Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 6 der Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktion der SPD, Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" - Drucksache 10/1722 -, abgesetzt werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Die Fraktion der SPD hat beantragt, die heutige Tagesordnung um den Punkt Erste Beratung des von den Abgeordneten Waltemathe, Müntefering, Conradi, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von Wohngeldleistungen, genannt Wohngeldsicherungsgesetz - Drucksache 10/2140 - zu erweitern. Der Antrag ist rechtzeitig zugegangen. Wird zu diesem Antrag das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Ich weise vorsorglich darauf hin, daß der einzelne Redner eine Redezeit von fünf Minuten nicht überschreiten darf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir einen Tagesordnungspunkt abgesetzt haben, gibt es wohl keine zeitlichen Bedenken, wenn ich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion beantrage, den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Wohngeldleistungen - das ist die Drucksache 10/2140 vom 18. Oktober 1984 - auf die heutige Tagesordnung-des Bundestages zu setzen, damit eine erste Lesung und die Überweisung an die Ausschüsse unverzüglich stattfinden können und das Gesetz nach Beratung im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und im Haushaltsausschuß des Bundestages noch so rechtzeitig abschließend behandelt werden kann, daß es am 1. Januar 1985 in Kraft treten kann. Diesen Geschäftsordnungsantrag möchte ich kurz wie folgt begründen.
Erstens. Die Bundesregierung hat angekündigt, daß die überfällige Anpassungsnovelle zum Wohngeldgesetz nicht vor dem Jahr 1986 kommen wird. Das macht es aber erforderlich, schon jetzt gesetzgeberisch klarzustellen, daß Leistungen an die berechtigten Wohngeldempfänger im Jahre 1985 jedenfalls infolge von Rentenerhöhungen oder auch
Lohnerhöhungen nicht gekürzt werden dürfen. Der Beratungsbedarf ist besonders dringlich. Rund 1 Million Rentnerhaushalte und etwa eine halbe Million anderer Haushalte müssen Klarheit haben, ob und wie sie ihre Wohnkosten im nächsten Jahr aufbringen können.
Zweitens. Um die Angelegenheit in der Sache beraten zu können, muß eine erste Beratung hier stattfinden, damit alsdann im Fachausschuß inhaltliche Entscheidungen getroffen werden können. Insoweit darf ich auf die §§ 75 Abs. 1 und 78 unserer Geschäftsordnung verweisen.
Drittens. Der Deutsche Bundestag hat hier am 20. September 1984 in der sogenannten Selbstverständnisdebatte festgestellt, daß er der aus unmittelbarer Wahl hervorgegangene Souverän ist. Dann ist es um so dringlicher, daß er seinen gesetzgeberischen Verpflichtungen als Volksvertretung auch entsprechend Rechnung trägt und ein Gesetz, das am 1. Januar 1985 Gültigkeit haben soll, rechtzeitig verabschiedet.
Viertens. Da wir als SPD-Fraktion seriös sind, haben wir auch kalkuliert, daß unser Gesetzentwurf zur Sicherung von Wohngeldleistungen im Jahre 1985 einen zusätzlichen Finanzaufwand des Bundes von 50 Millionen DM erfordern wird. Wenn sich diese Auffassung als richtig erweisen sollte, so wäre aus Gründen der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit eine Berücksichtigung im Bundeshaushalt 1985 vorzusehen. Dieser Bundeshaushalt aber soll in der übernächsten Sitzungswoche hier im Hause abschließend beraten werden. Es ist deshalb erforderlich, daß sich der Haushaltsausschuß noch in der nächsten Sitzungswoche mit den finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfs befaßt, und das wiederum setzt eine entsprechende Überweisung heute voraus, also eine erste Lesung des Gesetzentwurfs.
Fünftens. Das Gesetz kann nur mit Zustimmung des Bundesrates zustande kommen. Auch deshalb müssen die zweite und dritte Lesung noch so rechtzeitig stattfinden, daß sich auch die Ländervertretung noch mit der Angelegenheit befassen kann.
Aus allen diesen Gründen wäre es völlig unverständlich, wenn der Bundestag die erste Beratung nicht noch heute, spätestens morgen auf seine Ta7032
gesordnung setzen würde. Da der Gesetzentwurf selbst unkompliziert ist und da wir uns nicht vorstellen können, daß nicht der gesamte Bundestag die Wohngeldleistungen im Jahre 1985 gesetzlich absichern will, bitte ich alle Fraktionen dieses Hauses, der Aufsetzung der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der SPD-Bundestagsfraktion zur Sicherung von Wohngeldleistungen auf die heutige Tagesordnung zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Waltemathe, wenn ich mir die Präsenz in Ihrer Fraktion ansehe, fällt es mir schwer, an die Ernsthaftigkeit Ihres Antrages zu glauben.
({0})
Die ganze Wahrheit ist doch: Der Minister hat gesagt, daß er eine Wohngelderhöhung zum 1. Januar 1985 anstrebt. Er ging davon aus, daß eine weitere Erhöhung zum 1. Januar 1987 erfolgen sollte. Da gleichzeitig Strukturveränderungen, die dringend notwendig sind, erfolgen sollen, haben wir 1986 gewählt, um ausreichend Zeit zur Vorbereitung dieser Novelle zu haben.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 6. April dieses Jahres einen Entschließungsantrag eingebracht, nach dem eine Erhöhung zum 1. Januar 1986, eine Verbesserung der Leistungstabellen und diese Strukturveränderungen erfolgen sollen. Diese Forderungen bestehen nach wie vor und werden nachdrücklich verfolgt.
({1})
- Zu spät, Herr Kollege Waltemathe. Wir sind es doch endlich leid, dauernd Gesetze zu verabschieden, die mit der heißen Nadel genäht werden.
({2})
Die in Ihrem Antrag angeführten Sachverhalte, die übrigens so nicht stimmen,
({3})
stellten sich schon im April dieses Jahres nicht anders dar.
Vor diesem Hintergrund ist der von uns gewählte Weg solide, umfassender und für alle Wohngeldempfänger hilfreicher.
Erstens: Es wird früher sein, als die Bundesregierung mittelfristig geplant hatte.
({4})
Zweitens: Es wird umfangreicher sein, als eine Wohngeldnovelle je gewesen ist.
({5})
Drittens: Sie wird zielgerichteter sein, weil wir die Strukturverzerrung bereinigen werden.
Wir lehnen den Antrag der SPD-Fraktion ab.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD nach § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung wird von uns unterstützt.
({0})
Wir beantragen, die heutige Tagesordnung zu ändern und die Beratung eines Gesetzes zur Sicherung der Wohngeldleistungen gemäß Drucksache 10/2140 zusätzlich auf die Tagesordnung zu nehmen.
({1})
Begründen möchte ich das vor allem mit der Eilbedürftigkeit eines solchen Gesetzes im Interesse der Betroffenen. Die Eilbedürftigkeit ist entstanden aus der Nichteinhaltung des ursprünglich von Herrn Minister Schneider genannten Termins für die sechste Wohngeldnovelle zum 1. Januar 1985, Herr Kansy.
({2})
Das hat Herr Schneider selbst gesagt, am 8. Juni 1983 zu Beginn unserer Beratungen im Ausschuß.
({3})
Die nunmehr eingetretene Verzögerung von mindestens einem Jahr macht eine Übergangsregelung notwendig. Sie müßte mit Beginn des neuen Jahres - 1985 - in Kraft treten. Entscheidend ist dabei, daß die Menschen, die durch die Verzögerung der sechsten Wohngeldnovelle, durch schwindende Finanzkraft, durch Arbeitslosigkeit, durch rückläufige Einkünfte und durch steigende Wohnkosten und Wohnnebenkosten benachteiligt sind, durch ein solches Gesetz wenigstens den Berechtigungsanspruch für ihr Wohngeld für ein weiteres Jahr behalten. Die Dynamik der Wohngeldentwertung wird so unterbrochen.
Ich bitte Sie daher, der Änderung der Tagesordnung jetzt hier zuzustimmen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion schließt sich vollinhaltlich den Aussagen der Frau Kollegin Hürland an. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß wir diesen Antrag ablehnen sollten.
({0})
- Herr Waltemathe, wenn Sie schon so überzeugt sind von dem, was Sie ausgeführt haben, muß ich Sie fragen, warum Ihnen das erst heute morgen einfällt.
Im Namen der FDP-Fraktion lehne ich diesen Antrag ab.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD. Wer der Aufsetzung auf die Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Bericht über die Tagung der WEU in Rom
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Außen- und die Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union haben auf ihrer Sondertagung in Rom am 26. und 27. Oktober dieses Jahres wichtige Entscheidungen getroffen. Ich möchte Sie heute über Verlauf und Ergebnis dieses Treffens, das aus Anlaß des 30. Jahrestages der Unterzeichnung des modifizierten Brüsseler Vertrages stattfand und an dem ich zusammen mit dem Kollegen Wörner teilgenommen habe, unterrichten.
Im Februar dieses Jahres hatte Frankreich ein Memorandum mit Vorschlägen für eine bessere Nutzung der Westeuropäischen Union im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung vorgelegt. Die Bundesregierung hat diese französische Inititative von Anfang an unterstützt. Wir hatten schon im Jahre 1981 mit einer Initiative für eine Europäische Akte eine engere Zusammenarbeit der zehn Staaten der Europäischen Gemeinschaft auch in der Sicherheitspolitik vorgeschlagen. Diese Vorschläge konnten damals wegen des Widerstandes einiger Partner in der Europäischen Gemeinschaft nicht in dem von uns gewünschten Umfang verwirklicht werden.
Die Zusammenarbeit der Zehn bleibt gemäß der Feierlichen Deklaration zur Europäischen Union von Stuttgart 1983 auf die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Sicherheit beschränkt. Die Bundesregierung wird sich auch künftig aktiv darum bemühen, daß die politische Zusammenarbeit der Zehn - nach dem Beitritt von Spanien und Portugal der Zwölf - gefestigt und vertieft wird. Sie wird zusammen mit ihren Partnern in der Westeuropäischen Union darauf hinwirken, daß die engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit dieser sieben Staaten die politische Zusammenarbeit der EG-Partner nicht beeinträchtigt.
In der Westeuropäischen Union sind die sieben europäischen Staaten vertreten, die zu einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit bereit sind. Portugal hat seinen Beitritt inzwischen beantragt. Die Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Italien, Holland, Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland, sind übereingekommen, den im Vertragswerk der Westeuropäischen Union gegebenen Rahmen für eine engere Kooperation in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu nutzen. Diese Zusammenarbeit von sieben europäischen Staaten fördert auch den europäischen Einigungsprozeß. Sie stärkt die europäische Identität auch in der Sicherheitspolitik.
Die Belebung der Westeuropäischen Union stärkt den europäischen Pfeiler des Atlantischen Bündnisses und verbessert den transatlantischen Dialog. Das Bündnis mit den USA und Kanada erhält damit zusätzliche positive Impulse.
Wir sind überzeugt, daß solche positiven Impulse nach der Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten auch von den Vereinigten Staaten ausgehen werden, nachdem Präsident Reagan erklärt hat, daß sich die Vereinigten Staaten noch verstärkt um Zusammenarbeit, Abrüstung und Entspannung mit den Staaten des Warschauer Pakts bemühen wollen.
Mit der besseren Nutzung der Westeuropäischen Union erlangt Europa stärkeres politisches Gewicht im Bündnis. Es kann einen wirksameren Beitrag zur Stabilisierung und Entwicklung des West-OstVerhältnisses leisten. Alle unsere Bemühungen dienen einem Ziel: der Erhaltung des Friedens auf unserem Kontinent. Alle 16 Staaten, die im Atlantischen Bündnis vertraglich verbunden sind, setzen sich für die gleichen gemeinsamen Werte ein:
({0})
für Frieden in Freiheit, für Menschenrechte und für das Selbstbestimmungsrecht.
({1})
- Herr Kollege, wenn Sie mit einem dieser Ziele nicht einverstanden sind, haben Sie nachher Gelegenheit, das hier vorzutragen und zu begründen.
({2})
Im Vertrag über die Westeuropäische Union ist die enge Verbindung zur NATO ausdrücklich vertraglich verankert. Diese enge Verklammerung zwischen Westeuropäischer Union und NATO hält die Bundesregierung für unerläßlich. Alle NATO-Staaten werden regelmäßig und umfassend über die Beratungen und Beschlüsse der Westeuropäischen Union unterrichtet werden. Dieselben Themen, die wir dort behandeln, können im erweiterten Bündniskreis aufgenommen und vertieft werden. Umgekehrt werden wir auch Anregungen von Bündnispartnern, die nicht der Westeuropäischen
Union angehören, im Rahmen der Union erörtern können.
Die Bundesregierung steht, insbesondere seit der Übernahme der Präsidentschaft in der Westeuropäischen Union im Juni diesen Jahres in engem Kontakt mit den übrigen Partnern der Allianz, um sie über die neuen Entwicklungen zu unterrichten. Nach der Tagung in Rom, auf die ich noch im einzelnen zu sprechen komme, hat die Bundesregierung als derzeitiger Inhaber der Präsidentschaft den NATO-Rat ausführlich unterrichtet.
Mit einer stärkeren Nutzung der Westeuropäischen Union zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit können die Europäer einen wichtigen Beitrag zum Dialog und zur Zusammenarbeit im Rahmen des West-Ost-Verhältnisses leisten. Die Staaten der WEU haben in Rom entsprechend den Grundsätzen des Harmel-Berichts die Konzeption des Atlantischen Bündnisses bestätigt, wie sie in der NATO-Erklärung von Washington vom 31. Mai 1984 festgestellt wurde: Die verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Westeuropäischen Union wird zur Aufrechterhaltung einer angemessenen militärischen Stärke und politischen Solidarität und auf dieser Grundlage zu stabileren Beziehungen zwischen Ost und West durch die Förderung von Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung beitragen. Das entspricht dem Harmel-Bericht, der Verteidigung und Entspannung zu den unverzichtbaren Elementen einer aktiven Friedenspolitik rechnet.
Der Vertrag über die Westeuropäische Union in seiner modifizierten Fassung von 1954 ist jetzt 30 Jahre alt. Seine Möglichkeiten wurden seit langem nicht optimal genutzt. Eine Verbesserung dieser Nutzung verlangt eine Anpassung der vorhandenen Strukturen an die neuen Aufgaben und die Aufhebung überholter Bestimmungen. Das gilt insbesondere für die Bestimmungen zur Kontrolle der konventionellen Rüstung der Partner der WEU auf dem europäischen Festland. Unter den in der Westeuropäischen Union und im Atlantischen Bündnis zusammengeschlossenen Bündnispartnern ist offener Einblick in die militärischen Fähigkeiten gewährleistet. Diese Offenheit und Transparenz unter Bündnispartnern und nicht obsolete Kontrollen tragen wesentlich bei zu dem Vertrauen, das für eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit unter gleichberechtigten Partnern notwendig ist.
Dieser Tatsache haben die Minister in Rom Rechnung getragen. Sie kamen überein, die Mengenkontrollen konventioneller Waffen stufenweise abzuschaffen. Sie sollen bis zum 1. Januar 1985 beträchtlich verringert und ab 1. Januar 1986 völlig aufgehoben werden. Bereits vor der Ministertagung in Rom - durch Beschluß des Ständigen Rates der WEU vom 27. Juni 1984 - waren die letzten ausschließlich für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Herstellungsverbote des Vertragswerks über die Westeuropäische Union im Bereich konventioneller Waffen aufgehoben worden. Sie waren mit der Absicht der WEU-Staaten, die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in einer gleichberechtigten Partnerschaft zu vertiefen, längst nicht mehr vereinbar.
({3})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, für die Bundesregierung gebe ich dazu die folgende Erklärung ab:
Der Beschluß des Ständigen Rates steht in keinem Zusammenhang mit konkreten Rüstungsvorhaben der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht die Herstellung strategischer Raketen und Bomber.
({5})
Sie hat dies bereits gegenüber dem Generalsekretär der Westeuropäischen Union und den Partnern der Westeuropäischen Union erklärt.
Die Bundesregierung beabsichtigt auch nicht den Export derartiger Waffen. Nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz sind Produktion und Export dieser Waffen genehmigungsbedürftig. Die Bundesregierung verfügt also über ein wirksames Instrument, ihrem Willen Geltung zu verschaffen.
Der Beschluß des Ständigen Rates vom Juni berührt nicht den im WEU-Vertrag enthaltenen Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von ABC-Waffen. Die darauf bezogenen Kontrollen der Westeuropäischen Union bestehen fort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, an die Adresse derjenigen Staaten, die die Entscheidung der Westeuropäischen Union zur Aufhebung der Beschränkungen für die Bundesrepublik Deutschland kritisieren, richte ich die Aufforderung, ihre Polemik gegen die Bundesrepublik Deutschland einzustellen, unserem Beispiel zu folgen und durch die Übernahme entsprechender Selbstbeschränkungen einen substantiellen Beitrag zur Abrüstung in Europa zu leisten.
({6})
Die von den Ministern verabschiedete Erklärung von Rom und das Dokument zur institutionellen Reform bilden die Grundlage für die künftige enge sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit der Sieben.
Die wichtigsten Entscheidungen von Rom sind folgende: Die Mitgliedstaaten der WEU werden eine Harmonisierung ihrer Auffassungen zu allen wichtigen sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen anstreben, in denen sich eine gemeinsame europäische Haltung im Bündnis empfiehlt. Entsprechend Ziffer 8 der Erklärung von Rom sind dies insbesondere die folgenden Bereiche: Verteidigungsfragen, Rüstungskontrolle und Abrüstung, Auswirkungen von Entwicklungen in den Ost-West-Beziehungen auf die Sicherheit Europas, Europas Beitrag zur Stärkung des Atlantischen Bündnisses unter Berücksichtigung der Bedeutung der transatlantischen Beziehungen, die Entwicklung der europäischen Zusammenarbeit im Rüstungsbereich, in dem die Westeuropäische Union einen wichtigen Impuls geben kann. Die Westeuropäische Union kann sich ebenfalls mit den Auswirkungen von KriBundesminister Genscher
sen in anderen Regionen der Welt auf Europa befassen.
Zur Verwirklichung dieser Ziele vertraten die Minister die Auffassung, daß die Organe der Westeuropäischen Union den neuen Aufgaben angepaßt werden müssen. Sie beschlossen, daß der Ministerrat künftig zweimal im Jahr auf Ministerebene zusammentreten soll. An diesen regelmäßigen Sitzungen werden zukünftig die Außen- und Verteidigungsminister teilnehmen; zusätzliche getrennte Sitzungen der Außen- und Verteidigungsminister können abgehalten werden.
Es ist ferner eine Reform des Rüstungskontrollamtes und des Ständigen Rüstungsausschusses vorgesehen.
({7})
Beide Gremien sollen reorganisiert werden und folgende Aufgaben übernehmen: die Prüfungen von Rüstungskontroll- und Abrüstungsfragen unter Beibehaltung der noch verbleibenden Kontrolltätigkeit im ABC-Bereich, die Untersuchung von Sicherheits-und Verteidigungsfragen, die aktive Förderung der europäischen Rüstungskooperation.
Bei der Zusammenarbeit im Rüstungsbereich soll die Westeuropäische Union künftig politische Anstöße für die bereits unternommenen Anstrengungen in anderen Gremien geben, insbesondere in der Unabhängigen Europäischen Programmgruppe und im Ausschuß der Nationalen Direktoren für Rüstungsfragen.
Der Ministerrat erteilt dem Ständigen Rat den Auftrag, für die nächste Sitzung des Ministerrates Berichte vorzulegen: zur Umstrukturierung des Rüstungskontrollamtes und des Ständigen Rüstungsausschusses so, daß sie den künftigen Aufgaben der Westeuropäischen Union besser gerecht werden; zur Verbesserung und Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit im Bereich von Sicherheit und Verteidigung; zur Prüfung, ob und wie für die Arbeit des Ministerrats der Rat militärischer Experten genutzt werden kann; schließlich zur Behandlung des portugiesischen Antrags auf Beitritt zur Westeuropäischen Union, der kurz vor Beginn der Tagung in Rom gestellt worden ist.
Außerdem beauftragte der Ministerrat das Generalsekretariat, Vorschläge vorzulegen, wie seine Arbeit durch personelle Umstrukturierung effektiver gestaltet werden kann, ohne den Personalbestand zu erhöhen.
Im Rahmen dieser Berichte werden auch die Vorschläge zu berücksichtigen sein, die die Bundesregierung eingebracht hat. Dazu gehört die Einrichtung eines europäischen Forschungsinstituts für Sicherheitspolitik. Einige Mitgliedstaaten besitzen zwar wissenschaftliche Institute zur Erforschung sicherheits- und verteidigungspolitischer Fragen, jedoch gibt es bisher noch kein europäisches Forschungsinstitut für Sicherheitspolitik. Die Westeuropäische Union könnte mit einem solchen Institut ein Diskussions- und Studienforum für Strategiefragen, Rüstungskontrollpolitik und sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit schaffen.
Ferner ist beabsichtigt, die gezielte Zusammenarbeit der Mitglieder der Westeuropäischen Union im Bereich der wehrtechnischen Grundlagenforschung und der industriellen Wartung eingeführter Waffensysteme zu verbessern.
Die WEU sollte sich ferner mit den Problemen des militärischen Technologietransfers befassen. Die Entwicklung in diesem Bereich hat Auswirkungen auf den nichtmilitärischen Wirtschaftsbereich in erheblichem Maß.
Die nächste Tagung der Außen- und Verteidigungsminister wird im ersten Halbjahr 1985 in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, und zwar voraussichtlich im April. Bei dieser Tagung werden die Berichte behandelt und über die darin entwikkelten Vorschläge entschieden werden. Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle werden diese Tagung maßgeblich bestimmen. Die vertragliche weltweite Ächtung der chemischen Waffen wird dabei ein zentrales Thema sein. Es wird außerdem über die Probleme der militärischen Nutzung des Weltraums und ihre Bedeutung für Europa gesprochen werden.
Die Minister haben in Rom hervorgehoben, daß die Versammlung der Westeuropäischen Union, das parlamentarische Gremium der Union, bei der verstärkten Nutzung der Westeuropäischen Union einen wichtigen Platz einnehmen muß. Aus diesem Grund hat der Ministerrat eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, wie die Rolle der Versammlung ausgebaut und wie die Beziehungen des Ministerrates zur Versammlung intensiviert werden können.
Die deutsche Präsidentschaft in der WEU hat erste Schritte zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Versammlung unternommen. Am 29. Oktober 1984 ist die Versammlung, ebenfalls anläßlich des 30. Jahrstages der Unterzeichnung des modifizierten Brüsseler Vertrages, in Rom zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Als Vorsitzender des Ministerrates habe ich vor der Versammlung die Beschlüsse der Minister erläutert. Die anschließende Aussprache machte deutlich, daß die Versammlung einen aktiven Beitrag zur verstärkten sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union leisten wird. Die beiden wichtigsten Organe der WEU, der Ministerrat und die Versammlung, sind damit bereit, die ihnen bei der verstärkten Nutzung der Westeuropäischen Union zukommenden Aufgaben zu übernehmen.
Die wiederholte Feststellung des westlichen Bündnisses, daß Abrüstung und Rüstungskontrolle integrale Bestandteile der Sicherheitspolitik sind, gilt auch für die Arbeit der WEU. Deshalb werden diese Themen in der künftigen Arbeit erhebliches Gewicht haben.
Das Gewicht unseres Beitrages, des Beitrages der Europäer zur gemeinsamen Sicherheit, bestimmt auch das Gewicht der europäischen Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle im Bündnis. Alle Bemühungen um eine verstärkte Nutzung der Westeuropäischen Union dienen einem gemeinsamen Ziel: der Erhaltung des Friedens auf unserem Kontinent. Wenn die sieben Mitgliedstaaten ihre
Anstrengungen in der Westeuropäischen Union bündeln, wenn sie ihre Auffassungen zu sicherheits- und verteidigungspolitischen Fagen harmonisieren, stärken sie die europäische Identität. Mit der Belebung der Westeuropäischen Union gewinnt Europa auch sicherheitspolitisch Profil.
({8})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion bekennt sich heute wie im Heidelberger Programm unserer Partei vor 59 Jahren zu den vereinigten Staaten von Europa. Die Europäische Gemeinschaft ist für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. Wir wollen daran mitarbeiten, daß aus einer Wirtschaftsgemeinschaft eine europäische Friedensgemeinschaft wird. Auf diesem Weg braucht Europa Sicherheit. Es bedarf des Gegengewichts zum östlichen Militärblock, es bedarf aber auch der Gegenkräfte zu offensiven Militärdoktrinen und Rüstungsprojekten im westlichen Militärblock. Die Konkurrenz eigensüchtiger und womöglich selbstmörderischer Sicherheitskomplexe muß überwunden werden. Unser Ziel ist es, auf der Grundlage einer Sicherheitspartnerschaft der bestehenden Militärblöcke eine europäische Friedensordnung zu schaffem, die diese Blöcke überwindet.
Wir wissen in Westeuropa, daß wir am Anfang diese Weges das für uns erreichbare Maß an Sicherheit nur mit unseren atlantischen Partnern und nur dann finden, wenn wir unsere westeuropäischen Sicherheitsinteressen innerhalb unseres Bündnisses definieren und durchsetzen. Denn es ist offensichtlich, daß das Sicherheitsinteresse Westeuropas auf Grund der geopolitischen Lage nicht deckungsgleich mit dem der atlantischen Partner sein kann. Und die Sicherheitsphilosophie von Nuklearmächten ist eine andere als die von Nichtnuklearmächten.
Will Westeuropa im Atlantischen Bündnis gleichberechtigter Partner sein, so muß die europäische Institution bestimmt werden, in deren Rahmen eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik entwikkelt werden soll.
Noch wichtiger als der institutionelle Ansatz ist die Entwicklung sicherheitspolitischer Gemeinsamkeiten Westeuropas in der Sache.
({0})
In dieser Sache finden wir die Kriterien dafür, ob die sogenannte Reaktivierung der WEU und die Konferenz von Rom schädlich oder nützlich, ein Mißerfolg oder ein Erfolg sind. In der Sache geht es um die Selbstbehauptung Europas durch Frieden, Sicherheitspartnerschaft, Rüstungskontrolle und Abrüstung durch Entspannung und auf dem Weg dahin durch Sicherheit in den westlichen Gemeinschaften. In der Sache geht es zunächst darum, ob eine Verklammerung der Sicherheitsrisiken aller Partner im Bündnis erreicht werden kann.
Die NATO kennt keine automatische Beistandspflicht, sondern Konsultation. Aber die Präsenz amerikanischer Truppen in Westeuropa steht für eine gemeinsame Sicherheit des Westens, auch vor der abenteuerlichen Möglichkeit eines begrenzten Atomkrieges. Eine Reaktivierung der WEU, die amerikanischen Politikern Vorwände für die Reduzierung der Zahl dieser Soldaten gäbe, wäre gefährlich.
Der Vertrag der WEU sieht eine automatische Beistandspflicht vor, aber sie steht nur auf dem Papier, solange sich die französischen Streitkräfte jeder militärischen Integration entziehen und die französische Atomstreitkraft erklärtermaßen nur zum Schutz des Sanktuarimus Frankreichs und womöglich noch auf deutschem Vorfeld geplant ist.
({1})
Hier geht es um die Sache, um die Sicherheitsphilosophie der Nuklearmacht Frankreich und nicht um Gesten und Symbole. Die Verklammerung von Sicherheitsrisiken kann nicht durch Händehalten Schlachtfeldern der Vergangenheit ersetzt werden.
({2})
Der feierliche Austausch von alten Regimentsfahnen und Kanonen ersetzt keine militärische Integration.
({3})
In der Sache geht es um die Rolle Frankreichs. Wie weit decken sich die Interessen Frankreichs an der Reaktivierung der WEU mit den Interessen der anderen WEU-Mitglieder, die an der militärischen Integration der NATO teilhaben und Risiko tragen?
Nach dem Interesse Frankreichs zu fragen verstößt nicht gegen den Geist der deutsch-französischen Freundschaft. Nur wenn womöglich unterschiedliche Interessen geklärt werden können, können gemeinsame Interessen geschaffen werden. Nur wenn es gemeinsame Sicherheitsinteressen gibt, gibt es gemeinsame Sicherheitspolitik. Wenn es bei einem drohenden Atomkrieg jemals um Sein oder Nichtsein von Völkern gehen sollte, dann wird nicht nach dem Gefühl von selbsternannten Enkeln Adenauers und de Gaulles entschieden, sondern nach existentiellen Sicherheitsinterssen.
({4})
Für die Gemeinsamkeit solcher Interessen muß hart, mit Leidenschaft für den Frieden und für Europa, aber auch mit Zähigkeit und kühler Vernunft gearbeitet werden.
Dafür gibt es eine Reihe institutioneller Ansätze. Einmal ist es die EPZ im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Sie wird erschwert durch die Sonderrolle Irlands, Dänemarks und Griechenlands. Und dann gibt es die Zusammenarbeit der europäischen NATO-Partner in ihren Gremien. Sie wird erschwert durch die Sonderrolle Frankreichs.
Wenn nun im Rahmen der WEU ein neuer Versuch begonnen wird, dann ist er nur sinnvoll, wenn die Rolle Frankreichs klar wird. Es kann keine besondere Sicherheit Frankreichs innerhalb der westeuropäischen Sicherheit geben.
({5})
Die Force de frappe darf kein Tabu sein. Das gilt, wenn die Abschreckung versagt, es gilt aber vor allem, wenn die Abschreckung durch Rüstungskontrolle und Abrüstung überwunden werden soll. Die Modernisierung der französischen Atomwaffen darf nicht zum Tempomacher eines neuen eurostrategischen Rüstungswettlaufs werden. Sie darf noch nicht einmal zum Vorwand, aber auch nicht zum Vorwurf genommen werden, daß Rüstungskontrollvereinbarungen an ihr wie im letzten Jahr in Genf scheitern.
Wenn Sie, Herr Minister, in den wenigen Tagen nach der Konferenz von Rom mit Ihrem Kollegen Cheysson eine neue Abrüstungsinitiative innerhalb der WEU entwickelt haben, über die Sie im Parlament noch nicht einmal informiert haben, dann kann ich Ihnen nur sagen: Nichts ist für die Glaubwürdigkeit der Rüstungskontrollpolitik gefährlicher als die Inititiativen, die zwischen Tür und Angel aus dem Ärmel geschüttelt werden, um die Öffentlichkeit zu beruhigen.
({6})
Für den Geist - oder genauer gesagt: für den Rauch - der Erklärung von Rom ist nichts so bezeichnend wie der Satz des Kommuniqués - ich zitiere -:
Die ABC-Waffen betreffenden Verpflichtungen und Kontrollen werden im bisherigen Umfang im Einklang mit den bisher vereinbarten Verfahren beibehalten.
({7})
Nur Kenner des Vertrags und der Wirklichkeit der WEU wissen, was das bedeutet: Die Kontrollen gegenüber der Bundesrepublik werden für ABC-Waffen wie bisher beibehalten, und das ist richtig. Aber die Kontrollen für die französischen Atomwaffen, die nach Art. 3 des Protokolls Nr. III des WEU-Vertrags eigentlich erfolgen müßten, werden wie bisher und entgegen dem Vertragswortlaut nicht durchgeführt.
Ich weiß nicht, Herr Minister, ob sich Bundeskanzler Kohl all dessen bewußt ist. Er freut sich immer so, wenn er Präsident Mitterrand trifft. Aber ist er ihm auch gewachsen?
({8})
Hat der die Fähigkeiten, die Einsichten und den Mut, mit seinem souveränen Partner so souverän zu sprechen wie seine Vorgänger?
({9})
Ich habe gute Gründe zu der Annahme, daß diese Sache mit der französischen Regierung vor dem
Treffen in Rom nicht geklärt worden ist. Die Verlautbarungen über das deutsch-franzäsische Treffen in Bad Kreuznach geben auch keine Auskunft darüber, ob nach dem Treffen von Rom darüber gesprochen worden ist.
Die Erklärung von Rom und die Beschlüsse zur institutionellen Reform der WEU umfassen zehn Schreibmaschinenseiten. Davon kann man neuneinhalb Seiten mangels Substanz getrost vergessen.
In Erinnerung bleiben wird die bewundernswürdige Begabung Hans-Dietrich Genschers, sie in Pressekonferenzen, Reden und Erklärungen mit kleinen Variationen geradezu automatenhaft zu reproduziern, so daß doch alles original und originell wirkt.
({10})
In Rom ist in der Sache nichts beschlossen worden, jedenfalls nichts Neues. Man hat Arbeitsgruppen eingesetzt, Berichte und Studien angefordert. Man hat beschlossen, sich öfters zu treffen, zu reden und einander ernst zu nehmen. Das kann nicht schaden, aber das ist noch keine europäische Sicherheitspolitik.
({11})
Es ist nicht aussichtslos, daß sie sich daraus noch entwicklen kann, aber gewiß nur dann, wenn man den Mut und die Fähigkeit zur nüchternen Analyse der Interessenlage hat, wenn man die Gemeinsamkeit von Interessen sorgfältig erarbeitet und Beschlüsse in der Sache gründlich vorbereitet.
({12})
Das alles ergibt sich nicht von selbst aus einem 30jährigen Jubiliäum und einer Feierveranstaltung. Nein, die Sache ist zu ernst, als daß man sie bloßer Euro-Betriebsamkeit überlassen könnte.
({13})
Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, daß der europäische Pfeiler der NATO gestärkt werden muß. Wir wollen uns nicht überheben, aber wir wollen lieber mittragen als ertragen.
Europa muß mehr für seine Sicherheit tun. Das kann auch ein Element für seine politische Einigung sein. Das gilt für das Europa der Zehn. Es kann im Europa der Sieben beginnen, aber nur dann, wenn es kein anderes Land ausschließt, das Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist.
({14})
Sicherheit ist ein Element politischer Einigung - nicht das einzige und nicht das ausschließliche. Ich sage vorbeugend und mit Zuspitzung: Eine Militarisierung des europäischen Einigungsprozesses werden wir bekämpfen. Wir werden mit doppelter Kraft kämpfen, wenn er auf ein Kleineuropa reduziert wird.
({15})
Ich füge hinzu: Wir werden gegen alles kämpfen, was die europäische Teilung vertieft.
({16})
Das gilt nicht nur im Verhältnis der europäischen NATO-Partner zueinander und im Verhältnis zwischen dem Europa der Zehn und der Sieben, das gilt auch im Ost-West-Verhältnis.
Die WEU wird auch daran gemessen werden, wie sie dazu beitragen kann, die Spaltung Europas zu überwinden. Unser Ziel ist eine europäische Friedens- und Freiheitsordnung. Das ist auch die europäische Antwort auf die deutsche Frage. An diese Frage erinnere ich, weil die Aktivierung der WEU vor 30 Jahren damit zu tun hatte. Ihr kunstvolles Rüstungskontrollwerk für die Bundesrepublik ermöglichte den westdeutschen Verteidigungsbeitrag in der NATO. Das hatte Auswirkung auf die deutsche Teilung.
Hat auch die Reaktivierung der WEU heute damit etwas zu tun? Keimt an der alten Stelle der Furcht vor dem westdeutschen Militarismus nun die Furcht vor einem gesamtdeutschen Pazifismus. Im Westen? Im Osten?
Wir Deutsche brauchen Vertrauen im Osten wie im Westen. Mißtrauen dürfen wir nicht fahrlässig Raum geben. Genau das ist geschehen.
Die WEU hat die Rüstungskontrollbestimmungen für die Bundesrepublik bei strategischen Bombern und Raketen aufgehoben. Wir haben diese Bestimmungen nie als Diskriminierung empfunden. Die Konsequenzen deutscher Geschichte sind zu schwer, als daß man sie so leicht verdrängen könnte.
({17})
Die Aufhebung dieser Bestimmungen ist ein Vertrauensvorschuß. Die Bundesregierung hätte ihm gerecht werden können, wenn sie vor dem Deutschen Bundestag verbindlich erklärt hätte, auf Entwicklung, Herstellung und Export dieser strategischen Waffen verzichten zu wollen,
({18})
und zwar rechtzeitig. Den polemischen Schlagabtausch mit der Sowjetunion hätte man sich dadurch ersparen können.
({19})
Der Argwohn der Sowjetunion war ja nicht ganz unbegründet nach neuen Sprüchen aus der Union und nach alten Plänen des letzten Strategen in der Union, Franz Josef Strauß.
Die SPD-Fraktion nimmt die heutige Erklärung des Außenministers zur Kenntnis. Sie wird sie sorgfältig überprüfen daraufhin, ob in ihr nicht doch Schlupflöcher vorhanden sein könnten, die wir dicht machen wollen. Wir werden aber vor allem
Ihre Vorhaben für eine verstärkte Rüstungskooperation kritisch überprüfen. Wir wollen zu den vorhandenen eurostrategischen Atomraketen nicht noch zusätzliche konventionelle strategische Raketen in Europa. Wir wollen erst recht keine Beteiligung der westdeutschen Rüstungsindustrie daran.
({20})
In Bad Kreuznach hat Bundeskanzler Kohl die Weiterentwicklung einer europäischen Trägerrakete als einen - ich zitiere - „weiteren Hinweis auf die vitale Kraft Europas" bezeichnet. HN 60 und Ariane 5 sind zivile Projekte. Wir fragen: Ist militärischer Mißbrauch ausgeschlossen? Wir werden Sie weiter fragen.
Unsere Antwort steht fest: Wir wollen kein Europa der Waffenhändler und der Raketen. Wir wollen ein Europa der Sicherheit und des Friedens. Wir brauchen kein vitales Europa, uns langt ein lebendiges. Wir wollen, daß Europa eine Zukunft hat.
({21})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als wir vor wenigen Monaten im Auswärtigen Ausschuß über die Situation der Westeuropäischen Union sprachen, gehörte ich eigentlich zu den Skeptikern im Raum. Einer, der mich davon überzeugen wollte, daß die Weiterentwicklung der Westeuropäischen Union besonders notwendig sei, war der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Horst Ehmke. Ich hatte daher angenommen, daß er heute morgen die Rede für seine Fraktion hält. Statt dessen hat Herr Gansel seinen ganzen Unmut über die Weiterentwicklung der Westeuropäischen Union ausgegossen.
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Ich stelle mir nun die Frage: Was will die Sozialdemokratische Partei eigentlich? Hat sie noch eine einheitliche Linie oder ist sie hier auch schon auf dem Abmarsch ins grüne Abseits?
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Der Deutsche Bundestag hat vor zwei Jahren eine Diskussion über die Situation in Europa veranstaltet, und er hat dabei überlegt, welche Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation gegeben sind. Es gab damals sehr viele Hoffnungen, auch Bedenken, zum weiteren Weg der Europäischen Gemeinschaft, es gab sehr viele Überlegungen zur Entwicklung des Europarates, nur über eine Organisation hat eigentlich niemand etwas gesagt - das war die Westeuropäische Union; denn um diese Zeit - und darüber müssen wir uns im klaren sein - dachte niemand so sehr an dieses Dornröschen, das da in London und Paris domiziliert und eigentlich in den vergangenen 30 Jahren mehr als Firmenschild und weniger als eine Institution bekannt war, die zur Verbesserung der Zusammenarbeit in Europa beitrug.
Nun haben die Außen- und Verteidigungsminister der WEU in ihrer Veranstaltung in Rom etwas deftig diese schlafende Schöne, Westeuropäische Union, wachgeküßt. Ich gestehe ganz offen, daß ich mich als langjähriges Mitglied der Versammlung der Westeuropäischen Union zwar darüber gefreut habe, daß meine Skepsis über diese Situation aber geblieben ist. Diese Skepsis wird sich so lange erhalten, bis ich erfahre, was denn tatsächlich aus der Erklärung von Rom herauskommen wird, bis ich in den kommenden Gesprächen erfahre, ob in der Tat mehr als ein Frühlingserwachen im römischen Herbst stattgefunden hat und ob das, was an Erklärungen und Hoffnungen in Rom durch die Minister verbreitet wurde, auch über den europäischen Winter kommt.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie uns einen ganz kleinen Blick, einen realistischen Blick, wie ich hoffe, auf die europäische Landkarte tun. Ich möchte ihn auf die westeuropäische Landkarte eingrenzen. Es ist doch selbstverständlich, daß neben den Staaten, die keine Integration in Europa möchten, sei es aus Tradition, sei es aus Überzeugung, eine Reihe von Staaten existieren, die in der Europäischen Gemeinschaft Mitglied sind, die aber verhindern möchten, diese Europäische Gemeinschaft auch noch mit den Fragen der Sicherheit zu befrachten. Ich denke da im Augenblick weniger an die griechische Regierung, die die Europäische Gemeinschaft zur selben Zeit als Geldspender und als Sündenbock für eigene Fehler mißbraucht, sondern ich denke an Staaten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die durchaus bereit sind, diese Europäische Gemeinschaft zu prägen. Sie möchten nicht, daß die Verträge von Rom, die in erster Linie eine wirtschaftliche und finanzielle Integration vorsehen, durch Sicherheitsfragen ergänzt werden. Aber sie drängen auf der anderen Seite darauf - und das Beispiel der Republik Frankreich ist vom Herrn Außenminister bereits erwähnt worden -, daß in Fragen der Sicherheit eine engere Zusammenarbeit zwischen den Staaten erfolgen solle, die innerhalb des zusammenwachsenden Europa daran interessiert sind.
Hier bietet sich nun in der Tat die Westeuropäische Union als ein ideales Instrument an. Die Versammlung der WEU hat in vielen Berichten - ich glaube, es waren in den letzten 13 Jahren elf - vom Ministerrat gefordert, daß die Westeuropäische Union als das geeignete Instrument entwickelt wird, daß die Westeuropäische Union die Chance bekommt, für die europäische Sicherheit verbindlich zu werden. Ich will jetzt nicht lange untersuchen, warum der Ministerrat allzu lange gezögert hat, diese Forderungen der Parlamentarischen Versammlung zu akzeptieren. Ich will nur darauf hinweisen, daß es gerade die Versammlung war, daß es gerade die Parlamentarier waren, die versucht haben, dieses Instrument Westeuropäische Union aus dem Halbschlaf herauszureißen. Ich glaube, das war nicht nur der Wunsch von Menschen, die man aus den Parlamenten in diese Versammlung geschickt hatte, damit sie einen Befähigungsnachweis oder nur einen Tätigkeitsnachweis erbrächten, sondern es war einfach die Erkenntnis, daß wir uns heute eine europäische Zusammenarbeit auf dem Sicherheitssektor nicht nur leisten können, sondern leisten müssen.
Ich begrüße daher, daß es die französische Regierung war, die schließlich die Initiative ergriffen hat, auf die vielfältigen Wünsche der Versammlung einzugehen und die neuen Vorschläge den Ministern vorzulegen.
Herr Kollege Gansel, lassen Sie mich einmal mit aller Deutlichkeit sagen: Ich war ein wenig enttäuscht darüber, daß Sie Ihre heutige Rede mit einem antifranzösischen Akzent versehen haben.
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Die Tatsache, daß der sozialistische Präsident Frankreichs nicht den Traumtänzereien der gegenwärtigen SPD-Führung in Sachen Sicherheitspolitik folgt, sollte doch nicht zu solchen sozialnationalistischen Vorlesungen führen, wie wir sie eben bei Ihnen, Herr Kollege Gansel, erlebt haben.
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Wir sollten im Gegenteil froh darüber sein, daß man heute jenseits des Rheins mit größerer Selbstverständlichkeit als früher eine vernünftige Zusammenarbeit der europäischen Staaten gerade auf diesem Gebiet unterstützt.
Meine Damen und Herren, ich bin im Gegensatz zum Herrn Kollegen Gansel der Auffassung, daß die Initiative unseres Außenministers und die seines französischen Kollegen Claude Cheysson während der Kreuznacher Gespräche etwas Positives ist. Denn, Herr Kollege Gansel, dies war nichts, was man aus der hohlen Hand herausgeholt hatte, sondern dies ist eine Intitiative - wenn Sie in Rom etwas genauer aufgepaßt hätten, wäre Ihnen das bei der Sonderversammlung bereits aufgegangen -, die mit großer Sorgfalt vorbereitet worden ist und die inzwischen, wie wir ja wissen, auch die Unterstützung anderer Staaten der Europäischen Gemeinschaft gefunden hat.
Meine Damen, meine Herren, ich glaube, es hat keinen Sinn, lange über die Vorgeschichte zu sprechen. Es hat auch keinen Sinn, sich lange darüber zu erregen, daß die Regierungen eine Zeitlang das Instrument Westeuropäische Union nicht genutzt haben. Ich glaube, es wird einfach notwendig sein zu überlegen: Was können wir tun, um aus dieser Westeuropäischen Union mehr zu machen, als bisher geschehen ist? Hier bekenne ich auch: So sehr ich es begrüßt habe, daß die Außenminister in Rom ihre Erklärung abgegeben haben, so sehr glaube ich auch, daß diese Erklärung noch nicht ausreichend war. Wir müssen klipp und klar feststellen, daß diese Westeuropäische Union, die ja kein Militärblock im klassischen Sinne ist, sondern ein politisches Instrument zu sein hat, mit zwei großen Aufgaben bedacht ist. Sie soll auf der einen Seite dafür sorgen, Initiativen für Abrüstung und für Vertrauensbildung sowohl gegenüber dem Westen als auch
gegenüber dem Osten zu erreichen. Sie soll auf der anderen Seite durch ihren ständigen Rüstungsausschuß eine Koordinierung der Möglichkeiten im Rüstungsbereich erreichen, zu einer Kostensenkung, zu einer besseren Logistik und Ähnlichem führen.
Verehrter Herr Kollege Gansel, Sie haben in diesem Zusammenhang das Thema Diskriminierung oder Nichtdiskriminierung erwähnt. Ich habe den Eindruck, daß auch hier keine einheitliche Linie in Ihrer Fraktion existiert. Denn als wir in der Versammlung der Westeuropäischen Union vor mehreren Jahren die Debatten mit unseren ausländischen Kollegen über den Abbau der diskriminierenden Maßnahmen hatten, waren es deutsche Sozialdemokraten, die voll auf unserer Linie diese Politik unterstützt haben. Es war auch kein Zufall, daß es nicht Deutsche waren, die den Antrag für die Bundesrepublik gestellt haben, die Kontrollen und die weiteren Beschränkungen zu reduzieren und schließlich abzubauen, sondern daß es zwei frühere Offiziere der Résistance gewesen sind, die einmal gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft haben. Ich erinnere hier an unseren belgischen Kollegen Tanghe und unseren luxemburgischen Kollegen Prussen, die in ihren Berichten erst die Voraussetzungen für die Entscheidung der Versammlung geschaffen haben, dem Ministerrat und dem Ständigen Rat zu empfehlen, die Diskriminierung für die Bundesrepublik Deutschland abzubauen.
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Meine Damen, meine Herren, als vor dreißig Jahren diese Kontrollen eingeführt wurden, gehörte das zur Selbstverständlichkeit. Da war auf Grund der Erfahrungen, die unsere Nachbarvölker aus der NS-Zeit und aus dem Zweiten Weltkrieg hatten, natürlich eine solche Kontrolle geboten. Ich sage heute: Diese Kontrollen waren sogar nützlich. Sie waren zur Vertrauensbildung außerordentlich wichtig. Denn die Kontrollen haben schließlich ergeben, daß die Bundesrepublik Deutschland in den dreißig Jahren, in denen sie kontrolliert wurde, nicht in einem einzigen Fall gegen die Selbstverpflichtung verstoßen hat. Das heißt, sowohl für die Regierungen im Westen als auch für die Regierungen im Osten wird eines deutlich: Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland zu etwas verpflichtet, dann hält sie das auch ein, und zwar gleichgültig, welche Regierung die Macht im Staat ausgeübt hat.
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Insofern, Herr Kollege Gansel, war das, was der Herr Bundesaußenminister heute für die Bundesregierung erklärt hat, wieder ein Stück Vertrauensbildung. Ich habe daher Ihre Kritik und Ihre Suche nach nichtvorhandenen Schlupflöchern nicht verstanden.
Meine letzten Bemerkungen, Herr Minister, gelten Ihnen. Ich habe soeben schon kurz darauf hingewiesen, daß das, was in den Römischen Erklärungen zum Ausdruck gebracht wurde, nicht genügt.
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- Ja; dies ist richtig, wenn es auch in einem anderen Sinn gesagt wurde. Ich möchte, daß die Versammlung und der Ministerrat sich in kürzester Frist erneut wie vor 14 Tagen in Rom zusammensetzen, damit wir über die Ausgestaltung der Westeuropäischen Union, über die Ausgestaltung der Organe eine neue Überlegung anstellen können, z. B. mit der Frage versehen, ob es wirklich notwendig ist, einen Beamten und nicht einen Politiker als Generalsekretär der Westeuropäischen Union zu haben,
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um das notwendige Gewicht, das diese Westeuropäische Union nun einmal haben soll, zu bekommen.
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Es wird notwendig sein, zu untersuchen, ob wir wirklich zwei Sitze für eine so kleine Organisation benötigen, und es wird nötig sein, neue Mandate sowohl für das Rüstungskontrollamt als auch für den gemeinsamen Rüstungsausschuß zu geben.
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Und es wird schließlich notwendig werden, die Arbeit des Ministerrats und die Arbeit der Versammlung zu koordinieren, damit nicht beide Institutionen guten Willens aneinander vorbeireden, aber nicht das schaffen, was möglich ist.
Herr Minister, ich möchte Sie mit meiner Rede heute nicht nur zu Ihrer Regierungserklärung beglückwünschen, sondern ich möchte Sie zugleich auffordern, nun gemeinsam mit uns an die Arbeit zu gehen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im April dieses Jahres haben wir versucht, von dieser Stelle aus Alarm gegen einen Vorgang zu schlagen, den wir die Militarisierung der Europäischen Gemeinschaft genannt haben. Ein Disput, den wir gestern im Verteidigungsausschuß über den Begriff Militarisierung hatten, veranlaßt mich, ein bißchen auszuführen, was damit gemeint ist.
Von Militarisierung sprechen wir dann, wenn zivile Bereiche, zivile Institutionen mit militärischen Institutionen vermengt oder von ihnen verdrängt werden. Das heißt, wir bekennen uns zu einer positiven Auffüllung des Begriffs des Zivilen oder des Zivilismus.
Die Europäische Gemeinschaft ist durch einen historischen Umstand, den einige als einen Unfall empfunden haben, nämlich die Entscheidung in der Nationalversammlung 1954 in Frankreich, wo Gaullisten und Kommunisten miteinander gestimmt haben, gegen eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zivile Organisation oder, wie ich sagen würde, Zivilmacht geblieben.
Vogt ({0})
Wir haben im April Alarm geschlagen, weil im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft dieser Zustand unter anderem durch die Initiativen, von denen hier der Bundesaußenminister gesprochen hat, beendet werden sollte. Parlamentarisch ist dies versucht worden, indem man in einen Vertragsentwurf für eine Europäische Union einen Artikel, nämlich den Artikel 68, in der sogenannten Spinelli-Initiative eingefügt hat, der den Ausbau der Europäischen Gemeinschaft zu einer auch militärisch verfaßten Union zuläßt - nicht fordert, aber zuläßt.
Wir haben deshalb damals diesem Entwurf nicht zustimmen können. Wir waren aber auch, und sind es heute noch, über das Desinteresse besorgt in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit - einschließlich Friedensbewegung übrigens - und auch in der europäischen Öffentlichkeit an diesem Gut, an diesem Wert, daß die Europäische Gemeinschaft noch zivil verfaßt ist. Das hat uns besorgt gemacht, und die Art und Weise, wie dies bei Abwesenheit von Wachsamkeit, von Opposition in der Bevölkerung vorangegangen wäre, war für uns schon besorgniserregend.
Dann hat sich folgendes ereignet, was der Herr Außenminister hier mit Sorge noch einmal beschrieben hat. Tatsächlich hat sich innerhalb dieser Europäischen Gemeinschaft Opposition geregt, Herr Außenminister. Sie hätten es vielleicht nicht für möglich gehalten. Interessanterweise kommt diese Opposition von kleineren - ich möchte fast sagen: in mancher Beziehung aufgeklärteren -Staaten: Dänemark und Griechenland. - Sie lachen darüber.
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Im Zusammenhang mit Griechenland habe ich aus konservativem Munde mit Interesse gehört: Wenn die diesen Widerstand leisten, dann sind für uns die Wahlen in Griechenland das nächste Problem. Natürlich versucht man, diese Opposition wegzudrängen, zu marginalisieren, unwirksam zu machen. Man wendet da dieselben Praktiken an, die man auch innenpolitisch anwendet, wenn man ungeliebte, unerwünschte Opposition an den Rand drängen will: die Technik der Marginalisierung.
Man hatte versucht, über die Europäische Union dieser europäischen Einigung, der europäischen Integration einen Militarisierungsmotor einzubauen. Dies ist nicht gelungen; dies ist an dem Widerstand, u. a. auch in den Parlamenten der genannten Länder, gegen diesen Entwurf einer Europäischen Union gescheitert. Was macht man dann? Statt sich nun innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ernsthaft mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen, was auch bedeuten würde, daß man die eigene Position, die sehr scharf auf diese Militarisierung abzielt, ändern müßte, benutzt man ein anderes Instrument. Man kombiniert dieses Gebilde Europäische Gemeinschaft nun mit einem Außenbordmotor, und dieser Außenbordmotor zur Militarisierung ist die Westeuropäische Union.
Da brauchen Sie auch nicht in das Märchenreich zu greifen
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und von Dornröschen, vom Wachküssen und ähnlichem zu reden. Das ist ein sehr technischer und ein machttechnisch raffiniert vorgenommener Vorgang.
Nachdem ich das eine Weile beobachtet habe - Herr Reddemann, Sie haben es von einem anderen Standpunkt aus auch beobachtet -, muß ich sagen, daß die machiavellistische Technik durchaus eine gewisse Vollendung erfährt. Oder anders gesagt: Die europäische Szene, die auf Militarisierung drängt, hat in dem Bundesaußenminister unter anderen, aber in ihm besonders, ihren Meister gefunden.
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- Nein, er ist ein Wendespezialist, d. h. die Wendetechniken, die er hier zum Schaden seiner Partei angewendet hat, hat er auch auf die europäische Einigung angewendet; auch dort macht er diese oppositionsausschaltenden Übungen. Wir werden das sehr sorgfältig beobachten, und wir werden versuchen, die Öffentlichkeit insoweit aufzurütteln. Wir werden darauf achten müssen, daß diese Wendetechnik, die in Herrn Genscher ihren Meister gefunden hat, nicht zum Schaden Europas beiträgt,
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indem es zu dieser europäischen Militarisierung kommt.
Ich stimme hier nicht mit dem Kollegen Gansel überein, daß das Ganze nur ein verbales Problem ist, sondern das ist eine durchdachte, institutionelle Vorbereitung für mehr Militär. Die Opposition der SPD betreibt hier kosmetishe Opposition, indem sie das immer grundsätzlich begrüßt, aber zugleich warnend den Zeigefinger erhebt. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, Kollege Gansel, da Sie nun schon so lange in der Versammlung der Westeuropäischen Union sind und die Entwicklung aufmerksam verfolgen, daß dort immer neue Kooperationsprojekte lanciert werden, daß immer neue Dimensionen erschlossen werden - neueste Variante auch die deutsch-französische Zusammenarbeit im Weltraum -, und das bedeutet mehr Militarisierung, das bedeutet eine militärische Dynamik einer bisher von einer Militarisierung weitgehend freigebliebenen Institution.
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Diese Außenbordstrategie wird natürlich dazu führen, daß man die anderen veranlassen will, sich im Sog, den man erzeugt, dieser Institution anzuschließen. Man hat bereits mit Stolz gemeldet, daß die Flankenstaaten, also insbesondere Portugal und Spanien, den Anschluß suchen, und man wird auch darauf achten, daß es eine spezifische Kooperation mit der Türkei gibt. Man wird sich besonders Nor7042
Vogt ({6})
wegen zuwenden; man wird versuchen, auch auf Norwegen einzuwirken, daß es sich dem in irgendeinem Status anschließen möge.
({7}).
Man wird weiterhin versuchen, Dänemark und Griechenland zu isolieren und zu marginalisieren.
Wir bekämpfen die Militarisierung nicht ausschließlich aus friedensorientierten Gründen, sondern auch aus Sorge um die Demokratie. Denn das, was Sie hier vorgeführt haben, ist Ausschluß von Opposition
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- j a, natürlich; das ist eine Art, wie man der Opposition entgeht -, das Wechseln der Szene in eine Versammlung und in eine Institution,
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die noch weniger demokratische Rechte, noch weniger demokratisches Training hat als beispielsweise das neugewählte Europäische Parlament. Nun wird dieser Vorgang ja nicht mehr von dem ohnehin schon in seinen Kontrollbefugnissen erheblich beschnittenen Europäischen Parlament kontrolliert, sondern diese Kontrolle wird - wenn überhaupt - nur von der Versammlung der Westeuropäischen Union bzw. von den heimischen Parlamenten vorzunehmen sein. Wenn man mitkriegt, wie feierlich es dann immer zugeht - z. B. als hier der Entwurf für die Europäische Union lanciert worden ist - und wie unpolitisch es dabei zugeht, dann kann einem
grausen. Wenn man an die Präsenz der Kollegen bei der Behandlung solcher Themen denkt, kann einem weiterhin grausen, wenn man von den heimischen Parlamenten die Kontrolle dieses Militarisierungsvorgangs erwartet. Wenn man an die WEU-Versammlung denkt, kann es einen geradezu schütteln,
({10})
und zwar vor Lachen; dies ist aber ein Lachen der Verzweiflung.
Ich muß auch mit Schmunzeln an einige konservative Kollegen denken, denen das irgendwann sogar auch zuviel wurde. Von einer Versammlung, die unmittelbar nach einer Ministerratssitzung stattfand, hätte man eigentlich erwarten müssen, daß sie die Ergebnisse des Vortages sorgfältig analysiert, hin- und herwendet. Man hätte sogar erwarten können daß es in dieser Versammlung möglicherweise sogar Opposition gibt. Man hätte möglicherweise erwarten können, daß es sogar fundamentale Einwände gibt. All dies war aber nicht vorgesehen.
({11})
Vielmehr war vorgesehen, daß sich diese Versammlung sozusagen zum Transmissionsriemen der Beschlüsse des Ministerrats macht. Das ist auch in einer ganz eigentümlich putzigen Weise formuliert worden, und zwar in der Beschreibung des Ministerrats, die mit „Ausbau der Institutionen" überschrieben ist. Es wird zwar von der Stärkung der
Rolle der Institutionen und der Versammlung gesprochen, es heißt dort aber weiter:
Sie soll sich insbesondere vermehrt darum bemühen, der Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten die politischen Erklärungen des Rates bewußt zu machen, der den politischen Willen der einzelnen Regierungen zum Ausdruck bringt.
Das ist der klassische Fall eines Parlaments oder eines parlamentsähnlichen Gebildes als Transmissionsriemen oder sagen wir einmal als Sprachrohr der Regierenden.
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Der umgekehrte Fall wäre der Versuch - sage ich ganz vorsichtig - von Demokratie. Da Sie das aber nicht vorgesehen haben, können Sie das auch nicht erwarten bzw. die Demokraten können es nicht erwarten. Sie werden aber weiterhin das nach meiner Meinung schändliche Spiel betreiben, den Menschen öffentlich Sand in die Augen zu werfen und zu sagen, dies sei ein demokratisch kontrollierter Vorgang. Ich glaube, Kollege Reddemann, wenn wir beide in unsere parlamentarisch-demokratische Seele blicken, dann werden wir dieser Problematik nicht ausweichen können. Wenn wir hier schon von Selbstbehauptung reden: Ich glaube, dann wird von konservativer Seite auch einiges an Selbstbehauptung der Parlamentarier nötig sein, damit dies nicht zu einer reinen Karikatur, zu einer reinen Farce wird.
({13})
Herr Bundesaußenminister, die Erklärung, die Sie heute abgegeben haben, und auch die Erklärungen, die Sie in der Versammlung der Westeuropäischen Union abgegeben haben, waren in einem weiteren Punkt nicht nur enttäuschend, sondern auch alarmierend, und zwar insofern, als dort von der Stärkung der Rüstungskooperation die Rede ist, aber außer acht gelassen wird, etwas Ernsthaftes für die Stärkung des Faktors Rüstungskontrolle und Abrüstung zu tun.
Sie haben hier gesagt: Es gibt kein europäisches Amt, keine europäische Institution für Sicherheitsforschung. Das mag richtig sein. Es gibt allerdings Institute für strategische Studien, in denen Sie Studien anfertigen lassen könnten.
({14})
Es gibt also gar nicht die Notwendigkeit, die Sie hier beschrieben haben.
Was es aber nicht gibt, ist eine europäische Abrüstungsagentur. Es gibt in den USA eine Abrüstungsagentur, die unter der aktuellen Reagan-Administration pervertiert ist; aber immerhin ist ein institutioneller Rahmen da. Es gibt keine europäische Abrüstungsagentur.
Es hätte nahegelegen, wenn man wirklich institutionell an Abrüstung und Rüstungskontrolle interessiert ist, dieses Rüstungskontrollamt, das j a Vogt ({15})
wie Sie hier ausgeführt haben - zumindest im konventionellen Bereich arbeitslos wird,
({16})
umzuwandeln in den Kern einer Abrüstungsagentur. Den Gedanken haben wir schon mehrmals eingebracht. Da bin ich allerdings inzwischen skeptisch geworden, weil das Abrüstung unter dem Vorrang von Aufrüstung bzw. - wenn man das Gesamtprojekt „Wiederbelebung der WEU" nimmt - eine neue Anwendungsform der Formel „Abrüstung durch Aufrüstung" bedeuten würde.
Diese Methode der Abrüstung durch Aufrüstung lehnen wir ab. Deshalb fordern wir eine eigenständige, eine selbständige europäische Rüstungsagentur in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament.
Was Sie hier betreiben, ist das genaue Gegenteil. Aber Sie streuen auch gelegentlich Sand in die Augen. Sie haben das auch mir gegenüber getan, als ich versucht habe, Sie darauf direkt anzusprechen: Ja, ja, genau so etwas hätten Sie gefordert. Als es dann zum Schwur kam, als Sie das in der Versammlung der Westeuropäischen Union hätten sagen sollen, ist das nicht gekommen. Das heißt, es sind alles Aufrüstungsagenturen.
Ich komme am Schluß noch zu einer Bewertung der Erklärung, die Sie hier abgegeben haben. Ich für meine Person - da Sie die Erklärung heute hier vorgetragen haben, war ja noch keine Zeit, das mit meiner Fraktion zu besprechen - begrüße zunächst einmal, daß endlich eine solche Erklärung abgegeben wird. Ich stimme aber mit dem Kollegen Gansel darin überein, daß dies eine erheblich verspätete Erklärung war. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist, daß ich die Botschaft wohl höre, daß mir aber der Glauben fehlt. Der Glaube fehlt mir deshalb, weil sich die Bundesrepublik bereits unter der Geltung der alten Rüstungsrestriktionen auf Projekte eingelassen hat - die ich jetzt aus Zeitgründen nicht länger schildern kann - von einer Reichweite, die bereits damals im Widerspruch zu den Verpflichtungen stand - wohl im Hinblick auf die Ablösung dieser Verpflichtungen.
Weil Sie damals so verfahren sind und hier vollmundig erklärt haben, daß Sie nur können wollen, daß Sie aber in diesem Zusammenhang keine Rüstungsprojekte tatsächlich betreiben, kann ich der Erklärung, die Sie heute hier abgegeben haben, nur Mißtrauen entgegenbringen. Ich kann Ihnen in ähnlicher Weise, wie das Herr Kollege Gansel hier getan hat, die volle Aufmerksamkeit, ja die Alarmiertheit unserer Fraktion ankündigen.
({17})
Wir werden genau überprüfen, ob diese Erklärung eine papierene Erklärung ist oder ob sie in der Realität eingehalten wird.
Danke schön.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorrangig für die Belebung der seit 30 Jahren bestehenden Westeuropäischen Union - ich meine, das ist in den Beiträgen der Opposition nicht klar genug zum Ausdruck gekommen - innerhalb der Zusammenarbeit der europäischen Länder ist der politische Impuls, der von dieser Belebung ausgehen wird.
({0})
Es war auch kein Zufall, daß man die Westeuropäische Union in Paris wiederentdeckt hat, sondern es war die Erfahrung der Genscher-Colombo-Initiative, die auf dem Gipfel von Stuttgart im Sommer 1983 nicht zu dem Gleichklang im sicherheitspolitischen Bereich geführt hat, den man sich erhofft hatte.
({1})
Drei Länder aus den zehn der Europäischen Gemeinschaft hatten Vorbehalte - es wurde hier darüber gesprochen -, die aus der Sicht dieser Länder verständlich erscheinen. Es waren Dänemark, Griechenland und Irland. Letzteres ist ja nicht Mitglied der NATO. Die Staaten der EG der Zehn ohne diese drei Länder hatten aber schon seit 1954 eine Verbindung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich und in der Rüstungskontrolle. Sie waren in der Westeuropäischen Union zusammengeschlossen.
Hier wird niemand an den Rand gedrängt, Herr Gansel. Sie haben behauptet, die Länder, die nicht mit dem einverstanden seien, was in den sieben Ländern der Westeuropäischen Union beschlossen werde, würden an den Rand gedrängt.
({2})
- Sie ist offen für andere.
Die auf die Bundesrepublik Deutschland zugeschnittenen Rüstungsbeschränkungen - auch das muß noch einmal betont werden; Herr Reddemann hat es gesagt - wurden ja schließlich auf Initiative aus der parlamentarischen Versammlung heraus aufgehoben, nicht etwa, weil die Bundesregierung gedrängt hätte. So lag es doch nahe, daß dieses Instrument, die Westeuropäische Union, während der deutschen Präsidentschaft für den politischen Impuls genutzt wurde. Es ist der Bundesregierung, dem Bundeskanzler durch seine engen Kontakte zum französischen Ministerpräsidenten und dem Bundesaußenminister zu verdanken, daß die Westeuropäische Union wieder ein Gremium wurde, durch das sowohl Europa selbst als auch das Atlantische Bündnis gestärkt werden können.
Herr Gansel, wenn Sie sich hier hinstellen und die großartige Geste des deutschen Bundeskanzlers und des französischen Ministerpräsidenten in Verdun so herunterspielen, indem Sie von „Händchenhalten" sprechen, dann kann ich nur sagen, da sprechen Sie nicht aus dem Herzen des deutschen Volkes und auch nicht aus dem Herzen des französischen Volkes.
({3})
Diese beiden Völker haben mit Erleichterung und Hoffnung, mit Tränen in den Augen dieses Bild gesehen, und Sie stellen sich hier vor den Deutschen Bundestag hin und tun so, als ob das etwas Lächerliches sein müßte.
({4})
Wenn Europa, wie es der Außenminister ausdrückte, einer der beiden gleichstarken Pfeiler des Atlantischen Bündnisses sein soll, ist es in dreifacher Weise gefordert.
Erstens, es muß politisch im Ost-West-Verhältnis und im Nord-Süd-Dialog sein eigenes Profil verdeutlichen. Es gibt andere Initiativen. Diese darf ich bei dieser Gelegenheit durchaus einmal nennen: die Initiative des Außenministers, in San José in Costa Rica die Länder Lateinamerikas mit der Europäischen Gemeinschaft einschließlich Spaniens und Portugals an einen Tisch zu holen. Es gibt weitere enge Zusammenarbeit im Nord-Süd-Verhältnis, nämlich das Lomé-III-Abkommen, das demnächst hier im Bundestag zu erörtern sein wird.
Zweitens, Europa muß im wirtschaftlich-technologischen Bereich die Herausforderung annehmen und jetzt die Weichen für einen gemeinsamen Weg in die Zukunft stellen.
Es muß drittens im sicherheits- und verteidigungspolitischen Feld sein Gewicht stärker zur Geltung bringen.
Das ist der Sinn dieser Wiederbelebung der Westeuropäischen Union gewesen. Die institutionelle Reform der WEU scheint uns Freien Demokraten der richtige Weg zu sein. Durch die engere Zusammenarbeit der europäischen Partner in der Grundlagenforschung und in den Rüstungsfragen wird der Frieden sicherer gemacht. Meine Damen und Herren, die Anhebung der atomaren Schwelle ist nur möglich durch verstärkte konventionelle Rüstung.
({5})
- Und durch Abrüstung.
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Dies kann kein Staat mehr alleine schaffen; es ist nur möglich durch engere Zusammenarbeit, durch Kooperation und durch Standardisierung der Waffensysteme, durch gemeinsame Grundlagenforschung und gemeinsame Wartung sowie auch
durch aufeinander abgestimmte Kontrolle und Abrüstung.
Wenn Sie warten, Herr Voigt, dann sehen Sie, es kommt ja alles!
Das Rüstungskontrollorgan, das Kontrollamt, muß jetzt die Aufgabe erhalten, die freiwillig weiter bestehenden Rüstungsbeschränkungen - z. B. für die Bundesrepublik Deutschland im ABC-Waffenbereich - und die Abrüstung zu überwachen und darüber hinaus den restriktiven Rüstungsexport zum Thema zu machen. Die FDP ist sich darüber im klaren, daß dies ein sehr sensibler Bereich ist. Solange über den Export von Waffen in Spannungsgebiete der Welt unterschiedliche Auffassungen unter den europäischen Partnern bestehen, befinden wir uns hier in einem gewissen Dilemma.
({7})
Aber die Initiative von Kreuznach durch die Außenminister Cheysson und Genscher ist doch auch hier in diesem Fall ein hoffnungsvolles Zeichen.
({8})
Allerdings wissen wir auch, daß sich durch die Erklärung von Rom und durch die Stärkung der Westeuropäischen Union in diesem Bereich gegenüber der bisherigen Situation nichts geändert hat. Kooperation gab es in einigen Bereichen, etwa im Bereich des Tornados, schon früher und folglich auch eine von Deutschland unkontrollierbare Exportpolitik der Partner.
Sicherheitspolitik ist aber mehr als nur der Wille, Waffentechniken oder verteidigungspolitische Fragen aufeinander abzustimmen.
({9})
Es ist der gemeinsame Wille, die Demokratien, die freiheitlichen Staatsformen, das politische Gemeinwesen, in dem wir leben und leben wollen, gemeinsam zu verteidigen.
({10})
Im Umkehrschluß könnte ich sagen: Wer die Demokratie nicht will, wer diesen Staat ablehnt, der will ihn auch nicht verteidigen.
({11})
Und da bin ich bei den GRÜNEN, bei Ihnen, Herr Vogt, angelangt.
({12})
Sie können selbstverständlich ohne weiteres die Gastfreundschaft Italiens ausnutzen oder auch, so könnte man sagen, mißbrauchen und demonstrieren, das heißt in Rom, eine Demonstration gegen das Treffen der Außen- und Verteidigungsminister und gegen die Westeuropäische Union organisieren. Nur, Sie müssen sich darüber im klaren sein: Sie demonstrieren gegen etwas, was die Europäer gemeinsam machen, um Ihr Demonstrationsrecht zu schützen.
({13})
Das ist das Entscheidende und für uns das Wichtigste.
Wer dauernd auf die Amerikaner schimpft, sie hätten zu viel Macht und zu viel Einfluß in Europa, der kann nicht dann, wenn sich die Europäer endlich aufraffen, gemeinsame Sicherheitspolitik zu betreiben, wieder dagegen sein. Hier erwarte ich auch noch eine deutliche Antwort der SPD, insbesondere des saarländischen Landesvorsitzenden Lafontaine, wie er es im speziellen Fall mit der NATO halten will.
({14})
Diese Antwort müßte in diesem Bundestag noch gegeben werden.
({15})
In Amerika, meine Damen und Herren, werden die kritischen Stimmen verstummen; denn die USA brauchen ein kraftvolles Europa.
({16})
Die Westeuropäische Union und die NATO sind eng miteinander verknüpft. Wenn die Westeuropäische Union gestärkt wird, dann wird das gesamte Bündnis gestärkt. Ich betone nochmals die vorrangige politische Bedeutung der Westeuropäischen Union. Man kann es am Antrag Portugals erkennen, Mitglied in der Westeuropäischen Union zu werden. Ich habe den Eindruck, daß sie weiter an Attraktivität gewinnen wird.
Wir Liberalen nehmen es mit dem politischen Impuls für Europa ernst, auch wenn wir im Europäischen Parlament vorübergehend nicht mehr vertreten sind. Jede mögliche Initiative zur Stärkung der vorhandenen europäischen Gremien und Organe wird von uns begrüßt.
Hier, Herr Außenminister, darf ich mich zum Schluß an Sie wenden.
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Auch die Gremien des Europarates können politisch gestrafft werden. Wenn die Deutschen am 22. November die Präsidentschaft im Europarat in Straßburg übernehmen, dem ja alle westeuropäischen Staaten, einschließlich der neutralen, aber auch andere NATO-Staaten, z. B. Island und Norwegen, angehören, dann könnte es der deutsche liberale Außenminister sein, der auch dieser europäischen Versammlung einen stärkeren politischen Impuls verschafft. Ich glaube, dies würden nicht nur wir Freien Demokraten unterstützten, sondern das hätte vielleicht sogar die Unterstützung des gesamten Hauses.
Vielen herzlichen Dank.
({18})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Vollständige Abschaffung der chemischen Waffen
- Drucksache 10/2027 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung oder gleich zur Aussprache gewünscht? - Zur Begründung und Aussprache hat das Wort der Herr Abgeordnete Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Haltung zum Problem der chemischen Waffen, die zu den infamsten Waffen gehören, die die Menschheit jemals erfunden hat, läßt sich in vier Thesen zusammenfassen.
Erste These. Die Welt braucht neben der nuklearen Abschreckung keine chemische Abschreckung.
({0})
Die CDU/CSU fordert daher die Abrüstung aller chemischen Waffen weltweit und nicht nur für Europa.
({1})
Die Abrüstung chemischer Waffen muß selbstverständlich zuverlässig überprüfbar sein.
({2})
Der Westen kann sich im Falle der Nichteinhaltung eines Abrüstungsvertrages über chemische Waffen nicht nur mit einem Vertrag in der Hand verteidigen.
({3})
Zweite These. Die USA haben gegenüber der Sowjetunion im Bereich der chemischen Waffen erhebliche einseitige Vorleistungen erbracht.
({4})
Sie haben 1969 ihre Produktion chemischer Waffen vollständig eingestellt. Sie werden auch im kommenden Jahr keine neuen chemischen Waffen herstellen. Sie haben damit ihre ablehnende Haltung gegenüber chemischen Waffen überzeugend zum Ausdruck gebracht.
({5})
Leider hat die Sowjetunion den Produktionsverzicht der USA nicht honoriert, sondern im Gegenteil
die Produktion ihrer chemischen Waffen auf eine Überlegenheit von über 10 : 1 gesteigert. Die Sowjetunion hat durch diese negative Reaktion auf die einseitige amerikanische Vorleistung im Bereich der chemischen Waffen eine historische Chance für die gesamte Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik verspielt.
Dritte These. Falls die Genfer Verhandlungen über ein weltweites Verbot aller chemischen Waffen scheitern, könnte eine Lage entstehen, in der sich die USA veranlaßt sehen, ihre inzwischen veralteten chemischen Waffen zu modernisieren. Die CDU/CSU begrüßt die Bereitschaft der USA, auch in diesem Fall - den wir nicht wünschen - auf die Herstellung eines Gleichgewichts der chemischen Waffen zu verzichten und sich auf die Herstellung einer äußerst begrenzten Repressalienkapazität zu beschränken,
({6})
die ausschießlich dazu dient, die Sowjetunion von dem völkerrechtswidrigen Einsatz ihrer chemischen Waffen abzuhalten.
({7})
Die CDU/CSU begrüßt darüber hinaus mit Nachdruck die Bereitschaft der USA, im Falle der Notwendigkeit der Modernisierung ihrer chemischen Waffen diese in den USA zu lassen und sie nicht in Europa zu lagern. Hier gibt es bindende Zusagen der Amerikaner; auch das begrüßen wir außerordentlich.
Vierte These. Die Bundesrepublik Deutschland hat bereits 1954 in völkerrechtlich verbindlicher Form unter Führung der CDU/CSU freiwillig auf die Produktion chemischer Waffen verzichtet. Sie hat bis heute zahlreiche Initiativen ergriffen, um ein weltweites, überprüfbares Verbot der Entwicklung, Lagerung und Produktion chemischer Waffen zu erreichen. Die CDU/CSU wird diese abrüstungspolitische Pilotfunktion auch in Zukunft beibehalten, um mitzuhelfen, die Menschheit ein für allemal von der Geißel chemischer Waffen zu befreien.
({8})
Das Gleichgewicht der chemischen Waffen muß 0 : 0 lauten.
Lassen Sie mich einige Erläuterungen zu diesen vier Thesen geben. Nach vorsichtigen Schätzungen besitzt die Sowjetunion gegenüber den USA bei den chemischen Waffen zur Zeit eine Überlegenheit von über 10 : 1. Dabei handelt es sich weitgehend um hochmoderne chemische Waffen, die gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht nur durch Flugzeuge, nicht nur durch Rohrartillerie, durch Raketenwerfer eingesetzt werden können, sondern auch durch die modernen sowjetischen SS-21- und SS-22Raketensysteme.
({9})
Bei der routinemäßigen Ausbildung seiner Truppen setzt der Warschauer Pakt echte chemische Kampfstoffe ein, wie zum Beispiel die chemischen
Gifte Lost und Sarin. Die C-Waffen-Kampffähigkeit des Warschauer Pakts gilt dementsprechend als ausgesprochen hoch. Sie entspricht damit der Forderung der offiziellen sowjetischen Militärdoktrin, chemische Waffen bei militärischen Operationen vorrangig offensiv - ich betone: - vorrangig offensiv - und nicht etwa nur defensiv einsetzen zu können.
Im Vergleich dazu befindet sich das C-WaffenPotential der USA in einem unbestreitbar veralteten Zustand. Das ist der Hintergrund, vor dem in den USA die Diskussion stattfindet, ob die amerikanische Administration auf die C-Waffen-Aufrüstung der Sowjetunion mit einer begrenzten Modernisierung ihrer C-Waffen oder mit dem Angebot weltweiter und überprüfbarer Abrüstung reagieren soll.
({10})
- Sie sind wieder einmal schlecht informiert, Herr Reents. - Die USA haben ausdrücklich der weltweiten überprüfbaren Abrüstung den Vorrang gegeben. Auch das begrüßen wir außerordentlich.
({11})
Die CDU/CSU vertritt die Forderung nach einem Verbot aller chemischen Waffen schon deshalb mit besonderem Engagement, weil im Falle des Einsatzes chemischer Waffen in Europa die deutsche Zivilbevölkerung Hauptleidtragende wäre.
Wir haben grundsätzliche strategische Vorbehalte gegen einen Ausbau der chemischen Komponente innerhalb der NATO-Strategie. Die NATO sollte sich auch in Zukunft zur Abschreckung eines Einsatzes chemischer Waffen durch den Warschauer Pakt in erster Linie auf konventionelle und nukleare Waffen stützen, verbunden mit einer äußerst - ich unterstreiche: äußerst - begrenzten chemischen Repressalienkapazität.
Wir können als Deutsche kein Interesse daran haben, daß diese Repressalienkapazität ausgeweitet wird. Wir wollen als Deutsche zwischen der konventionellen und der nuklearen Ebene keine zusätzliche chemische Zwischenebene, auf der in Europa ein chemischer Krieg militärisch ausgefochten werden könnte.
({12})
Wir vertreten unsere Forderung nach einem Verbot chemischer Waffen nicht nur für uns, sondern auch für die Menschen in der Dritten Welt, die, wie die Beispiele Afghanistan, Laos, Kambodscha und Iran zeigen, durch den Einsatz chemischer Waffen ebenso gefährdet sind wie wir.
({13})
Wir halten schon deshalb aus Solidarität zur Dritten Welt, Herr Reents, an unserer Forderung nach einem weltweiten Verbot chemischer Waffen fest.
({14})
Die Sowjetunion hat in den vergangenen Wochen mehrfach gefordert, der Westen solle sich stärker auf die Schaffung eines chemiewaffenfreien Europas konzentrieren. Sie hat jedoch bis heute keinen
einzigen überzeugenden Vorschlag gemacht, wie in nachprüfbarer Form verhindert werden kann, daß die chemischen Waffen der Sowjetunion vor Abschluß eines Abrüstungsvertrages in den asiatischen Teil der Sowjetunion verlagert und im Krisenfall von dort wieder in den europäischen Teil der Sowjetunion zurückverlagert werden können.
Nach intensiver und unvoreingenommener Prüfung der Vorschläge des Warschauer Pakts sind wir daher zu dem Ergebnis gekommen, daß das Festhalten an einem weltweiten Verbot aller chemischen Waffen dem Anspruch der Menschen der ganzen Welt auf chemische Abrüstung am ehesten entspricht.
Mit einem weltweiten Verbot, meine Damen und Herren von der Opposition,
({15})
würden im übrigen automatisch auch alle in Europa stationierten chemischen Waffen abgeschafft und damit dem Anliegen aller Fraktionen dieses Hauses Rechnung getragen, allerdings ohne die gefährlichen Umgehungsmöglichkeiten, die ein rein europabezogener Ansatz wahrscheinlich zur Folge hätte.
({16})
Die CDU/CSU hat dem Kampf gegen chemische Waffen seit 30 Jahren einen zentralen Platz in ihren Abrüstungsbemühungen eingeräumt. Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur auf die Produktion chemischer Waffen verzichtet. Sie hat freiwillig auch ihre zivile chemische Industrie strengen internationalen Kontrollen unterworfen. Was wir heute von der Sowjetunion fordern, haben wir für unser Land bereits vor 30 Jahren akzeptiert. Das gibt uns die moralische Berechtigung, alle Staaten, die chemische Waffen besitzen, und ganz besonders die Sowjetunion, energisch zu drängen, dem Wahnsinn einer chemischen Hochrüstung endlich ein Ende zu bereiten. Die Horrorvision einer Gesellschaft mit Gasmasken darf nie Wirklichkeit werden.
({17})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Voigt ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Todenhöfer, wir sind uns einig in dem Ziel, chemische Waffen weltweit zu ächten. Wir unterstützen das Ziel, daß chemische Waffen als Ergebnis der Genfer Verhandlungen weltweit verboten werden sollen. Wir hoffen auch wie Sie auf eine Einigung in Genf. Wir drängen - hoffentlich genauso wie Sie - auch auf eine Einigung in Genf. Wir sind skeptischer, ob eine Einigung in Genf bald erfolgen wird. Das hängt auch damit zusammen, daß wir den neuen amerikanischen Vorschlag in einigen Punkten zwar positiv, in anderen Punkten aber skeptischer als Sie beurteilen. Das gilt insbesondere für bestimmte Vorschläge in bezug auf die Verifikation, die so, wie sie gemacht worden sind, nicht völlig solide sind.
Sie haben am 5. April dieses Jahres in einer Erklärung der CDU/CSU-Fraktion gesagt:
Was weltweit gilt, gilt natürlich auch für Europa. Deshalb könnte die Schaffung eines überprüfbar von chemischen Waffen freien Europas ein Beitrag auf dem Weg zu einer weltweiten Bannung aller C-Waffen sein. Es wäre abrüstungspolitisch ein Fortschritt, wenn alle östlichen und westlichen Staaten, die chemische Waffen in Europa gelagert haben, ihre C-Waffen, ihre C-Waffen-Produktionslager und ihre chemischen Kampftruppen in Europa in überprüfbarer Form abrüsten würden. Europa benötigt keine chemischen Waffen.
So Todenhöfer am 5. April 1984.
({0})
Ich erinnere daran, weil Sie heute in der Diskussion diesen Punkt nicht erneut aufgegriffen haben. Sie haben auch nicht dagegen polemisiert. Aber ich teile Ihre Position, die Sie im April 1984 vertreten haben. Im Gegensatz zu Volker Rühe, der später dagegen polemisiert hat, als wir mit der SED darüber gesprochen haben, haben Sie es nicht getan.
Aus diesem Grunde möchte ich heute versuchen, bei der CDU/CSU und bei der FDP für diesen regionalen Ansatz zu werben; wie gesagt: nicht als Alternative zur weltweiten Ächtung chemischer Waffen. Solange weltweit die chemischen Waffen noch nicht geächtet sind, sollten wir versuchen, in Europa einen Vorstoß zu wagen, der im Ergebnis die weltweite Achtung nicht nur begünstigen soll, sondern auch begünstigen und fördern kann.
Es ist übrigens unrichtig, daß dieser Vorschlag ursprünglich von der Sowjetunion kommt. Ich habe ihn 1979 auf unserem Berliner Parteitag, dem berühmten Parteitag, auf dem auch über den NATO-Doppelbeschluß diskutiert wurde, in eine Entschließung mit eingebracht. Sie wurde auch angenommen. Damals ist ein Prüfungsauftrag beschlossen worden, ein Prüfungsauftrag deshalb, weil damals einige in der SPD ebenso wie Sie heute gesagt haben: Die chemische Abrüstung steht weltweit demnächst vor der Tür. Man hat gesagt: Warum eine regionale Lösung begünstigen oder vorbereiten, wenn eine weltweite möglich ist?
Wir haben es geprüft. 1982 war immer noch keine weltweite Achtung chemischer Waffen beschlossen. Deshalb haben wir auf unserem Münchener Parteitag gesagt: Wir wollen, solange es keine weltweite Achtung chemischer Waffen gibt, damit wenigstens in Europa beginnen.
Wir erheben auf diese gute Idee überhaupt keinen Alleinvertretungsanspruch. Es ist doch völlig klar, daß das Ziel einer friedlichen Welt kein Argument dafür sein kann, daß man als ein Schritt auf dieses Ziel hin nicht doch ein friedliches Europa schafft. Das Ziel der weltweiten Abrüstung ist doch kein Argument gegen eine Abrüstung in Europa.
Voigt ({1})
Sie können sich darauf verlassen, daß wir in unseren Gesprächen mit der SED, die wir mit einer Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion führen, seriös miteinander sprechen, daß wir sorgfältig die einzelnen Probleme miteinander beraten, daß wir uns der Probleme bewußt sind, die damit verbunden sind, daß wir ergebnisorientiert sprechen und daß wir auch zügig vorankommen.
Ich halte es durchaus für möglich, daß wir im Laufe des nächsten Jahres entweder eine gemeinsame oder eine parallele Initiative entwickeln, die den Vorschlag enthält, wie man in Europa die chemischen Waffen abrüsten kann, wie man eine chemiewaffenfreie Zone schaffen kann. Ich kann Ihnen nur raten: Führen Sie auch solche Gespräche. Dann werden Sie herausfinden, welche Probleme bestehen und welche Probleme lösbar sind. Bevor man nicht mit dem Osten über die Abrüstung gesprochen hat, soll man nicht sagen, daß die Lösung des Problems der Abrüstung mit ihnen möglich ist.
Es gibt einen Unterschied zwischen chemischen und nuklearen Waffen und zwischen chemischen und konventionellen Waffen. Diesen Unterschied gibt es bereits im völkerrechtlichen Bereich. Im Unterschied zum Nuklearbereich gibt es im Bereich der chemischen Waffen bereits das Verbot des Ersteinsatzes. Deshalb hinken alle Vergleiche im völkerrechtlichen Bereich in bezug auf Nuklearwaffen.
Besondere Probleme, besondere völkerrechtliche Lagen erfordern aber auch besondere Lösungen. Die besondere Lage besteht ja auch in bezug auf die Lagerung der chemischen Waffen. Wir sind hier im westlichen Bündnis in einer Position der Singularität. Auf europäischem Territorium sind chemische Waffen der USA nur in der Bundesrepublik gelagert.
({2})
Die Informationen des Parlaments über diese Lagerung, über die damit verbundenen militärischen Konzeptionen und Einsatzentscheidungen sind sehr viel geringer als bei Nuklearwaffen. Und dort sind sie schon gering genug. Das heißt, in der Bundesrepublik ist als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der damals geltenden besatzungsrechtlichen Bestimmungen - sie sind überlagert durch neue Regelungen, aber faktisch gelten die damalige Nachkriegssituation und die damalige besatzungsrechtliche Regelung fort - hinsichtlich chemischer Waffen heute eine Situation entstanden, die wir auf Dauer so oder so nicht hinnehmen können und die so oder so verändert werden muß.
Sie sagen ganz richtig, die USA wollten chemische Waffen modernisieren, aber sie wollten die modernisierten Waffen nicht in der Bundesrepublik lagern.
({3})
Wenn sie aber Waffen modernisieren, sie jedoch nur in den USA lagern, stellt sich dort die Frage, was mit den alten chemischen Waffen bei uns passiert. Wenn sie an dieser Entscheidung festhalten, die neuen Waffen nur in den USA zu lagern, entsteht durch den Abzug der alten chemischen Waffen, der dann früher oder später erforderlich wird, bei uns sowieso eine chemiewaffenfreie Zone, allerdings nur auf westlicher Seite und nur durch einen einseitigen Schritt. Warum ist es dann nicht besser, in bilateralen und multilateralen Verhandlungen zwischen Ost und West eine chemiewaffenfreie Zone zu vereinbaren?
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?
Ich bin am Schluß der Redezeit. Deshalb werde ich keine Zwischenfrage mehr zulassen.
Das ist auch aus dem Grunde erforderlich, weil es auf Grund neuer waffentechnologischer Entwicklungen im Bereich der Chemiewaffen einen Zug zur Konventionalisierung gibt. Es gibt also einerseits eine Veränderung auf Grund der möglichen amerikanischen Entscheidung, hier später Chemiewaffen eventuell einseitig abzuziehen, weil sie militärisch nicht mehr sinnvoll genutzt werden können. Ob die USA auf Dauer darauf verzichten, hier chemische Waffen zu stationieren, daran habe ich allerdings Zweifel. Es gibt aber anderswo bei der Technologie chemischer Waffen auch einen gefährlichen Trend zur Konventionalisierung.
Es gibt einen zumindest ebenso besorgniserregenden Trend der Amerikaner, chemische Waffen - in Gegensatz zu der von Ihnen vertretenen und von mir auch begrüßten Position, sie eventuell überhaupt nur im Sinne einer Repressalienkapazität zur Verfügung zu haben ({0})
als eigene Vergeltungsebene zwischen nuklearen und konventionellen Waffen einzufügen.
({1})
Rogers hat so etwas in einem Interview in der „International Herald Tribune" gesagt. Ich habe daraufhin Herrn Würzbach geschrieben. Der erste Brief wurde nach meiner Meinung nicht ganz sorgfältig beantwortet. Die Antwort auf den zweiten Brief vom 26. Oktober 1984 war da schon präziser. Da sagt Herr Würzbach, „mit Einschränkung" sei es unzulässig, aus den Äußerungen von General Rogers zu schließen, daß dieser chemischen Waffen eine militärische Funktion zuordnen wolle. Ja, aber eben mit Einschränkung. Das heißt doch, daß es hier eine Differenz gibt zwischen den Auffassungen der Bundesrepublik, den deutschen Militärs, der deutschen Bundesregierung und den USA. Der Hinweis von Herrn Würzbach in derselben Antwort, daß unsere Auffassung „im Bündnis bekannt" sei, heißt ja nicht, daß unsere Auffassung vom Bündnis geteilt wird, erst recht nicht, daß wir eine Kontrolle darüber haben, daß die Amerikaner in ihrer Einsatzplanung chemische Waffen nur in dem Sinne
Voigt ({2})
verwenden, wie wir es überhaupt unter den restriktiven Bedingungen für möglich halten.
({3})
Das bedeutet, es gibt nur eine wirkliche Garantie, daß chemische Waffen in dem restriktiven Sinne, in dem völkerrechtlichen Sinne, wie wir das verstehen, verwendet werden, nämlich wenn bei uns keine gelagert werden. Das ist die einzige und beste Garantie. Deshalb sage ich Ihnen: Überlegen Sie sich Ihre Haltung zu dem regionalen Ansatz noch einmal. Eine Idee ist nicht deshalb schlecht, weil sie von der SPD erfunden worden ist. Wenn Sie in der Abrüstungspolitik einmal eine gute Idee entwikkeln, werden wir sie auch übernehmen.
Zögern Sie nicht, seien Sie nicht bockig. Verhärten Sie nicht Ihre Herzen und Gehirne, sondern öffnen Sie sich den guten Vorschlägen, die in diesem Fall einmal nicht aus dem Neuen Testament der Bibel, sondern von der SPD stammen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Reents.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle hier sind gegen chemische Waffen. Wir alle wollen ein Verbot der chemischen Waffen weltweit erreichen. - Man könnte jedenfalls meinen, wenn man hier einiges gehört hat, daß es diese Einmütigkeit gibt. Die Tatsachen sehen aber leider anders aus. Die Tatsachen sehen vor allen Dingen anders aus, wenn man die wirkliche Haltung der USA mit einbezieht, auf die man sich hier gerade von den Koalitionsfraktionen bezieht und deren jüngster Vorschlag in Genf so stark begrüßt wird.
Man muß doch erst einmal daran erinnern, mit welchen Realitäten wir konfrontiert sind. Es gibt, und zwar nicht nach irgendwelchen erfundenen Meldungen aus der Friedensbewegung, sondern nach Meldungen des Internationalen Instituts für strategische Studien in London, dem man nun wirklich nicht irgendwie eine Feindlichheit gegen die USA oder gegen NATO-Staaten vorwerfen könnte, in den USA einen Bestand von 40 000, 45 000 t Nervengasen, Giftgasen, chemischen Kampfstoffen. Nach unterschiedlichen Schätzungen ist das ausreichend zur Vernichtung von 400 Millionen Menschen, möglicherweise sogar des Fünffachen, nämlich 2 Milliarden Menschen. Das sind die Realitäten.
10% dieser chemischen Kampfstoffe lagern außerhalb der USA, in der Bundesrepublik, dem einzigen NATO-Staat, der eine solche Lagerung amerikanischer chemischer Kampfstoffe überhaupt zugestanden hat - wenn ich richtig erinnere, seit 1963.
Zweitens sind wir damit konfrontiert, daß es eine anlaufende Neuproduktion von chemischen Kampfstoffen gibt.
({0})
Gleichzeitig zu der Ankündigung, man wolle das weltweit verhindern, gibt es in den USA den Bau neuer Produktionsanlagen für Binärkampfstoffe, gibt es Neuentwicklungen von Binärkampfstoffen, die Herstellung von Munition, in die Giftgas abgefüllt werden soll.
({1})
Das sind die Realitäten und nicht das, was erzählt wird.
Herr Todenhöfer, wenn Sie an die Haltung der USA erinnern, sollten Sie eines einmal miterwähnen, nämlich eine Resolution der 38. Generalversammlung der UNO vom 20. Dezember 1983. Die Versammlung hat beschlossen:
Sie bekräftigt ihren Aufruf an alle Staaten, alle Handlungen zu unterlassen, die die Verhandlungen über das Verbot chemischer Waffen behindern könnten, und konkret die Herstellung und Stationierung von Binärkampfstoffen und anderen neuen Arten chemischer Waffen sowie die Stationierung chemischer Waffen auf den Territorien anderer Staaten zu unterlassen.
Nun frage ich Sie: Warum haben die USA denn gegen diese Resolution gestimmt? Warum hat sich die Bundesregierung bei dieser Resolution enthalten, wo es um nichts weiter ging, als schlicht und einfach zu sagen: Es darf nichts Neues produziert werden, und es darf nichts auf fremden Territorien stationiert werden. Das sind doch die Realitäten. Die USA stimmen gegen diese Resolution, und die Bundesregierung enthält sich dabei.
({2})
Wenn man diesen Vorschlag der USA schon erwähnt, muß man auch da präzise sein. Wir sind für ein weltweites Verbot von chemischen Waffen. Und wir sind auch dafür, daß es kontrolliert wird. Natürlich muß es kontrolliert werden. Natürlich muß es in allen Staaten kontrolliert werden. Und natürlich ist es eine Tatsache, daß es genau da in der Vergangenheit die Schwierigkeiten mit der Sowjetunion gegeben hat.
Wir wollen, daß diese Kontrollen logischerweise auch in der Sowjetunion stattfinden.
({3})
Was wir kritisieren, ist - Herr Todenhöfer, schauen Sie sich den Entwurf an -, daß der amerikanische Vorschlag sagt, jede Seite müsse jederzeit, zu jeder beliebigen Zeit, ungehinderten Zutritt zu allen Örtlichkeiten und allen Fabriken haben, die in irgendeinem Zusammenhang mit der Herstellung chemischer Kampfstoffe stünden und die entweder militärischer Art oder im Besitz der Regierung oder von der Regierung kontrolliert seien. Das hört sich gut an. Nur weiß jeder, daß das natürlich völlig unannehmbar ist. Denn jeder weiß,
({4})
in der Sowjetunion steht die gesamte Industrie unter der Kontrolle der Regierung, in den USA nicht. Das heißt, dieser Verifikationsvorschlag hat zur Folge, daß die USA jederzeit in jede chemische Fabrik der Sowjetunion hineingehen könnten, aber die Sowjetunion umgekehrt eben nicht in den USA, weil dort die ganze Chemieindustrie eine private Chemieindustrie ist und nicht unter der Kontrolle der Regierung steht. Das ist der Grund, weswegen die Sowjetunion sagt: Wir lassen uns nicht gefallen, daß ihr alle unsere Betriebe inspizieren könnt, aber wir das in den USA nicht können.
({5})
Niemand würde hier zu Hoechst hingehen können, niemand würde zu Bayer gehen können, niemand würde zu BASF gehen können, weil das keine Betriebe unter Regierungskontrolle sind, sondern privatkapitalistische Betriebe.
({6})
Wenn man das ernsthaft weltweit kontrollieren will, muß man Vorschläge machen, die wirklich alle Produktionsanlagen einbeziehen.
({7})
Herr Abgeordneter Reents, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe nur noch vier Minuten.
Sie gestatten keine Zwischenfrage.
({0})
Ein letzter Punkt hierzu. Sieht man sich an, was neuerdings in der Air/Land-Battle-Strategie im Field Manual 100/5 in der neuen Fassung vom August 1982 über die Kampfführung mit chemischen Waffen steht, so merkt man, daß dort die Rede von Angriffsoperationen mit chemischen Waffen ist. Es ist vor allen Dingen davon die Rede, daß sich die USA für ihre Truppe, für ihre ganz konkrete Planung vorbehalten - wie es in diesem Handbuch wörtlich heißt -, chemische Kampfstoffe in Massen und ohne Vorwarnung einzusetzen. Das ist doch die Perversität, die noch zusätzlich draufkommt,
({0})
worüber Sie, Herr Todenhöfer, und andere aus Ihrer Fraktion nicht reden.
Ich will noch folgendes sagen. Ein Dokument ist bislang leider nicht zur Sprache gekommen. Das ist eines, das die Sache eigentlich sehr voranbringen könnte. Es hat von dem rheinland-pfälzischen DGB-Vorsitzenden, Herrn Lehlbach, im Januar dieses Jahres zwei gleichlautende Schreiben an den Bundeskanzler und an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Honecker gegeben. Herr Lehlbach, DGB-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz, hat darin vorgeschlagen, beide deutsche Staaten sollten einen Vertrag schließen, daß sie auf ihren Territorien alle chemischen Kampfstoffe vernichten und keine weiteren stationieren lassen.
({1})
Es hat darauf eine Antwort von Herrn Honecker gegeben. Ich fasse das kurz zusammen. Er sagt: Ja, wir sind dazu bereit, einen solchen Vertrag zu schließen. Es hat dazu eine Antwort von hier gegeben, nicht von Herrn Kohl persönlich, sondern von seinem Kanzleramtschef Schreckenberger, im März dieses Jahres. Er hat gesagt: Nein, wir sind dazu nicht bereit.
({2})
Das sind die Realitäten, mit denen wir konfrontiert sind. Warum ist man nicht bereit, einen solchen Vertrag zu schließen? Wenn Sie laufend davon reden, daß angeblich - was nicht belegt ist - in der DDR soundsoviele chemische Kampfstoffe aus sowjetischer Produktion gelagert sind, dann tun Sie etwas, damit das wegkommt, wenn Sie der Meinung sind, daß das da ist, schließen Sie einen solchen gemeinsamen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR, der beide deutsche Staaten chemiewaffenfrei machen kann. Das positive Signal aus der DDR gibt es dazu. Was fehlt, ist das positive Signal von der Bundesregierung.
Bislang sind Sie nicht einmal bereit gewesen - bei allem, was Sie von vertrauensbildenden Maßnahmen sagen -, der Bevölkerung überhaupt mitzuteilen, wo diese chemischen Kampfstoffe in der Bundesrepublik lagern, obwohl man weiß - wie eine Studie des Pentagon sagt -, daß es in den amerikanischen Beständen pro Jahr insgesamt viertausend Undichtigkeiten bei der Lagerung der chemischen Kampfstoffe gibt. Aber Sie informieren nicht einmal die Bevölkerung, in wessen Nähe diese Kampfstoffe überhaupt liegen.
Ich will zum Schluß zu Ihrem Antrag noch folgendes sagen. In Ihrem Antrag verweisen Sie auf Afghanistan, auf Laos, auf Kambodscha, verweisen darauf, daß es dort zu Einsätzen gekommen ist. Ich brauche nicht zu wiederholen: Wir sind für die Vernichtung weltweit, wir sind auch für die Vernichtung sowjetischer chemischer Kampfstoffe. Aber ich denke, man muß auch hierbei ehrlich bleiben. Man darf sich nicht in die Grauzone von Halbwahrheiten und Unwahrheiten begeben, wie Sie es machen.
Wenn Sie Afghanistan erwähnen, dann sollten Sie zumindest eines dazusagen. Ich habe im Auswärtigen Ausschuß im März dieses Jahres an das Auswärtige Amt die Frage gestellt: Gibt es Belege dafür, daß in Afghanistan von der Sowjetunion chemische Kampfstoffe eingesetzt werden? Antwort des Staatsministers Möllemann: Nein, diese Belege haben wir nicht. Warum schreiben Sie das dann in Ihren Antrag?
Für Laos und Kambodscha gilt das gleiche. Sie meinen j a nicht die Napalmbomben, die seinerzeit von den USA in Vietnam geworfen worden sind.
({3})
Sie meinen auch nicht Napalm, den weißen Phosphor und die Herbizide, aus amerikanischer Produktion, die in El Salvador von den Regierungstruppen eingesetzt werden. Nein. Sie meinen jetzt sowjetische chemische Kampfstoffe, die in Laos und Kambodscha angeblich eingesetzt worden sind. Ich darf dazu auch nur zitieren.
Warum erwähnen Sie nicht mit, daß es dazu eine australische und britische Wissenschaftlerkommission gegeben hat - ich komme zum Schluß -, die zu dem Ergebnis gekommen ist, das der australische Außenminister kürzlich mitgeteilt hat, bei den eingesandten Proben aus Laos, Kambodscha und Afghanistan, die untersucht wurden, handele es sich um Fälschungen. Die Berichte über diese Studien sind erst kürzlich vom „Observer" veröffentlicht worden; sie waren von der Thatcher-Regierung Großbritanniens zurückgehalten worden. Sie waren auch von der vormaligen konservativen australischen Regierung zurückgehalten und sind erst jetzt von der neuen australischen Regierung, einer Labour-Regierung, überhaupt publiziert worden. Aber Sie arbeiten mit diesen Halb- und Unwahrheiten.
({4})
Dabei geht es nicht darum, daß wir hier irgend etwas in Schutz nehmen wollen. Aber wenn man über diese Frage der Vernichtung chemischer Kampfstoffe redet, dann muß man ehrlich darüber reden, darf man keine Scheinpropaganda machen, darf man nicht darüber schweigen, was in den amerikanischen Arsenalen hier in der Bundesrepublik lagert und was in den USA produziert wird, und darf man sich nicht Beispiele heraussuchen, die nicht nur nach Ansicht aus unseren Reihen, sondern auch nach Berichterstattung von anderer Seite wirklich höchst fragwürdiger Art sind.
Wir fordern Sie auf: Tun Sie endlich den ersten Schritt, schaffen Sie das Gift aus der Bundesrepublik heraus, und machen Sie diesen Vertrag mit der DDR! Dann wird's auch weitergehen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, übertreiben Sie doch nicht immer so maßlos und seien Sie doch nicht immer so einäugig!
Außerdem sind sie schlecht informiert. Es gibt keine neuen C-Waffen-Produktionsanlagen in den USA,
({0}) und die USA haben mittlerweile ihren Vorschlag, nur staatliche Betriebe zu kontrollieren, modifiziert. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und anerkennen Sie doch, daß wir in diesem Hause eine große Übereinstimmung bezüglich chemischer Abrüstung haben.
Die Bundesrepublik hat immer eine Vorreiterrolle bei den Bemühungen um Abschaffung aller chemischen Waffen gehabt. Diese Rolle sollte sie weiter behalten. Schon 1954 haben wir als erster Staat freiwillig auf die Herstellung und den Besitz chemischer Waffen verzichtet.
Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag zur vollständigen Abschaffung der chemischen Waffen wollen wir die von allen Bundesregierungen aktiv geförderten internationalen Bemühungen um die chemische Abrüstung weiter vorantreiben.
Auch in diesem Jahr haben wir mit zwei Arbeitspapieren zur Kontrolle der Weitergabe und zur Kontrolle der Vernichtung der Bestände einen wesentlichen Beitrag zu einer möglichen Lösung des Verifikationsproblems geleistet.
Außerdem hat die Bundesregierung in diesem Sommer erneut zu einem Workshop nach Munster eingeladen und dort einer internationalen Expertenkommission vorgeführt, daß die Kontrolle eines C-Waffen-Abkommens vor Ort auch ohne Werkspionage möglich ist.
Wir haben doch das größte Interesse an einer baldigen Abschaffung aller chemischen Waffen.
({1})
Denn Opfer ihres Einsatzes in Europa wären doch vor allem die Deutschen, die Deutschen in beiden deutschen Staaten.
Politiker aller Parteien in diesem Hause haben immer wieder betont, wie wichtig es für uns ist, das Wettrüsten bei chemischen Waffen zu verhindern. In dieser zentralen abrüstungspolitischen Frage besteht eine große Übereinstimmung hier. Dies sollte für die Bundesregierung auch Ansporn sein, ihre Initiativen auf diesem Gebiet weiter zu verstärken.
Das Genfer Giftgasprotokoll von 1925 ist das erste internationale Rüstungskontrollabkommen. Dieses Abkommen ist sicher nicht perfekt. Es verbietet zwar den Einsatz chemischer Waffen, nicht aber ihre Entwicklung, ihre Herstellung und ihre Lagerung.
Das Einsatzverbot ist zudem durch den Repressalienvorbehalt, den viele Unterzeichnerstaaten eingelegt haben, abgeschwächt. Dadurch wird eine chemische Antwort auf einen völkerrechswidrigen C-Waffen-Einsatz nicht ausgeschlossen. Da das Genfer Protokoll jeden Einsatz chemischer Waffen, also auch den Ersteinsatz, ausschließt, liefern somit nur die eingelegten Vorbehalte die Rechtfertigung für den weiteren Besitz von C-Waffen. Eine Möglichkeit, der anderen Seite jede Rechtfertigung für den Besitz chemischer Waffen zu nehmen, wäre der eigene Verzicht auf Besitz und Lagerung dieser Waffen sowie der Verzicht auf den Vorbehalt einer chemischen Antwort im Rahmen der Repressalien. Meines Erachtens wäre durch einen ersatzlosen
Abzug bei uns lagernder C-Waffen und den Verzicht der USA auf ein Modernisierungsprogramm den westlichen Bemühungen um eine vollständige Abschaffung der chemischen Waffen am besten gedient. Wir würden der Sowjetunion damit jeden auch noch so fadenscheinigen Grund zur Rechtfertigung ihrer C-Waffen-Rüstung nehmen.
C-Waffen gefährden mehr als andere Waffen vor allem die Zivilbevölkerung. Im Gegensatz zu den NATO-Einheiten sind die sowjetischen Truppen für einen umfassenden C-Waffen-Krieg trainiert und darüber hinaus mit ausreichenden Schutzvorrichtungen ausgerüstet. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, daß ein chemisches Drohpotential der NATO die Warschauer-Pakt-Staaten abschrecken kann. Ich meine daher, die westliche C-Waffen-Option ist zur Abschreckung nicht geeignet. Ich sehe vielmehr, daß die Sowjetunion annehmen könnte, die NATO wolle sich einer Herausforderung auf der chemischen Ebene stellen, um eine Eskalation auf die nukleare Ebene zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, der Krieg Iran-Irak zeigt, daß ein C-Waffen-Verbot nicht ausreicht. Es ist notwendig, das Genfer Giftgasprotokoll um ein Verbot der Entwicklung, der Herstellung und der Lagerung chemischer Waffen zu erweitern.
({2})
Ein solches Verbot muß auch überprüfbar sein. Die FDP begrüßt deshalb, daß die USA mit ihrem am 18. April 1984 in Genf eingebrachten Vertragsentwurf ihre Zustimmung zu Vor-Ort-Inspektionen auf amerikanischem Boden durch internationale Expertenkommissionen unter Aufsicht der Vereinten Nationen erneut zum Ausdruck gebracht hat.
({3})
Die USA haben mit dem seit 1969 praktizierten Produktionsstopp ein gutes Beispiel gegeben. Erkennen Sie das doch mal an! Die FDP bedauert, daß die Sowjetunion diese Vorleistung ignoriert hat und diesem guten Beispiel bisher nicht gefolgt ist. Ich will nicht verkennen, daß die Sowjetunion in der Verifizierungsfrage erste Bewegung gezeigt hat. Sie hat Anfang dieses Jahres erstmals ihre Bereitschaft erklärt, internationale Vor-Ort-Inspektionen in begrenztem Umfang zuzulassen. Allerdings hat sie dies auf die Kontrolle der Vernichtung beschränkt. Dies ist nicht ausreichend; denn was nützt die kontrollierte Vernichtung alter Bestände, wenn möglicherweise neue, wesentlich bessere C-Waffen unentdeckt produziert werden können?
Meine Damen und Herren, die Verifizierungsproblematik ist zum entscheidenden Punkt der Rüstungskontrollbemühungen geworden. Dennoch müssen wir zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren abwägen. Wir müssen einen Mittelweg finden zwischen dem, was für unsere Sicherheit unverzichtbar ist, und dem, was für beide Seiten annehmbar ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Verifizierung. Die Vernichtung der alten Bestände erfordert sicher ständige Kontrolle vor Ort. Für die Einhaltung eines Herstellungsverbotes könnte aber ein Losverfahren eine Kontrollmöglichkeit sein.
({4})
Dies würde bedeuten, daß internationale Expertenkommissionen in unregelmäßigen Abständen die durch Los ermittelten chemischen Fabriken in allen Staaten unangemeldeten Kontrollen unterziehen könnten. Der Kontrollumfang bliebe dadurch im Rahmen. Dennoch müßten alle damit rechnen, daß kontrolliert wird.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Absolute Kontrollen wird es auch im Bereich der chemischen Waffen ebensowenig geben können wie absolute Sicherheit. Die Verifizierungsfrage darf nicht zum Dogma werden.
({6})
Die Sowjetunion ist jetzt gefordert, eigene Verifizierungsvorschläge zu machen bzw. auf die bekannten westlichen Vorschläge konstruktiv einzugehen.
({7})
Ein Abkommen ist nur erreichbar, wenn sich beide Seiten aufeinander zubewegen. Ich hoffe, daß die Wiederwahl des Präsidenten Reagan dies beschleunigt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Herr Staatsminister Möllemann.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung mißt den in der Genfer Abrüstungskonferenz geführten Verhandlungen über ein weltweites, umfassendes und zuverlässig überprüfbares Abkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung chemischer Waffen sowie über die Vernichtung dieser Waffen und die Vernichtung ihrer Produktionsstätten außerordentliche Bedeutung bei. Sie nimmt an diesen Verhandlungen aktiven Anteil und hat immer wieder substantielle und praktische Beiträge geleistet. Sie tritt deshalb auch dafür ein, daß die Geltung des Genfer Protokolls von 1925 gestärkt wird.
In diesem Sinn hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, daß ein künftiges Verbotsabkommen für chemische Waffen auch das Verbot des Einsatzes, wie es das Genfer Protokoll enthält, erneut bekräftigt. Sie hat ferner die Bemühungen um die Schaffung einer bisher nicht vorhandenen Überprüfungsregelung für das Genfer Protokoll gefördert und 1982 einen entsprechenden französischen Vorschlag unterstützt. Dieser fordert den GeneralStaatsminister Möllemann
sekretär der Vereinten Nationen auf, im Falle des Verdachts einer Verletzung des Genfer Protokolls selbständig Untersuchungen anzuordnen und zu diesem Zweck eine Liste von Gutachtern und Laboratorien anzulegen. Wir haben im Zusammenhang mit dieser Resolution dem Generalsekretär der Vereinten Nationen drei deutsche Experten benannt, die für Untersuchungen zur Verfügung stehen.
Die Genfer Verhandlungen befinden sich inzwischen in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Verhandlungsmaterie ist weitgehend aufgearbeitet. In der Sitzungsperiode 1984 konnte die Abrüstungskonferenz erstmalig die vorläufige Struktur eines Abkommens erarbeiten und wesentliche Elemente des Abkommens in alternativen Formulierungen niederlegen. Einen wichtigen Beitrag zu den Genfer Bemühungen stellte der von den Vereinigten Staaten im April dieses Jahres in die Konferenz eingeführte Vertragsentwurf dar. Er enthält viele wichtige Anregungen für ein künftiges Verbotsabkommen; und es ist richtig und wichtig - der Kollege Feldmann hat darauf hingewiesen -, daß in einem in der Tat problematischen Bereich dieses Vorschlags Korrekturen vorgenommen worden sind, die auch notwendig waren, damit beide Arten von Produktionsstätten, solche in staatlicher wie auch solche in privater Regie, soweit sie für diesen Komplex in Frage kommen, der Überprüfung unterstellt werden.
Umstritten ist allerdings nach wie vor die wichtige Überprüfungsfrage. Eine wirksame Überprüfungsregelung ist unverzichtbar. Ich denke, sie liegt im wohlverstandenen Interesse aller beteiligten Staaten; denn Abkommen zu schließen, deren Einhaltung man nicht überprüfen kann, schafft nichts als Mißtrauen gegenüber dem Abkommen selbst, aber auch im Umgang der betroffenen Staaten.
Nach jahrelangem Drängen des Westens hat die Sowjetunion im Februar 1984 erstmalig ihre grundsätzliche Bereitschaft angekündigt, eines der westlichen Anliegen, nämlich das Verlangen nach permanenter Anwesenheit von Vertretern internationaler Kontrolle bei der Vernichtung von Beständen von chemischen Waffen in besonderen Anlagen, in Betracht zu ziehen. Jetzt müßten sich die Anstrengungen darauf richten, darüber hinaus auch für die anderen Bereiche eines Verbotsabkommens die Möglichkeiten internationaler Ortsinspektionen vorzusehen. Solche Überprüfungsmöglichkeiten sind für den Bereich der Nichtherstellung chemischer Waffen sowie für alle Fälle des Verdachts einer Vertragsverletzung unerläßlich. Die Bundesregierung erwartet, daß alle Staaten auch zur Lösung dieser Fragen ihren Beitrag leisten.
Sie hat sich ihrerseits besonders die Bemühungen um die Erarbeitung einer zuverlässigen Überprüfungsregelung mit eigenen Beiträgen zum Anliegen gemacht. So hat sie bereits 1979 ein internationales Seminar zur Überprüfbarkeitsfrage durchgeführt. Im Jahre 1982 hat sie ein umfassendes Überprüfungsmodell in die Verhandlungen eingeführt. Es sieht eine Kombination regelmäßiger Überprüfungen und Kontrollen in besonderen Verdachtsfällen vor, wobei in beiden Fällen internationale Ortsinspektionen vorgesehen sind. In der abgelaufenen Sitzungsperiode 1982 hat die Bundesregierung im Februar und April dieses Jahres jeweils ein Arbeitspapier zu Vertragsbestandteilen eines künftigen Verbotsabkommens in die Konferenz eingeführt. Sie hat ferner in Munster den hier bereits von mehreren Kollegen angesprochenen internationalen Workshop zur Vernichtung chemischer Waffen veranstaltet. Dabei hat sie sich auf die praktischen Erfahrungen gestützt, die wir mit unserer Versuchsanlage zur Vernichtung von C-Waffen-Beständen aus den beiden Weltkriegen gemacht haben. Die Ergebnisse dieses Workshops sind der Konferenz in Form eines Arbeitspapiers vorgelegt worden.
Die Bundesregierung mißt einer weiteren Verstärkung der Bemühungen um ein völliges Verbot der chemischen Waffen größte Bedeutung bei. Es ist hohe Zeit, daß diese schon seit 1925 geächteten Massenvernichtungsmittel endlich abgeschafft werden. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um die Verwirklichung dieses Ziels so schnell wie möglich zu erreichen, und daß deshalb auch die Vereinbarung geeigneter vertrauensbildender Maßnahmen geprüft werden muß.
Der Vorschlag - und hier möchte ich auf eine Anregung des Kollegen Voigt eingehen -, eine Lösung des Problems der chemischen Waffen im begrenzten europäischen Rahmen anzustreben, führt dagegen nach unserer Auffassung nicht weiter. Europäisch- regionale Verhandlungen stünden insbesondere in der Frage der Überprüfbarkeit vor den gleichen Schwierigkeiten wie die Verhandlungen, die gegenwärtig in Genf geführt werden.
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Sie würden sogar noch zusätzliche Probleme zu bewältigen haben, weil außerdem sichergestellt werden müßte, daß derartige Waffen nicht wieder nach Europa verbracht werden. Im übrigen haben die kürzlichen Ereignisse im Iran, die hier mit Recht angesprochen worden sind, die Dringlichkeit eines weltweiten Waffenverbots nachhaltig unterstrichen.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Sicher.
Herr Staatsminister Möllemann, sind Sie bereit, ein Angebot von mir wahrzunehmen, daß ich Sie in einem vertraulichen Gespräch darüber zu informieren bereit bin, wie eine regionale Lösung rüstungskontrollpolitisch sauber und eindeutig erfolgen kann, so daß die Besorgnisse, die Sie hier zu Recht äußern, nicht eintreten müssen, sondern im Gegenteil eine weltweite Lösung beschleunigt wird und eine regionale Lösung seriös - sicherheitspolitisch seriös - vereinbar ist? Da Sie sich bisher nicht so im Detail damit beschäftigt haben, bin ich gern bereit, Sie vertraulich darüber zu informieren.
Ich bin für dieses überaus liebenswürdige Angebot zunächst sehr dankbar und jederzeit bereit, mich von Ihnen vertraulich über jeden Ihrer Wissensvorsprünge informieren zu lassen. Ich glaube aber, es wäre noch besser, Herr Kollege Voigt, wenn Sie bei den anstehenden Beratungen in den zuständigen Ausschüssen diese neuen, offenbar allen anderen bisher verborgenen Sachargumente vortragen würden, damit wir uns damit beschäftigen können.
Meine Damen und Herren, eine weitere Bemerkung, mit der ich noch einmal unterstreichen will, daß wir uns die Ausgangsvoraussetzungen für die Verhandlungen nun nicht so malen können, wie wir sie gerne hätten. Hier ist vorhin eine Studie des Instituts für internationale strategische Studien in London angesprochen worden. Diese Studie, Herr Kollege Reents, weist aber als Basisinformation zunächst und vor allen Dingen zwei Sachverhalte aus, die auch Ihnen zu denken geben müßten und die wir nicht außer Betracht lassen können, zum einen, daß im Verhältnis der beiden chemiewaffenbesitzenden Nationen Sowjetunion und USA sich die Relation auf 9:1 beläuft, und zweitens, daß die Sowjetunion auch heute noch, und zwar im Unterschied zu den Vereinigten Staaten von Amerika, Spezialkampfverbände unterhält, die sie in der Anwendung von chemischen Waffen ausbildet und die auch strategische und taktische Operationen mit solchen Waffensystemen üben. Die Frage, die Sie sich auch stellen werden, warum wohl eine Nation im Gegensatz zu anderen dies tut, können wir als Faktum nicht verdrängen, wenn wir unsere Politik formulieren.
Meine Damen und Herren, angesichts des fortgeschrittenen Verhandlungsstandes in Genf halten wir von seiten der Bundesregierung einen baldigen Erfolg dieser Verhandlungen für erreichbar, wenn tatsächlich alle Mitgliedstaaten der Abrüstungskonferenz Flexibilität und Kompromißbereitschaft zeigen. Die Bundesregierung wird ihrerseits alles daransetzen, um auf diesem Wege einen baldigen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen möglich zu machen.
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Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2027 zu überweisen an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß. Zustimmung des Hauses?
Danke schön. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums
- Drucksache 10/2040 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Der Ältestenrat hat für die Aussprache vorgeschlagen, daß jede Fraktion zehn Minuten in Anspruch nimmt. - Kein Widerspruch; dann ist dieses so beschlossen.
Eine Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat in Form eines Entschließungsantrags einen kompletten Entwurf für einen internationalen Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen und damit zur Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum eingereicht. Er hat die Überschrift „Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums". Das soll aber keine Einschränkung sein, sondern nimmt lediglich zur Kenntnis, daß es im Weltraum bereits seit Jahren Aufklärungssatelliten gibt und daß eine darüber hinausgehende Weltraumrüstung auf jeden Fall unterbunden werden sollte. Wir betrachten die jetzt vorhandenen Satelliten zur militärischen Aufklärung in einem etwas anderen Zusammenhang als das, was jetzt neu mit der Weltraumrüstung geplant wird.
Der Antrag zielt darauf ab, daß sich der gesamte Deutsche Bundestag diesen Vorschlag zu eigen machen möge und daß sich auf dieser Grundlage die Bundesregierung international für einen solchen Vertrag einsetzen möge.
Im Rahmen der nun folgenden Beratungen in den Bundestagsausschüssen über unseren Antrag sind wir selbstverständlich offen gegenüber weiteren Anregungen, soweit solche geeignet sind, die hiermit dem Parlament und der Regierung vorliegenden konkreten Vorstellungen zur Unterbindung der Weltraumrüstung noch weiter zu präzisieren oder zu vervollkommnen.
Die SPD-Fraktion will mit diesem Antrag über das Stadium des bloßen Drängens gegenüber den beiden Supermächten hinaus. Weltweit hat es seit dem Frühjahr Appelle gegeben, daß sich diese rechtzeitig zu Rüstungskontrollverhandlungen mit dem Ziel des wechselseitigen Verzichts auf die Weltraumrüstung zusammensetzen sollten. Im Sommer dieses Jahres schien es einige Wochen lang so, als könnte es bereits im September zur Aufnahme solcher Gespräche kommen. Leider zerschlugen sich die Hoffnungen darauf wieder sehr schnell.
Wir mißbilligen es ausdrücklich, daß beide Supermächte die zunächst erklärte Bereitschaft zu Verhandlungen von Vorbedingungen abhängig machten, die dem Problem in keiner Weise angemessen waren. Die wichtigste sachliche Vorbedingung, daß sie nämlich jeweils für sich konkrete Vorstellungen
erarbeiten, wie diese Weltraumrüstung verhindert werden könnte, ist bis jetzt unterlassen worden.
Für die Erarbeitung dieser sachlichen Voraussetzung wollen wir mit unserem Antrag einen Beitrag leisten. Dabei weise ich ausdrücklich darauf hin, daß der Inhalt dieses Textes, den wir zum Parlamentsbeschluß machen wollen, von dem Göttinger Naturwissenschaftlerkongreß erarbeitet worden ist. Im Juli dieses Jahres haben sich mehrere hundert namhafte Naturwissenschaftler aus dem In- und Ausland in Göttingen zusammengefunden, um ihre ernstesten Sorgen um die Gefahren für die weltpolitische Stabilität durch Weltraumrüstung der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Wir betrachten diese Initiative als einen hervorhebenswerten Ausdruck einer ethischen Verpflichtung von Wissenschaftlern für das menschliche Gemeinwohl.
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Die parlamentarische Umsetzung ist in unseren Augen die geeignetste Form der Unterstützung und auch der Anerkennung des Parlaments für solche verantwortungsbewußten Initiativen.
Mit unserem Antrag wollen wir aber auch innerhalb des Parlaments eine Klärung darüber herbeiführen, welche Position die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage tatsächlich einnehmen. Als der amerikanische Präsident im Frühjahr seine Vorstellungen über die strategische Verteidigungsinitiative bekanntgab und wenig später eine Sitzung der NATO-Verteidigungsminister in Cesme in der Türkei stattfand, war zunächst zu vernehmen, daß sich Verteidigungsminister Wörner deutlich gegen die Weltraumrüstung ausgesprochen habe. Bei näherer Betrachtung wurde aber nicht klar, welcher der beiden zentralen Einwände dagegen nun eigentlich Vorrang hat. Der eine zentrale Einwand ist von grundsätzlicher Art und richtet sich gegen die Entwicklung von Antisatellitenwaffen und Antiraketenwaffen unter Einbeziehung von entsprechenden Waffenstationen im Weltraum. Dies ist unsere Position. Der zweite Einwand befürchtet demgegenüber lediglich eine Abkoppelung des Sicherheitsdenkens der beiden atomaren Supermächte von der übrigen Welt, im Falle der Bundesrepublik Deutschland also eine Abkoppelung des westeuropäischen Sicherheitssystems von dem der Vereinigten Staaten. Wenn diese ihr Territorium gegen sowjetische Raketenschläge separat abwehren und die sowjetische Satellitenaufklärung blind machen könnten, dann sei die Unteilbarkeit der westlichen Abschreckung gefährdet.
Wer lediglich diesen Einwand hat, der ist schnell in der Versuchung, seine Bedenken gegen die Weltraumrüstung dann zurückzustellen, wenn nur der westeuropäische Teil der NATO in die neue strategische Verteidigungsinitiative einbezogen wird.
({1})
In der „Welt" von gestern steht nicht zufällig das Angebot des amerikanischen Verteidigungsministers, daß sich Westeuropa an der technologischen Forschung und Entwicklung der Weltraumrüstung beteilige. Sprecher der Unionsfraktion haben in den
letzten Wochen wiederholt eine westeuropäische Forschungs- und Entwicklungsbeteiligung gefordert.
Darüber hinaus sind die kritischen Fragen noch nicht beantwortet, ob die jüngsten Kreuznacher Beschlüsse zu gemeinsamen deutsch-französischen Bemühungen um einen militärischen Nachrichtensatelliten und um die Trägerrakete Ariane nicht auch bereits eine Voraussetzung für eine westeuropäische Weltraumrüstung darstellen könnten.
Bei den Beratungen über unseren Antrag werden Sie sich öffentlich entscheiden müssen, ob Sie bei der Weltraumrüstung mitmachen oder diese mit uns zusammen verhindern wollen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß Weltraumrüstung nicht dadurch weniger problematisch ist, daß auch Westeuropa einen Finger an diesem Drükker hätte. Statt dessen müssen wir klar und unmißverständlich unseren internationalen Beitrag dazu leisten, daß die Weltraumrüstung nicht stattfindet. Nachrichtensatelliten, auch zur militärischen Aufklärung, müssen unantastbar bleiben, um damit nicht zuletzt die wechselseitige Verifikation von Rüstungskontrollvereinbarungen zu ermöglichen.
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Wir treten darüber hinaus dafür ein, daß die westeuropäischen Staaten eigene Aufklärungstechnologien entwickeln,
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um damit die Voraussetzungen einer Rüstungskontrolle für Europa zu schaffen. Eine solche europäische Satellitenaufklärung muß ein Projekt aller westeuropäischen Staaten sein,
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um durch eine gemeinsame Trägerschaft institutionell sicherzustellen, daß jede Form der aktiven militärischen Nutzung des Weltraums ausgeschlossen bleibt.
Wir fordern die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen deshalb auf: Halten Sie sich frei von allen Versuchungen, den Schritt in die Weltraumrüstung in irgendeiner Form mitzugehen! Tragen Sie mit uns zusammen dazu bei, daß der nicht unwesentliche Einfluß der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht wird, damit ein Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums zustande kommt! Noch ist Zeit dafür. In einigen Jahren könnte es wiederum zu spät sein, so daß neben der drohenden weiteren Gefährdung der internationalen Stabilität auch noch eine unermeßliche, zusätzliche Rüstungskostenlawine droht, die uns noch mehr Möglichkeiten zur Bewältigung der wirtschaftlichen und ökologischen Probleme unseres Erdballs nimmt.
Der Westen hat eine größere Verpflichtung, hier initiativ zu werden. Denn er ist in der Forschung und Entwicklung der Weltraumtechnologien weiter. Dies hat der amerikanische Präsident in der Fernsehdiskussion mit Mondale indirekt zugegeben, als er davon sprach, Amerika könne ja dann seine Kenntnisse bei Fertigentwicklung auch der Sowjetunion zur Verfügung stellen.
Ich komme zum Schluß: Jede Atommacht und jedes Land, in dem Atomwaffen stationiert sind, sind damit auch dem Risiko der Selbstvernichtung ausgesetzt. Es ist deshalb folgerichtig, daß jede Atommacht auch versuchen muß, dieses Vernichtungsrisiko zu mindern oder zu beseitigen. Der einzig sinnvolle und realistische Weg dazu besteht in der Zurückdrängung der Rolle der Nuklearwaffen in den Militärdoktrinen, in wesentlich größeren Anstrengungen zu atomarer Rüstungskontrolle und in der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem atomaren Nichtverbreitungsvertrag hin zu atomarer Abrüstung. Statt diesen Weg zu gehen, wird jetzt versucht, die Selbstvernichtungsrisiken durch Atomwaffenbesitz zu vermindern oder gar zu beseitigen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung, Weiterentwicklung und Steigerung der atomaren Rüstung. Dieser Weg ist mit Widersprüchen, Ignoranzen und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Rest der Welt gepflastert. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam verhindern, daß Ost und West diesen Irrweg gehen; wie gesagt, noch ist Zeit und Gelegenheit dafür.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist manchmal natürlich schon peinlich, mit ansehen zu müssen, wie groß die sicherheitspolitische Zerrissenheit in der SPD ist. Ich will darauf verweisen, daß wir jüngst noch haben erleben müssen, daß die Kollegengruppe Horn intensiv darauf hinwies, daß sie keine sicherheitspolitische Gemeinsamkeit mit der von Bülow habe. Auf dem letzten sicherheitspolitischen Kongreß Ihrer Sozialdemokratischen Partei in Koblenz wurde von Gästen darauf hingewiesen, daß die Sicherheitspolitik der SPD einer Kakophonie gleiche. Unter diesen Umständen ist es natürlich nicht verwunderlich, daß man sich Anträge zu so wichtigen Themen durch Dritte schreiben läßt. Dabei vergißt man aber offensichtlich, das wir und vor allen Dingen Sie damit bereits vieles von dem aufgeben, was wir gemeinsam erreicht haben. Sie wissen doch ganz genau - wie wir auch -, und das haben wir eben bei den chemischen Waffen diskutiert, daß der zentrale Punkt all unserer Abrüstungsbemühungen die Verifikation ist. Gerade auf diesem wichtigen Gebiet gehen Sie in diesem Vertragsentwurf - der wohlgemerkt von anderen geschrieben worden ist - hinter das zurück, was wir bisher gemeinsam erreicht haben. Deshalb kann man schon bei diesem zentralen Punkt sagen, daß dieser Vertragsentwurf einem dient: klar sowjetischen Interessen, und das sind nicht unsere.
({0})
Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf einen weiteren Punkt verweisen. Auch in der Präambel dieses Vertragsentwurfes begehen Sie einen verhängnisvollen Fehler. Sie gehen auch dabei auf eine Äguidistanz zu den beiden großen Mächten. Aber gerade im Zusammenhang mit der Weltraumrüstung müssen wir doch auf eines verweisen: Die einzigen, die bisher ein funktionsfähiges Antisatellitensystem im Weltraum haben, sind die Sowjets. Das heißt, daß wir hier doch darauf hinweisen müssen: Welche Bedrohungen entstehen eigentlich für uns aus dieser Weltraumrüstung der UdSSR, wie wir sie seit Mitte der 70er Jahre festzustellen haben?
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, bei zehn Minuten.
Überhaupt nicht? - Ist in Ordnung.
Den Kollegen sehe ich sowieso immer im Ausschuß.
Wir müssen gerade in diesem Zusammenhang feststellen: Wie ist unsere Situation? - Wir hängen zum großen Teil von der Funktionsfähigkeit unserer Kommunikations- und Satellitensysteme ab, nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich, anders als die UdSSR. Hier müssen wir uns vielleicht darüber Gedanken machen, wie unterschiedlich die Bedrohung nun einmal sein kann. Wir denken im Zusammenhang mit Bedrohung immer darüber nach, daß der erste Schuß abgefeuert wird. Aber vielfach sind wir in unserer Gesellschaft wesentlich und zentraler verwundbar in einem Phasenbereich, der mit Sicherheit dem Abfeuern eines ersten Schusses vorgeschaltet ist. Aber gerade im Zusammenhang mit den Satelliten müssen wir darauf hinweisen, daß wir vor existentielle Fragen dann gestellt sind, wenn die UdSSR so weitermachen kann wie bisher. Deshalb ist für und die Frage der Verifikation so essentiell.
Ich unterstelle der UdSSR nicht a priori, daß sie vertragsuntreu ist. Eine ganze Reihe von Untersuchungen haben ergeben, daß in Bereichen, die gleichsam als abgehakt gelten können oder wo beide Supermächte Interessen Dritten gegenüber wahrnehmen, die UdSSR sehr wohl vertragstreu ist. Aber wir wissen, daß die UdSSR sich gerade in sensiblen Bereichen anders verhält, vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem sogenannten ABM-Vertrag. Sie wissen, daß dieser Vertrag zweierlei vorsieht: daß man keine mobilen operativen Radarsysteme installieren kann - das hat die UdSSR auf der Kamtschatka getan - und, daß man keine zentralen Systeme dieser Art in Kernbereichen der Staaten installieren kann - das hat die UdSSR getan. Gerade deshalb haben wir alle Veranlassung, uns sehr sorgfältig Gedanken zu machen, welche Verifikationen hier erforderlich, möglich und nötig sind.
In der Tendenz ist deshalb der SPD-Antrag bereits notleidend. Dennoch werden wir uns damit einverstanden erklären, diesen Vertragsentwurf im Ausschuß zu behandeln, weil ohnehin die Bundesregierung, die von uns dazu aufgefordert worden ist, einen Bericht über den Forschungsstand im Zusammenhang mit diesen Dingen geben wird. Im AusWimmer ({0})
schuß werden wir auch sehr sorgfältig prüfen müssen, ob nicht bereits bestehende Verträge Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Weltraumrüstung geben. Ich denke hier insbesondere an die Charta der Vereinten Nationen, die uns diesen Gewaltverzicht, diese Einwirkung, eine Gewaltanwendung zu unterlassen, förmlich aufzwingt.
Das zweite ist der Weltraumvertrag. Auch er verbietet bereits die Stationierung von Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen im Weltraum sowie die Nutzung von Himmelskörpern für die Errichtung militärischer Einrichtungen.
Eine Reihe von weiteren Rüstungskontrollvereinbarungen verbieten die Störung nationaler technischer Verifikationsmittel. Der ABM-Vertrag - wenn man ihn nutzen will - verbietet die Erprobung und Stationierung raumgestützter Raketenabwehrsysteme. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt sich nach wie vor nachhaltig dafür ein, eine neue Rüstungsdimension im Weltraum nicht entstehen zu lassen. Das gibt auch unser Antrag Drucksache 10/1674 wieder.
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Wir begrüßen gerade vor diesem Hintergrund sehr die amerikanische Bereitschaft zu ernsthaften Weltraumverhandlungen und bedauern es unter diesen Umständen, daß die Sowjetunion auf die unverzügliche Antwort Washingtons auf den Moskauer Vorschlag vom 29. Juni 1984 zunächst ausweichend, dann mit widersprüchlichen Zusatzforderungen und schließlich ablehnend reagiert hat.
Wir begrüßen es, daß der amerikanische Präsident noch in der Wahlnacht sein starkes Interesse an SDI weiter bekundet hat. Für uns ist es verständlich, daß man sich sehr wohl Gedanken darüber machen soll, was dem Schutz der Menschen und nicht der Zerstörung des Gegners dient. Wir wissen aber auch eines: SDI befindet sich noch im Forschungsstadium. Dies kann man nicht deutlich genug hervorheben. Alle Überlegungen über mögliche Auswirkungen auf unsere Sicherheit, auf die bestehende NATO-Strategie und auf die Rüstungskontrollverhandlungen werden davon abhängen, wieweit SDI technisch machbar und finanzierbar ist. Wir halten die Forschungen an SDI für notwendig, um abschätzen zu können, welche technologischen Möglichkeiten die Sowjetunion hat und welche Entwicklungen bei ihr denkbar sind, um sich gegen einen plötzlichen Durchbruch in ihrer Raketenabwehrtechnologie schützen zu können.
Es ist zu hoffen, daß im nächsten Frühjahr zwischen den Amerikanern und den Sowjets ernsthafte Weltraumverhandlungen durchgeführt werden, die auch den Aspekt des gesamtstrategischen Verhältnisses berücksichtigen, d. h. mit der Rüstungsbegrenzung von Raketenabwehrsystemen muß auch eine Erhöhung der Stabilität des strategischen Kräfteverhältnisses einhergehen und damit zu einem entscheidenden Abbau des nuklearen Arsenals führen.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß, wie gesagt, über eine Realisierung von Raketenabwehrsystemen heute nur wenig Konkretes gesagt werden kann, sind für uns Europäer folgende vier Aspekte von Bedeutung.
Erstens. Durch die Forschung an der Raketenabwehrtechnologie darf nicht ein automatischer Prozeß zur Veränderung der gültigen NATO-Strategie eintreten. Solange es keine neue, allseits akzeptierte NATO-Strategie gibt, ist die bestehende Strategie der „flexible response" weiterhin für alle Bündnismitglieder verbindlich. Deswegen sind ständige Information und gegenseitige Konsultation unter den Bündnispartnern bezüglich der Frage der Auswirkung solcher Programme auf Strategie wie auf Rüstungskontrolle notwendig.
Zweitens. Durch die Einführung eines Defensivsystems dürfen entsprechend dem Grundsatz „gleiche Sicherheit für alle Bündnispartner" keine Zonen abgestufter Verwundbarkeit im Bündnis entstehen.
Drittens. Es darf auch nicht die Gefahr entstehen, daß regionale nukleare und konventionelle Konflikte wahrscheinlicher werden.
Viertens. Durch ein Raketenabwehrsystem darf es auch nicht dazu kommen, daß man auf anderen Gebieten verstärkte Rüstungsanstrengungen machen muß.
Deswegen begrüßt es unsere Fraktion sehr, daß die amerikanische Regierung in ihren Konsultationen mit den europäischen Bündnispartnern erklärt hat, daß sie diese vier Aspekte zur Grundlage ihrer Entscheidung für ein Für und Wider von SDI machen will.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.
Liebe Freundinnen und Freunde! Angesichts der letzten Nachrichten über die deutsch-französischen Beziehungen und angesichts der Politik fürs Gemüt in Bad Kreuznach sollte man meinen, daß der europäische Traum von Einigung in Erfüllung geht. Präsident Mitterrand gab den Koblenzern ihr berühmtes Vogel-Greif-Geschütz zurück. Dann gab es noch unangebrachtes Pathos der beiden hochgerüsteten Staatsmänner in Verdun. Das ist eine Politik der Gesten, die uns aber auch sehr viel kostet: militärische Spionagesatelliten, Raumstationen, Ariane-Raketen, großindustrielle Projekte.
Für die Franzosen ginge ein stiller Wunsch in Erfüllung, wenn sich die Deutschen emotional an Frankreich anlehnten. Helmut Schmidt hat es ja auch gewünscht, als er im Sommer 1984 vor diesem Hause von einer geistigen Führung Frankreichs und von der Notwendigkeit einer engeren deutschfranzösischen Verteidigungskooperation gesprochen hat.
Bundesaußenminister Genscher bekommt seine „Weichen für ein kraftvolles Europa" gestellt, und
Teile der SPD freuen sich über die geglückte „Selbstbehauptung Europas".
Aber keiner der Vorredner hat zu diesem Thema auf den Tisch gelegt, daß Schritt für Schritt eine vereinigte europäische Nuklearstreitmacht mit oder ohne „amerikanischen Kern" als zweite Säule vorbereitet wird.
Ich möchte zuallererst für die Fraktion DIE GRÜNEN erklären, daß wir den Antrag der SPD zum Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums so nicht akzeptieren können. Wir fordern einen Vertrag zum Verbot der militärischen Nutzung des Weltraums, zivile Projekte mit eingeschlossen, die für die militärische Nutzung mißbraucht werden können. Ich möchte die Vertreter der SPD-Fraktion fragen, wie sie es mit einer Abrüstungslogik vereinbaren können, daß sie im zweiten Absatz ihres Antrags davon sprechen, die Weltraumrüstung zu verhindern, doch gleichzeitig nur von der Begrenzung sprechen und dann gleich noch hinzufügen, daß der Vertrag, den sie vorlegen, „weitgehend mit der Auffassung der französischen Regierung identisch ist". Der Geist von Helmut Schmidt ist somit auch in diesem Antrag noch lebendig.
Die GRÜNEN sind auch nicht der Meinung, daß, wie es auf Seite 2 des Antrags steht, „die nukleare Abschreckung zur Garantie des Weltfriedens unverzichtbar erscheint".
Ich möchte auch fragen, wieso die SPD die militärischen Satelliten unterstützt, die nicht nur der Verifikation dienen.
Nicht nur die Regierungskoalition, die zur Zeit auf und zwischen allen „geflickten" Stühlen wakkelt, sondern auch die SPD scheinen nicht zu verstehen, daß das Konzept der trügerischen Denuklearisierung in den herrschenden Projekten der NATO einen erneuten Schritt hin zur weiteren Militarisierung bedeutet. Wir lehnen die sogenannte Konventionalisierung - ob atlantisch oder europäisch - ab, weil sich daraus keine alternativen defensiven Verteidigungsmöglichkeiten ableiten lassen.
({0})
Es kann uns nicht um ein sogenanntes autonomes und unabhängiges Europa gehen, das seine Eigenständigkeit lediglich nuklear wie konventionell innerhalb oder außerhalb der NATO errüstet.
Als Antwort auf unsere schriftlichen Anfragen erklärt die Bundesregerierung in ach so beruhigender Weise, daß sie sich seit längerer Zeit dafür einsetzt, einen Rüstungswettlauf im Weltraum zu verhindern, und daß sie mit Entschiedenheit für Weltraumrüstungskontrollgespräche eintritt. Doch was lesen wir gestern, am 7. November 1984, in der „Welt" - hat nicht Herr Springer immer recht? -:
Vor allem Aspekte der technischen Innovation im Hinblick auf die amerikanische strategische Verteidigungsinitiative ({1}) scheinen führende Politiker der Bonner Koalition inzwischen geneigter zu machen, auf eine noch nicht
bestimmte Art eine deutsche Beteiligung am amerikanischen SDI-Programm anzustreben.
Weinberger forderte die Bundesregierung zur Beteiligung an diesem SDI-Forschungsprogramm mit der Absicht auf, den Europäern den Krieg der Sterne von Ronald Reagan psychologisch besser zu verkaufen.
Wo bleibt nun die einhellige Ablehnung eines Ministers Wörner, der noch im April 1984 öffentlich schwere Bedenken gegen diese Vision angekündigt hatte? Damals wurde die Frage aufgeworfen, wie es mit der Sicherheit der europäischen Verbündeten stehe, wenn sich die USA durch ein Raketenabwehrsystem im Weltall wirklich schützen könnten.
Damals, im April 1984, gab es bei den Verteidigungsministern - auch bei Herrn Wörner - Ratlosigkeit und Beklemmung über den „Angriff aus dem All".
({2})
Ich dachte damals, unsere Politiker hätten kapiert, daß Reagans Star-war-Vision einen dramatischen Wendepunkt bedeuten. Nun ist mir aber auch klar, daß die Verantwortlichen den Bürgern ihres Landes immer noch nicht die Wahrheit sagen. Die Einführung neuer nuklearer Mittelstreckenraketen, die Entwicklung wirkungsvollerer nuklearer und chemischer Gefechtsköpfe, neue Konzeptionen für den Luft-Boden-Kampf sowie für die Luftabwehr ({3}) sind alle Teile eines neuen tödlichen militärstrategischen Mosaiks, das in das „Überlegenheitskonzept" der Amerikaner paßt.
Weitere schwere Folgen sind absehbar; denn die Sowjetunion wird vermutlich mit einem gewissen Zeitverzug auch ein eigenes Raketenabwehrsystem im Weltall aufbauen. Aber auch darauf hat das Pentagon schon eine Antwort: Es wird bereits an sogenannten Durchdringungshilfen gearbeitet, die die Abwehrsysteme auf der anderen Seite überlisten sollen. Für eine Politik der Entspannung, der Abrüstung und Vertrauensbildung ist in dieser Weltsicht des Gegenseitig-Überlisten-Müssens kein Platz mehr.
({4})
Um den Nuklearwaffenverzicht der Bundesrepublik ist es aber sehr schlecht bestellt, da ständig an seiner Aufweichung gearbeitet wird. Obwohl der Bundessicherheitsrat dem gewünschten militärischen deutsch-französischen Aufklärungs/Spionage-Satelliten eine Absage erteilt hat, ließ sich unser guter Herr Kohl in Bad Kreuznach von dem Gast umstimmen. Dabei hat die Bundeswehr keinen entsprechenden Bedarf angemeldet, und Herr Wörner versäumte es, Argumente für diesen Himmelsspion sammeln zu lassen. Immerhin macht die Bundesregierung geltend, daß diese Satelliten allwetterfähig sein müßten. Doch welcher Minister auf dieser Regierungsbank - es sind fast keine hier - will uns glaubhaft machen, daß die Spionagesatelliten mit unserem Nuklearwaffenverzicht nichts zu tun hätten?
Mitterrand fordert eine europäische Weltraumgemeinschaft als Antwort auf die militärischen Realitäten von morgen. Es muß uns auffallen, Herr Möllemann, daß er hiermit auch hochleistungsfähige europäische Weltraumtransportsysteme, Raumstationen und militärisch nutzbare Satelliten gemeint hat. Ein Spionagesatellit, der die Einhaltung von Rüstungskontrollverträgen verifizieren soll, jedoch auch Daten für die präzise Ermittlung von Angriffszielen liefert - soll dieser denn den Frieden stabilisieren, frage ich die SPD.
({5})
Wie Helmut Rywelski mit Recht geschrieben hat: Der Satellit, der später Paris und Bonn zu gleichen Teilen gehören soll, wird auch den Einsatz der Force de frappe mitsteuern. Die Bundesrepublik als Miteigentümer eines Weltraumleitinstruments für den Einsatz französischer Nuklearwaffen, die Richtung Osten abgefeuert werden gegen unsere Brüder und Schwestern, denen wir zu Weihnachten wieder Päckchen schicken werden? Das kann doch wohl nicht Friedenspolitik bedeuten.
({6})
Wer da noch von Nuklearwaffenverzicht reden kann, möchte ich wissen.
({7})
Wir, DIE GRÜNEN, bestehen auf einer Versicherung der Bundesregierung hier und heute, Herr Möllemann, im Deutschen Bundestag, daß sie keinen Mitbesitz und keine Mitverfügung über Atomwaffen für die Bundesrepublik anstrebt. Das schließt aber auch, Herr Möllemann, die Versicherung ein, daß es keinen Mitbesitz und keine Mitverfügung über Systeme zur Zielplanung und zur Lenkung von Atomwaffen im Weltraum gibt, auch nicht für die französische Force de frappe.
({8})
Das heißt also ein klares Nein zu der von dem französischen Präsidenten Mitterrand vorgeschlagenen Entwicklung. Dieses Nein möchte ich heute im Bundestag hören.
Minister Weinberger war damals im April 1984 auf die Bedenken von Minister Wörner hinsichtlich eines geringeren Schutzes der Europäer vorbereitet und meinte, es sei technisch durchaus möglich, europäische Antiraketen, Gegenmittel und Kurzstrekkenwaffen zu entwickeln. Man meinte dabei die entsprechende Modifizierung der Flugabwehrrakete Patriot. Ich möchte wissen, Herr Möllemann - Herr Wörner ist leider nicht da -, ob Sie endlich Auskunft geben können über die Pläne des Patriot-Herstellers Raytheon, besonders über die vorgesehenen 32 Millionen Dollar, die im Haushaltsjahr 1985 in den USA für die kurzfristigen Verbesserungen der Patriot-Rakete bereitgestellt sind. Insgesamt 92 Millionen Dollar für die Entwicklung eines Antiraketensystems für Europa!
Natürlich erwartet das Pentagon, daß sich der Freund Ronald Reagans Helmut Kohl an diesem Raketenmodernisierungsprogramm, an der Forschung an SDI - wie vorher von Herrn Wimmer gesagt worden ist - beteiligen wird. Und so frage ich die Bundesregierung, ob sie nun die deutsche Totengräberrolle bei der Beerdigung des ABM-Vertrages spielen wird und damit die Schleusen für einen ungehinderten Rüstungswettlauf im Weltall eröffnen wird. Daß die USA aus dem ABM-Vertrag aussteigen, wissen wir, sollten sie die Star-warPläne realisieren. Aber daß die Bundesrepublik dabei mitwirkt, wissen wir noch nicht.
Um den ganzen bundesdeutschen Einstieg in die Militarisierung des Weltraums gut zu verkaufen, meinte Herr Genscher wiederholt, daß wir hier in Deutschland und Europa alles tun müssen, damit wir unsere technologische Führungsposition in allen Bereichen wieder erhalten. - Nach seiner Ansicht werden wir danach gemessen, ob wir in der Lage sind, technologisch führend zu bleiben.
Ich glaube aber, wir werden eher daran gemessen, ob wir z. B. eine ausreichende personelle medizinische Versorgung der krebskranken Kinder in diesem Lande oder der behinderten Menschen in diesem Lande gewährleisten können, und nicht daran, ob wir Spionagesatelliten ins Weltall schicken können.
({9})
Im Moment ist es, gottlob, noch schlecht um die Finanzierung der Spionagesatelliten und der Weltraumprojekte bestellt. Allein die Zustimmung zum französischen Ariane-Programm, das auch zu einer Waffe werden kann, bedeutet, daß Bonn dafür 1,6 Milliarden DM aufbringen muß.
Ich komme zum Schluß. Da wir uns aber auch noch an der amerikanischen Weltraumstation beteiligen, geht es um weitere Milliarden-DM-Beträge. Vielleicht zeigt sich auch hier das Haus Flick großzügig. All dem Gerede über die zivile Nutzung der Raumfähre der Amerikaner ist nicht mehr zu glauben; denn die „Frankfurter Rundschau" und andere Zeitungen berichteten schon vor zwei Monaten über die erste militärische Mission dieser sogenannten zivilen Raumfähre, die für den 8. Dezember 1984 vorbereitet wird.
Ich bitte zum Schluß zu kommen, Frau Kollegin.
Mein letzter Satz: Wir sind alle zutiefst beunruhigt über Meldungen, daß wir so oder so am französischen Atomwaffenproduktionsprogramm beteiligt sind - über die 11 %ige Beteiligung der RWE an dem Schnellen Brüter Superphénix in Frankreich, der Plutonium für französische Atomwaffen herstellt.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der intensiven Beschäftigung
mit dem Thema Weltraumrüstung wird deutlich: Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Sciencefiction ist bereits überschritten.
({0})
Insofern halte ich die Beschäftigung mit diesem Thema hier im Hause und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages für absolut notwendig und begrüße insoweit, Herr Dr. Scheer, die Initiative der SPD-Fraktion. Um so mehr beklage und bedauere ich es allerdings, daß Sie die Einbringung dieser Initiative sozusagen zu dem Versuch einer Aufspaltung bereits in diesem Hause benutzt haben, obwohl es in dieser Frage bereits gemeinsame Initiativen und Interessen gibt. Wir sollten nicht versuchen, Gegensätze herbeizureden, wo sie unnötig und schädlich sind.
({1})
Frau Kollegin Kelly, noch so ausführliche Verdächtigungen über die finsteren Absichten der Bundesregierung in bezug auf Militarisierung des Weltraums oder auf eigenen Besitz von atomaren Waffen,
({2})
Beteiligung an der Festlegung von Zielen und „Finger am Abzug" täuschen Gott sei Dank nicht darüber hinweg, daß die Bundesregierung in diesen Fragen eine ganz eindeutige Haltung eingenommen hat und dies auch in Zukunft tun wird.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?
Entschuldigung, Frau Kollegin, auch ich habe nur zehn Minuten und bitte um Ihr Verständnis, daß ich diese so wie meine Vorredner dazu benutzen möchte, das darzulegen, was meine Fraktion zu diesen Fragen sagen möchte.
({0})
Was gestern also noch die Phantasie faszinierte, ist heute bereits in einer bedrohlichen realen Dimension kalkulierbar. Der Einstieg, Herr Kollege Scheer, ist vollzogen. Er ist eigentlich schon Geschichte, mehr als Sie es vorhin gesagt haben. So ergibt sich eine schon hinreichend bekannte Situation des Rüstungswettlaufs. Ich halte es daher für müßig, darüber zu streiten, wer wann womit angefangen hat. Ich meine, die Frage muß lauten: Wann und wie kann damit wieder aufgehört werden?
Beteiligten wie Unbeteiligten ist meines Erachtens die wachsende Brisanz der Gefahren einer Einbeziehung des Weltraums in militärische Verfügbarkeit bewußt, gleichgültig, ob es sich dabei um defensive oder offensive Nutzung handelt; denn beide Arten der Nutzung sind in höchstem Maße destabilisierend, einerlei, ob sie die Verletzlichkeit des anderen erhöhen oder die eigene vermindern. Von daher halte ich es für völlig selbstverständlich, wenn ich für meine Fraktion sage, daß wir alle Bemühungen und Initiativen unterstützen werden, um einen schnellstmöglichen Stopp der bereits beginnenden Weltraumrüstung zu erreichen. Noch sitzen die Beteiligten leider nicht am Verhandlungstisch. Aber die Chancen für ein Zustandekommen solcher Gespräche sind durchaus positiv.
Die bilateralen Gespräche, für deren Zustandekommen - ich sage es noch einmal - wir alles in unserer Möglichkeit Stehende tun werden, sind nach unserer Auffassung der erfolgversprechendste Weg, zu einer Kontrolle der Rüstungsentwicklung im Weltraum zu kommen. Daneben behält die multilaterale Behandlung des Themas in den Genfer Abrüstungsgesprächen selbstverständlich ihre Bedeutung. In diesem Stadium - dies sage ich an die Adresse der SPD-Fraktion - halten wir es allerdings für sinnvoller, unser Anliegen, so wie beschrieben, in die Konsultationen mit den USA einzubringen, als mit einem ausgearbeiteten Vertragsentwurf, von wem auch immer - auch hier versage ich den Autoren dieses Entwurfs bei allen Mängeln, die er haben mag, meine Anerkennung nicht -, zur Begrenzung der Rüstung im Weltraum hervorzutreten. An Modellen für Regelungen in diesem Bereich ist ja nun, Herr Dr. Scheer, wahrlich kein Mangel. Es kommt jetzt darauf an, alles zu tun, damit die Verhandlungen bald beginnen können.
Was den Vertragsentwurf in seiner Substanz betrifft, so enthält er, wie ich finde, doch einige bedenkliche Mängel, z. B. absolut unzureichende Verifikationsregelungen.
({1})
Die Verifikation allein mit nationalen technischen Mitteln reicht jedenfalls in einer ganzen Reihe von Punkten überhaupt nicht aus.
({2})
- Entschuldigung, Herr Kollege, ich habe Sie beim vorigen Punkt auch nicht unterbrochen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt das gleiche täten.
Zum Beispiel reicht dies nicht aus bei der Überprüfung der Zerstörung des bereits einsatzfähigen sowjetischen Antisatellitensystems, bei der Überwachung eines Verbots der Entwicklung von weltraumgestützten Waffen, bei der Überwachung des Verbots der Mitführung von Waffen auf bemannten Raumschiffen, bei der Überwachung des Verbots der Errichtung bemannter militärischer Kommandozentralen im Weltraum und schließlich, meine Damen und Herren - dies halte ich für besonders wichtig -, bei der Überwachung des nach dem Vertragsentwurf auf der anderen Seite geforderten Verbots der Benutzung von Weltraumsystemen zur direkten Lenkung von Nuklearwaffen.
Dieser letzte Punkt ist übrigens eine wesentliche Erweiterung jener Rüstungskontrollbeschränkungen, die bisher von den USA und der Sowjetunion offiziell erwogen worden sind. Er geht auch über den bereits vorliegenden sowjetischen Vertragsentwurf zur Verhinderung der Militarisierung des Weltraums vom August 1983 hinaus. Der Vorschlag bedarf aber doch wohl einer viel genaueren Prüfung, vor allem unter dem Gesichtspunkt seiner
Wirkung auf das strategische Gleichgewicht und seiner Überprüfbarkeit.
Der Vertragsentwurf des Göttinger Naturwissenschaftlerkongresses, den die SPD-Fraktion als „Rahmen für einen völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Begrenzung der Weltraumrüstung" behandelt wissen will - wobei ich die SPD-Fraktion auch auf das verweisen muß, was eben die Kollegin Kelly an kritischen Bemerkungen aus einer ganz richtigen Richtung an ihre Adresse gesagt hat -, ist daher einerseits mit Lücken behaftet, andererseits, weil an manchen Stellen zu detailliert ausgeformt, zu eng. Ihr Antrag ist Grundlage der heutigen Debatte, die in ihrem bisherigen Verlauf jedenfalls in einem Punkt einen deutlichen Konsens gezeigt hat: daß von allen Seiten dieses Hauses die Sorge vor einer Militarisierung des Weltraums geteilt wird und daß wir uns gemeinsam bemühen wollen, dieser Sorge ihre Realität zu nehmen.
Die Vereinigten Staaten, meine Damen und Herren, sind bereit, über ein Moratorium für Antisatellitenwaffen zu sprechen, obwohl derzeit nur die Sowjetunion über eine einsatzfähige Waffe dieser Art verfügt. Mit einer solchen Regelung würde Zeit gewonnen, um eine grundsätzliche und langfristige Lösung dieses Problems zu finden. Möglichst bald sollte auch über neue strategische Abwehrsysteme gesprochen werden, die möglicherweise ganz oder teilweise im Weltraum stationiert werden. Dabei ist der Zusammenhang mit einer Regelung für Offensivwaffen, in erster Linie für nukleare Interkontinentalraketen, j a wohl untrennbar. Ein Verbot von Defensivsystemen wäre aber von zweifelhaftem Wert, wenn es gleichzeitig ein Wettrüsten bei Offensivwaffen gäbe.
({3})
Andererseits könnten neue Defensivsysteme ohne begleitende Begrenzung der Offensivwaffen die beabsichtigte Wirkung niemals erreichen, sondern sie würden vielmehr neue Rüstungen provozieren.
({4})
Darum müssen parallele Gespräche mit dem Ziel geführt werden, Vereinbarungen zu erreichen, die die Stabilität des strategischen Kräfteverhältnisses erhöhen und zu möglichst drastischen Reduzierungen bei offensiven Waffen führen.
Denn alle noch so fein ausgefeilten Verträge könnten uns auch in Zukunft vor vergleichbaren Situationen nicht bewahren, wenn nicht weltweit die Bereitschaft wächst, solche Verträge nach ihrem Sinn auszulegen und sich danach zu verhalten, statt ganze Stäbe damit zu beschäftigen, durch legalistische Auslegung und Interpretation Lücken ausfindig zu machen, um diese zum Aufbau einer auch nur sektoralen Überlegenheit zu nutzen. Beim künftigen labilen Gleichgewicht der Vielzahl offensiver und defensiver Waffenarsenale und -systeme ist jede sektorale Überlegenheit für den anderen subjektiv bereits eine gefährliche totale Überlegenheit. Maßnahmen zur Sicherheit des einen dürfen keine potentielle Verminderung der Sicherheit des anderen herbeiführen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung teilt die Besorgnis, daß ein unkontrollierter Rüstungswettlauf im Weltraum Gefahren für die Stabilität heraufbeschwören könnte. Sie tritt deshalb bereits seit geraumer Zeit dafür ein, daß angesichts der technologischen Entwicklungen, deren Auswirkungen auf die internationale Lage erst zum Teil absehbar sind, zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion möglichst bald Gespräche zur Begrenzung der Rüstung im Weltraum aufgenommen werden.
Der amerikanische Präsident hat nach seiner Wiederwahl erklärt, er halte ein Treffen mit dem sowjetischen ZK-Generalsekretär Tschernenko für angebracht und sei zu diesem Treffen bereit. Wir begrüßen diese Bereitschaft und würden uns sehr freuen, wenn dieses Treffen sehr schnell zustande käme. Wir sind der Meinung, daß bei einem solchen Gespräch Einvernehmen auch über die Intensivierung der Gespräche über eine Rüstungskontrolle im Weltall erzielt werden sollte. Gegenstand solcher Gespräche sollten sowohl die Antisatellitenwaffen als auch mögliche Komponenten eines weltraumgestützten Abwehrsystems gegen ballistische Flugkörper sein.
Im Fall der weltraumgestützten Defensivsysteme würden solche Erörterungen einen Einstieg in die vorsorgende Rüstungskontrolle darstellen, der wir von seiten der Bundesregierung zur Vermeidung destabilisierender Entwicklungen und insbesondere mit Blick auf die sich ja immer mehr beschleunigenden Entwicklungen der Technologie zunehmende Bedeutung beimessen.
Angesichts der tatsächlichen Interessenlage sowohl der Vereinigten Staaten von Amerika als auch der Sowjetunion sind nach Auffassung der Bundesregierung die Chancen für ein baldiges Zustandekommen solcher Gespräche positiv zu beurteilen. Jüngste Signale aus der Sowjetunion geben Aufschluß über ein fortbestehendes Interesse an Kontakten mit den USA auf dem Gebiet der Begrenzung und der Kontrolle der Weltraumrüstung. Es scheint also, daß der von uns als enttäuschend empfundene Rückzieher der Sowjetunion von den ursprünglich für September geplanten Verhandlungen in Wien nicht das letzte Wort der sowjetischen Führung bleiben wird. Es kann sein, daß dazu auch die Wahlentscheidung vom Dienstag einen Beitrag leisten wird.
Diese bilateralen Gespräche zwischen den beiden Nationen, die in dieser Frage auch gefragt sind, und für deren Zustandekommen die Bundesregierung alles in ihrer Möglichkeit Stehende tun wird, sind nach unserer Auffassung der erfolgversprechendste Weg, zu einer Kontrolle der Rüstungsentwicklung im Weltraum zu gelangen. Wir halten es für sinnvol7062
ler, unsere Überlegungen wie bisher in den Konsultationen mit unserem Hauptbündnispartner diesem auch deutlich zu machen, und glauben nicht, daß die internationale Präsentation eines eigenen Vertragsentwurfs an die Stelle dieser Bemühungen treten kann, jedenfalls wenn es einem nicht nur auf Deklamation ankommt.
Ich glaube, daß der Kollege Ronneburger darüber hinaus sehr zutreffend die inhaltlichen Fragen charakterisiert hat, die der von Ihnen, Herr Kollege Scheer, hier eingebrachte Vertragsentwurf offenläßt, die bei den Ausschußberatungen in der Sache erörtert werden können. Wir glauben also, daß sowohl im Blick auf Antisatellitenwaffen als auch im Blick auf strategische Abwehrsysteme die Gespräche zwischen den beiden Großmächten sehr schnell aufgenommen werden können, und hoffen darauf, daß die von dem amerikanischen Präsidenten angestrebte Unterredung mit dem sowjetischen ZK-Chef dafür den Startschuß geben kann. Da der Kollege Ronneburger im übrigen, wie ich finde, eindrucksvoll dargelegt hat, warum die Vorgehensweise der Bundesregierung plausibel ist, möchte ich mich noch mit drei Fragen auseinandersetzen, die Frau Kollegin Kelly an die Regierung gerichtet hat.
Frau Kelly, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung im Gegensatz zu Ihrer Auffassung bestrebt sein muß, an der Verbesserung der Aufklärungsmöglichkeiten für die verbündeten Streitkräfte der NATO mitzuwirken. Es ist - ich denke, darüber könnten Sie sich mit Ihrem Nachbarn unterhalten - nicht so, daß die Beteiligung an gemeinsamen Aufklärungssystemen, mit denen man natürlich Informationen auch für alle dem NATO-Bündnis zu Gebote stehenden Waffensysteme und deren Einsatz erhält, notwendigerweise, wenn auch nur auf einem Umweg, eine Beteiligung an der Verfügungsgewalt über diese Waffensysteme bewirken würde. Dann müßten wir uns ja aus jeder Informationsgewinnung bei AWACS und bei anderem ausschalten, weil dort natürlich auch Informationen gesammelt werden, die am Ende nur den Nuklearmächten wirksam zur Verfügung stehen.
Den Kern Ihrer Frage kann ich eindeutig beantworten: Die Bundesregierung strebt keine Verfügungsgewalt oder Mitverfügung über Nuklearwaffen an. Die frühere Regierung hat dies nicht getan, die jetzige Regierung tut dies nicht. Ich entsinne mich allerdings, daß es vor nicht allzu langer Zeit auch in Ihren Reihen Diskussionen über eine spezifische Form der Verfügungsgewalt sehr wohl gegeben hat, als es nämlich um die Debatte über ein mögliches Vetorecht gegen den Einsatz von Nuklearsystemen von deutschem Boden aus ging. Auch dies ist natürlich in der Konsequenz eine ,Beteiligung an der Verfügungsgewalt. Wenn Sie gefragt werden wollen, ob Systeme eingesetzt werden und dann nicht nein sagen, nehmen Sie Einfluß auf das Ja, auf die Entscheidung. Wir als Bundesregierung lehnen einen Mitbesitz und eine Verfügungsgewalt über Atomwaffen ab.
Der Kollege Scheer hat hier im übrigen eine Klarstellung vorgenommen, für die wir von seiten der Bundesregierung dankbar sind, was nämlich das Interesse der Sozialdemokraten am Bestehen eines europäischen Auges, wie ich einmal sagen will, im Bereich der Informationsgewinnung angeht, auch durch einen entsprechenden Satelliten. Die Bundesregierung hat ihre Haltung dazu noch nicht festgelegt. Bei den deutsch-französischen Gesprächen war dies ein Thema, ohne daß dazu ein Beschluß gefaßt worden wäre, was ich hier klarstellen möchte. Aber die Debatten werden dort weitergehen, und ich bin für Ihre Information, was Ihre Haltung in dieser Frage angeht, dankbar.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kelly?
Ja, bitte.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie fragen, ob Sie diesen Spionage- und Aufklärungssatelliten unterstützen würden, wenn er auch Daten für die französische Force de Frappe liefern würde, was auch der Fall sein wird. Das habe ich vorher gefragt.
Jeder Aufklärungssatellit - Sie können ihn von mir aus auch Spionagesatellit nennen; das ist ja immer eine Frage des Standortes - bringt ein Bündel von Informationen, das den jeweiligen Teilstreitkräften zur Verwendung zugeführt wird. Das ist mit AWACS genauso. Sie können doch nicht sagen: Wir dürfen dort nicht solche Informationen sammeln, die nicht auch für die verbündeten Nuklearstreitkräfte gebraucht werden können. Das macht überhaupt keinen Sinn.
({0})
Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es irgendein Aufklärungssystem gibt, das solchermaßen Informationen getrennt aufarbeiten könnte.
Wir legen im übrigen auch keinen Wert darauf, an der Verfügungsgewalt über französische Nuklearstreitkräfte beteiligt zu werden.
Die letzte Bemerkung, die ich machen wollte, Frau Kollegin Kelly: Das System „Patriot" hat mit dem ABM-Vertrag nun wirklich nichts zu tun, sondern es ist ein System, das sich das NATO-Bündnis zur Luftverteidigung beschafft. Die Luftverteidigung ist für die Streitkräfte des Bündnisses und für die der Bundeswehr zum Schutz unserer Bevölkerung auch dringend geboten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der SPD auf Drucksache 10/2040 an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. - Es
Vizepräsident Frau Renger
erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lage der Rußlanddeutschen - Drucksache 10/2100 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Der Ältestenrat empfiehlt, 60 Minuten für diese Debatte vorzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. - Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Jäger ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/ CSU und der FDP muß vor dem Hintergrund der wahrhaft trostlosen Lage gesehen werden, in der sich die Volksgruppe der Deutschen in der Sowjetunion befindet. Zwar sind die rund 2 Millionen Deutschen in der UdSSR offiziell als ethnische Minderheit anerkannt, zwar werden sie als Deutsche bezeichnet und nicht - wie man hierzulande manchmal hören kann - als Deutschstämmige, sie tragen in ihren sowjetischen Pässen die Bezeichnung „Nationalität: deutsch", dennoch kann von einer Achtung ihrer Menschenrechte, von einer Respektierung der Volksgruppen- und Minderheitenrechte keine Rede sein. Vielmehr werden die Menschenrechtsbestimmungen, die von der Sowjetunion in feierlichen Verträgen und Abmachungen auf der Ebene der Vereinten Nationen und der KSZE - zuletzt vor einem Jahr in Madrid - anerkannt worden sind, in erheblichem Maß verletzt. Die Pflege der kulturellen Eigenart der deutschen Volksgruppe, der Gebrauch der deutschen Sprache und Bekenntnis und Ausübung des christlichen Glaubens in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften werden in solchem Ausmaß behindert und eingeschränkt, daß praktisch von einer Verweigerung dieser Rechte gesprochen werden muß. Die Kinder der Deutschen in der UdSSR werden in den Schulen diskriminiert und als Faschisten beschimpft, bloß weil sie einen deutschen Namen tragen.
Diese untragbaren Zustände, die einen ständigen Auswanderungsdruck in die Bundesrepublik Deutschland erzeugt haben und noch immer erzeugen, haben die Parlamentarische Versammlung des Europarates dazu veranlaßt, die Sowjetunion vor einem Jahr in einer einstimmig angenommenen Entschließung auf der Grundlage eines umfassenden Berichts der zuständigen Kommission auf diese schweren Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und die Achtung der Volksgruppen- und Minderheitenrechte für die Deutschen zu fordern. Außerdem hat sie die Aufhebung der restriktiven und diskriminierenden Praxis der Ausreiseverweigerung für die Deutschen in der UdSSR gefordert. Zu diesem Thema wird mein Kollege Dr. Hupka nachher noch Ausführungen machen.
Meine Damen und Herren, wir beantragen heute, daß sich der Deutsche Bundestag die Entschließung und Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu eigen macht.
({0})
Darüber hinaus fordern wir die Gewährung der individuellen Menschenrechte an die Deutschen in der Sowjetunion, ihre Nichtdiskriminierung und ihre Einbeziehung in die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR.
Meine Damen und Herren, es kann doch auf Dauer nicht sein, daß wir deutsch-sowjetischen Kulturaustausch betreiben, von dem gerade diejenigen ausgeschlossen sind, die wegen ihrer deutschen Nationalität und ihrer sowjetischen Staatsbürgerschaft in besonderer Weise berufen sind, gegenseitiges Verständnis und wechselseitige Aufgeschlossenheit zu fördern.
({1})
Ziel unseres Antrages ist es keineswegs - lassen Sie mich das besonders nachdrücklich betonen -, das Problem der Rußlanddeutschen dadurch zu lösen, daß wir dafür sorgen, daß sie alle in den Westen auswandern. Diese Deutschen sind in verschiedenen Teilen der UdSSR geboren und aufgewachsen und würden dieses Land als ihre Heimat ansehen, wenn sie dort undiskriminiert als Deutsche sowjetischer Staatsangehörigkeit leben könnten. Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, daß diese Voraussetzungen endlich geschaffen werden.
({2})
Ein mutiger Schritt der sowjetischen Regierung auf diesem Wege wäre übrigens auch ein wichtiges Stück Vertrauensbildung zwischen West und Ost. Er würde die UdSSR nichts kosten. Er würde ihr vielmehr gutwillige und fleißige Bürger erhalten, die nichts anderes wollen, als nach dem Glauben ihrer Väter zu leben, die Sprache ihrer Eltern zu sprechen und ihre eigene Kultur unangefochten und undiskriminiert zu pflegen.
Ich appelliere an dieser Stelle an alle Mitglieder der Bundesregierung und an alle Kollegen des Hauses, bei Besuchen in der UdSSR die Deutschen dort nicht zu vergessen und wenn irgend möglich ein Treffen mit diesen Deutschen in das Besuchsprogramm einbauen zu lassen. Nichts stärkt den Selbstbehauptungswillen dieser Menschen mehr als das Bewußtsein, von uns nicht vergessen zu sein.
({3})
Nach Auffassung der Antragsteller soll sich der Bundestag auch die Forderung des Europarates zu eigen machen, bei künftigen KSZE-Folgetreffen, die 1983 in Madrid vereinbart worden sind, dem Schicksal der deutschen Volksgruppe in der UdSSR besondere Aufmerksamkeit zu schenken und konkrete Vereinbarungen mit der UdSSR anzustreben. Das gilt in ganz besonderer Weise für das Expertentref7064
Jäger ({4})
fen über Menschenrechte, das im Mai 1985 in Ottawa stattfinden wird. Bei diesem Treffen muß endlich Ernst gemacht werden mit der Ziffer 11 des Prinzipienbeschlusses von Madrid, wo es heißt - lassen Sie micht zitieren -:
Sie
- die Teilnehmerstaaten unterstreichen auch die Bedeutung ständiger Fortschritte bei der Gewährleistung der Achtung und des tatsächlichen Genusses der Rechte von Personen, die nationalen Minderheiten angehören, sowie beim Schutz ihrer legitimen Interessen, wie dies in der Schlußakte vorgesehen ist.
Ich erinnere weiter an Ziffer 15 dieses Schlußdokuments, wo es heißt:
Sie bekräftigen die besondere Bedeutung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Internationalen Konventionen über Menschenrechte und anderer ... Dokumente ... sie appellieren an alle Teilnehmerstaaten, im Einklang mit diesen internationalen Dokumenten zu handeln ...
Damit, meine Damen und Herren, ist der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte angesprochen, der in Art. 27 eine ausdrückliche Bestimmung zum Schutz von Minderheiten enthält. Ich darf sie ebenfalls zitieren. Es heißt da wörtlich:
In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.
Meine Damen und Herren, das ist geltendes Völkerrecht, auch für die Sowjetunion. Es mangelt also nicht an klaren und eindeutigen Rechtsgrundlagen. Es muß jetzt gehandelt und in Ottawa auf eine effektive Vereinbarung mit der sowjetischen Regierung über die deutsche Volksgruppe hingewirkt werden.
({5})
Dies kann freilich nur gelingen, wenn die Bundesregierung den Appell des Europarates ernst nimmt und sich mit den befreundeten Staaten des freien Europa über eine sorgfältig ausgearbeitete Strategie auf dieses Ziel hin verständigt.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Deutschen in der Sowjetunion brauchen unsere aktive Solidarität. Sie brauchen sie sowohl im Verhältnis zur Sowjetunion als auch bei allen anstehenden internationalen Verhandlungen, ganz besonders im Rahmen der Folgetreffen von Helsinki und Madrid.
Wir, meine Damen und Herren, verlangen nichts - ich betone das mit großem Nachdruck -, wir verlangen für diese Deutschen nichts als die Realisierung dessen, was die sowjetische Regierung längst in Verträgen und Abmachungen zugesagt hat - dies und nichts anderes!
({6})
Wir werden freilich nur dann Erfolg haben, wenn die sowjetischen Führer erkennen, daß eine entscheidende Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen nur dann möglich sein wird, wenn sie diese Zusagen endlich in die Tat umsetzen. Die Rußlanddeutschen hier wie drüben in der Sowjetunion sollen wissen - und, meine Damen und Herren, sie wissen es -, daß sie sich in dieser Frage auf die CDU/CSU verlassen können.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schlaga.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche heute in einem sehr illustren Kreis: Vor mir Herr Jäger und dann noch Herr Hupka! Nun war das ja eine Donnerrede, die Sie - ({0})
- Ich habe Sie nicht verstanden.
({1})
- Ach, wissen Sie, so wollte ich das nicht gewertet wissen. - Sie wollen also, daß in Ottawa nun endlich ernst gemacht wird, Sie wollen für die Menschenrechte und für die Minderheiten eintreten. Ich bitte nur darum, wenn Sie es so herausheben, wie Sie das eben hier getan haben: tun Sie das sehr vorsichtig mit viel, viel Fingerspitzengefühl, und tun Sie das klug; denn Sie haben, wenn ich mich recht erinnere, schon einmal bei einer Folgekonferenz, nämlich in Madrid, diese beinahe zu Fall gebracht. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen will. Ich weiß, es ist keine Nachfolgekonferenz von KSZE von der Herr Jäger zuletzt sprach. Sie suchten sich etwas anderes aus. Trotzdem, bleiben wir mal dabei!
Der Verfasser des Antrages gibt sich sehr, sehr kompetent durch die verwirrende Aufzählung von Artikeln, Prinzipien, Absätzen, Vereinbarungen, Pakten etc. Man sollte das einmal an dem Text des Buchstabens a der Ziffer 2 deutlich werden lassen. Ein Antrag sollte, so kompliziert der Inhalt auch sein mag, wenigstens für Journalisten lesbar sein.
({2}): Das ist unser Antrag doch!)
Da heißt es: ,,... den Deutschen in der UdSSR entsprechend den Verpflichtungen der Sowjetunion aus Artikel 27 des UN-Menschenrechtspaktes über bürgerliche und politische Rechte ({3}) und aus Prinzip VII Abs. 4 des ersten Korbes der KSZE-Schlußakte von Helsinki sowie Nummer 11 des Abschnitts ,Prinzipien` der Schlußerklärung des KSZE-Folgetreffens von Madrid ..." usw. usw. Ich
bin sicher, das versteht so schnell gar keiner, und auch jeder Abgeordnete hat so seine Mühe,
({4})
sich das alles zusammenzusuchen, um dann herauszufinden, daß das im Grunde genommen fast alles inhaltlich deckungsgleich ist.
({5})
- Herr Klein, dazu komme ich doch noch, nun warten Sie doch einmal ab.
({6})
Im übrigen: Wenn Sie so dazwischenrufen, dann denke ich immer an den „Observer", in dem es, als der Wechsel hier stattfand, hieß: Ein Großer ging, ein Langer kam. Von „Klein" war da nicht die Rede. ({7})
Aber zu eigen, wie in Ziffer 1 ausgesagt, machen wir uns im Moment natürlich noch gar nichts. Ich denke, über die Einzelheiten reden wir im Ausschuß, an den dieser Antrag überwiesen werden soll, der mir im übrigen nachhaltig aus den Zusammenhängen internationaler Probleme gerissen zu sein scheint.
Sie können aber davon ausgehen, daß die ständigen Versuche, die genannten Forderungen erfüllt zu sehen, uns ganz und gar nicht neu sind. Denn schließlich haben wir die KSZE und ihre Folgekonferenzen gegen Ihren Willen durchgesetzt und mitgestaltet. Den UN-Beitritt, um den es hier am Rande ja' auch geht, haben Sie ja wohl auch nicht gewollt - oder? Das gleiche gilt für die Ostverträge und den Grundlagenvertrag. Das alles spielt ja in den Bereich Menschlichkeit, Verwirklichung von Menschlichkeit und menschliche Erleichterungen hinein. Jahrelang haben wir uns intensiv um die Einhaltung der Menschenrechte, um die Verbesserung der Lage der Menschen in der DDR, in Polen, in Rumänien, in der Sowjetunion und anderswo gesorgt und engagiert,
({8})
allerdings unter ständiger Begleitung Ihrer massiven, ungerechten Vorwürfe. So haben wir z. B. ständig den Vorwurf gehört, wir würden den Ausverkauf Deutschlands betreiben und nicht grundgesetzgemäß handeln.
({9})
- Hören Sie doch jetzt einmal zu; reden Sie doch nicht dauernd so unqualifiziert dazwischen! Sonst werden Sie auch noch aus dem Saal gewiesen.
({10})
- Ich weiß, ich komme auch darauf. - Nein, das hören Sie nicht gern. Das ist nämlich der Grund, warum wir heute so weit gekommen sind. ({11})
Sie haben damals gesagt, wir würden den Ausverkauf Deutschlands betreiben und die Rechte der Deutschen oder Deutschstämmigen im östlichen Ausland nicht grundgesetzgemäß wahrnehmen.
({12})
- Richtig. - 300 bis 400 Anträge bzw. Anfragen dieser Art kamen in dieser Zeit von Ihrer Seite, und zwar weniger, um diesen Leuten zu helfen, als vielmehr deshalb, um Obstruktion zu treiben,
({13})
und dies, Herr Hupka, obwohl Sie natürlich wußten, daß unser Grundgesetz nur dort greifen kann, wo wir seine Anwendung auch durchsetzen können.
({14})
Das ist Ihnen oft, immer wieder gesagt worden. Das ging 14 Jahre lang so.
In die Begründung Ihres Antrages schreiben Sie diesmal immerhin, daß „sich die Bundesregierungen" schon bisher „für die Deutschen in der Sowjetunion" eingesetzt haben.
({15})
Immerhin! Sie erkennen also an, daß wir auf diesem Gebiet etwas getan haben.
({16})
- Ich habe nichts dagegen, ich stelle lediglich fest, daß Sie das feststellen.
({17})
- Ja, eben, und das haben Sie bisher, 14 Jahre lang, eben nicht getan.
({18})
- Ich weiß, Sie sind ungeheuer lernfähig, wenn's um ein Wort geht.
Soweit ich die inhaltlichen Aspekte Ihres Petitums im Antrag übersehen kann, setzt die Sowjetunion bei den Punkten a bis c - Sie haben die Vorlage; ich brauche sie nicht vorzulesen - natürlich auf biologische Schrumpfung und auf Assimilation bzw. Assimilierung der Rußlanddeutschen,
({19})
und auf eine mehr oder weniger sanft betriebene Russifizierung; sicher weniger sanft, da bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Im übrigen blockt sie Kritiken mit Art. 36 ihrer Verfassung ab. Da heißt es:
Bürger der UdSSR unterschiedlicher Rassen und Nationalitäten haben gleiche Rechte ... Ihnen sind die Möglichkeiten gesichert, die Muttersprache und die Sprachen anderer Völker der UdSSR zu nutzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja?
Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. - Wir sind uns ja völlig einig, Herr Czaja, daß das so läuft. Die Frage ist doch nur: Wie wollen Sie das kontrollieren? Wenn eine Kontrolle da wäre, dann hätten wir z. B. schon längst Abrüstungsmöglichkeiten gefunden. Doch eine Kontrolle fehlt.
({0})
Das, was in dieser Verfassung steht, ist aus unserer Sicht natürlich sehr dünn und nicht hinreichend.
Da scheint mir der Art. 2 Abs. 1 des Menschenrechtspaktes eben etwas mehr herzugeben:
Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten.
Das kann man dann schon eher sinnvoll und als Hebel in den entsprechenden Gremien benutzen. Da bin ich mit Ihnen einig.
Was den Buchstaben d im Antrag - ich verweise darauf - anbetrifft,
({1})
so kann man sich auf die Implementierungsübereinkünfte der KSZE-Folgekonferenz in Madrid von 1983 berufen, an deren Zustandekommen Sie aber auch kaum Anteil hatten; denn Sie wollten j a die KSZE nicht, folglich auch nicht die Folgekonferenzen. Herr Mertes sprach bei der entsprechenden Diskussion von der Gefahr, daß - aus seiner Sicht - wir uns durch die KSZE politisch-moralisch an die Sowjetunion und an die Verbündeten der Sowjetunion binden würden. Herr Strauß sagte in seiner Rede zur KSZE am 25. Juli 1975, die Sowjetunion würde in 25 Jahren die Sowjetisierung Europas erreicht haben. Was für ein Unsinn!
Richtig ist, daß wir die sogenannte Ost-West-Stabilität nicht beeinträchtigen wollten. Zweifellos aber hat der Korb III der KSZE, nämlich der der Menschenrechte, wesentlich zu den Vorgängen in
Polen und z. B. in Jena beigetragen. Herr Strauß machte seinen sogenannten Privatbesuch in der DDR und ließ sich auf Straßen und Plätzen in Dresden von der Bevölkerung Petitionen übergeben; das Fernsehen war zufällig und in großer Zahl zur Stelle. In diesen Petitionen der Menschen aus der DDR wurde besonders unter Berufung auf die Schlußakte der KSZE um Unterstützung ihrer Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik gebeten. Das muß man einmal zur Kenntnis nehmen. Fünf Jahre vorher hätte ich, wenn mir einer erzählt hätte, daß das passiert, das als einen schlechten Science-Fiction-Film angesehen.
Was dann die zirka 30 000 Umsiedler aus der DDR in diesem Frühjahr betrifft, so sollten Sie allerdings Ihre zwei Milliarden vergessen. Nicht alles ist käuflich; ich warne Sie vor einer solchen Politik. Diese Erfahrung hat inzwischen auch Herr Flick gemacht. Vergessen Sie dafür diese zwei Milliarden,
({2})
und sehen Sie sich noch einmal gründlich das Kommuniqué über die Gespräche Schmidt/Honecker im Dezember 1981 am Werbellinsee an. Da finden Sie dann den Schlüssel dafür.
({3})
- Wenn Sie nicht fähig sind, die Zusammenhänge zu erkennen, die es zwischen Ihrem Verhalten in den 70er Jahren und den - durch uns abgeschlossenen Verträgen gibt,
({4})
dann, Herr Klein, sollten Sie als Außenpolitiker noch einmal von vorn anfangen.
({5})
Ich habe keine Lust, mit Ihnen hier einen Dialog zu führen.
Wir werden - das muß deutlich gesagt werden - mit der KSZE und auch mit den anderen im Antrag genannten Vereinbarungen, Pakten, Abkommen und den Ost-West-Beziehungen nicht ein pures Menschenrechtsparadies gestalten können. Wir würden das gerne, das geht aber nicht. Helmut Schmidt hat das in einer Rede im Juli 1975 gesagt.
({6})
Wichtig ist sicher der Buchstabe c - Sie sehen, ich komme darauf -, die Ausreisen betreffend. Wir sind für eine unkomplizierte Handhabung von Ausreiseanträgen schon immer eingetreten. In der Begründung zum Antrag wird dann aber deutlich, daß Sie so scharf auf die Ausreiseerleichterungen gar nicht sind; im übrigen hat das der Herr Jäger hier deutlich gesagt.
({7})
Deshalb steht an der Spitze der Forderungen, die der Deutsche Bundestag erheben soll - ich zitiere aus der Begründung des Antrags - „die Verwirklichung der ideellen Menschenrechte der Deutschen in der Sowjetunion und ihre Nichtdiskriminierung". So weit - so gut.
({8})
- Sie können sich ruhig wieder hinsetzen. Von mir aus gestatte ich Ihnen keine Zwischenfrage.
({9})
Ich bin mir nicht sicher, verehrter Herr Klein, ob Sie mit diesem versteckten Antrag in der Begründung - dies ist j a nicht so ganz üblich - nur provozieren wollen oder ob Sie tatsächlich überzeugt sind, den Rußlanddeutschen damit einen Dienst zu erweisen. Ich bezweifle das.
({10})
Mir fallen bei dieser Forderung die Türken in der Bundesrepublik ein, die von bestimmten Leuten immer wieder aufgefordert werden - die mögen aus ähnlichen Kreisen kommen wie Sie -, sich gefälligst zu integrieren, d. h. ihre kulturellen und religiösen Eigenheiten abzulegen. Finden sie das so klug?
({11})
Wir sollten im Ausschuß sehr differenziert über Ihre Forderungen und die daraus für die Betroffenen möglicherweise entstehenden Probleme diskutieren.
Lassen Sie mich noch einmal etwas genauer auf die Ausreise zurückkommen. Sie beklagen die zurückgegangenen Aussiedlerzahlen. Laut Begründung durften 1983 nur noch 1 447 Personen deutscher Nationalität aus der UdSSR ausreisen. Dann sagen Sie weiter, daß beim Deutschen Roten Kreuz etwa 90 000 Ausreiseanträge vorliegen und es 60 Jahre dauern würde, bis diese Antragsteller alle in der BRD sind.
({12})
- Gemeint ist: in der Bundesrepublik. - Ich kann nur sagen: Was für ein Stil! Erinnern Sie sich bitte daran, daß Sie in den 70er Jahren unsere Politik diskriminiert haben, mit der wir für Hunderttausende Deutscher aus Polen, der Sowjetunion und Rumänien die Ausreise erwirkt haben.
({13})
- Ich bin kein Gegner der Ausreise. Verstehen Sie mich denn so falsch? Das kann doch gar nicht mißverständlich sein.
({14})
- Das liegt an Ihrem Blick.
Herr Kohl hat 1976 erklärt, er sei gegen das von uns vereinbarte Ausreiseprotokoll mit Polen, weil ihm die darin vereinbarten 125 000 Umsiedler zuwenig seien, obwohl der Vertrag eine sogenannte Offenhaltungsklausel enthält und inzwischen die Zahl von 125 000 weit überschritten worden ist.
({15})
Außerdem war Herrn Kohls Meinung seinerzeit: Man kann Menschlichkeit nicht mit dem Metermaß messen. Das mag aus seiner Sicht richtig sein, ist es aber aus meiner Sicht nicht. Es war der Menschenrechtler Kohl, der nicht begriffen hat, daß das Wünschbare und das Machbare gerade auf internationaler Ebene zwei sehr verschiedene Dinge sind. Das waren doch auch Sie, die Sie damals das Ausreiseprotokoll mit Polen als völkerrechtlich unwirksam diffamiert haben. Es war ein Vertrag, der sauber verhandelt, ausgearbeitet, formuliert und mit Daten, Zahlen und Verbindlichkeiten versehen worden war.
({16})
Mir fällt in diesem Zusammenhang die von Ihnen damals so sehr gefeierte Vereinbarung mit der Sowjetunion - es geht wiederum um die Deutschen in der Sowjetunion - über die Ausreise von Bürgern deutscher Nationalität aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik ein. Ganze 19 Zeilen sind diesem so wichtigen Thema, das Sie in diesem Antrag so bejammern, gewidmet. Das, was den Hauch des Konkreten in dieser Vereinbarung enthält, waren die beiden Worte, daß man „wohlwollend prüfen" will und „daß sich die Sowjetunion und die Bundesrepublik zum Prinzip der Zusammenführung von infolge des letzten Krieges getrenntlebenden Familien bekennen". Das war alles! Und das haben Sie groß als Erfolg herausgestellt. Und das nennen Sie einen Vertrag, der völkerrechtlich nun wirklich bis in letzte Detail hinein ausgefeilt und gültig und sinnvoll ist? Das war nicht nur amateurhaft, sondern leichtfertig, so würde ich sagen.
({17})
- Sie müssen das nachlesen. Ich kann es Ihnen gern zustellen.
({18})
- Richtig.
Als Ersatz für Ihre Unfähigkeit in der Vertragspolitik hat dann Herr Zimmermann am 9. Januar 1976 in der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben - ich zitiere -:
Die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD und FDP ist mit konspirativen Mitteln hinter dem Rücken der westlichen Verbündeten und des deutschen Volkes getrieben worden.
Vielleicht denken Sie wirklich nach, wenn ich Ihnen sage:
({19})
Das war Ihre Art von Opposition in den 70er Jahren, als es um Menschen, Menschenrechte und die Regelung der Kriegsfolgen ging.
Wenn Sie jetzt beklagen, daß im Jahre 1983 nur noch 1 447 Deutsche aus der Sowjetunion ausreisen durften, möchte ich Sie daran erinnern, daß es zwischen 1970 und 1980 immerhin 63 539 waren.
Nun schrieb Herr Hupka, der nach mir sprechen kann - das sind ja Zahlen, die ich bei ihm entnommen habe -, schon am 29. Juni 1981 im „Deutschland Union Dienst":
Es hat sich bezüglich der Ausreise der Deutschen aus der Sowjetunion nicht nur nichts zum Besseren gewandelt, sondern es ist noch schlechter geworden, als es ohnehin schon seit vielen Jahren war.
({20})
- Wollen Sie die Zahlen, die Sie selbst geschrieben haben, nicht zur Kenntnis nehmen?
Eine deutsche Zeitung schrieb am 24. Juli 1980:
Mit dem Abschluß des Moskauer Vertrages durch die sozialliberale Koalition stieg die Zahl der Spätaussiedler aus der Sowjetunion rapide an: von 1970 noch 252 auf 1976 9 652 Personen.
Wie dem auch sei: Ihre eigene Unfähigkeit in der Ostpolitik hat Sie mit Blindheit geschlagen, meine ich.
Ich plädiere namens meiner Fraktion für die Überweisung dieses Antrags an den Auswärtigen Ausschuß.
({21})
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht wäre es im Zuge unserer Überlegungen zur Parlamentsreform erwägenswert, auch einmal zu überlegen, ob es im Hinblick auf unsere Zeitknappheit sinnvoll ist, auch für Anträge eine erste Lesung durchzuführen, oder ob es nicht zweckmäßiger ist, Anträge zuerst im Ausschuß zu beraten, um sie dann ein bißchen ausgereifter dem Plenum und auch der deutschen Öffentlichkeit vorzustellen.
({0})
Das möchte ich nicht als Kritik an den Vorrednern verstanden wissen. Das gilt nämlich nicht nur für diesen Antrag, sondern es gilt für alle Fälle, in denen man mit einer Sache an das Licht der Öffentlichkeit möchte, ohne daß man zuvor in der camera caritatis der Ausschußarbeit darüber gesprochen hat.
Ich möchte für die Fraktion der FDP ein paar sachliche Bemerkungen zu dem Antrag machen, den wir j a mit unterzeichnet haben, und zwar in der Absicht, daß wir uns in der Tat, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, immer wieder über die Situation der deutschstämmigen oder der deutschen Sowjetbürger - wie immer Sie das nennen -, von denen es immerhin etwa 2 Millionen gibt, Gedanken machen, daß wir auch Rechenschaft ablegen und darstellen, was bisher geschehen ist. Herr Kollege Jäger, das ist, wie wir meinen, bei Ihnen ein bißchen zu kurz gekommen.
Anschließend ist zu überlegen, was man eigentlich tun kann, um die Lage nach Möglichkeit zu verbessern. Es ist die Ansicht der FDP, daß hierbei nicht die starken Worte helfen, sondern Augenmaß und sehr viel Geduld.
({1})
Das möchte ich hier sehr nachdrücklich sagen.
Wir haben ja im Zuge unserer Ost- und Entspannungspolitik immer wieder die Erfahrung gemacht, daß nicht derjenige Wirkungen erzielt, der lauthals Forderungen stellt, die gar nicht erfüllbar, die gar nicht realisierbar sind, sondern derjenige, der sich wirklich, ich möchte sagen, tagaus, tagein bemüht, auf dem Gebiet der humanitären Anliegen, die wir unterstützen und die dem Antrag zugrunde liegen, Erfolge zu erzielen.
Es wird behauptet, bisher sei nichts geschehen und auch nichts erreicht worden. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß das Gegenteil der Fall ist. Ich war ja sechs Jahre lang an dieser Arbeit beteiligt und bilde mir zumindest ein, einiges erreicht zu haben. Ich möchte das einmal darstellen: Alle Bundesregierungen haben den sowjetischen Regierungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit immer wieder dargelegt - das haben Sie vorhin auch schon einmal gesagt -, daß die Förderung der humanitären Anliegen einen bedeutenden Beitrag für die Weiterentwicklung der gegenseitigen Beziehungen - das ist durchaus richtig, Herr Kollege Jäger - sowie für die Intensivierung des Prozesses der Entspannung und der Zusammenarbeit in Europa darstellt.
Für die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit bilden besonders die menschlichen Aspekte der KSZE-Schlußakte einen integralen Bestandteil des KSZE-Prozesses. Ich möchte das noch einmal ausdrücklich unterstreichen. Deshalb unterstützen wir auch diesen Antrag.
Lassen Sie mich ein paar Worte zur Ausreiseproblematik sagen. Jeder, der solche Gespräche mit sowjetischen Regierungsvertretern geführt hat oder dabei war -1978, 1980, 1981- weiß ja, daß wir bei hochrangigen Besuchen hier oder in Moskau das Thema sehr deutlich angesprochen haben und daß immer wieder Wohlwollenserklärungen abgegeben worden sind. Es wurde immer wieder zugestanden, daß man diese Anliegen „wohlwollend prüfen" wolle.
Die jetzige Regierung, Herr Kollege Jäger und Herr Kollege Hupka, hat das um keinen Deut anders gehalten. Sie konnte es auch nicht tun. Ich habe hier eine lange Liste, auf der notifiziert ist, bei welchen Gelegenheiten das geschehen ist. Schon am 5. Oktober 1982 in New York durch Herrn Genscher gegenüber Herrn Gromyko sehr ernst und nachdrücklich, dann im November 1982 durch den damaligen Bundespräsidenten in Moskau in seinem Gespräch mit dem damals neuen sowjetischen Parteichef Andropow. Immer wieder wurden Fragen der Familienzusammenführung und der humanitären Erleichterungen angesprochen, z. B. auch anläßlich des Besuchs des sowjetischen Außenministers in Bonn 1983, anläßlich des Besuches unseres Kanzlers und unseres Außenministers in Moskau, und immer wieder die Antwort: Wir werden etwas tun; Sie werden in der Sache von uns nicht enttäuscht werden.
Auch die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes sind voll anzuerkennen. Der Präsident, unser früherer Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, hat sich dieser Aufgabe besonders gewidmet. Und bei der Eröffnung der Konferenz für Vertrauensbildung und Abrüstung in Stockholm zu Beginn dieses Jahres ist der Außenminister wiederum auf dieses Thema zu sprechen gekommen. Man kann der Bundesregierung oder irgend jemand anderem also beim besten Willen keine Versäumnisse vorwerfen. Vielmehr muß man im Gegenteil einmal all denen danken, die den Mut nicht verloren haben, in dieser Sache immer wieder Vorstöße zu unternehmen.
Die rückgängigen Zahlen sind wirklich sehr beredt und deuten darauf hin, daß hier trotz aller Bemühungen aller Voraussicht nach nicht mehr sehr viel weiterzukommen ist. Die Zahlen sind von 7 000 im Jahr 1980 auf 1 500 im Jahr 1983 abgesunken. Wenn Sie die bisherigen Einreisen in diesem Jahr zusammenzählen, wird sich die letzte Zahl offenkundig noch einmal halbieren. Da wird natürlich der andere Aspekt des Antrags interessant und wichtig: Was kann man denn nun wirklich für die Deutschen oder Deutschstämmigen tun, die keine Chance haben werden, auszureisen? Hier, finde ich, sollte der Bundestag, alle Fraktionen, Herr Kollege Schlaga, alles in seinen Kräften Stehende tun.
Ich habe mir einmal genau angesehen, wo die Schwierigkeiten liegen, aber auch das, was schon gelungen ist. Einer der wichtigsten Bereiche für die Deutschstämmigen in der Sowjetunion ist neben der Sprache ihre Religionsausübung. Ich glaube, wir finden nirgends so glühend überzeugte Protestanten-, Katholiken- und auch Baptistengemeinden wie dort im Lande. Auch wenn die Aussiedler zu uns kommen, beeindruckt das jeden, der einmal bei solchen Gelegenheiten dabei war.
Deshalb begrüßen wir es sehr, daß es immer wieder Reisemöglichkeiten für Vertreter unserer Kirchen zu ihren Brüdern und Schwestern bis in die tiefste Sowjetunion hinein gibt. Ich erinnere nur an die Reise des deutschen Direktors des Lutherischen Weltbundes, Dr. Eberhard, und an die Reise des Präsidenten des kirchlichen Außenamtes 1981. 1982 war der Präsident der Evangelischen Kirche, Dr. Lohse, in Lettland und Estland. 1983 reiste Landesbischof von Kehler, mit einer Delegation von Bischöfen, auch aus der DDR. Ich glaube, daß man bei so einer Gelegenheit das kirchliche Engagement in besonderer Weise würdigen und die Hoffnung aussprechen sollte, daß es fortgesetzt wird. Auch die Katholische Kirche und der Evangeliumsrat der Baptisten haben solche Reisen veranstaltet und Trost und Hoffnung gespendet.
Die kulturellen Bedürfnisse dort drüben sind fast ein „Faß ohne Boden". Unsere Botschaft hat kaum Möglichkeiten, direkte Kontakte zu pflegen. Sie weiß aber, indirekt, daß es keine deutschen Schulen mehr gibt, wohl aber Deutsch als Fremdsprache, daß es ein deutsches Theater, daß es eine einmal in der Woche erscheinende deutschsprachige Zeitung gibt. Glauben Sie nicht, Kollegen von der CDU/CSU, daß wir nicht bei allen Kulturgesprächen immer wieder versucht haben, auch Stipendienprogramme, auch Wissenschaftsprogramme, auch Literatursendungen spezifisch für die Deutschen in der Sowjetunion zu initiieren? Und wir wollen das auch in Zukunft so halten! Ich denke, der Schwerpunkt der nächsten deutschsowjetischen Kulturgespräche sollte es sein, diesen Aspekt einzubringen.
Aber noch einmal, liebe Kollegen: Bitte, machen wir das mit Augenmaß, machen wir das mit Geduld, und seien wir uns immer bewußt, daß es am Ende nur darauf ankommt, den Menschen zu helfen und nicht politisch verbale Erklärungen abzugeben.
({2})
Frau Kollegin, die Zeit war um. Deshalb konnte ich eine Zwischenfrage des Kollegen nicht mehr zulassen. Es tut mir leid.
({0})
- Das hilft nun alles nichts. Das müssen Sie bei anderer Gelegenheit machen. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich hier nach der Geschäftsordnung richten muß.
Frau Präsidentin! Guten Tag!
({0})
Ich möchte den vorliegenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP und dann auch die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Anlaß nehmen, grundsätzlich unsere Aufassungen über nationale Minderheiten darzulegen.
Die GRÜNEN treten vorbehaltlos für die Rechte nationaler Minderheiten ein. In unserer praktischen Politik versuchen wir, die Rechte auf Selbstbestimmung, auf kulturelle Autonomie, auf Pflege eigener Traditionen und Überzeugungen zu unterstützen und selbst zu verwirklichen.
Wir wenden uns weltweit gegen die - Unterdrükkung und Diskriminierung nationaler Minderheiten, und wir verurteilen die verschiedenen Versuche, solche Unterdrückungspolitik ideologisch zu rechtfertigen, gleichgültig, ob dies großmachtpolitische Interessen nach Einflußsphären, angebliche Sicherheitsinteressen, Vorstellungen rassischer Überlegenheit sind oder der Glaube, die eigene Kultur und Gesellschaft vertrete den historischen Fortschritt.
Wir prangern die Unterdrückung und die versuchte Auslöschung indianischer Kulturen in Amerika durch die weißen europäischen Eroberer genauso an wie die rassische Unterdrückung der Schwarzen in Südafrika. Wir unterstützen die Forderungen der überlebenden Indianer nach Wiedergutmachung durch die US-Regierung genauso, wie wir die Forderungen der schwarzen Mehrheit in Südafrika nach Wirtschaftsboykott unterstützen. Das ist eine Forderung, in der wir uns zwar in Übereinstimmung mit Nobelpreisträger Tutu, aber nicht mit der Bundesregierung befinden.
({1})
Wir bemühen uns um ein Europa, in dem die Völker Freunde sind, Feindbilder abgebaut werden, die jeweils andere Kultur geachtet wird, in dem Völker und Volksgruppen von einander lernend zusammenleben, ein Europa, in dem Nationalstaaten anachronistisch, Militärblöcke, Grenzen und nationale Verteidigung überflüssig sind. Die individuellen Menschenrechte wie Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, die Rechte auf freie Reise und Ausreise sind für uns genauso Fundament eines neuen Europa, wie es die gemeinsamen Rechte zur Pflege des kulturellen Lebens sind.
({2})
Daß auch den Deutschen alle diese Rechte zustehen, ist selbstverständlich. Für uns ist weder die Glorifizierung noch die Verteufelung eines Volkes denkbar, auch nicht des deutschen Volkes. Wir wissen, daß es unter den Deutschen in Rußland sowohl wirkliche Menschenfreunde gegeben hat - wir erinnern uns an den von Lew Kopelew beschriebenen Dr. Haas -, daß es später aber auch Anhänger und sogar Diener des Nationalsozialismus gegeben hat. Dann erinnern wir uns an die Gründung der Autonomen Arbeiterkommune der Wolgadeutschen und ihren damaligen Mitkämpfer Ernst Reuter. Wir erinnern uns auch an das Bestreben der Sowjetunion in der Zeit Lenins, die Rechte der deutschen Minderheit durch die Schaffung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen zu schützen.
Wir wissen, daß die Maßnahmen Stalins gegenüber den Rußlanddeutschen ab 1941 - die Auflösung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen, die Verschleppung von über einer Million Menschen nach Sibirien, wo bis 1955 mehrere hunderttausend umgekommen sind - ein Verbrechen waren. Wir wissen, daß die Rehabilitierung dieser Deutschen in der Phase der Entstalinisierung nur halbherzig war, wissen, daß die deutsche Minderheit in der Sowjetunion wie auch andere Minderheiten unterdrückt und diskriminiert wird.
({3})
Wir lehnen es aber ab, mit dem Hinweis auf stalinistische Verbrechen an den Deutschen die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland an Millionen von Menschen in der Sowjetunion und in anderen Ländern zu verkleinern.
({4})
Verbrechen lassen sich nicht gegen Verbrechen aufrechnen und können erst recht nicht durch Verbrechen gesühnt werden.
({5})
In den Reihen der GRÜNEN arbeiten Menschen verschiedener Generationen. Von denen, die den Zweiten Weltkrieg bewußt miterlebten, haben wir gelernt, daß es keinerlei Entschuldigung für die Verbrechen weder Hitlers noch Stalins an Menschlichkeit und menschlicher Würde geben kann, daß die Deutschen aber vor allem die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten haben.
({6})
Die Menschen meiner Generation, die „68er", aus Ost und West haben gesehen, wie im kalten Krieg das Leid der Menschen im jeweils anderen Block zur Rechtfertigung der eigenen Politik, der eigenen Aufrüstung vereinnahmt werden sollte.
Wenn wir heute gegen diese Vereinnahmung durch die Herrschenden der jeweils anderen Seite die konkrete Solidarität der Betroffenen, das gemeinsame Eintreten für die Menschenrechte weltweit setzen, dann ist dies eine unserer Lehren aus der blutigen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert und schließt die Solidarität mit dem Leid der deutschen Menschen in der Sowjetunion ein.
({7})
In Deutschland hat aber der Versuch, das Leid von Menschen für eigene andere politische Ziele zu vereinnahmen, eine besonders schlimme Tradition.
({8})
Der Nationalsozialismus hat in ganz Osteuropa versucht, deutsche Minderheiten für seine verbrecherischen Ziele einzuspannen und als Stützpunkte seiner Eroberungspolitik zu benutzen.
Es steht daher einem deutschen Parlament gut an, besonders wachsam zu prüfen, ob das Eintreten für die Rechte einer deutschen Minderheit auch nicht die kleinste Spur eines taktischen Manövers trägt oder der Verfestigung von Feindbildern gilt.
({9})
Für uns GRÜNE gibt es einige Gesichtspunkte, an denen die Glaubwürdigkeit des Engagements von CDU/CSU und FDP für nationale Minderheiten überprüfbar ist und sich dann als nicht sehr fundiert erweist:
Da ist zum einen das klare Eintreten für verfolgte nationale Minderheiten auch in Fällen, wo es für die Bundesrepublik Probleme bringen könnte. Ich erinnere an die Verfolgung von Kurden und Tamilen in ihren Heimatländern. In beiden Fällen haben deutsche Gerichte es abgelehnt, die Verfolgung dieser Menschen als einer nationalen Minderheit als hinreichenden Grund zur Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik zu akzeptieren. Das ist untragbar.
Da ist weiter die Behandlung nationaler Minderheiten und ausländischer Mitbürger in unserem Land. Die bundesrepublikanische Politik gegenüber den Sinti und Roma zeugt nicht vom Verständnis für andere Kulturen und auch nicht von toleranter Achtung nationaler Minderheiten.
({10})
- Leider ist es so. Das muß ich aussprechen.
({11})
Und Zimmermanns Entwürfe zur Behandlung ausländischer Mitbürger, seine Stellung zur Frage ihrer Familienzusammenführung sind für uns eine Politik der Diskreminierung, die die Verpflichtungen aus der KSZE-Schlußakte nicht zur festen Richtschnur eigener Politik macht.
({12})
Nun ein weiteres Beispiel, und zwar direkt zu unseren Mitbürgern, durch das das Engagement der Bundesregierung für die Menschen aus Osteuropa, die schlimme Erlebnisse hinter sich haben, doppelzüngig wirkt: Im Zuge der Sparmaßnahmen wurden die finanziellen Mittel für Eingliederungsbeihilfen für Aussiedler drastisch gesenkt. Schon unter der SPD/FDP-Regierung wurde das Unterhaltsgeld für Aussiedler, die Sprachkurse besuchen, um 20 % gekürzt. Diese Sparmaßnahmen führten dazu, daß eine Reihe von Sprachkursen für Aussiedler gestrichen wurden. Und weitere Kürzungen sind geplant. Wir müssen auf die unerträgliche Tatsache hinweisen: Während die deutsche Sprache in der Sowjetunion nicht unterstützt und nicht gepflegt wird, werden hier Sprachkurse gekürzt.
({13})
- Pardon! - Die Aufhebung dieser Sparmaßnahmen sowie positive Veränderungen der Politik gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern wären für uns ein Zeichen dafür, daß die CDU/CSU und die FDP sich für die deutsche Minderheit in der Sowjetunion nicht aus politischem Kalkül, sondern aus dem Wunsch, Menschen zu helfen, einsetzen.
Und falls es an Geld fehlen sollte, bin ich dafür, daß wir einseitig eine Rakete abbauen - die auch auf die Rußlanddeutschen gerichtet ist - und deren Kosten dafür einsetzen.
Danke schön.
({14})
Vizepreäsident Frau Renger: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Ich habe immer noch die Hoffnung, daß wir diese Entschließung im Auswärtigen Ausschuß einvernehmlich werden verabschieden können.
({0})
Ich hatte eine Zeitlang eine gewisse Ängstlichkeit, als ich hörte, was Herr Kollege Schlaga sagte. Denn Herr Schlaga sprach eigentlich von der Vergangenheitsbewältigung der Ostpolitik, aber nicht zum Thema. Ich bin dankbar, daß Frau Hamm-Brücher und auch Herr Horacek zum Thema zurückgeführt haben, obwohl es natürlich auch bei Herrn Horacek einige Passagen gab, die mit dem Thema „Lage der Rußlanddeutschen" nichts zu tun hatten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Neumann?
Nein. Danke. Die Zeit eilt.
Wir müssen wissen, daß unter den Deutschen, die heute unter kommunistischer Herrschaft leben, sei es als deutsche Staatsangehörige oder als Volksdeutsche neben den 17 Millionen Landsleuten in Mitteldeutschland die Deutschen in der Sowjetunion die größte Zahl stellen. Auch laut sowjetischer Statistik sind es nahezu 2 Millionen. Wir wissen, daß etwa 100 000 aussiedeln wollen, aber man muß davon ausgehen, daß noch einmal 100 000 diese Absicht haben. Wenn es nicht all diese Schikanen gäbe, wäre die Zahl wahrscheinlich weit, weit höher. Fest steht - das soll auch heute mit Genugtuung registriert werden -, daß seit 1950 bis jetzt 93 700 Deutsche haben ausreisen können. Zugleich muß aber mit Verbitterung und mit Enttäuschung ergänzt werden, daß die Zahl der Ausreisegenehmigungen seit 1976 ständig rückläufig ist. Zum erstenmal seit 1970 wird die Zahl der Ausreisegenehmigungen in diesem Jahr unter 1 000 sinken, und es werden weniger als 1 000, kaum mehr als 800 sein.
({0})
Das ist sehr bedrückend, und die Zahl ist seit 1976
regelmäßig rückläufig. 1980 waren es im Monatsdurchschnitt nur noch 580, die zu uns kommen
konnten, während es 1976 immerhin noch 809 waren. 1981 waren es bereits nur noch 314 und 1982 nur noch 175.
Hier liegt auch eine Parallelität zum Schicksal der Juden in der Sowjetunion, zu den Sowjetbürgern jüdischen Glaubens vor. Ich meine, es ist erlaubt, Vergleiche zu ziehen, auch schon deswegen, weil die Zahl der Juden in der Sowjetunion etwa gleich groß ist wie die Zahl der Deutschen. Das Jahr mit der höchsten Ausreiseziffer für die Juden war das Jahr 1979. Damals konnten 51 000 Juden das Land verlassen. Jetzt steht es um die Ausreise der Juden genauso schlecht. Der Monatsdurchschnitt beläuft sich auf 75, und es werden auch in diesem Jahr unter 1 000 sein, die die Erlaubnis zur Ausreise erhalten.
({1})
Der amerikanische Außenminister George Shultz hat am 22. Oktober dieses Jahres in Washington auf der Nationalkonferenz für das Judentum in der Sowjetunion erklärt:
Die Auswanderung ist jetzt eigentlich zum Stillstand gekommen. Die sowjetischen Autoritäten möchten die Welt glauben machen, daß fast alle sowjetischen Juden, die gewünscht hatten auszuwandern, dies bereits getan hätten. Aber dies ist offenkundig nicht wahr. Tausende von Juden haben Ausreisevisa beantragt, nur wurden ihnen diese Ausreisevisa verweigert.
Soweit der amerikanische Außenminister.
Man kann diese von Shultz für die Juden gebrauchten Sätze in gleicher Weise für die Deutschen in der Sowjetunion anwenden. Auch hier, wenn über die restriktive Behandlung der Ausreiseanträge der Deutschen von uns aus Klage geführt wird, ist auch aus dem Munde des sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko, zu hören, daß doch alle, die hätten ausreisen wollen, bereits die Erlaubnis zur Ausreise erhalten haben, und jetzt wolle eben niemand mehr ausreisen. Punktum!
Bundespräsident Professor Karl Carstens - Frau Dr. Hamm-Brücher hat daran schon erinnert; sein Nachfolger hatte dazu noch keine Gelegenheit -, der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher haben gerade im letzten und in diesem Jahr in ihre Gespräche mit den Repräsentanten der Sowjetunion das Problem der Deutschen in der Sowjetunion eingeführt. Der Bundeskanzler berichtete vor der Presse in Moskau über seine Gespräche mit dem damaligen Generalsekretär Juri Andropow am 6. Juli 1983:
Wir haben eindringlich an die sowjetische Führung appelliert, die Ausreise aus der Sowjetunion von Sowjetbürgern deutscher Nationalität in verstärktem Maße zu ermöglichen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, daß dies ein wichtiger Punkt des nationalen Selbstverständnisses und der nationalen Solidarität ist.
Soweit der Bundeskanzler.
Der Bundesaußenminister hat am 21. Mai dieses Jahres während seiner Tischrede gegenüber dem sowjetischen Außenminister in Moskau ausgeführt:
In den Gemeinsamkeiten der deutschen und der russischen Geschichte wurzelt der Wunsch von Deutschen und Sowjetbürgern deutscher Nationalität, zu ihren Familien und Verwandten in meinem Lande auszureisen. Uns liegt daran, daß die Aussiedlung von Deutschen aus der Sowjetunion von sowjetischer Seite wieder in größerem Umfang ermöglicht wird. Dies ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt der gegenseitigen Beziehungen.
So weit das Zitat aus der Tischrede in Moskau.
Auch jüngst bei den Vereinten Nationen hat der Bundesaußenminister, wie uns in der Fragestunde versichert worden ist, mit dem sowjetischen Kollegen über die Ausreise der Deutschen aus der Sowjetunion gesprochen. Allerdings ist mit Betrübnis anzumerken: Ein Erfolg hat sich trotz der wiederholten Bemühungen und der gerade auch zitierten Gespräche bis zur Stunde leider nicht abgezeichnet. Leider!
Das deutsch-sowjetische Verhältnis ist daran zu messen, wie sich die Sowjetunion in drei entscheidenden Feldern der gegenseitigen Beziehungen verhält. Zuerst sind die Deutschen in der Sowjetunion zu nennen, dann die Behandlung der deutschen Kriegsgräber. Hier ist gottlob ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen. Schließlich ist die Eröffnung der Möglichkeit zu Besuchsreisen in den Norden Ostpreußens zu nennen, der heute bekanntlich von der Sowjetunion beherrscht ist.
Ohnehin haben die Deutschen in der Sowjetunion das grausamste Schicksal aller deutschen Volksgruppen erlitten, ein hierzulande viel zu wenig bekanntes Schicksal. Auch unsere Vertreibungsdokumentationen sparen das Leid der Deutschen in der Sowjetunion vielfach aus.
({2})
Als Volksgruppe unter Stalin aufgelöst, zerschlagen und verbannt, nach 23 Jahren wieder verbal rehabilitiert, aber heute fern von den alten Wohnsitzen in der Ukraine, an der Wolga, am Schwarzen Meer, in der Mehrheit in Asien wohnend, in Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan.
Den schwersten Pressionen ist ausgesetzt, wer sich als Deutscher in der Sowjetunion zur Ausreise entschlossen hat. In Wirklichkeit handelt es sich immer um die Zusammenführung geschlossener Großfamilien, denn die Deutschen in der Sowjetuinon sind auf diese Großfamilien bezogen. Es handelt sich um Familienzusammenführung. Vielleicht wäre man noch bereit, all die Schikanen auf sich zu nehmen, wenn wenigstens die Chance für die Ausreise bestünde. Aber das ist ja gerade die größte Ungewißheit. Manche Familie wartet bereits Jahrzehnte auf die Ausreise - und bis heute vergebens.
({3})
Viele unserer Kollegen haben sehr viele Briefe von dem Familienangehörigen hier, die uns immer wieder daran erinnern, doch für ihre Familienangehörigen, die ausreisen wollen, einzutreten.
Wenn ein Arbeitnehmer die Ausreise betreibt, muß sich zuerst sein Betriebskollektiv einverstanden erklären. Damit das geschehen kann, muß der Ausreisewillige eine Betriebsvollversammlung beantragen und sich dieser wie in einem Schauprozeß stellen. Für eine Hausfrau ist das Einverständnis der Straße oder des Hochhauses, in dem sie wohnt, zu beschaffen. Daß dies einem Spießrutenlaufen gleichkommt, versteht sich. In der Annahme, die Ausreise beschleunigen zu können, hat mancher Ausreisewillige seinen Austritt aus der sowjetischen Staatsangehörigkeit erklärt und seinen Personalausweis an das Präsidium des Obersten Sowjets geschickt, mit dem Ergebnis, daß die Schikanen noch schlimmer geworden sind, noch zugenommen haben. Wer dann aus Protest gegen die Verweigerung der Ausreise bis nach dem fernen Moskau reist, um für seine Ausreise zu demonstrieren, wird verhaftet und im Schnellverfahren verurteilt, im allgemeinen Gott sei Dank nicht gleich zu Höchststrafen.
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, die aus verständlichen Gründen immer wieder um Intervention angegangen wird, versucht ihr Bestes, und das sei hier auch anerkennend gesagt. Sie versucht ihr Bestes, aber nur selten hat sie bei ihrem mühsamen und jahrelang währenden Bemühungen, wenigstens den einen oder anderen Aussiedlerfall zur Zufriedenheit zu lösen, auch Erfolg. Hochrangige deutsche Besucher übermitteln ihren Gesprächspartnern Listen mit Härtefällen, und gleiches geschieht in der Bundesrepublik Deutschland, wenn hoher sowjetischer Besuch ins Haus steht. Aber die Erwähnung auf solchen Härtelisten ist noch keineswegs die Garantie für die Gewährung der Ausreise. Daß die sowjetischen Behörden immer wieder hart zugreifen und Prozesse anzetteln, die mit hohen Strafen enden, nur weil ein Deutscher wegen seines Ausreisebegehrens auf der schwarzen Liste steht, ist viel zu wenig bekannt. Die Bundesregierung sollte alljährlich die Zahl der ihr bekannten Verhaftungen und Aburteilungen der Ausreisewilligen dem Deutschen Bundestag und damit der Öffentlichkeit mitteilen.
({4})
Ihre Redezeit ist beendet, Herr Kollege. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Ja. - Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht nachzulassen, als Anwalt gemäß der Obhutspflicht für alle Deutschen ständig und hartnäckig mit der Sowjetunion zu sprechen und zu verhandeln, um das Los der Deutschen in der Sowjetunion erträglich zu machen. Es geht um die Deutschen in der Sowjetunion!
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/ 2100 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen.
- Kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die heutige Tagesordnung um folgende drei Zusatzpunkte erweitert werden soll:
Erste Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 10/2231 Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Pariser Atomhaftungs-Protokollen
- Drucksache 10/2234 Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 21. März 1983 zu dem Protokoll zu dem Europäischen Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen
- Drucksache 10/2228 Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieser Tagesordnungspunkte gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird.
Ist das Haus mit der Aufsetzung einverstanden?
- Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Punkt 1 unserer Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/2242 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Ist die Bundesregierung bereit, als Instrument zur Herstellung sozialer Ausgewogenheit, die sie nach ihren eigenen Erklärungen mit der nunmehr für verfassungswidrig erklärten Investitionshilfeabgabe hatte erreichen wollen, noch in dieser Woche einen Gesetzentwurf über die Einführung einer Ergänzungsabgabe vorzulegen, damit dieser noch vor der parlamentarischen Weihnachtspause beschlossen werden und zum 1. Januar 1985 in Kraft treten kann, und ist die Bundesregierung in der Lage, gleichzeitig den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, durch das bundeseinheitlich geregelt wird, wann und in welcher Form die Steuerzahler die zu Unrecht erhobene Investitionshilfeabgabe zurückerstattet bekommen bzw. aufrechnen können, damit die Unsicherheit für die Betroffenen schnellstens beseitigt wird?
Dr. Häfele, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege
Dr. Spöri, ich beantworte Ihre Dringliche Frage, die sachlich zwei Fragen enthält, wie folgt.
1. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, einen Gesetzentwurf über die Einführung einer Ergänzungsabgabe vorzulegen. Ob sich weitere Folgerungen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. November 1984 ergeben, bedarf sorgfältiger Prüfung, die naturgemäß nicht kurzfristig abgeschlossen werden kann.
2. Die Bundesregierung wird alles Erforderliche tun, um zu gewährleisten, daß gezahlte Investitionshilfeabgabe unverzüglich zurückgezahlt wird. Der Bundesminister der Finanzen hat den obersten Finanzbehörden der Länder bereits gestern, also einen Tag nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den Entwurf eines Schreibens des Bundesministers der Finanzen übermittelt, wonach vom Arbeitgeber im Jahre 1984 einbehaltene Investitionshilfeabgabe unverzüglich auf einfache Weise an den Arbeitnehmer erstattet werden kann. Nach Abstimmung mit den Ländern, die heute morgen erfolgt ist, ist dieses Schreiben inzwischen offiziell herausgegeben worden.
Für die übrigen Fälle wird in Kürze im Vorgriff auf eine vorgesehene gesetzliche Regelung ein Schreiben meines Hauses herausgegeben, so daß auch hier mit der Erstattung der entrichteten Abgabebeträge begonnen werden kann. Eine gesetzliche Regelung wird noch in das Steuerbereinigungsgesetz 1985 aufgenommen werden können. Wir werden die Fraktionen des Deutschen Bundestages bitten, am nächsten Mittwoch möglichst noch im Finanzausschuß dies durch einen Antrag in das Steuerbereinigungsgesetz 1985 aufzunehmen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri? - Bitte.
Herr Staatssekretär Häfele, werden Sie dem Vorschlag des bayerischen Finanzministers, den er j a im Schreiben an den Bundesfinanzminister gemacht hat, folgen, daß die Rückzahlung dieser Zwangsanleihe mit Zinsen erfolgt?
Dr. Häfele, Parl Staatssekretär: Nein.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mit welchen Reaktionen der Finanzbehörden haben diejenigen Bürger zu rechnen, die jetzt nach Ergehen dieses Urteils die Rückzahlung mit ihren laufenden Steuerzahlungen selbständig verrechnen?
Ich habe Ihnen schon gesagt, wir müssen für die weiteren Fälle, die sich also nicht aus der Lohnsteuer 1984 für die Arbeitnehmer ergeben, noch ein paar Abstimmungen machen. Das wird aber zu Beginn der nächsten Woche abgeschlossen sein, so daß wir Ihnen das am Mittwoch im einzelnen bekanntgeben können.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Huonker.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß durch den Wegfall des Gesetzes unbestreitbar auch der Hinweis auf die Abgabenordnung entfallen ist, und folgt daraus nicht doch, daß nach den allgemeinen Vorschriften, seien es die des Verwaltungsverfahrensgesetzes, sei es über die sinngemäße Anwendung der Vorschrift über die ungerechtfertigte Bereicherung, diejenigen, die jetzt ihre Zwangsanleihe zurückgezahlt bekommen, einen einklagbaren Rechtsanspruch darauf haben, ihre Zwangsanleihe verzinst zu bekommen, da j a eine ungerechtfertigte Kapitalnutzung vorliegt und die Vergütung nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung die übliche Verzinsung ist?
Nein, ich teile Ihre Rechtsauffassung nicht.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wie lange werden nach Einschätzung der Bundesregierung diejenigen warten müssen, die auf die Rechtmäßigkeit der von der Bundesregierung durchgesetzten Zwangsanleihe vertraut und keinen Rechtsbehelf eingelegt haben?
Wir werden beide Gruppen gleich behandeln. Also unabhängig davon, ob ein Bürger Rechtsmittel eingelegt hat oder nicht, sie werden gleich behandelt werden. Deswegen bedürfen wir ja auch eines formellen Gesetzes, das wir schon nächste Woche hier einbringen und möglichst schnell verabschieden werden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dem zuständigen Fachausschuß die seinerzeitigen Prüfungsergebnisse und Stellungnahmen der zuständigen Experten in den beteiligten Ressorts vorzulegen?
Wir sind im Fachausschuß immer sehr offenherzig.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Zwangsanleihe nach dem Regierungswechsel von den zuständigen Experten, möglicherweise auch durch Staatssekretäre und Minister - unter Beachtung der beteiligten Ressorts - ausschließlich unter dem Druck politischer Vorgaben geprüft worden ist?
Es ist bei Politikern nicht unüblich, daß sie politische Entscheidungen treffen.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, bezogen auf Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Spöri und die Aussage des bayerischen Finanzministers würde ich Sie fragen: Welche Gründe hat die Bundesregierung dafür, daß das Geld, das von den Arbeitnehmern gezahlt worden ist, nicht verzinst wird?
Die Rechtsfigur, die Ihr Kollege Huonker vorhin angesprochen hat, entspricht nicht dem Verhältnis zwischen Staat und Abgabepflichtigen. Daß dies eine Abgabe besonderer Art war, die jetzt für nichtig erklärt wurde,
({0})
ändert an diesem Tatbestand nichts.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung sicherstellen, daß das neue, von Ihnen angekündigte Gesetz über die Rückzahlung der Zwangsanleihe - anders als bei dem vorherigen Gesetz, das ja vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist - verfassungsrechtlich zweifelsfrei formuliert werden wird?
Herr Kollege, jede Bundesregierung hat immer die beste Absicht, verfassungsgemäße Gesetze vorzulegen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wieczorek.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß im Zusammenhang mit der Steuerreform Druck ausgeübt werden soll, jetzt für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen größere Entlastungen vorzusehen auf dem Hintergrund, daß ja der Bundesfinanzminister bei der Einführung der Zwangsanleihe von einem Solidarbeitrag der Wohlhabenderen gesprochen hat, der jetzt weggefallen ist, womit die behauptete Ausgewogenheit des Pakets wohl nicht mehr gegeben ist?
Herr Kollege Wieczorek, die beste Ausgewogenheit, die wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben, auch im sozialen Bereich, ist folgende:
({0})
Wir haben die Talfahrt der Wirtschaft und den Absturz in die Staatsverschuldung aufgehalten. Wir haben wieder reales Wachstum, wir haben die beste Geldwertstabilität der ganzen Welt, und wir haben auch die Talfahrt bei der Arbeitslosigkeit stoppen können. Es gibt nichts Sozialeres, als durch eine vernünftige Wirtschaftsentwicklung neue Möglichkeiten für die breitesten Schichten zu eröffnen.
({1})
Die Geldwertstabilität, die wir erreicht haben, hat die sozialste Auswirkung, die man sich überhaupt denken kann.
({2})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung nun den Sachverhalt, daß 800 000 - 800 000! - gutverdienende Bundesbürger in den nächsten Wochen rund 2 Milliarden DM zurückerstattet bekommen, während die Anpassung für 12 Millionen Rentner im kommenden Jahr mit 1,07 % erheblich unter der Preissteigerungsrate von 2% bis 2,5% zurückbleibt, also real ein Rückgang eintritt, und daß das Weihnachtsgeld durch die Maßnahmen der Bundesregierung zum erstenmal der Abgabepflicht des Sozialversicherungsgesetzes unterworfen wird?
Herr Kollege, es ist so, daß wir den Spruch des Verfassungsgerichts erfüllen müssen. Karlsruhe locuta, causa finita.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Esters.
Herr Staatssekretär, würde es der steuerpolitischen Grundauffassung der Bundesregierung widersprechen, wenn an Stelle der Zwangsanleihe eine andere Form der Belastung höherer Einkommen eingeführt würde?
Herr Kollege, ich habe Ihnen schon in der Antwort auf die Ursprungsfrage gesagt, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, eine Ergänzungsabgabe einzuführen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte die Frage beantworten, ob es in der Fragestunde des Deutschen Bundestages um die Offenherzigkeit der Bundesregierung geht oder um Antworten auf klar gestellte Fragen, und würden Sie in dem Zusammenhang mit ja oder nein antworten wollen, ob Sie dem zuständigen Fachausschuß die seinerzeitigen Prüfungsergebnisse und die Stellungnahmen der zuständigen Experten in den beteiligten Ressorts vorlegen wollen?
So wie wir hier offenherzig sind, sind wir es im Fachausschuß erst recht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertens.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung darlegen, auf welche
Dr. Mertens ({0})
verfassungsrechtliche Rechtsprechung oder wissenschaftliche Meinungsäußerung sie sich bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Zwangsanleihe gestützt hat, nachdem im Hearing des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages alle geladenen Verfassungsrechtler übereinstimmend Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zwangsanleihe erhoben haben?
Herr Kollege Mertens, ich glaube, es hilft jetzt nicht sehr viel, daß wir nachträglich einen großen wissenschaftlichen Streit entfachen, ob sie vielleicht doch verfassungsgemäß ist oder nicht. Sie ist verfassungswidrig, Karlsruhe locuta.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem sich die Zwangsanleihe nun nicht nur als halbherziger, sondern auch als verfassungswidriger Versuch der Einlösung eines Kanzlerversprechens bei der Wahl 1983
({0})
zum sozial gerechten Ausgleich der Belastungen der Konsolidierungspolitik erwiesen hat: Gibt die Bundesregierung mit ihren Aussagen jeden Versuch preis, Konsolidierungspolitik sozial gerecht zu machen?
Ich muß Ihnen widersprechen, Herr Kollege. Sie wissen, den Tarif T 1 a wollen wir erst zum Jahr 1988 in Kraft setzen. Das bedeutet, daß alle die, die in der Steuerprogression belastet werden - das ist heute die Mehrheit der Steuerbürger -, infolge der Staatsverschuldung leider bis zum Jahr 1988 warten müssen, bis sie in der Progression etwas entlastet werden. Das ist durchaus auch ein Sonderopfer gerade von denen, die durch die Progression besonders erfaßt worden sind.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Westphal.
Herr Staatssekretär, ich hatte zwar in der lange zurückliegenden Schulzeit in Latein eine 5, aber was „causa finita" heißt, kann ich mir noch übersetzen. Heißt das wirklich, daß diese Bundesregierung den aus Ihrer Sicht einzigen Versuch, den sie gemacht hat, die Besserverdienenden bei den Ausgleichsbemühungen und dem, was sie Konsolidierung nennen, zu beteiligen, nicht durch irgend etwas anderes ersetzen will, bei dem solche Leute, die so ein Einkommen wie ich haben, auch in irgendeiner Weise Beteiligte sind und an den Lasten tragen und nicht bloß Sozialhilfeempfänger?
({0})
Herr Kollege Westphal, ich kann Ihre Auffassung nicht teilen. Ich wiederhole: Wir haben heute eine Kaufkraftminderung von etwa 2 %. Im Sommer 1982 hatten wir eine Kaufkraftminderung von etwa 5,5%. Das sind fast vier Prozentpunkte Unterschied. Das bedeutet im Jahre 1984 32 Milliarden DM mehr reale Kaufkraft gerade für die schwächeren Schichten unserer Bevölkerung. Ein sozialeres Ergebnis kann keine Politik herbeiführen, als es diese Politik der Stabilisierung getan hat.
({0})
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die - zugegebenermaßen - geringe Preissteigerungsrate die Rentner trotzdem immer noch um über 5% hinter diejenigen zurückfallen läßt, die Sie jetzt entlasten wollen?
Herr Kollege Wieczorek, wenn die Renten eine Steigerung um 3% erfahren, aber die Kaufkraftminderung 6 % beträgt, dann stehen sie sich schlechter als bei dem Zustand, den wir jetzt haben.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, Sie sind auf dem Gebiet j a Fachmann. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Professor Dirk, daß das Bundesverfassungsgericht das Investitionshilfegesetz insgesamt für verfassungswidrig erklärt hat, und kann somit davon ausgegangen werden, daß auch § 9 des Investitionshilfegesetzes nicht in Betracht kommt, wo es heißt, daß die Abgabenordnung entsprechend anzuwenden sei?
Ich bitte um Verständnis. Es ist einfach nicht seriös, schon jetzt, praktisch 24 Stunden nachdem man die Begründung in die Hand bekommen hat, alle Verästelungen von Nebenfolgen zu bedenken und besondere Folgerungen aus dem Urteil zu ziehen. Wir müssen das noch im einzelnen prüfen. Wir sind dabei. Das muß in Ruhe und sorgfältig geprüft werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jung.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich auch der Deutsche Bundestag - speziell der Rechtsausschuß - wirklich große Mühe gemacht hat, die Verfassungsgemäßheit der Investitionshilfeabgabe zu prüfen, und zu dem Ergebnis kam, sie sei verfassungsgemäß?
({0})
Wenn die Bundesregierung und die Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht der Überzeugung gewesen wären, diese Investitionshilfeabgabe sei verfassungsgemäß,
wäre das Gesetz damals nicht verabschiedet worden.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß die rechtliche Fragwürdigkeit der Investitionshilfeabgabe den verantwortlichen finanz- und wirtschaftspolitischen Teilnehmern an der Koalitionsrunde sehr wohl bekannt war und die Wahl auf eine rückzahlbare Investitionshilfeabgabe damals nur deshalb gefallen ist, um den Arbeitnehmerflügel der CDU zu beschwichtigen?
Herr Kollege, natürlich gab es verschiedene Meinungen. Aber das haben wir inzwischen in Deutschland leider bei fast jedem Gesetz.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Staatssekretär, war Ihr Hinweis auf die Preissteigerungsrate so zu verstehen, daß die Bundesregierung wirklich glaubt, eine sinkende Preissteigerungsrate, die den Beziehern höherer Einkommen und höherer Kaufkraft mehr nützt als den Beziehern mittlerer und kleinerer Einkommen, könne als Ausgleich dafür angesehen werden, daß die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen durch die Konsolidierungsmaßnahmen allein belastet werden?
Herr Kollege, Ihre Annahme trifft nicht zu. Es gibt keine sozialere Politik als die, die durch die Wiedergesundung unserer Finanzen und die Wiedergesundung unserer Wirtschaft möglichst viele neue Arbeitsplätze schafft, das soziale Sicherheitssystem dadurch möglichst finanzierbar erhält und auch den sozialen Nebeneffekt hat, daß die Preissteigerungen möglichst gering sind. Da sind wir auf einem guten Weg. Den wollen wir fortführen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schwenk.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Anhörung im Rechtsausschuß von fünf namhaften Wissenschaftlern kein einziger die Verfassungsgemäßheit dieses Gesetzes, das in Rede steht, bejaht hat, sondern alle mit unterschiedlichen Begründungen alle Zweifel gehabt haben und mindestens einer das Ergebnis bereits eindeutig vorausgesagt hat?
({0})
Es besteht kein Zweifel, daß die von der Opposition benannten Sachverständigen diese Meinung geäußert haben.
Es wäre möglich gewesen, andere Sachverständige zu benennen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gattermann.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß in dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine wesentliche Fortentwicklung und Einengung der Finanzverfassung vorgenommen worden ist und daß man auf Grund einer früher einmal erhobenen Zwangsanleihe für die Montanindustrie und eines Urteils aus dem Jahr 1956 sehr wohl der Meinung sein konnte und durfte, daß dieses Instrument verfassungsgemäß sei?
Herr Kollege Gattermann, genauso ist es. Es gibt Belegstellen in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - ich weiß nicht mehr, ob es 1956 oder 1954 war -, daß dieses Instrument verfassungsrechtlich zulässig sei. Und das war bei der Schöpfung dieser Rechtsfigur durchaus auch bedacht.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt noch drei Zusatzfragen vorliegen. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir nach Beantwortung dieser Fragen diesen Fragenkomplex abschließen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Antretter.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte die Frage beantworten, wie Sie sicherstellen wollen, daß die Rückzahlung im gesamten Bundesgebiet nach einheitlichen Grundsätzen in bezug auf das Verfahren und den Zeitpunkt erfolgt, wenn einzelne Finanzbehörden bereits erste Schritte der Rückzahlung eingeleitet haben, z. B. die Oberfinanzdirektion Stuttgart.
Ich finde es sehr erfreulich, wenn Finanzverwaltungen rasch reagieren. Das ist vorbildlich. Beamte, die sagen „Das Verfassungsgericht hat entschieden, jetzt wollen wir dem möglichst schnell gerecht werden", wollen wir nicht in ihrem Eifer bremsen, sondern wir wollen alle möglichst ermuntern, so schnell wie möglich zu handeln.
Zusatzfragen des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Justizminister in der Kabinettsitzung, in der über die Zwangsanleihe entschieden wurde, auf die verfassungsmäßigen Bedenken hingewiesen hat?
Herr Kollege, ich war nicht dabei. Daß es Bedenken gegeben hat, bestreitet doch niemand. Die Frage ist, ob wir schließlich zu einem Ergebnis gekommen sind und die Überzeugung gewonnen haben, daß es verfassungsrechtlich haltbar ist. Deswegen haben wir gehan7078
delt. Das Verfassungsgericht hat anders entschieden, und das ist selbstverständlich zu respektieren.
({0})
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Odendahl.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie zu, daß eine niedrige Preissteigerungsrate immer noch Kaufkraftverlust bedeutet und Kaufkraftzuwachs nur dann stattfindet, wenn die Einkommen schneller steigen als die Preise? Ich verweise da insbesondere auf die Einkommensentwicklung bei den Rentnern.
Frau Kollegin, Sie haben vollkommen recht. Sie dürfen aber nicht übersehen, daß die deutschen Lohn- und Gehaltsempfänger seit 1979 reale Einkommensminderungen zu verzeichnen haben. Wir haben jetzt das erste Jahr seit 1979, in dem die deutschen Arbeitnehmer ein reales Plus haben, vor allem dank der Erfolge bei der Bekämpfung der Preissteigerungen. Das ist ein sozialer Erfolg.
({0})
Keine Zusatzfrage mehr. Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesminister des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Duve auf:
Inwieweit finden die Bestimmungen zur Anonymisierung des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes ({0}) auf das Document Center Anwendung?
Das Berlin Document Center gehört organisatorisch zu der Mission der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin. Es unterliegt nicht der deutschen Gesetzgebung.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär Spranger, Sie wissen, daß Sie mit dieser Beantwortung der Frage den Kern meiner Frage nicht getroffen haben. Die Übergabeverhandlungen stehen an. Ich möchte wissen, ob zum Zeitpunkt der Übergabe das Archivgesetz auch auf das Document Center und dessen Bestände seine Anwendung mit allen Konsequenzen findet.
Ich möchte auf eine Bewertung meiner Antwort verzichten. Ich bitte Sie, meine Antwort so zu nehmen, wie ich sie formuliert habe.
Weitere Zusatzfrage.
Ist Ihnen denn bekannt, Herr Staatssekretär, wie weit diese Übergabeverhandlungen zur Zeit gediehen sind, und könnten Sie uns und der Öffentlichkeit ein klares Bild von dieser Grauzone und diesem Schwebezustand vermitteln?
Wie Sie sicher wissen, haben Sie eine entsprechende Frage an das Auswärtige Amt gerichtet. Herr Kollege Möllemann wird dazu sicher Stellung nehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Clemens auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der immer wieder erhobenen Forderung, die grenzpolizeilichen Aufgaben an der innerdeutschen Grenze, die der Grenzaufsichtsdienst des Zolls im Auftrage des Bundesgrenzschutzes ({0}) durchführt, wieder auf den Grenzschutzeinzeldienst im BGS zurückzuübertragen und gegebenenfalls die dort tätigen Zollbeamten dem BGS einzugliedern?
Herr Kollege Clemens, die Bundesregierung sieht im gegenwärtigen Zeitpunkt weder Anlaß noch Bedürfnis, das Verhältnis von BGS und Zoll, so wie es sich entwickelt hat, zu verändern und dabei etwa den Grenzaufsichtsdienst an der innerdeutschen Grenze in den Bundesgrenzschutz einzugliedern. Forderungen nach Veränderung des Verhältnisses von BGS und Zoll in der einen oder anderen Richtung sind auch im Rahmen der diesjährigen Beratungen zu Zoll- und BGS-Fragen in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestags nicht erhoben worden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es denn nicht unwirtschaftlich, wenn an der innerdeutschen Grenze Bundesgrenzschutz und Zoll nebeneinander Grenzaufsichtsdienst machen? Hat nicht schon einmal in einiger Vorzeit der Bundesrechnungshof daran Anstoß genommen?
Herr Kollege Clemens, ich darf daran erinnern, daß auch bei den von mir erwähnten Ausschußberatungen solche Argumente nicht vorgetragen wurden. Das ist ein sehr kompliziertes Verhältnis; das wissen wir. Aber es besteht zur Zeit auch aus ökonomischen Gründen kein Anlaß zu Veränderungen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann eine zweite Zusatzfrage. Warum sind eigentlich polizeiliche Aufgaben, für die der Bundesgrenzschutz allein zuständig ist, auf den Zoll übertragen worden? Was war der Grund dafür?
Sie wissen, daß bezüglich der personellen Situation der von Ihnen angesprochenen Organisationen gewisse Sparmaßnahmen zur Anwendung kamen, die zu einer solchen Kombination der Aufgaben und Tätigkeiten führen mußten.
Keine Zusatzfrage mehr.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Kolbow auf:
Kann die Bundesregierung Pressemitteilungen bestätigen, wonach gegenwärtig ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes für 1,9 Millionen DM umgerüstet wird, um dem Bundeskanzler Gespräche während des Hubschrauberfluges mit einer besonderen Schallisolierung zu ermöglichen?
Herr Kollege Kolbow, der gegen Ende des Jahres zur Umrüstung anstehende Hubschrauber vom Typ SA 330 PUMA dient dem Transport sicherheitsgefährdeter Persönlichkeiten, insbesondere von Staatsgästen. Der Lufttransport schließt die beim Landtransport bestehenden Gefahren weitgehend aus, erspart Zeit und aufwendigen Persorialeinsatz.
Die geplante Schalldämpfung des Hubschraubers wird den Lärm in der Kabine so herabsetzen, daß eine akustische Verständigung möglich wird. Es ist vor allem bei längeren Strecken nicht zu vertreten, daß die Flugzeit nicht für Arbeitsgespräche und Verhandlungen genutzt werden kann.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von Arbeitsgesprächen gesprochen. Ist es richtig, daß in dieser Maschine auch ein abgeteilter Raum - Servierküche, Luxusinnenverkleidung, Teppich und Vorhänge - eingerichtet werden soll, um die Atmosphäre noch arbeitsträchtiger zu machen?
Ich weiß nicht, woher Sie diese Informationen haben, die ich in dieser Form nicht bestätigen kann. Ich weise darauf hin, daß die Möglichkeit für Arbeitsgespräche geschaffen werden soll. Ich glaube, es ist unstreitig, daß es sinnvoll ist, die Zeit für solche Arbeitsgespräche zu nutzen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatssekretär, können Sie auch Meldungen bestätigen, daß in dem Zusammenhang für diesen Hubschrauber noch etwas Besseres geplant gewesen sei, und zwar schwarz, nämlich durch stillschweigende Umschichtung von Mitteln zwischen Kfz- und Luftfahrzeugtiteln zwei Super-PUMA für 20 Millionen DM zu kaufen? Vielleicht, um die Atmosphäre noch arbeitsträchtiger zu machen?
Ich kenne die Pressemitteilungen nicht, auf die Sie sich berufen. Vielleicht gibt es auch noch andere, die zu dem Thema in die Welt gesetzt wurden. Ich habe mich zu äußern zu der von Ihnen genannten Pressemitteilung. Die Äußerung ist in sachgerechter Form erfolgt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn man die Information, die uns zur Verfügung steht, als seriös bezeichnen darf - das kann man sicherlich tun, denn sie stand in der „Zeit" vom 2. November 1984 -, darf ich Sie noch einmal fragen: Was verstehen Sie unter Schallisolierung? Gehört dazu wirklich die Bordküche, oder ist das alles notwendig, um die, wie Sie sagten, akustische Verständigung - Sie sprachen j a nicht von der inhaltlichen - der Regierungsmitglieder untereinander zu ermöglichen?
Herr Kollege, ich habe nicht die Aufgabe, irgendwelche mir bisher unbekannte Pressemitteilungen zu bewerten, sondern ich habe auf eine konkrete Frage des Kollegen Kolbow zu antworten. Das habe ich getan.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
1,9 Millionen DM, Herr Staatssekretär, sind ja ein ziemlich großer Betrag. Können Sie uns und der deutschen Öffentlichkeit verraten, ob zur Zeit Beeinträchtigungen im Verkehr zwischen Deutschland und seinen Gästen auf Grund der zur Zeit noch nicht schallgedämpften Hubschrauber des Herrn Bundeskanzlers erkennbar sind?
({0})
Hier ist zweifelsohne eine Lücke vorhanden, die die frühere Bundesregierung trotz ihrer erheblichen Investitionen in dem Bereich nicht geschlossen hat. Es hat sich herausgestellt, daß eine Schließung dieser Lücke sinnvoll und nützlich erscheint.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung nicht eine Reihe von Helmen mit Ohrmuscheln und einem Gesprächsmikrophon vorrätig halten - wie Hubschrauberpiloten sie tragen -, um sie dem Herrn Bundeskanzler und seinen Gästen im Hubschrauber aufzusetzen, damit sie sich ungestört unterhalten können? Die erfüllen nämlich denselben Zweck.
Ich glaube, daß es nicht sinnvoll wäre, diese Zumutung fremden Staatsoberhäuptern gegenüber vorzutragen.
({0})
Keine Zusatzfrage mehr. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Der Fragesteller, der Abgeordnete Walther, hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 3 und 4 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Schwenk ({0}) auf.
Vizepräsident Wurbs
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung inzwischen zur Zeichnung der Seerechtskonvention ein, insbesondere angesichts des Ablaufs der Zeichnungsfrist am 9. Dezember 1984?
Herr Kollege Dr. Schwenk, die Entscheidung über die Zeichnung des Seerechtsübereinkommens wird derzeit vorbereitet. Sie wird rechtzeitig vor dem Ablauf der Zeichnungsfrist getroffen werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wir würden gern darüber informiert sein, wie die zur Zeit vielschichtigen Äußerungen der Bundesregierung zu erklären sind, insbesondere, wieso sich der Bundesaußenminister z. B. in der „Nordsee-Zeitung" vom 3. November eindeutig für die Unterzeichnung des Seerechtsübereinkommens ausgesprochen hat, während wir gehört haben, daß sich der zukünftige Vorsitzende der FDP, Herr Wirtschaftsminister Bangemann, nachdem er als Europa-Abgeordneter noch dafür gewesen war, jetzt vehement dafür einsetzt, nicht zu zeichnen, und damit Unsicherheit erzeugt.
({0})
Herr Kollege Dr. Schwenk, das Problem als solches ist eben komplex und vielschichtig und bedarf deswegen einer sehr sorgfältigen Erörterung. Eine Entscheidung der Regierung ist noch nicht getroffen worden.
Ich entsinne mich im Blick auf die knapp 13 Jahre meiner Tätigkeit hier, schon des öfteren erlebt zu haben, daß in verschiedenen Vorgängerregierungen die Mitglieder derselben gelegentlich im Entstehungsprozeß einer Entscheidung unterschiedliche Meinungen vertreten haben.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Auch unter Anrechnung der Antwort, die Sie gegeben haben, darf ich daran erinnern, daß es nur noch drei Wochen sind, bis die Zeichnungsfrist ausläuft, daß sich andere westeuropäische Länder bereits zu einer Zeichnung bekannt haben, und deshalb auch die weitere Frage, welchen äußeren Einwirkungen die Bundesregierung unterliegt, mit dieser Zeichnung noch zu zögern, und wie bewerten Sie, daß in einem anderen, bisher noch nicht unterzeichneten Land, Großbritannien, zur Zeit starke Strömungen vorhanden sind, ebenfalls zu unterzeichnen?
Herr Kollege, wir beobachten natürlich mit großer Aufmerksamkeit die Entscheidungsprozesse bei unseren Verbündeten in Europa und in den Vereinigten Staaten. Deren Argumente werden bei uns mitdiskutiert, aber wir treffen unsere Entscheidungen aus unserem Interesse. Diese Entscheidung ist noch nicht getroffen; deswegen kann ich sie Ihnen noch nicht vortragen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatsminister, ich bin hartnäckig: Sieht die Bundesregierung in dem Beschluß des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6. November 1984, den Bundeskanzler aufzufordern, der Zeichnung des Seerechtsübereinkommens nicht zuzustimmen, nicht auch die Absicht, den Bundesaußenminister, der schon vor der Abschlußkonferenz im Dezember 1982 auf Jamaica der Völkergemeinschaft die Zeichnung des Übereinkommens durch die Bundesrepublik zusicherte - dies bestätigte nicht nur mir der damalige Konferenzpräsident Tommy Koh am 11. Dezember 1982 -, nunmehr vor der Völkergemeinschaft zu desavouieren, mehr noch, den Bundesaußenminister international für unglaubwürdig und schließlich damit auch allgemein für untragbar zu erklären?
Augenblick, Herr Staatsminister. - Herr Kollege, ich bitte, immer nur eine Zusatzfrage zu stellen.
({0})
Zunächst einmal vermuten wir dahinter nicht die von Ihnen in Betracht gezogene Absicht, Herr Kollege Grunenberg. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie die Glaubwürdigkeit des Bundesaußenministers so nachdrücklich unterstützen wollen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, hat Herr Bangemann auf seinem Werdegang vom Europa-Parlamentarier zum Kabinettsmitglied die Fähigkeit zur Betrachtung des Problems als komplex und vielschichtig, wie Sie antworteten, erst gewonnen oder eingebüßt?
({0})
Herr Kollege, der Kollege Bangemann wird seinen Beitrag zur Entscheidung der Bundesregierung aus einer sachlichen Kompetenz heraus leisten.
({0})
- Es liegt wahrscheinlich mehr in Ihrem Zuständigkeitsbereich, das zu beurteilen.
({1})
Aber im übrigen ist es von besonderem Interesse, zu sehen, Herr Kollege, daß sich merkwürdigerweise Veränderungen in Positionen manchmal nicht nur auf dem Weg vom Abgeordneten zum Regierungsmitglied ergeben, sondern gelegentlich, wie ich festgestellt habe, auch auf dem Weg zurück.
({2})
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir in der Annahme überein, daß mit dem Wechsel von der Carter-Administration zur Reagan-Administration ein entscheidender Wechsel in der Position der deutschen Delegation eingetreten ist, nämlich nicht zu zeichnen?
Nein, mit Ihrer Auffassung stimme ich nicht überein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der Beschluß des Fraktionsvorstandes der CDU/CSU, das Seerechtsübereinkommen nicht zu zeichnen, zwingend dazu führt, daß Hamburg nicht mehr Sitz des Seegerichtshofs wird,
({0})
und finden Sie es nicht zumindest sehr eigenartig, daß hier offenbar auf Grund eines Briefes von Präsident Reagan eine Entscheidung getroffen wurde, die nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt?
({1})
Herr Kollege Jens, die Entscheidung der Bundesregierung ist noch nicht getroffen. Von daher ist es nicht vernünftig, wenn ich für die Bundesregierung hypothetische Schlußfolgerungen, die Sie aus Entscheidungen von Fraktionen dieses Hauses ableiten, bewerte. Ich möchte das nicht tun. Die Bundesregierung wird ihre Entscheidung treffen. Sie hat es noch nicht getan.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, welche Gesichtspunkte sprechen nach Ansicht des Auswärtigen Amtes überwiegend für eine Zeichnung der Seerechtskonvention?
Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich bemühe mich, gelegentlich insbesondere aus den Erfahrungen zu lernen, die z. B. Sie in sechs Jahren vor mir hier gemacht haben. Sie wissen, daß ich hier nicht für das Auswärtige Amt, sondern für die Bundesregierung spreche und deswegen nicht die unterschiedlichen Positionen, die in den Ressorts vertreten werden, hier darlegen sollte. Aber eines ist unbestreitbar: daß nach Betrachtung der Bundesregierung als Ganzes mit Ausnahme des den Tiefseebergbau betreffenden Teils alle Inhalte des Seerechtsübereinkommens positiv zu bewerten sind, und zwar nach übereinstimmender Mehrheit aller Fraktionen. Die offenstehende Frage ist die, wie man im Verhältnis dazu die zweifellos die unter dem Gesichtspunkt der Ordnungspolitik fragwürdigen Bestimmungen in dem Teil bewertet, der den Tiefseebergbau betrifft. Hierüber hat die Regierung noch nicht entschieden.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Waltemathe.
Herr Staatsminister, glauben Sie, daß eine Nichtunterzeichnung der Seerechtskonvention durch die Bundesregierung Schaden vom deutschen Volke abwendet?
Jedenfalls wird sich die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung bemühen, den Nutzen für das deutsche Volk zu mehren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. de With.
Herr Staatsminister, entspricht es Ihren Erfahrungen nach den internationalen Gepflogenheiten, daß eine internationale Organisation ihre oberste Behörde in ein Land gibt, das vehement ihre Organisation ablehnt?
Dafür spricht die mir verfügbare Erfahrung allerdings nicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der Vollzug des Beschlusses des Fraktionsvorstandes der CDU/CSU, das Seerechtsübereinkommen nicht zu zeichnen, zur Folge hat, daß die Anerkennung der AMR als Pionierinvestor und die Eröffnung der Chance für ein nationales Tiefseebergbaufeld in den Wind geschlagen werden und somit die jetzige Bundesregierung und der Bundesaußenminister, den Sie ja nahe begleiten, sich den Makel zuziehen, die Völkergemeinschaft zum Narren halten zu wollen?
Herr Kollege, ich denke, daß alle Regierungen vollständig frei sind bei ihrer Entscheidung, ob sie ein Abkommen zeichnen, ob sie es ratifizieren oder nicht. Sonst wäre ja die ganze Prozedur überflüssig. Wir werden den Aspekt, den Sie hier angesprochen haben, ganz sicher entsprechend würdigen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß entgegen landläufiger Meinung in diesem Haus noch nie irgendeine Regierung einfach so Beschlüsse von Fraktionsvorständen, welcher Fraktion auch immer, vollzogen hat. Darüber soll es in Fraktionsvorständen gelegentlich schon Ärger gegeben haben.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 16 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Welches Ziel hatte das Treffen aller europäischen Kulturreferenten in Bonn am 24. Oktober 1984, und welche konkreten Konsequenzen sollen daraus für die auswärtige Kulturpolitik gezogen werden?
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, das Treffen der Kulturreferenten aus den europäischen Hauptstädten diente einem doppelten Ziel. Erstens diente es der Teilnahme der Kulturreferenten am Kolloquium über das Thema
„Freiheit der Kultur und politischer Auftrag", das am 23. Oktober 1984 im Auswärtigen Amt unter Leitung von Bundesminister Genscher stattfand. Zweitens sollte die Kulturreferententagung am 24. Oktober, am Tag danach, mit den Schwerpunkten einer aktuellen Orientierung über die neueren Entwicklungen in unserer Kulturszene durchgeführt werden und darüber hinaus dem Erfahrungsaustausch über unsere Kulturpolitik in Europa, besonders in den Ländern des Warschauer Pakts dienen.
Bei diesem Treffen wurden Vorträge über deutsche Literatur, bildende Kunst und Maler der Gegenwart, über neue Medien, die neue Entwicklung des deutschsprachigen Theaters, wissenschaftliche Beziehungen und Kulturaustausch mit den Ländern des Warschauer Pakts gehalten und anschließend diskutiert. Die neuen Entwicklungen in unserem Kulturleben sollen in der auswärtigen Kulturpolitik berücksichtigt werden.
Außerdem diente das Treffen einer Analyse des Kulturaustausches mit den Staaten Mittel- und Osteuropas. Es bestätigte das Ziel, diese Kulturbeziehungen konsequent fortzuführen.
Das bedeutet, kurz gesagt, daß es nicht Aufgabe der Tagung der Kulturreferenten war, neue Zielvorstellungen in der Sache zu entwickeln, sondern mehr, die ja gerade unter Ihrer Federführung mitentwickelten Zielvorstellungen zu verwirklichen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Ja, ich muß den ersten Teil der Frage reklamieren, welche Konsequenzen gezogen wurden. Das ist doch gar keine Zusatzfrage.
({0}) Das ist eine Reklamation.
Ihre reklamierende Zusatzfrage, Frau Kollegin,
({0})
- oder wie auch immer - beantworte ich damit: Die wesentliche Konsequenz war, die in diesem Dialog oder in diesem dialogisch angelegten Forum gewonnenen Erkenntnisse über die neueren Entwicklungen in der deutschen Kultur in den verschiedenen Bereichen in die praktische Kulturarbeit in den Ländern, aus denen die Referenten kommen, umzusetzen. Insofern sage ich noch einmal: Es war nicht der Versuch, dort eine konzeptionelle Neuüberlegung anzustellen, sondern es ging darum, praktischen Erfahrungsaustausch zu betreiben, Informationen über die neueren Entwicklungen aufzuarbeiten und dafür zu sorgen, daß diese dann in diesen Ländern ihren Niederschlag finden.
Zusatzfrage? Verzeihung, Frau Abgeordnete: Reklamationen sieht unsere Geschäftsordnung nicht vor.
({0})
- Gut. Nun Ihre zweite, zugleich letzte Zusatzfrage. Bitte sehr.
Ich bitte nur, in Zukunft die Fragen wirklich vollständig zu beantworten.
({0})
Da das Auswärtige Amt offensichtlich versäumt oder vergessen hat, auch Vertreter des Parlaments zu dem sehr interessanten Kolloquium einzuladen, möchte ich Sie fragen, Herr Staatsminister: Darf man aus der Abhaltung dieses Kolloquiums schließen, daß das Auswärtige Amt in der auswärtigen Kulturpolitik einen neuen Anlauf zu nehmen gedenkt?
Die Bundesregierung ist bemüht, die von ihr vertretene Auffassung, daß die auswärtige Kulturpolitik eine wesentliche Säule unserer Außenpolitik ist, umzusetzen. Es war notwendig, in diesem Kolloquium eine Aktualisierung der Überlegungen im Dialog mit den Kulturschaffenden vorzunehmen. Ihre Anregung, beim nächsten Mal zu einem solchen Kolloquium auch Vertreter des Parlaments, z. B. den Unterausschuß, einzuladen, nehme ich gern auf. Mir ist im Moment nicht ersichtlich, warum das nicht geschehen ist.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.
Herr Staatsminister, Sie haben es fast schon beantwortet. Ich wollte gerne wissen, ob es irgendeinen erkennbaren Grund dafür gibt, daß zu dieser Veranstaltung die Fraktionen des Deutschen Bundestages nicht eingeladen worden sind.
Nein. Das ist mir nicht bekannt. Ich bedaure es und möchte gern dafür sorgen, daß beim nächstenmal z. B. die Mitglieder des Unterausschusses eingeladen werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, eines der Themen sei die deutsche Literatur gewesen. Da ich gelesen habe, daß auch Schriftsteller eingeladen worden sind, frage ich: Haben die Schriftsteller oder hat sonst irgend jemand über die deutsche Literatur berichtet?
Herr Kollege, Frau Dr. Clara Obermüller von der Redaktion der „Weltwoche" in Zürich hat über Literatur in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR gesprochen. Dabei ist sehr eindrucksvoll deutlich geworden, daß unabhängig von jeder aktuellen Diskussion über die beiden deutschen Staaten jedenfalls ein Streit über das Bestehen einer deutschen Literatur nicht entstehen kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, gehe ich fehl in der Annahme, daß es ein wesentliches Ziel dieses Treffens der Europäischen Kulturreferenten war, im Sinne der Regierungserklärung des Bundeskanzlers deutlichzumachen, welche vermehrten finanziellen Anstrengungen die Bundesregierung unternimmt, um die auswärtige Kulturpolitik zu fördern?
Ja, Sie gehen fehl in der Annahme.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatsminister, ist auf diesem Treffen, bei dem wir - das wurde schon gesagt - leider nicht anwesend sein durften, auch über die Probleme des Verhältnisses zwischen Goethe-Instituten und dem Auswärtigen Amt diskutiert worden, wie wir sie vor einem Jahr öffentlich und auch parlamentarisch diskutieren mußten?
Herr Kollege Duve, ich bedaure noch einmal, daß der Unterausschuß nicht eingeladen war. Mir sind die Hintergründe nicht bekannt. Man hatte übrigens - insofern wäre das besonders zweckmäßig gewesen, als das ohnehin in der Öffentlichkeit seinen Niederschlag fand - auch Vertreter der Presse eingeladen, die darüber berichtet haben, und aus diesen Berichten werden Sie wissen, daß auch das von Ihnen angesprochene Thema dort eine Rolle gespielt hat.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 17 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Welche konkreten Maßnahmen sind nach der Ankündigung von Bundesaußenminister Genscher vor den Vereinten Nationen - die Bundesrepublik Deutschland wolle die Kulturbeziehungen mit den Entwicklungsländern intensivieren - vorgesehen?
Frau Kollegin, die Bundesregierung mißt der Förderung des Kulturaustauschs mit den Entwicklungsländern seit langem besondere Bedeutung bei. Dies zeigt sich daran, daß die kulturrelevanten Ausgaben für die Dritte Welt auch in den Jahren stagnierender Haushalte leicht erhöht werden konnten. Für die kulturpolitische Zusammenarbeit mit der Dritten Welt, deren fortgeltende Grundsätze einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit in den - ich habe das hier - zehn Thesen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt von 1982 zusammengefaßt wurden, werden jährlich über 300 Millionen DM, d. h. mehr als 40 % des Kulturhaushalts des Auswärtigen Amtes, aufgewandt. Als Beispiele für konkrete Maßnahmen, die durchgeführt werden oder beabsichtigt sind - es muß etwas ausführlicher sein, um Ihre Frage adäquat zu beantworten - möchte ich erwähnen:
Die Kulturhilfe soll für 1985 von 2 Millionen auf 2,2 Millionen DM aufgestockt werden, um stärker als bisher auf das wachsende Bedürfnis und Interesse der Dritten Welt an einer Zusammenarbeit an Projekten zur Erhaltung ihres kulturellen Erbes eingehen zu können und hierzu weiterhin einen
wirksamen Beitrag zu leisten. Das ist also eine Aufstockung um 10 %.
Für das Sonderprogramm „Südliches Afrika" ist 1985 eine Erhöhung von 1,7 Millionen auf 2,2 Millionen DM vorgesehen. Hiermit kann die Bundesregierung verstärkt ihre Bemühungen fortsetzen, die Bildungschancen der nicht-weißen Bevölkerung im südlichen Afrika gezielt zu verbessern.
Das Sonderprogramm „Hochschulförderung Zentralamerika" soll unsere kulturelle Zusammenarbeit mit Zentralamerika in dem für die Region besonders wichtigen Bildungssektor vor allem durch Stipendien und Austauschprogramme u. a. in den Bereichen Agrarwissenschaft, Veterinärmedizin, Forst- und Ingenieurwissenschaften stärken. Als Mittelbedarf für den Zeitraum 1985 bis 1993 sind ca. 18,7 Millionen DM veranschlagt.
Als eines der wichtigsten Geberländer im Bereich der Medienförderung - während der letzten beiden Jahrzehnte wurden mehr als 500 Medienprojekte in der Dritten Welt mit einem Finanzvolumen von ca. 1 Milliarde DM unterstützt - werden wir weiterhin verstärkt zum Aufbau neuer Kommunikationsinfrastrukturen in Dritte-Welt-Ländern im Hinblick auf einen freieren und besseren Informationsfluß über die Grenzen hinweg beitragen.
Mit der verstärkten Förderung der kulturellen Präsentation der Entwicklungsländer bei uns, sozusagen des Weges zurück, z. B. durch ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse und der Berliner Veranstaltungsreihe „Horizonte", von Übersetzungen literarischer Werke aus der Dritten Welt sowie von Ausstellungen in der Dritten Welt in der Bundesrepublik Deutschland bemüht sich die Bundesregierung intensiv darum, den bisher zumeist einseitigen Kulturaustausch mit der Dritten Welt ausgewogener zu gestalten. Die Zweigstellen des Goethe-Instituts in den Entwicklungsländern führen verstärkt Veranstaltungen dialogischen Charakters unter Beteiligung einheimischer Künstler und Wissenschaftler durch.
Vorletztens. Die Kulturbeziehungen mit den Staaten des asiatisch-pazifischen Raumes wurden letzten Monat auf der Tagung der Kultur- und Pressereferenten unserer Vertretungen in dieser Region in Singapur einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen. Als Ergebnis wird das Auswärtige Amt eine Verstärkung des Kulturaustauschs mit dieser Region auch im Hinblick auf ihre wachsende weltpolitische Bedeutung anstreben.
Und schließlich: Über die bestehenden 24 Kulturabkommen mit Dritte-Welt-Staaten hinaus finden zur Zeit Verhandlungen oder Vorgespräche mit weiteren Ländern über den Abschluß von Kulturabkommen statt. Nennen möchte ich Algerien, Benin, Iran, Kamerun, Kuba, Tansania und Venezuela.
Zusatzfrage? - Bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, abgesehen davon, daß die von Ihnen genannte stolze Summe von 300 Millionen DM für die Kulturbeziehungen mit Ländern der Dritten Welt weit überwiegend durch Kosten für die Auslandsschulen verursacht wird, möchte ich Sie einmal fragen, ob die genannten Beispiele, die ja alle auch schon früher vorhanden waren, die spektakuläre und doch auch Hoffnung erweckende Erklärung des Bundesaußenministers vor den Vereinten Nationen rechtfertigen. Sind Sie nicht der Meinung, daß hier völlig falsche Hoffnungen erweckt werden, wenn hier nur so geringe Beträge vorgesehen sind?
Nein, Frau Kollegin, dieser Auffassung bin ich nicht. Es geht vielmehr darum, jetzt die ja erst 1982 zusammengefaßte und formulierte Position der Bundesregierung
({0})
- eben; deswegen kann ich mich auch so gut darauf beziehen -, die ich hier in den zehn Thesen vorgestellt habe, umzusetzen. Es bedarf, meine ich, nicht neuer Thesen, nicht neuer Überlegungen, damit auch nicht prinzipiell neuer Ansätze, sondern der Umsetzung dieser Thesen.
({1})
Ich bin sehr froh, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, wenn Sie wie auch die Kollegen der übrigen Fraktionen uns bei den Beratungen über den Haushalt im Haushaltsausschuß Rückendeckung dafür geben, daß die notwendigen Mittel auch bereitgestellt werden.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, und ob.
Bitte.
Herr Staatsminister, ich vermisse bei Ihrer Aufzählung der konkreten Maßnahmen und bei Ihrer Berufung auf die zehn Thesen des Auswärtigen Amtes etwas. Daher möchte ich Ihnen die Frage stellen: Ist nicht beabsichtigt, nun endlich ernsthaft zu prüfen, ob die Rückgabe von Kulturgütern aus Ländern der Dritten Welt in ihre Ursprungsländer nicht einen ganz wesentlichen Beitrag zur Vertrauensbildung in der Zusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt darstellen würde?
Doch, Frau Kollegin, das kann im Einzelfall selbstverständlich ein wichtiger Beitrag sein. Aber Sie wissen aus Ihrer eigenen Befassung mit dem Thema, daß das im konkreten Einzelfall auch ein hochgradig streitiges Thema ist, im übrigen nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für andere europäische Staaten. Darüber muß im Einzelfall entschieden werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.
Herr Staatsminister, ich würde gerne wissen, aus welchen politischen Gründen es die Bundesregierung für opportun hält, ausgerechnet jetzt ein Kulturabkommen mit dem Iran anzustreben.
Mir sind eigentlich keine Gründe erkennbar, warum es nicht vernünftig sein sollte, mit dem Iran über ein Kulturabkommen zu sprechen.
({0})
Unsere politischen Beziehungen dienen in allen Bereichen - somit auch im Bereich der dritten Säule - der Politik dazu, unsere Interessen wahrzunehmen und die Grundzüge unserer Politik zu verwirklichen. Es ist mir nicht erkennbar, weshalb das im Blick auf den Iran nicht vernünftig sein sollte.
({1})
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, Sie haben das Kulturabkommen mit Südafrika angesprochen. Sind Sie bereit, einzuräumen, daß die Absicht dieses Kulturabkommens, nämlich die Integration schwarzer Jugendlicher oder Schwarzer überhaupt zu erreichen, in keiner Weise Erfolg gehabt hat?
Nein, ich bin nicht bereit, das einzuräumen, es sein denn, Sie kritisierten damit weitgehend, es sei uns mit den Mitteln unserer auswärtigen Kulturpolitik nicht gelungen, die südafrikanische Regierung zur Aufgabe ihrer Apartheidspolitik zu bewegen. Da hätten Sie in der Tat völlig recht. Ich glaube, da überschätzt man aber auch die Möglichkeiten der auswärtigen Kulturpolitik. Wir wollen mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln einen Beitrag leisten, um in Ansätzen überhaupt dahin zu wirken. Das allerdings tut unser Programm.
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Herr Staatsminister, Sie haben zwar die Antwort soeben direkt gegeben - das war nicht anders zu erwarten -, aber ich frage Sie trotzdem: Sind Sie bereit, die deutschen Schulen und deren Auftrag als Mittel, eine nichtrassistische Politik zu betreiben, einmal dahin gehend zu untersuchen, ob dieser bundesrepublikanische Auftrag in den Schulen in Südafrika auch wirklich voll erfüllt wird?
Ja, wenn Sie da im konkreten Einzelfall Zweifel haben, Herr Kollege Duve, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich gelegentlich darüber informieren würden. Wir würden dem selbstverständlich nachgehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Möllemann, als jemand, der an einer deutschen Schule im Ausland gearbeitet hat, möchte ich gerne von Ihnen wissen: Sind Sie auch bereit, die Ziele der deutschen Schulen im
Ausland und die Bevölkerungsgruppen, die diese deutschen Schulen besuchen können, mal einer Prüfung zu unterziehen?
Die Aufgabenstellung der deutschen Schulen im Ausland ist in den letzten Jahren im Grunde in ziemlich regelmäßiger Form formuliert und überprüft worden. Meine Vorgängerin im Amt hat sich da große Verdienste erworben. Ich sehe keinen Anlaß, diese Politik in den Grundzügen zu verändern, weder von den Inhalten noch von den Zielen her.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Ich rufe Frage 18 des Abgeordneten Duve auf:
Wo liegen die Gründe dafür, daß sich die Übergabe des Document Center an das Bundesarchiv in Koblenz seit zwei Jahren weiter verzögert, und wann ist mit der Übergabe zu rechnen?
Herr Kollege Duve, die Bundesregierung bemüht sich seit mehreren Jahren zusammen mit der amerikanischen Regierung darum, das Berlin Document Center in deutsche Verwaltung übergehen zu lassen. Dabei ist übrigens nicht vorgesehen, daß das Dokumentenzentrum an das Bundesarchiv in Koblenz gelangt; es soll dem Bundesverwaltungsamt unterstehen.
In dem 1979/80 ausgehandelten Vertragsentwurf hatte die amerikanische Seite die vollständige Mikroverfilmung der Dokumente vor Übergabe des BDC zur Bedingung gemacht. Im Regierungsentwurf des Haushalts 1985 ist nunmehr die Finanzierung der Mikroverfilmung durch den Bundesminister des Innern vorgesehen. Es ist daher zu hoffen, daß die Mikroverfilmung der Dokumentenbestände nach der parlamentarischen Billigung des Haushaltsentwurfs 1985 anlaufen kann. Eine Berliner Firma, die die Kopierarbeiten ausführen könnte, rechnet mit einer Arbeitsdauer von ca. drei Jahren.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie die Gründe hier noch einmal nennen, warum unser Bundesarchiv in Koblenz diese für die historische Forschung und für das Verständnis der Zeitgeschichte des Nationalsozialismus so wichtigen Bestände nicht übernehmen soll?
Herr Kollege Duve, für die Aufgabe des Bundesarchivs ist ja entscheidend, ob es Zugang hat. Wenn die Übergabe gelaufen sein wird, hat das Bundesarchiv so wie auch Forscher von anderen wissenschaftlichen Institutionen wie auch schon jetzt Zugang zu den dortigen Materialien. Das ist für die Frage, wo es verwaltet wird, nicht entscheidend.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie gedenkt die Bundesregierung die Fragen und den Zweifel auszuräumen, die durch diese unglaublich dilatorische und langwierige Behandlung dieser Übergabe inzwischen in der internationalen Öffentlichkeit aufgetaucht sind?
Herr Kollege, ich nehme an, daß Ihre Formulierung sich als Kritik an der früheren Bundesregierung versteht, die ich aber dennoch zurückweisen würde; denn es ist zweifellos so, daß die Schwierigkeiten, was die Dauer angeht, weniger in der Haltung der früheren und der jetzigen Bundesregierung begründet sind. Man muß sich ins Benehmen setzen, muß ein Einvernehmen mit dem amerikanischen Partner herbeiführen. Sie wissen sehr wohl, daß es in dieser Frage auch in den Vereinigten Staaten von Amerika hochgradig unterschiedliche Meinungen gibt, insbesondere in verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, wenn ich das richtig verstanden habe, daß sich eine weitere Verzögerung aus der Tatsache ergibt, daß eine Kopieranstalt drei Jahre braucht, bis die notwendigen Kopien angefertigt sind, möchte ich Sie einmal fragen, ob es nicht gut wäre, vielleicht drei oder vier Kopieranstalten zu beauftragen, damit die Sache etwas schneller geht.
Das muß man sich anschauen. Das kann ich jetzt nicht beantworten, ob das so gehen kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Waltemathe.
Herr Staatsminister, muß ich Ihren Hinweis auf die Kopierzeit dahin gehend interpretieren, daß es drei Jahre dauert, bis das gesamte Document Center an deutsche Stellen übergeben wird, oder kann man sich vorstellen, daß während der drei Jahre alles, was kopiert ist, schon übergeben wird?
Herr Kollege Waltemathe, ich sagte gerade, daß in dem Vertragsentwurf, der 1979/80 von der früheren Bundesregierung ausgehandelt worden ist, vereinbart worden war, daß die vollständige Mikroverfilmung der Dokumente eine Bedingung für die Übergabe ist. Daran haben wir uns zu halten.
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welchen Pressionsversuchen wird der Bundesaußenminister bei seinem Besuch in Warschau angesichts der ständigen, aggressiven Revanchismuskampagne des polnischen Außenministers ausgesetzt sein, und wird der Bundesaußenminister im Sinne der Antwort des Auswärtigen Amtes vom 3. Mai 1984 gemäß den verbindlichen, mit dem Warschauer Vertragstext und dem Grundgesetz im Einklang stehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ({0}) die Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die fortdauernde Zugehörigkeit der Gebiete östlich von Oder und Neiße zu ganz Deutschland, zu seiner
Vizepräsident Wurbs
territorialen Souveränität, vertreten und die Menschenrechte zur Gewährleistung kultureller Eigenart und der Ausreisefreiheit für Deutsche einfordern?
Herr Kollege Dr. Czaja, die Bundesregierung hat Vorwürfe und propagandistische Unterstellungen von polnischer Seite wegen angeblichen Revanchismusses und territorialer Forderungen wiederholt eindeutig zurückgewiesen.
So sagte z. B. der Bundeskanzler in seiner Tischrede während des Staatsbesuchs des Präsidenten der Sozialistischen Republik Rumänien Nicolae Ceausescu am 16. Oktober 1984 - ich zitiere den Herrn Bundeskanzler -:
Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist Friedenspolitik. Sie hat deshalb von jeher auf Anwendung oder Androhung von Gewalt als Mittel ihrer Politik verzichtet. Gewaltverzicht ist auch das Kernstück unserer Verträge mit den Staaten des Warschauer Paktes. Wir stehen ohne Wenn und Aber zu diesen Verträgen. Die Bundesrepublik Deutschland erhebt keine Gebietsansprüche gegen irgend jemanden und wird dies auch in Zukunft nicht tun. Vor diesem Hintergrund erscheint uns der Vorwurf des Revanchismus und des Revisionismus als unsinnig, ungerechtfertigt und haltlos.
Die Bundesregierung, Herr Kollege, fühlt sich durch keine Vorwürfe dieser Art getroffen. Sie läßt sich dadurch auch nicht unter Druck setzen.
Ferner gilt nach wie vor, was ich am 3. Mai 1984 vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt habe. Die Bundesregierung betrachtet Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als für sich verbindlich.
Ich verweise auch auf die Rede des Bundesaußenministers vom 12. September 1984 während der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages, in der er ausführte - und ich zitiere das -:
Die Bundesrepublik Deutschland geht von der in Europa bestehenden wirklichen Lage aus. Sie achtet die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen ... Dabei wissen wir, daß sich in dem Wunsch nach dauerhaft gesicherten Grenzen alle in Polen einig sind.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat während des Besuchs von Staatspräsident Ceausescu diese Grundlinien unserer Politik ebenfalls erneut bestätigt und gesagt:
Die Bundesrepublik Deutschland achtet die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen. Sie betrachtet die Grenzen aller Staaten als unverletzlich. Sie hat keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten. Sie wird solche auch in Zukunft nicht erheben. Ohne Vorbehalt steht sie zu den Verträgen, die zu Beginn der 70er Jahre mit den Staaten des Warschauer Pakts abgeschlossen wurden.
Die Bundesregierung hat sich stets mit Nachdruck, Herr Kollege, für die Verwirklichung der
Menschenrechte aller Deutschen, unabhängig von deren Aufenthaltsort, eingesetzt.
In der Ausreisefrage stützt sich die Bundesregierung auf die mit der Volksrepublik Polen getroffenen bilateralen Absprachen, insbesondere auf die „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 und das Protokoll inklusive der „Offenhalteklausel" aus dem Jahre 1975. Nach dem drastischen Rückgang der Aussiedlerzahlen hat sie gegenüber der polnischen Regierung wiederholt darauf gedrungen, Ausreisemöglichkeiten entsprechend diesen Absprachen zu gewähren. Sie wird dies auch bei künftigen Gesprächen mit Nachdruck tun.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wenn eine frühere Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht im Einklang mit dem Wortlaut des Warschauer Vertrages vorgetragen hat, daß sie nicht über die Gebiete Deutschlands östlich von Oder und Neiße verfügt hat und nicht verfügen konnte, daß sie keine Anerkennung bezüglich der territorialen Souveränität in dem Vertragswortlaut und in dem Vertragswerk ausgesprochen hat und nicht verpflichtet ist, etwas zu unterlassen, was alle Rechtspositionen des fortbestehenden Deutschland zu vertreten geeignet ist, dann frage ich Sie, ob diese Erklärungen der früheren Bundesregierung - bekräftigt und verbindlich gemacht durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - auch jetzt das Auswärtige Amt binden.
Diese Erklärung der früheren Bundesregierung bindet auch die jetzige Bundesregierung.
Zusatzfrage.
Darf ich dann Ihre Aussagen über Gebietsansprüche, so wie es die Bundesregierung vor dem Bundesrat und vor dem Bundesverfassungsgericht getan hat, so verstehen, daß die Bundesregierung Ansprüche der Volksrepublik Polen auf endgültige Anerkennung der territorialen Souveränität zu Lasten Deutschlands in den Gebieten östlich von Oder und Neiße zurückweist und auf die Integritätsinterpretation in allen internationalen Rechtsverpflichtungen hinweist, die einen Gewaltverzicht und den Verzicht auf militärische Eingriffe beinhaltet?
Herr Kollege Dr. Czaja, ich möchte nicht wiederholen, was ich soeben bewußt sehr ausführlich dargestellt habe, aber ich habe im Blick auf die von Ihnen aufgeworfene Frage der Grenzregelung meinen gemachten Ausführungen nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, ausgehend von der eingereichten Frage, in der von ständigen „Pressionsversuchen", von einer „ständigen, aggressiven Revanchismuskampagne" usw. die
Rede ist: Würde es sich da nicht einmal anbieten, daß der Fragesteller auf einer der Besuchsreisen des Bundesaußenministers nach Polen mitgenommen wird, damit er möglicherweise am eigenen Leibe feststellen kann, wie diese Pressionsversuche, dieser ständige, aggressive Revanchismus auf ihn wirkt, oder sie möglicherweise nicht erlebt?
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, es ist eine bemerkenswerte Anregung, der in der Vergangenheit im übrigen gelegentlich schon einmal entsprochen worden ist, daß Regierungsmitglieder auf ihren Auslandsbesuchen auch von Parlamentariern begleitet werden. Ich will diese Anregung gern an den Bundesaußenminister weitergeben. Er wird das dann mit den in Frage kommenden Kollegen entsprechend erörtern.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung es gern sehen, wenn - gegebenenfalls auch mit ihrer Stimme - eine Mehrheit des Bundestages einen Entschließungsantrag verabschieden würde, der sich insbesondere darauf bezieht, daß die Bundesregierung - im Einklang mit der Formulierung des Fragestellers - gegenüber der polnischen Regierung die Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die fortdauernde Zugehörigkeit der Gebiete östlich von Oder und Neiße zu ganz Deutschland, zu seiner territorialen Souveränität deutlicher zu vertreten hätte als bisher?
Ich glaube, es gibt keinen Anlaß dafür, die Bundesregierung in der von mir hier vorhin mitgeteilten Auffassung zu bestärken. Sie vertritt diese Auffassung aus Überzeugung.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, dem Herrn Bundesminister auszurichten, daß die FDP-Fraktion diese Reise außerordentlich begrüßt und daß wir davon ausgehen, daß er keinen Pressionsversuchen ausgesetzt sein wird, daß er aber imstande ist, sich dessen zu erwehren, falls dies dennoch der Fall ist?
({0})
Ja, ich bin bereit dazu.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrmals Abs. 3 des Art. I des Warschauer Vertrages zitiert. Sie haben nicht Art. IV zitiert mit dem Friedensvertragsvorbehalt und - darauf gestützt - der Weitergeltung des Deutschlandvertrags. Ist das Zufall oder Absicht?
Nein, Herr Kollege Dr. Hupka, das ist keine Absicht. Ich sagte ja, wir sind für die Einhaltung der Verträge als Ganzes und selbstverständlich nicht für die selektive Einhaltung einzelner Passagen.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, umfaßt das, was Sie vorhin zum Thema Menschenrechte und Ausreisefreiheit auf die Frage des Kollegen Czaja geantwortet haben, auch den Hinweis darauf, daß der Bundesminister des Auswärtigen bereit ist, die leidige Frage des Minderheitenschutzes für die im polnischen Machtbereich lebenden Deutschen anzusprechen und die polnische Regierung darauf hinzuweisen, daß auch sie entsprechende vertragliche Abmachungen über die Achtung des Minderheitenschutzes unterzeichnet hat?
Herr Kollege Jäger, wir haben hier vorhin in einem Debattenkomplex über die Frage der Deutschen in der Sowjetunion gesprochen und uns dabei j a wohl auch darauf verständigt, daß es wichtig ist, sich nicht nur dafür einzusetzen, daß diejenigen, die aus der Sowjetunion ausreisen wollen, das auch können, sondern auch dafür, daß die Situation derer erleichtert wird, die als Angehörige einer Minderheit in ihrem Land, also in der Sowjetunion, bleiben wollen. Gleiches gilt natürlich auch für Polen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. de With.
Nähme der Bundesminister des Auswärtigen den Fragesteller mit, gälte dann das alte Bismarck-Wort: Er ist zwar ein Gesandter, aber kein Geschickter?
({0})
Herr Kollege, ich hatte die Frage eines Ihrer Kollegen an sich als Anregung verstanden. Ich werde aber nicht darauf verzichten, den Außenminister darauf hinzuweisen, daß in der SPD in dieser Frage offenkundig noch nicht vollständig gemeinsame Positionen erarbeitet worden sind.
({0})
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Verheugen auf:
Sieht die Bundesregierung außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt und gegebenenfalls geschädigt, wenn das offizielle Organ einer Regierungspartei, der „Bayernkurier", die Meinung verbreitet, der Friedensnobelpreisträger dieses Jahres, Bischof Desmond Tutu, sei ein Friedenspreisträger „im Dunstkreis von kommunistischen Bombenwerfern", mit dem das Nobelpreiskomitee den „Bock zum Gärtner gemacht" habe, und wenn ja, was wird die Bundesregierung zur Schadensbegrenzung unternehmen?
Herr Kollege Verheugen, die Verleihung des Friedensnobelpreises an den südafrikanischen Bischof Desmond Tutu ist in
den Medien unterschiedlich bewertet worden. Es ist die Ihnen ja bekannte gängige Praxis der Bundesregierung, zu in den Medien veröffentlichten Meinungen keine Stellung zu beziehen.
Bundeskanzler Kohl, Bundesaußenminister Genscher und Staatsminister Mertes haben Bischof Tutu zur Verleihung des Friedensnobelpreises telegraphisch ihre Glückwünsche ausgesprochen und dabei zum Ausdruck gebracht, daß mit dieser hohen Auszeichnung dessen unermüdlicher Einsatz für die Menschenrechte, für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und friedlichen Wandel in Südafrika die verdiente Anerkennung findet.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, ich möchte gleichwohl auf den eigentlichen Kern der Frage noch einmal zurückkommen, nämlich ob außenpolitische Belange geschädigt werden können dadurch, daß das Organ einer Regierungspartei, das vom Vorsitzenden einer Regierungspartei herausgegeben wird, solche Veräußerungen verbreitet, wie sie in meiner Frage wiedergegeben worden sind.
Ich bedaure sehr, Herr Kollege Verheugen, daß ich mich an die gängige Praxis aller Bundesregierungen gebunden fühle. Ich habe noch einmal nachgelesen, einfach weil man sich dafür interessiert, wie das immer schon gewesen ist, und dabei mit Interesse festgestellt, daß auch gelegentliche Angriffe des „Vorwärts" auf den früheren Bundeskanzler Schmidt und dessen Haltung zum Doppelbeschluß von der Bundesregierung nicht kommentiert worden sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, das mag alles sein. Nichtsdestoweniger, macht es nicht einen Unterschied, ob Äußerungen in einem Organ dieser Qualität gemacht werden oder ob es sich um allgemeine Medien-Außerungen handelt, unabhängig davon, was wir beide bei der Lektüre des „Bayernkurier" gelegentlich empfinden mögen?
Herr Kollege Verheugen, für mich ist die Verwendung Ihrer Worte „dieser Qualität" im Blick auf den Vergleich, den ich angestellt habe, jetzt etwas schwer nachvollziehbar. Aber das ist eigentlich auch nicht meine Aufgabe. Es handelt sich um Presseveröffentlichungen, und dafür ist unerheblich, wie stark oder wie wenig stark sich Zeitungen Parteien verpflichtet fühlen. Wir kommentieren das nicht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein ({0}).
Herr Staatsminister, stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß eine freie Wochenzeitung von der Qualität, von der journalistischen und politischen Qualität des „Bayernkurier" von niemandem gezwungen werden darf, jeden Friedenspreisträger für sakrosankt zu erklären?
Herr Kollege Klein, ich stimme Ihnen jedenfalls in der Schlußfolgerung zu. Einer Bewertung möchte ich mich wiederum in jeder Hinsicht enthalten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, wenn das mit diesem Glückwunschtelegramm ernst gemeint war - verdiente Anerkennung möge der Friedensnobelpreisträger finden -, warum bemühen sich dann die Männerfreunde des Chefs und Herausgebers des „Bayernkurier" so wenig darum, daß auch die Leser des „Bayernkurier" es fertigbringen könnten, diese verdiente Anerkennung zu zollen?
Ich denke, daß allein durch die Debatte hier in dieser Fragestunde und durch die vermutlich sehr weite Verbreitung, die unsere Beiträge hier finden, wie man schon auf der Pressetribüne erkennen kann, die Leser dieser von Ihnen jetzt so unterschiedlich gewürdigten Wochenzeitschrift sicherlich auch noch aus anderer Sicht informiert werden, und vielleicht führt das dann zu dem Vorgang, den Sie gerne hätten.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, gehe ich fehl in der Annahme, daß, wenn der Herr Bundeskanzler dem Friedensnobelpreisträger gratuliert, er damit doch im Namen aller Koalitionsparteien spricht und damit ja auch für die Vorsitzenden, und ist insoweit nicht doch ein Widerspruch zwischen einer solchen Gratulation und der hier zitierten Veröffentlichung festzustellen?
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, wenn der Bundeskanzler gratuliert, gratuliert er im Auftrag der Bundesregierung.
({0})
- Nein, ich glaube nicht - -
Bitte keinen Dialog.
Entschuldigung, Herr Präsident, ich habe diese Zusatzfrage gleich antizipiert. - Ich glaube nicht, daß alle Parteien, die diese Regierung tragen, prinzipiell bereit wären, zu akzeptieren, daß in jeder Frage von politischer Relevanz jede Äußerung eines Regierungsmitglieds auch alle Parteien bindet. Das gilt, glaube ich, für alle Parteien, die diese Koalition tragen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung die Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Tutu anders bewertet als die südafrikanische Regierung, und würde die Bundesregierung bereit sein, diese ihre andere Bewertung, der ich zustimme, in dem bevorstehenden Gespräch zwiToetemeyer
schen Außenminister Pik Botha und dem Bundesaußenminister klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen?
Ich denke, daß die doch sehr bewußt akzentuierte Abfassung der Glückwünsche durch den Bundeskanzler, durch den Außenminister und durch Staatsminister Dr. Mertes öffentlich wahrgenommen worden ist, ganz sicher auch in der Republik Südafrika. Insofern gibt es keinen Bedarf, das noch einmal mitzuteilen. Ganz sicher ist aber implizite das Anliegen des Bischofs Tutu auch Gegenstand der Unterredung zwischen Außenminister Botha und Außenminister Genscher, nämlich die Überwindung der Zustände, für deren Überwindung sich Bischof Tutu einsetzt.
Im übrigen, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen, entsinne ich mich, daß es in der Tat ein Kreuz ist mit der Frage, wie man sich zu Friedensnobelpreisträgern und der Bewertung ihrer Leistungen stellt. Es scheint nicht das erstemal zu sein, daß es darüber Dissense gibt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es ein gutes Zeichen unserer Meinungsfreiheit ist, wie sie vom Grundgesetz garantiert wird, daß es auch eine Wochenzeitung wie den „Bayernkurier" gibt?
Ich stimme Ihnen zu, daß es gut ist, wenn es möglichst viele Zeitungen gibt, auch viele Wochenzeitungen. Aber die Bundesregierung hat nicht zu bewerten, welche Zeitung besonders gut ist.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß der Glückwunsch einer Bundesregierung an einen zugegebenermaßen militanten Verfechter von Menschenrechten noch keineswegs bedeutet, daß die Bundesregierung damit sämtliche Ausdrucksformen von Militanz mit bejaht, die der eine oder andere Verfechter von Menschenrechten an den Tag legt?
({0})
Herr Kollege Jäger, wir haben von seiten der Bundesregierung den Einsatz des Bischofs Tutu für die Menschenrechte, die Gerechtigkeit, die Gleichberechtigung und für den friedlichen Wandel in der südafrikanischen Region gewürdigt.
({0})
Wir hoffen sehr, daß dieses Engagement beibehalten bleibt, auch was die Frage eines Einsatzes für einen friedlichen Wandel angeht. Wir hoffen darüber hinaus sehr, daß auch die südafrikanische Regierung ihrerseits einen Beitrag dazu leistet, daß
dieser Wandel friedlich bleiben kann. Wie Sie wissen, lehnt die Bundesregierung Gewalt als Mittel der Politik prinzipiell ab.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen . steht Herr Staatssekretär Dr. Kinkel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Kolbow auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, daß beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr ein Forschungsauftrag über das Thema „Die verdrängte Rechtsgeschichte - Strafgerichtsbarkeit im NS-Staat" durchgeführt werden kann?
Herr Abgeordneter, das in Ihrer Frage genannte Forschungsthema „Strafgerichtsbarkeit im NS-Staat" war bereits Gegenstand von Untersuchungen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse sind in der juristischen Fachliteratur, nämlich in einer jüngst vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Broschüre „Justiz im nationalsozialistischen Deutschland", sowie u. a. auf Fortbildungsveranstaltungen der Deutschen Richterakademie in Trier, der Landesjustizverwaltung Niedersachsen, der Evangelischen Akademie in Bad Boll und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Essen wiedergegeben bzw. vermittelt worden.
Zur weiteren Aufhellung dieses Zeitabschnitts deutscher Rechtsgeschichte in allen seinen heute noch aufklärbaren Einzelheiten ist noch erhebliche Forschungsarbeit zu leisten. Das sieht die Bundesregierung. Vor allem fehlt es an Gesamtdarstellungen. Wir sind auch der Meinung, daß eine zusammenfassende Gesamtschau nur auf dem Fundament vieler Einzeluntersuchungen möglich ist.
Das in Ihrer Frage angesprochene Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr in Freiburg hat den Auftrag erhalten, eine Gesamtdarstellung der Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg zu erarbeiten. Die Voraussetzungen hierfür werden zur Zeit durch eine Pilotfachstudie überprüft und vorbereitet. Insofern trifft die Aufgabenstellung nur einen Teilbereich des von Ihnen genannten Themas und kann zwangsläufig auch nur einen Teilbereich treffen. Die Bearbeitung einer derart weit gefaßten Thematik, wie Sie sie ansprechen, würde zweifellos die Kapazität und die Zuständigkeit des Militärgeschichtlichen Forschungsamts erheblich überschreiten. Auch das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt vorgesehene Thema bedarf umfangreicher Forschungsarbeit. Was die militärgeschichtliche Seite anlangt, so sind allein 150 000 bis 200 000 Akten auszuwerten. Ich sage das, um den Umfang anzudeuten. Dies kann nur durch ein Forschungsteam in mehrjähriger Arbeit geleistet werden.
Die Mittel für die Veröffentlichung der Gesamtdarstellung zur deutschen Militärgerichtsbarkeit
im Zweiten Weltkrieg werden im Rahmen der dem Freiburger Amt zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für Publikationen zur Verfügung gestellt.
Im übrigen möchte ich noch darauf aufmerksam machen: Das Institut für Zeitgeschichte in München, das zur Hälfte nämlich mit 1,7 Millionen DM vom Bund finanziert wird, hat eine Schriftenreihe „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus" herausgegeben. Dort ist u. a. von Walter Wagner „Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat" ({0}) erschienen. Der Wissenschaftler Dr. Gruchmann beschäftigt sich seit Jahren dort mit der Justizpolitik im NS-Staat unter besonderer Berücksichtigung des Reichsjustizministeriums.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß die Verfahrensdauer beim Deutschen Patentamt in München bis zur Entscheidung über die Gewährung eines Patents zur Zeit im Durchschnitt 3,2 Jahre dauert, bei den Patentämtern in Japan und den USA aber nur etwa 26 Monate?
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 30 und 31 zusammen beantworten zu dürfen, weil sie zusammengehören.
Ist der Fragesteller damit einverstanden?
({0})
- Dann rufe ich auch die Frage 31 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung einleiten, um diesem Mißstand abzuhelfen?
Herr Abgeordneter de With, auf die in Ihren beiden Fragen angesprochenen Probleme ist von der Bundesregierung in diesem Jahr bereits mehrfach bei der Beantwortung von Fragen von Abgeordneten eingegangen worden. Damit ich die Zeit nicht unnötig in Anspruch nehme, erlaube ich mir, Sie auf den Stenographischen Bericht der 67. Sitzung am 12. April 1984 über die Beantwortung von Fragen des Abgeordneten Vahlberg sowie auf die schriftlichen Antworten auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Steger und des Abgeordnete Dr. Kunz zu verweisen.
Insbesondere in der Fragestunde am 12. April 1984 sind die Zahlen über den Personalstand, den Rückgang der Patentanmeldungen, die Erledigungszeiten im Deutschen Patentamt und die Erwartung dargelegt worden, daß die Erledigungszeiten 1987/88 bei etwa zweieinhalb Jahren liegen werden.
Der Vergleich mit Erledigungszahlen der Patentämter Japans und der USA ist nur beschränkt möglich, weil durch die unterschiedlichen Patentgesetze auch unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen sind, die in die Berechnung von Erledigungszeiten einfließen. Eine auf gesicherten Erkenntnissen beruhende vergleichende Untersuchung ist bisher nicht angestellt worden. Der Präsident des Deutschen Patentamts ist vom Bundesministerium der Justiz beauftragt worden, eine entsprechende Untersuchung zu erarbeiten. Ich werde Sie gern über das Ergebnis dieser Untersuchung unterrichten, sobald sie vorliegt.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Sind Sie mit mir für die Bundesregierung der Meinung, daß dies gleichwohl ein mißlicher Zustand ist?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht diesen unbefriedigenden Zustand. Sie wissen aus Ihrer eigenen früheren Tätigkeit im Bundesministerium der Justiz, daß es vielfache Gründe für diese unerfreuliche Sache gibt. Ich will sie jetzt hier nicht alle im einzelnen aufzählen. Wir sind bemüht, alles zu tun, um die Zahl der unerledigten Anträge, soweit es irgend geht, zu reduzieren.
Ich muß allerdings noch einmal hinzufügen: Wahrscheinlich wird es leider nicht möglich sein, selbst bei Ausschöpfung aller personellen und materiellen Mittel eine Erledigungsdauer von zweieinhalb Jahren zu unterschreiten.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Wird sich die Bundesregierung u. a. dafür einsetzen, daß das Eingangsamt der Prüfer, das wegen der Sparmaßnahmen auf A 12 gesenkt wurde, wieder auf A 13 angehoben wird, damit die dort bisher über 40 unbesetzten Stellen besetzt werden können und dadurch eine raschere Erledigung gewährleistet ist?
Herr Abgeordneter de With, die Bundesregierung setzt sich selbstverständlich dafür ein. Die Bundesregierung ist auch dankbar dafür, daß in den zuständigen Gremien des Parlaments - u. a. auch im Rechtsausschuß - eine entsprechende Unterstützung gewährt wurde.
Wenn ich richtig unterrichtet bin, zeichnet sich in Kürze eine positive Lösung ab. Sie wäre in der Tat wichtig, weil wir nicht mehr in der Lage sind, das Patentamt bei der geänderten Eingangsstufe mit ausreichend qualifizierten Leuten zu besetzen. Es wird eine Vorbeschäftigung in der Industrie von durchschnittlich fünf Jahren Dauer vorausgesetzt. Sie finden heute in der Tat praktisch niemand mehr, der nach fünfjähriger Tätigkeit in der Industrie mit A 12 als Eingangsamt beim Deutschen Patentamt anfängt.
Eine Zusatzfrage.
Heißt das, daß die Bundesminister des Innern und der Finanzen damit ihren Widerstand gegen die Änderung insoweit aufgegeben haben?
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß man davon sprechen kann, der
Bundesminister des Innern und der Bundesminister der Finanzen hätten dem bisher Widerstand in dem Sinne entgegengesetzt, daß sie es nicht wollten. Vielmehr war es aus Gleichbehandlungs- und anderen Grundsätzen zugegebenermaßen schwierig, in dieser Frage zu einer Lösung zu kommen. Aber ich habe den Eindruck, sie zeichnet sich jetzt ab.
Eine letzte Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Ihnen mitteilen, daß Sie auf jeden Fall die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion haben, die Eingangsämter insoweit wieder anzuheben.
Herr Abgeordneter, für diese Unterstützung sind wir ganz besonders dankbar.
({0})
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Schwenk ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung - insbesondere auf Grund der von ihr vor zwei Jahren für erforderlich gehaltenen Prüfungen - nunmehr bereit, eine 10-DM-Umlaufmünze einzuführen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren wiederholt erklärt, daß das Bedürfnis für die Einführung einer 10-DM-Umlaufmünze von den betroffenen Wirtschaftsverbänden überwiegend verneint wird und deshalb die Herausgabe einer solchen Münze nicht beabsichtigt ist. Der Bundesregierung sind in der Zwischenzeit keine Umstände bekanntgeworden, die eine andere Beurteilung erforderlich machen. Insbesondere darf ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß von der - günstigen - Preisentwicklung kein Druck auf die Ausgabe höherwertiger Münzen ausgeht. Auch sind aus Kreisen der Wirtschaft keine neuen Forderungen mehr erhoben worden.
Die Bundesregierung sieht deshalb weiterhin keinen Anlaß, eine 10-DM-Münze einzuführen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Welcher Art waren die Untersuchungen, die die Bundesregierung angestellt hat? Ich darf auf die Beantwortung meiner Frage vor zwei Jahren zurückgreifen.
Wir haben mit den Wirtschaftsverbänden regelmäßig Fühlung, natürlich auch mit der Deutschen Notenbank, die hier von erheblicher Bedeutung ist. Wir sind auch mit
Technikern in Verbindung getreten. Es zeichnen sich gewisse neue Entwicklungen ab, die dazu führen können, eine solche Münze automatensicherer zu machen. Es gibt also auf diesem Gebiet auch neue technische Entwicklungen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist, wenn Sie diese Vorprüfungen schon durchgeführt haben, damit die Einführung einer 10-DM-Münze vielleicht doch nicht ausgeschlossen, wenn weitere Prüfungen vorgenommen werden?
Natürlich wird von Zeit zu Zeit immer wieder geprüft. Aber gegenüber dem Zustand des Jahres 1982 - ich glaube, damals haben Sie der vorigen Bundesregierung schon einmal eine ähnliche Frage gestellt - hat sich kein neuer Gesichtspunkt ergeben, der auf ein Bedürfnis für eine solche Münze hindeutet.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Daweke auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Rahmen der diesjährigen Herbstmanöver Einheiten der britischen Rheinarmee in der Gemarkung Henstorf in der Gemeinde Kalletal/Lippe irreversible Boden- und Wasserschäden dadurch angerichtet haben, daß aus einem von Hameln kommenden unterirdischen Treibstoffrohrleitungssystem kleine mobile Feldtanklager in der an Henstorf angrenzenden Gemarkung Bavenhausen mittels bis zu drei Kilometer langer Schläuche aufgefüllt und aus diesen Lagern jeweils Tankfahrzeuge abgefüllt worden sind, wobei durch die dabei benutzten Schläuche mit erheblichen Leckagen insgesamt mehrere tausend Liter Treibstoff in das Erdreich gedrungen sind?
Herr Staatssekretär, ursprünglich war vorgesehen, diese Frage schriftlich zu beantworten. Ich hoffe, Sie sind gleichwohl in der Lage, sie jetzt mündlich zu beantworten.
Ich beantworte Ihre Frage 33, Herr Kollege Daweke, wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß die britischen Streitkräfte während ihres Herbstmanövers im September 1984 drei Feldtanklager auf Grundstükken in der Gemarkung Henstorf/Lippe angelegt hatten, in deren Bereich beim Umfüllen des Treibstoffs etwa 150 Liter Benzin ins Erdreich eingedrungen sind. Die Bundesregierung vermag jedoch nicht zu bestätigen, daß der aus einer Abfüllstelle der Pipeline bei Lemgo den Feldtanklagern zugeführte Treibstoff aus den verlegten Schläuchen in dem von Ihnen genannten Ausmaß ausgetreten ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskünfte darüber geben, was denn die britischen Streitkräfte getan haben, um diesen Schaden zu beseitigen?
Die Verhandlungen mit der örtlich zuständigen Behörde laufen natürlich noch, um den Schaden, soweit ein solcher eingetreten ist, zu begleichen. Die Bundesregierung wird alles tun, um auch die britischen Streitkräfte darauf hinzuweisen, daß sie sich an die deutschen Gesetze - das Wasserhaushaltsgesetz - zu halten
Pari. Staatssekretär Dr. Häfele
haben, damit künftig solche Fälle möglichst unterbleiben.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski, zu einer Zusatzfrage. Das ist die letzte Frage, meine Damen und Herren. Wir sind dann am Ende der Fragestunde.
Herr Staatssekretär, Sie sagten gerade, Sie wollten die britischen Streitkräfte darauf aufmerksam machen, daß sie sich möglichst an unsere wasserrechtlichen Bestimmungen halten sollten: Gibt es denn wasserechtliche Bestimmungen, insbesondere was Betankungen außerhalb gesicherter Räume betrifft, die auch jetzt schon gelten? Ich bitte Sie also, mir mitzuteilen, welche Auflagen gegolten haben und gegen welche Auflagen die britischen Streitkräfte im einzelnen verstoßen haben.
Es gibt Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes, die über den völkerrechtlichen Vertrag auch für Stationierungsstreitkräfte gelten. Die Frage ist, ob gegen eine solche Sicherheitsbestimmung verstoßen worden ist. Das kommt doch leider gelegentlich auch im deutschen Bereich vor.
({0})
Wir stehen am Ende der Fragestunde *). Ich bin gehalten, die Zeit strikt einzuhalten.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Kostenexplosion im Gesundheitswesen
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese heutige Aktuelle Stunde beantragt, um von der Bundesregierung und insbesondere vom Bundesarbeitsminister zu erfahren, was die Bundesregierung bzw. der Minister konkret zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu tun gedenken.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Gesundheitspolitik zweifellos mehr ist als nur Ko-
*) Die Fragen 41 des Abg. Dr. Czaja, 47, 48 des Abg. Neumann ({1}), 54 des Abg. Urbaniak, 85, 86 des Abg. Dr. Riedl ({2}), 87, 88 des Abg. Pfeffermann und 89 des Abg. Eigen sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen im Plenarprotokoll 10/99 abgedruckt.
stendämpfungspolitik. Wenn die gesundheitspolitische Diskussion seit Ende letzten Jahres aber wieder in erster Linie von der Kostenentwicklung beherrscht wird, hat dies einleuchtende Gründe. Nach den Beitragssatzsenkungen des letzten Jahres bahnt sich bei den Gesundheitsausgaben der Krankenkassen eine Entwicklung an, die man nur alarmierend nennen kann. In der nächsten Woche treffen sich die Mitglieder der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu ihrer Herbstsitzung, um über diese Entwicklung zu sprechen.
Wir Sozialdemokraten halten es für erforderlich, daß sich der Bundestag mit der bedrohlichen Problematik beschäftigt, nicht zuletzt mit dem Ziel, dem Bundesarbeitsminister, der bei der Bewältigung der Probleme der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen einen hilflosen Eindruck macht, einiges mit auf den Weg zu geben.
({3})
- Hören Sie doch zu.
Der Ausgabenzuwachs der Krankenkassen lag im bisher abgelaufenen Jahr mit über 7 % mehr als doppelt so hoch wie die Steigerung der Einnahmen.
({4})
Die Entwicklung geht mit erheblicher Geschwindigkeit vonstatten und hat, unterschiedlich zwar, alle Leistungsbereiche der Krankenkassen erfaßt.
({5})
- Gott sei Dank wohl, sonst wäre der Spaß noch teurer.
({6})
- Eine besonders große Zahl von Krankenkassen hat bereits signalisiert, daß im kommenden Jahr Beitragserhöhungen unausweichlich sein werden.
Herr Kollege Jagoda, Sie können hier dann doch alles sagen, wenn Sie etwas zu sagen haben.
Der Bundesarbeitsminister glänzt angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung durch Nichtstun, allenfalls durch schöne Reden. Es liegt auf der Hand: Sie, Herr Dr. Blüm, haben zur Eindämmung der neuen Kostenwelle im Gesundheitswesen bisher kein Konzept deutlich werden lassen.
({7})
Sie sind noch nicht einmal in der Lage oder bereit, die vorhandenen gesetzlichen Instrumente zur Eindämmung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen einzusetzen.
({8})
Im Gegenteil, es war doch Norbert Blüm, der die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, die seine sozialdemokratischen Vorgänger im Amt zu einem wichtigen Instrument gemacht hatten, zu einem unverbindlichen Debattierklub degenerieren ließ.
({9})
Es war doch Dr. Blüm, der neben der Konzertierten Aktion Sondergesprächskreise bildete, die die anderen Teilnehmer an der Konzertierten Aktion nur noch unwilliger machten.
Wir fragen Sie, Herr Bundesarbeitsminister: Was wollen Sie tun, um die Preisentwicklung bei Arzneimitteln unter Kontrolle zu bringen? Ihre bisherigen Antworten dazu waren heiße Luft, nicht nur das, die Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenkassen haben Sie vorgeschickt, um Verhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie zu führen, ohne den Krankenkassen den erforderlichen Rückhalt durch klare gesetzliche Regelungen zu geben.
({10})
Wir fragen Sie: Was tun Sie, um die Kostenentwicklung im Krankenhausbereich einzudämmen?
({11})
Ihre bisherige Antwort war ein Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung, der neben allerlei Vernünftigem - das wollen wir anerkennen - den entscheidenden Fehler besitzt, durch die Aufhebung der Mischfinanzierung von Bund und Ländern die Kostenentwicklung erst recht in Gang zu setzen.
({12})
Wir fragen Sie, Herr Bundesarbeitsminister: Was tun Sie, um die Kostenentwicklung beim Zahnersatz wieder unter Kontrolle zu bringen?
({13})
Hier gibt es noch nicht einmal die Andeutung einer Antwort. Was tun Sie, Herr Arbeitsminister, um die Ärztehonorare und hier vor allen Dingen die Zahl der abgerechneten Leistungen unter Kontrolle zu bringen?
({14}) Auch hier gibt es von Ihnen keine Antwort.
({15})
Wir Sozialdemokraten stellen angesichts dieser Situation fest: Der Bundesarbeitsminister verantwortet die neue Kostenexplosion im Gesundheitswesen durch seine Untätigkeit zu einem guten Teil mit. Sie, Herr Bundesarbeitsminister, sind gefordert, Antworten zu geben. Dazu sind Sie Ihrem Amt gegenüber verpflichtet. Jetzt helfen Ihnen Ihre Sprechblasen nicht mehr weiter.
({16})
Sie sind - lassen Sie mich dies mit aller Deutlichkeit feststellen - mit Ihrer bisherigen Gesundheitspolitik gescheitert. Bisher ist Ihnen noch nichts besseres eingefallen, als die Patienten mit höherer Selbstbeteiligung, die Rentner und die aktiv Beschäftigten mit höheren Sozialversicherungsbeiträgen zu schröpfen. Die Leistungsanbieter haben Sie nicht in die Pflicht genommen.
({17}) Das ist Ihr Versagen. Dafür tragen allein Sie die Verantwortung.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. George.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kirschner, als ich Sie so schimpfen hörte, fiel mir aus Hiob 13 der Vers 5 ein:
Wollte Gott, ihr hättet geschwiegen; so wäret ihr weise geblieben.
({0})
- Lassen Sie mich fertig reden, dann können Sie weiterschimpfen.
Es ist ein Glanzstück sozialdemokratischer Schuldverschiebungsstrategie, daß Sie, die Flächenbrandstifter, uns, die Feuerwehr, anzeigen. Es war doch Willy Brandt, der nicht nur mehr Demokratie wagen wollte, sondern der alle aufgefordert hat, einen Schluck aus der Pulle zu nehmen. Genau so sah es dann bei den Krankenkassen aus.
({1})
Von 1970 bis 1975 betrug die Steigerung des Grundlohns immerhin 10,9 %, und dennoch stiegen die Leistungsausgaben um 17,4 %. Wenn man die Kurve weiter verfolgt, auch die, die Helmut Schmidt vorgezeichnet hat - mit seinem „Stabilität ist so ein Modewort" -, so sieht man deutlich - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
({2})
die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung betrug 1972 34,6 Milliarden DM und stiegen bis 1983 auf 95,7 Milliarden DM. Das ist in diesen elf Jahren eine Steigerung um 181 %. Dagegen sind die Löhne im gleichen Zeitraum nur um 132 % hochgegangen.
({3})
Ich erinnere Sie an Ihren Parteifreund - jetzt wieder Parteifreund - Karl Schiller, der 1972, als es ja noch gar nicht so schlimm aussah, gesagt hat: Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto „nach uns die Sintflut". Und Sie haben nach diesen 13 Jahren eine Sintflut hinterlassen!
({4})
Die Sintflut geht weit über die in der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus: Aus 1 DM sind 53 Pf geworden, die Abgabenbelastung hat sich von 21 % auf 31 % erhöht, die Schulden des Bundes sind von 45 Milliarden DM auf 287 Milliarden DM gestiegen.
({5})
Hören Sie gut zu. Die Arbeitslosigkeit ist im gleichen Zeitraum um das Zehnfache gestiegen. Sie haben eine Anspruchsmentalität erzeugt, die uns allen das Gefühl vermittelt hat, in Saus und Braus leben zu dürfen.
({6})
Sie haben - auch im Krankenkassenbereich - die Tugend der Sparsamkeit verketzert und kommen heute mit scheinheiliger Biedermannshaltung und sagen, Norbert Blüm tue nichts.
({7})
Sie haben Fleiß und Leistung diskreditiert, und heute zerbrechen Sie sich den Kopf über Wirtschaftlichkeitsfragen. Sie haben uns rundum eine schwere Hypothek - auch im Kostenbereich der Krankenkassen - hinterlassen.
({8})
Die berühmte Erblast!
({9})
Diese Erblast wurde Ihnen selber ja in der letzten Phase zum Verhängnis. Denn die Geister, die Sie riefen, wurden Sie auch mit Interventionismen, mit Deckelungen, mit Höchstpreisregelungen und mit all dem, wie Ihre sozialistische Kostendämpfungspolitik funktioniert hat, nicht mehr los. Ich erinnere Sie daran: Sie haben der allumfassenden Gesundheitsformel der WHO - „Gesundheit ist ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" ({10}) eine Formel hinzugefügt:
({11})
„Egal, wo das Geld herkommt: Man möge sich der Wohltaten bedienen."
({12})
Ich gebe zu: Sie mögen in gutem Glauben, in guter sozialer Gesinnung gehandelt haben. Aber: Sie haben die soziale Verantwortung vergessen. Sie haben die Kostenbremsen in Ihren Saus- und Brauswagen einfach nicht eingebaut.
({13})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr George, an humanistischer Bildung mangelt es uns ebenfalls nicht. Ich möchte Ihnen deshalb mit einem lateinischen Sprichwort antworten: „Si tacuisses, philosophus mansisses." „Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben."
({0})
Wenn wir hier und heute zu der Kostenexplosion im Gesundheitswesen Stellung nehmen, können wir natürlich nicht umhin, nach den Ursachen zu fragen.
Tatsache ist, daß die Krankheitskosten enorm gestiegen sind. 1970 betrugen sie 70,3 Milliarden DM, 1981 bereits 210 Milliarden DM; 1984 werden sie bei ca. 240 Milliarden DM liegen. Mit anderen Worten: 70 Milliarden gegenüber 240 Milliarden innerhalb von 14 Jahren.
Unabhängig davon, wie sich diese 240 Milliarden verteilen, ist einzig und allein die Steigerung schon erschreckend. Wie kommt diese ungeheure Summe überhaupt zustande?
Dazu möchte ich besonders auf zwei Faktoren eingehen.
Erstens. Ich kann getrost - denn amerikanische Untersuchungen stützen diese These - behaupten
({1})
- hören Sie erst einmal zu! -, daß die explosionsartige Steigerung der Krankheitskosten in erster Linie Folgeerscheinung einer umwelt- und menschenfeindlichen Produktionsweise dieses patriarchal-industriellen Wirtschaftssystems ist.
({2})
So gehen nach Schätzungen der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, 60 bis 90 % aller Krebserkrankungen auf Umweltfaktoren zurück. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums machen Zivilisationserkrankungen wie Krebs, Herz- und Kreislauferkrankungen bereits 85 % der Todesursachen aus und schlagen wesentlich auch in der rasanten Kostensteigerung zu Buche.
({3})
Darüber hinaus gibt es praktisch kein einziges Nahrungsmittel mehr, das nicht mit Umweltgiften belastet ist. So liegen nach Angaben des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus die Folgekosten für ernährungsbedingte Krankheiten derzeit bei rund 20 Milliarden DM.
({4})
Dem Bremer Gesundheitssenator Brückner zufolge gehen 80 % der Kosten der Krankheitsbehandlung auf Krankheiten zurück, die präventiv beeinflußbar sind. Nach seinen Angaben könnten mit großer Wahrscheinlichkeit 50 bis 60 Milliarden allein durch eine gesundheitsgerechte Lebensweise und auf die Erhaltung der Gesundheit ausgerichtete Arbeits- und Sozialbedingungen eingespart werden.
Uns GRÜNEN geht es natürlich auch darum, daß Menschen durch eine bewußte Einstellung zu ihrem Körper, d. h. durch eine Änderung ihrer Eß- und Lebensgewohnheiten, dazu beitragen, Krankheiten zu vermeiden.
Aber allein dieser Appell an das Verantwortungsbewußtsein einzelner Menschen reicht bei weitem nicht aus. Denn den meisten Krankheiten können die Bürger und Bürgerinnen dieses Wirtschaftssystems gar nicht ausweichen.
Ich zitiere aus einer Untersuchung, die sich auch auf die Weltgesundheitsorganisation beruft, daß die gesundheitliche Belastung durch Umweltschäden Schlagzeilen gemacht hat.
Wir haben da die hohe Konzentration von chlorierten Kohlenwasserstoffen in der Muttermilch,
({5})
die u. a. Nerven- und Leberschäden hervorrufen können.
Wir haben da die durch die Luftverschmutzung erhöhte Gefahr von Bronchialerkrankungen, Pseudokrupp und plötzlichem Kindtod.
Wir haben da Nierenschäden durch hohe Cadmiumrückstände.
({6})
Wir haben da Blutbildungsveränderungen durch hohe Bleirückstände, Krebsauslösung und Erstikkungsgefahr bei Babys durch die Nitratbelastung des Wassers, Leukämie insbesondere bei Kindern durch radioaktive Strahlung, Allergien durch chemische Umweltverschmutzung, Mißbildungen und Totgeburten durch Dioxin.
({7})
Alle diese gerade aufgeführten Beispiele sind Folgeerscheinung einer an Profitsteigerung orientierten Wirtschaftsweise. Ändern Sie diese Wirtschaft - wir GRÜNEN haben Ihnen da bereits hinreichende Wege beschrieben -, dann leisten Sie den besten Beitrag zur Vermeidung von Kostenexplosion im Gesundheitswesen.
Ich danke.
({8})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Frau Potthast, es grenzt wirklich schon an Verdummung - das muß man sagen -, darüber zu sprechen, daß Nahrungsmittel vergiftet seien und gleichzeitig auf ernährungsbedingtes Fehlverhalten hinzuweisen, als hinge das in jedem Fall ursächlich miteinander zusammen.
({0})
Sie haben das anschließend etwas relativiert, aber doch wohl nicht sehr sauber ausgearbeitet. Das sollten Sie sich vielleicht noch einmal überlegen.
({1})
Die Sozialdemokraten haben diese Aktuelle Stunde nicht gerade über die ernährungsbedingten Gesundheitskosten, sondern wegen ganz anderer Kosten beantragt.
Was ich von den Sozialdemokraten gehört habe, ist auch wieder sehr typisch: Es wird zwar darauf hingewiesen, daß Kostensteigerungen da sind, und anschließend werden die Kostensteigerungen nur an den Leistungserbringern festgemacht. Daß diese Leistungen von Patienten nachgefragt werden und daß erstens die Patientenzahl gestiegen ist und zweitens den Patienten bei gesundheitlichen Leiden geholfen wird, darüber höre ich leider von Ihnen viel zuwenig. Wenn man sich einmal die Zahlen von 1984 ansieht, stellt man sehr schnell fest, daß ein Großteil der Kostensteigerungen darauf zurückzuführen sind, daß vor allen Dingen im Rentnerbereich die Kostensteigerungen weit überproportional gewesen sind, im Vergleich zu den vorangehenden Jahren. Da müßte man sich einmal darüber Gedanken machen, ob das nicht auch damit zusammenhängt, daß erstens die Bevölkerung immer älter wird und daß es zweitens auch auf Grund der Gott sei Dank sehr erfolgreichen Forschung zu immer neuen und teureren Leistungen gerade bei der Behebung von Krankheiten im Alter kommt.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sehen natürlich auch die Gefahr von Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr, und wir sehen das mit großer Sorge. Das wird uns aber nicht dazu hinreißen, einfach wie Sie, die Sozialdemokraten, das fordern, wieder einmal zum dirigistischen Knüppel zu greifen; denn bei Ihrem dirigistischen Knüppel wird z. B. nicht berücksichtigt, daß Forschung teuer ist, daß das, was bei der Forschung herauskommt, ebenfalls viel Geld kostet. Es findet keine Berücksichtigung, was das für die Arbeitsplätze, z. B. in der Industrie, bedeutet, und Sie haben keine Hemmungen, in die Therapiefreiheit des Arztes durch die Forderung nach dirigistischen Listen einzugreifen. Und Sie haben ebenfalls keine Hemmungen, über Investitionslenkung mit dazu beizutragen, Leistungen aus dem ambulanten Bereich immer stärker in den stationären Bereich, der ja nun noch teurer ist, zu verlagern.
({3})
Meine Damen und Herren, wir möchten ganz zweifellos für die Kostenentwicklung des nächsten Jahres noch in diesem Jahr positive Impulse geben. Das ist auch der Grund, weshalb wir auf jeden Fall versuchen, zu einer Einigung in Sachen Neuordnung der Krankenhausfinanzierung zu kommen.
({4})
Deshalb noch einmal mein Appell auch an die beteiligten Länder, sich hier kompromißbereit zu zeigen. Die Dinge sind noch nicht ausdiskutiert, es sind noch nicht alle Probleme vom Tisch, aber ich denke, daß gute Möglichkeiten bestehen, hier noch zu einem Kompromiß zu kommen. Die Anhörung ge7096
stern hat sehr deutlich gemacht, wo solche Kompromisse liegen können. Wir wollen auf jeden Fall, daß das kostentreibende Selbstkostendeckungsprinzip im Krankenhaus wegfällt. Wir halten es für unverzichtbar, daß diejenigen, die die Gelder im Sinne der Patienten verwalten, nämlich die Krankenkassen, ein stärkeres Mitspracherecht sowohl bei der Bedarfsplanung wie bei der Aufstellung der Investitionspläne erhalten, und wir möchten, daß echte Pflegesatzverhandlungen im Krankenhausbereich dann auch dazu führen, daß Kostenbewußtsein nicht nur in betriebswirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in medizinischer Hinsicht im Krankenhaus endlich einmal Platz greift.
({5})
Darüber hinaus halten wir nach wie vor an unserer Forderung fest, daß die Steuerung im Gesundheitswesen durch die Benutzer erfolgen soll. Wir sehen die Mittel dazu in einem umfassenden Konzept der Selbstbeteiligung, die allerdings einige Voraussetzungen erfüllen muß: Sie muß sozial tragbar sein, sie muß Steuerungswirkungen haben, und sie darf keine neuen Einkommensquellen für die Leistungserbringer erschließen. Ich denke, wenn wir uns auf diese Punkte einmal stärker konzentrieren könnten als nur auf die Diskussion dirigistischer Maßnahmen, könnten wir sehr wohl langfristig wirkende Lösungsansätze finden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
von der Wiesche ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Verhalten der Bundesregierung zu Fragen des Krankenhauswesens gehört zu den gesundheitspolitischen Trauerspielen in diesem Land. Das hat die Anhörung gestern auch wieder sehr deutlich gemacht. Wir haben zum einen einen Bundesfinanzminister, der bis heute nicht begriffen hat, daß er nicht mehr Ministerpräsident in Schleswig-Holstein ist, sondern als Bundesminister auch im Krankenhauswesen Bundesinteressen zu vertreten hat.
({1})
Zum anderen haben wir einen Bundesarbeitsminister, der forsche Reden hält, sich aber in der praktischen Krankenhauspolitik bisher wie ein Dilettant benommen hat. Angesichts dieser Voraussetzungen kann in einem so heiklen Bereich wie dem des Krankenhauswesens politischer Erfolg leider nicht gedeihen. Die Ergebnisse der Krankenhauspolitik dieser Bundesregierung sind auch entsprechend. Die Steigerungsraten bei den Ausgaben für Krankenhausbehandlung werden in diesem Jahr voraussichtlich knapp unter 8 % liegen.
Was macht die Bundesregierung angesichts dieser alarmierenden Entwicklung? Sie „verspricht" den Ländern in ihrer Regierungserklärung die Aufhebung der Mischfinanzierung
({2}) für Krankenhausinvestitionen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wissen Sie denn nicht, daß es genau die Mischfinanzierung ist, die dem Bund überhaupt Mitwirkungsmöglichkeiten im Krankenhausbereich zusichert?
({3})
Sie wollen eine Reform der Krankenhausfinanzierung.
({4})
Das ist gut; das wollen wir auch. Nur: Wenn Sie eine Reform der Krankenhausfinanzierung wollen, dann müssen Sie auch die Bundesländer von dieser Notwendigkeit überzeugen.
({5})
Wie wollen Sie die Bundesländer überzeugen, wenn Sie ihnen vorher „versprechen", in Zukunft kein Geld mehr zu geben?
({6})
Wollen Sie allen Ernstes im Krankenhausbereich mitbestimmen, aber nichts mehr dafür bezahlen? Wie vereinbart sich dies? Wo ist da die politische Logik?
Angesichts dieses Durcheinanders ist schon jetzt klar, daß von Ihrem Gesetzentwurf zum Bereich der Krankenhausfinanzierung inhaltlich nichts anderes übrigbleiben wird als der Rückzug des Bundes aus der Finanzverantwortung.
({7})
Sie können sich drehen und wenden wie Sie wollen, aber dies heißt: Der Bund verliert seine Mitwirkungsmöglichkeit im Krankenhauswesen.
({8})
Dies spielt sich ab vor dem Hintergrund rasant steigender Ausgaben der Krankenkassen für die Krankenhausbehandlung. Der Bund, meine Damen und Herren, trägt die Verantwortung für die finanzielle Leistungsfähigkeit unserer Krankenkassen. Wenn er dieser Verantwortung nachkommen will, den Ländern jedoch kein Geld mehr für die Krankenhausfinanzierung gibt, dann weiß ich nicht, was daraus werden soll. Die Krankenhäuser klagen über Defizite; die Krankenkassen klagen über zu hohe Krankenhausausgaben. Beides zusammen läßt sich eigentlich nicht miteinander vereinbaren. Und doch stimmt es. Die Situation ist schon paradox.
Sie wird dadurch nicht einfacher, daß dem Deutschen Bundestag nun zwei Gesetzentwürfe zur Krankenhausfinanzierung vorliegen, ein Entwurf der Bundesregierung und ein Entwurf des Bundesrates. Jeder Kundige weiß, daß die Bundesländer in der Krankenhausfinanzierung nichts anderes wollen, als daß der Bund sich zurückzieht. Ich sage Ihnen, genau dieses wird das Ergebnis der laufenden Gesetzesverhandlungen sein. Dieses Ergebnis wird für die Beitragszahler in der Krankenversicherung eine schwere Belastung bedeuten.
({9})
von der Wiesche
Bei allen noch so bemerkenswerten Einzelvorschlägen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung haben Sie sich, Herr Bundesarbeitsminister, in eine verhängnisvolle Situation manövriert, die die Beitragszahler und die Versicherten schließlich finanziell auszubaden haben. Sie haben den Ländern einen Kompromiß angeboten, aber Sie sind doch gar nicht in der Lage zu einem solchen Angebot. Sie können doch nur noch darum bitten, damit Sie Ihr Gesicht nicht verlieren.
({10})
Wollen Sie uns allen Ernstes klarmachen, daß dies verantwortungsvolle, daß dies vernünftige Gesundheitspolitik ist? Wir werden Ihre Verantwortung für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und nicht zuletzt im Krankenhausbereich mit aller Klarheit deutlich machen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
von der Wiesche ({0}): Ich komme sofort zum Schluß.
Wir werden verhindern ...
Herr Abgeordneter!
von der Wiesche ({0}):..., daß Sie sich davonstehlen und mit den Fingern auf die Länder zeigen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr, seit dem ersten Halbjahr 1984 sind die Raten und die Kosten im Gesundheitswesen wieder stärker gestiegen, stärker, als es den Grundlohnsummen entspricht. Aber, meine Kollegen von der SPD, eine Explosion im Gesundheitswesen ist das nicht,
({0})
wenn man es, an den Zahlen aus den ersten 70er Jahren mißt: 17,4%.
({1})
So aktuell, Herr Egert, ist die Geschichte auch nicht, denn seit zwei Monaten sind diese Zahlen, über die wir hier jetzt reden, bereits im Blätterwald kolportiert. Ich glaube, das ist mehr ein Theaterdonner, mit dem der Prolog für die Konzertierte Aktion nächste Woche eingeleitet werden soll.
({2})
Man soll auch nicht den Tag vor dem Abend verdammen,
({3})
denn viele Faktoren außer dem Krankheitsspektrum wirken hier bei diesen Kosten mit. Die Insider wissen, daß jede Konjunkturflaute
({4})
nicht nur beim Krankenstand eine Absenkung bringt, sondern auch bei der Anforderung von Gesundheitsleistungen. Wenn es mit der Konjunktur wieder aufwärts geht - Gott sei Dank ist das bei unserer Regierung wieder der Fall -, steigen auch die Anforderungen.
Mit der Statistik ist das auch so eine besondere Sache. Man muß sie lesen können. In den letzten beiden Jahren gab es besonders niedrige Zuwachsraten. Bei manchen Gruppen hatten wir sogar Null-Runden, so z. B. bei der Pharma-Industrie 1982 0,7 %, bei Zahnersatz minus 14,2 % - das war sogar eine Minusrunde -, 1983 minus 4,7 %. Alles dies bedeutet, daß der Level für den Anstieg nachher niedriger ist. Sie können das hier sehen,
({5})
das ist ein Tableau des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, da sind die Kosten abgesunken und steigen dann wieder an. Das geht von einem niedrigeren Level aus.
({6})
Auch mit den Prozentzahlen hat das so eine Bewandtnis; denn die Krankenkasse muß das nicht nach Prozenten bezahlen, sondern in Mark und Pfennig. Wenn dann bei den Heil- und Hilfsmitteln Steigerungsraten von 14,3% in einem Halbjahr da sind, macht das je Mitglied nur 3,74 DM aus, aber im Krankenhaus machen 7,3% dann 21,57 DM aus. Damit sprechen wir etwas an, wo wir uns um eine Lösung bemühen. Sie dürfen versichert sein, Herr von der Wiesche, es wird zum Schluß eine Lösung herauskommen, bei der auch die Kostendämpfung mitwirkt.
Noch ein Wort zu der Lohnleitlinie, denn wir binden ja zur Zeit die Kosten an die Grundlohnsumme an. Meine Damen und Herren, das wird immer fragwürdiger, denn erstens hat der medizinische Fortschritt seinen Preis, und zweitens geben die Arbeitszeitverkürzungen in jedem Falle nicht mehr den realen Zuwachs bei der Grundlohnsumme an.
({7})
Auch dies ist zu bedenken. Aus diesem Grunde, so glaube ich, müssen wir hier sehr bald aus diesen Zahlen herauskommen.
Alles in allem aber sind die Zeichen aus dem ersten Halbjahr für uns und für alle Beteiligten Grund, alle Anstrengungen zu machen, um hier die Kosten im Griff zu behalten. Der Gesetzesknüppel aus dem Sack, meine Damen und Herren von der Linksopposition, hilft hier nicht. Hier wird es mit freiwilligen Vereinbarungen viel, viel leichter und eher möglich sein.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, ich versuche, meinen Beitrag zur Kostendämpfung dadurch zu leisten, daß ich eine billige Grippe nicht mit teuren Tabletten bekämpfe.
({0})
- Ich bedanke mich für diese Freundlichkeit. Meine Damen und Herren, das gibt mir Hoffnung, daß hier vielleicht doch noch ein sachliches Gespräch möglich ist.
Ich will gleich auf einige Anwürfe eingehen. Der Kollege von der Wiesche hat davon gesprochen, ich würde mich in der Krankenhausfrage und in dieser Gesetzgebung wie ein Dilettant benehmen. Lieber Herr Kollege von der Wiesche, wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und mir ein Krankenhausgesetz zurückgelassen hätten, mit dem ich arbeiten könnte, ja, dann bräuchte ich gar nichts zu machen, dann könnten Sie diesen Vorwurf nicht machen. Sie hatten 13 Jahre Zeit, das Krankenhauswesen so zu ordnen, daß heute kein Bedarf an Neuordnung bestünde. Sie haben Gesetze hinterlassen, die nicht brauchbar waren; sonst bräuchten wir jetzt doch nicht neue Gesetze.
({1})
Und Sie haben sich auch in der Adresse getäuscht. Entmischung, dieses große Programm, ist keine Spezialität der CDU- und CSU-Länder, das ist auch die Forderung Ihrer Genossen in den SPD-Ländern. Also, wenn schon Vorwurf, dann bitte flächendekkend.
Zum zweiten. Daß Sie sich hier als ein verspäteter Liebhaber der Konzertierten Aktion darstellen, das ist natürlich eine gewisse Überraschung. Die Konzertierte Aktion ist das Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens, das von der CDU/CSU in Gang gesetzt wurde. Schmücken Sie sich doch nicht dauernd mit fremden Federn! Das war doch unsere Erfindung.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten die Debatte heute in einen größeren Zusammenhang stellen, einen Zusammenhang, der über die Gesundheitspolitik hinausweist. Wir haben zwei Millionen Arbeitslose.
({3})
- Über zwei Millionen; im Hochrechnen sind Sie immer gut. Über zwei Millionen Arbeitslose,
({4})
das ist immer noch zuviel. Streiten Sie sich doch nicht, das ist immer noch viel zuviel. Nun, das ist nicht nur Schaden für die Arbeitslosen, das ist auch Gefahr für das gesamte soziale System. Bezahlt wird es immer nur aus der Arbeit. Die größte Gefahr, die ich sehe, ist die: Weil es weniger Beitragszahler gibt, müssen diejenigen, die noch Arbeit haben, noch mehr Beiträge zahlen. Und was ist das Ende vom Lied? Es fallen noch mehr Arbeitsplätze weg. Aus diesem Teufelskreis müssen wir heraus. Die Beitragsstabilität ist unser höchstes Gut, auch der Arbeitslosen wegen. Wenn die Lohnnebenkosten steigen, haben wir keine Aussichten, den Arbeitslosen wieder Arbeit zu verschaffen.
({5})
In dieser Herausforderung stehen Sie und wir; das ist nicht nur eine Regierungsaufgabe. Wir stehen - und diese Gefahr sehe ich schon; es gibt da keine Entwarnung - vor der Gefahr einer Flutwelle der Beitragssteigerung in der Krankenversicherung im nächsten Jahr. Deshalb appelliere ich in dieser, wie ich sie nenne, weichenstellenden Situation - das wird jetzt in den nächsten Wochen entschieden - an alle, an die Versicherten, an die Ärzte, Zahnärzte, Pharmaindustrie, Krankenkassen und an den Gesetzgeber: Haltet den Damm!
Eine Tatsache ist, die Kosten für Zahnersatz sind im ersten Halbjahr 1984 um 11,8 % gestiegen, für Heil- und Hilfsmittel um 14,3 % und im Krankenhaus um 7,2 %, wobei die 7,2 % vom größten Kostenbrocken gehen. Dies alles, obwohl keine Lohnerhöhungen in diesem halben Jahr vorgekommen sind und die Krankenhäuser sich ja immer auf die hohen Personalkosten berufen haben, die bis zu 70% ausmachen sollen! Die Grundlohnsumme, also jenes Geld, aus dem die Krankenkassen ihre Beiträge beziehen, ist um 3 %, die Ausgaben der Krankenkassen sind um 8,1 % gestiegen. Insofern eignet sich diese Aktuelle Stunde als Alarmsignal, damit all die aufwachen, die „Heia, popeia" singen wollen. Ich will hier auch noch den Vergleich zum letzten Jahr bringen: Steigerung der Grundlohnsumme: 3,8%, Steigerung der Ausgaben: 3,5 %. Sie sehen, daß wir etwas tun müssen und daß auch der Gesetzgeber gefordert ist; denn wir können ja nicht immer nur mit Appellen an andere arbeiten. Dabei muß ich hinzufügen - damit auch das klargestellt ist -: Der Gesetzgeber kann nicht alles, und nach unserem Verständnis soll er auch nicht alles.
Selbstverantwortung z. B. - das ist aus meiner Sicht das wichtigste Prinzip; es ist im übrigen ein emanzipatorisches Prinzip, wenn ich da die Brücke für Sie bauen kann - läßt sich nicht befehlen.
({6})
- Ich weiß, daß Sie alles in Selbsthilfe machen wollen. Trotzdem sollten Sie nicht so arrogant sein, nicht auch einmal einen Ratschlag von anderen entgegenzunehmen. - Selbstverantwortung ist das Wichtigste in der Gesundheitspolitik, und Selbstverwaltung ist ein zweiter Baustein.
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Es entspricht unserer Staatsvorstellung, daß die Politik nicht alles besser weiß. Dennoch: Wir stehen unter dem Zwang, zu beweisen, daß wir unseren Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, unsere Bewährungsprobe - ich sage „unsere" und meine damit Opposition und Regierung, Bundesrat und Bundestag - ist das Krankenhaus. Wer vor dieser schwierigen Aufgabe kneift, unternimmt eine Flucht vor Problemen.
({8})
- Ja, das ist falscher Denkmalschutz. Erstens. Die Krankenkassen brauchen Geld für kostensenkende Investitionen. Hier zeigt sich, daß das Unterlassen sinnvoller Investitionen die Kosten in die Höhe treibt. Das ist nicht sinnvoll, weder gesundheitspolitisch noch arbeitsmarktpolitisch. Und da reden Leute von großen staatlichen Beschäftigungsprogrammen. Milliarden könnten im Krankenhaus für Kostensenkung investiert werden, für Modernisierung, nicht für die Einrichtung neuer Betten.
Zweitens. Länder, Krankenhäuser und Krankenkassen brauchen - dies sage ich bewußt - eine neue Form der Kooperation, auch in der Krankenhausplanung, im Investitionsprogramm. Es kann jedenfalls nicht die Lösung der Kostenfrage sein, daß die Krankenkassen in die Rolle des Zahlmeisters für die Folgen von Entscheidungen gedrängt werden, die andere treffen. Diese Arbeitsteilung ist nicht die Arbeitsteilung, die Kosten dämpft.
({9})
Wir wollen Kooperation. In diesem Zusammenhang will ich festhalten, gegen alle Mißverständnisse: Der Bund will für sich überhaupt keine Kompetenz. Es geht überhaupt nicht um einen Kompetenzstreit, bei dem der Bund etwas will. Und auch das ist unbestritten: Die Letztverantwortung, die politische Letztverantwortung für Krankenhausplanung, für den Bedarf, der befriedigt werden muß, haben die Länder.
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- Wieso ist das neu? Das ist doch eine verfassungsrechtlich unbestrittene Tatsache.
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Aber diese Letztverantwortung enthebt niemanden der Notwendigkeit zur Kooperation, zur Schaffung der Mitwirkungsmöglichkeit derer, die die Entscheidungen anschließend finanzieren müssen. Und das sind die Krankenkassen, das sind die Beitragszahler, damit wir die Krankenkassen nicht als einen anonymen Apparat ansehen. Das sind Sie, wir alle: Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Der Fortgang der Beratung des Krankenhausgesetzes hat schon jetzt zwei wichtige Fortschritte gebracht.
Erstens. Wir haben die Chance für ein modernes Pflegesatzrecht. Der alte, tagesgleiche, pauschalierte Pflegesatz, der für jeden Tag dasselbe Geld vorsah, egal, ob der Patient schwer oder leicht erkrankt war, ist überholt. In diesem alten Pflegesatz, den Sie nicht beseitigt haben, ist die Versuchung eingebaut, den Patienten im Krankenhaus länger liegen zu lassen, als es zu einer Gesundung notwendig ist.
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Wir wollen Leistung stärker entlohnen. Hier zeigt sich, daß marktwirtschaftliche Grundsätze auch sozial richtig sind. Wir sparen doch für die Beitragszahler, für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber.
Der zweite Fortschritt: In die Pflegesatzverhandlungen ist mehr Chancengleichheit eingebaut. Die staatliche Preisfestsetzungsbehörde, in welcher Umrahmung sie auch steht, tritt zurück. Auch das halte ich für im Sinne von Subsidiarität und Selbstverantwortung.
Wir wollen mehr Marktwirtschaft, mehr Subsidiarität, mehr Selbstverantwortung. Das sind die drei - warum schaudern Sie? - Prinzipien unserer Krankenhausgesetzgebung. Sie können ja Ihre nennen: Planung, Obrigkeit, Bürokratie. Gut, dann haben wir endlich den Unterschied zu Ihnen.
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Ich füge hinzu, daß wir uns bemühen müssen, damit Bund und Länder zusammenarbeiten.
Ich will noch eines sagen, ohne jede Aggression, nur als Feststellung: Wer sagt, der Arbeitsminister verhindere die Einigung oder halte sich nicht an Vereinbarungen, die getroffen sind, der verbreitet Falschmeldungen und dient nicht der Einigung.
Mein Appell, meine Damen und Herren - ich mache es in dieser Aktuellen Stunde kurz - richtet sich an die Ärzte. Ich begrüße ausdrücklich den Aufruf des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Dr. Muschallik, an seine Ärzte, an seine Mitglieder. Das ist ein Dokument staatsbürgerlicher Verantwortung.
Ich wili in Kurzfassung auch etwas zum Thema Zahnersatz sagen: Wir sind Weltmeister in Sachen Zahnersatz und Schlußlicht in Sachen Zahnprophylaxe. Da, meine ich, hätten wir etwas nachzuholen,
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um der Gesundheit willen und um der Kostendämpfung willen. Je früher die Zähne gepflegt werden, desto später brauchen die Menschen Zahnprothesen.
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Das ist ganz einfach.
Wir brauchen Kostentransparenz. Der Datenschutz kann ja nicht so weit gehen, daß man keine Preise mehr angeben darf und keine Lieferscheine mehr gezeigt werden können. Es ist geradezu ein aufklärerisches Moment, daß der Patient selber weiß, was für ihn abgerechnet wird.
Zur Selbstbeteiligung will ich nur folgendes sagen. Die ganze Krankenversicherung basiert auf Selbstbeteiligung, nämlich auf der Selbst- und Alleinbeteiligung der Beitragszahler.
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Dies in aller Kürze. Wenn dieses Wort einen weitergehenden Sinn haben soll, dann nicht den, daß die Einnahmen verbessert werden sollen, sondern nur den, daß Verhalten im Sinne der Gesundheitsvorsorge und der Kostendämpfung gesteuert wird. Ich halte noch einmal fest: Nicht alles, was teuer ist, ist deshalb gesundheitspolitisch gut.
Lassen Sie es mich kurz machen. Wir haben in der Gesundheitspolitik in den letzten Jahren eine Berg- und Talfahrt gehabt. Ich finde, es langt nicht, auf den kochenden Topf nur einen Deckel draufzusetzen; das ist die Kostendämpfungspolitik, zu der auch ich mich bekenne. Also nicht nur einen Deckel drauf, damit der Topf nicht überkocht. Noch wichtiger ist, den heißen Ofen abzustellen; denn da nützt der schönste Deckel nichts, wenn der Ofen heiß bleibt. Deshalb: Wir brauchen eine neue Strukturpolitik. Unser erster Beitrag dazu ist die Krankenhausneuordnung.
Ich bedanke mich für Ihre Mitarbeit.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einer Agenturmeldung entnehme ich, daß Herr Geißler als Bundesminister für Gesundheit am heutigen Tag gesagt haben soll, er fordere von den Krankenkassen eine verstärkte Mitwirkung bei der Festlegung von Pflegesätzen und in der Krankenhausplanung.
({0})
Ich hoffe sehr, der Journalist hat sich geirrt. Für sie hat er es gefordert. Wenn er es anders gesagt haben sollte, so hoffe ich, Sie geben ihm Nachhilfeunterricht.
({1})
Ich bin Ihnen, Herr Blüm, sehr dankbar dafür, daß Sie Ihre Verantwortung für die Einführung der Konzertierten Aktion als Instrument hier noch einmal deutlich herausgehoben haben, daß das also auf Ihr Konto geht. Dann dürfen Sie sich allerdings auch nicht wundern, wenn wir von Ihnen, die Sie dieses Instrument eingeführt haben, auf diesem Sektor etwas mehr erwarten. Deswegen führen wir diese Aktuelle Stunde heute durch, bevor die Konzertierte Aktion erneut zusammentritt.
Bezeichnend finde ich, daß Sie zum Thema Pharma-Geschehen kein einziges Wort verloren haben, Herr Minister.
({2})
Deswegen will ich mich ein wenig dem PharmaGeschehen zuwenden. Bei rund 17 % der Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, die hierauf entfallen, scheint es mir wichtig zu sein, auf diesen Aspekt, insbesondere auf die Zuwachsraten dort,
({3})
die sich aus einer Preiskomponente und einer sogenannten Strukturkomponente ergeben, hinzuweisen. Ich muß mich fragen: Welche Unterstützung hat eigentlich die Bundesregierung jenen Kassen gegeben, die in ihrem eigenen Bereich ein wenig dafür sorgen wollten, daß Preiswettbewerb durch Re- oder Parallelimporte zustande kommt? Welchen Beitrag haben Sie dazu geleistet?
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Ich will es mir wegen der Kürze der Zeit versagen, hier Beispiele über die unterschiedliche Preisgestaltung von in Deutschland hergestellten Produkten im In- und Ausland zu nennen,
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wo der Unterschied in der Spitze 900 % ausmacht. - Sie werden mir meine Redezeit hier nicht stehlen, meine Damen und meine Herren.
Die Preiskomponente und die Strukturkomponente haben schließlich dazu geführt, daß in der Frühjahrssitzung der Konzertierten Aktion die pharmazeutische Industrie ziemlich im Regen stand und sich die Konzertierte Aktion nicht in der Lage sah, eine Empfehlung auszusprechen, aber der dringende Wunsch, daß auf dem Verhandlungsweg etwas geschieht, mit auf den Weg gegeben wurde.
Ihre starken Worte, Herr Blüm, sind mir noch im Ohr. Ich warte begierig darauf, zu hören, was Sie jetzt bei der Herbstsitzung jenen Herren sagen werden, die durch ihr Verhalten eine Einigung auf dem Verhandlungsweg nicht möglich gemacht haben.
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Wir Sozialdemokraten haben unseren Beitrag geleistet,
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diese Verhandlungen zu begleiten. Wir haben in der Fachöffentlichkeit einen Diskussionsentwurf in Umlauf gebracht.
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Sie können einen viel besseren formulieren, wenn Sie mögen. Aber das trauen Sie sich offensichtlich nicht zu. Wir haben den Entwurf mit Absicht nicht hier ins Plenum gebracht, sondern als Diskussionsentwurf in die Öffentlichkeit. Aber jetzt wird deutlich, daß es mit Appellen, mit Seelenmassage, Herr Blüm, nicht getan ist. Jetzt muß gesetzgeberisch gehandelt werden. Wir werden nunmehr unseren Entwurf in das Plenum des Deutschen Bundestages einführen.
Es ist bezeichnend, was die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung zum Scheitern der Verhandlungen ausgeführt haben. Für die Vertreter der Krankenkassen ist nur eine Lösung zustimmungsfähig, die alle Verursachungsfaktoren des Kostenanstiegs im Arzneimittelbereich einschließt. Das sind sowohl die Preisentwicklung als auch die Entwicklung der sogenannten Strukturkomponente.
Mit der Strukturkomponente sind die wachsenden Marktanteile verteuerter Arzneimittel - z. B.
durch veränderte Packungen - gemeint, die allein im Jahre 1983 Mehrkosten von über 1 Milliarde DM für die Krankenkassen verursachten. Dagegen machten die reinen Preissteigerungen weit weniger aus. Das ist ein wörtliches Zitat aus der Stellungnahme der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen. Das erklärt auch, warum der Bundesminister für Arbeit zu dem Pharmabereich in dieser Debatte keinen einzigen Ton gesagt hat.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde die Vorwürfe der SPD, die wir heute hören, sehr merkwürdig. Ich habe den Eindruck, die SPD hat vergessen, daß sie vor zwei Jahren in dem Bereich, der hier in Frage steht, noch Veranwortung getragen hat
({0})
- ich komme darauf, keine Angst! - und daß sie auch für die Strukturen Verantwortung trägt, die uns hier Schwierigkeiten machen.
({1})
All das, was uns helfen könnte, hat die SPD in der sozialliberalen Koalition abgeblockt und diffamiert sie noch heute.
({2})
Ich will dazu auch Beispiele bringen. Keine
Angst, ich treffe Sie schon.
Sie haben heute wieder über die Selbstbeteiligung gesprochen und diese diffamiert.
({3})
- Das zeigt Ihre Unsicherheit. Hören Sie doch erst einmal zu! - Jedes Versicherungsprinzip, meine Damen und Herren, trägt den Keim der Kostenexplosion in sich - ganz gleich, wo dieses Versicherungsprinzip herrscht -, weil jeder, der nicht in den Versicherungsfall kommt, natürlich gern möglichst viel von dem wieder herausholen will, was er eingezahlt hat.
Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen, die nicht zum Bereich der Sozialversicherung gehören. Damit will ich deutlich machen, daß es hier einen prinzipiellen Fehler gibt.
({4})
- Sie können nicht einmal zuhören. Hier geht es um einen prinzipiellen Fehler in einem Versicherungssystem. Um zu zeigen, wie das aussieht, will ich zwei Beispiele nennen.
Wir haben z. B. die Rechtsschutzversicherung. Dort gibt es eine Kostenexplosion, weil natürlich jeder nach einiger Zeit, wenn er genügend eingezahlt hat, irgendwann klagen will, damit er die Kosten wieder herausholt. Auf der anderen Seite haben wir ein Versicherungsprinzip, das hervorragend funktioniert, weil zwei Prinzipien verwirklicht worden sind, nämlich das der Selbstbeteiligung und das der Schadensfreiheitsrabatte in der Kfz-Versicherung. Auch da gab es vor kurzem einige Probleme. Die Versicherer haben darauf reagiert, indem sie Bagatellunfälle herausgenommen haben. Siehe da: Die Kosten sind wieder stabil.
Ich möchte hier nochmals betonen: Wir haben überhaupt keine Chance, die Kosten in den Griff zu bekommen, wenn wir das Versicherungsprinzip so bestehenlassen, wie es vorhanden ist. Dies ist einer der Hauptfehler. Wenn wir hier nichts ändern, haben wir keine Chance, die Kosten zu senken.
({5})
Der zweite Punkt betrifft die Mischfinanzierung. Auch diese wurde hier angegriffen. Meine Kollegen von der SPD, heute ist es doch so: Wenn beispielsweise die Kapazität in einem Krankenhauslabor ausgeweitet werden muß, wird das Krankenhaus keine Personen einstellen, weil diese Kosten in den Pflegesatz eingehen. Es wird versuchen, möglichst viel Geld in Geräte zu stecken, ob das nun rentabel ist oder nicht. Auch das führt dazu, daß nicht unter Kostengesichtspunkten gerechnet und gehandelt wird. Auch deswegen ist es notwendig, daß diese Zwei-Topf-Abrechnung abgeschafft wird.
Meine Damen und Herren, ich stelle hier fest: Die Rezepte der SPD - der Dirigismus - haben versagt. Wir müssen zu neuen Rezepten kommen, wenn wir die Kosten dämpfen wollen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD fordert in einer Aktuellen Stunde unseren Beitrag zu einem völlig falschen Thema.
({0})
Es gibt keine Kostenexplosion, sondern eine Kostensteigerung im Gesundheitswesen. Das ist ein großer Unterschied.
({1})
Es mag ja sein, daß Sie schon bei offenem Fenster schlafen und auf einen Knall warten. Ich kann Ihnen aber versichern: Diese Regierung und die Koalition haben das ganze System in der Hand. Die Leute können diesbezüglich beruhigt schlafen.
({2})
- Regen Sie sich doch nicht gleich so auf. Sie waren 13 Jahre an der Regierung beteiligt. Ich habe gehört, wie der Kollege Kirschner den Minister beschimpft hat. Deshalb will ich Ihnen Ihre Ergebnisse vor Augen halten. Vielleicht; haben Sie das schon wieder vergessen.
Wir hatten von 1970 bis 1975 - ich mache es ganz langsam zum Mitschreiben - eine durchschnittliche jährliche Kostensteigerung von 17,9 %.
({3})
Die Grundlohnsumme stieg in demselben Zeitraum um 10,9 %. Es haben also alle einen kräftigen Schluck aus der Pulle genommen. Sie haben alles nach oben treiben lassen.
Heute können wir auf das Jahr 1983 zurückblikken. Diese Zahlen will ich Ihnen auch einmal nennen. Die Kostensteigerung betrug 3,5 %, und die Steigerung der Grundlohnsumme machte 3,8 % aus. Die Grundlohnsumme ist also stärker gestiegen als die Kosten.
Ich will für meine Fraktion als Dankeschön an die Selbstverwaltung weitergeben für das, was sie richtig gemacht hat. Sie hat nämlich die Beiträge gesenkt. Über 4 Milliarden DM sind in die Taschen der Versicherten zurückgeflossen bzw. die Lohnnebenkosten sind entsprechend gesenkt worden. Das hat mit zu einer wirtschaftlichen Belebung in diesem Staat beigetragen. So betreiben wir in diesem Lande Sozialpolitik.
({4})
Ich will Ihnen einen weiteren Punkt sagen. Wir nehmen diese Entwicklung nicht auf die leichte Schulter. Sie sollten aber fairerweise auch die Zahlen für das erste Halbjahr 1984 in der Öffentlichkeit darstellen. Die Zahlen für das zweite Halbjahr 1984 können ja noch nicht vorliegen, weil diese Zeit noch nicht vorüber ist.
({5})
Ich glaube, Herr Kollege, wir sollten fair miteinander umgehen. Wir sollten uns an einen Tisch setzen und einmal die Ursachen für die Steigerungen analysieren. Daran sollten wir die entsprechenden Überlegungen knüpfen.
({6})
Selbst wenn sich die vorgelegten Zahlen für das Jahr 1984 bestätigen sollten, träte in diesem Bereich folgendes ein. Wenn die von den Krankenkassen genannte Deckungslücke in Höhe von 4 Milliarden DM durch Beitragserhöhungen gefüllt würde, wären wir genau auf dem Stand von 1982. Da können Sie nicht von einer Kostenexplosion auf diesem Gebiet sprechen.
({7})
- Selbstverständlich. Sie tut auch weh; das will ich ganz deutlich sagen. Nur: Von einer Kostenexplosion, meine Damen und Herren, können Sie nicht reden.
Ich glaube aber, daß wir als Politiker auch nicht den Blick in die weitere Ferne verlieren dürfen. Wir dürfen das Problem der Kostendämpfung nicht nur unter dem Gesichtspunkt sehen; weil es überschäumt, macht man den Deckel drauf. Vielmehr brauchen wir Instrumente, mit denen man diese Probleme dauerhaft besser lösen kann. Ich sage Ihnen: Die Pflege von Karies und dann die Vergoldung ist viel zu teuer. Wir sollten beispielsweise auch auf diesem Gebiet Prophylaxe treiben. Damit dienen wir der Menschheit, und zwar nicht nur im Blick auf das gesundheitliche Wohlbefinden, sondern wir schonen damit auch das Portemonnaie. Ich glaube, daß gerade dieser Minister gezeigt hat, daß er bereit ist, diese grundsätzlichen Fragen mit aufzugreifen. Sie haben die Möglichkeit gehabt.
({8})
Ich denke an das Kostendämpfungsgesetz aus dem Jahr 1977. Darin sind Instrumente enthalten. Ich frage Sie einmal, Herr Egert - Sie gehörten doch der Regierung an -: Warum haben Sie diese Instrumente nicht angewandt?
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Manche Debatten sind heute mit Sprüchen begonnen worden. Ich bin fast versucht zu sagen - frei nach Marx -: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Hier haben einige geredet, die mit der Krankenversicherung nichts zu tun haben. Das geht über ihr Bewußtsein und Sein hinaus. Sie haben noch nicht begriffen, daß die Solidarversicherung Sachleistungen zu erbringen hat.
({0})
Vielleicht gibt es da einmal Nachhilfeunterricht.
Herr Minister, ich muß sagen, ich bin jedesmal über Ihre Rhetorik richtig neidisch.
({1})
Nur, mit Eiapopeia ist in Fragen der Kostendämpfung wirklich nichts zu regeln.
({2})
Sie haben ja einiges zu Krankenhaussachen gebracht. Aber im übrigen haben mich Ihre Ausführungen darin bestärkt, daß Sie bemerkenswert hilflos sind, wenn es um Fragen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen geht.
({3})
Ich möchte unterstellen, daß das ein bißchen fahrlässig ist. Aber an sich wäre hier politische Gestaltung notwendig. Ich hoffe, daß sich das nicht auf Vorsatz und auf Ideologie begründen läßt; denn das wäre schlimm.
Allerdings spricht einiges für diese Vermutung. Man hört nämlich in den letzten Wochen allerlei darüber, was in Ihrem Hause so vorbereitet wird. Zunächst einmal hört man aus Kreisen der Krankenkassen, daß Sie ganz massiv Druck ausüben - oder ausüben lassen -: Die Kostenentwicklung dürfe nicht dadurch aufgefangen werden, daß die Krankenkassen ihre Beiträge in verantwortungsvoller Weise zum 1. Januar 1985 erhöhten. Vielmehr
wird versucht, das irgendwie bis zum 1. Juli hinauszuschieben. Sie wissen doch, Herr Bundesarbeitsminister, daß viele Krankenkassen das gar nicht können. Dann ist nämlich die Liquidität gefährdet.
Im übrigen: Wenn jetzt 0,5% notwendig wären, dann wäre das am 1. Juli 11)/0. Dazu braucht man ja nicht viel rechnen zu können. Ich meine, das ist schon ein sehr seltsames Gebaren. Wir fordern Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister - darüber habe ich heute nämlich nichts gehört -, anstatt der Selbstverwaltung ins Handwerk zu pfuschen oder zu fuhrwerken einmal einige vernünftige Vorschläge zur Kostendämpfungspolitik zu machen. Geben Sie der Selbstverwaltung Instrumente, die sie braucht, um mit der Kostenentwicklung fertigzuwerden.
Es ist j a nicht so, daß wir nicht gute Ansätze hatten. Wir wollten ja darüber hinausgehen. Das ist gebremst worden von Ihrer Seite des Hauses.
({4})
Uns sind die gesetzlichen Instrumente abgelehnt worden, als wir in der Regierungsverantwortung waren.
({5})
Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitsministers, die Selbstverwaltung zu belehren. Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, die Selbstverwaltung wirklich in die Lage zu versetzen, erfolgreich tätig zu werden.
({6})
Es wäre auch interessant, einmal zu untersuchen, warum der Bundesarbeitsminister die Krankenkassen so unter Druck setzt, notwendige Maßnahmen aufzuschieben. Es könnte ja sein, daß da etwas in Vorbereitung ist, was sich mit Beitragserhöhungen überhaupt nicht verträgt.
({7})
In diesem Zusammenhang, Herr Bundesarbeitsminister, möchte ich einige Fragen stellen. Ich bitte Sie, uns diese Fragen zu beantworten. Sie haben zwar etwas zur Selbstbeteiligung gesagt, aber wie ist es mit der Selbstbeteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten? Wenn ich an das denke, was Herr Eimer soeben gesagt hat, bin ich sehr skeptisch. Planen Sie eine Ausweitung oder Umgestaltung? Wollen Sie die Versicherten zur Ader lassen? Stört Sie deshalb die Beitragserhöhung der Krankenversicherungen? Ich bitte hier um Antwort.
Übrigens, was heißt hier „Selbstbeteiligung"? Ich freue mich, daß auch Sie, Herr Minister, gesagt haben: Die Beitragszahler zahlen mit ihren Beiträgen ohnehin alles selber. Das möchte ich noch einmal unterstreichen.
({8})
Wir bitten, daß hier aufgehört wird, mit der Belastung der kleinen Leute fortzufahren, während die
Leistungserbringer im Gesundheitswesen wie Zahnärzte, Ärzte und Pharma-Industrie weitgehend ungeschoren bleiben.
({9})
Im übrigen darf ich bitten, sich heute aus der Zeitung zu Gemüte zu führen, daß nicht die Patienten die Schuld an der Entwicklung tragen - sehr schön, Herr George, Sie hören mal zu -, sondern daß es ganz allein darum geht, daß die Ärzte ihre Leistungen ausgeweitet haben
({10})
und immer weniger Patienten immer mehr Ärzte ernähren müssen - sehr interessant.
Also, was ist dran an den hinter vorgehaltener Hand verbreiteten Gerüchten, daß man an verschiedenen Modellen, an verschiedenen Varianten der Selbstbeteiligung arbeite?
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wir fordern Sie auf, das zu dementieren. Die Bürger und Bügerinnen in unserem Land haben ein Recht darauf, reinen Wein eingeschenkt zu bekommen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Keller.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir schon über Kostenentwicklung im Gesundheitswesen diskutieren, halte ich, ebenso wie der Kollege Jagoda, den Begriff Kostensteigerungen für zutreffender als den der Kostenexplosion.
({0})
Ich will gleich auf die frühere Zeit etwas näher eingehen.
Die beiden Kollegen Kirschner und Jaunich haben besonders den Arzneimittelbereich behandelt, der derzeit auch im Mittelpunkt der Diskussion steht. Dabei ist es wichtig und interessant, zu wissen, wie sich diese Steigerungsraten in den letzten Jahren entwickelt haben. Das belegt nämlich, wann die wirkliche Explosion in diesem Bereich stattgefunden hat,
({1})
nämlich während Ihrer Regierungszeit, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD. Im Zeitraum von 1970 bis 1975 sind die Ausgaben im Arzneimittelbereich jährlich um 14 % gestiegen.
({2})
Hier kann man berechtigterweise von einer Kostenexplosion sprechen. Diese Entwicklung hat natürlich auch dazu beigetragen, daß die Beitragssätze in die Höhe gingen.
({3})
Davon heben sich die Steigerungsraten der letzten Jahre in diesem Bereich deutlich im positiven Sinne ab. Im Jahre 1982 lag die Steigerungsrate mit 0,7 % sogar deutlich unter der Grundlohnentwicklung mit 5%. Im ersten Halbjahr 1984 betrug die Steigerungsrate zwar 6,3%; ich weise aber darauf hin, daß damit die Arzneimittelausgaben am geringsten von allen Ausgabenbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung gestiegen sind. Diese Zahl kann sich in diesem Jahr noch nach unten verändern, so daß für das gesamte Jahr 1984 eventuell eine geringere Steigerungsrate erwartet werden kann. Der Anteil des Arzneimittelbereichs ist im ersten Halbjahr 1984 mit 14,9% gegenüber 15,1% im Vorjahr sogar noch geringfügig zurückgegangen.
Vor diesem Hintergrund muß auch das Scheitern der Verhandlungen der Krankenkassen und der Pharma-Industrie gesehen werden, was wir natürlich bedauern.
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Uns bedrückt dies, weil wir einer Lösung der Kostendämpfungsproblematik auf Selbstverwaltungsebene schon immer den Vorzug vor rein dirigistischen Maßnahmen gegeben haben. Daher appelliere ich noch einmal an die Vertragspartner, aufeinander zuzugehen, um in diesem Bereich eine selbstverwaltungskonforme Lösung zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei allen Angriffen auf die Pharma-Industrie möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf einen Aspekt deutlich hinweisen: An der Ausgabenentwicklung ist die Pharma-Industrie zwar mit der Preiskomponente beteiligt, für die Ausgabenentwicklung insgesamt sind jedoch auch andere mitverantwortlich.
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Die Strukturkomponente kann von der PharmaIndustrie allein nicht verantwortet werden. Hier muß man auch an andere Beteiligte appellieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei allen Problemen, die es heute im Gesundheitswesen gibt, scheint mir ein Punkt ebenso wichtig zu sein, nämlich eine gezielte Bewußtseinsbildung. Jeder einzelne muß sich für seine Gesundheit zunächst selbst verantwortlich fühlen und durch seine Lebensweise und sein Verhalten dazu beitragen, die Kosten zu senken.
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Körperliche und seelische Gesundheit kann man nicht allein durch den Arzt und viele Arzneimittel erhalten, sondern dafür muß jeder selbst seinen Beitrag leisten. Wenn es unserer Gesundheitspolitik gelingt, stärker die Ursachen zu bekämpfen - z. B. im Zahnbereich oder bei Herz-Kreislauf-Beschwerden - als die Symptome zu kurieren, werden wir damit einen wesentlichen Beitrag zur Kostendämpfung leisten. Eines ist sicher: Panikmache,
wie sie teilweise inszeniert wird, hilft uns absolut nicht weiter.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben alle mit großem Interesse dem Arbeitsminister gelauscht.
({0})
Aber da war wieder einmal ein volltönendes sozialpolitisches Nichts. Da war ein Appell, sonst nichts, ein Appell an alle Gutwilligen.
({1})
Die, die böswillig sind, treiben die Preise hoch.
({2})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Blüm. Ein Arbeitsminister, der die Kosten im Gesundheitswesen senken will, der muß sich unbeliebt machen, der kann nicht everybody's darling sein. Der muß den Kampf mit den Ärzten und anderen Anbietern bei den Gesundheitsleistungen aufnehmen.
({3})
Sie sollten sich bei Herrn Ehrenberg informieren.
({4})
Ich kann mich noch lebhaft erinnern, als in den Wartezimmern gelbe Zettel gegen Ehrenberg verteilt wurden, weil der Sozialismus ausbrach, nur weil der Arbeitsminister meinte, daß die Ärztehonorare nicht stärker steigen dürften als die Einkommen der Normalversicherten. Der Sozialismus ist leider nicht ausgebrochen, aber die Honorare sind gestiegen. Zu Ehrenbergs Zeiten gab es Jahre, wo in der Tat eine Kostenbremse hineingehauen wurde. Dabei hat sich der Arbeitsminister unbeliebt gemacht. Aber er hat Erfolg gehabt.
Vom jetzigen Arbeitsminister - er ist zur Zeit grippegeschwächt, höre ich; ich wünsche ihm alles Gute, wünsch ihm auch, daß ihm der volltönende Klang seiner Stimme erhalten bleibt - erwarte ich, daß er ein paar Argumente bringt, daß er Politik betreibt und nicht nur herumläuft und biedere Gesänge an das Volk hält.
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Wir müssen etwas tun, um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen.
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Tun wir es nicht, geht die Gesundheitspolitik vor die Hunde. Das kann niemand in diesem unserem Hause wollen, nicht einmal dieser Minister.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Potthast, ich würde gern mit der griechischen Mythologie weitermachen. Laokoons letzte Worte sollen gewesen sein: Ich fürchte die Griechen, selbst wenn sie Geschenke bringen.
({0})
Ein bißchen geht das in Ihre Richtung. Wissen Sie, wenn wir heute Meßmethoden haben, die bis zu Nanogramm gehen - das ist ungefähr so, als ob ich fünf Liter in den Bodensee schütte und diese in einer späteren Messung wieder feststelle -, dann kann ich jetzt nicht erklären: Wir stellen plötzlich Vergiftungen fest, die es früher nicht gab.
({1})
Weswegen sind früher - das müssen Sie uns irgendwann einmal erklären - die Leute viel früher gestorben? Die sind nie so alt geworden wie heute. Das durchschnittliche Lebensalter für Frauen beträgt heute 77 Jahre, für Männer 70 Jahre. Und das nur, weil wir in einer so katastrophal vergifteten Welt leben? Überlegen Sie sich einmal bei Gelegenheit, wo hier bei Ihnen der Systemfehler liegt.
Herr Kollege Kirschner und Frau Kollegin Steinhauer, wenn es so wäre, daß Sie 1970 weggegangen und jetzt wiedergekommen sind, dann könnten Sie sagen: Was dazwischen geschehen ist, ist fürchterlich. Zu den Zahlen - 1981 92,2 Milliarden DM, 1983 95,7 Milliarden DM - hätten Sie gesagt: Da ist viel zu wenig geschehen; bei einer Bewegung von 3 Milliarden DM in einem Jahr steckt keine Reform dahinter. Schaue ich aber an, was Sie von 1970 an bewegt haben, muß ich sagen: Da sind Sie mit den Milliarden sehr großzügig umgegangen.
({2})
Ein zweites, Frau Kollegin Steinhauer. Krankenversicherungsbeitrag 1970 8,2 %, jetzt 11,5 bis 12 %; ganz abgesehen von der Beitragserhöhung, die wir in dieser Zeit gehabt haben, haben wir ja auch in der Beitragsbemessungsgrenze noch einmal zugelangt.
({3})
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders Kollege Egert, mal gut zuhören! Das Problem der Krankenversicherung liegt im Systemfehler.
({4})
- Ach, Frau Kollegin Steinhauer, es nützt ja nichts, wenn Sie da losbrüllen. Der Systemfehler wird doch damit nicht korrigiert!
({5})
Der Systemfehler der Krankenversicherung liegt darin, daß derjenige, der sich vernünftig verhält, nicht belohnt wird
({6})
und daß derjenige, der mitnimmt, nicht bestraft wird.
({7})
Was hat es denn für einen Wert, wenn derjenige, der nie zum Zahnarzt gegangen ist und keine Prophylaxe hat machen lassen, den gleichen Zahnarzt wie derjenige bekommt, der jährlich beim Zahnarzt war, seine Zähne pflegen ließ, aber sie durch Krankheit verliert. Und was nützt es, wenn wir ein Gebiß für 20 000 DM hineinklempnern, dieses aber anschließend nicht gepflegt wird und nach drei Jahren kaputt ist und man dann kommt und sagt, die Solidargemeinschaft solle das bezahlen.
Schauen Sie, da gibt es den schönen Vergleich mit der Vor-Restaurant-Rechnungs-Gesellschaft.
({8})
- Frau Kollegin Steinhauer, es nützt doch nichts. Ich weiß: Sie wollen die Wahrheit nicht hören. Das ist das Schlimme.
({9})
Bei diesem System der Vor-Restaurant-RechnungsGesellschaft passiert folgendes. Eine Gruppe macht vor dem Restaurant aus, daß alles gemeinsam bezahlt wird, was drinnen gegessen und getrunken wird. Und dann sollen Sie einmal sehen, was die Kameraden da drin schlucken und essen, weil sie nämlich feststellen, daß das Sparen keinen Wert hat.
Und wenn Sie eine Vor-Restaurant-RechnungsGesellschaft
({10})
mit 50 Millionen machen, dann ist die Einwirkungsmöglichkeit des einzelnen, da drin mit Eigenleistung etwas zu bringen, so gering, daß eben dieser Mitnahmeeffekt kommt.
({11})
Und nun kommen Sie mit diesem Artikel des „Handelsblatts". Wie ist das denn mit dem Patienten, wenn er dort ist?
({12})
Der nimmt doch mit, was er kriegt. Wohlbefinden für seine Person ist ihm so angenehm.
({13})
- Schauen Sie, ich habe mal gelernt: Wer so schreit, hat irgendwie unrecht.
Darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Egert: Hätten Sie die Chance doch in Ihrer Zeit genutzt, das mal in eine Richtung zu bringen,
({14})
daß echte Eigenverantwortung honoriert worden wäre! Dann wären wir heute wesentlich weiter.
({15})
Aber was Sie getan haben, war der Versuch, den Planungsstaat hinzukriegen.
({16})
Planung auf der ganzen Linie, das ist das System, das Sie unter Krankenversicherung verstehen.
({17})
Ich finde es interessant, daß Sie eine Meinung, die nicht mit Ihrer konform ist, überhaupt nicht mehr anhören wollen.
Ihr System war das sozialistische System. Das ist Gott sei Dank nicht gelungen. Hier darf ich dem Kollegen Eimer recht geben. Sie haben es nicht durchgesetzt, weil wir es verhindert haben.
Jetzt müssen wir eben die neuen Wege gehen, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Meine Damen und Herren, in der Aktuellen Stunde hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung länger als zehn Minuten gesprochen. Die Fraktion der SPD hat nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung verlangt, daß über diese Ausführungen die Aussprache eröffnet wird.
Ich schließe deshalb die Aktuelle Stunde und eröffne die Aussprache. Mir ist eine Vereinbarung mitgeteilt worden, der ich zustimme, daß wir eine Runde mit je einem Redner der Fraktionen mit einer Redezeit bis zu zehn Minuten machen.
Das Wort hat als erster der Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, meine Mutter, die eine kluge Frau war, hat mir gutes Benehmen beigebracht. Deswegen zu Beginn dieser Aussprache über das, was Sie hier geboten haben, herzliche Genesungswünsche, daß Sie Ihre Grippe auskurieren. Ich glaube, Sie müssen wieder voll handlungsfähig werden, damit angesichts des Themas, das wir hier eine Stunde lang behandelt haben, nicht nur Worte, sondern auch Taten erwartet werden können. Deswegen herzliche Genesungswünsche!
({0})
Wissen Sie: Wenn Worte sich in klingende Münze verwandeln würden, hätten Sie einen Beitrag zur Sanierung der Krankenversicherung geleistet. Viele Worte waren es, wenige konkrete Taten.
Da bin ich schon bei einem Punkt, Herr Minister: Sie waren hier nicht als Kommentator gefragt. Es ging nicht darum, daß Sie uns beschreiben, was wir gemeinsam so sehen, sondern Sie waren als der verantwortliche Ressortminister gefragt, als derjenige, der uns am Vorabend oder wenige Tage vor der konzertierten Aktion sagen sollte, was er zu tun gedenkt, nicht, was er als Beschreibung einer traurigen Lage uns hier anbieten will. Dies reicht nicht aus, Herr Minister.
({1})
Deswegen will ich Ihre Bilanz hier mal ein bißchen vertiefen. Den ersten Punkt nenne ich, damit Sie hier keine Legenden festmachen. Sie haben gesagt: Erblast. Zwei Jahre nach Regierungsübernahme fängt so ein Argument an, sich zu verbrauchen;
({2})
aber ich will das hier gar nicht wegnehmen. Ich will nur sagen: An dem Punkt, den wir hier heute diskutieren, begehen Sie insofern Erbschleicherei - ich will das begründen -, als die Kostendämpfungsbemühungen der vorhergehenden Bundesregierung dazu geführt haben, daß die Beiträge in den Jahren 1982 und 1983 stabil geblieben sind.
({3})
Sie sind, seitdem Sie in der Konzertierten Aktion versuchen, mit Worten zu werben, und nicht auf Taten drängen,
({4})
in die Höhe gegangen. Ob Sie dies nun Explosion oder dramatische Steigerung nennen, ist mir dabei völlig „wurscht", „piepe", würde man in Berlin sagen.
({5})
Die Tatsache ist, daß Sie die Beitragsgroschen, die die Versicherten, die Arbeitnehmer mühselig er-streiken müssen, diesen über die erhöhten Beitragssätze aus den Taschen ziehen werden. Daß dies passiert, kann gar nicht mehr in Frage stehen. Das Bundesversicherungsamt, die Ihnen nachgeordnete Bundesoberbehörde, schätzt den Ausgabenüberhang bei den Krankenversicherungen auf 2 Milliarden DM.
({6})
Die Krankenkassen selber sagen: Es sind 4 Milliarden DM. All dies führt je nach Kassenart und Krankenkasse zu Beitragssatzerhöhungen von 0,5 bis 1,5 Beitragssatzpunkten, je nachdem, wann dort die Beiträge angehoben werden.
({7})
Dies führt zu Handlungsbedarf; da reicht es nicht aus, eine Geschichtsschreibung, wie immer Sie sie sehen mögen, vorzulegen, sondern da ist gefragt: Was wollen Sie jetzt tun?
({8})
Es genügt nicht darauf zu verweisen, was andere nicht getan haben.
({9})
Es ist Ihre Stunde, Herr Minister, und die haben Sie versäumt. Das war der erste Punkt.
Dann haben Sie, Herr Minister, zum Krankenhausbereich gesagt: Sie werben, daß da etwas passiert. Richtig, Herr Minister, mutig, Herr Minister! Zu Ihrem Regierungsentwurf haben wir hier in erster Lesung gesagt: viele richtige Elemente, ein zentraler politischer Fehler, Stichwort Mischfinanzierung. Aber die Frage, Herr Minister, ist: Werden Sie das durchsetzen können?
({10})
Was ich hier gehört habe, war die Vorbereitung Ihres rhetorischen Umfalls. Dies ist der Punkt, und deswegen tadeln wir Sie,
({11})
nicht weil Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, den wir in Teilen unterstützen können.
Zweiter Punkt: Stichwort Pharma, pharmazeutische Industrie. Die Vertragsverhandlungen sind gescheitert, Herr Minister. Was tun Sie, um diesen Sektor in den Griff zu kriegen, was wollen Sie tun?
({12})
- Ich sage Ihnen das gleich, Herr George, was wir tun würden. Erst mal ist der Minister gefragt.
Bei der einen Konzertierten Aktion haben Sie Appelle an die pharmazeutische Industrie gerichtet und haben denen ein halbes Jahr Zeit gegeben. Gut, haben wir gesagt, sie sollen ein halbes Jahr Zeit kriegen. Wir haben das öffentlich unterstützt, und das halbe Jahr ist verstrichen. Die nächste Konzertierte Aktion findet am 14. November statt. Was werden Sie da vorschlagen?
({13})
Wir haben einen Diskussionsentwurf darüber, wie wir meinen, daß man vertragliche Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie kriegen kann, die zur Kostendämpfung führen können, Herr Minister. Wir haben eine Milliarde Ausgabenüberhang, und da ist ein merkwürdiger Mensch - ich weiß seinen Namen nicht mehr - hier raufgegangen und hat gesagt: Die Pharmapreise sind doch bescheiden gestiegen. Die Frage ist, auf welchem Niveau sie gestiegen sind. Hier sind die Zahlen aus dem Jahre 1984: 3,6 % im Januar, 4,4 % im April, 4,3 %, und dies auf einem riesigen Milliardenniveau. Dies ist der volkswirtschaftliche Unfug.
({14})
Dann ist hier vom Kollegen Kolb gesagt worden: Es sind die bösen Versicherten, Patienten und Beitragszahler, die das alles mit ihrer ,,Anspruchsmentalität" nach oben treiben.
({15})
Nun weiß ich, daß jede Leistung, die im Gesundheitswesen erbracht wird, ein Arzt verordnet.
({16}) Er entscheidet über die sachgerechte Maßnahme. Da reden Sie hier von ,,Anspruchsmentalität", als wäre das ein Warenkorb, wo der Versicherte sagt: Spritzen Sie mich mal hier, geben Sie mir mal ein Pfund Arzneimittel!
({17})
- Sagen Sie mal, Herr Kolb: Wo sind wir denn? Sie denunzieren die Versicherten
({18})
und lenken von den Profiteuren im Gesundheitswesen ab.
Zu der Frage Krankenhaus haben wir was gesagt, zu der Frage Pharmaindustrie haben wir was gesagt.
({19})
- Herr Kolb, Sie möchten sicher zu dem Punkt noch was fragen. Bitte, Sie haben das Wort.
({20})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Herr Kollege Egert, ist Ihnen bekannt, daß die Patienten heute schon sehr häufig mit Forderungen kommen, was sie haben möchten?
Entschuldigung, warum haben wir einen qualifizierten Ausbildungsberuf, dessen erzieherische Aufgabe auch im Gesundheitswesen ge- fragt ist, Herr Kollege Kolb? Der wird doch so teuer bezahlt, damit er auch Verantwortung trägt und nicht nur Striche macht.
({0})
Ärzteeinkommen: Ich finde es gut, daß der Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der von mir sehr geschätzte Herr Muschallik, an seine Standeskollegen appelliert hat, mit dem Beitragspott der Krankenversicherung zögerlich umzugehen. Das finde ich gut: ich unterstütze das. Ich weiß auch, daß die Ärzte in der Vergangenheit einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen geleistet haben. Nur, die Frage ist doch: Angesichts sinkender Realeinkommen der Arbeitnehmer, angesichts von Beitragssatzerhöhungen in der Krankenversicherung frage ich mich, ob es denn so illegitim ist, daß diejenigen, die die Groschen aufbringen, damit andere ihre Honorare auf hohem Niveau kriegen, damit die Erwartung verbinden, daß es bitte schon mindestens einen Stillstand gibt. Ist diese Erwartung bei Einkommen zwischen 150 000 DM und 250 000 DM vor Steuern so ungewöhnlich? Wenn ich das durchschnittliche Einkommen eines Facharbeiters oder einer Facharbeiterin, die mit ihren Beitragsgroschen dieses System finanzieren, dagegenrechne, dann, meine ich, tritt ein grandioses Mißverhältnis zutage, angesichts dessen ich sa7108
gen muß: In diesem Punkt müssen wir verantwortlich handeln.
({1})
- Wir haben eingebrockt, daß die Honorare der Ärzte festgehalten wurden. Das haben wir tatsächlich im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens getan.
({2})
Herr Eimer, Ihr Beitrag war nun wirklich eine belustigende Vorstellung. Deswegen konnte ich mich kaum noch halten, Herr Präsident - es tut mir leid -, aber er hat mein Zwerchfell unmittelbar gekitzelt, indem er gesagt hat: Es lag an den bösen Sozialdemokraten, daß alles so gekommen ist.
({3})
Wenn ein Verdienst dieser Resteliberalen übrigbleibt, dann liegt es an dem Wirtschaftsminister der vorvergangenen Regierung und an seinem Nachfolger in dieser Regierung, daß offentsichtlich z. B. im Bereich der Pharmaindustrie kaum Bewegungsmöglichkeiten bestehen.
({4})
Wenn ich den interessanten Schriftverkehr zwischen dem Bundesverband der Pharmaindustrie und Herrn Bangemann lese - z. B. was kartellrechtliche Bedenken hinsichtlich vertraglicher Vereinbarungen von Krankenkassen und PharmaIndustrie angeht, die komischerweise immer dann kommen, wenn es um die Interessen der einfachen Leute geht -, dann, muß ich sagen, lasse ich mit mir über historische Verdienste, wer was zum Scheitern gebracht hat, Herr Eimer, nicht streiten.
({5})
Ihr von mir sehr geschätzter Kollege Schmidt ({6}), vor dessen politischer Arbeit in diesem Parlament ich Respekt habe, obwohl wir in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung waren, würde sich draußen in einen Kreisel verwandeln, wenn er Ihre komischen Ausführungen hier gehört hätte.
({7})
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Der Bundesarbeitsminister hat im Vorfeld der Sitzung der Konzertierten Aktion, hier einen gesundheitspolitischen Offenbarungseid abgelegt.
({8})
Er hat gesagt, er will nichts tun, er will reden; Taten will er nicht zeigen. Das heißt: die Interessen der Arbeitnehmer werden von ihm mit Füßen getreten. Dies ist die traurige Quintessenz aus dieser Debatte.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht gestatten Sie mir, daß ich ganz kurz etwas zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit sage, die ich schon seit Beginn der 50er Jahre ausübe. Ich bin der alternierende Vorstandsvorsitzende meiner Innungskrankenkasse im Landkreis Lörrach. Ich bin der Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg und des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen. Wenn Sie mich jetzt als einen Interessenvertreter abstempeln wollen, dann dürfen Sie das gerne, denn ich bin seit Jahren mit großem Interesse für eine gute, bezahlbare, leistungsfähige Gesundheitspolitik im Handwerk tätig.
Die Gesundheitspolitik ist ein wesentlicher Teil der Sozialpolitik. Ich bin der Meinung, man muß künftig nicht nur die Frage stellen: Was wird geleistet im Gesundheitswesen?, sondern wir müssen auch die Frage stellen: Wer bezahlt das alles?
({0})
Denn jener Personenkreis, der die Leistung empfängt und das letztendlich alles bezahlt, ist nämlich weitestgehend identisch. Ich will Ihnen das sogleich einmal an einem Beispiel verdeutlichen.
Lassen Sie mich vorher aber noch folgendes dazu sagen: Wir wollen und müssen zu einem Gesundheitswesen zurückkehren, in dem jeder einzelne ein großes Eigeninteresse an Sparsamkeit hat. Wenn wir uns die Kostenentwicklung der vergangenen Jahre anschauen - sie ist schon öfters genannt worden; ich will sie auch in bezug auf die gesetzliche Krankenversicherung nennen -, dann müssen wir ganz einfach feststellen: Der Sinn für Sparsamkeit muß bei der Kostenentwicklung der vergangenen Jahre abhanden gekommen sein.
Ich will z. B. sagen: Wer krankfeiert, handelt unsozial; er lebt auf dem Geldbeutel seines Arbeitskollegen
({1})
- Wer einen krankschreibt, der gesund ist, beteiligt sich an der Ausbeutung unseres Gesundheitswesens. Wenn pro Jahr Arzneimittel für 3 Milliarden DM in den Dreckeimer fliegen, die aus dem Geldbeutel der arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden, ist das ein unsozialer Zustand, aber, meine Damen und Herren von der Opposition, auch ein Mißstand, den Sie schon lange hätten beseitigen müssen. Das ist gar keine Frage.
({2})
Wenn heute die Opposition, wenn heute die SPD die Aktuelle Stunde zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen beantragt hat, dann muß man in der Tat sagen, die Zahlen der vergangenen Jahre, die ich gleich nennen werde, haben sich tatsächlich explosionsartig entwickelt. Aber warum haben Sie denn nicht schon längst die Zündschnur totgetreten? Warum haben Sie diese Explosion überhaupt erfolgen lassen?
Nun will ich zu den Zahlen zurückkommen. Ich sprach von der gesetzlichen Krankenversicherung.
Jung ({3})
Diese gesetzliche Krankenversicherung hat im Jahre 1960 noch ein Gesamtausgabenvolumen von 9 Milliarden DM gehabt. Dann kamen zehn Jahre, wo ziemlich viel Pionierarbeit auf dem Gebiet eines leistungsfähigen Gesundheitswesens, auch in der medizinischen Technologie, geleistet wurde. Zehn Jahre später im Jahre 1970 lagen diese Gesamtausgaben bei 23,8 Milliarden DM. Wieder zehn Jahre später im Jahre 1980 betrugen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung 85,7 Milliarden DM. Im Jahre 1983 haben wir die Hundert-Milliarden-Grenze überschritten. Dieses Geld wurde weitestgehend von den Beitragszahlern, der arbeitenden Bevölkerung, bezahlt. Deshalb sage ich noch einmal, es ist völlig unsozial, Geld mit vollen Händen auszugeben, das nicht vorhanden ist, und nachher dem Bürger, der arbeitenden Bevölkerung, in die Tasche zu greifen und dieses Geld wieder herauszuholen.
({4})
Es tut mir leid, aber an der Stelle muß ich dazu sagen: Die SPD kann nicht mit Geld umgehen. So ist es eben.
({5})
Ich muß auch sagen, ich habe zu Hause einen braven Hund. Der kann eher an einem Stück Wurst am Boden vorbeigehen, als daß die SPD die Finger vom Geld anderer Leute wegläßt.
({6})
Das zeigt sich auch im Gesundheitswesen.
Meine Damen und Herren, wir wollen einmal feststellen, wie sich denn der Höchstpreis für die soziale Sicherheit entwickelt hat. In der sozialen Sicherheit haben wir drei Säulen, nämlich die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Rentenversicherung.
({7})
Dafür betrug der monatliche Höchstbetrag im Jahre 1974 - das war vor zehn Jahren - noch 671 DM. Fünf Jahre später, im Jahre 1979, waren es bereits 1 176 DM. Im vergangenen Jahr betrug der Höchstbetrag 1 651 DM.
({8})
Jeder von uns sagt heute aus Überzeugung: So kann und darf es nicht weitergehen, es muß etwas dagegen getan werden. An der Stelle muß aber auch die Frage gestellt werden: Warum hat die SPD das nicht schon vor Jahren in Angriff genommen?
({9})
Warum haben Sie zugelassen, daß beispielsweise unser größter Kostenfaktor, nämlich die Ausgaben für die Krankenhäuser, von Jahr zu Jahr größere Steigerungsraten gehabt hat? Sie hätten doch schon längst sagen müssen: Dieses Selbstkostendekkungsprinzip der Krankenhäuser, das kann doch nicht funktionieren. Es gibt doch niemand, der für jemand anderen spart. Wenn jemand spart, spart er für sich selber. Man muß ein Eigeninteresse daran haben zu sparen. Genau dies wollen wir mit dem Gesetzentwurf tun, der nun von unserer Regierung vorgelegt wurde und den Sie eigentlich schon längst hätten vorlegen müssen.
Zur Mischfinanzierung. Sie hätten doch in den vergangenen Jahren auch erleben müssen, daß es nicht funktionieren kann, daß unten auf der kommunalen Ebene geplant wird. Da werden die Raumprogramme festgelegt. Da wird die technologische Ausstattung eines Krankenhauses festgelegt. Irgend jemand in der Landeshauptstadt und in der Bundeshauptstadt bezahlt nachher das Ganze. Wir müssen also auch hier wieder zurückkehren zum Subsidiaritätsprinzip, daß nämlich unten auf der Ebene entschieden wird, auf der letztlich auch der Bürger sitzt, der dies alles bezahlen muß.
({10})
Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Warum hat die Opposition in den vergangenen Jahren nicht auch einmal etwas unternommen, damit wir auch nur einigermaßen z. B. an die Verweildauer anderer, benachbarter europäischer Staaten herankommen? Wo ich herkomme, hatte man über Jahre ein Krankenhausabkommen mit der Schweiz. Dazu will ich Ihnen gleich sagen: Wir würden heute noch liebend gerne unsere Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung an die Baseler Krankenhäuser überweisen, aber nicht etwa deshalb, weil dort die Pflegesätze niedriger sind, sondern weil die Verweildauer um über ein Drittel geringer ist als bei uns und wir unter dem Strich erheblich billiger davonkommen.
({11})
Auf all diesen Gebieten ist bei uns in den vergangenen Jahren, als Sie an der Regierung waren, überhaupt nichts geschehen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. Ich bin der Meinung, ein Gesundheitswesen muß leistungsfähig sein, es muß modern sein, es muß unserer Bevölkerung die beste ärztliche und krankenhäusliche Versorgung bringen, aber das Ganze muß auch bezahlbar sein.
({12})
Bezahlbar wird es nur, wenn wir wieder zurückkehren zu der Tugend der Mitverantwortung, zu der Tugend der Eigenleistung und der Tugend der Sparsamkeit.
({13})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blüm, ich bin Ihnen diesmal richtig dankbar - und das passiert nicht sehr häufig; Sie sind ja hauptsächlich als Sparminister
bekanntgeworden -; denn dieser unvorhersehbare Überziehungskredit gibt mir zumindest Gelegenheit, auf einen zweiten Bereich einzugehen, zu dem ich vorhin in der Aktuellen Stunde nicht mehr kommen konnte, und zwar hauptsächlich auf Grund dieser Zeitknappheit bei Redezeitbegrenzung auf fünf Minuten.
Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen - man könnte jetzt auch besser sagen: im Krankheitswesen - läßt sich auf drei weitere Komplexe, und zwar innerhalb des Krankheitsbetriebes, zurückführen:
Erstens auf die skandalöse Steigerung der Arzt- und Zahnarzteinkommen und auf die Profite der Pharma- und Geräteindustrie.
Zweitens auf die Kostenverlagerungen. Sie sind als „Schiebebahnhöfe" inzwischen reichlich bekanntgeworden. Es handelt sich um Kostenverlagerungen in den letzten Jahren a) durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972, das insbesondere die Kosten von den öffentlichen Haushalten auf die Krankenkassen verlagerte, und b) durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze, wodurch die Verlagerung der Kosten von den Arbeitgebern auf die Krankenkassen erfolgte.
Drittens sind es die Struklturfehler des Gesundheitswesens. Die sind etwas tiefgehenderer Art, einer Art, die eine fehlgeleitete Mittelverwendung produziert. Beispielsweise wird durch die ärztliche Gebührenordnung die Pharma- und Apparatemedizin gegenüber den sozialen und psychosozialen Hilfen bevorzugt. Beispielsweise werden die großtechnischen Geräte in profitwirtschaftlicher Weise angeschafft und nicht in bedarfsorientierter Art und Weise. Damit werden Mittel verschwendet. Beispielsweise lassen sich nach Expertenmeinung jährlich gut 7 Milliarden DM - das ist eine enorme Summe - im Bereich des Pharmaverbrauchs einsparen. Das heißt, die Hälfte der verbrauchten Medikamente ist unnötig.
Wenn Sie die Situation der Patienten tatsächlich verbessern wollten, dann müßten Sie das grundsätzlicher anfangen. Wir gehen in erster Linie davon aus, daß eine spürbare Verbesserung auch der Betreuung der Patienten nur Hand in Hand mit der Verbesserung der beruflichen Situation der im Krankenhaus Beschäftigten einhergehen kann, wobei nicht allein der Personalschlüssel, sondern besonders die Neubestimmung des Aufgabenfeldes wichtig ist.
Als nächstes möchte ich einmal ein Beispiel anführen, wo so etwas praktiziert, aber leider durch bestimmte Leute dann verhindert wurde.
({0})
In der Internen Abteilung des Kreiskrankenhauses Tegernsee hatte von 1979 bis 1983 der damalige Chefarzt Dr. Bayerl Reformvorstellungen in die Praxis umzusetzen versucht. Vom Privathonorar der Ärzte wurde ein weiterer Arzt angestellt und ca. dreiwöchige Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr für die Ärzte eingeführt. Es wurden Team-Besprechungen mit dem Chefarzt einmal pro Woche auf jeder Station abgehalten, psychosomatische Medizin praktiziert und der Medikamentenverbrauch - jetzt hören Sie einmal zu! - von ca. 446 000 DM in 1978' auf 150 322 DM in 1979 und 122 996 DM in 1981 gesenkt. Eine große Koalition von niedergelassenen Ärzten, Pharmavertretern, CSU-Politikern und dem Landrat bewirkte 1983 die Kündigung von Herrn Dr. Bayerl.
({1})
Wir halten das für mehr als skandalös.
Unsere Vorstellungen basieren auf diesem Ansatz, gehen aber noch darüber hinaus. Wir plädieren deshalb für die Abschaffung des Chefarztsystems und die Einführung des Kollegialsystems.
({2})
Wir plädieren weiterhin für die Beteiligung der Beschäftigten an der Klinikkonferenz, für die Einführung der Gruppenpflege statt der üblichen Funktionspflege, für die Einbeziehung anderer Berufsgruppen in den Klinikalltag, wie beispielsweise Psychologen und Sozialpädagogen. Wir plädieren für die Ausrichtung des Klinikalltags an den Bedürfnissen der Patienten im Hinblick auf Weckzeiten und Raumgestaltung, und wir plädieren weiterhin für die Schaffung der Möglichkeit zum Einsatz verschiedener Therapiemethoden - psychosomatische Medizin, naturheilkundliche und homöopathische Verfahren usw. -, wie sie in anthroposophischen Einrichtungen nach dem Muster des Krankenhauses Herdecke beispielsweise schon lange Praxis sind.
({3})
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß Informationen zur Gesundheitsförderung über Selbsthilfegruppen bereitgestellt werden müßten. Mit anderen Worten: Eine grundsätzliche Neuorientierung in der Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens und natürlich auch der stationären Unterbringung sowie der Krankenhausbedarfsplanung ist erforderlich.
Herr Kolb, um Ihnen noch einmal Genugtuung zu geben - heute ist ja der große Tag der Sprichwörter -, konstatiere ich insbesondere in Richtung auf die Bemühungen der Bundesregierung: Ut desint vires, tarnen est laudanda voluntas. Mit anderen Worten: Mögen auch die Kräfte fehlen, so ist dennoch der Wille zu loben.
Die Bundesregierung reagiert derzeit auf die Kostenexplosion rein hilflos, weiß sie doch nichts anderes anzubieten als den Rückzug des Bundes aus der Krankenhausfinanzierung, wie der Gesetzentwurf zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung bestätigt. Ich fordere Sie hiermit auf, die Vernebelungsstrategie, mit der Sie die tatsächlichen Kostentreiber decken, aufzugeben und endlich der Großgeräteindustrie und der pharmazeutisch-chemischen Industrie die Möglichkeiten zu nehmen, mit ihrem Profitinteresse die Kosten unendlich in die Höhe zu treiben.
Ich bedanke mich.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Aktuelle Stunde, die die Sozialdemokraten beantragt haben, für diese ein Schuß in den Ofen war, hat, glaube ich, die Wortmeldung von Herrn Egert besonders deutlich gemacht.
({0})
- Herr Egert, bei Ihnen kam j a nun wirklich klar heraus, daß Sie zuviel versprochen hatten. Sie haben nämlich gesagt, Sie wollten auch noch darüber reden, was denn nun zu tun sei. Leider haben Sie da irgendwo den Faden verloren. So blieb es streng geheim, was die Sozialdemokraten nun eigentlich machen wollen.
({1})
Daß Sie sich gerne an die Zeiten von Ehrenberg erinnern möchten, zumindest an das, was er immer machen wollte, das kann ich j a gut verstehen. Den Sozialismus hätten Sie zwar gerne gewollt, aber Gott sei Dank waren da noch. die Liberalen, die Sie daran gehindert haben.
({2})
Im übrigen, meine Kollegen von der SPD: Sehen Sie sich einmal in Frankreich um, was da der Sozialismus gebracht hat. Dann sehen Sie, daß auch dort die Kosten gestiegen sind.
({3})
Um die Grundlagen, auf denen wir diskutieren, noch einmal klarzumachen: Erstens. Im vergangenen Jahr haben die Krankenkassen so viel weniger Geld ausgegeben, als sie zunächst dachten, daß die Beitragssätze in diesem Jahr gesenkt werden konnten, von durchschnittlich 12 % auf durchschnittlich 11,4 %.
({4})
Vor diesem Hintergrund muß die Kostenentwicklung dieses Jahres gesehen werden, die leider - das muß man sagen - die Befürchtung aufkommen läßt, daß in einer ganzen Reihe von Krankenkassen die Beitragssätze doch wieder angehoben werden müssen. Trotzdem möchte ich nicht versäumen, auch einmal die Zahlen zu nennen, die nun die von den Sozialdemokraten und offensichtlich auch von den GRÜNEN ausgesuchten Buhmänner tatsächlich verursacht haben. Bereich Arzneimittel z. B.: Mit plus 6,3 % Kostensteigerung im ersten Halbjahr 1984 liegt er ganz zweifellos über der Entwicklung der Grundlohnsumme, aber trotzdem niedriger als
alle anderen Bereiche. Er hat also den niedrigsten Steigerungssatz.
({5})
Zweitens, so denke ich, sollte man sich doch noch einmal vor Augen halten, daß die Kostensteigerung ohne die Einbeziehung von Rentnern bei 4,1 % liegt. Ich komme darauf zurück, was ich eben schon gesagt habe. Es ist natürlich völlig klar, daß ein steigender Anteil von Rentnern ebenfalls zu steigenden Anteilen an dieser Form der Versorgung führen wird.
Auf der anderen Seite macht doch gerade aber auch der Arzneimittelbereich deutlich, daß die Selbstbeteiligung etwas gebracht hat, in diesem Jahr eine Minderausgabe von schätzungsweise 240 Millionen DM.
Ein Wort zum Scheitern der Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie zur Preisfestsetzung. Wir haben schon sehr frühzeitig gesagt, daß diese Verhandlungen scheitern werden und auch scheitern müssen. Ich muß Ihnen sagen: Ordnungspolitisch ist es für mich ein Gruselgedanke, daß in einem so wichtigen Bereich unserer Industrie die Marktwirtschaft grundlegend ausgeschaltet werden sollte.
({6})
Im übrigen zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern mit genau diesem ordnungspolitischen Gruselinstrument, daß die Kosten im Arzneimittelbereich keineswegs weniger steigen, als das bei uns der Fall gewesen ist.
Hier noch ein Wort zur Terminologie, die offensichtlich auch in diesem Hause üblich wird. Meine Damen und Herren, gut zuhören! Ich finde es nicht nur legitim, sondern absolut notwendig, daß auch die Pharmaindustrie Gewinne macht. Denn nur dann ist sie in der Lage, die Arbeitsplätze zu erhalten, die dort angesiedelt sind.
({7})
Es ist natürlich entlarvend, daß von einer Seite des Hauses, nämlich von den GRÜNEN, nicht von Gewinnen, sondern nur von Profiten gesprochen wird. Was dahinter steht, ist ganz klar: Marktwirtschaft wollen Sie nicht, Planwirtschaft ist das Ziel. Aber, Frau Kollegin Potthast, da würde ich Ihnen raten,
({8})
einmal anzusehen, wie das in den Ländern aussieht, wo so etwas tatsächlich schon durchgeführt wird.
Es hilft in der Zukunft wirklich nur ein neuer Ansatz.
({9})
Das, Herr Egert, ist im übrigen der Ansatz, den auch der Kollege Schmidt ({10}) schon immer gefordert hat. Insofern haben Sie ihn wohl für sich selber ein bißchen fälschlich in Anspruch genommen.
({11})
- Unter uns hat es nie einen Dissens darüber gegeben, daß eine durchgreifende und langfristige Veränderung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen nur nach der Einführung anderer Strukturen, u. a. durch die Einführung der Selbstbeteiligung, zur erzielen ist.
({12})
Wir haben derzeit - ich will das an einem ganz lapidaren Beispiel verdeutlichen - überhaupt keinen Anreiz für die Versicherten, mit den Leistungen des Gesundheitswesens sparsam umzugehen. Jeder liefert am Ende eines Monats seinen Krankenkassenbeitrag ab. Er weiß in der Regel nicht einmal mehr wie hoch er ist; denn für ihn ist nur interessant, was am Ende des Monats auf sein Konto netto überwiesen wird. Was vorher an Abzügen weggeht, wissen die allermeisten überhaupt nicht mehr.
({13})
Insofern kann er gar kein Interesse daran haben, daß damit sparsam umgegangen wird, weil es ja ein für ihn völlig anonymes, nicht mehr durchsichtiges System ist.
({14})
- Ich komme noch einmal darauf, daß die Sozialdemokraten, seitdem sie in der Opposition sind, offensichtlich verlernt haben zuzuhören.
Ich muß noch einmal auf Frau Steinhauer zurückkommen. Frau Steinhauer, Sie haben hier eine Rede abgelesen, ohne zugehört zu haben, was ich vorher gesagt hatte.
({15})
Wenn wir von Selbstbeteiligung sprechen - jetzt bitte ich Sie, wirklich einmal zuzuhören und auf Ihren Lärm zu verzichten -, sagen wir immer dazu, daß sie sozial tragbar sein muß,
({16})
daß sie zweitens dazu führen muß, daß die Krankenkassenbeiträge bei der Einführung gesenkt werden; denn drittens dürfen dadurch keine neuen Einnahmequellen für Leistungserbringer im Gesundheitswesen erschlossen werden.
({17})
Daß die Leistungserbringer inzwischen dahintergekommen sind, daß die Selbstbeteiligung ein solches Steuerungselement ist und nicht unbedingt zusätzliche Einnahmen für sie verheißt, wird schon daraus deutlich, daß es inzwischen durchaus kritische Stellungnahmen auch aus dem Bereich von Leistungserbringern im Gesundheitswesen zur Selbstbeteiligung gibt.
({18})
- Ich bedaure es wirklich zutiefst, daß Sie nicht
einmal mehr mit anhören können, daß jemand eine
andere Meinung vertritt, als Sie sie vertreten haben.
({19})
Meine Damen und Herren, die dirigistischen Elemente haben wir nun wirklich lange genug ausprobiert. Wir müssen jetzt darangehen, uns wirklich durchgreifende Veränderungen in der Struktur vorzunehmen. Das geht nur über den Patienten.
({20})
Wir können doch nicht in Sonntagsreden immer wieder betonen, daß die Bürger unseres Landes mündig sind, während dies dann, wenn es darum geht, daß sie auch einmal durch ihre direkte Zahlung ein Steuerungsmittel in die Hand bekommen,
({21})
wieviel Gesundheitsleistungen sie in Anspruch nehmen wollen und wieviel Gesundheitsleistungen ihnen verordnet werden, nach Ihrer Auffassung offensichtlich in den Bereich der Märchen zu verweisen ist. Man kann nicht von der Mündigkeit des Bürgers reden, wenn man ihm dies in einem so entscheidenden Bereich absprechen will.
({22})
- Frau Kollegin Fuchs, ich möchte es Ihnen noch einmal sagen, damit Sie es wirklich begreifen. Selbstbeteiligung muß dazu führen, daß die Beitragssätze runtergehen.
({23})
- Weil es kein Gesamtkonzept für die Selbstbeteiligung gibt. Daran werden wir festhalten, auch in der Diskussion der nächsten Monate.
({24})
Ich hoffe, daß es uns wenigstens jetzt gelingt, einmal ernsthaft über solche Strukturelemente zu diskutieren.
Vielen Dank.
({25})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 6 ist abgesetzt, wie Sie wissen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zehnten GeVizepräsident Westphal
setzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 10/2222 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache einen Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. - Zuerst hat das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Karwatzki.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes wird der erste Schritt zur Ausführung des familienpolitischen Teils der Regierungsbeschlüsse vom 3. Juli 1984 getan. Die Bundesregierung hat mit diesen Beschlüssen neue Akzente für ihre Familienpolitik gesetzt. Danach sollen zum 1. Januar 1986 der Kinderfreibetrag des Einkommensteuergesetzes erhöht, ein Zuschlag zum Kindergeld für Eltern, die den Kinderfreibetrag mangels hinreichenden Einkommens nicht oder nicht voll nutzen können und ein Erziehungsgeld eingeführt werden. Ferner soll ein Erziehungsjahr bei der Bemessung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung hat damit ein Paket von Maßnahmen zur Förderung der Familien mit einem Gesamtvolumen von ca. 10 Milliarden DM beschlossen. Meine Damen und Herren, es sind Maßnahmen, die es den Eltern erleichtern, ihre Aufgabe gegenüber den Kindern zu erfüllen; eine Aufgabe, deren Erfüllung auch der Gesellschaft zugute kommt.
Neben diesen Maßnahmen, die eine sehr große Zahl von Eltern erheblich entlasten werden, dürfen wir nicht vergessen, daß das Kindergeldrecht Anfang 1982 eine Änderung erfahren hat, die ich immer als ein Unrecht angesehen habe, nämlich die Streichung der Vorschrift über die kindergeldrechtliche Berücksichtigung von Volljährigen, die längere Zeit auf einen Ausbildungsplatz warten müssen oder arbeitslos sind.
Für die von der Streichung betroffenen Familien ist schon die Tatsache, daß sich für ihr Kind die Ausbildung oder der Eintritt ins Berufsleben verzögert, nur schwer zu verkraften. Unverständlich muß es ihnen erscheinen, wenn ihnen dann noch das Kindergeld für das Kind, für dessen Unterhalt sie weiter aufkommen müssen, gestrichen wird.
Dem will die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes abhelfen. Danach soll vom 1. Januar 1985 an wieder Kindergeld für junge Menschen unter 21 Jahren gezahlt werden, die mangels Ausbildungsplatzes die geplante Ausbildung nicht beginnen oder fortsetzen können oder arbeitslos sind. Die Grenze von 21 Jahren, meine Damen und Herren, läßt sich vertreten, weil Ältere im allgemeinen dank der bereits erworbenen Qualifikation und größerer Reife leichter an irgendeine Übergangsbeschäftigung kommen und so eigene Einkünfte erzielen können, wodurch Unterhaltsleistungen der Eltern und damit die Zahlung von Kindergeld überflüssig werden.
In einem anderen Punkt ist die vorgeschlagene Regelung großzügiger als das frühere Recht. Übergangsweise erzielte Erwerbseinkünfte und Lohnersatzleistungen führen nicht schon dann zum Wegfall des Kindergeldes, wenn ihr Nettowert monatlich 240 DM erreicht, sondern erst, wenn er monatlich 400 DM erreicht.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn Sie die Ihnen jetzt vorgelegte Zehnte Kindergeldnovelle so zügig behandelten, daß das Gesetz noch vor dem Ende dieses Jahres im Bundesgesetzblatt verkündet werden kann.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es auch den Anschein hat, dieses Zehnte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes sei ein Selbstgänger, weil alle Fraktionen zustimmen, so lohnt es sich doch, am Beispiel dieses Entwurfs die zögerliche Haltung der Regierungskoalition im Kindergeldbereich einmal darzustellen.
({0})
Erinnern Sie sich noch, Frau Staatssekretärin, an das familienpolitische Not- und Sofortprogramm der deutschen Familienverbände? Es hatte die Sicherung eines sozial vertretbaren Minimums für die Existenzgrundlage einkommensschwacher Familien zum Inhalt. Zwei wichtige Einzelforderungen in diesem Programm waren: Kindergeld für arbeitslose junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr und Anspruch auf Familienkrankenhilfe für denselben Personenkreis.
Dem zweiten Anliegen, also dem Krankenversicherungsschutz, sind wir, wenn auch auf Umwegen, mit der Verabschiedung der Veränderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes gerecht geworden. Unverständlich war nur, daß man unseren Gesetzentwurf, also den Gesetzentwurf der SPD, ablehnte und auf der Grundlage eines interfraktionellen Antrags im Rahmen der Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes der von uns vorgeschlagenen Regelung dann doch noch zugestimmt hat.
Mit dem heute vorgelegten Entwurf soll nun die erste Forderung aus den Notprogramm annähernd erfüllt werden. Aber man muß festhalten - das haben Sie nicht gesagt -, daß auch dies mit einjähriger Verspätung geschieht. Anläßlich der Beratungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 haben wir
den Antrag gestellt, junge Arbeitslose beim Kindergeld bis zum 23. Lebensjahr zu berücksichtigen. Dieser Antrag wurde damals von Ihnen abgelehnt, obwohl angesichts der strukturell begründeten Minderausgaben beim Kindergeld in Höhe von 750 Millionen DM diese Erweiterung des betreffenden Personenkreises finanzierbar, geboten und gerechtfertigt erschien.
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Ihre damalige Ablehnung hat uns auch deshalb so betroffen gemacht, weil es einfach nicht mehr zutraf, daß es sich bei dem betroffenen Personenkreis um eine zahlenmäßig nicht erhebliche Randgruppe handelte, deren Einbeziehung in das Kindergeldrecht sehr verwaltungsaufwendig wäre. Genau das Gegenteil war und ist der Fall. Die Zahl der Betroffenen hat seit 1982 stark zugenommen. Sie steigt weiter an, so daß es sozial- und familienpolitisch dringend geboten ist, volljährige arbeitslose Heranwachsende im Kindergeldgesetz zu berücksichtigen.
Im Vorblatt zum Gesetzentwurf gibt die Bundesregierung zu, daß die seit 1982 geltende Regelung zu Härten geführt habe, die jetzt beseitigt werden sollten - eine Erkenntnis, die jedoch für viele Tausende junge Menschen und ihre Eltern ein Jahr zu spät kommt; denn Sie hätten ja bereits 1983 zustimmen können.
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- Darauf komme ich ja gerade.
Nun weiß ich, daß Sie draußen immer wieder erklären, diese Regelung sei 1981 von der sozialliberalen Koalition vorgenommen worden.
({3}) - Zugegeben; das ist doch nicht zu leugnen.
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Da aber die Hintergründe immer verschwiegen werden und weil es dabei um eine Grundsatzauseinandersetzung geht, die uns in den nächsten Monaten immer wieder beschäftigen wird, gestatten Sie mir hierzu eine kurze Bemerkung.
Das Bundeskindergeldgesetz wäre im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes 1982 überhaupt nicht angetastet worden, wenn es Einvernehmen im Bundestag und im Bundesrat gegeben hätte, die Kinderbetreuungskostenpauschale abzuschaffen.
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Der damalige Bundesfinanzminister Hans Matthöfer führte am 16. September 1981 im Plenum des Bundestages aus, daß es zu Einschnitten im Kindergeldbereich nur deshalb komme, weil eine unwiderrufliche Aussage der Mehrheit des Bundesrates vorliege, nach der irgendeine Begrenzung steuerlicher Tatbestände - sei es der Kinderadditive, sei es der sogenannten Betreuungskosten oder auch eine Modifizierung des Ehegattensplittings - nicht in Betracht zu ziehen sei. Das war die Voraussetzung.
({6}) Das ist ja auch die Kernfrage, die wir heute behandeln.
Diese Kernfrage lautet: Verbesserung des Familienlastenausgleiches durch Erhöhung des Kindergeldes - wie wir es wollen ({7})
oder durch erweiterte Steuervergünstigungen, wie Sie es wollen? Diese Auseinandersetzung - das hat die Frau Staatssekretärin angekündigt - wird uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Wir werden Ihren Vorstellungen ein sozialdemokratisches Grundsatzkonzept gegenüberstellen und mit Ihnen in den Auseinandersetzungen um die bessere Lösung streiten und ringen. Mit diesem Gesetzentwurf beginnt diese Auseinandersetzung - auch das haben Sie gesagt -; denn im Vorblatt steht, daß diese Regelung nur ein Vorgriff auf die Neuordnung von 1986 sei.
Ihrem vorliegenden Entwurf stimmen wir im Grundsatz zu, weil der Inhalt schon immer unser Anliegen war. In den Beratungen werden wir allerdings versuchen, die Altersgrenze auf 23 Jahre zu erhöhen, um u. a. auch eine gleiche Altersgrenze wie beim Krankenversicherungsschutz zu erreichen.
Dieses Gesetz wird die Situation vieler Familien verbessern. Aber es kann nicht über die Enttäuschung und Verbitterung vieler Millionen Menschen hinwegtäuschen, die immer noch nicht vergessen haben, daß im Haushaltsbegleitgesetz 1984 in 27 Artikeln einschneidende Kürzungen im Sozialbereich in Milliardenhöhe vorgenommen wurden, während in einem einzigen Artikel den Vermögenden und Besitzenden Vorteile in Milliardenhöhe zugeschanzt wurden.
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Das wird nun noch deutlicher, nachdem auch die Alibifunktion der sogenannten Zwangsanleihe - sie hatte ja nur eine Alibifunktion - durch das Karlsruher Urteil weggewischt worden ist. Nun steht eindeutig fest, daß nach der Wende die finanziellen Opfer vorwiegend von Familien, Arbeitslosen, Rentnern, Kranken und Sozialhilfeempfängern erbracht wurden, während die Reichen, Besitzenden und Vermögenden ihren Beitrag - weil er nicht verfassungskonform ist - schon jetzt in Milliardenhöhe zurückgezahlt bekommen.
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Meine Damen und Herren von der Koalition, fürwahr eine sonderbare Gerechtigkeit!
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Das Wort hat der Abgeordnete Schlottmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Hauck, ich kenne Sie aus dem Ausschuß als aufrechten Kollegen. Von daher möchte ich Ihnen sagen: Es hätte Ihnen besser gestanden, wenn Sie hier frank und frei zugegeben hätten, daß Sie 1981
in bezug auf unsere Jugend und die Familien einen Kardinalfehler gemacht haben. Wenn Sie jetzt mit dem Gedanken: Wir biegen die Sache wieder gerade, dem CDU-Entwurf zugestimmt hätten, wäre das eine feine Sache gewesen. Statt dessen haben Sie hintenherum und über viele Kurven deutlich zu machen versucht, daß die CDU hier einen Fehler begangen habe. Dazu haben Sie sich auch einiger Schutzbehauptungen bedient. Auf einige Hintergründe werde ich gleich eingehen.
Es war nicht so, daß Sie sich 1981 vertan hätten, sondern es steckte schon mehr dahinter, und zwar ideologischer Art: Geringschätzung der Familie. Davon war Ihre Politik bestimmt.
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Für die CDU-Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren,
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begrüße ich diese familienpolitische Initiative der Bundesregierung. Sie ist - das ist soeben von der Staatssekretärin deutlich gemacht worden - Bestandteil unseres familienpolitischen Programms, das in seinen Schwerpunkten planmäßig 1986 greifen wird, 10 Milliarden DM umfaßt und in der Geschichte der Bundesrepublik von Umfang und Qualität her seinesgleichen sucht. Hier, meine Damen und Herren, liegt ganz zweifelsfrei ein Schwerpunkt der Wende durch unsere Politik.
Ab 1. Januar sollen Volljährige unter 21 Jahren, die längere Zeit auf den Beginn ihrer Ausbildung warten müssen oder arbeitslos sind, wieder wie vor 1982 ihr Kindergeld erhalten. Mit dieser Initiative werden große Härten für betroffene Jugendliche und ihre Familien, finanzielle Einbußen in beträchtlicher Höhe, beseitigt, die 1981 durch, wie ich meine, unheilvolle Beschlüsse der alten Regierung entstanden sind und immer wieder beweisen, welch große Hilflosigkeit und Verwirrung die damalige Regierung kennzeichneten.
Mit dieser Maßnahme bauen wir aber auch viele Enttäuschungen bei den Jugendlichen selber und ihren Eltern ab, die Staat und Gesellschaft nicht mehr verstanden haben. Nicht nur, so mußten sie damals folgern, daß ihnen Ausbildung und Arbeit versagt blieben, man machte sie obendrein noch mittellos und schickte sie - die Ärmsten waren die Betroffensten - zu den Sozialämtern.
Die Opposition spricht so gern von der Umverteilung von unten nach oben, auch heute wieder. Hier aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir ein Beispiel aus Ihrer Regierungszeit. Sie waren es - und wir bringen das jetzt wieder in Ordnung -, die sich mit Ihren Kürzungen lieber an die Mütter, an die Familien, an die Behinderten, an die Arbeitslosen, an die Rentner gehalten haben - um hier einen Vorwurf Ihres Fraktionsvorsitzenden aus der letzten Haushaltsdebatte aufzunehmen. Der Vorwurf richtet sich in diesem Fall und auch in anderen gegen Sie selber. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie haben die Ärmsten ärmer gemacht
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und durch Ihre Schuldenpolitik, Herr Hauck, Reiche noch reicher. Das halten wir einmal fest.
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Aber das war nicht alles. Gleichzeitig kürzten Sie das Kindergeld - das vorzutragen, Herr Hauck, haben Sie vergessen - für das zweite und dritte Kind um monatlich 20 DM, nahmen die arbeitslosen Jugendlichen aus der Familienversicherung bei den Krankenkassen heraus, so daß sie selber oder ihre Eltern bezahlen mußten - auch das haben wir wieder geradegebogen - und ließen dabei auch noch steuerliche Nachteile aufkommen. Das alles führte zu Belastungen bei den Betroffenen, die besonders bei Familien mit mehreren Kindern Einkommensverluste von 200 DM und mehr ausmachten. Familien mit geringeren Einkommen wurden bei Ihren Maßnahmen nicht geschont, so daß galoppierende Preissteigerung - rechnen wir die dazu - und alle anderen Kürzungen den Betroffenen, ganz besonders den Familien, erheblichen Schaden zufügten.
Ich bin der Auffassung, daß es dabei nicht nur ums Sparen selbst ging. Vielmehr wurde hierbei Ihre teilweise ideologisch bedingte Geringschätzung der Familie überaus deutlich. Ein Drittel der Privathaushalte in der Bundesrepublik - halten wir uns vor Augen, was draußen los ist - erzielen ein monatliches Nettogesamteinkommen unter 1 800 DM. Ein Sechstel von ihnen erreichen keine 1 200 DM. Diese Familien trafen Sie besonders hart, d. h. die Niedrigverdiener mit mehreren Kindern, alleinerziehende Frauen, Sozialhilfeempfänger und Rentenhaushalte.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein danke, die Zeit läuft. - Die Jugendlichen selbst, hart getroffen, waren auf das Verständnis der Eltern und Geschwister angewiesen. Sie fühlten sich als unnütze Mitesser, die der Familie auf der Tasche lagen. Meine Damen und Herren, was Sie damals gemacht haben, was hier an Spannung und Ärger in den Familien durch Ihre Entscheidung erzeugt wurde, läßt sich kaum beschreiben.
Insgesamt - schauen wir uns auch das einmal an - sparten Sie 1982 94,3 Milliarden DM im Sozialbereich ein und verordneten seinerzeit Beitragserhöhungen von zusammen 37,6 Milliarden DM. Das war schon etwas. Das waren schon Belastungen. In den von Ihnen geführten Ländern wie Nordrhein-Westfalen kamen dann noch Kürzungen und Streichungen von familienfördernden Leistungen hinzu.
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Zum Beispiel hat man in Nordrhein-Westfalen die Familienerholung völlig gestrichen. Jetzt, ein Jahr vor der Wahl, hat man sie wieder eingesetzt, aber mit wesentlich niedrigeren Beiträgen. Die Kinderferienmaßnahmen - das betraf die Familien in diesem Land - haben Sie auch gekürzt. Das sind Tatsachen.
Aber noch viel schlimmer, meine Damen und Herren, stellt sich das Bild dar, wenn man überlegt, daß Sie durch Ihre ins Uferlose abgleitende Staatsverschuldung den Familien, insonderheit den jungen Menschen, mehr Zukunftsangst als Lebensfreude vermittelten. Immer besorgter nämlich fragten die Menschen damals, wie das alles einmal enden soll, wer die Schulden abtragen und die Zinsen und Zinseszinsen bezahlen soll. Sie schufen hier eine Erblast, meine Damen und Herren, an der spätere Generationen - leider, muß ich sagen - noch schwer werden tragen müssen. Wenn man in diesem Zusammenhang - darauf möchte ich einmal eingehen - an Ihre Hamburger familienpolitischen Beschlüsse Mitte der 70er Jahre oder an die letzte Regierungserklärung Ihrer damaligen Regierung denkt, muß man sagen: Sie waren schließlich nicht mehr in der Lage - ein Ergebnis Ihrer ideologischen Haltung der Familie gegenüber -, die Bedeutung der Familie klar einzuschätzen und ausreichende Aussagen über eine zukunftsbezogene Familienpolitik, geschweige denn über eine gute Familienpolitik zu machen.
Wie ist es sonst verständlich, daß Sie unseren Familien sogar das Recht auf die Erziehung ihrer Kinder nehmen wollten bzw. durch unerhörte Belastungen die von Ihnen stets angezweifelte Leistungsfähigkeit der Familie schmälerten?
Mit der von der CDU/CSU und FDP geführten neuen Regierung kam die dringend notwendig gewordene Änderung in der Familienpolitik. Da beißt keine Maus einen Faden ab.
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Helmut Kohl stellte die Familie in den Mittelpunkt seiner Politik.
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Heiner Geißler entwickelte zusammen mit den Koalitionsfraktionen ein zukunftsbezogenes Programm der Familienförderung, das wir Schritt für Schritt verwirklichen werden. Darauf können Sie sich verlassen.
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Unser Ziel, meine sehr verehrten Damen und Herren, wieder ein kinderfreundliches, familienfreundliches Land zu werden, ist in der Regierungserklärung garantiert. Wir haben eine Reihe von Anzeichen. Dazu gehört auch die hier so bitter geschmähte Bundesstiftung Mutter und Kind.
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Diese Stunden hier, die Sie bereiteten, werde ich niemals in meinem Leben vergessen, diese Schmähungen den Frauen gegenüber, auch uns und der Regierung gegenüber, die hier eine Hilfeleistung
brachte. Wir können sagen, daß diese von der Bevölkerung angenommen wird. Draußen läuft dieses Programm, leider nicht in Nordrhein-Westfalen. Dort weigert sich die Landesregierung, unterstützend mitzuhelfen, geschweige denn eine eigene Stiftung ins Leben zu rufen. Das ist bitter für die Menschen in diesem größten Bundesland. Das muß ich Ihnen hier einmal sagen.
({5})
Wir werden dieses Programm durchführen. Der Kabinettsbeschluß von gestern wird von uns Familienpolitikern in der CDU/CSU begrüßt: steuerliche Hilfen auch für Alleinerziehende einzurichten. Das paßt dazu, das gehört zusammen.
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Dazu waren Sie nicht in der Lage. Da können Sie rufen, Herr Kollege, wie Sie wollen. Da haben Sie nichts gebracht. Sie sind nicht einmal in der Lage, eine Konzeption für Ihre Auffassung von Familie und Familienpolitik auf den Tisch zu legen.
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Darauf warten wir noch.
Daß die Bevölkerung merkt, daß die CDU/CSU-FDP-Regierung in der Familienpolitik eine Wende herbeigeführt hat, zeigen auch Untersuchungen. Ich komme auf eine zurück. Eine der jüngsten Jugenduntersuchungen macht deutlich, daß die Jugend wieder eine viel positivere Einstellung zu Ehe und Familie hat. Ich führe das auch auf unsere Politik in diesem Land zurück.
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Noch eines zum Schluß. Sie greifen uns mit der Behauptung an, daß wir Belastungen in der Sozialpolitik hervorrufen. Ich kann Ihnen sagen: Es sieht so aus, daß durch diese Maßnahmen, die wir heute hier behandeln, die Kommunen jährlich ca. 30 Millionen an Sozialhilfe sparen werden.
Wir stellen mit Zufriedenheit fest, daß der Bundesrat diesem Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes zugestimmt hat. Wir als CDU/CSU werden dafür sorgen, daß der Entwurf zügig beraten wird und daß dieses Gesetz zum Wohl unserer Familien am 1. Januar 1985 wirksam wird.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schlottmann, ich wundere mich, wie Sie hier mit geschwellter Brust hinter dem Mikrofon stehen und über familienpolitische Maßnahmen berichten.
({0})
Wir müssen doch einmal deutlich sagen, welche Auswirkungen sich bei Annahme des Gesetzes ergeben. Es handelt sich dabei für die Familien um 50 DM.
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- Na, hören Sie mal! Um 50 DM! Bei Familien passiert es nicht so einfach, daß z. B. ein unbekannter Spender kommt und mal eben einer notleidenden Familie 6 Millionen überreicht. Das ist der Unterschied.
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Wenn man über Familienpolitik redet, dann muß man mal etwas Grundsätzliches darüber sagen.
Ich denke, die Familie, über die hier geredet wird, ist ja eine Familie, die ich mal als „Wendefamilie" bezeichnen würde. Na?
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Die Wendefamilie ist natürlich verheiratet: Mann, Frau. Ein Sohn, das ist sehr schön. Eine Tochter, das ist auch ganz schön. Aber der Sohn ist immer noch das Wichtigste dabei. Das ist diese Art von Familie, die gemeint ist.
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Und da fängt schon der Fehler von Familienpolitik an. Denn wenn man diese Art von Familienpolitik vertritt,
({5})
sieht man nicht, was um uns herum passiert: daß Leute in neuen Lebensformen zusammenleben, neue Lebensformen ausprobieren wollen.
Dann haben Sie vielleicht auch vergessen, was der Herr Engelhard vor kurzem hier gesagt hat, nämlich daß die Zahl der Scheidungen steigt und steigt. Das muß doch wohl einen Grund haben.
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Und da muß man doch einmal anfangen, diesen Familienbegriff auf Wohngemeinschaften auszuweiten. Man muß - auch wenn es in diesem Hohen Haus peinlich ist, das aussprechen -, auch mal sagen: Es gibt Lesben, die leben zusammen und haben ein Kind.
({7})
Es gibt Homosexuelle, die leben zusammen und wollen auch mit einem Kind leben,
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was sehr schön ist und was man ihnen nicht verbieten sollte. All das gehört zu dem großen Rahmen Familie.
({9})
Das ist das erste.
Zum anderen. Wenn man die Familienpolitik macht, dann muß man darauf achten, was die Familienpolitik ausrichten soll. Ich denke, die Familienpolitik sollte dazu führen, daß Menschen in einem Familienverband, wie immer er gegliedert sein mag, ein selbstbestimmtes Leben führen. Selbstbestimmung fordern wir für die Frau. Das kennen Sie ja schon. Darüber haben wir uns hier ja schon mehrmals auseinandergesetzt.
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Der Mann hat bessere Chancen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das wissen Sie auch. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß hier um die 500 Männer, aber nur 35 Frauen sitzen. Wir müssen auch mal daran denken, was Selbstbestimmung für die Kinder bedeutet.
Ich finde das gar nicht so falsch, was Herr Schlottmann gesagt hat. Natürlich, der Bundeskanzler hat in den Mittelpunkt seiner Politik die Familienpolitik gestellt. Er redet immer über die Familie, aber das Reden allein bringt es noch nicht.
({11})
Er redet immer, wie schön es in der Familie ist und daß die Familie die tragende Säule der Gesellschaft ist.
({12})
Und Herr Blüm spricht von der sanften Macht der Familie. Aber von der Gewalt in der Familie wird hier gar nicht geredet.
({13})
Von dem sexuellen Mißbrauch von Kindern wird hier nicht geredet.
({14})
Aber darauf müssen wir noch mal kommen. Das machen wir mal in einer späteren Runde.
({15})
Wenn dann Kindergeld so wichtig ist, weil es eine schöne Aufgabe ist, Kinder großzuziehen - ich habe selber zwei Kinder großgezogen, und es hat mir Spaß gemacht; es war manchmal auch sehr anstrengend -,
({16})
wenn diese Arbeit von der Bundesregierung unterstützt werden soll, dann wollen wir mal sehen, wie die Möglichkeiten sind. Ich zitiere mal den Finanzplan des Bundes auf Drucksache 10/281, Seite 30: Es werden gegenüber 1983 allein auf Grund der abneh7118
menden Kinderzahl im Jahre 1985 Einsparungen in Höhe von 1,405 Milliarden, 1986 in Höhe von 1,990 Milliarden und 1987 in Höhe von 1,5 Milliarden DM erzielt. Diese Einsparungen werden erzielt, weil die Kinderzahl sinkt. Wenn Ihnen die Familie jetzt so am Herzen liegt, hätte man doch wenigstens das Kindergeld dynamisieren können. Man hätte doch wenigstens Überschuß, der vorhanden ist, auf die Familien verteilen können.
({17})
Sie kennen doch die Berechnung, Sie wissen, daß ein Kind in der Familie je nach Lebensstandard in der Familie 380 bis 800 DM kostet, wenn man sich das erlauben kann.
Nun müssen Sie keinesfalls glauben, daß ich davon ausgehe, daß nur eine monetäre Unterstützung schon Familienpolitik ausmacht. Das ist nämlich nicht so, und das stellen wir j a überall fest.
({18})
Jetzt komme ich zu diesem Kindergeldentwurf, und da stellen wir fest: Bis 21 werden Erwachsene - wer demnächst 21 Jahre alt wird, ist kein Kind mehr - unterstützt, und wenn in der Familie nur ein Kind vorhanden ist, das jetzt erwachsen geworden ist, so gibt es 50 DM. Diese 50 DM kriegt das Kind, das schon erwachsen ist, nicht selbst. Ich sage Ihnen: Es gibt junge Leute, die noch länger zu Hause rumsitzen, weil sie keine Arbeit kriegen. Sie sitzen zu Hause rum, und dafür kriegt die Familie 50 DM mehr. - 1975, als das Kindergeld eingerichtet wurde, waren 50 DM noch 50 DM; heute sind diese 50 DM nur noch 28 DM wert. Das muß man auch mal im Kopf haben.
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Wenn Kindergeld bis in dieses hohe Alter hinein gezahlt wird, muß doch irgendwo ein Wurm darin sein. Nun sollte man das nicht ablehnen; aber wenn es den Familien schlecht geht - es geht sehr vielen Familien schlecht -, muß man sich einmal überlegen, ob es nicht etwas anderes gibt, was man mit diesen jungen Leuten machen kann. Die brauchen nämlich - deshalb habe ich das am Anfang gesagt - Selbstbestimmung, die wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, und die wollen nicht bis in dieses hohe Alter an Zuhause gebunden sein.
({20})
Das kommt dann nämlich zu Auswirkungen im Hause, das gibt Krach und Streit. Das kann man nicht unterstützen, und da muß man sich überlegen, ob es nicht andere Maßnahmen gibt.
({21})
Deshalb haben wir ein Sofortprogramm gegen die Armut eingebracht. Wir haben eine wachsende neue Armut, was sich hier nicht bestreiten läßt. In diesem Sofortprogramm gegen die Armut sagen wir: Es muß im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes möglich sein, daß diese jungen Leute, die nicht so aus Spaß zu Hause bleiben, die gern arbeiten wollen, die eine Ausbildung haben wollen, die selbständig werden wollen, zu dem Zeitpunkt, wo sie sich beim Arbeitsamt melden und sagen, daß sie Arbeit suchen, unterstützt werden und Arbeitslosenunterstützung kriegen, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können. Darüber muß man hier mal nachdenken. Was hat das für psychologische Folgen, welche Folgekosten entstehen für die Gesellschaft, wenn Gewalt in der Familie vorherrscht, wenn es zu Alkoholismus kommt, weil man sich nicht mehr versteht? Das muß man mal in seinen Kopf aufnehmen. Eine solche reiche Gesellschaft wie diese, die großzügig Milliarden für neue Waffen ausgibt - das muß man an dieser Stelle mal sagen ({22})
und die mit so klitzekleinen Hilfsmaßnahmen in der Sozialpolitik kommt,
({23})
die muß sich an dem Anspruch messen lassen, den die Leute draußen im Lande an Politik haben. Die Leute - das hat die Nachrüstungsdebatte gezeigt, und das hat der Aufruhr gezeigt, den wir in der Gesellschaft haben ({24})
wollen die Raketen nicht, die wollen die Militarisierung der Gesellschaft hier nicht, und wollen die Kosten dafür nicht tragen, die wollen hier in Ruhe leben können.
({25})
Ich gucke mal eben auf meinen Zettel, ob ich noch etwas sagen wollte.
({26})
Nein, meine Damen und Herren, das war's fürs erste.
({27})
Ich bin erfreut, daß Sie mir hier so aufmerksam zugehört haben. Sie werden sich ja demnächst mit unserem Antrag gegen die Armut beschäftigen müssen, und ich hoffe auf Ihre solidarische Unterstützung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Ich habe nicht nur Frau Schoppe sehr aufmerksam zugehört, sondern auch allen meinen Vorrednern, und ich muß gestehen, daß ich reichlich irritiert bin. Wenn ich die Tagesordnung richtig lesen kann, dann sind wir bei Tagesordnungspunkt 7, und Tagesordnungspunkt 7 heißt: „Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes". Dort steht nichts von Raketen, nichts von Alkohol und anderen Dingen. Damit meine ich jetzt nicht nur Sie, Frau Schoppe, sondern auch die anderen Kollegen, die vorher gesprochen haben. Wenn ich richtig lesen kann, geht es um das, was hier vorn auf dem Gesetzentwurf steht:
A. Zielsetzung
Volljährige, die längere Zeit auf den Beginn ihrer Ausbildung warten müssen oder arbeitslos sind, werden auf Grund einer Änderung des Bundeskindergeldgesetzes, die zum 1. Januar 1982 in Kraft getreten ist, bei ihren Eltern kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt. Dies hat zu Härten geführt. Daher sollen sie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres grundsätzlich wieder in den Kindergeldbezug hineingenommen werden.
Mehr ist zu diesem Gesetz nicht zu sagen.
({0})
Alles andere ist Ablenkung; dieses Gesetz eignet sich eben nicht für eine Polemik.
Meine Damen und Herren, es gibt Gesetze, die nötig sind und die unstrittig sind. Um ein solches Gesetz handelt es sich hier eigentlich. Deswegen will ich nicht alles an Begründungen nachkauen, was meine Vorredner gesagt haben.
({1})
Ich will mich auch nicht an Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen, Eigenlob und Profilierungen beteiligen, darüber streiten, ob es nun das 21. oder das 23. Lebensjahr sein soll, und damit nur das Bild der guten Tat trüben. Ich will deswegen nicht so sehr viel darüber reden. Wir begrüßen dieses Gesetz und werden ihm zustimmen.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2222 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Finanzausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes
- Drucksache 10/1444 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 10/2144 Berichterstatter:
Abgeordnete Kiehm Dr. Blank
({1})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen worden.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist das Gesetz einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
9. a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die sofortige Stillegung von Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland ({2})
- Drucksache 10/1913 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({3})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Warrikoff, Dr. Bugl, Boroffka, Carstensen ({4}), Clemens, Ganz ({5}), Herkenrath, Jung ({6}), Magin, Müller ({7}), Dr. Olderog, Seesing, Weiß und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Hirsch, Baum, Dr. Feldmann, Kleinert ({8}), Dr.-Ing. Laermann und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 10/2200 7120
Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 10/2231 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. November 1982 zur Änderung des Übereinkommens. vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 ({2})
- Drucksache 10/2234 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({3}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, für die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 ist eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Dr. Hickel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN, der Ihnen vorliegt und der die Abschaltung der Atomkraftwerke innerhalb eines halben Jahres ermöglichen soll, will vielen Menschen in unserem Lande und auch vielen unter Ihren Wählern, meine Herren von der CDU, einen Gefallen tun und Ihnen Gelegenheit geben, nun endlich über Ihren eigenen Schatten zu springen.
({0})
Denn viele auch in den Altparteien haben gerade in den letzten Jahren einzusehen gelernt, daß diese alte Ideologie, mit der man den Ausbau der Atomenergie begründet und viele Jahre lang überhöht hat, nicht mehr stimmt oder nie gestimmt hat. Diese Einsicht ist unter dem Eindruck der Rücknahme der Atomprogramme in anderen Ländern gewachsen, so z. B. in den Vereinigten Staaten, wo in den letzten Jahren über 100 Atomkraftwerke aus
den Auftragsbüchern gestrichen wurden, und auch in der Sowjetunion, in Österreich, in Schweden usw. Sie ist auch gewachsen unter dem Einfluß der beharrlichen und gründlichen Kritik seitens der Anti-AKW-Bewegung in unserem Land und auch durch zum Teil sogar betreibernahe betriebs- und volkswirtschaftliche Berechnungen, wie etwa die von Franke und Viefhues, die von Hansen und selbst die vom Battelle-Institut, die bei näherem Hinsehen nachdenklich machen mußte.
({1})
Damit Sie nun die neuen Einsichten in politisches Handeln umsetzen können und statt des regierungsüblichen „Augen-zu-und-durch"-Kurses Ihnen die Weisheit des Umschwenkens ermöglicht wird, ersparen wir Ihnen, den früheren Befürwortern der Atomenergiegewinnung, den mit einem Stillegungsantrag für Sie ja wohl verbundenen Gesichtsverlust, indem wir Ihnen das Atomstoppgesetz ausarbeiten, das manch einer unter Ihnen bereits herbeigewünscht haben muß. Wir zeigen Ihnen zugleich - ich komme nachher darauf zurück -, wie wir alle ohne Vermehrung schädlicher Emissionen auch ohne Atomkraftwerke mehr als genügend elektrische Energie haben könnten. Denn die alte Ideologie von der friedlichen Nutzung der Atomenergie, vom sogenannten billigen Atomstrom und von den sauberen und sicheren Atomkraftwerken ist ja nun nicht mehr zu halten. Selbst früheren Befürwortern ist inzwischen klar, daß sie auf Irrtum und Täuschung beruhte.
({2})
Heute kann man Atomkraftwerke tatsächlich nur noch durch die Notwendigkeit rechtfertigen, einmal eingesetztes Kapital amortisieren zu müssen, allerdings um den Preis riesiger weiterer Verlustgeschäfte. Es wurde z. B. errechnet - das ist in unserer Begründung aufgeführt -, daß bei Ausbleiben der Atomstromproduktion einem fehlenden Kapitalrückfluß von 28 Milliarden DM verhinderte Fehlinvestitionen von etwa 92 Milliarden DM gegenüberstehen. Ferner um den Preis langfristiger und breiter Gesundheitsrisiken, unabsehbarer ökologischer Risiken durch Müllprobleme und sozialer Gefährdung durch den Atom- und Überwachungsstaat. Wenn jetzt der Einsicht kein Handeln folgt, dann heißt das endgültig, daß in unserem Staat der grundgesetzliche Schutz des Eigentums und seiner Nutzung weit über dem von Gesundheit und Leben steht
({3})
- nein, genau das ist der Fall -, ganz entgegen dem, was das Grundgesetz einmal gewollt hat. Wenn wir es hier am Beispiel der Atomkraftwerke nicht schaffen, die sogenannte Sozialbindung des Eigentums von einer Floskel weiterzuentwickeln zu einer Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Menschen in unserem Lande fragen: Woher kommt das wohl, wer bezahlt
dafür, daß bei uns solche Verdrehung des Grundgesetzes möglich ist?
Denn das Märchen von der sogenannten sicheren Atomenergie ist längst als solches entlarvt. Einmal ganz abgesehen von einem Unfall - ich spreche schon gar nicht von dem größten Unfall -, der leicht passieren kann und bei dem innerhalb einer Woche 120 000 Menschen zu Tode kommen, ist es der Normalbetrieb,
({4})
die Versorgung und die Entsorgung von Atomkraftwerken, der uns gefährdet. Über 100 radioaktive Stoffe entstehen beim Betrieb eines Kraftwerks im Reaktor, und sie werden teils auch an die Umwelt abgegeben, wenn auch in Niedrigstrahlung. Über deren Gefahren nun hat man gerade in den letzten Jahren sehr viel dazugelernt. Wir wissen, daß selbst die ganz geringe natürliche Hintergrundstrahlung schon immer für einen Teil der Krebsfälle und der genetischen Anomalien verantwortlich ist; wieviel mehr erst die künstliche Strahlung! Sie reichert sich zudem durch besonders langlebige Isotope wie etwa Jod 129, das noch nach 1,7 Millionen Jahren zur Hälfte strahlt, oder Kohlenstoff 14, der nach 5 700 Jahren immer noch die Hälfte der Strahlung aufweist, im Laufe der Zeit an im Gegensatz zu der natürlichen Strahlung, so daß die nachfolgenden Generationen überhaupt erst die vollen Gesundheitsschäden werden tragen müssen.
Der Abbau der Uranerze fördert riesige Halden von Abraum und Schlamm zutage, die an der offenen Luft schwache Radioaktivität abgeben, die vorher unter der Erde abgeschirmt war. Die maßlosen Transporte von Uranhexafluorid über Land und Meer gefährden uns, wo wir es gar nicht ahnen. Vor allem: der Atommüll wird ja nicht wirklich entsorgt, sondern in Zeit und Raum vor uns hergeschoben von einem Zwischenlager zum nächsten, von einer Generation zur nächsten. Für die Endlagerung gibt es entgegen der Propaganda der Regierung keinen sicheren Nachweis,
({5})
die Wiederaufarbeitung kann nicht störungsfrei funktionieren und ist zudem noch um ein Vielfaches zu teuer.
In diesem Zusammenhang ist es geradezu zynisch, was die Regierung und die Regierungsfraktionen in den Vorlagen, die uns heute verteilt wurden, beantragen, nämlich für den sogenannten normalen Betrieb der Atomkraftwerke die Haftungshöchstgrenze für die Betreiber aufzuheben. Das kann doch nur heißen, daß man, um hohe Versicherungsgebühren zu sparen, dem Bürger eine Sicherheit vorspiegelt, die es gar nicht gibt. Daß nämlich ein AKW so normal auch wieder nicht ist, wird dann in der Begründung auf Seite 7 des Antrags Drucksache 10/2200 deutlich, wo für den Kriegsfall und für Naturkatastrophen ein Höchstbetrag von 1 Milliarde DM als Haftungshöchstgrenze durchaus für notwendig gehalten wird.
Das Märchen von der Sicherheit des Atomstroms sehen wir aber gerade in diesen Wochen zerstört durch die sozialen Folgen, die wir erlebt haben. Unsere bürgerlichen Freiheiten sind ja tatsächlich bedroht, wenn für den Transport von vier Tiefladern neulich mit Atommüll ins Zwischenlager im Wendland allein 1 500 Polizisten mit ihren vielen Fahrzeugen und drei Hubschraubern eingesetzt, zahllose Telefonate abgehört,
({6})
Wohnungen durchsucht und junge Leute von gutem Gewissen eingelocht werden.
({7})
Wir haben den Atom- und Überwachungsstaat im Wendland bereits erleben können.
({8})
Auch der billige Atomstrom ist eine Legende. Der Reaktor Mülheim-Kärlich etwa, um ein Beispiel zu nennen, sollte noch Mitte der 70er Jahre 1,3 Milliarden DM kosten. Heute liegt er mit dem Erstkern schon bei 9,1 Milliarden DM. Seit der unwiderlegten Studie von Franke und Viefhues vom Sommer dieses Jahres weiß man, daß die Atomkraftwerke die teuersten Energieerzeuger überhaupt sind,
({9})
wenn man nur endlich einmal die Entsorgungskosten und die für 1985 z. B. mit über 3 Milliarden Mark bezifferten sogenannten Forschungskosten für Atomenergie mit einrechnet.
({10})
Energieversorgungsunternehmen müssen jetzt mühsam gezwungen werden oder durch künstliche und sicherlich auch nur vorübergehende Dumpingpreise förmlich betört werden, die jetzt schon beträchtlichen Überkapazitäten der Atomkraftwerke an Strom abzunehmen. Allein die Preußen-Elektra etwa, Betreiber des überflüssigsten aller AKW bis jetzt überhaupt, hat jetzt schon 44% Überkapazität an Strom, den sie wie saures Bier verhökern muß, allerdings mit gefährlichen Folgen für unsere Volkswirtschaft. Kommunen werden mit ihrer Energieversorgung künstlich in unerwünschte und unnötige Abhängigkeit vom Atomkraftwerk gebracht, wie wir es gerade in Hannover und demnächst wohl auch in Kassel erleben. Und: Eine Riesenzahl von Arbeitsplätzen wird in der Kohlewirtschaft überflüssig werden, viel mehr, als die Atomenergiewirtschaft je wird schaffen können. Der Jahrhundertvertrag für die deutsche Steinkohle wird aufgekündigt - und das, obwohl es Wege gibt, unsere Energieversorgung sowohl ohne Atomenergie als auch ohne zusätzliche Luftverschmutzung sofort sicherzustellen, wie ich Ihnen gleich sagen werde.
Der schlimmste Mythos von allen aber ist die Sage von der friedlichen Nutzung der Atomenergie.
({11})
Wenn sie schon nicht aus betriebswirtschaftlichen, nicht aus volkswirtschaftlichen Gründen vernünftigerweise betrieben werden können, wozu brauchen wir dann die Atomkraftwerke? Wir brauchen sie anscheinend vor allem wegen des Plutoniums, das in ihnen allen entsteht und das ja dann im Schnellen Brüter in Kalkar, in den Fabriken in Hanau und in Zukunft - wir hoffen, nicht - auch in der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zu waffenfähigem Plutonium verarbeitet werden kann.
({12})
- Wir sehen das aber so, und wir sehen keinerlei Widerlegung. - Die NUKEM-Fabrik in Hanau soll hochangereichertes Uran - ebenfalls bombenfähig - in Mengen von 6 Tonnen statt bisher 1,8 Tonnen lagern dürfen, die ALKEM-Fabrik in Hanau 6,7 Tonnen Waffen-Plutonium statt bisher 460 Kilogramm, und keiner weiß, warum. Erklären Sie uns das doch bitte einmal! Militärs, Unterdrückerregimes in aller Welt zahlen heute Höchstpreise für Plutonium. Unter uns im Bundestag sitzen - heute zwar nicht - j a auch noch die Herren, die 1974 gegen den Atomwaffensperrvertrag gestimmt haben, der im übrigen - auf ihr Betreiben übrigens - auf Betreiben dieser Herren - bereits 1995 wieder ausläuft, zufällig gerade zu der Zeit, in der die geplante Wiederaufbereitungsanlage voll in Produktion gehen soll. Wer kann uns hier glaubhaft machen, daß wirklich niemand hier in zehn Jahren die westeuropäisch-westdeutsche Plutoniumbombe will und das Ganze deshalb aufzieht und daß die ganze Atomenergiewirtschaft nicht doch nur als ein friedliches Mäntelchen um diesen gefährlichen Waffenfetischismus herum aufrechterhalten wird? Warum sonst stehen, wie die Bundesregierung uns kürzlich auf eine Kleine Anfrage sagte, „Menge und Zusammensetzung der in staatlicher Verwahrung befindlichen Kernbrennstoffe unter strenger Geheimhaltung", bei ALKEM in Hanau etwa?
Meine Damen und Herren, nicht sicher, nicht billig, nicht friedlich, und - vor allem - sie ist auch nicht nötig, die Atomenergie.
({13})
Was Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre, haben die GRÜNEN inzwischen geleistet, nämlich in einer systemtheoretischen Studie genau und überzeugend nachgewiesen, daß wir die Atomkraftwerke innerhalb von sechs Monaten abschalten könnten, wenn wir einmal den Mut hätten, umzudenken und Neues zu wagen.
({14})
- Der wird dadurch nicht vermehrt; das sage ich Ihnen gleich. - Ohne Arbeitsplatzverluste in der Kohleindustrie, ohne Engpässe bei der Stromversorgung und ohne Zunahme, ja, innerhalb eines Jahres sogar bei Abnahme der Schwefeldioxid- - und der Stickoxidemissionen können wir die Atomkraftwerke sofort entbehren. Ich habe die Studie sie ist taufrisch - auf meinem Platz liegen; ich kann sie Ihnen zeigen.
({15})
Die Wissenschaftler Müller-Reissmann und Schaffner in Hannover haben nämlich soeben eine Studie fertiggestellt - sehr sorgfältig -, die heute in einer Woche, am Donnerstag, der Öffentlichkeit vorgestellt wird und die aufzeigt, daß die Abschaltung aller Atomkraftwerke
({16})
- am Donnerstag wird sie vorgestellt; das Interesse an einer solchen Studie ist hier anscheinend nicht so doll, aber Sie werden es hoffentlich noch lernen ({17})
mit wirksamen Maßnahmen zur Reduzierung der klassischen Emissionen gekoppelt werden kann. Eine andere Arbeitsausnutzung der bestehenden Kraftwerke kann dazu beitragen. - Ich sehe gerade, meine Zeit ist zu Ende. ({18})
Bis 1990, so wird dort nachgewiesen, könnten ohne drastische soziale Einschränkungen und ohne Gefährdung der Versorgungssicherheit alle Atomanlagen in diesem Land stillgelegt und die Schwefeldioxid- und Kraftwerksemissionen auf 8%, die Stickoxidemissionen auf 13% reduziert werden. Wenn wir diesen Schritt allerdings nicht sofort tun ...
Frau Kollegin, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
- ja, es ist der letzte Satz -, sondern die weiteren fünf Atomkraftwerke 1985 in Betrieb nehmen, wird mit den dann geschaffenen neuen Abhängigkeiten der Fortschritt in die wirtschaftliche, die ökologische und die gesellschaftliche Barbarei wieder einen Schritt weiter sein.
Lassen Sie uns umkehren, jetzt, und kümmern Sie sich um diese alternativen Pläne!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warrikoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das erste Mal dieses Atomsperrgesetz gesehen habe, hatte ich den Eindruck, als ob es sich um ein grünes Spektakulum handeln soll in Richtung auf Medienwirksamkeit. Davon haben Sie mich überzeugt: Sie meinen es tatsächlich ernst.
({0})
Ihre Unfähigkeit, irgend etwas zur Kenntnis zu
nehmen, Ihre Unbelehrbarkeit, Ihre Unfähigkeit,
Argumente aufzunehmen, ist geradezu eindrucksvoll.
({1})
Wenn mich irgend etwas beeindruckt hat, dann diese Begründung. - Übrigens, wenn der Herr Studienrat einen „Herr Lehrer" nennt, ist das immer besonders beeindruckend. - Diese Begründung, die Sie zu Ihrem Atomsperrgesetz geliefert haben, ist das einzige, wozu ich Ihnen heute ein Kompliment machen möchte: die wunderbarste Zusammenfassung Ihrer Vorurteile, übrigens kurzgefaßt, aber keines fehlt.
Die GRÜNEN verlangen eine Abschaltung sämtlicher Kernkraftwerke und kerntechnischen Anlagen innerhalb eines halben Jahres. Wie wir hörten, ist das ernst gemeint. Wir müssen also einen Blick darauf werfen, was das bedeutet. Wir werden im Jahre 1985 100 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Kernkraftwerken erzeugen. Die Bürger der Bundesrepublik, die Verbraucher werden. ihren Stromverbrauch nicht etwa deswegen drosseln, um den GRÜNEN ein Vergnügen zu bereiten, sondern sie werden ihren Strom weiter so verbrauchen wie bisher. Wissen Sie, wo der Strom herkommen wird? Er wird aus konventionellen Kraftwerken kommen, übrigens im wesentlichen aus Ölkraftwerken, weil das die Kraftwerke sind, die sich jetzt in der Reserve befinden, und zwar deswegen in der Reserve, weil der Ölstrom ganz besonders teuer und importabhängig ist. Diese Kraftwerke werden eingeschaltet werden mit einer erheblichen Belastung unserer Zahlungsbilanz, mit einer erheblichen Belastung - Ölstrom ist ein sehr teurer Strom - der Verbraucher und vor allem mit einer erheblichen Belastung der Umwelt mit Hunderttausenden Tonnen zusätzlicher Schadstoffe; das ist schweres Heizöl.
Frau Hickel, Sie haben eine wunderbare Weise, von 100 Untersuchungen jeweils immer die eine herauszufinden, die auch noch in Ihrem Auftrag gemacht wurde, und sie als alleinseligmachend darzustellen.
({2})
Das ist doch Ihre Methode. Nehmen Sie doch gelegentlich einmal die 99 anderen Untersuchungen von vernünftigen Leuten zur Kenntnis
({3})
und nicht immer nur die, die Sie hier fabrizieren!
({4})
Der zweite Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist folgender. Im Bereich der kerntechnischen Industrie einschließlich der Zulieferindustrie befinden sich 150 000 Arbeitsplätze,
({5})
und zwar Arbeitsplätze, die in den zuständigen Berufsgenossenschaften zu den Arbeitsplätzen mit
der höchsten Arbeitssicherheit zählen und die darüber hinaus hochqualifiziert sind. Diese Arbeitsplätze würden Sie vernichten. Ihre geradezu naive Vorstellung, daß diese Leute - das ist ja Ihr Vorschlag - sich alle mit Energiesparinvestitionen befassen sollen, mit anderen Worten im Bauhandwerk tätig werden sollen, ist in der Tat wer weiß wo hergeholt. Erstens werden sämtliche Energiesparinvestitionen, sofern sie wirtschaftlich, sofern sie nützlich sind, ohnehin jetzt schon durchgeführt. Ich möchte einmal wissen, wie Sie einen Ingenieur aus einem Kernkraftwerk dazu bewegen wollen, irgendwelche Isoliermaterialien zu verlegen; das kann er nicht.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Eine Frage von Herr n Stratmann lasse ich zu, aber eine kurze bitte.
Herr Warrikoff, wenn Sie nur eine Frage zulassen, dann möchte ich sie für meine Kollegin vorbehalten.
Bitte, dann Ihre Kollegin.
Vielleicht wären Sie aber so freundlich - Dr. Warrikoff ({0}): Eine Frage, habe ich gesagt.
Herr Kollege, ich bitte, eine Frage zu stellen.
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der KWU, die bekanntlich u. a. Atomkraftwerke herstellt, sagt, daß die KWU-Atomkraftwerksproduktion ohne weiteres umgestellt werden könnte auf die Produktion von beispielsweise Heizkraftwerken, wozu wir ebenfalls hochqualifizierte Ingenieure und hochqualifizierte Arbeitskräfte brauchen?
Selbstverständlich können Sie die gesamte deutsche Stromerzeugung, die aus Kernkraftwerken kommt, im Laufe der nächsten zehn bis 15 Jahre auf Stromerzeugung durch Öl umstellen. Selbstverständlich können Sie das machen. Mit gewaltigen Kosten für die deutsche Volkswirtschaft! Das geht.
({0})
Das wäre aber ein katastrophaler Fehler. Der Betriebsrat hat völlig recht, es ginge. Es wäre aber entsetzlich falsch.
({1})
Meine Damen und Herren, der nächste Punkt ist der: Wir verlieren' nicht nur die 150 000 Arbeitsplätze direkt in dieser Industrie, sondern wir würden ein weltweites Signal industrieller Unvernunft setzen. Das wäre ein Signal, bei dem unsere
Freunde und Kunden in aller Welt anfangen würden, in der Tat zu weinen und an uns zu verzweifeln, und bei dem unsere Konkurrenz lachen würde. Die Tagödie ist nur, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, daß sie jetzt schon lachen. Sie machen unsere Industrie lächerlich. Lächerlich machen Sie uns.
({2})
Sie machen uns weltweit lächerlich. Sie haben durch Ihre absurde Politik jetzt schon Arbeitsplätze gefährdet und gefährden sie laufend.
({3})
- Wenn Sie Zwischenrufe machen, Herr Stratmann, erbitte ich mir ein Mindestmaß an Verstand und nicht solche Klischees. Denken Sie doch ein bißchen nach, bevor Sie zwischenrufen. Sagen Sie ein bißchen etwas Gescheiteres. Wir wollen uns doch nett unterhalten und nicht dumme Zwischenrufe machen.
({4})
Der nächste Punkt. Sie haben hier lebhaft verkündet - ich zitiere Sie nach Ihrer Gesetzesvorlage -, daß durch diesen Gesetzesvorschlag keine Kosten entstehen. Keine Kosten!
Meine Damen und Herren, was Sie vorhaben, ist die Enteignung sämtlicher Kernkraftwerke und der dazugehörenden Einrichtungen.
({5})
- Ich habe nur eine Zwischenfrage zugelassen - ich habe zuwenig Zeit -, obwohl es mir eine Freude bereitet, Ihre Zwischenfragen zu hören und zu beantworten. Ich habe aber keine Zeit.
({6})
- Nein, kommt nicht in Frage. Setzen Sie sich.
({7})
- Und Sie sind ein Komiker. Es wird noch deutlich werden, daß Sie ein Komiker sind, und zwar immer mehr.
Meine Damen und Herren, Sie haben behauptet, es entstünden keine Kosten für den Bund. Ich bitte Sie, gelegentlich in das Grundgesetz hineinzusehen. Im Art. 14 steht
({8})
- der Geistreichtum Ihrer Bemerkungen steigert sich von Sekunde zu Sekunde -, daß für alle enteignungsgleichen Eingriffe der Bund Ersatz zu leisten hat. Das wäre hier eine Enteignung. Die Kosten, die im nächsten Haushaltsjahr auf die Bundesrepublik zukämen, würden zwischen 70 und 100 Milliarden DM liegen.
Bezüglich der Kosten pro Kilowattstunde und überhaupt der Kosten des Systems gibt es bei Ihnen ein Vorurteil, das Sie ganz außerordentlich lieben. Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben. Sie vermuten offenbar, daß die deutsche Elektrizitätswirtschaft in wirtschaftlichen Dingen ungefähr genauso gescheit ist, wie Sie das sind, nämlich daß sie überhaupt keinen Verstand hat.
({9})
Welchen anderen Grund sollte denn die Elektrizitätswirtschaft haben als den Grund, daß die Erzeugung von elektrischer Energie durch Kernenergie die wirtschaftlichste Methode ist, die es überhaupt gibt. Deswegen wird das gemacht. Glauben Sie denn allen Ernstes, die deutsche Elektrizitätswirtschaft baue Kernkraftwerke nur, um Sie zu ärgern? Das glauben Sie doch nicht.
({10})
- Wenn sie verdient, ist es doch offenbar lohnend, Herr Kollege, das zu tun. Es ist doch offenbar lohnend. Sie können doch nicht auf der einen Seite behaupten, daß es ein großes Verlustgeschäft ist, und auf der anderen Seite sagen, daß diese Branche verdient. Irgendwie müssen Sie sich überlegen, was Sie machen.
({11})
Eine der seltenen Höhepunkte Ihrer Geschichte ist der - das ist immer wieder eine Sache, die ich mit wachsender Freude lese; ich hoffe, daß Sie diese fixe Idee nicht so bald aufgeben -, daß in den Bau
- meine Damen und Herren, das ist wirklich faszinierend, sich das einmal anzuhören - eines Kernkraftwerks mehr Energie hineingesteckt wird als herauskommt. Das kommt auch in Ihrer Begründung und jener Studie wieder vor.
({12})
Was Sie von der deutschen Elektrizitätswirtschaft halten, ist in der Tat bemerkenswert.
Frau Hickel, Sie haben die Sache mit der militärischen Nutzung in den Vordergrund gestellt. Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß in allen Fällen, in denen bisher irgendein Staat eine Kernwaffe entwickelt hat - das letzte Mal war es in China 1964 - der Weg zur Kernwaffe direkt gegangen wurde, weil der Weg über die zivile Nutzung der Kernenergie ein unendlich langer und ungeeigneter Weg, ein ganz großer Umweg ist.
({13})
Wenn irgendein Land - und dazu wird die Bundesrepublik nicht gehören - eine Kernwaffe entwikkeln wollte, würde es nicht den Weg über die zivile Nutzung der Kernenergie gehen. Die Volksrepublik
China hat 1964 eine Kernwaffe gehabt und ist heute noch weit davon entfernt, ein Kernkraftwerk und andere zivile Einrichtungen bauen zu können.
({14})
Dies ist der Beweis dafür, daß der Weg zu Kernwaffen ganz sicher nicht - das ist nur ein Punkt; es ließe sich dazu noch viel mehr sagen - über die zivile Nutzung geht.
({15})
In Wirklichkeit handelt es sich, wie jede Art von Untersuchung, und zwar seriöser Untersuchung, Frau Hickel, beweist, bei der Kernenergie um die sicherste Form der Energiegewinnung in bezug auf die Belastung der Umwelt und der Menschen.
({16})
- Und Sie sind - ich darf es wiederholen - ein Witzbold. Das sind Sie wirklich!
({17})
Sie haben eine großartige Sammlung von Vorurteilen. Ich habe inzwischen die Hoffnung aufgegeben, Ihnen diese Vorurteile nehmen zu können. Das hat gar keinen Zweck; aber wir müssen uns ja hier vor der Öffentlichkeit auseinandersetzen.
Die Kernenergie ist die sicherste Form der Energieerzeugung. Es gibt 300 Kernkraftwerke in aller Welt. Wir haben 30 Jahre lang hervorragende Erfahrungen damit gesammelt. Wie gesagt, wir machen uns mit der Antikernkraftbewegung, die vor allem Sie repräsentieren, weltweit im wesentlichen lächerlich, einmal abgesehen von anderen Nachteilen, auf die ich schon eingegangen bin.
Der zweite Punkt, den ich in dieser verbundenen Debatte noch erwähnen möchte, ist das Haftungsrecht. Wir schlagen die Aufhebung der Haftungsgrenze vor. Das heißt, die Betreiber würden bei Schäden, wenn diese die heutige Haftungsgrenze von einer Milliarde DM überschreiten würden - sehr starker Konjunktiv -, mit ihrem eigenen Vermögen haften. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt zur Normalität. Die Kernkraftwerksbetreiber haben uns immer wieder versichert, daß solche Schäden nicht zu erwarten sind, daß es solche Schäden nicht geben wird.
({18})
Wir vollziehen hier einfach das, was sie uns sagen, wenn sie das für richtig halten. Das ist auch unsere Ansicht. Die umfassenden Untersuchungen, die vorliegen, bestätigen das. Aber dann können sie dafür auch mit ihrem eigenen Vermögen geradestehen.
({19})
Mit anderen Worten: Die Betreiber sollen das Vertrauen, das sie selbst in diese Anlagen haben, auch durch den Einsatz ihres eigenen Vermögens dokumentieren.
Der SPD-Vorschlag geht von einer Deckung von 10 Milliarden DM aus. Ich habe übrigens bei den Ausführungen, die ich soeben gemacht habe, ein wenig den Beifall der SPD vermißt. In einer Presseerklärung hat die SPD Ihren Atomsperrgesetzentwurf mit einem außerordentlich starken deutschen Schimpfwort - ich will es hier aus parlamentarischen Gründen nicht wiederholen - belegt. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Kollege Reuter - das war übrigens eine offizielle Erklärung - dieses Schimpfwort hier aufgreifen würde. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Reuter, aber keineswegs vorgreifen.
Die SPD hat also eine Deckungssumme von 10 Milliarden DM vorgesehen, die im wesentlichen durch den Bund bzw. die öffentliche Hand aufzubringen wäre. Wenn die hier denkbaren Schäden diese Höhe erreichten, wären wir die ersten, die von einer weiteren Nutzung der Kernenergie abraten würden. Dies ist aber keineswegs der Fall.
Meine Damen und Herren, vor allem meine lieben Grünen - ({20})
- Herr Oberstudienrat! Oder sind Sie Oberstudiendirektor? - Ich weiß es nicht.
({21})
- Jawohl, Herr Referendar!
Sie werden sich damit abfinden müssen, daß die Kernkraftwerke nicht abgestellt werden. Sie werden sich ferner damit abfinden müssen, daß in der Bundesrepublik wie woanders, und zwar auch aus Gründen des Umweltschutzes, weitere Kernkraftwerke gebaut werden. Sie werden sich darüber hinaus damit abfinden müssen, daß in der Bundesrepublik 150 000 Menschen auf diesem Gebiet tätig bleiben, und Sie werden sich vor allem damit abfinden müssen, daß die Kernenergie eine wesentliche Energieform der Zukunft ist.
({22})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger aus dem Bundesministerium des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine bemerkenswerte Regie hat heute zwei völlig konträre Gesetzesanträge in einer Debatte zusammengeführt. Auf der einen Seite steht der Antrag der Koalitionsfraktionen, den die Bundesregierung außerordentlich begrüßt. Er ist, wie Herr Dr. Warrikoff sagte, ein Schritt in die Normalität. Da ist auf der anderen Seite der Antrag der GRÜNEN zur Stillegung aller Kernkraftanlagen. Es ist nahezu überflüssig zu betonen, daß ihn die Bundesregierung ablehnt. Er ist ein Zeichen von Hysterie.
({0})
Das Interessanteste an diesem Antrag ist die Frage, wie sich die SPD zu diesem Antrag stellt. Sie sagten schon, Herr Dr. Warrikoff, daß hier sehr starke Worte verwendet wurden. Herr Kollege Roth hat in einem Interview in der „Frankfurter Rundschau" diesen Antrag als ökonomischen Schwachsinn und als Klamauk bezeichnet.
({1})
Ich könnte mich dem durchaus anschließen. Es ist die Frage, ob auch heute die SPD entsprechende Bewertungen vornimmt.
({2})
Zur Sache läßt sich nur soviel sagen: Die kerntechnischen Anlagen in der Bunderepublik Deutschland sind sicher und umweltfreundlich. Da können Sie in Ihren Anträgen noch soviel an Absurditäten und anderen Bewertungen oder an bestellten Gutachten vorführen. Das ändert nichts an diesen Fakten.
({3})
Die inzwischen fortgeschrittenen Erfahrungen mit der Anwendung der Kernenergie rechtfertigen das Vertrauen in die Sicherheit der Kernenergie. Angst und Panikmache helfen hier überhaupt nicht weiter. Sie ändern an diesen Fakten auch nichts. Gravierende Störungen oder gar Unfälle hat es - das zeigt die Vergangenheit - in der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben. Auch der vom Bundesinnenminister vor kurzem vorgelegte Bericht über besondere Vorkommnisse in den Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1983 hat - wie auch die Berichte der Vorjahre - bestätigt, daß der Betrieb von deutschen Kernkraftwerken frei von sicherheitstechnisch besorgniserregenden Vorkommnissen war. Bei keinem Vorkommnis wurden Personen in der Umgebung oder im Kernkraftwerk durch Radioaktivität gefährdet. Diese positiven Erfahrungen sind ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit des deutschen Sicherheitskonzepts.
Um so absurder ist es, ohne erkennbaren Anlaß und nur der politischen Effekthascherei oder Schaumschlägerei willen die Abschaltung aller kerntechnischen Anlagen zu fordern. Diese Forderung ist, abgesehen von ihrer verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit, nicht nur ökonomisch,
({4})
sondern auch sicherheitstechnisch und angesichts der Umweltfreundlichkeit kerntechnischer Einrichtungen auch ökologisch barer Unsinn.
({5})
Realität ist: Die Kerntechnik ist auf dem Weg zu einer ganz normalen Großtechnologie. So sollten wir sie auch zukünftig behandeln.
({6})
Diese Entwicklung ist zu fördern. Aus dieser Entwicklung sind die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Gerade dies tut der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Nuklearhaftung.
Angesichts der vielfach positiven Entwicklung der Kernenergie ist heute kein Grund mehr für eine Haftungsbegrenzung zugunsten des Inhabers einer kerntechnischen Anlage unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Kernenergie gegeben.
({7})
Kernenergie sollte daher haftungsrechtlich nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Großtechnologien gestellt werden. Dem dient der Wegfall der Haftungshöchstgrenze.
Damit wird zugleich eine Verbesserung des Bürgerschutzes erreicht. Der Inhaber einer kerntechnischen Anlage muß für Schäden mit seinem ganzen Vermögen einstehen.
Der Gesetzentwurf sieht auf der Deckungsseite - ausgehend von der derzeitigen Höchstgrenze - eine regelmäßige Anpassung im Hinblick auf die Geldwertentwicklung vor. Auch die Bundesregierung hält eine weitergehende Anhebung der Dek-kung weder für erforderlich noch für zweckmäßig. Die Bundesrepublik Deutschland liegt heute bereits hinsichtlich der Deckungshöhe im internationalen Vergleich mit den USA und der Schweiz ohnehin an der Spitze. Sicherheitserkenntnisse, die für eine weitere Anhebung der Deckung sprechen könnten, liegen nicht vor.
Wir werden uns im Ausschuß auch mit dem Antrag der SPD-Fraktion, eine Deckung in Höhe von 10 Milliarden DM vorzusehen, auseinanderzusetzen haben. Nach Auffassung der Bundesregierung ist diese Forderung ohne jedes Augenmaß.
Ein objektives Kriterium für das Verzehnfachen der Deckung ist nicht erkennbar. Sie würde Verbraucher und Betreiber mit jährlich etwa 100 Millionen DM belasten und liefe deshalb Gefahr, ruinös zu wirken. Man kann sich hier nicht des Eindrucks erwehren, daß es sich bei diesem Antrag praktisch um eine subtilere Form des Atomsperrgesetzes der GRÜNEN handelt.
({8})
Die im Koalitionsantrag vorgesehene Regelung ist dagegen ein vernünftiges Konzept. Einerseits wird gewährleistet, daß der heutige Deckungsstandard erhalten bleibt, andererseits wird eine unnötige Belastung von Betreibern und Verbrauchern vermieden. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich diesen Gesetzentwurf.
Ich darf noch kurz einige Worte zu den ebenfalls zur Beratung in erster Lesung anstehenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung zur Ratifizierung bzw. nationalen Umsetzung der Änderungsprotokolle zu den Pariser und Brüsseler Haftungskonventionen verlieren. Ziel dieser beiden Gesetzentwürfe ist neben der Klarstellung einiger Begriffsdefinitionen vor allem die Gewährleistung eines wesentlich erhöhten Mindestentschädigungsbetrages im nuklearen Schadensfall für den Geltungsbereich der Brüsseler Konvention. Selbst diese neue Regelung bleibt allerdings immer noch deutlich hinter dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Haftungsstandard zurück. Die Bundesregierung sieht in der Ratifizierung bzw. Umsetzung der beiden neu gefaßten Konventionen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung und Angleichung des internationalen Haftungsstandards. Sie ruft die Vertragsstaaten der Konventionen auf, die Ratifizierung ebenfalls so schnell wie möglich durchzuführen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine Vorbemerkung machen. Wenn der Kollege Dr. Warrikoff hier den GRÜNEN vorhält, daß sie aus Gutachten zitierten, die sie selber in Auftrag gegeben hätten, frage ich mich allen Ernstes, welche Strategie die CDU/CSU verfolgt, gerade Sie, Herr Dr. Warrikoff, als Geschäftsführer der Nuklearbetriebe in Hanau zu diesem Thema reden zu lassen.
({0})
- Sie dürfen nie die Funktion des Verstandes durch die Galle ersetzen wollen, weil das zu nichts führt, Herr Dr. Laufs.
({1})
Herr Kollege Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?
Ich gestatte im Moment keine Zwischenfrage, weil ich noch gar nicht begonnen habe, zu reden.
({0})
Ich will sehr ehrlich sagen: Wenn Frau Dr. Hickel, die diesen Antrag begründet hat, der Meinung ist, die Kernkraftwerke müßten abgeschaltet werden, und den Kollegen der CDU/CSU empfiehlt, über ihren Schatten zu springen, wird das eine schwierige Veranstaltung, wenn es dunkel ist.
({1})
Wir haben uns heute in erster Lesung hauptsächlich mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN zu beschäftigen, der die Aufhebung des Atomgesetzes und die Stillegung aller kerntechnischen Anlagen innerhalb von sechs Monaten vorsieht. Da meine Redezeit beschränkt ist, möchte ich mich auf einige wesentliche Punkte Ihres umfangreichen Antrages konzentrieren.
Eines lassen Sie mich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, vorweg jedoch generell sagen: Mir scheint es, daß Ihr Gesetzentwurf hauptsächlich darauf abzielt, Ihre Basis zufriedenzustellen und Stimmen zu sammeln.
({2})
Mit verantwortungsbewußter Politik hat Ihr Antrag, meine Damen und Herren, nichts zu tun.
({3})
Nun zu einigen Kritikpunkten im einzelnen. Zunächst zu den wirtschaftspolitischen Aspekten:
({4})
Sie sprechen von einer Überkapazität im Bereich der Stromerzeugung.
({5})
- Diese ist unbestritten vorhanden. Deshalb sind auch wir Sozialdemokraten gegen einen hemmungslosen Zubau von Kernkraftwerken, wie ihn einige Lobbyisten der Union wünschen. Aber so einfach, wie Sie es sich mit Ihren Rechnungen machen, geht es nicht. Ich will Ihnen einmal einige Zahlen nennen. Für 1983 errechneten Sie einen Strombedarf von 303 Terawattstunden. Dem stand bei Ihnen eine Kapazität von 550 Terawattstunden unter Einbeziehung von Kernkraftwerken und 494 Terawattstunden ohne die Einbeziehung von Kernkraftwerken gegenüber. Auf diese Zahlen kommt man jedoch nur dann, wenn man für alle Kraftwerke außer den Kernkraftwerken eine Verfügbarkeit von 85 bis 90 % ansetzt, d. h. also auch für die Kraftwerke, die in der Spitzenlast gefahren werden. Wollte man Ihren Berechnungen folgen, müßte man also die Unterschiede zwischen den Lastbereichen Grundlast, Mittellast und Spitzenlast aufheben. Dies ist jedoch weder möglich noch ist es wünschenswert. Umstrukturierungen in so wichtigen Wirtschaftsbereichen dauern sehr lange, meine Damen und Herren. Es kann uns doch gar nicht daran liegen, Gas- und Ölkraftwerke, die jetzt in der Spitzenlast gefahren werden, in den Grundlastbereich zu verlagern. Dies würde - um nur einige Nachteile zu nennen - eine um 20 % bis 30 % erhöhte Schadstoffbelastung bedeuten.
({6})
Es würde auch bedeuten, meine Damen und Herren, daß keine Nachrüstung auf umweltfreundliche Techniken an Kohlekraftwerken durchgeführt werden kann, da für eine solche Nachrüstung keine Kapazitäten stillgelegt werden könnten.
Gegen die kurzfristige Abschaltung aller Kernkraftwerke spricht auch die unterschiedliche Bedeutung der Kernenergie in den einzelnen Bundesländern. So beträgt der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung in Bayern und Baden-Württemberg jeweils über 40%, in Hamburg und Hessen über 60 %
({7})
- darauf komme ich gleich; wissen Sie, man soll die Dinge nie so aufgeregt sehen; wir können das alles in Ruhe beraten; das ist eine reine Nervensache ({8})
in Niedersachsen 35%, während der Anteil in Nordrhein-Westfalen nur 1 % ausmacht. Der regionale Ausfall derartig hoher Anteile der Stromerzeugung könnte selbst bei ausreichender Verfügbarkeit von Stromerzeugungskapazitäten in anderen Bundesländern wegen der begrenzten Übertragungsfähigkeit des Verbundnetzes nicht ohne weiteres ausgeglichen werden.
({9})
- Es ist alles möglich. Es ist nur schwierig, Zahnpasta wieder in die Tube zu drücken. Da gebe ich Ihnen recht.
({10})
Auch ein Ausgleich durch zusätzliche Stromimporte kann nicht in Betracht gezogen werden, weil die Koppelung des deutschen Verbundnetzes mit dem des Auslandes nicht für ständige Stromtransporte in der notwendigen Größenordnung ausgelegt ist. Außerdem, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, kann es Ihnen doch wohl nicht um die Abschaltung deutscher Kernkraftwerke zugunsten von Stromimporten aus Frankreich gehen, die dann ebenfalls aus Kernkraftwerken, allerdings aus französischen, kommen würden.
({11})
Wollten wir Ihrem Vorschlag folgen, wären auch umfangreiche Umstrukturierungen auf dem Arbeitsmarkt erforderlich. Schätzungsweise 40 000 Arbeitsplätze wären direkt betroffen, 100 000 indirekt. Dabei geht es auch um viele Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Zulieferbetrieben, von denen rund 700 am Bau eines einzigen Kernkraftwerks beteiligt sind. Es ist doch wohl für jeden einsichtig, daß bei der gegenwärtigen Situation auf dem Arbeitsmarkt eine Umstrukturierung derzeit nicht zu verkraften wäre.
({12})
Lassen Sie mich auch einiges zu sicherheitstechnischen Aspekten sagen. Sie sind der Meinung, daß die Kernenergie auf Grund mangelnder Sicherheit beim Normalbetrieb und der hohen Unfallgefahr nicht länger genutzt werden darf. Wir Sozialdemokraten sehen diesen Punkt durchaus, sind aber der Meinung, daß auf Grund des hohen Sicherheitsstandards bei uns in der Bundesrepublik die Kernenergie zumindest für eine Übergangszeit genutzt werden darf und daß dies auch verantwortbar ist, meine Damen und Herren.
({13})
Herr Kollege Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte schön.
Herr Reuter, Sie machen sich zum Anwalt der Arbeitsplätze.
Ich bin bei der Gewerkschaft.
Ich habe eben schon gegenüber Ihrem Kollegen Warrikoff darauf hingewiesen, daß bei den Firmen, die Atomkraftwerke bauen ...
Herr Kollege, ich bitte eine Frage zu stellen.
- die Frage kommt sofort -, ohne weiteres beispielsweise Heizkraftwerke oder Energieeinsparanlagen gebaut werden können. Die Frage: Können Sie mir erklären, warum Ihre Genossen der Sozialdemokratie im Wirtschaftsausschuß unseren Antrag abgelehnt haben, das Kohleheizkraftwerkprogramm von 90 auf 300 Millionen DM aufzustocken?
Es tut mir außerordentlich leid, daß ich Ihnen nicht erklären kann, warum unsere Kollegen im Wirtschaftsausschuß etwas gemacht haben, was Ihnen mißfällt. Aber man kann natürlich alles umstrukturieren. Es muß nur in den richtigen Zeitrahmen passen. Man muß dann auch die Rahmenbedingungen kennen und danach handeln. So einfach, wie Sie das machen, geht es natürlich nicht.
Herr Abgeordneter Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bitte schön.
Herr Kollege Reuter, würden Sie bestätigen wollen, daß unsere Fraktion im Innenausschuß zu dem angesprochenen Einzelplan 06
({0})
- Einzelplan 06 ({1})
genau das beantragt hat, eine Aufstockung um 512 Millionen DM für Umweltschutzmaßnahmen, aber es mit einer soliden Politik nicht zu vereinbaren ist, den gleichen Antrag in zwei Haushalten unterbringen zu wollen?
Ich kann das, Herr Kollege Schäfer, bestätigen.
({0})
Die Gefahr einer militärischen Nutzung der Kernenergie sehen wir unter den gegenwärtigen Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland nicht. Die Bundesrepublik hat von Anfang an auf den Besitz von Atombomben verzichtet. Sie unterwirft sich den für Deutschland besonders strengen Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation. Sie hat unter sozialdemokratischer Regierung den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Wir werden alles daransetzen, daß dies auch in Zukunft nicht zu einem Problem wird.
({1})
- Der kann ja verlängert werden.
Im Rahmen der Sicherheit spielen die Entsorgung kerntechnischer Anlagen und die sichere Verwahrung radioaktiver Stoffe eine besondere Rolle.
({2})
Dies fordern wir auch. Man kann jedoch nicht gleichzeitig für eine sichere Entsorgung eintreten und die staatliche Verwahrung aller nuklearen Stoffe verlangen, aber den Bau und die Planung von Anlagen für eine solche Verwahrung einstellen wollen.
({3})
Hier liegt doch ein besonderer Widerspruch in Ihrem Gesetzentwurf.
Einen weiteren Schwerpunkt Ihres Entwurfs lassen Sie mich nur kurz streifen. Sie sehen keine Entschädigung für die Stillegung und Enteignung der Anlagen vor. Glauben Sie wirklich, daß die Stillegung von Wirtschaftswerten im Umfang von rund 50 Milliarden DM auf Grund einer rein verbalen und substanzlosen juristischen Meinungsäußerung, wie sie in Ihrer Begründung enthalten ist, vor dem Verfassungsgericht Bestand hätte?
({4})
Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen.
Das waren nur einige meiner Kritikpunkte. Die Details werden wir sicher in den entsprechenden Ausschüssen beraten können.
Folgendes möchte ich aber hinzufügen. Wir Sozialdemokraten haben zum Thema „Umweltfreundliche und sichere Energieversorgung" bereits im Mai einen eigenen Antrag eingebracht.
({5})
Im Gegensatz zu den GRÜNEN befassen wir uns dabei nicht nur mit der Kernenergie, sondern mit der Energiepolitik insgesamt.
({6})
Wir machen Vorschläge für Energieeinsparung, für eine umweltfreundliche Energienutzung, für Kohle, für die Nutzung der Kernenergie für eine Übergangszeit.
({7})
Auch wir wollen langfristig die Möglichkeit offenhalten, aus der Kernenergie auszusteigen.
({8})
Wir wollen dies jedoch auf eine wirtschaftlich und ökonomisch vertretbare Art und Weise tun.
({9})
Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, hatten gestern im Innenausschuß Gelegenheit, diesem Antrag zuzustimmen.
({10})
Diese Gelegenheit haben Sie versäumt. Sie haben eine gemeinsame grün-schwarze Verweigerungshaltung an den Tag gelegt.
({11})
Ich bin überzeugt: Sie sind wirklich grün. Aber manchmal habe ich den Eindruck: Sie sind es hinter den Ohren.
({12})
Der zweite Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute befassen, betrifft ein Detailproblem der Kernenergienutzung. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit kann ich nur noch ganz kurz darauf eingehen. Es geht um das nukleare Haftungsrecht. Wir begrüßen es, daß die Koalitionsfraktionen sich nun zur Vorlage- des Entwurfs eines entsprechenden Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes entschlossen haben. Wir haben ja einen derartigen Antrag bereits im März 1984 im Deutschen Bundestag eingebracht.
Leider können Sie uns nur im ersten Punkt, bei der Aufhebung der Haftungshöchstgrenze, folgen. Dies begrüßen wir natürlich. Wir bedauern es jedoch, daß Sie nicht auch eine Anhebung der Dekkungsvorsorge und der Freistellungsverpflichtung des Staates vorsehen. Ihnen geht es lediglich um eine inflationsbedingte Anpassung. Dies halten wir für nicht ausreichend, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Wir meinen, daß ein ausreichender Opferschutz nur dann sichergestellt werden kann und daß auch maximale Unfallfolgen bei einem größtmöglichen Unfall nur dann abgedeckt werden können, wenn man unserem Vorschlag auf Erhöhung der Deckungsvorsorge auf zehn Milliarden folgt.
Herr Abgeordneter Reuter, Entschuldigung! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hickel?
({0})
Ja. - Andere Länder, z. B. die Schweiz, haben diesen Schritt bereits getan. Es stände uns gut an, diesen Ländern zu folgen.
Bitte schön, gnädige Frau.
Herr Kollege, wissen Sie, warum all das viele Plutonium in Hanau lagern soll?
Ich darf Ihnen dazu einmal folgendes sagen. Wir können uns darüber nun in epischer Breite unterhalten.
({0})
Wenn der Abfluß der fertiggestellten Brennelemente an die einzelnen Kraftwerke nicht zügig erfolgt, dann brauchen die Firmen eine höhere Kapazität, damit sie dort weiter produzieren können.
({1})
- Das glaube ich im Ernst. Wissen Sie, bei Ihnen muß ich einmal folgendes feststellen, Frau Dr. Hikkel.
({2})
Ich glaube steif und fest: Tucholsky muß Sie schon gekannt haben. Denn die Unkenntnis des Gegenstands erhöht erheblich die Sicherheit des Urteils.
({3})
Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten.
Schönen Dank für Ihre gesteigerte Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Reuter hat völlig recht: Das ist alles eine Nervensache.
Wir haben eine jahrzehntelange Diskussion innerhalb und außerhalb dieses Hauses über Chancen, Nutzen, Risiken, Gefahren der Kernenergie,
({0})
ihrer Erzeugung, Wiederaufarbeitungsanlagen und der Endlagerung geführt. Wir können keinen Sinn darin sehen, an den Anfang dieser Diskussion zurückzukehren, als ob nichts gewesen sei.
Tatsächlich haben die politischen Auseinandersetzungen beide Seiten verändert. Die Befürworter der Kernenergie haben akzeptiert, daß die Nutzung dieser Technologie nicht von der Schlagkraft der Polizei, sondern von der Akzeptanz und damit von der ernsthaften Beschäftigung mit den Problemen abhängt, die diese Technologie beinhaltet, sei es bei der Kontrolle des Personals, bei der Betriebssicherheit, bei den Problemen der Endlagerung. Ein wesentlicher Beitrag zur Akzeptanz ist dabei die äußerste Sorgfalt bei der Behandlung der Sicherungsprobleme, und man kann sagen, daß die deutschen Kernkraftwerke in der Tat in dieser Frage führend sind.
({1})
Die Gegner der Kernenergie auf der anderen Seite haben akzeptiert, daß auch andere Energiequellen außerordentliche Umweltprobleme schaffen, die nur mit hohem finanziellen und technischen Aufwand zu lösen sind. Dazu gehört insbesondere die Belastung der Luft durch Schwefeldioxid, Kohlenoxide, Fluor und Stäube, und dazu gehören dramatische Grundwasserabsenkungen z. B. beim Tagebau der Braunkohle.
Schließlich muß man würdigen, daß die seit über zehn Jahren geführte Diskussion mit bewirkt hat, daß unsere Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstandard aufweisen, daß eine Chance bestand,
({2})
überzogene Energieprognosen zurückzunehmen und damit enorme Fehlinvestitionen zu vermeiden. Das ist die Wahrheit, die nackte Tatsache. Schließlich hat diese Diskussion dazu geführt, daß es verstärkte staatliche und wissenschaftliche Bemühungen um die Entwicklungen alternativer Energien gibt.
Der Antrag der Fraktionen der GRÜNEN auf Ausstieg aus der Kernenergie kann nicht akzeptiert werden.
({3})
Er übergeht die Erkenntnisse, die wir aus der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie" haben, und er übergeht die drastischen Folgerungen, die sich wirtschaftlich und technologisch, insbesondere aber auch für den Arbeitsmarkt ergeben würden. Da muß man einige Tatsachen zur Kenntnis nehmen, die Herr Reuter hier dargestellt hat. Ich kann aber das Mengengerüst noch etwas näher darstellen.
({4})
Die Stromerzeugung aus Kernenergie 1983, ohne Ostblock, hat weltweit 890 Gigawatt betragen. Das entspricht in diesem Jahr 1983 einer Menge von 236 Millionen Tonnen Erdöl, also der Jahresförderung Saudi-Arabiens. Seit der Nutzung der Kernenergie sind 1,7 Milliarden Tonnen Erdöl - das ist das Zweifache des Jahresölverbrauchs aller westlichen Industriestaaten im Jahre 1983 zusammengerechnet - eingespart worden. Ein Ersatz dieser Energiemengen bei gleichzeitiger Befriedigung des wachsenden Energiebedarfs der Drittländer ist kaum vorstellbar.
In der Bundesrepublik sind Kernkraftwerke mit einer Kapazität von 12 000 Megawatt in Betrieb. Das entspricht 18 % der Stromerzeugung oder einem Äquivalent von 20 Millionen Tonnen Steinkohle oder 13 Millionen Tonnen Heizöl pro Jahr. Auch diese Kapazitäten sind ohne gravierende Folgen für das Preisniveau des Energieangebots, für die Wettbewerbsfähigkeit der von der Energie abhängigen Betriebe und ohne gravierende Folgen für die Sicherheit der Arbeitsplätze - und ich sage: auch ohne enorme Auswirkungen auf die aktuellen Umweltprobleme - weder durch fossile Brennstoffe noch durch Einsparungen ersetzbar. Man mag das begrüßen oder nicht, es ist so. Der geforderte sofortige Ausstieg aus der Kernenergie würde
nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung drastisch gefährden, sie ist schlicht arbeitnehmerfeindlich.
({5})
Wir wollen einen anderen Weg gehen, nämlich mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf die Kernergie ein Stück weiter in die Normalität überführen. Dazu trägt der Entwurf bei, mit dem die Haftungsbegrenzung aufgehoben werden soll, die zur Zeit zugunsten der Betreiber von Kernkraftwerken besteht. Die Einführung der unbegrenzten Gefährdungshaftung entspricht der Tatsache, daß der Sicherheitsstandard bisherige Haftungsbeschränkungen bei Schäden gegenüber Dritten nicht länger gerechtfertigt erscheinen läßt. Wir würden es begrüßen, wenn die Gesetzgeber der anderen europäischen Länder diesem Vorbild folgen würden.
Die Kernkraftwerke in der Bundesrepublik haben nicht nur die höchsten staatlichen Sicherheitsanforderungen, sie nehmen zur Zeit auch eine Spitzenstellung in der bisher verlangten Deckungshöhe ein. Sie haben die Schweiz erwähnt: Die Schweiz beabsichtigt oder ist dabei, die Deckungssumme auf 3 Milliarden Franken zu erhöhen. Sie hat das aber noch nicht getan. Der Gesetzentwurf sieht darum in dieser Frage im übrigen vor, daß die Deckungsvorsorge regelmäßig der zukünftigen Wertentwicklung angepaßt werden kann. Auch das ist zweifellos ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem geltenden Rechtszustand.
Die vorgeschlagene Regelung wird die Akzeptanz der Kernenergie erhöhen, und sie wird jenseits behördlicher Auflagen und Kontrollen das Eigeninteresse der Betreiber am hohen Sicherheitsstandard ihrer Werke eben wegen ihrer unbegrenzten Gefährdungshaftung verstärken und erhöhen. Wir hoffen daher, daß dieser Gesetzentwurf möglichst zügig in den beteiligten Ausschüssen beraten und beschlossen werden kann.
Ich möchte zum Abschluß noch eine persönliche Bemerkung, sozusagen auf eigene Rechnung, anschließen. Ich bin der Überzeugung, daß die wachsenden Energieprobleme nicht gelöst werden können, wenn das vorrangige Ziel in der Vermehrung der Energieerzeugung gesehen wird. Das gilt nach meiner Überzeugung unabhängig davon, welche Energiequelle als Primärenergie genutzt wird. Jeder wesentliche Zuwachs der Energieproduktion wird die ökologischen Probleme potenzieren. Das gilt insbesondere für die Erzeugung der elektrischen Energie, von der wir in zunehmendem Maß abhängen. Sowohl die fossilen Brennstoffe als auch die Kernenergie beinhalten technisch, wirtschaftlich und politisch nicht befriedigend gelöste Probleme im Bereich der Kernenergie, insbesondere bei der Verbreitung der Brütertechnologie und bei der Endlagerung.
Ich bin daher der Auffassung, daß wir größere Anstrengungen unternehmen müssen, alternative Energiequellen zu entwickeln und daß wir uns nicht scheuen dürfen, notfalls auch durch staatliche Interventionen den spezifischen Energieverbrauch weiter zu senken. Zur Zeit decken wir unseren Wohlstand auch dadurch, daß die Völker der Dritten
Welt ihren Anteil an den Energievorräten dieser Welt nicht bekommen und nicht bekommen können. Ich bin der Überzeugung, daß dieses System nur noch für vergleichsweise kurze Zeit fortgeführt werden kann.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN bietet aber keinerlei Ansatzpunkte, dieses Problem der weltweiten Energieversorgung zu lösen.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die Gesetzentwürfe zu den Tagesordnungspunkten 9 a und 9 b sowie zu den Zusatzpunkten 3 und 4 ist Ausschußüberweisung vorgeschlagen. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung und aus der Liste über die Zusatzpunkte. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes ({0})
- Drucksache 10/309 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 10/2213 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schwenk ({2}) Seesing
({3})
Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2277 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will in den nächsten Minuten drei Dinge tun: erstens meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß ein Gesetz nie in Kraft getreten ist, mich zweitens über die Bedeutung der Wörter „können", „sollen" und „müssen" auslassen und drittens ein paar Gedanken über die Weiterentwicklung des Strafvollzuges äußern. Alle drei Dinge haben mit dem aufgerufenen Tagesordnungspunkt zu tun. Ich bitte auch den Herrn Präsidenten um Nachsicht und etwas Geduld.
Zum ersten: Anläßlich der Anhörung vom 19. September dieses Jahres zur Sozialtherapie in den Justizvollzugsanstalten wurde deutlich, daß die meisten Sachkundigen im Grunde froh darüber sind,
daß § 65 Strafgesetzbuch nie Rechtskraft erlangt hat. Im Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 war die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt als Maßregel vorgesehen. Das Inkrafttreten dieses § 65 Strafgesetzbuch wurde vom 1. Oktober 1973 zunächst auf den 1. Januar 1978 und dann auf den kommenden 1. Januar 1985 hinausgeschoben. Nun soll dieser Paragraph wieder ganz aus dem Strafgesetzbuch verschwinden. Die Sozialtherapie als Maßregel wird es also nicht geben. Die weitaus meisten Fachleute des Strafvollzuges sind darüber glücklich. Deswegen kann ich auch ganz ungeschminkt meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß wir - und das gilt diesmal für alle Fraktionen des Hohen Hauses - es geschafft haben, ein Gesetz aufzuheben, weil wir es für unzweckmäßig halten. Im Grunde dient es nicht einmal den Betroffenen.
Der zweite Punkt ist im Rechtsausschuß umstritten gewesen. Wir sehen es heute auch an der Vorlage der SPD-Fraktion, einem Änderungsantrag für die zweite Lesung. Dazu einige erklärende Bemerkungen: Die Sozialtherapie im Strafvollzug hat, nachdem das Strafvollzugsgesetz 1976 die Möglichkeit dazu eröffnet hat, ihre Bewährungsprobe bestanden. Sie ist schon in wenigen Jahren fester Bestandteil des deutschen Strafvollzuges geworden. Das heute zu verabschiedende Gesetz stellt die Sozialtherapie nicht in Frage. Es wird auch zu keinem Abbau der sozialtherapeutischen Anstalten kommen, doch dazu später noch ein paar Sätze.
Zunächst aber eine Bemerkung über die Bedeutung der Wörter „können", „sollen" und „müssen", am konkreten Beispiel erläutert. In § 9 des Strafvollzugsgesetzes ist vorgesehen, daß ein Gefangener mit seiner Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden kann. Nun brauche ich mich über die Bedeutung des Wortes „können" nicht auszulassen. Schwieriger wird es allerdings bei dem Wort „sollen". In meiner langjährigen kommunalpolitischen Praxis habe ich feststellen müssen, daß in der juristischen Fachsprache „sollen" „müssen" bedeutet, daß das „sollen", wenn ihm nicht unüberwindliche Hindernisse im Wege stehen, zum „müssen" werden kann.
In unserem konkreten Fall bedeutet das folgendes: Die Kollegen der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN haben gewünscht, festzuschreiben, daß ein Gefangener nicht „in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden kann", sondern „verlegt werden soll, wenn . .."; und dann werden die Bedingungen genannt. Da „soll" gleich „muß" ist, sind alle Gefangenen, die für diese Form der Resozialisierung vermutlich ansprechbar sind, in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen. Dabei obliegt es den Justizbehörden, im einzelnen nachzuweisen, warum eine Verlegung nicht in Frage kommen kann. Eine Soll-Lösung würde einfach etwas versprechen, was derzeit und auch in den nächsten zehn Jahren nicht zu halten. ist. Man geht davon aus, daß in der Bundesrepublik etwa 4 000 Strafgefangene für eine sozialtherapeutische Behandlung in Frage kommen. Wir haben zur Zeit in den Anstalten der Bundesrepublik etwa 600 Plätze. Die Zahl dieser Plätze wird weiter steigen, aber vorläufig nicht ausreichend sein, um alle entsprechenden Gefangenen unterzubringen. Deswegen also nicht „sollen" gleich „müssen", sondern „können".
Im übrigen gibt es auch noch andere sehr schwerwiegende Gründe, es beim „können" zu belassen, etwa die Schwierigkeit, die aus der Persönlichkeit herrührenden Merkmale gerichtlich zu beurteilen. Deswegen werden wir diesen wie auch die anderen Anträge der SPD ablehnen.
Zum dritten: Wie soll es nun im Strafvollzug weitergehen? Auch dazu nur ein paar Hinweise:
Erstens. Die sozialtherapeutischen Anstalten werden weiterentwickelt. Die Länder sind durch § 123 des Strafvollzugsgesetzes verpflichtet, solche Anstalten einzurichten. Allein die Kosten für die bauliche Schaffung von solchen Plätzen für etwa 10 % der Gefangenen betragen rund 1,2 Milliarden DM. Da sich diese Gelder keiner aus den Rippen schneiden kann, wie wir zu sagen pflegen, müssen sie nach und nach aus den anfallenden Steuermitteln entnommen werden, eben nach und nach, und sozialtherapeutische Anstalten werden erst nach und nach wachsen können.
Zweitens. Die Entwicklung des Strafvollzuges soll insgesamt weitergehen. Viele älteste und alte Haftplätze müssen erneuert werden. Die Überbelegung der Justizvollzugsanstalten und die Gemeinschaftshaft müssen abgebaut werden, qualifizierte Arbeitsplätze und berufliche Bildungseinrichtungen müssen geschaffen, und die soziale Betreuung der Gefangenen muß verbessert werden. Demnächst werden wir uns über die Verbesserung des Jugendstrafvollzugs zu unterhalten haben.
Meine Damen und Herren, ich konnte und wollte nur ein paar Anregungen zum Mitdenken geben, wie es im Strafvollzug weitergehen soll - „soll" gleich „muß".
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt eigentlich die viel ernstere Frage, ob der zugegebenermaßen unverdächtig wirkende Text der Vorlage eine Wende im Strafvollzug einleiten soll. Ich würde mich dem Optimismus meines verehrten Herrn Vorredners gerne anschließen, aber wir haben ihn nicht. Wir haben in dem Hearing von den Sachverständigen vielmehr die Befürchtung gehört, daß die Sozialtherapie im Strafvollzug nicht mehr nachhaltig gefördert wird. Ich finde es zwar schon sehr positiv, daß vom Kollegen Seesing die Therapie im Strafvollzug positiv bewertet worden ist - das tun wir auch -; aber da die Therapie im Strafvollzug nun nicht gerade billig zu haben ist und wir allseits von großer Sparsamkeit hören, fragen wir uns besorgt, ob an dieser Stelle das Sparen eingeläutet wird.
Dr. Schwenk ({0})
Richtig ist, daß Hauptanlaß dieses Entwurfs war, die Therapie als Bestandteil des Maßregelvollzugs abzuschaffen. Sie ist durch die Strafrechtsreform 1969 eingeführt worden, aber mit einem Verzögerungseffekt, der dann ja noch bis zum 1. Januar 1985 verlängert worden ist. Das ist die Gesetzeslage. Wenn wir diese Gesetzesänderung nicht hätten, wären per Gesetz die Bundesländer verpflichtet worden, ab 1. Januar 1985 Therapie im Maßregelvollzug einzuführen.
Nun ist uns in dem Hearing gesagt worden, daß in der Tat Zweifel bestehen, ob der abzuschaffende Paragraph auch durchzuführen wäre, nicht nur vom finanziellen Aufwand her, sondern auch von der Erfolgsaussicht her unter dem Gesichtspunkt, daß ein Klient im Strafvollzug ein Ende des Strafvollzugs vor Augen hat, und damit auch eine Motivation, wenn er sich der Therapie unterzieht, mit besseren Aussichten auch wieder in die Freiheit entlassen zu werden. Motivation und Mitwirkungswille in der Therapie sind ein Eckpunkt, auf den nicht verzichtet werden kann. Diese Voraussetzung liegt im Maßregelvollzug nicht gleichermaßen vor, so daß es schon richtig ist, sich mit der Therapie auf Strafgefangene mit einem Endpunkt ihrer Strafhaft zu konzentrieren, nicht aber auch die Leute im Maßregelvollzug einzubeziehen.
Dieser Erkenntnis haben wir uns angeschlossen. Deshalb sind wir auch bereit, den § 65 aufzugeben. Aber der neue Gesetzentwurf geht darüber hinaus, und dem schließen wir uns eben nicht an.
Wir sind der Meinung, Sozialtherapie muß fortentwickelt werden. Wenn aber in dem neuen Gesetzentwurf steht, daß sozialtherapeutische Abteilungen zugelassen werden sollen, ist das ein Schritt rückwärts. Im Hearing ist uns gesagt worden, es gebe Standorte - einer ist genannt worden -, bei denen es sonst Schwierigkeiten bereiten werde, Fachleute der Therapie zur Aufnahme einer Tätigkeit an einem anderen Ort zu bewegen. Das mag ein Einzelfall sein, dem man vielleicht per besondere Ausnahme noch Rechnung tragen kann. Indem man aber generelle Zulässigkeit einführt, ist der Schritt nicht mehr weit, Besonderheiten jeweils verwaltungsmäßig zu begründen, um in großen Anstalten therapeutische Abteilungen zu rechtfertigen, die nicht vom übrigen Vollzug getrennt werden. Therapie kann dann nicht mehr erfolgreich ausgeübt werden. Dem gilt es zu widerstehen. Wir haben eine entsprechende Gesetzesänderung vorgelegt.
Nun zu der vom Kollegen Seesing angesprochenen Lösung: „kann", „soll", „muß". Das man kein „muß" aussprechen kann, ist uns auch klar. Wir wollten daher - das ist uns auch von namhaften Sachverständigen vorgeschlagen worden - eine Soll-Vorschrift einführen, damit auch die Strafvollstreckungskammern die Möglichkeit haben, eine Therapie anzuordnen, damit das nicht nur im Ermessen der Strafvollzugsbehörden liegt. Wir wollen die Länder also keineswegs überfordern, aber den Gesetzgeber dazu veranlassen - das ist also Anlaß und Inhalt unseres ersten Änderungsantrags -, daß er sich um den weiteren Ausbau der Sozialtherapie bemüht. Reine Appelle von diesem Platz aus genügen nicht.
Wir wollen auch erreichen, daß eine Überprüfung der reinen Vollzugslösungen möglich ist. Dabei darf ich daran erinnern, daß zur Zeit gerade 10 % der Insassen des Strafvollzugs überhaupt therapiert werden, daß dies aber nach übereinstimmendem Urteil der Sachverständigen zu wenig ist, weil 20 % bis 25% therapiebedürftig sind. Von daher ist der Ausbau bereits nötig.
Es wird eingewandt, daß Therapie teuer ist. Aber teurer noch ist es, Strafvollzugsinsassen nicht eingegliedert wieder in die Freiheit zu entlassen. Rückfall ist teurer als ein guter Strafvollzug.
({1})
Hierbei muß ich daran erinnern, daß das Personal des Strafvollzugs uns nicht nur in persönlichen Gesprächen gesagt hat, der Rückfall in den reinen Verwahrvollzug habe schon eingesetzt, sondern daß dies nunmehr auch schon schriftlich geäußert worden ist. Sie brauchen nur die Fachzeitschriften zu lesen.
Überbelegung der Anstalten, Resignation des Personals - und dann sind wir wieder dort, wo wir waren, bevor wir hier in diesem Hause das neue Strafvollzugsgesetz beschlossen haben. Die Strafvollzugsbediensteten haben auf ihren Kongressen bereits geäußert, daß z. B. im Jugendstrafvollzug das Ziel nicht mehr erreicht wird, weil die Mittel nicht mehr vorhanden sind. Wir müssen uns mehr anstrengen, wir dürfen uns nicht mit diesen Klagen begnügen und sie beiseite schieben; wir müssen mehr tun. Ich möchte daran erinnern, daß Repression weniger bewirkt als Förderung im Vollzug, und bei Überbelegung der Strafanstalten ist die Repression nicht mehr weit, sie steht vor der Haustür. Wir wollen, daß eine Weiterentwicklung erfolgt, daß von den Maßnahmen des offenen Vollzugs mehr Gebrauch gemacht wird, daß das ausgebaut wird. Davon ist aber nichts zu spüren. Der Gesetzentwurf atmet Rückschritt, nicht Fortschritt.
({2})
Wir stellen unsere Vorschläge hier erneut zur Abstimmung, damit deutlich wird, daß wir weitergehen wollen.
Angesichts der kurz bemessenen Zeit noch ein Wort zu weitergehenden Vorschlägen: Wir wollen nicht - deshalb können wir uns dem auch nicht anschließen -, daß über Therapie bereits im Strafverfahren, im Prozeß befunden wird. Dies wäre eine Überlastung des Verfahrens, würde die Fachleute von anderen Aufgaben in der Therapie fernhalten; das können wir nicht mitmachen. Sie sollen dort wirken und arbeiten, wo es nötig ist. Deswegen auch halten wir daran fest, daß nachsorgende Therapie von den Therapieanstalten ausgehen soll. Der Vorschlag, der nun Gesetz werden soll - denn Sie werden von Ihrer Mehrheit Gebrauch machen -, daß die Nachsorge dann nicht nötig ist, wenn sie anderwärts gesichert ist, deutet wieder darauf hin, daß die bereits überlasteten Bewährungshelfer auch die Nachsorge noch übernehmen sollen. Dann
Dr. Schwenk ({3})
aber ist der Therapierte bereits im Frust - ihm wird nicht mehr geholfen -, und alle früheren Bemühungen waren umsonst.
Seitdem die Wende da ist, hören wir immer, daß für die Gestrauchelten, für die, die in der Gesellschaft nicht zurechtkommen, zuviel Mittel aufgewendet würden. Aber was hilft es uns, wenn wir sozial Nichtangepaßte in der Gesellschaft haben! Das ist teurer. Wir müssen in diesem Gebiet Ausgaben riskieren. Wir dürfen davor nicht zurückschrekken.
Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf im übrigen ab und bitten, über unsere Anträge positiv zu entscheiden.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein klares Wort an die Adresse all derjenigen, die behaupten, wir würden mit der Zustimmung zu der vorliegenden Gesetzesinitiative eine Demontage der Sozialtherapie im Strafvollzug betreiben. Herr Kollege Schwenk, das ist wirklich nicht der Fall, und hiervon kann auch keine Rede sein.
Die Änderungen, die hier beschlossen werden sollen, sind die notwendige Folge der Erfahrungen, die man mit der Sozialtherapie in den letzten zehn Jahren gemacht hat. Die Anhörung, die wir im Rechtsausschuß kürzlich durchgeführt haben, hat nämlich eindeutig ergeben, daß die Regelung des § 65 StGB weder heute noch in der Zukunft praktisch durchführbar ist. Die angehörten Wissenschaftler und Praktiker sind nahezu einhellig zu dem Ergebnis gelangt, daß sich die geltende Regelung in ganz entscheidenden Punkten nicht bewähren und zu teilweise ungewollten Ergebnissen führen würde. Die Sachverständigen haben damit die Einschätzung der Gesetzesinitiatoren bestätigt.
Die Erkenntnis, daß eine Neuordnung und das Handeln danach notwendig ist, haben überhaupt nichts damit zu tun, daß man von dem Grundgedanken des Behandlungsvollzuges abrückt. Für die FDP bleibt die Sozialtherapie ein kriminalpolitisches Mittel, das, gezielt eingesetzt, einen ganz entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Resozialisierung eines Straftäters leisten kann.
({0})
Dieses Ziel ist aber nur dann zu erreichen - auch das hat die Anhörung ergeben -, wenn die Unterwerfung unter diese Vollzugsmaßnahme vom Prinzip der Freiwilligkeit getragen ist.
({1})
Die freiwillige Entscheidung des Betroffenen, ob er sich einer Sozialtherapie unterziehen will oder nicht, ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg dieser Maßnahme. Eine sozialtherapeutische
Behandlung gegen den Willen des Probanden ist kaum durchführbar; auch dies ist das übereinstimmende Urteil der in den sozialtherapeutischen Einrichtungen tätigen Fachkräfte.
Aber es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen der Strafvollzug heute steht, sind mit denen, wie sie zur Zeit der Schaffung des § 65 StGB herrschten, nicht mehr vergleichbar. Trotz erfolgreicher Bestrebungen in den letzten Jahren um Verbesserung des Strafvollzugs in personeller und sachlicher Hinsicht, trotz intensiven Bemühens um Ansätze und Alternativen zur Freiheitsstrafe nimmt die Zahl der Strafgefangenen seit einigen Jahren wieder ständig zu. Diese Entwicklung, die wir im übrigen auch in fast allen anderen westeuropäischen Staaten beobachten können, hat zu einer besorgniserregenden Überbelegung der Vollzugsanstalten geführt. Diese Veränderung der Rahmenbedingungen hat uns die Grenzen der Leistungsfähigkeit eines Therapievollzuges deutlich vor Augen geführt.
Angesichts dessen und, ich will es nicht verschweigen, der angespannten Haushaltslage in den Bundesländern ist die benötigte Personalausstattung - das Verhältnis zwischen Betreuer und Gefangenem beträgt im Behandlungsvollzug etwa 1 : 1 -, ist die Einrichtung selbständiger sozialtherapeutischer Anstalten zur Zeit nicht finanzierbar.
Aber auch das Argument der Rechtssicherheit spricht für die vorgeschlagene Neuordnung. Das mehrmalige Hinausschieben des Inkrafttretens des § 65 StGB und die dadurch aufgekommene Diskussion um den Fortbestand des Behandlungsvollzugs schlechthin haben unter den Beteiligten große Verunsicherung herbeigeführt. Es war an der Zeit, diesen Zustand der Verunsicherung zu beenden und eine eindeutige Regelung der rechtlichen Grundlagen der Sozialtherapie zu schaffen. Dies hilft den beteiligten Einrichtungen, ihren eigenen Standort zu bestimmen, und gibt auch den im Vollzug Beschäftigten die notwendige Orientierungshilfe.
Ich möchte aber noch einen letzten Aspekt hinzufügen, der nach meiner Meinung bei Fragen des Strafvollzugs zu leicht vergessen wird. Entscheidend für das, was im Strafvollzug wirklich geschieht, sind weniger die offiziellen Etiketten, die leicht von Modeströmungen verwischt werden; entscheidend sind vielmehr die Persönlichkeiten der beteiligten Bürger, Sozialarbeiter, Polizeibeamten und Vollzugsbediensteten.
({2})
Ihr persönliches Engagement ist für das weitere Schicksal der sozialen Betreuung Straffälliger wichtiger als eine ausufernde Diskussion um den Stellenwert einzelner Therapiemodelle und deren Handhabung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen: Wir GRÜNEN lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf und auch den Änderungsantrag der SPD-Fraktion ab.
({0})
- Wir haben z. B. Buschhaus angenommen, mit Ihnen zusammen. Aber leider haben Sie danach nicht dazu gestanden.
({1})
Wir hatten versucht, im Rechtsausschuß die folgenden Änderungen einzubringen.
Der Gefangene, bei dem eine sozialtherapeutische Behandlung erfolgversprechend erscheint, soll einen Rechtsanspruch auf Einweisung in eine entsprechende Anstalt haben. Ihm soll die Möglichkeit gegeben werden, seine Therapeuten frei zu wählen und hierbei auch auf externe zurückzugreifen.
Der Sonderurlaub zur Vorbereitung auf die Entlassung muß auf ein Jahr erweitert werden; das ist ja auch der Antrag der SPD.
Die nachgehende Betreuung durch Fachkräfte aus der Sozialtherapie soll gesichert sein.
Diese Änderungsanträge wurden im Rechtsausschuß mehrheitlich abgelehnt.
Das Grundgesetz garantiert die Unantastbarkeit menschlicher Würde. Das gilt auch für straffällig Gewordene, deren Selbstbestimmung es zu achten, zu erhalten und zu fördern gilt. Wenn wir von Resozialisierung sprechen, setzen wir die Ausgrenzung voraus. Wir setzen sie auch voraus, wenn wir Anstalten bauen, seien es nun riesige sozialtherapeutische Krankenhauskomplexe, Gefängnisse oder auch Seniorenparks.
In der Ohnmacht, den kranken Gliedern unserer Gesellschaft anders helfen zu können, greifen wir zu großen materiellen Aufwendungen. Die geistige, die menschliche Zuwendung lassen wir außen vor.
Der jetzige Gesetzentwurf krankt zudem auch noch daran, daß er es an der materiellen Zuwendung fehlen läßt. Denn es heißt in der Drucksache 10/309:
Die Länderhaushalte werden trotz der Ergänzung der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über die Sozialtherapie infolge der Aufhebung der Maßregellösung erhebliche Einsparungen verzeichnen können.
Unserer Forderung, daß der oder die Gefangene einen Rechtsanspruch auf sozialtherapeutische Behandlung haben soll, wurde mit dem Einwand begegnet, es könnten nicht so viele Fachkräfte und nicht so viele Häuser bereitgestellt werden, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
Ich gebe zu, daß es ein Gedanke ist, den viele empört zurückweisen werden: diejenigen, die der Gesellschaft durch Raub, Mord, Gewalt und andere böse Taten sehr wehgetan haben, sollen unter großen finanziellen Opfern aufgefangen werden, damit wir alle als Gemeinwesen der Entkriminalisierung einen Schritt näherkommen.
In der Anhörung des Rechtsausschusses bestätigte Herr Dr. Frieder Dünkel aus Freiburg, daß der Übergang in die Freiheit, wie es in der Fragestellung hieß, aus der Sozialtherapie heraus bedeutend vorzeitiger erfolgt. Z. B. waren es im Jahre 1980 laut Erhebungen 63,6 % gegenüber nur 25,9 % aus dem vergleichbaren Erwachsenenvollzug. In Berlin-Tegel hat Herr Dünkel untersucht, daß in den Jahren 1971 bis 1974 65 % nach sozialtherapeutischer Behandlung gegenüber 36,7 % aus dem Regelvollzug vorzeitig entlassen werden konnten.
Solche Zahlen haben aber doch auch für die Kalkulation Gewicht. Sie geben zu bedenken, daß es besser ist, mehr Häuser zu bauen, in denen sozialtherapeutisch behandelt wird, als Gefängnisse, in denen die Kriminalisierung auch nach dem Urteilsspruch fortgesetzt wird. Gerade das urteilende Gericht ist überfordert, wenn es durch eine Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten die Voraussetzung für eine sozialtherapeutische Behandlung schafft. Insofern begrüßen wir die im Gesetzentwurf begründete ausschließliche Vollzugslösung.
Es kann aber nicht geleugnet werden, daß die umfassenden Beschränkungen der Gefangenen durch den Entzug ihrer Freiheit - und darin unterscheidet sich der Aufenthalt in der Sozialtherapie ja nicht von dem in einer geschlossenen Anstalt - ohnehin negative Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten einer Behandlung haben müssen. Um dies zu verringern, fordern wir, dem Gefangenen das Recht zu geben, seinen Therapeuten frei, d. h. unter Umständen auch einen externen, zu wählen. Dies entspräche nicht nur der vom Strafvollzugsgesetz geforderten Angleichung an die Lebensverhältnisse draußen. Die Wahlmöglichkeit ist vielmehr auch eine wichtige Voraussetzung für das zu einem sinnvollen therapeutischen Prozeß gehörende Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut und Klient.
In den Zusammenhang der uns vorliegenden Problematik gehört auch ein Wort zur Verlegungspraxis bundesdeutscher Gefängnisse nach § 8 des Strafvollzugsgesetzes. Wir wissen aus sehr vielen Briefen von Gefangenen und aus persönlichen Gesprächen, daß Verlegungen aus Gründen der Resozialisierung, z. B. näher zur Familie, die Ausnahme nach einem langen bürokratischen Weg sind. Verlegungen aber aus Gründen der Mißliebigkeit oder z. B. wenn der Gefangene seine Rechte geltend machen will, sind die Regel.
Wir wollen, daß die Verlegung eines Gefangenen ausschließlich von Behandlungs- oder Eingliederungsgesichtspunkten bestimmt wird, zu denen auch die Heimatnähe des Vollzugs gehört.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns eine auf ein Jahr erweiterte Dauer des Sonderurlaubs zur Vorbereitung auf die Entlassung. Eine solche Regelung gäbe sowohl der Anstalt als auch dem Gefangenen die Möglichkeit, einen Erfolg der sozialtherapeutischen Behandlung ausreichend zu erproben und den Übergang in die Freiheit zu erleichtern.
Die Würde einer Gesellschaft wird auch daran gemessen, wie sie mit ihren Gestolperten und Gestrauchelten umgeht, zumal für Kriminalität in ho7136
hem Maße gesellschaftliche Ursachen bestimmend sind, Ursachen, die den Gefangenen betroffen haben, lange bevor er straffällig wurde.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt Ihnen auf Drucksache 10/2277 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, der unter den Ziffern 1 bis 5 verschiedene Änderungen umfaßt. Von den Antragstellern ist gewünscht worden, über die einzelnen Änderungen getrennt abzustimmen.
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Ich rufe Ziffer 1 des Änderungsantrags auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Bei einer Enthaltung ist Ziffer 1 des Änderungsantrags abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 2 des Änderungsantrags auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Ziffer 2 des Änderungsantrags ist bei einer Enthaltung abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 3 des Änderungsantrags auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Ziffer 3 des Änderungsantrags ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 4 des Änderungsantrags auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ziffer 4 des Änderungsantrags ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 5 des Änderungsantrags auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Ziffer 5 des Änderungsantrags ist bei einer Enthaltung abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Art. 1 des Gesetzentwurfes ab. Wer Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 2 bis 11, Einleitung und Überschrift in der vom Ausschuß empfohlenen Fassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren
- Drucksache 10/2129 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Sozialplanforderung, die kaum mehr das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht, kann niemand gutheißen. So oder zumindest nahezu so stellt sich jedoch die heutige Situation dar. Gegenwärtig fallen Sozialplanansprüche als einfache Konkursforderungen in die letzte Rangklasse. Praktisch heißt das: Der Arbeitnehmer, den der Konkurs um den Arbeitsplatz bringt, kann mit einer Quote von nur etwa 3% für seine Abfindungsforderung rechnen; ein Zustand, der der sozialen Bedeutung des Sozialplans nicht gerecht wird und der nach schneller Abhilfe ruft.
Sie wissen, daß ich über eine Sozialplanregelung außerhalb der Gesamtreform des Insolvenzrechts, über eine Zwischenlösung also, wie sie Ihnen jetzt vorliegt, nicht durchgängig glücklich bin. Aber ich meine, eine Zwischenlösung muß sein. Die Arbeitnehmer und auch wir können einfach nicht warten, bis eine neue Insolvenzrechtsregelung im Bundesgesetzblatt steht.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf wurde mit aller gebotenen Beschleunigung erarbeitet. Alsbald nach der Kabinettsentscheidung vom 28. August dieses Jahres wurde er dem Rechtsausschuß auf dessen Bitte als Formulierungshilfe zur Verfügung gestellt. Bereits in zwei Ausschußsitzungen wurde der Entwurf dort in seinen Grundzügen erörtert. Ich hoffe - und ich gehe auch davon aus -, daß dieser Umstand zu einer Verabschiedung des Vorhabens noch in diesem Jahr beiträgt.
Der Entwurf geht von folgenden Zielvorstellungen aus. Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer sollen im Konkurs des Arbeitgebers ihrer sozialen Bedeutung entsprechend angemessen abgesichert werden. Die Zwischenlösung muß, soweit das überhaupt erreichbar ist, verfassungsrechtlichen Zweifeln entzogen bleiben, damit auf diesem bedeutsamen Gebiet endlich Rechtssicherheit einkehrt.
Die Gesamtreform des Insolvenzrechts - eines der wichtigsten rechtspolitischen Vorhaben der Bundesregierung - darf nicht präjudiziert und darf damit nicht behindert werden.
Die Zwischenlösung muß sich im Sinne einer Ökonomie der Mittel mit den geringstmöglichen Eingriffen in das geltende Konkurs- und Betriebsverfassungsrecht verwirklichen lassen. Eine sogenannte große Lösung steht für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Gesamtreform nicht zur Debatte.
Der Regierungsentwurf gewährt Forderungen aus dem Sozialplan, der insolvenzbedingte wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer mildern oder ausgleichen soll, das gleiche Vorrecht wie den rückständigen Löhnen und Gehältern. Die davon ausgehende Massebelastung wird jedoch in zweifacher Weise gesetzlich eingeschränkt. Zum einen darf der Gesamtbetrag der bevorrechtigten Forderungen zweieinhalb Bruttomonatsverdienste der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer nicht übersteigen, und zum anderen darf für den Sozialplan keinesfalls mehr als ein Drittel der für die Gesamtheit aller Konkursgläubiger verfügbaren Teilungsmasse verwendet werden.
({0})
Durch diese Beschränkung des Sozialplanvolumens wird nicht nur dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Gläubiger Rechnung getragen, sie vermeidet auch die sonst unausweichliche nachteilige Präjudizierung der Gesamtreform des Insolvenzrechts. Damit ist zugleich klargestellt, daß die Verwirklichung der Gesamtreform nach wie vor unser politisches Ziel bleibt. Im Rahmen der Gesamtreform wird die konkursrechtliche Behandlung des Sozialplanes umfassend neu zu regeln sein.
Die Zwischenlösung soll deshalb in Form eines Zeitgesetzes bis zur voraussichtlichen Verwirklichung der Gesamtreform in Kraft gesetzt werden. Die Bundesregierung denkt dabei an eine Geltungsdauer von fünf bis sechs Jahren. Für diesen Zeitraum sichert der Entwurf die Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer angemessen ab. Er erlaubt auch künftig Abfindungen, die den in der Vergangenheit ausbezahlten Abfindungen zumindest recht nahe kommen. Zugleich ist aber sichergestellt, daß die anderen Konkursgläubiger künftig nicht mehr infolge unangemessener Sozialplanlasten ganz oder nahezu leer ausgehen.
Es kann nicht unser Ziel sein, eine Gruppe von Konkursgläubigern - in diesem Fall die Arbeitnehmer - zu Lasten der anderen Konkursgläubiger unangemessen zu bevorzugen und die unter dem früheren Rechtszustand zu Recht beklagte Soziallastigkeit der Konkurse zu fördern. Ich meine, daß die in dem Entwurf vorgesehene Regelung insofern einen vernünftigen und sachgerechten Ausgleich bringt.
Für die anhängigen Insolvenzverfahren schafft der Entwurf durch Übergangs- und Reparaturvorschriften die dringend gebotene Rechtssicherheit.
Meine Damen und Herren, die Eckwerte des Entwurfs für die Beschränkung des Sozialplanvolumens sind trotz ihres zahlenmäßigen Ausdrucks nicht das Ergebnis zwingend logischer Ableitungen und Deduktionen. Sie beruhen auf einer wertenden Abwägung entgegengesetzter Interessen. Über solche Zahlen läßt sich natürlich trefflich streiten. Und so wird es bei der weiteren Debatte wohl auch dahin kommen.
Die Bundesregierung wird die Argumente aller Seiten aufmerksam und offen aufnehmen. Ich habe auch viel Verständnis dafür, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene punktuelle Sozialplanregelung viele unbefriedigt lassen wird, weil sie dem Zusammenhang des Sozialplans mit anderen Regelungsproblemen nicht voll Rechnung tragen kann. Dennoch möchte ich eindringlich davor warnen, die Zwischenlösung mit noch so vernünftigen und noch so berechtigten weiteren Regelungsvorschlägen zu befrachten.
({1})
Sie könnten sich als Klotz am Bein der Zwischenlösung erweisen und deren baldige Verwirklichung ernstlich gefährden.
Mit dem guten Willen aller politischen Kräfte wird es nach Auffassung der Bundesregierung gelingen, ein sozial bedeutsames Vorhaben zum Nutzen der durch Konkurse betroffenen Arbeitnehmer noch in diesem Jahr zu verabschieden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Bundesregierung bisher an Initiativen gestartet hat, konnte nur den Eindruck vermitteln, daß sie die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten zu ihrem besonderen Steckenpferd erkoren hat. Ich erinnere nur an Herrn Blüms Entlastungsförderungsgesetz; man nennt es schönfärberisch auch ,,Beschäftigungsförderungsgesetz". Danach können die Arbeitgeber künftig neue Mitarbeiter zunächst einmal befristet für ein oder zwei Jahre einstellen, und zwar auch dann, wenn es für diese Befristung eigentlich gar keinen sachlichen Grund gibt. Das befreit von der lästigen Pflicht, eine Kündigung auszusprechen und diese womöglich auch noch begründen zu müssen oder sich gar der Überprüfung durch ein Arbeitsgericht auszusetzen.
Heute nun befassen wir uns mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Absicherung von Arbeitnehmerrechten im Konkurs zu seinem Ziel erklärt hat. Dies ist von der Tendenz her begrüßenswert. Der in erster Lesung zu beratende Entwurf kommt reichlich spät. Inhaltlich bringt er, nimmt man ihn nur genauer unter die Lupe, herzlich wenig Das Problem ist ja nicht erst seit heute bekannt. Die Regierung hat lange Zeit jedweden Handlungsbedarf geleugnet und es vorgezogen, auf Zeit zu spielen. Ja, man mußte geradezu den Eindruck gewinnen, daß die durch das Bundesverfassungsgericht veranlaßte Herabstufung von Arbeitnehmerrechten im Konkurs der Regierung außerordentlich gut ins Konzept gepaßt hat. Es war auch zu verführerisch, auf dem Trittbrett einer Verfas7138
sungsgerichtsentscheidung zusätzlich den Abbau von Arbeitnehmerrechten zu betreiben.
Jetzt aber wird auf einmal doch noch ein Entwurf präsentiert. Das staunende Publikum soll wohl glauben, die Regierung und niemand sonst kümmere sich um die Arbeitnehmer, deren Betrieb in Konkurs gegangen ist. Dabei haben wir, die Sozialdemokraten, bereits im Mai 1983 einen Gesetzentwurf eingebracht, der sicherstellt, daß sich die vom Konkurs betroffenen Arbeitnehmer mit ihren Sozialplanansprüchen nicht am Ende der Schlange einreihen müssen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß sonst im Konkurs der Satz „Den letzten beißen die Hunde" noch bitterere Wahrheit wird, als dies bislang schon der Fall ist.
Aus allen nur erdenklichen Gründen ist an unserem Gesetzentwurf herumgemäkelt worden. Reste davon haben sich bis in die Begründung Ihres hier vorgelegten Gesetzentwurfs gerettet. Zum einen war und ist die Rede davon, daß gegen unseren Gesetzentwurf verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Das Bundesverfassungsgericht hat nun wirklich an keiner Stelle gesagt, daß die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Sache - ich betone, Herr Bundesjustizminister: in der Sache - irgendwelchen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
({0})
- Das kommt noch, Herr Helmrich, Geduld! - Ich empfehle Ihnen, die Entscheidung vom 19. Oktober 1983 wirklich einmal genau zu lesen und juristisch seriös zu interpretieren. Sie ziehen es nämlich statt dessen vor, eine Taktik des Verzögerns und Verweigerns anzuwenden, schützen angebliche verfassungsrechtliche Bedenken vor und verstecken sich mit unhaltbaren Argumenten hinter der Autorität des höchsten deutschen Gerichts. Sie erklären etwas zum Problem, bloß weil Ihnen offenbar die ganze Richtung nicht paßt.
({1})
Keiner der Experten bei der Anfang April durchgeführten Anhörung hat damals behauptet, unser Gesetzentwurf sei verfassungsrechtlich zu beanstanden. Auch ein Wissenschaftler - von Ihnen übrigens benannt - wie der Marburger Professor Beuthien, der weiß Gott nicht im Verdacht steht, mit der SPD „verwandt", „verschwägert" zu sein oder ihr sonst nahezustehen, hat erklärt, die bisherige Rangfolge der Konkursordnung könne zwar in Unordnung geraten, einen Verfassungsverstoß bedeute dies aber nicht. Es liegt natürlich in der Natur der Sache, daß Gesetze immer ein wenig in Unordnung geraten, wenn man sie ändert. Aber Gesetze ändern darf der Gesetzgeber ja wohl. Mehr noch: Dazu ist er eigentlich auch da.
Zum anderen wird stereotyp behauptet, die erforderliche Zwischenlösung dürfe die Gesamtreform des Insolvenzrechtes nicht präjudizieren. Gerade dies, so behaupten Sie, tue der Gesetzentwurf der SPD. Durch ständige Wiederholung dieser Formel wird sie aber um nichts überzeugender. Was wir vorschlagen, ist die kontinuierliche Fortsetzung dessen, worauf sich die Praxis über Jahre eingestellt hat und womit die Praxis auch bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gut leben konnte.
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Lassen Sie sich das doch bitte von versierten Konkursverwaltern bestätigen. Dies ist im übrigen ja auch geschehen.
Unser Entwurf ist nicht mehr als die Festschreibung dessen, was das höchste deutsche Arbeitsgericht im Jahre 1978 in einer Grundsatzentscheidung entwickelt hat. Ich habe leider immer noch nicht verstanden, warum die Kontinuität auf einmal durch ein vollkommen anderes angelegtes Modell ersetzt werden soll, ein Modell, das ausgesprochen kompliziert und schwer handhabbar ist. Wir haben ja schon versucht, dies bei der ersten Diskussion im Rechtsausschuß zu verifizieren. All die vielen ungeklärten Probleme, die sich aus Ihrem Entwurf ergeben, gäbe es nicht, wenn Sie unserem Vorschlag folgten und mit uns eine Zwischenlösung - ich betone: eine Zwischenlösung; das ist auch unser Anliegen - verabschiedeten, mit der die Praxis jahrelang problemlos gearbeitet hat und bis zum Inkrafttreten der Insolvenzrechtsreform gut weiterarbeiten könnte.
Verzeihen Sie, Ihre Versuche, die Statistik zu vergewaltigen und mit Rechenkunststückchen zu beweisen, daß die Arbeitnehmer bei dem, was Sie jetzt planen, im Endeffekt genauso günstig dastünden wie nach unserem Gesetzesvorschlag, sind wirklich nicht ganz seriös.
Wenn man die Statistiken richtig liest, kommt man einfach nicht um die Erkenntnis herum, daß es für die Arbeitnehmer, wenn Ihr Modell Gesetz wird, gerade dann besonders schlecht aussieht, wenn es wenig zu verteilen gibt. Gerade bei massearmen Verfahren ist aber der Schutz der Arbeitnehmer von besonderer Bedeutung. Eine Regelung, bei der Sozialplanansprüche Taschengeldcharakter bekommen, nützt den Arbeitnehmern überhaupt nichts. Mehr als ein Taschengeld kommt aber leider nicht heraus, wenn man sich das bißchen Geld bei einem massearmen Verfahren auch noch mit anderen Gläubigern zu teilen hat. Mit so schützenswerten Gläubigern wie z. B. der Bundesanstalt für Arbeit, von deren sparsam erwirtschafteten Milliardenüberschüssen wir ja in letzter Zeit einiges gehört haben,
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umzugehen wie Sie, ist nicht die Art der SPD, mit Arbeitnehmerrechten beim Verlust des Arbeitsplatzes umzugehen. Die SPD kann leider die Augen vor der Realität nicht verschließen und so tun, als ob sie die späten Krokodilstränen, die der Justizminister und die Koalitionsparteien wegen des Schicksals der vom Konkurs betroffenen Arbeitnehmer weinen, für echt hält.
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Was Sie uns vorlegen, ist in Wirklichkeit ein Gesetzentwurf über ein - so möchte ich es bezeichnen; dazu stehe ich - Konkurstaschengeld für Arbeitnehmer in massearmen Verfahren, in denen die betroffenen Arbeitnehmer gerade des besonderen gesetzlichen Schutzes bedürfen. Deshalb können Sie auch nicht mit unserer Unterstützung rechnen, wenn Sie diesen Entwurf zum Gesetz machen wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem kurzen Zitat beginnen: „Ich erachte den Sozialplan, so wie er derzeit gehandhabt wird, für ungerecht und von Zufälligkeiten abhängig." Ein zweiter Satz: „Ich habe den Sozialplan im Konkurs und das Verfahren seiner Aufstellung schon früher als Sozialplanwillkür bezeichnet."
Das, Herr Kollege Bachmaier, sagte in unserem Hearing vor dem Rechtsausschuß Anfang April dieses Jahres ein erfahrener Praktiker des Konkursrechts, ein Konkursverwalter. Dieses Wort soll nun die Lage kennzeichnen, mit der sich nach Ihrer Auffassung in der Praxis gut leben ließe. Das Gegenteil war natürlich der Fall. Alsbald nach 1972, nach dem Betriebsverfassungsgesetz, kam es zu einer heillosen Gesetzesunklarheit. Die Praxis wußte zunächst nicht, ob überhaupt im Konkurs ein Sozialplan aufgestellt werden mußte. Als das geklärt war, war die Rangstelle nicht klar. Das Bundesarbeitsgericht und sein Großer Senat mußten sich damit beschäftigen und das Bundesverfassungsgericht hatten damit zu tun usw. In all diesen zehn Jahren - so lange dauerte es ja - haben Sie, haben die von Ihnen gestellten Justizminister nicht das Geringste unternommen, um hier für klare Verhältnisse zu sorgen.
({0})
Sie waren damals doch geradezu von einem großen reformerischen Impetus belegt. Sie wollten doch via Gesetzesänderungen gesellschaftliche Veränderungen herbeizwingen, und Sie haben dabei, meine ich, den Blick für das Nächstliegende verloren, nämlich insbesondere für die Arbeitnehmer eine klare Rechtslage für den Sozialplan im Konkurs zu schaffen.
({1})
Aber so geht es ja häufiger, wenn man beim ideologischen Höhenflug den Blick für das Nächstliegende verliert.
({2})
- Der ist doch in diesen zehn Jahren der sozialliberalen Koalition immer von Ihnen gestellt worden.
({3})
Nun kommen wir gleich zu der jetzigen Situation. Wir haben uns alsbald nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. April dieses Jahres an die Arbeit gemacht. Wir haben zunächst geschwankt - das ist hier mit Recht vom Herrn Minister gesagt worden -, ob eine Übergangsregelung notwendig war. Übergangsregelungen haben ihre Tücken, aber wir haben dann gesagt: Wir machten eine Zwischenlösung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, es hat nach dieser Entscheidung nicht einmal vier Monate gedauert, bis das Bundeskabinett diesen Entwurf verabschiedet hat, und ich meine, das macht Ihren Einwand geradezu lächerlich, hier sei verzögerlich gearbeitet worden. Mit diesem Hinweis können Sie Ihr zehn Jahre langes Nichtstun wirklich nicht aus der Welt schaffen.
({4})
- Als Sie ins Plenum gingen, hatte das Bundeskabinett den Entwurf schon längst in der Sommerpause verabschiedet. Das, Herr Kollege Bachmaier, war die Situation am 28. August 1984.
Jetzt wollen wir noch einmal kurz auf den Inhalt eingehen.
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- Bei zehn Minuten Redezeit, Herr Kollege, ist das kaum möglich, zumal Ihre Zwischenfragen nicht die nötige Kürze zu haben pflegen, wie es in der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist. Das wissen wir aus dem Rechtsausschuß.
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Wir haben in diesem Entwurf gesagt -
Entschuldigung, Herr Kollege. Der Redner ist nicht bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen; Sie haben das soeben gehört.
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Die Ablehnung braucht nicht begründet zu werden, Herr Kollege Emmerlich.
Wir haben in diesem Zwischenentwurf jetzt den Ansprüchen die Rangstelle in § 61 Abs. 1 Nr. 1 zugewiesen, gleichrangig mit den rückständigen Lohnforderungen, nicht diese Superpriorität, die Sie wollten und die in der Tat verfassungsrechtlich, zumindest aber rechtspolitisch sehr bedenklich ist, wenn Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelesen haben. Ich will Ihnen dort nur mal einen Satz vorlesen, Herr Kollege Bachmaier, über den Sie hinweggegangen sind. Das Verfassungsgericht
hat gesagt, es sei aus dem Sozialstaatsgedanken kaum zu erschließen, warum Sozialplanansprüchen, die nur auf eine soziale Zusatzleistung abzielten, ein besserer Konkursrang zukommen soll als rückständigen Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis, als Forderungen Schutzbefohlener oder z. B. als Unterhaltsforderungen, die keinerlei Vorrecht haben.
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Ich verstehe überhaupt nicht, daß Sie mit keinem Wort auf die soziale Wertigkeit der bevorrechtigten Forderungen, wie sie in § 61 aufgezählt sind, abgesehen von den Ansprüchen der Bundesanstalt, eingegangen sind. Dabei besteht doch gerade unser Problem, wenn wir überhaupt Vorrechte schaffen, darin, vernünftig zu begründen, warum wir für bestimmte Gruppen Vorrechte schaffen und warum wir innerhalb der bevorrechtigten Gruppen auch noch wieder differenzieren und einer Gruppe noch den Vorrang vor der anderen bevorrechtigten Gruppe geben. Dazu haben Sie nichts gesagt.
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Wir haben dann natürlich festgestellt, daß es mit dieser Rangstelle nicht sein Bewenden haben kann, sondern daß wir zu einer Begrenzung des Sozialplanvolumens kommen müssen, und zwar im Interesse der anderen Konkursgläubiger, die durchaus auch schutzbedürftig sind. Sie sollten nicht so tun, als ob nur soziale Zusatzleistungen der Arbeitnehmer aus einem Sozialplan dieses Vorrecht genießen. Wir dürfen doch nicht verkennen, daß in nicht gerade seltenen Fällen der Sozialplan die gesamte freie Masse eines Konkurses aufgezehrt hat. Wir haben Zahlen: 16 % aller Konkurssozialpläne haben 95% bis 100% der freien Masse aufgezehrt. Sie werden mir nicht sagen können, daß alle die Gläubiger, deren Forderungen dann unter den Tisch gefallen sind, keinen Schutz verdienen.
Wir haben deshalb zwei Eckwerte eingezogen: einmal die Summe der zweieinhalbfachen Monatsverdienste der von einer konkursbedingten Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und dann noch eine relative Grenze, nämlich ein Drittel der freien Masse. Das, was Sie hier als nicht seriöses Rechenkunstwerk bezeichnet haben, ist eindeutig nachvollziehbar: Wenn wir diese Grenzen in Zukunft in der Praxis ausschöpfen, dann werden im Durchschnitt nicht weniger Mittel für den Sozialplan ausgeschüttet als in den letzten Jahren. Es werden nur die Spitzenwerte gekappt; wir wollten sie auch kappen, denn wir halten es für absolut ungerecht, daß 100 % der freien Masse in den Sozialplan gehen.
Nun noch ein Wort zu der Zwischenlösung. Wir sind in der Tat der Meinung, daß diese Zwischenlösung die Gesamtreform auf keinen Fall gefährden darf, und wir werden, nachdem die Grenzwerte der Kommission inzwischen bekanntgeworden sind, noch einmal sorgfältig prüfen, ob tatsächlich keine Gefährdung eintritt. Denn wir wissen ja inzwischen, daß die Kommission weitaus niedrigere Eckwerte vorschlagen wird, sogar das Minderheitsvoturn der Kommission. Hinter diesem Minderheitsvotum stehen ja die Arbeitnehmervertreter. Nach dem Vorschlag der Arbeitnehmervertreter ist z. B. nur die Summe zweier Monatsgehälter vorgesehen; außerdem sollen nur die Arbeitnehmer berücksichtigt werden, die zwei Jahre ununterbrochen im Betrieb waren. Das ist das Minderheitsvotum der Arbeitnehmervertreter, also der beste Beweis dafür, daß Ihr Entwurf nicht ernstlich zur Debatte stehen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine andere Ungerechtigkeit, die ich noch anschneiden darf. Erzählen Sie mir einmal, womit es eigentlich zu begründen ist, daß nur 8 % der von einer konkursbedingten Entlassung betroffenen Arbeitnehmer eine Entschädigung bekommen und alle anderen nicht, da sie in Betrieben mit weniger als 20 Arbeitnehmern arbeiten; und erzählen Sie mir einmal, weshalb individuelle Abfindungsrechte aus den §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz überhaupt kein Vorrecht genießen. Das ist das Problem, das uns alle noch beunruhigen sollte und das bei einer Gesamtreform insbesondere einer Lösung zugeführt werden sollte.
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Diese Zwischenlösung kann nicht alle Unzulänglichkeiten des geltenden Insolvenzrechts beseitigen, aber sie kann, soll und wird im Interesse aller vom Konkurs Betroffenen, insbesondere aber der Arbeitnehmer Klarheit für eine Übergangsfrist schaffen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieser Entwurf eines Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren basiert auf Voraussetzungen, die seine Möglichkeiten sehr einschränken. Er sollte nicht so weit gehen, wie die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom Jahre 1978, wonach Sozialplanforderungen im Konkurs ein Vorrecht vor allen anderen Konkursforderungen haben sollten. Er sollte über den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 hinausgehen, wonach der Spruch des Bundesarbeitsgerichts mit der Verfassung unvereinbar sei, und er sollte die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 30. April 1984 in Frage stellen, wonach Sozialplanforderungen der Arbeitnehmer als einfache, nicht bevorrechtigte Forderungen anzusehen sind. Jedoch sollte der wohl in einigen Jahren zu erwartenden großen Gesamtreform des Insolvenzrechts nicht vorgegriffen werden. Damit sind die Schwierigkeiten dieser Zwischenlösung aufgezeigt.
Aus der Anhörung zu dem Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 10/81 war zu erfahren, daß es nur in ca. 12 % der Unternehmenskonkurse zur Aufstellung eines Sozialplans kommt. Im Jahre 1983 gab es ca. 355 Sozialpläne, deren Volumina zwischen 200 und 450 Millionen DM schwankten. Für schätzungsweise 65 000 Arbeitnehmer wurden in
den letzten beiden Jahren Sozialpläne abgeschlossen.
Wenn Sozialpläne nicht aufgestellt werden, hat dies sehr oft finanzielle Gründe. Ein junges Unternehmen, das mit Risikokapital begonnen hat, dürfte kaum den starken Zusammenhalt innerhalb seiner Belegschaft haben, der notwendig ist, um die sich oft über Jahre hinziehenden Sozialplanverhandlungen durchzustehen.
Inwieweit, frage ich mich, ist es daher überhaupt richtig, von „Sozialplänen" zu sprechen? Für mich ist das ebenso fraglich, j a, ich möchte sagen, die gleiche Heuchelei wie die, von „Sozialpartnern" zu sprechen, die doch erbitterte Gegner in sehr unterschiedlichen Machtpositionen sind. Eine der ersten empörten Reaktionen auf den Gesetzentwurf des Bundesrates über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren kam vom Bundesverband der Deutschen Industrie und von den Verbänden der Banken. Für den BDI bedeutete der Gesetzentwurf den Weg zum festen sozialen Besitzstand, der ein späteres Abweichen, was sie wohl erhofften, erschwere.
Solange die Arbeit der Menschen dem Kapital gleichgestellt wird und nur als ein Durchschnittsumsatz je Beschäftigten in Millionen D-Mark in die Statistik eingeht und solange auch in den Produktionsmitteln nur die Vergleichsmasse und nicht die für die Produktion notwendigen Werkzeuge der Arbeiter gesehen werden, dürften Sozialpläne Flickwerk bleiben, allerdings nicht großzügig mit Masse ausgestattet wie die „geflickten" Sozialpläne für die Politiker und die Parteien.
Meine Damen und Herren, Unternehmenszusammenbrüche gibt es nicht nur, weil die Bilanzen mit roten Zahlen geschrieben werden, schlimmer sind die Vertrauenszusammenbrüche, die durch das Verhalten führender Politiker und Wirtschaftler in unserer Gesellschaft zur Zeit ausgelöst werden. Aber wie können Arbeitnehmer Vertrauen haben, wenn die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegt, der den Lohnforderungen der Arbeitnehmer einen Vorrang aus einem Drittel der Konkursmasse und eine Überbrückungshilfe bis zu höchstens zweieinhalb Monatsgehältern sichern soll, während sich führende ehemalige Regierungsmitglieder aus Geldern des Fiskus mit einer nicht zu überbietenden Unverfrorenheit bedienen?
({0})
Heute morgen haben meine beiden Kollegen Dieter Burgmann und Hubert Kleinert im Haushaltsausschuß aufgedeckt, daß der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff aus Mitteln des Bundeshaushalts 1984 eine Summe -
Frau Kollegin, ich bitte Sie, zur Sache zu sprechen.
Ja, das sollte die Vertrauenszusammenbrüche darstellen. - Eine Summe von 85 369 DM -
Frau Kollegin, ich bitte Sie, zur Sache zu sprechen. Verhandlungsgegenstand ist die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Sozialplan im Konkursfall.
Okay. Ich glaube, Sie wissen, worauf ich hinaus wollte.
({0})
Ich möchte sagen, dieses, was ich eben angedeutet habe, jedoch nicht zu Ende führen konnte, stellt den Konkurs von Werten dar, auf die die Bürger einer Demokratie bauen und die für sie zerstört werden. Ich warne davor, daß hier versucht wird, mit Argumenten, die sehr fadenscheinig sind, eine Überbrückungshilfe, sozusagen einen Sozialplan, aufzustellen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dieses Gesetz ist notwendig - davon haben wir uns in mühsamer Kleinarbeit überzeugen lassen -, weil das Bundesarbeitsgericht seine „Gesetzgebungskompetenz" in diesem Fall ein klein wenig überschätzt hat und zu meiner großen Genugtuung bei dieser Gelegenheit durch das Bundesverfassungsgericht in seine Schranken verwiesen worden ist. Ich bin nämlich nicht der Meinung, daß Herr Kissel, der Präsident des Bundesarbeitsgerichts, recht hat, wenn er sagt, wir seien schuld, wenn wir überall Lücken ließen und die gequälten Richter müßten diese Lücken ausfüllen, sondern ich bin der Ansicht, es gibt in diesem Haus genügend Leute in allen Fraktionen, die jeden einzelnen Vorgang so genau betrachten, daß sie wissen, ob sie gesetzgeberisch tätig werden wollen oder nicht, wobei sie im übrigen nachdrücklich unterstützt werden durch den unermüdlichen Regelungseifer der Mitglieder der Bundesregierung und der dahinterstehenden Beamten.
({0})
Wenn dann etwas nicht geregelt worden ist, dann weist das normaliter erst einmal darauf hin, daß dieses Haus es nicht regeln wollte und dad deshalb kein Gericht in der Lage ist, statt dessen eigenschöpferisch Recht zu setzen. Daß das Bundesverfassungsgericht diesen Sachverhalt klargestellt hat, begrüße ich für die Fraktion der Freien Demokraten ganz ausdrücklich.
({1})
Nun haben wir uns mit der Frage zu befassen, ob es zweckmäßig ist, die dadurch entstandene Lücke auf der Stelle durch ein spezielles Gesetz, mit dem wir es heute zu tun haben, zu füllen, oder ob wir nicht besser daran getan hätten, noch etwas länger auszuharren, um uns in einer Gesamtlösung ein Insolvenzverfahren vorzunehmen, das in der Lage ist,
Kleinert ({2})
nicht für 500 Arbeitnehmer den scheinbaren Gewinn von einigen, ganz wenigen tausend Mark
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für zwei Monate zu sichern, sondern für 3 000 Arbeitnehmer - ich habe hier ein ganz spezielles Beispiel im Auge - die Arbeitsplätze wirklich nachhaltig zu erhalten. Wir stehen dafür ein, daß wir eine Lösung brauchen, bei der die Erhaltung bestehender Unternehmen und all der darin enthaltenen Werte vorrangig ist. Einer der wichtigsten Werte, die darin enthalten sind, ist die langjährige Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zum Betrieb und die dadurch erworbenen Fertigkeiten der Arbeitnehmer. Soll dieses alles vernichtet werden, nur weil sich kein Käufer für ein solches Unternehmen findet, wenn es belastet ist erstens mit einem Sozialplan und zweitens mit den Folgen aus § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches, der jedem Erwerber sämtliche von den Arbeitnehmern erworbenen sozialen Ansprüche aufbürdet? Das ist die große Frage, der man sich stellen sollte.
Es ist nicht sehr sinnvoll, Arbeitnehmern vorzugaukeln, es wäre für sie gut, zwei Monatsgehälter zu bekommen, statt dafür zu sorgen, daß möglichst viele Arbeitnehmer, bis sie schließlich selbst in den Ruhestand gehen wollen, ihr volles Geld verdienen. Das ist der Punkt, um den es geht.
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Diejenigen, die hier um ein oder zwei Monatsgehälter für die Minderheit streiten - es ist übrigens eine Minderheit, die 8 % der Arbeitnehmerschaft in sämtlichen in Konkurs gegangenen Betrieben dieser Bundesrepublik ausmacht -,
({5})
die denken viel mehr daran, wie man sich als Funktionär einer mächtigen Gewerkschaft
({6})
einer mächtigen Vertretung oder einer mächtigen Oppositionspartei nett darstellen kann, als zu überlegen, was die anderen 92% inzwischen machen, während wir hier für die 8 % an einem solchen Gesetz basteln.
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Ich möchte an die Ehrlichkeit der Damen und Herren von der verehrlichen Oppositionspartei appellieren und sagen: Überlegen Sie doch bitte, was der Mehrheit aller Arbeitnehmer, all derjenigen die im Konkursfall von einem solchen Schicksal betroffen sein könnten, besser nützt: diese Sozialplanregelung oder eine neue, umfassende Insolvenzregelung, bei der schließlich herauskommt, daß mindestens drei- oder viermal soviel Unternehmen wie bisher aus einem solchen Insolvenzverfahren gerettet hervorgehen, statt unterzugehen. Verwischen Sie doch bitte diese Szenerie nicht dadurch, daß Sie sich hier an einer Kleinigkeit festhalten, Kleinigkeit nicht im Hinblick auf den einzelnen, für den es sehr wichtig ist, wenn er aus dem Sozialplan, nachdem er einen langjährig innegehabten Arbeitsplatz verliert, sein Geld dafür kriegt, sondern Kleinigkeit im Hinblick darauf, daß nur 8 % aller Arbeitnehmer von diesem Gesetz profitieren und daß 92 % aller anderen Arbeitnehmer gar nichts davon haben, sondern nur Nachteile, wenn immer mehr Unternehmen - zunächst im Vergleichsfall, dann im Konkursfall, also im Insolvenzverfahren - schließlich untergehen. Das betrifft viel mehr Arbeitnehmer! Wenn man nicht den Mut hat, sich diesen Fragen offen zu stellen und wirklich darüber nachzudenken, wem was besser nützt, dann helfen uns solche Maßnahmen, wie sie hier nun aus einem akuten sozialpolitischen Bedürfnis heraus geregelt werden, und zwar für einen Bruchteil aller Arbeitnehmer, gar nicht weiter.
Wir sind daran interessiert, ein Insolvenzrecht zu schaffen, und zwar in möglichst kurzer Zeit, das dazu beiträgt, daß mehr Betriebe im Insolvenzverfahren erhalten bleiben. Wir wissen ganz genau: Dabei müssen alle Opfer bringen.
({8})
Damit ich nur nicht mißverstanden werde: Die Banken, die Großgläubiger aus den verschiedensten Bereichen müssen genauso zur Kasse treten wie leider auch die Arbeitnehmer, deren Ansprüche sich wegen der Vielzahl am meisten aufsummieren, damit es möglich wird, in einem neugeordneten Insolvenzverfahren
({9})
mehr Betriebe zu erhalten als bisher und damit auch Arbeitsplätze zu erhalten.
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- Herr Roth, ich gehe doch gerne auf einen Zuruf von Ihnen ein, und das auch ganz zum Schluß. Ich habe erst das gelbe Licht; das rote leuchtet noch nicht.
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- Nein, nein, Sie brauchen sich gar nicht unnütze Mühe zu machen; ich gehe auf Ihre Frage ein. - Herr Roth, wir werden versuchen
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- die Fraktion der Freien Demokratischen Partei; ich glaube, daß das auch bei der Fraktion der CDU/ CSU der Fall ist -, das Bundesjustizministerium davon zu überzeugen, daß es nach langjährigen Vorarbeiten und nach dem demnächst zu erwartenden Abschlußbericht einer Kommission, die sich viele Jahre mit den Dingen befaßt hat, möglich sein müßte, mit einer erheblichen Kraftanstrengung vielleicht auch noch in dieser - statt erst in der nächsten - Legislaturperiode zu Ende zu kommen. Wir werden uns darum bemühen.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2129 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Werden noch weitere Überweisungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sauter ({0}), Dr. Pinger, Dr. Kunz ({1}), Herkenrath, Repnik, Graf von Waldburg-Zeil, Bayha, Borchert, Feilcke, Frau Fischer, Hedrich, Höffkes, Dr. Hüsch, Lamers, Dr. Pohlmeier, Schreiber, Echternach, Hanz ({2}), Dr. Lammert, Kraus, Rühe, Sauter ({3}), Schmidbauer, Frau Augustin, Carstensen ({4}), Schartz ({5}), Michels, Niegel, Sauer ({6}), Werner, Dr.-Ing. Kansy, Magin, Weiß, Kittelmann, Hornung, Eylmann, Bohl, Frau Roitzsch ({7}), Frau Dr. Wisniewski, Seehofer, Frau Rönsch, Louven, Dr. Stercken, Schwarz, Dr. Schwörer, Dr. Czaja, Clemens, Hauser ({8}), Dr. Schroeder ({9}), Dr. Miltner, Ganz ({10}), Bühler ({11}), Rode ({12}), Frau Geiger, Frau Hoffmann ({13}), Frau Verhülsdonk, Frau Krone-Appuhn, Petersen, Stutzer, Dr. Hoffacker, Frau Dempwolf, Seesing, Stockhausen, Müller ({14}), Eigen, Schneider ({15}), Doss, Wilz, Rossmanith, Nelle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rumpf, Schäfer ({16}), Paintner, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDP
Förderung kleinbäuerlicher Betriebe in der Dritten Welt
- Drucksache 10/1841 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({17})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Der Ältestenrat schlägt für die Aussprache eine Runde vor. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sauter ({18}).
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zu unserem Antrag Stellung nehme, möchte ich ein Wort zu der dramatischen, ja teilweise ausweglosen Lage in Afrika sagen. Dieser Kontinent ist wieder einmal zu einem Schauplatz eines Wettlaufs mit dem Hungertod geworden. Ich danke allen, die in diesen Tagen und Monaten helfen. Ich möchte alle aufrufen, nicht müde zu werden. Ich möchte dabei ein besonderes Wort des Respektes den Soldaten der Bundeswehr sagen, die unter großen Schwierigkeiten versuchten und auch weiterhin versuchen werden, Hilfe zu bringen.
({0})
Ich bin überzeugt davon, daß die Bundesregierung, daß Sie, Herr Bundesminister Warnke, zusammen mit dem Bundesverteidigungsminister nicht nachlassen werden, hier weitere Hilfsgüter so rasch wie möglich in diese Region zu bringen. Schlimm ist die Erkenntnis, daß die Hilfe nicht alle erreicht, die Hilfe bräuchten. Wir müssen uns in Afrika auf längere Katastrophenhilfe einrichten.
Neben den akuten Problemen und Gefahren, über die ich kurz gesprochen habe, brauchen wir eine langfristige Perspektive für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit, und dazu soll unser Antrag dienen. Kleinbauern, Pächter, Landarbeiter und die ländlichen Regionen stehen im Mittelpunkt unseres Antrages. Diese Zielgruppen bilden die Mehrheit der Bevölkerung in der Dritten Welt. Es gibt meines Erachtens keine sinnvolle Entwicklung in diesen Ländern, wenn diese Gruppen nicht am sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt beteiligt sind. Wer das nicht sieht und daraus nicht einen entsprechenden Schwerpunkt der Entwicklungshilfe macht, muß wissen, daß die Landflucht dann weiter zunimmt, was zu verheerenden Problemen in den Großstädten führt.
Hilfe für Kleinbauern kann nicht darin bestehen, einfach die landwirtschaftliche Gesamtproduktion zu erhöhen. Entscheidend ist, wer diese Produktion erwirtschaftet.
Am Beginn der Zweiten Entwicklungsdekade herrschte fast eine euphorische Stimmung, Experten und Politiker glaubten tatsächlich, in relativ kurzer Zeit den Hunger zu besiegen. Der „Vater der grünen Revolution" wurde damals mit dem Nobelpreis geehrt. Es wurden neue Sorten und Anbaumethoden entwickelt, die höhere Erträge brachten. Aber am Ende dieser zweiten Dekade kam die FAO zu einer negativen Bewertung und zu einem negativen Befund. Die grüne Revolution hat die soziale Kluft verschärft, nicht weil die Technologie an sich falsch war, sondern wegen der Bevorzugung der Großbauern. Im Ergebnis, so wird dort gesagt, führte diese grüne Revolution zu einer Konzentration des Besitzes. Diese Feststellung gilt auch für zahlreiche Schwellenländer wie beispielsweise Mexiko oder Brasilien. Dabei sind die kleinen Betriebe durchaus in der Lage, rational zu denken und zu handeln, aber die Höchstpreisvorschriften vieler Länder verhindern natürlich jegliche Produktionsanreize.
Bundesminister Warnke hat 1983 in Feldafing eine programmatische Rede von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklungspolitik gehalten. Ich kenne keine Aussage aus früheren Zeiten und von früheren Regierungen, die so klar und überzeugend ein Konzept für die Bauern und den ländlichen Raum in der Dritten Welt entworfen hätte.
({1})
Sauter ({2})
- Sie können das nachher korrigieren.
({3})
Mit unserem Antrag wollen wir diese Konzeption nachdrücklich unterstützen. Wir begrüßen auch die Einrichtung einer Sondereinheit - so heißt es - im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die sich mit der Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe beschäftigt.
Wir befinden uns mit diesem Antrag und dieser Konzeption im Einklang mit den Vereinten Nationen. Beim Welternährungstag im Oktober dieses Jahres in New York wurde zu Recht von „Elefantenprojekten" gesprochen und davor gewarnt. John Galbraith, ein renommierter amerikanischer Wissenschaftler meinte dazu: „Das Modell kapitalistischer und sozialistischer Industrienationen ist nicht brauchbar für Entwicklungsländer, da es ungebührlich stark auf die industrielle Entwicklung abgestellt ist. In den meisten Ländern müßte dagegen der landwirtschaftliche Sektor Vorrang haben. Nur ein Agrarsystem, das dem Produzenten eigenbewirtschaftetes Land überläßt, das Gewinn abwirft, verspricht soziale Stabilität und wirtschaftliche Effizienz". - Dem können wir nur uneingeschränkt zustimmen.
Unser Antrag ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, in diesem hier skizzierten Sinn zu handeln und den eingeschlagenen Weg entschieden und mutig fortzusetzen. Die Nichtregierungsorganisationen, die auf diesem Feld beachtliche Anfangserfolge verzeichnen können, müssen gestärkt werden.
Wir appellieren an die Bundesregierung aber auch mit Nachdruck, im Dialog mit den Regierenden der Dritten Welt die Probleme der Kleinbauern und der ländlichen Regionen zu einem zentralen Thema zu machen. Das heißt konkret: Förderung der Kleinbauern, Überprüfung der Preispolitik für Agrarprodukte, Bekämpfung der Landflucht und in vielen Ländern eine Änderung der Agrarverfassung.
1979 hatten wir in Rom die Konferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung. Sie war eher eine Bestandsaufnahme als eine Initialzündung für die Änderung vorhandener Strukturen. Die gerechte Verteilung von Grund und Boden, die Bekämpfung weiterer Konzentration sind, so schwierig es auch immer sein mag, eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg unserer Bestrebungen. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die Aussage von Kardinal Höffner anläßlich der Herbstkonferenz der deutschen Bischöfe, der diese Forderung mit Nachdruck erhoben hat.
Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Schlagwort geworden. Aber es muß dennoch und wird, wie ich glaube, auch Maxime unserer Politik bleiben. Dazu brauchen wir bäuerliche Organisationen, die helfen, fördern und beraten. Unsere Genossenschaften in Deutschland, in Mitteleuropa waren in ihren Anfängen echte Selbsthilfeorganisationen. Sie dienten den kleinen Landwirten, den Handwerkern und den Gewerbetreibenden. Es gibt auch in der Dritten Welt hinreichend Beispiele, wie mit kleinen Beträgen echt geholfen werden kann. Wir müssen verhindern, daß der Kleinbauer in die Hände eines privaten Geldverleihers gerät, der ihm nach kurzer Zeit seine Existenz raubt.
Unser Antrag fordert aber auch den stufenweisen technologischen Fortschritt. Wer in einem Land, in dem die Bodenbearbeitung mit der Handhacke betrieben wird, den 200-PS-Schlepper einführen oder an Stelle der Ernte von Menschenhand den Großmähdrescher einsetzen will, leistet keinen vernünftigen Beitrag zur Förderung der Landwirtschaft.
({4})
Technologische Sprünge in diesen Ländern schaden mehr, als gemeinhin bekannt ist. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie lange derartige Prozesse in den Industrieländern gebraucht haben, bis sie sie durchsetzen konnten, und in wieviel kleinen Schritten sich diese Entwicklung vollzogen hat.
Die Frauen sind in den ländlichen Familien die entscheidenden Träger des Entwicklungsprozesses. Sie müssen wesentlich stärker als in der Vergangenheit in die Beratung einbezogen und mit neuen technischen Entwicklungen vertraut gemacht werden. Dabei denke ich vor allem an Entlastung der Frauen von schwerer körperlicher Arbeit im bäuerlichen Betrieb.
({5})
Ich will noch ein Wort an die Adresse der Opposition richten. Im März 1982 haben alle damals im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen eine Entschließung gefaßt, in der als Priorität der Einsatz für die ärmsten Bevölkerungsschichten genannt wurde. Ich möchte Sie daher herzlich bitten und auffordern, diesem unserem Antrag zuzustimmen. Sagen Sie bitte nicht, wie Sie das bei anderen Debatten getan haben -, etwa damals, als es um die Diskussion der Handwerksförderung ging -, wir suchen schon wieder neue Schwerpunkte.
Die Verbesserung der Infrastruktur ist sicher wichtig, wie wir leidvoll in diesen Monaten in Afrika wieder erfahren mußten. Dennoch brauchen wir in Zukunft den seßhaften eigenständigen kleinen Landwirt und Handwerker, der in der Lage ist, seine Familie zu ernähren, und der nicht die Straße als Fluchtweg in die Großstadt benutzt.
Niemand ist in der Lage, bei der Politik für die Dritte Welt zu sagen: Ich habe das richtige Konzept. Dennoch meine ich, daß wir in dieser Zielgruppe der kleinen Landwirte und des ländlichen Raums in Zukunft einen entscheidenden Schwerpunkt unserer Arbeit sehen müßten. Er muß mit großer Ausdauer angegangen werden. Ich bin überzeugt, daß sich dieses Engagement lohnt.
Ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zusammenhang mit diesem Antrag, dessen Annahme und Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wir empfehlen, darauf hinzuweisen, daß in dem Bericht, den die Weltbank im Jahre 1982 herausgegeben hat,
Sauter ({6})
gerade dieser Thematik ein besonderer Schwerpunkt gewidmet wird. Die Schlußfolgerungen aus diesem Bericht stimmen weitgehend mit dem, überein, was wir heute hier fordern. Ich darf aus diesem Bericht aus dem Jahre 1982 zitieren. Dort heißt es: „Kleinbauern können eine hohe Produktivität erzielen. Sie erwirtschaften aus jedem Hektar höhere Erträge als Großbauern." Ich meine, daß uns dieser Bericht einen Fingerzeig gibt, wie wir in Zukunft die Schwerpunkte in der Entwicklungspolitik setzen müssen.
Ich darf hier auf einen anderen bekannten Fachmann - Professor Molitor - verweisen, der unlängst in einer Wirtschaftszeitung im Zusammenhang mit dem Thema „Entwicklungspolitik und Handlungsspielraum in der Dritten Welt" dafür plädiert hat, in Zukunft einen Schwerpunkt bei den Kleinbauern in den ländlichen Regionen zu sehen; er meinte:
Wer das unselige Syndrom aus Unterernährung, Seuchen und Erwerbslosigkeit aufbrechen will, muß sich auf die Agrarproduktion konzentrieren, und zwar auf der Geber- wie auf der Nehmerseite.
Er fährt fort:
Jede Politik der Entwicklung beginnt hier und nicht bei hochgestochenen Industrialisierungsprojekten, für die dem Land meistens doch die Absorptionsfähigkeit fehlt, oder gar bei Prestigevorhaben wie dem Bau neuer Hauptstädte, mögen sie auch den amtierenden Regenten eindrucksvoll erscheinen.
Ich glaube, wir können dieser Beurteilung nur zustimmen. Ich bin überzeugt davon, daß uns Bundesminister Warnke, der dieses Problem in Feldafing in großer Deutlichkeit angesprochen hat, in seiner Aufgabe als Minister für die Dritte Welt auf diesem Wege folgen wird, im Interesse und zum Nutzen der Menschen in der Dritten Welt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal ein paar Gedanken des Kollegen Sauter aufgreifen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie auf die aktuelle Situation in Äthiopien hingewiesen haben. Wir haben im Ausschuß die schnelle Hilfe der Bundesregierung in diesem Fall ausdrücklich gelobt. Ich möchte das von dieser Stelle aus wiederholen. Ich habe im ersten Augenblick angesichts der Infrastruktur, der Straßensituation ein bißchen überlegt, was Hilfe mit Lkws und Ersatzmaterial soll. Ich war dann sehr dankbar, daß der Parlamentarische Staatssekretär gesagt hat, auch zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr seien eingesetzt. Die genau lösen ja dieses Problem. Ich möchte mich für meine Fraktion ausschließlich dem Dank an die Bundeswehr hier und heute anschließen.
({0})
Ich glaube, wir sollten von dieser Stelle aus auch Dank den vielen Bürgern in diesem Lande sagen, die mit ihrer großen Bereitschaft, Spenden zu geben, hier und heute mithelfen. Ich halte es für sehr wichtig, daß wir dafür Dank sagen.
({1})
Lieber Kollege Sauter, es ist leider nicht ganz so, wie Sie dargestellt haben: daß der Herr Bundesminister in diesem Zusammenhang zum erstenmal klare Aussagen gemacht habe. Auch wenn ich jetzt feststelle, daß Sie von den Koalitionsfraktionen mit diesem Antrag bei uns offene Türen einrennen, werden Sie von daher sicherlich Verständnis habem, wenn ich sage, daß sich das, was Sie in Ihrem Antrag darlegen, vollinhaltlich mit den entwicklungspolitischen Grundlinien der sozialliberalen Koalition vom 9. Juli 1980 deckt.
({2})
Ich will das gern an einigen Punkten belegen, damit Sie das nachlesen können. Sie werden an der Auswahl feststellen, daß das fast wortwörtlich identisch ist mit Ihrem Antrag.
Ich will auszugsweise zitieren, weil die Zeit etwas anderes nicht zuläßt. Ich zitiere etwa den Punkt 10:
Die größte Herausforderung in unserer Zeit
- so hat damals die sozialliberale Bundesregierung gesagt ist die Massenarmut in den Entwicklungsländern. Ihre Bekämpfung ist vorrangige Aufgabe ... Dabei geht es zu allererst darum, die Grundbedürfnisse ... zu befriedigen. Eine bessere Befriedigung der Grundbedürfnisse steigert nämlich die Leistungsfähigkeit und die Arbeitsproduktivität und schafft so die Grundlagen für ein nachhaltiges, eigenständiges Wirtschaftswachstum.
Oder Punkt 14:
Die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer ... sind ausschlaggebend. Entwicklungsfördernde Strukturen müssen aufgebaut, innere Entwicklungshemmnisse müssen abgebaut werden, z. B.
- und darauf hat der Kollege Sauter zu Recht hingewiesen eine falsch angelegte, inflationsfördernde Wirtschaftspolitik, ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, ausbleibende Bodenreformen, Korruption, Privilegien ...
Oder Punkt 29:
Besonders hohe Priorität
- so hat die vorige Bundesregierung gesagt hat die ländliche Entwicklung. Ziel der Zusammenarbeit ist die Strukturverbesserung ländli7146
cher Regionen durch eine produktive und diversifizierte Landwirtschaft, durch eine leistungsfähige Infrastruktur, durch den Aufbau dezentraler Handwerks- und kleingewerblicher Produktionsbetriebe. Vorrangige Zielgruppe sind die kleinbäuerlichen Betriebe. Wichtig ist die Einrichtung von landwirtschaftlichen Kreditsystemen. Die Produktion von Erzeugnissen, die sich für die Vermarktung eignen, soll erhöht werden.
Oder Punkt 43:
Die Bundesregierung
- die damalige unterstützt die Anstrengungen privater Unternehmen, sie wird arbeitsintensive und kapitalsparende Produktionsmethoden kleiner und mittlerer Unternehmen durch Beratungs- und Finanzierungshilfen fördern ...
Oder - um abzuschließen - Punkt 64:
Mit Nachdruck soll die wachsende Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Nahrungsmitteleinfuhren durch verstärkte Eigenerzeugung abgebaut werden. Bei der Aufstellung nationaler Ernährungsstrategien soll Hilfe geleistet werden. Sie
- die Bundesregierung beteiligt sich an der Anlage nationaler Sicherheitsreserven - möglichst aus eigener Produktion - und am Aufbau von Lager- und Verteilungskapazitäten.
({3})
Angesichts dieser offensichtlichen Übereinstimmungen habe ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, einige Schwierigkeiten, zu erkennen, welches Ziel dieser Antrag eigentlich verfolgt. Der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Minister, ein guter und ehrenwerter Mann, hat gestern hier auf meine Frage ausdrücklich erklärt, daß sich die Bundesregierung an diese von mir auszugsweise zitierten Grundlinien gebunden fühle. Zwar müsse - so hat er gesagt - angesichts sich ändernder Verhältnisse fortgeschrieben werden. Aber entschuldigen Sie bitte: Was ist an diesem Antrag eigentlich neu?
({4})
Ich vermag nichts zu erkennen. Ist das alter Wein in neuen Schläuchen? Sie wissen, es tut dem Wein nicht gut, wenn man ihn umlagert.
({5})
- Er muß lange liegen. Herr Kollege, ich bedanke mich, daß Sie mich unterstützen.
Ich vermute etwas ganz anderes. Ich vermute, diese Bundesregierung soll an die Leine gelegt werden.
({6})
- Seien Sie vorsichtig, Herr Kollege Pinger, ich werde das belegen. Denn - und das weist der SollIst-Vergleich 1983 aus - diese Bundesregierung handelt in der Praxis anders, als es die Grundlinien wollen.
({7})
Ich möchte dies an einigen wenigen Beispielen aus dem Bereich der finanziellen Zusammenarbeit - ich beschränke mich darauf - belegen. Ich nenne acht Projekte aus dem Soll-Ist-Vergleich 1983.
Erstens. Türkei: Da stand in der Rahmenplanung ein A-Projekt mit der Bezeichnung „Entwicklungsbankenkredite für den Aufbau von Betrieben der privaten Klein- und Mittelindustrie und der Landwirtschaft". Hier ist um 10 Millionen gekürzt worden. Statt dessen wurden 20 Millionen für Lokomotiven ausgegeben. Begründung im Soll-Ist-Vergleich: „Änderung der Projektauslegung".
({8})
Zweitens. Ägypten: Nach der Rahmenplanung ein A-Projekt, „Ländliche Entwicklung der Oase Fayoum". Kürzung um 30,2 Millionen DM. Statt dessen: für Zulieferung für Schaltanlagen 5 Millionen DM, für Telefonnetz Kairo-Abbassina 10 Millionen DM. Begründung: „Änderung der Projektauslegung".
Herr Minister, Sie waren selber einmal Abgeordneter, sind es auch noch: Ich halte eine solche Begründung gegenüber einem Parlament für eine Zumutung. Dies ist keine Begründung. „Änderung der Projektauslegung", das ist so allgemein, daß sich kein kritischer Abgeordneter darunter etwas vorstellen kann.
Drittes Beispiel. Indonesien: Das ist nach der Rahmenplanung wieder ein A-Projekt, „Wasserversorgung für Provinzstädte, Sumatra". Vorgesehen waren in der Rahmenplanung 1983 30 Millionen DM. Statt dessen: für Erweiterung des Fernschreibnetzes 49,5 Millionen DM.
Ich will hier einmal zusammenfassen. Schaltanlagen, Telefonnetz, Fernschreibnetz:
({9})
Welche Firma mag das wohl geliefert haben? Dreimal dürfen Sie raten.
Viertens. Kongo: A-Projekt, „Wasserversorgung ländlicher Zentren". Kürzung um 3,5 Millionen DM. Statt dessen wird ein B-Projekt vorgezogen, für „Förderung der staatlichen Transportgesellschaft" 3 Millionen DM und Managementunterstützung 0,5 Millionen DM. Hier ist die Begründung ehrlich und offen: „Änderung der Schwerpunkte". Wie wahr.
Fünftens. Lesotho - Herr Kollege Sauter, wir werden es uns ansehen -: A-Projekt, „Ländliche Wasserversorgung ({10}) und Abwasserentsorgung ({11})" - ganz wichtig, das wollen Sie doch mit Ihrem Antrag - 8,5 Millionen DM. Was ist geschehen? Nichts. Fehlanzeige.
Sechstens. Mali: A-Projekt, „Neubau von zwei Reismühlen im Großraum Segou" und „Wasserversorgung der Mittelstadt Kati", dafür vorgesehen zuToetemeyer
sammen 8 Millionen DM. Statt dessen für - Herr Kollege Rumpf, passen Sie gut auf - „Abholzung Staudamm Manantali" plus 8 Millionen DM. Die Begründung ist umwerfend ehrlich: „Änderung der Schwerpunkte zugunsten Abholzung Manantali". Kollege Rumpf, an der Stelle müßten Sie doch eigentlich aus dem Anzug springen.
({12})
Siebentens. Pakistan: A-Projekt, „Aufforstung in der Nordwest-Grenzprovinz" in Pakistan. Vorgesehen: 20 Millionen DM; statt dessen Lieferung von 30 Lokomotiven. Auch hier, ehrlich wie bei Mali, steht da: „Änderung der Schwerpunkte zugunsten Lokomotivenlieferung".
({13})
Achtens und letztes Projekt: Ruanda, „ländliche Entwicklungsvorhaben in der Region Crete Zaire-Nil", Kürzung um 7 Millionen DM.
({14})
Sollte die Grundtendenz dieses Antrags Aufforderung an die Bundesregierung zum Handeln sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, dann werden Sie uns an Ihrer Seite finden. Über Einzelformulierungen des Antrags können wir im Ausschuß gerne diskutieren. Es reizt mich zwar, das schon jetzt zu tun, aber die Zeit ist um. Ich will auch dieser Beratung im Ausschuß nicht vorgreifen.
Wie heißt es, verehrte Damen und Herren, im Neuen Testament, und zwar in Matthäus 7 Vers 16: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."
Wir stimmen der Überweisung an die vorgesehenen Ausschüsse zu.
Ich bedanke mich.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Angst, ich bin noch nicht aus dem Anzug gesprungen, wie ihr seht. Ich komme gerne auf das zurück, was Herr Toetemeyer gesagt hat. Ich kann aber vorweg sagen, daß selbstverständlich auch die Fraktionen der Koalition aus Abgeordneten bestehen, die die Regierung zu überprüfen und zu kontrollieren haben.
({0})
Wir werden dieser Aufgabe selbstverständlich nachkommen,
({1})
mit aller Genugtuung, über das hinaus, was bisher schon geschehen ist.
({2})
- Nun hören Sie mal, ich habe noch gar nichts gesagt; da können Sie doch keine Zwischenfrage stellen.
({3})
- Herr Stratmann, diese Frage kann ich nicht beantworten, denn ich lasse gar keine Fragen zu.
({4})
Weltweit ziehen jährlich 12 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern vom Land in die Stadt. Diese enorme Landflucht bewirkt, meine Damen und Herren, daß die ohnehin schon überquellenden Städte vor unlösbare Probleme gestellt sind.
({5})
Bis zu 20 Personen teilen sich einen Raum. 140 000 Einwohner drängen sich auf einem Quadratkilometer Slum zusammen. Gewohnt wird in Wellblechhütten, Kistenbrettern, in Pappe, in Autoreifen, in Plastikfetzen. Die Standorte dieser Elendsviertel sind Bahndämme, Müllkippen, Flußufer, Hinterhöfe, Hausdächer und Friedhöfe. Die Versorgung mit Strom und Wasser ist desolat. Kanalisation gibt es überhaupt nicht. Und doch wachsen diese Elendsstädte weltweit jährlich um die Größe Kairos oder Bombays.
Es gibt zwei Ursachen für den Run auf die Zentren: einen Anziehungs- und einen Abstoßungseffekt. Gerade die wohlhabenden Gruppen von Dörflern und Kleinstädtern erwarten in der Stadt bessere Erwerbs- und Bildungschancen. Miserable Agrarlöhne, meist durch gebundene Nahrungsmittelpreise bewirkt, und ländliche Arbeitslosigkeit, oft auch durch landwirtschaftliche Modernisierungsprozesse ausgelöst, führen zur Vertreibung der Landbevölkerung. Stadtsog und Landflucht addieren sich also zu diesem Ergebnis.
Der gemeinsame Antrag der Koalitionsfraktionen hat daher den richtigen Ansatz. Durch Anhebung der Lebensqualität im ländlichen Bereich muß die Landflucht verhindert werden. Der Antrag zielt auch genau auf die in diesem Hohen Hause mehrfach betonte Schwerpunktbildung in den Bereichen, die Sie dargestellt haben und die Sie auch unterstützen werden:
({6})
auf die vorrangige Hilfe zur Entwicklung ländlicher Räume und auf das Aufspüren oder Erschließen alternativer Energiequellen sowie auf den Schutz der Umwelt, auf die Erhaltung natürliche Ökosysteme, und, wo es möglich ist, auf die Wiederherstellung natürlicher Kreisläufe.
Herr Toetemeyer, Mali ist ein typisches Beispiel dafür,
({7})
daß ein Projekt, das als sinnvoll erkannt worden ist - nämlich die Energieversorgung in diesem Land Mali ein für allemal durch einen Staudamm zu lösen -, auf der anderen Seite den Verlust von Urwald bedeuten kann. Schlimm daran ist besonders, daß das Holz nicht frühzeitig genutzt werden konnte. Solche Beispiele gehören der Vergangenheit an. Sie stammen übrigens aus der Zeit unserer gemeinsamen sozialliberalen Koalition.
({8})
Um ganz ehrlich zu sein: Es sind Dinge, die langfristig wirken
({9})
- und trotzdem falsch sind.
Nun hat man gerade in der Entwicklungspolitik besonders viel dazu gelernt. Ich bin froh, daß die neue Bundesregierung besonders auf diesem Feld die Fehler nicht wiederholen will.
Es wurde oft gesagt - ich will das nicht wiederholen, aber man sollte sich darüber im klaren sein -, daß sich ländliche Entwicklung auf drei Grundlagen vollzieht: auf einer tragenden, auf einer steuernden und auf einer technischen Grundlage.
Dabei erscheint mir die tragende Grundlage als die wichtigste. Das ist nämlich der gewachsene Lebensraum des Menschen, das Ökosystem, wo er seine Rohstoffe findet, seinen Energiebedarf deckt, wo er seine Siedlungen anlegt und wo er die Anbauflächen für die Agrarprodukte findet.
({10})
Wir Freien Demokraten wollen mit dem vorliegenden Antrag den Blick auf diese entscheidende Ebene lenken. Entwicklunspolitik kann nämlich nicht sektoral behandelt werden, sondern sie muß ganzheitlich gesehen und durchgeführt werden.
({11})
Deswegen kann man in einem Kurzbeitrag nicht den gesamten Komplex darstellen.
Wenn das Ökosystem eines bestimmten Raums zerstört oder umgestaltet wurde, ist es nicht mehr tragfähig. Das heißt, daß diese Tragfähigkeit überall dort, wo sie noch vorhanden ist, unbedingt erhalten bleiben muß, und dort, wo sie gestört, aber noch nicht zerstört ist, muß die Tragfähigkeit wiederhergestellt werden.
Die steuernde Grundlage umfaßt das soziokulturelle Umfeld der entsprechenden Räume. Die Kultur- und Sozialsysteme der Völker und Stämme unterliegen bestimmten Normen. Es muß überlegt werden, ob sie für neue Ziele veränderbar sind oder ob die Gefahr besteht, daß gewachsene Strukturen zerstört werden.
Ich nenne ein Beispiel. Wenn man Nomaden seßhaft macht oder durch Brunnen mit ihrem Vieh um die Wasserstellen konzentriert, zerstört man damit eine alte Kultur und soziale Zusammenhänge. Gleichzeitig zerstört man die Tragfähigkeit des Ökosystems, weil die Überweidung zu stark wird und das Weideland sich nicht mehr regeneriert. Der Ansatz muß also ein anderer sein.
Oder: Der Stammeshäuptling läßt sich nicht überzeugen, daß eine Aufforstung nicht für den Hunger der Ziegen von heute und für die Milch für die Kinder von morgen, sondern für das Volk von übermorgen gut ist. Solche Veränderungen können zu Entwurzelungen und zu Identitätsschwächungen führen, wodurch dann wieder die Landflucht gefördert würde.
Zur dritten Grundlage: zur Technik, zur Ökonomie, lassen Sie mich nur noch sagen, daß dies die instrumentale Ebene ist, die alles Machbare umfaßt. Daß nicht alles technisch Machbare in der Entwicklungspolitik auch sinnvoll ist, brauche ich wohl nicht zu betonen. Es wird oft von angepaßter Technologie gesprochen. Dies muß nicht heißen, primitive Hilfsmittel zu verwenden. „Angepaßt" würde ich in diesem Zusammenhang wie folgt definieren: die Verwendung einer Technik, die aus den örtlichen Hilfsmitteln entwickelt wird und nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt. Das ist ja genau der Punkt.
({12})
Im vorliegenden Antrag ist eine Reihe von Vorschlägen aufgeführt, dies alles zur ganzheitlichen Betrachtung zu führen. Ich brauche jetzt nicht mehr im einzelnen aufzuzählen: die Ansiedlung der Kleinst- und Kleingewerbe, die besondere Rolle der Frauen, den Aufbau eines Kreditwesens - man müßte so etwas wie einen afrikanischen Raiffeisen erfinden -,
({13})
Bildung, Ausbildung usw. Staatssekretär Köhler hat das vor Jahresfrist unter dem Titel „Mit den Kleinbauern reden" veröffentlicht.
Für die FDP betone ich dazu nochmals: Alles hängt von der tragenden Grundlage des ländlichen Raumes ab, also vom vorhandenen Ökosystem. Katastrophen wie in Äthiopien - sowohl Herr Sauter wie Herr Toetemeyer haben darauf hingewiesen - lassen sich durch die beste Entwicklungspolitik nicht verhindern oder vorhersehen. Sie lassen sich aber lindern;
({14})
z. B. in diesem besonderen Fall durch eine bessere Infrastruktur. Aber den Ausfall von Niederschlägen drei Jahre hintereinander kann kein Mensch verändern. Gründe dafür sind wohl in erster Linie großklimatische Verschiebungen, in zweiter Linie aber auch die Vernichtung der vorhandenen ökologischen Grundlage. Im speziellen Fall Äthiopiens: Am Jahrhundertanfang noch 40 % Wald, heute 2,5 %.
Es bleibt demnach richtig: Von der Leistungsfähigkeit und von der ökologischen Stabilität eines Raumes hängen letztendlich alle anderen TeilbereiDr. Rumpf
che ab. Zuerst muß der Teufelskreis der Übernutzung oder der Überweidung des Bodens gelöst werden.
Hier wollen unsere Entwicklungshelfer ansetzen, denen ich an dieser Stelle auch einmal ein anerkennendes Wort sagen will.
({15})
Sie bemühen sich seit Jahren in Tausenden von Projekten, bei denen es keine Lorbeeren zu ernten gibt. Ländliche Entwicklung ist sehr personalintensiv und vollzieht sich in alle Stille. Es werden keine großen Projekte irgendwo eingeweiht. Wichtig ist vielmehr die überzeugende und geduldige Kleinarbeit. Diesen Entwicklungshelfern wollen wir mit unserem Antrag helfen. Deshalb bitte ich auch die Oppositionsfraktionen, diesem Antrag zuzustimmen.
({16})
- Selbstverständlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte kurz etwas zu Äthiopien sagen. Natürlich begrüßen wir die Hilfsmaßnahmen, die hier getroffen werden. Aber wir finden, daß wir auch einmal über die politischen Implikationen dieses Konflikts diskutieren sollten. Wenn man hier helfen will, muß man sich auch Gedanken machen, wie man eine Initiative - von mir aus eine außenpolitische Initiative - starten kann, daß die wahre Ursache des Krieges, nämlich der Konflikt am Horn von Afrika, hier einmal diskutiert wird. Dahin gehend müßten einmal Überlegungen angestellt werden. Ich möchte nur sagen: Die Regierung gibt unwahrscheinlich viel aus, um Waffen zu kaufen. 60% der gesamten Exporterlöse von Äthiopien gehen in die Waffen. Da liegt doch der Hase begraben. Was man machen muß, ist, die Leute zu einem Dialog zu bringen. Da, finde ich, müssen wir uns überlegen, was wir tun können.
({0})
Die heutige Debatte über den Antrag der Abgeordneten von den Koalitionsfraktionen, die Förderung ländlicher Entwicklung besonders für die Kleinbauern auszudehnen, gibt mir Gelegenheit, noch einmal auf die Debatte über den Entwicklungspolitischen Bericht zurückzukommen. Das erscheint mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig, weil dabei deutlich wird, welchen geringen Stellenwert die Förderung ländlicher Entwicklung in der Dritten Welt bei Herrn Minister Warnke hat und welchen geringen Stellenwert dabei auch die Wahrheit hat.
Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede am 18. Oktober 1984 die Unwahrheit gesagt. Das ist Ihnen und Ihrem Haus ja bekannt. Trotzdem warten wir bis heute auf die Richtigstellung. Sie haben für das Jahr 1985 die statistische Erhebungsmethode für ländliche Entwicklungsprojekte ausgeweitet, und zwar nur aus dem einen Grund, daß für 1985 eine optische Steigerung bei der Förderung in diesem Sektor vorgetäuscht wird. Darauf hatte ich in der vergangenen entwicklungspolitischen Debatte hingewiesen. Sie haben die Änderung der Erhebungsmethode eingeräumt, verstiegen sich jedoch zu der Behauptung - ich zitiere wörtlich -:
Sowohl nach der alten wie nach der neuen Berechnungsweise haben wir von 1982 bis 1985 eine Steigerung der Ausgaben für die ländliche Entwicklung in der Entwicklungshilfe von 3,5 % zu verzeichnen.
So weit Ihr Zitat, Herr Minister.
Daß Sie meinen Äußerungen mindere Bonität unterstellen, darauf will ich nicht weiter eingehen; denn Daten aus Ihren eigenen Hause belegen, wieviel Bonität Ihre Zahlenspielereien haben.
Der Informationsvermerk 42/84 des BMZ für den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Sie auf unseren Antrag hin zu erstellen hatten, ergibt folgendes: Nach den alten Erfahrungskriterien wurde die ländliche Entwicklung 1982 mit 933 Millionen DM gefördert, und 1985 wird sie mit 768 Millionen DM gefördert werden. Das ergibt eine Verringerung der Förderungssumme um 17,7 %, Herr Minister. Nach der neuen Erhebungsmethode lauten die Zahlen für 1982 1 077 Millionen und für 1985 992 Millionen DM. Dies beweist, daß die neue Erhebungsmethode die Optik verschönert, aber noch einen Rückgang von immerhin 7,9% ergibt. Bitte, belegen Sie mir doch einmal, wie Sie hier auf eine Steigerung von 3,5% kommen.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, diese Fakten sollten Sie im Kopf haben, damit Sie wissen, wie die Bundesregierung arbeitet, die Sie hier durch Entschließungsanträge in eine bestimmte Richtung bewegen wollen.
Nun will ich auf den Antrag im einzelnen eingehen. Zunächst einmal habe ich mich gewundert und mich gefragt, was Sie wohl veranlaßt hat, gerade jetzt einen solchen Entschließungsantrag im Bundestag einzubringen. Wurden die Kleinbauern bisher in der von Ihnen angestrebten Entwicklungspolitik vernachlässigt?
({1})
Sind Sie mit dem BMZ unzufrieden? Wurden die entwicklungspolitischen Grundlinien, die noch das sozialliberale Bundeskabinett am 9. Juli 1980 verabschiedete, nicht mehr verwirklicht? Immerhin hieß es dort zum Thema „ländliche Entwicklung":
Ziel der Zusammenarbeit ist die Strukturverbesserung ländlicher Regionen durch eine produktive und diversifizierte Landwirtschaft, durch eine leistungsfähige Infrastruktur und durch den Ausbau dezentraler Handwerks- und kleingewerblicher Produktionsbetriebe. Dies schafft auch Arbeitsplätze. Vorrangige Zielgruppen der Förderungspolitik sind die kleinbäuerlichen Betriebe und die landlosen Armen.
Oder dient dieser Antrag nur als Feigenblatt, das die kleinbauernfeindliche Außenwirtschafts-, internationale Agrar- und Entwicklungspolitik Ihrer Regierung verhüllen soll?
Ich glaube, daß die Motivation für diesen Antrag klarer wird, wenn er in eine Reihe mit ähnlichen Initiativen gestellt wird, vor allem mit Ihrem Antrag, die Handwerksförderung in der Dritten Welt zu intensivieren. Aus diesen Initiativen wird ein bestimmtes Gesellschaftsbild deutlich, dem Sie Geltung verschaffen wollen. Es ist ein Gesellschaftsbild geprägt von Bauernfamilien, Genossenschaften, Handwerkerinnungen, ein ständisches, mittelständisches Gesellschaftsbild mit konservativem Zuschnitt.
Dieses Gesellschaftsbild hat allerdings kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun, ist voll von Tabus, Lücken und Verdrängungen. Die wahren Ursachen für die Misere der meisten Menschen in der Dritten Welt, für den Hunger in der Dritten Welt werden nicht genannt und auch nicht beseitigt. Nichts sagen Sie z. B. dazu, daß jahrzehntelang mit Ihrer Unterstützung der Industrialisierung Vorrang eingeräumt wurde, mit allen Folgen für die ländliche Sozialstruktur, für die Verstädterung, für den Zerfall der Landwirtschaft. Sie schweigen zu den Auswirkungen der von Ihnen betriebenen internationalen Finanzpolitik, die den Kleinbauern keine Chance läßt. Sie verlieren kein Wort über die Unterstützung von Regimen z. B. in Mittelamerika, die Agrarreformen systematisch sabotieren und die Interessen einer kleinen Clique von Großgrundbesitzern, wie beispielsweise in El Salvador, wo Sie gerade waren, vertreten. Sie lassen die Tatsache unter den Tisch fallen, daß diese wirtschaftspolitisch alles daransetzen, die Länder der Dritten Welt noch mehr auf den Weltmarkt und den Export zu fixieren, auch in der Landwirtschaft, wie unsere Kleine Anfrage „Förderung exportorientierter Landwirtschaft in der Dritten Welt durch die Bundesregierung" deutlich gezeigt hat.
Wenn ich mir ansehe, was bestimmte Großprojekte der bundesdeutschen Entwicklungshilfe gerade unter Kleinbauern angerichtet haben, wird Ihr Antrag vollends zur Farce. In Peru konnte ich z. B. selbst sehen, wie das Projekt des JequepetequeStaudamms die Lage der Kleinbauern dort, bei den Dörfern um Templadora, drastisch verschlechtert hat. Sie werden von ihrem Land vertrieben und haben entgegen den Zusagen der Regierung und der „Experten" immer noch keine gerechte Entschädigung bekommen. Ich habe damals mit dem Bischof gesprochen, und er hat mir das bestätigt. Die mit Hilfe des Staudamms neu bewässerten Flächen werden in Form von Großbetrieben für die Produktion von Exportgütern vor allem von Baumwolle, verwendet. Solche Projekte gibt es leider nicht wenige.
Genauso schädlich haben sich die Projekte der sogenannten grünen Revolution auf die Lage der Kleinbauern ausgewirkt. In Indien z. B. profitierten hauptsächlich die Großgrundbesitzer von der grünen Revolution. Das hat dazu geführt, daß in den letzten Jahren Reis ausgeführt wurde, obwohl 50 bis 60 % der Bevölkerung unter dem Existenzminimum leben.
Ihr Vorschlag, die Situation der Kleinbauern durch gezielte Kreditprogramme und die Gründung eigenverantwortlicher bäuerlicher Selbsthilfeorganisationen zu verbessern - Raiffeisen läßt grüßen! -, erscheint mir angesichts dieser umfassenden Betrachtung doch etwas zu dürftig.
Nur mehr schmunzeln kann ich darüber, wie dann unter Punkt 5 auch noch Alibiforderungen für die Frauen und die Energieversorgung durch Biokohle aufgelistet werden.
({2})
Frauen leisten in vielen Ländern den Hauptbeitrag in der Landwirtschaft. Die Förderung im Agrarsektor, die diese und die vorigen Regierungen betrieben und betreiben, geht und ging meistens an den Frauen vorbei. Kein Wunder bei der Übermacht von männlichen Experten, Beamten und auch Parlamentariern.
Oft verschlechtert sich dadurch die wirtschaftliche und soziale Stellung der Frau. Die Arbeitslast verstärkt sich. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Ochsengespann-Projekt in Kamerun. Das kann man im DED-Rundbrief vom Juni 1981 nachlesen.
Interessant finde ich die Forderung unter Punkt 7, Länder zu bevorzugen, die der ländlichen Entwicklung, der Grundbedürfnisbefriedigung, der Dezentralisierung und der ländlichen Bevölkerung Vorrang einräumen. Da frage ich Sie aber nun: Warum unterstützen Sie dann nicht Nicaragua, wo doch das gerade gemacht wird?
({3})
Ich kann Sie auch da noch daran erinnern, daß die Entwicklungshelfer im letzten Jahr bei der Regionalkonferenz, die sie nach Lima verlegt hatten, alle zu der Ansicht gekommen sind, nachdem jeder sein lateinamerikanisches Land vorgestellt hatte, daß DED-Arbeit eigentlich am sinnvollsten in Nicaragua gemacht werden kann. Komisch, und da haben Sie soviel Aber. Sie sollten sich einmal ein bißchen mehr freimachen von den Vorurteilen, die Sie gegenüber diesem wichtigen Versuch von Selbstbefreiung haben.
({4})
Warum macht die Bundesregierung Tansania bei den Verhandlungen über die Entwicklungszusammenarbeit solche Schwierigkeiten? Hier könnte die von Ihnen gewählte Regierung beweisen, wie ernst solche hehren Worte gemeint sind.
Wie sieht es da mit der Unterstützung Brasiliens aus, eines Landes, in dem eine Agrarreform, vor allem im Nordosten, von der Regierung systematisch verschleppt wird, in dem Zuckerrohrplantagen für die Alkoholautos den Kleinbauern und Pächtern das Land für die Eigenversorgung nehmen? Hier könnten Sie doch zeigen, daß Ihnen die Kleinbauern wichtiger sind als die Automobilindustrie. Denn
es ist ja ein Skandal, wenn man sich überlegt, daß das, was ein Auto in Brasilien frißt, etwa dem entspricht, was sechs Familien auf der adäquaten Fläche anbauen könnten. Da, finde ich, muß man doch eine andere Entwicklungspolitik machen.
Insgesamt erscheint uns der vorliegende Entschließungsantrag in der proklamierten Absicht, verstärkt und vorrangig die Kleinbauern, Pächter und landlosen Armen in der Dritten Welt zu fördern, unterstützenswert. Es klingt eigentlich gut. Aber die Analyse der Ursachen für diese elende Lage der Kleinbauern und der ländlichen Bevölkerung ist genauso wie die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lage unserer Ansicht nach völlig unzureichend, irreführend und verschleiernd. Wenn Sie den angesprochenen Menschen in der Dritten Welt wirklich helfen wollten, müßten Sie Ihre gesamte Wirtschafts-, Außen- und Entwicklungspolitik in eine andere Richtung lenken. Aber das wäre ja zuviel verlangt.
Schließen möchte ich mit einem Psalm von dem Arbeitsheft „Brot für die Welt" mit dem Titel „Hunger durch Überfluß". Da können wir lesen:
Ich war hungrig, und ihr habt meine Nahrungsmittel eurem Vieh gefüttert. Ich war hungrig, und eure Konzerne pflanzten auf meinen besten Böden eure Wintertomaten. Ich war hungrig, und ihr wolltet nicht auf das Steak aus Südamerika verzichten. Ich war hungrig, aber wo Reis für meine tägliche Mahlzeit wachsen könnte, wird Tee für euch angebaut. Ich war hungrig, aber ihr habt aus Zuckerrohr und Maniok Treibstoff für eure Autos destilliert. Ich war hungrig, aber die Abwässer eurer Fabriken vergiften die Fischgründe. Ich war hungrig, aber mit eurem Geld habt ihr mir die Nahrungsmittel weggekauft. Ich war hungrig, aber für eure Schlemmer werden exotische Früchte auf meinem Land angebaut. Ich war hungrig, aber ihr habt mir nichts zu essen gegeben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftiche Zusammenarbeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! In Jahren der Dürre wird das ganze Ausmaß des Schadens sichtbar, den eine verfehlte Agrar- und Entwicklungspolitik in vielen Ländern Afrikas angerichtet hat. Es ist in vielen Ländern versäumt worden, der Landwirtschaft, der Steigerung der Produktivität der Bauern den Vorrang zu geben, Vorsorge für die Erhaltung der Weide- und Waldbestände zu treffen und in jenen fetten Jahren, von denen schon die Bibel spricht, Vorräte anzulegen. Nahrungsmittellieferungen allein sind kein Mittel, um hier Abhilfe zu schaffen. Aber dort, wo sie als Katastrophenhilfe notwendig sind, haben wir in der Bundesrepublik Deutschland im Falle Äthiopien gezeigt, daß wir schnell und wirksam zu handeln verstehen. Heute nachmittag ist die Erkundungsmission aus Vertretern des Außenministeriums, des Bundesministeriums der Verteidigung, meines Ministeriums und der Technischen Nothilfe aus Äthiopien zurückgekehrt. Sie haben entgegen meinen Befürchtungen die Genehmigung erhalten, daß Maschinen der Bundeswehr unverzüglich innerhalb Äthiopiens den Transport von Nahrungsmitteln in die Notgebiete aufnehmen können.
Ich kann Ihnen heute hier bekanntgeben, daß gegenüber der Lage vor einer Woche, als von den 50 000 t im Hafen Assab täglich statt der notwendigen 2 000 t mangels Transportmitteln nur 500 t in die Notgebiete im Innern abflössen, heute täglich 2 600 t abfließen und daß wir einen Silberstreifen am Horizont sehen, daß wir davon ausgehen, daß die Zahl der Todesfälle schon in der vergangenen Woche dank eines gemeinsamen Einsatzes der Geberländer zurückgegangen ist, wo neben unseren beiden Transportmaschinen zwei der britischen Luftwaffe, zwei, die von privaten amerikanischen Organisationen gechartert worden sind, weitere von Nichtregierungsorganisationen im Einsatz sind, das Ganze ergänzt durch Maßnahmen auch zur Verbesserung des Landtransportes. Ich stehe nicht an, auch hier der großen deutschen Automobilfirma Dank zu sagen, die vorgestern acht Lastkraftwagen zum Einsatz in Äthiopien verschifft hat.
({0})
Es ist ja doch eine Sternstunde des Parlaments, daß wir hier einmal Einheit im Willen aller Fraktionen feststellen können. Ich habe Ihre Äußerung, Herr Toetemeyer, ebenso registriert wie die Analyse des Kollegen Schwenninger, der zu Recht auf das Mißverhältnis zwischen Ausgaben für Waffenkäufe und denen für ländliche Entwicklung hingewiesen hat.
Auch wenn diese Hilfe, meine Damen und Herren, auch dank der Hilfsbereitschaft von Tausenden unserer Mitbürger Hungernde für viele Tage satt macht, es gibt immer einen Tag danach, und es ist ein zentrales Anliegen unserer Entwicklungsförderung, rechtzeitig für diesen Tag danach vorzusorgen.
Die Entwicklung der Landwirtschaft und die Sicherstellung der Ernährung aus eigener Kraft sind der Schwerpunkt unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Afrika. Heute fließt ein Viertel unserer Entwicklungshilfe in die ländlichen Räume. Herr Kollege Schwenninger, da es Sie so sehr bewegt hat, daß hier von der Bundesregierung auch die Wahrheit gesagt wird,
({1})
worin ich mit Ihnen ganz übereinstimme, möchte ich Ihnen hier noch einmal bekräftigen: Sowohl nach der alten als auch nach der neuen Berechnungsmethode sind die Zusagen für die ländlichen Räume im Jahre 1985 höher als im Jahre 1982.
({2})
Wenn hier larmoyante Lyrik hinsichtlich dessen zitiert wird, was irgendwelchen ärmeren Schichten der Bevölkerung durch Umweltsünden und durch verfehlte Agrarpolitik weggenommen wird, dann darf ich darauf hinweisen, daß das doch die Umweltsünden und die verfehlte Agrarpolitik von Regierungen von Ländern der Dritten Welt sind. Wir müßten ja geradezu von Selbstquälerei ergriffen sein, wenn wir uns hier im deutschen Parlament noch die Schuld für Fehverhalten in weiten Teilen der Dritten Welt aufladen wollten.
({3})
In diesen Zusammenhang gehört auch jenes Projekt von Jequepeteque, das nach wie vor ein zentrales Anliegen der Regierung von Peru zur Stärkung der Erzeugungskraft jener Agraroasen an der Westküste ist. Wenn dort Entschädigungsregelungen von der peruanischen Regierung nicht eingehalten worden sein sollten, dann ist das doch kein Grund, sich hier im deutschen Parlament selbst zu geißeln.
Bei Ihnen, Herr Kollege Schwenninger, führen - das wissen wir - alle Wege nach Nicaragua.
({4})
Ich werde diese Debatte über die Förderung von Kleinbauern in der Dritten Welt nicht einmal mehr in eine Debatte über unsere Sorgen hinsichtlich Zentralamerika umfunktionieren.
({5})
- Also, wenn Sie sich je selbst überschätzt haben, Frau Kollegin Gottwald, dann haben Sie es - angesichts der Dürftigkeit Ihrer eigenen Argumente betreffend Nicaragua - hier soeben getan.
({6})
Nun, Herr Kollege Toetemeyer, jetzt werden Sie nachdenklich, und zwar mit Recht. Also, auf das Glatteis mit den acht Beispielen sollten Sie sich nicht noch einmal begeben.
({7})
Ich greife hier heraus: Daß eine staatliche Transportgesellschaft zur Erschließung des ländlichen Raumes gehört, ist doch wohl nicht von der Hand zu weisen. Wenn Sie nicht endlich einmal lernen, daß der ländliche Raum etwas mehr ist als nur die Konzentration auf die Agrarerzeugung, dann haben Sie im kleinen entwicklungspolitischen Einmaleins noch Nachholbedarf. Aber Sie wissen es ja besser. Sie haben es j a nur gemacht, um hier ein bißchen theatralische Effekte zu erzielen.
({8})
Was nun die Reismühle in Mali und die Abholzung für Manantali angeht, so sind das wirklich zwei satte Erblasten, die ich aus sozialdemokratischer Verantwortung für Entwicklungspolitik übernommen habe. Die Reismühle war so ein Wundermaschinchen. Da sollte durch die Spelzen, die dort abfielen, Strom erzeugt werden. Nur, leider hat das Ding nicht geklappt.
Und was den Staudamm von Manantali angeht, so hat die Vorgänger-Regierung den beschlossen. Nur, leider hat sie vergessen, daß innerhalb des Stauraumes das dort wachsende Holz vorher abgeholzt werden muß, und weil sie das vergessen hat, mußten wir das nachholen. Da geht es doch nicht - diesen Eindruck haben Sie hier erweckt - um die Abholzung herrlicher Forsten, sondern da geht es darum, daß ein Stauraum, der auf Grund sozialdemokratischer Entscheidungen für ein Stauwerk geschaffen wird, nach den Erkenntnissen der Technik vorher von dem dort wachsenden Holz hätte befreit werden müssen. Ich ließe es ja lieber drin stehen. Denn so, wie das Ding geplant war, kann das abgeholzte Holz hinterher nicht einmal verwendet werden. Dies ist ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht machen soll, ein Musterbeispiel aus der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung hatten. Ich gebe Ihnen den guten Rat: Sorgen Sie bei Ihren Beispielen das nächste Mal für eine sorgfältigere Auswahl!
({9})
- Aber, ich glaube, das eine war so satt, daß ich es mir erspare, auf die anderen sechs einzugehen.
({10})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horacek?
Ja, bitte sehr.
Sie haben gerade jetzt ein Beispiel aus Pakistan gesagt. Sie wissen, daß ich vor einiger Zeit in den Flüchtlingslagern und dann in Afghanistan selbst war. Daher frage ich Sie: Warum wird da die Hilfe für die Aufforstung, die da sicher absolut notwendig ist, weil auf Grund der großen Flüchtlingsbewegungen abgeholzt wurde - die Folgen brauchen wir hier nicht zu diskutieren -, gestrichen beziehungsweise durch Lokomotiven ersetzt?
Wir sind in Pakistan bei der Aufforstung weiter engagiert. Nur bitte ich auch zur Kenntnis zu nehmen, daß die unglaubliche Zahl von 3 Millionen Flüchtlingen, die allesamt in der Grenzregion angesiedelt sind, bei ihrer Versorgung Transportprobleme verursacht. Wir haben uns dem Plädoyer der pakistanischen Regierung: Wir müssen sehen, daß wir diesen Transport bewerkstelligen können, und wir haben nicht genug damit, daß
ihr uns den moralischen Dank aussprecht, die Last der 3 Millionen Flüchtlinge auf uns genommen zu haben, tut mehr für ihre Versorgung! nicht widersetzen können und deshalb die Transportkraft der Pakistanis ihrem Wunsche entsprechend gestärkt.
Meine Damen und Herren, wir sind uns bewußt, daß Entwicklung nur von den einzelnen Menschen getragen und geleistet werden kann. Millionen von Kleinbauern und von Kleinstbauern müssen in diesen Räumen Brot und Arbeit finden. Es sind zwischen 60 und 90 % der Menschen in der Dritten Welt, die auf dem Land und von der Landwirtschaft leben. In den meisten Ländern wird über die Hälfte des Bruttosozialprodukts von der Landwirtschaft erwirtschaftet. Sie stellt Grundlage und Ausgangspunkt für die Entwicklung einer gewerblichen Wirtschaft dar. Es sind die Kleinbauern, die dabei das Rückgrat der Erzeugung sind. Diesen Menschen gegenüber wollen wir keine Armenpolitik, wollen wir keine Weltsozialhilfe betreiben. Sie sind gewillt, unter harten Bedingungen ihr eigenes Brot zu verdienen, und ihre Kraft dazu wollen und müssen wir stärken.
Gottlob scheinen viele Verantwortliche auch in Afrika aus den verheerenden Katastrophen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Am Dienstag dieser Woche hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Deklaration über die kritische Wirtschaftslage in Afrika beschlossen. Die afrikanischen Staaten erkennen darin an, daß schmerzhafte Anpassungsmaßnahmen notwendig sind, um diejenigen Ursachen für die Misere der Landwirtschaft zu beheben, die im eigenen Verantwortungsbereich dieser Staaten liegen.
Staaten wie Malawi und Ruanda haben bereits gezeigt, daß mit gutem Willen und gezielten Maßnahmen erhebliche Steigerungen der landwirtschaftlichen Erzeugung möglich sind. Tansania führt gegenwärtig eine Wende seiner Wirtschafts-und Agrarpolitik herbei. Wir halten es uns zugute, daß wir zu denjenigen gehört haben, die die Notwendigkeit dieser Wende in einer Politik, die viel Unterstützung erfahren hat, erkannt und rechtzeitig ihr Unterstützung geliehen haben, und nicht zu denjenigen, die Tansania auf den Fehlwegen am liebsten noch bestärkt hätten, die zu den schlechten Einkommensverhältnissen der tansanischen Landbevölkerung geführt haben.
({0})
- Wie es einer Kurzdebatte angemessen ist, meine Herren Kollegen.
Wir werden die Länder Afrikas bei diesen Bestrebungen nicht im Stich lassen. Bei der Entwicklung der Landwirtschaft und der Sicherstellung der Ernährung aus eigener Kraft spielen personelle Hilfe, Bildung und Ausbildung eine zentrale Rolle. Deshalb hat die Bundesregierung die Akzente der Entwicklungszusammenarbeit deutlich zugunsten der personellen Zusammenarbeit verschoben.
Herr Kollege Schwenninger, jetzt kommen wieder Zahlen; passen Sie auf. 1979 betrug die technische Hilfe nur knapp ein Viertel der Kapitalhilfe. 1983 lag dieser Anteil bereits über 40 %.
({1})
Das ist eine Verstärkung der personellen Zusammenarbeit. - Lieber Herr Kollege Brück, Sie waren doch lange genug Parlamentarischer Staatssekretär. Sie sollten wissen, daß man nicht unbedingt nur zwei Jahre miteinander vergleichen kann,
({2})
für die es unterschiedliche Berechnungsgrundlagen gibt.
Ich finde es eigentlich ganz gut, es hier einmal zu sagen: 1983 hatten wir den ersten Haushalt, der unter der klaren Verantwortung der Regierung Kohl verabschiedet worden ist.
({3})
1983 hatten wir eben 40 %. - Sie sollten sich doch eigentlich mit uns darüber freuen, daß wir hier jetzt eine klare Zielsetzung verfolgt haben, wenn sie auch nicht mit den Propagandaklischees übereinstimmt, die Sie von uns in der Bundesrepublik am liebsten verbreiten wollten.
Die Beratung kleinbäuerlicher Produzenten steht im Zentrum unserer Maßnahmen im Agrarbereich. Unerläßlich ist dabei die Einbeziehung der Frauen, die eine zentrale Rolle für Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Familie in der Dritten Welt innehaben.
({4})
- Sehr gut; auch das ist eingeschlossen.
Aber, meine Damen und Herren, Wissen ist die Voraussetzung für tätige Selbsthilfe.
({5})
Deshalb sind Ausbildungszentren für Kleinbauern, aber auch für Fach- und Führungskräfte notwendiger Bestandteil unserer Förderungsprogramme für den ländlichen Bereich.
Der zweite Schritt ist die Verfügbarkeit von Produktions- und Finanzmitteln, damit diese Menschen wirklich wirtschaften und produzieren können. Auch hier geht es nicht um Almosen. Wir unterstützen nachdrücklich auch die Bildung von Kredit- und Warengenossenschaften, die den Kleinbauern den Kreditzugang erleichtern.
Alle diese Maßnahmen dienen der Förderung der Landwirtschaft und einer breiten Entwicklung des ländlichen Raums. Wir haben im Jahr 1984 für diese Zwecke über 800 Millionen DM bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, wir sind bereit, Ländern, in denen Voraussetzungen für Eigeninitiative gegeben sind und Eigenanstrengungen belohnt werden, die bevorzugte Partnerschaft anzubieten.
({6})
Aber wir sind nicht bereit, zusätzliche Milliarden
einfach zu verschenken, die die Opposition nach
dem Gießkannenprinzip auf die Dritte Welt niederregnen lassen möchte, ohne auch nur im geringsten danach zu fragen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Die Bundesregierung dankt den Unterzeichnern des vorliegenden Antrags, insbesondere den Kollegen Sauter, Pinger und Kunz, für die Initiative zur Förderung kleinbäuerlicher Betriebe in der Dritten Welt. Der Antrag deckt sich voll mit den entwicklungspolitischen Zielen der Bundesregierung.
({7})
Die Antragsteller leisten einen Beitrag dazu, daß Entwicklungshilfe für den Staatsbürger einsichtiger und damit besser verantwortbar gemacht werden kann.
({8})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1841 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. - Kein Widerspruch, keine anderen Vorschläge. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs
- Drucksache 10/1747 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 10/2169 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Fischer ({1})
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Briefwechsel vom 29. April/4. Mai 1983 zu dem Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutze
des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride
- Drucksache 10/1626 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
({3})
- Drucksache 10/2245 Berichterstatter:
Abgeordnete Schäfer ({4}) Schmidbauer
({5})
Das Wort wird nicht begehrt. Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich dem Abgeordneten Sauermilch zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde in der anschließenden Abstimmung zur Beschlußempfehlung gemäß Drucksache 10/2245 mit Nein stimmen. Dabei gehe ich davon aus, daß meine Fraktion ebenfalls mit Nein stimmt. Das möchte ich unter Bezug auf § 31 unserer Geschäftsordnung wie folgt erklären.
Das Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride ist nur scheinbar eine Verbesserung der katastrophalen Verhältnisse infolge der Skrupellosigkeit der elsässischen Kaliindustrie. Ohnehin ist es ein Skandal, wie lange schon mit Duldung des französischen Staates diese Unmengen Abfallsalz den sowieso von der Schweizer Pharmaindustrie bereits vergewaltigten Strom noch weiter in die Agonie treiben.
({0})
Ein neuer Skandal zeichnet sich ab. Der Teufel soll mit dem Beelzebub ausgetrieben werden.
({1})
Ich erkläre daher zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung: Das, was so verheerend und so verharmlosend als eine Versenkung von Abfallsalzen in diesen Papieren bezeichnet wird, ist in Wahrheit eine Verpressung von ungeheuren Mengen dieser Salze in eines der kostbarsten Güter, die wir noch haben, nämlich in das Grundwasser. Dazu kann ich nicht ja sagen. Wenn das das Ergebnis von 20 Jahren Verhandlung ist, dann ist das eine Bankrotterklärung von Politik und Administration vor den massiven Interessen der Industrie, letztlich des Kapitalismus. Auch dazu kann ich nicht ja sagen.
Die Lösung kann nur heißen: Vermeidung und Recycling. Nur wenn der Beelzebub der Verpressung dieser Kalisalze vermieden wird, wenn also die Umweltbelastung beispielsweise durch eine Recyclinganlage vermieden wird,
({2})
nur wenn eines Tages ein solcher Vertrag mit unseren französischen Freunden geschlossen werden
sollte - das wäre durchaus ein Grund für Herrn
von Weizsäcker, wieder einmal in Paris guten Tag zu sagen -, werden wir ja sagen.
Vielen Dank.
({3})
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den Internationalen Eisenbahnverkehr ({0})
- Drucksache 10/1493 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({1})
- Drucksache 10/2190 Berichterstatter: Abgeordneter Haungs
({2})
Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. November 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Republik Tansania über den Fluglinienverkehr
- Drucksache 10/1492 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({3})
- Drucksache 10/2191 Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger
({4})
Auch hierzu wird das Wort nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. November 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Lesotho über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/1620 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({5})
- Drucksache 10/2155 Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
({6})
Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und Gegenstimmen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Mauretanien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/1621 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({7})
- Drucksache 10/2156 Berichterstatter:
Abgeordneter Jung ({8})
({9})
Hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Oktober 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/1740 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({10})
- Drucksache 10/2157 Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
({11})
Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer
Vizepräsident Frau Renger
dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Benin über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/1741 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({12})
- Drucksache 10/2158 Berichterstatter: Abgeordneter Junghans
({13})
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 52 des Petitionsausschusses ({14}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/2182 Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 52 enthaltenen Anträge anzunehmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({15}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
- Wirtschaftsjahr 1982
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
- Wirtschaftsjahr 1981
- Drucksache 10/858, 9/2062, 10/2150 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. Weng
Frau Simonis
Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen dann zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/2150 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({16}) zu den Verordnungen der Bundesregierung
Aufhebbare Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Aufhebbare Dreiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 10/1860, 10/2162 Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram ({17})
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/2162 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/769/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen
- Drucksachen 10/546 Nr. 20, 10/673, 10/2104 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein Fellner
Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Auch sonst wird das Wort nicht begehrt.
Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2104 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zusatzprotokoll vom 21. März 1983 zu
Vizepräsident Frau Renger
dem Protokoll zu dem Europäischen Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen
- Drucksache 10/2228 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
Das Wort wird nicht erbeten.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2228 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. November 1984, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.