Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich eröffne die Sitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich verkünden: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/2285 -. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Sowjetische Manöverbewegungen in bezug auf Westeuropa Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauser ({0}).

Otto Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000835, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Strategen des Kreml haben in vielen Reden und Büchern treffend ausgedrückt, was das sozialistische Lager, also der Warschauer Pakt, unter defensiver Militärstrategie versteht, nämlich den Aggressor auf seinem eigenen Territorium zu zerschlagen. In den letzten Tagen haben wir erneut die Bestätigung dafür bekommen, was dies im Klartext heißt. Die Rote Armee und Warschauer-Pakt-Truppen üben ständig den Einmarsch in die Bundesrepublik Deutschland. Strategische Ziele sind erst der Rhein und dann die Atlantikküste. Nun hat doch aber unser Staat in einer Vielzahl von Verträgen Gewaltverzicht geleistet. Der Art. 26 des Grundgesetzes verbietet den Angriffskrieg und stellt Vorbereitungen dazu unter Strafe. Es ist also Allgemeingut aller Bürger unseres Landes und Grundlage unserer politischen Willensbildung, daß von unserem Staatsgebiet niemals mehr Aggression ausgehen wird. Trotzdem bestehen die Sowjetunion und ihre Verbündeten darauf, den Vormarsch ihrer Panzermassen auf unser Staatsgebiet in Manövern einüben zu lassen. Beängstigend ist dabei, mit welcher Kaltschnäuzigkeit und Unverfrorenheit diese Provokationspolitik betrieben wird. Erschütternd ist, wie der einzelne Soldat im Waschauer Pakt auf unbedingte Offensive getrimmt, wie ihm Aggressivität eingebleut wird. Erschreckend ist, wie die Kreml-Machthaber systematisch Haß säen in ihrem Volk und wie der Haß als Motivation der Soldaten gesät und ausgenützt wird. Die Sprache des Kreml lautet z. B. nicht, man werde eine Aggression begehen; vielmehr werden Aggressionshandlungen als „brüderliche Hilfe" oder als „Befreiung" bezeichnet. Wir kennen alle das Beispiel der Besetzung Afghanistans. So fällt es auch nicht schwer, Sabotageaktionen in fremden Ländern schon im Frieden vorzubereiten. Spione sind „Kundschafter des Sozialismus", und Sabotagetrupps sind „Sonderabteilungen" und führen einen „Spezialauftrag" aus. ({0}) Die Sowjetunion unterhält bereits im Frieden Spezialeinheiten, sogenannte Speznas, in Stärke von 30 000 Soldaten mit mehr als 20 Brigaden, die Unterstützungseinheiten noch nicht einmal mitgezählt. Sie haben bereits jetzt den Auftrag, ihre künftigen Einsatzorte im Westen kennenzulernen, um nachher die Spezialaktionen möglichst durchschlagend ausführen zu können. Der Kern dieser Truppen besteht aus Profis, die zu den Hochleistungskadern des sowjetischen Spitzensports gehören. Sich bei den vielen Auslandsreisen dieser Kader auf den künftigen Einsatzort vorzubereiten, macht im Westen wahrlich keine Schwierigkeiten. ({1}) Aber es sind nicht nur Sportler, die sich bereits im Frieden betätigen. Das neutrale Schweden hat viele leidvolle Erfahrungen mit den Spezialtruppen der Rotbanner-Flotte machen müssen. Wozu - frage ich Sie - braucht ein Staat, der angeblich keine Aggression plant, solche professionellen Killerbrigaden, die ausschließlich auf fremde Hauser ({2}) Staaten, fremde Menschen und fremde Einrichtungen angesetzt sind? Vor einiger Zeit hat der SPD-Kollege von Bülow eine Ausarbeitung zur Bedrohungsanalyse vorgelegt, ({3}) die einzig und allein den Zweck verfolgt, das Aggressionspotential der Sowjetunion und ihrer Verbündeten herunterzuspielen und den Bürger glauben zu machen, es drohe gar keine Gefahr von der sowjetischen Hochrüstung. ({4}) Vor dem Hintergrund der sowjetischen Angriffspläne hat sich die SPD-Bülow-Bedrohungsanalyse als Schlag ins Wasser erwiesen. Der Aggressivität der Sowjets steht die Naivität der SPD gegenüber, meine Damen und Herren. ({5}) Wie es unter solchen Umständen mit vertrauensbildenden Maßnahmen und Abrüstung weitergehen soll, ist schleierhaft. SPD-Mitglied Professor Karl Kaiser hat das zutreffend so ausgedrückt: Solange der Warschauer Pakt glaubt sich auf westdeutschem Boden verteidigen zu müssen und dies auch täglich übt, kommen wir im Abrüstungsdialog nicht weiter. Der Text dieser Funksprüche hat zu einer realistischen Einschätzung der sowjetischen Rüstung und Politik mehr beigetragen als manch lange zähe Debatte. Das Papier des Herrn von Bülow wurde ad absurdum geführt. Ich darf im Namen meiner Fraktion den Herrn Verteidigungsminister ermutigen, die Bürger öfter in die Geheimkammern des Nachrichtenwesens Einblick nehmen zu lassen, damit sie zu einer weniger emotionalen Beurteilung sowjetischer Militärpolitik kommen als bisher. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hauser erwähnte die Sprache des Kremls. Sehr verehrter Herr Kollege Hauser, ich glaube nicht, daß Ihre Sprache geeignet ist, eine erfolgreiche Ostpolitik zu machen, zu der wir alle verpflichtet sind. ({0}) Am 23. Oktober präsentierten zum erstenmal Aufklärungsspezialisten der Bundeswehr im Fernsehen „Funkverkehr der Roten Armee" im Originalton. Bei einer Stabsrahmenübung übten sowjetische Truppen Angriffe auf Ziele der Bundesrepu blik. Aus politischen Gründen entschloß man sich zur Präsentation des Materials. Wir hoffen - so sagte der Sprecher des BMVg, Kapitän zur See Hundt -, die sicherheitspolitische Diskussion im Sinne der Bundesregierung zu beeinflussen. Auf Antrag der Sozialdemokraten gaben Vertreter des BMVg im Verteidigungsausschuß eine Information über den Vorgang, der von dem Kollegen Peter Petersen folgendermaßen charakterisiert wurde: Das ist nichts Neues, das ist eine alte Sache und von dem Kollegen Hauser, der vor mir sprach, in gleicher Weise: Es ist in der Tat so, daß hier nichts Neues angesprochen wurde. Staatssekretär Würzbach kommentierte wörtlich: Überhaupt nichts Neues. Der vortragende Stabsabteilungsleiter Fü S II, General Richardsen, brachte es auf die zutreffende Formel: Das ist ein alter Hut. Das heißt im Klartext: eine Aktuelle Stunde der CDU um einen „alten Hut". ({1}) Der Kollege Wilz von der CDU ließ dann zu guter Letzt die Katze aus dem Sack und gestand ein, daß es der Union hierbei darum gehe, eine innenpolitische Auseinandersetzung mit uns zu führen. ({2}) Natürlich ist - ohne Sinnentstellung - der sowjetischen Militärstrategie von Sokolowski bis Ogarkow zu entnehmen, daß sie im Falle des Angegriffenseins in der Lage sein muß, den Krieg in das gegnerische Land zu tragen. Ich habe es selbst in Gesprächen mit sowjetischen Politikern und General Tscherwow erfahren, wie tief historische Erinnerungen brennen. Ich stimme dem Pressesprecher des BMVg völlig zu, wenn er sagt: Ein Land wie Rußland, das unter dem letzten Krieg so gelitten hat, kann auf seinem Territorium keinen Krieg wollen. Die NATO ist ein reines Verteidigungsbündnis und die Bundeswehr eine rein defensiv angelegte Armee. ({3}) - Darüber gibt es bei uns wohl keine unterschiedliche Auffassung. Drei entscheidende Kriterien weisen darauf hin. Herr Kollege Marx, darüber können wir uns einig sein. Wir wollen doch nicht darüber streiten. ({4}) Es gibt - erstens - weder in der Bundeswehr noch in der NATO eine Manöveranlage, die einen Offensivkrieg vorsieht. Es gibt auch keine Übung und keine Manöveranlage, die grenzüberschreitende Maßnahmen plant, d. h. einen Krieg im gegnerischen Land vorsieht. ({5}) Zweitens. Neben der Manöveranlage ist die Waffenauslegung der Bundeswehr überhaupt nicht geeignet, einen Offensivkrieg zu führen. Das Spektrum der Defensivwaffen in der Luft- und Panzerabwehr ist der dominierende Faktor unserer Verteidigung. ({6}) Und drittens. Unsere Infrastruktur und hier besonders die Logistik würden uns überhaupt nicht befähigen, einen Krieg außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik zu führen, geschweige denn raumgreifende Expeditionen vorzunehmen. Das muß die Sowjetunion nicht nur wissen, sondern auch zur Kenntnis nehmen, ({7}) damit Sicherheitspartnerschaft, die nur beiderseitig sein kann, möglich ist. Aber es gibt mißverständliche Diskussionen auch bei uns, ({8}) nämlich negative Veränderungen mindestens als möglich erscheinen zu lassen. Da gab es den Hickhack um die Neutronenwaffe und die Miniaturisierung. Da gibt es die Air-Land-Battle-Diskussion, Überlegungen über die horizontale Eskalation, die doch gerade uns in Mitteleuropa zum Schlachtfeld werden ließen. Da gibt es die Forderung nach der Ausdehnung des Geltungsbereiches der NATO und die Auseinandersetzung über die Nuklearisierung und Militarisierung des Weltraumes. Unser politisches Interesse muß doch darauf ausgerichtet sein, daß der Warschauer Pakt Offensivplanungen bei den Manöveranlagen unterläßt und sich ausschließlich auf die Vorneverteidigung beschränkt. ({9}) Hier ist die Bundesregierung, hier sind alle Fraktionen des Bundestages aufgefordert, durch Sprache und politisches Handeln dazu beizutragen, daß auch in der Perzeption der Sowjetunion und ihrer Verbündeten nicht jene Mißverständnisse entstehen können, die auch von unserer Seite - wie ich sie hier aufzählte - serienweise leichtfertig oder mutwillig produziert wurden. Diese Debatte könnte dazu einen Beitrag leisten, meine Herren, besonders von Ihrer Seite. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Horn hier soeben von alten Hüten gesprochen hat, so möchte ich an diesem Morgen doch einmal die Frage stellen, wer denn eigentlich damit begonnen hat, alte Hüte in das Plenum des Bundestages zu tragen und sie in der Aktuellen Stunde aufzusetzen. ({0}) Vielleicht, meine Kollegen - gestatten Sie mir diese einleitenden Bemerkungen -, sollten wir einmal beginnen, danach zu suchen, wer von unseren Kollegen eigentlich die Bitte „Unsere Aktuelle Stunde gib uns morgen" in ein Abendgebet eingeschlossen hat und mit dieser Bitte leider auch regelmäßig Erhörung findet. ({1}) Ich will ganz offen sagen, daß ich nicht glücklich bin über die Entwicklung der Aktuellen Stunde weg von einem scharfen Kontrollinstrument des Parlaments hin zu einer mehr oder weniger stumpfen Pflichtübung. ({2}) Ich will hinzufügen, daß ich insofern auch nicht glücklich bin über das Thema der Aktuellen Stunde heute morgen, ({3}) aus zwei Gründen. Einmal reden wir von etwas - das ist hier schon gesagt worden -, was uns als Strategie des Ostblocks bekannt war. Es kann nicht unser Interesse sein, daß in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland eine Situation von Furcht und Sorge entsteht, die immer nur ein schlechter Ratgeber sein könnte. ({4}) Aber vielleicht sollten wir einmal überlegen, ob es nicht doch seinen Vorteil hat, wenn wir in aller Offenheit darüber reden, was denn der Strategie, Struktur und Ausrüstung der Warschauer-PaktKräfte tatsächlich zugrunde liegt. Vielleicht sollten wir uns hier auch einmal die Frage stellen, was denn eigentlich in der Bundesrepublik Deutschland los wäre oder gewesen wäre, wenn man bei einem Manöver der NATO-Streitkräfte ähnliche Funksprüche aufgefangen hätte, wie sie aus dem Warschauer Pakt hier bekanntgeworden sind. ({5}) Wir können eine solche Vorgabe von Angriff von seiten des Warschauer Paktes nicht akzeptieren. ({6}) Wir können auch nicht akzeptieren, daß diese Streitkräfte auch für den Fall, daß sie sich angegriffen fühlen würden, nicht etwa mit Vorneverteidigung agieren, sondern mit Vorwärtsverteidigung. Was wäre denn bei uns, wenn in unseren Funksprüchen Namen wie Frankfurt an der Oder oder vielleicht sogar Namen polnischer Städte aufgetaucht wären? ({7}) Wir sagen - Herr Kollege Horn, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das so ausdrücklich festgestellt haben -: Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Und man könnte hier noch einmal die Bonner NATO-Erklärung vom 10. Juni 1982 mit nur einem einzigen Satz zitieren: Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff. ({8}) Die NATO ist weder von ihrer Stärke noch von ihren logistischen Fähigkeiten noch von ihrer Strategie her zu einem Angriff in der Lage, noch übt die einen solchen Angriff in ihren Manövern. Dies sollte hier heute morgen vielleicht einmal ganz deutlich gesagt werden. Vorstellungen von Angriff sind absurd, unsinnig, und sie sind politisch schädlich. In einer Zeit, in der internationale Bemühungen laufen, um Vertrauen zwischen den Völkern zu bilden, sind Manöver mit solchen Vorgaben, zu denen noch nicht einmal westliche Beobachter eingeladen waren, wirklich nicht hilfreich. ({9}) Ich bin dem Bundesaußenminister dankbar, daß er in den vergangenen Jahren mit einer nicht enden wollenden Geduld und Beharrlichkeit in Madrid dafür gesorgt hat, daß diese Nachfolgekonferenz nicht scheiterte, sondern daß sie ihre Fortsetzung in einer Konferenz in Stockholm für vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstungen findet. Ich meine, diese Vorgänge können insgesamt nur Ansporn sein, im Rahmen der KVAE möglichst rasch auch die beiderseitigen Militärdoktrinen zu beraten, um zu einem gegenseitigen Verständnis zu gelangen und Ursachen für Spannungen und Mißverständnisse zu beseitigen. Danke. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Vogt ({0}). ({1})

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Manöver oder auch Planübungen im Rahmen eines Manövers bedeuten nichts anderes als die Simulation von Krieg. Feind hört mit und gewinnt so Einblick in die Planungen der Manövertruppen des jeweils anderen. Normalerweise halten die Militärs Details derartiger Erkenntnisse zurück, dies schon deshalb, um die künftigen Endverbraucher der kriegerischen Zerstörungsmittel, also die in Kauf genommenen Opfer, nicht vor der Zeit kopfscheu zu machen. Denn der Glaube an die stets kriegsverhütende Abschreckung soll ja möglichst bei allen Zeitgenossen aufrechterhalten werden. Das Problem dabei ist allerdings, daß die Wehrbereitschaft, die Bereitschaft des Steuerzahlers oder des Tieffluggeschädigten, weiterhin Opfer zu bringen, erlahmt, wenn der Vorstellungskraft von der Bedrohlichkeit des Gegners nicht von Zeit zu Zeit nachgeholfen wird. In unserem Fall muß die Schreckensmeldung von einer Blitzoffensive sowjetischer Elitetruppen, die am 19. September 1984 in bezug auf den Raum Niedersachsen simuliert worden ist, dafür herhalten. Die Meldung wurde, wie der Kollege Horn hier schon gesagt hat, am 23. Oktober in die Öffentlichkeit lanciert, also just zu dem Zeitpunkt, in dem im Bundestag über den Verteidigungshaushalt 1985 und über die Freigabe von Mitteln in Milliardenhöhe für militärische Großprojekte der 90er Jahre verhandelt wird. ({1}) Sich vorstellen zu müssen, daß Warschauer-PaktTruppen ihre Einsatzräume im Geiste bei Hannover, Hildesheim und Peine sehen, ({2}) ist schon erschreckend genug, Herr Wimmer. ({3}) Die politische Führung der Bundeswehr hielt es darüber hinaus für angemessen, im Originalton auch noch den brutal und rücksichtslos mit Panzern vorstürmenden „Iwan" vorzuführen. Der hat mit einem seiner Panzer einen Trabant in Brand gesetzt. Der Kommandant überläßt „die vier brennenden Deutschen", wie es dann in dem Funkspruch heißt, ihrem unentrinnbaren Schicksal und befiehlt der Kolonne, weiterzustürmen, gen Westen. Was mag wohl in dem Autofahrer vorgehen, der diese Meldung 10 Kilometer südlich von Hannover, einem der simulierten Einsatzräume der Sowjets, über das Autoradio seines VW Passat auf dem Weg zur Arbeit zu hören kriegt? Er wird sich unschwer als potentielles Opfer der russischen Panzer mit den vier brennenden Deutschen im Trabant identifizieren. Das Feindbild dürfte, sollte es unscharf gewesen sein, wieder stimmen. Interessanterweise fehlt in der Pressemeldung des Bundesverteidigungsministeriums, in welcher Absicht die operativen Manövergruppen die Offensive üben und worin ihr Auftrag besteht. Eine Offenlegung der tatsächlichen Hintergründe nämlich Vogt ({4}) würde Zusammenhänge zutage fördern, an denen die NATO nicht unbeteiligt ist. ({5}) Eine der wesentlichen Aufgaben der sogenannten operativen Manövergruppen, auf die sich der Funkspruch bezieht, besteht darin, durch Raketen und Kampfflugzeuge unterstützt, die militärischen Stützpunkte der NATO möglichst schnell zu erreichen und zu zerstören, durch die sich die Sowjetunion in existentieller Weise bedroht fühlt. Das sind in erster Linie Stützpunkte, wo Atomwaffen stationiert sind, die sowjetisches Territorium erreichen können. In der Bundesrepublik sind das die militärischen Basen, in denen vor allem Pershing II aufgestellt werden und von denen die Sowjetunion annimmt, daß sie in kürzester Zeit gegen höchstrangige Ziele wie etwa politische und militärische Kommandozentralen rund um Moskau eingesetzt werden können. In dieser kalten Logik gedacht sieht die Sowjetunion ihr militärisches Heil offensichtlich in der Flucht nach vorn: ({6}) in der sogenannten vorbeugenden Ausschaltung sie existentiell bedrohender Waffen. ({7}) Wir wissen, daß sie zu diesem Zweck auch noch andere, weitaus schrecklichere Möglichkeiten in Betracht zieht. Deutlich wird das in folgendem Zitat: Wir sollten in Betracht ziehen, daß Ziele der amerikanischen Raketen strategische Objekte auf dem Territorium der UdSSR sind und daß die neuen amerikanischen Träger als Erstschlagwaffe eingesetzt werden können. ... Um mobile Raketen unschädlich zu machen, müßten starke Gegenschläge gegen vermutete Stationierungsräume dieser Raketen geführt werden. Das ist ein Originalzitat von dem ehemaligen Parteichef Leonid Breschnew, „Spiegel"-Interview vom 2. November 1981. Nur diese Funktion haben die SS-22-Raketen, die in der DDR und in der Tschechoslowakei stationiert werden. Die schreckliche Vorstellungswelt der Strategen weitergedacht, bedeutet - das nun wiederum westlicherseits -, Pershing-II-Raketen im Kriegsfall noch frühzeitiger einzusetzen, um sie nicht durch in vorbeugender Absicht vorgetragene sowjetische Angriffe zu verlieren. Man nennt das „use them or loose them". Es dürfte klar sein, daß wir schnellstens aus diesem Teufelskreis heraus müssen; denn er führt durch eine Zone immer größerer wechselseitiger Verunsicherung zur Auslöschung. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Vogt, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Unser Vorstellungsvermögen, das eher Bildern wie dem von heranrollenden Panzern und brennenden Fahrzeugen verhaftet ist, reicht nicht aus, sich das Inferno realistisch auszumalen, in dessen Sog wir geraten könnten, wenn „Große Vaterländliche Abwehrbereitschaft" der Sowjetunion zum vorbeugenden Schlag mit weiträumig zerstörerischen Atomsprengköpfen führt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Vogt, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß. ({0})

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt Ausstiegskonzepte, die ich hier jetzt aus Zeitgründen nicht vortragen kann. Ich meine aber, entscheidend ist ...

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter - Vogt ({0}) ({1}): ... auch auf Ihrer Seite eine neue Haltung, .. .

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß.

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

... die ich nenne: -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, ich entziehe Ihnen das Wort. ({0}) - Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß wir in der Aktuellen Stunde fünf Minuten Redezeit haben. Sie haben Ihre Redezeit um über eine Minute überschritten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Oldenstädt.

Dr. - Ing. Martin Oldenstädt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001644, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sprache ist verräterisch. Insofern sehe ich der Bewertung der Reden der Kollegen der Opposition durch die Zuhörer hier und draußen im Lande getrost entgegen. Die Reden bedürfen insofern keines weiteren Kommentars. ({0}) In meinem Beitrag möchte ich weniger auf den Sachverhalt eingehen, der dieser Aktuellen Stunde zugrunde liegt. Vielmehr werde ich mich als niedersächsischer Abgeordneter mit der Wirkung beschäftigen, die der Sachverhalt und seine Bekanntgabe auf unsere Bevölkerung entlang der Zonengrenze ausgeübt haben, sowie mit dem teils zwiespältigen und manchmal auch entlarvenden Verhalten der Opposition in diesem Hause. ({1}) Die Menschen entlang der Zonengrenze gehen nicht davon aus, daß der Warschauer Pakt morgen angreift. Dennoch bewegt sie dort wie überall in der Welt zutiefst die Sorge um den Erhalt des Friedens. Angst in dieser waffenstarrenden Welt ist verständlich, weil menschlich. Um so unmenschlicher ist es, wenn sowjetische Stäbe, wie geschehen - übrigens im unverschlüsselten Funkverkehr, d. h. mit einer nicht mehr zu überbietenden zynischen Unverfrorenheit -, am 19. September ihre Manöverübungen durchführen und dabei für den 21. September eine Lage unterstellen, in der drei Abteilungen einer bei Magdeburg stationierten sowjetischen Eliteeinheit jeweils die Räume 10 km südlich Hannovers sowie ostwärts von Hildesheim und südlich von Peine erreicht haben. Daß diese Unverfrorenheit und Unmenschlichkeit sich nicht nur in Sandkastenspielen äußern, sondern auch im Ernstfall zu erwarten sind, wird grauenhaft deutlich an jenem ebenfalls belegten Zusammenstoß zwischen einem sowjetischen Panzer und einem zivilen Trabant. Da verbrannten am 8. Oktober dieses Jahres vier Menschen; jegliche Hilfeleistung unterblieb. Statt dessen befahl ein Bataillonskommandeur der 7. sowjetischen Gardepanzerdivision seinen rückfragenden Soldaten: Alle weiter, vorwärts! Vor diesem Hintergrund ist mir völlig unverständlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum die Empörung über diese Art des Denken und Handelns zumindest unter den verantwortungsbereiten Kräften dieses Hauses nicht ungeteilt ist. ({2}) Warum, meine verehrten Damen und Herren - insbesondere der sozialdemokratischen Fraktion -, mäkeln Sie daran herum, daß das Bundesverteidigungsministerium am 23. Oktober eine Gruppe von Journalisten über die abgehörten Funksprüche informierte und ihnen die Mitschnitte auch vorspielte? ({3}) - Das haben Sie im Ausschuß getan, Herr Kollege Horn. Warum behaupten Sie, hier habe die Hardthöhe wieder einmal die Medien vor dem Parlament unterrichtet? ({4}) Richtig ist doch vielmehr, daß der offensive Charakter der sowjetischen Militärdoktrin uns allen, zumindest jenen, die im Bereich unserer äußeren Sicherheit besondere Verantwortung tragen, seit Jahr und Tag bekannt ist. Nur ist diese Tatsache vor unserer Bevölkerung allzu häufig verschleiert und von anderen sogar in Frage gestellt worden. ({5}) Am 23. Oktober ist die Öffentlichkeit endlich einmal und ungeschminkt mit Beweisen versorgt worden. Wer daran herummäkelt, fürchtet offensichtlich die Wahrheit. Helfen Sie doch bitte mit, nicht die Wahrheit zu unterdrücken, sondern statt dessen die Sowjets davon zu überzeugen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, wenn sie gleich uns jeglicher offensiven Doktrin endlich abschwören. Ich fasse noch einmal zusammen, was ich im Ausschuß bereits vorgetragen habe. ({6}) Erstens. Ich begrüße die Information der Öffentlichkeit durch Beweismittel. Damit genügte die Bundesregierung einer längst fälligen Pflicht zur Aufklärung. ({7}) Zweitens. Ich bedaure, daß die Information in den Medien, insbesondere im Fernsehen, nicht noch größeres Echo gefunden hat. ({8}) Es wäre zu wünschen, daß ein offensichtlicher Nachholbedarf durch diese Aktuelle Stunde befriedigt wird. Schließlich stelle ich fest, daß diejenigen in unserem Lande und auch in diesem Hause, die aufschreien und auf die Straße gehen, wenn wir nichts weiter versuchen, als die Fähigkeit und die Bereitschaft zu unserer Verteidigung sicherzustellen und wachzurufen, und die für sich in Anspruch nehmen, gegen alle Formen der Aggression zu sein, seltsamerweise - oder muß ich sagen: bezeichnenderweise? - blind, taub und sprachlos bleiben, wenn fremde Streitkräfte den Angriff auf unser Land proben. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Großverband der 3. Stoßarmee sowjetischer Truppen in der DDR führte am 19. September dieses Jahres eine Kommandostabsübung durch. Dabei haben wir folgenden Funkspruch aufgefangen und auf Tonband festgehalten: Lage für den 21. September, 24 Uhr: 2. Abteilung 15 km südostwärts Braunschweig, 3. Abteilung 6 km ostwärts Hornburg. Die Einheiten und Verbände erfüllten die nächste Aufgabe, bezogen den Abschnitt HannoverSeesen. Die Brigade deckt die Einheiten und Verbände der Armee beim Vormarsch zur Konzentrierung, verstärkt die Sicherung der 14. Panzerdivision während der Entfaltung, Einführung zum Angriff. Einsatzräume der Brigade: die 1. Abteilung 10 km südlich Hannover, die 2. Abteilung Raum ostwärts Hildesheim, die 3. Abteilung Raum südwärts Peine. ({0}) Meine Damen und Herren, diese Übungsannahme sagt sicher nichts über eine politische Absicht der sowjetischen Führung aus, gegenwärtig oder in absehbarer Zeit einen Krieg gegen uns vom Zaum zu brechen. Mit einer solchen Absicht ist so lange nicht zu rechnen, wie das Risiko eines Angriffs gegen und durch die Stärke unserer Verteidigung hoch genug gehalten werden kann, ({1}) allerdings nur so lange nicht. Aber die Übungsannahme sagt etwas über den offensiven Charakter sowjetischer Planung aus. ({2}) Im Frieden wird von allen Streitkräften dieser Welt das geübt, was im Krieg praktiziert werden soll. Diese Meldung ist kein Einzelfall. Sie wirft ein deutliches Schlaglicht auf den offensiven Charakter der sowjetischen Militärdoktrin, aus dem übrigens die sowjetischen Führer noch nie ein Hehl gemacht haben. ({3}) Herr Kollege Vogt, statt sich über angeblich offensive Strategien bei uns zu erregen, sollten Sie Ihre Erregung lieber darauf verschwenden, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, daß da drüben Offensive praktiziert wird. ({4}) Die Rote Armee soll im Kriegsfall ({5}) den Angriff auf das Territorium der NATO - konkret: des Frontstaates Bundesrepublik Deutschland - vortragen. Die Truppenstruktur der WarschauerPakt-Streitkräfte ist auf den weiträumigen, offensiven Bewegungskrieg ausgerichtet, ({6}) und alle Elemente, die einen schnellen Vorstoß ermöglichen - gepanzerte Kampffahrzeuge, selbstfahrende Artillerie, Luftsturmbrigaden -, wurden in den letzten Jahren konsequent modernisiert und umgegliedert. Dieser offensiven Strategie des Warschauer Paktes steht bei uns eine rein defensive Planung der NATO gegenüber. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Übung, die das Übungsgeschehen auf das Übungsgebiet der DDR oder eines anderen Ostblockstaates verlagert. Weder in der Bundeswehr noch in den alliierten Streitkräften gibt es solche Übungen! Alle Übungsmaßnahmen der NATO befassen sich ausschließlich mit der Verteidigung des NATO-Vertragsgebietes und mit der Wiederherstellung seiner Integrität im Falle eines Angriffs auf uns. Sie, Herr Kollege Horn und andere, regen sich darüber auf, daß wir diese Tatsachen veröffentlichen. ({7}) Ich möchte einmal hören, wo die Entrüstung derer bleibt, die der NATO bei jeder Gelegenheit - und zwar gegen die Wahrheit - vorwerfen, sie habe eine offensive Kriegsführungsdoktrin. ({8}) Die Wahrheit bleibt die Wahrheit, auch wenn sie nicht in Ihre Ideologie paßt. ({9}) Ein anderer Vorfall der jüngsten Zeit macht ebenso schlaglichtartig den Unterschied ({10}) in Haltung und Gesinnung der übenden Verbände in totalitären und demokratischen Staaten deutlich. ({11}) Im Verlaufe einer Verlegung im Landmarsch von Teilen eines Panzerregiments der 7. sowjetischen Garde-Panzerdivision kam es am 8. Oktober 1984 nachts gegen 3.30 Uhr auf dem Wege zum Truppenübungsplatz Letzlinger Heide in der DDR zu einem folgenschweren Unfall zwischen einem sowjetischen Panzer und einem zivilen Pkw der Marke Trabant. ({12}) Dem sowjetischen Bataillonskommandeur wurde gemeldet: Am Regulierungspunkt brennt ein Trabant, die Kolonne steht, er kann nicht gelöscht werden, was soll weiter gemacht werden? Die Antwort: Der Bataillonskommandeur hat befohlen weiterzufahren. Darauf die Frage: Was sollen wir mit dem Panzer machen, der mit dem Trabant zusammengestoßen ist? Die Antwort: Der Bataillonskommandeur hat gesagt, er soll weiterfahren. ({13}) Darauf die Rückfrage: Hast du ihm gesagt, daß es ein Panzer von uns war und daß in dem Fahrzeug Leute brennen? Sag dem Kommandeur das noch mal! Was ist das für ein Kommando - vorwärts? Die Deutschen sind tot, was sollen wir weiter machen? Die endgültige Antwort: Alle weiter - vorwärts! ({14}) Kann sich hier irgend jemand vorstellen, daß ein belgischer, britischer, amerikanischer, kanadischer oder deutscher Bataillonskommandeur sich so verhalten hätte? ({15}) Ich überlasse die Schlußfolgerung aus diesem Vorgang Ihnen und den Bürgern unseres Landes. Eines jedenfalls empfiehlt sich: ({16}) Wir tun auch in Zukunft gut daran, unsere Verteidigung so stark zu halten, daß wir eine solche Armee auf unserem Territorium nicht zu dulden haben. ({17})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur bedauern, daß der Herr Verteidigungsminister glaubt, seine Etatschwierigkeiten in dieser Form dem Hause verständlicher machen zu können. Ich halte das, was Sie hier machen, wirklich für eine Verdummung der Öffentlichkeit. ({0}) Zunächst einmal darf ich sagen, Herr Wörner: Seit Jahren ist bekannt, daß die Sowjetunion ({1}) aus ihren Erfahrungen mit dem Hitler-Krieg heraus, der sie 20 Millionen Menschen gekostet hat, die Strategie entwickelt hat, einen nächsten Krieg, wenn er denn geschehe, auf anderem Territorium zu führen. Das wird von uns kritisiert, darüber wird geredet. Daß die Manöveranlagen genauso sind, ist so alt wie diese Strategie der Sowjetunion. Und Sie tun hier in senationshaschender Weise, als ob dies ein neues Datum, eine neue Situation wäre. ({2}) Zweitens. Natürlich ist es so, Herr Kollege Wörner, daß die Verteidigungsstrategie der NATO auch Luftangriffe ins feindliche Hinterland vorsehen muß. Auch das war immer so. Wir nennen die Städte, die in unserer Zielplanung drin sind, nicht beim Namen, aber wenn Sie sich hier so aufregen, könnten sie genauso fragen: Was werden die Menschen in der DDR und in Polen sagen, daß die Bundesrepublik als Gegenwehr Raketenangriffe oder Flugzeugangriffe auf Städte in ihren Ländern übt? Ich sage, ich finde es schäbig, diese Tatsachen in dieser sensationshaschenden Form hier auszubreiten. ({3}) Das ändert nichts an unserer gemeinsamen Kritik an der Streitkräftestruktur und der Planung der Sowjetunion. Das hat damit überhaupt nichts zu tun. ({4}) Was nun den Unfall mit dem Trabant betrifft - ich weiß nicht, ob es das Original-Tonband ist oder was ihre Quelle ist, aber ich unterstelle einmal, es sei so gewesen -, da ist auch meine Empörung groß. ({5}) - Wissen Sie, es gibt in allen Manövern Unfälle. Es gibt auch aus deutschen Manövern auf unserer Seite schlimme Berichte, wie dann vorgegangen worden ist. ({6}) Ich sage: Einen solchen Vorfall, den ich wie Sie verurteile, zur Stimmungsmache, zur reinen Stimmungsmache, zu benutzen, ({7}) sollte unter dem Niveau eines Verteidigungsministers dieser Republik sein. ({8}) Herr Präsident, ich wundere mich, daß sich hier der Vertreter des Außenministeriums noch nicht zu Wort gemeldet hat. Wir sind in einer Situation, in der der Kanzler und der Außenminister sagen: Nach dem Wahlsieg von Präsident Reagan müssen wir versuchen, endlich die Konfrontation mit der Sowjetunion aufzubrechen, ({9}) und wir müssen wieder, wie auch Präsident Reagan sagt, in Verhandlungen kommen. Das Wettrüsten kann nur zu einem großen Unglück in der Welt führen. - Und der Beitrag des deutschen Verteidigungsministers in dieser Situation ist, mit dieser Art primitiver Stimmungsmache die Bemühungen Dr. Ehmke ({10}) des Kanzlers und des Außenministers zu konterkarieren. ({11}) Das Bild, das Sie hier als Regierung bieten, ist erbärmlich. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Ehmke, ich meine, Sie haben hier ein entlarvendes Schauspiel geboten; ({0}) denn zunächst haben Sie darüber geschimpft, daß wir hier einen Verteidigungsminister hätten, der die Wahrheit sage - die manchem Zeitgeist auch in Ihrer Fraktion sicherlich zuwiderläuft -, und im Nachsatz haben Sie dann im Hinblick auf die Streitkräftestruktur zugegeben, daß genau diese jenen Übungen zugrunde liegt, über die wir hier heute die Diskussion führen. ({1}) - Verehrter Herr Kollege Horn, ich möchte hier auch gar nicht so sehr über die Streitkräftestruktur des Herrn Ehmke sprechen als vielmehr darüber, daß Herr Honecker nimmermüde wird, darauf hinzuweisen, daß wir, die beiden Staaten in Deutschland, in einer Verantwortungsgemeinschaft miteinander um Erhaltung des Friedens stünden. ({2}) Vor diesem Hintergrund möchte ich mir doch erlauben, hier einmal die Frage zu stellen, ob denn diese Worte Honeckers nicht hohl und zynisch klingen müssen vor dem Hintergrund derartiger Angriffsmanöver mit grenzüberschreitender Anlage, meine Damen und Herren. Es fragt sich auch, ob diese Worte nicht auch ein klassisches Beispiel für die bewährte Doppelstrategie des Ostblocks, insbesondere der Sowjetunion, sind, nämlich auf der einen Seite Friedensschalmeien zu verkünden und auf der anderen Seite unmittelbar aggressiv den Krieg vorzubereiten. ({3}) Der überfallartige Einsatz ist geplant gegen uns, gegen unser Territorium. ({4}) Hier, meine Damen und Herren, stellt sich für mich die Frage: Ist dies nicht ein Verstoß seitens der Sowjetunion gegen Geist und Buchstaben des Moskauer Vertrages, ({5}) der einen umfassenden Gewaltverzicht vorsieht? Herr Ehmke, das sollten Sie einmal überlegen - ({6}) - Herr Ehmke, weil dieser Gewaltverzicht ausgesprochen wurde, müssen wir hier auch darüber reden können! - Herr Ehmke, ist dies nicht auch ein Verstoß - wie ich meine - gegen den Grundlagenvertrag, in dem sich eben auch die DDR verpflichtet hat, dafür Sorge zu tragen, daß gute Nachbarschaft gepflegt werde? Nun wird wahrlich niemand die Durchführung eines derartigen Manövers auf deutschem Boden als ein Zeichen von guter Nachbarschaft deklarieren können, meine Damen und Herren! ({7}) Ich muß die weitere Frage stellen: Ist das, was da geschieht, und zwar nicht einmal, sondern fortlaufend, ob in Stabsrahmenform oder in Manöverform, überwiegend ohne Vorankündigung geschehen? Ist dies nicht auch ein Verstoß gegen die auch von der Sowjetunion und der DDR unterzeichnete KSZESchlußakte und auch gegen das Schlußdokument von Madrid? ({8}) Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir gerade in dieser Situation sowohl die Regierung der Sowjetunion als insbesondere auch die Regierung der DDR auffordern, alles daranzusetzen und daran mitzuarbeiten, daß es in Stockholm endlich zu vertrauensbildenden Maßnahmen kommt, ({9}) zu Maßnahmen, die Manöverbewegungen und Überraschungsangriffe in der bisherigen Form nicht mehr möglich machen und die durch Kontrollen vor Ort verhindern, daß nicht mehr planmäßig Überraschungsangriffe vorbereitet werden können. ({10}) Meine Damen und Herren, wir fordern Herrn Honecker auf, hierzu mit einen Beitrag zu leisten, und zwar auch in der Form, daß er gegenüber seinen sowjetischen Partnern deutlich macht, daß ein derartig aggressives Verhalten einer Teilstreitkraft des Warschauer Pakts auf dem Boden der DDR, die eindeutig gegen uns gerichtete Manöver durchführt, nicht in Übereinstimmung mit Geist und Buchstaben der geschlossenen Verträge und schon gar nicht mit dem Abkommen von Helsinki stehen kann. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow. ({0})

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was mich bei dieser Aktuellen Stunde besonders verwundert, ist die außerordentliche Naivität Ihres Aufschreies und die dadurch offenbar werdende völlige Uninformiertheit über die strategischen Vorstellungen der Sowjetunion, ({0}) wie man sie jedem Lehrbuch entnehmen kann. Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die Sowjetunion hat aus dem Überfall Deutschlands von 1941 Schlußfolgerungen für ihre Strategie gezogen. ({1}) - Herr Würzbach, wenn Sie wenigstens die Bücher lesen würden, dann könnten wir vernünftiger miteinander reden. ({2}) Diese Strategie wird im Westen häufig verfälschend dargestellt, und ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß diese Verfälschungstendenz bei den weniger Naiven unter Ihnen wieder die Oberhand hat. Die Sowjetunion wurde von Hitler-Deutschland in einer bis dahin unvorstellbaren Weise verheert. ({3}) 70 000 Dörfer und 1 700 größere Städte wurden zerstört; das Land verlor im Zweiten Weltkrieg 20 Millionen Menschen; dem stand die Zahl von 6 Millionen Toten auf unserer Seite gegenüber. Das Hauptblutopfer im Niederringen des Angreifers hatte das russische Volk auf sich genommen. ({4}) Die Völker der Sowjetunion sind auch heute noch von den damaligen Geschehnissen tief geprägt und können nur schwer vergessen. Die politischen und militärischen Schlußfolgerungen aus diesen Ereignissen stören uns heute - uns alle - beim Aufbau einer dauerhaften Friedensordnung in Europa. ({5}) Die Sowjetunion will nach all ihren Bekundungen Krieg in Europa vermeiden. Sie fürchtet dennoch den Angriff des Westens, auch wenn viele von uns sich in diese Ängste nicht hineinversetzen können. Sollte jedoch Krieg vom Westen ausgehen, dann will die Sowjetunion diesen Krieg, von dem sie annimmt, daß er ein weiterer Weltkrieg sein wird, gewinnen. Vor allem aber will sie nicht noch einmal auf ihrem Territorium den ganzen Schaden dieses Weltkrieges auf sich nehmen müssen. ({6}) Sie hat sich in ihrer Strategie vorgenommen - das ist hier schon mehrfach dargelegt worden -, in einer Art Vorwärtsstrategie den Kampf auf dem Territorium des Gegners auszutragen. Nun geben die Tonbandaufnahmen mit den Funksprüchen eine Übungslage wieder, die genau dieser vielfach veröffentlichten sowjetischen Strategie entspricht. Wir reden folglich über alte Ladenhüter, die keinerlei Stoff für eine Aktuelle Stunde hergeben. Die Sache eignet sich allenfalls für eine Nachhilfestunde für die Regierungsfraktionen über die allerprimitivsten Grundlagen sowjetischer Strategie. ({7}) Dabei möchte ich nicht verhehlen - um das noch einmal zu sagen -, daß auch aus unserer Sicht die sowjetische Strategie bei allem Verständnis für ihre Entstehungsgeschichte änderungsbedürftig ist, ({8}) soll ein Weg in eine für das Überleben dieses Kontinents unverzichtbare Sicherheitspartnerschaft erfolgreich beschritten werden. Würde diese Vorwärtsstrategie der Sowjetunion in Mannschaften und Waffensysteme umgesetzt, so ergäbe sie neben einer maximalen Verteidigungsfähigkeit zugleich die Fähigkeit zum Angriff. Es bedarf daher des sehr ernsthaften, geduldigen, langen Gesprächs mit den Führern der Sowjetunion, um hier den Boden für ein Umdenken zu bereiten, ({9}) nicht aber der ziemlich dummen und dümmlichen Sprüche von Urenkeln von Adenauer, die hier vorgetragen worden sind. ({10}) Im übrigen sollte an dieser Stelle einmal mehr darauf hingewiesen werden, daß es ja auch im Westen Stimmen gibt, die einer Vorwärtsstrategie der NATO das Wort reden. Das fängt mit dem langjährigen Militärberichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Adelbert Weinstein an, der schon seit Jahren das Vordringen in Feindesland im Falle eines Angriffs predigt, ganz vergleichbar den sowjetischen Vorstellungen. ({11}) Da sind aber inzwischen ganz andere illustre Namen zu nennen, die an Verteidigung durch Vordringen in die Tiefe des gegnerischen Raumes denken. Ich nenne nur den Namen des Oberbefehlshabers der NATO Rogers - Stichwort Air/Land-Battle - und andere Diskussionspartien. ({12}) Meine Damen und Herren, im Westen scheitert eine Vorwärtsstrategie an zahlreichen Bedenken - auch unseren -, die sich nicht zuletzt mit der Vorstellung einer Wiedervereinigungsgefahr der beiden Deutschlands im Zuge eines militärischen OstWest-Konflikts verbinden. ({13}) Eine Lehrstunde haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ja kürzlich erst von Ihrem italienischen Parteifreund, dem Außenminister Andreotti, erhalten. ({14}) Die westliche Verteidigungsstrategie ist zurückhaltender als die östliche. Dies hat jedoch mit Mißtrauen gegen den deutschen Unruheherd mehr zu tun als mit sonstigen militärischen und politischen Einsichten. Meine Damen und Herren von der Koalition, wir täten gut daran, die östlichen und westlichen Sorgen gemeinsam unseren politischen Überlegungen für die Gestaltung unserer Verteidigungs-, Außen-, Abrüstungs- und Entspannungspolitik zugrunde zu legen. ({15}) Die Spache der psychologischen Kriegführung, die der Verteidigungsminister heute morgen in die Aktuelle Stunde eingeführt hat, wird einen erfolgreichen Weg in dieser Richtung verbauen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ganz.

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe diese Debatte ebenso aufmerksam verfolgt wie die am vorigen Mittwoch im Verteidigungsausschuß. Ich kann die Aufgeregtheit und Nervosität bei vielen Teilen der Opposition einfach nicht verstehen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Meinung, dieses Parlament sollte vielmehr als Ganzes dem Verteidigungsminister dankbar sein, ({1}) daß es durch die nach sorgfältiger Interessenabwägung veröffentlichten Manöverpläne der Sowjetunion die Chance hat, nüchtern und sachbezogen einen Vorgang zu diskutieren, der nicht nur uns, sondern auch vielen unserer Mitbürger Sorgen bereiten, aus dem wir als Politiker Konsequenzen zu ziehen haben und worauf wir Antwort zu geben haben. Zumindest von den GRÜNEN hätte ich erwartet, daß Sie Ihre sonst so prompte Betroffenheit zum Ausdruck gebracht hätten wie z. B. dann, wenn es um militärpolitische Vorgänge in fernsten Winkeln dieser Erde geht, die Ihnen jeweils Anlaß genug waren, eine Aktuelle Stunde hier im Deutschen Bundestag zu beantragen. ({2}) Aber für das, was vor unserer eigenen Haustür, was auf deutschem Boden vom Warschauer Pakt inszeniert wird, bringen Sie Ihre sonst sosehr strapazierte Sensibilität nicht mehr auf; dafür sind Sie ganz einfach blind. ({3}) Meine Damen und Herren, für mich ist es nicht nur unverständlich, sondern unerträglich, daß manche in der Bundesrepublik den Desinformationen und Propagandamärchen der Sowjets mehr Glauben schenken, ({4}) als den uns bekannten und jetzt als ein Mosaikstein der Öffentlichkeit bekanntgegebenen Fakten, die für die ausgeuferte Diskussion über diese Fragen jedenfalls eine solidere Grundlage als die sowjetische Propaganda abgeben. Aber diese Fakten könnten bei den GRÜNEN und bei Teilen der SPD die Forderung nach einseitiger Abrüstung, nach Sicherheitspartnerschaft - was immer man darunter verstehen mag ({5}) stören, und deswegen will man sie entweder nicht zur Kenntnis nehmen oder sie unter den Teppich kehren oder von ihnen ablenken. Ich hätte den Aufschrei hören mögen, wenn bei Verteidigungsübungen von NATO-Verbänden Begriffe wie „Vormarsch", „Durchstoß", „Durchbruch durch gegnerische Verteidigungslinien" benutzt, ({6}) als Angriffsziele Magdeburg, Halle, Leipzig genannt und Luftaufnahmen von Elbbrücken bei Dresden angefordert worden wären. Mit Recht hätten Sie sich empört. Bei dem jetzt zur Debatte stehenden Vorgang waren die Friedensbewegten eigenartig still; dafür unterstellen sie aber der Bundeswehr und der NATO Offensivabsichten, wie soeben wieder gehört, und blockieren und sabotieren deren Manöver, obwohl sie wissen, daß bei der NATO Angriffe auf das Ge7170 Ganz ({7}) biet eines Aggressors nicht geplant und deshalb auch nicht geübt werden. Wenn die UdSSR so friedlich wäre, wie sie immer vorgibt und wie es viele auch bei uns im freien Westen glauben, könnte man von ihr zumindest erwarten, daß sie Manöver dieser Art mit diesen unverfrorenen, offenen - ich möchte sagen: zynischen - Zielangaben weder plant noch durchführt. Aber nach der sowjetischen Militärdoktrin ist die strategische Offensive Hauptform des Angriffs, und das Ziel ist die Zerschlagung des Gegners auf dessen Territorium und nicht die Wiederherstellung der Integrität eigenen Territoriums als Folge eines Angriffs. ({8}) So steht es in der sowjetischen Militärenzyklopädie, Herr Dr. von Bülow. Was in den Büchern steht, muß auch geübt werden. ({9}) Daß die Vorbereitungen hierzu nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf unserem eigenen Boden mit Spionagemitteln der Tiefenaufklärung getroffen werden, sollte jedem bekannt sein, und dafür gebe ich Ihnen mal ein Beispiel: Am dritten eines Monats passiert ein verplombter Lkw mit UdSSR-Kennzeichen die innerdeutsche Grenze. Die Frachtpapiere weisen aus: Ziel Luxemburg, Ladung Altpapier. Dieser Lkw erreicht die Grenze Luxemburgs am neunten des gleichen Monats, also sieben Tage danach. Schon am zehnten kommt er aus Luxemburg zurück. Angabe in den Frachtpapieren: Ziel irgendein Ort in Sibirien, Ladung Altpapier. ({10}) Die erstaunten Fragen des Zöllners werden mit „offensichtlicher Fehlplanung" beschieden. Nachträgliche Recherchen ergeben allerdings, daß dieser Lkw bzw. seine Fahrer sieben Tage lang die Teile der Bundesrepublik ausgekundschaftet haben, die bei der simulierten Angriffsübung der dritten sowjetischen Stoßarmee als operative Angriffsziele vorgesehen waren. ({11}) Und das soll uns alles kaltlassen! Der Herr Kollege von Bülow zieht daraus in seiner „bemerkenswerten" Untersuchung den Schluß: ({12}) Von daher ist Anlaß gegeben, die eigene Lage und die des Bündnisses mit größerer Gelassenheit zu betrachten. Okay, Herr Dr. von Bülow, wir machen keine Panik, wir schüren keine Angst, wir unterstellen der UdSSR noch nicht einmal in dieser Zeit aktuelle Absichten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Ganz, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß!

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich schließe mit einem Zitat aus der Zeitung „Die Zeit" vom 6. Mai 1983: Rußland war und ist eine expansionistische Macht, ob unter dem Zaren oder unter den Kommunisten. Sie bedarf des geschlossenen Gegengewichts, in Zukunft ebenso wie bisher. Autor ist Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolbow. ({0})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Argumente fehlen - das hat bisher die Debatte von Ihrer Seite gezeigt -, muß man gelegentlich auch zur Unwahrheit greifen. ({0}) Nicht die Unterrichtung, sondern die Art des Vorgehens, wie das gemacht wurde, ist von der Opposition im Verteidigungsausschuß kritisiert worden. ({1}) - Herr Bundesminister der Verteidigung, Sie haben sicher ein wichtiges Gespräch mit dem Ausschußvorsitzenden; Sie sollten zuhören. Ich argumentiere mit der „Neuen Presse" in Hannover: Sensationell an dem Stil, den Sie praktizieren, ist nicht die östliche Übung, sondern die Art der Präsentation, wie sie die Hardthöhe gegeben hat. ({2}) Zur Sache. Zunächst sollten wir in dieser Frage unser Augenmerk auf einige Begriffe lenken, auf Begriffe wie „Angriff" oder „Offensive". Dazu gibt es in diesem Haus sicherlich keine Unterschiede. Diese Begriffe sind sehr streng zu unterscheiden von denen der Aggression. Das gleiche gilt für das Notwehrrecht gegen eine Aggression. Jede Armee dieser Welt ist im militärisch-operativen Sinne zu defensiven und offensiven Gefechtshandlungen fähig. Dies kann wohl niemand ernsthaft bestreiten. ({3}) Aber aus der Fähigkeit einer Armee zu militärischoperationellen Offensiven den Schluß abzuleiten, daß dies der Beweis für eine irgendwann stattfindende Aggression oder die Absicht dazu sei, ist weder für Ost noch West zulässig. Das haben Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung, heute hier auch deutlich gemacht. Insoweit sind militärische Überlegungen, in Manövern geübt, so oder so auslegbar. Der Kollege Ganz hat gesagt: Die Bücher müssen geübt werden. Kolleginnen und Kollegen, wir sind dazu da - auch aus einer Aktuellen Stunde wegen des unzulänglichen alten ErfahrungsbewußtKolbow seins -, neue Bücher zu schreiben und die These von Gustav Heinemann zu belegen, daß der Frieden der Ernstfall ist. Dies ist unser Auftrag, den wir gemeinsam haben. ({4}) Hier in Mitteleuropa - ich nehme Ihre Argumente auf - stehen wir einer Masse der sofort verfügbaren und gefechtsbereiten Kräfte des Warschauer Paktes gegenüber. Dennoch, ich zitiere einen sehr sachkundigen und in seiner Aufgabe bewährten Mann, den Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, der Bundeswehr unseres Landes, der vor denen, die nicht mehr in der Generalität dienen, gesagt hat: Die Gefahr heute ist offensichtlich nicht in erster Linie ein Angriff auf Euopa - der große Krieg - das hat er klar erkannt -, ({5}) die Einschätzung liegt vielmehr dem sowjetischen Versuch einer schrittweisen Veränderung des politischen und weltpolitischen Kräfteverhältnisses näher. Kissinger sagt: No Master-Plan, aber Meister im Nutzen von Gelegenheiten. ({6}) - Nein, nein, Herr Kollege Wimmer, Sie begreifen aus politischer Absicht nicht, was Inhalt solcher Aussagen ist, ({7}) weil Sie das nicht wollen. Lassen Sie mich ganz deutlich an die Adresse derer, die Verteidigungspolitik auch im Ausschuß machen, mit dem Satz schließen: Die Schlußfolgerung ist, daß Sie aus solchen Aktionen wie der politischen Nichtberücksichtigung des Fachausschusses, die richtigen Schlüsse ziehen sollten, auch aus den Manövern des Warschauer Paktes, und nicht Bekanntes, längst Bekanntes zur psychologischen Kriegführung im eigenen Land. Benehmen Sie sich nicht wie die Sowjetunion; ({8}) tragen Sie die Auseinandersetzung nicht auf fremdes Gebiet! ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Bastian. ({0})

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Versuch des Abgeordneten Hauser, aus Einzelheiten einer Planübung - es hat sich ja nicht um eine Volltruppenübung, sondern um eine Planübung gehandelt - das Schreckensbild einer bevorstehenden Aggression der Sowjetunion nach Westen zu malen, wirkt einigermaßen krampfhaft und untauglich angesichts der Zahlen dieses Herbstes. Diese Zahlen, die wir alle und auch Sie kennen, beweisen eindeutig, daß die Warschauer-Pakt-Staaten für die Volltruppen-Übungen dieses Herbstes Truppen im Umfang von noch nicht einmal 50 000 Mann aufgeboten haben, während die NATO für die Volltruppen-Übungen dieses Herbstes Land-, See- und Luftstreitkräfte in der Stärke einer Viertelmillion aufgeboten hat, wovon allein vier Corpstruppen-Übungen mit ungefähr 100 000 Mann in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben. ({0}) - Ja; das ist richtig. Ich rede nur von den Zahlen, Herr Würzbach, und die werden Sie nicht in Abrede stellen können. ({1}) Wer angesichts dieser Übungsaktivitäten und des Umfangs der aufgebotenen Übungstruppen Grund hat, beunruhigt zu sein, bleibt angesichts dieser Zahlen nicht mehr offen und läßt sich anders beantworten, als Sie, Herr Hauser, es getan haben. ({2}) - Herr Biehle, es wäre besser, Sie würden mal zuhören und Ihrem Drang, sich öffentlich darzustellen, in einer solchen Debatte etwas Zügel anlegen. ({3}) Ebenso unzulässig, Herr Hauser, ist die Unterstellung, die Sie wieder gemacht und die andere Kollegen Ihrer Fraktion wiederholt haben, daß das sowjetische strategische Konzept, das Sie vereinfacht, aber richtig als die Absicht dargestellt haben, einen Aggressor auf seinem Territorium zu schlagen, mit der Absicht gleichgesetzt werden kann, selber Aggressor zu werden und die eigenen Truppen in Bewegung zu setzen, bevor es zu einer Aggression gekommen ist. Das ist doch absolut unzulässig. ({4}) - Gehen Sie doch nach Nicaragua und El Salvador und nicht nur immer nach Afghanistan! ({5}) - Wir reden jetzt von Zentraleuropa und der Lage zwischen NATO und Warschauer Pakt in Zentraleuropa und nicht von anderen Betätigungsfeldern von Truppen der Sowjeunion und der Vereinigten Staaten, ({6}) die es ja leider Gottes gleichermaßen gibt. ({7}) Sie wissen doch ganz genau, und es ist ja seit langem unstrittig, daß die Sowjetunion das Konzept hat, im Fall einer Aggression, also eines ihr aufgezwungenen Krieges, diesen Krieg nicht im eigenen Land, sondern auf dem Gebiet des Kriegsgegners auszutragen. ({8}) Das ist ja nichts Neues. Entsprechende Erkenntnisse aus Übungen hat es schon seit 20 Jahren gegeben, als ich Major im Generalstabsdienst, als ich Oberst im Verteidigungsministerium, als ich Brigade- und Divisionskommandeur gewesen bin. ({9}) Das ist doch nichts Neues. ({10}) Ob die Beunruhigung größer sein muß, die von Funksprüchen herrührt, die aus einer Planübung aufgefangen werden - wobei man dem Verteidigungsminister ja gratulieren muß, daß die Entschlüsselungsdienste so gut arbeiten, was ja auch schon ein Element der eigenen Sicherheit ist -, ({11}) oder die Beunruhigung von der Wirkung, die durch Feuer ausgeht, das auf dem Boden des anderen Gebiets angedroht und hergestellt werden kann, bleibt doch auch zu fragen. Sie wissen doch genausogut wie ich, daß in der modernen Kriegführung nicht die Bewegungen von Landstreitkräften, sondern die atomare und die konventionelle Feuerkraft entscheidend sind ({12}) und daß auf der Seite der NATO sehr offen darüber diskutiert wird, mit welchen „tiefen Schlägen" konventioneller und nuklearer Art man im Kriegsfall tief in die Sowjetunion hinein zu wirken beabsichtigt. Ob die Beunruhigung auf Grund einer solchen Planung und Zielsetzung auf der anderen Seite kleiner sein muß als die Beunruhigung aus der uns ja bekannten Absicht, im Kriegsfall Truppen nach Westen in Bewegung zu setzen, bleibt dahingestellt. Letztlich ist die Frage entscheidend - damit will ich zum Schluß kommen; die Zeit ist abgelaufen -: Wer ist denn für die Durchsetzung seiner strategischen Option besser ausgerüstet, und wer nicht? Und da ist doch ganz eindeutig - und das belegt ja auch die Studie, für die man dankbar sein muß, die der Kollege von Bülow vorgelegt hat und die exakter und zuverlässiger ist als die Weißbücher der Bundesregierung -, ({13}) daß der Warschauer Pakt für die Durchsetzung seines strategischen Konzepts weit weniger gut ausgerüstet ist als die NATO für die Durchsetzung ihrer strategischen Vorstellungen, ({14}) NATO-Territorium im Fall eines Angriffs aus dem Osten zu verteidigen. ({15}) - Richtig, richtig! Das ist Verteidigung. Und ich sage: Die NATO ist für ihr Verteidigungskonzept besser ausgerüstet als die Sowjetunion für ihr Angriffskonzept im Fall eines Krieges. Das ist unstrittig, und das ist auch von General Kroesen, dem früheren Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Europa, ...

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

... in Interviews so bestätigt worden; übrigens auch vom Generalinspekteur Altenburg, ...

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

... der in einer Diskussion gesagt hat: Die NATO ist politisch, gesellschaftlich und militärisch stärker als der Warschauer Pakt. Das ist in den Zeitungen nachzulesen und wurde von vielen Zuschauern im deutschen Fernsehen gehört. Danke schön. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat als letzter Redner Herr Abgeordneter Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, ein großer Vorteil Aktueller Stunden ist es, daß man aufeinander eingehen kann und nicht lange Reden vorliest, die jemand anders vorher aufgeschrieben hat. ({0}) Ich möchte deshalb meine schöne Rede, die ich vorbereitet hatte, wegwerfen und ein paar Dinge aufgreifen, die mir wichtig zu sein scheinen. Herr Kollege Kolbow, ich will Ihnen empfehlen, bei dem sehr viel älteren und weiseren Kollegen Horn ein bißchen Nachhilfeunterricht zu nehmen. Wenn Sie beide Reden vergleichen, können Sie feststellen: Sie haben genau das Gegenteil gesagt. Herr Horn hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Truppen der NATO auf Grund ihrer Struktur, der Doktrin und Bewaffnung überhaupt nicht in der Lage wären, selbst wenn es irgendeinen Verbrecher gäbe, der das wollte, einen Angriffskrieg zu führen. ({1}) Setzen Sie sich doch beide einmal zusammen. Aber ich wollte viel lieber auf Herrn von Bülow eingehen. Herr von Bülow, ich gehöre seit längerer Zeit dem Verteidigungsausschuß an. Ich habe vier Jahre hintereinander erlebt - ich habe ein ganz gutes Gedächtnis -, wie Sie als Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesverteidigungsministers, zuerst Leber und dann Apel, in den Ausschuß kamen, um uns eine Bedrohungsanalyse zu erstellen und uns als Opposition auf Grund dieser Bedrohungsanalyse aufzufordern, doch bitte die teuersten Waffensysteme der Geschichte mit Steuergeldern zu finanzieren, die wir weiß Gott lieber für etwas anderes ausgegeben hätten, etwas, was populärer gewesen wäre. ({2}) Jetzt kommen Sie an, Herr von Bülow, ein paar Jahre später, und sagen: April, April, das stimmt alles gar nicht. ({3}) Sie schreiben eine Denkschrift, in der Sie nachweisen, daß der Warschauer Pakt sehr viel schwächer, die NATO sehr viel stärker sei, daß die ganze Geschichte ungefähr ausgewogen sei - um Ihnen und Ihrer Partei die Möglichkeit zu eröffnen, aus der gemeinsamen Verteidigungspolitik, aus dem gemeinsamen Einstehen auch für unpopuläre Maßnahmen auszusteigen. ({4}) Herr von Bülow, wenn das stimmt, dann gibt es nur eine Erklärung, nämlich die, daß sich in den paar Jahren zwischen Ihren Vorträgen vor dem Verteidigungsausschuß und heute entweder die sowjetischen Streitkräfte klammheimlich um zwei Drittel verringert hätten, bis Sie und Ihr Ausschuß im Parteipräsidium der SPD den Russen auf die Schliche gekommen sind, so daß Sie das jetzt verkünden können, oder daß wir um zwei Drittel stärker geworden wären; wir wissen ganz genau, daß das nicht der Fall ist, denn wir haben schließlich die Mittel dafür zu bewilligen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir sollten doch versuchen, redlich miteinander umzugehen. Hier geht es um Existenzfragen der Freiheit. Da möchte ich einen letzten Punkt aufgreifen. Sie reden von Sicherheitspartnerschaft. Meine Damen und Herren, den Begriff Partner oder Partnerschaft kennen wir aus der Ehe, aus dem Geschäftsleben, bei Sportvereinen. Er ist ausgesprochen positiv besetzt. ({6}) Kann ich eigentlich das Verhältnis zu jemandem mit dieser Mentalität, die heute hier noch einmal deutlich geworden ist, mit dem moralisch gleich positiv besetzten Begriff bezeichnen wie das Verhältnis zu unseren Bündnispartnern? ({7}) Ich möchte Herrn Honecker zitieren, der mir dieses Dilemma darzustellen scheint. Herr Honecker sagt - mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich das gerne zitieren -: Wenn imperialistische Ideologen weismachen wollen, daß ein sogenanntes militärisches Gleichgewicht existiere und friedenserhaltend wirke, so antworten wir darauf mit aller Eindeutigkeit: Auch solche Thesen sind nichts anderes als der Versuch des Klassengegners, sich den Veränderungen des Kräfteverhältnisses anzupassen. Der Imperialismus hat seine dominierende Rolle als Militärmacht in der Welt ein für allemal verloren, mehr noch, der Weltsozialismus verfügt über Streitkräfte, die den imperialistischen Armeen überlegen sind. ({8}) Die sowjetischen Streitkräfte sind die stärkste Militärmacht der Welt. Meine Damen und Herren, ob das stimmt oder nicht - Herr Bastian, ich habe das nicht nachgezählt -, ich meine nur: Wir müssen einig bleiben innerhalb des Bündnisses, wir müssen einem potentiellen Angreifer, der so denkt wie diese Leute - das kann ich denen leider nicht abgewöhnen -, deutlich machen, daß mit einer Aggression ein Preis zu bezahlen wäre und ein Risiko verbunden wäre, das nicht tragbar ist. Solange das so ist, werden wir hier in Frieden leben und die Freiheit bewahren. Danke schön. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/2285 - Berichterstatter: Abgeordneter Louven Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/2285 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dage- Präsident Dr. Jenninger gen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 und 26 auf: 25. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Duve, Bachmaier, Bernrath, Büchner ({0}), Catenhusen, Conradi, Egert, Gansel, Kühbacher, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({1}), Frau Odendahl, Rapp ({2}), Schröer ({3}), Schulte ({4}), Sielaff, Toetemeyer, Wartenberg ({5}), Frau Weyel, Wolfram ({6}), Frau Zutt und der Fraktion der SPD Kulturpolitik - Drucksachen 10/382, 10/2236 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wex, Daweke, Dr. Mikat, Graf von Waldburg-Zeil, Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Rossmanith, Kalisch, Weiß, Dr. Althammer, Frau Dr. Hellwig, Dr. Hornhues, Linsmeier, Dr. Kunz ({7}), Dr. Stercken, Dr. Lammert, Bohl, Dr. Kreile, Dr. Daniels, Dr. Rose, Jung ({8}), Dr. Olderog, Dr. Faltlhauser, Lowack, Austermann, Frau Verhülsdonk, Jagoda, Dr. Becker ({9}), Schwarz, Frau Roitzsch, Niegel, Clemens, Pohlmann, Deres, Wimmer ({10}), Magin, Dr.-Ing. Kansy, Müller ({11}), Broll, Dr. Möller, Haungs, Ruf, Dr. Hackel, Echternach, Dolata, Frau Geiger, Schulze ({12}), Schreiber, Müller ({13}), Carstensen ({14}), Graf Huyn, Dr. Hüsch, Ganz ({15}), Werner, Wilz, Tillmann, Dr. Blank, Dr. Marx, Herkenrath, Hanz ({16}), Buschbom, Maaß, Dr. Pohlmeier, Hornung, Zierer, Zink, Höffkes, Baum, Neuhausen, Dr. Feldmann, Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Schäfer ({17}), Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Rumpf und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Kulturförderungspolitik der Bundesregierung - Drucksachen 10/785, 10/2237 26. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Erhaltung der Buchpreisbindung - Drucksache 10/2185 Zu Tagesordnungspunkt 25 liegen Ihnen drei Entschließungsanträge auf den Drucksachen 10/2262, 10/2279 und 10/2280 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 25 und 26 und eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger. ({18})

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte heute morgen ist zumindest ungewöhnlich. Wenn wir einmal von der Bildungspolitik absehen, ist es in der Kulturpolitik im engeren Sinne die erste Debatte in einem deutschen nationalen Parlament seit Jahrzehnten. Dabei stehen natürlich praktische Fragen im Vordergrund des Interesses. Wenn die Antwort der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen hat auf sich warten lassen, dann ist meine Fraktion daran mitschuldig. ({0}) Wir haben die Zeit, Herr Duve, genutzt, um in den praktischen Fragen, ({1}) z. B. im kulturfreundlichen Steuerrecht, zu Fortschritten zu kommen, und wir haben dazu ringen müssen mit dem Bundesfinanzminister und mit seinem Hause. Das hat natürlich Zeit gekostet, aber es hat sich auch gelohnt. Wir haben nicht alles von dem erreicht, was wir wollten. Aber mit Unterstützung des Bundeskanzlers - das darf ich aus den internen Besprechungen hervorheben - haben wir doch den Weg geöffnet für bessere Lösungen. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode zu konkreten Entscheidungen kommen, die nicht nur manche Verschlechterungen der kulturellen Rahmenbedingungen, die in den 70er Jahren eingeführt wurden, wieder rückgängig machen, wir werden auch auf anderen Gebieten zu konkreten Verbesserungen kommen. Frau Dr. Wex, Herr Daweke und andere Kollegen werden nach mir im einzelnen darlegen, welche Ziele wir auf welchem Wege erstreben. Ich hebe Frau Dr. Wex und Herrn Daweke persönlich hervor, weil sie sich um die kulturellen Aktivitäten der Bundestagsfraktion in besonderer Weise verdient gemacht haben. ({2}) Auch möchte ich heute morgen Professor Kreile nennen, der aus Gesundheitsgründen an dieser Debatte leider nicht teilnehmen kann. Ich selbst möchte zu Beginn einige Bemerkungen zum Verhältnis von Politik und Kultur machen. Die jahrzehntelange Sprachlosigkeit des deutschen Parlaments zu diesem Thema und die Tatsache, daß hier zwischen Künstlern, Politikern und Schriftstellern, auch was meine eigene Partei angeht, gewiß vieles aufzuarbeiten ist, ({3}) dürften es rechtfertigen - Herr Duve - dieser Debatte vor den Einzelheiten einige allgemeine Gedanken voranzuschicken. Kultur und Politik, wie stehen sie zueinander? Idealtypisch gesehen, wirken sie antagonistisch. Wieso? Politik muß, um wirksam zu sein, den Gegenwartskonsens erstreben, sei es durch die freie Zustimmung der Mehrheit und ihre Respektierung durch die Minderheit in der Demokratie, sei es durch den erzwungenen Beifall aller in der Diktatur. Politik baut, wie Bertrand de Jouvenel gezeigt hat, auf Meinung auf und gewinnt ihre Macht durch sie. Kultur dagegen - jetzt einmal im engeren Sinn als künstlerische Kultur gedacht - ist von gegenwärtiger Zustimmung völlig unabhängig. Da macht es nichts aus, ob ein Komponist wie Franz Schubert keines seiner größeren Werke in einer öffentlichen Aufführung gehört hat, ob ein Maler wie Vincent van Gogh nicht eines seiner Bilder verkaufen konnte. Der Rang ihrer Arbeiten hängt nicht einmal indirekt davon ab, ob sie zu ihrer Zeit Zustimmung gewinnen konnten oder nicht. Die Unterschiedlichkeit von Kultur und Politik zeigt sich auch in einer anderen Facette: Politiker sind, wie wir wissen, gewiß keine besseren Menschen als andere, und der Bundestag ist, wie Eugen Gerstenmaier einmal gesagt hat, nicht die Elite, sondern der Querschnitt der Nation. Aber unbeschadet dessen: Politik ist allein und unmittelbar auf das Gemeinwohl verpflichtet. Gruppen-Partei- und Politikerinteressen spielen gewiß mit, ({4}) aber sie müssen sich ein- und unterordnen. Sie können nicht Maßstab der Politik sein. In der Kunst ist das anders. Sie darf nicht unter irgendwelchen Vorwänden auf das Gemeinwohl verpflichtet werden, weil sie damit ihre Freiheit verlieren würde. In der Kunst geht es zunächst und ausschließlich um die Verwirklichung einer Idee eines Werkes und in diesem Werk um die Verwirklichung der Persönlichkeit des Künstlers. Subjektivität ist hier genauso Trumpf, wie in den Angelegenheiten des Staates Objektivität Trumpf sein muß. ({5}) Ein Drittes: Ein Künstler von Rang stiftet Bleibendes, der Politiker meistert bestenfalls die Gegenwart. ({6}) Er sollte das im Blick auf die Zukunft tun, aber ob sein Werk die Zukunft erreicht, hängt nicht nur von seinem Rang ab, und ob die Folgen seines Wirkens positive Wirkungen auf die Zukunft haben statt negative, ist ein Risiko, das in der Politik weit größer ist, als es beim Künstler jemals sein könnte. Wie immer man es betrachtet - und es gäbe noch viele Aspekte -: Die Erkenntnis ist unabweisbar, daß wir es in Kultur und Politik mit zwei Welten zu tun haben, die nur schwer zusammenzukoppeln sind. Allerdings vertrete ich nun keineswegs die Meinung, daß Politik ihrem Wesen nach banausisch und Kunst ihrem Wesen nach staatsfern sein müßte. Die Kultur hat zu allen Zeiten - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlich edler Absicht - den Respekt der politisch Mächtigen genossen. In besonders hochgestimmten Zeiten kam es sogar zu einem Zusammenhang der künstlerischen und der staatlichen Ambitionen. Der Parthenon-Fries von Athen, aber auch Schinkels Bauten für Berlin sind Zeugen für solche - allerdings seltenen - Momente. Übrigens vermag ich auch aus den Variationen in Haydns „Kaiserquartett" keine ironische Nuance herauszuhören. Aber selbst in solch glücklichen Epochen bleiben und blieben die Sphären von Kunst und Politik essentiell geschieden. Geschichtlich war es in der Regel schon das beste, wenn beide einander in Ruhe ließen. „Ein jeder messe sich mit seinem eigenen Fuß", hat Horaz den Regierenden seiner Zeit vorgeschlagen, die ihn für sich in Anspruch nehmen wollten. ({7}) So gesehen ist Kulturpolitik im engeren Sinne immer der Versuch, das Unvereinbare zu vereinen. Eine vernünftige Kulturpolitik muß daher auf dem Respekt von Politik und Kultur voreinander und auf der gegenseitigen Anerkennung ihres jeweils eigenen Rechts beruhen. Beides ist bei uns in beiden Richtungen nicht nur ausbaufähig, sondern, wie ich meine, auch dringend ausbaubedürftig. Da ist auf der einen Seite der notwendige Respekt füreinander. Wer sich unter den Kollegen im Haus in dieser Hinsicht etwas näher auskennt, der weiß, wieviel Kunstinteresse und auch Kunstverständnis sich hinter manchem politischen Mandat, über alle Fraktionen hinweg, verbirgt. Jeder von uns wird in dieser Hinsicht nach seinem eigenen Geschmack seine eigenen Wahlverwandtschaften entdecken. Als Parlament, als politische Institution also, müssen wir uns aber davor hüten, eine Wertung von Kunst und Kunstwerken vorzunehmen. ({8}) Wohl aber muß es erlaubt sein, zu politischen Artikulationen von Künstlern politisch Stellung zu nehmen. Ich habe die unglückliche Bemerkung des von mir im übrigen kochgeschätzten Ludwig Erhard, die dem Klima zwischen Kunst und Politik so sehr geschadet hat - Sie wissen, wovon ich rede -, in diesem Sinne allerdings verstanden: eben als eine politische Stellungnahme zu einer politischen Äußerung eines angesehenen Künstlers. ({9}) Wenn Künstler die politische Arena betreten - das müssen sie wissen -, tun sie es nicht als Künstler. Sie setzen sich dann einem politischen Urteil aus. Es ist völlig unbegründet, das dann als Abqualifizierung ihrer künstlerischen Fähigkeiten oder Freiheiten mißzuverstehen. Umgekehrt: Wie auch immer wir Politiker als Privatpersonen über die literarischen und zeichnerischen Arbeiten von Günter Graß denken, ob wir sie sehr hoch schätzen, wie sicherlich nicht wenige von uns, oder nicht, als Politiker hat jeder von uns Respekt vor ihrer autonomen Existenz zu haben. Ein gleiches Verhalten erbitte ich allerdings auch von der Kunst der Politik gegenüber. In seinem künstlerischen Schaffen sollte der Künstler die prekäre Grenze zwischen Politik und Kunst respektieren. Damit erwarte ich von der Kunst nicht politische Abstinenz. Schillers Dramen sind ebensowenig unpolitisch wie die Bilder eines Velazquez oder Goya. Aber weil Politik und Kunst ihrem Wesen nach verschieden sind, ist es, wie ich meine, mehr als problematisch, wenn eine allein künstlerisch ausgewiesene Autorität ohne weiteres aktuelle politische Kompetenz beansprucht. Was für die Kunst gilt, gilt auch für die Wissenschaft. Ich weiß, das Thema ist heikel und nicht durch glasklare Definitionen zu erledigen. Hier muß mit demokraktischem Takt verfahren werden. In unserem von den Medien beherrschten Zeitalter scheint es keine größere Kompetenz zu geben, als einen öffentlichen Namen zu haben. Wer bei allen bekannt ist, kann auch über alles urteilen. Das scheinen Künstler und Politiker gemeinsam zu haben. ({10}) Es kann dann so weit kommen, Herr Horacek - ich fürchte, wir sind nicht weit davon entfernt -, daß die politische Tagesordnung vorwiegend von Inkompetenten bestritten wird. ({11}) Um ein besonders aktuelles Beispiel zu wählen, wähle ich das Friedensthema, das uns ja alle mit Recht bewegt. Wer hervorragende Romane geschrieben oder große naturwissenschaftliche Entdeckungen gemacht hat, hat damit noch keinerlei Kompetenz zur Beurteilung strategischer Fragen erworben. Künstler und Wissenschaftler müssen sich vor einer Anmaßung hüten, die mit den Prinzipien der Demokratie nur schwer vereinbar wäre. Kunst verleiht kein politisches Mandat. Es ist eine Überschreitung der von der Demokratie gesetzten Grenzen, meine ich, wenn in Mutlangen oder anderswo Künstler den Vollzug einer von der Mehrheit beschlossenen Politik durch physische Einwirkung aufhalten wollen. Als Persönlichkeiten der kulturellen Öffentlichkeit haben sie Möglichkeiten genug, ihre Meinung in die Waagschale zu werfen. Das tun sie auch, und dazu haben sie ihr gutes Recht. Sie haben jedoch am allerwenigsten Anspruch auf das Argument, sie müßten unter Verletzung geltenden Rechts demonstrieren, weil sie sonst kein Gehör fänden. ({12}) Ein Künstler ist ohne Zweifel im Politischen ebenso irrtumsfähig wie jeder andere Staatsbürger auch. Wir wollen doch diese Lehre aus unserer Vergangenheit nicht vergessen: Zur Reichstagswahl 1932 wurden die Nationalsozialisten durch eine große Liste von Schriftstellern und Künstlern, unter ihnen Nobelpreisträger, unterstützt. Es waren keineswegs nur Möchtegernartisten darunter, sondern auch damals besonders angesehene Kulturproduzenten. ({13}) - Herr Duve, wir müssen nüchtern und ehrlich miteinander sprechen. Künstlertum gibt keine Garantie für die Richtigkeit oder die Moralität einer politischen Aussage. ({14}) Wer wie der anerkannte Künstler über ein hohes Prestige verfügt, sollte sich daher eher mehr als der Durchschnittsbürger prüfen, ehe er beginnt, durch einen Autoritätstransfer politische Wirkungen zu erzeugen. Vor allem sollte er sich hüten, zu einer irrationalen Hysterie beizutragen, die sich bei uns - vom Ausland mit Unverständnis und Besorgnis registriert - auf vielen Feldern der Politik auszubreiten beginnt, einer Hysterie, die ein freies Gemeinwesen wie das unsere in seinem Kern bedrohen müßte. Um das Positive herauszustellen: Bei uns ist die Freiheit der Kunst in einem geradezu vorbildlichen Maße gewährleistet. Das ist gewiß eine Errungenschaft, die wir gemeinsam verteidigen sollten. Herr Naegeli, der „Sprayer von Zürich", dessen Werke gewiß nicht ohne Reiz sind - nach meinem subjektiven Urteil -, will sich nach seiner Haftentlassung - vielleicht ist es schon geschehen - nirgendwo anders niederlassen als hier, weil er glaubt, in unserem Lande am ehesten seine künstlerische Arbeit unangefochten fortsetzen zu können. ({15}) - Ich habe sie nicht gebaut. Ich bin schon der Meinung, daß wir einen besseren Städtebau brauchen. ({16}) Ich werde mich gleich dazu äußern. Unsere Gerichte lassen sogar offenkundige Beleidigungen und Verleumdungen ungeahndet, wenn anders die Gefahr bestünde, daß damit in das Freiheitsrecht eines Künstlers eingegriffen wird. Gerade deshalb muß aber auch folgendes gesagt werden, meine Damen und Herren. Insbesondere diejenigen, die gerade für ihre Arbeit und für ihr Werk den großen Freiheitsspielraum benötigen, den unsere Gesetze gewähren, ({17}) sollten selbst Front machen, wenn dieser Freiheitsspielraum als Alibi für die zynische Verletzung von Grundrechten anderer mißbraucht wird. ({18}) Ich meine, diese Gesetze zu ziehen, ist nicht Sache des Staats, sondern Sache der Bürger, insbesondere der Künstler und der Wissenschaftler selbst. ({19}) Zur Zeit gibt es übrigens andere und größere Bedrohungen der künstlerischen Freiheit als diejenigen, die derzeit vom Staat ausgehen könnten. Diese Bedrohungen können letztlich nur durch eine echte Qualitätskonkurrenz im Kunstsektor selbst zurückgedrängt werden. Ich denke an manche unerquicklichen Manipulationen des Kunstmarktes, der seine völlig unverzichtbare Vermittlerfunktion hin und wieder zu Einschränkungen des Pluralismus in der Kunstszene zu benutzen scheint. Ich denke auch an gewisse Stildiktate. In einer beachtlichen Arbeit ist die These aufgestellt und begründet worden, in den führenden Redaktionen unseres Landes seien über lange Jahre hinweg praktisch nur Autoren aus dem Kreis der „Gruppe 47" gewürdigt worden. Auch diese Gruppe war in sich heterogen, aber sie schloß doch einen beachtlichen Teil des Literaturbetriebes aus. ({20}) Das habe - so heißt es in dieser Arbeit, die ich Ihnen zugänglich machen kann, Herr Duve - dazu geführt, daß es über eine lange Zeit hinweg für Autoren, die sich dieser Gruppe nicht anschließen wollten oder konnten, kaum möglich gewesen sei, sich angemessen zu präsentieren. ({21}) Ich möchte mir diese wissenschaftlich begründete These, für die manches spricht, nicht ausdrücklich zu eigen machen, ({22}) aber ich zweifle nicht daran, daß es solche inner-kulturellen Kartelle gibt. Politik kann sie nicht sprengen. Immerhin war es eine beachtliche Tat, daß dem lange Zeit verschwiegenen Dichter Hermann Lenz durch einen Preis endlich zur fälligen Anerkennung verholfen wurde. Staatliche Abstinenz in diesem Bereich hat jedenfalls nicht den Sinn, es Einflußreichen anderer Herkunft zu ermöglichen, ihr subjektives Urteil, vielleicht sogar verknüpft mit geschäftlichen Interessen, der Kulturszene aufzuzwingen. ({23}) Meine Damen und Herren, welche Kunstwerke der Gegenwart auf Dauer Rang haben werden, kann heute lediglich vermutet, aber nur von späteren Generationen wirklich entschieden werden. ({24}) Politik hat sich, wie gesagt, aus diesen Dingen herauszuhalten. Aber das heißt auch, daß sie nicht noch verstärkend zu einer derartigen Kartellbildung beitragen darf. Unsere Goethe-Institute beispielsweise würden - ich will mich zurückhaltend ausdrücken und sage deshalb: würden ({25}) ihrem Auftrag nicht gerecht, wenn sie sich ihrerseits nur als internationaler Lautsprecher solcher Gruppen und Stilsyndikate verstünden. ({26}) - Meine Damen und Herren, gnädige Frau, ich habe deshalb „würden" gesagt! Sie werden sicherlich nachweisen, daß diese Vermutung völlig unbegründet ist. ({27}) Kulturpolitik sollte aber in jedem Falle auch eine Einladung an die Künstler sein, sich dem Gemeinwesen konstruktiv zu verbinden. Die Ästhetik des Widerstandes, eine in Ausnahmefällen gewiß notwendige und ehrenvolle Haltung, jetzt, unter ganz veränderten Verhältnissen, zu einem Dauerzustand zu machen, muß, von allem anderen einmal abgesehen, künstlerische Fruchtbarkeit erst noch beweisen. ({28}) Goethe, Mozart und Dürer waren gewiß nicht kritische Künstler in dem Sinne, wie das heute verstanden wird. Niemand wird ihnen deshalb ihren künstlerischen Rang abstreiten wollen. Auch der Gedanke, Kunst müsse provozieren, kann doch wohl nicht allgemeingültig sein. In der Regel scheint Provokation heute für bestimmte Formen des Kulturmarketings wichtiger zu sein als für die Kultur selbst. Wenn man von Künstlern hört, sie fühlten sich in ihrer Identität bedrängt, weil sie gezwungen seien, Gesichtspunkte des Marketing in den schöpferischen Prozeß ihrer Arbeit einzubringen, wird einem klar, wohin die Kultur der Provokation führen kann. Mit Interesse ist zu beobachten - und das möge der positive, allerdings auch subjektive Abschluß meines kritischen Beitrages sein -, daß seit einigen Zeiten die Architektur begonnen hat, sich auf ihre künstlerische Tradition zu besinnen. Wir erleben, so meine ich, geradezu eine Renaissance eines humanen Städtebaus. ({29}) Ich habe sogar den Eindruck, daß die Architektur sich anschickt, so etwas wie die Leitkunst der Postmoderne zu werden. Ich begrüße das - alles, wie ich einleitend eingeräumt habe, selbstverständlich subjektiv - nicht nur deshalb, weil es höchste Zeit ist, daß Stadt und Staat auch architektonisch wieder zu einem Gehäuse der Menschlichkeit werden, sondern auch deswegen, weil diese Kunst ihrem Wesen nach affirmativ und konstruktiv ist. Vielleicht, so möchte ich hoffen, wächst von hier aus das kritische Einverständnis von Kultur und Politik, das in den letzten Jahren bisweilen zu zerreißen schien. Es wäre schön, - bitte, verstehen Sie diesen Satz auch in seiner Bescheidenheit richtig -, wenn ein patriotischer und demokratischer Minimalkonsens, wie z. B. in Frankreich selbstverständlich, uns alle, Künstler und Politiker, gleichermaßen umschlösse. Ein freier Staat braucht eine freie Kunst. Aber eine freie Kunst braucht auch einen freien Staat, meine Damen und Herren. ({30}) Auf dieser Basis sollten sich Politik und Kultur immer wieder treffen können. ({31})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mit drei kurzen Bemerkungen auf das eingehen, was Herr Dr. Dregger hier eben gesagt hat. Erstens. Herr Dr. Dregger, ich würde Ihnen sehr raten und Sie auch sehr herzlich bitten, den ungeheuerlichen Vergleich, den Sie eben hier getroffen haben, zwischen den Künstlern, die in unserem Land an Friedensdemonstrationen teilnehmen, und jenen Künstlern, die Hitler unterstützt haben, zu überdenken. ({0}) Hitler hat Tausende von Künstlern aus diesem Land gejagt, gefoltert, ihre Bücher sind verbrannt worden. Es ist gut für diese Republik, daß sich Künstler und Schriftsteller in Friedensbewegungen und auch bei Demonstrationen engagieren. Das gereicht unserer Republik zur Ehre. ({1}) Zweite Bemerkung. Es wäre wirklich angemessen gewesen, wenn Sie bei der Erwähnung der „Gruppe 47" ein bißchen davon geredet hätten, was diese Schriftsteller in der kulturellen Wüste des Kriegsendes bedeutet haben, anstatt hier vom Kartell zu sprechen. Das wäre ihnen angemessen gewesen. ({2}) Drittens. Herr Dregger, ich hoffe, daß meine Ausführungen mit dazu beitragen, deutlich zu machen, wo denn vielleicht der demokratische und, wie Sie es genannt haben, patriotische Minimalkonsens liegen könnte. Ich will auch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu unserem Gegenstand Kulturdebatte machen, meine Damen und Herren. Gut sein in Hölderlin -, es scheint mir angemessen, diese erste Debatte mit einem Mißverständnis des Herrn Bundeskanzlers zu beginnen. Aber jenes Zitat, „Ich war immer gut in Hölderlin", hat mehr enthüllt als das jahrhundertealte widersprüchliche Verhältnis der historischen Rechten zu Kultur und Intellektuellen, das wir heute morgen hier noch einmal so klassisch vorgetragen bekommen haben. ({3}) Es enthüllt, Herr Dr. Dregger, Ihr Mißverständnis über die Rolle der schreibenden und bildenden Kunst in der politischen Kultur unserer Politik. ({4}) Die deutsche Demokratie ist, vielleicht stärker als die französische und britische, nicht nur angewiesen auf das Engagement von Künstlern und Intellektuellen, die deutsche Demokratie wäre ohne die Autoren der Aufklärung gar nicht entstanden, ({5}) die Demokratie nicht und der moderne republikanische Nationalstaat nicht. Vor bald 20 Jahren notierte Günter Grass: Bevor es überhaupt eine deutsche Nation gab, gab es Klopstock und Lessing, eine deutsche Literatur. Deutschland ist hundert Jahre vor Bismarck durch deutsche Schriftsteller und Philosophen, die den Geist der Aufklärung durch dieses Land wehen ließen, kraft der Sprache geeinigt worden. ({6}) Gut in Hölderlin -, wer das von dieser Debatte erwartet, der wird wohl enttäuscht werden. Als Willy Brandt vor über einem Jahrzehnt vorschlug, eine Nationalstiftung ins Leben zu rufen, geschah dies aus dem Geist und aus dem Geschichtssinn heraus, den Günter Grass meint. Hundert Jahre nach Bismarck sollte der Rückgriff auf die verschüttete, verbogene und verschobene Aufklärung den Deutschen eine Idee von sich selbst geben. Unsere Kultur - da stimmen Sie wohl mit mir überein - war immer dann groß, wenn das Gerüst des Nationalstaats schwach war, und umgekehrt. Wir alle haben in den letzten zwölf Jahren nicht die Kraft aufgebracht, eine Nationalstiftung zu schaffen. Sie war nicht nur eine Idee des Augenblicks, sie wäre die historische Konsequenz aus 200 Jahren geistiger Erfahrung mit dem antiaufklärerischen Geist unserer Nationalgeschichte gewesen. Meine Damen und Herren, die Stiftung, die nun zustande kommen soll, wird leider ein kümmerlicher Verwaltungsakt im Gerangel der Länder. Die Ironie will es, daß der zwingendste Grund für die plötzliche Eilbedürftigkeit ausgerechnet jene Millionenbeträge sein sollen, mit denen wertvolle Kunstschätze Fürstenhäusern abgekauft werden müssen, deren nationales Bewußtsein, deren hölzernes Pathos oft nur so weit reicht, den Aktionshammer von Sotheby in London zum kurzen, knappen Dreiklang zu bringen. ({7}) Unsere Fragen an die geplante Länder-Kulturstiftung sind in der Öffentlichkeit als Ablehnung verstanden worden. Wir lehnen diese Stiftung nicht ab, wir fordern für sie nur eine dieser Republik angemessene Form. ({8}) Meine Damen und Herren, wir wollten diese Debatte im Deutschen Bundestag. Wir Sozialdemokraten haben sie mit angestrengt. Wir wollten sie aus sechs Gründen: Erstens. Die unzähligen kulturpolitischen gesamtstaatlichen Aufgaben, die die Bundesregierung ja seit Jahren wahrnimmt, brauchen endlich ihre parlamentarische Entsprechung hier im Bundestag. Zweitens. Die Kulturhoheit der Länder und die kulturpolitischen Aufgaben des Bundes können aus dem verfassungsrechtlichen Gerangel nur herausgehalten werden, wenn sich die Länderparlamente und der Bundestag intensiver und öffentlicher als bisher mit den Maßnahmen der Exekutive, mit den Maßnahmen der Regierung befassen und öffentlich diskutieren. ({9}) Denn das ist der Unterschied zu einem autoritären Staat. Die Exekutive eines solchen Staates kann auch die Kultur fördern, nur würde die parlamentarische Debatte fehlen. Drittens. Kunst und Kultur erfahren tiefgreifende strukturelle Veränderungen, vor allem durch wirtschaftliche und technologische Entwicklungen. Ein nationales Parlament, das diesen Prozeß nicht einmal wahrnimmt, käme seinen Aufgaben nicht nach. Viertens. Mehr und mehr Bürger unseres Landes wollen sich nicht damit abfinden, daß die Bedingungen ihres Lebens allein vom wirtschaftlichen Kalkül bestimmt werden. Künstler und alternative Kulturbewegungen haben den Kulturbegriff über die traditionellen Formen hinaus erweitert. Diese Künstler und die Bürger haben einen Anspruch darauf, daß ihr nationales Parlament auf solche wichtigen Prozesse reagiert. Fünftens. Das Bundesparlament ist der Ort, an dem die großen grundwertebezogenen Diskussionen über unser Woher und Wohin geführt werden. Der Beitrag von Herrn Dr. Dregger machte dies ja deutlich. Herr Dr. Dregger, es gibt tiefgreifende Unterschiede in der Bewertung von Kultur. Darüber darf die Regierung nicht befinden, diese Unterschiede müssen im lebendigen und öffentlichen Disput des Parlaments ausgetragen werden. ({10}) Sechstens. Der Bund schafft Rahmenbedingungen finanzieller, rechtlicher und auch klimatischer Art für Kunst und Kultur. Darum die Debatte im Parlament. Die uns nun heute vorliegenden Regierungsantworten entlarven die ganze List der Vererbungsspezialisten der Union: Aus Erblast wird Erblust. ({11}) Die Texte machen einiges klar: Die Ära der sozialliberalen Regierung - so das, was die neue Regierung hier nun geantwortet hat - hat bedeutende kulturpolitische Erfolge aufzuweisen. Ich nenne nur das Künstlersozialversicherungsgesetz - es wäre gut, wenn Sie Rheinland-Pfalz einmal auffordern würden, seine Klage vor dem Verfassungsgericht zurückzuziehen -, ({12}) die Förderungsprojekte des Bundes auf sozio-kulturellem Gebiet, die selbstverwalteten Kunstfonds, die Filmförderungspolitik. Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zur Kontinuität dieser Politik. ({13}) - Das ist gut, ja; warten Sie. - Die Bundesregierung will fortführen, was Brandt und Schmidt, was Maihofer und Baum begonnen haben. ({14}) Meine Damen und Herren von der Union, nehmen Sie diese beiden Papiere in die Hand - sie liegen als Drucksachen vor - und zeigen Sie sie Ihrem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, der den „Niedergang der Kultur unter den Sozialdemokraten" beschworen hatte. Zeigen Sie sie dem Bundeskanzler, der heute aus sicher wichtigeren als kulturellen Staatsgeschäften nicht da ist; zeigen Sie es dem Bundeskanzler, der glaubte, diesem Lande eine sogenannte „geistig-moralische Wende" bescheren zu müssen. ({15}) Fragen Sie die beiden Herren: In welchem Land haben Sie eigentlich gelebt - ich zitiere wieder den Bundeskanzler -, als zum erstenmal, genau 50 Jahre nach der Bücherverbrennung, wieder das Wort von der „kulturellen Entartung" - Franz Josef Strauß - zu hören war? ({16}) Hier also diese positive Bilanz und dort die Kampagne gegen die Ära Heinemann, Brandt und Schmidt. ({17}) Das zeigt die alte Doppelbödigkeit, die die Geschichte der konservativen Rechten bestimmt hat. ({18}) Sie schaffen ein Klima der Einschüchterung, der Ausgrenzung der leichtfertigen Vorurteile, aber wenn es opportun wird, verweisen Sie auf Liberalität. In einer vergeßlichen Welt gelingt dieses Doppelspiel. Es ist unsere parlamentarische Aufgabe, hier tiefer zu graben und deutlich zu machen, wes Geistes Kind die geistig-moralischen Wandler wirklich sind. Auf einer Grundwertetagung der CDU im September 1977 hatte Helmut Kohl zwei aufschlußreiche Begriffskolumnen nebeneinandergestellt: Autorität, Herrschaft, Staat, Machtordnung und Disziplin - das war die Begriffspacht, die er seiner Union zuerkannte. Reform, Emanzipation, Befreiung, Demonstration, Protest und Konflikt - das waren, wie er meinte, die schimpflichen Untugenden der Sozialdemokratie und der sozialliberalen Ära. Unsere Verfassung, unser Grundgesetz, wäre ohne diese zweite Begriffsreihe undenkbar. Die Paulskirchenversammlung, auf die Sie sich manchmal gerne berufen, hätte es gar nicht gegeben ohne diese Begriffe und ohne den Kampf im 18. und 19. Jahrhundert um diese Begriffe. Kohl hat sich mit seinen Unionstugenden hingegen auf den absolutistischen Staat zurückgezogen. Emanzipation und Reform - ich zitiere wieder -, das sind Kernelemente des demokratischen Freiheitskampfes. Liberales republikanisches Bürgertum und Arbeiterklasse haben hier ihre Wurzeln. Mehr Reform wagen, mehr Emanzipation wagen - das hieß für uns auch: mehr kulturelle Demokratie wagen, also das Risiko der kulturellen Freiheit wirklich auch als Regierung eingehen. Willy Brandt und Gustav Heinemann sind für diese historische Leistung häufig gerade von jenen verspottet worden, die auch die materiellen Nutzer der neuen Freiheitschancen waren. ({19}) Das wäre natürlich der CDU unter dem verbiesterten Kulturbegriff Konrad Adenauers und der Pinscherei Ludwig Erhards nie passiert. Es ist gut, daß nach 20 Jahren hier zum erstenmal im deutschen Parlament eine distanzierende Bemerkung, Herr Dr. Dregger, zu dieser Ungeheuerlichkeit erfolgte. ({20}) Kultur in der Demokratie muß auf Konflikt und auf Konsens gründen. Wo sie ausschließlich auf Kampf und Kommerz gründet, kann Kulturpolitik zur Falschmünzerei werden. Der Kritiker als Hofnarr und Kassenschlager, letztlich als Garant des Status quo der Macht, entspricht nicht unserem Kulturverständnis. ({21}) Wir können die Aufklärung der 80er Jahre nicht blind wiederbeleben. Im Gegenteil: Die tiefen Zweifel am Rationalismus, an der Technik sind berechtigt. Wenn wir von der Kultur einer neuen Aufklärung reden, dann nehmen wir diese Zweifel ernst. Eine Kultur der Nachdenklichkeit und Empfindsamkeit setzt sich allerdings von den Fluchtbuchungen in das Reich der Innerlichkeit ab. Das Wesen des konservativen Kulturverständnisses ist: Kultur als Instrument und Ornament für die Stabilität der Macht und die Beweglichkeit des Marktes. ({22}) Die Fähigkeit, über den Konflikt zum Konsens zu kommen, all dies widerspricht dem neokonservativen Kulturbegriff. Im Kulturkampf war gut ja immer gut und böse immer böse. Um damit umzugehen, nutzen Sie zwei Formen des Auftritts: konfliktbefreite Harmonie - diese strahlen die Antworten der Bundesregierung aus - und den alten Freund-Feind-Schlachtruf: „Macht sie nieder, wo sie sich in die Politik einmischen", wie wir es heute morgen gehört haben. Für die Harmonie betrauert Helmut Kohl - das begrüße ich - auf der Frankfurter Buchmesse den Verfall der Lesekultur. Wir stimmen dem zu. Für den Kulturkampf denunziert Geißler die SPD als fünfte Kolonne und Schriftsteller als Schreibtischtäter. Meine Damen und Herren, es darf daher nicht der Vergessenheit anheimfallen, daß ein führender Unionspolitiker vor Jahren hier in Bonn politische Plakate des Künstlers Klaus Staeck von den Wänden gerissen und trotzig mit den Füßen auf ihnen herumgetrampelt hat. Heute hat dieser Politiker höchste Staats- und Verfassungsämter inne. Darum darf auch nicht vergessen werden, daß im Januar 1983 Franz Josef Strauß von der „kulturellen Entartung" gesprochen hat, als er den deutschen Künstlern vorhielt, unter der sozialliberalen Koalition sei das kulturelle Niveau - ich zitiere - „in beschämender Weise abgesunken". Es darf auch nicht vergessen werden, wie der Innenminister im vergangenen Jahr so verfolgungssüchtig und oft auch unbarmherzig auf die Filme Herbert Achternbuschs eingedroschen hat, wie er immer wieder angeboten hat, einzelne Passagen aus Drehbüchern zu verlesen, das alte Spiel der populistischen, politischen - Verzeihung, Herr Präsident - Pornographie. Man ist bereit, dem Publikum die sogenannte schlüpfrige Stelle vorzutragen, um Neugier und Empörung zu wecken und zugleich den Moralapostel zu spielen. Das Toleranzangebot der Verfassung verlangt in der parlamentarischen Demokratie nach einem Verfahrenskonsens für kulturellen Minderheitenschutz. Für ihn müssen die gleichen ethischen Normen und die rechtlichen Regeln gelten wie für den sozialen Minderheitenschutz; ({23}) denn nichts ist leichter, als Mehrheiten gegen Minderheiten zu mobilisieren. Friedrich Zimmermann hat dies im „Windschatten des imaginären Plebiszits", wie Schwab-Felisch dies einmal genannt hat, versucht. Früher nannte man das Ausnutzung dessen, was manche als „gesundes Volksempfinden" ansehen. Meine Damen und Herren, vor fünf Tagen haben wir die Antworten der Bundesregierung erst bekommen. Wir werden sie sehr sorgfältig studieren - da ist sehr viel wichtiges drin -, und wir werden uns nicht zu einer eilfertigen Entschließung bereit finden, wir werden nach einer gründlichen Prüfung in wenigen Wochen hier eine Entschließung im Bundestag einbringen. Die Bundesregierung hat das Haus der Geschichte ohne Beteiligung des Parlaments, ohne öffentliche Diskussion angekündigt und vorbereitet. Wir Sozialdemokraten haben eine solche Diskussion erzwungen, wir haben eine eigene Anhörung gemacht. Wenn die Republik ihre Zeitgeschichte in ein Museum tut, dann brauchen wir darüber den öffentlichen Disput, die Beteiligung von Bürgern, ({24}) die nicht nur von der Regierung ausgewählt sind; denn das könnte ein Duodezfürst auch. Für Museen hat es immer gereicht. Alle Ankündigungen zur praktischen Besserung der Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung waren Salutschüsse zur Preisung der geistig-moralischen Führung, mehr nicht. Steuererleichterungen? Herr Dr. Dregger, Schuß in den Ofen! Reform des Stiftungsrechts? Ankündigung, Prüfungsauftrag, Schuß in den Wind! Die Unionskulturpolitiker haben die Versprechungen ohne Stoltenberg gemacht, und wer den Landwirten 20 Milliarden DM gewährt, bleibt nur dann ein glaubwürdiger Staatssanierer, wenn er der Künstlersubvention in Größenordnungen von wenigen Millionen DM sein tapferes Njet entgegensetzt. ({25}) Leider ist das nicht nur peinlich, sondern unredlich, wenn man anderes angekündigt hat. Den wirklich kulturellen Fragen, die uns alle betreffen, auf die wir alle noch keine Antworten haben, weicht die Regierung aus; denn sie eignen sich nicht für die Lobpreisung des Guten, Wahren und Schönen. Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Kulturrat, sie alle stellen Fragen nach den Auswirkungen der neuen elektronischen Medien auf den seelischen, sozialen und kulturellen Zustand unserer Gesellschaft. Diese Fragen werden von der Regierung einfach beiseite geschoben. Die unkritische Jubelhymne, die die Bundesregierung über diese neuen Medien gerade auf kulturpolitischem Gebiet singt, zeigt, daß Schwarz-Schilling, Barschel und andere eben doch mehr zu sagen haben als besorgte Kulturpolitiker des Städtetages oder des DGB. Oft hat der Deutsche Städtetag vor den drohenden kulturellen Schäden in den Städten gewarnt. Wir haben nach den finanziellen Wirkungen der Bundespolitik auf die Städte gefragt; wir haben darauf ausweichende, sich im Formalen verlierende Antworten bekommen, die den Sorgen und Nöten der Kommunen nicht nachgehen. Ich nenne nur die katastrophale Lage der Musiklehrer, die Gefährdung der pädagogischen Infrastruktur gerade auf dem Musiksektor oder die Lage der Theater oder der Bibliotheken, um nur einiges zu nennen. Ich bin übrigens froh, daß sich alle vier Parteien des Bundestages auf eine gemeinsame Entschließung zur Buchpreisbindung verständigt haben. Wir werden auch sehr behutsam mit der neu entflammten Liebe zu privaten Stiftungen umgehen. Kulturstiftungen sind in der Kulturgeschichte unseres Landes außerordentlich wichtig; darüber gibt es keinen Meinungsstreit. Bei zuviel Privatheit wäre mir allerdings nicht ganz wohl; denn private Stiftungen bestimmen auch den Zeitgeist, ohne daß sie sich der öffentlichen Diskussion stellen müssen. Niemand hat Anlaß, grundsätzlich den privaten Stifter abzulehnen, und ich glaube, daß tut in der Bundesrepublik auch niemand. Kunst- und Kultursammlungen wären ohne private Stiftungen in Deutschland undenkbar. Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich auf Fragen zu sprechen kommen, auf die wir alle noch keine schlüssigen Antworten haben, über die sich aber die Bundesregierung in ihren Antworten auf unsere Anfrage leichtfertig hinweggesetzt hat. Die Künstler vor allem, aber auch viele Bürger erleben zur Zeit die Vorwehen einer tiefgreifenden Veränderung unserer Kultur. Richard Sennett, ein amerikanischer Philosoph und Sozialwissenschaftler, hat uns in seinem bedeutenden Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens" auf solche Gefahren aufmerksam gemacht. Seine These ist: In der Kultur zeichnet sich der gleiche problematische Prozeß ab, den wir in der Politik beobachten können: die Förderung des Starkults durch die elektronischen Medien. Das Fernsehen verändert nicht nur unsere Demokratie, es verändert auch unseren Kulturbetrieb und die Art, wie die Menschen mit Kunst umgehen. Insofern, Herr Dr. Dregger, schlagen Sie wirklich Schlachten von gestern, wenn Sie immer noch auf die Linken in der Kultur eindreschen. Heute ist Innerlichkeit gefragt. Die Starkultur ist die Kehrseite dieser Entwicklung zur Innerlichkeit. Das Kommerzfernsehen befördert eine Einweihungs- und Gastspielkultur, in der die Fernsehprominenz - und eine andere wird es dann irgendwann nicht mehr geben - zum Kulturersatz stilisiert wird. ({26}) Diese Entwicklung drängt die Kultur der Aufklärung, die Urbanität und die Lesekultur zurück. Herr Präsident, meine Redezeit ist eigentlich abgelaufen, aber wir haben eine Veränderung innerhalb unserer Fraktion vorgenommen. Ich bitte, mir noch zwei Minuten zu gewähren, damit ich zum Ende kommen kann. Hier liegt der Grund für die Revolte gegen die elektronisch vermittelte Kultur, die allenthalben spürbar ist. Diese Revolte sucht sich ihre eigenen Formen und Spielstätten. Der für die Kulturgeschichte geradezu perverse Begriff „live", Live-Auftritt, Live-Sendung, erhält seine paradoxe Entsprechung in der Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, nach Anwesenheit von Künstlern, eben nach „live", nach „Leben". Sender, die ihre Einnahmen ausschließlich mit der Werbung finanzieren, werden unter Kultur immer nur den großen Auftritt, das per Satellit übermittelte Cleveland-Konzert des Weltstars, senden und Privatfirmen animieren, es zu finanzieren. Werkstattkunst, die Probierstätten, das Neue, das sich der Mode entzieht, sich heute versucht und morgen zur künstlerischen Ausdrucksform werden könnte, das ist die Sache kommerzieller Sender nicht und kann es nicht sein. Beachten Sie bitte die beträchtlichen Summen für die Filmförderung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten in den Antworten der Bundesregierung. Aber diese neuen Kommunikationstechniken verändern nicht nur den Kulturbetrieb, sie verändern auch radikal unsere Arbeitskultur. Die Vielfalt von Anwendungen von Elektronik und Mikroprozessoren entspricht der Einfalt der manuellen Tätigkeiten und der dabei möglichen Sinneswahrnehmungen. Die Mattscheibe im Büro entspricht der Mattscheibe zu Hause. Der Tastknopf zu Hause entspricht der Tastatur im Büro. Meine Damen und Herren, auch das sind kulturpolitische Fragen. Wir Sozialdemokraten werden nicht aufhören, Herr Schwarz-Schilling, sie zu stellen: Wie wird der arbeitende Mensch damit fertig, daß seine Sinnesorgane nicht gefragt sind? Wie wird er damit fertig, daß er in der Ausbildung Placebo-Fertigkeiten erlernt, die er so später nie gebrauchen darf? Wie reagiert eine Gesellschaft darauf, daß ausgerechnet die technischen Geräte, die einst den Menschen bei der Arbeit entlasten sollten, heute zu Massenentlassungen führen? Meine Damen und Herren, bei alledem sollten wir aber eine Ermahnung Bertolt Brechts nicht vergessen: Die Kunst soll ein Mittel der Erziehung sein, aber Ihr Zweck - so Bertolt Brecht - ist das Vergnügen. - Vielleicht können auch wir, wenn wir in der Zukunft etwas konkretere Diskussionen haben werden, es etwas vergnüglicher machen, als es heute morgen bei der Schelte auf die Künstler, die sich engagieren, durch Dr. Dregger geschehen ist. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({27})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen. Sie sieht in ihnen eine gute, eine sehr gute Grundlage für die konsequente Weiterentwicklung der Kulturförderungspolitik in unserem Land. ({0}) Ich verstehe nicht ganz, Herr Duve, daß Sie diese Kontinuität ausdrücklich hervorheben - hier äußert sich die Regierung ja in einer Antwort gegenüber dem Parlament - und das in anderen Passagen Ihrer Rede wieder abwerten. Ich sehe in diesen Antworten eine gute Grundlage - in der Kontinuität früherer Politik, aber auch mit neuen Akzenten. Ich danke allen, die sich um die Entwicklung der Kultur und auch einer solchen Politik in den letzten Jahren verdient gemacht haben, Männern und Frauen in den Kulturverbänden, in vielfältigen privaten Initiativen, im Deutschen Kulturrat, in den Kunstvereinen, in der „Privatinitiative Kunst", in den soziokulturellen Zentren, und nicht zuletzt danke ich den Beamten unserer Ministerien - ich nenne hier besonders die im Innenministerium -. ({1}) Seit langem haben wir uns diese Debatte gewünscht. ({2}) Seit langem wollen wir deutlich machen, daß dieses Parlament eine besondere Verantwortung für die Entwicklung der Kultur in unserem Land wahrnimmt. Es ist richtig, daß wir nach der Verfassung eine andere Aufgabenverteilung haben. Aber ich meine, es ist eine unverzichtbare Aufgabe des zentralen Parlaments, sich ein Bild von der Lage der Kultur zu machen, eine Meinung dazu zu äußern, Vorschläge und Anregungen zu unterbreiten und schließlich das in die Tat umzusetzen, was wir selber können; denn wir haben auf einer ganzen Reihe von Feldern eine eigene Kompetenz. Die kulturpolitische Verantwortung des Gesamtstaats Bundesrepublik Deutschland muß hier in diesem Parlament sichtbar werden. Ich meine, diese Debatte darf kein Einzelfall bleiben; wir müssen sie im nächsten Jahr fortsetzen. Wir gehen dabei von folgenden Grundüberlegungen aus. Erstens. Der Kultur kommt wachsende Bedeutung zu. Die oft beschworenen, immer deutlicher sichtbar werdenden Krisen um Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Energie, wachsendes Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd fallen mit dem Versuch zusammen, sich auf humanere Lebensbedingungen zu besinnen und Quantität und Expansion durch Qualität und ein neues Wertgefühl zu ersetzen. Kunst und Kultur erhalten in einer solchen Situation eine zunehmende Bedeutung für Lebenserfüllung und Selbstfindung. Ich meine, den Künstlern fällt hierbei eine Schlüsselrolle zu, eine durchaus gesellschaftspolitische Aufgabe als Anreger und Gestalter. Kunst und Künstler sind Augenöffner für neue Entwicklungen. Die Zukunft darf nicht allein auf naturwissenschaftlichem und technischem Fortschritt beruhen. Künstler haben zu allen Zeiten durch selbstgewählte und selbstgestaltete Tätigkeit ein Vorbild für die Fähigkeit zum Leben nach ureigenstem Entwurf gegeben, fernab jeglicher Normen, Dogmen und Schablonen. Wenn wir das nicht aufnehmen, was dort geschieht, trocknet auch die Politik aus. ({3}) Ich glaube, das ist ein wichtiger Gesichtspunkt für das Wachstum menschlicher Möglichkeiten. Solange Technik nach menschlichen Wünschen und Bedürfnissen geprägt wird, ist ihr Einsatz nicht freiheitsfeindlich. Deshalb halte ich nichts von einer Haltung, die die Kunst als lebensfernen Luxus ansieht. Es ist richtig, Herr Duve: Der Kulturbegriff hat sich gewandelt; er ist in den Strukturen, Sitten und Lebensbedingungen einer Gesellschaft eben Muster des individuellen Selbstausdrucks, ganz anders, als dies früher verstanden wurde. Es geht auch um die Überwindung der Schwellenangst vieler unserer Mitbürger gegenüber kultureller Betätigung. Es geht um alternative Angebote außerhalb des bisherigen traditionellen Kunst- und Kulturbegriffs. Zweitens. Kultur und Kunst bestimmen zunehmend auch unsere nationale Identität. Nach einer langen und keineswegs immer glücklichen Geschichte, im Gegenteil eher mehr unglücklichen Geschichte haben wir vom Machtstaat Abschied genommen. Wir sind ein Land von passabler Wirtschaftskraft. Ich meine jedoch, in der Staatengemeinschaft bedeutet der Beitrag eines Volkes für die kulturelle Entwicklung der Welt zunehmend mehr als militärische und wirtschaftliche Kraft. Wir verfügen über einen reichen Fundus kultureller Tradition. Wir sollten uns auf jeder Ebene unseres Staates fragen, ob wir wirklich genug tun für unsere Museen, Bibliotheken, Archive, für unsere Akademien, für unsere Künstler, für internationalen Kulturaustausch. Geben wir eigentlich in einer solchen Situation, wie ich sie schildere, der Kultur die Priorität, deren sie bedarf? Ich glaube, zur Selbstzufriedenheit ist hier überhaupt kein Anlaß, von den Gemeinden angefangen bis zum Bundeshaushalt. Drittens. Die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur müssen verbessert werden. Werner Maihofer hat 1974 vor dem Künstlerbund in Mainz festgestellt, es komme nicht darauf an, daß „man einfach etwas für die Kunst tut", wir man sagt, sondern „man müsse in vollem Sinn Kunstpflege und Kunstförderung betreiben." Maihofer war es, der den intensiven Dialog mit Repräsentanten der Kultur begonnen hat. Ich habe dies dann fortgesetzt. Wichtiger Ausgangspunkt war der Aufruf „Kunst ist kein Luxus" aus dem Jahre 1975. ({4}) Es folgte im gleichen Jahr der Künstlerbericht, der sich mit der beruflichen und sozialen Situation der Künstler auseinandersetzte, ({5}) der Maßnahmenkatalog 1976 zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler und Publizisten mit 38 Maßnahmen aus den verschiedensten Bereichen, ({6}) von denen, meine Damen und Herren, heute 29 realisiert, sieben auf den Weg gebracht und lediglich zwei noch nicht verwirklicht worden sind. Es folgte das Künstlersozialversicherungsgesetz, ({7}) die von mir nachhaltig geförderte Formierung von Künstlerverbänden, bis hin zur Gründung des Kulturrates auf Bundesebene. Meine Damen und Herren, wir hatten vorher ein solches Gremium überhaupt nicht. ({8}) Die in Art. 5 des Grundgesetzes garantierte Freiheit der Kunst ist eben nicht nur das Freiheitsrecht für alle Kunstschaffenden gegenüber staatlichen Eingriffen. Diese Vertrauensnorm - so nennt sie das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur eine negative, eine abwehrende Bedeutung als objektive Wertentscheidung. Für die Freiheit der Kunst stellt sie dem modernen Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern. Hier ist also ein Auftrag gegeben, auch für uns, für das Bundesparlament. Kulturstaat ist also nicht nur ein Bekenntnis, sondern ein immer wieder anzustrebendes Ziel. Das Programm der Bundesregierung zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg des Künstlers vom wirtschaftlichen Außenseiter - viele Künstler sind wirtschaftliche Außenseiter - zum gleichgestellten Mitglied unserer Gesellschaft. Kulturförderungspolitik ist vor allem Hilfe zur Stärkung der Autonomie von Kunst und Kultur. Die von mir angeregten Fonds, der Kunstfonds, der Literaturfonds, das Musikförderungsprogramm des Deutschen Musikrates, haben hierbei eine zentrale Bedeutung, handelt es sich hier doch um Selbstverwaltungsfonds der Künstler und ihrer Verbände, die den Künstlern ihre Förderung in die eigene Verantwortung gibt. Wir werden die bisherige Unabhängigkeit der Fonds, meine Damen und Herren, auch in Zukunft sichern. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung dies ausdrücklich erklärt. Wir erwarten, daß die Fonds angesichts neuer Bedürfnisse und neuer Entwicklungen auch noch neue Aufgaben übernehmen. Wir regen an, daß neue Fonds, z. B. zur Förderung der darstellenden Künste sowie der Soziokultur, geschaffen werden. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß durch die Entscheidung der Bundesregierung und des Haushaltsausschusses im Haushaltsplan 1985 die Finanzierung der Fonds gesichert werden soll und auch in der mittelfristigen Finanzplanung die notwendigen Steigerungen vorgesehen worden sind. Alle diese Aktivitäten hätten nicht unternommen werden können ohne die Bereitstellung von Daten zur Kunst und zur Kultur im nationalen wie im internationalen Bereich. Auch das gab es früher nicht. Wir ermutigen die Bundesregierung, auf diesem Wege fortzufahren. Viertens, Gleichstellung von Kultur und Wissenschaft. Die großen finanziellen, organisatorischen sowie gesetzgeberischen Anstrengungen haben sich nach dem Kriege im Bereich von Wissenschaft und Bildung vollzogen. Bezeichnend ist, daß sich fast alle großen öffentlichen und privaten Stiftungen nur der Wissenschaft widmen. Die Benachteiligung der Kultur reicht bis ins Steuerrecht hinein. Wir wollen hier Schritt für Schritt eine Gleichberechtigung anstreben. Fünftens, notwendige konstruktive Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Für eine gedeihliche, gleichmäßig und stetige Entwicklung kann eine konstruktive Zusammenarbeit gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Es gibt da immer noch merkwürdige Berührungsängste bei den Ländern. Wir respektieren die Kompetenzverteilung. Aber dazu gehört, daß der Bund hier eine unbestrittene Rolle einnimmt. Wir stehen dem erneuten Versuch, die Kooperation zwischen Bund und Ländern in einer Kulturstiftung zu verstärken, positiv gegenüber. Wir erwarten jedoch, meine Damen und Herren, daß bei einem langfristigen und zielstrebigen Aufbau ein wirkliches Stiftungsvermögen entsteht. Hier muß man wirklich klotzen und darf nicht kleckern. Wir erwarten, daß bei den Entscheidungen der Stiftung eine Selbstbeschränkung des Staates strikt eingehalten wird und er die in Selbstverwaltung getroffenen Entscheidungen der Künstler und ihrer Verbände respektiert. ({9}) Dem künstlerischen Sachverstand muß bei den Entscheidungen der Stiftung eine entscheidende Rolle zugewiesen werden. ({10}) Wir wollen weiter, daß in der inneren Verwaltung der Stiftung dem Bund auch künftig eine wichtige Rolle zukommt. Er darf sich hier nicht zurückziehen, wo es um die Rolle des Gesamtstaates geht. Ein zentraler Punkt für die Glaubwürdigkeit einer Kulturförderungspolitik ist das Steuerrecht einschließlich des Stiftungrechts. Wir kennen die umfangreichen Vorschläge und Forderungskataloge. Es ist wohl keiner der Beteiligten davon ausgegangen, daß es zu einer vollständigen Erfüllung dieses Kataloges kommt. Es ist richtig, Herr Duve, es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kulturpolitikern und den Haushaltspolitikern in diesen Fragen; die gab es früher auch. Wir haben jetzt z. B. bei der Begünstigung bei der Vermögensteuer einen Vorschlag aufgenommen - er soll realisiert werden -, der damals von der damaligen Bundesregierung wegen Ihres Widerstandes leider nicht realisiert werden konnte. ({11}) Nun ist auf diesem Felde des kulturfreundlichen Steuerrechts doch einiges erreicht worden. Wir begrüßen die Zusage der Bundesregierung, in einzelnen steuerlichen Fragen noch in dieser Legislaturperiode tätig zu werden, wie bei den Möglichkeiten der Ausdehnung des Übungsleiterfreibetrages - wichtig für die Musik -, wir begrüßen insbesondere die Absicht, zur Vermögensteuerbefreiung für Werke lebender Künstler und zur Hingabe von Kunstwerken zur Tilgung von Steuerschulden und zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Sachspenden zu gelangen. ({12}) - Ja, gut, das sind aber Absichten, die hier ernst gemeint sind, verehrter Herr Kollege Duve, sonst hätten wir uns nicht eine solche Mühe gemacht, Sie so sorgfältig zu formulieren. ({13}) Die Bundesregierung bindet sich hier, das entspricht auch dem erklärten Willen beider Koalitionsfraktionen. Die Wiedereinführung des ermäßigten Steuersatzes für wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Nebentätigkeiten erfolgt nicht. Ich hätte einen solchen Leistungsanreiz für sinnvoll angesehen, allerdings nur in modifizierter Form, insbesondere um auch weitere Leistungsanreize für den wissenschaftlichen und schriftstellerischen Bereich zu geben. Ich verkenne allerdings nicht, daß angesichts der Arbeitsmarktlage und anderer Einschränkungen, beispielsweise im Rentenbereich, eine solche Begünstigung von Nebentätigkeiten auch auf gewichtige Gegenargumente stößt. Meine Fraktion wird zu gegebener Zeit auf diese Frage zurückkommen. Meine Partei ist nachdrücklich der Meinung, daß die steuerliche Benachteiligung der gemeinnützigen Stiftungen abgebaut werden muß. Wir haben hier eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Der private gemeinnützige Sektor kann nach unserer Ansicht viele öffentliche Zwecke weitaus effizienter und sachgerechter erfüllen als die öffentliche Verwaltung. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung noch im Laufe dieser Legislaturperiode einen Bericht vorlegen wird und auch, wenn notwendig, bereit ist, gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen. Wir wollen den Stiftungsgedanken nicht nur festigen, sondern - wir erklären das ausdrücklich - wir wollen ihn ausbauen. Wir haben einige Vorschläge für die Verbesserung des Stiftungssteuerrechts hier angekündigt. Dies ist der Beginn einer Entwicklung. Ich weise im übrigen darauf hin, daß Kunst und Kultur eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung haben. Mir fiel gestern eine Zahl in die Hände. Der Musikmarkt kommt jährlich auf einen Betrag von 25 Milliarden DM, das sind 1,6 % Anteil am Bruttosozialprodukt. Wir sprechen uns aus für ein kulturfreundliches Medienrecht. Ich wiederhole die Feststellung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages: Die Sicherung dieses öffentlichen kulturellen Lebens muß gegebenenfalls auch unter Einschränkung der Geschwindigkeit des Wachstums der Informations- und Kommunikationstechniken in einigen Bereichen erreicht werden. Ich füge hinzu: Künstlerische Kreativität und Pluralität dürfen durch die neuen Medien nicht zerstört, nicht beeinträchtigt werden. Neue Fragen des Urheber- und Leistungsschutzrechts tauchen auf. Die Monopolisierung der Programmzulieferung ist eine Gefahr. Ich verweise insbesondere auf die Stellungnahme des Kulturrats vom Februar 1984. Wir dürfen die Künstler, die Kultur nicht alleine lassen mit den neuen technischen Entwicklungen, die sie teilweise glattweg enteignen. ({14}) In unserer Entschließung treten wir für die Sicherung der Filmförderung auch in Zukunft ein. Das gilt ausdrücklich für die kulturelle Filmförderung. Entscheidender Maßstab muß dort die künstlerische Qualität sein, das sagt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Ich begrüße das. Wir treten dafür ein, daß die Hemmnisse bei der Existenzgründung bei künstlerischen Berufen abgebaut werden; sie bestehen noch in starker Form. Es sollten neue, speziell auf diese Berufe zugeschnittene Programme in Erwägung gezogen werden. Wir begrüßen die Weiterentwicklung der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz". Berlin ist als Zentrum des kulturellen Lebens weiter zu fördern. Wegen der Kürze der Zeit kann ich nur zu einigen Fragen Stellung nehmen. Einige Abschlußbemerkungen. Es sollte deutlich werden, daß es nicht bei allgemeinen Bekenntnissen bleibt, sondern daß auf diesem Felde tatkräftiger als bisher gehandelt wird. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ein wichtiger Schritt auf diesem Wege der Kulturförderung ist der Entwurf der Bundesregierung für den Haushaltsplan des Jahres 1985. Ich habe mir den Haushaltsplan angesehen, wie er nach den Beratungen der Berichterstatter jetzt vorliegt. Er weist im Kulturbereich eine Steigerung auf ca. 7,4 % aus, also eine überdurchschnittliche Steigerung auf den verschiedenen Feldern. Ich hoffe, daß dies anerkannt wird als ein wichtiges Signal des Parlaments, der Bundesregierung gegenüber Kunst und Kultur in unserem Lande. ({15}) Wir wollen die Not älterer Künstler lindern, wir wollen uns mit einem Modell für eine Stiftung „Künstler in Not" befassen. Wir setzen uns dafür ein - das ist meine Schlußbemerkung -, daß sich Kultur und Politik in diesem Lande nicht weiter auseinanderleben. Hier darf keine Kluft bestehen. Wir müssen den Mut haben, uns dem Ungewöhnlichen, dem Kritischen zu stellen. Ohne diese Offenheit trocknet Politik aus, die politische Kultur leidet. Wir wollen als Staat weder Sinngeber noch Kontrolleur sein, und durch die Förderungspolitik wollen wir nicht zugunsten oder zu Lasten bestimmter Richtungen der Kultur Partei nehmen. Wir wollen die kulturelle Vielfalt respektieren und sie fördern, damit sie sich frei entwickelt. Wir sehen in diesen Antworten eine gute Grundlage dazu. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD für bare Münze nimmt, der könnte den Eindruck gewinnen, daß es in diesem Land um die Bedingungen für die kulturelle Entwicklung und für die Entfaltung künstlerischer Kreativität bestens bestellt sei. Deshalb ist die Frage zu stellen: Fällt wirklich kein Schatten auf die Kulturlandschaft Bundesrepublik? Ist das Land der Dichter und Denker tatsächlich Hort der Freiheit von Kunst und Kultur? Mindestens dort, wo sich Kunst politisch geäußert hat, und dort, wo sich Kunst in einen Gegensatz zur herrschenden Politik und Moral gesetzt hat, haben auch in der Bundesrepublik staatliche Instanzen und ihre Repräsentanten selten davor zurückgeschreckt, sich zum Gängler und mitunter auch zum Zensor der Kunst aufzuspielen. Wenn auch durch eine durch geschichtliche Erfahrungen wachsame Öffentlichkeit den Maßnahmen solcher staatlichen Kulturpäpste meist enge Grenzen gesetzt werden konnten, häufig genug blieb das Instrument der verunglimpfenden Schelte und des moralischen Zeigefingers dieser Wächter über Sitte und guten Geschmack. Toleranz war demgegenüber in der Geschichte der Bundesrepublik weniger gefragt. ({0}) - Herr Bötsch, gerade Ihr kulturpolitisches Geschichtsbuch, meine Damen und Herren von der Union, ist voll von solchen Ereignissen, die über das Verhältnis - über Ihr Verhältnis - zur Kunst mehr aussagen als die wohlgesetzten Worte in Ihren Sonntagsreden. Man braucht da gar nicht zu den Pinschern des Herrn Erhard oder zu den Ratten und Schmeißfliegen des Herrn Strauß zurückzugehen, eindringlicher noch wird diese Tradition durch das Beispiel eines Kollegen belegt, der seinen Kunstverstand dadurch offenbarte, daß er gleich zur Zerstörung einer Ausstellung schritt, weil ihm die politische Tendenz des Ausgestellten nicht paßte. Daß er damit als Bilderstürmer in die Schlagzeilen geraten war, hat freilich seinen Aufstieg in eines der höchsten Repräsentationsämter dieser Republik nicht verhindern können, wie wir erst in dieser Woche feststellen mußten. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Beispiel von Kultur; man sollte allerdings besser sagen: ein Beispiel von ihrem Gegenteil. ({1}) - Ach, Herr Bötsch({2}) Das alles wäre - für sich genommen - noch kein Grund zu sonderlicher Besorgnis. Doch die Einflußnahme auf Kunst und Kultur - sie hat noch eine andere Seite. Dort, wo die zuständigen politischen Institutionen - und ich spreche hier vom Ministerium des Innern - an der Förderung von Kunst und Kultur unmittelbar beteiligt sind, rühren Sie kräftig mit, wo es um Einflußnahme geht. Oder ist die Neufassung der Filmförderungs7186 Kleinert ({3}) richtlinien etwas anderes als der Versuch, künstlerische Freiheit nicht aus dem Ruder dessen zu entlassen, was Sie das Politisch-Verantwortbare nennen mögen? Darüber, was das Politisch-Verantwortbare ist, entscheidet im Zweifelsfall der politische und ästhetische Geschmack des zuständigen Ministers. Herrn Achternbusch kann Ihnen davon ein beredtes Zeugnis ablegen. ({4}) Das Credo aus Ihrem Kulturbeutel - das hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Mai 1983 ja deutlich gesagt - ist die Korrektur jener kulturellen Wertmaßstäbe, die von Künstlern, Wissenschaftlern und Intellektuellen in den 70er Jahren - man muß genauer sagen: seit dem Ende der 60er Jahre - wesentlich mitgeprägt worden sind. Geistig-moralische Wende wird das genannt. ({5}) Weil die Wende nicht über die Amtsstuben der Ministerien verordnet werden kann, muß dann schon einmal zum Mittel der Beutelung der Kultur gegriffen werden. Daß Sie damit bisher noch nicht sehr erfolgreich gewesen sind, liegt weniger an Ihrer besseren Einsicht als eher daran, daß es schlicht nicht so einfach ist, Kunst und Kultur zugunsten politischer Zwecksetzung umzuorientieren. Das Wort von der geistig-moralischen Wende erfreut sich gleichwohl weiterhin bester Konjunktur. Das hat einen einfachen Grund. Die Entdeckung bzw. Wiederentdeckung einer gesellschaftlichen und politischen Dimension von Kunst und Kultur, wie sie in den späten 60er und den 70er Jahren für große Teile der Kulturszene in der Bundesrepublik kennzeichnend war, hatte bei den Herren von der Union bis tief ins Pfälzische hinein abgrundtiefes Mißtrauen hervorgerufen. Es paßte Ihnen nicht in den Kram, daß Kunst und Kultur nach neuen Wirkungen und Verbindungen suchten und daß die Fehlentwicklungen des Wirtschaftswunders und des Kalten Krieges auch im Medium der Kultur zunehmend zur Disposition gestellt wurden. ({6}) Schließlich waren es vornehmlich die gesellschaftlichen Wertmaßstäbe dessen, was man in der Literatur inzwischen den CDU-Staat nennt, die im Medium von Kunst und Kultur zunehmend kritisch hinterfragt wurden. Es paßte Ihnen einfach nicht, daß vielen dämmerte, daß es außer Verdienen und Produzieren, außer Wachstum und materieller Wohlstandsmehrung noch andere Dinge gibt, die für das Leben der Menschen bedeutsam sind. Es paßte Ihnen schlicht nicht, daß Kunst und Kultur auch zur Verbreitung der Einsicht beigetragen hatten, daß das Wirtschaftswunder so ganz nebenbei auch große soziale Ungerechtigkeiten produziert hatte und daß der einzelne nicht nur der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft auch dem einzelnen verpflichtet sei. Die ganze Richtung dieses Denkens paßte Ihnen nicht, und sie paßt Ihnen bis zum heutigen Tage nicht. Sie möchten diese Richtung des Denkens ablösen durch die Wiederaufnahme altvertrauter Vorstellungen von Wachstum, Besitzstreben, Eigentum und Ellenbogen. ({7}) Damit das besser funktioniert, soll sich der Staat aus bestimmten Bereichen zurückziehen, um dann um so mehr in anderen Bereichen zur Geltung kommen zu können, in denen er nun wirklich nichts verloren hat. Das ist das Glaubensbekenntnis Ihrer politischen Kultur. Der Herr Bundeskanzler nennt das dann wohl geistige Führung. Ihre Kulturpolitik ist auch nicht gerichtet auf den Abbau von Privilegien, was den Zugang zu Kunst und Kultur anbetrifft. Sie halten vielmehr an einem Kulturbegriff fest, dessen elitärer Charakter auch ein Mittel der geistig-moralischen Wende ist. Da ist Ihnen die Auseinandersetzung mit den kulturellen Leistungen der Vergangenheit und der Gegenwart nicht primär Möglichkeit zur Bereicherung des Alltagslebens der Menschen. Nein, für Sie ist Kunst in erster Linie ein Privileg gebildeter Eliten. Kulturförderung soll in diesem Sinne mehr zur Finanzierung ambitiöser Repräsentationsveranstaltungen dienen als zur wirklichen Verbreitung von Kunst und Kultur. ({8}) - Sie verstehen doch gar nichts von Kultur, Herr Bötsch. Das haben Sie oft genug bewiesen. ({9}) Eine solche Vorstellung von Kunst und Kultur fürchtet die Entdeckung des gesellschaftlichen Zusammenhangs in Kunst und Kultur wie der Teufel das Weihwasser. Aber was das Wichtigste ist: Ein solches elitäres Verständnis von Kultur birgt eine erhebliche Gefahr in sich, die Gefahr nämlich, die darin besteht, das Kunst und Kultur als hehr und rein abgeschottet und stilisiert werden und damit ihre Lebendigkeit verlieren. Dort aber, wo Herausforderung fehlt, wird künstlerische Kreativität verlorengehen. Meine Damen und Herren, die Beschwörung des Endes der Literatur in den 60er Jahren hat der Literatur, wie wir alle wissen, kein Ende bereitet. Aber die Erstarrung der Kunst in einem Zeremoniell des Wahren, Guten und Schönen würde sie weit eher bedrohen. Die kulturellen Veranstaltungen dieser Regierung bieten dafür schlagende Beispiele. Auf Kunst und Kultur lauert aber noch eine andere Gefahr, die ich für weitaus bedeutsamer halte; eine Gefahr, die im Geschäftsbereich des für Kultur zuständigen Ministers ebensowenig auftaucht wie in den kulturpolitischen Reden. Ich meine damit das, was man im allgemeinen als Trivialkultur bezeichnet, was in Gestalt von „Dallas", „Denver", „Traumschiff" usw. auf die Menschen einströmt und was im Zuge von Verkabelung und neuen Medien Kleinert ({10}) in noch ungeahntem Ausmaß über die Bürger hereinzubrechen droht ({11}) - das ist doch Ihre Lieblingssendung -: Video-und Computerspiele, Trivialunterhaltung rund um die Uhr von Werbespot zu Werbespot, organisierte Langeweile, Zerstörung von Kommunikations- und Sprachfähigkeit. Die verkleisterten Gehirne sind absehbar, flächendeckend und womöglich auf Dauer. Die Sprachlosigkeit wird gleich mitgeliefert. Darüber, meine Damen und Herrn, müßte hier eigentlich geredet werden, wenn über Kulturpolitik gesprochen wird; ({12}) denn hier droht der Frontalangriff auf die kreativen Potenzen der Menschen. Wenn erst die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, kann es zu spät dafür sein, diese kulturpolitische Debatte hier zu führen. Das ist das eigentliche kulturpolitische Drama, das wir erleben. ({13}) Ich muß zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, Gott sei Dank sind wir noch lange nicht soweit. Noch gibt es eine lebendige Kultur, und noch gibt es phantasievollen Widerstand gegen die drohende, gegen die mögliche Gleichschaltung von Gehirnen. Es gibt nicht nur eine gesellschaftliche und politische Bewegung weit über Wissenschaft und Kultur hinaus, die Ihre geistig-moralische Wende nicht hinnehmen will. Es gibt inzwischen auch eine bunte Vielfalt alternativer Kultur. Es gibt sie in allen möglichen künstlerischen Bereichen. Sie verschafft sich zunehmend Resonanz. Sie hat der etablierten Kulturszene in vielen Bereichen längst das Wasser abgegraben. Sie ist auch dadurch nicht mehr aufzuhalten, daß man dieser Kulturszene Förderungsmittel versagt und sie lieber an die Karajans und Winifried Wagners verteilt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich gestatte mir die Bemerkung - ohne daß ich Sie kritisieren will -, daß nach meinem Eindruck die Vorredner erheblich länger überziehen durften als ich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich passe hier schon selber auf. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gestatte mir einen letzten Satz. Diesen alternativen Ansätzen, die nun wirklich von unten her kommen und die in zahlreichen Bereichen bestehen, gilt unsere besondere Unterstützung. Es gilt, sie verstärkt zu unterstützen, wenn es um die staatliche Förderung von Kunst und Kultur geht. Ich bedanke mich. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt nachdrücklich diese heutige Kulturdebatte. Ich möchte gleich zu Beginn denen herzlich danken, die in der bisherigen Debatte gute Vorschläge und Anregungen unterbreitet haben. Aber ich will auch sehr deutlich aussprechen, meine Herren von der Opposition, die Sie gesprochen haben: Wir haben in weiten Bereichen dessen, was Sie - zuletzt Herr Kleinert und auch in einigen Bereichen Sie, Herr Duve - gesagt haben, doch auch wieder ein Musterbeispiel dafür gehört, wohin ideologische Voreingenommenheit und überzogene Polemik führen können. Sie verstellen nämlich den Blick für die Realität. ({0}) Als ich Herrn Kollegen Kleinert eben hörte, habe ich mich gefragt, in welchen Bereichen Sie sich eigentlich bewegen. Vieles von dem, was Sie hier vorgetragen haben, ist in der Realität dieser Republik überhaupt nicht zu finden. Das gilt für vieles, was Sie hier kritisch angemerkt haben. ({1}) Ich möchte gern, Herr Kollege Duve, einiges zu dem anmerken, was Sie im Hinblick auf die Vergangenheit vorgetragen haben. Wenn man Ihrer Rede lauschte, konnte man den Eindruck haben, kulturelle Initiativen hätten in dieser Republik auf der Ebene des Gesamtstaates erst mit dem Jahre 1969 begonnen. Ich stelle hier - wie auch die Bundesregierung in ihrer Antwort - deutlich fest, daß wir von Beginn der Arbeit in dieser Republik an eine Förderung -der Kultur hatten und daß diese Förderung kultureller Arbeit nicht erst 1969, sondern bereits 1950 begann. Es gab diese Förderung schon unter den ersten Kanzlern, die von der Union gestellt wurden; ({2}) sie hat nicht erst begonnen, als 1969 ein SPD-Kanzler ins Amt kam. ({3}) Meine Damen und Herren, ich möchte gerne einige Grundsätze und Zielsetzungen vortragen, die die Bundesregierung bei der kulturpolitischen Arbeit leiten: Durch freie und verantwortliche Entfaltung tragen Kunst und Kultur in entscheidender Weise zur freiheitlichen Gestaltung unserer Lebensbedingungen bei. Gerade die Kultur ist aber auch ein Be7188 reich, in dem sich der einzelne wie die Gesellschaft erfolgreich engagieren und Verantwortung übernehmen können. Die Bundesregierung setzt daher in ganz besonderer Weise auf private Initiative. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, will ich für die Bundesregierung sehr herzlich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nachdrücklich danken, die sich in Freiheit und Verantwortung für das kulturelle Leben in unserem Lande einsetzen, insbesondere den vielen tausenden ehrenamtlichen Helfern und Mitarbeitern, die einen weiten Bereich der Arbeit für die kulturelle Entwicklung in unserem Lande leisten. ({4}) Die Bundesregierung bekennt sich zu der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für Kunst und Kultur. Sie tut dies mit Überzeugung und nicht zuletzt deshalb, weil wir dieser Zuständigkeit auch die besondere Vielfalt verdanken, die unserer nationalen Kultur ihr unverwechselbares Gepräge gibt. Ich will hier deutlich sagen: Echte kulturelle Vielfalt in der Bundesrepublik Deutschland ist für unsere Gesellschaft ein Schatz, den wir nicht geringachten sollten. ({5}) Seinen Beitrag zur Förderung von Kunst und Kultur leistet der Bund im Rahmen seiner Verantwortung für den Gesamtstaat. Allerdings wird es nur im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden möglich sein, die kulturellen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Zur deutschen Wirklichkeit - meine Damen und Herren, das muß auch und gerade in einer Kulturdebatte angesprochen werden - gehört die Teilung Deutschlands. Sie legt der Bundesregierung und unserer gesamten Politik in diesem Hause besondere Pflichten auf. Ich finde, sie kann nur überwunden werden, wenn auch das Bewußtsein der Gemeinsamkeit von Sprache und Kultur im geteilten Deutschland lebendig bleibt. Wir sollten auch heute hier betonen: Auch Weimar und Wittenberg und die Wartburg sind Stätten der einen deutschen Kultur, für die wir gemeinsam da sind. ({6}) Diesem Ziel der Gemeinsamkeit insbesondere von Sprache und Kultur zu dienen ist eine der vornehmsten Aufgaben, die wir in unserer kulturpolitischen Bemühung sehen. Hinzu kommt der ostdeutsche Anteil der deutschen Kultur, der nicht in Vergessenheit geraten darf. Das ostdeutsche Kulturerbe ist vielmehr zu erhalten und auch zu pflegen, denn es ist ein integraler Bestandteil unserer Gesamtkultur. Das Bundesinnenministerium hat dafür ja gerade in den letzten Monaten erneut Impulse gegeben. Die Bundesrepublik Deutschland fühlt sich der Kulturgemeinschaft der europäischen Staaten besonders zugehörig. Ich finde, Kulturpolitik wird künftig verstärkt auch eine europäische Dimension haben müssen. Wir werden z. B. im Bereich der EG deutlich machen müssen, daß der Auftrag Europas weit über den Auftrag einer Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht, nämlich auch dahin, einen wichtigen kulturellen Beitrag für Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität in der Welt zu leisten. Das ist eine wichtige Aufgabe kulturpolitischer Dimension in Europa. ({7}) Meine Damen und Herren, aus den Grundsätzen ergeben sich für die Arbeit der Bundesregierung ganz konkrete Folgerungen. Ich nenne folgende: Erstens. Die Bundesregierung sieht eine vertrauensvolle und auf gegenseitige Ergänzung abzielende Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden als grundlegende Voraussetzung ihrer Kulturpolitik an. Sie hat daher von Anfang an das Gespräch mit den Ländern aufgenommen, und sie ist gewillt, dieses Gespräch auch und gerade mit den Ländern intensiv fortzusetzen. Zweitens. Schon jetzt haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern auf das Vorhaben einer Kulturstiftung verständigt, die von den Ländern errichtet wird und an der der Bund mitwirkt. Ich finde, meine Damen und Herren, dies ist ein sehr wichtiger weiterer Schritt in der Arbeit für die kulturelle Entwicklung in unserem Lande. Herr Kollege Duve, wir sollten diesen wichtigen Schritt jetzt nicht herabwürdigen, sondern begrüßen. Ich meine, es stünde auch der SPD, die in der Bundesregierung in diesem Bereich der Zusammenarbeit nun wirklich nicht viel fertiggebracht hat, gut an, diesen Schritt zu würdigen und zu unterstützen, wo sie in den Ländern mitwirken kann. ({8}) Ich bin zuversichtlich, daß noch offene Einzelfragen bald geklärt werden können und die Stiftung wie vorgesehen 1985 ihre Arbeit aufnehmen wird. Drittens. Mit der Stiftung werden auch der Kunstfonds, der Literaturfonds und das Musikförderungsprogramm des Deutschen Musikrates auf eine breite und gesicherte Grundlage gestellt. Dies ist für die Bundesregierung ein ganz wichtiges Ziel. Die Fonds und das Musikförderungsprogramm haben sich bewährt. Hierbei hat auch die diesen Einrichtungen eingeräumte weitgehende Unabhängigkeit - das will ich hier gerne unterstreichen - eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Viertens. Unser Land erlebt eine bemerkenswerte Hinwendung seiner Bürger zu ihrer Geschichte. Ich finde, ein Staat, der sich wie die Bundesrepublik Deutschland als Kulturstaat begreift und mehr ist als eine lose Gemeinschaft zur Vermehrung von Wirtschaftsgütern, muß dieses Interesse seiner Bürger für die Geschichte stärken und festigen. Wir sollten begrüßen, daß sich gerade wieder so viele junge Menschen für die Geschichte unseres Landes interessieren. Dies wollen wir unterstützen, stärken und mit Institutionen fördern, meine Damen und Herren. ({9}) Die Bundesregierung wird daher in Bonn ein „Haus der Geschichte" errichten, gewidmet der „Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation", wie es Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 umschrieben hat. Wichtige Schritte zur Realisierung sind getan. Wir dürfen heute sagen: Das „Haus der Geschichte" ist sicherlich zugleich auch ein wichtiger Teil des kulturellen Ausbaus der Bundeshauptstadt Bonn, für den wir in der Bundesregierung mit Nachdruck eintreten; denn auch unsere Bundeshauptstadt muß mit den Möglichkeiten, die sie und der Gesamtstaat haben, ein Schaufenster für die kulturelle Entwicklung in unserem Land sein. Ein fünfter Schritt in diesem Sinne ist das Vorhaben einer Kunst- und Ausstellungshalle, die insbesondere für wechselnde Ausstellungen nationalen und internationalen Ranges vorgesehen ist und auch das geistige und kulturelle Leben der gesamten Bundesrepublik in der Bundeshauptstadt widerspiegeln soll. Auch hierüber konnten wir uns mit den Ländern auf der Ebene der Regierungschefs im Grundsatz einigen. Auch hier sind Standort und vieles andere schon vorbereitet. In diesen Gesamtzusammenhang gehört auch das geplante Ehrenmal. Ich habe unlängst in der Beantwortung parlamentarischer Anfragen dazu Stellung genommen. Sechstens ein Wort zum deutschen Film. Die Bundesregierung fördert den deutschen Film auf breiter Basis und beabsichtigt, dies auch in Zukunft zu tun. Sie versteht dabei die auf seiten des Bundes bestehenden Förderungssysteme einer eher kulturell und einer eher wirtschaftlich orientierten Filmförderung keineswegs als Gegensatz. Beide Systeme sind vielmehr Ausdruck einer ganz umfassenden medienpolitischen Absicht, nämlich den deutschen Film sowohl hinsichtlich seiner künstlerischen Qualität als auch seiner wirtschaftlichen Basis zu stärken. Siebtens. Die Bundesregierung will, daß ihre Umweltpolitik verstärkt auch den Denkmalschutz fördert und ihm zugute kommt. So steht das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Luftreinhaltung in einem ganz engen Zusammenhang mit der Verbesserung des Schutzes und der Erhaltung von Baudenkmälern. Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle sagen: Wir alle hier im Bundestag sollten es begrüßen, daß wieder mehr Interesse daran besteht, erhaltenswerte Bausubstanz, wichtige denkmalswerte Bauten in unserem Lande zu schützen. Wir sollten offen sagen: In der Vergangenheit sind manchmal zu schnell Räumer und Bagger bestellt worden. Wir sollten uns freuen, daß eine Hinwendung zu einem guten, realistischen Denkmalschutz stattfindet, meine Damen und Herren. ({10}) Ich danke ausdrücklich Ländern und Gemeinden und auch vielen Privaten, die sich dem zuwenden. Achtens. Bei dem Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung in das Ausland wird die Bundesregierung auf Verbesserungen hinwirken. Sie ist hierüber mit den Ländern im Gespräch und bereitet eine Novellierung des Gesetzes zum Schutz von deutschem Kulturgut gegen Abwanderung vor. Neuntens. In den neuen Informations- und Kommunikationstechniken sieht die Bundesregierung eine besondere kulturpolitische Herausforderung, der es sich mit Offenheit und Augenmaß zu stellen gilt. Aber, meine Damen und Herren, das sage ich gerade, nachdem die Oppositionsredner dies ja auch angesprochen haben: Wir sollten hier eben auch die Chancen sehen und neue Möglichkeiten und Techniken nicht immer von vornherein verteufeln, sondern wir sollten versuchen, sie zu bewältigen und auch in den Dienst der Kultur zu stellen. ({11}) Diese neuen Chancen müssen wir wahrnehmen. Zehntens. Ich möchte noch ein ganz besonders wichtiges Aufgabengebiet ansprechen, indem ich das Stichwort private Stiftungen nenne. Private Stiftungen sichern der Kultur, der Wissenschaft, der Forschung Freiräume und Flexibilität. Sie geben ganz unkonventionell wirkungsvolle Impulse für die Erfüllung von Aufgaben, die für das Gemeinwesen und seine Zukunft von hohem Rang sind. In Gesprächen mit den Stiftungen und ihren Verbänden sollen im Rahmen der finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten Ansatzpunkte gesucht werden, um den Stiftungsgedanken, der in den vergangenen Jahrzehnten verdienstvollerweise auf die Förderung vor allem der Wissenschaft und Forschung gerichtet war, nun weiter zu unterstützen und für die Förderung von Kunst und Kultur wieder verstärkt zur Geltung zu bringen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in dem Zusammenhang auch mehrere Fragenkomplexe aus dem Steuerrecht angesprochen. Kollege Baum hat schon darüber gesprochen; auch Kollege Dr. Dregger hat es vorgetragen. Ich möchte sagen: Wir wollen auch in diesem Bereich Signale für Kunst und Kultur setzen. Herr Kollege Duve, wenn Sie hier sagen: Ach, das ist doch alles wenig, da ist nicht so viel gekommen, dann muß ich sagen: Sie hatten doch 13 Jahre Zeit, mehr zu tun und Wichtiges auf diesem Gebiet zu leisten. Warum haben Sie es nicht getan? ({12}) Im Gegenteil, Sie haben hier noch Einschränkungen vorgenommen, die Sie - ({13}) - Herr Duve, Sie regen sich so auf; das zeigt doch, daß ich ins Schwarze getroffen habe. Sie regen sich sehr auf, weil Sie dabei ertappt worden sind. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ja, bitte schön, Herr Kollege Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wollen Sie mit Ihren Ausführungen und Ihrer Kritik dem Kollegen Baum widersprechen, der hier die Leistung aus der sozialliberalen Zeit breit dargestellt und gewürdigt hat, oder wie soll man das verstehen? ({0})

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Nein, Herr Kollege Schmude, ich habe soeben darauf hingewiesen, daß wir in der Kontinuität aller Bundesregierungen viele positive Impulse auch weiterentwickeln, ({0}) aber ich habe auf die Kritik des Kollegen Duve, es sei im Hinblick auf die steuerrechtlichen Erleichterungen zu wenig getan worden, geantwortet, Herr Kollege Schmude, wenn Sie gut zugehört haben, dann wird Ihnen nicht entgangen sein, daß der Kollege Baum gerade bedauert hat, daß Vorschläge, die damals aus seiner Richtung gekommen sind, bei der SPD offenbar nicht die notwendige Unterstützung gefunden haben. ({1}) Die SPD sollte sich in dieser Frage also zurückhalten. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen und nur noch zwei Dinge sagen. Erstens. Wir wissen um die schwierigen Aufgaben, die sich uns auch im Hinblick auf die älteren Künstler stellen. Wir haben hier eine Verpflichtung. Viele unserer älteren Künstler haben nicht in dem Maße an der wirtschaftlichen Entwicklung teilgenommen, wie es wünschenswert wäre. Wir ergreifen Initiativen, um auch ihnen im Maß des Möglichen zu helfen. Ich will zweitens darauf verweisen, daß die finanzpolitischen Entscheidungen des Bundes der Förderung der kulturellen Entwicklung überproportional zugute kommen. Es wurde darauf hingewiesen, daß eine Steigerung des Etats um rund 7 % vorgesehen ist. Das zeigt, daß wir den Worten auch Taten folgen lassen. Wir wissen miteinander, daß noch viele Probleme und Aufgaben anstehen. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden sie im offenen Gespräch mit allen Verbänden und Verantwortlichen in diesem Bereich angehen. Wir werden sie aber vor allem in dem Wissen und dem Bewußtsein angehen, daß Kunst und Kultur wesentlich für die Freiheit, für die Verantwortlichkeit und die Humanität in unserem Land sind. Herzlichen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Waffenschmidt hat der Opposition den Vorwurf gemacht, sie habe hier Ideologie betrieben. Er hat uns aufgefordert, uns der Realität zuzuwenden. Aber, Herr Kollege, ist es nicht so, daß sowohl Ihre Rede als auch die Ihres Fraktionsvorsitzenden von Ideologie, d. h. von Ihren Wertvorstellungen, bestimmt waren, wie das auch bei unseren Reden der Fall ist? Und ist es nicht gerade in einer kulturpolitischen Debatte notwendig, Wertvorstellungen zur Sprache zu bringen? ({0}) Ich will etwas zur Architektur sagen, denn die Architektur ist die politischste der Künste. Sie sagt deutlicher als Musik, Dichtkunst oder Malerei, was in einer Gesellschaft vorgeht, wer in einer Gesellschaft was zu sagen hat, was einer Gesellschaft wichtig ist und wie sie leben will. Der Neoklassizismus der Wilhelminischen Zeit, die Bauhaus-Architektur in der Weimarer Zeit, die pompöse Architektur der Nazizeit, die Wirtschaftswunderwachstumsarchitektur der Nachkriegszeit und nun schließlich die postmoderne Wende in der Architektur unserer Zeit - das zeigt doch, wie eng Architektur und Gesellschaft zusammenhängen, wie sie aufeinander bezogen sind. Heute gibt es breite und berechtigte Kritik an der Architektur unserer Zeit, Kritik, die sich an den Begriffen „Kiste" oder „Beton" festmacht. Das Bauen der vergangenen Jahrzehnte war häufig von der öden Sterilität wirtschaftlichen Wachstums bestimmt, war gebaute Rücksichtslosigkeit gegenüber Mensch und Natur. In der Kritik an dieser Architektur schwingt viel Enttäuschung über nicht eingelöste Versprechen der modernen Architektur mit, Versprechungen von mehr Freiheit, von mehr Entfaltung, von mehr Identität. Ich sehe in der Architektur unserer Zeit zwei Bestrebungen: zum einen Bemühungen um eine reichere, kostbarere Architektur, um eine Architektur, die historische Zitate aufnimmt, überspitzt: um eine Architektur der neuen Prächtigkeit, um Hochglanzarchitektur für Hochglanzkultur, oft nur für elitäre Minderheiten verständlich, nach dem Motto: Die Moderne ist tot, zurück zum postmodernen Eklektizismus. Das ist die eine Richtung. Die andere Richtung zeigt sich in einem Bemühen um eine menschlichere, freundlichere Architektur: kleinteilig, sparsam im Material, sparsam in der Form; überspitzt: Architektur der neuen Bescheidenheit, Architektur auf Umweltpapier für die Szenenkultur - natürlich biologisch-dynamisch - und gelegentlich genauso elitär und sektiererhaft wie die Postmoderne; nach dem Motto: Die Moderne ist tot, zurück zur Natur. Wer wollte leugnen, daß die Extrempositionen der neuen Prächtigkeit und der neuen Bescheidenheit, die ich geschildert habe, Entsprechungen in der Politik finden? Ich will aus meinem Herzen keine Mördergrube machen: Mir sind bei allem Sektiererischen, bei allem Unausgegorenen die Versuche eines friedlicheren Umgangs mit dem Nachbarn und der Natur, die Bemühungen in der Architektur, neue Formen des Eigentums, neue Formen der AnConradi eignung zu finden, allesamt näher als die sinnentleerte Schönheit des postmodernen Historismus. ({1}) Wenn Architektur widerspiegelt, was in einer Gesellschaft vor sich geht, dann gilt das vor allem für die öffentliche Architektur. Als Beispiele nenne ich zum einen die Neue Oper für die Smokingkultur und zum anderen das soziokulturelle Zentrum für die Turnschuhkultur. Der Bund ist an der öffentlichen Architektur ja relativ wenig beteiligt. Im wesentlichen ist das Architektur der Gemeinden und der Länder. Trotzdem will ich auf einige Beispiele hinweisen. Zu den Beiträgen des Bundes zur Nachkriegsarchitektur sind zu zählen: Sep Rufs nobler Kanzlerbungalow hier in Bonn, Egon Eiermanns schöne Botschaft in Washington, Hans Scharouns großzügige Bibliothek in Berlin oder Paul Baumgartens würdiges Verfassungsgericht in Karlsruhe. Ein Höhepunkt der Nachkriegsarchitektur, vom Bund mitverantwortet, sind Günter Behnischs Olympiabauten in München, für mich immer noch ein großer Wurf mit einer Leichtigkeit und Kühnheit, die unseren damaligen Reformvorstellungen der 60er Jahre entsprach. ({2}) - Ich komme gleich darauf. Nach zehn Jahren Planung des Bundestages hatten wir den Mut und die Entschlossenheit zum großen Wurf nicht mehr. Wir sind bescheiden geworden. Trotzdem bin ich heute froh, daß wir im Bundestag gemeinsam - alle Fraktionen - den Verlockungen der neuen Prächtigkeit nicht erlegen sind, sondern jetzt eine Lösung gefunden haben, die mit Günter Behnischs Vorschlag für den Plenarsaal und die Eingangshalle und Joachim und Margot Schürmanns Vorschlag für den Erweiterungsbau vernünftig, angemessen und auch architektonisch interessant ist. Wenn uns die Bundesregierung da wie bisher weiterhilft - da darf ich Sie heute auch mal loben - und wenn uns unsere Haushälter da weiterhelfen, dann könnte uns hier als Parlament ein überzeugendes Beispiel für das Bauen in der Demokratie gelingen. Nun will ich drei Projekte der Bundesregierung in Bonn ansprechen, nicht deren Architektur, sondern deren Inhalt, deren Verfahren, deren Aussage. Ich glaube, das gehört auch in eine Debatte von Politik und Kultur. Das eine ist das „Haus der Geschichte". Herr Waffenschmidt hat hier zu Recht von dem stärkeren Bemühen, von der stärkeren Zuwendung einer jungen Generation zur Geschichte, auch zur Geschichte unserer Republik gesprochen. Wir finden es gut, daß Sie dieses Haus der Geschichte planen; aber wir meinen, Sie sollten den Bundestag, die Öffentlichkeit stärker daran beteiligen. ({3}) Denn Ihre bisherigen Planungen sehen mehr so aus, als ob Sie Geschichte dieser Republik als Staatsgeschichte verstehen, also eine Aufreihung von Präsidenten, Kanzlern, Koalitionen, Staatsbesuchen und Staatsakten, als ob in der Geschichte der Bundesrepublik etwa die Gewerkschaften oder die Kirchentage, die außerparlamentarische Opposition oder die neuen sozialen Bewegungen unserer Tage nichts zu suchen hätten. Deswegen appellieren wir an Sie, die Geschichte der Bundesrepublik in diesem Museum nicht so eng zu sehen, sondern mit uns einen breiteren Ansatz, einen Ansatz der politischen Kultur der Bundesrepublik zu finden. ({4}) Mit der Bundeskunsthalle haben wir ein langjähriges trauriges Spiel hinter uns. Die ersten hoffnungsvollen Ansätze fallen in die ersten hoffnungsvollen Jahre der sozialliberalen Koalition. ({5}) Wir waren und sind der Meinung, daß Kunst nicht nur Verzierung, Verschönerung, sondern auch Ausdruck unseres gesellschaftlichen Lebens sein soll, und daß in der Bundeshauptstadt nicht nur Politik, Bürokratie, Lobby und Verbände sichtbar sein sollen, sondern daß auch die Kultur dieser Republik einen Ort zur Begegnung mit der Kultur anderer Länder haben muß. Das war eine schöne Idee, und es gab viel Begeisterung und viel Schwung. Ich will hier Annemarie Renger ganz ausdrücklich für all das danken, was Sie da an Kraft und Engagement hineingelegt hat. ({6}) Aber wenn ich mir die zehnjährige Geschichte dieser Idee anschaue, stelle ich fest, daß sie vor allem an der Provinzialität der Bundesländer gescheitert ist, daß die Regierung Schmidt und der Bundesinnenminister Baum nicht den Mut hatten, das durchzusetzen. Bei den Olympiabauten hatten wir - der Freistaat Bayern, die damalige Bundesregierung und die Stadt München - den Mut, die Olympiabauten zu realisieren. Was hätten denn Bayern und Hessen beim Verfassungsgericht gewollt, wie kläglich hätten sie ausgesehen, hätten wir, der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Bonn, den Mut gehabt, in einer gemeinsamen Stiftung die Kunsthalle zu bauen? ({7}) Nun hat die neue Regierung das Projekt auf der langen Bank liegenlassen. Die Stadt Bonn hat nach jahrelangem Warten einen eigenen Wettbewerb für ein städtisches Kunstmuseum ausgeschrieben. 600 Architekten haben sich die Unterlagen geholt, aber über die Bundeskunsthalle gibt es da nur einige dürre Worte, deren Funktion und Programm bleiben weithin ungeklärt. Die Länder mauern weiter. Wenn die Bundesregierung jetzt auf die Kulturstiftung verweist, so reicht das nicht. Diese Kulturstiftung, Herr Waffenschmidt, wird weder nach ihrer Funktion - alle Macht den Ländern, dem Bund nichts - noch nach ihrer kläglichen finanziellen Ausstattung - 10 Millionen DM sind geradezu läp7192 pisch - dem kulturpolitischen Anspruch einer Republik in ihrer Hauptstadt nicht gerecht. ({8}) Dieser kulturpolitische Anspruch der Republik ist eben mehr als die Summe von elf Kulturpolitiken der Länder. Nun will ich zuletzt etwas zu dem Mahnmal sagen, das die Bundesregierung hier in Bonn plant. Der einzige schriftliche Beleg über dieses Mahnmal ist das unsägliche Aide-mémoire einiger Verbände, schwülstig, verlogen wie ein wilhelminisches Kriegerdenkmal. Der Bundeskanzler hat sich dieses Elaborat - wörtlich - „zu eigen gemacht". Kein Wort des Zweifels, kein Wort des Nachdenkens oder der Distanz! Hat Helmut Kohl nicht gemerkt, daß unter den Verfassern dieser Denkschrift der Zentralrat der Juden fehlt, hat er nicht gemerkt, daß die Sinti und Roma dort genausowenig vertreten sind wie die Vereinigung der Verfolgten des Faschismus? Hat Helmut Kohl nicht gemerkt, daß in dieser Denkschrift das Wort „Jude" nicht vorkommt, genausowenig wie das Wort „Schuld"? Oder berührt ihn das alles nicht, so wie er in Israel gesagt hat, er sei damals halt zu jung dafür gewesen? An wen soll bei diesem Mahnmal gedacht, um wen soll denn da getrauert werden? Nur um die deutschen Toten oder auch um die Millionen Toten anderer Völker, die von Deutschen umgebracht worden sind? „Was uns Deutschen an Schrecklichem zugefügt worden ist, das haben doch wir zuvor anderen Völkern zugefügt." So der Berliner Schriftsteller Dieter Hoffmann-Axthelm bei dem ersten öffentlichen Gespräch über dieses Mahnmal, das der Bund Deutscher Architekten kürzlich hier veranstaltet hat und zu dem die Bundesregierung nicht erschienen ist. Ist es möglich, ein gemeinsames Mahnmal für Opfer und Täter zu machen? Der Volksbund schwafelt: „Opfer und Geopferte sollen in einem versöhnenden Gedenken vereint werden." Zu Recht hat der Frankfurter Soziologe Helmut Dahmer gesagt: „Nach der Volksgemeinschaft der nationalen Erhebung kommt jetzt die Volksgemeinschaft der Hinterbliebenen." Einige reden gar vom „Ehrenmal" - so, als könnte man der deutschen Wehrmacht die zwischen Lidice und Oradour verlorene Ehre mit einem Denkmal wiedergeben. ({9}) Glaubt denn der Bundeskanzler, daß ein Staatsmann, der aus Frankreich, der CSSR oder Israel hierher kommt - wenn denn schon diese leere Geste der Kranzniederlegung sein muß -, an einem Mahnmal einen Kranz niederlegt, an dem die Täter von Oradour, Lidice und Auschwitz geehrt werden sollen? Wer ein solches Mahnmal so betreibt, wer sich das wie der Bundeskanzler so zu eigen macht, der will nicht trauern, nicht mahnen, nicht erinnern, sondern der will einem sinnlosen Sterben nachträglich verklärenden Sinn geben. ({10}) Da wird die Verdrängung von 40 Jahren fortgesetzt, da wird zugeschüttet und verstellt, was an Schuld besprochen, erinnert und betrauert werden müßte, z. B. die Rolle der deutschen Generalität, die Rolle der deutschen Justiz, der Kirchen und der Wissenschaft, die Mitwirkung der deutschen Industrie. - Flick war j a damals auch schon dabei. Ich danke hier Lea Rosh für die Sendung „Vernichtet durch Arbeit", ({11}) in der sie vor wenigen Tagen die Rolle der Industrie bei der Vernichtung von KZ-Häftlingen dargestellt hat. Das war ein Denkmal! Dieses Vorhaben, das hier betrieben wird - heimlich, unter der Decke -, verdient Mißtrauen, verdient Widerspruch. Die Bundesregierung will es offenbar nicht im Parlament diskutieren. Aber wer anderes als die Volksvertretung kann diskutieren, ob unser Volk ein solches Mahnmal will, ob unser Volk ein solches Mahnmal braucht? Ein Mahnmal für den Frieden gewiß. Wer sollte dagegen sein! Aber doch kein Mahnmal, das den letzten Holocaust verschleiert, während der nächste schon vorbereitet wird. ({12}) Was Sie hier vorhaben, ist dumpf, verwaschen und unklar; das ist ein ungeeignetes geistiges Fundament für ein Mahnmal. Deswegen fordern wir Sie auf, mit uns hier im Parlament, mit der deutschen Öffentlichkeit über den Anlaß, den Sinn, die Notwendigkeit und die Aussage dieses Mahnmals zu diskutieren, bevor Sie in dieser Planung weitergehen. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, es wird Sie nicht wundern, daß ich nach Ihren Ausführungen das Wort erbeten habe. ({0}) - Wenn Sie wollen, auch das; Sie verstehen das j a. ({1}) Meine Damen und Herren, die Ausführungen des Kollegen Conradi gehen an der Sache vorbei. ({2}) Sie gehen nicht nur an der Sache vorbei, Sie verfälschen die Absichten der Bundesregierung und verfälschen insbesondere die Motive des Herrn Bundeskanzlers, die ihn bei Äußerungen zu diesem Vorgang beherrschen. Was ist die Wahrheit? ({3}) In allen Hauptstädten der Welt gibt es einen Ort, an dem die Nation bei offiziellen Anlässen in angemessener Weise der Toten der Nation, der Heroen der Nation, ({4}) was auch immer man darunter verstehen mag - unter „Heroen der Nation" verstehe ich beispielsweise keineswegs nur die Kriegsheroen -, gedenkt. Es hat einen bayerischen König gegeben, der hat eine Walhalla gebaut. Vielleicht waren Sie schon mal drin. ({5}) - Na, da wird's höchste Zeit. Da können Sie mal sehen, was wir unter nationalen Heroen verstehen. ({6}) - Also, ein GRÜNER, der die Walhalla nicht kennt, der verfärbt sich langsam in Gelb. ({7}) Darum geht es: Ich habe von den Heroen des jeweiligen Landes gesprochen. ({8}) Der Herr Bundeskanzler hat mich beauftragt, in Verbindung mit den beteiligten Stellen einen geeigneten Ort ausfindig zu machen, wo man in Bonn ein Mahnmal, ein Ehrenmal - der Begriff steht noch lange nicht fest - errichten kann, und zwar, damit bei Staatsbesuchen Staatsakte in würdiger, der Bedeutung unserer Geschichte unseres Staates gerecht werdender Form durchgeführt werden können. ({9}) Herr Kollege Conradi, Sie wissen, daß es darüber eine längere Diskussion gegeben hat. Die Bundesregierung hat sich zum ersten Mal - nicht mit dem Inhalt, nicht mit der Form und nicht mit all dem geistigen Umkreis, über den man reden muß - und von dem Sie gesprochen haben - am 13. Juni 1984 damit befaßt. Die Bundesregierung hat keinen Beschluß gefaßt. ({10}) Sie hat mich nur beauftragt, ({11}) den Präsidenten des Deutschen Bundestages über die Absichten der Bundesregierung zu informieren. ({12}) Ich war beauftragt, den Präsidenten des Bundesrates zu informieren. Und ich hatte Gelegenheit, den Gemeinsamen Ausschuß, in dem das Land Nordrhein-Westfalen, die Bundeshauptstadt Bonn und die Bundesregierung, vertreten durch mich, vertreten sind, darüber zu informieren. Ich habe dann am 3. Oktober, Herr Kollege Conradi, die Baukommission des Ältestenrates über die bis damals gewonnenen Erkenntnisse unterrichtet. Im Anschluß daran hat der Herr Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Richard Stücklen, Vorsitzender der Baukommission, den Ältestenrat unterrichtet. Inzwischen habe ich dem Herrn Bundeskanzler über meine Bemühungen einen abschließenden Bericht zugeleitet, ({13}) - allein was den Standort angeht. ({14}) Aber ich darf Sie davon unterrichten, daß der Herr Bundeskanzler bei allen Gesprächen, die ich mit ihm über diesen Gegenstand geführt habe, davon ausging, daß das Mahnmal, das in Bonn erbaut werden soll, nicht durch die Bundesregierung errichtet werden soll, auch nicht durch den Bundestag oder den Bundesrat. ({15}) - Sondern: alle Verfassungsorgane zusammen sollten in einem gemeinsamen Forum nach einem gründlichen und ausführlichen Gedankenaustausch über Inhalt, geistige Anlage, geistige Deutung, Sinngebung, historische Einordnung miteinander zu einem Ergebnis gelangen. ({16}) - Der Deutsche Bundestag, mit dessen Präsident bisher gesprochen wurde und der über alles unterrichtet ist, ist souverän genug, darüber zu bestimmen, in welcher Form er zu einer Willensbildung und Entscheidungsfindung kommt. Das kann gar keine Frage sein. Aus dem Protokoll der letzten Ältestenratssitzung geht hervor, Herr Kollege Conradi, daß der Präsident der Auffassung war, daß der Bundestag sich dazu noch förmlich äußern soll. Eine förmliche Äußerung des Bundestags kann meines Ermessens nur dann geschehen, wenn in diesem Hohen Hause darüber eine Aussprache stattfindet. Ich verstehe also die Kritik an dem Herrn Bundeskanzler in dieser Sache überhaupt nicht. ({17}) Dem Herrn Bundeskanzler schwebte beispielsweise vor - und das steht auch in meinem Bericht -, ({18}) daß wir zunächst einmal einen Ideenwettbewerb ausschreiben. Dessen Ziel ist, erst einmal festzustellen: Was soll denn dieses Mahnmal sein? ({19}) Wer soll es gestalten? Wie soll es verstanden werden? Welche Bedeutung in der architektonischen städtebaulichen Wirklichkeit der Bundeshauptstadt soll es einmal einnehmen? Herr Kollege Conradi, zu Ihrer Bemerkung, wer da bisher an den Bundeskanzler geschrieben hat: Dies war vielleicht eine recht zufällige Sache, wie es auch ganz zufällig war - das ist dem Bund Deutscher Architekten unbenommen -, darüber ein Forum zu veranstalten. Aber ich darf Sie davon in Kenntnis setzen: Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herr Nachmann, hat an den Herrn Bundeskanzler geschrieben. Ich werde ihn nächste Woche zu einem Gespräch empfangen, im Auftrag des Herrn Bundeskanzlers. Herr Nachmann ist voll eingeschaltet. Wir haben noch keine Runde, wo wir das alles machen konnten. Ich will Ihnen sagen: Vorwürfe an den Herrn Bundeskanzler, Herr Kollege Conradi, gehen in allen Punkten fehl, ({20}) in allen. ({21})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Bitte.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wie wollen Sie einen Wettbewerb für Architekten und Künstler für dieses Mahnmal ausschreiben, ohne vorher hier mit uns und mit der Öffentlichkeit über das zu reden, was dieses Mahnmal aussagen soll, über seinen Inhalt? ({0})

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Kollege Conradi, ich verstehe diese Gereiztheit und Nervosität nun wirklich nicht. ({0}) Sie sind in allem unterrichtet. Es kann doch nur sein, daß sich jetzt, wenn wir dazu kommen, einen Ideenwettbewerb auszuschreiben, ({1}) alle beteiligten Verfassungsorgane dazu äußern. Auch der Deutsche Bundestag wird Gelegenheit haben, sich dazu zu äußern. ({2}) Erst wenn dies geschehen ist, soll ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden. Erst das Ergebnis eines Architektenwettbewerbs soll tatsächlich gebaut werden. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen von dem Nebenkriegsschauplatz zum eigentlichen Thema zurückkehren. ({0}) - Es gehört natürlich dazu, aber es gibt auch Prioritäten. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Beantwortung der beiden Großen Anfragen zur Kulturpolitik durch die Bundesregierung einmal sorgfältig durchzulesen. Dabei wurde mir zusehends schlechter, bis mir klar wurde, daß diese meine Übelkeit zwangsläufig eintrat. ({1}) Sie hat einen neuen Höhepunkt bei der Rede von Herrn Dr. Dregger erreicht. Wenn sich nämlich die Bundesregierung mit der Vorbemerkung rühmt, „erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestages die in 35 Jahren gewachsene Kulturförderungspolitik des Bundes umfassend darzulegen und zu erläutern", dann ist das, was sie im folgenden Text als ihre Politik beschreibt, ebenso wenig wert wie das, was sie in diesen vergangenen 35 Jahren für die Kultur in diesem unserem Lande tatsächlich getan hat. Die wortreiche Selbstbeölung erzeugt nur noch Übelkeit, hat mit der Realität nichts mehr zu tun und entspricht so genau dem Erscheinungsbild der Heimatfilmmentalität des guten Menschen aus Oggersheim, der diese Politik zur Zeit zu verantworten hat. Man kann sich richtig vorstellen, wie Scharen eilfertiger Ministerialbürokraten alles zusammengeramscht haben, was auch nur ein bißchen nach der elitären repräsentativen Pseudokultur der Mächtigen in diesem Lande riecht, um es zum Ruhme dieser Regierung als dem großen Mäzen blühender Künste und sprühenden Geisteslebens hochzustilisieren, zwar nicht mehr von der Etsch bis an den Belt, aber immerhin vom Bodensee bis Flensburg, zwar nicht mehr von der Maas, aber immerhin noch bis zur Memel, wie es sich aus den Exkursen über die sogenannte Grundsatzkonzeption zur WeiterSauermilch führung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß Drucksache 9/1589 ergibt. Zwei Indizien für den Beweis einer tiefen Schlucht, besser gesagt: eines Grand Canyon zwischen verbalem Anspruch und - über weite Teile dieser Papiere - der Wirklichkeit dieser Kulturpolitik finden sich sogar in der Beantwortung selbst, wenn man genau liest. ({2}) - Hören Sie einmal ein bißchen besser zu. Erstens. Der Mitteleinsatz im Inland, wie das so schön heißt, in Höhe von zur Zeit jährlich 300 Millionen DM beträgt etwas über ein Tausendstel des Haushaltsvolumens. Das entspricht im übrigen ziemlich genau einem Zehntel der Kosten, die der Verteidigungsminister dieses Landes alleine für die Flotte des Kampfflugzeuges Tornado ausgibt, nämlich 3 Milliarden DM. Zweitens. Ihre eigene reale kulturpolitische Kompetenz begrenzt die Bundesregierung darauf - ich zitiere wieder ... wo es um die Förderung künstlerisch und kulturell besonders bedeutsamer Einrichtungen, Veranstaltungen oder sonstiger Aktivitäten geht, in denen Rang und Würde des Gesamtstaates oder der deutschen Nation zum Ausdruck kommen. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Man muß nur den richtigen Stellen nachgehen. Die eigentlichen Probleme, das Schwarzbrot, überläßt man gerne den Ländern und den Kommunen. Noch ein Beispiel für den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit aus der jünsten Praxis dieses Hohen Hauses. ({3}) - Zunächst einmal ein Zitat - bitte genau zuhören, weil derjenige, der das gesagt hat, von besonderem Interesse ist -: So ist es unstreitig das Gegenteil von Politik, wie sie hier gefordert wird, wie von Kultur, wenn eine Regierung anders handelt, als sie es versprach, wenn eine Politik soziale Ungerechtigkeiten nicht beseitigt, sondern bewirkt, wenn Politiker anders leben als reden. Wer ist der Verfasser? Es ist der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Rainer Barzel, und er hat das gesagt am 13. April 1984 im Kaiser-Leopold-Saal der Universität Innsbruck zu dem Thema „Kultur der Politik - Anspruch und Herausforderung". ({4}) Da stimmt ein anderes Zitat schon besser mit der Wirklichkeit überein: Das Abendland - so der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce wird größtenteils von Christen bewohnt, deren Hauptbeschäftigung Mord und Betrug sind, von ihnen vorzugsweise als „Krieg" und „Handeln" bezeichnet. Die drei Gewalten in Deutschland - so möchte ich einmal etwas polemisch sagen - sind die Plutokrative, die Bürokrative und die Exekutive. In Bayern gibt es eigentlich nur eine Gewalt, nämlich die Regislative. ({5}) Der inzwischen weit forgeschrittenen Destruktion der politischen Kultur steht in diesem Lande eine ebenso fortgeschrittene Zerstörung der Voraussetzungen zur Entfaltung eines umfassenden kulturellen Lebens gegenüber. Wenn Kultur - so verstehen wir sie - die Gesamtheit aller schöpferischen Lebensäußerungen unserer Gesellschaft ist, dann schließt sie auch Aspekte ein wie die wirkliche Gleichberechtigung der Frauen, das soziale Verhalten gegenüber den verschiedenen Minderheiten, den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen, die Sicherung und Gestaltung von Privatheit und Öffentlichkeit, neue Formen des Zusammenlebens und die Berücksichtigung neuer gesellschaftlicher Entwicklungen. ({6}) Wir wollen keine Welt der Surrogate, keine Plastikmöbel, keine Margarine, keine Verkabelung und keine maschinenlesbaren Bürger, keine Kontaktbereichsschnüffler und keinen Politiker, vor allen Dingen keinen Hamburger Bürgermeister, der bestimmt, was Kultur zu sein hat. Was wir dringend brauchen, das sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ganz neuer Art für die kulturell Schaffenden wie für die anderen Menschen in einem neuen Sinn, nämlich auf Dauer. Das, was wir dringend brauchen, ist die soziale Absicherung der Kulturschaffenden oberhalb des Existenzminimums. Können Sie, Herr Dregger, wirklich nachfühlen, was echte Sozialfälle - nicht die geradezu zynisch konstruierten Sozialfälle dieser Tage - bedeuten, wie Menschen, junge und noch mehr ältere Künstler, Männer und besonders Frauen in der ohnehin vorhandenen Arbeitslosigkeit ihr aussichtsloses Schicksal erkennen und verkraften müssen? Wir brauchen keine Mammutgedenkstätte in der Größe von vier Fußballfeldern für Kranzniederlegungen in Bonn. Ich möchte da ausdrücklich dem zustimmen, was der Herr Conradi zu diesem Thema vorhin ausgeführt hat. ({7}) Wir brauchen dafür, Herr Kansy, endlich eine Bewältigung so mancher nationalsozialistischen Gesinnungsbollwerke in diesem unserem Lande. Wenn wir ein „Haus der Geschichte" wollen, dann eines, das die Geschichte vor 1945 nicht ausklammert. Wir brauchen nicht Maßregelung der Goethe-Institute, sondern deren großzügige Unterstützung bei voller Gestaltungsfreiheit der Betreiber und Rücksicht auf die Kultur der Gastländer. Wir brauchen Menschen wie Naegeli, die den grauen Beton, ({8}) wenn er schon leider nicht brennt, ein bißchen farbig und so erträglicher machen. Solche Menschen wie Herr Naegeli gehören nicht ins Gefängnis, sondern in die Regierung. ({9}) Die Menschen im Lande haben - entgegen den elitären, pseudokulturellen Intentionen der Mächtigen - diese Aspekte längst erkannt und berücksichtigt. Die Kultur der Menschen hier hat sich nicht wegen, sondern trotz dieser Almosenpolitik entwickelt. ({10}) Nicht diese Gesellschaft, sondern diese Bundesregierung muß ihr Kulturverständnis korrigieren. Hören Sie endlich auf, von unten wachsende Kultur zu bedrohen, und begreifen Sie Ihre soziale Verpflichtung jedem einzelnen Menschen gegenüber als fundamentalen kulturellen Anspruch! Die Kultur, die machen wir dann schon selber. Vielen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wex.

Dr. Helga Wex (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002495, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nur natürlich, daß das Führen einer Kulturdebatte nach so langer Zeit große Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt hat. Wenn diese Erwartungen nicht alle voll erfüllt werden können, kann das angesichts dieser schwierigen Probleme nicht verwundern. Zumindest aber sollte diese Debatte neugierig machen, neugierig auf die nächste Debatte, nicht erst in 50 Jahren, sondern dann, wenn z. B. die Bundesregierung ihren angekündigten Bericht über ein kulturfreundliches Steuerrecht noch im Laufe dieser Legislaturperiode vorlegt. Diese Aussage der Regierung stellt eine politische Bindung dar, und ich sehe in der heutigen Debatte den Ausgangspunkt einer intensiven Diskussion, in der verschiedene kulturelle Entwicklungen behandelt werden müssen. Im übrigen wird sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihren kulturpolitischen Symposien wichtigen Problemen weiterhin öffentlich stellen. Herr Duve hat versucht, die Bereitschaft der Bundesregierung zu Kontinuität in der Kulturpolitik abzuwerten. Warum das alles? Warum können Sie nicht anerkennen? Anerkennung ist auch eine Form von Kultur. ({0}) Warum ist das alles so ärmlich? Perspektiven zu entwickeln ist Kultur. Das können doch die Künstler von uns erwarten: harte und solide Arbeit an der Verbesserung ihrer Situation. Polemik ist doch kein Programm, es sei denn, daß sie auch auf diesem Gebiet ein Prinzip werden soll. ({1}) Ich denke, ich spreche im Namen des gesamten Bundestages - darüber sollten wir uns einig sein -, wenn ich allen Künstlern danke, die seit 1945 einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, das Ansehen Deutschlands in der Welt wiederherzustellen. ({2}) Die Bundesregierung hat mit den umfangreichen Antworten auf die Große Anfrage sowohl der Koalitionsfraktionen als auch der SPD zum erstenmal von seiten des Bundes eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Aktivitäten und der zukünftigen Möglichkeiten vorgelegt. Wir sagen den an der Beantwortung der Anfragen beteiligten Häusern unseren Dank. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kulturstaat, und zwar ein föderalistischer. Gemeinden und Länder zeigen durch ihre vielfältigen Aktivitäten tagtäglich aufs neue, wie ernst sie diese Aufgabe nehmen. Aber Kultur ist kein Wert an sich. Es gibt unverwechselbare Elemente, die einen Kulturstaat auszeichnen. Dazu gehören ganz sicherlich die Grundrechte, die jedem Menschen zustehen, z. B. der Schutz der Person, die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Wie immer man Kultur definieren mag: Daß in einem demokratisch organisierten Staatswesen Kultur und Freiheit einander bedingen und unerläßliche, sich bedingende Größen sind, kann nicht bezweifelt werden, Wie immer im einzelnen man sich kulturellen Fragen, Aufgaben und Pflichten stellen mag - über ihnen allen steht die Verpflichtung zur Freiheit, womit nicht etwa mit dem Dichter ein „leerer Wahn" bezeichnet ist, sondern eine praktische Größe. Will sagen: Der Staat hat sich nicht nur jeder Gängelung, Regelung, Beeinflussung und Steuerung von Kultur zu enthalten, sondern er hat sie zu fördern und zu schützen, selbst da, wo ihre Ausdrucksformen ihn irritieren. ({3}) Die einfachste Antwort auf die Frage, was einen Kulturstaat auszeichnet, lautet: Ein Kulturstaat charakterisiert sich durch seine souveräne Liberalität gegenüber jeder künstlerischen Äußerung und durch den Willen, ihr nicht nur nicht in den Arm zu fallen, sondern, wo nötig, diesen Arm auch noch zu stützen. ({4}) Kultur dient nicht der Verklärung oder der Verherrlichung des Staates, sondern jener Staat verherrlicht sich souverän, der die kulturelle Substanz der Nation nach allen Kräften stärkt und mehrt. In dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen haben wir das so formuliert: Kultur und Freiheit gehören in einem demokratisch organisierten Staatswesen wie der Bundesrepublik Deutschland zusammen. Es ist Aufgabe des demokratischen Staates, den Freiraum für kulturelle Leistungen zu sichern. Seine Förderungspolitik dient diesem Ziel. Die Frage nach der Verantwortung des Künstlers für das Gemeinwesen ist heikel; denn man wird einem Künstler, der sich nur auf die Kunst als einzige für ihn entscheidende Instanz beruft, schwer plausibel machen können, daß er darüber hinaus ein höheres Maß von Verantwortung trägt. Dennoch ist diese Frage von Gewicht und darf nicht leichtfertig ignoriert werden. Ob Künstler die Welt - also das Leben - verändern können, ist eine seit langem heftig erörterte und zuallermeist mit melancholischer Resignation beantwortete Frage. Ganz anders, wenn man den Bereich des Denkens erwägt. Um nur unsere eigene Kulturzone abzustecken: Von der Theologie des frühen Christentums über die Theologie und die Philosophie des hohen Mittelalters bis hin zur Philosophie der Aufklärung und der Gedankenwelt Hegels und Marx' ist die geschichtsbewegende Kraft des Denkens evident. In solchem Sinne ist zu fordern, daß sich der Kulturschaffende der Pflicht des Aussprechens mit extremer Präzision bewußt sein muß. Daß solchen Spekulationen durch die Begrenzung der menschlichen Voraussichtskraft Grenzen gesetzt sind, ist ebenso deutlich wei die Verpflichtung, die Wirkung des jeweils Schaffenden mit einzubeziehen. In solchem Sinne hat auch ein Künstler demokratische Verpflichtung, d. h. er hat sich über die möglichen Folgen seines Tuns für das Gemeinwohl im klaren zu sein. Das nenne ich seine demokratische Funktion. Die Charakterisierung des Kulturstaates kann sich nicht damit begnügen, auf bestimmte kulturelle Traditionen von der Antike über das Mittelalter bis zur Gegenwart hinzuweisen. Damit wäre der Anspruch eines solchen Begriffs nur unvollkommen erfüllt. Das folgende Zitat mag mittlerweile halbwegs zu Tode zitiert worden sein, dennoch verdient es, mit aller Unmittelbarkeit begriffen und ergriffen zu werden. Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Will sagen: Jede Berufung auf geleistete Werte ist nichtig, wenn man sich dieser Werte nicht tätig würdig zeigt. Ein Vorgang, der bis in die Details des alltäglichen und praktischen Lebens geht. Die Beschäftigung mit Kultur vermittelt Werte, die für eine Gesellschaft notwendig sind, in der persönliche Verantwortung mehr gilt als die Allzuständigkeit des Staates, in der es auch darum geht, sich wieder auf die eigene Kraft zu besinnen. Damit der einzelne selbstverantwortlich handeln kann, sind Werte und Eigenschaften unerläßlich, die gerade in der Beschäftigung mit Kultur vermittelt werden: Individualität, Gestaltungswille, Entscheidungsfreude, Risikobereitschaft - im übrigen Eigenschaften, die jeden auszeichnen sollten. Hier liegt auch der Wert der zahlreichen Modellvorhaben, „Bildung und Kultur" miteinander zu verbinden. Wir ermutigen die Bundesregierung, die Länder und die Gemeinden, ihre Anstrengungen auf diesem Feld zu verstärken. Schriftsteller, Musiker, bildende Künstler - alle erbringen eine gesellschaftspolitisch wichtige Leistung, weit über den Rahmen des Kulturellen hinaus. Darum haben der Staat und die Gesellschaft auch eine Verantwortung für den Künstler - dies nicht nur im ideellen Sinne -, ihm die Freiheit für seine Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern. Es ist auch notwendig, die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten; daß der Künstler als Teil der Volkswirtschaft nicht über Gebühr benachteiligt wird. ({5}) Wir brauchen ein Steuerrecht, das Kunst und Kultur nicht benachteiligt, sondern fördert. Die Bundesregierung hat zu diesen Fragen zwar keine in Einzelheiten erschöpfende, aber eine befriedigende Antwort gegeben. Wir begrüßen die Zusage der Bundesregierung, in einzelnen steuerlichen Fragen noch in dieser Legislaturperiode tätig zu werden. Dies ist der richtige Weg, auf dem weiter vorangegangen werden muß. Darum schlagen die Koalitionsfraktionen in ihrem Entschließungsantrag auch vor, zusammen mit einem Bericht über ein kulturfreundliches Steuerrecht auch einen mit den Ländern abgestimmten steuerpolitischen Stufenplan vorzulegen. ({6}) Kultur gibt es nicht zum Nulltarif. Darum ist es auch ein Akt der Gerechtigkeit, alt gewordene Künstler so abzusichern, daß sie in ihrer Menschenwürde nicht verletzt werden. ({7}) Eine Kunst, die im wahrsten Sinne des Wortes brotlos bleibt, klagt eine Nation an, die zu Recht auf ihr kulturelles Erbe stolz ist. Wie die Bundesregierung in ihren Antworten ausführt, leiden ältere Künstler aber nicht nur an materieller Not, sondern ebenso an dem Gefühl, vergessen worden zu sein. In diesen Fällen ist es nicht allein der Staat, der gefordert ist, sondern ebenso die Solidarität der erfolgreichen Künstler und derjenigen, die mit diesen Künstlern in besseren Zeiten Geld verdient haben. Bei dem Begriff „kulturelles Erbe" denken wir an Schiller, Goethe, Tucholsky, Beethoven und Mahler, aber auch an die gefährdeten Denkmäler, die unter dem sauren Regen ihre Gestalt verändern und die, wenn nichts geschieht, bereits in kurzer Zeit als Kulturdenkmäler nicht mehr zu erkennen sein werden. ({8}) Mit gutem Gewissen geben wir heute viel Geld aus, um diese Kunstwerke zu erhalten, alte Stadtkerne zu sanieren, Denkmäler des Industriezeitalters wie alte Fabriken zu erhalten. Beschlüsse für den Umweltschutz werden so zu einem wichtigen Bereich der Kulturpolitik. Die Bundesregierung hat zu Recht auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Es spricht für den wachen Bürgersinn, wenn sich Menschen zusammenschließen, um einen Barockgarten zu retten, wenn sie sich zusammentun, um eine Oper wiederaufzubauen oder ein Theater vor dem Verfall zu retten. Dies sind Zeichen dafür, daß die Menschen ohne eine kulturelle Vergangenheit nicht leben wollen. Ganz unspektakulär erweisen sich viele Menschen als Menschen mit Sinn für ihre Vergangenheit, die sie erhalten wollen. Was ihnen Heimat ist, ist nicht das Heimatgefühl, das sich bedeutenden patriotisch-vaterländischen Leistungen im Stil der Epoche des Nationalstaats zuwendet, sondern es ist dies die heimatliche Kultur, die dem Menschen Identität gibt. Insofern ist auch die Lust an der Mundart ein Stück Kultur, die Lust an der Folklore. Das gilt es insbesondere in einer Zeit zu bewahren, in der manche bereits von einer durch die neuen Medien möglich gewordenen Weltkultur sprechen. Eine solche Weltkultur ist nicht in Sicht. Sie wird auch so bald nicht kommen. Auch die enormen technischen Möglichkeiten können nicht überdecken, daß die Kulturen Afrikas, Lateinamerikas, Asiens und Europas eigene Kulturbereiche bleiben werden. Die Bewahrung der eigenen Kultur ist eine wichtige Voraussetzung, um wirtschaftlich und politisch in Europa enger zusammenzurücken. Europa wird es nie als ein künstliches Gebilde geben, sondern nur durch einen Zusammenschluß von Völkern, die ihre Identität bewahrt haben. ({9}) Die Nationalstiftung zu fördern, ein Haus der Geschichte in Bonn zu errichten - diese Bemühungen der Bundesregierung sind wichtige Schritte, um kulturelles Erbe zu bewahren, das wir im übrigen mit den Menschen im anderen Teil unseres Vaterlands gemeinsam haben und das sich immer mehr zu einer starken Bindung zwischen den Menschen in beiden deutschen Staaten entwickelt. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, zu einem Kulturabkommen mit der DDR zu gelangen. Zur Kultur gehören die einfachen Kulturfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen. Wenn neuerdings die Technische Hochschule Aachen - wie im übrigen auch andere Universitäten - Deutschkurse für Deutsche anbietet, zu denen sich auch Germanisten anmelden, wenn Volkshochschulen überlaufen sind, weil sie erwachsenen deutschen Bürgern Lesen und Schreiben in ihrer Muttersprache beibringen, wenn die Zahl der Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland auf 3 Millionen Menschen geschätzt wird, ({10}) wenn nur jeder dritte Bundesbürger ein Buch liest - d. h. so viele Menschen wie vor zwanzig Jahren, obwohl 1964 nur jeder 20., heute aber jeder 4. Jugendliche auf eine höhere Schule geht -, ist dies ein Zeichen dafür, daß vielen Mitbürgern die einfachsten Kulturfähigkeiten abhanden gekommen sind. Ich möchte dies nicht als ein Zeichen kulturellen Niedergangs bewerten, aber ganz sicher sind das Warnsignale. So hat die Aufhebung der Klassenstrukturen mit dem Abwählen schwieriger Fächer sicher zu einer Verengung von Wissen und Lebenserfahrung beigetragen. Bildung hat kulturellen Wert, auch im Zeitalter des Computers. Der Computer setzt Lernen und Denken voraus, wenn verhindert werden soll, daß gerade junge Menschen dadurch verarmen, daß sie zu früh die Computersprache erlernen, und zwar noch bevor sie den richtigen Umgang mit der deutschen Sprache glernt haben. Der Computer kann die Bildung nicht ersetzen; er kann sie allenfalls ergänzen. Die Bundesregierung ist in ihrer Antwort offen auf die geistig-kulturellen Auswirkungen neuer Technologien eingegangen. Auch sie sieht mögliche Gefahren, aber diese sind beherrschbar, wenn wir sie rechtzeitig erkennen. ({11}) Die Frankfurter Buchmesse hat mit den Ausführungen von Neil Postman bei der Eröffnung interessante Bemerkungen über die nivellierende und entmündigende Wirkung des Fernsehens eingebracht. Ich gehe nicht so weit, wenn ich auch zustimme: Einheitskultur ist exakt das Gegenteil von Kultur. Aber ich frage doch: Wo nimmt das Fernsehen heute noch seine kulturelle Funktion, seine erzieherische Funktion wahr? ({12}) - Herr Duve, wer die kulturelle Funktion des Fernsehens heute erfahren will, muß vor allem genügend Zeit haben, morgens auszuschlafen. Ein vertieftes Verständnis vom Leben durch Begegnung mit Kunst und Kultur, das Kulturelle des Gemeinwesens als wichtiger Gradmesser für seine Freiheit, seine Toleranz gegenüber Kritik und seinen geistigen Reichtum; es kann nicht oft genug betont werden: Kultur und Freiheit sind reziproke, komplementäre und einander bedingende Größen. Was aber, so ist zu fragen, kann Kultur dazu beitragen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen? Es ist wahr: Unmittelbar kann Kultur offenbar nichts dazu beitragen, den Frieden zu bewahren, die Umwelt zu retten, den Hunger in der Dritten Welt zu stillen, die dritte industrielle Revolution in sinnvolle Bahnen zu lenken. Und doch ist wahr, daß all dies sinnvoll nur auf der Matrix eines kulturellen Bewußtseins geschehen kann, das jedoch nichts anderes bedeutet, als mit Hilfe geistig-künstlerischer Leistungen die Möglichkeiten des Menschen zu erkennen, und zwar die Möglichkeiten im Bösen wie im Guten. Kunst und Kultur sind immer Herausforderungen, sie bedeuten immer eine Erprobung des Menschen und seiner Fähigkeiten, sie führen ihn immer ein Stück über die Grenzen hinaus, innerhalb derer er bisher verharrte. In solchem Sinne wird eine Kulturnation, die diesen Namen verdient, auch zur Bewältigung der großen sozialen, ökonomischen und ökologischen Aufgaben unserer Jahrzehnte besser gerüstet sein als eine sich nicht der Kultur verpflichtet wissende Gemeinschaft. Denn nach wie vor gilt: Einer Nation kommt jenes Maß an Achtung und Würde zu, das sie ihrerseits dem Bereich des Geistes, der Kunst und der Kultur einzuräumen bereit ist. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Mitstreiter im Weinberg der Kultur! ({0}) - Sowieso, immer einbegriffen. - Ich grüße Sie besonders herzlich, liebe Kolleginnen und Mitstreiterinnen im Weinberg der Kultur. Die Debatte über die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage aller Fraktionen wird - und das hat die Debatte auch bisher schon ergeben - dann weiterführenden politischen Nutzen bringen, wenn wir dabei klare politische Akzente setzen. So verstanden möchte ich nun meinen Beitrag zu den Antworten der Bundesregierung, die den Bereich der auswärtigen Kulturpolitik betreffen, neben Zustimmung und Übereinstimmung, auch ausdrücklicher Anerkennung, doch auch mit einigen Fragezeichen versehen und auch einige kritische Anmerkungen dazu machen. Meine kurze Redezeit ist leider zu kostbar, um Übereinstimmungen pausenlos zu wiederholen. Mein erstes Fragezeichen: Ist der Bundesregierung eigentlich bewußt, welch ein kostbares Instrument zwischenmenschlicher, zwischengesellschaftlicher und zwischenkultureller Begegnungen mit der Pflege und Förderung weltweiter Kulturbeziehungen zur Verfügung steht? ({1}) Aus dem Wortlaut der Antworten zu diesem Fragenkomplex kann ich das leider nicht entnehmen. ({2}) Allerdings hätten wir hier eine große Tradition. Ich habe das noch einmal studiert. Schon 1912 hat der bekannte Historiker Karl Lamprecht in Heidelberg auf einem Historiker-Kongreß gesagt: Die Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik trägt in die weitesten Gebiete der menschheitlichen Entwicklung, nicht bloß der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit und Zukunft. Die Nation, - so fährt er fort die diesen Weg zuerst mit Entschiedenheit betritt, wird sich einen wichtigen Vorsprung für die große Aufgabe der Regelungen internationaler Freundschaften und Zusammenhänge verschafft haben. Eine wahrhaft weit vorausblickende Erkenntnis. Aber ist sich die Bundesregierung in diesem Sinne bewußt, daß sich dieses Instrument eben doch nicht im Management von Schulen und Sprachkursen von Goethe-Instituten und Austauschprogrammen, von Kulturexport und ein ganz klein bißchen Kulturimport erschöpft? Wir haben in der Antwort der Bundesregierung, abgesehen von einigen etwas weniger verbindlichen Beteuerungen, einen Hinweis auf diese, die eigentliche Bedeutung und auf die Chancen vielfältiger weltweiter kultureller Begegnungen und Verständigungen doch sehr vermißt. ({3}) Vermeiden wir, meine Damen und Herren, die Vermutung, daß die Pflege weltweiter Kulturbeziehungen nach wie vor doch eher nur ein fünftes Rad unserer Außenpolitik ist, statt deren dritte Dimension! Theodor Heuß, unser großer Liberaler der Nachkriegszeit, dessen 100. Geburtstag wir Anfang dieses Jahres mit vielen und auch sehr guten Reden gefeiert haben, hat ja nicht ohne Grund einen Beirat beim Auswärtigen Amt, besetzt mit hochkarätigen Repräsentanten des kulturellen Lebens, berufen und diesem Beirat als Bundespräsident vorgesessen. Weshalb haben wir einen solchen Beirat, der übrigens vom Parlament in der Enquete-Kommission auch gefordert wurde, immer noch nicht wieder eingesetzt? Und wo bleibt das Prinzip der Gegenseitigkeit und der Gleichberechtigung in unseren Kulturbeziehungen? Und wieder war es Theodor Heuß, der schon 1951 bei der Wiedereröffnung ,des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen festgestellt hat: Die Förderung kultureller Auslandsbeziehungen, das heißt freudiges Geben und Nehmen. Weltluft, das heißt Offensein, zu spüren, daß die Luft aus allen Richtungen kommt, aus West und Ost, aus Nord und Süd. ({4}) Meine Damen und Herren, dieses Öffnen für die Welt des Geistes und seiner schöpferischen Kräfte, dieses freudige „Geben und Nehmen" und diese Art des kulturellen Weltverständnisses sind damals wie heute das erklärte Ziel liberaler Kulturpolitik. Das zweite Fragezeichen betrifft unsere Zweifel, ob die derzeitige Organisation und Zuordnung der einzelnen Aufgabenbereiche in der auswärtigen Kulturpolitik noch optimal und geeignet sind, am Ende auch zu einem einigermaßen stimmigen Gesamtkonzept zu führen. Stimmen denn die Proportionen der Aufgaben und Ausgaben innerhalb unseres auswärtigen Kulturetats überhaupt noch? Sind es in Wirklichkeit nicht immer noch weit über 90 % der Mittel, die in den Kulturexport gehen, dem wir ja im wesentlichen, jedenfalls als einseitigem Instrument, abgeschworen haben? Sind es beim Kulturexport nicht überwiegend Personalausgaben? Ist es nicht so, daß wir nun schrittweise auch bei der Finanzierung zu einem ausgewogenen Geben und Nehmen kommen sollten? Das erklärte Ziel der Gegenseitigkeit schlägt sich jedenfalls in diesem Kulturetat leider noch nicht ausreichend nieder. Wie sollen wir beispielsweise - wir haben das j a gestern in der Fragestunde geklärt - mit insgesamt nur 2 Millionen DM auch nur einen minimalen glaubwürdigen Beitrag leisten, um den Entwicklungsländern zu helfen, ihre eigene kulturelle Identität zu finden? Wir müssen doch angesichts der feierlichen Erklärungen, die beispielsweise Bundesminister Genscher vor den Vereinten Nationen abgegeben hat, beträchtlich zulegen, um glaubwürdig zu sein. ({5}) Damit komme ich zu dem dritten Fragezeichen; das betrifft die offenkundige Diskrepanz zwischen unseren Postulaten und den Realitäten. Ich will hierfür nur ein Beispiel anführen, das mir wichtig ist. Liebe Kollegen, wir nennen unsere Auslandsschulen stolz Begegnungsschulen. Ich bitte Sie alle, einmal in unseren Begegnungsschulen hineinzuschauen, wenn Sie auf Reisen sind. Stellen Sie bitte einmal fest, ob hier wirklich kultureller Austausch stattfindet, ob es wirklich menschliche Begegnung gibt. ({6}) Man muß ja leider so oft feststellen, daß eher das Gegenteil der Fall ist. Es gibt teilweise getrennte Lehrerzimmer, die Kinder werden getrennt unterrichtet, es gibt keine gemeinsamen Veranstaltungen; das ist sogar in unseren europäischen Schulen zu beklagen, meine Damen und Herren. Es gibt einzelne Sektionen, die sich nicht einmal in der Pause sehen, geschweige denn bei Feiern. ({7}) Dabei ist es doch wichtig, gerade in jungen Jahren die Erfahrung der Begegnung mit der Sprache und der Kultur eines anderen Landes zu machen, denn das ist ausschlaggebend dafür, daß unser Europa endlich auch eine kulturelle Dimension erhält. ({8}) Ich möchte jetzt noch drei Anmerkungen machen, in denen ich meine kritische Sympathie für das Gesamtvorhaben zum Ausdruck bringen möchte. Ich möchte zuerst einmal auf die Diskrepanz zwischen der Regierungserklärung - in der j a ausdrücklich betont wurde, daß die Förderung der deutschen Sprache und die Förderung der Auslandsschulen ein Schwerpunkt unserer Regierungsarbeit sein soll - und deren Umsetzung in konkrete Maßnahmen zu sprechen kommen. Wo bleibt denn nun die so oft angekündigte Fortschreibung des Sprachatlasses? Was tun wir eigentlich, um die überfüllten Sprachkurse der Goethe-Institute nun wirklich zu entlasten und ihnen pädagogische Verbindungsarbeit besser als bisher möglich zu machen? Statt so viel Gedanken und Schweiß in Reglementierungserlasse für Goethe-Institute zu investieren, hätte man hier wirklich in anderer Weise aktiv werden können. ({9}) Zu den Fortschritten in der europäischen kulturellen Zusammenarbeit: Die Bundesregierung ist zwar auf diesem Felde tätig, aber hier fehlt es ja nun wirklich an der Unterstützung. Liebe Kollegen, ist es nicht ein Trauerspiel, daß wir es nach so vielen Jahrzehnten noch nicht einmal geschafft haben, daß die Studiengänge und die Studienabschlüsse in unseren europäischen Nachbarländern äquivalent sind? ({10}) Das ist nun ein Prüfstein all dessen, was wir an feierlichen Jubiläumstagen zu hören bekommen. Unser Bürger nimmt uns das eben auch nicht mehr ab. Eine Folge ist die Wahlmüdigkeit, weil die Bürger gerade da Fortschritte vermissen, wo Europa sichtbar und erlebbar wird. ({11}) Meine Damen und Herren, es besteht die einzigartige Chance der Gemeinschaft, im Rahmen des Lomé-Abkommens auch einen Teil soziokultureller Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu entwickeln; denn viele der wirtschaftlichen Projekte kranken daran, daß gerade die sozio-kulturelle Komponente zu kurz kommt und die kulturelle Entfremdung der Entwicklungsländer doch offenkundig ist. Meine Damen und Herren, eine dritte Anmerkung betrifft die Koordinierung und die Kooperation zwischen der wirklich schier endlosen Zahl der Ministerien, Einrichtungen und Organisationen, die alle mit der auswärtigen Kulturpolitik zu tun haben. Sie erwähnen in Ihrer Antwort den interministeriellen Abteilungsleiterausschuß. Ich würde gerne einmal einen Bericht über die Tätigkeit dieses Ausschusses sehen, aus dem hervorgeht, was dort in all den vielen Jahren der Existenz dieses Ausschusses wirklich ein einziges Mal koordiniert wurde und wo Kooperation eigentlich eingesetzt hat. ({12}) Zum Schluß drei Wünsche. Wir sind j a jetzt in der Weihnachtszeit. Dann darf man zum Schluß einen kleinen Wunschzettel vortragen. ({13}) - Doch. Wir dürfen schon ein bißchen. Erst müssen wir büßen, und dann dürfen wir Wunschzettel schreiben. Erster Wunsch: der Kulturhaushalt 1986. Meine Damen und Herren, in den letzten zwei Jahren gab es einen erschreckenden finanziellen Einbruch. Die Bundesregierung hat auf der letzten Seite der Antwort dankenswerterweise eine schöne Tabelle aufgestellt, in der der finanzielle Einbruch deutlich wird. Wie kann man die Aufgaben denn dann so erfüllen, wie sie beschrieben werden? Wir müssen 1986 - und wir erwarten das von der Bundesregierung - wieder einen deutlichen finanziellen Aufwärtstrend im Haushalt nachweisen können, und zwar mit den Schwerpunkten der Regierungserklärung: Sprachförderung, Schulentwicklung und Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt. Wir werden das sorgfältig beobachten, liebe Kollegen. Wir sind dabei ja ganz gut. Der zweite Wunsch richtet sich an alle Mitarbeiter im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, denen ich ganz ausdrücklich im Namen meiner Freunde, meiner Fraktion, für ihre Tätigkeit danken möchte. ({14}) Ich möchte sie ermutigen, ihre Aufgabe als eine schöpferische Aufgabe zu sehen. Die Vielfalt der Kulturen, der Reichtum des kulturellen Erbes, die schöpferischen Begabungen und die beglückende Erfahrung des freudigen Gebens und Nehmens sollen wir einbringen in die tägliche Arbeit unserer deutschen Landsleute draußen im Ausland. Mein dritter Wunsch geht an uns alle. Meine Damen und Herren, auswärtige Kulturpolitik ist eben nicht nur und nicht einmal überwiegend eine administrative Aufgabe. Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause beim Umgang mit unseren ausländischen Mitbürgern und dem Respekt vor ihrer eigenen kulturellen Identität. ({15}) Die auswärtige Kulturpolitik beginnt bei der Behandlung ausländischer Studenten, die wir leider viel zuviel vernachlässigen. ({16}) Sie beginnt bei dem Interesse und dem Engagement für den kulturellen Reichtum in dieser Welt. Frau Kollegin Wex, unsere eigene Kultur ist ein wichtiger, fester Hort, in dem wir stehen. Aber ich glaube, wir müssen die Zentriertheit auf unsere eigene Kultur doch überwinden. ({17}) Das Verständnis für andere Völker und Kulturen ist meiner Überzeugung nach die Voraussetzung für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben und die Voraussetzung dafür, daß künftige Weltbürger auch Weltkulturbürger sein können. ({18}) Dahin, meine Damen und Herren, ist es noch ein weiter Weg, und ich möchte hoffen, daß diese Debatte dazu beiträgt, daß wir auf diesem Weg ein gutes Stück vorankommen. Herzlichen Dank. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus Herr Dr. Maier. ({0}) Staatsminister Dr. Maier ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es in dieser Debatte um Kultur, Kulturförderung, Kulturpolitik geht, dann haben auch die Länder ganz selbstverständlich ein gewichtiges Wort mitzureden, und so darf sich die Bundesratsbank bei diesem Thema mit Fug und Recht zu Wort melden; denn die Länder sind in Sachen Kulturpolitik Regierung. Das Grundgesetz weist ihnen die Kulturhoheit zu, und der ganz überwiegende Teil der Kulturausgaben fließt aus Länderetats. Theater, Orchester, Museen, Bibliotheken, moderne Kunst- und Musikproduktionen, kurz, alles, was sich nicht selber trägt, was der Stützung, der Subvention bedarf, wird von den Länder unterstützt und unterhalten. Und nicht nur von den Ländern: Wir wollen bei dieser Debatte die unschätzbaren Leistungen der Kommunen nicht vergessen, ({2}) der Landkreise, der kulturträchtigen Sondergebilde, wie Landschaften, Landschaftsverbände und Bezirke. Die deutsche Kultur ist eben kein hierarchisches Gebilde aus Unten und Oben, wo im Land draußen die Massen in provinzieller Einfalt „bei den Harmonikas der Knechte" hocken ({3}), während in den Metropolen einsame Eliten für die Ewigkeit denken und dichten. ({4}) Diese Kultur war immer durch vielfältige Mischungen des Volkstümlichen und des Urbanen gekennzeichnet, durch Dezentralisierung ohne Qualitätseinbußen, durch Regionalismus ohne Provinzialität. Man kann in Deutschland vorzügliches Theater nicht nur in Berlin, übrigens auch in Bonn, sondern auch in Sommershausen sehen, ({5}) exzellente Musik nicht nur in München, sondern auch in Schwetzingen hören, Bibliotheken von Staatsminister Dr. Maier ({6}) Weltruf nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Wolfenbüttel benutzen, unverwechselbare Museen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Altona und in Michelau erleben. ({7}) Das unterscheidet unsere Kultur von der Kultur zentralisierter Staaten, wo sich das meiste in den Hauptstädten abspielt und wo alle kulturellen Kräfte vom Land in die Hauptstädte drängen. Nun hat, meine Damen und Herren, in den letzten Jahren der Bund ohne Frage seine kulturfördernde Tätigkeit, die bisher mehr subsidiärer, ergänzender Natur war, verstärkt. Die Stichworte sind in dieser Debatte vielfältig genannt worden; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Die Länder sahen diese neue Aktivität manchmal mit einem gewissen Stirnrunzeln, mit ähnlichen Gefühlen, wie sie kinderreiche, hart sich plagende Eltern empfinden, wenn ein begüterter Onkel von Zeit zu Zeit vorbeikommt und auf den mühsam mit Brot gefüllten Tisch Schokolade und kostbare Desserts stellt. ({8}) Den Kindern macht so etwas natürlich Spaß, die Eltern aber ärgern sich und meinen vielleicht, statt spektakulärer, seltener Extras hätte uns der Onkel oder die Tante auch mehr Geld zur Aufbesserung der täglichen Hausmannskost geben können. In die Sprache der Kulturpolitik von Bund und Ländern übersetzt: Statt die Spitzenförderung von Kunst und Kultur zu übernehmen, stünde es dem Bund auch frei, durch Steuerentlastungen die Länder in die Lage zu versetzern, mehr, noch mehr für Kunst und Kultur zu tun. ({9}) Auf die Dauer kann man ja von Schokolade allein nicht leben, wenn nicht reichlich tägliches Brot dazukommt. ({10}) - Ich komme auf all das noch zurück. Das verstärkte kulturpolitische Engagement des Bundes hat gewiß verschiedene Gründe, und ich verkenne nicht, daß hier ein komplexer Tatbestand vorliegt und daß auch die Länder an der eingetretenen Lage ganz und gar nicht unschuldig sind. Nehmen wir ein harmloses Beispiel: die Denkmalpflege. Es war den Ländern nicht möglich, 1975 ein gemeinsames Instrument zur Organisation des Europäischen Denkmalschutzjahres zu schaffen, vielleicht auch deswegen nicht, weil sie dem Gerede von angeblichen Grauzonen, unkontrollierbaren dritten Ebenen mit soviel Respekt und soviel Selbstzweifeln begegnet sind. Und so entstand das Nationalkomitee für Denkmalschutz, das j a in der Antwort der Bundesregierung gewürdigt wird, mit maßgebender Mitwirkung des Bundes - eigentlich ein Unikum, weil ein Länderminister Vorsitzender ist und die Geschäftsstelle beim Bund liegt. Oder die Musikförderung! Ich habe seit den 60er Jahren immer wieder Klage darüber geführt, daß es den Ländern nicht möglich war, die Programme des Deutschen Musikrates tatkräftig zu verwirklichen. Schließlich haben wir Deutschen die musikalische Führungsrolle in den letzten 30 Jahren nicht zufällig und nicht unverschuldet eingebüßt. Kann ich mich also, soll ich mich also im Ernst darüber beklagen, daß der Bund beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, durch Leistungswettbewerbe, durch ein Bundesjugendorchester, durch die Unterstützung von Spitzenleistungen ein Stück Terrain auf diesem Gebiet zurückzugewinnen - ein Bemühen, bei dem ihm zum Glück die Länder inzwischen gefolgt sind? Oder nehmen wir die Geschichte, das Geschichtsbewußtsein! Kein Zweifel, daß es in Schulen, in Museen, bei Gedenkstätten im bürgerlichen wie im politischen Leben ein Fundament dessen darstellt, was wir unsere gemeinsame Kultur nennen. Wie aber, wenn die meisten deutschen Länder in einem Augenblick der Verblendung - ich hoffe, es war nur ein Augenblick, und er geht zu Ende - die Geschichte als eigenständiges Unterrichtsfach in den Schulen abschaffen? Können diese Länder dann noch ersthaft protestieren, wenn der Bund ein „Haus der deutschen Geschichte" in der Bundeshauptstadt errichten will ({11}) und wenn der Bund auch sonst Maßnahmen zur Stärkung und Schärfung des historischen Bewußtseins ergreift? Und so könnte man fortfahren. Wer die Verstöße des Bundes auf Länderseite beklagt, der muß auch das Vakuum sehen, das sie ausgelöst hat, ({12}) ein Vakuum nicht nur finanzieller, sondern auch kulturpolitischer Natur. Übrigens, Herr Duve: Wenn Ernst Albrecht und Franz Josef Strauß das Welfen-Evangeliar in Deutschland halten konnten, so haben sie damit auch dem geschichtlichen Selbstbewußtsein der Deutschen einen Dienst erwiesen, meine ich. ({13}) - Daß das mal den Fürsten gehört hat, ist kein Problem. Ein solches Kulturgut gehört aber dem deutschen Volk. Und unsere historische Kultur konstituiert sich nicht nur aus den weiß Gott wichtigen Beständen des 18. und 19. Jahrhunderts, sondern reicht weiter zurück. ({14}) Unsere Geschichte ist älter als die Aufklärung. ({15}) Staatsminister Dr. Maier ({16}) Nun muß sich, meine Damen und Herren, Kulturpolitik an der Verfassung orientieren. Das Grundgefüge der kulturpolitischen Kompetenzen und Aufgabenteilungen steht nicht zur Disposition. Auch die Zauberformel vom stillen Verfassungswandel gibt angesichts der klaren Sprache des Grundgesetzes und seiner Konkretisierung in vielen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts in unserer Sache wenig her. Versuchen wir also gemeinsam zu überlegen, Bund und Länder, wie die neuentstandenen Aktivitäten fortentwickelt und zugleich in einen Rahmen vernünftiger Kooperation gefaßt werden können, ohne ängstliche Abgrenzung, aber auch ohne Majorisierungswillen! Die Antwort der Bundesregierung bietet hierfür eine gute Grundlage. Dazu bedarf es der Kriterien, der Prinzipien. Einige möchte ich hier nennen in Übereinstimmung mit den unionsregierten Ländern; die anderen Länder sind herzlich eingeladen, sich anzuschließen. ({17}) Erstens. Wir stehen heute alle unter dem Eindruck, daß die Führung der DDR versucht, in nicht ungeschicktem Rückgriff auf nationale Traditonen unsere Geschichtssubstanz in ihre dirigierende Verwaltung zu nehmen. Beispiele gibt es viele, von enzyklopädischen Bemühungen um deutsche Geschichte und Literatur bis hin zur aktuellen Anwendung bei Gedenktagen, Festen, Paraden, in baulichen, literarischen und militärischen Demonstrationen. Hier wird die Geschichte als Einbahnstraße zum Sozialismus vorgestellt, die älteren historischen Phasen werden zu humanistisch-bürgerlichen Vorspielen der Gegenwart stilisiert, Luther und Goethe, vielleicht morgen auch Bismarck, zu Vorläufern und Vorboten marxistischer Zeiterfüllung umgedacht. ({18}) Die deutsche Geschichte, bei uns oft verschüttet in Rahmenrichtlinien und frostigem Strukturalismus: ({19}) Hier ist sie plötzlich wieder da, präsent, appelativ, auf Linie gebracht und zu politischer Mobilisierung dienstbar. Was liegt näher, als daß auch bei uns der Wunsch nach einem so einfachen, einleuchtenden, alles erklärbaren Geschichtsbild erwacht? Aber wir müssen der Versuchung widerstehen, uns von einer ideologischen und zentralistischen Auffassung der deutschen Geschichte ins Schlepptau nehmen zu lassen. ({20}) Wir müssen über unsere Geschichte sprechen, sie lebendig halten, mit ihr umgehen, auch über sie streiten; wir dürfen sie aber nicht zur Ikone, zum Andachtsbild erstarren lassen. ({21}) Vollends sollten wir nicht meinen, es gebe nur eine einzige, eine nationale Höhenlinie unserer Geschichte. Diese Geschichte ist, wie unsere Kultur, ein reiches Geflecht des Dynastischen, Landschaftlichen, Lokalen, Stammesmäßigen, nicht auf eine Formel zu bringen, allen Generalisierungen sich entziehend. Zum Glück hat ja nicht einmal die DDR-Kulturpolitik die kräftigen sächsischen, thüringischen, brandenburgischen, schlesischen Farben und Dialekte ganz verwischen können. ({22}) - Richtig. Wir freuen uns darüber. ({23}) Zweitens. Kulturförderung und Kulturpolitik des Bundes - und natürlich auch der Länder - sollten davon ausgehen, daß „das Deutsche" bei Bund und Ländern angesiedelt ist, niemals nur beim Bund allein oder bei den Ländern allein. Eine Binsenwahrheit, gewiß; aber manchmal muß man an sie erinnern, wenn beim Wort ,,deutsch" sogleich der Bund den Finger hebt, als sei er allein angesprochen. Kunst und Kultur „aus den deutschen Ländern" ist aber nicht einfach Landeskultur, Regionalkultur, Provinzialkultur. Oder will man Martin Walser einen alemannischen Heimatkünstler nennen, weil viele seiner Romane im Hegau und am Bodensee spielen? Arno Schmidt einen Heidedichter, weil er in Bargfeld wohnte? Böll einen rheinischen Lokalmatador, weil in seinen Geschichten die Kölner Domtürme nie weit entfernt sind? Ich zitiere den Verfassungsrechtler Udo Steiner mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten: Die Einordnung einer kulturellen Leistung, Veranstaltung oder Einrichtung als deutsch ({24}) ebenso wenig den Bund notwendig in die kulturelle ({25})Kompetenz ein wie ihr ({26}) gesamtstaatlicher Rang. Mit anderen Worten: Region ist in Deutschland nicht Provinz, Zentrale ist in Deutschland nicht Kultur, wenigstens nicht von selbst und nicht allein. ({27}) - Aber auch! Natürlich. Kulturelle Repräsentation des Gesamtstaats ist nur möglich im Rahmen des Gesamtstaats; Bonn und Berlin genügen dazu nicht, Nürnberg und München ebensowenig. Alles gehört zusammen, alles kann eben nicht an einem Ort konzentriert werden. Man muß es erfahren. Man kann es nicht zentralisieren. Auch eine Bundeskunst- oder -ausstellungshalle z. B. könnte für eine gesamtstaatliche Repräsentation unserer Kultur bestenfalls einen pädagogischen Einstieg bieten. ({28}) - Warum nicht? Ich hoffe, daß die dort bereitstehenden museumspädagogischen Animatoren den ausländischen Besuchern auch Appetit auf andere Städte und Kunstlandschaften machen. ({29}) Staatsminister Dr. Maier ({30}) Denn schon das was hier ganz in der Nähe Köln und Düsseldorf zu bieten haben, kann in Bonn j a nur ausschnitthaft repräsentiert werden. Drittens. Ich begrüße es sehr, daß sich der Gedanke der Nationalstiftung inzwischen - im Anschluß an Vorschläge von Lothar Späth - zu einer Kulturstiftung der Länder fortentwickelt hat. Der originären kulturpolitischen Verantwortung der Länder wird damit besser Rechnung getragen als mit dem ursprünglich geplanten Modell. Dem Bund steht der Eintritt frei; er ist, wie man hört, auch bereit, zumindest einen Teil seiner kulturfördernden Aktivitäten und Finanzen unter dieses gemeinsame Dach zu ziehen. Damit wäre ein möglicher Konfliktherd um Fondsbildung und Spitzenförderung ausgeräumt. Daß hier neue kooperative Formen, auch Mischfinanzierungen, entstehen, sollte uns nicht schrecken, wenn nur das Ergebnis der Entfaltung kultureller Kräfte zugute kommt. ({31}) - Im Augenblick ist eher der hessische Ministerpräsident in der Lage, nicht zustimmen zu können, weil er nicht darf. Der bayerische darf immer, ({32}) weil die Fraktion ihn trägt. ({33}) Man kann nur hoffen, daß der vernünftige Kompromiß, der hier gefunden wurde, nicht in neuen Blokkaden, diesmal zwischen den Ländern, untergeht. Diese Gefahr ist noch nicht völlig gebannt. Viertens. Wenn manchem Bundespolitiker die hier skizzierte Rolle des Bundes vielleicht zu karg, zu minimalistisch erscheinen sollte, so halte ich einen schlüssigen Trost bereit. ({34}) Für kulturfreundliche Taten des Bundes steht nämlich noch ein Feld fast unbegrenzter Möglichkeiten offen. Ich meine das Steuerrecht. ({35}) Hier herrschte lange großes Schweigen, im Unterschied zur ansehnlichen Stimmstärke des Bundes im Bereich kultureller Selbstdarstellung. Es soll anerkennend vermerkt werden, daß die Antwort der Bundesregierung jetzt einige bedächtige, kühle, klare Töne hören läßt, vor allem zum Stiftungssteuerrecht. ({36}) - Kühl. ({37}) Aber ich gestehe, daß das dort Gesagte mir noch zu vorsichtig ist und daß man jedenfalls in diesen Passagen den Bund als eifrig agilen Kulturförderer gar nicht wiedererkennen kann. Ich freue mich übrigens, daß nun auch die Länder die Initiative ergreifen. Ein soeben von RheinlandPfalz im Bundesrat eingebrachter Gesetzentwurf sieht vor, daß forschungsfördernde gemeinnützige Stiftungen künftig einen Teil ihrer Erträge, nämlich bis zu 25%, zur Aufstockung des Stiftungsvermögens verwenden dürfen. In zwei Punkten möchte ich hartnäckig bleiben. Die Erhaltung von Baudenkmälern hängt in vielen Fällen entscheidend davon ab, daß Aufwendungen zu ihrer Instandsetzung und Instandhaltung steuerlich begünstigt werden. Das ist seinerzeit interparlamentarisch hier in diesem Hause durchgesetzt worden. Die jetzt bestehenden und an sich ausreichenden Regelungen müssen deshalb nach meiner Meinung umbedingt erhalten werden. Ich hoffe, auch der Bundesbauminister ist dieser Meinung. Wir können ganz sicher beim Umbau des Bundesbaugesetzes eine neue Form finden, in der diese sehr begrüßenswerte Begünstigung erhalten bleibt. ({38}) Ferner kann der Übungsleiterfreibetrag als mögliches Modell für künstlerische Nebentätigkeit nach meiner Meinung kein Ersatz für die leider beseitigte Einkomensteuerermäßigung sein, ({39}) ganz abgesehen von der nicht eben befreienden psychologischen Wirkung dieser Parallelisierung von Sport und Kunst. ({40}) Ich fürchte, selbst sportlich engagierte Autoren wie der vor kurzem verstorbene Rudolf Hagelstange hätten verwundert den Kopf geschüttelt, wäre ihnen der sportliche Übungsleiter als letzter steuerlicher Orientierungspunkt für Künstler vor Auge gerückt worden. ({41}) Fünftens und zuletzt. Wir sollten auch in der Kulturförderung niemals alles auf eine einzige Karte setzen. Wir sollten mit vielen Karten spielen, will sagen: Wir sollten im Bundesstaat, im Föderalismus, ein produktives System der Vielfalt, des Wettbewerbs entdecken und nutzen. Der Himmel weiß, warum wir Deutschen unseren Föderalismus immer daran messen, wieviel Einheit er produziert. ({42}) Nordamerikaner, Kanadier, Schweizer, selbst Sowjetrussen lassen sich da viel unbefangener auf konkurrierende Pluralitäten ein. Schließlich sind alle bundesstaatlichen Systeme aus realen Verschiedenheiten der Sprache, Religion, Herkunft, Geschichte erwachsen. Diese Verschiedenheit zu bewahren, zu schützen, verfassungsmäßig zu sichern ist ihre Ratio, ihr Rechtfertigungsgrund. Wer den Föderalismus ausschließlich als einheitstiftendes, unitarisches, uniformierendes Element auffaßt und gelten läßt, der hätte ja gleich einen Einheitsstaat Staatsminister Dr. Maier ({43}) nach französischem, italienischem oder spanischen Mutter schaffen können. ({44}) Es ist nicht einzusehen, warum man kulturelle Vielgestaltigkeit mit viel schönen Reden preist, wenn man in der Realität nur das Uniforme gelten lassen will. Föderalismus bewährt sich nach meiner Meinung darin, daß er Einheit schafft und Wettbewerb auslöst, soviel Einheit wie nötig und soviel Wettbewerb wie möglich. ({45}) Aufs deutsche Beispiel bezogen: Föderalismus dient dem Zusammenhalt, der Integration - oder sagen wir schlichter: dem Zusammenleben der Menschen, indem er unterschiedliche Herkünfte, Mentalitäten, Denk- und Sprechweisen der Hessen, der Bayern, der Nord- und der Süddeutschen in gemeinsamen Verfahren zu dauerhaftem Austausch und Ausgleich bringt. So und nur so bildet sich das, was wir Kultur nennen. Nicht daß Länder den Verführungen des Zeitgeistes nicht ebenso unterliegen könnten wie der Bund, sie sind gegen Irrtümer ebensowenig gefeit wie ein Zentralstaat. Aber solange es bei uns verschiedene Länder, konkurrierende Systeme sind, solange Wettbewerb herrscht, so lange hat das Schöpferische und Vernünftige eine Chance, sich gegen das Ephemere und Ideologische durchzusetzen. Der Zentralstaat ist immer in Gefahr, mit sich selbst zu schnell im reinen zu sein, er hat nichts neben sich, was ihn in Frage stellen könnte. Er speichert die Zeitirrtümer wie eine solide Sparkasse. ({46}) Im Bundesstaat - zum Glück sind wir ein Bundesstaat - kann man dagegen vergleichen, streiten, experimentieren, sich berichtigen und schließlich zu einer allen angemessenen und zuträglichen Lösung kommen. Er erlaubt es dem Bürger, sich ein Urteil zu bilden, er erlaubt den Vergleich. Kurzum: Im Föderalismus ist mehr Markt, mehr Bürgernähe, weniger ideologische Rechthaberei, mehr Revisionsmöglichkeit. ({47}) Darum ist er gerade unter demokratischen Bedingungen für die Kultur und die Kulturpolitik ergiebiger als ein zentralistisches System, und darum sollten wir die Kuturförderung auf den Föderalismus bauen. Ich danke Ihnen. ({48})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das Auditorium erträgt es, nun die dritte Bürgerin des Freistaates Bayern hier ans Pult treten zu hören, ({0}) zumal ich nicht zusagen kann, daß ich dem Auditorium ein ähnliches intellektuelles Vergnügen bereite, wie das Herr Maier eben getan hat; aber ich will mir Mühe geben. ({1}) Mit gelinder Boshaftigkeit stelle ich an den Anfang, Herr Maier, daß heute nachmittag in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste - ({2}) - Eine Dame gebraucht keine Titel, habe ich von meiner Großmutter gelernt. ({3}) Herr Waigel, wenn Sie dies bitte zur Kenntnis nehmen. ({4}) - Verdammt noch mal - jetzt fluche ich einmal - was ist das für eine Art, daß Sie, ({5}) wenn eine Dame, ein Kollegin, hier ans Rednerpult tritt, sofort mit Ihren blöden Zwischenrufen anfangen! ({6}) So, jetzt bin ich wieder lieb und sage mit gelinder Boshaftigkeit -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, ich möchte Sie bitte einen Moment unterbrechen. Ich muß dem zustimmen, was die Rednerin eben gesagt hat. Es ist wirklich so: Kaum ist eine Rednerin am Pult, schon setzen Zwischenrufe ein. Ich bitte um ein bißchen Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nun ist fast die ganze Pointe kaputt. ({0}) Ich wollte mit Boshaftigkeit, aber milder, den Herrn Maier darauf hinweisen, daß heute in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ein besonders seltenes Spektakel stattfindet. Der Bayerische Ministerpräsident wird dort nämlich aus der Hand des Außenministers der Republik Südafrika den Orden Erster Klasse mit großem Kreuz „Good Hope" in Empfang nehmen. ({1}) - Good Hope. „Kultur ist Politik", so hat Richard von Weizsäkker in seiner Laudatio auf den südamerikanischen Schriftsteller Octavio Paz zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gesagt. Kultur ist Politik, in der Tat. Was wir mit der Antwort auf diese Großen Anfragen erleben und was ich zur Zeit im Vorfeld der Berliner Wahl und der 750-Jahr-Feier der Stadt an CDU-Kulturpolitik in Berlin erlebe, sind deutliche Beispiele. Konkretes zur Situation von Künstlern in der Bundesrepublik Deutschland und zur Verbesserung der Situation enthalten die Antworten auf die Großen Anfragen kaum. Prüfzusagen, was bestimmte steuerliche Veränderungen angeht, mehr nicht. Im übrigen aber dokumentiert sich ein Kulturverständnis, das mehr die Repräsentation und die attraktive Garnitur des alltäglichen Lebens im Auge hat, wenn von Kultur die Rede ist; gewissermaßen der Mayonnaise-Tupfer auf einem üppig angerichteten kalten Büffet möglicher Freizeitgestaltung, das ist die Kultur, wie sie sich hier dokumentiert. Ich möchte einige Bemerkungen zum Film und zu den neuen Medien machen. Dabei gehe ich davon aus, daß die Antwort auf die Großen Anfragen nicht primär aus der Feder des Wirtschaftsministers oder des Postministers stammen, sondern daß hier Kulturpolitiker am Werke waren. ({2}) Wenn dies so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann verstehe ich überhaupt nicht, wie man bei der Darstellung der neuen Medien nur die Lichtseite sehen kann: Vielleicht werden hier Arbeitsplätze geschaffen, vielleicht gibt es neue kulturelle Möglichkeiten. Aber die Schattenseite ist doch, daß hier eine Überfremdungskampagne allergrößten Ausmaßes stattfindet. ({3}) Sieht denn niemand, daß mit amerikanischen Dollars, ausgehend von den dortigen Medienriesen und gespeist von der Markenartikelindustrie, auf dem europäischen Kontinent an nationaler Medienkultur alles erstickt werden kann, was dort noch existiert? ({4}) Es ist eh schon wenig genug! Da werden doch bei uns, wenn wir einmal alle Kanäle und Satelliten beisammenhaben, Hunderttausende von Programmstunden mit Fernsehproduktionen benötigt, aber die Ministerpräsidenten können sich noch nicht einmal darüber verständigen, ({5}) ob es hierbei bestimmte Reservate für deutsche Produktionen geben muß. ({6}) Mit ideologischer Borniertheit halten die CDU-Ministerpräsidenten angesichts solcher Kapitalüberlegenheit sehenden Auges an ihrem Verständnis von Marktwirtschaft fest. Mit bescheidenen Mitteln versuchen die SPD-Ministerpräsidenten, einerseits wirtschaftliche Gegenmacht aufzubauen, andererseits solche „Schutzzonen" zu etablieren - bisher allerdings erfolglos. In diesem endlos langen Papier der Bundesregierung fehlt jeder Hinweis auf diese Art von Bedrohung. ({7}) Da bleibt die betriebene Filmförderung, die ja überwiegend Produktionsförderung ist, ein Tropfen auf den heißen Stein, der sich leise zischend verflüchtigt. Der Streit, liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Linken, ob Achternbusch Kultur ist oder nicht, kann angesichts solcher Gemengelage von Wirtschafts- und Medienmacht bestenfalls als ein elitäres Scharmützel einiger versprengter Liebhaber oder Verfolger von Absonderlichem bewertet werden. ({8}) Unsere Medienkultur und damit unsere Sehgewohnheiten, unsere Phantasie, unsere Vorstellungen von der Welt von morgen werden künftig von dem geprägt werden, was sich Amerikas Mediengewaltige an Kreativität kaufen, ({9}) vielleicht auch in Europa, und für den europäischen Markt serienmäßig aufbereiten und herstellen. Deutsche Filmkultur - ab in die Marktnischen und ab ins Nachtprogramm! Zweiter Punkt: Künstlerinnen. Ich finde es nachgerade zynisch, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfragen einerseits darauf hinweist, daß es schon auf die Frauen selbst ankommt, ob sie sich in dieser Gesellschaft durchsetzen oder nicht, und dann andererseits noch anführt, daß Künstlerinnen halt eine Reihe von Jahren warten müssen, ehe es darum gehen kann, wie es wörtlich heißt, „ihre künstlerische Berufung zu verwirklichen". Dieser geschwollene Stil ist schon verräterisch. Ich habe in der vergangenen Woche in Rostock ein Bild einer DDR-Künstlerin gekauft, die sicher zu den ganz großen Begabungen unseres Jahrhunderts in Deutschland zählt. Sie wurde unter Hitler verboten und hat auch nach 1945 nicht wieder Fuß fassen können; ihren Namen kennt hier niemand. Eines ihrer zentralen Themen: Mutterschaft. Und das ist doch so in dieser Gesellschaft: Begabte Frauen, die sich mit ihrer Begabung durchsetzen wollen, müssen im Grunde auf Kinder verzichten; denn sonst schaffen sie es nicht. Ich bin nicht so verwegen, von der Bundesregierung eine Lösung all der Fragen, die damit zusammenhängen, zu erwarten. Es wäre allerdings schon viel, wenn sie darauf verzichten könnte, die bescheidenen Fortschritte, die während der sozialliberalen Ära zugunsten der Frauen erreicht worden sind, Schritt für Schritt wieder rückgängig zu machen. ({10}) Hier aber, bei den Künstlerinnen, wäre es wirklich verdienstvoll gewesen, wenn die Bundesregierung die Probleme konkret benannt und dargestellt hätte, die die Künstlerinnen besonders drücken, und das sind: wirtschaftliche Unsicherheit und Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von schöpferischem Tun und familiären Pflichten, Schwierigkeiten, die sich in schöpferischen Berufen natürlich noch weit stärker manifestieren als bei jeder sich im Acht-Stunden-Tag abwickelnden Tätigkeit. Dritter Punkt: Ich sagte bereits, daß ich in der DDR war und dort ein Bild gekauft habe. Bei dieser Reise wurde mir erneut deutlich - und damit, Herr Maier, widerspreche ich Ihnen mit aller Schärfe -, daß wir im deutsch-deutschen Kontakt nichts dringender benötigen als ein Kulturabkommen. Ihre Passage mit der Analyse der DDR-Kulturpolitik halte ich nicht für richtig, aber es ist hier nicht der Ort und ich habe nicht die Zeit, das auszutragen. Ich glaube, die sind dort in der Aufbereitung unserer gemeinsamen Geschichte weiter und längst nicht mehr so ideologisch, wie Sie das hier angeführt haben. Wenn Sie hier eine solche ideologische Position beziehen, dann befürchte ich, daß das dem Bestreben, ein deutsch-deutsches Kulturabkommen zustande zu kriegen, möglicherweise entgegenläuft. Dabei halte ich ein solches Kulturabkommen doch für sehr notwendig, aber natürlich nicht jedes beliebige Abkommen, sondern eines, in dem substantiell verankert ist, wie sich die Kulturnation Deutschland in ihren beiden Teilen DDR und Bundesrepublik künftig zu artikulieren und zu begegnen gedenkt. Stephan Hermlin hat in diesen Tagen die Gängelung der DDR-Künstler durch die dortige Regierung beklagt. Uns steht ein Kommentar dazu nicht zu. Aber es hätte der Bundesregierung nicht schlecht angestanden, deutlich zu machen, welch großen Wert sie darauf legt, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in vielfältiger Weise und aktiv zur Kenntnis nehmen kann, was sich künstlerisch in der DDR tut. Umgekehrt wäre das ebenfalls äußerst verdienstvoll. Wenn wir schon ein geteiltes Land sind, so müssen wir doch daran festhalten, daß unsere gemeinsame Vergangenheit nicht 1945 endet, sondern daß wir als Kulturnation über dieses schreckliche Datum hinaus weiterbestehen. ({11}) Aber dazu muß man konkrete Erwartungen formulieren und kann es nicht bei plakativen Äußerungen bewenden lassen. Das ist ein weiteres großes Manko der Regierungsvorlage. Letzter Punkt: Berlin, die Stadt, deren kulturelle Attraktivität vom Bundesgebiet her nur teilweise wahrgenomen wird. Manchmal kann man den Eindruck haben, als würde aus New York, aus Paris, aus Sydney oder Tokio sehr viel aufmerksamer geschaut, was sich in Berlin kulturell tut, als das vom Bundesgebiet her der Fall ist. Deutschlands einzige Metropole nach wie vor, und doch so gefährdet durch eine Ausverkaufsmentalität der Tourismus-und Freizeitmatadore, die nicht wahrnehmen, daß Kultur mehr ist als Unterhaltung, Freizeitremmidemmi und schöne Inszenierungen. ({12}) Ausfallbürgschaften, im vorhinein gewährt, haben in Berlin im Sommer einen „Sommernachtstraum" verwirklicht. ({13}) - Ich bin gleich zu Ende. - Was ist davon übrig? Nicht mehr als die Schlußfolgerung des Senates: Wir machen das jetzt immer so, nächster Schritt „Wintermärchen". Am Wahltag werden wir dann wahrscheinlich Frühlingserwachen kriegen. ({14}) Hier erhebt sich die prinzipielle Frage, ob es wirklich gerechtfertigt ist, für Feuerwerke, Laserstrahlspektakel Millionen Mark auszugeben, aber Übungsräume für Bläserquintette, Schneidetische für Jungfilmer, ebenerdige Ateliers für Bildhauer, dezentrale Kulturpolitik im kleinen Raum, Werbemaßnahmen für Kinder- und Jugendfilme und vieles andere mehr eher stiefmütterlich und kursorisch zu behandeln.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist beendet.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kultur ist Politik. Die Bundesregierung sollte sich dazu bekennen - mein letzter Satz -, aber nicht im Sinne ihrer konservativen Ideologie - sie hat nämlich auch eine; nicht bloß wir Sozialdemokraten haben eine -, sondern im Sinne der Künstler. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Prof. Dieter Weirich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002456, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebes Häuflein von Kulturfreunden! Jurek Becker hat 1983 bei den Römerberg-Gesprächen in Frankfurt gesagt: Wenn einer von Kultur spricht, dann natürlich von seiner. Es wird sich nicht vermeiden lassen, ({0}) daß es Berührungspunkte mit den Vorstellungen anderer gibt. Ausgehend von diesem Zitat und ohne Berührungsängste gegenüber Ihnen, Herr Duve, möchte ich zur Filmpolitik, der Medienpolitik und den Ausssagen der Kollegin Dr. Martiny-Glotz folgendes sagen und mit einem Zitat von Lessing beginnen, der gesagt hat: Ein Mann von Geschmack ist noch lange kein Kunstrichter. Da der Innenminister ein Mann mit Geschmack ist, maßt er sich die Kunstrichterrolle in der Filmförderung auch nicht an. Ich füge aber hinzu: Eine Frau von Geschmack - und dafür halte ich Sie nach wie vor, Frau Kollegin Martiny - ist noch lange keine Scharfrichterin über gute oder schlechte Medien- und Filmpolitik. Deswegen waren Ihre Aussagen insbesondere zum Medienbereich eigentlich ein Beitrag zur Kultur des erhobenen Zeigefingers in der deutschen Politik. Ich habe mich aber darüber gefreut, daß die ganzen Attacken gegen die Filmförderung, die in den letzten Monaten in maßloser Form vorgetragen worden waren, hier nicht mehr gekommen sind. ({1}) Denn die neuen Richtlinien beginnen, sich zu bewähren. Wir fördern in der Zukunft - das wissen Sie - in guter Zusammenarbeit auch neue Varianten des Films: den Kurzfilm, den Animationsfilm. Wir wollen die Filmkomödie verstärkt fördern; Sie wissen ja, daß wir Deutschen ein gestörtes Verhältnis zur Unterhaltung haben. ({2}) Das zeigt sich nicht nur daran, daß im Fernsehen fast die Hälfte der namhaften Unterhaltungsmacher nur gebrochen deutsch spricht, ({3}) sondern auch an den Vorlagen, die in der Filmauswahlkommission sind: Sie sind sehr oft von teutonischem Bierernst durchsäuert. ({4}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Ber-tolt Brecht zitieren - er ist völlig unverdächtig, lieber Herr Duve -, der für das Theater geschrieben hat, was auch für den Film gilt: Seit jeher ist das Gespür des Theaters, wie alle anderen Künste auch, zu unterhalten. Dieses Geschäft verleiht ihm seine besondere Würde. Es benötigt keinen besonderen Ausweis als Spaß, diesen freilich unbedingt. Keinesfalls könnte man es in einen höheren Stand erheben, wenn man es z. B. zu einem Markt der Unmoral machte. Weniger als andere brauchen Vergnügungen eine Verteidigung. Ich möchte im Zusammenhang mit der Filmpolitik noch die Hoffnung aussprechen, daß die anstehende Novellierung des Filmförderungsgesetzes zu mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit im deutschen Film führt. Ich komme zur Frage der neuen Medien. Zu zaghaft fand ich in der Antwort der Bundesregierung - das möchte ich kritisch anmerken - die Darstellung der großen Beschäftigungschancen junger Künstler in der Zukunft. Sie wurden in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags auch von Fachleuten vorgetragen. Renate Schostack, Journalistin der FAZ, schrieb: „Fernsehen ist kraft Institution und eigener Ästhetik das kulturelle Hauptinstrument der Gegenwart." ({5}) - Darüber kann man streiten. Aber deutlich wird, daß sich mit den neuen Medien Video, Bildplatte, Kabel und Satellit die Zahl der 95 000 hauptberuflichen Künstler und die etwa doppelt so große Zahl der Brufsangehörigen im Medienbereich und der damit verbundenen Kulturindustrie mittel- bis langfristig verdoppeln wird. ({6}) Es gibt gute Beschäftigungsperspektiven für Schauspieler, Autoren, Sänger, Komponisten, Regisseure und Produzenten. Das hat die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ZDF in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags selbst vorgetragen. Das sind keine Zahlen, die ich erfunden habe, sondern sie kommen von einem wichtigen Institut wie „Prognos" in Basel. Deswegen hat es überhaupt keinen Sinn, fatalistisch an der Klagemauer der neuen Medien zu verharren. Es macht nur Sinn, daß wir uns offensiv dieser neuen künstlerischen und medienpolitischen Herausforderung stellen. Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Wer wie die SPD über Jahre hinweg kleinkariert, krähwinkelnationalistisch, linksautoritär und freiheitsfeindlich die neuen Medien blockiert, ({7}) der verhindert damit die Möglichkeiten des Exports freiheitlicher Ideen und anspruchsvoller deutscher Programme. Er verpaßt im letzten den Künstlern, den Kunstschaffenden in der Bundsrepublik Deutschland eine schallende Ohrfeige, meine Damen und Herren. Dies ist keine offensive Nutzung der Möglichkeit neuer Medien. Eine letzte Betrachtungsvariante. Wenn ein mögliches Geschmacksniveau der Kultur im Fernsehen kritisiert wird, dann verweise ich auf das Zitat des französischen Kultusministers Jaques Lang, der gesagt hat: Kultur ist mehr. ({8}) Auf dem Medienkongreß der Sozialdemokratischen Partei hat Günter Rohrbach vom Westdeutschen Rundfunk, ein Sozialdemokrat, zwei extreme Typen in der deutschen Fernsehlandschaft in der Behandlung der Frage Kultur dargestellt. Da gibt es zum einen den Programmchef, der allen Ernstes sagt: Für Kultur habe ich meine Leute. Dann gibt es, von Rohrbach, dem Sozialdemokraten, sehr differenziert und in sehr humorvoller Form geschildert, den kulturrevolutionären Redakteur, der - ich zitiere wörtlich - „mit Marx und Marcuse im Kopf gerade in der Kultursendung ein wichtiges Feld zur Umkrempelung der Gesellschaft sieht." ({9}) Der stellvertretende Programmdirektor des Zweiten Deutschen Fernsehens, Peter Gerlach, den SoziWeirich aldemokraten nahestehend, sagt dazu: „Hier ein Anflug von Ignoranz, bei der Kultur mit Goethe oder bestenfalls mit den neuen Musen endet; dort Militanz und Mission, bei der Kultur ausschließlich zur Magd degeneriert". ({10}) - Lieber Herr Duve, wenn ich vorhin von einem Mangel an Komödianten in Deutschland gesprochen habe, dann habe ich Sie nicht gemeint. Sie sind, was das Komödiantentum angeht, eine ausdrückliche Naturbegabung. Meine Damen und Herren, der Bericht etwa über deutsche Eßkulturen und neue Urlaubsformen und über alternatives Reisen gehört ebenso zum selbstverständlichen Kulturspektrum im Fernsehen wie etwa eine Analyse des Wiener Musical-Triumphs „Cats" oder die Fernsehbearbeitung von Claus Peymanns Inszenierung des sperrigen Themas Thomas Bernhard. Ich schließe mit dem, was Gerlach in einem sehr denkenswerten Aufsatz hinzugefügt hat: Hier liegt eine große Chance für Kulturprogramme im Fernsehen, Zuschauerinteresse zu finden, Kultur zu vermitteln und damit Kulturwelten von Elitekultur und Volkskultur die Gelegenheit zu geben, zusammenzukommen. Lassen Sie uns diese Gelegenheit nutzen. Herzlichen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Senatorin der Kulturbehörde Hamburg, Frau Schuchardt. ({0}) Senator Frau Schuchardt ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kulturpolitik liegt aus guten Gründen in der Verantwortung der Länder. Deshalb könnte ich mich eigentlich auf das interessierte Zuhören beschränken. Aber ich möchte unbedingt die Lücke schließen, deren Ausfüllen Herr Weirich hier vermißt hat, und möchte einiges zu dem Kulturbereich sagen, in dem der Bund fördernd tätig wird. Die Filmförderung hat seit der Wende eine Änderung erfahren, die mehr als bedrohlich zu nennen ist ({2}) und deshalb den entschiedenen Widerspruch einer SPD-geführten Landesregierung erforderlich macht. ({3}) Die Regierungsparteien bringen unsere Demokratie und Politik in vielen Bereichen in Mißkredit. In der Kulturpolitik gefährdet diese Regierung Freiheitsräume, die Demokratie überhaupt erst ausmachen. ({4}) Das Grundgesetz verlangt von uns, die Freiheit der Kunst zu sichern, und stellt schlicht fest: Zensur findet nicht statt. Wie ernst die Bundesregierung es damit meint, zeigt sie in ihrer Praxis der Filmförderung. Sehr knapp heißt es in der Antwort auf die Anfrage der Koalitionsfraktionen: Freiheit und Unabhängigkeit der Filmschaffenden werden durch die neuen Filmförderungsrichtlinien nicht berührt. ({5}) Etwas differenzierter wird eine ähnliche Frage der SPD-Fraktion mit dem Hinweis beantwortet: Die Kunstfreiheit findet ihre Grenzen in den obersten Grundwerten der Verfassung. ({6}) Etwas weiter heißt es dann: Im übrigen knüpft die Bundesregierung an ihre Filmförderung keine inhaltlichen Bedingungen. Insofern gilt auch bei der Förderung des Films der in der gesamten Kunstförderung geltende Grundsatz, daß neben den Geschmacksrichtungen breiter Bevölkerungskreise auch das künstlerische Experiment seinen Platz und seine Berechtigung hat. Ich frage: Warum erfolgt hier die Verknüpfung durch ein „insofern"? Hier wird nun tatsächlich dargestellt, was die Bundesregirung unter künstlerischer Freiheit versteht, nämlich zunächst die Rücksichtnahme auf die Geschmacksrichtungen weiter Bevölkerungskreise; ({7}) das künstlerische Experiment wird dann „auch" zugelassen. ({8}) Wenn das erste Kriterium der Kunstförderung die Berücksichtigung der Geschmacksrichtungen breiter Bevölkerungskreise wird, dann ist es in der Tat um die Kunstfreiheit schlecht bestellt. ({9}) Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes soll den Künstler gegen Übergriffe des Staates und anderer schützen und verpflichtet den Staat nun wiederum dazu, diese Kunstfreiheit zu garantieren. Dies aber ist die Bundesregierung offenbar nicht bereit zu tun, denn wie wäre es sonst verständlich, daß bei jeder Erwähnung des Grundsatzes der Kunstfreiheit in den vorliegenden Antworten sofort die Einschränkung folgt, nämlich der Hinweis auf die noch höherwertigen Güter der Verfassung? Welche sind dies denn? Etwa die sittlichen und religiösen Empfindungen? Wie schnell kann man mit diesem Vehikel Kunstfreiheit zerstören! Wie häufig wird auch das Argument genutzt, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung verletzt würde! Somit wird die Verfassung selbst zum Vehikel, die Kunstfreiheit einzuschränken. Gerade Minister Zimmermann bezieht sich immer wieder auf die Verfassung, um Freiheiten einzuschränken. Die Aufgabe eines sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlenden Staates aber wäre es, Senator Frau Schuchardt ({10}) die freiheitssichernde Funktion des Grundgesetzes in den Vordergrund zu stellen. ({11}) Wer beurteilt denn nun diese höheren Werte? Bei den Filmförderungsrichtlinien ist diese Frage einfach zu beantworten: der Herr Minister persönlich, der persönlich eine über 33jährige Tradition des nicht stimmberechtigten Vertreters des Bundesinnenministeriums gebrochen hat und sich persönlich als Vorsitzenden eingesetzt hat, der persönlich die Auswahlentscheidungen zuweisen kann, und nicht nur das, der auch persönlich einen Fall erneut in den Auswahlausschuß bringen kann, wenn er mit der Nichtzuerkennung nicht einverstanden ist, und der schließlich auch erklärt hat, er werde sich persönlich um die Filmförderung kümmern, und dies nicht nur, weil er meint, die höherwertigen Güter der Verfassung, sondern auch weil er glaubt, künstlerische Fragen besser beurteilen zu können als der von ihm persönlich nach seinem persönlichen Gutdünken eingesetzte Ausschuß. Wenn dies kein verbotenes staatliches Kunstrichtertum ist, wo würde man es denn sonst finden? ({12}) Der Bundesminister verstößt mit seinen Filmförderungsrichtlinien nicht nur gegen das Verbot staatlichen Richtertums, weil er sich selbst zum beinahe allmächtigen Vorsitzenden und Quasigerichtsherrn in einer Person eingesetzt hat, sondern auch, weil er die Zahl der von ihm in freier Entscheidung zu berufenden Ausschußmitglieder drastisch herabgesetzt hat. Zum Teil bedarf es nunmehr nur noch einer Zahl von drei Personen, um Zuerkennung vorzubereiten. Damit sind die Chancen für alle jene, die nicht in das nunmehr begrenzte Wertespektrum des Ausschusses passen, gleich null. Eine weitere besondere Merkwürdigkeit: Als ich mich zum Ende des vergangenen Jahres zum Referentenentwurf für die Neufassung der Filmförderungsrichtlinien äußerte, bekam ich zur Antwort: Bei der Vergabe von Haushaltsmitteln ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Sie hat daher das Recht und die Pflicht, im Rahmen des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und den obersten Werten der Verfassung - als ob das nicht dazugehörte für einen Ausgleich zu sorgen und die endgültige Entscheidung zu treffen. Ein Selbstverwaltungsmodell halte ich nicht für vertretbar. Um so erstaunter lese ich nunmehr in der Antwort auf die Frage der SPD-Fraktion: Die beiden Fonds und das Musikförderungsprogramm des Deutschen Musikrats stellen Anwendungsfälle des in der kulturpolitischen Diskussion wiederholt erörterten Gedankens der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung von Kunst und Künstlern dar. Die bisher gewonnene Erfahrung zeigt, daß dieser Gedanke in allen drei Einrichtungen mit Umsicht und Engagement praktiziert wird. Eine wahrhaft erstaunliche Antwort. Warum versucht es die Bundesregierung mit diesem Modell nun nicht auch einmal beim Film? ({13}) Liegt es vielleicht daran, daß die Fonds und der Musikrat etwas ideologieferner sind und deshalb nach dieser Logik auch staatsferner angesiedelt werden dürfen? Oder liegt es vielmehr daran, daß bei diesen ursprünglich für die Nationalstiftung vorgesehenen Mitteln befürchtet werden mußte, daß der Widerspruch der Länder laut werden würde, wenn sie zu sehr aus dem Ministerium verwaltet würden? Die Aussage der Bundesregierung: „Freiheit und Unabhängigkeit der Filmschaffenden werden durch die neuen Filmförderungsrichtlinien nicht berührt" ist schlicht unehrlich. Dem Hamburger Senat liegt jetzt ein Rechtsgutachten vor, das eindeutig zu dem Ergebnis kommt, daß die Filmförderungsrichtlinien verfassungswidrig sind, ({14}) dies, weil sie einmal gegen die Kompetenzverteilung von Bund und Ländern verstoßen, und zum anderen, weil sie mit der Freiheit der Kunst nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar sind. Wir werden der Bundesregierung dieses Gutachten zugänglich machen. Ich denke, daß sie zum Wohle unserer Demokratie gut beraten wäre, dieses Gutachten aufmerksam zu lesen und ihre Praxis entsprechend zu ändern. ({15}) Andernfalls werden wir in Hamburg zu prüfen haben, ob wir die Gerichte anrufen. Sprecher der FDP haben nach Erscheinen der Entwürfe der Filmförderungsrichtlinien den Mund vollgenommen, bis hin zu der Drohung, notfalls die Mittel zu sperren, um diese Richtlinien zu verhindern. ({16}) Es wundert mich nicht, daß die kurze Hoffnung, die da aufflackerte, wie in so vielen anderen Fällen enttäuscht wurde: Die FDP knickte mal wieder ein. Natürlich kann Hamburg z. B. mit seiner Filmförderung durch eine liberale Praxis gegensteuern, aber viele Filmschaffende sind durch die Praxis des Bundes bereits entmutigt, überhaupt Anträge zu stellen. Diese Schere im Kopf führt zu Einschränkungen von kultureller Vielfalt, und ich behaupte: Dies ist von der Bundesregierung auch beabsichtigt. Der Hamburger Senat - ich denke, ich kann dies auch für alle SPD-regierten Länder sagen - wird mit aller Macht die Freiheitsrechte, auf die die Väter unseres Grundgesetzes uns verpflichtet haben, bewahren und verteidigen. Ich bedanke mich. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schroeder ({0}).

Dr. Conrad Schroeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002075, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Vielzahl der Fragen in den beiden Großen Anfragen und dem Umfang der Antwort der Bundesregierung wird ein Schwerpunkt vielleicht zunächst nicht so deutlich; ich meine die steuerlichen Regelungen, die einen wesentlichen Teil der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur bilden. Herr Kultusminister Professor Dr. Maier hat vorhin von einem reichen Betätigungsfeld des Bundes auf dem Gebiet des Steuerrechts gesprochen und damit den Stellenwert zurechtgerückt. In den zurückliegenden Jahren, in den Jahren mit SPD-geführten Bundesregierungen, sind ja leider mehrere spürbare Verschlechterungen eingetreten. Davon habe ich von den Sprechern der SPD bei allem Bekenntnis zur Kultur heute morgen recht wenig gehört. ({0}) Mit der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen und der Antwort der Bundesregierung wird auch auf diesem Gebiet eine Kurskorrektur signalisiert und eingeleitet. Wenn auch nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, so können sich die angekündigten und angestrebten Verbesserungen doch durchaus sehen lassen. Insbesondere die vorgesehenen Neuregelungen der Besteuerung von Stiftungen lösen ein wichtiges Versprechen in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 ein. Ich nenne in aller Kürze sechs Punkte: Erstens. Bei den Stiftungen wird die Möglichkeit, sogenannte Zustiftungen vorzunehmen, erleichtert. Die Stiftungen brauchen die als Zustiftungen eingegangenen Spenden nicht noch in demselben Jahr wieder für ihre satzungsmäßigen Zwecke verwenden. Zweitens. Das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung bei den Stiftungen soll auch für einen Teil der laufenden Beiträge gelockert werden, indem verbesserte Leistungserhaltungsrücklagen zugelassen werden. Drittens. Aber auch außerhalb des Stiftungsrechts sind deutliche Verbesserungen angekündigt: Der Übungsleiterfreibetrag von 2 400 DM soll nämlich auf weitere Nebentätigkeiten im künstlerischen Bereich ausgedehnt werden. Damit wird die Skurrilität beseitigt, auf die mein Kollege Professor Dr. Kreile immer wieder hingewiesen hat: Der Dirigent eines Kirchenchores erhält den Übungsleiterfreibetrag, der den Chor begleitende Organist muß seine Entschädigung voll versteuern. Das versteht kein Mensch. ({1}) Wir hätten es noch mehr begrüßt, wenn die Bundesregierung erklärt hätte, sie werde die Wiedereinführung des früheren § 34 Abs. 4, also des begünstigten Steuersatzes für wissenschaftliche und künstlerische Nebentätigkeiten, gegebenenfalls modifiziert und begrenzt vorschlagen. Auf die besondere Problematik hat j a vorhin Herr Kollege Baum hingewiesen. Aus Zeitgründen möchte ich keine weiteren Ausführungen dazu machen. Viertens. Mit den Bundesländern werden Gespräche mit dem Ziel aufgenommen, zu Verbesserungen bei der Vermögensteuer zu kommen. Insbesondere geht es darum, Werke von lebenden Künstlern und Werke von Künstlern, die noch keine 15 Jahre tot sind, von der Vermögensteuer zu befreien. Fünftens. Eine weitere wichtige Maßnahme ist auch die Schaffung einer Möglichkeit, Steuerschulden - insbesondere Erbschaftsteuer - durch Hingabe von Kunstwerken zu tilgen. Unsere Nachbarn in Frankreich haben damit eine gute Erfahrung gemacht. Sechstens und letztens. In die gleiche Richtung zielt die weitere Maßnahme, eine steuerliche Abzugsfähigkeit für die Fälle zu eröffnen, in denen der Eigentümer eines Kunstwerks bereit ist, dieses einem Museum zur Verfügung zu stellen, es aber zu Lebzeiten noch behalten will. Keine Chance einer Durchsetzung sehe ich für den Vorschlag, den Stiftungen die Ausschüttungsbelastung an Körperschaftsteuer, die auf der Ebene der Körperschaften entsteht, zu erstatten. Aber dennoch - das möchte ich abschließend betonen - bleibt ein beachtlicher positiver Katalog zur Förderung der Privatinitiative für Kunst und Kultur übrig. Herr Kultusminister Professor Maier hat die Vorschläge bedächtig, kühl und klar genannt. Ich meine aber, es ist doch ein guter Anfang. Vieles ist auf dem Gebiet der Förderung von Kunst und Kultur durch die beiden Großen Anfragen, die Antworten der Bundesregierung und nicht zuletzt durch die heutige Debatte in Bewegung gebracht worden. Auf diesem richtigen Weg muß es weitergehen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geduldiges Haus der Kultur! - so könnte man sagen. Schon in der Antike kannte man im Theater nicht nur Tragödie und Komödie, sondern auch das Rüpelspiel. In der Kategorie des Rüpelspiels möchte ich das einordnen, was der Kollege Weirich zur Qualifikation der Kulturpolitik der sozialliberalen Koalition gesagt hat. ({0}) Ich erwähne es, weil die Art und Weise, wie man eine solche Kulturdebatte führt, sicherlich auch einen Anhaltspunkt in bezug auf den eigenen Kulturbegriff vermittelt. ({1}) Ich möchte etwas zur auswärtigen Kulturpolitik sagen. Es gab Veranlassung, zur auswärtigen Kulturpolitik Fragen zu stellen - obwohl uns diese Debatte innerhalb der Debatte nicht davor bewahrt, das Thema bald einmal grundsätzlich anzufassen -, und zwar erstens wegen der Verunsicherung der in der Auslandskulturarbeit Tätigen durch zen7212 surartige Äußerungen von Politikern bis hinauf zum Bundeskanzler, zweitens wegen eines erkennbaren Defizits an politischen Impulsen aus der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes und drittens wegen des Versagens der Regierung vor ihrem eigenen Anspruch, das Auslandsschulwesen und die Pflege der deutschen Sprache im Ausland stärker zu fördern. Das waren die Gründe, weshalb wir Fragen gestellt haben. Vor diesem Hintergrund muß man mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß es in der Antwort auf unsere Große Anfrage heißt: Die Grundsätze und wesentlichen Ziele der auswärtigen Kulturpolitik ... gelten unverändert fort. Papier ist geduldig. Das weiß ich. Wir wollen aber immerhin festhalten, daß mit diesen Grundsätzen und wesentlichen Zielen die Grundsätze der sozialliberalen Koalition der vergangenen, hier schon mehrfach erwähnten 13 Jahre gemeint sind. Wenn hier etwas kritisch anzumerken ist, so bezieht sich das auf die drei bereits zur Begründung der Fragen herangezogenen Punkte. Als ersten Punkt habe ich vorhin die Verunsicherung genannt. Es hat eine Diskussion - es sind Kollegen anwesend, die sich aktiv daran beteiligt haben - über Rolle und Arbeit der Goethe-Institute gegeben. Herr Staatsminister Möllemann hat sich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 10. April 1984 über die Empfindlichkeit der Kulturszene ein bißchen lustiggemacht. Herr Möllemann weiß vielleicht nicht, daß Künstler empfindlich sein müssen. Das macht sie erst zu Künstlern. Das befähigt sie, vieles zu sehen, was wir vielleicht nicht sehen. ({2}) - Das behaupte ich auch nicht. Wir machen hier nicht Kunst. Wir machen hier Politik. Wer mit Künstlern zu tun hat, muß diese Empfindlichkeit und Sensibilität in Rechnung stellen und muß auch wissen, daß solche Angriffe und solche Kritik dort ganz anders ankommen als etwa bei Bezirksvorsitzenden einer Partei. Das heißt, Toleranz ist im Umgang mit Kunst und Kultur zwingend geboten. Das ist nicht etwas, was man vielleicht auch noch machen kann, wenn man gut gelaunt ist. Toleranz ist vielmehr zwingend geboten. Kritik an der Arbeit der Goethe-Institute im Ausland hat sich an ihren Wortprogrammen emporgerankt. Dazu muß man wissen, daß die gesamte kulturelle Wirklichkeit und Vielfalt unseres Landes in der kulturellen Auslandsarbeit dargestellt werden muß. Man darf irgend etwas Unbequemes nicht einfach weglassen. Zur kulturellen Wirklichkeit hier gehört nun einmal, daß wir eine Alternativbewegung, eine Ökologiebewegung, eine Friedensbewegung haben. Das will man übrigens im Ausland wissen. Von unseren ausländischen Partnern werden zu kaum einem Thema mehr Referenten angefordert als gerade zu diesem Thema. Es steht nicht in der Disposition einer Regierung, in diesem Bereich etwas auszuwählen. ({3}) Herrn Staatsminister Möllemann ist mit aller Entschiedenheit zu widersprechen, wenn er in dem bereits erwähnten Artikel schreibt: Die Regierung hat prinzipiell durchaus das Recht, im Ausland nur das zu zeigen, das ihr genehm ist. ({4}) Meine Damen und Herren, dieses Recht hat sie prinzipiell eben nicht. ({5}) Das ist eine absolut falsche Grundauffassung. Die auswärtige Kulturpolitik jeder Regierung ist durch die grundgesetzlich verbürgte Freiheit der Kunst und Kultur gebunden. Da sagt Herr Möllemann zwar: Es wird alles beachtet werden. Aber ich muß sagen, daß die Beachtung der Verfassung doch kein Gnadenakt der Regierung, sondern ihre Pflicht und Schuldigkeit ist. ({6}) Die Auseinandersetzung über die Arbeit des Goethe-Instituts geht weiter; das haben wir schon gespürt. Wir werden den Fortgang sehr sorgfältig beobachten, damit Zensur jetzt nicht im Gewand angeblicher Haushaltszwänge daherkommt. ({7}) Für diese Arbeit kann nicht der subjektive Geschmack derjenigen maßgebend sein, die über das Geld bestimmen. Ich schließe mich ausdrücklich dem an, was die Kollegin Frau Hamm-Brücher gesagt hat: Es besteht Anlaß zum Dank an das Goethe-Institut, an die anderen Mittlerorganisationen und die Mitarbeiter in den Auslandsvertretungen, die eine gute Arbeit geleistet haben, obwohl sie von der Regierung weitgehend alleingelassen oder sogar desavouiert werden. ({8}) Meine Damen und Herren, was fehlen, sind die politischen Impulse. Ich sagte schon: Papier ist geduldig, auch das Papier, auf dem Antworten auf Große Anfragen gedruckt werden. Da steht dann: „Die auswärtige Kulturpolitik ist die dritte Dimension der Außenpolitik; sie ist die gleichberechtigte dritte Säule neben politischen und wirtschaftlichen Beziehungen." Ich glaube das nicht mehr. Die Ansprüche halten, an der Realität gemessen, überhaupt nicht stand. Es verstärkt sich vielmehr der Eindruck, daß die auswärtige Kulturpolitik wieder in die Bedeutungslosigkeit absinkt, die sie vor vielen Jahren schon einmal gehabt hat, daß sie so hingenommen wird, daß man sie lustlos betreibt und daß man gerade dann etwas macht, wenn sich ein paar Parlamentarier darüber aufregen. Es ist nicht zu erkennen, daß in der politischen Leitung - ich rede hier nicht über die Beamten, die ihre Arbeit tun, sondern ich spreche von der politischen Leitung - des Auswärtigen Amtes noch ein wirkliches Interesse an der auswärtigen Kulturpolitik besteht. Jedenfalls kann man nicht finden, daß sich irgendwer aus der politischen Spitze kontinuierlich und sachkundig mit diesem Thema beschäftigt. Man denkt wirklich melancholisch an das Wirken der geschätzten Frau Kollegin Hamm-Brücher zurück. ({9}) - Wir können gern über Generalsekretäre und ihren Kulturbegriff reden, wenn Sie das wollen. Wenn das hier hingehört, könnte ich über meinen früheren Kollegen Geißler eine Menge sagen, wenn Sie das wünschen. Das würde ich gern tun. ({10}) Ich will nicht fragen, wie stark dieser Einfluß damals in der Spitze des Amtes gewesen ist, aber es war jemand da, mit dem sich die in der auswärtigen Kulturpolitik Tätigen identifizieren und an den sie sich wenden konnten, und genau das fehlt heute. Der bereits erwähnte Beitrag von Herrn Möllemann in der „FAZ" reicht als Beleg für das Gegenteil nicht aus. Er kontrastiert übrigens ganz beträchtlich mit einer Auffassung, die dasselbe Blatt - ich zitiere jetzt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", weil das auch in Ihren Augen unverdächtig sein dürfte - in eigenem Namen verbreitet hat. Ich zitiere: Auswärtige Kulturpolitik ist die modernste Form der Außenpolitik, die den Dialog der Völker und nicht nur den der Regierungen anstrebt. Sie ist im demokratischen Zeitalter der eigentliche Faktor, der die Völker zusammenbringt. Dem ist aus unserer Sicht wirklich nichts hinzuzufügen. So ist es, und genau in diesem Sinne wünschen wir uns Aktivitäten der Regierung. Ich möchte hier sehr klar sagen: Die Bundesregierung kann doch wohl auf eine große Kooperationsbereitschaft in allen Fraktionen rechnen, nicht nur in den Regierungsfraktionen, auch bei uns, wenn sie in diesem Sinne endlich tätig würde. ({11}) Aber was macht sie? Da veranstaltet sie kurz vor der Debatte hier ein Kolloquium mit Kulturschaffenden, vielleicht damit gesagt werden kann, es ist auch etwas geschehen. An diesem Kolloquium wird dann zwar die Presse beteiligt, aber nicht die Fraktionen des Deutschen Bundestages. Wir haben erst gestern in der Fragestunde von Herrn Möllemann gehört, daß er sich das nicht erklären könne. Ich glaube, ich kann es erklären. Es war nicht eine Veranstaltung im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik, sondern es war eine Veranstaltung der Öffentlichkeitsarbeit des Auswärtigen Amtes, was auch legitim, aber etwas ganz anderes ist. ({12}) Meine Damen und Herren, die größten aktuellen Sorgen in der Arbeit auch des Unterausschusses für auswärtige Kulturpolitik machen uns im Augenblick die Problemfelder Sprachpflege und Schulen. Ein paar kurze Bemerkungen dazu. Die Bemühungen der Bundesregierung, die wir bisher erkennen können, reichen wohl nicht aus, um das Zurückdrängen des Deutschen in der Welt aufzuhalten. Es ist ja sehr schwierig, darüber zu reden und genaue Zahlen zu bekommen, wie stark die Rolle des Deutschen heute eigentlich noch ist. Ich warne nur vor dem Fehlschluß, aus der Zahl derjenigen, die in Schulen oder Universitäten Deutsch lernen, zu schließen, daß Deutsch sozusagen auf dem Vormarsch sei oder seine Position halte. Die traurige Wirklichkeit ist natürlich, daß wesentlich mehr Menschen, die früher Deutsch gelernt haben und Deutsch gesprochen haben, in der Zwischenzeit gestorben sind, als junge Menschen in diesen Ländern, speziell auch in Osteuropa, Deutsch lernen. Es gibt einen Rückzug der deutschen Sprache, den wir sehen müssen und gegen den etwas geschehen muß. Insofern unterstützen wir ganz nachdrücklich den Satz aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Mai 1983: Wir müssen die deutschen Schulen im Ausland stärker als bisher fördern. Wir werden neue Anstrengungen unternehmen, um die deutsche Sprache im Ausland wieder mehr zu verbreiten. Geschehen ist seither nichts. Das ist nun immerhin anderthalb Jahre her. ({13}) Es liegt jetzt der dritte Haushalt vor, den diese Koalition zu verantworten hat. Sehr viele werden es nun nicht mehr sein, bis Sie sich dem Wähler auch mit dieser Aussage stellen müssen. Die Defizite sind bekannt. Die Antwort auf die Frage der CDU/CSU-Fraktion in diesem Zusammenhang lautet, die Überlegungen innerhalb der Bundesregierung seien noch nicht abgeschlossen. Das werden Sie selbst bewerten, was Sie dazu zu sagen haben. Sie können sagen: Hausaufgaben nicht gemacht, hinsetzen! Wenn in dieser Legislaturperiode noch etwas geschehen soll, dann muß es ja nun sehr schnell geschehen, dann ist allerhöchste Eile geboten. Dabei kommen wir nicht mit schönen Worten davon, sondern da geht es um Geld. Es werden schlicht und einfach Mittel benötigt, und da muß eine Regierung in der Lage sein, mit ihrem Haushaltsentwurf Prioritäten zu setzen. Es hilft uns nichts, wenn man sagt: wir wollen das fördern, und in Wahrheit gehen die Mittel, die zur Verfügung gestellt werden, zurück. Da müssen die entsprechenden politischen Vorgaben gemacht werden. Wir werden hier ganz bestimmt mitwirken, wie sich ja in der Zusammenkunft mit den Regionalbeauftragten des Goethe-Instituts gezeigt hat, die für die Spracharbeit zuständig sind, wo Kollegen aus allen Fraktionen ({14}) - doch, aus allen Fraktionen - ihre Bereitschaft erklärt haben, daran mitzuwirken, daß die Sprachpflege im Ausland künftig besser betrieben werden kann. Was die Schulen angeht, so hat Frau Hamm-Brücher bereits auf das Problem hingewiesen, daß Begegnungsschulen nicht unbedingt Stätten der Begegnung sind. Ich möchte auf ein anderes Problem hinweisen. Der Haushaltsausschuß hat im vergangenen Jahr verlangt, daß bei der Besoldung der Auslandslehrer 20 Millionen DM eingespart werden. Das ist geschehen, führt aber zunächst einmal - das wird jeder einsehen - nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsfähigkeit der Schulen im Ausland. Die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen, ist die: Wie können wir sicherstellen, daß trotz reduzierter Mittel und nur geringer Hoffnung, daß sie wieder aufgestockt werden, die Effektivität der Kollegien erhalten bleibt, so daß vielleicht mit weniger Geld doch gleichviel, unter Umständen sogar mehr pädagogische Arbeit geleistet werden kann? Das ist eine Frage, die hineingeht in die Struktur unseres gesamten Auslandsschulwesens einschließlich der Besoldungsstruktur, einschließlich des Verhältnisses von entsandten Lehrern zu Ortskräften und auch einschließlich der Frage, was wir eigentlich tun können, um die bei uns bereits vorhandene Lehrerarbeitslosigkeit wenigstens in einem Punkt sinnvoll zu nutzen, nämlich zusätzliche Stellen draußen zu schaffen entweder für Lehrer, die hier keinen Arbeitsplatz gefunden haben, oder solche ({15}) die durch ihre Bereitschaft herauszugehen für bisher arbeitslose Lehrer einen Arbeitsplatz freimachen. Meine Damen und Herren, wie gut eine Schule ist, hängt übrigens nicht davon ab, wie teuer ihr Bau war - ich sage das sehr betont -, weil sonst der Neubau unserer Schule in Rom zweifellos nur Universalgenies hervorbringen würde. ({16}) Das wird aber vermutlich nicht der Fall sein. Hier also die Bitte um etwas mehr Sparsamkeit und Kontrolle auch bei solchen Maßnahmen. In der auswärtigen Kulturpolitik hat der Bund seinen größten kulturpolitischen Spielraum. Hier kann er zeigen, was er kann und was er will. Wir meinen, er sollte diesen Handlungsspielraum deshalb exemplarisch nutzen. Vielen Dank. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, ich beneide Sie vor allem um eines heute, nämlich um die Redezeit, die Sie hatten. Ich habe sie nicht annäherungsweise und daher kaum eine Chance, auf Ihre Punkte einzugehen. Das Eingehen, daß man etwas antworten kann, ist j a manchmal auch etwas wert. ({0}) Lassen Sie mich trotzdem dies sagen: Erstens. Die Kritik, die Sie zur Kritik an manchem in der auswärtigen Kulturpolitik geäußert haben, haben wir gehört. Vielleicht können wir uns auf eines verständigen: daß Kunst, Kultur und dergleichen so beschaffen sein darf und muß, daß wir als Politiker in aller Bescheidenheit und aller Unzulänglichkeit auch noch eine Meinung, eine kritische Meinung zu dem einen oder anderen haben dürfen. Zweitens. Sie haben einiges zu dem gesagt, was der Herr Staatsminister Möllemann in seinem Artikel geschrieben hat. Ich kann das nicht näher aufgreifen. Ich will auch gar nicht werten, ob er recht oder unrecht hat. ({1}) - Nein; ich vermute, er hat recht. Aber wir haben uns über die Jahre hin in der auswärtigen Kulturpolitik, wissend, daß sie ein zartes Pflänzchen ist, das in diesem Hohen Hause wegen der vielen anderen hier anstehenden Punkte nicht jedermanns Interesse findet, immer um einen möglichst breiten Konsens bemüht. Ich hoffe, daß wir trotz mancher Schärfen und mancher Anmerkungen den Weg beibehalten können, den wir als Opposition damals - oft zähneknirschend, aber um der Sache willen - mitgemacht haben. Das dritte, was ich zu der geäußerten Kritik anmerken möchte: Mehr Geld! Natürlich, dafür bin auch ich. Nur, ich muß Ihnen sagen: Angesichts des realen Stellenwertes der auswärtigen Kulturpolitik im Gezänk und Streit von Haushältern bin ich zufrieden und froh, wie es gelungen ist, über diese Jahre des Sparens den Kulturetat des Auswärtigen Amtes beizubehalten. Denen, die dafür gefochten haben, gilt mein ganz herzliches Dankeschön. Ein Dankeschön auch denen - es ist hier gesagt worden, aber ich will es für meine Fraktion unterstreichen -, die uns durch deutsche Kulturleistungen in der Welt Ansehen und Achtung verschafft haben. Es waren die Kulturleistungen unseres Volkes, die uns halfen, die Verfemtheit der Deutschen nach dem Ende des Dritten Reichs zu überwinden. Und es waren nicht nur die Kulturleistungen einer fernen Vergangenheit unseres kulturellen Erbes, die uns halfen; sondern es war und ist auch die kulturelle Leistung der Nachkriegsgeneration von Schriftstellern, Dichtern, Komponisten, Mitgliedern der Zunft der bildenden Künste, ({2}) die einen wichtigen Beitrag geleistet haben, uns, den Deutschen, wieder Ansehen und Achtung zu verschaffen. Dafür gilt ihnen unser herzlicher Dank, ({3}) auch wenn wir dann und wann an dem einen oder anderen, was gewesen ist und vielleicht wieder kommt, unsere Kritik zu äußern haben. Ich bitte, dies mit der Gelassenheit hinzunehmen, die jemand von uns erwartet, wenn er seinerseits uns scharf kritisiert. Ein weiteres. Deutsche auswärtige Kulturpolitik hat oft und in aller Regel weit entfernt von den Scheinwerfern öffentlichen inländischen Interesses für uns zu arbeiten. Die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen hat deutlich gemacht, wie das gemeint ist. Ich glaube, das ist konsensfähig. In den Jahrzehnten der Existenz der Bundesrepublik haben sich Tausende im weiten Feld auswärtiger Kulturpolitik, in Sprachkursen, bei Austauschprogrammen von Studenten und Wissenschaftlern, bei der Gestaltung kulturellen Austausches, bei der Präsentation wechselseitigen Verstehens und Kennenlernens engagiert. Es sei hier, bitte schön, nicht als leere Floskel und Üblichkeit verstanden, wenn wir an dieser Stelle sagen: Herzlichen Dank für das hier im Inland oft kaum Bekannte, das dort für uns getan worden ist. Ich bitte, dabei nicht immer alles nur nach dem einen oder anderen Satz notwendiger Kritik zu werten, die ebenfalls geäußert werden muß. Wir begrüßen den Wert, den die Bundesregierung der auswärtigen Kulturpolitik beimißt, auch hinsichtlich der deutschen Sprache und der Förderung der deutschen Auslandsschulen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung bei ihren hierzu angekündigten Berichten - von denen wir hoffen, daß sie bald kommen - entsprechend neue Schwerpunkte und Akzente setzt. Wir fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß ein Satz, von dem oft gesprochen worden ist, Wahrheit und Wirklichkeit wird, nämlich daß Kultur keine Grenzen kennt. Bei näherer Betrachtung all der schönen Sprüche, die wir tun, stellt man fest, daß es eine Fülle von Hemmnissen verschiedenster Art gibt, die den freien Austausch von Kulturgütern auch innerhalb unserer Europäischen Gemeinschaft - von anderen gar nicht zu reden - behindern und hemmen. Ich glaube, es wird notwendig und sinnvoll sein, dies so schnell es geht zu beseitigen, damit wenigstens für die Europäische Gemeinschaft gilt: Dies ist auch eine Gemeinschaft, in der Kultur wirklich keine Grenzen kennt und keine Grenzen mehr hinnehmen muß. Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Redezeit ist, wie ich sehe, abgelaufen. Daß sie so knapp geworden ist, hängt ein wenig damit zusammen, daß Sie, Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, nicht geplant interveniert haben, wie ich gesehen habe. Lassen Sie mich hier noch einen Punkt loswerden, der uns allen, die sich mit auswärtiger Kulturpolitik beschäftigen, schwer auf der Seele brennt. Der Kollege Verheugen hat das Stichwort Rom genannt. Ich habe die herzliche Bitte, daß Sie einmal intensiv nachsehen, was uns die Bundesbaudirektion, die die Verantwortung natürlich wieder auf andere Bereiche schiebt - aber irgendwo muß Verantwortlichkeit sein -, für viele Millionen Mark an Kulturgütern in die Landschaft gesetzt hat. Eine Schule für 65 Millionen DM in Rom, in London ähnliche Dinge - das ist nicht vertretbar. Diese Ausgaben behindern uns in vielen anderen Bereichen, wo es oft nicht möglich ist, ausreichende Klassenräume zur Verfügung zu stellen. Nach Jahren ist schwer festzustellen, wer verantwortlich ist. Sie haben ein wesentliches Stück Verantwortlichkeit. Ich glaube im Namen aller meiner Kollegen vom Unterausschuß für auswärtige Kulturpolitik zu sprechen, wenn ich Sie herzlich und dringend bitte, bevor wir einen Untersuchungsausschuß oder ähnliches machen müssen, damit wir in dieser Frage schlauer werden: Prüfen Sie bitte wirklich einmal, wie wir es schaffen können - hier gibt es Dinge, die weit vor Ihrer Amtszeit von Ihren Vorgängern entschieden worden sind -, mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers, das wir zur Verfügung haben, im Sinne der Politik der Bundesregierung mehr machen zu können. Wir alle sind der Auffassung, dies muß tatsächlich möglich sein. Es ist möglich. Es muß nur getan werden. Herzlichen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Möllemann.

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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Verheugen hat es für zweckmäßig erachtet, in zwei Punkten Kritik an der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesregierung zu üben, sie aber nicht näher zu begründen respektive sie mit Teilzitaten zu unterlegen. Ich möchte der guten Ordnung halber hier nur zweierlei klarstellen: Erstens. Die politische Verantwortung für die dritte Säule unserer Außenpolitik, die auswärtige Kulturpolitik, trägt der Bundesminister des Auswärtigen. Das ist eine. schiere Selbstverständlichkeit. Das war auch vorher so. Er hat dieser Verantwortung Rechnung tragend, gerade in den letzten Wochen zwei wesentliche Akzente gesetzt, die Ihnen nicht entgangen sein dürften. Zum einen hat er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen die kulturelle Dimension des Nord-Süd-Dialogs hervorgehoben. Wir hatten gestern hier im Bundestag Gelegenheit, im Rahmen der Fragestunde den Maßnahmenkatalog zur Umsetzung dieses Dialogs sorgfältig in einem Disput zu erörtern, an dem auch mehrere hier anwesende Kollegen beteiligt waren. Zweitens hat der Bundesaußenminister vor 14 Tagen ein ganztägiges Kolloquium mit den an den Fragen der auswärtigen Kulturpolitik interessierten und beteiligten Kulturschaffenden durchge7216 führt, dieses auch selbst ganztägig geleitet, von dem sicherlich wichtige Impulse für die künftige Gestaltung der auswärtigen Kulturpolitik ausgehen können. Auch das war gestern hier ein Thema. Ich möchte hier noch einmal einräumen, daß es wohl ein Fehler gewesen sein dürfte, dazu nicht die Abgeordneten des zuständigen Unterausschusses eingeladen zu haben. Das wird beim nächstenmal anders gemacht werden, damit die Impulse von dort aus auch ins Parlament hineingehen können. Ich fände es gut, wenn in diesem Fall auch, selbst wenn Sie nicht Mitglied des Unterausschusses sein sollten, Herr Kollege Verheugen, Sie dazugeladen würden. ({0}) - Das sind Sie? Da kann man einmal sehen, weil mir das bisher noch nicht aufgefallen ist, daß die Beiträge, die Sie geleistet haben, mich bisher noch nicht hellhörig genug gemacht haben. Das Dritte, was ich sagen wollte, Herr Kollege Verheugen: Sie haben hier aus einem Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitiert. Es ist sehr leicht, den ersten Halbsatz zu zitieren und den zweiten wegzulassen. Seien Sie so liebenswürdig, nehmen Sie ihn zur Hand, dann werden Sie dort finden, daß es natürlich das Recht der Bundesregierung ist, gestaltend Einfluß zu nehmen auf die Inhalte, die im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik vermittelt werden, aber daß wir um des demokratischen Konsenses willen - das haben Sie nicht vorgelesen - eben auch jene Elemente unserer kulturellen Realität im Ausland wiedergegeben sehen wollen, mit denen wir möglicherweise nicht in jedem Einzelfall übereinstimmen. Wenn Sie sich die Referentenliste anschauen, die gelegentlich kritisiert wird - das haben Sie schon zum Gegenstand von Fragestunden gemacht -, dann werden Sie wahrlich nicht bestreiten können, daß das keine einseitige Orientierung in eine Richtung ist, die Ihnen nicht gefällt. Wir bemühen uns da sehr und sind bestrebt, diesen demokratischen Konsens hier im Hause zu erhalten. Vielen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Möllemann, ich möchte doch gerne klarstellen, daß die Kritik, die ich geäußert habe, sich darauf bezog, daß nicht erkennbar ist, wer in der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes eigentlich für die auswärtige Kulturpolitik verantwortlich ist. Da haben Sie mir jetzt in einer sehr schönen Weise bestätigt, daß Sie als der Staatsminister, der sich offenbar verantwortlich fühlt, an der Arbeit des Unterausschusses für auswärtige Kulturpolitik nicht teilnehmen. Das ist die reine Wahrheit. Deshalb wissen Sie auch nicht, wer dort Beiträge leistet und wer das nicht tut, weil ich Sie noch nicht ein einziges Mal dort gesehen habe. Ich weiß, daß Sie eine Menge anderes zu tun haben; das wirft Ihnen auch niemand vor. Aber Sie sollten vorsichtig sein in der Beurteilung der Tätigkeit von Kollegen. Was nun das andere angeht, Ihre Auffassung, die Sie in der FAZ geäußert haben, so habe ich ganz korrekt zitiert - ich habe das Zitat hier -, ich habe den ganzen Satz zitiert, und ich habe auch erwähnt, daß Sie im weiteren Verlauf des Aufsatzes zu einem anderen Ergebnis kommen, nämlich daß Sie im Ausland alles zeigen wollen. Aber ich habe die Begründung kritisiert, mit der Sie das tun. Ich wiederhole das hier: Sie haben hier wiederum etwas gesagt, was wir für fundamental falsch halten. Es geht dabei nicht um demokratischen Konsens, sondern es geht darum, daß Sie als Mitglied der Regierung verpflichtet sind, die Verfassung zu beachten. Es ist die Verfassung, die Ihnen vorschreibt - Art. 5 des Grundgesetzes -, daß es nicht in Ihrer Macht steht, auszusuchen, was im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik im Ausland gezeigt werden kann. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Aber jetzt bin ich noch eine Weile dran, Sie müssen noch ein bißchen hierbleiben. Für die Entschließungsanträge zu Tagesordnungspunkt 25 ist Ausschußüberweisung beantragt worden. Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2262 soll zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft überwiesen werden. Für die beiden Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/2279 und 10/2280 ist die Überweisung zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft beantragt. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 26. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 10/2185 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. November 1984, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.