnvoll ist, da wir in der nächsten oder übernächsten Woche die wertenden Zwischenberichte der Fraktionen einbringen, ist eine andere Frage. Aber es ist vielleicht einmal eine gute Gelegenheit darzustellen, daß sich der Problemdruck in der Tat verschärft hat und daß die Sensibilisierung aller
Beteiligten mit Sicherheit gestiegen ist. Das hat teilweise etwas mit Dingen zu tun, die teilweise wiederum nichts mit Tiefflug zu tun haben. Das müssen wir sehr bedauern. Aber es ist ein Fakt.
Daß der Bürger, über den Tiefflüge herüberdonnern, daß der Bürger, der Angst hat, weil er in der Nähe eines großen Chemiewerkes lebt, daß der Bürger, der vielleicht Verwandte unter den Opfern von Ramstein zu beklagen hat, diese Unterscheidung nicht macht, kann ich verstehen. Aber daß verantwortliche Politiker diese Vermischung machen, finde ich wiederum hochgradig unseriös. Wir sollten uns hier bemühen, diese Dinge zu trennen.
({4})
Wenn wir an die Reise des Unterausschusses in die Tieffluggebiete, insbesondere nach Bayern, aber auch in das Sauerland und in das Siegerland denken,
({5})
dann müssen wir feststellen, daß bei dem Bürger das Maß offensichtlich voll ist, daß die Belastung eine Grenze erreicht hat, die nach glaubwürdigen Reduzierungslösungen ruft.
({6})
Diese Erkenntnis ist zumindest bei uns, werte Kollegen von der SPD, nicht neu. Nur: Wir bemühen uns stets um sachgerechte Lösungen, um Lösungen, die in relativ kurzer Frist dem Bürger eine tatsächliche Erleichterung verschaffen,
({7})
Lösungen, die gleichwohl mit dem, was für die Landesverteidigung erforderlich ist, kompatibel sind.
({8})
Aus diesem Grunde hat der Bundesparteitag der FDP am letzten Wochenende ein sehr konkretes umfängliches Maßnahmenpapier zur Reduzierung des Fluglärms vorgetragen.
({9})
Ich werde auf die einzelnen Punkte nicht eingehen, weil sie schon in anderen Beiträgen angesprochen worden sind. Es beginnt mit der forcierten Entwicklung von realistischen Simulatoren, geht über die verstärkte Verlagerung ins Ausland, was allerdings die Schaffung entsprechender Infrastrukturvoraussetzungen und soziale Flankierungen bedingt, über die verstärkte Verlagerung von Luftkampfübungen über See, wo immer die Luft-Boden-Interaktion das zuläßt, bis hin zu vielem anderen mehr. Es geht im übrigen auch um Dinge wie die Verlängerung von Mittagspausen, um eine Verbesserung der Abstimmung mit den Alliierten, um eine bessere Vorbereitung ausländischer Piloten auf die Flugbedingungen hier, es geht um eine Verbesserung der Kontrolle und um eine verbesserte Ahndung dessen, was wir an Verstößen
- Gott sei Dank nur in recht geringem Maße - beobachten müssen.
({10})
Aber wenn man alle diese Maßnahmen durchführt, wird man mit jeder Einzelmaßnahme nur eine, in Prozenten ausgedrückt, relativ geringe Reduzierung der Zahl der Tiefflüge und des damit verbundenen Lärms erreichen. Aber die Summe macht es. Die Summe ist ein relevanter Beitrag zur weiteren Reduzierung. Dabei muß ich wirklich das anerkennen, was die Luftwaffe bereits in den letzten Jahren geleistet und was der Minister im Sommer kurzfristig auf die Schiene gebracht hat. Es ist zweifellos schon etwas geschehen. Einen Effekt im Hinblick auf die subjektive Wahrnehmung einer Tiefflugentlastung oder Lärmentlastung der Bevölkerung werden wir aber wohl nur dann erzielen, wenn wir den Mut haben, den Tieffluglärm zu verteilen. Heute haben wir sieben höchst betroffene Gebiete, in denen die Bürger nicht mehr akzeptieren, daß sie die Last der Landesverteidigung in einem ganz relevanten Bereich, von der wir alle profitieren, einseitig zu tragen haben.
({11})
Wenn das Problem entschlossen angegangen werden soll, kann das Ziel seriöserweise nur so umschrieben werden: Reduzieren so weit, wie irgend möglich, und so weit, wie für die Zwecke der Landesverteidigung verantwortbar; Schaffung von Regeln, die den Tiefflug da, wo er noch erforderlich ist, für die Menchen und die Umwelt erträglich machen; schließlich Entzerren im Sinne eines Modells, daß in der gesamten Bundesrepublik außerhalb der am dichtesten besiedelten oder jetzt schon am meisten belasteten Gebiete nach der Maßgabe geflogen werden darf: Die Bürger wissen nach Ankündigung, daß zwar zwei Monate geflogen wird, anschließend aber zehn Monate Ruhe ist.
Eine solche Lösung schlagen wir Ihnen auch in den Beratungen des Unterausschusses „Militärischer Fluglärm - Lärm der Truppenübungsplätze" vor. Ich glaube, das ist eine realistische Lösung, die gleichwohl noch dem Auftrag unserer Luftwaffensoldaten gerecht wird.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn wir in der sehr sachlichen Arbeit des Unterausschusses „Fluglärm" unter der fairen und sachkundigen Führung des Kollegen Kolbow - der heute seine Pflichtrede hat halten müssen, um vielleicht etwas weniger differenziert als im Ausschuß zuzuschlagen ({12})
genauso wie bisher fortfahren und möglicherweise zu einem Minimalkonsens kommen könnten, der in die Richtung dessen geht, was ich in Umrissen beschrieben habe.
Herzlichen Dank, gnädige Frau.
({13})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Herr Dr. Scholz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf direkt an das anschließen, Herr Hoyer, was Sie eben gesagt haben. Ich habe bei dem Komplex der Tiefflugproblematik bisher den Eindruck gehabt, daß wir im Grunde in der prinzipiell gleichen Einschätzung der Problematik in einer sachlichen Debatte gemeinsam versuchen, die nötigen Kompromisse zu finden. Ich habe, Herr Kollege Kolbow, so die von Ihnen geleitete und von Herrn Hoyer eben zu Recht angesprochene Arbeit im Unterausschuß verstanden. Ich habe so unsere dortige Debatte begriffen. Was Sie heute allerdings gesagt haben, schien mir der Abschied von dieser Arbeit zu sein. Ich hoffe, daß Sie diese Arbeit so wieder mit aufnehmen werden.
Sie wissen, daß ich meinen Teil zu der notwendigen Auffindung des Kompromisses leiste, daß ich im Juli mit verschiedenen Maßnahmen das eingeleitet habe, was ich für zweckmäßig halte,
({0})
was mit Sicherheit erste wichtige Fortschritte bringt.
Die Debatte heute, die Anträge, die vorliegen, zielen doch im Grunde nur auf eines - das ist auch in den Beiträgen der Opposition deutlich geworden - : den Tiefflug generell abzuschaffen.
({1})
- Weil es unverantwortbar ist; ich nehme das Wort von Herrn Hoyer auf. Sie wissen ganz genau - das ist im übrigen auch in den Diskussionen im Unterausschuß deutlich geworden - : Der Tiefflug ist eine notwendige Form der Landesverteidigung. Ich betone das mit allem Nachdruck.
({2})
Ich weise darauf hin, daß unsere Bevölkerung das auch sehr wohl weiß. Ich habe für jeden Menschen in unserem Lande Verständnis, dieses Haus hat - das war heute deutlich spürbar - für jeden Menschen Verständnis, der über die Lärmbelästigung klagt, die mit dem Tiefflug für die Bevölkerung verbunden ist. Aber unsere Bevölkerung weiß auch, was notwendig ist.
In dem Spannungsfeld von verteidigungspolitischer Notwendigkeit und unserer Pflicht, natürlich das zu tun, was geeignet ist, um die Lasten der Bevökerung zu mindern, haben wir sachlich und sorgfältig das an Lösungen zu suchen, was wirklich weiterhilft.
({3})
Es hilft zum einen weiter, wenn wir alle Möglichkeiten, die bei Wahrung des verteidigungspolitisch, straBundesminister Dr. Scholz
tegisch notwendigen Minimums - ich sage hier ganz ausdrücklich: des Minimums - zur Verfügung stehen, ausschöpfen, um die Belange unserer Bevölkerung nicht nur zu berücksichtigen, sondern wirklich auch zu Erleichterungen zu gelangen. Ich bekenne mich ganz ausdrücklich dazu, daß diese Erleichterungen notwendig sind und daß wir auch Möglichkeiten, sie zu erreichen, finden werden. Aber das ist nicht von heute auf morgen mit Radikallösungen zu gewährleisten, daß wir sie finden. Dies setzt eine Menge von Maßnahmen voraus. Dies setzt die Entwicklung neuer technischer Verfahren voraus. Herr Francke hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir darum bemüht sind, Simulatoren zu entwickeln - die es heute, vor allem was die Software betrifft, noch nicht gibt - , die den Tiefflug, die Tiefflugübungen teilweise - ich betone: teilweise - substituieren können. Zur Gänze werden sie nie dazu in der Lage sein.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte gerne zu Ende kommen, Frau Präsidentin.
Ich wiederhole: Simulatoren werden Tiefflüge nie ganz substituieren können.
Tiefflüge - meine Damen und Herren, auch das möchte ich hier ganz deutlich machen - sind Schwerstarbeit für die Piloten, die hier ihren Auftrag erfüllen. Die beteiligten Luftwaffen leisten hier schwere und harte Arbeit. Diese Arbeit kann man physisch wie psychisch auch nicht durch Simulatoren voll ersetzen. Es geht aber wiederum um einen sinnvollen Kompromiß. Wenn wir Simulatoren haben, dann werden wir hier Kompromißlösungen haben.
Wir bemühen uns ferner darum - was wir beim Tiefstflug ja ohnehin schon tun - , verstärkte Verlagerungen ins Ausland, vor allem nach Kanada, nach Goose Bay, vorzunehmen.
Unser dichtbesiedeltes Land muß natürlich Lasten tragen, die in anderen Ländern nicht vergleichbar vorhanden sind. Dadurch wird uns auch eine besondere Verantwortung auferlegt, eine Verantwortung, die wiederum mit unseren Alliierten zu besprechen ist. Aus diesem Grunde habe ich veranlaßt - ich bin sehr froh darüber, daß ich hier auf viel Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft bei den Verbündeten gestoßen bin - , daß wir gemeinsam auf hochrangiger Ebene nach Lösungen suchen. Das, was ich im Juli an ersten Maßnahmen für die Luftwaffe eingeleitet habe, ist ein erster, aber, glaube ich, wichtiger Schritt, der auf der anderen Seite natürlich auch vergleichbare, parallele Maßnahmen bei den Alliierten zur Folge haben muß. Über all das werden wir sprechen.
Herr Kolbow, es ist nicht richtig, wenn Sie davon sprechen, es würden soundso viele Tiefflugstunden eingespart. Das ist natürlich nicht richtig. Es geht darum, daß bestimmte Schritte eingeleitet werden und daß wir in der richtigen Form weitergehen.
Ich bin schließlich sehr dankbar für die Unterstützung, die mir hier heute aus dem Kreis der Koalition
für meine Auffassung zuteil wurde, daß es der Entzerrung bedarf, daß es in diesem Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland die gesamtstaatliche Aufgabe Verteidigung, aber auch die gesamtstaatliche Pflicht gibt, Verantwortung und Lasten gerecht zu teilen. In diesem Sinne werde ich, wie ich angekündigt habe, im Herbst mit den Ministerpräsidenten zusammentreffen und mit ihnen darüber sprechen, daß in Fairneß und Solidarität allen unseren Bürgern gegenüber das an gerechter Lastenverteilung erreicht wird, was diesem Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland bei Wahrung der Belange der Landesverteidigung gemäß ist.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Meine Damen und Herren, ich darf diese Debatte in dem Sinne mit Dank aufnehmen, daß ich hier für das, was ich anstrebe, was ich eingeleitet habe, in vielfältiger Weise Unterstützung finde. Auf der anderen Seite muß ich darauf hinweisen: Radikallösungen, die besagen: Tiefflug kann überhaupt nicht mehr stattfinden, sind nicht verantwortlich. Sie gehen an dem vorbei, was definitiv notwendig ist.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Flugkatastrophe von Ramstein - das ist mehrfach gesagt worden - hat direkt nichts mit unserem heutigen Thema zu tun, aber das „Weiter so" beim Tiefflug am Tage danach, und zwar auch in der Westpfalz, war ein Beispiel für Gefühllosigkeit und mangelnde Sensibilität, das am meisten denen geschadet hat, die Tiefflüge immer noch für unverzichtbar halten.
({0})
Hier schließen wir uns der Wertung des rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten an, der dies ausdrücklich mißbilligt hat.
Es gibt weitere Auswüchse, die erschrecken lassen. Da die Mehrzahl von uns nicht zu den ständigen Lesern der „Flugrevue" gehören dürfte, darf ich Ihnen eine Anzeige aus dem Oktoberheft der „Flugrevue" vorstellen, in der ein Video vom letzten Flugtag in Ramstein angeboten wird. Mit dem letzten Flugtag ist nicht der tatsächlich letzte im Oktober, sondern der mit der Katastrophe in Ramstein gemeint. Auf diesem Video, das zum Kauf angeboten wird, ist alles zu sehen, bis zum Crash der Maschine, der Solomaschine der „Frecce Tricolori". Aber die Filmer haben darauf verzichtet, daß, was danach kam, auch noch in das Video aufzunehmen.
Man muß sich vorstellen, was in unserer Republik möglich ist, was in einer Anzeige veröffentlicht wer6950
Gerster ({1})
den darf - in einer Anzeige, die sicherlich von vielen gelesen wird, die daraus sachliche Informationen schöpfen wollen. Wir alle sollten uns fragen, wer hier die Akzeptanz der Verteidigung gefährdet: ob das die Bürgermeister in der Pfalz oder anderswo sind, die sich zusammenschließen und sagen, das gehe nicht mehr so weiter, oder ob das nicht solche sind, die die Faszination der Technik immer noch hochhalten, wenn Menschen draufgehen, wenn Menschen sterben, wenn Menschen leiden. Da können wir nicht mitmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich kann meinen Landesvater, Ministerpräsident Bernhard Vogel, ein weiteres Mal zitieren. Ich habe mich selten so einmütig mit ihm gefühlt. Ministerpräsident Bernhard Vogel hat im Bundesrat am 23. September wörtlich ausgeführt:
Die Beweispflicht für die Notwendigkeit von Tiefflugübungen liegt nicht bei der durch Tiefflug belasteten Bevölkerung, sondern bei denen, die diese Flüge anordnen.
Hier stimmen wir Bernhard Vogel zu.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten sie jetzt, bevor Sie weiter fortfahren, eine Zwischenfrage oder später?
Ich möchte das gern zu Ende ausführen, dann gern. - Er hat des weiteren gesagt:
Ein Verteidigungskonzept, das der eigenen Bevölkerung in Friedenszeiten Leid und Schrecken zumutet, ist absurd.
Er hat in einem Interview in den „heute" -Nachrichten gesagt:
Die Lösung dieser Frage dürfen wir nicht den Generälen überlassen, die damit überfordert sind, sondern wir müssen sie politisch debattieren und politisch entscheiden.
Meine Damen und Herren, die Abgeordneten der SPD-Fraktion schließen sich den Wertungen des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten ausdrücklich an.
Herr Abgeordneter Bötsch, bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion in den Vorgesprächen über die Gestaltung der Tagesordnung in richtiger Weise Wert darauf gelegt hat, daß die Ereignisse von Ramstein und Nörvenich nicht mit der allgemeinen Frage des Tiefflugs verbunden, sondern getrennt behandelt werden, während Sie jetzt diese Vermischung wieder vornehmen?
({0})
Herr Kollege Bötsch, ich habe ausdrücklich gesagt: Es besteht kein direkter Zusammenhang. Es besteht aber natürlich, was Verteidigungslasten, vor allen Dingen die aus Luft, angeht, ein gefühlsmäßiger Zusammenhang bei der Beurteilung des Themas und dessen, was die Bevölkerung als Forderungen an uns heranträgt. Da können wir hier nicht eine abstrakte Thementrennung vornehmen, wenn die Bürger im Lande das anders sehen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen in der bunten Koalition der Tieffluggegner seit gestern mit besonderer Freude auch die „revolutionären" Kollegen des Haushaltsausschusses.
({1})
Ich weiß nicht, Herr Minister Scholz, bei wem Sie sich bedankt haben, als Sie für die ausdrückliche Unterstützung der Koalition gedankt haben. Das war ja bisher wohl das wirksamste Druckmittel, einfach den Sprit zu sperren, bis die Hardthöhe ein neues Konzept für Tiefflug vorlegt. Auf die Idee, so muß ich zu unserer Schande gestehen, sind wir noch gar nicht gekommen. Jedenfalls danken wir der Union, daß sie den Vorschlag gemacht hat.
({2})
Er geht zwar nicht weit genug, aber er ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren, der Minister hat dies dann in der Öffentlichkeit als Signal für einen tragfähigen Kompromiß gewertet. Das ist seine Wertung. Er hat darüber hinaus in der Punktation - Sie haben den Bonner Sprachgebrauch hier erheblich bereichert -zum Tiefflug sehr apodiktisch, wie das in früheren Zeiten von absolutistischen Herrschern zu vernehmen war, geäußert: Ich - das Wort „ich" kommt in allen Überschriften dieser Punktation vor - , Bundesminister Rupert Scholz, bin überzeugt davon, daß - und jetzt kommt es - „ein Verzicht auf Tiefflugübungen nicht in Frage kommen kann. " So einfach ist das.
Jetzt frage ich Sie: Was gibt ein neues Konzept, das ja offenbar auch Sie entwickeln wollen, her, wenn hier bestimmte Grundannahmen als Konstante gesetzt werden und die Folgerungen die Variablen sind? Wir sagen andersherum: Die Konstante, die Voraussetzung für die Lösung des Problemes ist, daß die Belästigung und die Sicherheitsgefährdung der Bevölkerung reduziert werden, wir sagen sogar: nach Möglichkeit auf null gebracht werden. Nun muß daraus ein Auftrag abgeleitet werden, dies umzusetzen und eine Problemlösung zu finden, die diesem Anspruch gerecht wird.
({3})
Es gibt darüber hinaus auch nahezu abenteuerliche Vorschläge. Der Kollege Wimmer, der sich gerade mit dem Verteidigungsausschußvorsitzenden angeregt unterhalten hat, hat z. B. vorgeschlagen, daß da hat
Gerster ({4})
mir fast der Atem gestockt, lieber Kollege Wimmer - Tiefflüge künftig nur noch an der deutsch-deutschen Grenze stattfinden sollen.
({5})
- Sie sind so im „Spiegel" zitiert worden. Ich habe kein Dementi gelesen. - Das wäre zumindest die Aufhebung einer Praxis, die bisher völlig sakrosankt war, daß ausgerechnet dort Tiefflug nicht stattfindet.
Auch andere, Heiner Geißler z. B., die sensibel genug sind, um das Thema in seiner ganzen Dimension zu erfassen, auch in seiner Bedeutung für die Mehrheitsfähigkeit der Koalitionsparteien, haben Vorschläge gemacht, die wiederum Reaktionen ausgelöst haben, z. B. bei Generalleutnant Noack - das war allerdings vor dem Flugtag -, der als stellvertretender Befehlshaber in Ramstein pikanterweise dem Generalsekretär der Regierungspartei CDU - man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen - vorgeworfen hat, das, was er zum Tiefflug gesagt habe, hätte man früher „Zersetzung" genannt.
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Das hieß früher sogar - wenn ich mich recht erinnere und wenn ich es richtig nachgelesen habe - „Wehrkraftzersetzung". Dies sagt ein General der Bundeswehr zum Generalsekretär der Union, der Mitglied dieses Hauses ist.
({7})
Meine Damen und Herren, hier sind die Sitten verdorben. Ich weiß nicht, ob wir uns darüber freuen sollen, daß derselbe General Noack zu den frühpensionierten Generalen gehört.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen: Tiefflug über der Bundesrepublik - wohlgemerkt mit dieser näheren Bestimmung - ist nicht mehr zumutbar, Luftkampfübungen darüber hinaus auch nicht. Wir als Parlament wollen das Bundesministerium der Verteidigung, die Bundesregierung beauftragen, einen Lösungsvorschlag aus deren Sicht vorzulegen, wie dieser Wille des Parlamentes umgesetzt werden kann.
Es ist zu befürchten, daß wir hier keine Einmütigkeit finden und daß wir im Unterschied zum Bundesrat nicht weiterkommen werden, der sich über Parteigrenzen hinweg auf Antrag aus Rheinland-Pfalz jetzt in den entscheidenden Ausschüssen schon auf 300 m Mindesthöhe, auf ein Verbot von Luftkampfübungen und auf die Entwicklung eines Verteidigungskonzeptes verständigt hat, das ohne Tiefflug auskommt. Aber ich sage Ihnen: Dies wird vorübergehend sein; denn das, was der Bundesrat vorgelegt hat und womit wir uns dann wohl formell befassen müssen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Diese 300-Meter-Lösung ist ein Schritt, der z. B. die automatische Auflösung der 75-Meter-Tieffluggebiete zur Folge hätte, und ist ein Schritt in die Richtung zur Abschaffung des Tieffluges. Es ist schade, daß die Ländervertretungen, die offenbar näher am Problem sind und nicht so stark in parteipolitische Zwänge eingebunden sind, hier wesentlich weiter sind als das Bundesparlament.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß die Frage nach den Alliierten, die immer wieder aufgeworfen wird, hier ansprechen. Was werden die Alliierten tun, wenn sich das Bundesparlament so entscheiden könnte, wie wir es beantragen? Ich sage Ihnen: Souveränität ist ein politisches Konzept. Die Alliierten werden den Willen des Gesetzgebers respektieren, im übrigen auch deswegen, weil zumindest in den allgemeinen Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens festgehalten wird - natürlich mit möglichen Interpretationsspielräumen -, daß grundsätzlich das Recht des Aufnahmestaates zu achten ist und daß z. B. für den Luftraum die deutschen Gesetze gelten. Kein Amerikaner, meine Damen und Herren, kein Brite, kein Franzose würde auf Dauer das Maß an Verteidigungslasten hinnehmen, das die bundesdeutsche Bevölkerung bisher getragen hat.
Wir sagen deshalb: ein neues Konzept entwickeln, keinen Tiefflug mehr, Verteidigung ja, Bündnis ja, aber bitte zu zeitgemäßen und zu zumutbaren Bedingungen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nicht immer sachliche Diskussion, Kollege Kolbow - die Rede hätte eigentlich auch Frau Schilling schreiben können,
({0})
wobei nicht ganz deutlich ist, wer von wem kopiert hat -, um den militärischen Flugbetrieb und die Tiefflugbelastung hat den Blick auf die Bedeutung der Luftstreitkräfte für die Gesamtverteidigung leider weitgehend verbaut. Meine Damen und Herren, wir können nicht einseitig die Verringerung militärischen Flugbetriebs erörtern, ohne gleichzeitig die Konsequenz für unsere Sicherheit zu berücksichtigen. Was hatte denn eigentlich die Regierung Helmut Schmidt veranlaßt, Tiefflüge in weit größerem Umfang als heute einzuführen?
({1})
In wessen Regierungszeit wurden denn die Fluggeräte Phantom und Tornado, um die es heute geht, eingeführt? Warum wurden sie eingeführt? Welche Bedrohung war letztlich Ausgangspunkt für sehr kluge Entscheidungen auch früherer Bundesregierungen? Warum wird nicht anerkannt, daß diese Bundesregierung, für die wir verantwortlich sind, erhebliche Tiefflugbelastungen abgebaut,
({2})
Simulatoren beschafft und Tiefflüge ins Ausland verlegt hat?
Meine Damen und Herren, es ist unbestreitbar, daß den Luftstreitkräften eine herausragende sicherheitspolitische Rolle zufällt. Auch ohne über die Invasionsfähigkeit zu verfügen, . . .
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter.
Ich bitte, den Satz noch beenden zu können, Herr Präsident.
... bedeuten sie durch ihr Reaktionsvermögen, ihre Reichweite, Geschwindigkeit und Kampfkraft ein unkalkulierbares Risiko für einen Angreifer und sind als vor Ort verfügbare einsatzbereite und leistungsfähige Waffensysteme ein wesentliches Element unserer Friedenssicherung.
({0})
Herr Abgeordneter, ich wollte Sie nicht unterbrechen.
Herr Abgeordneter Müller, der Zwischenruf „gelogen" ist ein unparlamentarischer Ausdruck. Ich bitte, in Zukunft zu beachten, daß wir ihn hier nicht benutzen wollen.
({0})
- Dann muß ich auch Ihr Verhalten rügen.
({1})
Fahren Sie bitte fort.
Meine Damen und Herren, Luftstreitkräfte und ihre ständige Präsenz im Luftraum, auf die es auch ankommt, sind die Spitze unseres Systems für Abschreckung; vielleicht ist das vielen nicht bewußt. Sie stellen die Chance eines Gegners in Frage, die Lufthoheit über unserem Gebiet zu erringen und damit einen Krieg in kurzer Zeit für sich zu entscheiden. Einen Krieg beginnt nur, wer die Lufthoheit erringen kann. Die Präsenz unserer Flugzeuge in der Luft verhindert das. Insoweit sind sie ein ganz wichtiger Bestandteil der Abschreckung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beer?
Aber selbstverständlich, bitte schön.
Bitte schön.
Herr Kollege, sie haben eben die Sicherheitsbemühungen der Bundesregierung hervorgehoben, was die Einschränkung von Sicherheitsgefährdungen durch Tiefflüge betrifft. Sie werden sicher die Äußerung Ihres Kollegen Würzbach bei einem Empfang von Betroffenen kennen, die zum Gespräch im Verteidigungsministerium waren, wo er zu der Frage, ob man denn nun reduzieren würde, sagte: Ach, wir machen das einfach so: Sie kennen die Fixpunkte, die die Tiefflieger brauchen, um einen sicheren Anflugspunkt zu haben. Wir nehmen einfach die Fixpunkte, bauen sie auf Räder, auf Waggons, und dann schieben wir sie einmal hierhin und einmal dahin, und dadurch wird dann die Fluglast verteilt. - Sehen Sie das auch als Sicherung, oder ist es nicht eher eine Verunsicherung, weil dann diese einzelnen Punkte, die fest angeflogen werden, sogar noch verschoben und womöglich nicht gefunden werden?
Liebe Frau Kollegin, ich bin immer dafür, daß wir uns bemühen, die Behinderungen und Belästigungen für die Bevölkerung abzubauen. Das ist aber, was unsere Sicherheit betrifft, nur im Rahmen dessen möglich, daß wir die Sicherheit nicht in Frage stellen können. Insoweit bin ich verantwortlich für das, was ich sage. Ich war nicht Zeuge des Gesprächs, das der Kollege Würzbach geführt haben soll.
({0})
Verehrte Damen und Herren, unsere Verteidigungsbereitschaft wäre unglaubwürdig, wenn das Gebiet eines möglichen Angreifers als Sanktuarium ausgespart würde. Auch das muß man offen ansprechen. Die Unfähigkeit, logistische Zentren und die Konzentration militärischer Kräfte eines potentiellen Gegners bereits auf dessen Territorium anzugreifen, müßte dessen Überlegenheit vervielfältigen. Darauf baut leider der Warschauer Pakt bis heute auf. Der Einsatz von Raketen gegen derartige Ziele ist nicht mehr möglich. Wir alle sind ja stolz darauf, daß das INF-Abkommen zustande gekommen ist, auch wenn wir rechtzeitig Bedenken dagegen vorgetragen hatten. Ein solcher Einsatz ist also nicht möglich, und ohnehin gäbe es noch heute kaum lösbare technische Probleme eines Einsatzes von Raketen auf sich bewegende Ziele, so daß das bemannte Flugzeug auch in absehbarer Zukunft ein nicht wegzudenkender Bestandteil einer wirksamen Landesverteidigung bleibt.
Die Frage ist, ob eine weitere Verlagerung von Übungsaktivitäten ins Ausland, die Einführung geringerer Flugstundenkontingente oder die Anhebung von Flughöhen möglich ist. Niemand wird sich dem widersetzen, aber es wäre unredlich, wenn wir, wenn dieses Parlament Illusionen wecken würde, die wir hinterher nicht erfüllen können. Das ist eine Frage der Seriosität dieser Debatte, bei der wir auch von der Opposition verlangen, daß sie nüchtern und ehrlich ist und nicht um irgendeines augenblicklichen populistischen Vorteils willen Vorschläge macht, die wir nicht akzeptieren können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schilling?
Ja, Frau Schilling, aber fassen Sie sich bitte kurz. Vorhin war das ja fast eine eigene Stellungnahme der Kollegin Beer.
Mich interessiert, was Sie unter Sicherheit verstehen angesichts der Tatsache, daß wir im Durchschnitt pro Monat zwei Abstürze von tieffliegenden Militärmaschinen haben.
Niemand bedauert mehr als ich, daß wir Opfer bringen müssen für eine Sicherheit, die uns alle betrifft. Hätten wir nicht diese Bedrohung durch über 8 000 sowjetische Kampfflugzeuge auf der anderen Seite, brauchten wir das nicht zu üben, und wir wären froh, wenn wir das nicht üben und anordnen müßten.
({0})
Meine Damen und Herren, richtig ist zunächst, daß realistische Einsätze im Tiefstflug, d. h. in einer Flughöhe von 30 Metern, praktisch nur im unbesiedelten Ausland denkbar sind. Schon deshalb ist die bei uns vorzunehmende Ausbildung immer ergänzungsbedürftig. Verzichtbar ist sie aber schon deshalb nicht, weil die Kenntnis von Topographie, Wetter und Bebauung in Zentraleuropa wichtige Voraussetzungen eines späteren Einsatzes ist und zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen kann. Wir dürfen auf das Mittel der Übung auch von Tiefflügen leider - jedenfalls im Augenblick und auf absehbare Zeit - deshalb nicht verzichten, weil uns die Kenntnis des eigenen Geländes eine Überlegenheit gibt, mit der wir die geringere Zahl von Flugzeugen ausgleichen müssen.
Darüber hinaus erfüllen Luftstreitkräfte ihren Auftrag zusammen mit anderen Teilstreitkräften und innerhalb des Führungssystems, das die NATO in Europa aufgebaut hat. Schon deshalb ist das Flugtraining über See oder unbesiedeltem kanadischen oder dünner besiedeltem türkischen oder portugiesischen Gebiet nicht ausreichend.
Herr Abgeordneter, Frau Fuchs möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte schön. Ich freue mich, daß heute alle Damen auf dem Plan sind und mir Fragen stellen.
Das würde ich nicht persönlich nehmen. - Herr Lowack, ist es richtig, daß nach den gültigen Vorstellungen tieffliegende Flugzeuge weit in das Gebiet des vermeintlichen Gegners eindringen sollen, also auch in das Gebiet der DDR und darüber hinaus, und ist es richtig, daß NATO-Luftstreitkräfte nicht über dem Gebiet der DDR Tiefflug üben können? Wenn das so ist, wieso begründen Sie dann die Notwendigkeit von Tiefflügen mit der Kenntnis der Topographie?
Liebe Frau Fuchs, ich habe davon gesprochen, daß es um Tiefflüge geht, die wir über bundesdeutschem Gebiet durchführen. Ich glaube, dagegen kann niemand etwas haben.
Eine Verringerung von Flugstundenkontingenten ist unseren Piloten kaum zuzumuten. Auch das möchte ich im Rahmen der Verantwortung, die wir zu tragen haben, angesprochen haben. Die Bundeswehr hat in den vergangenen Jahren die Anzahl der Flugstunden pro Pilot auf den niedrigsten Stand weltweit reduziert. Die Erfahrungen mit dem Starfighter sollten auch wir nicht vergessen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Schon die kürzlich verfügte Reduzierung um weitere 1 000 Tiefflugstunden bedeutet - dessen müssen wir uns bewußt sein - die Aufgabe konkreter Leistungsfähigkeit. Eine Straffung der Ausbildungsprogramme ist ohne Verlust der notwendigen Flugsicherheit kaum mehr möglich.
Ich weigere mich auch - das ist jetzt an die Damen und Herren von der Opposition gerichtet - , zu sagen, frühere Bundesregierungen seien zu dumm gewesen und hätten Piloten völlig umsonst fliegen und ihr Leben riskieren lassen. Das wäre doch die Konsequenz aus den Anträgen, die Sie hier heute stellen.
Herr Abgeordneter, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Abgeordneten Müller.
Damit der Kollege Müller nicht meint, durch unflätige Zwischenrufe diese Diskussion stören zu müssen, werde ich ihm gerne das Wort für eine Frage geben.
({0})
Also, bitte schön, Herr Müller.
Herr Kollege Lowack, ich danke Ihnen für diesen offenbar parlamentarischen Ausdruck - im Unterschied zu meinem -; er stört mich aber nicht sehr.
Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß auch diese Behauptung, in Ihrer Regierungszeit sei die Flugstundenzahl pro Pilot verringert worden, der Unwahrheit entspricht. Denn in einem Schreiben von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach vom 27. Juli an mich heißt es, daß die Flugstundenzahl 1969 von 240 auf 180 reduziert worden ist.
Wenn Sie vom Jahr 1969 zu sprechen beginnen, dann brauchen wir uns überhaupt nicht über eine aktuelle Debatte unterhalten.
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen sagen, Sie haben den Begriff „unflätig" auf eine Person bezogen. Das ist genauso unparlamentarisch.
Ich nehme das zur Kenntnis; aber es war ja vorher Gegenstand einer Rüge.
Bei den Bündnispartnern, deren Piloten gemäß NATO-Standard ca. 40% mehr Übungszeit für sich in Anspruch nehmen, scheint noch die Möglichkeit zur Reduzierung zu bestehen. Hierauf sollten sich deshalb die anstehenden Gespräche konzentrieren.
Und es bedarf dringend einer Entzerrung der Tiefflugbelastung. Hier verweise ich auf den einstimmigen Beschluß, den die Christlich-Soziale Union in Banz schon im Juni dieses Jahres getroffen hat.
Jetzt muß ich noch einmal unterbrechen, Herr Abgeordneter, es tut mir leid. Herr Abgeordneter Würzbach möchte Ihnen eine Frage stellen.
Bitte schön, lieber Kollege Würzbach.
Herr Kollege Lowack, wie bewerten Sie - auch unter Hinweis auf die Frage von dem Abgeordneten Müller eben - die Zahlen, daß 1982 die deutsche Luftwaffe noch etwa 48 000 Stunden geflogen ist, 1987 noch 25 000 Stunden und daß jetzt durch die neuen Maßnahmen, vom Minister im Sommer dieses Jahres angeordnet, im Jahre 1990 noch 22 000 Tiefflugstunden geflogen werden?
Ich bewerte diesen Hinweis so, daß sich der Kollege Müller an einer Debatte beteiligt, bei der er keine Ahnung von den Dingen hat.
({0})
Ein Anheben von Flughöhen würde die Probleme kaum lösen, wie zahlreiche Proteste gegen die z. B. zur Mittagspause einzuhaltende Flughöhe von 450 Metern beweisen. Andererseits würde der Ausbildungswert durch derartige Flüge erheblich gesenkt, weil sie nicht annähernd den physischen und psychischen Belastungen von Tiefflügen entsprechen, wie sie im Ernstfall zu erwarten sind. Vergessen wir nicht - ich hatte vorhin bereits darauf hingewiesen - die ca. 8 000 Kampfflugzeuge im Warschauer Pakt, die ohne Rücksicht Tief- und Tiefstflüge im Rahmen von simulierten Angriffen auf unser Land üben.
Wir hoffen, daß in den kommenden Jahren technologischer Fortschritt den weiteren Einsatz von Simulatoren ermöglicht. Es wäre aber ein Verhängnis, wenn im Vorgriff auf diese Entwicklung falsche Hoffnungen geweckt und vor allem die Verteidigungsbereitschaft insgesamt in Frage gestellt würde. Der Preis der Freiheit ist - darauf müssen wir in aller Klarheit hinweisen - in den letzten Jahren gesenkt worden, wie es der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt und am Bruttosozialprodukt, aber auch die drastische Reduzierung von Flugstunden zeigen. Eine weitere Senkung bedarf eines hohen Maßes an Verantwortung, der wir, und zwar alle Fraktionen, uns hier zu stellen haben.
Herzlichen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, das war eine durch die Zwischenfragen außerordentlich belebte Debatte. Aber irgendwann muß daran gedacht werden, daß auch andere heute noch drankommen wollen. Ich bitte deshalb um Verständnis, daß ich kurz vor Schluß eine Zwischenfrage nicht mehr angemerkt habe.
Wir sind damit am Ende dieser Aussprache; ich schließe sie.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Auslegung des Wartime-Host-Nation-Support-Abkommens
- Drucksache 11/2550 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Nein, dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD auf Drucksache 11/2550 enthält die Aufforderung an die Bundesregierung, durch eine verbindliche Erklärung eine Klarstellung herbeizuführen, die verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch ebenso geboten ist wie unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten. Ein formeller Antrag ist leider notwendig geworden, da diese Klarstellung in anderer Weise nicht erreicht werden konnte. Fast zwei Jahre lang haben wir uns bemüht, in Briefen, in mündlichen und schriftlichen Anfragen an die Bundesregierung, in eingehenden Sacherörterungen im Auswärtigen Ausschuß und im Verteidigungsausschuß die Bundesregierung zu einer Klarstellung zu bewegen - vergeblich.
({0})
Die Bundesregierung ist durch unklare oder unvollständige Antworten die notwendige Klarstellung schuldig geblieben. Mein Kollege Kolbow wird die einzelnen Stationen dieser mühsamen, der Bundesregierung nicht zur Ehre gereichenden parlamentarischen Prozedur noch im einzelnen darstellen.
In der Begründung unseres Antrags ist es mir zunächst wichtig, darauf hinzuweisen, daß der politischmilitärische Zweck des 1982 abgeschlossenen WHNS-Abkommens nicht umstritten ist. Es sieht militärische und zivile Unterstützung der Bundesrepublik für amerikanische Streitkräfte vor, die im Ernstfall zur Verstärkung der hier bereits stationierten amerikanischen Truppen in die Bundesrepublik gebracht werden sollen.
Klärungsbedürftig sind aber die Voraussetzungen für die Anwendung des WHNS-Abkommens. Art. 1 knüpft dafür an die gemeinsame Feststellung der Vertragsparteien, d. h. der beiden Regierungen, an
({1})
- das sagte ich ja - , daß eine Krise oder ein Krieg bestehe. Daß diese Vorschrift nicht an die im Grundgesetz verwandten Begriffe „Spannungsfall" und „Verteidigungsfall" anknüpft - das dort verwandte Vokabular ist dem amerikanischen War Power Act entnommen - , ist an sich nicht problematisch. Problematisch ist aber - das zeigt die inzwischen erschienene rechtswissenschaftliche Literatur ebenso wie das ausweichende Verhalten der Bundesregierung im bisherigen Verfahren - , daß die Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Deutschen Bundestages bei Anwendung des WHNS-Abkommens in keiner Form sichergestellt ist.
Daher fordern wir die Bundesregierung nunmehr durch einen formellen Antrag auf, hinsichtlich der Anwendung des WHNS-Abkommens verbindlich zu erklären, erstens, daß sie vor Feststellung einer Krise den Deutschen Bundestag so rechtzeitig unterrichten wird, daß seine Befugnis, den Spannungsfall festzustellen - Art. 80 a des Grundgesetzes - , in keiner Weise präjudiziert oder eingeengt wird; zweitens, daß die Feststellung eines Kriegs nach dem WHNS-Abkommen die Feststellung des Verteidigungsfalls nach Art. 115a des Grundgesetzes voraussetzt. Sonst waDr. Ehmke ({2})
chen wir eines Tages auf und sind im Krieg, und keiner hat es gemerkt.
({3})
Als eine zusätzliche verfahrensmäßige Absicherung fordern wir von der Bundesregierung, daß das im WHNS-Abkommen vorgesehene Konsultationsverfahren - nur zwischen den Regierungen - für die gemeinsame Feststellung einer Krise oder eines Krieges formalisiert wird. Eine derart schwerwiegende Feststellung kann von seiten der Bundesregierung nur in Fühlungnahme mit dem Bundestag als formelle Kabinettsentscheidung getroffen werden. Eine Zustimmung in NATO-Gremien, deren Konsultationen den Augen des Bundestags ebenso entzogen sind wie denen der deutschen Öffentlichkeit, kann hierfür nicht ausreichen.
Wie notwendig unser Antrag und die in ihm geforderte verbindliche Erklärung der Bundesregierung ist, wird durch die Tatsache unterstrichen, daß noch nach Einbringung unseres Antrags das Bundesministerium der Verteidigung den Verteidigungsausschuß über den Entwurf eines deutsch-kanadischen WHNSAbkommens unterrichtet hat, das in Kürze unterzeichnet werden soll.
({4})
In diesem Abkommensentwurf ist die gleiche, die Rechte des Deutschen Bundestages gefährdende Terminologie enthalten wie in dem deutsch-amerikanischen Abkommen, das Gegenstand unseres Antrags ist. Der Vorgang zeigt bedauerlicherweise, daß die lange bisherige Erörterung dieser Fragen die Bundesregierung offenbar in keiner Weise sensibilisiert hat.
({5})
In seiner Ziffer I.3 fordert unser Antrag schließlich die Bundesregierung auf, „nachprüfbar sicherzustellen, daß deutsche Unterstützungsleistungen gemäß dem Vertragszweck des WHNS-Abkommens nur für amerikanische Streitkräfte erfolgen, die der Verstärkung der Vorneverteidigung in der Bundesrepublik Deutschland dienen". Die Bundesregierung ist demgegenüber nicht müde geworden, zu erklären, daß diese Beschränkung der deutschen Unterstützungsleistungen sich schon aus dem Text von Art. 1 des Abkommens ergebe. Das wissen wir natürlich; wir können ja lesen.
Wir wissen aber auch, Herr Verteidigungsminister und Herr Staatsminister, daß selbst dieser klare Wortlaut des Abkommens unsere amerikanischen Verbündeten nicht abgehalten hat, z. B. im Juli vergangenen Jahres Unterstützungsleistungen nach dem WHNSAbkommen für Transit-Transporte von amerikanischem Personal und Material in die Golfregion anzuregen. Meine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung vom 3. dieses Monats, wie denn die Bundesregierung auf dieses amerikanische Ersuchen geantwortet hat, ist bis heute leider noch nicht beantwortet worden, Herr Staatsminister.
({6})
Wir müssen diese Frage in einem größeren Zusammenhang sehen. Seit dem Luftangriff der Vereinigten
Staaten auf die libysche Hauptstadt - ohne jegliche Konsultation mit der Bundesregierung, aber unter Inanspruchnahme von NATO-Einrichtungen - ist in unserer Öffentlichkeit die Sorge gewachsen, daß die Bundesrepublik ohne oder sogar gegen ihren Willen als amerikanischer Militärstützpunkt in Anspruch genommen werden könnte. Um so wichtiger ist es, klarzustellen, daß Unterstützungsleistungen nach dem WHNS-Vertrag allein der NATO und nicht nationalen Aktionen der Vereinigten Staaten dienen können.
({7})
Die öffentliche Meinung in unserem Land ist in dieser Frage zu Recht empfindlich. Sie sieht sie im Zusammenhang mit der sie ebenfalls immer stärker beschäftigenden Frage nach Einschränkung unserer Handlungsfreiheit durch fortbestehendes Besatzungsrecht. Unsere Öffentlichkeit empfindet es als widersprüchlich, daß die Bundesrepublik einerseits in der Rolle des verantwortlichen Bündnispartners besonders hohe Verteidigungslasten zu tragen hat, andererseits aber als Folge von Krieg und Besatzung immer noch einem spezifischen Rechtsstatus in Verteidigungsdingen unterworfen ist. Ob es um Erbenheim, um Ramstein, um die alliierten Tiefflüge oder die Verhängung von Todesurteilen durch alliierte Militärgerichte auf dem Boden der Bundesrepublik geht: Unsere öffentliche Meinung empfindet diesen Zustand mehr und mehr als anachronistisch. Wir fühlen in dieser Frage genauso wie die deutsche Offentlichkeit.
({8})
Es wächst das Unverständnis, und es wächst die Kritik. Wir wollen Verbündete sein und keine Besetzten. Entgegenstehendes Recht muß daher durch neues Vertragsrecht weiter abgebaut werden. Das liegt nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern auch im Interesse des guten Zusammenhalts des Bündnisses. Schließlich ist es ein unverzichtbares Element für die Herstellung einer neuen Friedensordnung in Europa. Eine neue Friedensordnung mit fortbestehendem Besatzungsrecht, das würde wohl nichts werden.
({9})
Auf diesem Hintergrund ist es um so wichtiger, daß jede grundgesetzwidrige Anwendung und jede vertragswidrige Inanspruchnahme des WHNS-Abkommens ein für allemal klar und deutlich ausgeschlossen wird. Wir bitten die Bundesregierung, die die Frage bisher leider nicht ernstgenommen hat - sie hätte das alles längst klarstellen können -, und wir bitten auch die Koalitionsparteien, diese Frage nicht unter parteipolitischen, sondern unter staatspolitischen Gesichtspunkten zu sehen.
({10})
Falls die Bundesregierung nicht bereit sein sollte, im Interesse unseres Landes und zur Wahrung der Rechte dieses Hohen Hauses eine verbindliche Erklärung in der von uns beantragten Art abzugeben, werden wir, wie in Ziffer II unseres Antrages angekündigt, auf eine Kündigung des WHNS-Abkommens in seiner jetzigen Form drängen. Eine solche Ände6956
Dr. Ehmke ({11})
rungskündigung müßte mit dem Ziel erfolgen, die Wahrung der Rechte des Deutschen Bundestages sowie die Einhaltung des Vertragszwecks des Abkommens durch eine Änderung des Abkommenstextes in den fragwürdigen Passagen sicherzustellen. Das gilt für den Fall, daß die Bundesregierung, wie gesagt, nicht bereit ist, das in ihrer Kraft Stehende zu tun, um diese Gefahr nun endlich auszuräumen.
Der politisch-militärische Zweck des Abkommens - deutsche Unterstützungsleistungen für amerikanische Verstärkungen zur NATO-Vorneverteidigung in der Bundesrepublik - ist, wie gesagt, unumstritten.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund zahlreicher Anfragen und Beiträge der Opposition zum gleichen Thema und gleichen Inhalt in der Vergangenheit habe ich mich gefragt: Was soll das eigentlich heute morgen hier? Ich bin jedoch zu dem Schluß gekommen, daß die Debatte in einer Hinsicht nützlich sein wird. Wann immer nämlich amerikanische Soldaten den Deutschen Bundestag besuchen oder Festveranstaltungen abgehalten werden, werden die Kollegen der SPD nicht müde, ihre Verbundenheit mit den Amerikanern zu rühmen und gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß das Verbleiben der amerikanischen Streitkräfte in Europa notwendig sei. Wenn es aber konkret wird, verweigern Sie sich bzw. - wie im vorliegenden Fall - versuchen Sie, sich davonzustehlen.
({0})
Sie, Herr Kollege Ehmke, und die Damen und Herren der Opposition haben in Ihrer Regierungszeit den Vertrag ausgehandelt, Sie haben ihn gut ausgehandelt, und Sie haben ihn unterzeichnet. Wir, die damalige Opposition, haben dem Vertrag zugestimmt, und wir stehen auch heute noch zu ihm. Ihr Antrag, Ihre Debatte sind für mich ein weiterer Beweis für die These: Die Gemeinsamkeit in der Ausgestaltung der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist von Ihnen aufgekündigt worden, sie wird auch gar nicht mehr gewollt.
In einer Partnerschaft, auch einer politischen, muß es Diskussionen geben - das ist selbstverständlich - , und es gibt gelegentlich auch Differenzen.
({1})
Aber es zerstört die Grundlagen jeder Partnerschaft, wenn mit steigender Intensität eine Nadelstichpolitik der SPD gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika betrieben wird, und dies praktizieren Sie durch diese Anträge und auch durch diese Debatte.
({2})
Ich frage mich: Hat sich eigentlich seit der Verabschiedung im Jahr 1982 Grundlegendes geändert? Die gleichen Personen, nämlich Sie, Herr Kollege Dr. Ehmke, Herr Bahr, Herr Soell, Karsten Voigt, die am 3. März 1982 im Auswärtigen Ausschuß ja gesagt haben, um den Vertragsabschluß zum Teil auch gekämpft haben, insbesondere Sie, Herr Kollege Ehmke, sind heute letztlich entschlossen, den Vertrag zu kündigen. Sie haben es hier eben noch einmal gesagt.
Meine Damen und Herren, Sie sind doch klug genug, zu wissen, daß Ihre Punkte 1 und 3 letztlich Nebelkerzen sind.
({3})
Es geht Ihnen im Kern um die Ziffer II, nämlich die Kündigung.
({4})
Die konventionelle Verteidigungsfähigkeit in Europa basiert u. a. auf der Verpflichtung der USA und Kanadas, kurzfristig zusätzliche Truppen nach Europa zu entsenden. „Kurzfristig" heißt, daß das Material hier lagern muß, und die Menschen kommen dazu.
({5})
An dieser Situation hat sich nichts geändert und ändert sich auch so lange nichts, wie der Warschauer Pakt nicht bereit ist und den Vollzug mitgeteilt hat, daß er die zu seinen Gunsten bestehenden Disparitäten abgebaut hat und damit die Voraussetzungen für allgemeine Abrüstungsmaßnahmen im konventionellen Bereich vereinbart werden können.
({6})
Ich würde gern noch ein paar Bemerkungen zu der angeblich ungenauen Vertragsformulierung machen. Selbstkritik der SPD - wie auch immer - ist gut, nur in diesem Fall ist sie fehl am Platze. Alle in Ihrem Antrag aufgestellten Forderungen sind mehrfach ausführlich von der Regierung verfassungskonform und zufriedenstellend beantwortet worden. Sie waren auch, wie ich gesagt habe, bereits Gegenstand der Beratungen im Auswärtigen Ausschuß am 3. März 1982. Entscheidungen und Maßnahmen im Rahmen des Vertrages präjudizieren nicht Beschlüsse des Deutschen Bundestages nach Art. 80 a des Grundgesetzes, und das gleiche trifft auch für Art. 115 a des Grundgesetzes und folgende zu. Sie, Herr Kollege Ehmke, haben doch auf ähnliche kritische Fragen damals, d. h. im Jahr 1982 auf Fragen der Kollegen Czaja und Gansel, gesagt: Der Vertrag ist verfassungskonform, dies geschieht alles innerhalb des NATO-Vertrages über die Stationierung amerikanischer Truppen. Sie haben gesagt, in diesem Rahmen sei eine bilaterale Regelung getroffen worden. Sie, Herr Ehmke, waren der Ansicht, die wir heute noch teilen, daß das Abkommen die dem Inhalt gemäße Form hat. Sie, Herr Kollege Ehmke, waren es, der dem Kollegen Gansel seinerzeit Nachhilfeunterricht gegeben hat. Sie haben dabei von der Schwierigkeit der Verwechslung durch den Kollegen Gansel gesprochen und gesagt, beim Abgeordneten Gansel liege ein großer IrrFrancke ({7})
tum vor; mit den Begriffen „Spannungsfall" und „Verteidigungsfall" habe das gar nichts zu tun, haben Sie ihm entgegengehalten. Am Ende der Beratung hat der Auswärtige Ausschuß bei einer Stimmenthaltung zustimmend von dem Vertrag Kenntnis genommen, und zwar ausdrücklich unter Hinweis und unter Einschluß der Interpretation, die Sie, Herr Kollege Ehmke, seinerzeit gegeben haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Bitte!
Bitte schön!
Herr Francke, könnten Sie sich insofern etwas sachkundig machen, als das Problem nicht ist, daß dieses Abkommen an andere Begriffe anschließt - darum ging es in der damaligen Diskussion - , als sie unsere Verfassung vorsieht, sondern daß das Problem die Weigerung der Bundesregierung ist, zu erklären, daß das Abkommen so gehandhabt wird, daß die Rechte dieses Hohen Hauses, über die Sie hinweggehen, als ob wir sie den Alliierten mal eben zum Frühstückgeschenk machen sollten, gewahrt werden? Das ist das Problem. Nachdem jetzt auch noch Fälle vorliegen, in denen dieses Abkommen vertragswidrig in Anspruch genommen wird bzw. jedenfalls angefragt wird, ob wir solche Leistungen bringen, ist es die Pflicht dieses Hohen Hauses, dafür zu sorgen, daß dieses Abkommen, so wie es vorliegt, verfassungsgemäß angewandt wird. Andernfalls stehen wir eines Tages auf, und die Regierungen haben in einem NATO-Gremium den Krieg erklärt, ohne daß der dafür zuständige Bundestag mit der Frage überhaupt nur befaßt worden ist.
({0})
Herr Kollege Ehmke, Sie haben ein Problem. Das ist mir heute morgen klargeworden. Aber dieses Problem hat nicht dieses Haus und hat auch nicht die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat die Anfragen, die Sie mehrfach gestellt haben - ich habe es gesagt -, sachgerecht und verfassungskonform beantwortet. Ihre in der Frage noch einmal eingekleidete Behauptung, hier könnte am Parlament und an den Grundsätzen des Grundgesetzes vorbei etwas geschehen, trifft nicht zu. Der Vertrag - Sie haben es selbst in der Debatte 1982 dem Kollegen Gansel nachhaltig als Nachhilfeunterricht vermittelt; das muß ich Ihnen vorhalten - respektiert ohne jegliche Einschränkung Art. 80 a und Art. 115a ff. des Grundgesetzes. Deshalb bedarf es keiner zusätzlichen oder neuen Interpretationen bzw. Festlegungen. Die Interpretationen, die Ihnen schon immer, auch in jüngster Zeit gegeben worden sind, sind verfassungskonform.
Meine Damen und Herren, die Aufkündigung des Vertrages liegt auf keinen Fall im deutschen Interesse. Das Abkomen ist ein hervorragendes Beispiel für die Lastenteilung im Bündnis. Bezüglich des angekündigten Vertrages mit Kanada sehen wir einer positiven Entscheidung gern entgegen bzw. werden ihr
positiv gegenüberstehen. Der Vertrag stärkt die Solidarität im Bündnis.
Damit komme ich zu meinen Schlußbemerkungen und knüpfe damit an meine Eingangsbemerkung an, mit der ich zum Ausdruck gebracht habe, daß ich die Diskussion doch für sinnvoll halte. Daß nun, im Jahre 1988, die SPD nicht mehr das will, was sie selber 1982 ausgehandelt, unterschrieben und zum Teil in den eigenen Reihen durchgesetzt hat - Sie, Herr Ehmke, sind das lebende Beispiel dafür - , ist das politisch eigentlich relevante Ergebnis dieser Debatte. Das sollte in der deutschen Bevölkerung sorgfältig zur Kenntnis genommen werden, es sollte auf beiden Seiten des Atlantiks zur Kenntnis genommen werden, und es wird mit Sicherheit auch im Bündnis allgemein sorgfältig registriert werden, aber nicht zugunsten Ihrer Position.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift ein heikles Thema auf, präsentiert aber nur eine Scheinlösung. Aus Zeitgründen wird hier eine umfassende Bewertung des WHNSAbkommens nicht vorgenommen werden können. Dies haben wir in früheren Debatten bereits gemacht; darauf möchte ich verweisen. Jetzt konzentriere ich mich auf zwei Punkte.
Erstens. Starke Kräfte aus dem Regierungslager, aber auch aus der Sozialdemokratie steuern mit zunehmendem Nachdruck eine sogenannte Normalisierung der Außen- und Militärpolitik der Bundesrepublik an. Auf Grund der wirtschaftlichen Stärke und auf Grund einer falschverstandenen Vergangenheitsbewältigung soll die BRD zu einer Außenpolitik finden, wie sie auch von Staaten wie Frankreich und Großbritannien praktiziert wird. Dies schließt Optionen verstärkter militärischer Operationen selbstverständlich ein.
Eine nicht zu unterschätzende juristische Hürde stellt hier das Grundgesetz dar. Regierung und einige SPD-Abgeordnete sind mit beträchtlicher Kreativität am Werk, hier Auswege zu konstruieren.
({0})
In diesem Zusammenhang ist es weder ein Zufall noch ein Betriebsunfall, daß der Text des WHNS-Vertrages in militärischen Fragen über die Bestimmungen des Grundgesetzes hinausgeht. Wo das Grundgesetz präzise und restriktiv die Begriffe Verteidigungsfall und Spannungsfall definiert und den Einsatz der Bundeswehr daran bindet, hat die SPD-Bundesregierung - wir haben das gehört - auf dem Wege einer schlichten Regierungsvereinbarung 1982 eine dritte Ebene, die sogenannte Krise, hinzugefügt, die überhaupt nicht definiert ist. Nach Auskunft der Bundesregierung bezieht sich der Krisen-Begriff im WHNSVertrag auf die „Bewältigung außenpolitischer Krisen insgesamt", unabhängig vom Vorliegen des Spannungs- oder Verteidigungsfalles.
Dies bedeutet zweierlei: einmal die Gewinnung größerer politisch-militärischer Flexibilität - wenn man dies so nennen möchte. Zum anderen eröffnet die Einführung dieses neuen Begriffes weitere Möglichkeiten einer Uminterpretation restriktiver Verfassungsvorschriften, wie uns das das Verteidigungsministerium in den letzten Monaten am Beispiel der Outof-area-Diskussion bereits vorgeführt hat.
Zweitens darf natürlich nicht übersehen werden, daß sogenannte allgemeine außenpolitische Krisen mit Rückwirkungen auf die NATO-Länder nicht nur in Europa vorstellbar sind, sondern vor allem in Ländern der Dritten Welt, etwa im Nahen und Mittleren Osten. Hier wird das WHNS-Abkommen zum höchst gefährlichen Türöffner, selbst wenn die Bundesregierung das beim Vertragsabschluß nicht so beabsichtigt haben sollte. Es ist eben kein Zufall, wenn Generalleutnant Dale Vesser für den US-Generalstab in einem Brief vom 10. Juli 1987 für den Fall einer verschärften Krise im Golf nicht nur die Nutzung von Kriegsmaterial aus den POMCUS-Lagern in der BRD forderte, sondern explizit die Aktivierung von bundesdeutschem WHNS-Personal für logistische Aufgaben eines US-Militäreinsatzes verlangte. Ich möchte an dieser Stelle eine Antwort, zumal es auch vom deutschen Militärattaché in den USA ein Schreiben vom Dezember gibt, das bisher nicht beantwortet ist, das in dem gleichen Maß Forderungen an die Regierung gestellt hat, WHNS zu mißbrauchen.
Die juristischen und verfassungsrechtlichen Fragen sind wichtig, aber hier nicht einmal das Hauptproblem. Selbst wenn der Vertragstext den Mißbrauch der WHNS-Struktur für US-Militärinterventionen in der Dritten Welt ausschlösse, wäre dies noch unzureichend. Die Bundesregierung ist der Auffassung, jede Verwendung von Rüstungsmaterial oder Soldaten der USA vom Boden der Bundesrepublik für Einsätze in der Dritten Welt müsse von ihr genehmigt werden. Das ist ehrenwert. Nur, es reicht nicht aus. Die USRegierung mag sich dieser Auffassung nämlich nicht anschließen. Zwar hat die Reagan-Administration der bundesdeutschen Auffassung nie öffentlich widersprochen - das ist richtig - , wir wissen aber, daß sie lange innerlich an dieser Frage gespalten war und sich dann auf den bürokratischen Kompromiß einigte, es müßten Konsultationen stattfinden. Aber, meine Damen und Herren, Konsultationen sind keine Zustimmungspflicht.
Es kommt aber noch besser: Selbst von Konsultationen der Bundesregierung durch die USA kann nicht in allen Fällen die Rede sein. In einer ganzen Reihe von Fällen haben die USA Waffen und Material aus der BRD und durch die BRD zu Einsätzen in der Dritten Welt geschleust, ohne daß die Bundesregierung davon auch nur unterrichtet worden wäre. Dies ist ein völlig unerträglicher Zustand.
Ebenso unerträglich ist allerdings, daß die Bundesregierung diese Praktiken zu verschleiern versucht und in diesem Zusammenhang das Parlament belogen hat. Ich gebe Ihnen aus Zeitgründen nur ein Beispiel: Die Bundesregierung hat in Beantwortung zweier Kleiner Anfragen von mir - Drucksachen 11/2120 und 11/2871 - schriftlich erklärt, daß es nur einen Fall gegeben habe, bei dem die US-Regierung ohne Zustimmung der Bundesrepublik eigenes Rüstungsmaterial durch die BRD transportiert habe, den Fall des Contragate-Skandals.
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Dies ist eine glatte Lüge, eine Lüge gegenüber dem Parlament.
In einer ganzen Reihe weiterer Fälle ist das nachgewiesen, nicht nur beim Jom-Kippur-Krieg.
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- vielleicht regen Sie sich nicht so auf, Kollege, und hören zu - oder dem US-Mannöver Bright Star, das 1985 in Ägypten stattfand. In beiden Fällen und in einigen anderen hat die Bundesregierung in Washington protestiert, in anderen nicht. Nun will sie dem Bundestag weismachen, daß es diese Fälle nicht gegeben habe.
Das Problem besteht aber natürlich nicht nur darin, daß die US-Regierung ihre Partner im dunkeln läßt und ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen bricht. Es ist schließlich nicht besser, daß die Bundesregierung - offensichtlich zur Vermeidung weiterer Schwierigkeiten - die entsprechenden Zustimmungen zu den US-Rüstungstransporten durch die BRD inzwischen routinemäßig erklärt und sich damit völkerrechtlich an den jeweiligen Aggressionsakten beteiligten.
Ich komme zum Schluß. Die BRD ist eine zentrale logistische Drehscheibe für US-Militäreinsätze in der Dritten Welt geworden, insbesondere für den Nahen und Mittleren Osten. Der WHNS-Vertrag führt doch dazu, daß die verfügbare Infrastruktur für solche Interventionen drastisch verbessert wird. Die US-Regierung nutzt diese Infrastruktur für die „out of area"-Einsätze, ohne den WHNS-Vertrag formal zur Anwendung zu bringen, und - das ist das Entscheidende - sie nutzt den Vertrag, um die Bundesregierung politisch entsprechend unter Druck zu setzen. Eine bloße juristische Präzisierung des Abkommens, wie von der Mehrheit der SPD-Fraktion inzwischen verlangt wird und hier vorgelegt ist, genügt keinesfalls. Die einzige friedenspolitisch vertretbare Option, Herr Kollege, ist, diesen Vertrag zu kündigen und materiell rückgängig zu machen.
Ich möchte die SPD auffordern, zu dem Parteitagsbeschluß von 1986 zurückzukommen, der ebenfalls die Kündigung des Vertrages gefordert hat. Wir werden Ihren Text von damals in den Ausschuß zur Beratung einbringen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag den einen oder anderen Sachkundigen hier vielleicht langweilen, aber es scheint doch notwendig zu sein, einige nüchterne Fakten und Daten in die Erinnerung zu rufen.
Der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages ist in der 9. Legislaturperiode über das WHNSRonneburger
Abkommen unterrichtet worden. Mit Schreiben vom 25. Januar 1982 wurde der Entwurf des deutschamerikanischen Regierungsabkommens übersandt. Nach Beratung und zustimmender Kenntnisnahme im Verteidigungsausschuß am 11. Februar 1982, im Auswärtigen Ausschuß am 3. März 1982 - der Kollege Francke hat eben schon darauf hingewiesen - und im Haushaltsausschuß am 10. und 24. März desselben Jahres wurde das Abkommen schließlich, Herr Kollege Ehmke, am 15. April 1982 unterzeichnet. Natürlich ist eine Debatte im Bundestag nicht das Forum, in dem aus den Protokollen, zumal wenn sie als „VS-Vertraulich" eingestuft sind, des Auswärtigen Ausschusses zitiert werden kann. Aber das eine kann doch wohl gesagt werden: daß Ihre Interpretation, Herr Kollege Ehmke, die Sie in dieser Ausschußsitzung dem WHNS-Abkommen gegeben haben, ausdrücklich im Protokoll des Auswärtigen Ausschusses als Grundlage für die Zustimmung bezeichnet worden ist.
({0})
Das ist doch nicht aus der Welt zu schaffen.
({1})
- Ich verstehe Ihren Gegenruf überhaupt nicht. Ich stelle hier fest: Sie haben das Abkommen in demselben Sinne interpretiert, in dem es die gegenwärtige Bundesregierung interpretiert. Das, was Sie damals gesagt haben, ist Grundlage der Entscheidung des Auswärtigen Ausschusses gewesen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Ehmke.
Herr Ronneburger, da Sie bei den ganzen Erörterungen dabei waren: Der Punkt, der zu dieser Debatte geführt hat, ist doch der, daß die Bundesregierung das nicht so auslegt. Sonst sagen Sie mir, warum die Bundesregierung nicht erklärt, daß eine Feststellung des Krieges in irgendeinem NATO-Gremium nicht in Frage kommt, bevor der Bundestag den Verteidigungsfall erklärt hat, und das gleiche für den Spannungsfall tut. Diese Bundesregierung legt es nicht so aus, wie es damals von uns gesagt worden ist. Sie drückt sich um diese Auslegung, die allein verfassungskonform wäre.
Verehrter Herr Kollege Professor Ehmke, ich muß Ihnen nun sagen: Es gibt eine lange Reihe von einschlägigen mündlichen und schriftlichen Anfragen von Ihrer Seite: vom 19. Dezember 1986, drei Anfragen von 1987, eine vom 3. Juni dieses Jahres. Alle diese Antworten sagen genau das, was Sie im Auswärtigen Ausschuß damals interpretiert haben: daß in diesem WHNS-Abkommen Dinge geregelt werden, die mit der Interpretation von Spannungsfall und Verteidigungsfall in unserer Verfassung nichts zu tun haben. Sie zwingen mich ja geradezu, nun doch auf die Einzelheiten Ihrer damaligen Äußerungen einzugehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Ja, bitte.
Wenn das so wäre, Herr Kollege Ronneburger, dann erklären Sie dem Hohen Haus doch bitte einmal, warum Sie und die Bundesregierung sich weigern, das zu erklären, was in unserem Antrag steht? Dann wäre der Streit ausgeräumt. Wenn das, was Sie sagen, wahr wäre, müßten Sie heute dem Antrag zustimmen.
Dies ist exakt die Interpretation, die auch in den Mitteilungen, die Sie bekommen haben, ausdrücklich festgestellt wird, daß nämlich die verfassungsrechtlichen Wirkungen, Herr Kollege Ehmke, die von der Feststellung des Spannungsfalls nach unserem Grundgesetz und des Verteidigungsfalles nach unserem Grundgesetz ausgelöst werden, in keiner Weise ausgelöst werden durch die Feststellung im WHNS-Abkommen, das Krise oder Krieg in dieser Exaktheit ausdrücklich gar nicht unterscheidet, sondern in einem Gesamtzusammenhang sieht. Das hat aber überhaupt nichts damit zu tun, was durch Art. 80a und Art. 115a ausgelöst würde - mit der Wahrung der Rechte dieses Bundestages.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Ronneburger, ich stelle eine andere Frage. Stimmen Sie mir zu, daß die Regelung des Spannungsfalls im Grundgesetz gerade ausschließen soll, daß Krieg von der Exekutive erklärt wird? Das ist die Neuerung des Grundgesetzes. Darum geht es, und das ist nicht sichergestellt.
Das ist natürlich sichergestellt
({0})
durch die verfassungsrechtlichen Regelungen, die durch die Feststellungen nach dem WHNS-Abkommen in keiner Weise abgelöst werden und auch nicht abgelöst werden können.
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Aber ich glaube, Herr Professor Ehmke, wir sollten unser Zwiegespräch jetzt beenden, zumal ich sowieso zu einer für Sie etwas unangenehmen Feststellung kommen werde.
Es besteht der Verdacht, als unterstellte der Antrag, der heute vorliegt, daß die gegenwärtige Bundesregierung weniger verfassungstreu sei und man ihr weniger zutrauen könne, daß sie sich an Bestimmungen der Verfassung hält, als etwa eine frühere sozialliberale Regierung. Es wird hier der Eindruck erweckt, als gäbe es eine Bundesregierung, der die Opposition mehr als einer früheren Bundesregierung vorschreiben muß, sie habe sich an die Verfassung zu halten. Es
wird der Eindruck erweckt - das haben Sie ganz bewußt getan, Herr Kollege Ehmke -, als hätten die USA die Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland mit den zur Verfügung gestellten militärischen Einrichtungen sozusagen wie einen Flugzeugträger in Anspruch zu nehmen und damit die Dienste der Bundeswehr zur Verfolgung eigener nationaler USA-Ziele. Sie haben Anforderungen der USA erwähnt. Ich frage Sie: Warum erwähnen Sie nicht gleichzeitig
- was Sie ja wissen - , daß die Bundesregierung diese Anforderungen zurückgewiesen hat?
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- Herr Ehmke, soll ich wirklich unterstellen, daß Sie von solchen Vorgängen keine Kenntnis haben? Das wäre doch geradezu absurd.
Hiermit sind zwei Dinge klargestellt, erstens daß die Bundesregierung bereit ist, sich an die Bestimmungen sowohl des WHNS-Abkommens wie an die eigene Verfassung - aber doch selbstverständlich - zu halten, und zweitens daß es nicht so ist, wie hier unterstellt wird, daß Anforderungen, die sich auf das WHNS-Abkommen beziehen, zu anderen Dingen verwandt werden könnten als zur Vorneverteidigung der Bundesrepublik Deutschland.
Dann liegt in Ihren Äußerungen noch ein weiterer Trend, der etwa in die Richtung geht, mit der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sei es offenbar nicht weit her, und die Besatzungsmächte könnten mehr oder weniger tun, was sie wollten. Das geht bis hin zu Ihrer Eventualforderung einer Änderungskündigung des WHNS-Abkommens. Ich kann solchen Tendenzen überhaupt nicht zustimmen und kann Ihnen nur sagen: Es gibt einen klar gegliederten Handlungsablauf, einen Ablauf von Konsultationen, Unterrichtungen und Beschlüssen innerhalb der NATO in einer Krise. Aber es ist auch selbstverständlich, Herr Professor Ehmke, daß der Entscheidungsablauf innerhalb der NATO dann zu Maßnahmen in nationaler Souveränität im Rahmen unserer Verfassung führt.
Eine Bemerkung sei mir an dieser Stelle noch gestattet. Ich wundere mich, daß ein solcher Antrag, wie er heute vorliegt, von Ihrer Fraktion gestellt wird. Ich habe vorhin auf Ihre Äußerungen im Auswärtigen Ausschuß hingewiesen. Ich weise zusätzlich auf eine Plenardebatte hin, die wir am 30. Januar 1986 geführt haben. Aus dieser Debatte möchte ich jetzt ein paar Sätze mehr Ihres Kollegen Gansel zitieren, der ja auch Antragsteller am heutigen Tag ist. Herr Gansel hat damals gesagt:
... es darf nicht erlaubt werden, dieses Abkommen
- WHNS zu benutzen, um der Bundeswehr eine Hilfsfunktion für militärische Aktionen der USA außerhalb des Vertrages zu unterstellen. Das wäre
- so wörtlich eine üble Dämonisierung.
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Dieses Abkommen enthält Rechte und Pflichten der USA und der Bundesrepublik nur zur Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik.
- Ich erinnere an den dritten Absatz Ihres Antrags. Es ist eng und unmißverständlich gefaßt. Aus dem Abkommen ergeben sich noch nicht einmal Rechte oder Pflichten für die USA oder die Bundesrepublik, wenn ein drittes NATO-Land angegriffen wird. Das Abkommen
- so sagt Herr Gansel ist insofern enger gefaßt als der NATO-Vertrag selbst. Es begründet keine neuen militärischen Beistandspflichten, sondern es konkretisiert die bestehenden zur Verteidigung der Bundesrepublik auf dem Territorium der Bundesrepublik. Es liegt in unserem Sicherheitsinteresse, daß an diesen völkerrechtlichen Regelungen nicht gedeutelt wird. Jedes andere Verhalten wäre unverantwortlich.
Herr Kollege Ehmke, ich habe dem nichts hinzuzufügen außer vielleicht der Frage und der Mahnung, warum sich die SPD-Fraktion nicht an das hält, was ihr Sprecher Gansel damals gesagt hat.
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Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit auf zahlreiche Anfragen und Initiativen der SPD-Fraktion zur Auslegung des WHNS-Abkommens wiederholt verbindlich erklärt - ich erneuere das hier - , daß eine verfassungsgerechte, eine verfassungskonforme Anwendung des Abkommens und die Beschränkung deutscher Unterstützungsleistungen auf amerikanische Streitkräfte, die der Verstärkung der Vorneverteidigung in der Bundesrepublik dienen, sichergestellt sind. Hierzu enthält Ihr heutiger Antrag, wie ich meine, nichts Neues. Ich darf dennoch noch einmal auf die Lage eingehen.
Nach Art. 1 des WHNS-Akommens stellen die Vertragspartner gemeinsam fest, ob eine Krise oder ein Krieg besteht. Dabei sind die Bereitstellung der Verstärkungskräfte und damit die Entscheidung zur Durchführung der NATO-Verteidigungsplanung für Westeuropa Gegenstand von Konsultationen zwischen den Vertragsparteien und der NATO nach dem Nordatlantikpakt.
Die Konsultationsverfahren zur politischen Bewältigung einer krisenhaften Entwicklung - dazu gehört auch die Entscheidung über eine Zuführung von US-Verstärkungskräften - sind im Bündnis geregelt. Verfassungsrechtliche Zuständigkeiten, verfassungsrechtliche Verfahren werden dabei weder beeinträchtigt noch unterlaufen.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, benutzen die Formulierung „Feststellung einer Krise", als ob eine Krise wie ein Spannungsfall festgestellt
würde. Sie wissen aber ganz genau, daß das nicht so ist. Maßnahmen nach dem WHNS-Abkommen sind unabhängig von der Feststellung des Spannungsfalls oder des Verteidigungsfalls. Krieg im Sinne des WHNS-Abkommens ist der bewaffnete Konflikt im Sinne des Kriegsvölkerrechts. Selbst wenn ein derartiger Konflikt Teile des Bündnisgebietes trifft und die Bündnispflichten auslöst, bedeutet das nicht, daß auch der Verteidigungsfall nach Art. 115 a des Grundgesetzes festgestellt wird oder festgestellt werden muß.
Gleichwohl kann diese Entwicklung es notwendig erscheinen lassen, auch die Entscheidung zur schnellen Verstärkung Europas und zur Anwendung des WHNS-Abkommens zu treffen, um die Streitkräfte in der Bundesrepublik in die Lage zu versetzen, auf eine Ausweitung des Konflikts angemessen reagieren zu können.
In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, kommt auch wieder das Mißtrauen gegenüber unseren amerikanischen Verbündeten zum Ausdruck. Sie unterstellen den USA, das WHNS-Abkommen vertragswidrig auch für Out-of- area-Einsätze von US-Streitkräften nutzen zu wollen. Sie gehen hierbei von falschen Tatsachen und falschen Voraussetzungen aus.
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Ich darf Ihnen noch einmal die Mechanismen erläutern.
Die zivilen Leistungen, die in Krise und Krieg erbracht werden sollen, werden bereits im Frieden über die zuständigen Dienststellen des Territorialheeres angemeldet, dort geprüft und an die für die Bedarfsdeckung zuständigen Dienststellen der Bundeswehrverwaltung weitergeleitet.
Durch die bestehenden und im einzelnen in Bearbeitung befindlichen Verfahren über die Inanspruchnahme von zivilen Leistungen ist sichergestellt, daß zivile Unterstützungsleistungen nach dem Abkommen nur den für die Vorneverteidigung verstärkten US-Streitkräften und deren zivilem Gefolge gewährt werden.
Beim Einsatz militärischer WHNS-Verbände sind folgende Zusammenhänge zu beachten: In normalen Friedenszeiten ist eine Unterstützung der US-Streitkräfte allenfalls im Rahmen von Verstärkungsübungen und im Rahmen von Mobilmachungsübungen mit deutschen Reservisten möglich.
In einer Krise werden deutsche WHNS-Verbände ausschließlich zur Unterstützung der verstärkten US-Verbände im Rahmen der NATO-Verstärkungspläne mobil gemacht. Sie verbleiben also ohne Ausnahme unter deutschem Kommando und werden nach deutschen Führungs- und Einsatzgrundsätzen eingesetzt. Das Zusammenwirken mit den US-Streitkräften ist über entsprechende Weisungen für die Zusammenarbeit geregelt. Ein Einsatz außerhalb des Vertragsgebietes oder ein Mißbrauch deutscher WHNS-Verbände zur Unterstützung von Out-of-area-Einsätzen der US-Streitkräfte ist damit schlechterdings unmöglich.
Meine Damen und Herren, die Aufstellung der WHNS-Verbände ist im Bündnis stets - zuletzt am 5. Oktober 1988 durch den stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsminister Taft - als besonders gelungenes Beispiel eines im Bündnis wirklich solidarisch praktizierten burden sharings hervorgehoben worden. In einer Zeit, in welcher die Frage der Lastenteilung zu einem der wichtigsten Themen im Bündnis insgesamt geworden ist und - auf Grund anhaltenden politischen Drucks gerade auch aus der amerikanischen Öffentlichkeit - auf absehbare Zeit wohl auch bleiben wird, wäre ein einseitiger Rückzug, wäre jede Kündigung der Bundesrepublik Deutschland des WHNS-Abkommens ein politisch absolut unangebrachtes, ein politisch absolut falsches Signal.
Darüber hinaus - dies ist mir noch wichtiger - : Meine Damen und Herren, das WHNS-Abkommen dokumentiert unsere ganz besondere Verbundenheit mit unserem amerikanischen Partner. Ich darf an dieser Stelle sehr kurz und zusammengefaßt zum Ausdruck bringen: Die Präsenz der Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa ist unverzichtbarer Garant unserer gemeinsamen Sicherheit, und sie darf nicht in Frage gestellt werden. Das WHNS-Abkommen bildet einen besonderen und wichtigen Beitrag hierzu. Das WHNS-Abkommen ist auch in unserem ureigensten sicherheitspolitischen Interesse gerechtfertigt, angebracht, nützlich und nach wie vor zu bewahren.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister der Verteidigung, Sie haben immerhin versucht, eine Erklärung zu den Problemen, die in unserem Antrag angesprochen und aufgeworfen werden, abzugeben. Wir werden diese Erklärung einer Prüfung unterziehen. Ich glaube aber nicht, daß durch Ihre Ausführungen oder durch die bisherigen schriftlichen wie mündlichen Stellungnahmen der Bundesregierung das widerlegt werden konnte, was der Kollege Ehmke hier dargelegt hat.
Die gegenwärtige Bundesregierung hat in dem umfassenden Verfahrensgang zu keiner Zeit erkennen lassen, daß es nicht angeht, von den Möglichkeiten des WHNS-Abkommens für irgendeinen anderen Zweck als den der Verstärkung der Zentralfront Gebrauch zu machen und den Kriegszustand zu erklären, ohne daß ihn der Bundestag beschlossen habe. Allein darum geht es uns. Es ist die Kriegserklärung der Bundesregierung und nicht des Parlaments, was sich im Vollzug dieses Vertrages ergeben kann. Dazu verlangen wir von Ihnen eine Selbstbindung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament.
Alle unsere förmlichen parlamentarischen Initiativen konnten diese von mir jetzt noch einmal herausgearbeitete Problematik nicht klären. Es waren nicht wenige solcher Initiativen. Der Kollege Ronneburger war so freundlich, einige aufzuführen. Wir haben am 5. November 1986 einen Antrag „Auslegung des Wartime-Host-Nation-Support-Abkommens" gestellt. Der Abgeordnete Professor Dr. Ehmke hat in mündlichen
und schriftlichen Fragen, so am 19. Dezember 1986, am 19. März 1987 und am 14. April 1987, wiederholt versucht, Klarheit zu bekommen, auch er hat es nicht geschafft. Zum einen verweigerte sich die Mehrheit des Hauses schon beim ersten Antrag, und zum anderen gingen die Antworten der Bundesregierung stets ins Leere. Auch der Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD mit der Antwort der Bundesregierung vom 26. August 1987 war das gleiche Schicksal beschieden. So erging es auch den Fragen der SPD vom 20. April 1988 im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuß, was schließlich zu dieser Antragsinitiative führen mußte.
Was konkret an Möglichkeiten in einem WHNSVertrag zur Unterstützungsleistung für alliierte Stationierungsstreitkräfte als Verstärkungstruppen steckt, hat das Abkommen mit Kanada offenbart, das gegenwärtig zur Unterzeichnung ansteht. Die von Ihnen eilig versuchte Befassung des Verteidigungsausschusses mit diesem Vertrag vor der Beratung und Beschlußfassung zum vorliegenden SPD-Antrag ist für sich genommen schon ein Affront. Daß aber bereits umfangreiche Erweiterungs- und Umbauten auf den Militärflughäfen Lahr und Söllingen eingeleitet und damit Vorbereitungen zur möglichen Aktivierung des WHNS-Vertrages mit Kanada getroffen worden sind, noch bevor sich das Parlament damit befaßt hat, ist eigentlich unverständlich und macht deutlich, daß die Bundesregierung es mit dem Beteiligungs-, mit dem Informations- und Konsultationsrecht des Deutschen Bundestages zumindest nicht so genau nimmt.
Das muß für den WHNS-Vertrag mit den USA über die bereits in der parlamentarischen Klärungsphase angesprochenen Probleme hinaus bedenklich stimmen und gibt den zahlreichen Initiativen unserer Fraktion zusätzliche Bedeutung. Eine solche Verfahrensweise läßt eben befürchten, daß das Abkommen mit den USA auch für andere Zwecke angewandt worden ist und angewandt werden kann. Dies gilt im Zusammenhang mit Überflugrechten, Computereinsätzen, Hafenbenutzungen, Nutzungen von Informationssystemen, Infrastruktureinrichtungen und Depotinhalten.
Nie hat die Bundesregierung im Rahmen dieses Abkommens nachprüfbar klargestellt, ob die Nutzung von WHNS-Einrichtungen durch den Vertragspartner außerhalb des Vertragszweckes ihrer Konsultation oder/und der Zustimmung bedarf. Außerdem konnte sie nie Antwort darauf geben, wie sichergestellt ist, daß sie solche Nutzungen verhindern kann. Auskünfte über faktische Kontrolle vor Ort konnten keine Klarheit darüber geben, ob garantiert ist, daß Mißbrauch mit dem Depotinhalt wie Waffen, Treibstoff und Munition, der in der Regel amerikanisches Eigentum ist, zwingend ausgeschlossen ist.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Bitte schön, Herr Kollege Ronneburger.
Herr Kollege Kolbow, Sie haben soeben gesagt, die Bundesregierung habe die
Grenzen und den Rahmen dieses Abkommens zu keiner Zeit dargestellt. Nun hat Ihr Kollege Professor Ehmke vorhin gesagt, Sie könnten lesen. Darf ich Sie fragen, ob Sie diese Behauptung des Kollegen Ehmke aufrechterhalten, wenn Sie daran denken, daß alles das, wonach Sie jetzt fragen, in dem Abkommen exakt steht?
({0})
Sie haben, Herr Kollege Ronneburger - es tut mir leid, daß das in unseren Debatten zum wiederholten Mal deutlich wird - , immer noch nicht verstanden, um was es geht. Es geht darum, das zu garantieren, was in dem Abkommen steht. Es geht um die Frage - ich sag's Ihnen noch einmal - , das Parlament in jedem Fall des Krisenspektrums zu beteiligen und ein Unterlaufen mit dem Begriff der „Krise" zu verhindern, um hier die Kriegserklärung durch die Regierung nicht stattfinden zu lassen. Im übrigen kann ich mich auch bereit finden, die umfangreichen Antworten mit Ihnen noch einmal durchzugehen und dann mit Ihnen gemeinsam zu lesen. Offensichtlich lesen Sie - das entnehme ich Ihren Einlassungen und auch dieser Frage - etwas anderes als wir.
Dies zu verhindern, was ich hier soeben noch einmal ausgeführt habe, ist ein Problem, das auch ohne das WHNS-Abkommen - und damit wird es noch einmal spezifischer - existiert und durch die Truppenstationierung generell besteht.
Der Fall der Lieferung von 500 Panzerabwehrraketen vom Typ TOW durch die USA an das KhomeniRegime im Iran, die zuvor angeblich im US-Stützpunkt Ramstein lagerten, ist ein Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird. Die Steuerung des amerikanischen Luftangriffs auf Tripolis im April 1986 von einer US-Kommandozentrale in Stuttgart-Vaihingen wird als ein weiteres Beispiel genannt. Bei enger Auslegung des Völkerrechts ist die Situation, daß die Bundesrepublik zweimal - nach dem mittelbaren Aktionsbegriff der Vereinten Nationen - Kriegsbeteiligte gewesen ist.
Weil also die bisherigen Parlamentsinitiativen - offensichtlich gelingt es uns auch heute nicht, Sie zu überzeugen - keine verbindlichen Erklärungen darüber erreicht haben, ob und wie die Umgehung gültiger deutscher Rechtsgrundlagen ausgeschlossen und damit nationale Aktivitäten der US-Streitkräfte außerhalb des geographischen Geltungsbereichs des WHNS-Abkommens bzw. des NATO-Vertrages de jure und de facto unmöglich sind, ist im Einklang mit dem Friedensstaatlichkeitsgebot des Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und der UN-Resolution zur Agressionsproblematik vom 14. Dezember 1974 und der unbestrittenen politischen Forderung, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, die Klärung der verfassungskonformen Auslegung des WHNS-Vertrages mit den Vereinigten Staaten unabdingbar.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment nicht, danke.
Für die Handhabung der Begriffe „Krise" und „Krieg" in dem Vertrag ist dabei auch gravierend, daß - da komme ich auf einen Brief von Ihnen, Herr Bundesminister, an mich aus dem Juni zu sprechen - auch in allen maßgeblichen langfristigen Planungsdokumenten der Bundeswehr wie den verteidigungspolitischen Richtlinien von 1972, der militärstrategischen Zielsetzung von 1974 und der Konzeption der Bundeswehr von 1985 der Auftrag der Streitkräfte, anknüpfend an die sogenannte Bündnisterminologie, für die Phasen Frieden, Krise und Krieg formuliert ist.
Diese Aufteilung für konzeptionelle Überlegungen und Planung geht davon aus, daß der Spannungsfall Teil der Krise, jedoch nicht gleichbedeutend mit dieser in ihrer Gesamtheit ist und der Verteidigungsfall bereits vor dem Beginn bewaffneter Auseinandersetzungen festgestellt werden kann und deshalb nicht zwingend mit dem Krieg identisch ist.
Eine Verwendung der Rechtsbegriffe „Spannungs-
und Verteidigungsfall" in den Planungsdokumenten würde nach Auffassung der Bundesregierung erheblich umfangreichere - hören Sie bitte zu - und differenzierendere Ausführungen erfordern, als dies bei der Verwendung der bündnisüblichen Begriffe „Krise" und „Krieg" notwendig ist. Dieser Verzicht auf Klarheit und Bestimmtheit in diesen Regierungsdokumenten ist ein weiteres Indiz für das mögliche Unterlaufen der verfassungsmäßigen Rechte des Deutschen Bundestages.
Der Bundesminister der Verteidigung ist hierzu der Auffassung, daß die verfassungsrechtlichen Begriffe dann verwendet werden, wenn rechtliche oder tatsächliche Folgen von ihnen abhängig sind. Dadurch sei sichergestellt, daß die an die Rechtsbegriffe „Spannungs- und Verteidigungsfall" geknüpften Rechtsfolgen nur durch die grundgesetzkonforme Feststellung dieser Fälle ermöglicht werden.
Dies muß in Zweifel gezogen werden, solange sich die Bundesregierung wie im Falle des WHNS-Abkommens mit den USA nicht selber bindet und deutlich macht, daß das Parlament in jedem Falle des Krisenspektrums so beteiligt wird, daß seine Rechte wie beim Spannungs- und Verteidigungsfall gewahrt bleiben.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir hier - heute morgen schon mit den Tiefflügen, jetzt mit diesem Antrag - erleben, Professor Ehmke und Herr Kolbow, ist doch der untaugliche Versuch, sich auf den Bundesminister der Verteidigung einzuschießen ({0})
ich kann nur sagen: völlig ohne Erfolg;
({1})
denn dies sind untaugliche Mittel. Der Antrag der SPD zur Auslegung des deutsch-amerikanischen Abkommens über die Unterstützung durch den Aufnahmestaat im Krisen- und Kriegsfall reiht sich nahtlos in Ihre Politik und in Ihre zahlreichen Versuche ein, unsere Einbindung in das westliche Bündnis und unsere Fähigkeit zur Selbstbehauptung zu untergraben. Sie tun das mit einer Salamitaktik, die wirklich jedem orthodoxen Marxisten-Leninisten zur Ehre gereichen würde.
({2})
- Fragen Sie doch Ihren früheren Bundeskanzler; den haben Sie in Ihrer Politik ja verlassen. Seitdem betreiben Sie ja eine Unsicherheitspolitik,
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mit der Sie erst gegen die nukleare Verteidigungskomponente, gegen die konventionelle und schließlich sogar noch gegen die Reserveverbände vorgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Professor Ehmke hier sagt, man solle diese Sache nicht partei-, sondern staatspolitisch behandeln, dann kann ich nur sagen, daß das, was Sie betreiben, genau eine parteipolitische Behandlung ist. Denn wenn Sie meinen, daß dieses Abkommen fehlerhaft abgeschlossen sei, daß es nicht genau definiere, dann müßten Sie dies ja an Ihre eigene Adresse richten, denn Sie selbst, Ihre Regierung hat dieses Abkommen am 15. April 1982 durch Bundeskanzler Schmidt abgeschlossen. Wir haben dem zugestimmt, und zwar deswegen, Herr Kolbow, weil wir das Vertrauen auch in Bundeskanzler Schmidt hatten, daß er einen Krisenfall zu behandeln weiß. Dies Vertrauen haben wir um so mehr in unsere Bundesregierung und in unseren Bundesminister der Verteidigung.
Angesichts der zwei- bis dreifachen Überlegenheit des Warschauer Pakts, die sich im übrigen unter Gorbatschow noch erhöht hat, wäre es richtig, die sechs amerikanischen Divisionen, für die das Gerät entsprechend dem Unterstützungsabkommen eingelagert wird, in vollem Umfang aufzustellen und hier in der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren. Das wäre ein wirklicher Beitrag zu der so oft geforderten Stärkung der konventionellen Verteidigung und auch ein Beitrag zur Verringerung des Ungleichgewichtes zwischen Ost und West, was wie ich hoffe, wir ja alle wollen. Aber wenn auf die volle Aufstellung präsenter amerikanischer Divisionen verzichtet wird und sich die atlantische Allianz auf die Vorbereitung für die Aufnahme in Europa beschränkt, so ist dies ja schon eine politische Vorleistung.
Wir werden aber in keinem Falle Ihrem Versuch folgen, hier den Handlungsspielraum der Bundesregierung, den Sie bei Abschluß dieses Vertrages für Ihre Bundesregierung ja ausdrücklich eingeplant haben, nun einzuengen. In Ihrem Planungs- und Regelungsfanatismus wollen Sie sogar unvorhergesehene und
krisenhafte Entwicklungen formalisieren und verbürokratisieren. Das Wesen einer Krise ist aber gerade das Unvorhergesehene, und dies kann nicht formalisiert werden.
Verantwortliches politisches Handeln besteht darin, die wichtigen Entscheidungen über eine Stärkung unserer konventionellen Verteidigungsfähigkeit rechtzeitig zu ermöglichen, und diese Entscheidung darf nicht durch überflüssige bürokratische Hemmnisse erschwert werden.
({4})
Verzögerungen im Entscheidungsablauf mindern die Abschreckungswirkung und können auf einen potentiellen Angreifer eher 'ermutigend, aber sicher nicht abschreckend wirken. Entscheidungen zum Unterstützungsabkommen sind nicht anders als andere Entscheidungen im Rahmen der Krisenbewältigung zu sehen. Eine förmliche Feststellung der Krise entsprechend der Feststellung des Spannungsfalls kann es daher auch nicht geben. Es geht hier um Krisenbewältigung und nicht um Kriegserklärung, und Krisenbewältigung ist Sache der Exekutive. Nur die Exekutive verfügt über die Mittel und Information,
({5})
um eine Krise rasch zu beenden, ich wiederhole noch einmal: auch wenn diese Exekutive von einem Bundeskanzler Schmidt gestellt ist. Deshalb haben wir dem damals zugestimmt. Jede Krisenmaßnahme kann im übrigen wieder zurückgenommen werden.
({6})
Das ist ganz klar. Sobald es nicht mehr notwendig ist, können auch die amerikanischen Divisionen jederzeit zurückgesandt werden. Die Entscheidungen des Bundestages entsprechend dem Art. 80 a des Grundgesetzes werden dadurch in keiner Weise berührt.
Das Unterstützungsabkommen bietet für das Bündnis und für die deutsche Sicherheit große Vorteile. Es ist zugleich Ausdruck der engen Verbundenheit zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland. Die Abschreckungs- und Verteidigungspolitik des Bündnisses auf konventionellem Gebiet beruht im wesentlichen darauf, daß möglichst viele Truppen rechtzeitig - und das heißt, möglichst früh - bei uns verfügbar sind. Es dürfte daher keinen Zweifel daran geben, daß die Vereinigten Staaten bei einer Kündigung dieses Abkommens - und wenn Ihr Parteitag dies so beschlossen hat, ist ja wohl deutlich, daß Sie darauf hinauswollen - das Gerät für ihre sechs Verstärkungsdivisionen aus Europa abziehen und anderweitig einplanen würden. Darüber hinaus würde sich dann aber auch die Frage stellen, ob die Amerikaner ihre vier präsenten Divisionen in der Bundesrepublik Deutschland belassen sollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bin gleich am Schluß. Das Unterstützungsabkommen ist ein entscheidender Bestandteil unserer Politik der Sicherung des Friedens in Freiheit durch abgestufte Abschrekkung.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß sowie zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 22 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Forderungen zur Situation der Polizeien in Bund und Ländern
- Drucksache 11/2243 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen.
({1})
- Dem möchte ich nicht widersprechen.
({2})
Auch hier erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den schrecklichen, brutalen und menschenverachtenden Ereignissen der letzten Monate ist die Polizei einmal mehr verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Dabei erinnere ich nur an die Ermordung von zwei Polizeibeamten in Hannover, die bei einem Festnahmeversuch kaltblütig erschossen wurden. Ich erinnere an die heimtückischen Morde an den beiden Polizeibeamten an der Startbahn West in Frankfurt und nicht zuletzt an das immer noch nicht begreifbare Gladbecker Geiseldrama.
Eines haben alle drei genannten Geschehnisse sicherlich gemeinsam: Die Polizei hat sich ganz sicher stets bemüht - auch unter Einsatz des Lebens von Beamten - , im Kampf gegen das Verbrechen zu bestehen. In den genannten Fällen hat sie diesen Kampf verloren. Meine Aufgabe kann es hier nicht sein, zu untersuchen, ob Fehleinschätzungen - und, wenn ja, welche - zu den genannten Katastrophen geführt haben.
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Ich halte es aber für dringend geboten, festzustellen,
daß man der Polizei keine Zeit zur Trauer gelassen
hat, denn diese wurde durch massive öffentliche KriGraf
tik verhindert. Besserwisser hat es damals gegeben, und es gibt sie noch heute.
Kolleginnen und Kollegen, diese Geschehnisse sollten wir im Auge behalten, wenn wir uns heute mit dem von der SPD-Fraktion eingebrachten Antrag zur Situation der Polizeien in Bund und Ländern befassen. Nun könnte man ja glauben und sagen, es sei Sache der Länder, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Damit wäre das Thema „innere Sicherheit" für uns in diesem Hause erledigt. So ist es aber wohl nicht, und man braucht nicht auf die Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes zu verweisen, um den Nachweis zu führen, daß dies so nicht stimmt; denn die Spielräume der Länder werden durch die Rahmenkompetenz des Bundes in erheblichem Maße verengt. Aber unabhängig davon muß darauf hingewiesen werden, daß die Verbrechen und die Verbrechensbekämpfung, daß die Kriminalität schlechthin und alle sonstigen Angelegenheiten der inneren Sicherheit überhaupt allemal in den Blickpunkt bundespolitischer Interessen geraten, auch wenn die Verfassungen das anders sehen.
Wenn man über Polizei spricht, muß man sich zunächst einmal die Frage stellen: Warum gibt es sie eigentlich? Warum gibt es die Polizei in unserer Gesellschaft? Die Antwort liegt eigentlich sehr nahe: Es gibt sie, weil Schluß sein muß mit dem Kampf aller gegen alle in einer Gesellschaft. Es sollte und soll immer noch Schluß damit gemacht werden, daß sich in einem solchen Kampf der Stärkere automatisch - nämlich weil er stärker ist - gegen den Schwächeren durchsetzt; der Stärkere, das gilt nicht nur in Richtung Muskeln, sondern das gilt insbesondere in Richtung Geld, in Richtung gekauften Einflusses, in Richtung Macht. Die Polizei in einem Rechtsstaat hat also die Funktion, Stärke und Kraft, die sich sonst gegenüber Schwächeren durchsetzen würde, zu begrenzen.
Die Friedlichkeit der Entwicklung einer Gesellschaft wird - dies ist ein zivilisatorischer Fortschritt - durch die Gestaltung des staatlichen Gewaltmonopols sichergestellt. Dies ist übrigens der Grund, weshalb es in der Sozialdemokratischen Partei an diesem Punkt keine Diskussionen gibt. Wir sind und wir bleiben der Auffassung, daß in einer zivilisierten Gesellschaft nur der Staat mit seinen Institutionen in den dafür vorgesehenen Verfahren das Recht haben darf, Gewalt - damit spreche ich von kontrollierter Gewalt - auszuüben.
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- Das geht noch weiter; wir sind noch nicht am Ende. Wir können uns in den Ausschüssen nachher auch noch sehr intensiv mit diesen Dingen befassen.
Es sind seltsame Hüter, die vom staatlichen Gewaltmonopol reden und meinen, sie dürften das ungestraft privatisieren, mit dem Ergebnis: Bürgerwehren, Schwarze Sheriffs oder wie sie alle heißen. Ich hoffe auf die Zustimmung in diesem Hohen Hause, wenn ich sage: Das ist keine gute Entwicklung. Das ist eine Entwicklung, die auf kaltem Wege die Geltung des staatlichen Gewaltmonopols aushöhlt. Dieses darf nicht sein.
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Kolleginnen und Kollegen, von dieser Feststellung ausgehend, stellt sich natürlich die Frage: Ist unsere Polizei - damit ist natürlich auch der Bundesgrenzschutz gemeint - eigentlich in der Lage, dieses staatliche Gewaltmonopol auszuüben? Ich sage: Im Grundsatz ja. Ich sage deshalb ja, weil ich davon überzeugt bin, daß das vorhandene gesetzliche Instrumentarium durchweg ausreicht, um den vielfältigen Aufgaben wirksam begegnen zu können. Notwendig ist allerdings, daß dieses Instrumentarium konsequent angewandt wird. Wenn ich von konsequenter Anwendung rede, dann beziehe ich hiermit ausdrücklich die Justiz ein.
Aus 28jähriger Berufserfahrung möchte ich hierzu nur eine Anmerkung machen: Es ist schon ein beklemmendes Gefühl, wenn ein Polizeibeamter als Zeuge vor Gericht steht und plötzlich das Gefühl haben muß, er sei nicht Zeuge, sondern Angeklagter. Ich meine, auch dieses sollten wir einmal bedenken.
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Nun weiß ich, daß viele in diesem Haus nicht müde werden, unter dem Hinweis auf steigende Kriminalitätsziffern, auf ein ständiges Ansteigen von Drogen-und Verkehrstoten nach neuen und schärferen Gesetzen zu rufen. Dabei wird nur allzuoft ein Vergleich von Zahlen der früheren Jahre bewußt oder unbewußt gescheut.
Dazu, daß der Innenminister vor zweieinhalb Wochen laut darüber nachgedacht hat, daß beispielsweise zur besseren Kriminalitätsbekämpfung der Einsatz verdeckter Ermittler, die unter einer Legende ins Milieu abtauchen, ein wirksames Instrument für die Polizei ist, muß hier festgestellt werden, daß er damit die Polizei in eine rechtsstaatliche Grauzone bringt und somit rechtsstaatliche Grundsätze in erheblichem Maße gefährdet.
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Es erscheint mir auch notwendig, an dieser Stelle einmal auf die Gewerkschaft der Polizei mit ihrem Vorsitzenden Hermann Lutz hinzuweisen, die nicht müde wird, den hohen Rang der Grundrechte gerade bei polizeilichen Einsätzen immer wieder zu betonen. Ich denke, es ist notwendig, dieses auch einmal vor diesem Hohen Hause auszusprechen.
Nein, immer neuere, immer schärfer werdende Gesetze brauchen wir nicht. Damit lösen wir nicht die Probleme. Wichtig ist vielmehr, daß unausgereifte politische Entscheidungen, z. B. die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, die ungelösten Probleme der Massenarbeitslosigkeit, nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden.
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Es läßt Unfähigkeit und Ohnmacht erkennen, wenn
sich die Politik unter Berufung auf das Mehrheitsprinzip hinter Polizeihelmen und Polizeischilden ver6966
steckt, die dann gegenüber Minderheiten diese Mehrheitsentscheidungen durchzusetzen haben.
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- In dieser Frage haben wir ein anderes Verständnis, Herr Clemens. Das unterscheidet uns von Ihnen.
Dies darf und kann nicht die Aufgabe der Polizei sein.
Im übrigen sollten wir bei alledem nicht vergessen, was Polizeibeamte empfinden, wenn sie sich beispielsweise im Demonstrationseinsatz Menschen gegenübersehen, die ihre Kollegen und Freunde sein könnten und deren Absicht sie nicht als verwerflich empfinden. Ich will hier auch ganz deutlich sagen - das habe ich persönlich erlebt - , wie es ist, wenn man lieber auf der Seite derer stehen möchte, die für oder gegen etwas demonstrieren, dies aber nicht kann, weil man durch den dienstlichen Auftrag daran gehindert ist.
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Jeder sollte sich einmal ernsthaft damit auseinandersetzen, wie einer jungen Beamtin oder einem jungen Beamten zumute ist, wenn sie sich in einer solchen Situation befinden.
Aber das ist nur die eine Seite. Ich weiß, wie es ist, wenn sich Polizeibeamte einer Masse von Gewalttätern und Chaoten gegenübersehen. Ich weiß, was es im Einsatz bedeutet, Angst davor zu haben, von einem Molotowcocktail, einer Eisenkrampe oder einer Kugel getroffen zu werden. Ich weiß, daß es aus diesem Angstgefühl heraus gelegentlich auch zu Überreaktionen auf seiten der Polizei kommt, die dann noch mehr Gewalt erzeugen.
Die Schuldigen sind in der Öffentlichkeit hinterher schnell gefunden: natürlich die Polizei. Ich sage: Nein, das ist zu einfach und wird den eigentlichen Problemen nicht gerecht.
Diese oder ähnliche Situationen gibt es aber nicht nur bei Großeinsätzen, es gibt sie auch im täglichen Dienst. Stellen Sie sich einmal vor, wie einer Streifenwagenbesatzung zumute ist, die in den frühen Morgenstunden, um 4 Uhr, zu einem Familienstreit gerufen wird, wenn sich Vater und Mutter prügeln und sich die Kinder weinend in der Ecke verkriechen. Oder stellen Sie sich einmal vor, wie es ist, wenn eine Streifenwagenbesatzung zu einem Verkehrsunfall gerufen wird und plötzlich feststellt, daß es sich um einen Gefahrguttransport handelt, daß aus dem Ladebehälter Unbekanntes ausströmt. Nicht selten treten Gesundheitsstörungen auf, bevor die Polizei überhaupt weiß, um welchen gefährlichen Stoff es sich dabei handelt.
Diese Aufzählung könnte ich beliebig fortsetzen; ich will dieses nicht tun. Natürlich gehört all dieses, was ich hier angesprochen habe, zu den Aufgaben der Polizei. Genauso natürlich ist es, daß der polizeiliche Dienst mit Gefahren verbunden ist. Es wird nie und von niemandem zu verhindern sein, daß Polizisten in Ausübung ihres Dienstes zu Schaden kommen können. Dieses weiß keiner besser als die Polizei selbst.
Aber weil das so ist, ist es notwendig, daß sich die Politik ihrer Verantwortung bewußt ist, diesen Dienst in jeglicher Hinsicht gerecht zu beurteilen und zu bewerten. Nicht Reden ist das Gebot der Stunde, sondern Handeln.
Dies ist der Grund, warum die SPD-Bundestagsfraktion den heute hier in erster Lesung zu behandelnden Antrag zur Situation der Polizeien in Bund und Ländern eingebracht hat. Wir alle - ich betone: alle - wollen innere Sicherheit, denn sie ist die Voraussetzung für den Frieden, die wichtigste Voraussetzung für den inneren Frieden.
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- Das gehört sicherlich dazu, Frau Kollegin Vollmer.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger in unserem Staat auf Selbsthilfe verzichten wollen und sollen, dann müssen sie sich darauf verlassen können, daß die staatliche Gemeinschaft ihre Sicherheit gewährleistet. Zu denen, die dieses tun, gehört in ganz erheblichem Maße die Polizei. Ohne sie, ohne den Einsatz eines jeden einzelnen Beamten oder jeder einzelnen Beamtin, kann innere Sicherheit nicht gewährleistet werden. Wer sie festigen will, muß sich zwangsläufig um die Beamtinnen und Beamten selbst kümmern, er muß sich kümmern um ihre Sorgen und Nöte, um ihre Aus- und Fortbildung, um ihre wirtschaftliche Lage und zuletzt um ihre Stellung und Anerkennung in unserer Gesellschaft.
Deshalb fordert die SPD-Bundestagsfraktion u. a. die Verbesserung der beruflich bezogenen Aus- und Fortbildung. Wenn man weiß, daß es heute durchweg gängige Praxis ist, daß Beamte oder Beamtinnen im Laufe ihrer 40jährigen Dienstzeit möglicherweise alle zehn Jahre zu einem Fortbildungsseminar geschickt werden, dann kennzeichnet dies, glaube ich, deutlich, welch erhebliche Mängel in diesem Bereich bestehen.
({9})
Es ist aber auch notwendig, Kommunikationstraining zu betreiben, damit die Polizei in die Lage versetzt wird, Gespräche geschickt zu führen und auch schwierige Situationen gewaltfrei zu lösen.
Lassen Sie mich, Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle eine ganz persönliche Anmerkung machen. Ich selbst glaube, festgestellt zu haben, daß das Einsatzinstrument Sprache bei der Polizei wie auch, wie mir scheint, in anderen Bereichen in zunehmendem Maße verkümmert. Die Ursachen hierfür sind sicher sehr vielschichtig.
Ich glaube auch nicht, daß es gut ist, wenn die Polizei auf Weisung von oben immer mehr mit Verkehrskontrollaufgaben betraut wird und der Eindruck entstehen muß, daß derartige Einsätze einzig und allein dazu dienen, die Kassen der Bezirke, der Kreise und der Länder aufzufüllen.
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Dieses Gefühl muß man haben, und die Beamten haben es. Dies führt nicht zu Zufriedenheit, sondern zu Frust bei den Betroffenen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung zum Komplex Wechselschichtdienst machen. Der Wechselschichtdienst ist notwendig. Es kann auch nicht anders sein. Dieses wird von der Polizei auch nicht bestritten. Neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sich aus diesem Dienst ergeben, kommt es aber auch zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen im sozialen Bereich, angefangen beim Ehepartner, über die Kinder, bis hin zu Freunden und Bekannten.
Schichtdienst hat aber auch zur Folge, daß Wechselschichtdienstleistende in ganz erheblichem Maße in der Gestaltung ihrer Freizeit und in der Teilnahme am öffentlichen und politischen Leben beeinträchtigt werden. Auch in diesem Punkt, meine ich, besteht Handlungsbedarf.
Es gibt noch eine Reihe von weiteren Problemen, die ich hier aufzeigen könnte. Aber ich sehe gerade, daß meine Redezeit zu Ende ist. Deswegen möchte ich mich mit einem Schlußsatz auf folgendes beschränken: Ich hoffe, daß in den bevorstehenden Ausschußberatungen zu der Thematik „Polizei " emotionsfrei, sachlich und fair miteinander umgegangen wird. Es muß unser gemeinsames Ziel sein, durch ein Bündel von Maßnahmen im Zusammenwirken mit den Ländern den vielschichtigen Problemen des Polizeidienstes gerecht zu werden. Hierfür erbitte ich Ihre Zustimmung. - Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Positive an diesem - so möchte ich sagen - ein bißchen zusammengewürfelten Antrag der SPD ist, daß man offensichtlich seitens der SPD - ich freue mich darüber - die Bedeutung der Polizei des Bundes und der Länder für unseren Rechtsstaat wiedererkennt.
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Ich erinnere mich an Debatten, wo ich hier eine andere Meinung hätte vertreten müssen.
Positiv ist an diesem Antrag auch, daß wir uns einmal im Plenum über polizeiliche Probleme unterhalten können. Das gibt mir namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Möglichkeit, dem Bundesgrenzschutz und den Länderpolizeien für ihre hervorragende und treue Pflichterfüllung für unseren Staat Dank zu sagen.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle besonders die Disziplin der Polizei herausstreichen, die sie trotz oftmals bestehender schwieriger Umstände und massiver Provokation von Störern stets an den Tag gelegt hat. Meine Hochachtung dafür. Beim Schutz der inneren Sicherheit und der Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung findet die Polizei die CDU/CSU - und das nicht erst seit heute - immer an ihrer Seite.
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Manche Kreise in unserem Land versuchen immer wieder, die Polizisten zu Bütteln gewisser politischer Ziele abzustempeln. Ich nenne als Beispiel Wackersdorf.
Nur zu gerne beschreiben auch Angehörige dieses Parlaments, nicht nur der GRÜNEN, sondern manchmal auch der SPD, die Situation am Bauzaun als Schreckensszenario eines düsteren Polizeistaates. Sie vergessen dabei die demokratischen Spielregeln.
({3})
Die WAA ist das Ergebnis einer politischen Entscheidung. Mit den vom Grundgesetz garantierten Mitteln kann jeder dagegen angehen. Er kann von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen. Doch ein Recht auf freie Randale und auf Gewalttätigkeit gibt es nicht. Um dieses zu verhindern, stehen die Polizisten am Bauzaun in Wackersdorf. Sie schützen uns vor der Anarchie.
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Alle Umfragen beweisen, daß der überwiegende Teil der Bürger für die Arbeit der Polizei dankbar ist. Daher muß der Auffassung der SPD in diesem Antrag energisch widersprochen werden, viele Menschen in unserem Staat empfänden die Polizei als politischen Gegner. Die regelmäßig jedes Jahr vorgelegten Berichte des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung sprechen eine deutliche Sprache. Sie belegen eindeutig, daß die Bundesbürger Vertrauen in unsere Polizei haben. Von allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens genießt die Polizei nach dem Bundesverfassungsgericht und sonstigen Gerichten allgemein das höchste Vertrauen. Erst weit dahinter rangieren in der Vertrauensskala z. B. die Gewerkschaften, die Medien und - das muß ich fairerweise sagen - auch die Politiker.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Bitte.
Würden Sie dem Hohen Haus die Belegstelle für Ihre Behauptung nennen, was wir angeblich in unserem Antrag geschrieben haben?
Sie brauchen nur Ihren Antrag nachzulesen, verehrter Herr Kollege, da steht es so drin.
({0})
Ich habe den Antrag nicht hier; ich hole das im Ausschuß nach. Sind Sie damit einverstanden? - Gut.
({1})
- Aber selbstverständlich habe ich den gelesen. Ich hole es nach; im Ausschuß werde ich Sie darauf hinweisen.
Eine andere Umfrage desselben Instituts bestätigt das Vertrauen des Bürgers in die Polizei. Bezüglich der Wichtigkeit von Einrichtungen rangiert das Bundeskriminalamt an erster und der Bundesgrenzschutz an vierter Stelle. Das zeigt also: Die Bürger haben Vertrauen zur Polizei, zu polizeilichen Einrichtungen. Die Möglichkeiten beruflicher Ausbildung bei den Polizeien der meisten Länder und des Bundes sind gut, was aber nicht heißen soll, daß sie nicht verbesserungsfähig sind. Wir sind dafür.
Der psychologischen Vorbereitung zur Konfliktbewältigung kommt eine große Bedeutung zu; es gibt spektakuläre Erfolge, in früheren Zeiten mit der GSG 9. Bestrebungen, dieses von hervorragenden Fachleuten geleitete Training abzubauen, muß eine klare Absage zuteil werden. Es gehört zur Fürsorgepflicht der Politiker, für die Polizeibeamten auch in diffizilen Lagen eine optimale Versorgung und Unterbringung zu gewährleisten. Dazu gehört z. B. in bezug auf die Bundesgrenzschutz auch, daß bei gemeinsamen Einsätzen mit den Länderpolizeien sie in bezug auf dei Einsatzvergütung gleichgestellt werden, denn nicht nur soziale Gründe sprechen dafür, sondern schwierige Einsätze verlangen auch gut motivierte Beamte. Es muß alles Erdenkliche getan werden, um Gesundheit und Leben unserer Beamten zu schützen. Die Frankfurter Polizistenmorde liegen fast ein Jahr zurück; gesetzliche Regelungen sind insoweit überfällig. Wir dürfen nicht länger hinnehmen, daß gewalttätige Straftäter die durch die Verfassung garantierte Demonstrationsfreiheit mißbrauchen.
Die Finanzierung neuer Stellen und Vorhaben für die Polizei kostet eine Menge Geld. Im Bereich des Bundes genießt der BGS dabei eine besondere Priorität. Die CDU/CSU weiß, daß der Bundesgrenzschutz eine hervorragend ausgerüstete Polizeitruppe ist. Es gibt Probleme, diese Probleme werden angegangen. Wir werden uns in Kürze im Ausschuß darüber unterhalten. Das Konzept für die Zukunft „BGS 2000" bedarf sicherlich - das sage ich im Hinblick auf den Herrn Waffenschmidt - noch einer nicht unerheblichen Nachbesserung. Aber wir gehen diese Probleme an.
Die Opposition erhebt insoweit in völliger und vielleicht auch bewußter Verkennung finanzpolitischer Möglichkeiten unrealistische Forderungen, um sich dadurch den Beifall der Betroffenen zu erheischen. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern hat diese Bundesregierung bewiesen, daß sie dem Bundesgrenzschutz höchste Priorität einräumt. Darüber hinaus finanziert der Bund, was von der Opposition gern unterschlagen wird, im Rahmen von Verwaltungsabkommen die notwendigen Führungs- und Einsatzmittel für die Länderpolizeien.
Das besondere Augenmerk gilt Schengen und der EG.
({2})
- Ich verstehe eigentlich gar nicht, wie jetzt ein solcher Antrag gestellt werden kann, wo die Diskussion um Ausschuß unmittelbar bevorsteht. Herr Bernrath, ich hoffe, wir werden das bald auf der Tagesordnung des Innenausschusses haben. Wir werden uns konkret sehr intensiv darüber zu unterhalten haben. Ich glaube, wir sind in diesem Punkt gar nicht so weit auseinander.
({3})
Ich muß zunächst einmal dem Bundesinnenminister Zimmermann herzlich dafür danken, daß er deutlich klargestellt hat, daß durch den Abbau der Grenzkontrollen kein Sicherheitsdefizit entstehen darf. Ich möchte diese Forderung nachdrücklich unterstützen. Die Grenzkontrollen dürfen nur dann abgebaut werden, wenn ein Bündel von Ausgleichsmaßnahmen gewährleistet, daß die Bürger auch in einem Europa ohne Kontrollen, das wir wollen, vor Terrorismus und organisiertem Verbrechen, kurzum vor gesteigerter Kriminalität, geschützt sind.
({4})
Ich will auf diese Ausgleichsmaßnahmen im einzelnen hier und heute nicht zu sprechen kommen. Dazu reicht die Zeit nicht. Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten.
Für die CDU/CSU ist es auch eine absolute Selbstverständlichkeit, daß die Bundesregierung nicht nur Maßnahmen zur Verhinderung eines Sicherheitsdefizits im Hinblick auf den Wegfall der Grenzkontrollen ergreift, sondern daß sie auch die Fürsorgepflicht gegenüber den an den Westgrenzen diensttuenden Polizeivollzugsbeamten erkennt und daß diese Beamten sehr schnell - darauf legt auch die CDU/CSU Wert - über ihre zukünftige Verwendung informiert werden.
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Ich stelle fest, daß die Polizei, der BGS und die Länderpolizeien, bei der CDU/CSU in guten Händen sind. Zum Schluß möchte ich noch einen Hinweis geben. In dem Antrag der SPD heißt es: Damit erscheint die Polizei für viele Bürger unseres Staats als politischer Gegner und wird nicht selten Objekt des Unmuts und der Aggression. - Deutlicher kann man es eigentlich nicht ausdrücken, -was die SPD darüber denkt.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wären gern mit einem eigenen Antrag in diese Debatte gegangen. Aber dafür ist es uns zu früh, und zwar nicht etwa deshalb, weil es uns nicht hätte gelingen können, einen Antrag
zusammenzuzimmern - in der Richtung sind wir ja bekanntermaßen notorisch fleißig -,
({0})
sondern deshalb, weil für uns die Frage noch nicht so entschieden ist, daß wir hier schon mit einem Antrag kommen und darin darstellen könnten, was die GRÜNEN eigentlich mit der Polizei vor haben und welche Rolle die Polizei in einem Konzept der GRÜNEN spielen könnte, das auf Entstaatlichung, auf Dezentralisierung, auf gewaltfreie Lösungen und auf Bürgerautonomie setzt.
({1})
Ich kündige hiermit aber schon an, daß wir über die Frage, welche Rolle wir der Polizei zubilligen, im nächsten Jahr ein Konzept vorlegen wollen.
Nun könnten wir vielleicht einiges von dem SPD-Antrag lernen. Aber wenn man ihn sich genau ansieht,
({2})
dann findet man ihn erstaunlich oberflächlich. Ich finde, es ist ein reiner Lobby-Antrag.
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So etwas wird immer mit einem Lob der Polizei verbunden. Überhaupt wird von diesem Pult aus kein anderer Berufsstand so häufig belobigt wie die Polizei.
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An erster Stelle wird in Ihrem Antrag so getan, als gäbe es eine historische Rangfolge, als habe die Polizei früher nur Funktionen im Konzept von law and order gehabt und als sei sie heute ein Instrument demokratischer Konfliktlösung. Ich glaube, damit verkennen Sie etwas, nämlich daß die Polizei auch heute ein Janusgesicht hat. Einerseits geht sie ein auf die Schutzsehnsüchte und auf die Sicherheitssehnsüchte der Bevölkerung. Genau das ist im übrigen häufig ein Motiv für die Leute, Polizeibeamte werden zu wollen. Das Schutzbedürfnis besteht auch zu Recht. Andererseits aber ist die Polizei natürlich auch ein Instrument zur Ausübung von Herrschaft. Im Hinblick darauf ist es außerordentlich wichtig, Methoden der Selbstbeschränkung und der öffentlichen Kontrolle zu diskutieren und äußerst penibel mit all den Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit umzugehen, die auch von seiten der Polizei begangen werden.
({5})
Noch interessanter sind die Fragen: Soll die Polizei eigentlich nur den Status quo sanktionieren, und wie hält man die Polizei selber auch als Herrschaftsinstrument offen für gesellschaftliche Veränderungen?
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Alle hier haben natürlich gesagt, die Polizei dürfe keine Ausputzerrolle in Konflikten haben. Dies ist aber nur eine rhetorische Formel, wenn Sie keine entsprechenden Lösungsvorschläge anbieten.
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- Ich habe gerade etwas viel Differenzierteres gesagt! - Die Methoden der Lösung müssen ja dann mit diesem Ziel übereinstimmen.
Was aber machen sie? Es ist bekannt, daß Polizeibeamte gerade vor Einsätzen in Wackersdorf und in Hamburg regelrecht aufgeheizt werden. Jetzt kommt die SPD mit ihrem Antrag und sagt: Die müssen psychologisches Training haben, damit sie lernen, wie sie mit dieser Aggression - die eben nicht nur von außen, sondern zum Teil auch von der Polizeiführung kommt, - umgehen können oder, wie Herr Graf so schön gesagt hat, wie sie ihr Einsatzinstrument Sprache gebrauchen sollen.
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Eine noch größere psychologische Aufheizung ist natürlich das, was das Haus Engelhard jetzt plant, nämlich die genaue Definition, die rasterartige, schubladenartige Einordnung, wann ein Polizeibeamter schießen muß. Ich frage Sie, was das psychologisch bedeutet, wenn Sie auch noch diese Entscheidung dem einzelnen Polizeibeamten, der schließlich auch ein freier Staatsbürger ist, überlassen wollen, wenn Sie ihn in eine solche Situation bringen.
({9})
Die einzige Alternative ist ein politisches Lösungskonzept. Dieses haben die Politiker zu machen und nicht die Polizei.
Deswegen sage ich Ihnen ganz kurz die vier Grundprinzipien, nach denen wir unsere Vorstellungen über die Polizei definieren wollen. Das eine ist die Reduzierung der Zuständigkeit. Für den politischen Bereich ist die Polizei nicht zuständig, und sie muß auch zunehmend von Bagatelldelikten entlastet werden.
Das zweite ist die Demokratisierung der Polizei. Meinungsfreiheit! Es darf nicht solche Verstöße gegen die Meinungsfreiheit geben wie den, daß ein Polizeibeamter wie Manfred Such strafversetzt wird.
({10})
Das dritte ist die Entmilitarisierung der Polizei. Die Polizei muß auch in ihrem äußeren Bild eine Organisation einer zivilen Gesellschaft sein, zwar in Uniform, aber nicht ein militärischer Apparat.
({11})
Wir wollen viertens für die Polizei gerade auch in ihrem Erscheinungsbild eine Entmummung. Ich finde, es ist Zeit, daß wir wegkommen von dem Mummen6970
schanz der Polizei. Wir fordern Namensschilder. Wir fordern öffentliche Kontrollen über Polizeieinsätze.
Wir denken, daß genau das die Funktion ist, die eine Polizei hat: Sie kann nicht einer demokratischen Gesellschaft die Entscheidung abnehmen, wie sie diese Gesellschaft gestalten soll.
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Ich denke, die Polizisten sind in der Regel auch zu schlecht bezahlt, als daß die Politiker all dieses auf die Polizei abkippen könnten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Inhalt des Antrages der SPD - er hat ja eine eindrucksvolle Überschrift - so beeindruckend ist wie die Besetzung des Plenums oder die Präsenz der für die Polizei verantwortlichen Länder oder der Bundesregierung, die allerdings immerhin durch zwei Staatssekretäre vertreten ist, von denen einer absolut unzuständig ist. Das hätte mehr sein können.
({0})
- Genauso eindrucksvoll.
Ich möchte ein paar Gewichte dessen zurechtrükken, was hier gesagt worden ist. Ich habe mir einen Satz aufgeschrieben: Die Polizei schützt vor Anarchie.
- Das ist, glaube ich, eine Halbwahrheit, weil vor der Anarchie der Bürger zunächst selber schützt. Die Polizei kann einen Staat nicht schützen, wenn sich der Bürger von ihm abwendet. Bürgergeist ist das, was den Staat schützt und ihn stark macht. Die Polizei kann und muß dabei helfen.
Frau Vollmer, Sie fordern: Demokratisierung und Entmilitarisierung der Polizei.
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Wir haben eine demokratische Polizei. Das ist keine Selbstverständlichkeit in Deutschland gewesen. Ich denke, daß wir auch eine entmilitarisierte Polizei haben. Das äußere Erscheinungsbild der Polizeien der Länder hat sich in den letzten Jahren doch drastisch verändert. Es ist eine der wirklichen, positiven Leistungen der vielen Jahre der Entwicklung in der Bundesrepublik, daß sich die Polizei von diesem früher in der Tat halb militärischen Bild vollkommen verändert hat zu einer außerordentlich zivilen Polizei.
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Sie haben gesagt, die Polizei habe ein Janusgesicht. Sie ist ein Instrument zur Ausübung der Herrschaft. Das ist richtig. Sie muß es auch sein.
({3})
Wir müssen gemeinsam darauf achten, daß es ein Instrument zur Ausübung der Herrschaft des Rechts und nichts anderem ist. Dazu ist sie in der Tat völlig unverzichtbar.
In dem Antrag der SPD steht eine Fülle von Forderungen, die selbstverständlich sein sollten.
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Daß die Polizei kein Ausfallbürge ist für nicht geleistete politische Auseinandersetzungen, daß sie äußerlich Landfriedensbrüche verhindern kann, aber nicht die sozialen oder politischen Ursachen ausräumen kann - dazu ist sie auch gar nicht da -, daß die Polizei dementsprechend bei ihrer Arbeit, da, wo sie rechtmäßig ist, den Schutz der Politik braucht, ist selbstverständlich. Sie haben eine ganze Reihe von Positionen des Besoldungsrechts gebracht, die alle mehr oder weniger interessant sind, über die man reden kann, die aber bekannt und nicht neu sind.
Das Entscheidende ist eigentlich, daß der Zusammenhang fehlt, nämlich die Antwort auf die Frage: Wie können wir gemeinsam, Bund und Länder - ich sage aber auch: über die Grenzen der Parteien hinweg - , die Polizeien weiterentwickeln? Es hat 1974 ein gemeinsames Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern gegeben. Das ist zu einem wesentlichen Teil erfüllt, zu einem Teil aber auch überholt. Wir mahnen seit Jahren den Bundesminister des Innern und die Innenministerkonferenz, an die Weiterentwicklung dieses gemeinsamen Sicherheitsprogramms für Bund und Länder zu gehen. Die Innenministerkonferenz hat sich gar nicht selber damit beschäftigt. Der Arbeitskreis 2 der Innenministerkonferenz hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, dazu Arbeiten zu leisten und dann diesem Arbeitskreis Bericht zu erstatten. Müßten wir nicht eigentlich erwarten, Herr Waffenschmidt, daß der Bundesminister des Innern oder, noch besser, die gesamte Innenministerkonferenz für die Weiterentwicklung des Sicherheitsprogramms eigene inhaltliche Vorgaben macht, Positionen setzt, nicht nur Fristen setzt, bis wann das geschehen sein soll, damit nun wichtige gemeinsame Positionen verfolgt werden? Dazu nenne ich die Weiterentwicklung von Hiltrup. Hier hören wir Beunruhigendes. Es scheint, als ob sich einzelne Länder davon abkoppeln wollten. Wie steht es mit der Weiterentwicklung des Polizeirechts? Wie steht es mit klaren Aussagen über die Zukunft des BGS? Es dürfen nicht nur die Fragen aufgeworfen werden, etwa: Was machen wir mit ihnen?, sondern wir wissen genau, daß die Weiterentwicklung für die Zukunft des BGS in der Folge des Schengener Abkommens sachlich richtig nur zu lösen ist, wenn Bund und Länder eng zusammenarbeiten. Wo sind die gemeinsamen Positionen der Innenminister? Sie wissen wie wir aus jedem Besuch, welche Unruhe bei den Polizeibeamten, gerade beim Bundesgrenzschutz, in dieser Frage besteht.
Der Innenminister Schnoor hat zu meiner Überraschung in einer Rede im Landtag gesagt - ich habe das Zitat hier - , die Innenministerkonferenz sei besser als ihr Ruf. Er hat wörtlich formuliert:
Die soviel gescholtene Innenministerkonferenz
ist viel besser, als manche meinen, und in ihr gibt
es viel mehr Gemeinsamkeiten, auch zwischen
Fritz Zimmermann und mir, als manche draußen meinen.
Um nicht mißverstanden zu werden: Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Innenministern Zimmermann und Schnoor.
({5})
Das ist eine interessante Kombination. Aber wenn dem so ist, dann mahnen wir in der Tat diese notwendigen gemeinsamen Zielvorgaben an, auch bei dem Polizeirecht. Sie wissen, daß es unausweichlich notwendig ist, die Zielvorgaben des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts in das Polizeirecht der Länder zu überführen. Seit März 1986 gibt es Texte der IMK mit 12 Alternativen. Es gibt in zunehmendem Maße Gerichtsentscheidungen, die sagen, daß der Übergangsbonus ausläuft. Wir als FDP haben einen eigenen Entwurf vorgelegt, von dem ich erfreulicherweise sagen kann, daß er in zunehmendem Maße in den Landtagen erörtert wird. Wir erwarten eigentlich, daß sich die Innenministerkonferenz damit intensiv auseinandersetzt, zumal es zur Rechtssicherheit der Polizei und des Bürgers notwendig ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Ja, natürlich.
Bitte schön, Herr Penner.
Herr Hirsch, Sie haben recht freundliche Worte zu unserem Antrag gefunden, und Sie haben eine Position der FDP zu Fragen des Polizeirechts vorgestellt. Nun wissen wir alle, daß es unterschiedliche Auffassungen zum Polizeirecht quer durch die Parteien und Fraktionen gibt. Wären Sie bereit, zuzugeben, daß in der Frage des finalen Rettungsschusses in der FDP keine einheitliche Meinung besteht? Und wie steht es in der FDP bei der Frage der Bewaffnung der Polizei?
Zunächst einmal: In Ihrem Antrag steht zu der Frage, wann die Polizei berechtigt ist, einen Täter zu erschießen, kein Wort. Diese Bemerkung ist von Frau Vollmer in die Debatte eingeführt worden. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich kann in der mir verbleibenden Zeit nicht das ganze Thema erschöpfen.
Wir haben damals in dem Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes - Maihofer für den Bund und ich für die Innenministerkonferenz der Länder - eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen, die in einzelnen Ländern, Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, tatsächlich Gesetz geworden ist und das Bundesrecht unberührt läßt, so daß in der Tat ein Vorhalt der Kirchen berechtigt ist, den wir in Anhörungen entgegengehalten bekommen haben, nämlich daß diese gesetzliche Formulierung die Verantwortung des einzelnen Polizeibeamten rechtlich und moralisch völlig unberührt läßt und daß man den Polizeibeamten nicht über diese Lage hinwegtäuschen darf. Wir haben damals der gesamten deutschen Öffentlichkeit den Sinn dieser Regelung nicht klarmachen können, die einengender sind als das gegenwärtige Recht.
Man kann diese Frage rechtlich, auch verfassungsrechtlich einwandfrei in das Gesetz überführen. Ich habe aber den Eindruck, daß weder der Zeitpunkt der richtige ist noch daß die Diskussion im gesellschaftlichen Raum - damit meine ich insbesondere die Kirchen - den großen politischen Aufwand einer solchen Gesetzgebung rechtfertigt. Ich glaube, daß eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Frage angesichts der Wirklichkeit der polizeilichen Arbeit nicht zwingend erforderlich ist. Man kann das tun. Ich zweifle aber daran, ob es sinnvoll ist, das heute zu machen.
({0})
- Es ist meine Meinung. Und ich denke, daß, wenn man eine solche Regelung treffen will, man sie in der Tat nur in allen Ländern einheitlich treffen kann, wobei völlig unberührt bleiben muß, daß das Polizeirecht Sache der Länder ist.
Zu der Frage der Bewaffnung der Polizei gibt es in meiner Partei, in meiner Fraktion keine unterschiedlichen Meinungen. Da kann ich Sie völlig beruhigen.
Nach diesem etwas flüchtigen und notwendigerweise verkürzten Exkurs über eine spezielle Polizeirechtsfrage bleibt mir nur noch übrig, zu sagen, daß wir der Überweisung des Antrags an den Ausschuß zustimmen und dort auf weiterführende Diskussionen hoffen, insgesamt darauf, daß der Bundesminister des Innern seine Position über die Zukunft des BGS und über die Weiterentwicklung des gemeinsamen Sicherheitsprogramms von Bund und Ländern im Detail darstellen kann, damit darüber endlich Klarheit geschaffen werden kann.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn ganz bewußt sagen, ich begrüße, daß sich der Deutsche Bundestag heute einmal mehr mit den Aufgaben der inneren Sicherheit befaßt und ganz besonders die Position der Polizei beleuchtet. Ich meine, es ist ganz wichtig, daß wir uns quer durch die Fraktionen darum bemühen, ein Höchstmaß an politischer Gemeinsamkeit zu erarbeiten; denn eines braucht die Polizei bei ihrem schweren Dienst ganz bestimmt: ein Maximum an politischer Unterstützung und Rückendeckung. Dies hat die Polizei verdient. Dann kann sie ihren Auftrag gut wahrnehmen. Das ist eine ganz entscheidende Aufgabe.
({0})
- Dazu komme ich auch noch, Herr Kollege Penner, denn da stimmen wir überein. Dafür muß jeder in seinem Verantwortungsbereich arbeiten.
Vorrangige Aufgabe der Polizei in unserem demokratischen Rechtsstaat ist ja die Wahrung unserer Rechtsordnung. Gewährleistung der Rechtsordnung ist die Voraussetzung für die Friedlichkeit der Konfliktaustragung in der Gesellschaft. Nun komme ich auch auf den Zwischenruf zurück. Immer dann, wenn die Rechtsordnung nicht konsequent durchgesetzt wird, meine Damen und Herren, nimmt das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit des Staates ab, den inneren Frieden zu wahren.
({1})
Ich meine, da haben die, welche Verantwortung haben, eine wichtige Aufgabe. Die Rechtsordnung zu stärken, den Rechtsfrieden zu wahren ist z. B. da aufgerufen, wo sogenannte rechtsfreie Räume geduldet werden. Ich appelliere an alle Verantwortlichen, Hafenstraßezustände nicht weiter zu dulden, meine Damen und Herren;
({2})
denn da wird der Polizei der Dienst ja gerade erschwert.
({3})
- Das ist richtig; dieser andere Fall ist hier zu nennen.
Herr Staatssekretär Waffenschmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer?
Bitte schön, Frau Kollegin Vollmer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht zu, daß gerade die Hafenstraße ein Beispiel, ein Beleg dafür war, wo die Politik gehandelt hat und nicht die Polizei zum Ausputzer eines politischen Konflikts gemacht worden ist?
Frau Kollegin Vollmer, wir wissen doch, wie gerade auch die Polizei über die Entscheidungen enttäuscht war, die die politisch Verantwortlichen in Sachen Hafenstraße getroffen haben. Die politisch Verantwortlichen wären aufgerufen gewesen, die Rechtsordnung zu schützen und einzuhalten. Damit hätten sie der Polizei sehr geholfen.
({0})
Natürlich ist es nicht Aufgabe der Polizei, gesellschaftliche Konflikte zu lösen.
({1})
Aber es ist doch Aufgabe der Polizei ({2})
darüber müssen wir uns doch gerade in einem Parlament alle einig sein - , dazu beizutragen, daß demokratisch getroffene Entscheidungen umgesetzt werden.
Wenn Sie, liebe Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag bestimmte Szenarien anführen, die wir ja auch alle vor Augen haben, wenn wir an den Einsatz der Polizei denken, muß ich sagen: Man darf nicht diejenigen zur Verantwortung ziehen, die demokratisch und rechtsstaatlich Entscheidungen herbeigeführt haben, sondern man muß die angehen, die sich immer wieder sogenannte und nicht vorhandene Widerstandsrechte gegen rechtsstaatliche und demokratische Entscheidungen anmaßen. Hier ist Klarheit notwendig.
Ich sage heute noch einmal - das ist wichtig auch für den Polizeieinsatz und für die Hilfe der Polizei - Es gibt in unserem Rechtsstaat kein legitimes Widerstandsrecht gegen rechtsstaatlich, demokratisch zustande gekommene Entscheidungen der vom Volk berufenen und gewählten Gremien. Das ist doch deutlich auszusprechen.
Nun aber noch zu einigen sehr konkreten Hilfen für die Polizei. Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß die Polizei für ihren schweren Dienst Hilfe braucht. Die wichtigste Hilfe ist die Unterstützung durch die politisch Verantwortlichen. Ich nehme auch hier gerne die Gelegenheit wahr, der Polizei in Bund und Ländern für ihren Dienst zu danken, wie das schon mehrere Kollegen getan haben.
({3})
Das sollten wir immer wieder tun. Der Polizei, Frau Kollegin Vollmer, kann man gar nicht genug danken. Sie tut nämlich einen Dienst für das gesamte Volk. Sie leistet auch ihren Beitrag dazu, daß sich die Minderheiten in einer freiheitlichen Gesellschaft artikulieren können.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Wollny?
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß irgendeine Regierung irgendwo auf der Welt Andersdenkenden jemals offiziell das Recht auf Widerstand zuerkennen würde?
Frau Kollegin, wir haben nicht von irgendwelchen Regierungen irgendwo auf der Welt zu sprechen, sondern wir leben in der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis einer freiheitlichen Verfassung. Die freiheitliche Verfassung kennt nur ein Widerstandsrecht, wenn nämlich diese freiheitliche Grundordnung beseitigt werden soll. Nur dann gibt es bei uns ein Widerstandsrecht, sonst nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige konkrete Dinge ansprechen - in der Kürze der Redezeit muß ich mich hierauf konzentrieren - , die in der Bundeszuständigkeit für die Polizei gemacht wurden.
Erstens. Das Bundeskriminalamt hat zusätzliche Stellen erhalten.
Zweitens. Für den BGS ist eine zusätzliche Einsatzabteilung geschaffen worden.
Drittens. Der BGS hat moderne Einsatzmittel erhalten, z. B. einen neuen geschützten Sonderwagen.
Viertens. Das Planstellenanpassungsprogramm wurde fortgeführt.
Fünftens. Für die Verbesserung im Bereich des mittleren Dienstes der Schutzpolizeien der Länder - das ist ganz wichtig; darüber wurde mit der Gewerkschaft der Polizei gesprochen - wurden die Stellenobergrenzen verbessert; die Schichtzulage wurde erhöht.
Ich glaube, eine der wichtigen Aufgaben, die wir gerade auf Bundesebene angehen müssen, ist, uns immer wieder die künftige Situation der Beamten vor Augen zu halten, die an den europäischen Binnengrenzen Dienst tun. Hier sind wir in den Verhandlungen mit den Polizeiverwaltungen der Länder, damit Regelungen gefunden werden, die gerade auch die soziale und menschliche Situation dieser Polizeibeamten im Blick haben.
Meine Damen und Herren, in den Ausschußberatungen - Kollege Hirsch, ich nehme hier das auf, was Sie gesagt haben - wird ja die Möglichkeit bestehen
- wir sollten sie nutzen; ich erkläre dazu ausdrücklich auch die Bereitschaft des Innenministeriums -, anstehende Aufgaben im Rahmen der inneren Sicherheit vertiefend zu besprechen. Dort ist noch ein ganzer Katalog abzuhandeln.
Kurz zusammengefaßt will ich sagen: Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hat in der Vergangenheit, auch auf ihrer letzten Konferenz, bewiesen, daß trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die es auf Grund von politisch unterschiedlichen Gesichtspunkten geben mag, auch ein hohes Maß an Gemeinsamkeit im Einsatz für die innere Sicherheit und den Rechtsfrieden vorhanden ist. Ich habe die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß sich die Innenministerkonferenz auch in den kommenden Jahren als ein Gremium bewähren wird, in dem Bund und Länder erfolgreich für die innere Sicherheit in unserem Lande zusammenarbeiten können.
Herzlichen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 23 der Tagesordnung
- den letzten Punkt der heutigen Tagesordnung - auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn ({2})
- Drucksachen 11/1789, 11/3074 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine Beratung mit je einem Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ich habe aus dem Gespräch der Geschäftsführer gehört, daß man diese Vereinbarung im Sinne einer Redezeit von fünf Minuten interpretiert. Ich würde mich freuen, wenn uns das im Hinblick auf die Tatsache, daß die Nachmittagszeit bereits begonnen hat, gelingt. - Es ist also so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Weiss ({3}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesbahn spielt in diesem Parlament schon eine etwas komische Nebenrolle, die ihr eigentlich nicht zukommt. Wenn man sich überlegt, daß unser Gesetzentwurf und auch die Gesetzentwürfe der SPD bereits im Februar oder März eingebracht wurden und bislang immer noch nicht beraten worden sind, dann ist das einfach typisch. Es ist aber auch typisch, denke ich, wenn eine Aussprache über die Bahn in der Geschäftsführerbesprechung zu einem solchen Zeitpunkt wie dem jetzigen angesetzt wird.
({0})
- Der Zug nach München fährt um 15.17 Uhr, Herr Kollege Jobst.
({1})
- Den nehme ich.
({2})
Wir haben den Gesetzentwurf rechtzeitig eingebracht. Ich habe - im Gegensatz zu dem, was Sie in Ihrem Bericht schreiben - Ihren Vorgänger im Ausschußvorsitz mehrfach gefragt: Wann wird der Gesetzentwurf behandelt? Und was ist mir geantwortet worden? Die Koalition arbeite noch an einem Entwurf, denn die Koalition wolle auch eine Vorlage machen.
Sie haben ja auch etwas vorgelegt. Herr Kollege Kohn, Herr Kollege Jobst, Sie haben im Juni eine Pressekonferenz abgehalten. Dort haben Sie einige bescheidene Schritte vorgeschlagen, die nach unserer Auffassung aber nicht ausreichend sind. Aber was ist geschehen? Wenn Sie jetzt in den Bundeshaushaltsplan gucken, dann müssen Sie einfach sagen: Offensichtlich hat der Finanzminister zugeschlagen. Offensichtlich können Sie sich mit dem, was Sie eigentlich wollen, in Ihren jeweiligen Fraktionen nicht durchsetzen.
Weiss ({3})
Denn, so frage ich, warum verkünden Sie das nur auf einer Pressekonferenz? Wo ist die Bundestagsdrucksache mit Ihrem Konzept? Wo sind Ihre Forderungen von der Übernahme überhöhter Versorgungslasten bis zur Übernahme gewisser Altschulden? Wo ist denn Ihre Forderung nach einer Einführung der Trennungsrechnung? Das alles sind doch Punkte, die Sie selbst für wahr und richtig befunden haben. Aber Sie haben bis heute kein Konzept vorgelegt. Das ist schon ein gewisses Trauerspiel.
Es gibt eine Kabinettsvorlage. Sie trägt das Datum vom 28. April. In diese Vorlage hat der Bundesverkehrsminister vieles hineingeschrieben, was auch wir für sinnvoll, notwendig und richtig erachten. Aber es gibt dann eine weitere Kabinettsvorlage, die ein Datum vorn Juli trägt. An ihr kann man eigentlich wieder sehen, daß alles vom Tisch gewischt worden ist, weil offensichtlich gar nicht der Wille vorhanden ist, die Bahn zu sanieren.
Wenn ich mir jetzt angucke, was Sie in den Bundeshaushalt hineingeschrieben haben, dann sehe ich, daß Sie im Endeffekt nichts tun. Es wird zwar auf Pressekonferenzen oder in Erklärungen des Ministers groß verkauft, man wolle in die Entschuldung der Bahn einsteigen. Als Begründung dafür wird angeführt, daß man 900 Millionen DM jetzt nicht mehr aus dem Einzelplan 12, dem Verkehrshaushalt, finanziert, sondern 900 Millionen DM in die Bundesschuldenverwaltung übernimmt. Aber was ist das Ergebnis? Diese 900 Millionen DM ziehen Sie in der Summe den Bundesleistungen für die Bundesbahn wieder ab, so daß Sie hier im Endeffekt nur eine reine Umbuchung, ein reines Täuschungsmanöver vollziehen. Denn für die Bahn geschieht letztlich in der Tat überhaupt nichts.
({4})
Wenn man sich anguckt, was jetzt geplant ist, dann stellt man fest, daß das ein noch viel größeres Ausweich- und Betrugsmanöver ist.
({5})
Denn das, was jetzt geplant ist, ist folgendes: Man möchte eine Kommission einsetzen, die sich mit Plänen befassen soll, wie man die Bundesbahn sanieren und ihr eine ausreichende finanzielle Ausstattung zukommen lassen könnte, die sie eigentlich braucht. Und was lese ich dann? Diese Kommission soll bis März 1991 tagen. Ich kann doch auch rechnen. Ich weiß, wann die Wahltermine sind. Es ist ein sehr durchsichtiges Manöver, was die Bundesregierung hier vorhat, nämlich die Probleme der Bahn einfach zu verdrängen, nichts zu tun und zu warten, bis die Wahlen sind, und die Bundesbahn dann wahrscheinlich gänzlich abzuschreiben. Das kann man hinter diesem Konzept vermuten.
({6})
Wir reden ja davon, daß 1992 der Europäische Binnenmarkt kommt. Dieser stellt - das muß Ihnen doch auch klar sein - für die Bahn eine ungeheure Herausforderung dar.
({7})
Deshalb muß die Bahn in die Lage versetzt werden, gegen die dann noch mehr ausufernde Konkurrenz des Straßengüterverkehrs und andere Verkehrsträger bestehen zu können.
({8})
Jetzt frage ich Sie: Können Sie vom März 1991 bis zum Beginn des Jahres 1992, also in einem Dreivierteljahr, in dem dann noch Vorschläge kommen könnten, strukturell etwas ändern?
({9})
Sie müssen jetzt etwas tun - Sie dazu zu drängen, versuchen wir gerade - , nicht erst in zwei Jahren.
({10})
- Da habe ich Ihnen genau ein anderes Konzept vorgelegt; wir wollten einen anderen Bahnhof. Aber darauf kommt es in dem Zusammenhang gar nicht an; Sie brauchen hier nicht abzulenken. Tatsache ist vielmehr, daß es einen erheblichen Finanzbedarf gibt und daß wir nicht zusehen können, wie das Eigenkapital der Bahn zunehmend aufgebraucht wird. Wir müssen jetzt etwas tun. Deswegen legen wir großen Wert darauf, das noch in diese Haushaltsberatungen einzubringen.
({11})
Eben deswegen hatten wir auch diesen Zwischenbericht verlangt: Es soll noch bei diesen Haushaltsberatungen klar gesagt werden, was für die Bahn getan werden muß; denn wir können nicht warten. Wir sollten vielmehr sofort darangehen, die notwendigen Schritte zu beschließen.
Dazu brauchen wir keine Kommission. Herr Jobst, Sie haben auch Vorschläge gemacht: Trennungsrechnung, Übernahme erhöhter Versorgungslasten. Das sind doch nicht Dinge, für die ich eine Kommission brauche. Wenn wir - Sie haben das ja offensichtlich getan - den richtigen Weg erkannt haben, wenn wir erkannt haben, daß erhöhte Versorgungslasten vorhanden sind, wenn wir erkannt haben, daß die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die die Bahn erbringt, nicht in vollem Umfang abgegolten werden, dann können wir jetzt etwas ändern. Was erwarten Sie denn eigentlich? Was kann die Kommission Ihnen noch sagen? Sind Sie wirklich der Auffassung, daß die Kommission Ihnen erzählen wird, daß das, was Sie verkündet haben, falsch ist? Ich glaube es nicht.
Herr Abgeordneter!
Sie haben sinnvolle, richtige Vorschläge gemacht, die uns natürlich nicht weit genug gehen. Aber vielleicht fangen wir wenigstens einmal mit diesen Schritten an. Doch tun Sie nicht so, als ob Sie das Ganze noch zwei Jahre vertagen können.
Herr Abgeordneter!
Das wäre gegenüber einer vernünftigen, umweltorientierten Verkehrspolitik und gegenüber einer zukunftsträchtigen Bahnentwicklung unverantwortlich.
({0})
Das war schon weit in der Hälfte der zweiten fünf Minuten. Ich werde bei allen anderen Kollegen wohl auch davon ausgehen müssen, daß wir mit fünf Minuten nicht ganz klarkommen. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn Sie alle daran denken, daß wir schon sehr spät im Mittag sind.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Dr. Jobst. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Bundesbahn hat bei uns, bei der CDU/CSU, keine Randlage. Wir haben, Herr Kollege Weiss, keine Verzögerungstaktik betrieben, und wir vollbringen auch keine Täuschungsmanöver. Ich weise diese Vorwürfe mit Entschiedenheit zurück.
({0})
Wenn die Deutsche Bundesbahn in den 70er Jahren den politischen Rückhalt gehabt hätte, wie sie ihn bei der Bundesregierung Kohl hat, dann hätten wir die Sorgen und Probleme bei der Bahn heute nicht.
({1})
Die Bahn ist nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für unsere Volkswirtschaft ein unverzichtbarer Verkehrsträger, dessen Leistungsfähigkeit und Attraktivität auf Dauer gesichert werden müssen. Bei der Leistungsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn setzen wir auf Wachstum und nicht auf Schrumpfung.
({2})
Auf die Bahn kommen neue Aufgaben zu. Wir kennen den Verkehrsinfarkt auf den Straßen; der Luftraum wird enger. Die Bedeutung der Bahn wird wachsen. Auch im Europäischen Binnenmarkt wird sie zusätzliche Aufgaben haben. Das Unternehmen Bahn muß zu einem modernen marktorientierten Dienstleistungsbetrieb fortentwickelt werden.
({3})
Es sind drei Wege zu beschreiten, um das Ziel einer Stabilisierung und schließlich einer Sanierung des Unternehmens zu erreichen. Durch hohe Investitionen ist das Unternehmen technisch zu modernisieren, durch Rationalisierungsmaßnahmen sind die Kosten zu senken, durch eine Umstrukturierung des Unternehmens und durch eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Bahn ist die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Auf dem Gebiete der Investitionen können wir deutliche Erfolge verzeichnen.
({4})
Von 1985 bis 1995 gehen 50 Milliarden DM Bruttoinvestitionen an die DB. Die Neubau- und Ausbaustrekken schaffen der DB die erforderliche Infrastruktur, nachdem 50 Jahre lang nichts in den Streckenausbau investiert wurde. Es ist abwegig zu behaupten, die Bundesregierung würde die Bahn im Stich lassen. Noch niemals in der Geschichte der Deutschen Bundesbahn sind so viel Mittel in die Zukunft des Unternehmens investiert worden, wie es heute erfolgt.
({5})
Wir haben erhebliche Erfolge bei der Rationalisierung des inneren Betriebes erzielt. Seit 1982 ist der Personalstand ohne Entlassungen um 64 000 Mitarbeiter verringert worden. Das ist ein großer Erfolg der Unternehmensleitung. Ein besonderer Dank gilt den Personalräten, den Gewerkschaften und insbesondere den Mitarbeitern. Ohne deren Verständnis und Bereitschaft wäre diese große Leistung nicht möglich gewesen, und die Deutsche Bundesbahn stünde heute wesentlich schlechter da.
Dankbar möchte ich auch die Neuordnung der inneren Organisation des Unternehmens hervorheben. Das Unternehmen wird auf all seinen Ebenen beweglicher, die Erfolgskontrolle wird erleichtert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach wie vor stehen die notwendigen Entscheidungen über die Umstrukturierung des Unternehmens und über die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Unternehmen aus. Die von den Koalitionsfraktionen gebildete Arbeitsgruppe Bahn hat unter meinem Vorsitz im einzelnen Vorschläge zur finanzpolitischen Bereinigung der DB vorgelegt. Wir haben vorgeschlagen, die Altschulden der Bahn auf den Bund zu übertragen,
({6})
das Problem der überhöhten Versorgungslasten umgehend zu lösen, eine Trennungsrechnung mit Aufteilung in einen staatlichen, gemeinwirtschaftlichen und unternehmerischen Bereich einzuführen.
({7})
Der Vorstand der Bahn muß nach unserer Auffassung die notwendige Handlungsfreiheit erhalten.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß sich die Bahn aus eigener Kraft finanziell nicht sanieren kann.
({8}) Die Bahn braucht eine finanzielle Entlastung.
({9})
Aber eine finanzielle Entlastung alleine führt bei der
Bahn nicht zum Ziel. Wir brauchen heute ein geschlossenes Bundesbahnkonzept. Es sind wichtige,
mutige politische Entscheidungen notwendig. Dieses Konzept, lieber Kollege Daubertshäuser, muß gründlich erstellt werden und Zukunftsperspektiven haben. Hier ist die Bundesregierung gefordert.
({10})
Wir brauchen eine nüchterne Bestandsaufnahme und Kosten-Nutzen-Analyse von Netz und Betrieb. Die künftige Funktion der DB in der Fläche muß definiert werden. Die ICE-Züge dürfen nicht an den ländlichen Regionen vorbeifahren.
({11})
Diese Räume müssen in einer vernünftigen Form angebunden werden. Für dieses Konzept ist der Sachverstand hochrangiger Experten erforderlich. Unerläßlich für die Lösung der anstehenden Probleme bei der Bahn ist aber eine moderne Erfolgsrechnung, die nach Fahrweg und Sparten gegliedert ist.
({12})
Es muß möglich sein, Betriebsbereiche und Geschäftsfelder bei der Bahn getrennt nach ihren wirtschaftlichen Ergebnissen zu beurteilen. Hier hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn eine Vorleistung zu erbringen, die eine unverzichtbare Entscheidungsgrundlage für die Umstrukturierung des Unternehmens bildet. Ohne ein ausreichend gegliedertes Rechenwerk lassen sich keine tiefgreifenden Entscheidungen für das Unternehmen verantworten.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, jetzt geht es darum, daß die Unternehmensführung, aber auch die Politik ihre Aufgaben für die Deutsche Bundesbahn erfüllen. Die CDU/CSU-Fraktion wird dazu ihren Beitrag leisten.
({13})
Für uns hat die Bundesbahn Zukunft als wichtiges Verkehrsunternehmen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jobst, wenn die Pünktlichkeit der Deutschen Bundesbahn so wäre wie der Fahrplan der Bundesregierung bei der Beratung der Bahnvorlagen, dann hätte das Unternehmen wahrscheinlich schon schließen müssen, denn Sie wissen: Kanzler Kohl hat ja vor zwei Jahren vor dem Bahnverwaltungsrat die bahnunternehmenspolitischen Aspekte zur Chefsache erklärt. Aber damit hat er sie offensichtlich zum Aussitzen freigegeben,
({0})
denn allein in den letzten zwei Monaten sind die Bahnvorlagen im Kabinett dreimal abgesetzt worden. Herr Kollege Rauen, ich glaube, stärker kann man nicht demonstrieren, daß diese Bundesregierung null Bock hat, die Probleme der Bahn zu lösen.
({1})
Die öffentliche Kritik, Herr Kollege Jobst, ist ja nun wirklich absolut vernichtend. Ich empfehle Ihnen einen Artikel im „Handelsblatt" vom 8. September. Herr Hill schreibt dort:
Das Papier zeigt keine wesentlichen neuen Gedanken auf, nennt falsche Adressaten und schlägt im übrigen das vor, was man immer tut, wenn man sich vor Entscheidungen drücken will oder nicht weiter weiß - die Einsetzung einer neuen Kommission.
Diese Kommission soll dann bis 1991 Vorschläge vorlegen. Da drängt sich nun wirklich der Verdacht auf - da hat der Kollege Weiss recht -, daß man eine Hilfskrücke braucht, um über den Bundestagswahltermin hinwegzukommen.
Es ist schon ein eigentümliches Bild von tatkräftigem politischen Handeln, wenn die Bundesregierung im Sprechzettel zur Kabinettsvorlage darlegen muß, daß sich die Verschuldung des Unternehmens von heute 40 Milliarden DM auf über 120 Milliarden DM im Jahre 2000 erhöhen wird. Daß man diesen Jahrhundertrekord zur Jahrtausendwende erst einmal von einer Kommission drei Jahre lang analysieren lassen will, ist schon ein Armutszeugnis.
({2})
Herr Kollege Jung, die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, sind doch schon lange in der parlamentarischen und öffentlichen Diskussion. Gewerkschaften, Verbände, Wissenschaft, Wirtschaftsführer, Opposition, ja sogar Sie von den Koalitionsfraktionen haben hier ein Papier erarbeitet und Vorschläge gemacht. Alle sind sich in einem einig: In Sachen Bahn muß dringend und wirkungsvoll gehandelt werden. Aber statt diesen breiten gesellschaftlichen Konsens, den man jetzt hat, um die Bahn nach vorne zu bringen, für konstruktive Lösungen zu nutzen, vertragen Sie sich und rufen nach einer Kommission.
Die Stichworte, die Kollege Weiss genannt hat, waren doch richtig. Was soll denn beispielsweise bei den derzeitigen verzerrten Wettbewerbsbedingungen und bei den bereits auf vollen Touren laufenden Deregulierungsmaßnahmen im europäischen Verkehrsmarkt die Bahn überhaupt noch für Zukunftschancen haben? Es kommt ja noch viel schlimmer. Was an Rest von Chancen übrigbleibt, das wollen sie noch vernichten. Ich erinnere an Ihren Beschluß, den Sie in dieser Woche im Verkehrsausschuß herbeigeführt haben. Sie wollen die Kfz-Steuer für Nutzfahrzeuge drastisch senken.
({3})
- Aber sicher, inzwischen sind doch sogar schon Hausnummern genannt worden. Der Kollege Gries - er gehört der Koalition ja noch an - hat bereits eine Halbierung vorgeschlagen. - Diese abenteuerliche Absicht hat doch katastrophale Folgen für die Bahn; das müssen Sie doch sehen. Es entstehen alleine durch diesen Beschluß, wenn Sie ihn umsetzen, zusätzliche Defizite bei der Bahn von mindestens einer Milliarde DM pro Jahr. Wer will denn das bezahlen? Will vielleicht der Finanzminister diese Beträge übernehmen? Oder wollen Sie die Bahn wegen dieser DeDaubertshäuser
fizite dann erneut auf den Kreditmarkt verweisen? Herr Kollege Jobst, die Finanzen müssen selbstverständlich angepackt werden. Aber dann muß dieser vorgelegte Deckelbeschluß in der Finanzplanung weg, denn dieser Deckelbeschluß stranguliert das Unternehmen Bahn, und damit machen Sie übrigens auch Ihre eigenen 1983 verabschiedeten Leitlinien zur Makulatur.
({4})
- Herr Kollege Dr. Jobst, ich glaube, ich erkläre Ihnen das hier im Plenum schon zum sechstenmal und habe es auch im Ausschuß schon mehrfach erklärt. Schauen Sie sich bitte einmal die Investitionsentwicklung des Unternehmens Bundesbahn an! Dann werden Sie feststellen, daß die ersten Investitionen - damals mit 500 Millionen DM - im ersten Jahr der Amtszeit Georg Lebers eingestellt wurden und daß es dann bergauf ging. Ich bitte Sie wirklich, mit diesen Märchen aufzuhören.
({5})
Ohne Rücksicht auf die realen Entwicklungen und ohne Rücksicht auf neuere Erkenntnisse werden Sie mit dieser Politik der verbrannten Erde nicht weiterkommen. Sie müssen endlich einmal den Finanzrahmen, der die Bahn stranguliert, ändern. Das Festhalten an diesem Deckelbeschluß bedeutet jedenfalls das verkehrspolitische Aus.
Herr Kollege Jobst, Sie haben vorhin die Investitionen so kräftig gelobt. Die Bahn benötigt für 1989 zusätzlich 1 Milliarde DM für die Investitionen zum Ausbau des Schienenwegenetzes. Wenn dies nicht geschieht - und es wundert mich, daß Sie so lässig darüber hinweggehen - , werden die dringenden Bauziele nicht zu halten sein. Das heißt, Sie müssen neue Projekte vollständig stoppen, Sie müssen angefangene Bauprojekte strecken, und es werden einige Baustellen sogar stillgelegt werden müssen.
({6})
- Ich bitte Sie, das ist kein Horror. Lassen Sie sich von Ihrem Verkehrsminister doch einmal informieren, lassen Sie sich doch einmal die Unterlagen zeigen!
({7})
- Na, dann fragen Sie einmal den Verkehrsminister. Der hat die Unterlagen. Ich kann sie Ihnen aber auch gern zur Verfügung stellen. Sie wissen, daß die Opposition sehr kollegial ist und gerne Informationen an die Regierungskoalition weitervermittelt.
Herr Kollege Straßmeir, da Sie gerade diesen Zwischenruf machen: In dieses Szenario paßt es dann doch wirklich wie die Faust aufs Auge, wenn die Verkehrspolitiker beschließen, zusätzlich 250 Millionen DM an Straßenbaumitteln zur Verfügung zu stellen.
({8})
- Nein, nicht weil sie abgesenkt worden waren, sondern weil Sie offensichtlich die Bahn als wesentliches
Instrument verkehrspolitischen Gestaltungswillens aufgegeben haben.
({9})
Die Bahn wird von dieser Bundesregierung nicht als wertvolles Instrument in der gesamtpolitischen Zielsetzung begriffen. Sie sehen in der Bahn einen unliebsamen Kostgänger des Bundesfinanzministers.
({10})
Nicht die verkehrspolitische und schon gar nicht die gesamtpolitische Zielsetzung steht im Mittelpunkt Ihrer Überlegungen, sondern ein phantasieloses Fiskaldenken.
Angesichts der prekären Situation wäre es eigentlich Ihre Aufgabe, die ja doch von den Verkehrspolitikern aller Fraktionen, die auch von Ihnen zumindest auf dem Papier geforderte umfassende Verbesserung der Rahmenbedingungen der Deutschen Bundesbahn unverzüglich und konsequent umzusetzen. Die finanzielle Austrocknung kann für uns keine Alternative im Vergleich zu einer zukunftsgerechten Gestaltung der Deutschen Bundesbahn sein.
Also, Herr Kollege Dr. Jobst, helfen Sie mit, daß mit der jetzigen Hinhaltetaktik Schluß ist! Lassen Sie die Kommission sterben, bevor sie gegründet ist; als Kommissionsmitglieder kämen sowieso bestenfalls die berühmten drei Affen in Frage. Es muß Schluß sein mit dem Aussitzen der Bahnprobleme. Die Zeit ist wirklich überreif zum Handeln.
Danke sehr.
({11})
Als letzter Redner in unserer heutigen Debatte hat Herr Kohn das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin seit 1983 Mitglied dieses Hauses und habe seither eine ganze Anzahl von Bahndebatten miterlebt. Wenn ich die einmal vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, fällt mir im Grunde nur noch Friedrich Nietzsche mit seiner Theorie von der ewigen Wiederkehr des Gleichen ein.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Zeit eine Vielzahl von Diskussionen geführt und werden uns
({1})
in der nächsten Sitzungswoche erneut in einer großen Debatte mit den Problemen der Deutschen Bundesbahn auseinandersetzen, und dann wird Zeit sein, all die Themen anzusprechen, um die es geht. Lassen Sie mich deshalb heute nur einige wenige Anmerkungen
zu den liberalen Grundsatzpositionen in diesem Bereich machen.
Für die FDP-Fraktion habe ich bereits im Januar deutlich gemacht, wohin wir wollen. Wir wollen, daß die Deutsche Bundesbahn endlich ein Unternehmen wird, und zwar ein Verkehrsdienstleistungsunternehmen, das sich an den Bedürfnissen des Marktes orientiert,
({2})
und daß dafür auch die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Damit dies verwirklicht werden kann, sind Hausaufgaben zu erledigen, Hausaufgaben der Bahn selbst. Ich will gar nicht bestreiten, daß in den letzten Jahren eine ganze Menge erreicht wurde, aber ich sage an die Adresse der Bundesbahn auch, daß eine ganze Menge von Dingen noch unerledigt sind. Es gibt hausgemachte Aufgaben, die die Deutsche Bundesbahn bisher noch nicht gelöst hat. Ich nenne hier beispielsweise nur das Stichwort Rechnungswesen. Ich denke aber auch daran, daß es noch mehr Kreativität und noch mehr Innovationsfähigkeit in diesem Unternehmen bedarf, um die Chancen, die es auf dem Verkehrsmarkt für ein Rad-Schiene-System gibt, auch tatsächlich wahrnehmen zu können.
({3})
Es gibt aber auch Aufgaben der Politik, und das darf kein Schwarzer-Peter-Spiel sein. Zu diesen Aufgaben der Politik gehören drei wesentliche Bereiche:
Erstens. Stabilisierung des Finanzbedarfs. Ich nenne hier wirklich nur Stichworte: Lösung der Altschuldenproblematik, Einführung einer Pensionskasse und Fortsetzung der Rationalisierungsbemühungen.
Zweitens. DB-Strukturreformen. Dazu gehört die klare Trennung in staatliche Aufgabenbereiche, in gemeinwirtschaftliche Aufgabenbereiche und in den unternehmerischen Kernbereich mit den entsprechenden Konsequenzen auch für das Rechnungswesen. Dazu gehört die Übernahme der Finanzverantwortung durch den Staat. Dazu gehört auch - ich sage das, obwohl es nicht bei allen populär ist - das Thema Regionalisierung des ÖPNV.
({4})
Drittens. DB-Unternehmensreform. Hier sind unsere wesentlichen Vorstellungen: Divisionalisierung, die Umwandlung des Verwaltungsrates in einen Aufsichtsrat. Dazu gehört die Auslagerung nicht bahnspezifischer Aktivitäten, die verstärkte Kooperation mit der privaten Wirtschaft und der verstärkte Einsatz des Instruments von Zeitverträgen für Führungskräfte.
All dies sind wesentliche Elemente der Konzeption, für die wir stehen.
Allerdings muß eines noch hinzukommen, nämlich eine Zukunftsdimension. Dies bedeutet: Wir brauchen ein europäisches Schnellbahnsystem. Das bedeutet, daß wir endlich das veraltete Produkt „D-Zug" durch den „Interregio" als ein neues, attraktives System ablösen, und - das sage ich insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Umweltentlastung - wir brauchen eine verstärkte Förderung des kombinierten Ladungsverkehrs, weil nur in der Kooperation Straße und Schiene eine echte Zukunft unter Verkehrsgesichtspunkten, unter ökonomischen Gesichtspunkten und unter energiepolitischen Gesichtspunkten erreichbar ist.
({5})
Um diese Dinge zu verwirklichen, sind wir Liberalen schon immer der Überzeugung gewesen, daß es keine Denkverbote geben darf. Das bedeutet z. B., daß wir es nicht akzeptieren können, daß diese ganze Diskussion von vornherein unter dem Gesichtspunkt geführt wird, eine Novellierung des Bundesbahngesetzes komme partout nicht in Frage. Wir sagen: Man muß die Probleme analysieren, die richtigen Instrumente zur Lösung dieser Probleme bestimmen. Und wenn dazu gehört, auch das Bundesbahngesetz zu novellieren, dann tun wir es eben.
Der andere Aspekt, auf den ich ganz deutlich hinweise - an dieser Stelle stimme ich mit dem Kollegen Daubertshäuser durchaus überein - , ist folgender: Das, was nach bisherigen Informationen als Bestandteil der geplanten Kabinettsvorlage enthalten ist, nämlich die Einsetzung einer Kommission, halte ich nicht für der Weisheit letzten Schluß - um das ganz klar zu sagen.
({6})
Denn die Probleme, um die es bei der Deutschen Bundesbahn geht, liegen offen auf dem Tisch. Die Lösungsvorschläge für diese Probleme aus dem Bereich der Wissenschaft, aus dem Bereich der Wirtschaft und aus dem Bereich der Politik liegen ebenfalls auf dem Tisch.
Aus diesem Grunde möchte ich meine Erwartung an die Bundesregierung so formulieren: Wir erwarten, daß eine rasche Entscheidung zur Sanierung und Konsolidierung der Probleme bei der Deutschen Bundesbahn getroffen wird. Wir erwarten auch, daß die Vorschläge, die die Verkehrspolitiker der Koalition zu diesem Bereich erarbeitet haben, sich in dem wiederfinden, was die Bundesregierung in ihrer Kabinettsentscheidung darstellen wird.
Im übrigen darf ich bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß der Bundesminister im Kanzleramt am Mittwoch in der Fragestunde der Bundesregierung auf eine diesbezügliche Frage von mir ausdrücklich versichert hat, erstens daß die Entscheidung rasch fallen werde und zweitens daß es in der Tat ein Wiederfinden der Koalitionsvorschläge aus dem Parlament in der Beschlußfassung der Regierung geben wird. Darauf vertrauen wir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt ist nicht länger die Zeit zum Reden. Jetzt ist endlich die Zeit zum Handeln. Im übrigen bin ich der Meinung und hoffe sehr, daß ich meinen nächsten Diskussionsbeitrag zur Deutschen Bundesbahn nicht erneut mit
einem Hinweis auf Friedrich Nietzsche eröffnen muß.
Vielen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Es liegen auch sonst
keine weiteren Wortmeldungen für diese Sitzung vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Oktober 1988, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.