Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/25/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Zusatzpunkte erweitert werden, die unter den Ziffern 1 bis 6 der Ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte aufgeführt sind: 1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise - Drucksache 10/2177 2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldschäden und Luftverunreinigungen Sondergutachten März 1983 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen - Drucksachen 10/113, 10/2168 3. Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/2138 4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes und der gesetzlichen Rentenversicherung ({2}) - Drucksache 10/2176 5. Aktuelle Stunde Die Verurteilung des französischen Journalisten Abouchar und die dramatische Verschlechterung der Lage in Afghanistan 6. Aktuelle Stunde Die türkischen Militäroperationen gegen die Kurden und die Rolle der NATO-Verteidigungshilfe der Bundesrepublik Deutschland Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat ihren Antrag „Notmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Stillegung bestimmter Kohlekraftwerke" auf Drucksache 10/609 zurückgezogen. Damit entfällt Punkt 10 der Tagesordnung. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Die Verurteilung des französischen Journalisten Abouchar und die dramatische Verschlechterung der Lage in Afghanistan Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Die Verurteilung des französischen Journalisten Abouchar und die dramatische Veschlechterung der Lage in Afghanistan" verlangt. Ich eröffne dazu die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer.

Dr. Jürgen Todenhöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002333, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU dankt dem französischen Journalisten Abouchar für seinen Mut und für die Bereitschaft, unter Einsatz seines Lebens nach Afghanistan zu gehen, um die Weltöffentlichkeit über das unvorstellbare Leid des afghanischen Volkes zu informieren. ({0}) Abouchar hat damit in bewundernswerter Weise seine journalistische Pflicht getan. Die Weltöffentlichkeit hat nicht das Recht, den brutalen Völkermord der sowjetischen Armee an dem kleinen afghanischen Volk einfach zu vergessen. Die sowjetische Armee hat in diesem völkerrechtswidrigen Krieg bisher mehr als 4,7 Millionen Frauen, Kinder und Greise vertrieben, mehr als eine Million Afghanen ermordet, Hunderttausende gefoltert und vergewaltigt und Zehntausende spielender Kinder mit sowjetischen Schmetterlingsbomben bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Ich habe Ihnen hier eine dieser Schmetterlingsbomben mitgebracht, die in der Tat wie Schmetterlinge vom Himmel fallen und die die afghanischen Kinder noch immer für Schmetterlinge halten, bis sie ihnen Arme, Beine oder das Gesicht zerfetzen. Meine Da6832 men und Herren, kommunistische Verbrechen sind nicht besser als nationalsozialistische Verbrechen. Es kann einfach nicht wahr sein, daß freie Journalisten darüber nicht mehr berichten dürfen. Als Abouchar die Grenze nach Afghanistan überschritt, hatte er keinen Grund, die Sowjetunion oder ihr kommunistisches Marionettenregime in Kabul um Erlaubnis zu fragen. Er ging nach Afghanistan auf Einladung des afghanischen Volkes, das die sowjetische Besatzungsmacht und ihr Marionettenregime geschlossen ablehnt. ({1}) Abouchar hat die afghanische Grenze deshalb auch nicht illegal überschritten, ({2}) wie die Sowjetunion das behauptet. Wenn jemand die afghanische Grenze permanent, ununterbrochen illegal überschreitet, dann ist das die Sowjetunion mit ihren 170 000 Soldaten, die in Afghanistan nichts, aber auch überhaupt nichts zu suchen haben. ({3}) Meine Damen und Herren, die 18jährige Gefängnisstrafe gegen Abouchar ({4}) ist daher ein unerträgliches Terrorurteil, gegen das die CDU/CSU mit aller Härte protestiert. Dieses Terrorurteil hat das Ziel, auch die letzten Reste einer freien Berichterstattung über Afghanistan unmöglich zu machen und den sowjetischen Völkermord in Afghanistan mit einer undurchdringbaren Mauer des Schweigens zu umgeben. Die CDU/CSU fordert daher die sofortige Aufhebung dieses Terrorurteils gegen Abouchar und seine unverzügliche Freilassung. Wir stehen in Solidarität an der Seite des französischen Journalisten Abouchar. Wir stehen in Solidarität an der Seite seiner Familie, und wir stehen in Solidarität an der Seite unseres Nachbarn und Freundes Frankreich. Wir werden alles tun, um mitzuhelfen, die Freilassung Abouchars zu erreichen. Wir werden weiterhin alles tun, damit das kleine afghanische Volk seine Freiheit wiedererlangt. Kein Land der Welt redet so viel vom Frieden wie die Sowjetunion. Aber kein Land der Welt führt so brutal Krieg wie die Sowjetunion in Afghanistan. ({5}) Die Sowjetunion darf sich deshalb nicht wundern, wenn die Glaubwürdigkeit ihrer Friedensbekundungen, die Glaubwürdigkeit ihrer Gewaltverzichtserklärungen, die Glaubwürdigkeit ihrer Abrüstungsvorschläge immer wieder von der Weltöffentlichkeit in Frage gestellt wird, solange sie diesen völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan führt. Es reicht einfach nicht aus, über den Frieden nur zu reden. Frieden muß man praktizieren. Ich danke Ihnen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlaga.

Georg Schlaga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001974, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich sind Koalition und Opposition bei diesem Thema nicht weit voneinander entfernt. Der französische Journalist Abouchar wollte aus Afghanistan in Bild und Film berichten, wie sowjetische Truppen, die dort völkerrechtswidrig eingedrungen sind, die afghanische Zivilbevölkerung mit Waffengewalt terrorisieren. Was er tun wollte, war richtig und notwendig und ist immer nachahmenswert. Denn Kriegemacher und Besatzer scheuen nichts mehr als das Licht der Öffentlichkeit. ({0}) Die sowjetischen Truppen haben brutal reagiert, ihn gefangengenommen und ihn der Spionage und der Grenzverletzung bezichtigt. - Etwas Originelleres als der Vorwurf der Spionage fällt den Sowjets selten oder nie ein. Ausgerechnet der KPF soll es dann gelungen sein, sie von diesem „Irrtum" abzubringen. - Also wurde Abouchar nur wegen Grenzverletzung zu mörderischen 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Es steht heute nicht zur Debatte, wie sehr oder wie wenig krank die amerikanische Politik ist. Für mich stellt sich heute die Frage: Was ist das nur für eine gefährliche neurotische Politik, die die Sowjetunion treibt, die, ohne bedroht zu sein, einfach ein Land überfällt, die z. B. einen zivilen Jumbo einfach vom Himmel schießt, die die Journalisten kidnappt und zu unsinnig hohen Strafen verurteilt? Proteste aus dem Ausland werden in der Regel als unerlaubte Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion abgetan. Wahrlich, eine groteske Situation. Amerika hatte es sich im schmutzigen Vietnamkrieg viel schwerer gemacht. Zur Zeit jedoch beflügelt die hirnrissige Aktion der Sowjets die Wahlen in den USA. Der Fall Abouchar könnte dort sogar willkommen sein. Aber was Vietnam betrifft, so haben Tausende von Journalisten aus aller Welt Zugang zu den Grausamkeiten, den -Brutalitäten und den unsäglichen Leiden der Bevölkerung in jenem Krieg gehabt und Dokumente von unvorstellbarer Eindringlichkeit geliefert. Diese rückhaltlose Berichterstattung und die daraus entstandene weltweite Protestbewegung haben wesentlich dazu beigetragen, den Krieg zu beenden. Genau darin sahen und sehen auch Abouchar und andere Journalisten ihre Aufgabe in Afghanistan. Die Sowjetunion will natürlich einfach nicht ins Rampenlicht. Und wenn das nicht durch Kontrolle möglich ist, dann eben durch Drohung und Gewalt. Der sowjetische Botschafter in Pakistan hat laut „Le Monde" und „Neue Zürcher Zeitung" gesagt, daß in Zukunft fremde Pressevertreter, ganz gleich welcher Nation, wenn sie beim illegalen Überschreiten der afghanischen Grenze in die Hände der sowjetischen oder afghanischen TrupSchlaga pen fielen, ohne jede Schonung sofort getötet würden. ({1}) „Le Monde" bezeichnet das als „terroristische Sprache". Ich auch! Wenn dem so ist, setzt die Sowjetunion einmal mehr in Afghanistan Konventionen und Landkriegsordnungen und natürlich auch die Charta der Vereinten Nationen außer Kraft. Letztere ist aber schon Weihnachten 1979 beim Überfall in Form einer unerlaubten Grenzüberschreitung mißachtet und mit Füßen getreten worden. ({2}) Der Weltsicherheitsrat hat am 9. Januar 1980 den sofortigen bedingungslosen und totalen Abzug der fremden Truppen aus Afghanistan gefordert und diese Forderung auf der jährlichen Vollversammlung jeweils mit den Stimmen von weit mehr als 100 Staaten wiederholt. Der Deutsche Bundestag hat diese Forderung erneut in einer Entschließung aller Parteien vom 11. April dieses Jahres nachdrücklich erhoben und u. a. darauf hingewiesen, daß die fortdauernde Besetzung Afghanistans mit an den anhaltenden Spannungen zwischen Ost und West schuld sei. Ich bekräftige hier und heute im Namen meiner Fraktion diese Entschließung. Wir verurteilen hier und heute in diesem Zusammenhang den rechtswidrigen Akt sowjetischer Soldaten und Dienststellen gegen den französischen Journalisten Abouchar. Wir fordern die Sowjetunion auf, das Land endlich zu verlassen und Abouchar unverzüglich die Freiheit zurückzugeben, auch die Freiheit, aus diesem geschundenen Land, von wo und wie auch immer, unbehindert berichten zu können. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir zu so früher Stunde schon Gäste haben. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation der Schweizerischen Bundesversammlung Platz genommen, und zwar unter Leitung des Präsidenten des Ständerats, Herrn Eduard Debetaz. Ich begrüße Sie bei uns im Haus auf das herzlichste ({0}) und wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Wort in unserer Debatte hat nun Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich bitte vom Platz aus sprechen zu dürfen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum zweitenmal innerhalb weniger Monate haben wir uns alle bedrückenden und alarmierenden Anlaß, über die Entwicklung und die Ereignisse in Afghanistan zu debattieren. Wir tun das heute einmal, um unseren Protest über das überaus harte, völlig unverständliche Urteil gegen den franzöischen Fernsehj ournalisten Jacques Abouchar zum Ausdruck zu bringen. Ich schließe mich für meine Fraktion den Ausführungen meiner Vorredner über den Abscheu, den wir hier heute über dieses Urteil zum Ausdruck bringen wollen, voll an. Aber wir haben auch Anlaß, das Vorgehen des Regimes Karmal, das ja nur eine Puppe der sowjetischen Besatzungsmacht ist, hier neuerlich anzuprangern und an die Prinzipien der Schlußakte von Helsinki zu erinnern, die ja von allen feierlich bekräftigt wurde und bei jeder Gelegenheit immer wieder bekräftigt wird, und zwar auch von der Sowjetunion, nämlich die Gewaltfreiheit, die Selbstbestimmung der Völker. Alles, was sich in Afghanistan Tag für Tag und Woche für Woche ereignet, spricht ja dieser Zusage, dieser Verpflichtung Hohn. ({0}) Das ist der zweite Grund, weshalb wir heute neuerlich Anlaß haben, mit allem Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß die Bundesrepublik Deutschland, wie ich hoffe, Herr Bundesminister, dieser Entwicklung nicht schweigend und auch nicht tatenlos zusieht. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ist es nicht so, daß nur der, der befürchten muß, daß ein Fernsehjournalist über das Medium Fernsehen die Weltöffentlichkeit neuerlich aufschreckt und auf das alle Völkerrechtsbestimmungen spottende grausame Regime sowjetischer Truppen in Afghanistan, auf einen beginnenden Völkermord, bei dem Dörfer bombardiert und hilflose Frauen, Kinder und alte Menschen gemordet werden, hinweist, ein so grausames Urteil fällt? Was will das afghanische Volk anderes, denn als ein blockfreies Land in Frieden zu leben, meine Damen und Herren? Was will es anderes, als sein Schicksal selbst zu bestimmen? Wer wüßte besser als das deutsche Volk, wie sehr gerade das Selbstbestimmungsrecht das Grundrecht jedes Volkes überhaupt sein muß. Wir bitten die Bundesregierung, Herr Bundesminister Genscher, alles zu unternehmen, um auch die Bemühungen der französischen Regierung um Freilassung ihres Landsmanns Abouchar zu unterstützen. Soviel ich weiß, ist zur Zeit eine Delegation der Kommission für auswärtige Angelegenheiten der Nationalversammlung in Moskau. Vielleicht lassen sich auch auf diesem Kanal die Bemühungen unterstützen. Wir bitten die Bundesregierung erneut, sowohl die humanitären Bemühungen in Pakistan und in den Flüchtlingslagern als auch die Tätigkeit des Internationalen Roten Kreuzes in Afghanistan selber weiter zu fördern und, soweit es noch nicht möglich gewesen sein sollte, die Ausübung einer solchen humanitären Tätigkeit zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, wir haben gestern im Unterausschuß für humanitäre Hilfe Zahlen erhalten, aus denen hervorgeht, daß die humanitären Leistungen, die wir im vorigen Jahr für die Flücht6834 lingshilfe und die humanitäre Hilfe in Afghanistan erbracht haben, in diesem Jahr nicht erreicht werden. Herr Minister, ich möchte dringend den Appell an das Auswärtige Amt richten, daß unsere Beiträge zumindest so angehoben werden, wie das im vorigen Jahr der Fall war. - Herr Präsident, Sie ermahnen mich, zum Schluß zu kommen. - Ich schließe mich dem Appell aller Fraktionen an und hoffe, daß er gehört wird. Ich danke Ihnen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horacek.

Milan Horacek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000956, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Guten Morgen, meine Kollegen! Gerade 14 Tage, bevor Jacques Abouchar in Afghanistan gefangengenommen wurde, bin ich mit meinem Freund Ulli Fischer von einer Reise im Auftrag unserer Fraktion aus einem Gebiet Afghanistans zurückgekommen, das ungefähr 50 km von Kabul entfernt liegt. Unsere Reise nach Pakistan und Afghanistan stand unter der Fragestellung: Wie ist die Lage der afghanischen Flüchtlinge und die Situation in Afghanistan selbst? Wir haben uns zu einer Einreise nach Afghanistan im vollen Bewußtsein des Risikos, das eine solche Reise mit sich bringt, entschieden, nachdem wir in Peshawar, in Quetta und in den Stammesgebieten entlang der Grenze das Elend der Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern gesehen haben, in Krankenhäusern und Rehabilitationszentren die Schwerverwundeten besucht haben und nachdem wir viele Gespräche mit Vertretern von internationalen Hilfsorganisationen, pakistanischen Behörden und afghanischen Widerstandsgruppen geführt haben. Wir haben in Afghanistan viele durch Bombardierung zerstörte Dörfer, nicht explodierte Bomben mit russischer Aufschrift, Kampfplätze mit zerstörten Panzern und Transportern, viele Gräber entlang des Weges, den wir gegangen sind, und viele Flüchtlingsgruppen, die Tag und Nacht aus den verschiedenen Gegenden Afghanistans in Richtung pakistanische Grenze unterwegs waren, gesehen. Das Leiden der Bevölkerung, der Zivilbevölkerung, ist sehr groß. Die Sowjetunion, eine Großmacht, kämpft mit einer modernen Waffentechnik nicht nur gegen die Widerstandsgruppen, sondern auch mit Flächenbombardements gegen die Zivilbevölkerung. Das ist ein Völkermord. ({0}) Die USA haben mit Flächenbombardements in Vietnam angefangen und sind jetzt an der Bombardierung der Zivilbevölkerung in El Salvador mitbeteiligt. Das war in Vietnam und ist jetzt in El Salvador auch ein Völkermord. ({1}) Die Gefangennahme von Jacques Abouchar mit anschließender Verurteilung zu 18 Jahren Gefängnis läßt darauf schließen: Dies soll eine Abschrekkung für alle sein, die über den Krieg in Afghanistan berichten wollen oder die - wie mehrere britische und französische Ärztinnen und Ärzte, die wir auch getroffen und gesprochen haben - in diesen Widerstandsgebieten Hilfe leisten. Dies soll unterbleiben. Wir fordern die sofortige Freilassung von Jacques Abouchar. Wir fordern - das haben wir schon in der Debatte über Afghanistan ausgedrückt - die Sowjetunion aber auch auf, diesen Krieg zu beenden, und drängen alle beteiligten Seiten dazu, eine politische, nicht militärische Lösung dieses Konflikts zu suchen. Niemand - keine Macht, keine Großmacht, kein Staat - hat das Recht, anderen den eigenen ideologischen, wirtschaftlichen, politischen oder sonstigen Willen aufzuzwingen. ({2}) Der CDU/CSU-Fraktion, Herr Todenhöfer, möchte ich aber sagen, daß es für mich unglaubwürdig ist, wenn man sich hier für Jacques Abouchar einsetzt, und zwar angesichts dessen, daß gerade vorgestern der Jahresbericht von amnesty international veröffentlicht wurde, in dem beschrieben ist, daß Tausende, Hunderttausende politische Gefangene in aller Welt - in Lateinamerika, in Afrika, in Asien - gefoltert, umgebracht, hingerichtet werden. Da hat die CDU/CSU keine Aktuelle Stunde beantragt, keine Aktuelle Stunde bei 20 000 politischen Gefangenen in der Türkei. ({3}) Zu solchen Ländern unterhält man gute wirtschaftliche Beziehungen, zu Ländern in Lateinamerika, zu Südafrika, zur Türkei usw. Das ist für mich unglaubwürdig. ({4}) Herr Todenhöfer, diese Politik von seiten der CDU/ CSU ist für mich unglaubwürdig. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast fünf Jahre dauert inzwischen die Besetzung und Unterdrückung des damals blockfreien und islamischen Afghanistan an. Diese Besetzung und Unterdrückung hat ein unübersehbares Leid über das kleine afghanische Volk gebracht. Diese Besetzung und Unterdrückung löste die größte Flüchtlingswelle seit Ende des Zweiten Weltkrieges aus. Mehr als 3,5 Millionen Afghanen, fast jeder vierte Einwohner des Landes hat sein Land verlassen müssen. Es gibt kein schlimmeres Zeugnis dafür, wie es in diesem Lande aussieht und wie diesem Volke zumute sein muß. ({0}) Deshalb ist es unsere Pflicht, Pakistan bei seinen Bemühungen zu unterstützen, das Leid der Flüchtlinge zu lindern. Das werden wir, Frau Kollegin Hamm-Brücher, auch in Zukunft verstärkt tun. ({1}) Der Freiheitskampf des afghanischen Volkes beweist: Es ist nicht wahr, daß die sowjetischen Truppen willkommen sind. Die armselige Bewaffnung der Rebellen, der Freiheitskämpfer, zeigt: Es ist nicht wahr, daß von Afghanistan eine Bedrohung der Sowjetunion ausgegangen ist. Nein, hier will eine Großmacht ihre Vorherrschaft mit Waffengewalt durchsetzen. Die Bundesregierung hat von Anfang an in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der Staatengemeinschaft und in Übereinstimmung mit den Staaten der Islamischen Konferenz die sowjetische Intervention verurteilt. Sie unterstützt alle Bemühungen um eine friedliche, um eine politische Lösung für Afghanistan. Wir haben niemals in die inneren Angelegenheiten Afghanistans eingegriffen. Das gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, das gilt für den ganzen Westen. Wir wollen keine Stützpunkte in Afghanistan, und wir wollen auch keine Einflußzone in Afghanistan errichten. Wir wollen, daß dieses kleine Volk sein Recht auf Selbstbestimmung ausüben kann, daß es wieder eine Politik wirklicher Blockfreiheit betreiben kann, daß es seine Kräfte auf die innere Entwicklung des Landes konzentrieren kann. Die Sowjetunion hat sich mit ihrer Intervention in Gegensatz zum Grundgedanken der Selbstbestimmung und der Blockfreiheit der Welt gebracht. ({2}) Das ist der Grundcharakter dieses Konflikts und dieser Besetzung, der auch nicht durch die Belastung des Ost-West-Verhältnisses überdeckt werden kann. Die Sowjetunion muß wissen, daß sich die Weltöffentlichkeit mit der völkerrechtswidrigen Besetzung des blockfreien Afghanistan nicht abfindet. Die Forderung nach Rückzug der sowjetischen Truppen bleibt auf der Tagesordnung. Die Bemühungen um eine Fortführung des Dialogs zwischen beiden Großmächten, die Bemühungen um ein besseres und vertrauensvolleres Verhältnis zwischen West und Ost könnten entscheidende positive Impulse erhalten, wenn sich die Sowjetunion endlich entschließen würde, ihre Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. ({3}) Wenn die Sorgen anderer Staaten auch in Europa vor einer Bedrohung durch die Sowjetunion abgebaut werden sollen, dann sollte die Sowjetunion nicht länger zögern, einer politischen Lösung für Afghanistan zuzustimmen und diesem kleinen Land seinen Frieden zurückzugeben. Der französische Journalist Abouchar ist in einem Land verurteilt worden, das von der Sowjetunion besetzt gehalten wird. Sie trägt deshalb in erster Linie die Verantwortung für das Schicksal Abouchars. Die offizielle sowjetische Nachrichtenagentur TASS hat in einer Meldung vom 12. Oktober 1984 von einem „antisowjetischen Propagandafeldzug" dieses Journalisten gesprochen. Das bestätigt: Abouchar hat nichts anderes gewollt, als die Welt zu informieren. Unser aller Informationsanspruch wurde mit angeklagt, als Abouchar angeklagt wurde. ({4}) Aber die Wahrheit kann nicht unterdrückt, das Recht auf Information kann nicht beseitigt werden. Wir schließen uns dem Appell unserer französischen Freunde an, dem französischen Journalisten seine Freiheit wiederzugeben. Wir fordern die Sowjetunion auf, die Prinzipien der Souveränität, des Selbstbestimmungsrechts, des Gewaltverzichts in Afghanistan nicht länger zu mißachten. Wir fordern die Verantwortlichen auf, den französischen Journalisten unverzüglich freizulassen. Die Grundsätze der Schlußakte von Helsinki müssen sich auch gegenüber dem afghanischen Volk und diesem Vertreter der freien öffentlichen Meinung der Welt bewähren. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich mich am Schluß noch mit einem Wort an die Fraktion der GRÜNEN wende. Sie haben, Herr Kollege - und ich begrüße das -, mit uns gemeinsam die Besetzung Afghanistans verurteilt. Sie haben mit uns gemeinsam verurteilt, was gegenüber diesem französischen Journalisten geschehen ist. Ich bitte Sie, wenn wir in Zukunft hier im Deutschen Bundestag über die Sicherheitspolitik unseres Landes diskutieren, vergessen Sie niemals: Frieden und Freiheit gehören zusammen. Vergessen Sie bitte auch nicht, unsere Mitgliedschaft im westlichen Bündnis und der Friedensdienst unserer Soldaten in der Bundeswehr bewahren uns davor, daß wir das Schicksal des afghanischen Volkes erleiden ({5}) und daß Journalisten, die über unser Land berichten, das Schicksal erleiden, das dieser französische Journalist heute erleidet. ({6}) Nur wenn wir das sehen, werden wir in der Lage sein, das richtig einzuschätzen, was hier notwendig ist, um den Frieden zu bewahren. ({7}) Sie haben, Herr Kollege, auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt hingewiesen. Ich teile in vollem Umfang Ihre Empörung ({8}) über Menschenrechtsverletzungen auch in anderen Teilen der Welt. ({9}) - Heute sprechen wir über Afghanistan. ({10}) Die Absage an die Verletzung der Menschenrechte darf nie einäugig sein. ({11}) Bewahren wir uns vor der Gefahr, Menschenrechtsverletzungen an dem einen Platz - ({12}) - Herr Kollege, was ich hier zur Türkei gesagt habe, wissen Sie. Das haben Sie doch selbst gehört. ({13}) - Können Sie mir denn nicht zuhören, wie wir Ihnen auch zugehört haben? ({14}) Ich möchte Ihnen nur eins sagen: Bewahren wir uns vor der Gefahr, Menschenrechtsverletzungen in dem einen Land ({15}) aufzurechnen gegen Menschenrechtsverletzungen in dem anderen. Überall müssen wir sie verurteilen. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In dem kurzen Abstand von einem Jahr hat es zwei Invasionen kommunistischer Diktaturen in souveränen Staaten Asiens gegeben. Vietnam marschierte 1978/79 in Kambodscha ein, die Sowjetunion 1979/80 in Afghanistan. Beide Male sollte den Völkern dieser Staaten ein fremdes System aufgezwungen, sollten diese Völker um ihr Recht auf Selbstbestimmung gebracht werden. Übrigens besteht die Parallelität der Ereignisse und ihrer Folgen auch darin, daß es jeweils bis zu 200 000 Soldaten fremder Truppen sind, die heute Gewalt in diesen Staaten Kambodscha und Afghanistan ausüben und die Geschicke der unterdrückten Völker bestimmen. Gewiß, wir sind von beiden Völkerrechtsbrüchen in gleicher Weise betroffen. Aber uns berührt Afghanistan schon deswegen in besonderem Maße, weil hier die Sowjetunion als der Schuldige der Invasion in Afghanistan unser Vertragspartner seit dem Moskauer Vertrag ist. In diesem Moskauer Vertrag, knapp zehn Jahre vor dem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan abgeschlossen, heißt es, daß sich die Sowjetunion verpflichtet - ich zitiere zur Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der Welt beizutragen, .. . ({0}) den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten ... und sich in Fragen, die die ... internationale Sicherheit berühren, ... der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten. So weit der Text des Moskauer Vertrages. Die Sowjetunion argumentiert mit gespaltener Zunge, wenn sie sich auf Frieden, Sicherheit und Entspannung beruft. Frieden, Sicherheit und Entspannung werden von der Sowjetunion selektiv behandelt. Sie agiert entsprechend ihrem eigenen machtpolitischen Interesse, indem sie mit dem Blick auf Europa auf Entspannung setzt und Gewaltverzicht propagiert, während sie gleichzeitig bei erster sich bietender Gelegenheit - Entspannung hin, Entspannung her -, wie in Afghanistan, grausam zuschlägt. Die Folge ist ein Krieg, der in Afghanistan bereits das fünfte Jahr tobt mit dem Ergebnis zerstörter Dörfer und Städte, mit dem Ergebnis des Leidens von Millionen Menschen, mit dem Ergebnis - Herr Todenhöfer hat daran schon erinnert - von 1 Million Toten im Lande, mit dem Ergebnis von 100 000 politischen Häftlingen, mit dem Ergebnis von nahezu 5 Millionen Flüchtlingen - hier weicht meine Information von der des Bundesaußenministers ab. ({1}) - Genau. Von den 15 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen in der Welt sind über 90 % Opfer von kommunistischen Invasionen und Diktaturen. Um das Ausmaß, um uns das Elend der afghanischen Flüchtlinge ein wenig zu vergegenwärtigen, müssen wir die Zahlen in die Relation zu unserer eigenen jüngsten Geschichte setzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren 60 Millionen Einwohnern 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aufgenommen. Das sind 20 % unserer Bevölkerung. Jeder wird sich an die Nachkriegsjahre mit den in Baracken hausenden Menschen auf der Suche nach Familienangehörigen und dem Arbeitsplatz noch erinnern. Auf die afghanischen Verhältnisse übertragen bedeutet die Zahl von nahezu 5 Millionen Flüchtlingen, von denen allein über 3 Millionen in Pakistan und 1,8 Millionen im Iran Zuflucht gesucht haben, 30 % der Gesamteinwohnerschaft. Auf deutsche Verhältnisse übertragen würde das bedeuten, daß 20 Millionen Deutsche als Flüchtlinge und Vertriebene die Heimat hätten verlassen müssen. Afghanistan zählt heute nicht mehr 17 Millionen, sondern etwa 12 Millionen Einwohner; und dies deswegen, weil die Sowjetunion den Krieg in dieses Land der Dritten Welt getragen hat. Bereits fünfmal ist die Sowjetunion wegen ihrer Invasion in Afghanistan durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen - das letzte Mal mit einem Stimmenergebnis von 116 : 20 bei 17 Enthaltungen - als Aggressor zu Recht verurteilt worden. Das bittere und empörende Schicksal des französischen Journalisten Abouchar, gegen dessen Verurteilung wir gar nicht lautstark genug protestieren können, verpflichtet uns erneut, über das Verbrechen der sowjetischen Invasion in Afghanistan zu sprechen, wie auch zugleich auf die vietnamesische Invasion in Kambodscha den Scheinwerfer zu richten. Das Schlimmste, woran wir schuldig werden könnten, sind das Vergessen, Verdrängen und Vorbeisehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sofort. So erging es - Gott sei es geklagt - den Häftlingen in den Konzentrationslagern Hitlers. Schließen möchte ich mit einem Wort des Bundeskanzlers, das er als Oppositionsführer 1980 hier im Bundestag gesprochen hat: Als frei gewähltes deutsches Parlament müssen wir auf diese Invasion, auf diesen Überfall auf ein kleines wehrloses Land, auf Afghanistan, immer wieder zu sprechen kommen, bis sich die Sowjetunion von dort zurückgezogen hat. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Neumann ({0}).

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist aus mindestens zwei Gesichtspunkten wichtig: einmal natürlich aus dem humanitären Gesichtspunkt, der zusammenhängt mit dem Urteil gegenüber dem Journalisten Abouchar, zum anderen, weil es innerhalb von zwei Monaten wieder einen Anlaß gibt, die aktuelle Situation in Afghanistan zu diskutieren. Abouchar ist, wie wir inzwischen wissen, in einer wohl abgestimmten Geheimdienstaktion gefaßt, verraten worden und anschließend in einer unmenschlichen Weise behandelt worden. Die Kollegen wissen wahrscheinlich nicht, daß er nach seiner Verhaftung auf gepanzerten Mannschaftswagen der sowjetischen Armee durch die Dörfer Afghanistans gefahren wurde, um die Einmischung des Auslands nachzuweisen. Dies hätte übrigens auch anderen Journalisten passieren können, Peter Scholl-Latour und anderen, die uns über die Situation in Afghanistan berichten; vielleicht auch unserem Kollegen Horacek oder Herrn Todenhöfer. Dies kann aber - darauf möchte ich besonders hinweisen - auch den vielen freiwilligen Helfern passieren, ({0}) die unter Lebengefahr zur Zeit der afghanischen Bevölkerung helfen. Viele Menschen verdanken ihr Leben diesen freiwilligen Helfern, die insbesondere aus Frankreich, aus Italien und aus der Schweiz kommen. ({1}) Was wird passieren, wenn diese freiwilligen Helfer das Land verlassen? Bedeutet das nicht gleichzeitig das Todesurteil für viele Frauen und Kinder, die ohne medizinische und sonstige Hilfe sind? Wenn dies von dem Kabuler Marionettenregime so gewollt ist - der Ausspruch des sowjetischen Botschafters in Pakistan, den mein Kollege Schlaga bereits zitiert hat, deutet darauf hin -, dann gibt es dafür in unserer Sprache nur ein Wort, und das heißt „Mord". Da Schweizer Kollegen hier sind, möchte ich an dieser Stelle noch einmal die Forderung erheben, daß endlich zugelassen wird, daß das schweizerische Internationale Komitee des Roten Kreuzes in diesem Krieg tätig sein darf und seine Rechte wahrnehmen darf, wie dies in allen anderen Kriegen von zivilisierten Völkern ermöglicht wurde. ({2}) Der Journalist Abouchar hat mit Sicherheit nicht in den Kampf eingreifen wollen, er hat seine Pflicht getan, die Öffentlichkeit zu informieren. Das ist notwendig; denn manchmal ist dieser Krieg vergessen worden, und er darf nicht vergessen sein. Und daß er nicht vergessen wird, verdanken wir Journalisten, die über die Flächenbombardierungen, über die Ausrottung von Dörfern und über die unmenschlichen Aktionen in Afghanistan berichten. ({3}) - Also ich muß sagen, Herr Kollege, das Deutsche Fernsehen berichtet schon hin und wieder. Aber wenn wie in der letzten Diskussion über Afghanistan gegen 23 Uhr hier vielleicht noch 30 Kollegen anwesend waren, müssen wir zunächst einmal an uns selbst appellieren und dann vielleicht andere schelten. ({4}) Das Kabuler Regime und die Sowjetunion machen mit dem brutalen Urteil auch deutlich, daß sie nicht Herr der Lage sind. Sie schotten die Grenze von Informationen nach außen und die Hilfe von Pakistan nach Afghanistan ab, und es gibt Anzeichen dafür, daß mit einer massiven Offensive die Neumann ({5}) Sowjetunion wohl das vorhat, was sich möglicherweise später als Völkermord herausstellen wird. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz einen Appell an die afghanischen Widerstandsgruppen richten, die in Afghanistan, in Pakistan, im Iran und in Westeuropa tätig sind. Sie sollten endlich ihre internen Streitigkeiten beilegen und neben dem gemeinsamen Ziel der Befreiung des Landes auch versuchen, eine politische Einigung voranzutreiben. Ich habe eine Bitte an den Bundesaußenminister: zu überlegen, ob die Europäische Gemeinschaft diesen Widerstandsgruppen auf einer internationalen Konferenz ein Forum geben könnte, gemeinsam zu versuchen, eine Zielvorstellung zu entwickeln, wie Afghanistan nach der Befreiung aussehen könnte. Hier könnten wir eine direkte politische Hilfe bieten, nachdem uns eine Einmischung in Afghanistan selbstverständlich nicht möglich ist. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.

Dr. Hans Stercken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002246, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wessen Politik auf Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist, der wird dem illegalen Grenzübertritt von 170 000 Rotarmisten größere Bedeutung beimessen als der Grenzüberschreitung des freien französischen Journalisten Jacques Abouchar, der die Weltöffentlichkeit über einen schmutzigen Krieg unterrichten wollte. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte mit meinem Beitrag das Leiden eines Journalisten bedenken, eines Mittlers, dem wir in unserer freiheitlichen Rechtsordnung eine demokratische Funktion zuweisen und dazu Schutz gewähren. Die Form der Gefangennahme durch die Rote Armee und die Aburteilung durch ein afghanisches Gericht müssen gemäß den Vereinbarungen gewertet werden, auf die die Sowjetunion durch Abkommen im Rahmen der Vereinten Nationen sowie durch die KSZE-Schlußakte verpflichtet worden ist. Nach dieser empörenden Mißachtung journalistischen Freizügigkeit kann man kaum noch glauben, unter welchen Text die Sowjetunion einmal ihren Namen gesetzt hat. Im Korb 3 der KSZE-Schlußakte wird zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Journalisten aufgefordert. Dabei wird die Absicht bekräftigt - ich zitiere jetzt -, für Journalisten aus den Teilnehmerstaaten die Möglichkeiten zu vermehren, persönlich mit ihren Informationsquellen, einschließlich Organisationen und offiziellen Institutionen, in Verbindung zu treten; Journalisten aus den Teilnehmerstaaten das Recht zu gewähren, die technische Photo-, Kino-, Tonband-, Rundfunk- und Fernseh-Ausrüstung einzuführen, die für die Ausübung ihres Berufes erforderlich ist, ... Abschließend heißt es zu diesem Kapitel: Die Teilnehmerstaaten bekräftigen, daß die legitime Ausübung der beruflichen Tätigkeit weder zur Ausweisung von Journalisten ({1}) noch anderweitig zu Strafmaßnahmen gegen sie führen wird. ({2}) So weit das Zitat von Vereinbarungen, die durch die Sowjetunion vom Tisch gewischt worden sind. Ein als illegal qualifizierter Grenzübertritt, meine Damen und Herren, rechtfertigt keine Strafe von 18 Jahren. In einem Europa, in dem wir die Grenzen beseitigen, besteht kein Verständnis für neue Gefängnisgrenzen kommunistischer Diktaturen. ({3}) Meine Damen und Herren, in einer UNESCO-Empfehlung vom 27. Oktober 1980 zum Schutz und zur Erhaltung der Filmdokumentation hat die Sowjetunion der Zielsetzung ausdrücklich zugestimmt, daß - ich zitiere bewegte Bilder auch ein grundlegendes Mittel zum Festhalten des Ablaufs von Ereignissen sind und also solche wegen der von ihnen vermittelten neuen Dimension wichtige und oft einmalige Zeugnisse der Geschichte, der Lebensweise und der Kultur der Völker darstellen. Wir müssen die Sowjetunion fragen, welchen Wert solche Vereinbarungen haben, ({4}) wenn am Ende doch alles totalitärer Beliebigkeit unterworfen wird. ({5}) Unsere französischen Freunde zeigen in unzähligen Protesten nicht nur nationale Solidarität. Neben den humanitären Empfindungen ist zu erwähnen, daß dort der brutale Angriff auf die Pressefreiheit und der Zynismus eines makabren Schauprozesses brüskieren. Die Empörung des französischen Volkes teilen alle freiheitlichen Völker - darunter die Deutschen -, die sich nach Frieden und Zusammenarbeit sehnen und die von solcher Unbarmherzigkeit tief getroffen wurden. Als Deutscher kann man sich nach diesem Vorfall nur die Frage stellen, welche grenzenlose Bedenkenlosigkeit dazu gehören muß, gerade unseren Staat, gerade unser Volk als einen „Hort des Revanchismus" zu diffamieren. Wir werden den Ruf nach Freiheit für das afghanische Volk und für Jacques Abouchar nicht verstummen lassen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seit fünf Jahren andauernde Kriegführung der Weltmacht Sowjetunion gegen das afghanische Volk hat unendliche Not und Elend über die Bevölkerung gebracht. Die Sowjets zerstören durch ihre Bombenangriffe, die teilweise direkt aus der Sowjetunion geflogen werden, durch ihre Kampfhubschrauber und durch Beschuß mit Artillerie Dörfer, Felder und Bewässerungsanlagen. Die Offensiven dieses Jahres waren auf die großflächige Vernichtung der Dörfer und ganzer Täler angelegt. Die Zivilbevölkerung hat bei den Kämpfen am schwersten zu leiden. Die internationale Völkergemeinschaft und auch die Bundesrepublik Deutschland sind bei dieser Notlage der Bevölkerung aufgerufen, zu überlegen, wie und mit welchen Methoden sie der notleidenden Bevölkerung helfen können. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, hier tätig zu werden, und auf einer Reihe von Ebenen geschieht auch etliches, um die entstandene Not abzumildern. Die Bundesrepublik Deutschland hat von Anfang an Maßnahmen der humanitären Hilfe, Maßnahmen der Nahrungsmittelhilfe und Maßnahmen der flüchtlingsinduzierten Projekte der Entwicklungshilfe gefördert. Die humänitären Hilfsleistungen, die im wesentlichen über das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und über den UNHCR geleistet wurden, haben im Jahr 1981 7 Millionen DM, 1982/83 jeweils fast 10 Millionen DM ausgemacht und werden in diesem Jahr rund 8,5 Millionen DM ausmachen. Es gilt einmal, die Flüchtlinge zu versorgen, die sich in Pakistan aufhalten, zum anderen aber auch diejenigen - über die in der Öffentlichkeit weniger gesprochen wird -, die sich im Iran aufhalten. 1,88 Millionen Flüchtlinge befinden sich im Iran. Die Iraner haben eine eigene Versorgungseinrichtung geschaffen. Der UNHCR hatte hier bisher relativ wenig Möglichkeiten, tätig zu werden. Erst letztes Jahr ist ein kleineres Hilfsprogramm angelaufen. In diesem Jahr beginnt in diesen Tagen ein größeres Hilfsprogramm auch im Iran. Wir begrüßen es, daß es jetzt möglich geworden ist, auch im Iran tätig zu werden und den afghanischen Flüchtlingen Hilfe zu leisten. Und es ist gut, daß die Bundesrepublik Deutschland diese Hilfsmaßnahmen im Iran mit 1 Million DM noch in diesem Jahr unterstützen will. ({0}) Schwieriger ist es, Hilfsmaßnahmen für afghanische Widerstandskämpfer durchzuführen. Dies kann durch Versorgung der Verwundeten geschehen, die nach Pakistan kommen. Dies kann durch Medikamentenlieferungen ins Land hinein geschehen. Aber wir stehen bei der praktischen Durchführung dieser Hilfsmaßnahmen immer wieder vor ganz großen Schwierigkeiten. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln wird in Afghanistan immer wichtiger. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist über die Pfade in den Bergen angesichts der geringen Transportmöglichkeiten kaum zu gewährleisten. Deshalb sehen wir mit Sorge, wie die Nahrungsmittelversorgung in diesem Land immer schwieriger wird und daß die Gefahr von Hungersnöten zunehmen kann. Bereits in diesem Jahr hat es einmal erhebliche Hungersnot in einigen Teilen des Landes gegeben. Wir stoßen bei den Hilfsmaßnahmen an Grenzen, und weil wir an Grenzen stoßen, überlegen wir natürlich immer wieder, wie die Ursachen zu beseitigen sind: Die Ursachen liegen in der Invasion der Sowjetunion. ({1}) Die Sowjetunion könnte, wenn sie wollte, dieses Elend durch den Rückzug ihrer Truppen beseitigen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wulff.

Prof. Dr. Otto Wulff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Blick hat sich wieder auf Afghanistan gerichtet, weil wir feststellen müssen, daß durch die Verurteilung des französischen Journalisten aller Welt deutlich gemacht wurde, welch unmenschliches Regime in Afghanistan herrscht. Lassen Sie mich nur einige Beispiele erwähnen, die wiederum in den letzten Wochen und Tagen geschehen sind. Die Männer, jene, die aus den Bergen kommen, tragen den Koran - die Heilige Schrift - in Kandahar auf dem Kopf und zeigen damit in einer althergebrachten Geste ihre völlige Unterwerfung vor dem dortigen sowjetischen Kommandanten an. Man fragt sich, was in einem freiheitsliebenden Volk wie dem der Afghanen vorgeht, wenn so etwas zu geschehen hat. - Und es drängt sich, meine Damen und Herren, der Vergleich mit dem Schicksal der Turkmenen, Tadschiken, Usbeken, Kirgisen in den 20er und 30er Jahren auf. Ich sage auch hier einmal vor diesem Hohen Hause, daß manche Anzeichen dafür sprechen, daß wir Zeugen werden, wie sich Afghanistan weiter und weiter in eine sozialistische Sowjetrepublik zu verwandeln droht. ({0}) Wir sollten das, wie ich meine, näher beleuchten und darüber in der Öffentlichkeit diskutieren. Wie die sowjetische Durchdringung des Lebens in Afghanistan bereits geschehen ist, zeigt beispielsweise, daß afghanische Ärzte nur noch in der Sowjetunion ihre Doktorprüfungen ablegen dürfen, daß in der Juristischen Fakultät nur noch von Moskau entsandte Professoren sitzen, die die Examina abnehmen. Es mehren sich die Anzeichen, daß eine totale Durchdringung Afghanistans durch die Sowjetmacht vorliegt. Ich frage mich in der Tat, wie die Regierung einer großen Kulturmacht, die Puschkin und Dostojewski, Tolstoj und Turgenjew, Tschechow und Pasternak, Tschaikowskij und Rachmaninow hervorgebracht hat, eigentlich ein armes, freiheitsliebendes Volk wie das der Afghanen so unterdrücken kann. Lassen Sie mich, Herr Außenminister, an dieser Stelle auch sagen: daß die Bundesrepublik Ihnen Dank schuldet für das Eintreten für Afghanistan. ({1}) Ich denke, daß sich diese Bundesregierung und auch die vorhergehende um Afghanistan und um seine unterdrückte Bevölkerung verdient gemacht haben. Ich möchte daran erinnern, was heute noch gültig ist; eine Regierungserklärung, die Sie, Herr Außenminister, am 12. März 1982 zu dem Thema „Afghanistan" abgegeben haben, in der es heißt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -: Afghanistan ist ein Prüfstein für die sowjetische Bereitschaft geworden, die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Staaten der Dritten Welt zu achten und deren Streben nach wirklicher Ungebundenheit anzuerkennen. Es ist ein Prüfstein dafür, ob sie eine auf Mäßigung, Verantwortung und Vertrauen gegründete Politik der Entspannung zu führen bereit ist. Wir werden auch in Zukunft zu Afghanistan nicht schweigen. Wir werden nicht resigniert hinnehmen, was dort geschieht. Dabei wird es bleiben. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schanz.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land, von dem hier und heute die Rede ist, gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Dieses Land ist aber auch ein Beispiel dafür, welch schreckliche Folgen ein Entwicklungsland riskiert, das in den Ost-West-Konflikt beziehungsweise in den Interessenbereich einer Supermacht hineingezogen wird. Dieses Land Afghanistan hat nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen, deren Gewalttaten gegen Kinder, Frauen und Männer auch gesellschaftspolitisch keine Chance zur Entwicklung gehabt. Dafür muß die Sowjetunion die Verantwortung übernehmen. Dafür muß sie weltweit verurteilt werden. Jahrelange Entwicklungsanstrengungen wurden, ja werden zunichte gemacht. Der Krieg verschlingt Menschen, richtet unermeßlichen Sachschaden an und entzieht dem Land alle Möglichkeiten zu sinnvollen Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur. Dieses Land, das auch in Friedenszeiten immer unter Ressourcenknappheit gelitten hat, steht am Rande einer Katastrophe. Seit dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Dezember 1979 gibt es für Afghanistan keine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik. ({0}) Im Krieg sind alle Entwicklungschancen verschüttet. Der Krieg hat das Land um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen. Er hinterläßt Wunden, die noch lange nicht geheilt sein werden. Selbst wenn der Krieg rasch und friedlich beendet werden sollte - wofür es im Moment keinerlei Anzeichen gibt -, werden die Spuren und Narben noch lange zu sehen sein. ({1}) Jemand wie ich, der sowohl das Kriegsende als auch Flucht und Vertreibung persönlich kennengelernt hat, weiß, wovon er redet. Der Krieg in Afghanistan hat zusätzliche Flüchtlingsprobleme geschaffen, unter denen nicht nur das Land und seine Menschen selbst leiden, sondern auch die umliegenden Staaten, besonders Pakistan. Es müssen große Summen aufgebracht werden, nur um diesen Flüchtlingen die lebensnotwendige Existenz zu sichern. Entwicklungspolitisch sinnvolle und wirksame Maßnahmen sind nicht möglich. Die einzige Lösung des Flüchtlingsproblems ist die Beendigung des Krieges. Meine Damen und Herren, der Krieg hat zu einer Militarisierung der gesamten Region geführt. Besonders Pakistan rüstet mit Hilfe der USA in beträchtlichem Maße auf, aber zahlreiche Waffen finden auch ihren Weg nach Afghanistan - wie sollte es anders sein, wenn dort ein Krieg wütet. Diese Entwicklung kann auch zu einer gefährlichen Konfrontation zwischen Afghanistan und Pakistan beziehungsweise Indien führen. Das ohnehin gefährdete Gleichgewicht in Südostasien wird so erneut einer schweren Belastung ausgesetzt. Damit beweist sich erneut der Zusammenhang zwischen Rüstung und Entwicklung. Rüstung und Überrüstung behindern oder verhindern nicht nur Entwicklung in der Dritten Welt, sondern schaffen neue Konfrontationsgefahren und fördern die Tendenz, diese Länder in den Ost-West-Konflikt einzubeziehen. ({2}) Die Aufrüstung des einen Entwicklungslandes hat noch immer zur Folge gehabt, daß seine Nachbarn gleichgezogen haben bzw. bemüht waren, mindestens das gleiche an Waffen zu besitzen. ({3}) Wenn sie das nicht aus eigener Kraft finanzieren konnten, meine Damen und Herren, haben interessierte Mächte in Ost und West bisher immer noch nachgeholfen. Die weltweite politische Abkühlung ist auch eine Folge des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan. Dies macht klar: In eine umfassende Entspannungspolitik muß die Dritte Welt als gleichberechtigter Partner einbezogen und für ihre Aufrechterhaltung mitverantwortlich gemacht werden. ({4}) Dies ist nur möglich, wenn sie wirkliche Unabhängigkeit und Blockfreiheit genießt und wenn die Supermächte auf Einflußzonen in Asien, Afrika und Lateinamerika verzichten. ({5}) Die Hypothek Afghanistan kann nur abgetragen werden, wenn die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan zurückzieht, wenn jede Macht erkennt, daß eine direkte und indirekte Intervention in anderen Staaten zu Lasten der dort lebenden Völker den Weltfrieden schweren Gefahren aussetzt. Deshalb ist an die UdSSR dringend zu appellieren, ihren Krieg in Afghanistan einzustellen und ihre Truppen aus dem Land zurückzuziehen. ({6}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bin froh, wenn der Deutsche Bundestag - trotz unterschiedlicher Einschätzung einzelner Punkte - mit dieser Debatte sehr wohl deutlich macht, wer die Verantwortung in Afghanistan trägt bzw. wer aufgefordert werden muß, den Frieden wiederherzustellen. Danke schön. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön und es ist gut, daß dieses unglaubliche Urteil von allen Fraktionen hier in diesem Hause gleichermaßen verurteilt wird und daß wir uns endlich einmal in einem Punkt - aber in einem wichtigen Punkt - einig sind, nämlich in der Beurteilung der Vorgänge in Afghanistan. Es zeigt sich leider: Ein Unrecht, ein Unheil zieht weiteres Unrecht nach sich. Der Deutsche Bundestag war sich in der Verurteilung des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan einig und ist sich heute in der Beurteilung dieses schlimmen Fehlurteils einig. Wir hoffen, daß diese seltene Einmütigkeit auch ihre Wirkung auf die sowjetischen Machthaber nicht verfehlen wird. Wir hoffen, daß dieses Urteil revidiert wird. ({0}) Genauso hoffen wir, daß das grausame Morden an der unschuldigen Zivilbevölkerung aufhört, daß man aufhört, Frauen und Kinder umzubringen, daß man aufhört, unschuldige Menschen zu quälen und einzusperren. Mit dieser Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag wollen wir den Afghanen zeigen, daß wir sie nicht vergessen haben, daß wir ihnen helfen wollen, ihr Recht auf Selbstbestimmung wieder zu erreichen. Was wir dazu tun können, ist leider wenig genug. Aber dieses Wenige werden wir mit Nachdruck leisten: Wir fordern die Freilassung von Jacques Abouchar. ({1}) Wie gesagt, unsere Mittel sind leider nicht stark. Eines der wirksamsten Mittel ist die öffentliche Anprangerung solchen Unrechts. Ein französischer Fernsehjournalist hat ein grausames Schicksal erlitten. Wir im Bundestag haben eine Aktuelle Stunde darüber. Aber wo sind seine deutschen Kollegen? ({2}) Auch bei ihnen sollte es Solidarität geben. Sie sollten ihrem Kollegen dadurch helfen, daß sie das grausame Urteil der Öffentlichkeit immer wieder bewußt machen, dadurch, daß sie es anprangern, dadurch, daß sie die Öffentlichkeit für die Vorgänge in Afghanistan sensibilisieren. Zwei unserer Kollegen aus ganz verschiedenen Fraktionen haben da ganz anders gehandelt. Das verdient unseren Respekt. Sie sind in dieses Land gegangen und haben damit viel riskiert. Sie haben uns darüber unterrichtet, was sie mit eigenen Augen gesehen haben. Das beweist uns, daß diese Aktuelle Stunde zu Recht stattfindet. ({3}) Wir danken ihnen für ihren Mut. Wir wissen in unserem Land besonders gut, wie sehr die Bürger eines unfreien Landes auf Hilfe von außen hoffen. Es ist die einzige Hoffnung für die Afghanen und für Jacques Abouchar, daß der Druck von außen, der Druck der Öffentlichkeit ein Umdenken einleitet. Lassen wir mit unserem Druck nicht nach, bis in Afghanistan die Menschenrechte wieder gelten! Lassen wir mit unserem Druck nicht nach, bis die Afghanen ihre Freiheit wieder haben und bis vor allem dieses schreckliche Urteil revidiert ist! ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Forderung nach Freiheit für den Journalisten Abouchar sehe ich den Sinn dieser Debatte vor allem darin, daß wir der Sowjetunion immer wieder mit jedem möglichen Nachdruck deutlich machen, welch hohen Preis sie zahlt, wenn sie ihre Invasion in Afghanistan fortsetzt, ({0}) einen Preis, den sie bei dem gesamten internationalen Klima, bei dem, was man mit dem Stichwort „Vertrauensbildung" bezeichnet, zahlen muß. Auch bei dem, was man zumindest klimatisch im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstungsverhandlungen vorfindet, muß sie einen hohen Preis zahlen. Wenn man weiß, in welchem Umfang inzwischen die Mehrheit bei den UNO-Resolutionen, die mittlerweile ja fünffach vorliegen, und in welch hohem Maß im Rahmen der Interparlamentarischen Union die Mehrheit zugunsten der Verurteilung der sowjetischen Invasion gewachsen ist, bekommt man einen Eindruck von dem Preis, den sie zu zahlen hat. Aber unsere westlichen Appelle sind erst dann legitim, wenn wir - dies gebietet die Nüchternheit - selber von Überlegungen Abstand nehmen, wir bräuchten zur Rohstoffsicherung eine Politik, die imperialen Charakter hat und Vorhöfe oder Hinterhöfe sichert. ({1}) Es wäre gut, Herr Außenminister, wenn das, was schon jetzt Realität ist, nämlich die drastische Verminderung der Abhängigkeit der westlichen Industrieländer von den Öllieferungen am Golf, auch ins politische Bewußtsein rückte, und wenn auch auf amerikanischer Seite diese neue Realität entsprechend gewürdigt würde, und zwar bei bestimmten Planungen wie etwa im Indischen Ozean oder bei bestimmten Territorialkommandos, die bis Pakistan reichen. Wir sind insgesamt für eine Politik, die die sowjetische Invasion beendet. Wir sind für Verhandlungen. Wir sind gegen Hegemoniestreben, wo überall auf der Welt es stattfindet. Auch wenn kein Zusammenhang zwischen Konfliktlagen in bestimmten Weltregionen besteht, so gibt doch die Art, in der bestimmte Vor- und Hinterhöfe behandelt werden, wo innere und äußere Krisen sich vermischen, und die Weise, in der dort auch von westlicher Seite Konflikte gelöst werden, Auskunft über die Legitimität, mit der wir die sowjetische Invasion in Afghanistan verurteilen. Das gilt von Mittelamerika über Nahost bis Mittelost und insbesondere für Afghanistan. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Punkte 2 a und 2 b sowie den Zusatzpunkt 1 auf: 2.a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personalausweisrechtlicher Vorschriften - Drucksache 10/2010 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/2133 Berichterstatter: Abgeordnete Broll Schäfer ({1}) Dr. Hirsch ({2}) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Schäfer ({3}), Tietjen, Bernrath, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Reuter, Schröer ({4}), Wartenberg ({5}), Dr. Wernitz, Paterna, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise - Drucksache 10/1115 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6}) - Drucksache 10/2133 Berichterstatter: Abgeordnete Broll Schäfer ({7}) Dr. Hirsch ({8}) Zusatzpunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise - Drucksache 10/2177 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, es ist für die Tagesordnungspunkte 2 a, 2 b und den Zusatzpunkt 1 eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.

Joachim Clemens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000330, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gut einem Monat haben wir uns in diesem Hohen Hause zum letztenmal mit dem Personalausweis beschäftigt. Da haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, tief in den Topf mit schwarzer Farbe - eigentlich müßte ich sagen: roter Farbe - gegriffen. Da wurde der drohende Überwachungsstaat an die Wände und Decken dieses Sitzungssaals gemalt, die Gefahr von massenhafter Kontrolle, von anonymer Überwachung unserer Bürger beschworen und schließlich das Gespenst der totalitären Digitalisierung; ich weiß nicht, was das sein soll. ({0}) Ich bin ein nüchterner Mensch, ich kann mir darunter nichts vorstellen, und ich gehe davon aus, daß ich mir auch in Zukunft nichts darunter vorstellen kann. Am 20. September 1984 - das war dieser Tag - hat sich Herr Kollege Schäfer von der SPD für seine Fraktion von dem unter der sozialliberalen Regierung erfundenen und auch mit den Stimmen seiner Fraktion im Dezember 1982 endgültig beschlossenen fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweis verabschiedet und seine Ablehnung mit großem Pathos u. a. mit der Frage begründet: Ist nicht eine Strategie zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter notwendig? Herr Schäfer, ich muß das noch einmal betonen: Bis 1982 war alles klar. Wir schaffen einen fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweis; auch Sie wollten das. Aber kaum waren die GRÜNEN im Deutschen Bundestag, muß man feststellen, da schmeißen Sie all das, was Sie früher mal für gut und nützlich befunden haben, über Bord. ({1}) Man kann wirklich nur sagen: Sie hängen sich an die Rockschöße der GRÜNEN, daß einem um Ihre traditionsreiche Partei angst und bange wird. ({2}) Als ich seinerzeit etwas bescheidener entgegnet habe, daß die Koalition, was die Urteile des Bundesverfassungsgerichts angeht, durchaus lernfähig ist und daß wir deshalb die Einführung des neuen Ausweises in bezug auf Datenschutz überprüfen und dem Rechnung tragen wollen, haben Sie mit spöttischer Ungläubigkeit reagiert. Der Ihnen heute vorgelegte Entwurf eines Fünften Änderungsgesetzes sollte, so hoffe ich, dem Kollegen Schäfer doch ein Erlebnis ähnlich wie dem des ungläubigen Thomas verschaffen; denn unser Gesetzentwurf bringt eine umfassende datenschutzrechtliche Absicherung der Einführung des neuen Personalausweises, welches die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Volkszählungsurteil verwirklicht und den Wünschen und Anregungen der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern Rechnung trägt. Ich bin der Überzeugung, daß wir mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf und den bis zu seiner Verabschiedung einzubringenden bereichsspezifischen Datenschutzregelungen im Sicherheitsbereich eine in die Zukunft weisende Lösung gefunden haben, die man durchaus als Strategie zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter bezeichnen kann. Einerseits wird die Wirksamkeit der Verbrechensbekämpfung erhöht sowie die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit in unserem Lande gewährleistet, indem der Polizei die Nutzung des technischen Fortschritts auf dem Gebiet der Daten- und Informationstechnik ermöglicht wird, andererseits wird für den Bürger der von der Verfassung gebotene Schutz seiner personenbezogenen Daten in größtmöglichem Umfang garantiert. Wie Umfrageergebnisse zeigen - die auch der Opposition nicht verborgen geblieben sein dürften; 66 % sind für den fälschungssicheren, maschinenlesbaren Personalausweis -, sind die Bürger den Schwarzmalereien der Opposition nicht gefolgt. Sie wollen wirksamen Schutz vor Gewalt und Verbrechen. Der mit dem fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweis verbundene Sicherheitsgewinn ist nach wie vor unbestreitbar. Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat noch vor wenigen Tagen bestätigt, daß durch die Einführung des fälschungssicheren Ausweises eine Vielzahl von Straftaten verhindert werden kann, nicht zuletzt im Terrorismusbereich. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Aussage des Generalbundesanwalts Rebmann. Er hat gesagt, daß sich die RFA reorganisiere. Ich glaube, wir sollten das früh genug bedenken und diesen Ausweis schnellstens schaffen. Der neue Ausweis wird es Tätern erschweren, betrügerisch Kraftfahrzeuge anzumieten, gestohlene Eurocheques im Ausland einzulösen oder betrügerisch Waren und Leistungen zu erlangen. Lassen Sie mich gleich einfügen, Herr Schäfer - Sie sprechen sicherlich nach mir -: Ich hoffe, daß Sie nicht Herrn Dr. Boge als Ihren Kronzeugen aufführen, daß er gegen Maschinenlesbarkeit ist. ({3}) - Herzlichen Dank; nur habe ich hier ein Dokument. Dr. Boge hatte gehört, daß es Schwierigkeiten in der Koalition wegen der Maschinenlesbarkeit gab. Um überhaupt den fälschungssicheren Personalausweis zu retten ({4}) - Sie können das nachlesen, ich gebe Ihnen das gern -, hat er erklärt: Wir brauchen den Ausweis sehr dringend und sehr schnell. Deswegen hat er zunächst einmal auf Maschinenlesbarkeit verzichtet. ({5}) Hätte er gewußt, daß wir uns so schnell einigen würden, hätte er, glaube ich, diese Aussage nicht gemacht. Nach der jüngsten Statistik des BKA sind über eine halbe Million Personalausweise als gestohlen, verloren oder abhanden gekommen gemeldet. Nach fast dreizehntausend gestohlenen Blankopersonalausweisen wird gefahndet, die ohne große Schwierigkeiten zu kriminellen Zwecken verwendet werden können. Auch der in diesem Zusammenhang vielfach angesprochene Abbau der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mindert den Nutzen des neuen Ausweises nicht entscheidend. Denn bis zu dem vollständig kontrollfreien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist es noch ein weiter Weg. Herr Schäfer - wenn Sie mal einen Moment zuhören würden ({6}) am gestrigen Morgen war ich sehr schnell hellwach, als ich Ihre Stimme im Radio hörte. Ich hatte das Gefühl, im Gegensatz zu Ihnen war ich wach. ({7}) Sie haben an diesem Morgen erklärt, nun würde man an den Grenzen die Kontrollen abbauen, aber dafür würde das BMI im Lande die Polizeikontrollen verstärken. Nun, muß ich sagen, bin ich von Ihnen als dem innenpolitischen Sprecher außerordentlich enttäuscht. Eigentlich müßten Sie schon einmal etwas von Föderalismus gehört haben. Eigentlich müßten Sie wissen, daß Polizeikontrollen im Inland nichts mit dem BMI zu tun haben, sondern Ländersache sind. Ich muß sagen, das war äußerst dürftig. Aber Sie waren wahrscheinlich noch nicht ganz wach. Solange es nicht gemeinsame Kontrollen an den Außengrenzen, eine Fahndungsunion ({8}) und weitgehende Angleichung etwa der Ausländer- und waffenrechtlichen Bestimmungen innerhalb der EG gibt, bleiben Verdachts- und Stichprobenkontrollen an den Grenzen zu unseren westlichen Partnerstaaten erforderlich, ganz zu schweigen von solchen an Flughäfen und Seehäfen, wo natürlich auch kontrolliert werden muß und wo der Personalausweis eine gute Rolle spielt. Wer hinter dem neuen Personalausweis immer noch staatliches Übermaß befürchtet, mag sich die äußerst eingehenden, in dieser Form bislang einmaligen Datenschutzvorkehrungen ansehen, die jetzt in das Personalausweisgesetz aufgenommen sind. Ich richte hier einen Appell an diejenigen Kritiker, die auch jetzt wieder, nachdem die Einigung der Koalitionsfraktionen auf den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf bekannt wurde, ohne weitere Nachprüfung Zweifel an der Verfassungskonformität des neuen Ausweises hinausposaunen. So leitet zum Beispiel der Vorsitzende der GDP, ein linientreuer SPD-Genosse, der bisher immer noch für den fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweis war, Zweifel gegen die Maschinenlesbarkeit ab - man höre und staune, auf einmal hat er Zweifel, offensichtlich weil auch die SPD Zweifel hat -: daß nicht geregelt sei, was denn mit den polizeilichen Ausweiskontrollen und den dort erhobenen Daten geschieht. Dabei ist gerade diese Frage in § 3 a des neuen Gesetzes eingehend geregelt, indem zum Beispiel das Abfragen des polizeilichen Fahndungsbestandes mit dem neuen Ausweis bei negativem Ausgang nicht protokolliert werden darf. Bei der Führung der Personalausweisregister und bei der Nutzung des neuen Ausweises durch die öffentliche Verwaltung sind alle nur denkbaren Sicherungen eingebaut. Ein Mißbrauch des Ausweises im Sinne eines Personenkennzeichens ist ausgeschlossen. Die Nutzung des Ausweises für Zwecke der elektronischen Datenverarbeitung im privaten Bereich ist künftig völlig untersagt. Die Polizei erhält keinerlei zusätzliche Eingriffsbefugnisse. Das öffentlich so heftig diskutierte Anlegen von sogenannten Bewegungsbildern mit Hilfe des neuen Ausweises ist nur ausnahmsweise, nämlich bei Verdacht besonders schwerer, in § 100 a der Strafprozeßordnung aufgezählter Straftaten, und dann auch nur befristet und nur auf Grund schriftlicher richterlicher Anordnung zulässig. Das Fünfte Änderungsgesetz läßt den Ausgabezeitpunkt für den neuen Ausweis offen. Die Koalition strebt - ich persönlich bin da ein bißchen vorsichtig - die Einführung des fälschungssicheren und maschinenlesbaren Ausweises ab 1. Januar 1986 an, was aber voraussetzt, daß die Länder ihre erforderlichen Übereinkommen treffen und daß bis zum Inkrafttreten des Änderungsgesetzes weitere gesetzliche Datenschutzregelungen im Sicherheitsbereich beschlossen und, soweit erforderlich, bis zum Inkrafttreten des neuen Personalausweisgesetzes hier im Bundestag eingebracht werden. Hierbei geht es vor allem um eine gesetzliche Regelung der Informationsgewinnung und -verarbeitung bei der Polizei, also im Bereich des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes, sowie um eine gesetzliche Regelung der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste mit den Polizeibehörden, wozu u. a. die sogenannte Amtshilfe des Bundesgrenzschutzes gehört, und schließlich um eine gesetzliche Regelung der Datenerhebung und -verarbeitung im Bereich der Verfassungsschutzbehörden. Im Klartext: Die Koalitionsfraktionen werden im Laufe des nächsten Jahres eine ganze Reihe bereichsspezifischer Datenschutzregelungen erarbeiten. Es wird mit Sicherheit zu Novellierungen des Gesetzes über das Bundeskriminalamt, des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und des Bundesverfassungsschutzgesetzes kommen. Lassen Sie mich mit Blick zur rechten Seite, nämlich in Richtung FDP und zu Herrn Hirsch, unserem Ansprechpartner im Innenausschuß, einmal sagen: Ich möchte Sie ermuntern, in dieser Weise fortzufahren, sich mit uns zu einigen. Ich meine, Entscheidungsfreudigkeit kommt nicht nur besonders Ihnen, sondern uns allen zugute, und das bringt letzten Endes auch den Erfolg für unsere Koalition. Das ist sehr gut, und Sie sollten auf diesem Wege fortschreiten. Wir können und wollen die Sicherheitsbehörden angesichts der immer schwieriger werdenden Aufgabe der Verbrechensbekämpfung nicht auf ein Steinzeit-Handwerkszeug beschränken. Polizei und Nachrichtendienste müssen sich im Computerzeitalter der Möglichkeiten der Informationstechnologie und der Datenverarbeitung bedienen können. Wenn solche modernen Techniken eingesetzt werden, sind allerdings Absicherungen der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Bürger sowie besondere rechtsstaatliche Kontrollen notwendig. Wir werden dafür sorgen, daß dies eingehalten wird. Für uns sind - um das ganz deutlich zu erklären - Datenschutz und innere Sicherheit keine GegenClemens sätze, sondern haben den gleichen Stellenwert. Wir werden allerdings nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts darauf zu achten haben, daß Abwägungen zwischen den überwiegenden Allgemeininteressen und dem Persönlichkeitsrecht des einzelnen Bürgers vorgenommen werden müssen. Wir werden aber nicht zulassen, daß eine Einschränkung der Sicherheitsbehörden erfolgt. Wir werden auf jeden Fall darauf achten, daß kein Mißtrauen bei Polizei oder Verfassungsschutz entsteht. Im Gegenteil, wir werden dafür sorgen, daß Verunsicherungen und Diffamierungen der Sicherheitsbehörden und ihrer Mitarbeiter entgegengewirkt wird. Wir als Gesetzgeber werden ausdrücklich die Verantwortung für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten übernehmen. Für meine Fraktion darf ich daher abschließend noch einmal betonen: Wir nehmen unsere Verantwortung für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und damit für die Kriminalitätsbekämpfung und für den Schutz der Bürger vor Verbrechen auf der einen Seite wie auch den Schutz des Persönlichkeitsrechts unserer Bürger auf der anderen Seite sehr ernst und werden das wie heute beim Personalausweisgesetz auch auf den anderen Gebieten in den nächsten Monaten unter Beweis stellen. Lassen Sie einen letzten Schlußsatz zu - ich sehe, die Zeit ist abgelaufen -: Wer nichts zu verbergen hat, braucht die Einführung des neuen Personalausweises nicht zu fürchten, und ich hoffe, die Opposition hat nichts zu verbergen. Ich bedanke mich. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist das zweite Mal binnen weniger Wochen, daß wir über das Personalausweisgesetz und die damit verbundenen Probleme diskutieren. Ich will deswegen bewußt darauf verzichten, bekannte Argumente zu wiederholen. ({0}) - Ich will aber gleichviel, Herr Kollege Clemens, zu Beginn auf zwei Ihrer Behauptungen eingehen. ({1}) Sie haben uns vorgeworfen, uns nicht mehr an die Entscheidungen der Jahre 1977 und 1982 gebunden zu fühlen. Ich bestätige ausdrücklich, es ist richtig, es ist zutreffend, daß alle damals im Bundestag vertretenen Parteien noch 1982 einem neuen Personalausweissystem zugestimmt haben. ({2}) - Dazu stehen wir, Herr Kollege Fischer. ({3}) Richtig ist auch, daß sich inzwischen zwei Sachverhalte neu ergeben haben, die uns als Gesetzgeber dazu zwingen, unsere Position zu überprüfen. Wir würden unserem Auftrag als Gesetzgeber nicht gerecht, wenn wir das wieder herbeten würden, was vor drei oder fünf Jahren richtig war und heute durch die Entwicklung überholt ist. ({4}) Ich will dies in zwei Punkten begründen: Punkt 1: 1977/78 während der Zeit der terroristischen Herausforderung ist die Idee des fälschungssicheren, maschinell lesbaren Ausweises geboren worden. Damals ging man davon aus, daß die Empfehlungen der internationalen Luftfahrtorganisation, die Empfehlungen des Europarates, die Zustimmung vieler westeuropäischer Länder zur gleichzeitigen Einführung dieses neuen Ausweises einen erheblichen Sicherheitsgewinn als Folge hätte. Alle drei Voraussetzungen sind weggefallen: Der Europarat steht nicht mehr zu seiner Empfehlung, die internationale Luftfahrtorganisation ist abgerückt, außer der Bundesrepublik Deutschland will kein westeuropäischer Staat einen fälschungssicheren, maschinell lesbaren Ausweis einführen. ({5}) Der Sicherheitsgewinn, den man sich ursprünglich damit bei der Terroristenbekämpfung versprochen hat, ist hinfällig. Wer dies nicht sieht, verschließt die Augen vor Tatsachen. ({6}) Punkt 2 - und dies ist wichtiger -: Wir haben das historische Datum 15. Dezember 1983, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung mit der Festschreibung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, die „Bergpredigt des Datenschutzes", wie es ein Rechtsprofessor genannt hat. ({7}) - Hans Schneider; Sie können es nachlesen. Dies zwingt uns, nicht nur im Bereich des Personalausweisgesetzes, sondern in allen Bereichen moderner Datenerhebung, Datenspeicherung, Datenverarbeitung den Grundsätzen des Verfassungsgerichtsurteils Rechnung zu tragen, daß nur bei Erforderlichkeit, nur bei Notwendigkeit, nur bei Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, nur bei Wahrung des Grundsatzes, daß jeder wissen können muß, was wann wo über ihn gespeichert ist, daß Ausnahmen nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig sind und diese Ausnahmen per Gesetz geregelt werden müssen, ({8}) daß wir nur unter diesen Maßgaben dieses Grundrecht gesetzlich einschränken dürfen. Schäfer ({9}) Jetzt sind wir bei der Frage der Erforderlichkeit des neuen Ausweises. Sie haben wieder, Herr Clemens, wie tibetanische Gebetsmühlen den Riesensicherheitsgewinn wiederholt. Ich halte es lieber mit den Fakten. Tatsache ist, daß rund eine halbe Million Personalausweise über Jahre hinweg abhanden gekommen ist. Es ist sachlich falsch, es ist intellektuell unredlich, die Zahl der verlorengegangenen Ausweise gleichzusetzen mit damit begangenen Straftaten. ({10}) Wer Tatsachen zur Kenntnis nimmt, kommt auf eine andere Zahl - ich wiederhole mich -: Bei über 1 Million Ausweisen kommt die Kriminalpolizei in Hamburg auf 25 gefälschte Ausweise pro Jahr. Bei über 1 Million Ausweisen! Herr Clemens, gehen wir die Kriminalstatistik einmal gemeinsam durch. Zwei Drittel der 4,3 Millionen Straftaten des Jahres 1983 sind Eigentumsdelikte. Dazu bedarf es keines gefälschten Ausweises. Da hilft auch der neue Ausweis nicht zur Verbrechensbekämpfung. Gegen Terroristenbekämpfung bringt der neue maschinell lesbare Ausweis überhaupt nichts, weil Terroristen jederzeit auf andere Papiere ausweichen können. Zur Begehung aller Schwerverbrechen - Vergewaltigung, Mord, Totschlag, Raub, Geiselnahme - bedarf es keines Ausweises. Zur Bekämpfung dieser Schwerverbrechen bedarf es dann aber auch keines maschinell lesbaren, fälschungssicheren Ausweises. ({11}) Es bleibt, Herr Kollege Clemens, eine einzige Zahl ausweislich der Angaben des BMI: jährlich etwa 3000 Betrugsdelikte leichter und mittlerer Art, vor allem Eurocheque-Betrug. Auch hier kann man auf andere Ausweispapiere ausweichen. Bei 4,36 Millionen Straftaten pro Jahr nachweislich rund 3000 Betrugsdelikte leichter und mittlerer Art. Das ist weniger als 1 Promille, darunter - gottlob, sage ich - keine Schwerverbrechen. Und deswegen wollen Sie mit dem Argument der Kriminalitätsbekämpfung, Erhöhung der inneren Sicherheit einen maschinell lesbaren Ausweis einführen. Wir sagen Ihnen: Der maschinell lesbare Ausweis ist nicht erforderlich, ({12}) er ist unverhältnismäßig. Er rechtfertigt nicht den Preis, der unabdingbar mit der maschinellen Lesbarkeit für die Freiheitsrechte des Bürgers verbunden ist. ({13}) Das ist der Punkt. Daß Sie das nicht begreifen wollen, weiß ich j a. Jetzt will ich aber einmal die Fachleute zitieren. Ursprünglich, Herr Spranger, ist die maschinelle Lesbarkeit ja mit intensiverer Grenzkontrolle begründet worden. Das ist jetzt weggefallen. Da ich Sie kenne, Herr Clemens, zitiere ich jetzt Herrn Boge vom 21. Oktober wörtlich. Herr Boge, Präsident des Bundeskriminalamtes, antwortet auf eine Frage: Herr Frank, die Maschinenlesbarkeit ist für mich heute kein zentrales Thema mehr. Mit dem Abbau der Grenzkontrollen ist auch ein wichtiges Argument für die Forderung entfallen, unabhängig davon, ob Computer auch herkömmliche Ausweise lesen können. Also ist die Notwendigkeit der maschinellen Lesbarkeit entfallen: ({14}) Ich wiederhole die Aussage von Herrn Boge: Herr Frank, die Maschinenlesbarkeit ist für mich heute kein zentrales Thema mehr. Mit dem Abbau der Grenzkontrollen ist auch ein wichtiges Argument für die Forderung entfallen, unabhängig davon, ob Computer auch herkömmliche Ausweise lesen können. ({15}) Die Erforderlichkeit ist nicht nachgewiesen. ({16}) Die Einführung des maschinell lesbaren Ausweises widerspricht den Grundsätzen des Verfassungsgerichts. Im übrigen muß man doch wohl auch fragen dürfen, Herr Spranger und auch Herr Clemens: Warum hält man an der maschinellen Lesbarkeit fest, obwohl das Argument Grenzkontrolle, das Hauptargument, weggefallen ist? ({17}) Weil andere Zwecke damit verfolgt werden. Herr Spranger wird nach uns reden. Er soll sagen, ob es keine Pläne und Diskussionen im BMI, Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz gibt, ({18}) die Grenzkontrollen durch verstärkte Kontrollen im Inland aufzufangen. Er soll sagen, ob es zutrifft, ob entsprechende Schreiben vom BKA - in diesem Fall nicht von Herrn Boge, sondern von Herrn Boeden - vorliegen, in denen gerade die Möglichkeit massenhafter Datenspeicherung als Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen verlangt wird. Ein klares Wort, daß nicht daran gedacht ist, die Grenzkontrollen ins Inland zu verlagern, würde uns helfen. ({19}) Im übrigen, meine Damen und Herren, will ich noch etwas zu Ihrem Gesetzentwurf sagen: Ich sage, die Erforderlichkeit der Maschinenlesbarkeit Schäfer ({20}) ist nicht gegeben. Daß der Personalausweis auch gegenwärtig schon lesbar ist, ist noch kein Argument dafür, daß die neue Qualität der Computerlesbarkeit eingeführt werden muß. Wir müssen nicht alles machen, was technisch möglich ist. Man kann die Computerlesbarkeit schlechtweg per Gesetz verbieten. ({21}) Es gibt, Herr Hirsch, im Personalausweisgesetz Ansätze, die den Datenschutzanforderungen in der Richtung entgegenkommen, wie es richtig ist, doch auch viele Bedenken: Neu ist zwar in § 2 a Abs. 2 eine Zweckbestimmung des Personalausweisregisters; diese wird aber zugleich in § 2 b in dem bisher vorgesehenen Umfang wieder durchbrochen. Die Übermittlung an andere Behörden, insbesondere an MAD und BND, ist nach wie vor nicht an die Voraussetzung gebunden, daß deren Aufgaben und Befugnisse gesetzlich geregelt werden müssen. ({22}) Dort steht: per Gesetz oder durch Rechtsverordnung. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Aus dem Hause des Bundesinnenministers kommen solche unsinnigen Formulierungen wie die, daß der Datenschutz nicht zum Täterschutz entarten dürfe. Als ob irgend jemand eine solche Forderung aufgestellt hat! Jeder wird die sozialdemokratische Fraktion als Bündnispartner haben, ({23}) wenn es darum geht, unbeschadet der Frage, wie man zur maschinellen Lesbarkeit steht, alle für den Bereich der Organe der inneren Sicherheit notwendigen, sich aus dem Urteil zum Volkszählungsgesetz ergebenden Datenschutzanforderungen gesetzlich durchzusetzen und zu verabschieden, bevor dieses Gesetz, wie auch immer man zur maschinellen Lesbarkeit steht, hier verabschiedet werden kann. Ich stimme der FDP ausdrücklich in folgendem zu - das ist unsere alte Position vom Januar 1980 bei der Verabschiedung der Entschließung mit den bereichsspezifischen Forderungen zum Datenschutz: Das Personalausweisgesetz ist nur ein kleines Teilstück dessen, was uns an Datenschutzaufgaben bevorsteht. ({24}) Ich bitte darum, Herr Kollege Laufs, sich dabei nicht nur auf die entsprechenden Gesetze des Bundes zu beschränken, nicht nur auf das Bundeskriminalamtsgesetz, nicht nur auf das Gesetz über das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht nur auf den notwendigen Regelungsbereich der Amtshilfe, nicht nur auf die KPS-Richtlinie. Zu denken ist auch an die Polizeigesetze der Länder, zumal nach Ihren Vorstellungen die Länderpolizei in großem Umfang mit der maschinell lesbaren Ausweiskarte umgehen soll. Das muß vorher geregelt werden, damit wir endlich im Bereich der inneren Sicherheit rechtliche Grundlagen haben. Dies ist aus zwei Gründen notwendig. Die Polizei muß die Informationen, die sie braucht, bekommen. Das muß rechtlich einwandfrei geregelt sein. Es ist notwendig, daß der Bürger Vertrauen in die Polizei haben kann. Das Vertrauen ist eine der wesentlichen Komponenten im Verhältnis zwischen Bürger und Polizei. Das zweite Argument ist ebenso wichtig: Es muß eindeutig klar werden, daß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur in begründeten Ausnahmefällen eingeschränkt wird. ({25}) Da liegt für uns als Parlament die Hauptaufgabe, nämlich in diesen weiten Bereichen, wo wir bislang zum Teil weiße Flecken, keine rechtlichen Grundlagen haben. Herr Kollege Hirsch, ich sage noch einmal: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist Bündnispartner für jeden hier, der es mit diesen Datenschutzforderungen ernst meint. Der Maßstab ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben. Die Meßlatte liegt hoch. Wenn wir, meine Damen und Herren, diese Aufgaben tatsächlich anpacken und parlamentarisch sachgerecht beraten wollen, dann - so meine Prognose - wird es nicht möglich sein, den Gesetzentwurf über den Personalausweis noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, gleichgültig, wie man zu der Frage der maschinellen Lesbarkeit steht. Jeder, der ein bißchen in der Materie steckt, weiß, welchen Berg von Schwierigkeiten die Fragen der Informationsverarbeitung, der Informationsverwertung, des fairen Umgangs mit Informationen allein im Bereich der drei Institutionen MAD, BND und Bundesamt für Verfassungsschutz vor uns auftürmen, welcher Berg an Vorarbeiten vor uns liegt. ({26}) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ihnen, Herr Clemens, und den anderen Herren von der CDU/CSU würde ich ab und an empfehlen, mal zuzuhören und nicht dauernd durch lärmende Zwischenrufe dem Haus die Möglichkeit zu nehmen, meinen Ausführungen zu lauschen. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäfer, um Ihre letzte Bemerkung aufzugreifen, angesichts dieses Berges von Schwierigkeiten wird noch manche Bergpredigt nötig sein, wobei allerdings die Zuhörerschaft bei der6848 selben größer war, als wir sie hier heute unter uns haben. Herr Clemens, ich bedanke mich für die Bemerkung zur Einigungsfähigkeit. Ich kann nur ergänzen, je weiter Sie sich liberalen Positionen nähern, um so leichter wird die Einigung jeweils sein. Ich sehe dem mit großer Freude entgegen. Meine Damen und Herren, alle Fraktionen des Hauses sind sich ja darüber einig, daß das Personalausweisgesetz in der gegenwärtigen Form am 1. November nicht in Kraft treten kann. Darin besteht völlige Übereinkunft. Alles andere ist streitig. Und wir werden sehen, nicht nur aus Ihrer Rede, Herr Kollege Fischer, die gleich kommen wird, sondern auch aus mancher öffentlichen Diskussion, daß es ungewöhnlich einfach ist, zu diesem Thema der Maschinenlesbarkeit des Ausweises Emotionen zu erwecken, also dem Bürger den Eindruck zu geben, er verschwände mit diesem Ausweis auf Nimmerwiedersehen in einer Datenverarbeitung, seine Daten würden jedem Zugriff geöffnet und was man dergleichen mehr hören wird. Ich habe gestern von seriöser Seite die Meinung gehört, der Bürger könne nach diesem Gesetz in einer polizeilichen Fahndungsdatei nur deswegen landen, weil er zufällig in eine polizeiliche Kontrolle gerate. Der Verbleib seiner maschinengelesenen Daten bleibe unklar, und es werde eine parallele Einwohnermeldedatei aufgebaut. Das ist alles falsch. Man muß es nur nachlesen. Das ist alles falsch, das exakte Gegenteil ist richtig. Wir haben in diesem Vorschlag im Zusammenhang mit dem Personalausweis, und zwar exakt entlang der Vorgabe des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts, die Datenverarbeitung in einer Exaktheit geregelt, wie das in keinem anderen sicherheitsrelevanten Bereich bisher der Fall ist. Wir haben alle Grundsätze, die das Urteil zum Schutz der Privatheit aufgestellt hat, nach unserer Überzeugung strikt berücksichtigt. Nun haben Sie, Herr Schäfer, etwas über die Bedeutung des Ausweises zur allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung gesagt. Zunächst einmal ist, glaube ich, unstreitig: wenn man von dem Bürger verlangt, daß er einen Personalausweis hat, dann muß man auch dafür sein, daß der Ausweis möglichst fälschungssicher ist. Darüber kann man sich wohl kaum streiten. Ich wäre dankbar gewesen, wenn Sie in Ihrer Rede etwas darüber gesagt hätten, ob Sie mit dem System des Personalausweises im übrigen, vorbehaltlich der Lesezone, einig sind. Darüber haben Sie leider nichts bemerkt. Man kann bei den 500 000 verlorengegangenen Ausweisen - zur Zeit sind über 500 000 Ausweise als verloren und abhanden gekommen gemeldet - zweifeln, wo sie hingeraten sind. Aber man kann bei den 12 000 gestohlenen Blankoformularen für die Personalausweise sicherlich davon ausgehen, daß sie entweder im kriminellen Bereich verwendet werden oder jedenfalls verwendet werden sollen. Ich stimme Ihnen zu, daß man nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit beantworten kann, ob über die bekanntgewordenen 3 000 Betrugsfälle hinaus weitere Straftaten mit gefälschten Ausweisen begangen werden. Das Geheimnis der Kriminalstatistik ist ja, wie Sie wissen, daß man nur die bekanntgewordenen Straftaten erfassen kann, nicht aber diejenigen, die erfolgreich begangen werden, nämlich ohne daß der Täter mit der Art seiner Tätigkeit aufkippt. Das ist dabei doch das Problem. Man kann also über den Umfang des Sicherheitsgewinns streiten. Man kann, glaube ich, aber schwer bestreiten, daß die Fälschungssicherheit einen Gewinn in der Kriminalitätsbekämpfung bedeutet. ({0}) Nun kommt das zweite. Wir haben damals einstimmig beschlossen, daß die Datenschutzvorkehrungen im Sicherheitsbereich nachdrücklich fortgesetzt werden müssen. Das Volkszählungsurteil - da stimme ich Ihnen zu - hat diese Aufforderung noch dringender und notwendiger gemacht. Es sagt nicht, daß man in diesem Bereich nichts tun sollte, sondern es sagt nur: Ihr müßt im Sicherheitsbereich - und wir sagen: auch bei der Einführung eines neuen Personalausweises - alles tun, was sich aus dem Volkszählungsurteil ergibt, um einen Mißbrauch zu vermeiden. Das Urteil steht nicht der Maschinenlesbarkeit entgegen, sondern sagt nur: Wenn ihr sie haben wollt, muß Mißbrauch ausgeschlossen sein. ({1}) - Natürlich! Ich komme darauf, Herr Kollege. Keine Sorge! Nun kommen Sie mit einem Argument, das man in der Öffentlichkeit immer wieder hört und das mich eigentlich verwundert. Sie sagen nämlich: Da die Grenzkontrollen weggefallen sind, gibt es keinen Anlaß mehr für die Maschinenlesbarkeit. Daraus ergibt sich die Frage an Sie: Wenn es Grenzkontrollen gibt, würden Sie denn dann die Maschinenlesbarkeit akzeptieren? ({2}) - Auch nicht. Also lassen wir das Argument weg, weil es unschlüssig ist. Sie müßten ja dann dem Umkehrschluß folgen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir nehmen hier natürlich keine Ausschußberatung vorweg. Herr Kollege Hirsch, das Hauptargument der Befürworter des maschinell lesbaren Ausweises war die Möglichkeit intensiverer Grenzkontrollen. Stimmen Sie mir zu, daß mit dem Wegfall des Hauptarguments die Befürworter neue Argumente nachschieben, weil das Hauptargument weggefallen ist?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Es hat immer mehrere Argumente für die Maschinenlesbarkeit gegeben. Herr Kollege Schäfer, das wissen Sie. Das eine ist das Argument der Erleichterung der Kontrollen. In diesem Zusammenhang wird immer die Grenze geDr. Hirsch nannt. Sie wissen genauso gut, daß es nach den Polizeirechten der Länder auch Kontrollstellen im Inland geben kann. Sie wissen, daß es viele Fälle gibt, in denen nach wie vor kontrolliert wird. Denken Sie an die Flughäfen! Sie wissen genau, daß die Maschinenlesbarkeit überhaupt nicht das Kernproblem des Unternehmens ist. Es ist doch nicht entscheidend, ob dort ein Beamter sitzt, den Ausweis aufblättert und das, was er liest, manuell in das Datenverarbeitungssystem eingibt, oder ob der Beamte die Daten maschinell in das Datensystem eingibt, sondern das Entscheidende ist, was mit den Daten hinter der Maschine geschieht. ({0}) Die Frage, was im Datenverarbeitungssystem selber geschieht, ist doch unabhängig davon, mit welcher Technik die Daten in das System hineinkommen und welche Daten es sind. Da muß man einmal die technische Entwicklung zur Kenntnis nehmen. Jeder Postbeamte weiß, daß die Briefe maschinengelesen nach der Postleitzahl geordnet werden. Jeder Bankbeamte weiß, daß die Nummer unten auf dem Scheck - diese schön verschnörkelten Ziffern - maschinell gelesen werden. Es ist also kein Problem, eine Datenverarbeitungsanlage zu bauen, die normale, mit der Schreibmaschine geschriebene Schrift, also auch Ihren jetzigen Ausweis, lesen kann. Er ist maschinenlesbar. Die Frage ist - ich wiederhole es -: Was geschieht mit den Daten hinter der Maschine? Dies haben wir nun mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zum erstenmal geregelt. Es ist für den Bürger wichtig zu wissen, was mit den Daten geschieht, wo sie in den Fahndungsbestand eingegeben werden, ob sie dort bleiben, welche Daten es sind und ob sie in einen Fahndungsbestand allein deswegen hineinkommen können, weil er in irgendeine Kontrolle gerät. Das Gesetz enthält ein paar eindeutige Grundregeln, die man einfach zur Kenntnis nehmen muß, weil ohne sie die Maschinenlesbarkeit in der Tat nicht akzeptiert werden könnte. Erstens. Der Ausweis enthält keine verschlüsselten oder sonst irgendwie verborgenen Angaben. Zweitens. Die Maschinenlesbarkeit bezieht sich nur auf den Namen, den Geburtstag und die Ausweisnummer, die Gültigkeitsdauer des Ausweises. Drittens. Ganz im Gegensatz zum kommunalen Melderegister, wo eine Fülle von Daten sind, hat die Personalausweisbehörde nur die Angaben, die sie braucht, um zu bestätigen, daß der Ausweis echt ist und für wen er ausgestellt wurde. Die Behörde gibt keine Angaben an Private, und sie antwortet anderen Behörden nur, wenn das durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgesehen ist. Ich muß Sie daran erinnern, Herr Schäfer, daß beim Melderechtsrahmengesetz mit Ihrer Zustimmung für eine viel größere Zahl persönlichster Daten einschließlich der Steuerdaten ein solcher Gesetzesvorbehalt nicht gemacht worden ist, auch nicht in Ansehung von MAD und BND. Hier wird zum erstenmal der Gesetzes- oder Rechtsverordnungsvorbehalt gemacht, und es wird vorgesehen, daß die Registerbehörde die Daten löschen muß, wenn der Ausweis ungültig geworden ist. Vierter Punkt: Die Seriennummer kann kein Personenkennzeichen werden. Sie darf nicht im kommunalen Melderegister gespeichert werden, was heute der Fall ist. ({1}) - Auch dieser Einwand ist falsch, ({2}) weil die Seriennummer keinen Hinweis auf die Person enthält, also nur zusammen mit dem Ausweis auskunftsfähig ist - sie steht nur im Ausweisregister, und sie darf nicht im Melderegister gespeichert werden. Wenn Sie Wert darauf legen, können wir das auch ausdehnen, kein Problem. Fünftens. Von der Maschinenlesbarkeit dürfen nur die Polizei und der Zoll zu Zwecken der Grenzkontrolle, Strafverfolgung, Strafvollstreckung und Gefahrenabwehr Gebrauch machen. Und die Maschinenlesbarkeit darf nur für den polizeilichen Fahndungsbestand, nicht für andere Dateien genutzt werden. Sechstens. Die Abrufe bei Kontrollen dürfen nicht gespeichert werden, sondern nur bei bestimmten Delikten der Schwerkriminalität, wenn ein Richter das ausdrücklich angeordnet hat. Und sie müssen nach sechs Monaten gelöscht werden. Die Einrichtung von Bewegungsbildern mit Hilfe des Ausweises ist damit unmöglich. Siebentens. Im privaten Bereich dürfen weder die Seriennummer noch die Maschinenlesbarkeit genutzt werden. Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung machen. Das Volkszählungsurteil führt in der Tat zur Notwendigkeit - da stimme ich mit Ihnen völlig überein -, im Sicherheitsbereich neue gesetzliche Regeln zu schaffen, die die Zweckbestimmung von Datensammlungen und die Weitergabe von Daten berühren. Und zu diesen gesetzlichen Regelungen gehören die Zusammenarbeit zwischen Bundesgrenzschutz und Sicherheitsdiensten, ein MAD-Gesetz, eine Neuregelung des Verfassungsschutzgesetzes und des Bundeskriminalamtsgesetzes im Zusammenhang mit Informationsgewinnung und -verarbeitung mittels Datenverarbeitung. Die Koalition ist sich darüber einig - und ich hoffe, Sie stimmen dem zu -, daß der maschinenlesbare Personalausweis erst dann eingeführt werden soll, wenn wir uns über die gesetzlichen Neuregelungen dieser Sicherheitsbereiche verständigt und soweit wie möglich entsprechende Gesetzent6850 würfe in erster Lesung behandelt oder sie verabschiedet haben. ({3}) - Natürlich, Herr Wernitz. Unterstellt einmal - auch das muß man bei dem Zeitplan sagen -, wir würden unseren ehrgeizigen Zeitplan einhalten, und man könnte mit der Ausgabe der neuen Ausweise zum 1. Januar 1986 beginnen, dann wissen auch Sie, daß sich die Einführung dieser Ausweise über Jahre hinziehen würde, nämlich immer nur dann vorgenommen würde, wenn der bisherige Ausweis ausliefe. Das ist also ein Prozeß, der sich allmählich vollziehen würde. Und ich bin der Überzeugung, daß bis dahin - und das ist auch notwendig - diese sicherheitsrelevanten Regelungen getroffen werden. Ich fordere Sie und alle Kritiker, die wir haben, auf, uns an Hand des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfes realistische Mißbrauchsmöglichkeiten aufzuzeigen, die wir nicht erfaßt haben - die möchte ich einmal hören -, nicht irgendwelche Erfindungen, sondern realistische Möglichkeiten. ({4}) Ich erwarte, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, die Sachverständigen, die Polizei natürlich, die interessierte Öffentlichkeit sich ausführlich mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen werden. Wir werden den Rat dieser Öffentlichkeit mit großem Interesse hören, ihn sorgsam verfolgen und ihn auch beachten. Unsere Bitte geht nur dahin, die Kritik und die Beurteilung erst dann vorzunehmen, wenn Sie Gelegenheit hatten, den Gesetzentwurf wirklich zu prüfen, nicht einfach nur daherzureden, sondern den Entwurf wirklich zu prüfen. Wir beginnen damit in der Tat eine außerordentlich mühsame Arbeit, nämlich nach den strikten Vorgaben des Volkszählungsurteils den Datenschutz im Sicherheitsbereich zu regeln und sowohl den Schutz der Privatsphäre des Bürgers als auch seinen Schutz vor Kriminalität zu verbessern. Nun werden wir sehen, wer und wie zu diesen beiden Zielen seinen Beitrag leistet. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}). ({1})

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein weiteres Mal flattert dem Hohen Hause im Schnellgangverfahren ein Gesetzgebungswerk der Regierungskoalition zu, von welchem man bis Dienstag dieser Woche zumindest als Angehöriger der Opposition noch gar nicht wußte, daß es in dieser Sitzungswoche behandelt werden soll. Allerdings machte mich die Tatsache stutzig, daß man uns für zwei schlichte Änderungsgesetze bezüglich des Inkrafttretens des neuen Personalausweisgesetzes eine ganze Viertelstunde Debattenzeit gewährt; ansonsten ist man da wesentlich knausriger. ({0}) Nun also zaubert die Koalition nicht das berühmte Karnickel aus dem Hut, sondern man förderte die Dame Mustermann nebst fälschungssicherem und maschinenlesbarem Personalausweis zutage. Der jetzt vorliegende Entwurf enthält keine wesentlichen Änderungen, Herr Kollege Hirsch, oder gar Neuerungen. Auch daß die FDP trotz starker Worte und rhetorischem Muskelspiel sich ({1}) letztendlich vor dem Bayern Strauß knieweich beugt - Umfall heißt ja das Markenzeichen dieses Liberalismus - ist nicht sonderlich neu. Strauß nebst CSU haben sich am vergangenen Wochenende ja bitterlich über die Liberalen beschwert und wutschnaubend Remedur verlangt. ({2}) Unseren starken Friedrich lassen wir uns nicht länger von windigen Liberalen demontieren, so dröhnte es, Kollege Bötsch, unisono aus bayerischen Landen, und Strauß dementierte dabei so anhaltend und nachhaltig jeden Gedanken an eine Große Koalition, daß es offensichtlich unseren Liberalen dabei bänglich und schwach in den Knien wurde. ({3}) Allein dies mag den Umfall erklären, die unziemliche Hektik und Eile ({4}) bei der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfes erklären sich daraus keineswegs, vor allem dann nicht, wenn man die angekündigte üppige Rahmengesetzgebung bedenkt, die gesetzliche Regelung von MAD, BND, Verfassungsschutz ({5}) und der gesamten Amtshilfeproblematik zwischen Polizei und Geheimdiensten, welche es vor Inkrafttreten dieses Gesetzes hier abzuwickeln gilt. Die soll ja angeblich Bestandteil des Koalitionskompromisses über den Personalausweis sein. Weshalb also die Eile? Offensichtlich besteht da ein Handlungsbedarf, ein tiefes Bedürfnis nach einer Demonstration von Handlungsfähigkeit dieser politisch daherwatschelnden Koalition der Mitte. Der gouvermentale Murks der Regierung Kohl, die korrumptiven Ausdünstungen jener 25 Millionen, ({6}) welcher ein namhafter Düsseldorfer Großkonzern in Bonn selbstlos unter namhafte Politiker verstreut hat, und jene eigentümliche Dreierbeziehung um einen Sozialfall herum, welche in den letzten Wochen ruchbar wurde, haben gewaltige Turbulenzen geschaffen. Da wackelt offensichtlich nicht nur Fischer ({7}) der Kahn der Koalition, sondern der Kanzler selbst, und also mußte gehandelt werden, mußte man dem Volke zeigen, daß alles paletti ist, und so plagt uns hier und heute der neue Personalausweis. ({8}) Konnte man anläßlich der Debatte um den neuen Personalausweis am 20. September - vor vier Wochen - dieses Jahres noch den Worten des Kollegen Hirsch entnehmen, daß die FDP wenigstens die Maschinenlesbarkeit der Mustermann-Karte nicht zulassen würde, so sieht man sich heute eines Besseren belehrt. ({9}) Alles bleibt beim alten; da mag das Verfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil entscheiden, wie es will, und da mögen die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern noch so nachhaltig auf die Gefährlichkeit des ganzen Unternehmens verweisen. ({10}) Das beeindruckt weiter nicht. Für das Festhalten an der Maschinenlesbarkeit ließen sich unsere wackeren liberalen Streiter ein besonders kluges Argument - zumindest konnte man das der Presse entnehmen; Herr Hirsch hat es soeben wieder vorgetragen - einfallen: Die FDP -so liest man - hat ihre Bedenken gegen die Maschinenlesbarkeit vor allem deshalb zurückgestellt, weil in Kürze Geräte, die Klarschrift lesen können und kaum teurer sein werden, auf den Markt kommen. ({11}) - Wenn es sie sogar schon gibt, noch besser. Nur, wenn das Klarschriftlesen zu wohlfeilen Preisen der Polizei demnächst eh beschert wird, dann frage ich mich: Weshalb läßt man dann diesen gefährlichen Schritt hin zur Maschinenlesbarkeit nicht einfach sein? Mir erscheint das dann schlichtweg überflüssig. Entweder ist das demnächst technisch überholt und man kann es lassen, oder - und dies halte ich für wahrscheinlicher - man will uns hier intellektuell auf Kanzler-Niveau bringen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Hirsch, also eine Minute.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Fischer, kann ich Ihren Bemerkungen entnehmen, daß Sie auf die Datenschutzvorkehrungen, die wir in diesem Gesetz mit der Maschinenlesbarkeit verbinden, verzichten wollen?

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, darauf will ich nicht verzichten, und darauf komme ich auch gleich zu sprechen. Etwas Geduld, die Rede dauert an. ({0}) - Nein, ich habe auch diese Zeile nicht verloren. Ein weiteres gewichtiges Argument der Befürworter des fälschungssicheren, maschinenlesbaren Personalausweises ist der erhoffte und nachhaltig unterstellte Sicherheitsgewinn. Dessen Notwendigkeit malt man nach bekannter Manier in düsteren bis blutigen Farben: 12 700 Fahndungen nach gestohlenen Blankopersonalausweisen, 500 000 Personalausweise gestohlen, verloren oder abhanden gekommen - so der Gesetzentwurf. Wem die Phantasie bei diesen Zahlen noch nicht durchgeht, er möge sich folgendes in Erinnerung rufen: „Schafft euch euer eigenes Paßamt", so zitierte der Kollege Miltner - hier sitzt er - in der Personalausweisdebatte vor vier Wochen keinen geringeren als Andreas Baader - wahrhaft ein Kronzeuge. Na, Herr Kollege Miltner, wenn das nichts ist! Zwar behaupten kluge Leute vom Fach, etwa der oberste Verfassungsschützer von Hamburg, Christian Lochte, daß es sich bei der Fälschungssicherheit um eine nicht einlösbare Fiktion handelt. Aber bitte: Nachdem man bereits 120 Millionen DM für die MustermannKarte verpulvert hat und zudem Terroristen und Schwerkriminellen zeigen will, was eine staatliche Harke ist, muß der neue Ausweis trotz schwerster datenschutzrechtlicher Bedenken eben her. Ich freue mich schon heute auf die langen Gesichter der Herren Zimmermann und Miltner, wenn einmal die ersten gefälschten „fälschungssicheren" Personalausweise auftauchen. ({1}) Überhaupt die Sicherheitslage: Sie ist in der Tat so dramatisch, daß der Präsident des BKA, Boge - und dies ist weiß Gott ein über alle Schwächlichkeit erhabener Herr -, öffentlich erklärte, der neue Ausweis sei nach der Öffnung der Westgrenzen überflüssig. Er hat nichts gegen die Maschinenlesbarkeit, sondern er sagte nur: Das ist jetzt in seiner Funktion überflüssig geworden. Das verstehe nun einer, Herr Hirsch: Der Kanzler beseitigt in staatsmännischer Sektlaune ({2}) gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten die beiderseitigen Grenzkontrollen - eine wahrhaft mutige, spontane Tat -, sein oberster Polizist erklärt daraufhin unter vernehmlichem Zähneknirschen den neuen Ausweis für überflüssig, für funktionslos, während sein Innenminister just in diesem Augenblick mit seinem Gesetzentwurf antrabt, um die Sicherheitslage mit einem unnötigen Fischer ({3}) Ausweis zu stabilisieren. Aber wahrscheinlich muß man der Regierung Kohl oder zumindest der Koalition angehören ({4}) - Herr Kittelmann, Gott sei Dank, das ehrt mich -, ({5}) um den tieferen Sinn dieser Regierungskunst zu verstehen. Wie gesagt, der vorliegende Entwurf läßt alles beim alten: Seriennummer, Lesezone und Personalausweisregister bleiben unverändert erhalten und behalten die Möglichkeit der Funktion eines aufeinander abgestimmten und verbundenen Systems von Personenkennzeichen-Substituten. Der Bürger wird auch in Zukunft nicht genau wissen, wer was wann mit seinen Daten macht, und dies ist eine zentrale Forderung aus dem Volkszählungsurteil des BVG. Bewegungsbilder dürfen bei schweren Straftaten erstellt werden, d. h. bei vorliegendem Verdacht. Man denke einmal an die Zeit der SchleyerEntführung zurück - das kommt ja hier im Hause, vor allen Dingen auf der Regierungsbank, wieder in Mode - und frage sich, wer da nicht alles verdächtig war. Einen solchen Gruppenverdacht, Herr Kollege Hirsch, sieht das Gesetz ausdrücklich vor. Zwar soll es dazu in Zukunft einer richterlichen Genehmigung bedürfen, die Anordnung soll räumlich eingegrenzt und maximal sechs Monate aufrechterhalten werden, und es sind eine Protokollierungspflicht und ein Löschungstermin vorgesehen. Aber dies alles ändert an der Tatsache nichts, daß die bestehenden Praktiken der Rasterfahndung und des Gruppenverdachts lediglich gesetzlich festgeschrieben werden und das Schattenreich polizeilicher Überwachung gesetzlich sanktioniert wird. ({6}) Besonderes Interesse verdient beim vorliegenden Gesetzentwurf der § 3 a. Behörden, so steht da, und sonstige öffentliche Stellen dürfen den Personalausweis nicht zum automatischen Abruf personenbezogener Daten verwenden. Ein wahrhaft revolutionärer Satz, wenn es so wäre. Aber gleich danach hagelt es die entscheidenden Ausnahmen. Polizei und Zoll dürfen eben dies zum Zwecke der Grenzkontrolle, der Fahndung oder Aufenthaltsfeststellung, der Strafverfolgung, Strafvollstreckung, Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit. Im Klartext: Es wird sich nichts am faktischen Zustand ändern. Und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird dabei weggebügelt. Im Absatz 2 dieses Paragraphen kommt es noch toller. Denn da wird die Speicherung dieser personenbezogenen Daten, die man beim automatischen Lesen gewonnen hat, in Dateien verboten, es sei denn, es dient zur Aufklärung einer schwer kriminellen Straftat. Und was kann da eigentlich nicht dazu dienen? Was kann da eigentlich nicht dazu dienen? Der Gesetzentwurf wimmelt nur so von allgemeinen Ermächtigungsklauseln für die Sicherheitsbehörden. In den entscheidenden datenschutzrelevanten Bereichen gelten allein die Imperative des polizeilichen Überwachungsstaats und gilt keineswegs die informationelle Selbstbestimmung. ({7}) Völlig unklar ist zudem, was die Geheimdienste mit der neuen Wunderkarte treiben dürfen. Darüber steht kein Wort im vorliegenden Entwurf. ({8}) - Das würde ich gern zu Protokoll gegeben wissen, daß sie damit „nichts" dürfen. Herr Hirsch, ich bedanke mich. Eine erste Durchsicht dieses überwachungsstaatlichen Machwerks - mehr war bei diesem Verfahren ja nicht drin ({9}) bestätigt unsere Befürchtungen und unser Mißtrauen. Mit diesem Gesetz kommt die Bundesrepublik dem Erfassungs- und Überwachungsstaat einen entscheidenden und fatalen Schritt näher. ({10}) Wir lehnen daher den maschinenlesbaren und fälschungssicheren Personalausweis entschieden ab, nicht nur, weil er unnötig ist, weil er nicht mehr Sicherheit und individuelle Freiheit garantiert, sondern vor allem, weil er für die Freiheit des einzelnen selbst ein eminentes Sicherheitsrisiko darstellt. ({11}) Der neue Ausweis ist überflüssig, ist teuer; und vor allem: er ist gefährlich. In der gegenwärtigen - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - versumpften Bonner Situation ({12}) gewinnt das Adjektiv „neu" einen ganz neuen Klang und Gehalt. ({13}) Einen neuen Innenminister: das kann man sieh vorstellen. Ein neuer Herr im Stuhl kommt auf uns zu. Auch einen neuen Kanzler könnte man sich vorstellen. Eine neue Regierung scheint immer nötiger zu werden. Und eine neue Politik drängt sich auf. ({14}) All dies drängt sich mit jedem weiteren Tag mit Flick und seinen Schäflein immer mehr auf. ({15}) Fischer ({16}) - Es rotieren, Herr Kittelmann, doch ganz andere Herren weit vor uns. ({17}) Lassen Sie uns die Rotationsfrage in aller Ruhe gern diskutieren. Ich nehme an, morgen steht das spätestens an. Der neue Personalausweis hingegen ist so ziemlich das Letzte, was einem dabei in den Sinn kommt. Und er ist, so die Meinung der GRÜNEN, auch wirklich das Letzte, woran es dieser Demokratie und dieser Republik gebricht. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger. Spranger, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer hat zwei Argumente vorgetragen, mit denen er meint die geänderte Haltung seiner Fraktion zu diesem Thema „Fälschungssicherer und maschinenlesbarer Personalausweis" begründen zu können. Das erste Argument war, außer der Bundesregierung befürworte keine Institution diesen Ausweis in dieser Form. Das ist unzutreffend. Die Länder Großbritannien und Belgien arbeiten an solchen Ausweisen; die USA haben den fälschungssicheren Reisepaß ebenso eingeführt, wie ihn die Internationale Luftfahrtorganisation empfohlen hat; auch die Ministerkonferenz des Europarats hat ihn empfohlen. Im übrigen: Es geht hier ja nicht darum, ob man sagt, auch andere machen etwas Richtiges; sondern die Frage ist, ob wir mit dem Projekt etwas Richtiges tun. Und das war ja zweifelsohne die Auffassung Ihrer Fraktion noch im Dezember 1982. ({0}) Das zweite Argument, das Bundesverfassungsgericht würde diesen Ausweis verbieten oder es praktisch ausschließen, daß er beraten wird, ist auch falsch. Das Verfassungsgerichtsurteil macht Auflagen, und diesen Auflagen im Bereich des Datenschutzes wird nach dem Vorschlag der Koalitionsparteien in einer optimalen Form entsprochen. Um dieses Urteil sorgfältig auszuwerten, kam es zu Verschiebungen auch des Termins des Inkrafttretens, so daß, Herr Schäfer, alle Argumente letztendlich nicht vermögen, Ihre geänderte Haltung logisch zu begründen, es sei denn: Wir sind jetzt in der Opposition und haben nicht mehr die Verpflichtungen fortzutragen, was wir noch im Dezember 1982 als notwendig anerkannt haben. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich habe bei Ihnen nicht dazwischengefragt, und auch ich möchte im Kontext sprechen. Sie haben eine Reihe von Argumenten, und sonst wird es auch zu lang. ({0}) Ich möchte zu Ihren Behauptungen, dieser neue Ausweis würde nichts bringen, darlegen, daß neben dem Widerspruch zu früheren Auffassungen die meisten anderen Länder der Auffassung sind, daß es was bringt. Es ist im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus unbestritten, daß dieser Personenkreis mit gefälschten Ausweisen arbeitet. Im Juli sind bei den Festnahmen in Frankfurt zahlreiche gefälschte Pässe gefunden worden, in gleichem Maße auch bei den Depots, die entdeckt wurden, so daß die Notwendigkeit zu bejahen ist. Im übrigen ist Herr Boge aus dem Zusammenhang gerissen zitiert worden. Wenn man nachliest, was er wirklich gesagt hat, erkennt man, daß auch das Bundeskriminalamt nach wie vor der Auffassung ist, daß dieser Ausweis richtig und notwendig ist. Wir beabsichtigen auch keineswegs, durch verstärkte Inlandskontrollen Erleichterungen im Grenzverkehr auszugleichen. Ich weiß nicht, wer diese Behauptungen aufgestellt hat; im übrigen ist der Bund dafür gar nicht zuständig. Zum Schluß komme ich zu der Behauptung, die Befürworter hätten gesagt, ein solcher Ausweis würde zu intensiveren Grenzkontrollen führen. Das haben immer diejenigen gesagt, die gegen den Ausweis waren. Wir haben immer gesagt: Ein solcher Ausweis führt zu einfacheren Kontrollen, führt zum Ausschluß von Fehlentscheidungen, von Fehlidentifizierungen, so daß hier für den Bürger also Vorteile entstehen. Zu der Aggressions- und Märchenstunde von Herrn Fischer fällt mir im Grunde wenig ein, außer der Feststellung, daß, wie in dieser Fraktion üblich, in der Sache nichts geboten wird, daß nicht einmal Ansatzpunkte einer kritischen Auseinandersetzung möglich sind, weil es wirklich an Argumenten fehlt. ({1}) Wenn ich daran denke, was in den „Bonner Perspektiven" dargelegt wurde, wie die GRÜNEN mit ihren Finanzen umgehen, um ökonomische Nischen zu finanzieren, dann sollten sie besser mal Nachhilfestunden in Sachkunde für die parlamentarische Arbeit nehmen. ({2}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung unterstützt den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Denken Sie mal darüber nach! Vielleicht ist das möglich, Herr Fischer. ({3}) Der Zeitpunkt für die Einführung eines neuen, fälschungssicheren, automatisch lesbaren Personalausweises soll nun zum 1. November 1984 aufgehoben werden. Es sprechen ökonomisch-verwaltungsmäßige Gründe dafür, nun in einem Gesetz die Termine für das Inkrafttreten der Vierten Novelle zum Personalausweisgesetz und der Ausweismusterverordnung aufzuheben. Ich bedauere diese erneute Verschiebung des Einführungstermins, den - darauf ist ja schon wiederholt hingewiesen worden - der Bundestag noch am 15. Dezember 1982 einstimmig beschlossen hat. Es ist aber auch einmütige Auffassung, daß diese Maßnahme unvermeidbar geworden ist, nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegt und Bund und Länder gemeinsam zu dem Ergebnis gelangt sind, daß danach datenschutzrechtliche Ergänzungen notwendig sind. Diese Ergänzungen können bis zum 1. November 1984 nicht mehr durchgeführt werden. Ich möchte dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages für die zügige Beratung der vorliegenden Gesetzentwürfe danken. Diese zügigen Beratungen haben es ermöglicht, das Suspendierungsgesetz noch rechtzeitig zu beschließen. Morgen kann der Bundesrat dem Gesetz zustimmen, mit der Folge, daß ein Inkrafttreten vor dem 1. November 1984 gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat in den Debatten der vergangenen Wochen und Monate wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie die Einführung dieses neuen Personalausweises in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrheit der Länder zur effektiveren Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus weiterhin für zwingend erforderlich hält. An dieser Meinung hat sich nichts geändert. Dadurch, daß der neue Ausweis automatisch gelesen werden kann, werden die gesetzlich vorgesehenen Kontrollen des Grenzübertrittpapiers des einzelnen Reisenden erleichtert und Eingabefehler ausgeschlossen. Die Lesezone auf dem neuen Personalausweis ist daher auch angesichts der jetzt eingeführten Erleichterungen im grenzüberschreitenden Personenverkehr von Vorteil, weil auf Stichproben und gelegentliche Schwerpunktkontrollen sowie auf die Kontrollen auf den Flughäfen nicht verzichtet werden kann. Die Bundesregierung begrüßt es dankbar, daß die Koalitionsfraktionen inzwischen den Entwurf einer Fünften Novelle zum Personalausweisgesetz eingebracht haben. Das Bundesinnenministerium war bei der Erarbeitung der Vorlage intensiv beratend beteiligt. Alle möglichen Auswirkungen des Karlsruher Urteils sind berücksichtigt worden. Das ist durch die Sprecher der Koalitionsfraktionen bereits ausführlich dargelegt worden. Der Gesetzentwurf ist nach meiner Auffassung geeignet, die mit der Ausgabe der neuen Ausweise für die innere Sicherheit verfolgten Ziele zu erreichen. Er wird zugleich den Anforderungen gerecht, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz ergeben. Ich hoffe, daß die erforderlichen parlamentarischen Beratungen so gefördert werden können, daß der neue fälschungssichere und automatisch lesbare Personalausweis im Interesse der Sicherheit unserer Bürger möglichst bald in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden kann. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Punkt 2 a der Tagesordnung, dem von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2010. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen und einer Gegenstimme ist das Gesetz in der dritten Lesung angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beschlußfassung über den Punkt 2 b der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/ 2133, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Schäfer ({0}), ... und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1115 für gegenstandslos zu erklären. Der Antragsteller dieses Antrags ist einverstanden, daß wir darüber sofort abstimmen, ohne das noch einmal zu beraten. - Herr Schäfer, habe ich Sie da richtig verstanden?

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Durch die soeben erfolgte Abstimmung ist dieser Antrag erledigt. Ich denke, wir brauchen gar nicht mehr abzustimmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Damit ist dieser Antrag gegenstandslos geworden. Wir brauchen nicht darüber abzustimmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Zusatzpunkt 1. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2177 zu überweisen an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß sowie an den Rechtsausschuß und den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. - Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten - Drucksache 10/2118 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Forschung und Technologie Vizepräsident Frau Renger Hierzu wird das Wort zur Begründung nicht gewünscht. - Auch das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2118 an den Innenausschuß - federführend - sowie zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch das so beschlossen; danke schön. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, Klein ({1}), Dr. Pinger, Höffkes, Dr. Unland, Dr. Marx, Dr. Abelein, Dr. Schwörer, Lattmann, Dr. von Wartenberg, Graf Huyn, Lenzer, Müller ({2}), Dr. Hüsch, Echternach, Clemens, Dr.-Ing. Kansy, Kraus, Dr. Köhler ({3}), Borchert, Pfeffermann, Landré, Frau Fischer, Biehle, Dr. Jobst, Dr. Bugl, Dr. Müller, Dr. Götz, Schulze ({4}), Weiß, Jagoda, Susset, Magin, Regenspurger, Lowack, Milz, Schreiber, Dr. Olderog, Feilcke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Haussmann, Beckmann, Grünbeck, Dr.-Ing. Laermann, Frau Seiler-Albring, Dr. Solms, Schäfer ({5}), Ertl, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Protektionismus - Drucksachen 10/1318, 10/1700 Hierzu liegt auf Drucksache 10/2183 ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat die Vereinbarung getroffen, für diese Aussprache zwei Stunden vorzusehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage von CDU/CSU und FDP, die hier zur Debatte steht, gibt mir die willkommene Gelegenheit, die Besorgnisse der Bundesregierung über protektionistische Handelspraktiken, die weltweit an Boden gewinnen, darzulegen. Die Bundesrepublik hat Protektionismus in allen Erscheinungsformen - als Handelslenkung, als „orderly marketing" oder in allen anderen, mehr subtilen Formen, die noch hinzugekommen sind - von Anbeginn abgelehnt. Seit Beginn der Wirtschaftspolitik, die die Bundesrepublik vertreten hat, gibt es eine Grundentscheidung, die nie bezweifelt wurde, für die Freiheit der Märkte von Gütern und Kapital und für ein multilaterales, offenes Welthandelssystem. Alle protektionistischen Anfechtungen, denen hier und da selbst Länder erlegen sind, die diese Grundsätze teilen, haben wir immer abzuwehren versucht, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Dieser Grundkonsens wird in der Bundesrepublik von allen großen Gruppen getragen. Ich darf hier erwähnen, daß nicht nur die Wirtschaft, die Unternehmen, sondern ebenso auch die Gewerkschaften in einem freien Welthandel eine wichtige Voraussetzung dafür erblicken, daß man eine sich entwickelnde Wirtschaft aufrechterhalten kann, die jedermann Vorteile bietet. Auch der Bürger hat als Verbraucher und in vielerlei anderer Hinsicht einen Wohlstands- und Freiheitsgewinn, und ich denke, daß deswegen das Verständnis für den Abbau von Handelsgrenzen und Handelshemmnissen in der Bundesrepublik besonders entwickelt ist. Wie kommt es nun, daß der Protektionismus außerhalb der Bundesrepublik im Wachsen begriffen ist, obwohl vom Prinzip her alle Regierungen, mindestens die in der OECD oder im GATT vertretenen Partner, auf Konferenzen wie auch auf den Weltwirtschaftsgipfeln keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, die Grundsätze erneut zu unterstreichen und sich zum freien Welthandel zu bekennen? Wir haben sogar manchmal konkrete Schritte zum Abbau von Protektionismus vereinbaren können, und so haben ohne jeden Zweifel solche Erklärungen und Konferenzen auch ihren Wert. Aber spätestens seit das Weltwirtschaftssystem in den 70er Jahren in zwei Krisen geriet - die beiden Ölpreisschocks und die Weltwährungskrise -, hat die damit zusammenhängende Rezession im Übergang zu den 80er Jahren in vielen Ländern die Tendenz erhöht, Zuflucht in protektionistischen Praktiken zu suchen, um sich vor der Einfuhrkonkurrenz zu schützen. Meine Damen und Herren, dies ist - daran kann überhaupt kein Zweifel sein - nicht nur gegen ein Prinzip und einen Grundsatz, nicht nur gegen ein Prinzip, das allgemeinen Wohlstand garantiert, gerichtet, sondern wer protektionistische Praktiken unterstützt, untergräbt in allererster Linie seine eigene Position. ({0}) Deswegen darf man nicht müde werden, immer wieder solche Dinge anzusprechen und auch in den praktischen Maßnahmen dafür zu sorgen, daß wir diese Tendenzen nicht überhand nehmen lassen. Natürlich war zunächst bei den jungen Staaten, bei den Entwicklungsländern die Tendenz sehr groß, sich zu schützen, weil sie sich einer übermächtigen Konkurrenz ausgesetzt fühlten, der sie auf keine andere Weise glaubten begegnen zu können. Inzwischen hat sich das aber umgedreht. Ich sage das gerade uns Industrieländern: Wir können von Entwicklungsländern schlechterdings nicht länger den Abbau protektionistischer Schutzmaßnahmen verlangen, wenn wir, die Starken, uns selbst gegen solche Länder abtrennen, schützen wollen durch eigenen Protektionismus. ({1}) Denn wir sind auch nicht auszuschließen aus dem Kreis derer, die große Erklärungen abgeben, sich aber in der Praxis immer wieder bemühen, eigene Industriebereiche oder den Agrarbereich in Gänze vor den Entwicklungen auf dem Weltmarkt zu schützen. Das ist nicht in Ordnung, und ich sage das hier frank und frei, weil ich glaube, daß es uns überhaupt nichts nützt und unserer Glaubwürdigkeit schon gar nicht, wenn wir immer so tun, als ob es nur die anderen seien. Auch wir sind es in manchen Fällen, und wir sollten erst einmal bei uns anfangen, solche Praktiken abzubauen. ({2}) Dadurch entsteht Konkurrenz. Natürlich gibt es in Entwicklungsländern ein Niedriglohnniveau, das in manchen Bereichen - ich denke an die Textilindustrie und andere Industriebereiche, Werften - zu einem Wettbewerbsvorteil von Entwicklungsländern geführt hat. Aber auch das muß man sich einmal vor Augen halten: Wo fangen diese Länder denn an? Es ist doch zu verstehen, daß sie, wenn sie auf einem sehr geringen Lohnniveau anfangen, wenigstens diesen vergleichsweisen Vorteil nutzen wollen, wenn sie viele andere Vorteile, die wir genießen, nicht haben. Wir haben eine wohlausgebildete Arbeitnehmerschaft, wir haben eine ausgebildete Infrastruktur, wir haben ein Bildungssystem, insgesamt, das innovative Kräfte weckt. Wir können alles das, was diese Länder nicht können. Deswegen sollte man sich nicht immer nur darüber beklagen, daß dieses Niedriglohnniveau nun eine Art angeborener Vorteil dieser Länder sei. Damit müssen wir leben. ({3}) Das können wir nicht einfach künstlich verändern. Natürlich habe ich großes Verständnis für die Bemühungen der Gewerkschaften, die sagen: Aber wir müssen etwas tun, daß sich Schutz von Arbeitnehmern auch in diesen Ländern zu entwickeln beginnt. Das ist richtig, und das müssen wir auch unterstützen. Ich wäre sehr froh, wenn der Internationale und vor allem auch der Europäische Gewerkschaftsbund hier ein bißchen mehr Solidarität zeigten und wenn manche Entwicklungsländer solche gewerkschaftlichen Tätigkeiten nicht behinderten. Auch das passiert nämlich, und auf diese Weise kriegen wir dann Verzerrungen, die in der Tat von der deutschen Industrie mit Recht beklagt werden. ({4}) Ich füge hinzu: Selbstverständlich muß sich der Wettbewerb in einer fairen Weise vollziehen. Wenn Entwicklungsländer - das sind meistens nur die Schwellenländer, die es gar nicht mehr nötig haben - z. B. im Bereich von Porzellan und Steingut - über das Problem habe ich mich erst neulich mit der Industrie in Bayern unterhalten - immer mehr dazu übergehen, Produkte, die wir produzieren, zu verfälschen, nachzuahmen, wenn sie sich über Ursprungszeugnisse einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschaffen, dann ist das auch nicht in Ordnung, dann kann man das auch nicht damit rechtfertigen, daß man sagt: Es sind halt zurückgebliebene Länder, und bei denen sind die Sitten noch nicht so. Nein, meine Damen und Herren, fairer Wettbewerb gehört dazu, und der muß für alle gelten, die sich an diesem Welthandel beteiligen. Wir müssen also konsequent bleiben, wir müssen logisch sein, wir müssen das, was wir vorschlagen, mit Nachdruck vertreten, und wir müssen bei dem, was wir selbst machen, uns in Einklang mit unseren Theorien befinden. Nun bestand schon 1983 in der OECD und auf dem Wirtschaftsgipfel Einigkeit, daß der weltwirtschaftliche Aufschwung genutzt werden muß, um Handelshemmnisse abzubauen. Die weltwirtschaftliche Situation hat sich auch seither verbessert. Die jüngsten Zahlen des IWF zeigen ganz deutlich, daß es begründete Hoffnung gibt, daß sich die Situation der Entwicklungsländer in den folgenden Jahren nicht verschlechtert, insbesondere dann nicht, wenn sich ihre Belastung durch den hohen Dollarkurs abbauen läßt. So wird das Welthandelsvolumen 1984 voraussichtlich um 8 bis 9 % zunehmen. Das sind nach 2 % im vergangenen Jahr und einem Rückgang von 2 1/2 % 1982 ganz beachtliche Zahlen. Damit haben wir 1984 die höchste Zuwachsrate des Welthandels seit 1976. Das muß man nun - das erkläre ich für die Bundesregierung - in allen bevorstehenden Verhandlungen - in der GATT-Runde, in der OECD und auf Weltwirtschaftsgipfeln - nutzen. Wenn wir nicht wenigstens eine Phase weltwirtschaftlichen Aufschwungs nutzen können, um protektionistische Maßnahmen abzubauen, wann sollen wir es denn überhaupt schaffen? ({5}) In allen Weltregionen wird das Sozialprodukt 1984 erstmals wieder zunehmen; am stärksten in den USA mit vielleicht 7 %, in Japan mit 5% und in der Europäischen Gemeinschaft mit 2 bis 21/2 %. Eine weniger defensive Handelsstrategie würde uns auch aus vielen Arbeitsmarktproblemen herausführen. Wir täten uns damit selber einen Gefallen. Es ist falsch anzunehmen, daß man durch die Öffnung seiner Märkte Arbeitslosigkeit verstärkt. Angesichts der zumindest zeitweisen Entspannung der Entschuldungssituation von Entwicklungsländern - ich habe schon darauf verwiesen - werden sie auch ihre eigenen Importe steigern können, so daß der Internationale Währungsfonds, der IWF, für dieses Jahr einen Anstieg der Einfuhren von Entwicklungsländern um 372% und für nächstes Jahr sogar um 5% erwartet. Das bedeutet, Entwicklungsländer werden mehr einführen. Wenn wir aber wollen, daß Entwicklungsländer mehr einführen, gleichzeitig aber ihre Schulden zurückzahlen, müssen wir ihnen auch unsere eigenen Märkte öffnen, weil das sonst keinen Sinn macht. ({6}) Diese steigende Exportfähigkeit und Importbereitschaft der Entwicklungsländer sind eine reale Chance, die Überschuldung vieler Länder der Dritten Welt, insbesondere in Lateinamerika, abzubauen. Ich will nicht mißverstanden werden: Natürlich brauchen wir eine dauerhafte Umschuldung. Es ist unverzichtbar, daß die Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer, die in besonderer Weise verschuldet sind, eigene Anstrengungen unternehmen. Hier wende ich mich vor allem an die Kollegen aus der Fraktion der GRÜNEN. Wenn der Internationale Währungsfonds solche eigenen Anstrengungen dort zu erzwingen sucht, wo die Länder dazu von sich aus nicht bereit sind, dann ist das kein neuer kolonialistischer Stil, der da praktiziert wird, sondern das ist der Versuch, für alle geltende Wirtschaftsprinzipien durchzusetzen. Wer sich daran hält, wird damit auf Dauer auch eine gesunde Wirtschaft aufbauen. Nur wer sich nicht daran hält, wird die Schwierigkeiten bekommen, mit denen heute viele dieser Länder zu kämpfen haben. ({7}) - Diese Kriterien werden definiert von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds. ({8}) - Herr Stratmann, lassen Sie mich das sagen: Sie können eine solche Definition im Grunde genommen schon deswegen nicht bestreiten, weil sie ja nicht von einem politischen Gremium vorgenommen wird. Jedenfalls können Sie nicht den Verdacht hegen, daß diese Definition einer Art Vorherrschaft dienen soll; ({9}) denn die Weltbank - dasselbe gilt vom Internationalen Währungsfonds - ist nicht an Vorherrschaft interessiert. Sie ist daran interessiert, daß wir überall auf der Welt Entwicklung haben. Wir haben uns darüber anläßlich der Tagung des Fonds unterhalten. Sie haben dazu auch schon Ihre Ausführungen machen können. Deswegen will ich für die Bundesregierung ganz klar sagen: Für uns sind Freihandel und Wachstum zwei Schlüsselwörter zum Erfolg. Gerade der von Ihnen kritisierte Internationale Währungsfonds hat ausgerechnet, daß 1 % mehr Wachstum in den Industrieländern die Exporte der Entwicklungsländer um 3 1/2 bis 4 Milliarden US-Dollar ansteigen läßt, wenn die Industrieländer ihre Märkte nur im bisherigen Ausmaß offenhalten. Das heißt, meine Damen und Herren von der Opposition: Wer Wachstum in den Industrieländern nicht will, der verringert und schmälert gerade auch die Chancen von Entwicklungsländern. ({10}) Was können wir jetzt konkret tun? Wir sollten uns dafür einsetzen - und wir tun das -, unsere Freunde in der Europäischen Gemeinschaft davon zu überzeugen, daß unsere eigenen Bemühungen, selbst wenn sie zunächst einmal einseitig sind, nicht ohne Erfolg bleiben werden. Deswegen tritt die Bundesregierung dafür ein, daß die erst für nächstes Jahr vorgesehene Zollsenkungsrunde vorgezogen wird. Ich bleibe auch dann dabei, wenn die Amerikaner diese vorgezogene Zollsenkungsrunde zunächst nicht wollen. Das führt bei einigen unserer Nachbarn wiederum dazu, daß sie ihrerseits sagen: Dann kann die EG das nicht akzeptieren. So kommen wir in einen Teufelskreis, aus dem man überhaupt nicht herauskommt. Ich habe neulich mit der italienischen Regierung die Möglichkeit erörtert, diese Runde wenigstens in der Form vorzuziehen, daß man die Zollpräferenzen für Entwicklungsländer in dem Umfang senkt, in dem das in dieser Runde vorgesehen war. Ich hoffe, daß wir auf diesem Weg auch Frankreich überzeugen können, daß das richtig ist. Wir halten auch fest am Arbeitsprogramm der GATT-Ministerkonferenz aus dem Jahre 1982. Da müssen wir schnelle Fortschritte erzielen. Das gilt insbesondere für den Abbau mengenmäßiger Beschränkungen, bei denen vor allem die Exportinteressen der Entwicklungsländer berücksichtigt werden sollten. Wenn wir die Arbeit an diesem Programm verschleppen, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit und verpassen damit auch die Chance für neue Verhandlungen im GATT. Diese neuen Verhandlungen im GATT wollen wir. Wir haben dabei folgende Schwerpunkte. Handelsverzerrende Subventionen müssen abgebaut wer- den. Das ist das neue Gebiet, in dem wir eigentlich den Ersatz der alten Zollbeschränkungen und Kontingentsbeschränkungen erleben. Es ist ja geradezu erstaunlich, mit welcher Fähigkeit der menschliche Geist immer wieder neue Hemmnisse seiner eigenen Entwicklung erfindet. Man muß sich wirklich wundern: Wir befinden uns alle hier in einem System, in dem man auf Vernunft setzt. Sonst würden wir uns ja auch nicht in einer solchen Diskussion miteinander auseinandersetzen. Wenn ich hier stehe, dann versuche ich, Sie zu überzeugen. Wenn Sie, Herr Stratmann, nachher hierherkommen, versuchen Sie, mich zu überzeugen. ({11}) Wir tun das beide unter der Voraussetzung, daß es theoretisch möglich ist. ({12}) - Ja, ich bin Optimist. Das gehört übrigens auch zur Vernunft, daß man Optimist ist. Trotzdem bringen wir es insgesamt auf der Welt immer wieder fertig, Lösungen durchzusetzen oder hinzunehmen, die dieser Vernunft überhaupt nicht entsprechen. Wir bauen Zölle und Kontingente ab; an deren Stelle erfinden wir dann Subventionen beim Export eigener Güter oder Behinderungen beim Import von Gütern aus anderen Ländern. Wir glauben dann, auf dem Weg des Fortschritts zu sein. Meine Damen und Herren, menschlicher Fortschritt verlangt ein wenig mehr Mut, seine Vernunft auch anzuwenden. ({13}) Ich glaube, daß Menschen vernünftig sind. Nur haben sie häufig nicht den Mut, ihre Vernunft anzu6858 wenden. Das ist das eigentlich menschliche Drama. ({14}) Ich hoffe, daß wir in allen Fraktionen diesen Mut haben. Ich möchte, was an mir liegt, dazu beitragen, daß wir diesen Mut aufbringen. Vielleicht darf ich das ganz generell zu den politischen Auseinandersetzungen dieser Tage sagen, meine Damen und Herren, selbst wenn ich damit vom Thema abweiche. Natürlich gibt es vieles zu kritisieren. Es ist gut, daß eine Regierung unter dem scharfen Auge der Opposition lebt. Aber, meine Damen und Herren - ich sage das an uns alle, gleichgültig, wo wir sind -: Wir alle tragen auch eine Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines demokratischen Systems, das diese Kritik möglich macht, das Besserungen möglich macht, das eine Kontrolle möglich macht. Bitte beachten Sie alle bei dem, was Sie in den nächsten Tagen sagen, tun und vorschlagen, daß wir alle in der Verantwortung stehen, dieses unser demokratisches System zu erhalten. Das ist eine Aufgabe, von der man manchmal das Gefühl hat, einige Leute haben sie aus dem Auge verloren und glauben, wenn man eine bestimmte Sache, einen bestimmten Menschen, irgend etwas Konkretes allein angreifen kann, dann bliebe das ohne Auswirkungen auf unsere gesamte geistige und politische Verfassung. Das ist nicht der Fall. Ich plädiere hier nicht im Sinne einer Verteidigung von einzelnen Leuten, Menschen, Problemen. Ich stehe hier als ein Mensch, der zutiefst davon überzeugt ist, daß wir alle eine Verantwortung für die Demokratie in unserem Land tragen. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Bitte sehr.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein Satz zuvor. Herr Bangemann, ich stimme Ihnen völlig zu, daß die Personalisierung der aktuellen Auseinandersetzung im 19. Stock des Langen Eugen an dem zugrunde liegenden Problem vorbeigeht. Würden Sie mir auch zustimmen, daß die Personalisierung auf Herrn von Brauchitsch und andere insofern falsch ist - ({0}) - Ich daf mich doch auf den Herrn Wirtschaftsminister beziehen.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ich habe Herrn Stratmann durch meine Bemerkungen dazu herausgefordert.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Stratmann hat das Wort.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mir auch zu, daß die Personalisierung auf Herrn Eberhard von Brauchitsch und andere insofern völlig in die Irre geht, als sie den Blick versperren kann auf die korrumpierende Wirkung der Wirtschaftsmacht auf die Politik überhaupt? ({0})

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Stratmann, wenn Sie sich ebenso wie ich gegen die Personalisierung wenden, bin ich schon sehr zufrieden, und wir werden dann beide dieses andere Problem durchaus gemeinsam anpacken können, weil ich in der Tat glaube - das habe ich j a in meinen Ausführungen gesagt -, daß wir vor einer Aufgabe stehen, die von uns allen viel Selbstverleugnung und Mut verlangt. Wenn wir daran interessiert sind, wir alle, nicht irgendwo jemanden in Schwierigkeiten zu bringen - das ist das Stichwort Personalisierung -, sondern wenn wir daran interessiert sind, das demokratische System auch in einer solchen kritischen Situation unbeschädigt zu lassen, dann verlangt das von uns manchmal Zurückhaltung. Ich sage das hier ganz offen, weil ich glaube, daß das uns allen nützen wird. ({0}) Es verlangt auch Mut zum Bekenntnis der eigenen Fehler. Ich glaube, daß man das manchmal zu wenig erwartet. ({1}) - Also ich bin nicht vollkommen; ich kann das hier uneingeschränkt zugeben. Frau Präsidentin, ich bitte um Verzeihung, daß ich die Tagesordnung verlassen habe. Ich kehre zu ihr zurück.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich kritisiere das nicht, weil Sie ein Bundesminister sind. Sonst würde ich das tun. ({0})

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Handel mit hochtechnologischen Gütern und mit Dienstleistungen wird auch ein Schwerpunkt der GATT-Verhandlungen sein. Denn wir haben die Dienstleistungen noch nicht in das GATT-System aufgenommen; das sollte man tun. Das ist keineswegs eine erschöpfende Aufzählung der Themen, sondern nur eine Setzung von Schwerpunkten. Wir sind sehr froh, daß das Interesse an dieser neuen GATT-Runde wächst, weil ich wirklich glaube, daß wir an einem Punkt sind, wo dieses System sich entweder in viele bilaterale Vereinbarungen aufsplittern wird. Oder wir müssen einen neuen Anlauf nehmen, um das multilaterale System zu erhalten. Ich sage hier mit Nachdruck, der multilaterale Charakter dieses Systems ist ein großer Vorteil. Deswegen begrüße ich auch ausdrücklich die positive Stellungnahme des BDI zu einer neuen GATT-Runde. In diesem Zusammenhang will ich auch das Welttextilabkommen erwähnen, das Mitte 1986 ausläuft. Wir werden keine bloße Veränderung dieses Abkommens erreichen können, wir werden aber wahrscheinlich in einer sehr intensiven Verhandlung, die ja die EG führen wird, vernünftige Regelungen bekommen, die uns in diese Freiheit hineinführen, die wir alle wollen. Der amerikanische Kongreß hat vor wenigen Tagen ein handelspolitisches Paket, den „Tariff and Trade Act 1982", verabschiedet. Wir haben mit Genugtuung festgestellt, daß nicht alle protektionistischen Blütenträume - für uns sind es eigentlich mehr Alpträume -, die der Kongreß und vor allem natürlich die amerikanische Wirtschaft hatten, im Kongreß Wirklichkeit geworden sind. Und ich begrüße ganz ausdrücklich - ich sage das hier -, daß die amerikanische Regierung sich mit Erfolg für die Entschärfung einiger protektionistischer Vorlagen eingesetzt hat, das in Zeiten von Wahlkampf. Das muß man auch mal mit einer gewissen Hochachtung vermerken. Ein Präsident, der sich in Zeiten des Wahlkampfes so für die Aufrechterhaltung des Welthandels einsetzt wie der jetzige amerikanische Präsident, hat unabhängig von der politischen Einschätzung, die unterschiedlich sein mag, unseren Respekt verdient. ({0}) Der „Export Administration Act", mit dem die nationalen Exportkontrollvorschriften verschärft werden sollten, ist nicht verabschiedet worden. Gott sei Dank gab es hier unterschiedliche Versionen von Senat und Repräsentantenhaus. Damit gilt zunächst das alte Gesetz weiter. Wir werden auch hier die weitere Entwicklung sehr sorgfältig verfolgen und gegebenenfalls unsere Vorstellungen zum Ausdruck bringen. Eines sei hier noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt - ich habe das schon verschiedentlich getan -: eine exterritoriale Anwendung von US- Recht werden wir nicht zulassen. Es ist nicht, meine Damen und Herren, mit Welthandel vereinbar, wenn eine, wenn auch sehr große Handelsmacht durch eigene Gesetzgebung ihre im Ausland arbeitenden Firmen unter eine Jurisdiktion bringen will, die nicht mit der Souveränität der anderen Länder zu vereinbaren ist. Allerdings erwarten wir auch, daß im Verhältnis zu Japan etwas geschieht. Dort ist es vielleicht weniger eine Frage der Gesetzgebung, sondern mehr der Praxis. Wir haben schon zum Ausdruck gebracht, daß die internen japanischen Wettbewerbsstrukturen, die möglicherweise einen Anstieg von Exporten nach Japan behindern, einmal sehr genau, und zwar im Einvernehmen, unter die Lupe genommen werden müssen. Wir werden alle diese Auffassungen in der EG mit Nachdruck vertreten und wir haben auch schon gewisse Erfolge erzielt. Ich glaube, daß wir uns in der EG auf eine beschleunigte Durchführung der Zollsenkungen aus der letzten GATT-Verhandlungsrunde einigen können. Ich hoffe, daß der Wirtschaftsgipfel in London und die OECD-Ministerräte, die diesen Schritt massiv unterstützt haben, auch ihre Wirkung auf die Partner nicht verfehlen, die dem Schritt noch ablehnend gegenüberstehen. Gerade die Bundesrepublik Deutschland, die ein Drittel ihres Sozialprodukts ausführt, hat ein vitales Interesse an einem freien Welthandel. Jeder protektionistische Eingriff, wo immer er in der Welt geschieht, bedroht auch bei uns Arbeitsplätze. Das ist der Grund, meine Damen und Herren, warum sich diese Bundesregierung immer für Freihandel einsetzen wird. Es gibt einen letzten Grund, den ich hier noch erwähnen möchte. Freiheit - das klingt manchmal etwas pathetisch - ist nicht teilbar. Das heißt, dort, wo der Welthandel frei ist, gedeiht das Pflänzchen Freiheit auch in einem weiteren Sinne. Anders ist es dort, wo sich Länder und Menschen abschließen. Das gilt für linke wie für rechte Diktaturen. Für mich ist das entscheidende Merkmal einer Diktatur, daß sie Angst hat, sich dem Verkehr mit anderen, freien Ländern auszusetzen. Ob es eine rechte oder linke Diktatur ist, wird man immer feststellen: Als erstes werden die Grenzen geschlossen; es findet nur noch ein beschränkter Handelsverkehr statt; Meinungen werden überhaupt nicht mehr ausgetauscht. Deswegen sage ich, meine Damen und Herren, auch wenn Sie das so nicht akzeptieren können: Freier Welthandel und Freiheit sind zwei Dinge, die miteinander zusammenhängen. Und weil wir die Freiheit wollen, sind wir für den freien Welthandel. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat eine Parlamentsdelegation der Philippinen Platz genommen. Ich begrüße Sie sehr herzlich im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt in unserem Land. ({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktion ist ein Plädoyer für den freien Welthandel. Damit kein Zweifel aufkommt: Auch wir Sozialdemokraten sind für einen freien Handel. Hinsichtlich der handelspolitischen Ziele gibt es also kaum Meinungsunterschiede. Die Bundesregierung räumt ein, daß der freie Welthandel - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es soeben dargestellt - zur Zeit vielfältig bedroht ist: durch die Wirtschafts- und Währungspolitik der Vereinigten Staaten, durch eine aggressive Exportpolitik Japans und durch zahlreiche Handelshemmnisse auch innerhalb der EG selbst. Dieser Zustandsbeschreibung und der Auflistung der Instrumente, die die Antwort enthält, ist nicht zu widersprechen, wenn auch das eine oder andere noch fehlt. Was man aber vergebens sucht und auch nicht in der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers findet, ist die Antwort der Bundesregierung darauf, was sie gegen den grassierenden Protektionismus eigentlich tatsächlich unternehmen will. ({0}) Sie will die anderen drängen. Sie will sie mahnen, und sie will sich vorbildlich verhalten. Das ergibt sich aus all den Teilantworten der Großen Anfrage. Aber die Praxis zeigt, daß das offenbar wenig nützt. Diese wunderschönen gemeinsamen Freihandelsbekenntnisse in den Wirtschaftsgipfelkommuniqués sind regelmäßig wieder schnell vergessen. Auch das letzte hat uns das gelehrt. Wenn man dann zu Hause ist, kommen die alten Probleme wieder auf den Tisch. Was nützen all diese ganzen Bekenntnisse zum Freihandel und die Einsicht in die wohlfahrtssteigernde Wirkung ungehinderter internationaler Arbeitsteilung, wenn sich kaum noch einer daran hält? Wenn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, meinen, es genüge, wie es in der Antwort auf Frage 9 heißt, „mit gutem Beispiel" voranzugehen, so erliegen Sie einer Illusion. Wir teilen nicht Ihre Hoffnungen, daß der unsere Wirtschaft belastende Protektionismus durch Ihre Politik abgebaut werden kann. ({1}) Wir meinen, daß sich die protektionistischen Tendenzen weiter verstärken. Ihre Hoffnungen, die Sie an die bevorstehende GATT-Runde knüpfen, beurteile ich skeptisch. Auch beim GATT und bei der UNCTAD wird davon ausgegangen, daß der Zerfall des Welthandelssystems anhält, und es ist ausgeschlossen - ich zitiere das „Handelsblatt" vom 17. Oktober -, „daß die November-Jahreskonferenz des GATT in Genf ein echtes Startzeichen für eine neue Konferenz zur Liberalisierung des Welthandels geben wird". Vielmehr werde das Welthandelssystem - wieder Zitat - „mehr und mehr durch bilaterale Systeme überlagert und ausgehöhlt". Das heißt, überall wird gegenwärtig handelspolitisch aufgerüstet, in der EG, wo sich die Bundesregierung einer Mehrheitsentscheidung zur Einführung eines protektionistischen Instruments beugen mußte - das ist noch gar nicht so lange her -, in Japan und im asiatischen Raum, vor allem aber in den USA. Was sich in den Vereinigten Staaten unter dem Einfluß der rasant gestiegenen Importe, die für uns noch Exporterfolge bedeuten, an Protektionismus ausbreitet, wird uns noch das Fürchten lehren. Über die neuesten Praktiken zur Kontrolle des Technologieexports wird mein Kollege Vahlberg zur Begründung unseres Antrages noch einiges sagen. Diese variantenreiche Politik der Vereinigten Staaten, die Sicherheitsinteressen vorgibt, zielt zunehmend auf die Stärkung der Wettbewerbsposition amerikanischer Hochtechnologieunternehmen. Und diese Einschätzung ist nicht nur die Einschätzung der Sozialdemokraten, sondern sie wird vom Präsidenten des DIHT geteilt und auch durch die Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vom Oktober bestätigt. Auch Herr Späth - schauen Sie in die heutige Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" - wendet sich gegen die Bedrohung des Welthandels und fordert die Bundesregierung auf, etwas dagegen zu tun, daß dies so weitergeht, gerade was die Kontrolle der Technologieexporte anlangt. Wir stimmen ihm zu. Zunehmender Protektionismus also auch im Austausch von Industriegütern, überall, vom Agrarmarkt und von den Dienstleistungen ganz zu schweigen. Ich teile diese kritische Einschätzung des GATT-Sekretariats über die Zukunft des freien Welthandels. Wenn man die wesentlichen Gründe für den wachsenden Protektionismus analysiert, muß man einfach pessimistisch sein. Und was sind das für Gründe? Das ist erstens die tendenziell schlechtere Wirtschaftsentwicklung. Es ist zweitens die Beschleunigung des technischen Fortschritts und der Innovationsmöglichkeiten. Es sind drittens die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Widerstände gegen den Strukturwandel, die wachsen. Es sind viertens die starken Schwankungen der Währungsrelationen. Und es sind fünftens die daraus resultierenden Finanzierungsungleichgewichte und Verschuldungen. Schließlich ist das der massive Agrarprotektionismus in der Europäischen Gemeinschaft. Im einzelnen: die Wirtschaftsentwicklung. Herr Bundeswirtschaftsminister, das Herbstgutachten der Institute bestätigt unsere Befürchtungen. Das Wachstum von Gesamtwirtschaft und Welthandel wird sich 1985 deutlich abschwächen. Die Wirkungen der fiskalpolitischen Restriktionen in Europa werden durch die sich abschwächende Konjunktur in den USA verstärkt. Unser Exportboom hat seinen Höhepunkt erreicht. Ob er ihn nicht schon überschritten hat, wird die nächste Zukunft zeigen. Künftig wird es jedenfalls langsamer gehen, mit der Konsequenz geringerer Wachstumsmöglichkeiten, auch bei uns, in der EG, in Japan und in den Entwicklungsländern. Der langanhaltende weltweite konjunkturelle Aufschwung, von dem Sie uns immer als Hoffnung erzählt haben, ist nicht in Sicht. Die Arbeitslosigkeit wird wieder zunehmen. Und die Folge wird sein: wachsender Druck zu mehr Protektionismus, weil jedes Land sich durch den Schutz des eigenen Marktes Vorteile verspricht. Zweitens. Der zunehmende technische Fortschritt und vielfältige Innovationsmöglichkeiten werden bei einem härteren internationalen Wettbewerb zu mehr Rationalisierung führen. Die Folgen sind deutlich: Wegfall von Arbeitsplätzen und mehr Protektionismus. Drittens. Angesichts dieses Umfeldes tritt die ökonomische Einsicht, daß Strukturanpassung unerläßlich ist, in den Hintergrund. Die Widerstände werden sie verstärken, und der Ruf nach Abschottung, nach mehr Protektionismus wird lauter werden. Viertens. Die starken Schwankungen innerhalb des Währungssystems sind nicht ausgestanden. Irgendwann muß der total überbewertete Dollar wieder fallen. Wann genau und wie, das ist offen, und das schafft Unsicherheit, vor allem auch in der Investitionsplanung der Unternehmen. Trotz der Gewinnexplosion in den Exportbereichen z. B. in der chemischen Industrie und im Automobilbau wird nur mäßig investiert; denn niemand weiß, wo der Dollar morgen steht und wie unsere Wettbewerbsfähigkeit dann aussieht. Selbst der Bundesbankpräsident warnt davor, Exportkapazitäten in der Hoffnung auf einen anhaltend hohen US-Dollarkurs auszubauen. ({2}) Also müssen wir überall Investitionszurückhaltung feststellen, und unzureichende Investitionen - auch hier schließt sich wieder die Kette - schwächen die Wirtschaftsentwicklung, und dies wiederum fördert die Neigung zur Abschottung nationaler Märkte. Die Finanzierungsungleichgewichte und die Verschuldung der Entwicklungsländer werden die Weltwirtschaft noch auf Jahre belasten; wir haben darüber kürzlich diskutiert. Vor allem die Entwicklungsländer werden darunter zu leiden haben. Angesichts der zunehmend von nationalen Egoismen geprägten Politik der Industrieländer kann es für die Entwicklungsländer eigentlich nur von Vorteil sein, wenn sie sich auf ihre eigene Kraft besinnen und eigene regionale Freihandelszonen schaffen, um den Güteraustausch untereinander zu intensivieren - zu Lasten Dritter. Also auch hier mehr Protektionismus. Schließlich die Probleme des gemeinsamen Agrarmarktes. Sie sind nach wie vor ungelöst. Der EG-Agrarmarkt ist geradezu ein Paradebeispiel für einen grandiosen Protektionismus, der bei allen Handelspartnern der EG den größten Ärger verursacht und zur Nachahmung des schlechten Beispiels geradezu auffordert. Dies, meine Damen und Herren, sind einige der Gründe, die mich zu der Einschätzung bringen: Der Protektionismus wird zunehmen. Deshalb reicht mir die Antwort der Bundesregierung nicht; denn es wird nicht sichtbar, was sie zu tun gedenkt, außer mit gutem Beispiel voranzugehen. Was wollen Sie denn tun angesichts des zunehmenden industrial targetin z. B. der Japaner? Wie wollen Sie reagieren auf die durch den US-Rüstungshaushalt und die NASA forcierte Entwicklung modernster Technologien in den Vereinigten Staaten? Den französischen Vorschlag, das gemeinsame Industrie- und Forschungspotential beider Länder zu vereinigen im Interesse der Entwicklung von Schlüsseltechnologien auch bei uns, um den japanischen und amerikanischen Herausforderungen begegnen zu können, haben Sie ja leider abgelehnt. Sie vertrauen darauf, daß dies den deutschen Unternehmen im Alleingang gegen die japanischen und amerikanischen Herausforderungen schon gelingen wird. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bin da sehr skeptisch, und in Ihren Reihen herrscht j a darüber offensichtlich auch keine Einigkeit. Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, setzen die Wirtschaftspolitik Ihres Vorgängers fort unter dem Motto „Der freie Markt" - den es zunehmend nicht mehr gibt - „wird es schon richten." Graf Lambsdorff selbst hat seine alte Linie gestern im „Handelsblatt" noch einmal nachdrücklich bestätigt. Er sieht - das darf ich zitieren - mit Besorgnis, daß die industriepolitischen Vorstellungen einiger führender CDU/CSU-Politiker sehr ähnlich denen der SPD sind, die mehr auf Dirigismus und aktive, vorausschauende Strukturpolitik ausgerichtet seien. So das Zitat Graf Lambsdorff. ({3}) - Es ist ein wörtliches Zitat, Herr Kittelmann. - Gemeint sind offenbar die Herren Späth oder Strauß, die für eine vorausschauende Strukturpolitik eintreten. Nun, wir fordern das schon seit langem. Wie wir fordern Herr Späth und Herr Strauß mehr staatliche Bemühungen um die Einführung moderner Technologien und eine bessere Infrastruktur für Forschung und Entwicklung. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre zunächst einmal eine Koordinierung der staatlichen Aktivitäten. Es macht wenig Sinn, wenn Herr Riesenhuber die Mikroelektronik und die modernen Kommunikationstechnologien, Satellitentechnologien fördert und sein Kollege Schwarz-Schilling das Land mit Kupfer statt mit Glasfaser verkabelt. Das paßt nicht zueinander. Vorausschauende Strukturpolitik heißt aber auch ein verbessertes Verfahren. Der Staat, die Unternehmen und die Gewerkschaften sollten sich zusammensetzen und über die von außen und von der Technologie auf uns zukommenden Neuerungen sprechen. In einem solchen technologiepolitischen Dialog kann dann über die Rollenverteilung der Beteiligten gesprochen werden. Es kann geklärt werden, was der Staat sinnvollerweise tun soll. Es muß mehr getan werden. Ich zitiere den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. In der „FAZ" vom 22. Oktober heißt es: „Wenn die strukturelle Arbeitslosigkeit anhält, muß auch mit gezielten Maßnahmen die wirtschaftliche Struktur verbessert werden." Wir stimmen Herrn Späth zu, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn er es für nötig hält, daß für die 90er Jahre nun ein neues Konzept der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu entwerfen sei, ({4}) auch deshalb, damit die Wirtschaft Leitlinien für ihre Investitionstätigkeit bekommt. Wir fordern Sie, wir fordern die Bundesregierung auf, daß sie ein derartiges Konzept entwickelt, daß sie sich an den Realitäten und nicht an liberalen Wunschvorstellungen orientiert. Und die Realitäten sind: zunehmender Protektionismus, Verfälschung der Wettbewerbsverhältnisse durch staatliche Maßnahmen in allen Ländern. Die nationalen Interessen dominieren, die so dringend nötige Abstimmung auf internationaler Ebene findet so gut wie nicht statt, gemeinsame Bekundungen auf Gipfeltreffen sind zu Hause bald vergessen. Was berechtigt eigentlich zu der Annahme, daß sich das ändert oder daß sich Staaten künftig an gemeinsame Spielregeln halten, zumal sich die Weltkonjunktur bereits wieder abzuschwächen beginnt? Machen wir uns doch keine Illusionen! In Krisenzeiten tritt der freie Welthandel hinter nationale Interessen zurück. Mag dies auch ökonomisch noch so unsinnig sein, dies ist die Realität, und an dieser Realität muß sich die Bundesregierung orientieren. Sie muß dem Protektionismus mit allen Mitteln begegnen, notfalls auch mit Gegenmaßnahmen. Eine Konsequenz, Herr Bundeswirtschaftsminister, die wir aus der heutigen Protektionismus-Realität ziehen müssen, ist: Wir dürfen nicht länger ausschließlich auf exportorientiertes Wachstum setzen. ({5}) Wir müssen den Binnenmarkt stärken. Mit unserem Vorschlag, durch ein „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" Arbeitsplätze zu schaffen und vor allem umweltpolitische Altlasten zu beseitigen, haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung vorgeschlagen. ({6}) Aber weitere zukunftsbezogene Schritte müssen folgen. Wir brauchen eine ökologisch verträgliche Umgestaltung unserer Industrieproduktion. ({7}) Dies wird eine gewaltige Aufgabe sein, die unseren Binnenmarkt stärken wird. Dann, Herr Bundeswirtschaftsminister - und damit möchte ich schließen -, wird uns der Protektionismus zwar noch immer treffen, aber vielleicht werden wir dann wenigstens besser und gesünder leben. Ich bedanke mich. ({8})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU und FDP durch die Bundesregierung macht deutlich, welche Gefahren dem Welthandel durch den täglich zunehmenden und sich ausweitenden Protektionismus drohen. Die CDU/CSU-Fraktion dankt der Bundesregierung für ihre eindeutigen Aussagen, die Sie, Herr Minister Bangemann, durch Ihre einleitende Begründung soeben noch einmal bekräftigt haben. Wir sind auch deshalb dankbar, weil aus der Antwort hervorgeht, daß Sie der Bekämpfung des Protektionismus eine uneingeschränkte Priorität einräumen. Bei der kontinuierlichen Umsetzung dieser Politik sagt die CDU/CSU Ihnen ihre volle Unterstützung zu. ({0}) Meine Damen und Herren, wir sind besorgt, wie sich der internationale Handel auf zu vielen Feldern von den liberalen Grundsätzen eines freien Handels unter dem Dach von bewährten GATT-Regeln entfernt. Wir fordern die Bundesregierung daher dringend auf, jede politische Möglichkeit zu nutzen, um erstens dem zunehmenden Protektionismus in den EG-Gremien noch deutlicher als bisher entgegenzutreten, zweitens beispielhaft jede Chance zu nutzen, um jede protektionistische Regung in unserem eigenen Verantwortungsbereich erfolgreich zu bekämpfen, drittens die dramatischen Konsequenzen der zunehmenden Handelsbarrieren zwischen der EG und den USA und Japan öffentlich bewußter zu machen, viertens die stärkere Einbeziehung der Länder der Dritten Welt in den freien Warenaustausch mit den westlichen Industrieländern weiter zu forcieren und fünftens alle erdenkliche Mühe darauf zu verwenden, daß die Forderung nach einer neuen GATT-Runde durch kleinlichen Egoismus nicht schon im Ansatz stekkenbleibt. Das in dieser Woche veröffentlichte Herbstgutachten der fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute hat, bei aller Einschränkung im einzelnen, den richtigen Wirtschaftskurs der Bundesregierung bestätigt. ({1}) Der wirtschaftliche Aufschwung von 1984 wird sich 1985 fortsetzen, und zwar, wie wir, die CDU/CSU, meinen, besser, als von den Forschungsinstituten vorausgesagt. ({2}) Wir freuen uns über die wirtschaftlichen Erfolge in diesem Jahr. Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 2,5 %, das ohne den Streik noch größer gewesen wäre, und wir sind optimistischer, Herr Mitzscherling, als Sie es eben zum Ausdruck gebracht haben. Wir haben eine ausgeglichene Handelsbilanz. Wir haben eine Preisstabilität erreicht, die es das letzte Mal im September 1968 gegeben hat. 1,5 % ist eine Zahl, die mehr als alles andere beweist, daß wir wirtschaftspolitisch auf dem richtigen Weg sind. ({3}) - Gerade, weil wir über Protektionismus reden, ist es wichtig - wenn Sie den Zusammenhang nicht sehen, habe ich Ihre ganze Rede vorher nicht verstanden -, daß man das eigene Haus in Ordnung hält und ordnungspolitisch mit der richtigen Politik die Voraussetzungen schafft, daß man sich woanders gegen Protektionismus wehren kann. ({4}) Es ist kaum noch anhörbar, wie sich bei Gipfeltreffen, bei EG-Gremien, bei der OECD, bei den Wirtschaftsverbänden und auch bei den Gewerkschaften alle in Erklärungen gegen den Protektionismus einig sind und dabei einander überbieten. Ich fühle mich dabei daran erinnert, daß in einer Nachtkneipe mit bestimmten Personenkreisen jeKittelmann mand auftritt und dort für die Heiligkeit der Ehe eintritt und feststellt, daß er überall begeisterte Zustimmung erntet. Es ist einfach mehr als notwendig, daß wir gegen den Protektionismus nicht nur reden, sondern mehr dagegen tun. ({5}) - Ich komme noch darauf. - Wenn man dazu sieht, daß die Methoden immer ausgeklügelter werden, müssen wir endlich härter und schonungsloser jede Form von Handelsbeschränkungen bekämpfen. Wir müssen dabei endlich auch die Phase überwinden, daß das Ankämpfen gegen den Protektionismus mit dem Kampf gegen einen Drachen verglichen wird, dem jeweils zwei Köpfe nachwachsen, wenn man einen abschlägt. Unsere nationale Interessenlage ist eindeutig. Bei uns hängt jeder dritte Arbeitsplatz mehr oder weniger vom Export ab. Wir sind nach den USA der Welt zweitgrößter Exporteur mit einem Anteil von 10 % am Weltexport. Bei den Fertigwaren sind wir mit 19 % mit Abstand der größte Exporteur. Etwa 50 % unserer Exporte entfallen auf Investitionsgüter. Beim Maschinenbau sind es sogar über 60 %. Auch wenn unsere Schwerpunktmärkte in den westlichen Industrieländern, mit denen wir etwa 80 % unseres Außenhandels abwickeln, liegen, gewinnt der Handel mit der Dritten Welt, vor allen Dingen mit Südostasien und Lateinamerika, eine größer werdende Bedeutung. Diese Zahlen beweisen, wie sehr unsere Position von einer funktionierenden Weltwirtschaft abhängig ist. Zur Zeit sieht es so aus, als expandiere der Welthandel langfristiger. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es vor allen Dingen die Konjunktur in den USA ist, die diese Entwicklung trägt. Der 1982 geschehene Einbruch des Welthandels wurde 1983 ausgeglichen. Wie Herr Minister Bangemann eben sagte, haben wir die größte Steigerungsrate seit 1976 zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr 1984 lagen wir 9 % über dem Vergleichszeitraum 1983. Es ist dem zuzustimmen, was Herr Mitzscherling betonte: daß bedauerlicherweise die übrigen westlichen Industrieländer den amerikanischen Aufschwung nicht gleichermaßen mitgemacht haben. Keiner kann zur Zeit vorhersagen, was passiert, wenn der Höhenflug des amerikanischen Dollars von einem radikalen Kursverfall abgelöst wird. Ich erwähne dies vor allen Dingen deshalb, weil viele jede Gelegenheit nutzen - auch Herr Mitzscherling hat es vorhin wieder getan -, die amerikanische Wirtschaftspolitik und ihre Folgen zu kritisieren, ohne dabei zur Kenntnis zu nehmen, daß wir auch unmittelbare Nutznießer des Aufschwungs in den USA waren - mit all den sich daraus für uns ergebenden positiven Fakten. ({6}) Meine Damen und Herren, es gilt als gesichert, daß die ständige Zunahme von neuen Handelsbarrieren ein wesentlicher Grund für einen gehemmten und verunsicherten Welthandel ist. Es wird immer deutlicher, daß Protektionismus und Subvention nicht nur stark den freien Warenaustausch hemmen, sondern ein unermeßlicher Schaden für alle Volkswirtschaften sind, vor allen Dingen aber auch für die Länder der Dritten Welt. Wir sollten den besonders stark verschuldeten Ländern langfristig helfen. Damit sie eine Chance erhalten, daß ihre Produkte einen Zugang zu den Märkten haben, sollten wir diese Märkte öffnen. Jeder kennt den allgemeinen Grundsatz, daß sich Handel und Wachstum gegenseitig positiv beeinflussen. Freier Handel - dabei bleibt es - ist der beste Wachstumsmotor, und wir alle wissen, daß wir Wachstum brauchen. ({7}) Die Produktionstätigkeit und Investitionstätigkeit werden durch den freien Welthandel gestärkt. Die Folge ist eine Steigerung der Leistungskraft und der Volkswirtschaft. Das gilt alles nicht nur für uns, für die Bundesrepublik Deutschland, sondern grundsätzlich für alle. Durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen - GATT - war in den 50er und 60er Jahren eine Liberalisierung des Welthandels möglich, die in den 70er Jahren leider völlig zum Erliegen gekommen ist. Die Ursachen dafür sind vielseitig. Manche glauben, sie könnten mit Protektionismus die Arbeitslosigkeit bekämpfen, das wirtschaftliche Wachstum beschleunigen, Besitzstände wahren, die Wettbewerbsverzerrung ausgleichen oder gar neue hochtechnologische Industrien fördern. Wir haben soeben in diesem Zusammenhang ein Stück Hoffnung von Herrn Mitzscherling vermittelt bekommen. Dabei ist jedem völlig klar: Alle im Bereich des Protektionismus Tätigen werden über kurz oder lang nicht bestätigt werden, sondern ihre erhofften Erfolge werden sich ins Gegenteil umkehren. Der Strukturwandel wird sich verlangsamen, die Wettbewerbsfähigkeit wird verlorengehen, das internationale Finanzsystem wird weiter destabilisiert, die Investitionsentscheidungen werden weiter zurückgestellt. So schlicht ist die Wahrheit. Doch wie kann man diesem zunehmenden Verhängnis begegnen? Es gibt an sich nur eine eindeutige Antwort, die wir auch seit Jahren geben: mit mehr Marktwirtschaft. Die sich abzeichnende und zunehmende Erholung auf dem Weltmarkt bietet dazu eine Chance. Sie muß, wie auch Herr Minister Bangemann soeben schon ausgeführt hat, genutzt werden. Die Bundesregierung muß bereit sein, in einer Art internationalem Kartell gegen jede Form von Protektionismus mitzuhelfen. Es wird schwer, in den riesigen Bürokratien eine Begeisterung für das unmöglich Erscheinende zu entfachen, nämlich diese dahin zu bringen, daß sie mit dem gleichen Elan gegen Handelsbeschränkungen eintreten, wie sie bisher offen und im verborgenen Schikane und Hemmnisse dafür aufgebaut haben. Dabei helfen Nüchternheit und kühle Analyse allein nicht weiter, sondern dies muß von einem leidenschaftlichen Appell begleitet werden, den man dazu benutzen muß, dem bereits eingeleiteten Prozeß der Verstümmelung des freien Welthandels endlich Einhalt zu gebieten. Hierbei kommt den führenden Industrieländern eine besondere, eine verantwortliche Vorreiterrolle zu. Der freie Welthandel ist zur Zeit mit einem Schiff in Seenot zu vergleichen, das scharfen Gegenwind hat, dem ständig neue Lecks geschlagen werden, dessen Mast zu brechen droht und das dabei ist, seine Manövrierfähigkeit zu verlieren. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, ist der Schaden für eine lange Zeit nicht wiedergutzumachen. Herr Kollege Mitzscherling, hier hilft nicht Pessimismus, sondern wir sollten in diesem Hause das gemeinsame Ziel verfolgen, ({8}) alles zu tun, um auch international dem Protektionismus zu begegnen. ({9}) Wir müssen helfen, eine Stimmung gegen den Protektionismus zu erzeugen, die auch denjenigen ins öffentliche Bewußtsein hineindringt, die sich unsolidarisch verhalten. Zur Zeit ist es leider noch so, daß sich viele Industrieländer wie Elefanten im Porzellanladen benehmen. Das feingegliederte System des GATT wird niedergetreten, und das schlechte Gewissen, soweit überhaupt vorhanden, wird mit schlechten Argumenten übertüncht. Es ist erfreulich, daß sich bei uns beinahe alle Verbände und zum Teil auch die Gewerkschaften gegen den Protektionismus aussprechen und die Bundesregierung zum Handeln auffordern. Die CDU/CSU begrüßt dieses Engagement. Der Außenwirtschaftsbeirat des BDI - es ist eben schon erwähnt worden - hat eine klare Stellungnahme zur Liberalisierung des Welthandels abgegeben. Der Deutsche Industrie- und Handelstag ebenso wie andere Verbände sind sich über die schädlichen Folgen von neuen protektionistischen Schranken einig. Es ist nur zu hoffen, daß diese klaren Stellungnahmen auch von den einzelnen Fachverbänden übernommen werden. Denn diese handeln häufig leider umgekehrt. ({10}) Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Herr Lattmann anschließend auf Ihre Bemerkung in bezug auf eine vorausschauende Strukturpolitik eingehen wird. Ich hoffe, daß die SPD irgendwann einmal merkt, daß der dauernde Ruf nach mehr Staat weniger Freiheit und mehr Einschränkung und nicht eine bessere Wirtschaftspolitik bedeutet. ({11}) - Sie haben Herrn Späth im Zusammenhang mit einer Bemerkung, die Sie für richtig halten, nebenbei zitiert. Diese dialektische Auslese wird von Ihnen zwar häufig praktiziert, ist aber nicht immer richtig. Ich darf im Zusammenhang mit Wirtschaftsverbänden an eine Darstellung von Bundeskanzler Kohl erinnern. Er hat nach einem Gespräch mit Wirtschaftsvertretern berichtet, er sei wegen zuviel Bürokratie, zuviel Dirigismus und Protektionismus kritisiert worden. Dann sei gesagt worden, im übrigen habe man noch folgende Forderungen: 1...., 2...., 3...., 4.... Wenn es nicht die Lobbyisten für Subventionen geben würde, wenn es nicht die Lobbyisten für Protektion geben würde, dann hätten wir keine Subventionen und keine Protektion. Das heißt, wenn die Wirtschaftsverbände die Kraft, die sie für Erklärungen aufwenden, in eigenes Handeln, in Einfluß auf ihre Fachverbände umsetzen würden, wären wir alle gemeinsam ein erhebliches Stück weiter. ({12}) Herr Minister Bangemann, Sie werden starken Rückenwind verspüren, wenn Sie vor allen Dingen in den EG-Gremien endlich für mehr ordnungspolitische Klarheit sorgen. Vor allen Dingen in Brüssel darf man starke Energien einsetzen, um den offenen und versteckten Formen von Protektionismus - vor allen Dingen bei technischen Handelshemmnissen - zu begegnen. Es ist zu bedauern, daß auch hier häufig ein Zusammenspiel von Lobbyisten und Bürokraten stattfindet, das schwer durchschaubar ist und leider immer erst an den Ergebnissen - bei uns im Wirtschaftsausschuß z. B. unter 35 Vorlagen - irgendwann sichtbar wird, ohne daß man vorher in der Lage ist, das zu überschauen. Hier müssen wir als Parlamentarier dafür sorgen, daß dieser Prozeß in der Zukunft transparenter wird, so daß wir Entscheidungen, die wir nicht billigen wollen, rechtzeitig erkennen und rechtzeitig unser Votum abgeben können. ({13}) Die CDU/CSU möchte die Bundesregierung ermuntern, besonders in der EG konsequenter und härter aufzutreten. Die Bekämpfung des Protektionismus ist für uns von vitalem Interesse. Deshalb ist es nicht immer ausreichend, dagegen zu sein, sondern die Bundesregierung wird von uns ausdrücklich ermuntert, bei grundsätzlichen Fragen auch den Mut aufzubringen, ein Veto einzulegen. Lassen Sie mich dafür ein Beispiel anführen. Der EG-Rat hat in seiner Sitzung Mitte September förmlich die Verordnung über das neue handelspolitische EG-Instrumentarium verabschiedet. Die deutsche Delegation hat gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark Bedenken angemeldet. Das Bundeskabinett war gegen dieses unnötige neue Instrumentarium. Hier handelt es sich um ein neues Abwehrinstrument der EG, das unter bestimmten Bedingungen auf Eingriffe im internationalen Handel abzielt. Zu Recht hat die Bundesregierung festgestellt: Es handelt sich um ein falsches handelspolitisches Signal. Besonders ist dabei zu erwähnen, daß hier erstmals ein unmittelbares Antragsrecht für die Wirtschaft eingeräumt wird, und zwar mit der Möglichkeit, nationale Regierungen zu umgehen. Dadurch wird eine erneute Mißbrauchsgefahr geschaffen. Der Bundesrat und auch der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages hatten sich gegen das handelspolitische Instrumentarium ausgesprochen. Warum war es hier nicht möglich oder sogar zwingend, daß die Bundesregierung in dieser Frage schlicht sagte: Ohne uns; wir legen ein Veto ein; hier machen wir nicht mit!, statt sich überstimmen zu lassen und im Prinzip dadurch an sich unglaubwürdig in der Hinsicht zu werden, wie ernst es ihr mit dem Anliegen ist, Protektionismus in der EG zu verhindern. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird bei ähnlichen Anlässen sehr häufig Gelegenheit haben, das zu tun, was Sie, Herr Bangemann, eben mit „mehr Mut haben" beschrieben haben. Die Glaubwürdigkeit verlangt auch unpopuläres Handeln, weil unser vitales Interesse sehr häufig berührt wird. Ähnliches gilt für die Zukunft bei den auslaufenden Stahlsubventionen und beim Welttextilabkommen. Lassen Sie mich abschließend auf ein Problem eingehen, das hier schon mehrfach angesprochen worden ist. Ende November werden in Genf die GATT-Vertragsparteien tagen. Es handelt sich hierbei um eine Zusammenkunft von hohen Beamten der Mitgliedsländer, die die GATT-Runden vorbereiten. Die CDU/CSU erwartet endlich positive Signale für die Durchführung einer neuen GATT-Runde. Schon bei der Prüfung der Beschlüsse, die auf der GATT-Ministertagung 1982 gefaßt wurden, wird es hier nicht nur eitel Freude geben. Die Dritte Welt wird zu Recht die ungünstige Bilanz kritisieren, und dabei wird sich ihr Interesse vor allen Dingen auf den Abbau der mengenmäßigen Beschränkungen richten. Die Bundesregierung wird dringend gebeten, alles zu tun, damit dieses Treffen nicht von vornherein ein Fehlschlag wird. Unsere Erwartungen gehen aber noch sehr viel weiter. Wir erwarten endlich den Beginn einer Reform der GATT-Schutzklausel, die Sie, Herr Minister Bangemann, eben auch sehr positiv dargestellt haben. Hierbei muß eine Präzisierung der Anwendungskriterien erfolgen. Meine Damen und Herren, gerade hier geht es um langfristige Maßnahmen gegen die sogenannte Grauzone, z. B. die Exportselbstbeschränkungen, die bisher durch die bilateralen Möglichkeiten im Rahmen des GATT nicht erfaßt werden und bei denen es bestimmt sehr lange dauern wird, einen Erfolg im Sinne eines Durchbruchs zu erzielen. Leider muß damit gerechnet werden, daß noch viel Wasser den Rhein herunterfließt, bis durchgreifende neue Erfolge beim GATT sichtbar werden. Zum Beispiel ist bisher auch der Handel mit Dienstleistungen nicht einbezogen. Auch diese Forderung sollte durchgesetzt werden. Wenn man sich aber konkret ansieht, seit wann dies gefordert wird und wie der Verhandlungsstand ist, hört man augenblicklich immer: Wir bemühen uns erst einmal, das auf die Tagesordnung zu bringen und in irgendeiner Form eine Methode, sich diesem Thema anzunähern, zu finden. Meine Damen und Herren, auf dem Weltwirtschaftsgipfel in London und dem OECD-Ministerrat 1984 wurde im Prinzip beschlossen, die in der Tokio-Runde vereinbarten Zollsenkungen beschleunigt durchzuführen. Die EG-Länder sollten den Mut aufbringen, die Aktion - wie Sie, Herr Minister Bangemann, es eben auch gesagt haben - gegebenenfalls ohne die USA durchzuführen und einen Alleingang zu unternehmen, damit wir in der internationalen Szene endlich einmal ein positives Zeichen - vor allen Dingen gegenüber den Ländern der Dritten Welt - haben. ({14}) Am wichtigsten erscheint uns der Beginn einer neuen GATT-Runde. Auch hier sind viele Länder bereit, entsprechende verbale Erklärungen abzugeben. Die bisherigen geringen Fortschritte im Arbeitsprogramm des GATT zeigen die Dringlichkeit. Ich begrüße, daß aus Ihren Ausführungen, Herr Bangemann, ein Stück Optimismus herauszuhören war. Nach den bisher vorliegenden Berichten aus den einzelnen Ländern nehme ich den Optimismus in dieser Frage freudig zur Kenntnis. Wir sind jetzt gefordert - dies zu erreichen ist vor allen Dingen Aufgabe der Bundesregierung -, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Meine Damen und Herren, der Beantwortung der Großen Anfrage kann von der CDU/CSU deshalb zugestimmt werden, weil sie offen und ehrlich ist und uns allen den Eindruck vermittelt hat, daß es für den Welthandel 5 Minuten vor 12 ist. Die Anfrage sollte dazu dienen, das öffentliche Bewußtsein für die Gefahren für den freien, liberalen Welthandel zu schärfen. Wir wünschen der Bundesregierung Glück und Erfolg bei der Umsetzung ihrer richtigen Politik. Schönen Dank. ({15})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Sehr geehrter Herr Bangemann, ich möchte Ihrer Einladung zum wechselseitigen Zuhören und auch zum Versuch der wechselseitigen Überzeugung Folge leisten. ({0}) Ihr Ministerium beginnt die Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen mit dem Dogma vom freien Welthandel. Dieses Dogma beinhaltet - das ist dort ausgeführt -, daß eine intensivierte internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung zu Wohlstandsgewinnen für alle Beteiligten führt. ({1}) Wir GRÜNEN halten dieses Dogma und diese Behauptung aus zweierlei Gründen für falsch. Erstens. Der sogenannte freie Welthandel ist nicht frei, sondern ein hochgradiges Zwangssystem. Herr Bangemann, ich möchte einem Satz von Ihnen ausdrücklich zustimmen. Sie haben gesagt: Freiheit ist nicht teilbar. Das meine ich auch, aber ich möchte daraus Konsequenzen ziehen und Sie bitten, diese Konsequenzen mitzubedenken. Wer ist im gegebenen internationalen Welthandel frei? Frei ist lediglich das Kapital, das dorthin zieht, wo es sich die größten Gewinnmöglichkeiten verspricht. ({2}) Ein Beispiel unter vielen ist die Strukturkrise in der Textilindustrie. Wenn in den Billiglohnländern in Südostasien höhere Gewinnmargen zu erreichen sind als in den hochindustrialisierten Staaten, wandelt das Textilkapital aus und läßt verödete Strukturen wie z. B. im westlichen Münsterland zurück. Es sammelt sich so lange in den südostasiatischen Staaten an, wie dort tatsächlich günstigere Lohnbedingungen vorhanden sind. Vor etlicher Zeit war in der Zeitschrift „Capital" schon nachzulesen, daß infolge von zunehmender gewerkschaftlicher Organisierung die Lohnvorteile in einigen südostasiatischen Staaten wieder schrumpfen und damit eine Abwanderung gerade auch mittelständischer Unternehmen im Bereich Textil aus südostasiatischen Staaten zu beobachten ist. Frei ist lediglich das Kapital, das auf dem Weltmarkt hin- und herschwirrt und sich dort kurzfristig und mittelfristig die Allokationsmöglichkeiten sucht, bei denen der Gewinn am größten ist. Unfrei sind die in den Unternehmen abhängig Beschäftigten. Unfrei sind die Regionen, die von dem Kapital zurückgelassen werden, wenn dort keine Gewinne mehr zu realisieren sind. Diese Unfreiheit gilt ebenfalls für die Bundesrepublik. Herr Mitzscherling, finde ich, hat eindrucksvoll nachgewiesen, daß der zu erwartende und ja auch offiziell gepushte technologische Schub auf dem Arbeitsmarkt - und nicht nur dort - verheerende Wirkungen haben wird. Wenn der Prozeß, der jetzt beginnt - technologische Innovation in der EG, in Japan, in den USA und in den Schwellenländern -, voll greift, werden wir - das ist schon abzusehen - nicht nur eine verheerende Arbeitsplatzvernichtung in den entsprechenden Unternehmen und Ländern haben, sondern wir werden bis Ende der 80er Jahre ebenfalls den Aufbau von grandiosen Überkapazitäten bei den sogenannten Zukunftstechnologien zu verzeichnen haben. Diese Überkapazitäten bei den sogenannten Zukunftstechnologien sind in den USA heute schon absehbar. Ein nicht unwesentlicher Mitarbeiter der VEW, der sich unter dem Gesichtspunkt technologischer Innovationen Silicon Valley angeguckt hat, kommt zu dem Ergebnis - das liegt dem Wirtschaftsausschuß vor -, daß eventuell schon Ende der 80er Jahre mit unheimlichen Überkapazitäten im Bereich der angeblichen Zukunftstechnologien zu rechnen ist. Wenn dieser Prozeß weltweit gepusht wird, arbeiten Sie heute an der Entstehung der Strukturkrise in den Zukunftstechnologien Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre mit. Unfrei werden wieder die davon Betroffenen sein, die den Gang der Ereignisse nicht frei mitbestimmen können. Das sind die abhängig Beschäftigten, und das sind die Bewohner der betroffenen Regionen. Unfrei sind ebenfalls diejenigen, die von der Veränderung der Arbeitsbedingungen infolge der Einführung neuer Technologien betroffen sind. Unfrei sind die abhängig Beschäftigten in den Unternehmen. Vor kurzem ist veröffentlicht worden, welche verheerenden Arbeitsbedingungen in Silicon Valley bei der Produktion z. B. von Mikrochips anfallen, wo hochgiftige Stoffe zum Einsatz kommen und wo, weil der Weltmarkt und die internationale Konkurrenzfähigkeit das erfordern, Arbeiterinnen am Arbeitsplatz vergiftet werden. Wenn sie sich vor Gericht dagegen zur Wehr setzen, wird dann noch behauptet, ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz sei nicht nachweisbar. ({3}) Die Weltmarktfixierung und die Fixierung auf internationale Konkurrenzfähigkeit verhindern ebenfalls, daß hier das Instrument Arbeitsverkürzung gegen Arbeitslosigkeit eingesetzt wird. Wir haben das in der letzten Tarifrunde bei IG Druck und IG Metall erlebt. ({4}) Hohe Arbeitslosigkeit wird in Kauf genommen. Gleichzeitig wird mit dem Dogma vom freien Welthandel gedroht. ({5}) - Das ist es gar nicht. Das erlebten Sie Woche für Woche in der jüngsten Vergangenheit. Der Verweis auf das Dogma vom freien Weltmarkt verhindert, daß schon ab kommendem Jahr der Katalysator eingeführt wird, und zwar verbindlich. Es erfolgt nur der Verweis auf die internationale Konkurrenzfähigkeit, und zwar gerade aus Ihrer Fraktion, Herr Kittelmann. Die Verschlechterung der Umweltbedingungen - Waldsterben als ein Beispiel - ist die Folge dieser Weltmarktfixierung. Herr Bangemann - ich würde gerne einen Denkprozeß bei Ihnen in Gang setzen -, Sie können doch nicht im Ernst behaupten, daß die durch das Waldsterben Beeinträchtigten - das sind u. a. auch die Waldbesitzer und ihre Familien - in der Einflußnahme auf diesen Prozeß oder auf die Struktur der internationalen Arbeitsteilung frei sind. Mit einem Wort: Der Weltmarkt verdient das Attribut „frei" überhaupt nicht. Er ist ein Zwangssystem hochgradiger Art. Gerade wenn wir uns darauf einigen können, daß die Freiheit unteilbar ist, können wir Strukturen, die die Betroffenen und abhängig Beschäftigten zur Unfreiheit verurteilen, nicht für gut halten. Ein Zweites. Herr Mitzscherling hat eindrucksvoll darauf hingewiesen, daß die Zunahme des Protektionismus unausweichlich ist. Ich brauche die Argumente im einzelnen nicht zu wiederholen. Ich stimme dem zu. Herr Bangemann, Sie preisen den Handelsliberalismus als Allheilmittel gegen die Zunahme des Protektionismus an. Wenn man die Argumente von Herrn Mitzscherling nimmt, kommt man zu dem Ergebnis, daß Handelsliberalismus und Protektionismus zusammengehören wie Licht und Schatten. Es ist ein Koppelprodukt. Sie können das eine nicht ohne das andere haben. Wenn in der EG, in Japan und in den USA Exportstrategien gefahren werden - und die vor allem auf Zukunftstechnologien konzentriert werden -, werden Sie zumindest in den Konkurrenzländern, die schwächer sind, Auswirkungen haben, die sozial so verheerend sind, daß sie zu politischen Zusammenbrüchen führen, daß in den betroffenen Staaten Protektion die einzige Möglichkeit der Gegenwehr ist. Das ist sozusagen eine Art ökonomischer Notwehr. Ihre Exportstrategien, die Sie aus der Position der Stärke vertreten - Sie haben das ja ausdrücklich so gesagt -, führen notwendig in den Protektionismus hinein. Der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse Handelsliberalismus und Protektionismus als Koppelprodukt besteht darin, daß wir die internationale Arbeitsteilung grundsätzlich in Frage stellen und nach einem Weg suchen - ich betone: suchen; wir GRÜNEN haben insoweit keine fertigen Antworten -, wie wir die internationale Arbeitsteilung grundsätzlich umstrukturieren können. Wir haben das in Reden schon öfter ausgeführt. Wir sagen: Wir brauchen eine Abkehr von der Exportorientierung und Weltmarktfixierung, eine Hinwendung zur Binnenorientierung. Ich freue mich sehr und bin überrascht, Herr Mitzscherling, daß Sie - nach meinen Kenntnissen als erster Sozialdemokrat - eben auch in dieser Richtung gedacht und gesprochen haben: Binnenorientierung der Wirtschaft, ökologischer Umbau der Industriegesellschaft. Ich persönlich halte nichts von dem Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Ich halte das auch gar nicht für eine ansprechende Zukunftsvision. Aber es geht um den Umbau der Industriegesellschaft. Herr Mitzscherling, ich wäre froh, wenn wir gemeinsam nach einem Weg suchen könnten, wie das möglich ist. Aber dann, bitte schön, konsequent. Wenn ich an die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion im Wirtschaftsausschuß denke, muß ich sagen: Wir werden bei allen Streitfragen im einzelnen nachweisen können, daß die SPD in keinem Punkt von Exportorientierung und Weltmarktfixierung abweicht. Beispiel: als wir vor einem Jahr über die Hermes-Versicherung diskutiert haben - soll die Versicherung erhöht werden oder soll der Bundeshaushalt einspringen? -, waren es Kollegen aus Ihrer Fraktion, die die Exportfixierung nachdrücklich begrüßt haben; noch viel entschiedener als die Kollegen der CDU/CSU, was mich sehr gewundert hat. Die Exportfixierung war bei Ihnen noch sehr viel stärker als bei den anderen. Herr Jens, Sie werden gleich sprechen. Ich wäre froh, wenn Sie darauf zu sprechen kommen. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß allein über die Hermes-Versicherung in diesem Jahr 1,5 Milliarden DM Defizite anfallen, die der Haushalt für die Versicherung übernehmen muß. Im nächsten Jahr sind es 2 Milliarden DM. Diese 2 Milliarden DM im Rahmen dieses Instruments wären wesentlich besser eingesetzt, wenn sie für eine regional orientierte Umstrukturierung der Wirtschaft eingesetzt werden.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mitzscherling?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Mitzscherling, ich möchte gern auf Ihre Frage eingehen, wenn ich für die Beantwortung die entsprechende Zeit von Ihrem Fraktionsvolumen bekomme.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das ist nicht möglich.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber, bitte schön, auch so. Ich hielte das allerdings für fair; denn ich habe nur noch eine Minute Redezeit.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stratmann, ist Ihnen bewußt, daß sich eine stärkere Orientierung des wirtschaftlichen Wachstums auf die Binnenbedürfnisse allenfalls in einem langfristigen Prozeß vollziehen kann, daß man angesichts der bestehenden Arbeitsmarktlage, die von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist, sehr vorsichtig mit Adhoc-Entscheidungen sein und deshalb auch bei Entscheidungen wie der über die Hermes-Bürgschaften die Arbeitsmarktlage in der gegenwärtigen Situation im Auge behalten muß?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme Ihnen zu, daß man bei der Umstrukturierung an vorderster Stelle die Arbeitsmarktlage berücksichtigen muß. Deshalb kann man Umstrukturierung auch nur mittel- und langfristig anlegen. Kurzfristige Erfolge sind nicht zu erzielen. Hinsichtlich der Arbeitsmarktlage haben wir immer eine radikale Arbeitszeitverkürzung gefordert. Wenn Sie es ernst meinen und konsequent sein wollen mit bzw. bei dem regional orientierten, ökologisch orientierten Umbau der Industriegesellschaft - das möchte ich als letztes Beispiel nennen; lassen Sie mich den Satz bitte aussprechen -, dann gehen Sie bitte an eine so exportabhängige Branche wie die Chemieindustrie heran, die gerade im Bereich der Agrarchemie - nicht nur, aber auch - ihre Wachstumsraten zu verzeichnen hat. Ihre Produkte führen zu verheerenden Auswirkungen im Agrarsektor in der Dritten Welt und bei uns. Sie müssen z. B. konsequent für eine Schrumpfung der Agrarchemie eintreten. Das geht nur im Dissens mit Ihrem Kollegen Rappe; ich weiß das. Unsere Aufgabe ist: Schrumpfung von umweltschädlichen, exportfixierten Branchen, gleichzeitig Aufbau - mittel- und langfristig bei entsprechender Umlenkung der öffentlichen Mittel - regional orientierter ökologischer Wirtschaftszweige, einer Recycling-Wirtschaft, einer alternativen Energiestruktur und radikale Arbeitszeitverkürzung. ({0}) Ich denke, mit diesen beiden Möglichkeiten, nämlich der radikalen Arbeitszeitverkürzung - da reicht mittel- und langfristig die 35-Stunden-Woche lange nicht aus - und dem Aufbau regional orientierter Wirtschaftsstrukturen, bekommen Sie auch die Arbeitsmarktprobleme in den Griff. Ich danke Ihnen. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag von Herrn Stratmann hat etwas Licht in die Wirtschaftspolitik der GRÜNEN gebracht. ({0}) Ich habe zwei Elemente entnommen, und zwar zum einen, den geschlossenen Handelsstaat des 18. Jahrhunderts wiedereinzuführen, die sogenannte Binnenorientierung. ({1}) Man kann die Bürger nur davor warnen, in einem extrem exportorientierten Land eine solche Strategie weiter zu verfolgen. ({2}) Herr Stratmann, in Nordrhein-Westfalen haben wir eine stärkere Binnenorientierung auf alte Branchen. ({3}) Wir haben z. B. in Baden-Württemberg und Bayern eine stärkere Exportorientierung, Herr Stratmann. Ich glaube, das Ergebnis spricht nicht gegen die Bundesländer, die sich für Exporte und die internationale Wettbewerbsfähigkeit öffnen. Wir haben zweitens vernommen, daß das Resultat eine radikale Arbeitszeitverkürzung wäre. Ich nehme an: bei vollem Lohnausgleich. Das bedeutet natürlich eine Freizeitgesellschaft, die sich irgendwo wahrscheinlich selbst finanziert, also ein Perpetuum mobile. Das ist aus meiner Sicht - Herr Stratmann, wir kennen uns aus dem Wirtschaftsausschuß - reichlich abstrus. Was wir dagegensetzen, ist, daß wir nicht ins 18. Jahrhundert zurückfallen und bei jungen Menschen nicht die Illusion nähren wollen, als hätte die junge Generation durch Abschottung vom Weltmarkt und eine radikale Arbeitszeitverkürzung eine Chance auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze. ({4}) Wir sind keine Insel, sondern wir müssen uns wieder anstrengen, um mit anderen leistungsfähigen Ländern wie den USA oder Japan mitzuhalten. Das ist unsere Antwort. ({5}) Deshalb geht es bei dieser Großen Anfrage darum, ob neben der FDP und der CDU sowie Teilen der SPD auch die GRÜNEN bereit sind, den Wirtschaftsminister darin zu unterstützen, die Märkte offenzuhalten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung unserer exportabhängigen Arbeitsplätze zu leisten, oder ob jetzt - das hat mich bei meinem sonst sehr geschätzten Kollegen ein bißchen gewundert - die sogenannte Binnenorientierung zunimmt. Ich bin mir nicht ganz im klaren darüber, in welchen Branchen wir uns stärker binnenorientieren und vom Ausland abkoppeln sollen. ({6}) Ich komme zu einem weiteren Punkt, nämlich dem Schutz der Umwelt. Dafür sind wir auch, aber nicht, verehrte Kollegen von der SPD, durch ein öffentlich, durch ein auf dem Wege der Verschuldung finanziertes Sonderprogramm, ({7}) sondern durch die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft zu einer ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft. Umweltpolitik bedeutet nämlich gleichzeitig Verteilungspolitik. Man kann nicht zu gleicher Zeit mehr Lohn, mehr Freizeit und mehr Umweltpolitik haben wollen. Dann muß man den Unternehmern und den Arbeitnehmern klar sagen, daß mehr Umweltpolitik weniger Löhne an anderer Stelle oder mehr Kosten über höhere Strompreise oder über höhere Katalysatorpreise bedeutet. Das heißt, der Umweltschutz finanziert sich nicht von selbst, meine Damen und Herren. Diese Ehrlichkeit ist wichtig.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich möchte kürzer reden als alle anderen Vorredner und deshalb ganz knapp noch folgendes sagen. ({0}) Für uns ist Protektionismus - oder auf deutsch: Beschränkung des freien Welthandels - nichts Abstraktes, sondern er hat zwei sehr praktische Vorteile. Er hilft zu mehr Beschäftigung einerseits und zu sozialem Fortschritt in weniger entwickelten Ländern andererseits. Es ist richtig, daß die Beschränkung des Welthandels dazu führt, daß die Arbeitsteilung keinen Fortschritt macht. Weniger Arbeitsteilung aber bedeutet weniger Wohlstand und damit auch weniger Möglichkeiten für die Entwicklungspolitik, etwas zu tun. Oder umgekehrt, mehr Wachstum in Industrieländern, mehr Öffnung unserer Märkte für Entwicklungsländer heißt Linderung von Not in Entwicklungsländern. ({1}) Und ich bitte Sie auch in der Fraktion der GRÜNEN, wirklich mal die Position der Bundesrepublik auf internationalen Handelskonferenzen zu verfolgen. Es gibt leider in anderen Wirtschaftsordnungen wenige Länder, die so leistungsfähig sind, daß sie sich eine ständig weitergehende Öffnung ihrer Binnenmärkte für Entwicklungsländer leisten können. Das ist ja die Kritik der Entwicklungsländer an den Staatshandelsländern, daß sie sich selbst abschotten. Das ist j a die Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland, daß wir bereit sind, uns auch in schwierigen Branchen mit allen Problemen, die wir in unseren Wahlkreisen haben - Textil, Porzellan, Holz, Leder -, trotzdem eine immer weitergehende Öffnung zu leisten, mit dem Ergebnis, daß die weniger entwickelten Länder mehr einführen können, damit mehr Arbeitsplätze haben. Damit leisten wir einen aktiven Beitrag zur Linderung der Not. Die Staatshandelsländer sind dazu auf Grund ihrer weniger liberalen Wirtschaftsordnung nicht in der Lage. Das ist die große Attraktivität unserer liberalen Handelspolitik. Und, Herr Stratmann, wenn für Sie liberale Handelspolitik eine Sackgasse ist, so mag das so sein. Nur hier im Deutschen Bundestag muß bei der Beantwortung einer Großen Anfrage klar werden, was uns in diesem Punkt unterscheidet. Dritter Punkt. Da möchte ich mich an die Sozialdemokraten wenden: Wer freien Welthandel aufrechterhalten will, muß seine wirtschaftspolitischen Hausaufgaben lösen. Denn das war schon immer so. Wer zu Hause nicht dafür sorgt, daß Strukturwandel sich fortsetzt, wird sich nach außen durch Handelsbeschränkungen wehren. Deshalb fordere ich die Sozialdemokraten auf, in der Frage der Entschuldung unserer öffentlichen Haushalte und damit in dem Rückgang unseres Zinsniveaus uns zu helfen und nicht umgekehrt Programme aufzustellen, die die Verschuldung und damit die Zinskosten erhöhen. ({2}) Deshalb fordere ich die Sozialdemokraten auf, in der Steuerpolitik endlich zu sagen, ob sie gegen Steuersenkung oder für Steuersenkung sind. Denn wenn schon eine Stärkung der Binnennachfrage, dann nicht über künstliche Staatsprogramme, sondern dadurch, daß wir den Bürgern möglichst nicht in zwei Steuersenkungsschritten, sondern in einem Steuersenkungsschritt zum 1. 1. 1986 Steuern zurückgeben und damit Binnenkaufkraft stärken. Wir bei der FDP freuen uns, daß wir hier einen wichtigen Punkt haben, wo wir insbesondere mit dem bayerischen Ministerpräsidenten auch mal übereinstimmen. ({3}) Das ist ja in einer Koalition auch mal wichtig, daß wir nicht nur Reibepunkte haben, sondern daß wir auch Punkte der Übereinstimmung haben. Deshalb ist es notwendig, daß der Rat der wissenschaftlichen Institute ernst genommen wird, daß wir nämlich erkennen, daß die Arbeits- und Sozialkosten in der Bundesrepublik Deutschland durch ihre Starrheit inzwischen den Strukturwandel behindern. Es gibt nämlich auch einen sogenannten Binnenprotektionismus. Das heißt, wenn eine Wirtschaft bei den entscheidenden Produktionsfaktoren, Arbeits- und Sozialkosten, nicht mehr flexibel ist, schließt sie einen bestimmten Teil von Menschen aus dem Arbeitsleben aus, die auf Grund ihres Alters, gesundheitlicher Handikaps oder schlechterer Vorbildung nicht die Chance haben, Höchstlöhne sich selbst am Markt zu verdienen. Das führt uns dazu, daß wir uns gegenüber anderen Ländern abschließen müssen, weil unser Lohn- und Sozialkostenniveau so hoch ist, daß wir uns in bestimmten Branchen die Öffnung unserer Märkte nicht mehr leisten können. Deshalb sage ich den Sozialdemokraten: Wenn sie langfristig den Bundeswirtschaftsminister darin unterstützen wollen, daß die Bundesrepublik ein Land bleibt, das auch auf internationalen Konferenzen seine Märkte öffnet, geht es nur, indem wir national in unserer Wirtschaftspolitik unsere Hausaufgaben lösen, im Bereich des Zinsniveaus, im Bereich der Steuerpolitik und im Bereich der Arbeitskosten. Ich sage auch hier sehr offen, daß Wissenschaftler sagen, man müsse einmal grundsätzlich über die Flexibilität unserer Lohnpolitik, über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen im Interesse der Nichtarbeitsbesitzer reden. Die Arbeitsbesitzer schließen durch Kartelle die Arbeitslosen aus. Das ist die eigentliche soziale Frage, Herr Kollege. ({4}) Das hat direkt damit zu tun, daß wir damit mittelfristig auch gegenüber anderen Ländern anfällig werden. Ein letztes darf ich noch zu meinem Kollegen von der CDU sagen. Herr Kittelmann, wir sind mit Ihnen sehr einverstanden, daß uns die CDU sehr aktiv unterstützt und den Wirtschaftsminister auffordert, sich in Europa für freien Welthandel und gegen Protektionismus einzusetzen. Wir tun das von Bonn aus. Wir wünschen uns, daß insbesondere Ihre Partei eine Personalpolitik betreibt, die auf europäischer Ebene dazu führt, daß wichtige Kommissare in diesem Bereich ihre Zuständigkeit behalten. Wenn man in Zukunft Protektionismus auf europäischer Ebene verhindern will, ist es sehr wichtig, nicht zuzulassen, daß deutsche Kommissare überhaupt keine Zuständigkeit mehr in der Industrie-, der Wirtschafts- und der Handelspolitik bekommen. Ich hoffe, darin stimmen wir überein. ({5}) Ich komme zum Schluß und möchte drei Dinge wiederholen: Erstens. Die Bekämpfung von Protektionismus bedeutet, daß wir uns in der Bundesrepublik die Chance offenhalten, unsere exportabhängigen Arbeitsplätze zu verbessern und neue zu schaffen. Zweitens. Ein offener Welthandel hilft weniger entwickelten Ländern, Waren und Dienstleistungen in entwickelten Ländern abzusetzen. Das ist ein praktischer Teil der Entwicklungspolitik. Drittens. Wehren wir auch auf europäischer Ebene den Anfängen, wenn es darum geht, sogenannte Spitzentechnologien vor dem rauhen Wettbewerb der Amerikaner und der Japaner zu schützen! Wer im Bereich der Spitzentechnologie nicht bereit ist, sich mit den führenden Industriestaaten der Erde zu messen, wird mittelfristig Arbeitslosigkeit bekommen. Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Protektionismus tritt heutzutage in zwei Erscheinungsformen auf. Einmal geht es darum, Importe aus dem Ausland zu verhindern, zum anderen darum, den Export exzessiv zu fördern. Ich meine, in der letzten Zeit ist mit keinem Begriff so viel Schindluder getrieben worden wie mit dem des Protektionismus. Wir stimmen in vielen Fällen mit den Koalitionsparteien überein; das ist gar keine Frage. Aber Sie werden Verständnis dafür haben, daß man in zehn Minuten auch einmal die Angriffspunkte darlegt. Es muß eben auch gesagt werden, wo es Differenzen gibt. Zunächst möchte ich in Anspielung auf Herrn Stratmann festhalten: Herr Stratmann, ich glaube, wir brauchen den Export. Wir haben in diesem Land sehr viele Arbeitsplätze dem Export zu verdanken. Und ich behaupte immer, den relativ hohen Wohlstand, den wir in diesem Land haben, verdanken wir weitgehend auch dem Export. Es geht überhaupt nicht an, daß wir kurzfristig auf unseren Export etwa verzichten. Das ist völlig undenkbar. Sie müßten den Menschen dann gleichzeitig sagen, sie müßten bereit sein, auf 20 bis 25 % ihres Einkommens zu verzichten. Ich glaube, das wollen aber auch Sie nicht.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Jens, ich möchte, daß wir uns nicht mißverstehen. Erstens sprechen wir GRÜNEN - ({0}) - Dazu muß ich einen Satz vorausschicken, damit meine Frage verständlich ist. - Wir GRÜNEN sprechen uns erstens nicht dogmatisch gegen Export aus. Zweitens ist eine Umstrukturierung der Wirtschaft nicht kurzfristig möglich. Das habe ich gesagt. Jetzt meine Frage an Sie: Wenn Sie sich für den Export aussprechen, sprechen Sie sich damit dann auch für die Exportfixierung, für die Exportorientierung aus, die dazu führt, daß ein Drittel des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik in den Export geht? Das habe ich attackiert und gesagt, daß wir da mittel- und langfristig herauskommen müssen. Ich würde Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Stratmann, ich habe eben schon von den zwei Erscheinungsformen des Protektionismus gesprochen. Eine Erscheinungsform ist eine exzessive Förderung des Exports. Und ich behaupte: Auch wir Deutschen betreiben zur Zeit Protektionismus. Indem wir die Abwertung der D-Mark in diesem Ausmaß nutzen, fördern wir unseren Export über alle Maßen. Das ist eigentlich nicht mehr sinnvoll. Wir müssen stärker davon runterkommen und eben auch verstärkt binnenwirtschaftliche Gegenmaßnahmen ergreifen. Da stimme ich völlig mit Ihnen überein.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Unland?

Dr. Hermann Josef Unland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jens, könnten Sie vielleicht den Kollegen Stratmann darauf hinweisen, daß ein traditionell so freihändlerisches Land wie die Niederlande einen Exportanteil am Sozialprodukt von 50 % hat?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Unland, es gibt etliche Länder, die einen noch höheren Exportanteil als wir haben. Aber ich bin, wie gesagt, der Ansicht: Unser Export expandiert zur Zeit zu stark. Das hängt mit der Abwertung der D-Mark zusammen. Und wir müssen schon darauf achten, daß wir die binnenwirtschaftlichen Strukturen mit binnenwirtschaftlichen Maßnahmen festigen. ({0}) Ich komme kurz auf die zweite Art des Protektionismus zu sprechen. Das sind aus meiner Sicht u. a. auch Subventionen - über die wir alle immer so vollmundig reden. Es gibt CDU-Politiker, die durch das Land laufen und meinen, diese müßten von heute auf morgen alle abgeschafft werden. Das ist völlig illusionär. Das ist in der Ordnung, in der wir leben, überhaupt nicht zu schaffen. Ich meine, wir sollten nicht in Heuchelei verfallen. Wir sollten ehrlich bekennen: Es wird immer Subventionen geben. Aber wir müssen uns darum bemühen, bestimmte Subventionen abzubauen und andere, die zukünftige Entwicklungen in Gang setzen, zu fördern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Unternehmen, die, glaube ich, besonders unter dem Protektionismus leiden. Da sind im internationalen Handel tätige Unternehmen, die jetzt besonders über die erratischen Wechselkursschwankungen zu klagen haben. Es kommt schon vor, daß sie Gewinne erwarten, diese Gewinne aber durch Abwertung der D-Mark, wie sie in der letzten Zeit vorgekommen ist, von heute auf morgen kaputtgemacht werden. Das ist keine gute Entwicklung. Deshalb bin ich schon der Meinung: Es ist nicht richtig, wenn die Bundesregierung sagt, der floatende Wechselkurs habe den Protektionismus verhindert. Ganz im Gegenteil, der floatende Wechselkurs, wie wir ihn hatten, hat dazu beigetragen, daß Protektionismus um sich gegriffen hat. Und wir müssen etwas tun, um langfristig stabilere Wechselkurse in diesem Lande hinzubekommen. ({1}) Ich darf darauf hinweisen, daß in der Stahlindustrie und in der Textilindustrie zur Zeit erhebliche Subventionen gezahlt werden, in der Textilindustrie allerdings relativ weniger. ({2}) Aber diese Subventionen haben nicht wir zu verantworten; sie sind uns gewissermaßen durch die PrakDr. Jens tiken im Ausland aufgezwungen worden. Davor können wir uns auch nicht so ohne weiteres schützen. Ich meine, meine Damen und Herren, Reden und Handeln stehen, wenn wir über Protektionismus sprechen, häufig in einem eklatanten Widerspruch. Alle Politiker schimpfen gegen Protektionismus, aber alle haben schon in irgendeiner Spielart gegen diese Maxime verstoßen, indem sie Subventionen für ihren Wahlkreis gefordert haben. Hier müssen wir uns alle ein wenig an die eigene Brust klopfen. Besondere Verantwortung für den Abbau von protektionistischen Maßnahmen haben gerade die bedeutenden Industrienationen. Dazu gehören die Vereinigten Staaten, ganz sicher auch Japan, aber dazu gehört sicherlich auch die Bundesrepublik Deutschland. Und wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wenn wir den Protektionismus beklagen. Aus meiner Sicht gibt es drei Ursachen, die hauptverantwortlich für den wuchernden Protektionismus sind: Einmal haben wir nur nationale Entscheidungskompetenzen. Wir Abgeordneten denken alle an unsere Bundesrepublik, an unseren Wahlkreis. Aber wir müssen konstatieren: Wir leben überhaupt nicht mehr nur in einer Volkswirtschaft, sondern, da unsere Wirtschaft über die nationalen Grenzen hinausgetreten ist, im Grunde in einer Weltwirtschaft und brauchten Entscheidungsinstanzen, die solche Dinge weltweit in den Griff bekommen könnten. ({3}) Das GATT, die verschiedenen internationalen Organisationen sind herrliche Foren, um darüber zu diskutieren, aber Kompetenzen für Entscheidungen haben sie leider nicht. ({4}) Der zweite Punkt: Ich glaube, es ist notwendig, Herr Minister Bangemann, daß wir im Sinne von Walter Eucken erkennen: Um dem Protektionismus zu begegnen, brauchen wir einen starken Staat. Wir können uns nur dann gegen die partikularen Interessen einzelner und einzelner Wirtschaftszweige wehren, wenn der Staat wirklich stark ist und sich gegen diese Interessen durchsetzen kann. Ich muß leider feststellen: Aus meiner Sicht ist der Staat in den letzten Jahren nicht stärker, sondern auf Grund der Politik dieser Regierung schwächer geworden, und das ist zu bedauern. Schließlich drittens. Protektionismus ist immer ein Kind der Not. Wenn wir wirklich wollen, daß der Protektionismus beseitigt wird, dann müssen wir die Not beseitigen. Wir müssen zunächst darangehen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, hier in diesem Lande und überall in der Welt. Wir müssen dafür sorgen, daß der Welthandel wieder stärker expandiert, als er zur Zeit expandiert. Wenn wir dies hinbekommen, dann ist mir eigentlich nicht bange. Aber ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal darauf aufmerksam machen, daß wir selbstverständlich immer dafür plädiert haben, auch national anregende Maßnahmen zu ergreifen, wie z. B. das „Programm Arbeit und Umwelt" aufzulegen.Wir stehen damit nicht alleine. Auch Herr Späth hat jetzt erneut gesagt - ich zitiere aus der „Frankfurter Allgemeinen" - die ihn ja sicherlich richtig bringen wird -, der Staat müsse Anstöße geben, um die Infrastruktur für Forschung und Entwicklung zu verbessern. Und er fährt fort: Wenn aber feststehe, daß die strukturelle Arbeitslosigkeit anhalte, müsse auch mit gezielten Maßnahmen die wirtschaftliche und technische Struktur verbessert werden. Herr Minister Bangemann, ich meine, Sie sollten diese Anregungen von Herrn Späth und auch die Anregungen, die aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in diese Richtung immer wieder kommen, sehr ernst nehmen. Aber, so wie es zur Zeit aussieht, ist die Bundesregierung nicht willens, unsere immer wieder vorgetragenen Warnungen zu hören. Ich befürchte: Die Überheblichkeit dieser Regierung wird noch schlimme Folgen haben. Schönen Dank. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte den Hinweis des Bundeswirtschaftsministers auf das eigene gute Beispiel für außerordentlich wichtig. Wer glaubhaft gegen Handelshemmnisse Front machen will, muß immer wieder prüfen, ob seine eigene Weste hinreichend sauber ist; er sollte vor der eigenen Tür anfangen. ({0}) Nun gehören wir sowohl international als auch innerhalb der EG zweifellos zu den Ländern, die noch am deutlichsten für eine liberale Handelspolitik eintreten. Allerdings gab und gibt es auch bei uns immer wieder Bestrebungen - wir haben heute morgen dazu schon wieder einige Forderungen gehört -, die vom Pfad der Tugend wegzuführen geeignet sind. Gestatten Sie deshalb, daß ich den Blick in dieser Debatte etwas stärker noch einmal auf die innenpolitische Seite der hier in Rede stehenden Medaille lenke; denn der internationale Protektionismus hat immer einen nationalen Ursprung. Es ist nicht zu bestreiten: Ein sich abschwächendes Wirtschaftswachstum in den 70er Jahren bis hin zu Minusraten, damit verbunden eine wachsende Inflation - dies war in der Bundesrepublik noch die Situation des Jahres 1982 - haben bei uns die Strukturschwächen deutlich werden lassen. Da waren wichtige Bereiche unserer Wirtschaft, die im internationalen Wettbewerb stehen, plötzlich einem bis dahin nicht gekannten Druck ausgesetzt. Manche Betriebe, ja sogar manche Branchen waren diesem Druck nicht gewachsen. Die Folgen waren verheerend: Massenpleiten, Massenarbeitslosigkeit und eine Überbeanspruchung des sozialen Netzes mit all den bekannten Folgen. Nun hätte es nahegelegen, über die Ursachen dieser Strukturschwächen nachzudenken, ja eigentlich hätte dieses Nachdenken viel früher einsetzen müssen, um vorbeugend auf diese vorhersehbare Situation zu reagieren. Das jedoch war nicht geschehen, und die Folge war die für die Politik leider häufig übliche Hektik, verbunden mit Kurzatmigkeit und Kurzsichtigkeit. Wo Arbeitsplätze bedroht waren, fragte kaum jemand nach den Gründen, sondern viele, viel zu viele nach den öffentlichen Händen, die nach herrschender Meinung einer damals noch herrschenden Partei ohnehin immer und in jedem Fall für alles zuständig waren. Erhaltungssubventionen waren also gefragt, und diese gehören nun ganz unstrittig zu den wesentlichen Handelshemmnissen, über die wir hier heute reden. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich halte die Gründe für solche Verhaltensweisen oft durchaus für ehrenwert, aber die Instrumente sind untauglich, nein, schlimmer: Im Ergebnis erreichen sie genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt wird. Lassen Sie mich dies begründen und damit eine wichtige Quelle für Protektionismus offenlegen. Ich habe von Strukturwandel gesprochen, und das heißt doch nichts anderes als eine Veränderung technischer, ökonomischer und vielfach auch sozialer Bedingungen, unter denen Wirtschaftsabläufe stattfinden, und zwar weltweit, im Wettbewerb. Es gibt für die in diesem Prozeß stehenden Wettbewerber die Verpflichtung und die Chance, sich diesem Wettbewerb zu stellen, ihn anzunehmen und ihn zu ihren Gunsten zu nutzen. Wir haben den gewaltigen internationalen Strukturwandel jedoch leider zu spät und dann zu lange nicht ausreichend angenommen. Zu viele haben sich der Herausforderung nicht gestellt, sondern lieber auf die bequeme Hilfe der Allgemeinheit gesetzt. Sie haben ihre eigenen Probleme der Gesamtwirtschaft und der Politik aufgebürdet. Die Politik hat dies zugelassen, ja, sie hat es streckenweise sogar überhaupt erst möglich gemacht. Anstatt dem unausweichlichen Wandel mit Kreativität, mit neuen Ideen, neuen Fertigungsverfahren und neuen Produkten entgegenzutreten, wurden immer neue staatliche, nichtmarktwirtschaftliche Mechanismen aufgebaut, und diese Rechnung ging nicht auf. Sie konnte nicht aufgehen, weil ihre Voraussetzungen falsch waren. Denn die Ursache für den Wettbewerbsdruck war ja nicht die internationale Konkurrenz, sondern waren falsches Management oder falsche Organisation oder Fehler in der Produktion bzw. im Absatz oder zu hohe Lohnkosten oder zu niedrige Produktivität oder falsche politische Rahmenbedingungen oder alles zusammen. Unternehmen, die strukturelle Schwächen aufweisen und internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind, können durch protektionistische Maßnahmen allenfalls eine kurze Atempause erhalten, die Ursachen ihrer Wettbewerbsschwäche werden dadurch nicht beseitigt. Vielmehr wird die notwendige Anpassung hinausgezögert und mit zunehmender Dauer dieser Verzögerung nur um so schmerzlicher für alle Beteiligten. Der Strukturwandel wurde so zumindest verlangsamt, teilweise über eine längeren Zeitraum sogar verhindert. Die durch Subventionen geschützten Unternehmen kamen auch dann zurecht, wenn nicht alle innerbetrieblichen Möglichkeiten genutzt wurden, wie dies im ungeschützten Wettbewerb zwingend ist. Die so geschützten Betriebe verhalten sich wie Monopolisten: Sie scheuen das Risiko, verkrusten zunehmend, lassen damit wichtige volkswirtschaftliche Ressourcen brachliegen und tragen so zu einer Wachstumsschwäche bei, die Arbeitslosigkeit und vieles mehr begründet. Das sind dann aber exakt jene Arbeitsplätze, die durch die protektionistischen Maßnahmen ja gerade geschützt werden sollten. Das wichtige Arbeitsplatzargument, so falsch angewandt, wurde damit zu einem reinen Totschlagsinstrument im wahrsten Sinne des Wortes. Das gilt für die Bundesrepublik, aber es ist beispielhaft für alle Länder, die sich in Handelshemmnisse flüchten. Nein, man kann es drehen und wenden, wie man will: Protektionismus, insonderheit die besonders verbreitete Spielart der Erhaltungssubventionen, rechnet sich auf Dauer und per saldo nicht. ({1}) Subventionen müssen deshalb - nicht von heute auf morgen, aber in einem vertretbaren Zeitraum - umfassend abgebaut werden - bei uns und weltweit. Das sind die Schularbeiten, die es zu erledigen gilt, und zwar von allen, auch von uns. Bevor jetzt Beifall aus der falschen Ecke kommt, will ich dazu - der Kollege Kittelmann hat darauf schon kurz hingewiesen - noch folgendes anmerken: Zu jeder geleisteten Subvention gehört nicht nur einer, der sie gewährt, sondern zunächst auch einer, der sie fordert. Ich kann mich sehr gut an viele Bilder der letzten Zeit erinnern: Bei jedem Betrieb, der auf Grund von Unwirtschaftlichkeit irgendwo geschlossen werden mußte, kam prompt die Forderung, der Staat möge helfen. Die Fordernden sind dann aber oft exakt die gleichen, die an anderer Stelle leidenschaftlich den Abbau von Subventionen fordern. Ich kann deshalb nur alle ermuntern, nicht pausenlos einen solchen Abbau zu fordern, sondern ganz konkrete Vorschläge dazu vorzulegen. Des weiteren kann ich nur dazu auffordern, nicht ständig an den Ursachen dieser Probleme vorbeizuargumentieren. Das tut beispielsweise jeder, Herr Kollege Jens, dem zum Thema Arbeitslosigkeit nichts anderes einfällt, als immer wieder konjunkturelle Beschäftigungsprogramme zu fordern, die lediglich ein Strohfeuer auszulösen vermögen, aber, was viel schlimmer ist, neue Subventionstatbestände begründen, damit den Protektionismus nachhaltig fördern, aber den Kern der Sache nicht treffen. Das gilt auch für jene, die beispielsweise immer wieder über die unerträgliche Belästigung durch sogenannte Billigprodukte oder - so muß man wohl richtig sagen - billigere Produkte klagen. Wir haben ja die Fälle vor Augen, wo Betriebe und Betriebsräte in großer Eintracht vor japanischer oder fernöstlicher Konkurrenz geschützt werden wollten. Es wäre wesentlich hilfreicher gewesen, nicht so sehr nach staatlicher Abschirmung, sondern verstärkt nach den Ursachen des Wettbewerbsnachteils zu fragen und diesen nicht als gottgegeben hinzunehmen, sondern aktiv an seiner Überwindung mitzuwirken. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren: Bei solcher Betrachtungsweise wäre manche heiße Auseinandersetzung im Frühjahr und Frühsommer überflüssig geworden. Nein, wer wie in den genannten Beispielen argumentiert, hat die tiefgreifenden strukturellen Probleme - national wie international -, die in dieser Protektionismusdebatte so besonders deutlich wurden, nicht begriffen und wird deshalb seinen Beitrag nicht leisten. Wir, die CDU/CSU, wollen diesen Beitrag leisten. Abbau von Subventionen und Handelshemmnissen ist zweifellos in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs leichter möglich. Diesen haben wir weltweit. Deshalb muß die Gelegenheit genutzt werden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang nachdrücklich die Absicht der Bundesregierung, eine neue GATT-Verhandlungsrunde anzustreben. Wir stimmen der Regierung auch in ihrer Auffassung zu, daß die beste Vorbereitung einer solchen Konferenz ein zügiger Abbau von Handelshemmnissen, und zwar auch im eigenen Haus, wäre. Wir selbst können dazu einen überzeugenden Beitrag leisten, indem wir mit der nationalen Subventionspolitik und dem Abbau der Subventionen Ernst machen. Die CDU/CSU wird dazu in absehbarer Zeit Vorschläge machen. Lassen Sie mich zum Schluß ganz kurz auf einige Bemerkungen eingehen, die besonders Sie, Herr Mitzscherling, aber auch Sie, Herr Jens, gemacht haben. Sie haben hier einige richtige und wichtige Hinweise gegeben, denen man nur zustimmen kann. Aber Sie konnten dann der Versuchung nicht widerstehen, uns bzw. der amtierenden Bundesregierung Dinge vorzuwerfen, die Sie selber während Ihrer Regierungszeit nicht zu lösen vermochten oder durch Ihre Politik überhaupt erst herbeigeführt haben. Dies bringt niemanden weiter. Was uns weiterbringt, ist ein konsequentes Gegensteuern überall da, wo Protektionismus, in welcher Form auch immer, auftritt. International kann man das überzeugender, wenn man selber gute Beispiele gibt. Dazu wollen wir alle einen Beitrag leisten, wie ich hoffe. Ich bin da auch gar nicht pessimistisch, Herr Kollege Mitzscherling. Natürlich, wenn das, was Sie hier heute beispielsweise unter dem Stichwort „Strukturpolitik" gefordert haben, umgesetzt würde, gäbe es nach meiner Überzeugung in der Tat mehr Staat und mehr Protektionismus. Aber zum Glück gibt es ja uns, und deshalb wird es eine solche Entwicklung nicht geben. ({2}) Ich kann deshalb zum Schluß die Bundesregierung nur ermuntern, auf dem hier vom Bundeswirtschaftsminister gezeigten Weg fortzufahren. Wir werden diesen Weg unterstützen. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer weise Antworten haben will, muß weise Frage stellen. An dieses Sprichwort habe ich mich bei einigen Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Unionsparteien erinnert gefühlt, z. B. auf die Frage 12: Welche Probleme sieht die Bundesregierung in den Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten? Da werden kurz das hohe amerikanische Handelsbilanzdefizit und die daraus resultierende Tendenz zu zahlreichen Einfuhrschutzanträgen der amerikanischen Wirtschaft angesprochen. Die Agrarprobleme sind angetippt. Aber zu dem Problem der immer dichter werdenden Kontrollen bei US-Technologietransfer, beim Transfer von höchstwertigen Technologien aus den Vereinigten Staaten - immerhin ein Problem, das in der letzten Zeit von den Medien breit behandelt wurde und z. B. von Lothar Späth über Wolff von Amerongen bis zum EG-Kommissar Davignon sorgenvoll kommentiert wurde -, läßt sich die Anwort der Bundesregierung in dürren, nichtssagenden vier Zeilen aus. Bei allem Verständnis für den generalistischen Ansatz dieser Bundesregierung finde ich, daß die Vermeidung konkreter Aussagen dann auf die Spitze getrieben wird, wenn man gar nichts mehr sagt. Herr Minister, Sie müßten doch hellwach werden, wenn Sie hören, daß es etwa bei der Firma AEG-Kanis bei der Abwicklung eines immerhin zivilen Projekts - westeuropäisch-sowjetische Erdgasleitung - Schwierigkeiten bei der Zulieferung amerikanischer Rotorblätter für die Turbinen gibt oder die Firma SEL eine Fernsprechanlage im Wert von 30 Millionen DM nicht an Ungarn verkaufen kann, immer mehr Unternehmer darüber klagen, daß sie beim Bezug von High-Tech-Produkten aus den Vereinigten Staaten umständliche Genehmigungsverfahren über sich ergehen lassen müssen, es zu Lieferverzögerungen kommt, die Amerikaner mit Reexportklauseln unseren Export behindern wollen. Dabei geht es der amerikanischen Regierung inzwischen - nach allen uns vorliegenden Informationen - nicht mehr nur darum, die RWG-Staaten technologisch auszuhungern, ihnen die Möglichkeiten, ihren Rüstungssektor mit höchstwertiger westlicher Technologie zu versorgen, zu nehmen, nein, es geht offensichtlich auch darum, einen technologischen Vorsprung gegenüber westlichen Konkurrenten, gegenüber westlichen Wirtschaftskonkurrenten mit protektionistischen Mitteln zu behaupten. Dieser letzte Aspekt erfüllt uns mit großer Sorge, weil wir darin eine schwere Belastung des multilateral angelegten Welthandels sehen und weil wir sicher sind, daß der Sicherheitsgewinn gegenüber der Sowjetunion nur ein scheinbarer ist; denn die Restriktionen führen letztlich dazu, daß sich der Westen wissenschaftlich und wirtschaftlich nicht optimal wird entwickeln können. Der neue Technologieprotektionismus der Vereinigten Staaten entwickelt sich dabei auf zwei Feldern: den legislativen und administrativen Maßnahmen der amerikanischen Politik auf der einen Seite und zum anderen dem zunehmenden Einfluß des „Department of Defense", des „Pentagon", auf die Forschungs- und Technologieentwicklung. Zum ersten Komplex ist zu sagen, daß inzwischen nicht nur High-Tech-Produkte, Minicomputer, Computer des Main-frame-Sektors, Industrieroboter, Halbleiterprodukte aller Art getroffen sind, sondern das US-Handelsministerium diskutiert auf Anweisung von Präsident Reagan Regelungen über die Freigabe auch nicht geheimer Informationen. Das heißt konkret: Forscher sollen in bestimmten Situationen für Vorträge, die sie halten wollen, oder für Aufsätze, die sie veröffentlichen wollen, Einzelexportlizenzen einholen. Das ist so. Die amerikanischen Forscher laufen inzwischen dagegen Sturm, weil sie befürchten, daß damit ein beträchtlicher Teil der Spitzenforschung beeinträchtigt wird, vor allem wenn an den Projekten Ausländer beteiligt sind. Man muß wissen, an den US-Universitäten gibt es einen Anteil von 50 % ausländischen Studenten, und es gibt inzwischen Universitäten in den Vereinigten Staaten, die Forschungsaufträge abgelehnt haben, weil sie mit Auflagen des Pentagon versehen sind und weil die multinationalen US-Firmen beträchtliche Schwierigkeiten beim Informations- und Personalaustausch mit ihren ausländischen Tochterunternehmen fürchten. Die Tendenz, nicht nur Produkte mit protektionistischen Maßnahmen zu überziehen, sondern auch den Informationsfluß, ist schon heute feststellbar, etwa von europäischen Kunden bei US-Datenbanken, die, wenn sie aus US-Sicht sensible Daten abfragen, vom Computer hinausgeworfen werden. Die On-line-Datensysteme werden weitgehend von den Amerikanern kontrolliert, in manchen Bereichen bis zu 100%. Europa droht hier in eine bedenkliche Abhängigkeit zu geraten. Denn Informationen sind für die Wirtschaft heute ein Rohstoff. Die Ausstattung einer Volkswirtschaft mit leistungsstarken Datenbanken, ob einem das paßt oder nicht, gehört inzwischen zur Infrastruktur. Die zweite Schiene, über die sich der Protektionismus breitmacht, ist der wachsende Einfluß des Verteidigungsministerums auf Wissenschaft und Forschung. Inzwischen werden rund 70 % der öffentlichen Forschungsaufwendungen in den Vereinigten Staaten durch das Pentagon vergeben. Bei dem hypertrophen Sicherheitsbedürfnis der US-Militärs gegenüber dem „Reich des Bösen" droht die Freiheit der Wissenschaft Schaden zu nehmen ({0}) - keine Proteste -, vor allem, weil sich die Reglementierungen von der anwendungsspezifischen Forschung auf den Grundlagenbereich, die Grundlagenforschung hin ausweiten. Forschung braucht Freiheit. Die Wissenschaft hat sich nicht in tausend Jahren aus der Umklammerung der katholischen Kirche befreit, um sich jetzt in die Umklammerung durch die Rüstungspolitiker zu begeben. ({1}) Um eines klarzustellen: Wir haben uns bisher selbstverständlich an die Exportbeschränkungen der COCOM-Liste gehalten. Wir sind auch weiterhin der Meinung, daß es keinen Sinn machen würde, eindeutig als militärisch zu definierende Produkte an die RGW-Staaten zu liefern. Aber man soll sich auch keine Illusionen über die Wirkungen der COCOM-Beschlüsse auf die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft machen. Der jährliche Beitrag westlicher Technologie zum Wirtschaftswachstum der UdSSR liegt zwischen 0 % und 1 %. Anders ausgedrückt: Die Wirkung der Technologieimporte aus dem Westen ist für die Sowjetunion nach Meinung von Ostexperten makroökonomisch kaum nachweisbar. Es gibt schlicht keine Anhaltspunkte dafür, daß die COCOM-Beschlüsse die sowjetische Wirtschaft verwundbar machen oder gar die Sowjetunion zu politischem Wohlverhalten zwingen könnten. Dennoch: Wir stehen zu diesen COCOMListen. Einer Ausweitung auf alle modernen Technologien einschließlich des entsprechenden Know-hows müssen wir uns jedoch energisch widersetzen. Die SPD-Bundestagsfraktion legt deshalb einen Entschließungsantrag vor, von dem wir meinen, daß er von allen Fraktionen dieses Hauses getragen werden kann. In diesem Entschließungsantrag fordern wir einmal, in Abstimmung mit den EG-Partnern bei der US-Regierung vorstellig zu werden und den Beschränkungen im Bereich des Transfers nichtmilitärischer Technologien Einhalt zu gebieten. Darüber hinaus wollen wir, daß die Bundesregierung bis zum 30. Juni kommenden Jahres einen Bericht vorlegt, in dem einige Fragen geklärt werden müssen, etwa, welche Technologien inzwischen von den Restriktionsmaßnahmen betroffen sind, mit welchen Instrumenten die Regierung der USA dabei vorgeht, welche Auswirkungen dies auf unsere Industrie hat, wie die Rechtsstellung deutscher Exporteure und Re-Exporteure aussieht und im Fall welcher Exportländer besondere Probleme auftauchen. Wir wollen Antworten haben auf die Frage, wie sich die Vergabe von Aufträgen des US-Verteidigungsministeriums an die US-Universitäten auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Wissenschaftlern auswirkt. Wir möchten auch gerne wissen, wie sich die Bundesregierung eine mögliche Zusammenarbeit im Bereich der Raumfahrt vorstellt. Sind wir da nur noch Zuschußgeber im finanziellen Bereich und Unterlieferanten, oder werden wir da gleichberechtigter Partner sein, falls es etwa zum Projekt Bemannte Raumstation kommt? Denn inzwischen ist es ja wohl - jedenfalls nach unseren Informationen - so, daß das US-Handelsministerium uns in die Reihe jener Länder - Schweiz, Österreich, Norwegen, Schweden - eingereiht hat, die „nicht mehr ganz zuverlässig" sind. Wir möchten eine Antwort darauf haben, inwieweit eine europäische Kooperationsoffensive in der Forschung betrieben wird, ({2}) natürlich nicht gegen die Vereinigten Staaten, denn selbstverständlich können wir nicht alles entwikkeln und produzieren. Wir meinen aber, daß zur Selbstbehauptung Europas auch eine selbstbewußte Verhandlungsführung gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten gehört. Herr Minister, Sie haben - ich sehe, er ist jetzt nicht mehr da -, Herr Bangemann also hat die anstehenden GATT-Verhandlungsrunden angesprochen und hat dabei dankenswerterweise auch das Thema „Technologietransfer" angetippt. Nur stehen diese Verhandlungen erst irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ins Haus. Ich meine, es muß jetzt gehandelt werden. Wir müssen unseren Einfluß heute geltend machen; denn selbst wenn - wie Herr Minister Bangemann sagt - nicht alle protektionistischen Blütenträume in den Vereinigten Staaten bisher gereift sind, darf uns das nicht einlullen. Wenn also von Mut im allgemeinen die Rede ist - der Minister Bangemann hat hier darüber breit philosophiert -, meinen wir, es gilt Mut im besonderen zu zeigen, nämlich in den Verhandlungen mit den amerikanischen Partnern; denn sonst ist - das muß man auch bedenken - unsere Deutschlandpolitik in Gefahr, die ja als ein wichtiges Instrument den Ausbau der Handelsbeziehungen kennt. Die dürren Zeilen, diese vier Zeilen, die dazu in der Antwort auf die Große Anfrage stehen, lassen die Vermutung zu, daß sich der Minister bisher mit diesem Thema nicht ausreichend befaßt hat oder daß er es möglicherweise sogar verharmlost. Dabei könnte er sich ohne Schwierigkeiten bei seinem Kollegen Riesenhuber schlau machen, der nämlich seine Schularbeiten gemacht hat und auf der Basis einer umfangreichen Studie, die er in Auftrag gegeben hat, zu der Schlußfolgerung kommt: Mit großer Sorge betrachte ich daher Tendenzen, die im Gefolge militärisch bedingter Geheimhaltungsregeln auf eine immer weiter greifende Einbeziehung sogenannter sensibler Technologien hinzielen und die in ihrer Konsequenz geeignet erscheinen, selbst die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen befreundeten Ländern ernsthaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Dies gilt besonders dann, wenn diese Bestrebungen nach Ziel und Form den Charakter von - man höre und staune - Embargomaßnahmen annehmen. Wenn der Minister in der Kommunikation mit seinem Kollegen Riesenhuber Schwierigkeiten hat, bin auch ich gern bereit, ihn im Rahmen eines Kaffeeplauschs auf den Stand der internationalen Diskussion in dieser Frage zu synchronisieren. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2183. Die Fraktion der SPD hat um Überweisung an den Wirtschaftsausschuß gebeten. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag überwiesen. Ich rufe die Punkte 5 bis 7 der Tagesordnung auf: 5. Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Burgmann und der Fraktion DIE GRÜNEN Umweltfreundliche Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland hier: Maßnahmen zur Energieeinsparung - Drucksachen 10/1380, 10/1773 6. Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Burgmann und der Fraktion DIE GRÜNEN Umweltfreundliche Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland hier: Allgemeine Fragen - Drucksachen 10/1382, 10/1774 7. Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Burgmann und der Fraktion DIE GRÜNEN Umweltfreundliche Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland hier: Maßnahmen zur Energiegewinnung aus Sonne und Umwelt - Drucksachen 10/1381, 10/1767 Zu Tagesordnungspunkt 6 liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2189 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 5 bis 7 eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen. Ich darf zu Beginn der Debatte darauf aufmerksam machen, daß wir diese Debatte sehr wahrscheinlich bis zur Mittagspause nicht werden abschließen können. Ich gehe davon aus, daß wir diese Debatte unterbrechen müssen. Ich wollte das nur schon ankündigen, damit sich die Damen und Herren, die in dieser Debatte reden wollen, darauf einstellen können. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die den Großen Anfragen zur Energiepolitik zugrunde liegenden Vorstellungen der GRÜNEN weichen grundlegend von der Energiepolitik ab, die seit der ersten Ölpreiskrise 1973 von praktisch allen Industriestaaten gemeinsam und mit großen Erfolgen verfolgt worden ist. ({0}) In diesen Großen Anfragen wird die Abkehr von einer Politik vorgeschlagen, die schnellere und größere Erfolge hatte, als selbst Optimisten in diesen beiden Ölpreiskrisen es vorauszusagen gewagt hatten. Heute sind die westlichen Industrieländer und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland in einer wesentlich besseren Situation, als irgend jemand in den 70er Jahren gedacht hätte, weil eine bisher von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages mitgetragene Energiepolitik die richtigen Anstöße zur Verringerung des Energieverbrauchs, zur Umstrukturierung von Nachfrage und Angebot gegeben hat. Der Anteil des Mineralöls an unserer Versorgung ist stark gesunken und erreicht fast die 40 %-Marke. Der Energieverbrauch - und das ist besonders bedeutsam - liegt auf dem Niveau des Jahres 1973, und das bei einem um 18% real gestiegenen Bruttosozialprodukt. Sicher werden die 60er Jahre zu Recht als die Dekade der Ölverschwendung bezeichnet. Hier ist eine nachdrückliche Wende eingetreten. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die 80er Jahre später einmal als der Beginn einer Periode des sparsamen, rationellen und auch umweltgerechten Umgangs mit der Energie bezeichnet werden. Der Verbrauch in den Haushalten liegt etwa auf dem Niveau von 1973, und das bei einer um 3 Millionen gestiegenen Zahl von Wohnungen, größerem Komfort und ganz erheblich gestiegener Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung. Unsere Industrie hat den niedrigsten spezifischen Energieverbrauch in der Europäischen Gemeinschaft. Im Verkehrsbereich liegt der Verbrauch zwar höher als 1973, aber der spezifische Verbrauch von Neufahrzeugen ist seit 1978 um knapp 17 % zurückgegangen. Bis 1985 könnten 20 % erreicht werden. Das sind eindrucksvolle Erfolge einer Einsparpolitik, die in erster Linie auf den Markt gesetzt hat und auf die Lenkung über den Preis. ({1}) Selbstverständlich sind wir dort, wo wir es den Marktkräften allein nicht überlassen konnten, auch vor Eingriffen nicht zurückgeschreckt. Ich nenne hier als einen wichtigen Bereich den der Gebäude; denn hier stellen die Marktkräfte keinen ausreichenden Anreiz für zusätzliche Einsparinvestitionen sicher. Die Bundesregierung hat deshalb Verordnungen zur Wärmedämmung, für Heizungsanlagen und zur Heizkostenabrechnung erlassen. Sie hat über viele Jahre die Wärmedämmung und andere energiesparende Maßnahmen mit dem sogenannten 4,35-Milliarden-Programm gefördert. Sie hat damit einen nachhaltigen Anstoß für zusätzliche Energieeinsparungen in diesem Bereich gegeben. Bei dieser Lage war es vertretbar, die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf neue Technologien im Heizungsbereich zu konzentrieren, auf die Technologien, die sich heute noch nicht rechnen, die wir heute aber brauchen, um künftige Fortschritte auf der Energieeinsparungsseite durch entsprechende Technologien wie Solaranlagen, aber auch Wärmepumpen sicherzustellen. Im übrigen werden nach wie vor die Kraft-Wärme-Kopplung und der Fernwärmeausbau mit erheblichen Mitteln gefördert, weil auch hier der Markt allein nicht den notwendigen Anstoß gibt, den wir für umweltfreundliche Zukunftsentwicklungen benötigen. Diese Politik hat nachhaltige umweltentlastende Effekte mit sich gebracht. Es zeigt sich, daß Energieeinsparung und Umweltfreundlichkeit und Luftentlastung zusammengehören, daß sie untrennbar miteinander verbunden sind und daß eine erfolgreiche Energieeinsparpolitik gleichzeitig auch eine erfolgreiche Umweltpolitik ist. ({2}) Aber nicht nur die Zahlen der Vergangenheit, die eindrucksvoll sind, sind wichtig. Es kommt vielmehr auch auf die Zukunftsperspektiven an. Hier bestätigen alle vorliegenden Prognosen unsere Erwartung, daß der Trend zum rationellen, sparsamen und damit auch umweltgerechten Energieverbrauch in den nächsten Jahren zügig weitergehen wird. Wir sind deshalb mit unserer Energiepolitik auf dem richtigen Wege. Es gilt, diese Politik konsequent marktwirtschaftlich fortzusetzen. Der Einsparpolitik kommt nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Umwelt- und der Ressourcenschonung unverminderte Bedeutung zu. Auch der Prozeß der rationellen Energieverwendung wird langfristig vor allem durch den technologischen Wandel getragen. Aber die Entwicklung dieses Wandels muß in Richtung und Intensität durch den Markt bestimmt werden. Grundlage unserer Energieeinsparpolitik ist darüber hinaus die breite und freiwillige Mitarbeit der Bevölkerung. Dieser Konsens würde gefährdet, wenn wir dem Energieverbraucher durch Zwangsmaßnahmen Kosten aufzwingen würden, für die er in absehbarer Zeit keine entsprechenden Rückflüsse durch Einsparen von Energie sieht. Wer Konsumverzicht erzwingen will, ohne daß sich diese Einsparinvestitionen in absehbarer Zeit lohnen, wird weniger Einsparungen an Energie erreichen als derjenige, der wie die Bundesregierung darauf setzt, daß möglichst viele lohnende Einsparinvestitionen - vor allem alle, die sich kurzfristig lohnen - auch tatsächlich gemacht werden. Denn trotz der gegenwärtigen entspannten Situation auf den Weltölmärkten hat sich an bestimmten Risiken für unsere Energieversorgung nichts geändert. Mineralöl ist und bleibt ein langfristig knapper und in vielen Bereichen unersetzlicher Rohstoff. Auch heute kann noch niemand zuverlässig die Bedingungen der künftigen Energieversorgung voraussehen. Wir brauchen also ein flexibles Energieversorgungssystem, das die zurückgehende Abhängigkeit vom OPEC-Öl nicht durch neue Abhängigkeiten ersetzt. Weder Kernenergie noch Gas und auch nicht erneuerbare Energien können und dürfen allein Grundlage unserer Energieversorgung sein, sondern es ist notwendig, daß alle verfügbaren Energieoptionen genutzt werden. ({3}) Wie soll denn sonst der Energiebedarf einer schnell wachsenden Weltbevölkerung gedeckt werden, wenn wir nicht alle Möglichkeiten der Energiegewinnung, die uns heute zur Verfügung stehen, auch nutzen oder wenn wir etwa den Weg gingen, unter gewaltiger Verschleuderung von Volksvermögen einseitig die Politik zu verfolgen, die den Großen Anfragen der GRÜNEN zugrunde liegt? Allein heute ersetzen die in der Welt betriebenen Kernkraftwerke mehr als doppelt so viel 01, wie wir in der Bundesrepublik Deutschland an Öl verbrauchen. Das macht ja deutlich, wie notwendig diese breite Streuung unserer Energieversorgung ist. Wie würden sich die Entwicklungsländer in ihrer Nachfrage nach Öl stellen, wenn die Industrieländer nicht ihre Möglichkeiten zur Politik der Einsparung von Öl auch durch Nutzung anderer Energiequellen wahrnähmen? Nur mit einer Politik, die neben der Energieeinsparung auch alle Versorgungsoptionen einschließt, können wir am besten die Umweltanforderungen bewältigen. Nicht Bürokratie und Dirigismus, die überall in den Großen Anfragen der GRÜNEN als energiepolitische Rezepte hervortreten, sind die Antwort, sondern Markt und Flexibilität. Wirkungsvoll ist vor allem die konsequente Durchsetzung des Verursacherprinzips; denn der marktwirtschaftliche Anreiz bietet mehr Chancen für den Umweltschutz als jede Bürokratie und jeder Dirigismus. ({4})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Bitte sehr.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Grüner, können Sie mir bitte erklären, wie ohne staatliche Eingriffe die Einführung und Nutzung der Atomenergie in der Bundesrepublik möglich gewesen wäre?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß wir da, wo wir staatliche Eingriffe für notwendig halten, auch entsprechend handeln. Ich habe das am Bereich der Gebäudewärmedämmung deutlich gemacht. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir den enormen Nachholbedarf, den wir nach dem Krieg in bezug auf die friedliche Nutzung der Kernenergie hatten, nicht hätten befriedigen können, wenn wir nicht bereit gewesen wären, diese Entwicklung staatlich zu unterstützen, wie wir es übrigens auch in anderen wichtigen Bereichen neuer Technologien tun. Dazu bekennen wir uns, und der Erfolg dieser Politik gibt uns recht. ({0}) Nach der Umsetzung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung werden wir über die modernsten und umweltfreundlichsten Kohlekraftwerke verfügen. Dies sichert auch der deutschen Kohle langfristig ihren Platz im deutschen Energiemarkt und nicht nur eine Brückenfunktion, wie das von den GRÜNEN in einem Entschließungsantrag im Mai gefordert wurde. Wer sich auch generell gegen die Verwendung von Strom ausspricht, schadet nicht nur der deutschen Kohle, sondern beraubt uns auch vieler Möglichkeiten für eine noch rationellere Energieverwendung. Neben der Energieeinsparung werden die verstärkte Nutzung von Kernenergie und Gas für eine umweltgerechte Struktur der Energieversorgung sorgen. Statt dieser Politik wird von den GRÜNEN verlangt: Stillegung aller Kernkraftwerke. ({1}) Meine Damen und Herren, das hieße nicht nur erneut höherer Ölverbauch, höhere Stromkosten und eine unvorstellbare Verschwendung von schon getätigten Investitionen; ({2}) es heißt darüber hinaus weitere Nutzung veralteter Kohlekraftwerke und hohe zusätzliche Umweltbelastungen. ({3}) Diese Anträge der GRÜNEN denken nicht an die Zukunft, ({4}) sondern sie verbreiten Utopien, ({5}) und sie setzen sich vor allem nicht damit auseinander, welchen Beitrag die Kernenergie zur Umweltentlastung tatsächlich heute schon leistet. ({6}) Allein die bei uns bereits in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke vermeiden eine zusätzliche Schwefeldioxidemission von fast einer halben Million Tonnen ({7}) und Stickoxidemissionen von etwa 250 000 t, ({8}) wenn man einmal unterstellt, daß diese Energie sonst auf der Basis von Kohle erzeugt worden wäre. Dieses Bild unserer Umwelt würde noch wesentlich düsterer, wenn man zugleich davon ausginge, daß auch in den Nachbarländern die Kernenergie nicht genutzt würde. Denn wenn diese Nachbarländer die Kernenergie nicht nutzen würden, würde das auf der Basis des Einsatzes von Kohle zusätzlich 1,35 Millionen t Schwefeldioxid und zusätzlich 750 000 t Stickoxide und rund 150 000 t Stäube bedeuten. ({9}) Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich meine, mit diesen Zahlen müssen Sie sich auseinandersetzen. Ich füge hinzu: Auch dann, wenn wir unterstellten, daß alle Kohlekraftwerke heute schon mit modernsten Rauchgasentschwefelungsanlagen ausgestattet wären, was nicht der Fall ist, wären erhebliche Luftbelastungen unvermeidlich. Ich meine, wer eine sparsame Energieverwendung propagiert und eine Politik für die Umwelt betreibt, ist nicht redlich, wenn er sich mit diesen Argumenten nicht auseinandersetzt und gegenüber der Bevölkerung eine Verschleierungstaktik betreibt. ({10}) Dieser Zusammenhang zwischen Nutzung der Kernenergie und Luftentlastung wird auch von anderen Regierungen sehr deutlich gesehen. ({11}) So hat die französische Regierung im Zusammenhang mit unseren Bemühungen, eine gemeinsame Umweltpolitik etwa im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu erreichen, immer wieder betont, daß der große Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung Frankreichs auch einen bedeutenden Beitrag Frankreichs zur Umweltentlastung darstellt.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Ich möchte meine Zeit einhalten. Ich bitte um Verständnis; ich möchte jetzt keine weitere Zusatzfrage zulassen. Ich komme zum Ende. Ich halte diese Zusammenhänge, die ich hier dargelegt habe, für ungleich bedeutsamer als jeden Streit über die eine oder andere denkbare Maßnahme, die im Bereich der Einsparpolitik zusätzlich getroffen werden kann. Wir sind dazu im übrigen gesprächsbereit. Aber, meine Damen und Herren von den GRÜNEN: Wir müssen bei der Energiepolitik auch zur Kenntnis nehmen, daß die fossilen Energiereserven nach der letzten Schätzung der Weltenergiekonferenz eine Billion Tonnen Steinkohleneinheiten betragen, daß aber diese Energiereserven leider endlich sind. Beim gegenwärtigen Energieverbrauch entspricht dies einer Reichdauer von 120 Jahren. ({0}) Den weitaus größten Anteil nehmen die Kohlereserven ein. Deren fast 700 Milliarden Steinkohleeinheiten könnten bei der gegenwärtigen Förderung über 250 Jahre genutzt werden. Wesentlich geringer sind die Vorräte an Erdöl und Erdgas, deren Reichweiten 33 bzw. 56 Jahre betragen, immer abhängig natürlich von den Energiepreisen, die bei diesem Vergleich auf dem heutigen Niveau angenommen worden sind. Meine Damen und Herren, wer diese Zusammenhänge sieht, der muß erkennen, wer wirklich in seiner Politik an kommende Generationen denkt. Der darf eine Chance nicht vertun, nämlich eine Energiereserve wie Uran zu nutzen, da die fossilen Energieträger ja tatsächlich, wenn wir über 200 oder 300 Jahre denken, zu Ende gehen. Und der kann in der Energiepolitik nicht so tun, als ob diese Erschöpfung fossiler Energieträger gleichgültig wäre, als ob es nicht lebensnotwendig wäre, diese Tatsachen in die Energiepolitik einzubeziehen. ({1}) - Aber die Energieeinsparung hat trotzdem nichts daran geändert, daß bei einer wachsenden Weltbevölkerung - zwar nicht bei uns, aber weltweit - der Energieverbrauch weiter zunimmt. Deshalb heißt Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen, alle Möglichkeiten von Energiequellen zu nutzen und im Auge zu haben, daß fossile Energieträger bei der Umwandlung in Energie auch in Zukunft Umweltprobleme auslösen werden, daß sie aber wegen ihrer Endlichkeit nicht schrankenlos zur Verfügung stehen und daß deshalb die Nutzung aller Energieträger, die uns heute zur Verfügung stehen, notwendig ist, einschließlich erneuerbarer Energien, deren Weiterentwicklung wir j a fördern und deren höheren Beitrag zur Energieversorgung wir erhoffen. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Burgmann.

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Grüner, wenn Sie uns gerade Verschleierung vorgeworfen haben, dann meine ich, daß Sie genau das getan haben, indem Sie hier die angebliche Umweltfreundlichkeit der Atomenergie dargestellt haben und richtigerweise gesagt haben, daß kein Schwefeldioxidausstoß da ist, dabei aber gleichzeitig verschwiegen haben, wie viel Tonnen an Plutonium und anderem strahlenden Abfall damit der Nachkommenschaft hinterlassen wird. ({0}) Wenn wir der Meinung sind, daß wir Verantwortung auch gegenüber den kommenden Generationen haben, dann ist es auf der einen Seite richtig, daß wir ihnen auch fossile Energieträger überlassen, auf der anderen Seite aber auch, daß wir ihnen nicht strahlenden Abfall über Jahrtausende hinterlassen, von dem sie nicht wissen, was sie damit machen sollen. ({1}) Es war auch gar nicht unsere Frage, daß wir Erfolge der vergangenen Bundesregierung in der Einsparung von Energie nicht durchaus positiv bewerten. Wir sind durchaus der Meinung, daß da einiges Positive erreicht worden ist. Aber die Frage ist, was nebenher läuft, die Frage ist, wohin diese Politik weitergeht. Da sagt die Presseerklärung der CDU/CSU-Fraktion vom 28. August allerdings etwas deutlicher als Sie in der Beantwortung der Fragen, wohin der Weg geht. Dort steht nämlich: Schluß mit den Hirngespinsten bei der Förderung alternativer Energien. Das, was die CDU/CSU-Fraktion da fordert, ist zwar diplomatisch verpackt in den Antworten auf unsere Anfrage, wird aber dann in der Praxis dieser Bundesregierung vollzogen. 1984 sind nach ihren Angaben für die Forschungsförderung regenerativer Energiequellen 234 Millionen DM zur Verfügung gestellt, für die Kernenergie aber achtmal soviel, 1,85 Milliarden DM. Die Regierung hat natürlich auch gleich die Entschuldigung bei der Hand: „Die Bundesregierung sieht in Verhältniszahlen von Förderbeträgen keinen geeigneten Maßstab zur Beurteilung einer guten Energie- und Energieforschungspolitik." Aber da wird doch deutlich, daß hier die Schwerpunkte ganz anders gesetzt werden, nämlich nicht in Richtung Energieeinsparung und alternative Energiequellen, sondern in Richtung Atomenergie. In der Drucksache 10/1774 sagt die Bundesregierung: Gerade einige dezentral einsetzbare Energietechniken ... sind heute so weit entwickelt, daß ihr Markterfolg kaum von weiterer Forschung und Entwicklung abhängt. Es geht also um die Markteinführung. Aber im Einzelplan 09 des Wirtschaftsministeriums läuft der Titel zur Förderung der beschleunigten Markteinführung energiesparender Technologien und Produkte im Jahr 1985 aus und ist noch mit ganzen 1,5 Millionen DM veranschlagt. In der Drucksache 10/1773 fängt die Bundesregierung mit dem Satz an: Rationelle und sparsame Energieverwendung ist eines der zentralen Ziele der Energiepolitik der Bundesregierung. Im Einzelplan 09 sind für diesen Bereich noch ganze 21 Millionen DM angesetzt gegenüber allein 133 Millionen DM zur Sicherung der Mineralölversorgung. Dazu steht dann in derselben Drucksache auf Seite 18: Die Bundesregierung verkennt nicht, daß immer noch bei vielen vor Inkrafttreten der Wärmeschutzverordnung errichteten Gebäuden ein besserer Wärmeschutz im Interesse weiterer Energieeinsparung wünschenswert wäre. Sie sieht aus Haushaltsgründen allerdings keine Möglichkeit, derartige Maßnahmen weiter finanziell zu fördern. Ich stelle dagegen die extreme Förderung der Erdölversorgung. Herr Riesenhuber erläutert in seiner Presseerklärung vom 13. Juli 1984: Die Bilanz stellt sich wie folgt dar: Wir verfügen heute praktisch über eine lückenlose Beurteilungsbasis über die Potentiale zur rationellen Energieverwendung und zu erneuerbaren Energiequellen. In der Drucksache 10/1767 heißt es dann aber: Bezüglich des mit Sonnenkollektoren darstellbaren Potentials ... verfügt die Bundesregierung nicht über eigene Schätzungen. Man könnte diese Widersprüchlichkeit in der Beantwortung unserer Großen Anfragen und in der konkreten Politik der Bundesregierung noch beliebig fortsetzen. Ich möchte nur noch auf zwei ganz zentrale Punkte eingehen. Zur Frage der Arbeitsplatzeffekte solcher Möglichkeiten der Förderung von Energieeinsparung und alternativen Energiequellen. Diese Frage bleibt ebenso unbeantwortet wie die unter dem Umweltaspekt zu stellende Frage, wie man durch solche Technologien den Ausstoß von Schwefeldioxid und anderen schädlichen Stoffen reduzieren könnte. Die Regierung sieht sich bezüglich vieler Fragestellungen nicht in der Lage, dazu etwas zu sagen. Dabei gibt es zahlreiche Studien, die teilweise von der Regierung selber in Auftrag gegeben wurden. Eine im Auftrag des Umweltbundesamts erstellte Studie des Fraunhofer-Instituts, veröffentlicht im Frühjahr dieses Jahres, besagt: Allein durch verbesserte Wärmedämmung und damit Brennstoffeinsparung könnte der Schadstoffausstoß der Haushaltsheizungen um rund 12 % sinken. Und weiter: Um diese Energiesparquellen auszuschöpfen, müßten nach Karlsruher Berechnungen bis 1995 jährlich 70 000 bis 90 000 Arbeitsplätze neu eingerichtet werden. Auch hier könnte man noch eine ganze Reihe von Zahlen anfügen, die deutlich machen, daß durchaus festzustellen und auch in Zahlen zu belegen ist, wie auf der einen Seite durch die Energieeinsparmaßnahmen und den Einsatz regenerativer Energiequellen sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden könnten und auf der anderen Seite gleichzeitig die Schadstoffbelastung unserer Umwelt verringert werden könnte. Wir müssen also feststellen: Die Bundesregierung setzt den verhängnisvollen Weg der zentralen und großtechnischen Energieversorgung fort. Hierbei wird weiter kräftig subventioniert, wobei uns die Atomstromproduktion nicht nur hohe Risiken und strahlenden Abfall über Jahrtausende beschert, sondern auch zu einer Überproduktion von Strom führt, auf der einen Seite mit hohen Strompreisen für den Kleinverbraucher und auf der anderen Seite mit dem Ergebnis verbunden, daß die regenerativen Energiequellen an die Wand gedrückt werden. ({2}) Umweltfreundliche Energieversorgung, Herr Staatssekretär Grüner, stellt sich für uns nicht als eine Summation von Großtechnologien dar. Umweltfreundliche Energieversorgung ist ein Mosaikbild aus den verschiedensten Möglichkeiten der Energieeinsparung, optimaler Energienutzung und größtmöglicher Nutzung der erneuerbaren Energiequellen. Dieses Mosaikbild zeichnet sich eben dadurch aus, daß es aus kleinen Steinen zusammengesetzt ist, wobei jeder an der richtigen Stelle sitzen muß, damit sich ein Bild ergibt, das dann etwas darstellt. Dabei müssen Energieeinsparung und Schadstoffreduzierung ebenso eine Rolle spielen wie Arbeitsplatzeffekte, wie die Möglichkeit einer gezielten Strukturpolitik, wie die Akzeptanz und letzten Endes auch Demokratisierung der Energieversorgung. ({3}) Betrachten wir in dem Zusammenhang die Möglichkeit der Energieeinsparung: Nach einer Studie des Ifo-Institutes, die auch Sie in Ihrer Drucksache erwähnt haben, wurden und werden von 1978 bis 1985 mehr als 50 Millionen t Steinkohleneinheiten bei Gebäuden eingespart. Große Einsparpotentiale sind aber noch bei der Wärmedämmung, im Verkehr, in Industrie und Haushalt vorhanden. Dabei spielt für uns allerdings eine Maßnahme eine zentrale Rolle. Wir wollen versuchen, von der Degression der Stromtarife wegzukommen, die den Mehrverbrauch subventioniert. Die Bundesregierung sagt dazu: Lineare Tarife sind ... mit dem Prinzip der Kostenorientierung nicht vereinbar. Und vorn in ihrer Antwort hat sie erklärt, sparsame Energieverwendung sei das zentrale Ziel der Regierung. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Energie einsparen wollen oder ob es uns um das Prinzip der Kostenorientierung geht. Über die Kraft-Wärme-Kopplung sind zur Zeit ca. 7 Millionen t Steinkohleneinheiten pro Jahr eingespart worden. 70 Millionen t Steinkohleneinheiten fallen aber noch pro Jahr als Abwärme an. Auch hier läßt sich also noch eine ganze Menge holen, allerdings nicht, wie die Regierung sagt, durch verbrauchsnahe Standorte für Großkraftwerke - das zeigt wieder dieses Großtechnologiedenken -, sondern durch die Umstrukturierung des Kraftwerksparkes, wie sie die GRÜNEN für unbedingt notwendig halten. Wir müssen hinkommen zu kleinen, verbrauchsnahen Kraftwerken mit Wirbelschichtfeuerung, umweltfreundlichen Technologien. ({4}) Durch Biogas ließen sich theoretisch 6,8 Millionen t Steinkohleneinheiten pro Jahr in der Bundesrepublik erzeugen - allein aus tierischen Abfällen. Dazu kommt noch die Möglichkeit, aus pflanzlichen Abfällen Energie zu erzeugen. Ferner spart die Einsparung von Kunstdünger Energie. Wenn wir nur einen Anteil davon erreichen könnten, wäre damit durchaus die Möglichkeit gegeben, den Bauernhof und das Bauerndorf wieder zum energiepolitischen Selbstversorger werden zu lassen. ({5}) Aber vielleicht will man gerade das nicht. Man will sie an der Strippe halten. Man will sie von den Monopolen abhängig halten und von Monat zu Monat kassieren. Ein Problem ist doch, daß Sonne und Wind bisher noch nicht über den Zähler laufen und man von daher noch nicht dafür kassieren kann. ({6}) Genauso bietet sich die Möglichkeit, die Sonnenenergie dezentral anzuwenden, nicht im Rahmen einer großen Sonnenfarm, sondern über Sonnenkollektoren. ({7}) Auf diese Weise könnten im Jahre 2000 6 % des Energiebedarfs gedeckt werden. Hierbei haben wir auch einen anderen positiven Effekt, den ich kurz deutlich machen möchte. Sonnenkollektoren beispielsweise - aber das gilt für Biogas und Wärmedämmung in gleicher Weise - sind eine relativ einfache Technologie. Jeder Kleinbetrieb kann sie herstellen, jeder Handwerksbetrieb kann sie installieren, und jeder Hausbesitzer kann sie anwenden. Das wäre eine Mittelstandsförderung, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wie man sie sich besser gar nicht denken könnte. Sie könnten all die Verrenkungen und auch die rund 800 Millionen DM Subventionen, die im Haushalt 1985 angesetzt sind, sparen, wenn Sie eine solche Energiepolitik betrieben. ({8}) Wir sehen also hier die entscheidenden Möglichkeiten, die Energieversorgung in Richtung einer umweltfreundlichen Energiepolitik umzustrukturieren. Hier liegt auch ein entscheidender Beitrag für eine vernünftige Strukturpolitik zur Schaffung von sinnvollen Arbeitsplätzen. Hiermit würden Devisen eingespart, und es würde ein entscheidender Beitrag zur Verringerung der Umweltbelastung geleistet. Nach INFRATEST ist in einer Mehrthemenuntersuchung festgestellt worden, daß allein 82 % der Befragten sich für eine stärkere Nutzung von Sonnen- und Windenergie ausgesprochen haben. Der Herr Zimmermann könnte also bei einer solchen Umstellung der Energiepolitik gleichzeitig auch eine ganze Menge sparen beim Aufbau seiner Polizei- und Bundesgrenzschutzeinheiten, die er, um die Atomenergie durchzusetzen, offensichtlich ganz erheblich verstärken muß. Ich fasse zusammen. Die Energiepolitik der Regierung setzt uns und die kommenden GeneratioBurgmann nen auf unabsehbare Zeit den ungeheuren Risiken der Atomenergie und der Plutoniumwirtschaft immer stärker aus. ({9}) Diese Politik wird durch die Brütertechnologie, durch die Wiederaufarbeitungs- und Endlagerungskosten unbezahlbar werden für die Bundesrepublik. Schon heute wachsen diese Zahlen ins Astronomische. Sie läßt die Probleme von Umweltschäden und Entsorgung weiter offen, und sie läßt ebenfalls das Problem der Arbeitslosigkeit und der Möglichkeit, dort durch eine vernünftige Energiepolitik gegenzusteuern, außenvor. Wir fordern deshalb den Umbau der Energieversorgungsstruktur, und wir fordern, daß die Gelder für Einsparung und regenerative Energiequellen statt für den weiteren Ausbau der Atomtechnologie eingesetzt werden. Ein Schritt in diese Richtung ist der Antrag, den wir heute diesem Bundestag vorgelegt haben. Unser Antrag fordert auch, die Wahnsinnsentwicklungen der Wiederaufbereitungsanlage zu stoppen, die Plutoniumwirtschaft in Hanau zu unterbinden. Hier soll ja nach den Plänen von NUKEM und ALKEM hoch angereichertes Uran 235 und Plutonium 239 in Mengen gelagert und verarbeitet werden, die für etwa 1 000 Sprengköpfe ausreichen würden. Die Nähe zur Rüstungspolitik dieser Regierung wird allein an diesen Zahlen deutlich. Hier sind heute klare Entscheidungen notwendig. Ich gehe davon aus, daß die Kollegen und Kolleginnen der SPD entsprechend dem Beschluß auf ihrem Parteitag in Essen, wo sie sich gegen die Wiederaufarbeitung und für einen langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen haben, unseren Antrag unterstützen werden. ({10}) Demokratie braucht verantwortbare Entscheidungen. Ich möchte auch die Kollegen der Regierungsparteien einmal bitten, darüber nachzudenken. ({11}) Plutoniumtechnologie und Wiederaufarbeitung sind ebenso wie die gesamte Atomenergie wegen der Kosten, aber vor allem wegen der Risiken für die Menschen und für die zukünftigen Generationen unverantwortbar. ({12}) Ich gehe deshalb davon aus, daß wir für unseren Antrag auch von Ihnen Unterstützung finden. ({13})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, ich habe dem Haus bekanntzugeben, daß um 13 Uhr eine Fraktionssitzung der CDU/CSU und ebenfalls eine Fraktionssitzung der FDP stattfindet. Zweitens gebe ich bekannt, daß der Ältestenrat um 14 Uhr tagt. Wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird bis 14 Uhr unterbrochen und dann mit der Fragestunde fortgesetzt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Wir setzen die Beratungen mit Punkt 1 der Tagesordnung fort: Fragestunde - Drucksache 10/2163 Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung ist der nächste, der aufgerufen wird. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. Ich rufe als erste Frage die Frage 31 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf: Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß die UdSSR gegenwärtig der einzige Staat ist, der Raketen-Abwehrwaffen stationiert hat, mit denen von der Erde in den Weltraum geschossen werden kann, und daß die UdSSR darüber hinaus intensiv an einem System arbeitet, mit dem durch energiereiche Partikelstrahlung Raketengefechtsköpfe im Weltraum zerstört werden können?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Präsident, Herr Kollege Jäger, nach Erkenntnissen der Bundesregierung ist es zutreffend, daß die Sowjetunion gegenwärtig als einziger Staat in der Welt über eine solche Raketenabwehrwaffen-Einrichtung verfügt. Die Sowjetunion hat diese in einem Gürtel um Moskau herum aufgebaut. Darüber hinaus ist sie nach unseren Erkenntnissen zur Zeit dabei, diese Waffen technologisch zu modernisieren, zu verbessern. Vorliegende Erkenntnisse lassen auch darauf schließen, daß die Sowjetunion an der Entwicklung von Waffensystemen auf der Basis energiereicher Partikelstrahlung arbeitet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnten Sie mir erläutern, was damit gemeint ist, wenn Sie davon reden, daß die Sowjetunion dabei sei, den Gürtel um Moskau mit diesen Weltraumwaffen zu modernisieren?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich habe Ihnen dies auf Ihre Frage mitgeteilt, weil Erkenntnisse vorliegen, daß sie über die seit längerem erkannten Stellungen hinaus im Augenblick weitere im Bau hat. Darüber hinaus deuten Erkenntnisse darauf hin, daß - anders als bisher - nicht nur die bestehenden Flugkörper gegen Raketen für eine bestimmte Reichweite dort stationiert werden, sondern daß es sich um zweierlei handelt: um solche Flugkörper, die ihre Aufträge innerhalb der Erdatmosphäre, und um solche, die ihre Aufträge zukünftig außerhalb der Erdatmosphäre erfüllen können. Es handelt sich also um eine zweischichtige Raketenabwehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Würzbach, könnten Sie uns das, was Sie zuletzt gesagt haben, noch durch ein paar Daten näher veranschaulichen, damit man einen besseren Begriff davon bekommt, was damit gemeint ist? Ich bin technischer Laie.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich kann einige Daten der Systeme nennen, die jetzt bereits um Moskau herum stationiert sind. Nach unseren Kenntnissen befinden sich bei dem Raketenabwehrsystem Feuerleitgeräte, die eine Reichweite von weit mehr als 1 000 km - die Erkenntnisse gehen in Richtung von sogar mehr als 1 500 km - haben. Die Flugkörper, die wir in der NATO mit dem Codenamen „Galosh" bezeichnen, haben nukleare Sprengköpfe und eine Reichweite von mehr als 500 km in der Horizontalen und einen Höhenwirkungsbereich von bis zu 230 km. Wir wissen auch etwas über die Geschwindigkeit: Wir gehen von der zehnfachen Mach-Geschwindigkeit aus. Über die neuen Systeme haben wir keine detaillierten Erkenntnisse, die über das soeben Genannte hinausgehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen von einem Gürtel um Moskau herum und brachten dies in Verbindung mit Weltraumwaffen. Kann ich das, wenn Sie das so erklären, so verstehen, daß es einen stationären Gürtel gibt, der sich im Weltraum befindet, oder meinen Sie nicht die bisher schon bekannten Flugabwehrringe um die Stadt Moskau herum?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich habe sicherlich für jeden, der aufmerksam hat zuhören wollen, Herr Kollege, gesagt, daß es um Moskau herum - das ist der einzige Ort in der Welt - einen Raketenabwehrgürtel gibt, der im Augenblick über eine bestimmte Rakete verfügt und der in Zukunft auf zwei verschiedene Raketensysteme erweitert wird, von denen das eine nach vorliegenden Erkenntnissen auch außerhalb der Erdatmosphäre wirken kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, liegen Erkenntnisse dahin gehend vor, daß die Sowjetunion etwa versuchen könnte, sich die elektronischen Mittel zu verschaffen, um den gegenwärtig auf die Region Moskau/Gorki konzentrierten Abwehrgürtel flächendeckend über ihr gesamtes Territorium ausdehnen zu können?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Es liegen Erkenntnisse vor, daß an solchen Systemen gearbeitet wird. Es liegen keine detaillierten Erkenntnisse bezüglich zukünftiger regionaler Stationierung und Schwerpunktsetzung vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort folgern, daß die Sowjetunion für die jetzt beginnende Militarisierung des Weltraums die Hauptverantwortung trägt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

In diesem Punkt, über den wir hier reden, Herr Kollege, was die Raketenabwehrsysteme angeht, ist die Sowjetunion der einzige Staat, der hier überhaupt in der Form tätig geworden ist. Die Amerikaner haben - das ist ja bekannt - ein ähnliches System mal entwickelt. Seit 1976 wird daran nicht gearbeitet. Insofern wird hier in der Tat ein Wettlauf durch diese präjudizierenden, in Zukunft noch ausgebauten, in der Wirkung verstärkten Systeme eingeleitet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zu der Frage 32 des Abgeordneten von Schmude: In welchem Umfang kann bei der Einberufung zum Grundwehrdienst auf die schulische und berufliche Situation der Wehrpflichtigen Rücksicht genommen werden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Präsident, die Antwort auf diese Frage wird ein wenig länger als die vorherige Antwort sein; ich bitte um Verständnis. Herr Kollege von Schmude, wir führen bereits in sehr großem Umfang bei der Einberufung der jungen Männer zum Wehrdienst nicht nur theoretisch, sondern wirklich in täglich geübter Praxis ein Entgegenkommen und eine Rücksichtnahme auf die persönliche Situation durch, soweit dies irgend möglich ist. Das heißt konkret, daß unsere Kreiswehrersatzämter angewiesen sind und bei einer persönlichen Tagung durch den Minister noch einmal darauf hingewiesen wurden, sich intensiv gegenüber den persönlichen Wünschen der Antragsteller, d. h. schulischen Dingen, beruflichen Dingen, persönlichen und familiären Dingen aufgeschlossen zu zeigen. In der Praxis stellen wir also auf Antrag junge Männer für einen Zeitraum, den sie haben möchten, zurück, oder wir ziehen sie, wenn sie es möchten, vor, obwohl der Jahrgang noch nicht dran ist. Eine Grenze habe ich allerdings deutlich hier beim Namen zu nennen. Es ist, wenn jemand in die Nähe des 28. Lebensjahrs kommt. Wir berufen, wie Ihnen bekannt, nur bis zum 28. Lebensjahr ein. Es darf nicht sein, daß wir gutmütig, großzügig, einfühlend verschieben, verschieben, verschieben und er zum Schluß sagen kann: Nun bin ich alt genug; nun kannst du mich nicht mehr holen. Auf diese Grenze haben wir zu achten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage? - Keine. Aber Sie haben eine weitere Frage, Herr Abgeordneter von Schmude. Es ist die Frage 33, die ich hiermit aufrufe: Besteht die Möglichkeit, bevorzugt arbeitslose Jugendliche zum Grundwehrdienst und zu Wehrübungen einzuberufen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, auch hier antworte ich mit Ja. Diese Möglichkeit besteht, nämlich bevorzugt arbeitslose Jugendliche einzuberufen. Auch hier verfahren wir in der Praxis so. Wenn ein junger Mann, dem Kreiswehrersatzamt meldet, er sei im Augenblick arbeitslos, und bittet, ihn jetzt einzuberufen, um diese Zeit zu überbrücken und für den Wehrdienst zu nutzen, dann werden wir ihn einberufen. Wir haben hierüber keine statistischen Erfassungen gemacht. Wir wissen aber aus einer Rundfrage, daß diese Zahlen gewaltig hoch sind und teilweise zu nicht unerheblichen Belastungen der Truppe dadurch führen, daß wir teilweise 70 % Abiturienten und als Rest Arbeitslose haben, wo wir nicht gezielt die Berufe nehmen können, die wir in der Truppe brauchen. Aber auch hier ist die Bundeswehr gegenüber diesen arbeitslosen Jugendlichen offen, soweit es irgend geht, um sie in dieser Zeit einzuberufen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Gansel: In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung bei Kooperationsprojekten mit NATO-Staaten oder bei deutschen Zulieferungen zur Kriegswaffenproduktion in NATO-Staaten den Grundsatz einer restriktiven Waffenexportpolitik zu verfolgen, wenn die in den NATO-Staaten produzierten Waffen an Drittländer weiterexportiert werden sollen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Maßgebend, Herr Kollege Gansel, für das Verhalten der Bundesregierung sind die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist keine Antwort, Herr Präsident. Ich habe eine Frage gestellt. Das ist keine Antwort. Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen durch die Art, wie die Regierung hier -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Augenblick, Herr Abgeordneter! Die Bundesregierung ist frei, wie sie antworten will. Ob Sie damit zufrieden sind oder nicht, ist natürlich Ihre Sache. ({0}) Herr Abgeordneter Gansel, ich schlage vor, daß Sie Ihre Zusatzfrage stellen. ({1})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da die Bundesregierung bei Anfragen von Abgeordneten oft Uniformiertheit vortäuscht, frage ich die Bundesregierung, ob sie bereit ist, sich darüber zu informieren, daß der spanische Santa-Barbara-Konzern einen Panzertyp aus Elementen des deutschen Kampfpanzers Leo und des französischen Kampfpanzers AMX produzieren will, um ihn nach Ägypten zu exportieren, und wie die Bundesregierung, wenn sie die Richtlinien vom 28. April 1982 als bindend empfindet, diesen Vorgang beurteilt.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, zunächst verwundert mich Ihre Reaktion auf meine Antwort heftig. Die hätte Sie eigentlich erfreuen sollen; denn ich habe darauf hingewiesen, daß diese Bundesregierung wie die davor als Fundament für die Frage, die Sie stellten, die Grundsätze nimmt, die am 28. April 1982 - Kontinuität - verabschiedet wurden. Ich bin über Ihre Reaktion sehr verwundert. Das zu dem Punkt. Zum zweiten sage ich Ihnen: Die Bundesregierung ist bereit, sich darüber zu informieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung im Widerspruch zu den Richtlinen vom 28. April 1982 bei dem Kooperationsprojekt Tornado, den Großbritannien an Saudi-Arabien verkauft, gegenüber Großbritannien das vertraglich vereinbarte Vetorecht zurückgezogen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Es gibt kein vertraglich vereinbartes Vetorecht, und damit hat die Bundesregierung nicht gegen Grundsätze verstoßen, wie ich sie soeben zitierte. Die Bundesregierung hat vertragsgemäß den Grundsätzen gemäß ihr Konsultationsrecht auch in dem speziellen Fall, den Sie soeben ansprechen, genutzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Warum hat die Bundesregierung die mit der Beschaffung des Tornados befaßten Bundestagsausschüsse nie mit der Änderung des Kooperationsvertrages befaßt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich kann Ihnen jetzt aus dem Ärmel keine Antwort geben, wann welcher Ausschuß durch wen darüber informiert worden ist. Es ist nur klar, daß dies eine Abmachung zwischen der Bundesregierung und in diesem Fall der Regierung von Großbritannien ist, die nicht im Kämmerlein gemacht wurde, sondern deren Ergebnisse auch dem Parlament gegenüber offengelegt sind, so daß ich davon ausgehen darf, daß jeder kompetente Ausschuß und dort tätige Abgeordnete informiert wurde. Ich darf noch hinzufügen, daß es in keiner Abmachung gegenüber irgendeinem Staat ein Vetorecht gibt, daß es ein sehr weites, frühzeitig einsetzendes Konsultationsrecht - ich stimmte Ihnen zu, wenn Sie dies in bestimmten Situationen sogar zu einer Konsultationspflicht erheben - gibt, das die Bundesregierung immer, ab dem Jahre 1972 bis in diese Tage hinein, fußend auf den angesprochenen Grundsätzen, ausgenutzt hat. Nur ergibt sich daraus kein Vetorecht, d. h. keine Möglichkeit und auch keine Absicht, eine verbündete Regierung zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Würde dies versucht, müßte die Überschrift „Kooperation" gestrichen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Belastung der Umwelt, insbesondere der Luft, durch die militärischen Flugübungen auf dem relativ kleinen und dichtbesiedelten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, und lassen sich nicht, insbesondere die Flugübungen der Verbündeten, stärker auf deren Heimatländer verlegen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Die in den Luftfahrzeugen der Streitkräfte verwendeten Kraftstoffe enthalten in den Verbrennungsrückständen, insbesondere bei den Turbinentriebwerken - sprich: bei den Düsenflugzeugen - nur sehr geringe Anteile von Schadstoffen. Der Anteil des militärischen Flugbetriebes an Schadstoffemissionen über dem Gebiet der Bundesrepublik beträgt lediglich 0,25%, also ein Viertel eines Prozentes. Die Werte in den zurückbleibenden Rückständen sind nahezu zu vernachlässigen. Zum zweiten Teil, Herr Kollege, Ihrer Frage, ist darauf hinzuweisen, daß im Interesse unserer Sicherheit die auch bei uns in der Bundesrepublik stationierten alliierten Luftwaffen hier bei uns Fliegen üben müssen, um mit der hiesigen Topographie, aber auch mit den klimatischen Verhältnissen vertraut zu werden. Um dennoch die berechtigten Interessen der Bevölkerung, des Umweltschutzes weitestgehend zu berücksichtigen, ist die Gesamtzahl auch dieser Übungsflüge, soweit es irgend geht, in Richtung auf ein Minimum begrenzt. Darüber hinaus führen wir viele Flüge über der Ostsee, über der Nordsee und, wie ich hier schon häufiger gesagt habe, zu insgesamt 34 % im befreundeten Ausland durch.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie regelmäßig konkrete Untersuchungen über die Umweltbelastung durch Flugübungen in technisch einwandfreier Form durchführen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Dies ist richtig, Herr Kollege. Ich möchte gern die Gelegenheit wahrnehmen, Sie zu bitten, zur Vertiefung dieses Themas auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage hier aus dem Haus zu Emissionen aus Düsenflugzeugen zurückzugreifen, die wir Ihnen am 6. Juni 1984 detailliert vorgelegt haben - Drucksache 10/1560 - und in der technisch wissenschaftlich sehr gründlich hierzu Angaben gemacht werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank dafür. - Ich habe eine organisatorische Frage. Ist in Ihrem Hause eine entsprechende Stelle ständiger Art da, die sich mit Umweltbelastungen auf Grund militärischer Übungen befaßt, und gibt es eine entsprechende Zusammenarbeit mit den zuständigen anderen Ressorts?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Beides, Herr Kollege, ist der Fall, in vernünftiger Organisation im Haus und in einer engen Verzahnung zu den zuständigen anderen Bundesressorts.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen an, daß die Verbündeten hier unbedingt üben müssen. Wie ist der Stand der Verhandlungen, beispielsweise, daß Tiefflug auch in Holland möglich sein könnte, insbesondere wenn man davon ausgeht, daß die Tiefflugstrecken 250 Fuß nur von Holland in das Westmünsterland hereinführen und aus diesem Tieffluggebiet wieder hinaus, während in Holland selbst nur 1 500 Fuß geflogen werden darf?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich hoffe, daß gerade Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses die Kräfteaufteilungen innerhalb der NATO in unserem Interesse über unserem Gebiet kennen und sie so unterstützen und unterstreichen, wie ich das hier formuliert habe. Unabhängig davon bestätige ich, daß wir ganz besonders mit den Holländern im Augenblick auf der dafür vorgeschriebenen nicht niedrigen Ebene im Gespräch sind, um weitere Entzerrungen, Entlastungen, Verbesserungen zu erreichen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Würzbach, nachdem die Schmerzgrenze bei Tief- und Tiefstflügen langsam erreicht ist, möchte ich gerne von Ihnen wissen: Wie tief dürfen Flugzeuge der Air Force Großbritanniens in ihrem Land fliegen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Wir haben in dem einen oder anderen Fall noch Unterschiede zwischen den Tiefen bei Alliierten und den Tiefen in bestimmten Gebieten bei uns in der Bundesrepublik. Auch hierüber werden Gespräche geführt. Nur lenkt auch dies, Herr Kollege - sagen wir ruhig: leider -, nicht ein bißchen von der Notwendigkeit ab, daß die Luftwaffe der NATO, alliierte Piloten wie die unseren, über unserem Gebiet fliegt, über unserem Gebiet übt und im Tiefflug wie auch im Tiefstflug ihre Einsätze probt, um den Auftrag, den sie hat, zu erfüllen, nämlich abzuschrecken, damit es zu keiner Auseinandersetzung kommt. Sie wissen - wir haben uns darüber häufiger, auch hier, unterhalten -, daß wir gerade den Tiefstflug nicht im Bundesgebiet durchführen, sondern z. B. in Kanada und an anderen Stellen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun kommen wir zur Frage 36 des Abgeordneten Wilz: Vizepräsident Westphal Beabsichtigt die Bundesregierung eine vorzeitliche freiwillige Zurruhesetzung allein bei den Offizieren des Truppendienstes zur Lösung des Verwendungsstaus, und wenn ja, welche Lösungsmöglichkeiten sind für die Strukturprobleme im Bereich der Offiziere des militärfachlichen Dienstes und der Berufsunteroffiziere vorgesehen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege Wilz, im Gegensatz zu der Vorgängerregierung beurteilt die Bundesregierung die mit dem Verwendungsstau und der damit verbundenen Überalterung des Führerkorps in unserer Bundeswehr entstandenen Auswirkungen als sehr gravierend. Aus diesem Grunde hat sie unmittelbar nach dem Regierungswechsel die erforderlichen Maßnahmen zur Behebung des Verwendungsstaus und zum Abbau der eingetretenen Überalterung für alle drei Laufbahngruppen, d. h. für die Unteroffiziere, die Offiziere des militärfachlichen Dienstes wie für die Truppenoffiziere, eingeleitet. Leider konnte hierbei auf Vorarbeiten der Vorgängerregierung nicht zurückgegriffen werden. In den Jahren 1983 und 1984 wurden bereits erste Schritte durchgeführt, die mit den zusätzlichen Maßnahmen im kommenden Jahr insgesamt 850 neue Planstellen ergeben. Dies bedeutet eine Veränderung und Beförderung von rund 3 500 Soldaten aller Dienstgradgruppen. Wegen der unterschiedlichen Personalstruktur in den drei Laufbahngruppen sind auch unterschiedliche Lösungen erforderlich, um den Stau abzubauen. Es werden deshalb über das oben Genannte hinaus, beginnend im Jahr 1985 - in wenigen Wochen also -, in mehreren Jahresschritten durch Umwandlung insgesamt 171 zusätzliche A-11-Hauptmannstellen für die Offiziere des militärfachlichen Dienstes geschaffen. Diese Maßnahme schafft die Voraussetzung dafür, daß alle geeigneten Offiziere dieser Laufbahngruppe ihr Ziel, nämlich den Dienstgrad „Hauptmann", erreichen können. So wird bereits jetzt der vorhandene Stau abgebaut, und ab 1987 wird dann eine völlig normale Personalstruktur dieser Laufbahngruppe erreicht werden. Ebenfalls im Jahre 1985 wird für die Laufbahngruppe der Unteroffiziere durch entsprechende Umwandlung und durch Neueinrichtung ein Zugewinn von rund 1 000 Planstellen erreicht. Auch in dieser Laufbahngruppe wird damit der Stau abgebaut, um dann Ende 1987 in eine geordnete Personalstruktur überzugehen. Dies bedeutet, daß jeder besonders gut qualifizierte Unteroffizier den Dienstgrad „Stabsfeldwebel" und „Oberstabsfeldwebel" früher - und damit der Hauptfeldwebel seinen Spitzendienstgrad in geringerem Alter - erreichen kann. Herr Präsident, eine letzte Bemerkung zur dritten Laufbahngruppe, denn es ist leider nicht kürzer zu machen, wenn die Antwort ordentlich gegeben werden soll: Ganz anders die Situation bei den Truppenoffizieren. Dort gibt es als einzige Lösungsmöglichkeit das in unserem Konzept vorgesehene freiwillige vorzeitige Ausscheiden, um zu erreichen, daß die Zugführer, die Chefs und die Bataillonskommandeure in jüngerem Alter mit den entsprechenden Belastungen und Anforderungen konfrontiert werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie sieht bei der Beseitigung des Verwendungsstaus für die Truppenoffiziere - in groben Zügen, nicht bis ins letzte Detail - die vorgesehene Lösung aus, bei der Sie bisher ja nur die Elemente „Freiwilligkeit" und „Vorzeitigkeit" angesprochen haben?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Sie wissen, daß wir im Verteidigungsministerium mit dem Konzept nahezu - da fehlen, so sage ich einmal, noch die letzten Millimeter - fertig sind und daß wir dies dann, wie es sich gehört, wenn die Bundesregierung eine Gesetzesvorlage macht, dem Kabinett zuleiten. Jedermann ist bekannt, daß sich der Bundeskanzler persönlich, aber auch im Rahmen des Kabinetts zunächst am 1. Februar dieses Jahres - und quergeschaltet auch der Finanzminister - hierzu bereits hat vortragen lassen. Ich darf einige Eckdaten aus dem Konzept nennen: Erstens die freiwillige Basis. Das heißt, wir werden keinem Offizier, der die Bundeswehr mit aufgebaut hat, sagen: Jetzt hast du deine Schuldigkeit getan und gehst nach Hause. Vielmehr kann sich der Offizier freiwillig melden und sagen: Ich möchte von eurem Konzept Gebrauch machen. Zweiter Eckpunkt: Wir beschränken dies auf die Jahrgänge in dem Stau, um den es geht. Es gilt nicht für alle. Das bedeutet, daß wir dies denjenigen anbieten, die zwischen 1935 und 1944 geboren sind. Dritter Eckpunkt: Wir begrenzen dies auf eine Zahl von maximal 1 500 Mann. Ich möchte hier gern hinzufügen: Dies macht deutlich, daß das nicht den Arbeitsmarkt durcheinanderbringen wird. Vierter Punkt: Dies werden wir auf etwa fünf Jahre verteilen. Das macht meine Aussage von eben noch deutlicher. Es werden 200 oder 250 pro Jahr sein, und es wird sich auf diesen Zeitraum beschränken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, wie die von Ihnen jetzt in einem groben Abriß dargestellte Lösung bei den Truppenoffizieren der Bundeswehr ankommt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Sie wissen aus engem Kontakt zur Truppe und durch Verfolgen der Diskussion, daß eine ausgesprochen große Erwartungshaltung der Bundeswehr - nicht nur der betroffenen Offiziere - in Richtung Bundeswehrführung bzw. Bundesregierung vorhanden ist, wenn es darum geht, diesen Stau endlich abzubauen. Begleitend zum Erarbeiten des Konzepts haben wir bei den Offizieren im Stau - und das sind über 4 000 von etwa 10 000 in diesen Jahrgängen, also fast die Hälfte - durch persönliche Gespräche, aber auch durch Befragungen und Diskussionen ab6886 getastet, wie die mögliche Akzeptanz eines solchen Konzepts wäre. Die Ergebnisse ermutigen uns sehr, dieses Konzept so der Bundesregierung und dem Parlament vorzulegen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hanz.

August Hanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000809, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß sich die Regierung Schmidt schon im Weißbuch 1979 betroffen über die unorganische Altersstruktur der Bundeswehr und den dadurch bedingten Verwendungsstau geäußert und diese Besorgnis in ihrer Regierungserklärung im November 1980 noch einmal unterstrichen, das Problem also erkannt und umschrieben hat? Wenn ja, teilen Sie meine Feststellung, daß ihre Konsequenz daraus Nichtstun gewesen ist?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, leider ist dies zutreffend. Verbales Sich-BekümmertZeigen und Mit-Worten-Ausdrücken, daß der Zustand schlecht ist und sich auf die Motivation und die Moral und auf die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte auswirkt und dringend etwas getan werden muß: immer wieder wurden solche Reden gehalten. ({0}) In der Praxis will ich Ihnen ein amtliches Dokument noch nennen, aus dem deutlich wird, daß Ihre Beschreibung leider zutrifft. Das ist der Fünf-Jahres-Plan, in dem die Bundeswehrplanung festgelegt ist, was man organisatorisch will, was man durch gesetzgeberische Initiativen will und was man selbst im eigenen Plan auch finanztechnisch abgesichert hat. Das Fünf-Jahres-Programm von 1982 hätte Gültigkeit gehabt bis 1987. Es sagt in keiner Zeile, sagt mit keinem Wort irgend etwas darüber aus, daß man den Verwendungsstau parlamentarisch hätte angehen wollen, um ihn, wie immer auch, zu lösen. Ihre Beschreibung ist leider zutreffend.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Hauser ({0}).

Otto Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000835, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die frühere Bundesregierung durch die Heraufsetzung der besonderen Altersgrenzen in den 70er Jahren das Problem des Verwendungsstaus zusätzlich erschwert hat? ({0})

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Das ist korrekt, Herr Kollege. Dadurch ist dies in der Breite der Jahrgänge für alle angesprochenen Laufbahngruppen noch einmal zahlenmäßig verschärft worden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 37 des Abgeordneten Wilz: Wie hoch ist der jeweilige Überhang in den überbesetzten Jahrgängen bei den Offizieren des Truppendienstes, bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes und bei den Berufsunteroffizieren, und mit welchem Verlauf ist bei den Zurruhesetzungen von 1985 bis 1992 zu rechnen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege Wilz, der Überhang in den überbesetzten Jahrgängen beträgt bei den Offizieren des Truppendienstes 4 961, wie eben erwähnt, von 10 200, bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes 1720, bei den Unteroffizieren 5 524. Dies also sind alle die, die überaltert zu lange in diesen Funktionen stehen. Bei den Zurruhesetzungen ohne eingreifende, wie eben besprochen, Maßnahmen wäre mit folgendem Verlauf zu rechnen, nach dem Sie fragen: bei Offizieren des Truppendienstes nimmt die Anzahl der Zurruhesetzungen seit Anfang der 80er Jahre ständig ab, auch im Augenblick, erreicht 1986 mit 122 dann ein Minimum und überstiege erstmals wieder 1992, d. h. erst in acht Jahren, mit ungefähr 570 das Soll von 484. Bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes nehmen die Zurruhesetzungen bereits jetzt wieder zu. Es ist dort also eine Entlastung zu spüren. Sie erreichen schon 1987 das Soll von 529 und 1991 das Maximum von dann rund jeweils 1 000. Bei den Unteroffizieren schließlich ist der Verlauf ähnlich. Das Soll von 1 166 wird bereits 1988 mit rund 1 200 überschritten. 1992 werden 1 800 Zurruhesetzungen erreicht. Die wegen der oben genannten Zahlen und Zusammenhänge vorgesehenen unterschiedlichen Lösungswege in allen drei Laufbahngruppen werden jedoch die eben genannten Auswirkungen ausgleichen helfen bzw. voll beheben können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, meinen und unseren Dank anzunehmen ({0}) für die hervorragende Vorarbeit, die im Verteidigungsministerium geleistet worden ist ({1}) seit der Übernahme unserer Regierung, und sind Sie mit uns der Auffassung, daß wir dies auch öffentlich sehr deutlich machen müssen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, das zweite nehme ich hier sehr zustimmend an, daß wir das öffentlich beim Namen nennen sollen. Zum ersten möchte ich nicht nur der Vornehmheit halber nein sagen, sondern aufrufen, daß wir dieses Verschieben, bis sich die Maßnahmen über die parlamentarischen Gremien in der Praxis auswirken. Daran liegt uns. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Wilz. Sie hätten noch eine gehabt. Dann habe ich Herrn Kalisch als nächsten.

Joachim Kalisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind im gegenwärtigen Haushaltsplan und in dem jetzt in der Beratung befindlichen Haushaltsplan 1985 zu diesem Zweck Stellen eingestellt worden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ja, Herr Kollege, eine ganze Reihe, um die vorhin bei den verschiedenen Fragen deutlich gemachten Voraussetzungen zu schaffen, um in den Jahren 1983, 1984 und 1985 auf die Zahl von 3 500 Veränderungen, sprich: Beförderungen zu kommen. Es sind Schritte, die 1983 leider erst von Null aus begannen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß es sich bei dem Verwendungsstau um ein spezifisches Strukturproblem der Bundeswehr handelt, weil die vorhandene Überalterung der Führer und Unterführer die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gefährden könnte?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, das ist der Fall. Bei Aufbau der Bundeswehr haben wir aus den Jahrgängen vor 1935 zu wenige Bewerber gehabt und deshalb aus den genannten Jahrgängen 1935 bis 1944 in manchen Bereichen doppelt so viele eingestellt. Das hat zu diesem Problem geführt. Ich möchte einmal eine sehr anschauliche Beschreibung des Problems geben. Im „ppl wehr-report" - ein Pressedienst, den in Bonn jeder kennt - steht: Der Personalkegel, allgemein als sinnvollster Aufbau des Personals angesehen, hat einen Bauch. Woran liegt es? In den sogenannten weißen Jahrgängen - 1926 bis 1935 fehlten der Bundeswehr viele Offiziere. Mit den folgenden geburtenstarken Jahrgängen bis 1944 wurde dieses Manko ausgeglichen. Da man daran zehn Jahre lang leider nichts geändert hat, ist der Bauch dieses Kegels so lange vor uns hergeschoben worden, daß er jetzt so kräftig drückt, daß es nicht nur die in dem Stau stehenden Männer an ihrem Dienstgrad spüren, sondern die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, der Kampftruppe in der Bundeswehr, der Vorgesetzten als Führer von jungen Wehrpflichtigen im Gelände Schaden nehmen muß. Das muß dringend repariert werden. Das ist ein bundeswehreigentümliches Personalstrukturproblem. Es ist kein soziales Problem, sondern ein ernstes Problem hinsichtlich der Belastbarkeit der Führer.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Würzbach, stimmen Sie mit mir überein, daß es auch irgendwo ein kleines Fehlerehen geben müßte, nachdem wir nun aus Ihrem Munde nur Positives über die hochgelobte Bundeswehr hören?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, wenn Sie richtig hätten zuhören wollen - sage ich, Herr Krizsan, weil ich Sie gut kenne -, hätten Sie festgestellt, daß ich leider über einen sehr negativen, ganz schlechten, der Bundeswehr weh tuenden Zustand geredet habe, der dringend geändert werden muß. Ich habe mich nicht so lange der Zustandsbeschreibung gewidmet, sondern mehr der Skizzierung dessen, was wir zu tun beabsichtigen, was im Konzept fertig ist und möglichst zum 1. Januar 1986 greifen soll, damit diese großen Fehler ausgemerzt werden. Ich hoffe, Herr Kollege, daß auch Sie ein Interesse daran haben, daß das geändert wird, d. h. die jungen Vorgesetzten unserer Soldaten, der jungen Wehrpflichtigen, ihre Aufgabe in der Bundeswehr als Führer, als Ausbilder, als Erzieher entsprechend ihrer Qualifikation in einem bestimmten Alter wahrnehmen können. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, kann ich Ihre verschiedenen Antworten zu diesen Fragen und Zusatzfragen dahin gehend zusammenfassen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um dieses übernommene Problem im gegenwärtigen Haushaltsplan und im nächsten Haushaltsplan so zu regeln - die verschiedensten Dienstgradgruppen betreffend und so weit es die Offiziere des Truppendienstes angeht -, daß es spätestens ab 1986 als gelöst angesehen werden kann?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ab 1986 nicht voll gelöst, aber bei den Unteroffizieren und den Fachdienstoffizieren in den Haushalten 1983, 1984, 1985 erheblich gemildert, um dann ab 1987, 1988 durch die weiter laufenden Schritte gelöst zu sein. Bei den Truppenoffizieren wird das Problem durch haushaltswirksame Maßnahmen - neue Stellen - in den Jahren 1983, 1984, 1985 in ersten Schritten angegangen - in ersten, Herr Kollege, nicht in ausreichenden -, und dann werden wir in großen Schritten, beginnend im Frühjahr 1986, dafür Sorge tragen, daß dieses Problem wenige Jahre später gelöst ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn durch den Verwendungsstau die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr so gefährdet ist, daß man nach Ihren Worten fast den Eindruck haben muß, die Russen nutzten das aus und kämen morgen, wenn Sie auf intensivste Art und Weise Tag und Nacht beschäftigt sind, dem Wohl der einzelnen betroffenen Soldaten gerecht zu werden, und wenn Sie zwei Jahre gebraucht haben, um jetzt Ihre brillanten Lösungsmöglichkeiten vorsichtig skizzieren zu können: Wozu war es dann eigentlich nötig, daß der Bundeswehrverband in jedem Wahlkreis, bei jedem einzelnen Abgeordneten Lobby machen mußte, um die CDU/CSU und die FDP auf diesen Weg zu bringen? ({0})

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege Gansel, die Antwort ist sehr einfach: Der Bundeswehrverband kennt die Truppe ebenso wie Ihre Kollegen im Verteidigungsausschuß, die Ihnen die Antwort genauso geben könnten, wie ich es jetzt versuche. Ich verstehe den Bundeswehrverband, daß er bei Ihnen, bei uns, bei der Bundesregierung und in der Öffentlichkeit anmahnt, endlich mit vollen Konsequenzen etwas zu tun, nachdem er, Herr Kollege Gansel, leider erleben mußte, daß der Minister Apel und die Vorgängerregierung - ich habe vorhin über das Planungsdokument, den Fünfjahresplan bis 1987, gesprochen - Nullkommanull getan haben. Ich will nicht verhehlen, daß ich erstaunt bin, daß der Bundeswehrverband in der jetzigen Phase, da er sieht, daß erstmals mit Nachdruck und trotz der Sparmaßnahmen im Haushalt die Bundesregierung - nicht nur der Verteidigungsminister - alles tut, um den Stau, den wir gleichermaßen beurteilen, abzubauen, Zweifel anmeldet, ob wir dies auch wirklich tun. Die ersten drei Schritte sind getan. Die Schritte für das Haushaltsjahr 1985 haben wir alle miteinander in diesen Tagen in den Fachausschüssen beraten. Die Bundesregierung ist sich einig. Das große, den letzten leeren Raum lösende Konzept bei den Truppenoffizieren wird im nächsten Jahr den Gremien zugeleitet, damit ab 1986 die zitierte Lösung erreicht werden kann. Zehn Jahre Nichtstun, Herr Kollege Gansel, haben dieses Problem verschärft und die Verunsicherung der Truppe und bei den Fachleuten, die sich für die Truppe verantwortlich fühlen, so groß werden lassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, den Widerspruch aufzuklären, der darin liegt, daß Sie einerseits betonen und bejaht haben, daß der Verwendungsstau ein spezifisches Problem der Bundeswehr ist, d. h. also in der Organisationsstruktur der Bundeswehr liegt, daß Sie hier andererseits mehrfach behauptet haben, daß dieser Verwendungsstau auf Versäumnisse der früheren Regierung zurückzuführen ist?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, wie Sie auf Grund Ihrer Sachkenntnisse und der Funktionen auch im Parlament sehr wohl wissen, gibt es dort überhaupt keinen Widerspruch. Sie werden meiner Meinung sein. Ich will dies mit einem kurzen Satz erläutern. Die Personalstruktur ist damals unter der Regierung Adenauer und der Verantwortung von Unionspolitikern wie Strauß, Schröder und anderen geschaffen worden. Daran konnte keiner etwas ändern. Der von Ihnen angesprochene Widerspruch ist deshalb keiner, weil Ihre Kollegen, obwohl sie um den Bauch in dem Kegel wußten, zehn Jahre lang da gehockt und nichts getan haben. Das ist das Schlimme. ({0}) Hier gibt es einen Widerspruch zwischen Reden und Handeln der Vorgängerregierung, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie zwar davon reden, daß es keinen Widerspruch gibt, aber andererseits ständig betonen, daß an allem, was schiefgegangen ist, die vorherige Bundesregierung schuld gewesen sei, möchte ich Sie bitten, die Frage zu beantworten, wie teuer das Ganze, was Sie hier in einer Art Jubelveranstaltung haben vorlegen dürfen oder sollen, werden wird. Treffen Informationen zu, daß es um die 700 Millionen DM ausmachen wird?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich hoffe, daß wir alle, die wir hier sind, darin übereinstimmen - wenn ich das Plenum richtig einschätze, stimmen alle, die hier ihre Fraktionen vertreten, darin überein -, daß wir dieses Problem jetzt endlich lösen müssen. Weil wir zehn Jahre gepennt und nichts getan haben, sondern das Problem aufwachsen ließen, ist es leider völlig logisch, daß es jetzt teurer ist, als wenn wir früher angefangen hätten. Wir müssen hier trotz der Sparpolitik, zu der wir uns verpflichtet fühlen, im Interesse der Einsatzfähigkeit und der Erfüllung des politischen wie des militärischen Auftrags, den wir der Bundeswehr gegeben haben, leider eine Menge Geld investieren. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach für die Beantwortung der Fragen. Der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts braucht nicht aufgerufen zu werden, weil die beiden Fragen des Abgeordneten Dr. Schöfberger zurückgezogen worden sind. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Hupka auf: Welche Begründung hat der Bundesaußenminister durch den polnischen Außenminister während seines Gespräches auf der UN-Vollversammlung dafür erhalten, daß die Ausreise der Deutschen aus Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße in den letzten Monaten nahezu ganz zum Erliegen gekommen ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Hupka, der polnische Außenminister hat im Januar 1984 dem Bundesminister des Auswärtigen gegenüber die Weitergeltung des Ausreiseprotokolls vom 9. Oktober 1975 mit seiner Offenhalteklausel bestätigt. Dies bedeutet die Weitergeltung der die maßgeblichen Ausreisekriterien enthaltenden Information der polnischen Regierung vom 7. Dezember 1970. Trotzdem blieb die Ausreisepraxis restriktiv. Es sank die Zahl der Personen, denen die Ausreise im Wege der Aussiedlung und Familienzusammenführung genehmigt wurde, von 964 im Monatsdurchschnitt des Jahres 1983 auf 70 im September 1984. Diese besorgniserregende Entwicklung führte zu Gesprächen auf verschiedenen Ebenen. Da die polnische Seite unter anderem meinte, daß das Reservoir der Ausreisebewerber unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit erschöpft sei, wurde ihr nachdrücklich erklärt, daß dieses zentrale Problem beim Besuch des Bundesministers des Auswärtigen in Warschau eine wichtige Rolle spielen werde. Die Gespräche des Bundesministers des Auswärtigen mit Amtskollegen am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York galten vornehmlich der Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses. Gleichwohl wies Bundesminister Genscher Außenminister Olschewski am 26. September auf die drastisch zurückgegangenen Ausreisezahlen hin. Er verband dies mit der Bitte, sich zur Rückkehr zu dem zu entscheiden, was gemeinsam formuliert wurde. Die Bundesregierung hofft, daß die polnische Regierung anläßlich des Besuchs des Bundesministers des Auswärtigen von Warschau im November dieses Jahres hierzu Stellung nehmen wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung und insbesondere der Bundesaußenminister die Gelegenheit seines Gespräches benutzt, als Gegenargument auf die Zahlen hinzuweisen, die dem Deutschen Roten Kreuz über die Ausreisewilligen bekannt sind? Die liegen ja zwischen 150 000 und 200 000, so daß die Angabe der polnischen Seite nicht stimmen kann.

Not found (Gast)

Daß die Angabe, es gebe etwa nur so wenige Ausreisewillige, wie derzeit mit Genehmigung ausreisen dürfen, nicht zutreffen kann, kann man schon aus der Tatsache entnehmen, daß die Zahl derer, die ohne eine entsprechende Genehmigung ausreisen, drastisch höher ist. Wir haben auf diesen Sachverhalt selbstverständlich hingewiesen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, warum, wie Sie auch erwähnt haben, Herr Staatsminister, in den letzten Monaten kaum Aussiedler aus Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße zu uns gekommen sind? Die Zahlen, die in Friedland registriert werden, gehen dahin, daß über 95 % Besucher und Touristen und unter 5 % Aussiedler sind.

Not found (Gast)

Die Zahl, die Sie gerade vorgetragen haben, trifft für den letzten Monat, für den Monat September zu und ist der Bundesregierung bekannt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 7 des Abgeordneten Dr. Hupka: War die seit Jahren von den sowjetischen Behörden praktizierte restriktive Behandlung der Ausreiseanträge von Sowjetbürgern deutscher Volkszugehörigkeit Gegenstand der Unterredung des Außenministers mit dem sowjetischen Außenminister, und bejahendenfalls, welches Ergebnis konnte erzielt werden?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Hupka, die Fragen der Familienzusammenführung, der Ausreise aus der Sowjetunion im weiteren Rahmen sowie der Ausreisemöglichkeiten für Sowjetbürger deutscher Nationalität sind ständiger Gesprächsgegenstand mit der Sowjetunion auf allen politischen Ebenen, so ausführlich im Gespräch des Bundesministers des Auswärtigen mit dem Generalsekretär Tschernenko und Außenminister Gromyko während seines Besuchs am 21. Mai in Moskau und auch mit Außenminister Gromyko in New York. Wir werden uns auch weiterhin mit allen geeigneten Mitteln für die Verbesserung der Ausreisemöglichkeiten einsetzen. Die sowjetische Haltung in dieser Frage ist immer von der internationalen Lage mitbestimmt worden. Die Bundesregierung bemüht sich um eine Verbesserung der internationalen Lage auch durch Dialog und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Das Gespräch des Bundesministers des Auswärtigen mit Außenminister Gromyko in New York diente auch in diesem Sinne einer Verbesserung der Voraussetzungen für die Behandlung humanitärer Fragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß soeben erst der amerikanische Außenminister George Shultz für die Ausreisewünsche der Juden eingetreten ist und gleichfalls darauf hinweisen mußte, daß in diesem Jahr weniger als 1 000 Juden die Erlaubnis zur Ausreise erhalten werden? Und das Schicksal der Deutschen gleicht dem der Juden.

Not found (Gast)

Es scheint jedenfalls so zu sein, daß diese stark reduzierten Ausreisemöglichkeiten in der Tat, wie Sie es annehmen, mit dem insgesamt angespannten Klima zwischen Ost und West zu tun haben. Wenn Sie sich die Entwicklung der Zahlen anschauen, Herr Kollege Dr. Hupka, werden Sie sehen, daß in Phasen, in denen das Klima besser war, die Ausreisezahlen höher waren. Deswegen setzen wir uns dafür ein, durch Fortsetzung des Ost-West-Dialogs hier wieder bessere Voraussetzungen zu schaffen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann die Bundesregierung aus den Gesprächen, die sie mit Gromyko geführt hat, schließen, daß nun doch mehr Deutschen in der Sowjetunion die Erlaubnis zur Ausreise erteilt wird? Wenn es nicht so wäre, würden wir in diesem Jahr zu einer schlechten Zahl kommen, die nur noch mit der Zahl von vor 14 Jahren - 1970 - vergleichbar ist.

Not found (Gast)

Herr Kollege Hupka, ich kann eine derartige positive Erwartung im Moment weder bestätigen noch dementieren. Zur Zeit müssen wir noch abwarten. Wir versuchen, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, damit eine solche Entwicklung nicht eintritt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordnete Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung das vom Kollegen Hupka in seiner letzten Frage angesprochene Problem zum Gegenstand einer gründlichen Vorbereitung der Menschenrechtsexpertenkonferenz von Ottawa machen, die im nächsten Jahr stattfinden wird, und bei der es sicher auch um das Problem der Ausreise gehen wird?

Not found (Gast)

Zweifellos wird das dabei auch mit angezogen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zu Frage 8 des Abgeordneten Grunenberg: Ist es richtig, daß US-Präsident Ronald Reagan zu Beginn der Woche vom 15. Oktober bis 20. Oktober 1984 einen Brief an den Bundeskanzler gerichtet hat mit der Aufforderung, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen nicht zu zeichnen?

Not found (Gast)

Verehrter Herr Kollege Grunenberg, es ist zutreffend, daß Präsident Reagan an Bundeskanzler Kohl einen Brief gerichtet hat. In diesem Schreiben wird der uns bekannte amerikanische Standpunkt wiederholt und bekräftigt, mit der Aufforderung, ebenfalls von einer Zeichnung Abstand zu nehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Grunenberg.

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist es möglich, den Text dieses Briefes zu erfahren?

Not found (Gast)

Es ist nicht üblich, solche persönlichen Briefe im Wortlaut zu veröffentlichen. Ich glaube, das sollte man auch so beibehalten. Soweit ich mich entsinne, sind Briefwechsel dieser Art auch zwischen dem Vorgänger des Bundeskanzlers und des jetzigen amerikanischen Präsidenten nicht im Wortlaut veröffentlicht worden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Grunenberg.

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist der Brief in einem ähnlich schroffen Ton gehalten wie der Brief des US-Präsidenten vom Herbst 1983 bezüglich der Boxenlösung in der Deutschen Bucht, der dazu geführt hat, daß der Kabinettsbeschluß zugunsten der Boxenlösung sang- und klanglos in den Papierkorb gewandert ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Grunenberg, ich will mich zu der in Ihrer Frage enthaltenen Feststellung bezüglich der Boxenlösung erst in der Beantwortung Ihrer nächsten Frage äußern; Sie haben dazu ja eine Frage gestellt. Aber ich finde nicht, daß die Briefe des amerikanischen Präsidenten in einem schroffen Ton gehalten sind. Es ist, wie es unter guten Freunden j a am leichtesten möglich ist, deutlich umschrieben worden, was gemeint war. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat der Brief die Bundesregierung in ihrer Haltung inhaltlich irgendwie beeinflußt, oder hätte sie ohne diesen Brief genauso gehandelt, wie sie jetzt handelt?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat ihre Entscheidung in der Frage noch nicht getroffen. Selbstverständlich wird die Bundesregierung die Meinungen ihrer Partner - nicht nur eines Partners, sondern z. B. auch der EG-Mitgliedstaaten - bei der endgültigen Entscheidung berücksichtigen, die vor dem Stichtag 9. Dezember getroffen werden muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben soeben gesagt, der Präsident habe die Bundesregierung aufgefordert - ich lege Wert auf den Terminus „aufgefordert" -, das Seerechtsabkommen nicht zu zeichnen. Dann haben Sie eine besondere Freundschaft zwischen den beiden Ländern angesprochen. Halten Sie es für der Freundschaft zwischen zwei selbständigen Partnern angemessen, einen Freund aufzufordern?

Not found (Gast)

Ich kenne aus diesem Haus an die Adresse der amerikanischen Regierung sehr viele Aufforderungen. Ich habe aber nie das Gefühl gehabt, daß diejenigen, die in diesem Haus Aufforderungen an die amerikanische Regierung gerichtet haben - jedenfalls ganz überwiegend -, damit der Freundschaft mit den Amerikanern schaden wollten, sondern sie wollten eben nur deutlich ihre Meinung sagen. Das gilt also auch andersherum.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist nicht auch dieses Schreiben des amerikanischen Präsidenten im Zusammenhang mit den laufenden, schon über Jahre hinweg andauernden wechselseitigen Konsultationen zu sehen, und ist ein derart ähnliches Verfahren nicht etwa auch in Verbindung und in Zusammenhang mit dem Meinungsaustausch mit unseren anderen verbündeten Freunden, z. B. in Europa, zu bringen?

Not found (Gast)

Sicher. Ich finde das auch vollkommen normal. Wenn Sie sich die DokuStaatsminister Möllemann mentation des Briefwechsels zwischen deutschen Regierungschefs und amerikanischen ansähen, würden Sie sehen, daß zu vielen Themen eben regelmäßig ein solcher Meinungsaustausch erfolgt ist. Ich glaube, es gibt nichts her, wenn man die qualifiziert, je nach dem, ob sie gerade eine gültige deutsche Meinung bestätigen oder kritisieren. Unter demokratisch strukturierten Staaten müssen auch die Meinungsverschiedenheiten vernünftig ausgetragen werden können, wenn es denn solche gibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist es nicht üblich im Umgang zwischen befreundeten Staaten, daß Meinungsverschiedenheiten auf diplomatischem Weg geklärt werden, um zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen, und ist es nicht absolut unüblich, daß der Regierungschef eines befreundeten Staates ein Aufforderungsschreiben erhält, und ist es nicht insbesondere unüblich, daß dies unter Überspielung des Auswärtigen Amtes, das an sich zuständig wäre, an den Bundeskanzler geht?

Not found (Gast)

Nein, das ist alles vollkommen üblich. ({0}) - Das kann ich bestätigen. Und ich lade Sie ein, sich gelegentlich mit dem Vorgänger des jetzigen Bundeskanzlers darüber zu unterhalten. Der wird Ihnen gerne bestätigen, daß auch er Briefe von amerikanischen Präsidenten mit manchmal durchaus einem Inhalt bekommen hat, der sich nicht mit seiner Meinung deckte. ({1}) Das schließt ja überhaupt nicht aus, daß man im übrigen in aller Regel Sachstandsklärungen auf dem diplomatischen Weg vornimmt. Also, ich finde daran überhaupt nichts Besonderes und Störendes. Ich glaube, wenn hier etwas konstruiert werden soll, nach dem Motto: Die bösen Amerikaner fordern uns - sozusagen - auf, etwas gegen unseren Willen zu tun, ist das nicht sehr zweckmäßig. Es trifft auch den Sachverhalt nicht. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben soeben gesagt, daß sich die Bundesregierung ihre Meinung bilden werde. Ist es richtig, daß es unterschiedliche Auffassungen zwischen den einzelnen Ressorts der Bundesregierung gibt, und ist es richtig, daß das Ressort, das Sie vertreten, für Zeichnung des Seerechtsabkommens ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Brück, ich handle jetzt genauso, wie Sie in der Phase gehandelt haben, als Sie hier gestanden haben: Ich teile Ihnen nämlich mit, daß die Bundesregierung ihre Meinung noch nicht gebildet hat und daß sie sie, sobald sie sie gebildet hat, hier mitteilen wird. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Grunenberg auf: Wird die Bundesregierung betreffend Zeichnung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen eine Entscheidung treffen, die der Forderung des US-Präsidenten Reagan entspricht, wie auch in der Frage der Boxenlösung in der Deutschen Bucht im Oktober 1983 und wie auch bei dem Abkommen betreffend „Vorläufige Absprache über Fragen des Tiefseebodens" vom 3. August 1984?

Not found (Gast)

Sehr verehrter Herr Kollege Grunenberg, in der Frage werden drei Themenbereiche angesprochen. Es wird unterstellt, daß die Bundesregierung zu allen drei Bereichen bereits entschieden habe. Zur Boxenlösung hat die Bundesregierung noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Aus diesem Grund ist die Vermutung, sie habe eine Entscheidung getroffen, die amerikanischen Wünschen entspräche, unzutreffend. Die vorläufige Absprache zu Fragen des Tiefseebodens ist am 3. August 1984 in Genf zwischen acht Staaten abgeschlossen worden. Zu den Vertragspartnern gehören drei Staaten, die das Seerechtsübereinkommen gezeichnet haben, nämlich Frankreich, Japan und die Niederlande, ein Staat, der die Zeichnung endgültig ausgeschlossen hat, nämlich die USA, und vier Staaten, die noch keine Entscheidung über die Zeichnung getroffen haben, nämlich Belgien, Italien, Großbritannien und wir. Zur Zeichnung des Seerechtsübereinkommens wird, wie ich schon gerade sagte, eine Entscheidung vorbereitet. Die Zeichnungsfrist läuft am 9. Dezember 1984 ab. Die Bundesregierung hat sowohl über die Zeichnung durch die Bundesrepublik Deutschland wie über ihre Haltung zu einer Zeichnung durch die EG zu entscheiden. Bei diesen Entscheidungen läßt sich die Bundesregierung von der Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft leiten. Es ist selbstverständlich und üblich, daß sie zu derartigen Fragen einen Meinungsaustausch mit anderen Regierungen pflegt, insbesondere den Mitgliedern der OECD und den Teilnehmern des Weltwirtschaftsgipfels, letzteres um so mehr, als das Thema Seerechtsübereinkommen auf unsere Initiative beim Weltwirtschaftsgipfel im Juni 1980 in Venedig erörtert worden ist. In diesem Zusammenhang ist also auch der Brief des amerikanischen Präsidenten an den Bundeskanzler zu sehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatsminister, würden Sie die Bildungslücke entschuldigen und bei Ihrer Beantwortung der nächsten Zusatzfrage einem so unwissenden Menschen wie mir und vielleicht auch den Kollegen erklären, was „Boxenlösung" ist? ({0}) Vizepräsident Westphal Jetzt ist Herr Grunenberg mit seiner Zusatzfrage dran. Herr Grunenberg, bitte.

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu Frage 9, in diesem Zusammenhang, Herr Staatsminister, ausgehend vom Brief des Staatsministers Dr. Jenninger aus dem Bundeskanzleramt vom Februar 1983 an mich, in dem er schreibt: „Es muß unser Ziel sein, in engster Abstimmung mit unseren wichtigsten Partnern eine Entscheidung zu fällen", und den Briefen des Wirtschaftsministers Bangemann vom 7. August 1984 und 3. Oktober 1984, in denen er schreibt, daß weitere Konsultationen vor allem mit den Nichtzeichnerstaaten Großbritannien und USA erforderlich sind beziehungsweise die Haltung unserer Partner in der EG, aber auch der USA zu berücksichtigen sind, meine Frage: Ist es richtig, daß diese Konsultationen stattgefunden haben und es dabei nicht gelungen ist, der US-Regierung die deutsche Interessenlage klarzumachen, und diese erfolglosen Bemühungen zu dem Reagan-Brief geführt haben, und ist es vorstellbar, daß im Licht der guten Beziehungen zwischen Washington und Bonn die US-Regierung verlangen kann, daß das in Aussicht gestellte 5. First-Family-Feld für die AMR und der internationale Seerechtsgerichtshof für die Bundesrepublik und Hamburg damit verlorengeht?

Not found (Gast)

Also, Herr Kollege Grunenberg, ich sagte bereits, die Entscheidung in allen diesen Bereichen, auch über die von dem Kollegen Grunenberg in seiner Frage und nicht von mir in meiner Antwort eingeführte „Boxenlösung" - auf die ich vielleicht noch komme - ist noch nicht getroffen, sondern sie wird erst noch getroffen. Sie haben sich zu möglichen Auswirkungen geäußert, die eintreten, wenn eine negative Entscheidung getroffen würde. Sie können mit aller Sicherheit davon ausgehen, daß sowohl die angestrebten positiven Effekte wie auch mögliche negative Auswirkungen bei unserer endgültigen Entscheidung berücksichtigt werden. Darüber hinaus entnehmen Sie in der Tat zu Recht aus dem, was ich gesagt habe, daß es uns bislang nicht gelungen ist, die Vereinigten Staaten von Amerika von unserem Standpunkt zu überzeugen. Das muß man wohl so interpretieren, wenn der amerikanische Präsident so nachhaltig zu seiner Meinung steht und uns darauf hinweist. Das gilt möglicherweise auch für die Frage, ob wir den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Nordsee in Form einer Box, also eines bestimmten Raumes vor dem Küstengelände, ausweiten oder nicht, Herr Vizepräsident.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich bin hartnäckig. Deswegen frage ich noch einmal. Ist der Bundesregierung bekannt, ob es seitens der Industrie oder aus dem politischen, vielleicht auch parlamentarischen Bereich Erörterungen mit US-Stellen bezüglich der Konventionszeichnung gegeben hat, die zu der Anordnung des US-Präsidenten geführt haben, die Konvention unsererseits nicht zu zeichnen?

Not found (Gast)

Eine „Anordnung", Herr Kollege, die nicht zu zeichnen, gibt es nun wirklich nicht, sondern es gibt eine Darlegung der Auffassung der amerikanischen Regierung, sie würde es gerne sehen, wenn wir nicht zeichnen. Wir haben dann demnächst unsere Entscheidungen zu treffen. Ich kann nicht sagen, ob es Gespräche aus dem parlamentarisch-politischen Raum oder der Wirtschaft gegeben hat, die die amerikanische Regierung zu dieser Richtung überhaupt ermuntern mußten. Den Eindruck hatten wir eigentlich nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß bei Zeichnung des Seerechtsabkommens durch die Bundesrepublik die einmalige Chance besteht, eine internationale Behörde, und zwar diese, die mit dem Abkommen zusammenhängt, nach Hamburg zu bekommen, und welchen Stellenwert hat dieser Umstand bei Ihrer Reaktion auf die Aufforderung des Präsidenten?

Not found (Gast)

Ganz sicher hat das eine erhebliche Bedeutung, wie überhaupt die verschiedenen Elemente des Abkommens bei seiner Betrachtung gelegentlich in den Hintergrund gedrängt werden. Wir konzentrieren uns manchmal sehr punktuell auf den einen oder anderen Schwerpunkt dieses Abkommens. Ich glaube, daß von allen Fraktionen hier im Hause unbestritten das Abkommen beispielsweise im Verkehrs- und Umweltbereich ausgesprochen positive Inhalte hat. Die Schwierigkeiten liegen eben im Bereich des Tiefseebergbaus und den daraus möglichen Ableitungen für eine künftige Weltwirtschaftsordnung. Darüber muß die Bundesregierung entscheiden. Das von Ihnen angesprochene Element wird dabei eine Rolle spielen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Informationen zutreffend, daß der ungewöhnliche Brief des amerikanischen Präsidenten an den Bundeskanzler betreffend das Seerecht durch Presseberichte ausgelöst wurde, daß sich im Bundeskanzleramt ein Bermuda-Dreieck befinde, das vom Staatssekretär Schreckensberger verwaltet werde, und wäre es nicht eine Interessenkollision, wenn dieser Staatssekretär an Stelle des Bundeskanzlers mit der Beantwortung des Schreibens beauftragt wäre? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, ich denke, daß Sie wissen, daß der Staatssekretär im Kanzleramt Schreckenberger heißt. Darüber hinaus wird Ihnen klar sein, daß dieser Bundeskanzler Briefe seiner Amtskollegen aus anderen Ländern persönlich beantworten wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Überlegungen, die sie vor einer endgültigen Entscheidung über die hier genannte Frage anstellen wird, auch zu prüfen haben wird, welche Auswirkungen es für die deutsche Wirtschaft haben wird, wenn eine große, entscheidende Weltmacht wie die USA ein solches Abkommen endgültig nicht unterzeichnet und damit an die Bestimmungen des Abkommens auch nicht gebunden ist, und ob sich unter Umständen schwerwiegende Konflikte und Streitfragen ergeben könnten, wenn die Bundesrepublik Deutschland Mitglied würde?

Not found (Gast)

Das ist auch ein wichtiger Aspekt, der natürlich mit einbezogen wird, zu dem es unterschiedliche Interpretationen gibt. Aber, wie gesagt, das ist ein wichtiger Aspekt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da die Bundesregierung schon zwei Jahre prüft, wir heute den 25. Oktober haben und der Dezember in unserem Land immer so plötzlich kommt, hätte ich gern gewußt, wann, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung ihre Entscheidung endlich treffen wird.

Not found (Gast)

Herr Kollege, der Dezember kommt in unserem Land nicht nur manchmal sehr plötzlich, sondern auch immer zur gleichen Zeit. Deswegen ist es bei feststehendem Datum, 9. Dezember, relativ einfach, zu wissen, daß die Entscheidung bis dahin getroffen werden muß. Es gibt aber keine besondere Verpflichtung, es etwa ausgerechnet am 11. 11. zu tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Frage 10 der Abgeordneten Frau Fuchs ({0}) wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. ({1}) Ich rufe nunmehr die Frage 11 des Abgeordneten Löffler auf: Wie viele Kurse für Germanisten aus anderen Ländern werden ähnlich wie in der DDR in der Bundesrepublik Deutschland jährlich durchgeführt, und wie viele Personen nehmen daran teil?

Not found (Gast)

Herr Kollege Löffler, die meisten deutschen Universitäten veranstalten Ferienkurse für ausländische Germanisten und Sprachstudenten. Das Goethe-Institut hat ebenfalls Feriensprachkurse für Ausländer an seinen Inlandsinstituten eingerichtet. Für beide Programme vergibt der DAAD, der Deutsche Akademische Austauschdienst, Stipendien. 1983 fanden an 20 deutschen Hochschulen Hochschulferienkurse für Germanisten und Sprachstudenten mit rund 2 770 Teilnehmern statt. Der DAAD vergab für diese Hochschulferienkurse 1983 325 Stipendien an Germanisten und Studenten aus 27 Ländern. 1984 wurden 440, 1985 werden 458 Stipendien angeboten. Für die Fernsprachkurse des Goethe-Instituts vergab der DAAD 1983 276 Stipendien an Teilnehmer aus 16 Ländern. 1984 wurden 327 Stipendien, 1985 werden 307 Stipendien angeboten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, ich habe die Frage: Können Sie entsprechende Zahlen für die DDR angeben, und nach welchen Kriterien werden die Stipendiaten ausgesucht?

Not found (Gast)

Sie meinen Zahlen von Teilnehmern aus der DDR an diesen Veranstaltungen?

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, darauf läuft die Frage u. a. ja hinaus: auf einen Vergleich der Bundesrepublik mit der DDR in dieser Frage.

Not found (Gast)

Die Zahlen betreffend die DDR sind mir nicht bekannt. Da müßte ich nachschauen lassen

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Chory zur Verfügung. Erst kommt eine ganze Reihe von Fragen, die schriftlich beantwortet werden sollen. Das trifft auf die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Braun und die Frage 40 des Abgeordneten Kroll-Schlüter zu. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zu der Frage 41 der Frau Abgeordneten Weyel: Welches Ergebnis hat die von der Bundesregierung angekündigte Entscheidung der EG über die Zulassung des neuen önologischen Doppelsalzentsäuerungsverfahrens am 22. Oktober 1984 gebracht?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete, die deutsche Delegation hat in der Sitzung des Ministerrates am 22. und 23. Oktober 1984 in Luxemburg mit großem Nachdruck die Verabschiedung des Kommissionsvorschlags gefordert, der die Zulassung des Entsäuerungsverfahrens unter Zusatz von Weinsäure vorsieht. Sie hat hierbei jedoch mit Ausnahme von Luxemburg keine Unterstützung gefunden und daher eine positive Entscheidung des Rates nicht erreichen können. Grund hierfür war, daß in den Verhandlungen über das von der Kommission Vorgelegte Gesamtpaket zur Reform der Weinmarktordnung keine Fortschritte erzielt werden konnten. Hierbei wurde die ablehnende Haltung der deutschen Delegation in der Frage des von der Kommission vorgeschlagenen Verbots der Saccharose als Anreicherungsmittel kritisiert. Die Bundesregierung wird ihre Forderung auf Zulassung des Verfahrens auf allen Ebenen der Gemeinschaft beharrlich und mit aller Intensität weiterverfolgen. Den Winzern stehen damit in der gegenwärtigen Situation - was sehr zu bedauern ist - nicht das beantragte, jedoch folgende bereits zulässige Entsäuerungsverfahren zur Verfügung: erstens das Verfahren mit neutralem Kaliumtartrat, zweitens das Verfahren mit Kaliumbikarbonat und drittens das Verfahren mit Kalziumkarbonat, gegebenenfalls mit geringen Mengen von Doppelkalziumsalz der L ({0}) Weinsäure und L ({1}) Apfelsäure; letzteres ist das herkömmliche Doppelsalzverfahren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist nach dem derzeitigen Stand der Beratung zu erwarten, daß vor dem Ende der Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal überhaupt ein Ergebnis zu erzielen ist, und ist danach die Wahrscheinlichkeit nicht noch geringer, daß Maßnahmen zugunsten der deutschen Winzer getroffen werden, sei es durch Anerkennung des neuen önologischen Verfahrens oder durch Verlängerung der Naßverbesserung?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete, ich kann Ihnen bei der derzeitigen Situation keinen Termin für eine mögliche Verabschiedung nennen. Ich kann nur wiederholen, was ich gesagt habe: Wir werden mit allen Mitteln versuchen und uns mit allen Mitteln anstrengen, eine Durchsetzung dieser Forderung zu erreichen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich hatte nicht erwartet, daß Sie mir einen bestimmten Termin nennen können, sondern ich hatte mit Bezug auf einen Sachbereich gefragt. Aber ich frage noch einmal: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß den Anliegen der deutschen Weinanbauer überhaupt noch Geltung verschafft werden kann, und meint die Bundesregierung, daß unter den Bedingungen der diesjährigen Ernte die Hilfe auf Werbemaßnahmen konzentriert werden kann?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete, ich bin nicht defätistisch. Wir halten an den Forderungen fest, und wir haben nach wie vor die Erwartung und die Hoffnung, daß wir diese Forderung durchsetzen, zumal wir keine überzeugenden Gründe dagegen sehen. Deshalb werden wir sie, wie ich schon sagte, weiter verfolgen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Toetemeyer zu einer Zusatzfrage.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir als schlichtem Abgeordneten bitte erklären, was ein önologisches Naßentsäuerungsverfahren ist? Ich unterstelle bei Ihnen den entsprechenden Sachverstand. ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ein önologisches Entsäuerungsverfahren ist eines, das Wein betrifft. Es besteht darin, daß dem Wein durch Zusatz der Stoffe, die ich eben genannt habe, oder anderer Stoffe Säure entzogen wird. Das neue Verfahren, um das es jetzt in Brüssel ging und geht, ist eines, bei dem durch Zusatz von Weinsäure ein angemessenes Verhältnis von Apfelsäure und Weinsäure, also eines, das etwa bei der Entsäuerung verlorengegangen ist, wiederhergestellt wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Man soll den Bildungswert der Fragestunde des Deutschen Bundestages nicht unterschätzen. ({0}) Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Die Frage 42 des Abgeordneten Schlaga wird auf Grund der Richtlinien schriftlich beantwortet. Bei der Frage 43 des Abgeordneten Stiegler ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Löffler auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um den Eisenbahnverkehr nach Berlin zu verbessern, und worin sieht die Bundesregierung den Haupthinderungsgrund für die Aufnahme des Intercity-Verkehrs nach Berlin? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Löffler, die Bundesregierung und die Deutsche Bundesbahn sind ständig bemüht, den Schienenverkehr von und nach Berlin ({0}) zu verbessern. Ziel dieser Bemühungen ist es, die Qualität des Personenverkehrs auf ein dem Intercity-Verkehr entsprechendes Niveau anzuheben. Zu diesem Zwecke werden derzeit verschiedene Möglichkeiten untersucht, wie dieses Ziel - gegebenenfalls schrittweise - wirtschaftlich vertretbar erreicht werden kann. Da der Eisenbahnverkehr nach und in Berlin von der Deutschen Reichsbahn durchgeführt wird, sind den Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung bzw. der Deutschen Bundesbahn Grenzen gesetzt. Hierin und in technischen Problemen liegen die Schwierigkeiten für die Aufnahme des Intercity-Verkehrs nach Berlin begründet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wann in etwa kann man etwas über die ersten Ergebnisse des ständigen und langwierigen Bemühens der Bundesregierung aussagen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Löffler, Sie wissen, daß dies nicht nur an einer Seite hängt. Sollte es aber eine Veränderung des Verhandlungsstandes geben, bin ich gern bereit, Sie intern darüber zu informieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welches Ziel strebt die Bundesregierung bei ihrem ständigen Bemühen um Verbesserung des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin an?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Wir wollen die Qualität des Personenverkehrs auf ein Niveau anheben, das dem unseres Intercity-Verkehrs vergleichbar ist. Ich glaube, es ist nicht unbedingt nötig, daß dies exakt dasselbe sein muß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, werden in dem Bereich auch andere technische Lösungen als die herkömmliche schienengebundene Verkehrsanbindung mit überlegt?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Darüber wurde in der Öffentlichkeit philosophiert. Aber andere Lösungen als der klassische Schienenverkehr sind nicht so naheliegend, daß es sich lohnen würde, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages darüber zu sprechen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Gansel auf: Zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung bei der Prüfung des Projekts einer Eisenbahnfährverbindung zwischen Klaipeda und Kiel gelangt, und welchen Stellenwert haben dabei vom Bundesministerium der Verteidigung erhobene sicherheitspolitische Bedenken? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Gansel, die Einrichtung einer Fährverbindung zwischen einem Hafen in Schleswig-Holstein und dem Hafen Klaipeda ({0}) hat die Sowjetunion im Jahre 1981 in die Diskussion bilateraler schiffahrtspolitischer Fragen eingebracht. Die UdSSR hat bisher unserem Wunsch, ihren Vorschlag hinsichtlich der technischen und betrieblichen Durchführung näher zu spezifizieren, nicht Rechnung getragen. Die mit der Durchführung verbundenen seeverkehrswirtschaftlichen, ordnungspolitischen und sicherheitspolitischen Aspekte sind Gegenstand von Beratungen, die noch nicht abgeschlossen sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung, nachdem sie sich nunmehr seit drei Jahren intern berät, in der Lage sein, innerhalb der nächsten drei Monate eine Entscheidung zu treffen, weil davon erhebliche finanzielle Dispositionen der Stadt Kiel und nicht zuletzt eine Verbesserung der Beschäftigungssituation abhängig sind?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ich nehme gern dieses lokale Interesse zur Kenntnis, Herr Kollege Gansel. Allerdings habe ich in meiner ersten Antwort auf Ihre Frage ausgeführt, daß wir der Sowjetunion den Wunsch übermittelt haben, über die technische und betriebliche Durchführung Näheres zu berichten, und dem ist die Sowjetunion bisher nicht nachgekommen. Ich kann jetzt nicht auf Grund eines lokalen Wunsches, den ich sehr respektiere, von dieser Forderung oder diesem Wunsch an die Sowjetunion abgehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf welchem Wege, bei welcher Gelegenheit und zu welchen Zeitpunkten hat die Bundesregierung die Konkretisierung der sowjetischen Vorschläge betrieben?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Gansel, ich bin gern bereit, Ihnen dies schriftlich mitzuteilen. Hier hat es mehrere Kontakte gegeben. ({0}) - Sehr gern. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Hansen ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf: Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß Parkand-Ride-Möglichkeiten die Auslastung des Personennahverkehrs der Deutschen Bundesbahn - insbesondere in der Fläche - verbessern und damit auch die Attraktivität der Nah- und Berufsverkehrsverbindungen erhöhen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung. Sie sieht in Park-and-Ride-Anlagen eine Möglichkeit, die Benutzung des Pkw als Zubringer mit dem öffentlichen Personennahverkehr zu verknüpfen. Günstige Park- und Umsteigemöglichkeiten erhöhen die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Bund fördert deshalb nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz den „Bau und Ausbau von Parkeinrichtungen an Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs, soweit sie dazu bestimmt und geeignet sind, dem Parken beim Übergang vom Kraftfahrzeug zum öffentlichen Nahverkehrsmittel zu dienen". So steht das in § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß Freiflächen an Bahnhöfen, die im Besitz der Deutschen Bundesbahn ({0}) sind, geeignet sind, von Berufspendlern für das Park-andRide-System genutzt zu werden, und wenn ja, wie stellt sich die Bundesregierung dann zu der von der DB vertretenen Auffassung, daß die Anlage im wesentlichen dem Nah/Berufsverkehr dient und dieser Bereich der DB stark defizitär sei; von daher aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus für derartige Vorhaben keine Unterstützung möglich sei, auch nicht in Form einer unentgeltlichen Übereignung bundesbahneigener Grundstücke?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Für die Erleichterung des Verkehrs in den Städten und zur Verbesserung des Nahverkehrs sind die Städte grundsätzlich selbst zuständig. Soweit die Deutsche Bundesbahn über geeignete Grundstücke verfügt, die sie für kommerzielle Zwecke nicht benötigt, stellt sie diese auch für die Errichtung von Park-and-RideAnlagen zur Verfügung. Dauernd entbehrliche Grundstücke bringt sie im allgemeinen unentgeltlich als Beitrag zum Park-and-Ride-System ein. Die notwendigen Investitionen sowie die Folgekosten für die Park-and-Ride-Anlagen müssen jedoch von der jeweiligen Kommune übernommen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es ist sicherlich richtig, daß die Ausgestaltung solcher Plätze von den Kommunen übernommen wird. Es ist sicherlich auch richtig und völlig unstrittig, daß auch der Unterhalt von den Kommunen geleistet werden wird und in der Regel auch geleistet werden sollte. Ich lese aber beispielsweise in einer Mitteilung der Bundesbahndirektion Essen - dieses hatte ich in meiner Frage unterzubringen versucht -: Die Bundesbahndirektion Essen begründet dies damit, daß die Anlage im wesentlichen dem Nahverkehr und Berufsverkehr dient und dieser im Bereich der Bundesbahn stark defizitär sei. Von daher seien wirtschaftliche Erwägungen bestimmend, für derartige Vorhaben keine Unterstützung zu geben, auch nicht in Form einer unentgeltlichen Übereignung bundesbahneigener Grundstücke. Dies bedeutet, wenn das so ist, daß man nicht bereit ist, ungenutzte Grundstücke zur Verfügung zu stellen.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, wenn Sie mir diese Meldung der Bundesbahndirektion gleich übermittelt hätten, hätte ich Ihnen konkret dazu Antwort geben können. Ich weiß, daß die Deutsche Bundesbahn in aller Regel Grundstücke unentgeltlich zur Verfügung stellt, die sie für entbehrlich hält. Ich habe das in meiner Antwort auch gesagt. Ich bin gerne bereit, diesem konkreten Fall nachzugehen. Ich kann allerdings kaum glauben, daß die Bundesbahn in einem konkreten Fall und ohne weiteren Grund von ihrer üblichen Praxis abweicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihnen den Schriftverkehr der Stadt Dülmen mit der Bundesbahndirektion Essen diesbezüglich zur Verfügung stelle? Ich kann ja davon ausgehen, daß Sie sich in dem Sinne, wie Sie sich hier geäußert haben, dann für die Einrichtung dieses Parkplatzes verwenden.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ich habe Ihnen die konkreten Grundsätze der Deutschen Bundesbahn genannt. Ich sehe im Augenblick keinen Grund, warum die Deutsche Bundesbahn davon abweichen sollte, Ich bin froh, daß Sie Ihre Frage jetzt spezifizieren und immerhin schon zwei Städte genannt haben, Essen und Dülmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie im Grundsatz der Auffassung sind, daß überall da, wo bundesbahneigene Grundstücke vorhanden sind, diese den Kommunen kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollten?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ich habe, Herr Kollege, vorher die Bedingungen genannt, z. B. die, daß die Bundesbahn diese Grundstücke aus kommerziellen Gründen nicht benötigt. In solchen Fällen stellt sie in aller Regel diese Grundstücke kostenlos zur Verfügung, wenn Park-and-Ride-Anlagen gebaut werden sollen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Fragen 50 und 51 des Herrn Abgeordneten Ehrbar werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe Frage 52 des Herrn Abgeordneten Pauli auf: Wem gehören die Flächen, die sich in den Jahren von 1849 bis 1905 durch Anlandungen an Privat-Moselufer-Grundstükken gebildet haben und mit geringen Abweichungen heute noch erhalten sind? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Pauli, das Eigentum an Anlandungsflächen richtet sich nach den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen insbesondere des Wasserrechts. Da in der Vergangenheit erfahrungsgemäß Anlandungen häufig mit Abschwemmungen, Abgrabungen und Anschüttungen abgewechselt haben, lassen sich für eine bestimmte Uferstelle die Eigentumsverhältnisse nur bei genauer Kenntnis der örtlichen historischen Entwicklung angeben. In einem speziellen Einzelfall ist zur Zeit ein Rechtsstreit beim Bundesgerichtshof anhängig. Der Ausgang dieses Verfahrens bleibt abzuwarten. Zuständig für Einzelauskünfte sind die Landesbehörden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pauli.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, was mich noch interessieren würde, ist die Frage, ob Sie hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung einen Unterschied zwischen den Anlandungen an privaten Ufergrundstücken und den Anlandungen an privaten Inselufergrundstücke in der Mosel sehen.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Pauli, ich glaube, eine Antwort wäre jetzt wirklich nicht zu verantworten. Das müßte geprüft werden. ({0}) Was ich im Augenblick dazu meine, ist wahrscheinlich völlig belanglos. Ich müßte erst den Bundesminister der Justiz befragen und mich möglicherweise sogar bei Landesbehörden erkundigen, denn ich habe vorhin gesagt, daß hier das Landesrecht eine große Rolle spielt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Verkehr. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung. Ich rufe Frage 53 des Abgeordneten Kohn auf: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob Triäthylblei als Hauptverursacher des Waldsterbens angesehen werden muß, und, wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Kohn, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Von mehreren Forschergruppen wurde bereits vor längerer Zeit nachgewiesen, daß Triäthylbleisalze, kurz „Triäthylblei" genannt, in tierischen Zellen als starkes Zellgift wirken. In einer vom Bundesminister für Forschung und Technologie geförderten Arbeit wird zur Zeit untersucht, ob diese Giftwirkung auch in pflanzlichen Zellen beobachtet werden kann. Erste Ergebnisse im Labor geben Hinweise darauf. Allerdings werden erst weitere Versuche, insbesondere im Freiland, zeigen müssen, ob angesichts extrem niedriger Konzentrationen an organischem Blei in der Atmosphäre die im Labor als noch toxisch identifizierten Konzentrationen an Triäthylbleisalzen unter realen Umweltbedingungen in Pflanzen bzw. Bäumen auch tatsächlich erreicht werden. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse erlauben es noch nicht, den Triäthylbleisalzen und damit dem Benzinzusatz Tetraäthylblei als vermutlicher Hauptquelle hierfür die ausschlaggebende Rolle bei den Waldschäden zuzuordnen. Die Bundesregierung wird jedoch die weiteren Untersuchungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg unter Professor Heinz Faulstich bekannt, der in der „Naturwissenschaftlichen Rundschau" 10/84 festgestellt hat, daß hier eine mögliche Kausalkette abgeleitet werden konnte, die das Triäthylblei nun in den begründeten Verdacht bringt, einer der verursachenden Faktoren unserer Waldschäden, vielleicht sogar der gefährlichste von allen, zu sein?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Ja, der Bundesregierung sind diese Untersuchungen und diese Auffassung bekannt. Die Bundesregierung meint aber, daß, um diese Aussage wirklich positiv werten zu können, noch weitere Untersuchungen notwendig sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bis wann wird nach Ansicht der Bundesregierung die Bewertung der Ergebnisse so weit fortgeschritten sein, daß praktische Konsequenzen gezogen werden können?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Es geht letztendlich um die Beobachtung der Toxizität im Freiland, da die Giftwirkung bei einer Konzentration von 10 - 6 molar beobachtet wird, die Luftkonzentrationen aber nur mit 10 -12 gemessen wurden. Das bedeutet, daß wir eine 10 -6 fach höhere Konzentration bisher als toxisch erkennen. Dies im Freilandversuch zu erhärten, ist die Aufgabe. Ich kann Ihnen heute keinen Termin sagen, wann das abgeschlossen ist. Jedenfalls bemühen wir uns, so schnell wie möglich Klarheit zu bekommen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Waldschäden und organischen Bleivergiftungen in der Atmosphäre nicht schon deshalb relativ unwahrscheinlich, weil die Waldschäden in letzter Zeit stark zugenommen haben, aber die Bleikonzentration in der Luft durch das Benzinbleigesetz und seine Folgen abgenommen hat?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Boroffka, es gibt so viele Meinungsäußerungen, was die wirklichen Ursachen des Waldsterbens sind, daß es außerordentlich schwer ist, die wirklichen Ursachen zu nennen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die hohe Umweltbelastung durch Abgase in jedem Fall eine Schadstoffquelle ist, die mit Nachdruck bekämpft werden muß, und da die Bundesregierung hier aktiv ist, wird sich diese Frage im Zusammenhang mit den Maßnahmen gleichermaßen erledigen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jannsen.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind von der Bundesregierung Untersuchungen vorgesehen oder sind ihr eventuell Untersuchungen darüber bekannt, wie sich diese Bleianteile über lange Zeit auf die Entwicklung der Böden auswirken?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Der Bundesregierung sind solche Wirkungen aus dem bisher genannten Schrifttum, das sich in der Regel nicht auf praktische Untersuchungen, sondern auf logische Folgerungen aus Ursache-Wirkung-Ketten bezieht, sehr wohl bekannt. Die Bundesregierung richtet derzeit einen Schwerpunkt dieser Wirkungsforschung in München in der Großforschungseinrichtung der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in Neuherberg ein, um diesen Langzeitwirkungen nachzugehen, und zwar im Zusammenwirken mit Universitäten und Forschungseinrichtungen aller Art.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 54 des Abgeordneten Dr. Jobst: Welche Argumente sprechen nach der Auffassung der Bundesregierung für den Bau und Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage in der Bundesrepublik Deutschland? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Dr. Jobst, ich beantworte die Frage 54 wie folgt. Das Atomgesetz begründet in § 9 a Abs. 1 den Vorrang der schadlosen Verwertung vor einer geordneten Beseitigung radioaktiver Stoffe. Die Wiederaufarbeitung und die Rückführung der dabei gewonnenen Kernbrennstoffe ist eine solche Verwertung. Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren ist nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich und wirtschaftlich vertretbar. Demnach wäre eine direkte Endlagerung solcher Brennelemente mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Diese Auffassung hat auch der Fachausschuß „Recht" des Bund-Länder-Ausschusses für Atomkernenergie bestätigt. Die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente aus den Leichtwasserreaktoren ist somit nicht nur machbar, sondern geboten. Sie stellt überdies den derzeit einzigen belastbaren Nachweis einer sicheren Entsorgung dar. Auf Dauer würde eine ausschließlich im Ausland erfolgende Wiederaufarbeitung dem Ziel einer sicheren Entsorgung zuwiderlaufen, da sich die Bundesrepublik Deutschland damit hinsichtlich dieses wichtigen Entsorgungsschrittes in eine vollständige Abhängigkeit vom Ausland begeben würde. Neben diesem Stellenwert einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage für die Entsorgung sprechen weitere wichtige Gründe für die deutsche Wiederaufarbeitungsanlage, und zwar insbesondere Technologieerhalt und -weiterentwicklung auch im Hinblick auf fortgeschrittene Reaktorkonzepte und die Beschäftigungswirkungen im Inland. Die zügige Realisierung einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage ist deshalb von den Regierungschefs des Bundes und der Länder bereits 1979 gefordert worden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Meinungen, die jüngst wieder in einem Magazin geäußert wurden, daß der Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage die Stromverbraucher mehr koste, als dies der Fall wäre, wenn keine Wiederaufarbeitung von Brennstäben, sondern eine sofortige Endlagerung erfolgte?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Die im Rahmen unserer Projektstudie „Andere Entsorgungssysteme" durchgeführten Kostenuntersuchungen ergeben unter den dort getroffenen Annahmen für die direkte Endlagerung etwa 30 % geringere Kosten. Andere Schätzungen ergeben zum Teil geringere Unterschiede. Herr Kollege, da es sich bei den Entsorgungskosten, umgerechnet auf 1 kWh, um Pfennigbeträge handelt - in der Größenordnung von etwa 1 Pfennig -, wenn eine Kostensteigerung oder eine Kostenminderung um 30 % eintritt, ist dieser Unterschied so gering, daß der Stromverbraucher de facto nicht belastet oder zumindest nur in zumutbarer Weise belastet wird, d. h. in einem außerordentlich geringen Maße. Das wird der Preis für die Wiederaufarbeitung als die bessere Entsorgungsmethode sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß das Sicherheitsbedürfnis den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage gebietet, um nämlich den Brennstoffkreislauf zu schließen?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Das dürfen Sie schließen; denn unser Atomrecht läßt im Grunde nur die Wiederaufarbeitung zu, d. h. die Wiederverwendung, die Wiederverwertung dieses Kernbrennstoffes.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Aus Zeitgründen muß ich die Fragestunde abbrechen.*) Die Fragestunde ist beendet. Ich übergebe den Vorsitz.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen eine amtliche Mitteilung zu machen. Nachdem mich der Herr Bundestagspräsident, Herr Dr. Barzel, heute morgen gebeten hat, ihn in seinen Amtsgeschäften zu vertreten, hat er mir als amtierender Präsidentin um 13.30 Uhr mitteilen las- *) Bis auf die Fragen 60 des Abgeordneten Vogelsang, 61 des Abgeordneten Weisskirchen ({0}), 62 der Abgeordneten Frau Odendahl und 63 des Abgeordneten Kuhlwein, die von den Fragestellern zurückgezogen wurden, werden die nicht mündlich beantworteten Fragen schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident Frau Renger sen, daß er sein Amt als Präsident des Deutschen Bundestages zur Verfügung stellt. ({1}) - Damit ist die amtliche Mitteilung beendet. Wir fahren in der Beratung der Punkte 5 bis 7 der Tagesordnung, also der Großen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN betr. Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Energiegewinnung, fort. Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger. ({2})

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Debatte stehenden Großen Anfragen der GRÜNEN stehen unter dem anspruchsvollen Generalmotto: umweltfreundliche Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland. Nun sollte man meinen, daß sich jeder Abgeordnete dieses Hauses selbstverständlich für eine umweltfreundliche Energieversorgung unseres Landes einsetzt. Dennoch scheinen es die GRÜNEN mit der von ihnen beantragten namentlichen Abstimmung darauf angelegt zu haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob sich alle diejenigen, die gegen die von ihnen offerierten energiepolitischen Rezepte stimmen, damit gleichzeitig gegen eine umweltfreundliche Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland aussprechen. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Einen Augenblick, bitte, Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Bitte fahren Sie fort.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte mich deshalb gleich zu Anfang mit allem Nachdruck gegen eine solche abwegige Interpretation unseres Abstimmungsverhaltens verwahren; denn angesichts der ideologischen Verengung und der dogmatischen Einseitigkeit, durch die sich die Anfragen und Anträge der GRÜNEN durchgängig auszeichnen, halte ich das von ihnen herausgestellte Motto der Umweltfreundlichkeit ihrer Energiepolitik sogar für irreführend, ja für eine Anmaßung. ({0}) Nach der Lektüre der nahezu 140 Einzelfragen der GRÜNEN, in denen reihenweise mit ideologischen Unterstellungen und unbewiesenen Tatsachenbehauptungen gearbeitet wird, steht für mich nur eine einzige Antwort mit Sicherheit fest: daß wir bei Verwirklichung dieser Politik als Staat und Gesellschaft in jeder Hinsicht Schiffbruch erleiden werden, wirtschaftspolitisch wie finanzpolitisch, sozialpolitisch wie arbeitsmarktpolitisch und ganz bestimmt auch umweltpolitisch. ({1}) Auch für unsere Bürger ließe sich das Ergebnis dieser Politik bereits heute mit den Stichworten umreißen: knappe, unsichere Energie zu teuren Preisen unter bürokratischen Zuteilungsbedingungen. ({2}) Die GRÜNEN sollten endlich aufhören, den unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit wie der Wirtschaftlichkeit in gleicher Weise törichten Eindruck zu vermitteln, als ließe sich unsere künftige Energieversorgung allein schon durch beliebig manipulierbare Maßnahmen zur Energieeinsparung sicherstellen: denn diese Rechnung der GRÜNEN wird nicht aufgehen, ({3}) weil auch bei Energiesparmaßnahmen Aufwand und Ertrag grundsätzlich in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen und weil jede noch so intensive Fastenkur irgendwann auf ihre physischen Grenzen stößt. Der Bundesminister für Wirtschaft hat in seiner Antwort zu Recht auf die eindrucksvollen Erfolge seiner energiepolitischen Sparbemühungen hingewiesen. 1983 war der Primärenergieverbrauch bei uns nicht höher als 1973, obwohl das Bruttosozialprodukt im gleichen Zeitraum um real 17 % gestiegen ist. Dank der konsequenten marktwirtschaftlichen Einsparungspolitik der Bundesregierung wird der relative Energieverbrauch auch in Zukunft bei steigenden Energiepreisen tendenziell zurückgehen. Die Bundesregierung kann aber nicht nur auf nachhaltige Erfolge ihrer Energiesparpolitik verweisen. Gemäß dem Erfordernis des Energiewirtschaftsgesetzes, sichere Energie jederzeit in ausreichender Menge zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung zu stellen, ist es zunehmend gelungen, die Struktur unserer Energieversorgung den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen anzupassen und dabei insbesondere die Abhängigkeit von Ölimporten allein seit 1979 um mehr als ein Viertel zu verringern. Wir hätten also allen Anlaß, unsere Energieversorgung unter den Kriterien Preis, Menge, Verfügbarkeit und Sicherheit als gewährleistet anzusehen. Auch die in letzter Zeit verstärkt ins Bewußtsein getretenen energiepolitischen Umweltprobleme sind nicht nur grundsätzlich lösbar, sondern sie sind durch die jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung einer Lösung auch schon wesentlich näher gebracht worden. ({4}) Ich darf hierbei verweisen auf die TA Luft, auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, auf das umweltfreundliche Auto, ({5}) auf die Umweltforschung, für die 2 Milliarden DM ausgegeben worden sind, auf das Darlehensprogramm für kleine und mittlere Unternehmen zur Umweltverbesserung. In Kürze wird ein Programm zum Schutze des Bodens gegen Schadstoffe und eine Gefahrstoffverordnung gegen Giftstoffe von der Bundesregierung erlassen werden. Es ist deshalb ganz und gar abwegig, wenn die GRÜNEN die Erfolge dieser Politik aus, wie sie es nennen, Gründen mangelnder Sozialverträglichkeit und Umweltfreundlichkeit glauben ablehnen zu müssen. Ihre Unterstellung, daß die Mehrheit der Bevölkerung der Nutzung kleiner, dezentraler, regenerativer Energiesysteme den Vorzug gibt, wird von der Bundesregierung deshalb zu Recht als unzutreffend zurückgewiesen. Denn wenn es wirklich zuträfe, daß sich die Menschen, wie es die GRÜNEN ausdrücken - ich zitiere - in ihrer Gesundheit, in ihrem Lebensgefühl, in ihren soziokulturellen Beziehungen durch die großen und zentralistischen Energieversorgungsunternehmen beeinträchtigt fühlten, dann müßten die GRÜNEN eigentlich in der unmittelbaren Umgebung von Kernkraftwerken ihre besten Wahlergebnisse erzielen; ({6}) aber genau das ist nicht der Fall. Vielleicht darf ich den Herrn Bundeskanzler, der hier anwesend ist, zitieren; er hat sich einmal hier dahin ausgedrückt, daß er sich in der Umgebung von Biblis an seinem Wohnsitz pudelwohl fühlen würde. - Er nickt zustimmend; danke schön. ({7}) Es ist die allgemeine Lebenserfahrung, daß die GRÜNEN mit ihren Verängstigungen und Verunsicherungskampagnen überall da an ihre Grenzen stoßen, wo die Bürger durch Wissen und Erfahrung gegen solche Kampagnen gefeit sind. ({8}) Die GRÜNEN fordern auch heute wieder unter Hinweis auf die großen Abwärmeverluste bei der Stromerzeugung den größtmöglichen Ausbau der Wärme-Kraft-Kopplung und der Abwärmenutzung zur Versorgung von Nah- und Fernwärmenetzen. Strom und Wärme sollen in kleinen dezentralen Anlagen mit kurzen Wegen zum Verbraucher erzeugt werden. Die Bundesregierung hat dazu ihre Auffassung mitgeteilt, daß die Nutzung der Wärme-KraftKopplung und der Ausbau der Fernwärme aus energie- und aus umweltpolitischen Erwägungen grundsätzlich sinnvoll ist. Der Ausbau der Fernwärme ist deshalb von Bund und Ländern auch mit erheblichen finanziellen Mitteln gefördert worden. Die Bundesregierung teilt allerdings nicht die Auffassung der GRÜNEN, daß jede technisch mögliche Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung unabhängig von ihrer Wirtschaftlichkeit verwirklicht werden sollte, weil dies im Zweifelsfall nur eine Dauersubvention durch die Steuerzahler zur Folge hätte.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram? - Bitte Herr Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Engelsberger, wenn Sie im Prinzip so für die Fernwärme eintreten, warum waren Sie und Ihre Kollegen dann gestern im Wirtschaftsausschuß nicht bereit, mit uns gemeinsam eine Verlängerung und eine Aufstockung der Fernwärmeausbauprogramme zu beschließen?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, die Bundesregierung hat bereits ganz erhebliche Mittel für die Fernwärmeprogramme bereitgestellt. Aber die Fernwärmeprogramme haben nur dort einen Sinn, wo eine entsprechende Abnahmedichte vorhanden ist. ({0}) Deshalb ist es notwendig, zunächst sicherzustellen, daß diese Abnahmedichte gewährleistet ist. Dann kann man auch diese Programme durchsetzen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Kollege Wolfram, ich komme sonst mit meiner Zeit nicht durch. Die Bundesregierung teilt allerdings nicht die Auffassung der GRÜNEN, meine Damen und Herren, daß jede technische Möglichkeit durchgesetzt werden sollte, eine derartige dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung in die Praxis umzusetzen, wo sie wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Die dogmatische Beschränkung der GRÜNEN auf kleine dezentrale Anlagen vernachlässigt die Kostenvorteile von Großkraftwerken nicht nur für die Stromerzeugung, sondern auch für die Fernwärmeversorgung. Sie übersieht, daß in der Regel die infolge der Wärme-KraftKopplung günstigeren Wärmeerzeugungskosten, bei steigenden Umweltauflagen schnell ins Gegenteil umschlagen können, durch die höheren Transport- und Verteilungskosten der Fernwärme kompensiert und häufig genug übertroffen werden können. Sie werden mir zugeben müssen, daß bei kleineren Anlagen die Entsorgung wesentlich teurer ist als bei Großanlagen. ({0}) Schließlich würde der von den GRÜNEN zur Versorgung der Nahwärmenetze immer wieder geforderte Einsatz von Blockheizkraftwerken die bisher erreichte Reduzierung des Öl- und Gaseinsatzes bei der Stromerzeugung teilweise wieder rückgängig machen. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist als arbeitsteiliger, rohstoffarmer Industriestaat dringend auf jederzeit verfügbare ausreichende Mengen sicherer Energie zu bezahlbaren Preisen angewiesen. Diesem Erfordernis vermögen die GRÜNEN weder durch ihre exzessive Energiesparpolitik noch durch ihr Konzept der extremen Kraft-Wärme-Kopplung noch durch ihre quantitativ kaum ins Gewicht fallenden Vorschläge zur verstärkten Verwendung alternativer Energiequellen auch nur annähernd gerecht zu werden. Sie wissen, daß die Anwendung der alternativen Energiequellen, die Sie jeweils verstärkt durchzusetzen fordern - der Kollege Burgmann hat das heute vormittag noch getan -, heute für 1,5 % des gesamI ten Primärenergiepotentials möglich ist. Von diesen 1,5% entfallen 1,4 % auf den bereits bekannten Einsatz der Wasserkräfte. Also nur 0,1 % können derzeit von den alternativen regenerativen Energiequellen beigetragen werden. Jetzt möchte ich an Sie die Frage richten, wenn Sie aus der Kernenergie aussteigen wollen, die derzeit im Jahr 66 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, wie Sie mit diesen 0,1 % oder bei höchsten Anstrengungen im Jahre 2000 etwa 4 % diesen massiven Einsatz von Kernenergie ersetzen wollen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burgmann?

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich gesagt habe, daß bis zum Jahr 2000 6% durch Sonnenenergie dargestellt werden könnten und daß ich darüber hinaus Biogas genannt habe? Darüber hinaus habe ich mögliche Einsparpotentiale bei der Kraft-WärmeKoppelung genannt und deutlich gemacht, daß das hier zu einem Gesamtkonzept gehört und daß wir nicht eines herausnehmen können. ({0})

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben natürlich beinahe ein Korreferat gehalten. Ich bräuchte eine entsprechende Zeit, um Ihnen zu antworten. Ich möchte nur kurz sagen: Bei den 6% im Jahr 2000 sind etwa 2 % Wasserkraft eingerechnet. ({0}) Die Wasserkraft ist ja nicht eine neue, regenerative Energiequelle, sondern sie ist bereits bekannt. Ich würde Ihnen wünschen, daß Sie sich stärker für den weiteren Ausbau der Wasserkraftnutzung einsetzen. Dort haben wir noch ein Energiepotential von etwa 10 Milliarden kWh. Aber auch hier sind Sie in Ihren Aussagen sehr vorsichtig, oder Sie treffen keine Aussagen dazu; aber ich will nicht vorgreifen. In bezug auf die Wärme-Kraft-Koppelung haben Sie heute vormittag gesagt, ein Einsparpotential von 7 Millionen t Steinkohleeinheiten sei möglich. Das ist richtig. Deshalb treten wir auch dort, wo es möglich ist, verstärkt für die Wärme-Kraft-Koppelung ein. Das ist nichts Neues. Das ist keine Erfindung von Ihnen. Das haben wir bereits getan, bevor Sie im Bundestag präsent waren. ({1}) Die GRÜNEN haben sich durch ihre dogmatische Ablehnung der friedlichen Nutzung der Kernenergie national wie international von jeder ernst zu nehmenden Energiediskussion ausgeschlossen. Ende 1983 waren einschließlich des Ostblocks in der Welt 301 Kernkraftwerksblöcke mit rund 203 000 MW in 25 Ländern in Betrieb, während sich zusätzlich 211 Kernkraftwerksblöcke mit über 212 000 MW in insgesamt 29 Ländern im Bau befinden. Wer in dieser Situation kompromißlos den Ausstieg aus der Kernenergie fordert, kann beim besten Willen politisch nicht mehr ernst genommen werden. ({2}) Sie haben hier wiederum einen Zwischenruf gemacht. Ich habe leider nicht die Zeit, dazu im einzelnen Ausführungen zu machen. Aber ich muß sagen, daß allein in einem Jahr weltweit durch Kernenergie die Ölmenge, die Saudi-Arabien fördert, nämlich 250 Millionen t, kompensiert werden konnte. Überlegen Sie sich das einmal, bevor Sie sprechen. Die Kernenergie gehört heute zu den kostengünstigsten Stromerzeugungsarten, die wir kennen. Ihre Wirtschaftlichkeit und ihr Sicherheitsstandard entsprechen gerade in der Bundesrepublik Deutschland den höchsten internationalen Ansprüchen. Auch die Entsorgungsfrage ist grundsätzlich gelöst. ({3}) Wenn ich noch Zeit habe, werde ich noch auf Ihren Antrag eingehen. Aber ich muß immer bedenken, wieviel ich von meiner Redezeit schon verbraucht habe. Wer wie die GRÜNEN in dieser Situation mit dem Waldsterben stets aufs neue politische Emotionen schürt, muß sich den schweren Vorwurf gefallen lassen, daß er selbst mit der Kernenergie ausgerechnet jenen Energieträger ausschalten will, der den Wald wie keine andere Energiequelle schont. ({4}) Kernenergie und Wasserkraft, meine Damen und Herren, sind die umweltfreundlichsten Energieträger von Rang, die wir kennen. ({5}) Die von den GRÜNEN in ihren Anfragen bei je- der Gelegenheit geforderte Verringerung des Schadstoffausstoßes von SO2, CO, NOX und Schwermetallen ist hier in jeder Hinsicht bereits zu 100% erfüllt. Die GRÜNEN müssen sich darüber hinaus aber auch vorhalten lassen, daß die Ausschaltung der Kernenergie heute zu einer eklatanten Energieverknappung und damit zwangsläufig zu einer weiteren katastrophalen Ölpreiserhöhung führen müßte, wodurch vor allem die Entwicklungsländer energiepolitisch noch mehr ins Abseits gedrängt würden. Schon heute tragen die hohen Ölpreise dazu bei, daß in vielen Entwicklungsländern mangels Devisen auf den einzigen greifbaren Energieträger Holz zurückgegriffen wird, wodurch in vielen Regionen der Erde ({6}) - hören Sie bitte wenigstens bei diesem Satz zu ...

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... ein geradezu unvorstellbares und häufig auch irreparables Waldsterben eingeleitet worden ist. Wir sollten es deshalb auch nicht länger unwidersprochen durchgehen lassen, wenn sich die GRÜNEN bei jeder sich bietenden Gelegenheit - wie auch in der heutigen Debatte und in der Abstimmung - schamlos als Anwälte der umweltfreundlichen Energieversorgung aufzustellen suchen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, aber vermutlich entspricht das ja gerade dem strategischen Ziel aller von den GRÜNEN vorgelegten politischen Initiativen, die Gesellschaft nach marxistischen Grundsätzen...

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Sie müssen jetzt aufhören, bitte.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... zu verändern. Ich danke Ihnen. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram ({0}).

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Möglichkeit, erneut ihre Vorstellungen zu wichtigen Teilgebieten des Energiemarktes und der Energiewirtschaft darlegen zu können. Einmal mehr können wir unterstreichen, daß unsere Energiepolitik ein Höchstmaß an Umweltschutz und Umweltverträglichkeit anstrebt, daß sie zu beachtlichen Energieeinsparungen geführt hat, daß wir die Importabhängigkeit verringert haben und daß wir als einzige Fraktion in diesem Hause konsequent, ehrlich und überzeugend die Kohlevorrangpolitik vertreten. ({0}) - Herr Gerstein, ich kann das nachweisen. Sie hätten gestern im Wirtschaftsausschuß zusammen mit anderen Ruhrgebietsabgeordneten und Abgeordneten aus dem Aachener Revier für die Kohle eintreten können. Da haben Sie und andere durch Abwesenheit geglänzt, und der Vertreter des Saarlandes in Ihrer Fraktion hat dauernd gegen die Kohle und unsere Anträge für die Kohle gestimmt. Das ist die Wirklichkeit. ({1}) Wenn ich von Kohlevorrangpolitik rede, will ich das konkretisieren: Wenn wir Kohlevorrangpolitik sagen, meinen wir, daß die heimische Kohle so umweltschonend wie möglich zu fördern, zu verarbeiten und als Produkt anzubieten ist. Ganz klar: Die Umweltverträglichkeit steht an der Spitze. Wäre der Herr Bundeskanzler noch hier, hätte ich mich bei ihm für seine gestrige Aussage zur heimischen Kohle und zum Revier bedankt. ({2}) - Ja, ich habe Verständnis dafür. Aber ich hätte es gern persönlich getan. Denn wenn man oft kritisiert, darf man auch ein Wort des Dankes, Herr Schäuble, an den Bundeskanzler richten. ({3}) - Ich werde morgen Gelegenheit haben, ihn zu sprechen. Dann werde ich es ihm persönlich sagen. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Ich habe nur den Eindruck: Diese Einstellung scheint sich bis in die Reihen Ihrer Fraktion noch nicht herumgesprochen zu haben; denn sonst hätten sich Ihre Kollegen gestern im Wirtschaftsausschuß bei der Behandlung der energiepolitischen Anträge der SPD zu Einzelplan 09 anders verhalten müssen. ({4}) Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner, ich möchte durch Sie den Minister Bangemann wissen lassen, daß wir sehr aufmerksam verfolgen, was er jüngst zur Energiepolitik und zur Kohlepolitik gesagt hat. Wir hoffen sehr, daß er bereit ist, einen Dialog mit uns darüber aufzunehmen. Er hat sich bei seiner Grubenfahrt im Kreis Recklinghausen in einer Art und Weise geäußert, die uns hoffen läßt, daß wir mit ihm dazu einen konstruktiven Dialog führen können. ({5}) Es wäre nur wichtig, daß die Bürokratie in Ihrem Hause dann auch die Konsequenzen aus solchen Ankündigungen zöge und nicht wie gestern den Versuch machte, auf diese Art und Weise über Fraktionsgrenzen hinweg konsensfähige Beschlüsse des Ausschusses wieder einzufangen und zurückzuholen. Herr Staatssekretär Grüner, Sie haben vorhin grob vereinfacht, als Sie die Kernenergie in einer Art und Weise hochgejubelt haben - und der Kollege Engelsberger ist Ihnen gefolgt -, daß man wirklich erschrocken sein muß. Wie können Sie das Thema Kernenergie im Vergleich zu den Umweltproblemen anderer Primärenergien in dieser Form bagatellisieren und vereinfachen? Wie können Sie über die Kernenergie reden, ohne auch nur ein Wort über die nach wie vor bestehende Entsorgungsproblematik zu sagen? ({6}) Das kann man doch gar nicht verantworten. Ihre Glaubwürdigkeit leidet darunter, wenn Sie so tun, als gäbe es mit der Akzeptanz der Kernenergie mit dem Betrieb kerntechnischer Anlagen, mit der Entsorgung in diesem Lande überhaupt keine Probleme. Da braucht man nicht in der Umgebung von Wolfram ({7}) Biblis zu leben und glücklich zu sein, um das zu erkennen und zu begreifen. ({8}) Also, meine Bitte an Sie, Herr Staatssekretär, ist: Legen auch Sie Ihre dogmatische und ideologische Verklemmung ab; denn in der Energiepolitik tut es der Markt eben nicht allein. Das wissen auch Sie. Meine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN ist, ihrerseits ebenfalls ideologische Brillen abzulegen, denn mit einer grünen Ausstiegsmentalität oder Ausstiegsstrategie bei der Braunkohle und mit einer „Überbrückungsfunktion" der Steinkohle ist es auch nicht getan, ({9}) wenn Sie glaubwürdig bleiben und in Zukunft mit uns die Energieversorgung sichern wollen. Ich bitte deshalb alle Seiten dieses Hauses: Lassen Sie uns doch über die kritischen und ernst zu nehmenden Fragen der GRÜNEN, über das, was Sie vorbringen, und über das, was alle Fraktionen vertreten, in den Fachausschüssen sachlich reden! Lassen Sie uns doch Frage für Frage auf ihren sachlichen Wert und Inhalt abklopfen, und lassen Sie uns schlüssige und glaubwürdige Antworten suchen! Mit der Art, Herr Kollege Engelsberger, wie Sie einen Teil dieses Hauses hier eben abqualifiziert haben, kann man die Diskussion nicht versachlichen; und daran muß uns doch gemeinsam gelegen sein. ({10}) Ich möchte noch eine Vorbemerkung machen. Der Energiemarkt ist zur Zeit gekennzeichnet durch ein Überangebot an Energie. Weltweit ist es ähnlich. In die OPEC ist Bewegung geraten. Aber niemand soll sich täuschen; das kann sich sehr schnell wieder ändern. Deshalb möchte ich einmal mehr appellieren an alle Verantwortlichen in der Energiewirtschaft, in der Politik, an Energieerzeuger und Energieverbraucher, sich der möglichen Risiken stets bewußt zu bleiben und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den zwei Ölkrisen der 70er Jahre nicht zu vergessen. Ich habe den Eindruck, daß viele meinen, nun wären wieder alle Energieprobleme gelöst, es würde schon alles gut laufen. Herr Staatssekretär Grüner versteigt sich sogar zu der Behauptung: Das alles haben wir den Kräften des Marktes zu verdanken. ({11}) Warten Sie ab, was noch auf uns zukommen kann! Es ist sinnvoller und richtiger, daß wir für die zukünftige Sicherung der Energieversorgung, für ein umweltverträgliches und umweltfreundliches Angebot an Energie Vorsorge treffen. Wir Sozialdemokraten in diesem Hause gehen davon aus, daß alle an dem Ziel, mit Energie sparsam, rationell und intelligent umzugehen, festhalten und daß dies ein gemeinsames Ziel aller verantwortungsbewußten Kräfte ist. Wir sollten uns nicht gegenseitig unterstellen, daß jemand weniger Energie einsparen möchte als der andere. Über Mittel und Methoden gehen die Meinungen auseinander. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß entgegen früheren Schätzungen der Experten eine deutliche Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch eingetreten ist. Wir können feststellen, daß wir heute praktisch einen Primärenergieverbrauch haben, der nicht höher ist als 1973, obwohl das Bruttosozialprodukt fast real um 20 % gestiegen ist. Trotzdem wissen wir: Es gibt noch beachtliche Energieeinsparpotentiale. Mit Blick auf die knappen Ressourcen, mit Blick auf den notwendigen sparsamen Umgang mit Reserven, mit Blick auf den notwendigen Umweltschutz tun wir gut daran, der Energieeinsparung auch in Zukunft einen hohen Stellenwert beizumessen und die vorhandenen Einsparpotentiale auszuschöpfen. ({12}) Es gibt eine Menge technischer Möglichkeiten, von der Verbesserung des Nutzungsgrades beim Primärenergieeinsatz, einer Absenkung des spezifischen Nutzenergieverbrauches bis hin zur verstärkten Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung, die es ermöglicht, Abwärme wirtschaftlich zu nutzen. Die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme ist sinnvoll. Deshalb verstehe ich die Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition nicht, daß sie nicht bereit sind, mit uns darüber gemeinsam nachzudenken, wie man Anschlußprogramme sichern kann. Verehrter Herr Kollege Engelsberger, wenn Sie mir die Zwischenfrage gestattet hätten, hätte ich Ihnen in Frageform zum Ausdruck gebracht, daß ich nicht der Illusion nachhänge, daß riesige Fernwärmeschienen neugebaut werden müssen, sondern daß es uns ausschließlich darum geht, dort, wo Fernwärme vorhanden ist, in den Ballungsgebieten, in den Großstadtregionen, dort, wo ein Fernwärmenetz schon erfolgreich und kostengünstig und umweltfreundlich arbeitet, dieses zu erweitern und zu verdichten. Wenn wir uns auf diese Grundsätze verständigen könnten, müßte es doch auch möglich sein, nicht nur, wie wir im Wirtschaftsausschuß beschlossen haben, das Programm auf das Jahr 1986 auszudehnen, sondern auch weitere Mittel bereitzustellen, notfalls dann auch nur für die Länder, die ein solches Angebot bereit sind anzunehmen, wenn andere sich noch versagen. Für uns ist die Fernwärme von besonderer energiepolitischer Bedeutung, weil sie der heimischen Kohle Chancen gibt, weil sie mit Sicherheit umweltfreundlich und kostengünstiger ist als 01 und Gas. Der Heizwert der heimischen Steinkohle ist niedriger als der von 01 und Gas. ({13}) Das wissen viele nicht. Meine Damen und Herren, ich möchte die Bundesregierung heute schon auffordern, daß sie den Zeitraum für die Gewährung finanzieller Zuschüsse zu Mehrkosten bei Investitionen für Kohleheizkraftwerke gegenüber den nur Strom erzeugenden Wolfram ({14}) Kohlekraftwerken nach dem Dritten Verstromungsgesetz über 1985 hinaus verlängert. Uns stört, daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung den älteren und kleineren Kohlekraftwerken eine Restnutzungsdauer bis zur Stillegung spätestens 1993 einräumt, ohne daß Ersatz durch den Neubau moderner und umweltfreundlicher Kohleheizkraftwerke sichergestellt ist. Auch hier muß eine Zuschußregelung nach dem Dritten Verstromungsgesetz getroffen und deren Verlängerung gesichert werden, um eine weniger rationelle Nutzung der Energie, eine fortschreitende Zentralisierung der Stromerzeugung und eine Gefährdung des Kohleverstromungsvertrages zu vermeiden. Meine Damen und Herren, was das Heizöl und das Erdgas betrifft, so wenden wir uns dagegen, daß beide Energien wieder verstärkt in Kraftwerken eingesetzt werden sollen. Das gilt auch für die kommunale und industrielle Stromerzeugung. Die Genehmigungsvorbehalte des Dritten Verstromungsgesetzes müssen unseres Erachtens deshalb weiter streng ausgelegt und angewandt werden. Wir werden auch nicht tatenlos zusehen, wenn die Kernenergie den Versuch unternehmen sollte, die heimische Kohle aus den Kraftwerken zu verdrängen. Ich hätte gern noch ein Wort zu dem Antrag der GRÜNEN gesagt, ({15}) bestimmte Steinkohlenkraftwerke stillzulegen. Ich habe gehört, daß sie den Antrag zurückgezogen haben; wir werden darauf zurückkommen. ({16}) - Lieber Herr Gerstein, Sie brauchen mich hier doch nicht aufzufordern. Setzen Sie sich für die Kohle genauso ein wie ich; dann wäre vieles besser. ({17}) Ich bin dafür, daß bestimmte unsinnige Forderungen abgelehnt werden. Lassen Sie uns hier miteinander wetteifern. - Im übrigen können wir ja in den Ausschüssen auf diesen Punkt jederzeit zurückkommen. Es muß ja auch im Interesse der GRÜNEN liegen, in einer Zeit, in der Überkapazitäten bestenfalls bei Öl- und Gaskraftwerken, nicht aber bei Kohlekraftwerken vorhanden sind, zu verhindern, daß die Kernenergie profitiert. Die Konsequenz Ihres Antrages, Kohlekraftwerke stillzulegen, wäre eine verstärkte Nutzung von 01- und Gaskraftwerken. Das kann ja wohl nicht Ihr Ziel sein, wenn ich Ihre Intentionen richtig verstehe. Aber darüber wird zu reden sein. Auf die negativen beschäftigungspolitischen Auswirkungen will ich hier gar nicht näher eingehen; die lassen die GRÜNEN völlig außer acht. Meine Damen und Herren, nach den Erklärungen der Elektrizitätswirtschaft werden in den nächsten Jahren auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung etwa 80% der Kohlekraftwerke mit Rauchgasentschwefelungsanlagen nachgerüstet. Die Umrüstung sollte unseres Erachtens so schnell wie möglich erfolgen. Wir appellieren einmal an die Energie-, an die Stromproduzenten, alle Möglichkeiten zu nutzen, um diese Umrüstung so schnell wie möglich vorzunehmen. Das ist unser gemeinsames Interesse. Ich persönlich greife noch einmal den von uns wiederholt vorgebrachten Vorschlag auf: Die Elektrizitätswirtschaft wäre gut beraten, erneut zu prüfen, ob sie nicht auf die Restnutzung der restlichen 20 % Kraftwerkskapazität verzichtet und sich sehr schnell entschließt, neue umweltfreundliche, umweltverträgliche Kohlekraftwerksblöcke als Ersatz zu bauen. Nur so würden wir erreichen, daß solche Kraftwerke nicht bis 1993 am Netz bleiben. Dann würden wir dort, wo zugegebenermaßen die größten Emissionen sind, am schnellsten zu einer Entlastung kommen. Wer es mit der Kohlevorrangpolitik ehrlich meint, würde dadurch auch sicherstellen, daß diese Kapazitäten in der Mitte der 90er Jahre der Kohle erhalten bleiben und nicht automatisch an die Kernenergie gehen. ({18}) Eine letzte Bemerkung noch: Wir Sozialdemokraten werden alles daran setzen, das Ziel einer umweltverträglichen, einer umweltfreundlichen Energieversorgung zu verwirklichen. Wir stehen zu unserer Politik der 70er Jahre, die erst eine vernünftige Energiepolitik eingeleitet hat. Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß alle Chancen genutzt werden, regenerierbare, erneuerbare Energien zu fördern. Ich würde mir wünschen, daß sie einen höheren Versorgungsbeitrag leisten könnten. Im Gegensatz zu den GRÜNEN sind wir realistisch genug, um zu wissen, daß sie die traditionelle Energieversorgung nicht ersetzen kann. Aber sie sollte einen höheren Beitrag leisten. Wir würden es begrüßen, wenn sich die Regierungskoalition und die Bundesregierung ohne Wenn und Aber für eine umweltfreundliche Kohlevorrangpolitik aussprechen und der Kohle auch Chancen auf dem Wärmemarkt einräumen würde. Was den Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/2189 betrifft, beantragen wir eine Überweisung an die Fachausschüsse, und zwar zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Wirtschaft und für Forschung und Technologie. Wir sind der Meinung, über so wichtige und ins Detail gehende Fragen sollte man nicht ad hoc entscheiden, sondern gründlich beraten. Ihre Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren der GRÜNEN, und Ihre Konsensfähigkeit könnten Sie dadurch beweisen, daß Sie einer solchen Überweisung, die ich hiermit beantragt habe, zustimmen. Vielen Dank. ({19})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die vorangegangenen Debattenbeiträge haben, glaube ich, gezeigt, wie wichtig es ist, daß wir endlich den Gegensatz aufzuheben versuchen, den viele immer noch zwischen Energiepolitik und Umweltpolitik vermuten. Ich glaube auch, daß die überzogenen Forderungen der GRÜNEN nicht unbedingt dazu beitragen, festgefressenen Ideologieverdacht zu entkräften. Eine vernünftige Energiepolitik dient nach meiner Auffassung der Sicherung unserer Lebensgrundlagen ebenso wie umsichtige Ökologie und umgekehrt. Deshalb müssen Umweltpolitiker und Energiepolitiker anerkennen, daß sie beide der Sicherung unserer Zukunft dienen wollen. Dafür müssen sie einen gemeinsamen Weg finden. Natürlich gibt es Gegensätze und unterschiedliche Interessen. Aber Energieversorgung und Umweltschutz sind unverzichtbar aufeinander angewiesen. Nichts geht mehr in Zukunft ohne ihre Zusammenarbeit. Deswegen muß auch die Energiepolitik über ihren Ressortzaun schauen und in ihre Überlegungen einbeziehen, was umweltpolitisch geboten erscheint. Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland wird wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft nur dann sinnvoll und möglich bleiben, wenn die Gesundheit des Menschen geschützt bleibt und seine natürliche Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang allerdings die Großen Anfragen der GRÜNEN. In den dort gestellten Fragen werden immer wieder die Versuche, und zwar sehr durchsichtige Versuche, unternommen, künstliche Gegensätze in unserer Energieversorgungsstruktur zu unterstellen. In ihren Antworten macht die Bundesregierung zu Recht deutlich, daß sie bei ihren energiepolitischen Entscheidungen die verschiedenen Anliegen, z. B. Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit, stets gegeneinander abgewogen hat, um etwaige Risiken so weit wie möglich zu begrenzen oder gar abzubauen. In ihrer energiepolitischen Strategie hat sich die Bundesregierung stets von der Maxime leiten lassen, daß nicht allein der Umweltschutz, sondern auch die Energieversorgung zur Sicherung der Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft dient. Die FDP-Bundestagsfraktion hat diese Linie stets unterstützt, wohl wissend um die Schwierigkeit dieses Abwägungsprozesses. ({0}) Gut zehn Jahre nach der ersten Ölkrise sind wir in der Energiepolitik in einer günstigen Ausgangslage. Die Politik kann auf die unzweifelhaften Erfolge dieses Zeitraums bauen. Die Energieversorgung hat sich in dieser Dekade relativ reibungslos und zügig an die veränderten Weltmarktbedingungen angepaßt. Am deutlichsten wird dieser Strukturwandel durch den Rückgang des Mineralöls am gesamten Primärenergieverbrauch von 55,2 % im Jahr 1973 auf 43,1 % im Jahr 1983. Insgesamt lagen wir 1983 um 4 % unter dem Primärenergieverbrauch des Jahres 1973. Dieses Ergebnis bekommt noch mehr Gewicht, wenn man sich vor Augen hält, daß wir 10 Jahre nach der Ölkrise mit der gleichen Energiemenge ein um gut 17 % höheres Bruttosozialprodukt erwirtschaftet haben, mit rund 25 Millionen Personenkraftwagen etwa 8 Millionen mehr Autos als 1973 fahren und mit 25 Millionen Wohnungen etwa 3 Millionen mehr Wohnungen heizen als 1973. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die Autos im Durchschnitt hubraumstärker und die Wohnungen im Mittel größer und komfortabler geworden sind. Diese Zahlen belegen einmal mehr, daß die Energie heute sparsamer und rationeller denn je eingesetzt wird. Dies dient nicht nur der Sicherheit unserer Versorgung, dies bedeutet auch zugleich einen wichtigen Beitrag der Energiepolitik zum Umweltschutz. Wie nachhaltig der Prozeß der sparsamen und rationellen Energieverwendung geführt wird, wird nicht zuletzt durch die Entscheidung einiger erdölproduzierender Länder deutlich, die auf Grund der schwachen Nachfrage nach Rohöl ihre Verkaufspreise entsprechend der Marktlage nach unten korrigieren mußten. Zudem zeigen alle neuen Energieprognosen, daß der Trend zum rationellen Umgang mit Energie international wie national auch in den kommenden Jahren anhalten wird. Diese Bilanz, meine Damen und Herren, macht zugleich deutlich, was eine konsequent und kontinuierlich an marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichtete Politik zu leisten vermag. Dabei hat unser Energieversorgungssystem zugleich ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen. Diese Flexibilität hinsichtlich aller verfügbaren Energieträger wird auch in Zukunft notwendig sein, um den gewandelten wirtschaftlichen Anforderungen sowie den neuen Umweltanforderungen gerecht zu werden. Diese Flexibilität gilt es auch im Hinblick auf die nicht vorhersehbaren Bedingungen der künftigen Energieversorgung zu erhalten. Deshalb muß ich an dieser Stelle den Vorstellungen der GRÜNEN, aber leider auch Teilen der SPD eine deutliche Absage erteilen, die immer noch glauben, mit staatlichen Interventionen, wie Steuerung der Energiepreise, hohen und unwirtschaftlichen Wärmestandards, Ge- und Verboten zu Erfolgen im Bereich der Energieeinsparung zu kommen. Nach allen Erfahrungen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, lassen sich mit Interventionen die gewünschten Ziele nicht erreichen. Ein Blick auf die Planwirtschaft betreibenden Länder in Ost und West sollte ausreichen, diese Aussagen zu bestätigen. Aber auch weiterhin sind Umstrukturierungen in der Energieversorgung notwendig, und wir werden wie bisher nach dem Prinzip verfahren, daß dies allein von der Industrie und so weit wie möglich ohne staatliche Subventionen vorgenommen werden muß. Mit den schwierigen Anpassungsaufgaben hat die Mineralölwirtschaft in allen Stufen zu ringen. Obwohl bereits Raffineriekapazitäten in erheblichem Maße abgebaut worden sind, müssen auch künftig noch weitere Kapazitäten stillgelegt wer6906 den. Gleichzeitig sind, entsprechend der unterschiedlichen Verbrauchsentwicklung bei den einzelnen Produkten, mit erheblichen Investitionen Konversionsanlagen zu errichten. Meine Fraktion wird darauf achten, daß trotz dieses scharfen Strukturwandels eine ausgewogene Anbieterstruktur der Mineralölwirtschaft erhalten bleibt, eine Struktur, in der sowohl eine leistungsfähige Mineralölverarbeitung als auch eine Vielzahl mittelständischer Handelsunternehmen Platz haben. Auch die mit nicht unerheblichen Kosten verbundene Einführung bleifreien Benzins, die wir nach wie vor mit allem Nachdruck fordern, darf nicht zu strukturellen Verschiebungen führen. Meine Damen und Herren, wir haben unsere letzte größere Energiedebatte im Mai dieses Jahres durchgeführt. Damals hat die Fraktion der GRÜNEN einen Entschließungsantrag mit dem Titel „Verdrängung einheimischer Steinkohle durch Kernenergie" eingebracht. Danach hat sie ihre drei großen Anfragen zum Thema „umweltfreundliche Energieversorgung" gestellt, deren Antworten wir heute debattieren. Im Sommer des Jahres hat die Fraktion der GRÜNEN schließlich einen Gesetzentwurf zur Stillegung von Atomanlagen eingebracht. ({1}) Sie fordern heute, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, die Einstellung der Forschung zur Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe. ({2}) Wir sehen wie auch die Enquete-Kommission des Bundestages in der Wiederaufarbeitung eine umweltfreundliche Möglichkeit sinnvoller Ressourcennutzung und letztlich auch der konditionierten Endlagerung. ({3}) Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß bei uns wenig Sympathie für Ihren Antrag besteht. Wir werden allerdings dem Überweisungsantrag der SPD zustimmen, damit in den Ausschüssen vertieft darüber beraten werden kann, ob man nicht in dieser Sache zu vernünftigen Ergebnissen kommen kann. Meine Damen und Herren, die innerhalb nur eines Vierteljahres aufgestellten Forderungen der GRÜNEN lassen deutlich erkennen, wie widerspruchsvoll Sie in Ihren Forderungen sind. ({4}) Eine Realisierung der Stillegung aller Kernkraftwerke z. B. führt wegen der unvermeidlichen höheren Nutzung fossiler Brennstoffe zu höheren Umweltbelastungen. ({5}) Ebenso findet man Ihre Anhänger immer wieder in vorderster Front, wenn es darum geht, neue kohlebefeuerte Kraftwerke zu verhindern. Sie verhindern damit letztendlich einen verstärkten Umweltschutz, da ältere und stärker emittierende Kraftwerke nicht stillgelegt werden können. Meine Damen und Herren, die FDP sieht keinen generellen Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Energiepolitik. Wir haben uns immer für harte Umweltauflagen ausgesprochen. ({6}) Im gleichen Atemzug haben wir aber auch immer deutlich gemacht, daß damit Kosten- und Preiserhöhungen verbunden sind. Ebenso unerläßlich ist es auch, daß die für die Investitionen maßgeblichen Umweltdaten für die Investoren klar und verläßlich sind. Wir wenden uns gegen die zahlreichen Vorschläge der Opposition, umfangreiche staatliche Aufgabenprogramme mit der Erhebung von Energiepfennigen zu finanzieren. Denn dies führt letztlich zu nichts anderem, als das marktwirtschaftliche Verursacherprinzip außer Kraft zu setzen. Zudem werden dann gerade diejenigen zusätzlich belastet, die investieren sollen. Wir können feststellen, daß die Industrie bereit ist, intensiv am Umweltschutz mitzuarbeiten. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist akzeptiert und wird zügig umgesetzt. Dort, wo es möglich ist, werden einzelne Versorgungsunternehmen die gesetzten Fristen verkürzen. Wir begrüßen das. Nicht neue Programme sind das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren, sondern die konsequente Fortführung der auf Einsparung, Diversifizierung und Umweltentlastung gerichteten Politik. Auch in der Dritten Fortschreibung ihres Energieprogramms hat die Bundesregierung die Notwendigkeit unterstrichen, daß Umweltschutz und Energieversorgung der Sicherung unserer Lebensgrundlagen gleichermaßen dienen. Deshalb fordert meine Fraktion die Bundesregierung auf, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen, damit die Energiepolitik ihren Beitrag zur Entlastung der Umwelt weiterhin leistet und verstärkt. Dabei erwartet meine Fraktion von der Bundesregierung, daß sie die Rahmenbedingungen so setzt, daß die marktwirtschaftlichen Kräfte zur Erreichung optimaler Ergebnisse nachhaltig freigesetzt werden. Dabei gilt es Investitionshemmnisse abzubauen und auch die Entbürokratisierung zur Erreichung der Ziele rationeller und damit umweltfreundlicher Energieversorgung einzusetzen und entsprechende Innovationen anzuregen. Aber nicht nur der Bund ist hier gefordert. Auch die Länder haben ihren Beitrag dazu zu leisten, daß die energiewirtschaftlichen und energierechtlichen Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung dieser Politik auch im konkreten Einzelfall in der Praxis wirklich genutzt werden. Hierbei ist es notwendig, Wirtschaft und Verbraucher einzubeziehen. Sie können ihren Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme nur erbringen, wenn ihnen die Eckdaten für eigene Entscheidungen bewußt sind. Daher fordert meine Fraktion die Bundesregierung auf, der breiten und dauerhaften Verbraucherinformation, wie z. B. Produktinformation, Energieberatung und Modellprojekten, unverändert Priorität einzuräumen. Gleichzeitig erwarten wir, daß gemeinsam mit Energiewirtschaft und Industrie geprüft wird, ob die vereinbarten kooperativen Lösungen die erwünschten Ergebnisse bringen oder ob weitere Schritte erforderlich sind. Wir erwarten, daß bei der Aufstellung von Energieversorgungskonzepten die Beteiligten die inzwischen fertiggestellten Parameterstudien nutzen und in diesem Rahmen die Planungsziele der Gebietskörperschaften zur Luftreinhaltung einbezogen werden und von der Möglichkeit der Kraft-Wärme-Koppelung, der Abwärmenutzung sowie der Nutzung neuer Technologien auch im Interesse des Umweltschutzes weitgehend und verstärkt Gebrauch gemacht wird. Hier sind auch die zuständigen Gebietskörperschaften dringend aufgefordert, im Rahmen des geltenden Planungs-, Raumordnungs- und Baurechts die Ziele einer umweltfreundlichen Energieversorgung in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Wir appellieren deswegen insbesondere an alle öffentlichen Hände, die in ihrem Bereich vorhandenen Einsparpotentiale auszuschöpfen, um ein Beispiel für die Anwendung modernster Technik rationeller Energienutzung zu setzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer modernen Volkswirtschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland müssen sich die unterschiedlichen Energieversorgungssysteme gegenseitig ergänzen. Für die Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze ist eine sichere und kostengünstige Energieversorgung zu wichtig, als daß sie zum Spielball ideologisch befrachteter Auseinandersetzungen gemacht werden dürfte. Ich danke Ihnen. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/ 2189. Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Von der Fraktion der SPD ist Ausschußüberweisung beantragt worden. Die Fraktion DIE GRÜNEN als Antragsteller hat der Ausschußüberweisung widersprochen. Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und der FDP verlangen Verschiebung der Abstimmung auf den nächsten Tag. Gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung findet deshalb die Abstimmung morgen, Freitag, den 26. Oktober 1984 statt. Ich darf bekanntgeben, daß die Abstimmung im Anschluß an die Aktuelle Stunde gegen 9 Uhr erfolgen soll. Meine Damen und Herren, ich rufe nun die Punkte 8 und 9 der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Notprogramm gegen das Waldsterben - Drucksachen 10/35, 10/2165 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Blens Baum Frau Dr. Hartenstein Dr. Ehmke ({1}) 9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben - Drucksachen 10/67, 10/2166 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Blens Baum Frau Dr. Hartenstein Dr. Ehmke ({3}) Zusatzpunkt 2: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldschäden und Luftverunreinigungen Sondergutachten März 1983 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen - Drucksachen 10/113, 10/2168 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein Dr. Ehmke ({5}) Dr. Blens Baum Die ursprünglich vorgesehene Verbindung der Beratung dieser Punkte mit der Beratung von Punkt 10 der Tagesordnung entfällt. Zu Zusatzpunkt 2 liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2192 vor. Meine Damen und Herren, es sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 und 9 sowie des Zusatzpunktes 2 und ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke ({6}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Unsere heutige Debatte beschäftigt sich mit einigen Vorlagen zum Thema „Waldsterben",u. a. mit unserem Waldrettungsprogramm vom Dr. Ehmke ({0}) Mai 1983. Dies gibt mir Gelegenheit, zunächst auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen, der in der verschärften umweltpolitischen Diskussion der letzten Monate etwas unterzugehen drohte. Ich meine die Vielfalt der Maßnahmen, die nötig sind, um den Wald noch eine gewisse Chance des Überlebens zu verschaffen. Es geht uns nicht allein um das Tempolimit oder um die schnelle Einführung des Katalysatorautos. Es wird oft so getan, als ob man entweder für das eine oder für das andere sein müßte. Nein, wir sollten vielmehr alle Maßnahmen gleichzeitig ergreifen, die die Luftbelastung schnell und drastisch senken können. ({1}) Dazu gehört nun einmal neben dem Tempolimit und dem abgasarmen Auto auch eine ganze Palette von Maßnahmen, die wir in unserem Waldrettungsprogramm aufgelistet haben. Jede dieser Maßnahmen, für sich genommen, mag nur einen kleinen Beitrag zur Entgiftung der Umwelt leisten; alles zusammengenommen sorgt aber für eine enorme Minderung der Emissionen und gäbe uns, wenn es verwirklicht würde, Hoffnung auf ein Überleben des Waldes. Deshalb ist ein Waldrettungsprogramm als Gesamtheit zu betrachten. Nun ist damals eingewandt worden, unsere Forderungen, insbesondere einige Grenzwerte, seien unrealistisch und technisch nicht machbar. Meine Damen und Herren, die harte Realität des Waldsterbens hat unsere realistischen Forderungen sogar noch überholt. Im Angesicht der galoppierenden Schwindsucht in unseren Wäldern wird das Waldrettungsprogramm eher noch verschärft werden müssen. Doch Sie sind j a noch nicht einmal bereit, den Waldnotstand auszurufen und minimale Notmaßnahmen einzuleiten. Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, wenn das Waldsterben so weitergeht, ist der Streit um das Tempolimit bald Schnee von gestern. Dann werden wir uns bald über autofreie Sonntage und auch Wochentage und ähnliche einschneidende Maßnahmen unterhalten müssen, die uns alle bedeutend mehr schmerzen werden als die von uns jetzt geforderten Notmaßnahmen. Noch zwei Beispiele für die technische Machbarkeit unserer Vorschläge. Wir haben erstens schon im Mai 1983 gefordert, daß so schnell wie möglich bleifreies Benzin und der Abgaskatalysator für Neufahrzeuge eingeführt werden. Wer von Ihnen weiß denn noch, meine Damen und Herren, wie erbittert damals dieses Konzept von der Koalition bekämpft wurde, wie gesagt wurde, man dürfe der Industrie nicht vorschreiben, auf welchem Weg und bis wann sie die US-Grenzwerte einhalten müsse, ob mit Katalysator oder mit irgendeiner anderen imaginären Vorrichtung? Wer von Ihnen kann sich noch erinnern, wie Innenminister Zimmermann uns bei der ersten Debatte des Waldrettungsprogramms Weltfremdheit vorwarf und sich darüber lustig machte, daß die Italientouristen dann wohl ihr Katalysatorauto am Brenner stehen lassen und zu Fuß weiterlaufen müßten, weil es in Italien kein bleifreies Benzin gebe? Doch der sogenannte grüne Utopismus wurde zwei Monate später - man höre und staune - in die Beschlußlage des Kabinetts Kohl umgewandelt, die allerdings jetzt nach dem bekannten Zickzackkurs - man müßte jetzt wohl besser sagen: Flickflackkurs ({2}) mit tiefer Verbeugung vor EG und Autoindustrie wieder verlassen worden ist. Ganz so unrealistisch können also die grünen Vorschläge dann doch wohl nicht gewesen sein. ({3}) Das zweite Beispiel ist unsere damalige Grenzwertforderung für den Stickoxidausstoß von Großfeuerungsanlagen in Höhe von 200 Milligramm pro Kubikmeter. Auch diese Forderung wurde zunächst als absurd abgetan, aber scheibchenweise, erst von Lothar Späth, dann von den CDU-Umweltministern, dann von allen Umweltministern übernommen, natürlich ohne die grüne Urheberschaft zu nennen. Aber das ist unwesentlich, ich stehe da gern zurück, Hauptsache, es tut sich etwas in der Sache, meine Damen und Herren. ({4}) Jedenfalls zeigen die beiden Beispiele, daß unsere Vorschläge im Waldrettungsprogramm technisch machbar und auch wirtschaftlich vertretbar sind, wenn man die hohen Schäden zusammenzählt, die durch Luftschadstoffe entstehen. Was einzig und allein fehlt, ist der politische Wille der jetzigen Bundesregierung zu drastischen Notmaßnahmen. Das ist auch kein Wunder, wenn man hier tagtäglich mitbekommt, von wem Sie sich beeinflussen lassen. Die Wirksamkeit der noch gültigen Grenzwerte und Umweltmaßnahmen orientiert sich nicht etwa am ökologischen Risiko, wie das eigentlich sein sollte, sondern ganz allein daran, was Industrie und Großkapital zu tolerieren bereit sind. Insofern halte ich es für zulässig und auch berechtigt, den Bogen vom Waldsterben über Ihre Untätigkeit bis hin zur FlickAffäre zu schlagen. ({5}) Dort, in dem Sumpf aus Energielobby, Autoindustrie und Wirtschaftsverbänden, dort sitzen die wahren Verursacher des Waldsterbens und der Umweltvergiftung. ({6}) Ich muß auch eines ganz deutlich sagen: Sie lassen sich zu deren Lakaien machen, offensichtlich auch mit harten Argumenten in D-Mark, wenn man den Zeitungen glauben kann. ({7}) - Herr Rumpf, warten Sie mal ab, zu Ihnen komme ich gleich. Jeder Bürger in unserem Lande, der sich noch wundert, warum Sie trotz der sich ausbreitenden Waldschäden so untätig sind, sollte sich dies vor Augen führen. Dr. Ehmke ({8}) Da muß man dann auch zu obskuren Hilfskonstruktionen greifen und zu Entschuldigungen, um sich vor den erbosten Bürgern rechtfertigen zu können. So etwa der Kollege Rumpf in der Debatte im Juni dieses Jahres. Lobenswerterweise, Herr Rumpf, haben Sie damals davon gesprochen, daß man das Übel jetzt an der Wurzel, nämlich an den Schadstoffquellen, anpacken müsse. Aber dann hat auch Sie der Mut verlassen. Neuerdings ergehen Sie sich in dumpfen Andeutungen von Klimaschwankungen, die das Waldsterben auslösen sollen. ({9}) Dabei hätte ich gerade von Ihnen als Forstmann etwas mehr analytischen Sachverstand und mehr Engagement für unseren Wald zugetraut. Aber Sie können wahrscheinlich auch nicht über den Schatten von Lambsdorff und Bangemann und über den Schatten der Wirtschaftslobby springen. ({10}) Meine Damen und Herren, ein anderes Ablenkungsmanöver ist die Behauptung, daß noch keine Beweise für die Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Waldsterben vorlägen und daß wahrscheinlich Trockenheit oder noch unbekannte Schädlinge die Hauptverursacher seien. Sie warten noch auf die Entdeckung des Käfers X oder des Virus Y. Leider gibt es dabei auch einige Naturwissenschaftler, wie etwa den Präsidenten der Biologischen Bundesanstalt, die Ihre Entlastungsangriffe in einer Weise unterstützen, die ich nur als beschämend und unverantwortlich bezeichnen kann. ({11}) Um so erfreulicher ist es, daß der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Sondergutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen" auf die dominierende Rolle der Luftschadstoffe hingewiesen hat. Es ist auch verdienstvoll, daß jetzt auch eine staatliche Behörde mit der angeblichen Beweisnot beim Waldsterben aufräumt. In einer Arbeit, die auf den intensiven Waldschadenserhebungen 1983 fußt, legt die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Baden-Württemberg - in der Arbeit von Schöpfer und Hradetzky im Forstwirtschaftlichen Centralblatt - eine Beweisführung dafür vor, daß die Luftverschmutzung der maßgeliche Verursacher der Walderkrankungen ist. Mit Hilfe mehrerer, sich gegenseitig deckender und ergänzender Indizien wird der schlüssige Nachweis dafür erbracht. Eindeutig wird dort festgestellt, daß Borkenkäfer, Pilze, Trockenheit, Nährstoffmangel und andere Faktoren erst nach der Baumerkrankung als Sekundärfaktoren oder unabhängig von einer vorausgegangenen Schädigung durch Luftverschmutzung den Bäumen den Garaus machen. Daraus wird doch klar ersichtlich, meine Damen und Herren, daß wir angesichts des Waldnotstands alle Kräfte unverzüglich auf die drastische Reduzierung der Luftverschmutzung konzentrieren müßten und daß sich niemand mit irgendwelchen billigen Argumenten aus der Verantwortung stehlen kann. ({12}) Doch alle zaghaften Versuche wirksamer Maßnahmen, die auch in der CDU, z. B. in Baden-Württemberg, aufkeimen, werden von oben aus den genannten Gründen runtergebügelt. Was ist denn mit den zum Teil brauchbaren Vorschlägen der CDU von Südbaden, z. B. zum Tempolimit, geschehen? Sie sind von Lothar Späth auf dem Altar der Wirtschaftslobby geopfert worden. Wie kommen Sie sich eigentlich vor, wenn Sie in Ihren Kreisverbänden jetzt vor Ihre Waldbauern und Landwirte treten? Lothar Späth, der sich gerne als großer Umweltschützer feiern läßt, tritt immer mehr in die Fußstapfen von Innenminister Zimmermann: Flick-Flack in Bonn, Zickzack in Stuttgart. ({13}) Als das Bundeskabinett den Katalysatortermin von 1986 auf 1989 verschieben wollte, tönte Späth: Dann brauchen wir ein Tempolimit. Davon ist jetzt nichts mehr zu hören. Späth ist zweimal umgefallen, beim Tempolimit und beim Katalysatorauto. Doch dies ist kein Wunder, wenn er seinen Urlaub mit einem Manager von Daimler-Benz verbringt. So sieht die schwäbische Version der Bonner Filzokratie aus. ({14}) Meine Damen und Herren, angesichts des Waldsterbens darf man nicht nur klagen, sondern muß auch endlich handeln. Uns als Opposition ist das Handeln verwehrt. In unserem Antrag „Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben" sowie in den weiteren Anträgen finden Sie alle Maßnahmen, die zeigen, wie wir schnell und wirksam handeln würden, wenn wir könnten. Wir bitten Sie im Interesse unseres Waldes und unser aller Zukunft um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir haben außerdem noch einen Änderungsantrag eingebracht; denn die Bundesregierung sieht sich nicht einmal in der Lage, dem Bundestagsbeschluß vom 9. Februar 1984 nachzukommen, ({15}) wonach ein konkretes Konzept zur Abgasentgiftung hätte vorgelegt werden müssen. Zum wiederholten Male entpuppt sich damit Ihr Gerede von unserer Verantwortung für die Umwelt als Phrasendrescherei. ({16}) Mehr noch: Diese Nichtbeachtung und Verdrehung von Parlamentsbeschlüssen, wie auch im Fall Buschhaus, untergräbt auch das Ansehen des Bundestages, das durch die sich ausweitende Flick-Affäre ohnehin bald auf dem Nullpunkt angelangt sein wird. Setzen Sie deshalb ein Zeichen für die Umwelt. Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu. Ich danke Ihnen. ({17})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke, ich bin Besseres von Ihnen gewohnt. Sie waren ja immer bereit, sachlich mit uns zu diskutieren. Was Sie heute geboten haben, war letztendlich das Unsachlichste, was man hier in diesem Hause zu dieser Sache sagen kann. Vor allen Dingen Ihre Verquickungen und diese hohlen Späßchen, die Sie machen, haben mit dem Ernst der Situation und mit dem Ernst der Lage sicher nichts zu tun. ({0}) Wir diskutieren heute Anträge der Opposition aus dem Jahre 1983. Aus tagespolitischer Aktualität heraus wollte man damals mit sogenannten Notprogrammen den Wald retten. Heute, nach einem Jahr, wird deutlich, daß wir bereits Hilfsprogramme für die Notprogramme nötig hätten, wären wir den damaligen Notprogrammen gefolgt. Die Opposition bestreitet die Diskussion jeweils nur mit aktuellen Einzelmaßnahmen. Sie hat bis heute versäumt, ein geschlossenes Konzept vorzuweisen. In der Art und Weise, wie Sie sich mit kurzfristigen Maßnahmen wechselseitig überholen, wäre, um in Ihrer Sprache zu bleiben, Herr Ehmke, ein Tempolimit ohne weitere Untersuchungen angebracht. Sie setzen sich nur mit den von uns bereits ergriffenen Maßnahmen auseinander und mäkeln daran herum, nach dem Motto: Wenn wir „1986" sagen, dann sagen Sie: „sofort"; wenn wir 200 Milligramm sagen, dann sagen Sie: 100 Milligramm. ({1}) Ihr Vorsitzender Brandt sagte dieser Tage vor der Presse, man müsse Vorsorge gegen weitere Umweltschäden treffen. Im Prinzip völlig richtig. Man kann ihm aber nur empfehlen, die vorliegenden SPD-Anträge für Notprogramme zu lesen und Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu vergleichen. Wo bleibt eigentlich Ihre konstruktive Mitarbeit im Rahmen unserer Gesamtkonzeption? Nicht nur die Auseinandersetzung, das Herummäkeln an Einzelpunkten ist gefragt, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit in allen Fragen. Selbst der Vorsitzende der Jusos ist ja auf diese neuen Zielvorstellungen eingegangen und hat die SPD-Konzeption als halbherzig, die Umsetzung als unklar und das Finanzierungsmodell als schlecht bezeichnet. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Und nun zu Ihnen, Herr Ehmke, und zu den GRÜNEN. Ich will Ihr Gedächtnis auffrischen, nachdem Sie vorher so freiweg die Dinge dargelegt haben. Eine reine Fundgrube für die hektische Strategie der GRÜNEN in Sachen Umweltschutz ist deren Antrag vom 17. Mai 1983, Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben. Sie fordern dort in einem Stufenplan, die Abgasreinigung von Kraftfahrzeugen vorzunehmen und folgende Abgasgrenzwerte ab Januar 1985 vorzusehen: Stickoxide 1,2 Gramm pro Kilometer, Kohlenmonoxid 9,3 Gramm pro Kilometer, Kohlenwasserstoff 0,9 Gramm pro Kilometer. Nachdem sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf neue Abgaswerte festgelegt haben, die bis zum Vierfachen, Herr Ehmke, schärfer gefaßt sind als Ihre Forderungen im Notprogramm, haben Sie schnell Ihr Notprogramm geändert und sind auf unsere Werte umgestiegen. So schnell geht das bei Ihnen, so schnell veralten Ihre Anträge. Sie drehen sich einfach um 180 Grad und setzen sich, Ihrer Meinung nach, an die Spitze der Umweltbewegung. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe leider nur zehn Minuten. Dieses ständige Überholen führt mit Sicherheit zur Rotation. Die gleiche Strategie verfolgen Sie mit Ihrem Antrag vom 14. November 1983. Hier wollen Sie bestimmte Kohlekraftwerke - deklariert als Notmaßnahme - sofort stillegen. Abgesehen davon, daß zwei dieser Kraftwerke nur noch mit einer geringen Restnutzungsdauer betrieben werden. daß andere Kraftwerke bereits mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage umgerüstet werden und daß alle Blökke, die Sie nennen, im Zuge mit Rauchgasentschwefelungsanlagen umgesetzt und ausgestattet werden, sind diese Ergebnisse auf Grund unserer Großfeuerungsanlagen-Verordnung heute vorhanden. Ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung der grünen Taktik: In Ihrem Antrag vom 17. Mai fordern Sie, daß atomtechnische Anlagen unverzüglich stillzulegen sind. Am 14. November der von mir zitierte Antrag, bestimmte Kohlekraftwerke stillzulegen. Nachdem Sie entdecken, daß Sie in diesem Zusammenhang keiner mehr ernst nimmt, rücken Sie ein Jahr später von der sofortigen Stillegung ab und führen, wie im Ausschußbericht vom 3. Oktober 1984 nachzulesen, einen Stufenplan zur Stillegung von Kernkraftwerken in die Debatte ein, nach dem Motto: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. Hauptsache, Sie sind in den Medien und bleiben im Gespräch. Verantwortung müssen und wollen Sie ja überhaupt nicht übernehmen. ({0}) - Da haben Sie völlig recht. Ihr utopisches Energiekonzept ist eben nicht realisierbar. Das hat Ihnen heute bereits in der vergangenen Debatte der Herr Staatssekretär deutlich zu verstehen gegeben. Demgegenüber stellt sich die klare Zielvorgabe von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen als ein in sich geschlossenes Konzept dar. Viele von uns getroffene Maßnahmen greifen ({1}) und eilen den von Ihnen gestellten Forderungen weit voraus. Aus aktuellem Anlaß möchte ich dem Innenminister, Herrn Zimmermann, für seine erfolgreichen Gespräche in London, Paris und Rom in den vergangenen Tagen danken. ({2}) Diese Gespräche haben sicher mit dazu beigetragen, das schadstoffarme Auto in Europa ein gutes Stück weiterzubringen - nicht Ihre Anträge aus der Hüfte, wohl aber zähe Verhandlungen in dieser EG. ({3}) Darüber hinaus ist es uns durch eine internationale Zusammenarbeit gelungen, auf dem Gebiet des Umweltschutzes neue Maßstäbe zu setzen. Einige Beispiele: Am 1. März 1984 wurde vom Umweltministerrat der EG die Richtlinie zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen beschlossen. Am 21. März 1984 haben sich auf der Ottawa-Konferenz zehn westliche Vertragsstaaten verpflichtet, spätestens bis 1993 ihre jährliche Gesamtemission im Bereich des Schwefeldioxids um mindestens 30 % zu vermindern. Zu erwähnen ist die multilaterale Umweltkonferenz im Juli in München. In Erweiterung der Ottawa-Gruppe erklärten 18 Staaten einschließlich UdSSR und DDR, eine Verminderung ihrer jährlichen Gesamtschwefelemissionen um 30 % vorzunehmen. Der Richtlinienentwurf der Europäischen Gemeinschaft zur Begrenzung von Schadstoffemissionen in Großfeuerungsanlagen ist in Arbeit. Ähnlich der deutschen Großfeuerungsanlagen-Verordnung werden für alle mit fossilen Brennstoffen betriebenen Anlagen Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben. In bilateralen Gesprächen mit der DDR - ({4}) - Das heißt Buschhaus, wenn sich das noch nicht herumgesprochen hat. Es wäre vielleicht sinnvoll, auch einmal nach Borken in Hessen zu schauen. Dann haben Sie in der Tat die Dreckschleuder der Nation. In bilateralen Gesprächen mit der DDR wird auf Expertenebene über Rauchgasentschwefelung bei Kohlekraftwerken verhandelt. Mit der CSSR wurden in den vergangenen Monaten ebenfalls Gespräche geführt im Zusammenhang mit der Ermittlung von Ursache und Wirkung der Luftverunreinigungen. Mit der Schweiz wird in einer gemeinsamen Expertenkommission über die Harmonisierung von Luftreinhaltevorschriften gearbeitet. Vergleichen Sie bitte einmal Ihre Forderung vom letzten Jahr mit den Ergebnissen, die wir bis heute erzielt haben! ({5}) Im nationalen Bereich zeigen unsere Maßnahmen deutlich, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Bezogen auf den jährlichen Schadstoffausstoß in der Bundesrepublik Deutschland wird durch den Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in den nächsten Jahren fortlaufend eine Verminderung von Schwefeldioxid um 50 % und von Stickoxiden um 23 % erreicht. Diese Zahlenangaben werden auch nach neueren Erkenntnissen, die nach Ablauf der Erklärungsfrist gemäß GroßfeuerungsanlagenVerordnung gewonnen wurden, erhärtet. Die Novellierung der Technischen Anleitung Luft, Teil III, und die Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes sind in Vorbereitung. Die dritte Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes wird heute verabschiedet. Die vierte Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes ist in Vorbereitung; es liegt ein Kabinettsbeschluß vor. All diese Maßnahmen haben zum Ziel, die Schadstoffbelastung in der Luft mit Priorität zu reduzieren. Meine Damen und Herren, das macht insgesamt einen Sinn und führt zum Erfolg. Ich danke Ihnen. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidbauer, Ihr Versuch, nachzuweisen, was Sie alles Tolles gemacht hätten und daß Sie ein geschlossenes Konzept hätten, kann nicht gelingen. Zumindest müßten Sie aus diesem Positivkatalog Ihren eigenen Antrag „Unsere Verantwortung für die Umwelt" vom 9. Februar 1984 ausklammern. ({0}) Dort steht zum Beispiel - hören Sie gut zu! -, daß „sicherzustellen" sei, daß ab 1. Januar 1986 nur noch Kraftfahrzeuge neu zugelassen werden, die zu 90 % abgasentgiftet sind. Was wird denn daraus? Nichts wird daraus! ({1}) Herr Schmidbauer, ich meine, Sie müssen Ihren eigenen Antrag schlicht umbenennen. Statt „Unsere Verantwortung für die Umwelt" muß es heißen: „Unsere Versäumnisse für die Umwelt". ({2}) Das kommt der Wahrheit näher. Es besteht kein Zweifel darüber, daß das, was bis jetzt geschehen ist, nicht reicht. Als wir im Frühjahr 1983 unser Notprogramm gegen das Waldsterben vorlegten, waren 8 % der Waldfläche krank. Heute sind es bundesweit 50%. Im Schwarzwald sind zwei von drei Bäumen geschädigt. Wer an der Hornisgrinde oder an anderen stark exponierten Kammlagen spazierengeht, der kann die nackten Baumgerippe flächenweit in den Himmel ragen sehen. Meine Damen und Herren, wenn es noch eines Beweises für die Dringlichkeit unseres Notprogramms bedurft hätte, dann hat ihn die Entwicklung erbracht - leider. Aber die Regierung glaubt immer noch, vor der schrecklichen Realität die Augen verschließen zu können. ({3}) Das ist nicht nur bedauerlich, sondern nahezu unbegreiflich. Sie zieht mit dem Motto durch die Lande: Vor Panikmache wird gewarnt! So die Bundesminister Kiechle und Zimmermann, neuerdings auch der bayerische Ministerpräsident. ({4}) 66 % Schadfläche in Baden-Württemberg, 57 % in Bayern, 42% in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz! Ist denn das noch nicht genug? Zitat aus Ihrem Regierungsbericht: Besonders stark geschädigt sind beispielsweise die ostbayerischen Grenzgebirge, das Alpenland, der Schwarzwald, das Weserbergland, der Harz, aber auch das Neckarland, die RheinMain-Ebene, der niedersächsische Küstenraum, die westfälische Bucht und das Niederrheingebiet. Ich frage: Was bleibt denn da noch übrig? Nein, es braucht nicht der Panikmache. Die Notlage ist da. Sehen Sie das doch ein! Es nützt nichts, die Dinge schöner machen zu wollen, als sie sind. Nehmen Sie die nüchterne Wahrheit zur Kenntnis! Hören Sie auf zu verharmlosen! Hören Sie auf, unbegründeten Optimismus zu verbreiten! Es klingt beinahe wie Hohn, wenn Minister Kiechle treuherzig versichert, man werde garantiert wieder aufforsten, man werde in 30 bis 40 Jahren wieder einen Wald haben, zwar einen jüngeren, aber man werde wieder Wald haben. Sind Sie denn sicher, ob die Böden mitmachen, die um so schwerer betroffen werden, je länger die Schadstoffbelastung fortdauert? Forstleute sagen uns, daß heute bereits die Jungpflanzen nicht mehr hochkommen. Es führt übrigens ebenfalls nicht weiter, immer darüber zu hadern, was gewesen ist und was nicht gewesen ist. Von diesem Platz aus wurde mehrfach von Vertretern meiner Fraktion deutlich gesagt, daß in den 70er Jahren zwar viel, aber nicht genug geschehen ist und daß kein Grund zur Selbstgerechtigkeit bestehe. Aber ich frage auch Sie: Gab es einen einzigen Antrag der damaligen Opposition, der strengere Auflagen zur Luftreinhaltung gefordert hätte? Es gab ihn nicht. Wenn heute Unionsministerpräsidenten wie Herr Späth stolz darauf verweisen, daß die SO2-Belastung zwischen 1974 und 1982 um 600 000 t zurückgegangen sei, dann kam dies ja nicht von ungefähr. Es kam u. a. deshalb, weil die sozialliberale Regierung per Verordnung den Schwefelgehalt im leichten Heizöl und Dieselkraftstoff auf die Hälfte reduziert hat und weil wir eine konsequente Energiesparpolitik betrieben haben - was Sie nicht tun. ({5}) Ein drittes ist in der heutigen Situation nicht zulässig, nämlich das ständige Lavieren und Verzögern, das schon ein Markenzeichen Ihrer Regierung geworden ist, nach der Art der Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor und einer zurück. Manchmal geht es auch zwei Schritte zurück. Beispiel: Buschhaus. Sie lassen Buschhaus in Betrieb gehen und haben sich damit gegen den Wald entschieden. Sie sind von dem Termin 1. Januar 1986 für das Katalysatorauto abgerückt und haben damit gegen den Wald entschieden. Sie sind nicht bereit, ein Tempolimit einzuführen, und entscheiden damit wiederum gegen den Wald. Nun werden Sie sagen: Aber wir wollen doch - vielleicht! - ein Tempolimit irgendwann im nächsten Jahr einführen. Dem ist erstens entgegenzuhalten: Jeder Tag, an dem die hohe Luftbelastung fortdauert, bedroht weitere Millionen Bäume. Zweitens wäre ein Tempolimit das einzige Mittel, das a) sofort wirksam ist und b) nichts kostet. Im Augenblick heißt die Überschrift zu diesem Spiel einfach „Chaos". ({6}) - Das tue ich auch, Herr Cronenberg. Herr Biedenkopf sagt: Ja, es muß sein. Herr Strauß hat genug von dem „Gesabbel" über Tempobeschränkungen. Herr Bangemann sagt: Nein, mit der FDP nicht. ({7}) Herr Spranger sagt: Bestenfalls als flankierende Maßnahme. Der Verkehrsminister sagt nein. Herr Staatssekretär Gallus sagt ja. Was ist nun richtig? Ergebnis: Totale Verunsicherung bei den Bürgern und den Autokäufern. Und der Wald bleibt in Atemnot.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, aus Zeitgründen nicht. Es tut mir leid.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gilt das generell, Frau Abgeordnete?

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Generell, ja. Nur Geradlinigkeit, meine Damen und Herren, Konsequenz und klare Entscheidungen können helfen, nicht allein dem Wald, sondern auch der Wirtschaft, weil sie dann weiß, woran sie ist. Wir brauchen das abgasentgiftete Auto, wir brauchen die beschleunigte Sanierung der Altanlagen. Wir brauchen die Senkung der zulässigen Immissionsgrenzwerte. Wenn wir verheerende Folgen für unsere ökologischen Lebensgrundlagen - Wasserhaushalt, Klima, Tierwelt - und auch für den ökonomischen Bereich - Fremdenverkehr, Holz- und Forstwirtschaft - noch verhindern wollen, muß die Maxime lauten: Handeln und nochmals Handeln! Ich glaube, darin wenigstens sind wir uns einig. ({0}) Nicht spekulieren, nicht Ausflüchte suchen, auch nicht eine Sonderbriefmarke erfinden; solche symbolischen Handlungen retten den Wald nicht mehr. ({1}) Der Innenminister hat vor einem Jahr gesagt: „Der Patient Wald ist krank." In seinem Manuskript stand: „todkrank". „Forschen kann Handeln nicht ersetzen." Einverstanden, aber was wir jetzt nach einem Jahr in der Hand haben, ist nur eine Latte ungehaltener Versprechen. Im übrigen funktioniert auch die Methode Späth nicht mehr, meine Damen und Herren. Herr Späth hat in seiner bebenden Art eine neue Variante gefunden, um den noch nicht vernarbten Einbruch beim Katalysatorauto zu überdecken. Jetzt sollen Altautos umgerüstet werden. Er rechnet mit 7 Millionen bis 1987. Dabei soll exakt die Menge an Stickoxiden eingespart werden, wie sie auch durch ein Tempolimit vermieden würde. Also: Abgasrückführung statt Tempolimit? - Nein, beides! Der neue Späth-Einfall ist keine Alternative zum Tempolimit. Jeder Vorschlag zu einer zusätzlichen Verringerung der Luftverschmutzung ist willkommen, sofern er ernstgemeint ist, sofern er praktikabel ist und nicht nur auf den nächsten Wahltag zielt. Meine Damen und Herren, was wir wirklich brauchen, sind nicht mehr oder weniger aus dem Hut gezauberte Einzelideen, sondern ist ein schlüssiges Gesamtkonzept, ein Rettungsplan für den Wald. Das läßt sich erreichen - aber nur dann, wenn alle zu einer gemeinsamen nationalen Anstrengung bereit sind. Der Vorsitzende meiner Fraktion hat daher bereits im August in einem Brief an den Herrn Bundeskanzler vorgeschlagen, interfraktionelle Gespräche mit dem Ziel zu führen, zu einem einvernehmlich zu beschließenden Maßnahmenpaket zu kommen, um dem rapiden Waldsterben Einhalt zu gebieten. Für dieses Maßnahmepaket bietet unser Notprogramm eine gute Grundlage, ebenso übrigens, Herr Schmidbauer, wie Ihr Antrag vom 9. Februar 1984, wenn Sie ihn ernstnehmen. ({2}) Mehr als 75 % der Bürger sind dafür, daß alles getan wird, um unsere Wälder zu erhalten. Und sie sind auch bereit, dafür Opfer zu bringen. Jetzt muß das Parlament die Dinge selber in die Hand nehmen. Außergewöhnliche Notlagen erfordern außergewöhnliche Schritte. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren: Es gibt auch in diesem Hause eine Mehrheit, die die Rettung des Waldes will. Deshalb ist meine Aufforderung: Bilden wir eine Wald-inNot-Koalition! Danke schön. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde vorige Woche habe ich versucht, die Diskussion zur Waldschadensproblematik etwas zu versachlichen. Dies ist leider offentlichtlich nur teilweise oder überhaupt nicht gelungen, Herr Ehmke. ({0}) Ich habe ausdrücklich einen Unterschied zwischen Primärschäden - auf Grund von Trockenheit und Luftschadstoffen - und Sekundärschäden - auf Grund von Pilzen und Borkenkäfern - gemacht. ({1}) Sie haben das heute wieder alles durcheinandergeworfen. Es ist immer dasselbe: Wenn man das Volk mit Zahlen und Horrorvisionen aufschrecken will, haben fachliche und wissenschaftliche Argumente überhaupt keinen Platz mehr. ({2}) Es bleibt aber dabei, daß der Wald in großem Umfange unter Streßfaktoren leidet - ich wiederhole es - und daß Nadelhölzer auf Grund ihrer Morphologie, auf Grund ihres Aufbaues, nicht in dem Maße regenerationsfähig sind wie Laubbäume. Da wir die großen klimatischen Schwankungen nicht ändern können, müssen wir allmählich die Quellen der Faktoren verstopfen, die gemeinsam und für sich allein den Bäumen Schaden zufügen und den Boden versauern. Zur Eindämmung und Abwehr dieser Schadstoffverfrachtungen hat die Bundesregierung eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen und gesetzliche Bestimmungen erlassen. Es wurde hier darauf hingewiesen: Noch nie hat eine Bundesregierung in verhältnismäßig so kurzer Zeit so viele Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt eingeleitet. ({3}) Im Gegensatz zur Opposition muß die Regierung aber auch alle Folgen solcher Maßnahmen abwägen. Daß dies auch in der SPD so gesehen wird, kann man an den eklatanten Widersprüchen zwischen den Forderungen in den vorliegenden Anträgen und der Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen erkennen. ({4}) Der größte Bremser gegen wirkungsvolle Maßnahmen im Bereich der SO2-Emissionen - Schwefeldioxid - sitzt in Düsseldorf und heißt Johannes Rau. ({5}) Ihm haben wir es zu verdanken, Herr Duve, daß von den größten Verschmutzern, nämlich von den Kraftwerken und Industrieanlagen, kaum noch die Rede war, sondern daß nur noch der deutsche Autofahrer herhalten muß. ({6}) Welche Gesetze und Verordnungen im einzelnen erlassen wurden und wie sie greifen, wurde hier mehrfach betont. Herr Staatssekretär Spranger wird darauf noch eingehen und auch auf Sie noch weiter antworten. Bis 1988 wird bereits eine Halbierung des Gesamtausstoßes von SO2 und NOX erwartet. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wolfram, bitte.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das Land Nordrhein-Westfalen als erstes am weitestgehenden und am umfangreichsten für saubere Kraftwerke gesorgt hat? ({0})

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wolfram, darauf will ich Ihnen einmal etwas sagen. In der sozialliberalen Koalition haben wir für saubere Luft in Nordrhein-Westfalen gesorgt; Anfang der 70er Jahre durch die erste TA Luft. ({0}) - Nein, nein, ich glaube, es ist egal, wer es war. Jedenfalls war das ein Erfolg. Aber jetzt will ich Ihnen einmal etwas dazu sagen. Dadurch, da wir diese Filteranlagen eingebaut und den Ruß und die Schwerstoffe abgefiltert haben, haben wir alle positiv geladenen Bestandteile abgefiltert, an denen auch negativ geladene angelagert waren; seit der Zeit sind nur noch die negativ geladenen hinausgestoßen worden. ({1}) Herr Wolfram, damit will ich genau sagen - Sie unterstützen mich -, daß jede Maßnahme auf ihre endgültigen Folgen geprüft werden muß. Das kann man mit den Vorlagen, die Sie hier gemacht haben, eben nicht tun. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hätte gerne gewußt, ob Herr Wolfram in seiner Stadt Recklinghausen dafür gesorgt hat, daß er von den RWE keine Aktieneinkünfte mehr bekommt und statt dessen das Geld für seinen Wald ausgibt. ({0})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wollen Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Stadt Recklinghausen weitestgehend mit der umweltfreundlichen Fernwärme versorgt ist, daß die Stadt Recklinghausen seit zwölf Jahren einen Umweltschutzausschuß hat, daß sie aktiv Waldschäden in Stadtforsten bekämpft hat. Aber meine Frage an Sie war: Ist das, was Sie jetzt als Folge der Entstaubungstechnologie kritisieren, nicht etwas, was wir seinerzeit alle von Experten zur Kenntnis genommen und übernommen haben, und haben wir nicht erst später erkannt, daß sich diese Sekundäreffekte, die Sie ansprechen, ergeben? Das können Sie doch nicht dem Ministerpräsidenten Rau unterstellen!

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich habe doch nur auf Ihre Frage geantwortet und wollte damit sagen, daß Ihre Vorlagen, die Sie gemacht haben, genausowenig das Ende absehen können wie wir es leider damals gesehen haben. Wir haben es doch alle gut gemeint. ({0}) Die FDP begrüßt auch, daß man sich im Kabinett jetzt für jährliche Abgaskontrollen beim Kfz entschieden hat. Leider sind da nicht alle Fraktionen der gleichen Meinung. Auch dies führt zu wesentlich verbesserten Werten. Dabei wurde nicht ein neues TÜV-Monopol geschaffen. Meines Wissens, Frau Hartenstein, gibt es übrigens auch keinen Antrag der Opposition, das abgasarme Auto nicht erst am 1. Januar 1986, sondern schon ab 1. Juli 1985 einzuführen. Dies ist aber die Vorlage, die von der Bundesregierung beschlossen wurde; denn die Verbraucher, die bis zum 1. Juli 1985 einen abgasarmen Wagen fahren, bekommen dafür bis zu 3 000 DM Steuerersparnis. ({1}) - Das kann doch dann durch marktwirtschaftliche Maßnahmen ganz schnell geschehen. - Unser Staatssekretär Gallus fährt heute schon freiwillig 100 und läßt sich von jedem Lastwagen überholen. ({2}) Besonders großen Wert legen wir auf die Bemühungen von Bundesinnenminister Zimmermann und Bundeswirtschaftsminister Bangemann, für unsere fortschrittlichen Vorstellungen auch bei den Nachbarn zu werben. Meine Damen und Herren, dies bereitet - das sehen Sie doch - die größten Schwierigkeiten. Aber man kann auch hier in einigen Gremien schon einen Umwandlungs-, einen Umdenkungs-, einen Sensibilisierungsprozeß feststellen; das läßt hoffen. Was die Abschaltung alter Kraftwerke in Frankreich, hauptsächlich in Lothringen, anlangt - sicher eine der bedeutendsten Schadstoffquellen für den Schwarzwald -, so signalisieren uns die Franzosen heute schon, daß die alten Dinger bis 1988 alle stillgelegt werden. Strom aus Frankreich ist dann Strom aus Kernenergie. ({3}) Herr Grüner und auch andere bei uns haben deutlich darauf hingewiesen. Die Koalition hat sich inzwischen auf eine Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geeiDr. Rumpf nigt, insbesondere im Hinblick auf eine Abschwächung des Bestandsschutzes. Und dann hätte ich noch ein Wort zu den GRÜNEN zu sagen: Ich will Ihnen einmal einen guten Rat geben: Gehen Sie doch einmal mit gutem Beispiel voran! Das Zusammenkarren von Demonstranten an Wochenenden für alle möglichen Demonstrationen verpestet die Luft und schädigt den Wald mindestens genauso wie der Verzicht auf ein Tempolimit. Bleiben Sie doch sonntags zu Hause, fahren Sie doch gar nicht! Das ist doch viel besser, als wenn Sie langsam fahren. ({4}) Meine Damen und Herren, die FDP wird in dieser Koalition und in dieser Regierung konsequent und zielstrebig weiter daran arbeiten ({5}) - also, Herr Duve, Ihre Zwischenrufe habe ich mir im Protokoll einmal angesehen; die waren alle sehr primitiv, sehr primitiv -, ({6}) daß durch eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Maßnahmen Umweltschutz mit Augenmaß betrieben wird und daß unser ökologisches Aktionsprogramm für die 80er Jahre bis zum Ende dieses Jahrzehnts weitgehend umgesetzt ist, und das nützt auch dem Wald. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der „Frankfurter Rundschau" vom 5. Oktober hat Herr Ehmke, ich zitiere, gesagt, „daß wir in der Tat wenige Leute in der Fraktion haben, die sich im Umweltbereich auskennen und für den Umweltschutz engagieren". Herr Ehmke, nach Ihrer Rede wird diese Zahl nahe Null anzusiedeln sein. ({0}) Wenn Sie heute herkommen und Gutachten zitieren, aus denen sich als neue Erkenntnis für Sie ergibt, daß die Luftverschmutzung eine wichtige Ursache für die Waldschäden sei, dann ist das nicht nur ein alter Hut, sondern auch eine Sache, hinsichtlich der die Bundesregierung seit zwei Jahren, seit sie im Amt ist, mit allen technischen und organisatorischen Möglichkeiten etwas tut. Es ist nahezu nicht zu begreifen, wie Sie meinen, heute mit diesen Analysen etwas Neues bieten zu können. ({1}) Liebe Frau Kollegin Hartenstein, Sie haben mich mit dem Thema Tempolimit direkt angesprochen. Man kann darüber diskutieren, und der Großversuch, der feststellen soll, was da an Möglichkeiten im Bereich des Umweltschutzes herauszuholen ist, ist in Auftrag gegeben. Was mich in der jetzigen Diskussion allerdings stört, ist das unheimliche Maß an Heuchelei, mit der die Befürworter des Tempolimits auftreten. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Nein.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gilt das generell, Herr Staatssekretär?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Das gilt generell. Da gibt es einen Ministerpräsidenten Börner, der seinen Landeskindern vorschreiben will, daß sie nur noch 100 km/h fahren sollen. Und dieser Ministerpräsident wird dann von Zeitungsreportern bei 170 oder 190 km/h auf der Autobahn erwischt. Was müssen sich dann die Leute denken, denen man ein Tempolimit zumutet? Im übrigen: Auf 96 % aller deutschen Straßen besteht Tempolimit. Daran können sich alle halten, freiwillig ohne ein zusätzliches Gesetz. ({0}) Meine Damen und Herren, auf den restlichen 4 % ist niemand gezwungen mehr als 100 km/h zu fahren. Da gibt es keine Auflage, kein Gebot. ({1}) - Ich mache eine Ausnahme für die Frau Kollegin Hartenstein. Bitte sehr.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich auf den restlichen 4 % Straßen, von denen Sie gerade sprechen, auf denen kein Tempolimit besteht, 26 % des Fahrverkehrs abwickeln und 45 % der Stickoxide ausgestoßen werden? ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Kollegin Hartenstein, Sie wissen genau - nicht nur auf Grund des Hearings des Innenausschusses, sondern auch auf Grund des Hearings der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag -, daß diese Zahlen von vielen Experten nach oben oder nach unten korrigiert werden. Die Aufgabe dieses Großversuchs, den wir machen, ist es j a gerade, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu gewinnen, wie es tatsächlich ist. ({0}) Deswegen kann ich Sie nur bitten, uns bei der Durchführung dieses Versuchs mit vernünftigen Vorschlägen zu unterstützen. ({1}) Wenn Sie, Frau Kollegin Hartenstein, zum Abschluß Ihrer Rede fordern, man müßte eine Waldin-Not-Koalition gründen, so ist das eine schöne Formel und klingt prima. Nur, die Situation, die schwere Notlage, die Sie beschrieben haben, hätten wir nicht, wenn die frühere Bundesregierung rechtzeitig gehandelt hätte. ({2}) Es hat nun gar keinen Sinn, der Bundesregierung ständig vorzuhalten, sie habe nichts getan, obwohl Sie genau wissen, daß sie unendlich mehr als die frühere Bundesregierung gemacht hat und daß wir alles, was wissenschaftlich greifbar ist, umgesetzt haben. Ich bin davon ausgegangen, daß das j a allgemein bekannt ist. Aber der Kollege Rumpf hat mich gebeten - und ich greife das gerne auf -, noch einmal kurz zu bilanzieren, was in diesen zwei Jahren national und international geschehen ist, und auch zu zeigen, was erreicht worden ist oder erreicht wird. Die GroßfeuerungsanlagenVerordnung wird dazu führen, daß nach neuesten Berechnungen die SO2-Emissionen von 2,1 Millionen t bis 1988 um 1 Million t reduziert, also fast halbiert werden. Außerdem kommt es zu einer drastischen Verringerung auch der NOX-Emissionen von bisher 1 Million t auf 300 000 t. Die neuen Emissionsvorschriften im Bereich der TA Luft erfassen die gesamte Industrie. Die Emissionswerte dieser Feuerungsanlagen werden halbiert, die Schwermetallwerte zum Teil auf ein Hundertstel herabgesetzt. Diese Novellierung bringt eine erhebliche Verschärfung dieser Emissionswerte. Der Referentenentwurf dieser TA Luft liegt ja bereits vor, wie Sie wissen. Er wird mit den beteiligten Kreisen intensiv erörtert. Wir gehen davon aus, daß nach der TA Luft Teil 2 die TA Luft Teil 3 im Frühjahr 1985 in Kraft tritt. Vor kurzem hat die Bundesregierung zur Verringerung der SO2-Emissionen aus privaten Haushalten die Halbierung des Schwefelgehalts im leichten Heizöl von 0,3 Gewichtsprozent auf 0,15 Gewichtsprozent im Kabinett verabschiedet. Die SO2-Emissionen werden dabei um 140 000 t verringert werden. Wir haben uns auch bemüht, das entsprechende Verfahren in den EG-Richtlinien umzusetzen. Im Februar 1984 hat der Innenminister zur Verbesserung der Vollzugsinstrumente bei der Durchsetzung der Emissionsschutzanforderungen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vorgelegt. Das hat sich mit einer Initiative im Bundesrat überschnitten, der im Mai zwei Gesetzentwürfe vorgelegt hat. Die Bundesregierung hat, gerade um zur Beschleunigung dieses Verfahrens beizutragen, ihre eigene Initiative in die Bundesratsinitiative und die entsprechenden Beratungen eingebracht. Nun zum Kraftfahrzeug ein kurzes Wort. Auch hierzu sind Ihnen im Grunde die Beschlüsse bekannt. Es ist Tatsache, daß es Beschlüsse sind, die uns in Europa weit an der Spitze sehen. Sie haben die Gespräche und die Stellungnahmen der anderen Länder ja mitverfolgen können. Ich sage noch einmal: Das Datum 1. Januar 1986 ist sogar vorgezogen worden. ({3}) Ich bitte, das endlich mal zur Kenntnis zu nehmen. Ab dem 1. Juli 1985 besteht die Möglichkeit, bei enormen finanziellen Kaufanreizen dieses Auto zu kaufen. Ich kann allen, die sich so engagiert für den 1. Januar 1986 einsetzen, nur die Anregung geben, bereits ab 1. Juli 1985 die großen finanziellen Chancen zu nutzen, die ihnen die Bundesregierung beim Kauf eines umweltfreundlichen Autos angeboten hat. ({4}) Und längst, schon seit Monaten, ist das Thema „Nachrüstung von Altfahrzeugen" für uns nicht nur ein wichtiges Thema, sondern wir haben die technischen Vorbereitungen getroffen. Es ist eine ganz zentrale Aufgabe, hier die Möglichkeiten zu suchen, möglichst schnell möglichst viel vom Altbestand der Kraftfahrzeuge technisch machbar und wirtschaftlich vernünftig umzurüsten. Wir haben uns bemüht, das auch international voranzubringen: bei der Münchener Umweltkonferenz, in Ottawa, bei der ECE in Genf, in Brüssel. Das ist von dem Kollegen Rumpf und dem Kollegen Schmidbauer schon angeschnitten worden. In dieser Woche hat der Innenminister die drei Hauptstädte in Frankreich, Italien, Großbritannien besucht, und wer ein bißchen Ahnung hat, weiß, wie schwierig die Gespräche bei der ganz anderen Auffassung dieser Regierungen sind. Diese Gespräche haben im wesentlichen ergeben, daß Frankreich entsprechend dem Bedarf bereits vor 1989 einige hundert bleifreie Tankstellen für den grenzüberschreitenden Verkehr anbieten will. Ich betone: entsprechend dem Bedarf. Es liegt also sehr daran, wie diese Tankstellen in Anspruch genommen werden, insbesondere an den Hauptverkehrsstrecken und in den Ferienorten. Für Autos über 2 Liter Hubraum akzeptiert Frankreich nun den Drei-Wege-Katalysator mit seinen drastischen Schadstoffreduzierungen ab 1989. Frankreich unterstützt auch den deutschen Vorstoß in der EG zur Halbierung des Schwefelgehalts bei leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff. Großbritannien teilt mit, daß die britische Mineralölindustrie ebenfalls vor 1989 bleifreies Benzin anbieten wird. Italien sagt dies ebenfalls zu, spätestens für 1987. Das heißt also, der Kraftfahrzeugverkehr in Europa kommt nicht zum Stillstand, wie viele befürchtet haben. Er wird auch unter Berücksichtigung der weit vorangestellten Termine der Bundesregierung zukünftig in Europa mit bleifreiem Benzin fahren können. Das sind wichtige Schritte, die hier in den Verhandlungen erreicht werden und die hoffentlich dann auch bei dem EG-Umweltrat am 6. Dezember zu weiteren Ergebnissen führen. Meine Damen und Herren, ich nannte einige Sofortmaßnahmen. Das Thema Tempolimit kann bereits heute von jedem einzelnen entschieden werden. Aber alle Maßnahmen können natürlich nicht über Nacht wirken. Was jahrelang versäumt worden ist, kann nicht kurzfristig beseitigt werden. Wir können deshalb auch realistischerweise in der Zukunft eine Zunahme von Waldschäden nicht ausschließen, obwohl wir jetzt bereits, beispielsweise in Bayern, im Fichtelgebirge, feststellen können, daß es schon Verbesserungen gegeben hat, daß sich Tausende von Hektar bereits wieder revitalisiert haben, daß also bereits ein gewisser Umkehrungsprozeß stattgefunden hat. ({5}) Das muß man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Bei der Situation, die wir heute haben, und bei den Entscheidungen, die die Bundesregierung getroffen hat, besteht keinerlei Anlaß, irgendwelche Katastrophenstimmung zu verbreiten oder daraus abzuleiten. Wer das tut, zeigt, daß er zur Problembewältigung entweder nicht fähig oder nicht willig ist. Es mag für bestimmte politische Grüppchen interessant sein, Angst und Panik hier anzukochen, der Umwelt und dem Wald dient dies jedenfalls mit Sicherheit nicht. Es führen auch keine Vorschläge weiter, wie sie heute, insbesondere aus dem Bereich der GRÜNEN, unterbreitet wurden. Wir haben die uns möglichen Maßnahmen zur Verringerung der Luftverunreinigung eingeleitet. Beim SO2, beim NOX wird dies zu einer Reduzierung der jährlichen Schadstoffemissionen von deutlich mehr als 50 % führen, und das wird die Lebensbedingungen für unseren Wald bereits in den nächsten Jahren nachhaltig verbessern. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin soeben direkt von dem Kollegen Schmidbauer angesprochen worden. Herr Schmidbauer hat vorgetragen, daß die GRÜNEN in ihrem Antrag Kfz-Abgasgrenzwerte vorgetragen hätten, die um das Vierfache höher als das lägen, was die Regierung oder die Koalition vorgeschlagen hätten. ({0}) Ich möchte hier nur zur Richtigstellung folgendes erklären und auf folgendes hinweisen. In dem Bericht des Innenausschusses, der Ihnen vorliegt, sind die Grenzwerte auf Seite 3 so dargestellt, wie wir sie im letzten Stand vorschlagen. ({1}) Das sind Abgasgrenzwerte nach den USA-Grenzwerten: Stickoxyde 0,62 Gramm pro Kilometer, Kohlenwasserstoffe 0,25 Gramm pro Kilometer und Kohlenmonoxid 2,1 Gramm pro Kilometer. Ich sage das nur, damit es ein für allemal deutlich ist, daß wir mit unseren Grenzwerten jetzt bedeutend tiefer als das liegen, was wir im ersten Antrag dargestellt haben. Danke schön. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Wollen Sie eine Erklärung abgeben? ({0}) Die Aussprache ist geschlossen. Wenn Sie das Wort haben wollen, müssen Sie eine Erklärung abgeben. ({1})

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, es geht nur um eine Richtigstellung. Eine solche wurde j a auch eben vorgenommen. In der gleichen Weise möchte ich jetzt die Dinge korrigieren, um die Sache richtigzustellen. Die GRÜNEN hatten einen Antrag eingebracht und hatten Richtlinien für Abgasgrenzwerte aufgestellt, die schwächer waren als die Richtlinien der Bundesregierung. Das entnehmen Sie bitte der Bundestagsdrucksache. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Punkt 8 der Tagesordnung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2165 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Wir stimmen nunmehr über den Punkt 9 der Tagesordnung ab. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2166 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Abstimmung auf. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2192 abstimmen. Die Fraktion der GRÜNEN hat zu ihrem Änderungsantrag Teilung der Frage beantragt. Ich rufe deshalb die Ziffer I und von der Ziffer II die Absätze 1 und 2 zur Abstimmung auf. Wer diesen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe nunmehr von der Ziffer II des gleichen Antrags die Absätze 3, 4 und 5 zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Änderungen sind abgelehnt. Vizepräsident Wurbs Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses insgesamt ab. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2168 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung auf. 11. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Schoppe, Dr. Ehmke ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Kranke Umwelt - kranke Kinder Gesundheitsgefährdung durch Umwelt-, speziell Luftverschmutzung - Drucksachen 10/971, 10/2107 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({1}), Dr. Hauff, Frau Fuchs ({2}), Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jaunich, Urbaniak, Egert, Frau Schmidt ({3}), Frau Dr. Lepsius, Schäfer ({4}), Ibrügger und der Fraktion der SPD Saubere Luft und Gesundheitsvorsorge - Drucksache 10/2128 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({5}) Innanausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Forschung und Technologie Zum Punkt 11 der Tagesordnung liegen Ihnen zwei Entschließungsanträge der Abgeordneten Frau Schoppe, Dr. Ehmke ({6}) und der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2134 und 10/2135 vor. Es ist gemeinsame Beratung der Punkte 11 und 12 der Tagesordnung mit einer Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Ehmke ({7}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Es trifft sich gut, daß wir gleich nach dem Waldprogramm und in dieser Zeit, da uns alle der schlimme Fortgang des Waldsterbens so besorgt macht, unsere Große Anfrage „Kranke Umwelt - kranke Kinder" und die Antwort der Bundesregierung darauf debattieren, gibt es doch einige erstaunliche Parallelen zwischen den Schadflächenanteilen in den Wäldern und bestimmten Bronchialerkrankungen. So ist zum Beispiel von der Uniklinik in Münster festgestellt worden, daß die Häufigkeit schwerer Hustenerkrankungen am größten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern ist, in den Ländern mit den größten Waldschäden, während Schleswig-Holstein und das Saarland sowohl bei Husten als auch beim Waldsterben am wenigsten betroffen sind. Ähnliche Zusammenhänge kann man feststellen, wenn man die Schwefeldioxid-Empfindlichkeit von Nadelbäumen - ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, darf ich Sie kurz unterbrechen. - Meine Damen und Herren, ich darf doch darum bitten, Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen fortzusetzen. Bitte schön, fahren Sie fort.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn man also die Empfindlichkeit von Nadelbäumen, wie sie etwa die Internationale Forstforschungsorganisation gemessen hat, mit den Schwefeldioxid-Richtwerten für die menschliche Gesundheit vergleicht, die von Toxikologen, von Medizinern und von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen werden, kommt man zu ähnlichen Feststellungen. Namentlich die Fichte und die Tanne haben ähnliche Empfindlichkeiten gegen Luftschadstoffe wie die Risikogruppen in unserer Gesellschaft. Man kann deshalb mit Fug und Recht den Wald als Frühwarnsystem für die Schädigung der menschlichen Gesundheit durch Luftschadstoffe ansehen. ({0}) Meine Damen und Herren, das Schicksal des jetzt absterbenden Waldes ist ein Warnzeichen für die uns allen drohenden Gesundheitsschäden. Wir haben deshalb schon im April 1983 in unserem Waldrettungsprogramm, das wir eben diskutiert haben, zahlreiche Maßnahmen vorgeschlagen, die nicht nur dem Wald, sondern auch der Gesundheitsvorsorge zugute kommen würden, so z. B. die Einführung von Schadstoff- und Wirkungskatastern, die nicht nur die Schädigungen von Pflanzen und Tieren erfassen müßten, sondern auch epidemiologische Daueruntersuchungen, Statistiken für bestimmte Krankheiten und Messungen z. B. auf Blutblei und Blutcadmium, so auch die Senkung der TA Luft-Grenzwerte, die Senkung der Kfz-Abgaswerte, die Einführung einer Schadstoffabgabe und vieles andere mehr. Doch unsere Anträge fanden in den Ausschüssen keine Unterstützung, weder von der Koalition noch von den Oppositionskollegen. ({1}) Einige Worte zu den Risikogruppen: Die meisten Grenzwerte und Berechnungen in der Umwelttoxikologie richten sich am gesunden Durchschnittsmenschen mit 70 kg Körpergewicht aus. Wenn nun von seiten der Umweltbewegung, der Elterninitiativen usw. das berechtigte Argument kommt, man solle die Grenzwerte nicht an diesem kraftstrotzenden Durchschnittsmenschen orientieren, der mit den Umweltbelastungen noch am besten fertig wird, sondern an den Risikogruppen, d. h. an den Gliedern der Gesellschaft, die von der wachsenden Vergiftung unserer Umwelt am meisten bedroht werden, dann hört man oft das Gegenargument: Dr. Ehmke ({2}) Wie viele sind das denn schon, diese Risikogruppen? Gleich danach kommt dann meistens das bekannte Argument, das man ohne Nachdenken von den Atomideologen übernommen hat: Müssen wir in unserer hochtechnisierten Gesellschaft nicht mit einem Restrisiko leben, müssen wir für unseren auf Technik gegründeten Wohlstand nicht die Existenz von einigen Umweltkranken, Verkehrstoten und dergleichen in Kauf nehmen? Meine Damen und Herren, aus zwei Gründen halte ich dieses Argument für zutiefst unethisch: zum ersten deshalb, weil wir tatsächlich die technischen und finanziellen Möglichkeiten hätten oder in einer rationalen Umwelt- und Gesundheitsvorsorgepolitik entwickeln könnten, die Zahl der Umweltkranken und Verkehrstoten, wenn nicht auf Null zu bringen, so doch massiv zu senken. Einige Vorschläge dazu werde ich nachher nennen. Was uns - mit „uns" meine ich die Gemeinschaft unseres Volkes - derzeit allein fehlt, ist der mehrheitliche politische Wille, begründete Maßnahmen für eine Vorsorgepolitik zu ergreifen. ({3}) Aber das wird sich, so hoffe ich, ändern können und wird sich auch ändern müssen. Zum zweiten ist der Anteil der Risikogruppen an unserer Bevölkerung weit größer als gemeinhin angenommen. Dazu einige Zahlen: Erstens. Wir haben jährlich 500 000 bis 600 000 Schwangere und Säuglinge. Zweitens. Wir haben 3,7 Millionen Kinder unter 6 Jahren. Drittens haben wir 6,4 Millionen Erwachsene über 70 Jahren. Das heißt, wenn man nur diese drei Gruppen betrachtet, gehören schon ca. 17 % unserer Bevölkerung zu den Risikogruppen. Hinzu kommen noch die Kranken. Nach der AOK-Statistik 1978 sind jährlich ca. 230 000 Pflichtmitglieder wegen typischer Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Emphysem oder Asthma arbeitsunfähig. Das ergibt jährlich 3,7 Millionen Tage Arbeitsunfähigkeit. Nach derselben Statistik gab es 1978 fast 25 000 Sterbefälle wegen Atemwegserkrankungen und fast 150 000 Sterbefälle infolge von Herzerkrankungen, die auch mit Luftverschmutzung zusammenhängen. Meine Damen und Herren, wie kann man da von einem kleinen Restrisiko reden? Allein diese Zahlen sollten ausreichen, um eine strenge Gesundheits- und Umweltvorsorgepolitik zu fordern und auch mehrheitsfähig machen zu helfen. ({4}) Aus diesem Grunde haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, umgehend die Immissionsgrenzwerte für die wichtigsten Luftschadstoffe so zu verschärfen, daß eine Gesundheitsgefährdung auch für Risikogruppen ausgeschlossen ist. Diesen Antrag werten wir und mit uns die zahlreichen Elterninitiativen zugleich als einen Prüfstein für die Handlungsbereitschaft des Parlaments in Sachen Atemwegserkrankungen. Nun wird von manchen, die es eigentlich besser wissen müßten, behauptet, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Asthma, Pseudo-Krupp usw. Wenn wir die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Hand nehmen, müssen wir ohne Erstaunen feststellen, daß auch die Bundesregierung in diesen Chor einfällt. Wenn das nicht zu einer für uns alle schädlichen Verzögerung bei der Ergreifung notwendiger Maßnahmen führte, wäre das nicht weiter ernst zu nehmen. Es läuft auf denselben sogenannten Expertenstreit hinaus wie beim Tempolimit, wobei es sich im Prinzip um einen Streit zwischen Experten auf der einen Seite und Interessenverbänden sowie Großkapital mit den von ihnen beeinflußten Politikern auf der anderen Seite handelt. ({5}) Fast jeder Mediziner und Toxikologe, der sich zielgerichtet und sachgerecht mit umfangreichen Immissionsstatistiken und epidemiologischen Daten beschäftigt hat - und wir haben leider noch viel zuwenig davon, aber genug, um jetzt zu handeln -, stellt einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Gesundheit her. Ich erwähne nur die Arbeiten von Beckenkamp in Saarbrücken, Wemmer in Darmstadt, Haupt in Duisburg, Schlipköter in Düsseldorf und viele andere. Hinzu kommen die Statistiken des Sozialministeriums in Baden-Württemberg über den Anstieg von Krebs und Hautallergien, aus der Schweiz, aus den USA, neuerdings auch aus der DDR und aus Polen, die diese Zusammenhänge deutlich belegen. Doch dies alles reicht Ihnen nicht. Die Koalition und die Bundesregierung verhalten sich ähnlich wie beim Waldsterben. Sie wollen warten mit drastischen Maßnahmen, bis der letzte Beweis gefunden ist. Dies ist fürwahr keine Vorsorgepolitik. „Vorbeugen ist besser als Heilen", das wissen doch auch Sie. Meine Damen und Herren, ich würde Ihnen raten, sich einmal anzuhören, was die CDU in Baden-Württemberg jetzt kurz vor der Kommunalwahl fordert. Ob und wie sie das hinterher halten wird, das steht auf einem anderen Blatt. Ich bin jedenfalls auf die entsprechenden Bundesratsinitiativen von Baden-Württemberg gespannt. Ich zitiere aus einer Meldung in den „Badischen Neuesten Nachrichten" vom 4. August 1984. Hier steht: Ein planmäßiges System zur laufenden Beobachtung, Überwachung und Auswertung von Umweltbelastungen auf die Gesundheit hat die baden-württembergische CDU-Landtagsfraktion gefordert. Ohne ein solches wirkungsvolles Frühwarnsystem bleiben alle Anstrengungen zu einer verantwortungsbewußten vorsorgenden Umweltpolitik Makulatur. So der Fraktionsvorsitzende Erwin Teufel. Und jetzt halten Sie sich fest, meine Damen und Herren von der Koalition: Erkrankungen der Atemwege, Pseudo-Krupp und Allergien seien nur einige Beispiele für die in jüngster Zeit festzustellende Häufung von Dr. Ehmke ({6}) Erkrankungen, die mit Umweltbelastung in Zusammenhang gebracht würden. Das hebt sich - zumindest verbal - positiv ab von der Antwort, die Sie von der Bundesregierung uns gegeben haben. Doch es wäre j a nicht das erstemal, daß manche Länder Sie links und rechts in der Umweltpolitik überholen, während Sie in der Mitte mit beiden Beinen in den Fettnäpfen stehen. Im übrigen ersetzen Schadstoffkataster keine emissionsmindernden Maßnahmen. Ich habe in meiner vorigen Rede zum Waldsterben schon meine Zweifel geäußert, ob die baden-württembergische Landesregierung auch nach der Wahl zu Konsequenzen bereit ist. Es bleibt aber festzuhalten, meine Damen und Herren: Nach Meinung meiner Fraktion und zahlreicher Mediziner im In- und Ausland ist zwar der genaue Anteil der Luftverschmutzung an der Gesundheitsgefährdung mangels versäumter Wirkungserhebungen noch nicht sicher abzuschätzen, es kommen noch andere Schadfaktoren wie Rauchen, Gifte in der Nahrung, Innenraumbelastung hinzu. Es reichen aber wie beim Wald alle Indizien für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen sowie bestimmten Krebserkrankungen aus, um eine sofortige Wende hin zu einer Umwelt- und Gesundheitsvorsorgepolitik zu begründen, die diesen Namen wirklich verdient. Welche Maßnahmen sind dafür vordringlich? Man darf sich hierbei nicht auf isolierte Einzelmaßnahmen beschränken, sondern wir benötigen ein durchdachtes umfassendes Gesamtkonzept, welches meine Fraktion gerade entwickelt. Als Schwerpunkte muß das Konzept enthalten: Erstens. Verschärfung der Grenzwerte und Vorschriften im Zuschnitt auf die Gefährdung von Risikogruppen, wie ich das eben schon erwähnte, also Verschärfung der TA Luft, der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Smog-Alarm-Verordnung usw. Zweitens. Abbau des Vollzugsdefizits bei den Umwelt- und Gesundheitsbehörden. Drittens. Verstärkung der Wirkungserhebungen im epidemiologischen und ökologischen Bereich, z. B. durch einen Ausbau und durch Verschärfung der Luftreinhaltepläne. Viertens. Voller öffentlicher Zugang zu allen Meßwerten und Erhebungen, Veröffentlichung von Immissionsmessungen. Wir fordern auch lufthygienische Vorhersagen in den Medien, in den Zeitungen, wie das z. B. in den USA gang und gäbe ist. Fünftens. Stärkung der Rechte der Betroffenen durch Erweiterung der Klagemöglichkeiten, Anspruch auf Entschädigung, Beweislastumkehr und auch durch Komplexhaftung möglicher Verursacher. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ganz kurz auf die japanischen Erfahrungen verweisen. Gewiß kann man das japanische System nicht unbesehen auf Deutschland übertragen. Aber immerhin können wir von Japan lernen, daß man nicht so tun sollte - wie es die Bundesregierung macht -, als ob wirksamere und schnellere Maßnahmen als die von ihr beschlossenen gar nicht möglich seien oder die Wirtschaft total ruinieren würden. Japan ist das augenfällige Gegenbeispiel. Dort hat man die Luftverschmutzung in fünf Jahren um sage und schreibe 75% gesenkt. ({7}) Trotzdem - vielleicht sollte ich sagen: deshalb - floriert die japanische Wirtschaft und erobert sich sogar noch zusätzliche Exportmärkte für umweltfreundliche Technologien. ({8}) Zu diesem letzten Punkt möchte ich noch anmerken, wie deutlich gerade bei diesem Thema die Mängel des traditionellen individualbezogenen Umweltschadensrechtes und die Nachteile des bisherigen, eher anlagen- und wirtschaftsbezogenen Immissionsschutzrechtes sichtbar werden. Unser Körper, unsere Gesundheit sind ein Stück Natur wie unser Wald. Das Recht aber ist reines Menschenwerk. Wenn es das bisherige Recht zuläßt, daß es unserer Gesundheit, daß es der Natur an den Kragen geht, dann müssen wir eben auch unser Recht ändern. Danke schön. ({9})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon wichtig zu erkennen, daß wir die Debatte über möglicherweise umweltbeeinflußte Krankheiten auf dem Hintergrund von Stimmungen führen, die existieren oder gemacht werden. ({0}) - Ich will mich zunächst mit dem Ernstzunehmenden beschäftigen, und ernst zu nehmen ist, was die Grundlage der heutigen Debatte angeht, zunächst einmal der Antrag der SPD. In dem Antrag der SPD zum Thema saubere Luft und Gesundheitsvorsorge heißt es im ersten Satz: In der Bundesrepublik Deutschland werden zunehmend mehr Erkrankungen registriert, die auf Umweltbelastungen zurückzuführen sind. In dem Antrag wird dann weiter davon gesprochen, daß es eine steigende Zahl von Krebserkrankungen gebe. ({1}) Es wird von Pseudokrupp, von erstickungsartigen Hustenanfällen bei Kleinstkindern - mit steigender Tendenz - und vom plötzlichen Kindstod gesprochen. Die SPD führt aus, es seien zwar noch Lücken in der Ursachenforschung vorhanden, aber die Entwicklung dürfe nicht verharmlost werden. ({2}) Nicht nur der Wald sterbe, sondern auch die menschliche Gesundheit sei zunehmend geschädigt. Ich stimme zu, wenn gefordert wird, daß man eine Verharmlosung von Umweltproblemen nicht betreiben sollte. Ihr rede ich auch nicht das Wort. Schon gar nicht darf es darum gehen, Krankheiten, die möglicherweise auf Umwelteinflüsse zurückzuführen sind, herunterzuspielen. Aber man muß natürlich danach fragen, ob die Voraussetzungen, ob die Grundlagen richtig sind, die man heranzieht, um beispielsweise Anträge, Maßnahmen zu begründen. In diesem Zusammenhang will ich das Beispiel Pseudokrupp herausgreifen. Zu Pseudokrupp heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN: Nach Informationen aus Kinderkliniken gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß Pseudokrupp in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik Deutschland zugenommen hat. Die Bundesregierung beruft sich auf eine Umfrage, die der Bundesverband der niedergelassenen Kinderärzte bei seinen Mitgliedern und in Kliniken durchgeführt hat. Ich darf aus der Veröffentlichung der Umfrage bei Kinderärzten zitieren. Da heißt es: Das ist eine gute Nachricht für die Eltern aller Kinder bis zu sechs Jahren. Die gefürchtete Kinderkrankheit dieses Alters, der sogenannte Pseudokrupp, ist offenbar nicht im Ansteigen begriffen. Entgegen der in der Öffentlichkeit geäußerten Befürchtungen haben zwei Umfragen des Berufsverbandes der Kinderärzte Deutschlands in Kinderkliniken und in den Praxen kein Ansteigen der Pseudokrupperkrankungen unter den Kindern in der Bundesrepublik erkennen lassen. Meine Damen und Herren, wenn sich der Bundesverband der Kinderärzte, denen j a sicher am meisten daran gelegen ist, sich mit Krankheiten von Kindern zu beschäftigen und sie zu bekämpfen, das so ausführt, dann ist es nicht zulässig, hier weiterhin vor das Mikrofon zu treten, Herr Kollege Ehmke von den GRÜNEN, und so zu tun, als ob die Krankheit weiter im Steigen begriffen wäre und die Gefahr bestünde, daß die Welt untergeht. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, können Sie mir zugestehen, daß ich soeben bei dem Anstieg nicht von Pseudokrupp gesprochen habe, sondern von Bronchitis, Asthma und anderen Erkrankungen und daß es von zahlreichen Ärzten in der Welt belegt wird, daß bei diesen Krankheiten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und der Krankheit besteht? ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben sowohl von Pseudokrupp als auch von Bronchitis usw. gesprochen. ({0}) Ich werde im Laufe meiner Ausführungen noch auf Ihre Fragestellung eingehen. Meine Damen und Herren, ich will mich mit der Frage, wie denn nach dem Urteil der Ärzte die Entwicklung tatsächlich ist, noch einen Moment beschäftigen. In dieser Umfrage sagen 78,3 % der befragten Ärzte, es gebe keine Veränderung hinsichtlich der Häufigkeit. 15,3 % sagen, die Zahl nehme ab, und 6,4 % sagen, es gebe eine Zunahme. Das ist ziemlich eindeutig. - Ich wiederhole: Ich möchte hier gar nichts verharmlosen, ich möchte Realität schildern. Bezüglich der in Kliniken wegen Pseudokrupps behandelten Kinder ist das Ergebnis ebenfalls sehr eindeutig. Da haben sich die durchschnittlichen Prozentzahlen der behandelten Kinder in den letzten zehn Jahren kaum verändert. Es hat ein Auf und Ab gegeben. Da gibt es auch Dinge, die man nicht ganz erklären kann, wie beispielsweise alle zwei Jahre ein Höhepunkt in Prozentzahlen, aber da haben wir keine Veränderung. ({1}) Ich will mich da mit Kollegen von der SPD beschäftigen. Da hat beispielsweise der Kollege Müller in einer Pressekonferenz des vergangenen Sommers - ich beziehe mich hier auf eine Veröffentlichung der „Osnabrücker Zeitung" vom 20. Februar - gesagt, es gebe in diesem Jahr schon 16 000 Erkrankungsfälle bei Kindern, weitere 10 000 würden dazukommen. So steht es hier in der „Osnabrücker Zeitung". Dann malt er ein Szenario, das nicht mit den Erkenntnissen der Kinderärzte übereinstimmt. Ich muß sagen: es gilt sowohl für den Antrag der SPD als auch noch viel mehr für den der GRÜNEN, daß die Grundlagen ihrer Beschlußvorschläge einfach falsch sind. In einer Überschrift der dem grün-alternativen Politspektrum zugehörigen „TAZ" heißt es: Pseudokrupp in Bayern - hören Sie, Herr Kollege Ehmke -: Nach den Wäldern sterben die Kinder. ({2}) - Sie nicken hier, das bestätigt, daß Ihre Zwischenfrage eben nicht ernst gemeint war. ({3}) Das ist doch die Stimmungslage, die Sie verbreiten wollen: nach den Wäldern sterben die Kinder. Ich bin bereit, über jede Maßnahme nachzudenken, die geeignet ist, Umweltverschmutzung für Wald und für Menschen zu begrenzen; aber diese Panikmache, die hier betrieben wird, ist nicht in Ordnung. ({4}) Der von Ihnen oft zitierte Leiter des Kinderkrankenhauses der Städtischen Kliniken in Duisburg Professor Haupt, der bei der Anhörung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit unseres Hauses anwesend war, hat schon erkannt, welche Geister da agieren. Er sagt - und ich beziehe mich hier auf eine Veröffentlichung der „Rheinischen Post" vom 8. August 1984 -, der Angst der Mütter und Väter von an Pseudokrupp erkrankten Kindern müsse mit Nachdruck entgegengetreten werden, ohne das Problem herunterzuspielen. Die Eltern müßten wissen, was bei einem Krupp-Anfall zu tun sei. Panik könne nicht helfen. - Was Sie machen, ist eine Verbreitung von Panik. Sie helfen den Eltern überhaupt nicht, im Gegenteil. ({5}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich mit einigen Beispielen, die in den Fragen der GRÜNEN zur Großen Anfrage und in der dazugehörigen Antwort der Bundesregierung enthalten sind, beschäftigen. An diesen Beispielen wird deutlich, wie oberflächlich die Fraktion der GRÜNEN gearbeitet hat. Ich beziehe mich hier zunächst einmal auf die Frage 1.6. Da heißt es: Spätestens seit 1973 ist bekannt, daß bei nicht berufsbedingt belasteten Personen sowohl der Staubgehalt in den Lungen als auch der Schweregrad der chronischen Bronchitis Betroffener zunimmt. Sie beziehen sich da auf J. Rosenstock, eine Dissertation an der Universität Düsseldorf 1973. Schaut man sich jetzt die angesprochene Literatur an, schaut da nach, was denn der Herr Rosenstock in seiner Dissertation ausgeführt hat, dann ist man sehr erstaunt. Da stellt man fest, daß in der Dissertation davon gesprochen wird, daß keine umweltbedingte Verschlechterung der angesprochenen Lungenveränderungen festgestellt werden konnte. In der Antwort der Bundesregierung wird die Seite 31 der Dissertation von Herrn Rosenstock zitiert. Dort wird im Gegenteil ausdrücklich hervorgehoben - ich zitiere nun aus der Antwort der Bundesregierung -, „daß ... die vorliegenden Untersuchungen ... keine gesicherten Aussagen über die Bedeutung, die möglicherweise ... einer Luftverunreinigung .. . an Entstehung, Fortentwicklung und Verschlimmerung der chronischen Bronchitis zukommt, erlauben." Das zeigt sehr deutlich, welche Praxis hier von den GRÜNEN geübt wird. Da wird eine Behauptung in die Welt gesetzt, wobei man sich auf einen Wissenschaftler beruft, und dann macht man andere glauben, dies sei glaubwürdig. Und schaut man dann in die wissenschaftlichen Arbeiten hinein, dann stellt man fest, daß dort das ganze Gegenteil steht. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. Ein zweites Beispiel aus der Frage 2.2: Wie beurteilt die Bundesregierung die zitierte Recherche des Arbeitskreises Verkehr des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, - hier wird auf einen Herrn Dost verwiesen daß die Mittelwerte von Blei und/oder Cadmium bei totgeborenen Kindern etwa fünf- bis zehnmal über den Werten der normalgeborenen liegen, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? ({6}) - Ja, ich beschäftige mich gleich mit der Frage Dost. Beschäftigt man sich jetzt mit dem, was Herr Dost schreibt, dann stellt man fest, er bezieht sich tatsächlich auf eine Recherche des Arbeitskreises Verkehr des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz in der Literatur. Woher allerdings die Recherche stammt, wo die literarische Fundstelle dieser Recherche ist, das schreibt Herr Dost nirgendwo. Wenn man sich jetzt weiter fragt - und das wirklich mit dem Anspruch, wie sauber gearbeitet werden muß -, welche wissenschaftlich gesicherten Untersuchungen vorliegen, ({7}) dann stellt man fest, daß es eine Untersuchung gibt. Darauf wird in der Antwort der Bundesregierung verwiesen. ({8}) - Ich beschäftige mich gleich mit Herrn Dost. Ich will zunächst noch etwas zu den tatsächlich gesicherten Untersuchungen sagen. Da gibt es die Felduntersuchungen des Bundesgesundheitsamtes 1975/76. Da sind unter anderem im Hüttennahbereich in Nordenham/Unterweser 400 Plazenta- und Nabelschnurblutproben bei Totgeburten und bei Lebendgeburten in der Kontrolle miterfaßt und analysiert. Untersuchungen in dieser Region haben ergeben, daß es keinen Anhalt für eine systematische Tendenz zu überhöhter Gewebsakkumulation beider Stoffe gibt. Im Vergleich der Proben von Plazenta und Nabelschnur bei Totgeburten und Lebendgeburten ist dies eindeutig festzustellen. Da frage ich: Was ist denn mit dem Herrn Dost? Das scheint mir Methode zu sein: Wenn man zu Diskussionsveranstaltungen geht, wo Kollegen der GRÜNEN oder andere aus kommunalen Parlamenten auftreten, wird immer wieder aus irgendwelcher wissenschaftlichen Literatur zitiert, ({9}) um eigene Thesen zu rechtfertigen. Im Brustton der Überzeugung werden dann solche Dosts als Zeugen herangezogen. Dabei geht man natürlich davon aus, daß jeder gebildete Deutsche diesen Dost kennt. Der Inhalt, meine Damen und Herren, ist entscheidend. Sie offenbaren mit dieser Oberflächlichkeit und Unwissenschaftlichkeit etwas über Ihre eiBreuer gentliche Arbeit in der Frage der Gesundheitspolitik. ({10}) Da Ihre Annahmen falsch und oberflächlich sind, sind natürlich logischerweise auch die Folgerungen und Forderungen falsch. Das gilt speziell für die GRÜNEN, und das gilt leider - es tut mir leid, das zu sagen - auch für die SPD. Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Die Zahl der Pseudokrupp-Erkrankungen steigt nicht. Die Zahl der von Ihnen angesprochenen Krebserkrankungen steigt nicht. Ich könnte das belegen. Die Zeit geht mir aus. Ich kann darauf nicht eingehen. Deswegen sind Ihre Folgerungen verkehrt, meine Damen und Herren der SPD. Ich kann verstehen, daß Sie als Opposition die Aufgabe haben, der Regierung Feuer zu machen. Sie wären sonst noch schlechter. Aber Sie sollten das bitte nicht tun - das sage ich an beide Oppositionsfraktionen gerichtet - mit der Angst unserer Mitbürger. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will im Laufe meines Debattenbeitrages auf den entscheidenden politischen Punkt kommen. Vorweg will ich nur eine Bemerkung zu Ihnen machen, Herr Breuer, obwohl ich mich im Anschluß mit Ihnen auseinandersetzen werde. Es geht in unserem Papier nicht ausschließlich um Pseudokrupp. Wenn Sie mit wissenschaftlicher Redlichkeit die Sie vorgeben, vorgetragen hätten, hätten Sie eigentlich auf die Argumentation eingehen müssen, daß wir Umweltbelastungen als eine wesentliche Ursache für den Anstieg von Krankheiten insgesamt ansehen. ({0}) Man kann auch nicht so unsolide argumentieren, daß man sich einen Bereich herausnimmt - zu dem ich Ihnen auch etwas sagen werde und bei dem ich Ihnen auch in ein paar Punkten zustimme - und das andere alles unter den Tisch kehren. Das ist dann unredlich; das geht nicht. ({1}) Nun zu den Punkten. Ich glaube, es ist sehr gut, daß wir hier heute eine Debatte anfangen, die in ihrem ganz entscheidenden Kern in der Umweltdiskussion bislang zu kurz gekommen ist - nämlich eine Debatte über die Situation des Menschen, die Veränderung seiner Gesundheit und über viele andere Auswirkungen die der Umweltbelastung -, und daß wir diese Faktoren stärker ins öffentliche Blickfeld rücken. Ich halte das für eine sehr wichtige Sache; denn wir hören seit geraumer Zeit ernst zu nehmende Hinweise, ernst zu nehmende Verdachtsmomente, daß es einen eindeutigen Zusammenhang gibt. Es gibt inzwischen sehr viele Mediziner, die sagen, Umweltbelastungen seien zu einem sehr entscheidenden Träger für Erkrankungen überhaupt geworden. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. ({2}) Ich glaube, es gibt eine Vielzahl von Beispielen, die man da nennen kann. Der Anstieg von Atemwegserkrankungen ist eindeutig. Er kann nicht wegdiskutiert werden. Der Anstieg von Allergien ist ebenso eindeutig. Auch er kann nicht wegdiskutiert werden. Genauso müssen wir die vielen Untersuchungen und Schädigungen ernst nehmen, die darauf hinweisen, daß es einen Zusammenhang zwischen Luftbelastung und Herz-Kreislauf-Schädigungen gibt. Ich will nur diese drei Beispiele herausgreifen. Da wird eigentlich deutlich, daß selbst dieser schlimme Begriff Waldsterben vielleicht - ich sage bewußt: „vielleicht" und nicht mehr - noch zu verniedlichend ist für den Prozeß, den wir tatsächlich erleben. Es geht nicht nur um Waldsterben, sondern das biologische System insgesamt - und damit auch der Mensch - ist in einem ganz entscheidenden Maße von dieser Entwicklung betroffen. Wir müssen deshalb zu einer ganz anderen politischen Verantwortungsethik kommen, als sie bisher vorhanden ist. Das ist eigentlich unser Punkt. ({3}) Die Bundesregierung sagt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gesundheit und eine lebenswerte Umwelt." Das können wir voll unterstreichen. Sie sagt das völlig klar, in einem noch sehr viel eindeutigeren Satz: Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß das gesundheitliche Risiko mit sinkender Schadstoffbelastung der Luft natürlich abnimmt. Auch das können wir unterstreichen. Aber stimmt es denn nicht, daß zu diesem Satz in einem krassen Widerspruch erstens Ihre praktische Politik steht, ({4}) und stimmt es nicht auch, daß in einem krassen Widerspruch dazu die Tendenz der Verharmlosung der Verdachtsmomente, der Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdung steht? Hier klaffen doch Lücken zwischen Aussagen und praktischer Politik. ({5}) Ich will das am Beispiel einer Antwort aus dieser Anfrage deutlich machen, wo gesagt wird, man sehe in dem hohen Anteil von Stickoxiden eine besondere Gefahr und man bedauere, daß er nicht gesenkt werde. Da ich mich frage: Wie steht das im Zusammenhang mit dem Verhalten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen im Bereich Müller ({6}) Tempolimit, im Bereich Abgaskatalysator? Da stimmt doch irgendwo etwas nicht! ({7}) Dies ist doch nicht redlich. Bei allen zugegebenen Lücken in der Ursachenforschung, bei allen Problemen, die wir noch in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Umweltgefahren und gesundheitlichen Risiken haben, müssen wir doch sehen, daß es eine Vielzahl von Studienuntersuchungen gibt, die wir ernst zu nehmen haben. Ich nenne hier nur einige Beispiele. Die Weltgesundheitsbehörde geht davon aus, daß etwa 90 % der Atemwegserkrankungen auf Luftschadstoffe zurückzuführen sind. ({8}) Zweites Beispiel. Die Wissenschaftler des Instituts für Umwelthygiene und Silikoseforschung der Universität Düsseldorf sagen, daß etwa 10 % der Bevölkerung als Risikogruppe für gesundheitliche Schädigungen durch Luftbelastungen gelten. Ein drittes Beispiel. Die vielleicht detaillierteste Untersuchung in der Bundesrepublik an 40 000 Menschen, die im Auftrag des Landesarbeits- und Sozialministeriums Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde, kommt zu dem klaren Ergebnis, daß in Belastungsgebieten die chronische Bronchitis eindeutig höher liegt, daß das Blutbild sehr viel schlechter ist, daß der allgemeine körperliche Gesundheitszustand und eine Reihe weiterer Faktoren sehr viel schlechter sind. Auch das ist eindeutig. ({9}) Als weiteres Beispiel nenne ich die Untersuchung der Universität Stuttgart über den Zusammenhang zwischen Belastungstagen, also Tagen mit sehr ungünstiger Wetterlage, hoher Luftschadstoffbelastung, und Herz-Kreislauf-Schädigungen. Auch das ist bekannt. ({10}) - Ich komme auf den Punkt zurück. Warten Sie da ab. Machen wir da keine Sandkastenspiele. Ein weiteres Beispiel: die Untersuchung von Jan Palamidis in Berlin, die einzig in der Bundesrepublik sorgfältig erarbeitete statistisch-epidemiologische Untersuchung, die nachweist, daß die Sterblichkeit und Morbidität der Menschen an Belastungstagen eindeutig höher ist, in Berlin an solchen Tagen um rund 16 %. ({11}) Wir nehmen ein weiteres Beispiel: Es liegen Untersuchungen vor, daß auf Grund der Schadstoffeintragung über die Luft in den Boden durch die Anreicherung in der Lebensmittelkette Nierenfunktionen vorhanden sind. Ich will noch zwei letzte Beispiele anführen: die Untersuchung der Universität Zürich über den Anstieg von Lungenkrebs auf Grund der Luftbelastungen durch die Autoabgase und die Otta-Studie, über die wir uns sehr wohl sehr kritisch unterhalten können, die sagt: 50 000 Tote - rein statistisch, modellhaft errechnet - durch sauren Regen in den Vereinigten Staaten. ({12}) Ich will Ihnen sehr wohl zugeben, daß man an dieser Studie sehr viel Kritik üben kann. Ich habe gar keine Schwierigkeiten, das zu sagen. Nur muß man natürlich hinzufügen, daß diese Studie, in ihrer Theorie auf die Bundesrepublik übertragen, eigentlich von schlechteren Ausgangsbedingungen auszugehen hat. Hier sind der Altersdurchschnitt höher, die Bevölkerungsdichte anders und die Industriestruktur schlechter. Man kann nicht sagen, diese Studie sei nicht übertragbar; man hätte vielmehr, wenn man sie überträgt, von schlechteren Annahmen als in den Vereinigten Staaten auszugehen. ({13}) Da soll man ein bißchen redlicher und fairer argumentieren. ({14}) - Wissen Sie, wenn Sie da nicht informiert sind, empfehle ich Ihnen, sie sich zu besorgen. Das ist gar keine Schwierigkeit. Ich finde, daß sich mit einer so bedeutenden Frage jeder Abgeordnete ein bißchen mehr beschäftigen sollte. ({15}) Ich gebe Ihnen zu, daß wir viele Lücken in der Ursachenforschung haben. Das gebe ich ohne weiteres zu. Aber dies kann doch nicht als Begründung dafür herhalten, daß wir nichts tun. ({16}) Im Gegenteil: Dadurch wird die Schwäche unserer bisherigen Umweltpolitik deutlich. Das ist doch das Problem. Wenn ich die Erkenntnisse aus den letzten Monaten, die wir eigentlich alle haben müßten, aufgreife, dann möchte ich sagen: Wir müssen in der Umweltpolitik von zwei zentralen Faktoren ausgehen: Erstens. Es gibt in der Natur und Umwelt komplexe Abläufe. Es handelt sich um ein Regelsystem. Unsere bisherige Umweltpolitik, die die Schadstoffe weitgehend isoliert betrachtet, hilft da nicht weiter. Zweitens. Es gibt offensichtlich einen Kumulationspunkt, bis zu dem die Natur und der Mensch Schadstoffe aufnehmen können. Danach verläuft aber die Schadensentwicklung um so schneller, um so rapider und um so dramatischer. ({17}) Müller ({18}) Das sind die Erfahrungen aus dem Waldsterben. Das ist auch unser zentraler Vorwurf an die Bundesregierung. ({19}) - Herr Breuer, wir werfen der Bundesregierung nicht vor - genauso wie es auch unsinnig wäre, wenn wir jetzt über die Vergangenheit diskutieren - ({20}) - Nein, es ist unsinnig, weil viele Erkenntnisse wirklich Erkenntnisse der letzten Jahre sind. ({21}) Die politische Verantwortung zeigt sich nur darin, ob wir diese Erkenntnisse umsetzen, und nicht darin, wie wir Vergangenheitsbewältigung betreiben. ({22}) Unser zentraler Vorwurf an die Bundesregierung ist, daß sie aus den Erfahrungen des Waldsterbens scheinbar nicht zu lernen in der Lage ist. Gerade wenn es Mängel und Lücken in der Ursachenforschung gibt, haben wir eine besondere ethische und moralische Verantwortung, eben um so mehr zu tun. ({23}) Gerade weil wir nicht alles wissen, kann nur das die Schlußfolgerung daraus sein. Das bedeutet, daß es jetzt nicht einen Streit darüber geben kann, ob die einzelne Untersuchung völlig richtig ist oder ob wir weitere Untersuchungen abwarten müssen. Da sind wir alle völlig offen; darüber können wir diskutieren. Wir müssen aber sagen: Es gibt eine Vielzahl von Anhaltspunkten und von ernst zu nehmenden Argumenten, die zeigen, daß wir mehr tun müssen, als wir bisher tun - im Interesse der Menschen und im Interesse der Zukunftssicherung. Daß das nicht geschieht, ist unser Vorwurf. ({24}) Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung da ihrer moralischen und ethischen Verantwortung nicht gerecht wird. ({25}) Meine Damen und Herren, wir haben einen Antrag eingebracht, der eine Reihe von Forderungen enthält, der aber drei zentrale Bereiche vorsieht. Der erste ist: Wir wollen die humanmedizinischen Wirkungskataster ausweiten, das heißt die epidemiologische Forschung und Ursachenuntersuchung verstärken. Wir wollen zweitens generell Luftreinhaltepläne aufstellen. Wir halten das für wichtig, denn die Erfahrungen auch in Nordrhein-Westfalen zeigen, daß wir dadurch eine Vielzahl von wichtigen Hinweisen für eine konsequente Umweltpolitik bekommen. ({26}) Wir wollen drittens - das ist auch völlig identisch mit dem, was Herr Dr. Ehmke vorhin gesagt hat - ({27}) - Auch wenn es die GRÜNEN sagen, braucht es nicht falsch zu sein. Ich finde, wir sollten von dieser Arroganz herunterkommen. ({28}) Drittens wollen wir, daß wir bei den Grenzwertphilosophien von der bisherigen Praxis wegkommen und mehr Risikogruppen in den Mittelpunkt stellen. ({29}) Das heißt, wir können nicht mehr von Durchschnittswerten ausgehen, sondern wir müssen von den Schadensmomenten für besonders gefährdete Personengruppen ausgehen. ({30}) All das sind für uns Ansatzpunkte, die wir in unserem Antrag haben und von denen wir wollen, daß sie verstärkt in den Mittelpunkt kommen. Meine Damen und Herren! Ich teile Ihre Auffassung, Herr Breuer, daß es falsch wäre, jetzt zu sagen, wir hätten in den nächsten Jahren nur ein Inferno zu erwarten. Das ist völlig richtig. Das wäre meines Erachtens auch kontraproduktiv für eine konsequente Umweltpolitik. Aber genauso falsch ist es, ständig abzuwarten, zu verharmlosen oder ernst zu nehmende Studien als nicht wissenschaftlich zu bezeichnen. Wir haben in der Anhörung über die gesundheitlichen Schädigungen durch die Luftverunreinigung von den Herren aus den Universitäten und wissenschaftlichen Zentren gehört, daß alles, was die Fachleute uns über Grenzwerte sagen, nicht etwas ist, was absolut untermauert und gerechtfertigt sein muß. Genau das haben sie gesagt. Sie haben gesagt, daß sie für ihre Werte keine Garantie geben können. Das heißt aber doch umgekehrt: Wenn wir keine wirklich bis zuletzt abgesicherten Werte haben - das gilt besonders auf dem Hintergrund des Waldsterbens -, müssen wir als Politiker sagen: Wir müssen von höheren Vorsorgewerten ausgehen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. ({31}) Dazu fordere ich, unabhängig von Parteigrenzen, alle hier in diesem Hause auf. ({32}) Vizepäsident Frau Renger: Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) An sich eignet sich dieses Thema nicht ({1}) für eine Auseinandersetzung dieser Art zwischen den politischen Parteien. Die Ausführungen des Herrn Müller veranlassen mich anfangs aber doch zu einigen Vorbemerkungen. Ich möchte zunächst feststellen: Das Waldsterben ist nicht das Ergebnis des Jahres zwei der Regierung Helmut Kohl. ({2}) Man kann es nicht oft genug sagen: erstens, weil Sie es offenbar nicht hören können, und zweitens, weil es die reine Wahrheit ist. ({3}) Es ist hier gesagt worden, weniger Schadstoffbelastung bedeute natürlich auch weniger Umweltgefährdung. Das ist völlig richtig. Dies hat die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage genauso gesagt. Aber das, was die Bundesregierung hier gesagt hat, steht eben nicht im Widerspruch zu ihrer praktischen Politik. ({4}) - Ich mache Sie jetzt schon darauf aufmerksam, daß Sie wieder ausreichend Gelegenheit haben werden, gegen das zu protestieren, was ich hier jetzt sage. Wir haben, als wir die Regierung vor knapp zwei Jahren übernommen haben, auf dem Gebiete des Umweltschutzes - das gilt auch für mein Ministerium - so gut wie nichts vorgefunden. Wir haben beim Punkte Null begonnen. ({5}) - Ich habe von meinem Ministerium geredet. - Das möchte ich Ihnen ganz gern nachweisen: Wir machen jetzt eine Schadstoffverordnung auf einem anderen Gebiet. ({6}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hätten dies ja längst tun können. ({7}) Ich wiederhole das - ich muß es einfach wiederholen -, was wir in der Haushaltsdebatte gesagt haben: Im Jahre 1972 haben die Amerikaner das abgasarme Auto eingeführt, die Japaner im Jahre 1976. Wer um alles in der Welt hat Sie damals gehindert, selbiges genauso zu tun? ({8}) Diese Frage müssen Sie beantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Bitte schön.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, könnten Sie dem Hohen Hause eine Initiative entweder der CDU/CSU-Fraktion oder eines CDU- bzw. CSUregierten Bundeslandes aus den Jahren 1969 bis 1982 nennen, die Umweltschutzforderungen enthalten hat, die über die Forderungen der Regierung hinausgingen? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Ich will Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung einmal folgendes sagen: Das Land Rheinland-Pfalz z. B. - ich bin zehn Jahre der zuständige Minister für den Bereich der Gewerbeaufsicht, für die Luftreinhaltung usw. gewesen - hat damals - zusammen mit Baden-Württemberg - mit den Emissionskatastern angefangen; andere Länder sind dem gefolgt. ({0}) Dies nur als ein Beispiel aus der praktischen Politik. Sie sollten sich doch nicht mit Anfragen an die damalige Opposition herausreden, wenn danach gefragt wird, was Sie getan haben bzw. nicht getan haben, als Sie an der Regierung waren. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, hier werden noch Wünsche geäußert. Gestatten Sie noch Zwischenfragen? Herr Schäfer hätte gern noch einmal gefragt, und dann stehen da noch zwei Damen. Was halten Sie davon?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Frau Präsidentin, ich schiele mit einem Auge auf meine Parlamentarische Geschäftsführerin und weiß nicht so recht, ob ich den Zeitplan jetzt möglicherweise durcheinanderbringe, wenn ich all die vielen Anfragen hier beantworte. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Schäfer noch einmal?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Bitte schön, noch eine Zwischenfrage. Aber dann bitte ich Sie wirklich um Verständnis dafür, daß ich zunächst einmal weitermachen muß.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie meine Frage nicht beantwortet haben - Dr. Geißler, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Natürlich habe ich sie beantwortet.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, will ich sie konkretisierend wiederholen. Können Sie mir eine einzige parlamentarische Initiative über den Bundesrat oder hier im Bundestag der damaligen Opposition, der CDU- bzw. CSU-geführten Länder nennen, die den Kampf gegen das Waldsterben zum Inhalt gehabt hätte?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Das Waldsterben: Ich habe vor ungefähr zweieinhalb Jahren in einem längeren Artikel in UiD zu diesem Thema Stellung genommen. Es ist wahr: Das Thema Waldsterben ist in den 70er Jahren nicht in der Aktualität und in der Bedeutung uns allen miteinander ({0}) bekannt und bewußt gewesen, ({1}) wie es heute der Fall ist. Das ist völlig richtig. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. ({2}) Das ist völlig in Ordnung und völlig richtig. Sie haben nach Initiativen gegen das Waldsterben gefragt. Wo gegen ich mich wehre, ist ausschließlich und allein folgendes: daß Sie mit Ihrer Politik so tun, als ob die Ursachen für das Waldsterben in der Verantwortung der Bundesregierung lägen. ({3}) Das ist der Punkt, um den es geht. Dies hilft dem Wald überhaupt nicht. Wir wollen nichts anderes, als daß wir, nachdem die Erkenntnisse vorhanden sind, die Maßnahmen ergreifen, die jetzt ergriffen werden müssen und auch ergriffen werden können. Der Parlamentarische Staatssekretär Spranger hat ja nun im einzelnen dargelegt, was wir zur Schadstoffminimierung in den letzten zwei Jahren vorgeschlagen und beschlossen haben. Es reicht von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung über die TA Luft bis hin zu den Entscheidungen zum abgasarmen Auto. Wir im Ministerium legen die Schadstoffverordnung vor - die betrifft nicht unbedingt die Luftverschmutzung, aber die Umweltverschmutzung -; die Trinkwasserverordnung und vieles andere mehr. Ich sage dies, um Ihnen darzutun, daß wir handeln, und zwar schon in den ersten zwei Jahren unserer Regierungsverantwortung. Ich finde, es ist einfach nicht richtig, daß diejenigen, die 13 Jahre lang nichts getan haben, hier die größten Töne spucken. ({4}) Das ist meine Meinung. ({5}) Wir wollen einen umfassenden Umweltbericht vorlegen. ({6}) Dazu gehören: ({7}) Schutz des Menschen vor Umweltrisiken wie Infektion, Allergien, Intoxikationen und Schadstoffen, insbesondere aber Schutz des ungeborenen Lebens sowie der Säuglinge und der Kleinkinder vor Umweltrisiken. Es ist gar keine Frage: Hier hat der Kollege Ehmke recht, daß wir eine ganze Reihe von Gruppen und Personen in der Bevölkerung haben, die eine besondere Risikofähigkeit aufweisen. Das ist gar keine Frage. Dies wird ganz sicher bei dem Umweltbericht berücksichtigt werden müssen. Ich möchte noch etwas zu den wissenschaftlichen Grundlagen sagen, die vor allem der Großen Anfrage der GRÜNEN, aber zum Teil eben auch dem Katalog der Sozialdemokratischen Partei zugrunde liegen. ({8}) - Der Fraktion! Entschuldigung. Generell ist zu sagen, daß sich die Gesundheitsrisiken durch Schadstoffe aus der Umwelt, auch wenn sich diese Belastungen im Rahmen der bestehenden Höchstwerte, Richtwerte oder Empfehlungen bewegen, nicht mit angebbaren Sicherheitsgraden ausschließen lassen. Das ist vollkommen richtig. Hierfür sind vor allem unterschiedliche Empfindlichkeiten der Menschen und auch ungelöste Fragen der Kausalität bzw. der Multikausalität von Krankheiten mit maßgeblich. Was mir bei der großen Anfrage der GRÜNEN und eben auch bei den Ausführungen des Kollegen Müller, ich darf nicht sagen: mißfällt, aber was ich einfach für kritikwürdig halte, ist die Betonung monokausaler Umstände. ({9}) Niemand bestreitet, daß die Verschmutzung der Umwelt selbstverständlich Gesundheitsrisiken in sich birgt. Monokausale Darstellungen kommen in der Großen Anfrage der GRÜNEN wesentlich deutlicher zum Ausdruck als bei den Sozialdemokraten; das ist wahr. Hier gibt es noch gewisse Schattierungen und Abstufungen. Ich würde es von der SPD auch erwarten, daß sie auf diesem Sektor noch ein bißchen differenzierter vorgeht, obwohl ich sagen muß, daß dies einen wirklich wundert: Die GRÜNEN treiben alle 14 Tage eine andere Sau durchs Dorf, und die Sozialdemokratische Partei setzt sich drauf und rennt mit. ({10}) So ist es ja auch hier gewesen. ({11}) Es ist gar keine Frage, die GRÜNEN können sich darüber freuen. Die GRÜNEN haben eine Große Anfrage erarbeitet, und in einem der SPD gemäßen Abstand, in der gebotenen Schamfrist sind auch die Sozialdemokraten wieder hinterhergekommen. So ist es. Das haben wir ununterbrochen. Das heißt, auch in dieser Frage hat sich herausgestellt, daß die GRÜNEN längst die Führungsrolle der Opposition im Deutschen Bundestag übernommen haben, ({12}) ein weiterer Beweis für die These, die ohnehin in anderer Weise abgesichert ist. ({13}) - Ich bekomme hier großen Beifall von den GRÜNEN, und das kann ich auch verstehen. Ich halte es durchaus für richtig, daß Sie dies beifällig zur Kenntnis nehmen. ({14}) Ich will Ihnen sagen, warum ich diese monokausale Darstellung für falsch und auch für gefährlich halte. Dafür gibt es zwei Gründe. Wenn Sie die Monokausalität bei diesen Fragen überbetonen, laufen Sie Gefahr, daß die Bekämpfung des Problems und die Bekämpfung der Umweltschäden zu einseitig und deswegen auch zu gering ausfallen. Der zweite Grund ist, daß jede Übertreibung auf diesem Sektor, jede Emotionalisierung auf diesem Sektor auf eine Ursache hin zur Abstumpfung gegenüber dem Problem führen muß, weil eben diese Monokausalität nicht der Wirklichkeit entspricht. ({15}) Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, Herr Müller; wir sollten uns einmal über das Thema unterhalten. ({16}) Sie haben die Behauptung aufgestellt - wir wollen j a miteinander debattieren -, daß die Studie dieses Berliner Professors richtig ist, daß an Tagen mit einer größeren Luftverschmutzung die Zahl der Sterbefälle zunimmt. ({17}) Dies ist ganz selbstverständlich so. Das ist das Problem der Vorsterblichkeit. Menschen, die ohnehin, weil sie schwer erkrankt sind, in den nächsten acht oder 14 Tagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sterben würden, sterben, wenn wir Smog, eine stärkere Verschmutzung der Umwelt haben, ({18}) natürlich rascher. In Zeiten und an Tagen, wo dies nicht so ist, ist die durchschnittliche Sterberate natürlich auch geringer. ({19}) Es handelt sich um das uralte Problem der Vorsterblichkeit.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Bitte schön, Herr Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich möchte etwas korrigieren: Es ist keine Studie eines Professsors, sondern eine statistisch-epidemiologische Studie eines Mitarbeiters des Statistischen Landesamts und einiger Wissenschaftler. Das nur am Rande. Das ist nur für das Verfahren sehr wichtig, weil das nämlich etwas anderes ist. Ich habe nur eine Frage: Geben Sie zu, daß ich soeben nicht monokausal argumentiert habe, sondern bei meiner Grundposition davon ausgegangen bin, daß weil die Umwelt ein vernetztes System, ein umfassendes Regelsystem ist und weil es offenkundig einen Kumulationspunkt gibt, wir nicht mit Sicherheit sagen können, wo die Gefahrengrenzen liegen, daß ich also genau umgekehrt argumentiert habe? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Nein, ich kann Ihnen dies leider nicht zugeben, Herr Kollege Müller. ({0}) - Erstens haben Sie diese statistische Studie nach meiner Meinung falsch verstanden, und zweitens, wie ich Ihnen gleich noch nachweisen werde, haben Sie sehr wohl überwiegend monokausal argumentiert ({1}) und im übrigen auch falsch argumentiert. Sie haben die Ursachen falsch dargestellt. Ich halte dies nicht deswegen für schlimm, weil ich das Problem geringachte - ganz im Gegenteil: Das nehmen wir mindestens genauso ernst wie Sie -, sondern weil das, was Sie hier tun, der Lösung des Problems eher schädlich als nützlich ist. Man muß wirklich einzelne Wissenschaftler vor einer solchen Argumentation, wie wir sie gehört haben, in Schutz nehmen. Die GRÜNEN berufen sich in dieser Auseinandersetzung z. B. auf die WHO als Kronzeugen. Ich will Ihnen folgendes sagen. Die WHO hat sich im Juli dieses Jahres in Berlin zu dem Thema der Auswirkung der Luftbelastung auf die Gesundheit geäußert und folgendes festgestellt. Erstens. Bisher konnten keine direkten Wirkungen säurehaltiger Niederschläge auf die menschliche Gesundheit nachgewiesen werden. Zweitens. Bisher wurden keine Beweise dafür gefunden, daß Schadwirkungen auf die menschliche Gesundheit das Ergebnis einer Metallmobilisierung durch säurehaltige Niederschläge sind. Drittens. Die vorgelegten Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen dem SID-Syndrom und dem Pseudokrupp einerseits und der LuftverBundesminister Dr. Geißler unreinigung andererseits werden als sehr schwach betrachtet. Ich führe nur diese drei Punkte an. Ich will diese Aussage nicht hundertprozentig für bare Münze nehmen. Ich sage nur: Man kann nicht eine wissenschaftliche Organisation einseitig für sich in Anspruch nehmen, ohne wirklich zu sagen, was hier wissenschaftlich geäußert worden ist. Das typische Beispiel, daß in dieser wichtigen Frage in der Vergangenheit übertrieben, einseitig, monokausal argumentiert worden ist, ist das Thema Pseudokrupp, das in der Debatte schon des öfteren eine Rolle gespielt hat. Ich hatte Elterninitiativen gegen Pseudokrupp bei mir im Hause. Das ist keine ganz einfache Diskussion gewesen, weil es darum ging, vielen Ängsten zu begegnen. Pseudokrupp ist, wenn ein Kind davon befallen wird, eine ganz schreckliche Angelegenheit - wegen der Erstickungsfälle, die damit verbunden sind. Jedermann kann verstehen, daß Eltern betroffen sind, wenn sie bei ihrem eigenen Kind so etwas erleben. Aber wir müssen auf der anderen Seite feststellen - dies habe ich den Eltern gesagt -, weil es der Wahrheit entspricht, daß es bestimmte Leute gibt, die man nennen kann, die diesen Eltern in einer Weise Angst gemacht haben, wie es nach meiner Auffassung nicht verantwortbar gewesen ist. ({2}) - Frau Schoppe, ich will nicht sagen, daß Sie dazugehören. Aber fast gehören Sie dazu - damit das einmal ganz klar ist. ({3}) Was ich von Ihnen zu diesem Thema gehört habe, entspricht nicht dem, was wir in der Realität haben. Im übrigen ist es, was Pseudokrupp anbelangt, Gott sei Dank ruhiger geworden, ruhiger im Interesse der betroffenen Familien. Wir können den Familien nur helfen, wenn wir sie richtig informieren. Herr Kollege Breuer hat völlig zu Recht auf die Informationen des Berufsverbands der Kinderärzte hingewiesen. Ich will abschließend zitieren, was der Verband der Kinderärzte zusammenfassend festgestellt hat: Mit den Ergebnissen dieser als repräsentativ anzusehenen Umfrage in Praxis und Klinik stellt der Berufsverband der Kinderärzte fest, daß derzeit die Bevölkerung und vor allem die betroffenen Altersgruppen bezüglich einer zunehmenden Gefahr durch die Verschlimmerung der Pseudo-Krupp-Erscheinungen nicht bedroht ist. Wir haben keine Zunahme der Pseudokrupperkrankungen zu verzeichnen. Der Kollege Müller hat ein Beispiel verlangt. Sie haben als Beispiel für den Zusammenhang von Umweltbelastung und Krankheit die Herz-KreislaufErkrankungen genannt. Es ist wissenschaftlich-medizinisch unhaltbar, Herz-Kreislauf-Erkrankungen übewiegend auf Umweltverschmutzungen zurückzuführen. Es gibt ganz klar eine erste wichtige Kausalkette: Fett, Nikotin, Bluthochdruck. Die zweite Kausalkette heißt Streß und Bewegungsmangel. Dies sind weltweite Erkenntnisse. Diese Faktoren, meine sehr verehrten Damen und Herren, können und müssen vor allem durch den einzelnen beeinflußt und beantwortet werden. Es wäre nach meiner Auffassung sträflich, hier die Verantwortung jedes einzelnen - jetzt sage ich es ein bißchen polemisch - dadurch zu sozialisieren, daß man Umweltbelastungen als dominierende Risikofaktoren vorschiebt; weil man durch eine solche Argumentation die Menschen von den eigentlichen Ursachen ablenkt, von Ursachen, die sie selber in eigener Verantwortung zu beseitigen in der Lage sind. ({4}) Nun führen Sie in der Großen Anfrage einen anderen Bereich an. Den würde ich wiederum anders beurteilen. Es sind die Allergien. Wir wissen, daß Pollen- und Gräserallergien vermehrt auftreten. Das ist wahr. Ich bin auch der Meinung, daß wir im Bereich der Allergien noch einen erheblichen Forschungsbedarf haben. Hier wissen wir noch nicht alles. Ich könnte mir vorstellen - ohne daß ich das jetzt als wissenschaftlich gesichert ausgeben möchte -, daß auf diesem Sektor die Umweltbelastungen eine größere Rolle spielen. Nur, wenn die Forschung in Gang gekommen ist, würde ich mich auch dafür einsetzen, daß auch andere Faktoren wie z. B. Streßfaktoren untersucht werden. Wir haben Indizien dafür, daß wir auch da eine ganz besondere Kausalität haben. Wenn ich schon dabei bin, möchte ich auch noch etwas richtigstellen. Ich sage dies ausschließlich und allein deswegen, weil ich verhindern will, daß wir bei den auch in der Zukunft zu treffenden Maßnahmen dadurch Fehler machen, daß wir die Kausalität bei diesen Erkrankungen einschränken und diese monokausal definieren. Ich will folgendes richtigstellen: Blutkrebs und andere Krebsformen bei Kindern zeigen keine zunehmende Tendenz. Nach in der Wissenschaft vorherrschender Auffassung sind die Ursachen für die heutigen Krebsarten bei Erwachsenen nicht in den aufgezählten Schadstoffbelastungen zu suchen, sondern in erster Linie im Rauchen beim Lungenkrebs oder im Ernährungsverhalten, vor allem beim Krebs des Dickdarms und des Rektums. Nun zu dem eigentlich interessantesten und wichtigsten Thema im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung, nämlich zu den Atemwegserkrankungen. Atemwegserkrankungen bei Kindern - ich sage dies jetzt einfach den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, weil es der Wahrheit entspricht und weil sie es wissen müssen - wie Bronchitis sind in der Bundesrepublik Deutschland rückläufig. Die Sterblichkeit durch Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern nimmt ebenfalls seit Jahren ab. Ich wiederhole hier: Ein Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und dem seltener vorkommenden Pseudokrupp ist nach dem Ergebnis der internationalen Konferenz der WHO nicht bewiesen. Der Lungenkrebs nimmt zu. Insofern haben Sie recht, wenn Sie sagen: Die Atemwegserkrankungen haben eine zunehmende Tendenz. Aber der Lungenkrebs nimmt nicht wegen der Umweltbelastungen zu, sondern wegen der Nikotinbelastung. Ich glaube, das ist das, was auf jeden Fall als wissenschaftlich gesichert angesehen werden kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grunde brauchen wir nicht eine generalisierende, monokausale Beurteilung dieses uns alle bewegenden Problems. ({5}) Die Bundesregierung will ein umfangreiches Gesundheitsforschungsprogramm aufstellen, in dessen Rahmen auch mögliche Auswirkungen von Umweltbelastungen auf die menschliche Gesundheit untersucht werden. Dies bedarf keiner Anregung. Gerade erst wurde beim Bundesgesundheitsamt ein Hochsicherheitslaboratorium geschaffen, das der Analytik gefährlicher Umweltschadstoffe dient. Welche Entscheidungen die Bundesregierung getroffen hat, habe ich bereits gesagt. Ich freue mich im übrigen darüber, daß die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der GRÜNEN, abgesehen von den wenigen Bemerkungen des Kollegen Ehmke, keine Kritik erfahren hat. ({6}) Ich gehe davon aus, daß Sie mit mir der Auffassung sind, daß diese sehr sorgfältig erarbeitete Antwort uns allen dienen kann, wenn es darum geht, dem uns gemeinsam berührenden Problem besser gerecht zu werden, als es ganz sicher in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Zu Ihren Anträgen kann ich - das möchte ich der Fraktion der GRÜNEN sagen - nur noch drei Feststellungen treffen: Was den Formaldehyd-Antrag betrifft, so hatten Sie den offenbar schon formuliert, bevor ich den Bericht vorgelegt habe, und haben den Bericht offenbar nicht gelesen. Man hat beinahe den Eindruck daß einige von Ihnen fast darüber enttäuscht sind, daß der krebserzeugende Charakter von Formaldehyd nicht nachgewiesen ist. Aber Kanzerogenität richtet sich nicht nach Ihrer individuellen Auffassung, sondern nach den wissenschaftlichen Feststellungen. ({7}) Wir werden, was früher nicht getan worden ist, Formaldehyd in der Schadstoffverordnung in entscheidender Weise zusätzlich unter Kontrolle bringen. Ich würde es als widerwärtig und skandalös bezeichnen, daß die GRÜNEN erneut der Wahrheit zuwider behaupten, ({8}) die Bundesregierung habe auf Druck der Industrie auf den Bericht des Umweltbundesamtes Einfluß genommen. Ich sage es noch einmal: Das ist widerwärtig und skandalös. Die GRÜNEN sollten sich langsam einmal einen anderen Text für ihre Gebetsmühle ausdenken. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Überschrift der Großen Anfrage der GRÜNEN lautete: „Kranke Umwelt - kranke Kinder". Die Antwort der Bundesregierung lautet darauf: Eine bessere Umwelt - gesunde Kinder. Wir brauchen eine nüchterne Analyse statt hysterischer Panikmache, ein entschlossenes, wohlüberlegtes Handeln statt eines blindwütigen Aktionismus. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, das Thema, das hier zur Debatte steht, ist wichtig genug, ist zu wichtig, als daß man versuchen sollte, es mit demagogischen Verdrehungen von Tatsachen, mit Hysterie anzugehen. Damit ist noch nie ein Problem gelöst worden. ({0}) Das wollte ich an den Anfang meiner Bemerkungen hier stellen. Ich bin dem Kollegen Müller sehr dankbar, daß er darauf hingewiesen hat, daß wir uns nicht nur um Nadelgehölze, Koniferen oder um schwanzlose Wirbeltiere zu kümmern haben, sondern daß wir es mit dem Menschen zu tun haben und in erster Linie auch für den Menschen unsere Politik hier betreiben sollten. Er hat von der politischen Verantwortungsethik gesprochen, und ich denke, dazu gehört auch, daß wir nicht in Panik verfallen und daß wir auch nicht versuchen sollten, beim Bürger draußen im Lande Panik zu erzeugen. Das Thema ist wichtig genug, um es mit der gebotenen Sachlichkeit anzugehen und sachliche Argumente in die Diskussion einzubringen. Wir können uns hier sicherlich über unterschiedliche Positionen und Standorte unterhalten. Aber bitte schön, es ist eine Verantwortung, die wir als Politiker haben, nicht über das Ziel hinauszuschießen und unnötige Beunruhigung im Lande draußen zu erzeugen. Dazu habe ich festzustellen, daß in den letzten Jahrzehnten sicherlich eine Verbesserung der Umweltsituation eingetreten ist. Objektive Berichte und Meßergebnisse geben das her, daß diese Behauptung belegbar ist. Die Kindersterblichkeit hat in unserem Lande abgenommen, wesentlich abgenommen. Dennoch stelle ich hier fest, daß wir uns auch weiterhin bemühen sollten, diese Rate noch weiter herunterzusetzen. Sie ist mir noch zu hoch; das sage ich sehr deutlich. Wir haben aber auch festzustellen, daß die Lebenserwartung gestiegen ist, erheblich gestiegen ist. Das Lebensalter nimmt zu. Sie, Herr Müller, haben auf eine Untersuchung in Berlin abgehoben. Sie haben sie in ihrer Bedeutung dann selbst etwas zurückgenommen. Ich muß dazu sagen, in den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der ÜberhundertjähDr.-Ing. Laermann rigen in Berlin verdreifacht. Nun kann man natürlich sagen: Wenn es früher einer war und jetzt sind es drei, dann sind das nicht sehr viel. - Aber immerhin sind es heute über 100 Überhundertjährige, die in Berlin leben. Daran mögen Sie erkennen, daß sicherlich bei aller Kritik an der Umweltsituation, an der Luftbelastung in Berlin - wir wissen darum - offensichtlich diese Faktoren nicht die Ursache dafür sein kann, daß die Menschen immer kränker werden und immer früher sterben. Das Gegenteil ist bisher der Fall. Wenn wir eine höhere Krankheitsrate zu verzeichen haben, dann müssen wir uns auch einmal mit der Tatsache auseinandersetzen, daß die Leute im höheren Alter sicherlich krankheitsanfälliger sind als im jüngeren Alter. Auch dieses ist eine ganz natürliche Entwicklung. Auch dieses ist eine Voraussetzung, damit wir uns über die Thematik, die hier ansteht, überhaupt unterhalten können. Ich will mich in Anbetracht der Zeit, die mir zur Verfügung steht, auf zwei Punkte konzentrieren. Es geht einmal um die Frage des Formaldehyds, zum anderen um die Frage des Pseudokrupp. Man gehört sicher nicht zu den Verharmlosern in der Bundesrepublik, wenn man die, Pseudokrupp-Welle und die Formaldehyd-Welle auf das zurückführt, was sie wirklich gebracht hat. Sie hat eine vermehrte Aufmerksamkeit gegenüber bestimmten Chemikalien und Krankheitserscheinungen hervorgebracht, denen man bei ihrer Ausbreitung zweifellos Einhalt gebieten muß. Selbstverständlich ist die Umwelt durch eine Vielzahl von Schadstoffen sehr belastet. Das ist gar keine Frage. Andererseits ist diese Umwelt seit eh und je mit natürlich vorhandenen Schadstoffen belastet gewesen. Ich muß sie hier im einzelnen nicht aufzählen; das würde auch viel zu weit führen. In der Natur selbst gibt es eine Reihe von Schadstoffen. Wann wird etwas zum Schadstoff? Etwas wird zum Schadstoff, wenn es in einer überhöhten Konzentration auftritt. Das gilt auch für Schwermetalle. Das sind keine künstlich erzeugten Chemikalien, sondern das sind natürliche Elemente, die in der Natur von vornherein vorhanden sind. Wir können sie hinsichtlich der Menge nicht vermehren, wir können sie aber auch nicht reduzieren. Aber das Problem besteht darin, daß durch unsere zivilisatorische Tätigkeit solche Elemente möglicherweise in einer überhöhten Konzentration auftreten und dadurch erst zum Schadstoff werden. Gleiches gilt auch für in der Natur, in Pflanzen vorkommende Schadstoffe. Wenn wir feststellen, daß eine Vielzahl von künstlichen und auch natürlichen Schadstoffen vorhanden ist, heißt das also noch längst nicht, daß die daraus entstehende konkrete Gesundheitsgefährdung die Art und Weise rechtfertigt, wie wir in der jüngsten Vergangenheit über diese Dinge, insbesondere über Formaldehyd und Pseudo-Krupp, diskutiert haben. Die Liberalen im Deutschen Bundestag unterstützen die Bundesregierung darin, daß mit einer Reihe von Maßnahmen die Verwendung von Formaldehyd eingeschränkt werden soll. Wir begrüßen es, wenn die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf einer Gefahrenstoffverordnung zuleitet, die auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes Richtwerte für die Verwendung von Formaldehyd vorschreiben soll. Hiervon werden nicht nur Baustoffe betroffen - im Umgang mit ihnen ist eine berufsbedingte Gefährdung nicht auszuschließen -, sondern auch Möbel, Tapeten, Farben, Lösungsmittel und dergleichen. Wir unterstützen auch den Schutz der Allergiker, für die eine Kennzeichnungspflicht bei formaldehydhaltigen Gegenständen vorgesehen ist. Eine Vielzahl von Lebensbereichen ist hiervon betroffen. Sicherlich wird es auch in dem einen oder anderen Bereich notwendig sein, nach Ersatzstoffen zu suchen. Aber, ich denke, das wird geleistet werden können. Im November soll eine Sitzung auf EG-Ebene stattfinden, auf der die Bundesregierung u. a. neue Grenzwerte bei Formaldehyd in Innenräumen vorschlägt. Wir wünschen ausdrücklich, daß die Bundesregierung auf EG-Ebene nachdrücklich für die Druchsetzung dieser ihrer Vorstellung eintritt und ihre Vorstellungen auch durchsetzt. Das Bundesgesundheitsamt - parteiischer Äußerungen unverdächtig - hat jüngst in einer Pressemitteilung zum Thema Formaldehyd entgegen den Feststellungen der Fraktion DIE GRÜNEN den gemeinsamen Bericht des Bundesgesundheitsamtes, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und des Umweltbundesamtes der Öffentlichkeit erläutert. Es stellt darin fest, daß sich beim Langzeit-Tierversuch speziesabhängige Reaktionen der Schleimhäute der Atemwege bei Formaldehydgasexposition zeigen. Aber das ist eben kein Beleg dafür, verehrte Kollegen, daß hier schon der Nachweis erbracht ist, daß das kanzerogene Wirkungen zeigt. Es stellt fest, daß nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens auch keine sonstigen hinreichenden Anhaltspunkte bestehen, daß Formaldehyd beim Menschen Krebs erzeugt. Ich weise noch einmal darauf hin, daß es auch in natürlichen Nahrungsmitteln eine Reihe von krebserzeugenden Stoffen gibt, deren Krebserzeugung nachgewiesen ist. Es würde zu weit führen, wenn ich darauf noch im einzelnen eingehen wollte. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, daß nicht alle Verdachtsmomente ausgeschlossen werden können. Es bleibt ein Verdacht auf ein krebserzeugendes Potential bestehen. Allein das rechtfertigt die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung durch Formaldehyd. Formaldehyd ist seit vielen Jahrzehnten verwendet worden. Aber bei der massiven und konzentrierten Verwendung, die es in den letzten Jahren erfahren hat, zeigen sich nun erst - wie ich eingangs schon einmal andeutete - nachhaltige gesundheitliche Wirkungen. Ich möchte noch kurz ein Wort zu der Frage sagen - hierzu hat sich ja schon der Minister geäußert -, wie es eigentlich mit Pseudokrupp aussieht. Die niedergelassenen Ärzte haben ihre Ergebnisse mitgeteilt. Das sind natürlich Statistiken. Aber sie sind auch von Ihrer Seite angeführt worden. Dann, meine ich, ist es auch legitim, der einen Statistik die andere entgegenzuhalten. Fest steht doch jedenfalls - daran gibt es wohl keinen Zweifel -, daß kein signifikanter Zusammenhang zwischen Pseudokrupp und dem Grad der Luftverschmutzung festzustellen ist. Im übrigen ist das kein Thema, das uns erst seit gestern beschäftigen sollte. Mein ältester Sohn hat vor 28 Jahren auch an der Pseudokrupp-Krankheit gelitten. Das war schon eine schwere Sache. Nur, auf Umweltbelastungen war das in dem Teil der Republik, in dem wir leben, überhaupt nicht zurückzuführen. Vielmehr hatte das andere Ursachen, die eben - wie das bei Erkältungskrankheiten und dergleichen auch der Fall ist - zu solchen Erscheinungen und zu solchen Krankheitsbildern führen. Es ist nicht von der Hand zu weisen - das glaube ich auch -, daß Luftbelastungen, Umweltbelastungen, wie sie durch Immissionen hervorgerufen werden, zu einer verstärkten Erkrankung der Atemwege führen können. Ich denke nur daran, daß es mindestens in Teilen Europas nicht so zivilisiert zugeht, daß dort noch sehr stark Einzelfeuerungsanlagen betrieben werden, daß dort durch die Abgase aus den Einzelfeuerungsanlagen ein weit höherer Belastungsgrad festzustellen ist, als das bei uns durch andere technische Einrichtungen der Fall ist. Bei der Diskussion um diese Erkrankung wird oft auch das Problem der Innenluftbelastung übersehen. Eine Anhörung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat ja darauf ausdrücklich hingewiesen. So ist es doch eigentlich erstaunlich, daß gerade die Zahl der Erkrankungen bei Kleinkindern, die insgesamt nicht gestiegen ist, bei der Verteilung über das Jahr hinweg insbesondere in den Wintermonaten höher ist als in den Sommermonaten, d. h. in dem Zeitbereich, in dem die Kinder sich mehr im Innern der Räume aufhalten. Hier ist auch einmal zu fragen, ob unser Wohnumfeld eigentlich noch das richtige ist. Ich denke da an klimatisierte Räume. Ich habe immer besondere Probleme, wenn ich in klimatisierten Räumen bin. Ich verstehe auch durchaus den einen oder anderen Nichtraucher - ich selbst bin Raucher; dazu bekenne ich mich nun einmal mit dem Risiko -, der sich durch unser Rauchen durchaus belästigt fühlt. Ich denke, auch dieses muß man mal bei diesen Untersuchungen und Ergebnissen mit einführen. Unsere Lebensumstände, unser Ernährungsverhalten, das alles spielt mit. Wenn wir diese Veränderungen einmal mit in die Betrachtung einbeziehen, dann stellen wir fest, daß mit Sicherheit keine Einbahnstraße, keine monokausale Begründungskette aufgebaut werden kann, sondern daß es viele Einflußfaktoren gibt, deren Wirkungen wir insgesamt und im Zusammenwirken, auch im synergetischen Zusammenwirken, berücksichtigen müssen und daß wir nicht die eine oder die andere Ursache für diese Erkrankungen verantwortlich machen können. Ich stelle fest: Insgesamt sind die Erkrankungen zurückgegangen, sicherlich auch dank der Erkenntnisse der Medizin. Ich stelle aber hier fest, daß es wichtig und eine politische Verpflichtung ist, alle Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um die Zahl der Erkrankungen, was auch immer es sei, weiter zu reduzieren, Erkrankungen möglichst zu verhindern, was uns von der Natur her nicht ganz gelingen wird. Ich füge auch hinzu, daß wir jeden unnatürlichen Tod eines Kindes zu verhindern haben. Das ist nicht nur eine politische, sondern auch eine moralisch-ethische Verpflichtung von hohem Rang. Dazu bekennen wir uns. Wir sind auch der Meinung, daß alles, was an Ursachen erkannt ist, nicht nur vermutet ist, abgestellt werden muß, daß wir die Forschung intensivieren müssen, die Wirkungsforschung insbesondere, um auch weitere Ursachen ausfindig zu machen, die kausalen Zusammenhänge aufzuzeigen und von da aus auch greifende Maßnahmen vorzusehen. Ich muß darauf hinweisen, daß es keinen Sinn macht, in diesem Zusammenhang in blinden Aktionismus zu verfallen, denn dann erreichen wir nicht mehr als das, was vor Jahren in Nordrhein-Westfalen erreicht worden ist mit der Politik der hohen Schornsteine. Damit hat man die Situation insgesamt nicht verbessert, kein Gramm an Emissionen ist reduziert worden, sondern man hat den Dreck nur weitertransportiert und im Grunde in der Kumulation natürlich andere Gebiete belastet, aber in der Summe mit denselben Belastungen, ohne sie zu reduzieren. Heute muß die Politik der hohen Schornsteine wieder zurückgenommen werden, weil diese Schornsteine bei der Entstickung, bei der Entschwefelung von Rauchgasen, d. h. beim Abbau solcher Belastungen, hinderlich sind, ja störend wirken. Gerade das ist ein typisches Beispiel dafür, daß wir nicht an die Ursachen herangegangen sind, sondern in blindem Aktionismus Maßnahmen ergriffen haben, die das Ziel überhaupt nicht erreichbar gemacht haben. Wir sollten uns vor weiteren Erfahrungen in dieser Richtung hüten. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort zur Begründung der Anträge 10/2134 und 10/2135 hat Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben mich nicht enttäuscht, Sie haben die Probleme verharmlost und haben mit Unterstellungen argumentiert. Aber das sind wir von Ihnen gewöhnt. In der Anhörung unseres Ausschusses hat Professor Bassermann hingewiesen auf die bisher nicht untersuchte synergistische Wirkung von verschiedenen Schadstoffen. Deshalb geht es nicht nur immer um SO2Emissionen. Deshalb haben wir den Antrag Formaldehyd eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, Formaldehyd als krebserzeugend in die Arbeitsstoffverordnung und in die MAK-Werte-Liste aufzunehmen. Längst ist deutlich geworden, daß wir bei Luftverschmutzung nicht nur von der Außenluft sprechen können, sondern daß wir uns auch mit der Innenluftbelastung beschäftigen müssen. 1983 waren sich Bundesgesundheitsamt, Umweltbundesamt und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz einig, daß Formaldehyd als krebserzeugend einzustufen sei. In einem unveröffentlichten Bericht dieser Behörden, der inzwischen eingestampft wurde, unserer Fraktion aber vorliegt, wird Formaldehyd noch als formal krebserzeugend eingestuft. Am 16. Januar 1984 wandte sich die BASF, der weltgrößte Formaldehyd-Hersteller, mit einem Memorandum an die entsprechenden Ministerien mit der Bitte, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine solche Einstufung zu verhindern. ({0}) Es ist wohl nicht anders zu werten, als daß ein Herr Minister seine Macht spielen ließ. Denn der von Herrn Geißler in Auftrag gegebene, nun vorliegende endgültige Formaldehyd-Bericht kam nunmehr zu dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen für die Einstufung „krebserzeugend" nicht gegeben seien. ({1}) Dabei wurden die amerikanischen Tierversuche, auf die sich die Bundesbehörden zunächst gestützt hatten, für null und nichtig erklärt. In-vitro-Versuche in der Bundesrepubik, die laut Professor Henschler zu dem gleichen Ergebnis kamen, wurden ebenfalls nicht beachtet. Wie halten es denn diese Herren mit der Wissenschaftlichkeit, Herr Breuer, frage ich Sie. ({2}) Meine Damen und Herren, es scheint, hier hat die Industrie auf politische Entscheidungen Einfluß genommen. Ich wiederhole das noch ausdrücklich. Das ist, wie wir in den letzten Tagen erfahren konnten, ja nicht das erste Mal. Angesichts der Gefahren, die von Formaldehyd auf die menschliche Gesundheit ausgehen, können wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Meine Damen und Herren, wir überlegen, im Bundestag einen Antrag einzubringen, der den Bundestag auffordert, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der klären sollte, inwieweit in diesem Fall die chemische Industrie, nämlich BASF, Einfluß auf politische Entscheidungen genommen hat und inwieweit und wo in Bonn die Ohren offen waren für die Profitinteressen der Industrie. ({3}) - Ja, meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit von Industrie und Politikern ist üblich. Es ist die Korruption, die die Demokratie in Verruf bringt. Die GRÜNEN sind es nicht. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge Frau Schoppe, Dr. Ehmke ({0}), und Fraktion DIE GRÜNEN zu Tagesordnungspunkt 11. Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag aus Drucksache 10/2134 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2135 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen abgelehnt. Zum Tagesordnungspunkt 12 schlägt der Ältestenrat Ausschußüberweisung vor. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksache 10/2097 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({1}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Auch das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 10/2097 zur Federführung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daubertshäuser, Haar, Bamberg, Amling, Antretter, Berschkeit, Buckpesch, Curt, Hettling, Ibrügger, Kretkowski, Pauli, Hoffmann ({2}), Dr. Steger, Purps, Frau Steinhauer und der Fraktion der SPD Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn in der Fläche - Drucksache 10/1503 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({3}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Der Ältestenrat hat für die Aussprache eine Runde mit bis zu zehn Minuten je Fraktion vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Daher können wir gleich in die Aussprache eintreten. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion strebt mit ih6934 rem Antrag an, Regelungen für einen wichtigen Teilbereich der Deutschen Bundesbahn zu erreichen. Die als Leitlinien bezeichneten Entscheidungen der Bundesregierung vom November des vergangenen Jahres für die Deutsche Bundesbahn lassen für den Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere in der Fläche, Schlimmes befürchten. ({0}) Das schematische Einfrieren der Jahresverluste der Bundesunternehmen in Verkehrsverbünden und die restriktive Vorgabe im S-Bahn-Bau z. B. kann nicht anders als der Beginn eines Rückzugs des Bundes aus dem ÖPNV bewertet werden. ({1}) Dies ist übrigens auch die einmütige Auffassung der Verkehrsministerkonferenz. Der ÖPNV, insbesondere in der Fläche, scheint aus der Sicht der Deutschen Bundesbahn und der Bundesregierung zu einer Rationalisierungsreserve zu verkommen. Dies ist eine Entwicklung, die auf verkehrs-, wirtschafts-, aber auch strukturpolitischen Gründen nicht hingenommen werden kann. Der Bund hat den gesetzlich verankerten Grundsatz zu beachten, die verkehrs- und versorgungsmäßige Aufschließung, die Bedienung mit Verkehrs- und Versorgungsleistungen und die angestrebte Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen. Andererseits, meine Damen und Herren, ist auch von meiner Fraktion immer wieder eingeräumt worden, daß die Deutsche Bundesbahn angesichts ihrer Finanzlage in einem dringenden Handlungszwang steht. Dennoch darf in dem Widerstreit der bundes- und regionalpolitischen Interessen mit den Interessen, die aus unternehmerischen Zwängen resultieren, nicht vergessen werden, daß bei Entscheidungen über die Umstellung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße oder über die Einstellung des Güterverkehrs dem Bund eine ganz besondere Verantwortung zukommt. ({2}) Die Neuordnung des Personenverkehrs in der Fläche kann nach Ansicht der SPD-Fraktion nur im Rahmen einer Gesamtkonzeption gelöst werden. ({3}) Dazu zählt u. a., daß der Bund der Deutschen Bundesbahn für ihr auferlegte Leistungen die volle finanzielle Abgeltung zu gewährleisten hat. Nach dem Grundgesetz ist die Bundesbahn nicht ein Wirtschaftsunternehmen des Bundes, sondern Teil der dem Bund zur Verwaltung übertragenen Verkehrsinfrastruktur, zu der z. B. auch die Bundeswasserstraßen und die Bundesfernstraßen gehören. Mit dem ihm anvertrauten Verkehrsträger Bundesbahn hat der Bund den gesamtwirtschaftlichen und den gesamtstaatlichen, öffentlichen Interessen optimal zu dienen. Der im Grundgesetz festgelegten Aus- und Aufgabenverantwortung des Bundes entspricht auch das Bundesbahngesetz. Danach ist die Bundesbahn wie und nicht als ein Wirtschaftsunternehmen zu führen. ({4}) Daher dürfen bei der Führung der Deutschen Bundesbahn nicht allein betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. ({5}) Wenn der Vorstand der Bundesbahn mit Duldung der Bundesregierung erklären kann, die Bahn solle dort tätig sein, wo sie stark ist, und dort verschwinden, wo sie schwach ist, so ist das verfassungs- und verkehrspolitisch völlig verfehlt. ({6}) Meines Erachtens führt der verfassungsrechtliche Streit zwischen Bund und Ländern im übrigen auch nicht weiter. Es ist doch nicht bestritten, daß denjenigen, der die Aufgabenverantwortung hat, auch die Ausgabenverantwortung trifft. Es geht also um den Umfang der Aufgabenzuständigkeit. Hier ist aber festzustellen, daß dem Bund im ÖPNV schon auf Grund der tatsächlichen Verkehrsverhältnisse nach wie vor eine überragende Bedeutung zukommt. Der Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn ist nicht irgendeine Restgröße, sondern macht ein Drittel der Leistungen der DB im Personenverkehr aus. Der Anteil am gesamten OPNV-Aufkommen beträgt immerhin 13 %. Aus dieser Aufgabe kann sich der Bund nicht davonstehlen, wie dies Bundesverkehrsminister Dollinger wohl zu tun können glaubt, ({7}) wenn er sagt: Der Bund wird sich weiter am ÖPNV beteiligen, aber selbstverständlich nur nach seiner Leistungskraft - so auf der Verkehrsminister-Konferenz im Mai 1983 in Bremen. Das ist genau der Punkt, meine Damen und Herren. Im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Aufgaben bestimmt sich die Leistungskraft, für die der Bund den Rahmen setzt, nach der Aufgabe und nicht umgekehrt. ({8}) Oder aber Sie veränderten die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Das soll die Bundesregierung dann aber auch tun und beim Namen nennen. Sie soll dann auch sagen, wie die Länder und Kommunen, die bereits heute, nicht zuletzt durch eine rapide wachsende Verlagerung der Sozialkosten vom Bund auf die Gemeinden, finanziell ausgeblutet sind, weitere Kosten tragen sollen. Die Konsequenz in vielen Fällen würde eine Aufgabe wesentlicher Teile im ÖPNV bedeuten, jedenfalls so lange, wie das Finanzaufkommen der Länder und Gemeinden nicht entsprechend verstärkt wird. Die Bundesbahn hat also gemeinwirtschaftliche Aufgaben wahrzunehmen. Wenn der Deutschen Bundesbahn z. B. Aufgaben im Nahverkehr obliegen, die nicht wirtschaftlich zu erfüllen sind, so ist die Subventionierung dieser Tätigkeit - ich zitiere einen Kommentar aus der „Süddeutschen Zeitung" - „keine ökonomische Todsünde". Im Gegenteil, - so fährt die „Süddeutsche Zeitung" fort die Bundesrepublik hat vielleicht die leistungsfähigste Verkehrsinfrastruktur aller großen Industriestaaten. Dies ist einer der wichtigsten Pluspunkte unserer Wirtschaft im internationalen Wettbewerb, und das darf schon etwas kosten. Ich pflichte dem Kommentar aber auch bei, wenn er sagt, daß die Bahn nicht ständig weiter Marktanteile verlieren dürfe, sondern sich ihr Marktanteil allmählich stabilisieren müsse. Auch für den Schienenpersonen- und Schienengüterverkehr in der Fläche gilt, daß die Nachfrage keine vorgegebene Größe ist, sondern auch durch ein verbessertes Angebot erhöht werden kann. ({9}) Dieser Forderung soll der vorliegende Antrag in besonderer Weise Rechnung tragen. Deshalb sind von der Bundesregierung folgende Forderungen an die Deutsche Bundesbahn zu richten: Erstens. Mit bereits bestehenden Verkehrsgemeinschaften sind die Netzplanung von Schienen-und Busverkehr sowie die Fahrplangestaltung abzustimmen und Tarifmodelle zu entwickeln, die eine schrittweise Einbindung der Schiene in die jeweilige Kooperation ermöglichen. Zweitens. Die Systemvorteile von Bus- und Schienenverkehr müssen im Bereich der Deutschen Bundesbahn optimal aufeinander abgestimmt werden. Drittens. Auf Nebenstrecken, die dem Schienenpersonennahverkehr langfristig erhalten bleiben sollen, muß bereits jetzt mit der Verwirklichung vereinfachter Betriebsweisen begonnen werden. Hierzu bietet ein entsprechender Beschluß der Verkehrsminister gute Ansätze. Viertens. Bei unvermeidbaren Streckenstillegungen ist der Verfahrensgang zu verbessern. Es müssen verstärkt Kriterien berücksichtigt werden, die eine Veränderung der Rahmenbedingungen mit einbeziehen. Fünftens. Die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs haben bis heute den Wegfall der Gasölbetriebsbeihilfe nicht verkraftet. ({10}) Da andere Verkehrsträger wie Luftfahrt und Binnenschiffahrt, anders als damals - hören Sie mal zu, was ich sage, Herr Dr. Jobst - beabsichtigt, nach wie vor von der Mineralölsteuer befreit sind und hier offenbar auch von Ihrer Regierung keine Änderung vorgesehen ist, sollte Abhilfe geschaffen werden. ({11}) Dies wäre möglich durch ein ÖPNV-Energieprogramm. Zur Frage der Finanzierung. Dies sollte auf der Basis der Mineralölsteuer geregelt werden. Vom Anteil des Mineralölsteueraufkommens, das für die Finanzierung des Haushalts des Bundesministers für Verkehr verwandt wird, sollte jeweils ein Pfennig zugunsten dieses ÖPNV-Energieprogramms umgeschichtet werden. Dieser Finanzanteil würde also neben den für die Finanzierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zweckgebundenen Anteil des Mineralölsteueraufkommens treten. Eine eigene Finanzierungsgrundlage für das ÖPNV-Energieprogramm, an dem auch der Bund mit seinen Unternehmen nicht unerheblich beteiligt sein würde, erscheint finanz- und verkehrspolitisch sachgerecht. Unser Antrag entspricht im übrigen in vielen Teilen den Forderungen der Verkehrsministerkonferenz, wie sie in mehreren Beschlüssen bei der letzten Sitzung vom 8. September 1984 formuliert worden sind. Stellen Sie sich dieser Verantwortung, meine Damen und Herren von der Regierung! ({12}) Unterstützen Sie unseren Antrag, helfen Sie der Bahn, und lassen Sie den ÖPNV in der Fläche nicht im Stich! Ich bitte um Überweisung an die Ausschüsse. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD entwickelt im Verein mit den GRÜNEN plötzlich in erstaunlicher Weise eine Aktivität in der Verkehrspolitik mit Anträgen. Sie von der SPD waren doch erst vor zwei Jahren 13 Jahre lang an der Regierung. Das, was Sie heute wollen, hätten Sie doch alles tun können; wir bräuchten diese Anträge heute gar nicht. ({0}) Ihre Anträge und Ihr Antrag heute sollen doch davon ablenken, daß Sie von der SPD in der Regierungsverantwortung in der Bahnpolitik 13 Jahre im Schlafwagen gesessen haben, ({1}) daß Sie mit Ihrer Politik versagt haben. Ihre Politik hat doch dazu geführt, daß die Bahn heute in einer schlimmen Finanzsituation ist, daß sie in weiten Bereichen des Wettbewerbs aus dem Markt geworfen wurde. Keine europäische Bahn ist so in den Graben gefahren worden wie die Deutsche Bundesbahn unter der Verantwortung der SPD. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schwer, diesen Rückstand an Investitionen, den Verlust an Marktnähe jetzt so plötzlich wieder aufzuholen. Die Bahn ist jetzt gezwungen, auch einzusparen. Das hat sicherlich auch Auswirkungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs. Aber die Deutsche Bundesbahn bleibt in der Fläche präsent. Es gibt bei uns keinen Streckenstillegungsplan wie unter Ihrem Bundesverkehrsminister Gscheidle, ({3}) bei dem in den ländlichen Regionen ein Kahlschlag im Streckennetz erfolgt wäre. Dies gibt es bei uns nicht. Wir haben diesen Kahlschlag damals verhindert. Unter der neuen Bundesregierung findet ein Rückzug aus der Fläche nicht statt. ({4}) Der öffentliche Personennahverkehr ist für uns eine absolute Notwendigkeit für die Ballungsräume, aber auch für die ländlichen Regionen. Für die CDU/CSU ist ein gut funktionierender ÖPNV ein ernstes Anliegen. Gerade die ländlichen Räume brauchen einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr, um das Gefälle zwischen der Verkehrsbedienung in der Stadt und auf dem Lande abzubauen. Das öffentliche Verkehrsmittel ist ein unverzichtbarer Mobilitätsfaktor. ({5}) Die Deutsche Bundesbahn hat dabei ihre wichtige Funktion, Herr Kollege. Sie ist auch in der Fläche präsent. Neun Zehntel ihrer Kunden befördert die Deutsche Bundesbahn im Nahverkehr, eine Milliarde Personen im Jahr befördert die Deutsche Bundesbahn im Netzverkehr auf der Schiene, eine Milliarde Personen im Jahr befördert die Deutsche Bundesbahn auf der Straße in Bussen. ({6}) Sie sehen also, die Deutsche Bundesbahn ist mit ihren Verkehrsmitteln der größte Anbieter im öffentlichen Personennahverkehr. Der öffentliche Personennahverkehr hat zwei zentrale Aufgaben: eine ausgewogene Gestaltung des Nahverkehrs im Ballungsraum und in der Fläche und eine möglichst wirtschaftliche Verkehrsbedienung. Nun kommen Sie von der SPD daher mit einem Gesamtkonzept. „Gesamtkonzeption", das klingt immer sehr schön, ist aber auch nicht weit von dem Bereich der Phraseologie entfernt. ({7}) Sie erinnern sich doch, daß Sie von der SPD in Ihrer Regierungsverantwortung eine Vielzahl von Plänen und Konzeptionen gehabt haben, mit denen die Bahn hätte saniert werden sollen. Nichts ist aber passiert. Die Bahn ist in der Zeit der SPD-Regierung in Grund und Boden gewirtschaftet worden. Wir haben jetzt die Folgen Ihrer Politik auszubaden, auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs. ({8}) - Auf Ihre Zwischenrufe, die ich nicht verstehe, aber die sicherlich völlig daneben liegen, will ich gar nicht eingehen. ({9}) Bundesverkehrsminister Dollinger hat sofort gehandelt. Mit den Leitlinien vom 23. November 1983 hat die Deutsche Bundesbahn erstens klare Vorgaben, zweitens die nötige politische Rückendeckung, die Ihre Verkehrsminister von der SPD in all den Jahren nicht gehabt haben. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, vordergründiger Aktionismus nützt den Bürgern auf dem Lande gar nichts. Eine realistische ÖPNV-Politik ist gefordert. Dabei sind wir auf dem richtigen Wege. ({11}) - Daß Sie immer hintergründig denken, Herr Kollege Roth, das wissen wir. - Großspurige Konzepte bringen nichts. Sie kosten nur Geld, das nicht vorhanden ist. ({12}) Wir sollten uns nicht täuschen. Es gibt keine Patentlösungen. Die Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs sind in den einzelnen Regionen ganz verschieden. Sie lassen sich nicht einheitlich lösen. Konkrete, auf das Gebiet und seine Bedürfnisse ausgerichtete Einzellösungen führen zu den Verbesserungen, die notwendig sind. Ich kann Ihnen hier aus meinem Wahlkreis berichten. Wir haben auch in unserem Landkreis ein großes Gutachten für die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in Auftrag gegeben. Es hat 150 000 DM gekostet. Was ist herausgekommen? Nichts. Es ist das präsentiert worden, was vorher schon bekannt war und was nicht alles bezahlt werden kann. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zweckmäßiges Mittel, den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche zu verbessern, ist die Bildung von Gesellschaftsformen, bei denen auch Landkreise und Gemeinden eingebunden werden. Mit der freiwilligen Zusammenarbeit der Verkehrsträger im öffentlichen Personennahverkehr sind bisher auch in der Fläche gute Erfahrungen gemacht worden. Dieser eingeschlagene Weg muß weiter verfolgt werden. ({14}) Die Deutsche Bundesbahn erbringt im öffentlichen Personennahverkehr in erster Linie gemeinwirtschaftliche Leistungen. ({15}) Diese Leistungen dürfen aber den ökonomischen Rahmen nicht sprengen. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bringen immer das Reizwort Streckenstillegungen. Streckenstillegungen hat es früher gegeben. Es wird sie auch in Zukunft geben. Die Entscheidung trifft der Kunde. Streckenstillegung wäre aber kein Allheilmittel für die Deutsche Bundesbahn. Für uns gilt folgendes: Eine Verlagerung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße muß sinnvoll sein. ({17}) Sie muß Verbesserungen für den Kunden bringen. Hier geht es also nicht um weniger öffentlichen Personennahverkehr, sondern um eine sinnvolle Gestaltung, die Sie offenbar nicht wollen. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur zwei Minuten. Frau Präsidentin. Wenn Sie mir ein bißchen zugeben, wenn wir handeln könnten, könnte ich sie zulassen. ({0})

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ist Ihnen bei dem Umzug von der Schiene auf die Straße entgangen, daß diese Entwicklung im wesentlichen dadurch bestimmt war, daß erstens die Straßen immer breiter geworden sind und daß zweitens das Bundesbahnangebot immer schlechter geworden ist?

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Die Verlagerung des Personenverkehrs auf den Individualverkehr hat in erster Linie damit zu tun, daß der Pkw einfach Vorteile bringt, die der öffentliche Personennahverkehr nicht bringen kann. Die Verlagerung von der Schiene auf Busse hat damit zu tun, daß mit den Omnibussen weit bessere Verkehrsangebote gemacht werden können als mit der Schiene, die in ländlichen Regionen nur einen engen Bereich erschließt. Mit Bussen auf der Straße kann ich viel mehr machen und viel mehr anbinden. Das war der Grund. ({0}) In der Fläche können die Bedürfnisse der Kunden häufig viel besser auf der Straße befriedigt werden, als auf der Schiene. Es gibt sinnvolle Kombinationen der Systemvorteile von Schiene und Bus für ein akzeptables öffentliches Personennahverkehrsangebot. Wir wissen, daß derzeit verschiedene Modelle überprüft werden. Es muß dem nachfragerechten und wirtschaftlichen Verkehrsmittel der Vorzug gegeben werden. Wichtig dabei ist eine vernünftige Tarif- und Fahrplangestaltung, eine kundengerechte Regelung beim Übergang von einem Verkehrsmittel auf das andere und die Sicherstellung der Gepäckbeförderung. Wir wissen, daß die Probleme nicht leichter, sondern schwieriger werden, und zwar deshalb, weil die ÖPNV-Kunden weniger werden; wir haben weniger Schüler, wir haben weniger Lehrlinge. ({1}) Abschließend: Der Antrag der SPD auf Vorlage einer Gesamtkonzeption im ÖPNV bringt für sinnvolle Verbesserungen in den einzelnen Regionen nichts. Es ist ein Schaufensterantrag. ({2}) Das wird doch deutlich, allein schon unter Punkt 6, in dem Sie die Wiedereinführung der Gasölbetriebsbeihilfe fordern. ({3}) Diese haben doch Sie von der SPD gestrichen! ({4}) Wir halten die Wiedereinführung der Gasölbetriebsbeihilfe verkehrspolitisch für wünschenswert. Leider läßt dies die Finanzlage des Bundes, an der Sie von der SPD nicht unschuldig sind, nicht zu. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, lassen Sie sich abschließend sagen: Mit solchen vordergründigen Anträgen wird Ihr Image in der Bahnpolitik sicherlich nicht steigen. Da müssen Sie mehr bringen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Drabiniok. ({0})

Dieter Drabiniok (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000413, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will niemanden fertigmachen, im Gegenteil: Ich möchte zum erstenmal in meiner Laufbahn endlich einmal einen Minister der CDU/CSU-Fraktion loben. Denn der Verkehrsminister Dollinger ist der einzige Minister der Bundesregierung, ({0}) der angesichts des Waldsterbens nicht tatenlos verharrt, sondern handelt. Er ist der einzige Minister, der dem Sterben des Waldes nicht einfach zuschaut, sondern aktiv eingreift. Sein Programm zum Schutz des Waldes ist ehrgeizig: Bis zum Jahre 2000 soll der Pkw-Verkehr um 10 bis 20 % zulegen, der Straßengüterverkehr um 50 % wachsen und der Flugverkehr sogar um 80 % zulegen. ({1}) - Ich gebe Ihnen gleich die Quellenangabe. Als Sofortmaßnahme zur Rettung des Waldes hat Minister Dollinger erst vor einigen Tagen 2 100 zu6938 sätzliche Genehmigungen im Bezirksgüterfernverkehr auf der Straße verordnet. ({2}) Er hat klar erkannt: Je mehr Lastwagen auf den Straßen fahren, um so besser für den Wald. Er weiß Erfreuliches zu berichten: Es geht wieder aufwärts mit dem Straßengüterverkehr. Auch der Flugverkehr nimmt wieder zu. ({3}) Erstmals gibt es im nächsten Jahr auch wieder mehr Geld für Bundesfernstraßen nach dem Motto: Jeder neue Straßenkilometer ein Meilenstein im Kampf gegen das Waldsterben. ({4}) Dollinger weiß genau: Er muß jetzt zügig handeln, neue Straßen bauen und mehr Lastkraftwagen auf die Straßen bringen, den Pkw verteidigen und ein Tempolimit abwehren, wenn er den Wald noch retten will. Im Kampf um den deutschen Wald sieht Dollinger nur ein Hindernis: die Bahn. Er weiß: Das Streckennetz der Bahn ist groß. Die Bahn muß schrumpfen, wenn der Wald noch gesunden soll. Aber auch dieses Problem wird er meistern, durch Streckenstillegungen, oder, wie er sich ausdrückt, durch die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße. ({5}) Die Folge: mehr Pkws, mehr Bahnbusse, mehr Lkws. Dollinger weiß: ({6}) Das nutzt dem Wald. ({7}) So absurd ist die Verkehrspolitik der Bundesregierung. Anstatt die Bahn als sicheres, energiesparsames und umweltfreundliches Verkehrsmittel, gerade heute angesichts zunehmender Umweltschäden - Pseudokrupp und Waldsterben -, massiv zu fördern, betreibt die Bundesregierung zielstrebig die totale Demontage und Zerstörung der Eisenbahnanlagen im ländlichen Raum. ({8}) Damit setzt diese Bundesregierung konsequent und eifrig den von der sozialliberalen Koalition eingeleiteten Schrumpfkurs fort. Mit großer Perfektion und einem ausgefeilten Repertoire an Maßnahmen werden die Bahnkunden im ländlichen Raum systematisch vergrault. Durch Unterlassung jeglicher Investitionen sind bereits heute vielerorts Bahnhöfe und Bahnanlagen in einem trostlosen und verwahrlosten Zustand. ({9}) Die Triebwagen und Reisezugwagen sind hoffnungslos überaltert. Die Reisegeschwindigkeit entspricht keineswegs den heutigen Anforderungen und wird mehr und mehr durch Langsamfahrstellen noch weiter reduziert. Die Fahrpreise im Nahverkehr wurden in der Vergangenheit kräftig angehoben und sind heute überhöht. Die Anschlüsse sind zum Teil miserabel. Die Schalter sind kaum noch geöffnet und schon ganz geschlossen. ({10}) Das Angebot wird von Jahr zu Jahr per Salamitaktik weiter verschlechtert. ({11}) - Sie haben zwar ein unheimlich gutes und lautes Organ, aber dabei kommt totaler Blödsinn rüber. ({12}) - Und Sie sollten erst einmal eine Schippe in die Hand nehmen und arbeiten gehen! ({13}) Zuerst werden die am schwächsten besetzten Züge gestrichen, dann die am wenigsten frequentierten Haltepunkte und Bahnhöfe geschlossen und nicht mehr bedient. - Ich habe wenigstens schon einmal gearbeitet, im Gegensatz zu Ihnen! ({14}) Schließlich wird der Verkehr am Wochenende ausgedünnt und dann gänzlich eingestellt. Weitere Züge werden von Fahrplanwechsel zu Fahrplanwechsel gestrichen. Dadurch verliert die Bahnstrecke von Jahr zu Jahr Reisende, bis schließlich das von Bundesregierung und Bahnvorstand angepeilte niedrige Fahrgastaufkommen zur Stillegung der Strecke erreicht ist. Wenn das noch nicht ausreicht, wird einfach eine Brücke als baufällig abgeschrieben und die Strecke aus technischen Gründen am Bundesbahngesetz vorbei stillgelegt, wie es jetzt bei der Bundesbahnstrecke Kempten-Isny der Fall war. Das können Sie mir sicherlich bestätigen. ({15}) Meine Damen und Herren, die Beispiele in Dänemark und in der Schweiz sowie einiger Ländereisenbahnen zeigen, daß der Schienenpersonennahverkehr auch im ländlichen Raum erfolgreich betrieben werden kann, wenn nur der Wille da ist. In Dänemark z. B. konnte durch die Einrichtung eines Stundentaktes und den Einsatz moderner Leichttriebwagen das Reisendenaufkommen um bis zu 300% gesteigert werden. Die Bundesregierung jedoch propagiert den Bahnbus als das sogenannte nachfragegerechte Verkehrsmittel, obwohl bereits im Jahre 1978 ein im Auftrag des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau erstelltes Gutachten zu folgendem Ergebnis kam - Herr Dr. Jobst, jetzt können sie einmal zuhören; ich zitiere ({16}) - danke -: Nach der Einstellung des Reisezugverkehrs wurde der ersatzweise eingerichtete Busdienst im allgemeinen nur noch von denjenigen Personen benutzt, die nicht auf den Personenkraftwagen überwechseln konnten. Der Ersatzverkehr wird daher im Durchschnitt nur von 50 % der ehemaligen Bahnfahrer in Anspruch genommen. Diese starke Abwanderung zum Individualverkehr ist nach dem Ergebnis der Studie auf die deutlich geringere Attraktivität des Busdienstes zurückzuführen. ({17}) Diese Studie zeigt: Das Streckenstillegungsprogramm der Bundesregierung kann allenfalls den Straßenverkehr und das Waldsterben fördern. Meine Damen und Herren, wir fordern den sofortigen Streckenstillegungsstopp. Es darf kein weiterer Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert werden. Statt dessen muß alles getan werden, um eine Wende einzuleiten und den Verkehr wieder vermehrt von der Straße auf die umweltfreundliche Bahn zu verlagern. ({18}) Das wäre eine Verkehrspolitik, die dem Wald wirklich nutzen würde. ({19}) Deshalb schlagen wir ein Investitionsprogramm für den Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bundesbahn im ländlichen Raum vor. Eine Investitionssumme von 4 Milliarden DM würde ausreichen, um den gesamten Schienenpersonennahverkehr auf den Nebenstrecken der Deutschen Bundesbahn zu sanieren. ({20}) - Das hat nichts mit Geisterzügen zu tun. ({21}) Bei einem vernünftigen Angebot und vernünftigen Taktzeiten, ähnlich wie es in Dänemark ist, Herr Straßmeir, ließen sich auch hier positive Ergebnisse erzielen. ({22}) - Ständig. Aber ich bringe das mal eben zu Ende. Ich zeige Ihnen gleich einmal, wo ich immer entlangfahre. ({23}) Durch die Verbesserung von Oberbau und Anlagen, die Modernisierung von Signalanlagen, die zusätzlichen technischen Sicherungen von Bahnübergängen, die Neuanlage von Haltepunkten und die Beschaffung von 800 Triebwagen der neuentwickelten Serien VT 627 und VT 628/928 könnte der Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bundesbahn auch in der Fläche wieder attraktiv und wirtschaftlicher gestaltet werden. ({24}) Ein solches Investitionsprogramm ist ohne weiteres allein durch Umschichtung aus dem ohnehin überflüssigen und schädlichen Straßenbauetat zu finanzieren. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf: Machen Sie Schluß mit dem Kahlschlag bei der Bahn und benutzen Sie das Jubiläum der Eisenbahn im nächsten Jahr dazu, eine Renaissance der Schiene einzuleiten! Ich bedanke mich. ({25})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Parlamentsdebatten sind lehrreich. Jetzt wissen wir endlich, wie der deutsche Wald zu retten ist: durch kabarettistische Einlagen à la Drabiniok. Vielen Dank. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der SPD auf Drucksache 10/1503 gibt uns Anlaß, die Position der liberalen Fraktion dieses Hauses zum Problem des öffentlichen Personennahverkehrs darzulegen, und die gedrängte Terminlage gibt Anlaß, dies in aller Kürze zu tun. Was ist Sache? Die Bundesbahn befördert jährlich eine Milliarde Personen im Nahverkehr auf der Schiene und eine Milliarde auf der Straße in Bussen. Dazu werden täglich 19 000 Nahverkehrszüge und rund 13 000 Busse eingesetzt. Während das Busangebot alles in allem kostendeckend abgesetzt werden kann, decken die Kundenerlöse im Schienenpersonennahverkehr gerade 28 % der Aufwendungen. Selbst in den Ballungsräumen beträgt der Kostendeckungsgrad im Schienenpersonennahverkehr nur 36,8 %. Die Defizite in diesem Bereich sind zwischen 1970 und 1983 von jährlich 1,8 Milliarden DM auf mehr als 4,6 Milliarden DM angestiegen. Davon deckt der Bund mehr als 3 Milliarden DM ab. Der Rest vergrößert das Defizit der Bundesbahn. ({1}) Die Beförderung von 700 Millionen Menschen in den Ballungsräumen führt zu einem Defizit von 1,5 Milliarden DM, die Beförderung von 300 Millionen Menschen in der Fläche zu einem Defizit von 3,1 Milliarden DM. Diese Zahlen, meine sehr verehrten Damen und Herren, beschreiben eindringlicher als viele Worte das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Wenn man schließlich noch die Entwicklung, die rückläufige Nachfrage der Jahre 1982 und 1983, im gesamten ÖPNV hinzunimmt, kann man nachvollziehen, daß selbst der Präsident des Verbandes öffentlicher Verkehrsbetriebe resignierend meint, dem Nahverkehr in der Fläche sei auch mit Investitionen kaum aufzuhelfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Zukunft des ÖPNV aussehen kann. Der öffentliche Personennahverkehr bietet unter gesamtgesellschaftlichen Aspekten eine ganze Reihe überzeugender Vorteile. Er ist raum- und energiesparend, deshalb umweltfreundlich, ({2}) auch ist er positiv einzuschätzen unter raumordnerischen und städtebaulichen Aspekten, und er schont Ressourcen. ({3}) Aus liberaler Sicht besteht die Aufgabe des Staates darin, dem Bürger Mobilitätschancen einzuräumen und zu eröffnen, und zwar unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes der freien Wahl des Verkehrsmittels. ({4}) Eine vernünftige ÖPNV-Konzeption muß deshalb zwei Ziele zugleich ansteuern, Herr Drabiniok. Der öffentliche Personennahverkehr muß attraktiv sein, und er muß finanzierbar bleiben, solide finanzierbar. ({5}) Diesem Maßstab genügt der vorliegende Antrag der Kollegen der SPD nicht. Um die genannte zweifache Zielsetzung zu erreichen, bedarf es eines integrierten Verkehrskonzeptes für die Fläche, insbesondere auch für den ländlichen Raum. ({6}) An diese Aufgabe muß man aber ohne ideologische Scheuklappen herangehen. ({7}) Ich will deshalb einige wesentliche Elemente einer solchen Konzeption aus liberaler Sicht vortragen. Im Vordergrund steht dabei für uns die Idee der Regionalisierung nach dem Verursacherprinzip. Das heißt, die kommunalen Körperschaften, für deren Gebiet ÖPNV-Leistungen erbracht werden, müssen das aus ihrer Angebotsverantwortung heraus entstehende Defizit mit abdecken. Selbstverständlich bleiben davon die Verpflichtungen des Bundes unberührt - die Ausgleichsleistungen, Übernahme des Defizits bei der Bundesbahn, Investitionszuschüsse -, desgleichen die entsprechenden Verpflichtungen der Länder. Wir müssen begreifen, daß es sich beim öffentlichen Personennahverkehr um eine gemeinsame Finanzverantwortung von Bund, Ländern und Kommunen handelt. ({8}) Ein weiterer wichtiger Aspekt unseres Themas ist das Problem der Entwicklung intelligenter Organisationsmodelle für den Träger des ÖPNV in den einzelnen Regionen. Dabei legen wir besonderen Wert darauf, daß maßgeschneiderte, überschaubare Verkehrsverbünde entstehen, die sehr viel flexibler auf die Verkehrsnachfrage reagieren können und die in der Lage sind, die Kostenseite im Griff zu behalten. Unverzichtbar ist dabei für uns auch die Einbeziehung von privaten Unternehmen. In diesem Zusammenhang will ich hier die seit Jahren von uns vertretene Forderung nach privatrechtlicher Organisationsform der Bahnpostdienste wiederholen. Der gegenwärtig laufende Versuch hat klar bewiesen, daß auf diesem Wege gute Erfolge zu erzielen sind. Schließlich möchte ich noch die Frage aufwerfen, warum eigentlich auch für den Betrieb von Nebenstrecken beim Schienenverkehr Standards, Normen und Vorschriften wie bei hochbelasteten IC-Strecken gelten müssen. Im Grunde wäre es doch viel angemessener, straßenbahnähnliche Techniken - durch vereinfachten Bahnbetrieb, aber auch beim rollenden Material - einzusetzen. ({9}) Es gibt Beispiele, die wirklich zur Nachahmung ermutigen. Ich denke z. B. aus meiner eigenen Region an die erfolgreiche Strecke von Aglasterhausen nach Meckesheim. Zu erwähnen wäre noch die Abschaffung von Parallelverkehren Schiene/Bus. Zu erwähnen wäre der Einsatz moderner Techniken der Steuerung und der Kommunikation, aber auch - das füge ich ausdrücklich hinzu - die Bereitschaft, bei anhaltender Unwirtschaftlichkeit des Schienenpersonennahverkehrs im Einzelfall - im Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung - auf Busbedienung umzustellen. Meine Damen und Herren, ich habe hier nur einige der aus meiner Sicht wesentlichen Aspekte des öffentlichen Personennahverkehrs angesprochen. Wir werden im Ausschuß Gelegenheit haben, diese Diskussion intensiv fortzuführen. ({10}) Ich freue mich auf diese Diskussion und hoffe, daß dort insbesondere die Fraktion der GRÜNEN nicht mit einer Karikatur der tatsächlichen Politik der Bundesregierung operieren wird. ({11}) Wir Liberalen lassen uns jedenfalls bei dieser Diskussion von den Grundsätzen leiten, die die Bundesregierung in ihren Beschlüssen zur Deutschen Bundesbahn vom November des vergangenen Jahres mit unserer Unterstützung festgelegt hat. Ich zitiere: Der Bund steht nach wie vor zum Engagement der Deutschen Bundesbahn im öffentlichen Personennahverkehr sowie zu einer konstruktiven Zusammenarbeit der Bundesbahn mit anderen Verkehrsunternehmen auf diesem Gebiet. Auch der gesamtwirtschaftlich und verKohn kehrspolitisch wichtige ÖPNV der DB muß auf Dauer finanzierbar bleiben. Machen wir uns also an die Arbeit, in diesem Sinne tragfähige und zukunftsträchtige Konzeptionen zu entwickeln - im Interesse unserer Bürger. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1503 an den Ausschuß für Verkehr - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Gibt es dazu noch Ergänzungen? - Das ist nicht der Fall; dann ist das so beschlossen. Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra - Drucksache 10/1765 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) - Drucksache 10/2131 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens ({1}) Das Wort hat der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir als Berichterstatter nur einige wenige Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra. Bis Kriegsende gab es ein einheitliches Werra-Kalirevier. Es ist durch die Grenze zur DDR zerschnitten worden. Durch den Grenzverlauf treten Abbauverluste auf beiden Seiten der Grenze ein. Durch das Gesetz, das hier heute verabschiedet wird, soll eine neue Festlegung des Abbaubereichs zum beiderseitigen Vorteil erreicht werden. Zwei Punkte sind meines Erachtens besonders hervorzuheben: Erstens. Die Expertengespräche mit der DDR zum Fragenkreis „grenzüberschreitender Kaliabbau" wurden im Rahmen des Werra-Komplexes bereits am 30. April 1980 begonnen. Sie sind nach rund vier Jahren Anfang April endlich abgeschlossen worden. Die Übertragung des DDR-Rechts beim Abbau im Bereich der Bundesrepublik Deutschland beinhaltet einen begrenzten Verzicht auf Hoheitsrechte der Bundesrepublik. Dies bedarf einer besonderen gesetzlichen Regelung. Die Einigung über den grenzüberschreitenden Kaliabbau macht erneut deutlich, daß es ungeachtet weiterbestehender Gegensätze zwischen den beiden Staaten zum beiderseitigen Vorteil Fortschritte in der Zusammenarbeit geben kann. Zweitens. Erforderlich ist es jetzt, das Problem des Einleitens von Kalisalzen in die Werra schnellstmöglich zu beseitigen. Für die Bundesregierung war von Anfang an die Übertragung von Bergbaurechten mit der Verbesserung des Wasserschutzes der Werra untrennbar verbunden. Das Einleiten von Kalisalzen in die Werra ist selbstverständlich nach neuesten technischen Verfahren vorzunehmen. Streitereien zwischen der Bundesregierung und einigen Ländern über finanzielle Beteiligungen sind meines Erachtens kein Grund, dieses wichtige Anliegen auf die lange Bank zu schieben. Die Bundesregierung sollte sich hier großzügig verhalten. Das Einleiten von Kalisalzen in die Werra muß nun nach Verabschiedung dieses Gesetzes allerschnellstens unterbunden werden. Der mitberatende Ausschuß hat einstimmig und der federführende Wirtschaftsausschuß bei Stimmenthaltung der GRÜNEN beschlossen, dem Plenum die Annahme dieses Gesetzes zu empfehlen. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke, Herr Berichterstatter. Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen in zweiter Lesung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieses Gesetz angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes - Drucksache 10/849 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/2161 Berichterstatter: Abgeordnete Wartenberg ({1}) Dr. Ehmke ({2}) Dr. Hirsch ({3}) Der Ältestenrat schlägt vor, eine Aussprache mit Kurzbeiträgen bis zu zehn Minuten vorzunehmen. Vizepräsident Frau Renger Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Sehr verehrte Stenographen! Ich habe die seltene Gelegenheit, vor diesem Plenum zu reden, wo es beinahe mehr Stenographen gibt als Kollegen. Im Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP „Unsere Verantwortung für die Umwelt" vom September 1983 haben wir gefordert, alles zu unternehmen, um den Auswüchsen internationaler Sondermülltransporte entgegenzuwirken, und die Ergänzung des Abfallbeseitigungsgesetzes alsbald vorzulegen. Die Bundesregierung hat im Herbst 1983 den entsprechenden Entwurf eingebracht. Um die umfangreichen Beratungen im Zusammenhang mit der 4. Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes nicht abwarten zu müssen, soll heute die 3. Novelle verabschiedet werden. Damit wird der Dringlichkeit der Regelung der nationalen und internationalen Beseitigung sowie des Transports von Sondermüll Rechnung getragen. Es geht dabei nicht nur um Abfall im eigentlichen Sinne, sondern auch um andere gefährliche Stoffe, im Gesetz als „Rohstoffe" bezeichnet, die der abfallrechtlichen Regelung unterstellt werden müssen. Die bestehende Grauzone wird dadurch beseitigt, daß der Grenzbereich zwischen Abfall und Wirtschaftsgut klar definiert wird. Die Irrfahrt der 41 Seveso-Fässer machte die Notwendigkeit einer Regelung des Sondermülltourismus deutlich. Die Liste solcher Vorkommnisse ließe sich beliebig erweitern. ({0}) All dies veranschaulicht, daß bis heute Erzeugung, Transport, Zwischen- und Endlagerung giftiger Abfälle international und national nicht umfassend kontrolliert sind. Auch jüngste Beispiele in der Bundesrepublik beweisen in erschreckendem Maße, wie leicht es ist, Sondermüll ohne Wissen der zuständigen Behörden und vor allem ohne die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen quer durch unser Land zu transportieren. Pressemeldungen in den letzten Tagen haben dies noch einmal unterstrichen und aufgezeigt, daß selbst auf offiziellen Müllplätzen unklar definierte Chemikalien abgeladen werden können nach dem Motto: gewogen, kassiert, aber nie untersucht. Diese Praxis muß ein Ende haben. Hier sind auch die Bundesländer aufgerufen, durch stärkere Kontrollen und entsprechende Überwachung den Vollzug dieses neuen Gesetzes zu garantieren. Folgende Zahlen geben Aufschluß über die Menge der zu beseitigenden Sonderabfälle, auch über den Umfang des grenzüberschreitenden Transports. In den Bundesländern werden zur Zeit jährlich 4,9 Millionen Tonnen Sonderabfälle beseitigt. Die Einfuhr von Sonderabfällen in die Bundesrepublik Deutschland belief sich 1980 auf 32 000 Tonnen, 1982 bereits auf rund 40 000 Tonnen. Aus der Bundesrepublik wurden 1980 24 000 Tonnen Sondermüll, 1982 schon die siebeneinhalbfache Menge, nämlich 180 615 Tonnen ausgeführt. Das Problem der grenzüberschreitenden Abfallbeseitigung wird nun in der Dritten Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes neu und umfassend geregelt. Grundprinzip ist dabei, daß die Abfallbeseitigung dort erfolgen muß, wo die Abfälle entstehen. Grenzüberschreitende Abfalltransporte sollen so weit wie möglich eingeschränkt werden. Für die Verbringung von Abfällen aus der Bundesrepublik sowie für den Transit durch die Bundesrepublik werden strenge Genehmigungsvoraussetzungen geschaffen, wie sie bereits für die Verbringung von Abfällen in die Bundesrepublik Deutschland bestehen. Ausgewählte Grenzübergangsstellen ermöglichen eine genaue Erfassung und Überwachung. Damit wird eine Information aller Bundesländer gewährleistet. Eine besondere Kennzeichnungspflicht entsprechend den Vorschriften des Gefahrgutrechts sorgt für zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten auf dem Transportweg. Eines ist besonders hervorzuheben: Auf Initiative der Bundesregierung kommt es nun erstmals auch zu einer Harmonisierung der Abfallbeseitigung im EG-Bereich. Durch eine Richtlinie des Rates können so Gefahren, die durch die Beförderung und Beseitigung von Abfall im Transit- oder Empfängerland möglicherweise entstehen, vermieden werden. In Art. 1 der erst in harten Verhandlungen von der Bundesregierung durchgesetzten Richtlinie des Rates über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle in der Europäischen Gemeinschaft heißt es: Die Mitgliedstaaten treffen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt die erforderlichen Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle innerhalb der EG. Damit ist hoffentlich ein einheitliches europäisches Genehmigungsverfahren garantiert. Das ist ein weiterer Meilenstein in den Bemühungen der Bundesregierung, einen europäischen Gleichschritt im Umweltschutz zu erreichen. ({1}) Aus Gründen des Umweltschutzes können auch Transporte aus der und in die DDR von seiten der Bundesrepublik untersagt werden. Diese Maßnahme zielt jedoch nicht auf eine generelle Verhinderung der Verbringung von Abfällen in die DDR. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, in Gesprächen mit der DDR dieses Problem auf Expertenebene abzuklären. Die heute zu verabschiedende Dritte Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes ist der erste Schritt einer generellen Neuregelung der Abfallbeseitigung in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft. Dem Abfalltourismus bisheriger Prägung wird ein entscheidender Riegel vorgeschoben. Es wird vermieden, daß es zu neuen Altlasten in unserem Land kommt. Es wird außerdem verhindert, daß sich Vorgänge wie die Odyssee der 41 Fässer von Seveso wiederholen können. Dazu ist es allerdings notwendig, daß der Bund und alle Bundesländer gemeinsam an einem Strang ziehen und geplante Anlagen zur Sonderabfallbeseitigung von allen Landesparlamenten und Landesregierungen realisiert werden. Hiermit hat die Bundesregierung den Beweis erbracht, daß ihr Gesamtkonzept für eine umfassende realistische Umweltpolitik funktioniert. Wir werden unsere Rolle als Schrittmacher des europäischen Umweltschutzes weiter verfolgen und durch vernünftige Vorschläge unsere Nachbarn überzeugen, um so gemeinsam die gesteckten Ziele erreichen zu können. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg ({0}).

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute im Bundestag mit der Dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz beschäftigen, obwohl die Vierte Novelle uns schon ins Haus steht - sie ist ja vom Kabinett bereits beschlossen worden -, so hat das natürlich auch damit etwas zu tun, daß das Parlament schnell die Schlüsse ziehen wollte aus dem Skandal um den lange Zeit ungeklärten Verbleib der TCDT-Abfälle von Seveso, aber auch aus dem Zusammenbruch der niederländischen Entsorgungsfirma Uniser. Ich glaube, daß die Gesetzesnovelle, die heute beschlossen wird, schon ein Schritt in die richtige Richtung ist. Aber ein bißchen vorsichtiger hätten Sie es auch ausdrücken können, Herr Schmidbauer. Mein Vorredner hat gesagt, die Bundesregierung habe sich wieder als Schrittmacher der Europäischen Gemeinschaft bewiesen. Ich glaube, ganz so großkotzig sollte man an diesen Bereich nicht herangehen. Da ist gerade in der Bundesrepublik Deutschland noch sehr viel zu machen. Wir Sozialdemokraten sind uns darüber im klaren, daß diese Dritte Novelle eben nur ein kleiner Baustein innerhalb einer Entwicklung ist, die dazu führen muß, daß in Zukunft eine politisch umfassende Lösung der Abfallproblematik zustande kommen muß. Die Beseitigung von Abfällen und insbesondere der Sonder- und Industrieabfälle ist eines der Grundsatzprobleme des Umweltschutzes geworden. Die Bevölkerung spürt gerade auch in diesem Bereich, daß Abfälle und die Folgen, die damit verbunden sind, kein kleines Problem sind, sondern uns alle vor Ort in ganz besonders großem Maße betreffen. Denn jeder hat irgendwie in seiner näheren Umgebung eine Altdeponie oder auch eine neuere Deponie. Nicht nur der Tourismus der Seveso-Fässer hat in unserer Gesellschaft das Verständnis dafür geschärft, daß die Probleme des steigenden Abfalls dringend zu lösende Aufgaben für die Zukunft sind. In den vergangenen Jahren ist ohne Frage hier schon einiges geleistet worden. Das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 hat hier die ersten Maßstäbe gesetzt. Unkontrollierte Ablagerungen von Abfällen aller Art wurden seit 1972 in geordnete und feste Regelungen der Abfallbeseitigung der zuständigen Landkreise überführt. 50 000 wilde Müllkippen wurden geschlossen und dafür 3 000 geordnete Deponien angelegt. Sondermüll und Industriemüll wurden vom Gewerbemüll getrennt. Die Weiterentwicklung der Abfallbeseitigung zur Abfallwirtschaft, wie sie schon 1975 von der Bundesregierung weitblickend konzipiert wurde, hat die Lösung der Probleme bis jetzt aber nur langsam vorangebracht. Die Müllberge wachsen weiter, insbesondere haben sich produktionsspezifische Abfälle in den letzten Jahren verdoppelt. Deswegen muß eine zukunftsorientierte Abfallwirtschaft in ein volkswirtschaftliches Gesamtkonzept eingebettet werden, das geringeren Rohstoff- und Energieverbrauch, die Verminderung schädlicher Substanzen, Rückgewinnung von Rohstoffen und schadlose Beseitigung von Reststoffen mit sich bringt. Ziel wird eine umfassende Abfallwirtschaft sein. Sie wird gegenüber dem jetzigen System der Abfallbeseitigung zwangsläufig viele Veränderungen mit sich bringen. Da es bis heute keine optimale Gesamtlösung gibt, wird man an vielen differenzierten Einzellösungen schon jetzt versuchen müssen, weiterzukommen. Das muß allerdings intensiver geschehen, als es die gegenwärtige Bundesregierung bis jetzt gemacht hat. Wir Sozialdemokraten werden in den nächsten Monaten hierzu noch weitere Konzepte und Lösungsvorschläge vorlegen, die in dieser Debatte zur Dritten Novelle allerdings nicht diskutiert werden können und sollen. Im Hinblick auf den Mülltourismus war es notwendig, daß das Abfallbeseitigungsgesetz an die Richtlinie des EG-Rates über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle in der Gemeinschaft anzupassen war. Wir haben deswegen im Ausschuß gewartet, bis die Beschlußfassung im Rat vorgenommen wurde. Leider hat sich herausgestellt, daß die weitergehenden Vorstellungen des deutschen Parlaments im EG-Bereich nicht voll durchgesetzt werden konnten, insbesondere was die Genehmigungspflicht der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen angeht. Bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Sonderabfällen innerhalb der EG sieht die erwähnte Richtlinie statt einer Genehmigung eine Bestätigung vor. Diese Bestätigung ist ein der Genehmigung der vorliegenden Novelle vergleichbares Überwachungsinstrument, aber es ist natürlich insgesamt schwächer. Das zeigt sich insbesondere dadurch, daß die in der EG-Richtlinie verwandten Begriffe wie z. B. Notifizierung, Bestätigung und Einwand materiell nicht mit den Begriffen des deutschen Rechts übereinstimmen. Insofern ist in der Verordnung festzulegen, inwieweit eine Notifizierung, eine Bestätigung oder ein Einwand nach deutschem Recht einen Antrag, eine Genehmigung oder eine Ablehnung darstellt. Insofern bleibt die jetzige Regelung, bezogen auf Wartenberg ({0}) die weitergehenden Vorstellungen, die wir im Parlament haben, unbefriedigend. Für uns Sozialdemokraten war von Bedeutung, daß in der anstehenden Novellierung eine Lücke in den Bußgeldvorschriften des Abfallbeseitigungsgesetzes zu schließen war. Sowohl im Wasserhaushaltsgesetz als auch im Bundesdatenschutzgesetz ist die Nichtbestellung der vorgesehenen Betriebsbeauftragten als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt. Im Abfallbeseitigungsgesetz sind insofern Lücken in den Sanktionsmöglichkeiten auszufüllen. Deswegen haben wir eine Änderung des § 18 des Abfallbeseitigungsgesetzes vorgeschlagen und dies damit begründet, daß die Einrichtung des Betriebsbeauftragten sich bewährt hat. Trotz langjähriger Einführung in den Ländern bestellen noch nicht alle in Frage kommenden Anlagenbetreiber einen Betriebsbeauftragten für Abfall. Unser Vorschlag ist von den anderen Fraktionen übernommen worden. Bei der Ausdehnung der Bußgeldvorschriften, die von der SPD vorgeschlagen worden ist, ist der Ausschuß einvernehmlich der Auffassung gewesen, daß diese Ergänzung des Gesetzes bereits in der Dritten Novelle vorgenommen und nicht auf die Vierte Novelle verschoben werden soll. Es hat für das Abfallgesetz sehr viele weitere Vorschläge gegeben, auch von den GRÜNEN. Wir haben uns darauf geeinigt, daß diese Vorschläge in einer Vierten Novelle weitestgehend berücksichtigt werden sollen. Bei einer Verschärfung des Abfallbeseitigungsgesetzes soll insbesondere in der Diskussion um die Vierte Novelle dieser Prozeß weiter vorangetrieben werden. Wir Sozialdemokraten fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, in diesem Abfallbeseitigungsgesetz aus gesamtgesellschaftlicher Sicht dem Druck der wirtschaftlich Starken zu widerstehen und sich nicht den Interessen zu beugen, die Industrien insbesondere bei der Produktion in wesentlichen Bereichen zur Verstärkung des Abfallanfalls mit sich bringen. ({1}) Zukünftig wird es wichtigstes abfallwirtschaftliches Ziel sein, potentielle Abfälle möglichst gar nicht entstehen zu lassen. Überflüssige und abfall- bzw. umweltbelastende Produkte sollen nicht mehr produziert werden. Insbesondere die Einführung eines Wiederverwertungsgebotes hat absoluten Vorrang vor vielen anderen restriktiven Maßnahmen. Unter diesem Aspekt sehen wir Sozialdemokraten die heutige Novellierung nur als einen kleinen Schritt auf dem langen Weg zu einer vernünftigen Abfallwirtschaft und Abfallpolitik. Allerdings werden wir uns dafür einsetzen und auch hier im Parlament dafür Sorge tragen, daß die Bundesregierung diesen durchaus langen Weg nicht zu lang lassen wird, da uns sonst die Abfallberge über den Kopf wachsen werden. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine beiden Vorredner haben so faszinierende Reden gehalten, daß es mir wirklich schwer fällt, sie zu übertreffen. Deswegen kann ich mich außerordentlich kurz fassen. Beide Reden unterscheiden sich, wenn ich das richtig aufgenommen habe, nur in einem Punkt: Der sehr verehrte Kollege Wartenberg hat noch neue Vorstellungen und Initiativen seiner Fraktion angekündigt. Wir sehen dem mit gebanntem Interesse entgegen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre segensreichen Überlegungen nicht über Gebühr länger geheimhalten würden. Denn in der Tat beraten wir über Abfall und seine Beseitigung seit geraumer Zeit. Man kann nicht gerade sagen, daß wir uns seit Seveso ungeheuer gespurtet hätten. Vielmehr sind wir wegen der EG-Regelungen und wegen aller mögliche Probleme erst heute dazu gekommen, die Folgerungen aus diesem Gifttourismus zu ziehen. Die Probleme sind leicht erkennbar. Die Bundesrepublik oder wir alle produzieren Jahr für Jahr so viel Abfall, wie es dem Zugspitzmassiv entspricht. ({0}) Das ist die reine Wahrheit. Abfall ist nicht nur etwas, was man beseitigen muß, sondern Abfall ist Rohstoff am falschen Platz, den man weder verbrennen noch vergraben sollte, sondern um dessen Rückgewinnung man sich bemühen muß. In der Tat sollten wir das Abfallbeseitigungsgesetz Abfallwirtschaftsgesetz nennen, um nämlich deutlich zu machen, um was es eigentlich geht, nicht nur um die Beseitigung von Abfall, sondern um den Versuch, das, was davon wirtschaftlich zu bewahren und zu retten ist, auch wiederzugewinnen. Noch problematischer ist die Menge des anfallenden Industriemülls. In Europa wird mehr Industriemüll und werden mehr Sonderabfälle produziert, als Kapazitäten zu seiner Beseitigung vorhanden sind. Es wird 50 % mehr Industriemüll pro Jahr produziert, als wir beseitigen können. Genau das ist die Ursache des Gifttourismus, den wir uns in dem dichtbesiedelten Europa nicht leisten können, nämlich zuzusehen, daß Mengen solcher Abfälle wie ein Schwarzer Peter monatelang herumgekarrt werden, bis sie in irgendeinem Hinterhof landen. Auch die Bundesrepublik produziert und exportiert mehr Müll - das haben Sie, Herr Schmidbauer, mit ihren Zahlen dargestellt; wir haben eine positive Müllbilanz -, als wir selber beseitigen. Das ist nicht gut. Im Jahre 1982 waren es 180 000 t. Der überwiegende Anteil davon ging in die DDR, der Rest nach Frankreich, Belgien und Italien. Wir können also das Problem heute nur mit einer Teillösung behandeln, wir können nur eine Teillösung treffen. Wir müssen sicherstellen, daß der Müll nicht unkontrolliert vagabundiert. Deswegen die Genehmigungspflicht. Wir verankern den Grundsatz, daß der Müll dort beseitigt werden muß, wo er erzeugt wird. Wir verlangen die besondere Kennzeichnung der Transporte. In der Tat - das war Ihre Anregung, der wir gefolgt sind - wollen wir, daß die Unternehmen, die zur Einrichtung von Betriebsbeauftragten verpflichtet sind, dieser VerDr. Hirsch pflichtung auch wirklich nachkommen. Diese Einrichtung muß also durchgesetzt werden. Das alles ist eine Teillösung sehr viel umfangreicherer Probleme, denen man nur schrittweise näherkommen kann und bei denen wir voraussagen müssen, daß, wenn sich der Zuwachs an Müll in diesem enormen Umfang fortsetzt, die Antwort des Gesetzgebers ein Eingreifen in die Produktionsmechanismen selber sein wird. Das ist ein Weg, den man nicht wollen kann, den man der produzierenden Wirtschaft aber deutlich machen muß, damit sie erkennt, worüber wir in Wirklichkeit reden. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Leeres Haus! ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß zwei Damen hier sind. ({0})

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann diesen drei faszinierenden Reden eine vierte hinzufügen - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten. Die Bundesregierung hat mit ihrem Entwurf einer Dritten Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes einen längst fälligen Schritt getan. Die Suche nach den verschwundenen 41 Fässern aus Seveso - auch das ist hier schon gesagt worden - hat auch in der Bundesrepublik die Lücken des bestehenden Abfallbeseitigungsgesetzes drastisch vor Augen geführt. Hiergegen etwas zu unternehmen, ist allerdings höchste Zeit. Der erste Schritt hierzu ist die Reglementierung der grenzüberschreitenden Sonderabfallbeseitigung. Die GRÜNEN begrüßen es daher ausdrücklich, daß dieses Problem jetzt mit einer Vorschaltnovelle gelöst werden soll. ({0}) Aber freuen Sie sich nicht zu früh! Der vorliegende Entwurf einer Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes ist aus unserer Sicht daher zunächst einmal unter zwei Aspekten zu prüfen: Erstens. Reichen die hier vorgeschlagenen Maßnahmen und Reglementierungen aus, um das Problem in den Griff zu bekommen? Zweitens. Wie könnte oder müßte dieses Problem im Rahmen eines ökologischen Gesamtkonzepts gelöst werden? Zum ersten. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung den freien Warenverkehr mit Sonderabfällen mit einer entsprechenden Rechtsverordnung unter das Abfallbeseitigungsgesetz stellen will. Damit wird ein entscheidender Schritt gegen die bisherige Praxis eingeleitet, Sonderabfälle schlicht als Ware zu deklarieren und somit unkontrolliert über die Landesgrenze zu verschieben. Zu begrüßen ist auch das Festschreiben einer Genehmigungspflicht für Import, Export und Transit von Abfällen in der Bundesrepublik. Hier haben in der Vergangenheit die größten Lücken bestanden, die ja auch bestimmte Abfallbeseitiger zu kriminellem Handeln aus der Sicht des Umweltschutzes geradezu verleitet haben. Auch eine entsprechende Kennzeichnung der Abfall transportierenden Fahrzeuge ist schon lange überfällig. Das Bemühen, das hinter diesen Vorschlägen erkennbar wird, ist sicherlich zu begrüßen. Dennoch sind die GRÜNEN der Meinung, daß die vorgeschlagene Novelle nicht ausreicht, um die selbst von Innenminister Zimmermann geäußerten Zielvorstellungen über Abfallvermeidung und Abfallverwertung sowie über die vorrangige Beseitigung im Entstehungsland zu realisieren. Ich will dies an einigen Punkten festmachen. Erstens. Die Abfallverwertung ist noch immer nicht integraler Bestandteil des Abfallbeseitigungsgesetzes. Nach der vorgeschlagenen Novelle ist es einem Abfallbesitzer möglich, seine Abfälle zu exportieren, ohne daß er sich um eine Verwertung im eigenen Land bemühen müßte. So ist z. B. in § 13 Abs. 1 Nr. 4 vorgesehen, daß die Ausfuhr von Abfällen aus der Bundesrepublik genehmigt werden kann, wenn in diesem oder anderen Bundesländern „keine geeigneten Abfallbeseitigungsanlagen ... zur Verfügung stehen"; ich betone hier den Wortbestandteil „-beseitigungsanlagen". Von Verwertungsanlagen ist leider nicht die Rede. Da lohnt es sich doch sicherlich für Abfallbesitzer, ihren Abfall in ein anderes Land zu verbringen, das im übrigen mit Dumpingpreisen lockt, statt sich im eigenen Land um die Verwertung zu bemühen. Zweitens. Der Export von Abfall soll sogar genehmigt werden dürfen, wenn die Benutzung von landeseigenen Abfallbeseitigungsanlagen eine - und jetzt zitiere ich das Gesetz - „unbillige Härte" darstellte. Was ist eine „unbillige Härte"? Das haben wir doch schon oft gehört. Das ist doch wieder dieses verdammte Schlupfloch. Das mißt sich doch in Heller und Pfennig. Konkret heißt das, daß z. B. norddeutsche Sonderabfallexporteure ihren Abfall weiter in der DDR loswerden dürfen. In der Begründung zu diesem Paragraphen schreibt die Bundesregierung doch auch explizit: Hier würde etwa der ständige Transport großer Mengen hausmüllähnlicher Abfälle aus Stadtstaaten über lange Transportwege in andere Bundesländer gegenüber einer Nutzung von Abfallbeseitigungsanlagen der DDR im Einzugsbereich dieser Städte als unbillige Härte zu betrachten sein. Was heißt das im Klartext? Die Dritte Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes ist eine Lex Schönberg. Die Sonderabfallbeseitigungsanlage in Schönberg in der DDR ist schon seit Jahren Gegenstand heftigster Kontroversen zwischen der schleswig-hol6946 steinischen Landesregierung, dem Lübecker Senat und den Lübecker Umweltinitiativen. Es liegen zwei Gutachten vor, die auf die Problematik der Sonderabfallbeseitigung an diesem Standort und auf die Gefährdung des Lübecker Grund- und Trinkwassers hinweisen. Sogar der Lübecker Senat hat erhebliche Bedenken gegen diesen Deponiestandort, zumal man auf Treu und Glauben auf die Auskünfte der DDR angewiesen ist. Wie problematisch dies sein kann, hat sich im Sommer dieses Jahres gezeigt. Obwohl nach Positiv/Negativ-Katalog dioxinhaltige Abfälle von der Ablagerung ausgeschlossen sind, nahm die Deponie weiterhin dioxinhaltige Flugaschen zur Ablagerung an - obwohl spätestens seit Anfang dieses Jahres jedermann über die Dioxinhaltigkeit derartiger Abfälle informiert war. Hinzu kommt, daß diese Deponie im Vergleich mit bundesdeutschen Einrichtungen ähnlicher Art zu Dumping-Preisen deponiert, was andere bundesdeutsche Abfallbeseitiger wirtschaftlich benachteiligt. Die GRÜNEN können sich daher nicht damit einverstanden erklären, daß trotz erkennbarer Bemühungen zur Eindämmung des Abfallexportes das große Abfalloch Schönberg in der DDR offengehalten werden soll. Die DDR selber plant inzwischen, ihren Erfolg von Schönberg in weiteren ähnlichen Anlagen, z. B. bei Potsdam, auf Kosten langfristig gesehen sicherer Gesundheits- und Umweltschäden zu vergrößern. Drittens. Es ist erstaunlich, daß von seiten derjenigen, die noch im Laufe dieses Jahres eine großartige Erklärung über „Unsere Verantwortung für die Umwelt" verabschiedet haben, in den Gesetzestext nachher nur ein Spurenelement davon eingeht. Einzige Sorge ist, daß von der Beseitigung im Empfängerstaat keine Beeinträchtigung für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ausgehen darf - eine neue Variante von Kirchturmpolitik. ({1}) Eine Verantwortung für die vom Transit betroffenen Staaten und die von der Endlagerung betroffene Bevölkerung im Empfängerstaat wird abgelehnt. Mit dieser Philosophie ist es nach wie vor möglich, in Staaten, die auf Devisen angewiesen oder scharf sind, Sonderabfälle zu exportieren, nur, weil die dortige Regierung entsprechende Persil-Scheine ausstellt. Dies erinnert an das Standbild der drei Affen: Nichts sehen! Nichts hören! Nichts wissen wollen! ({2}) Zu der Frage, ob die angepeilten Maßnahmen ausreichen, möchte ich noch einen letzten Punkt herausgreifen: die sogenannte Beseitigung von Abfällen auf hoher See, z. B. die Dünnsäureverklappung in den Atlantik. Die GRÜNEN lehnen die Beseitigung von Abfällen auf hoher See vollständig ab. ({3}) Daher ist es ihnen nicht möglich, einem Entwurf zuzustimmen, der den Im- oder Export oder Transit mit dem Ziel einer Beseitigung auf hoher See genehmigt. Wenn sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene schon mit dem Reinheitsgebot für Bier durchsetzen will, warum kann sie dies nicht auch mit einem Reinheitsgebot für die Nordsee? ({4}) Nun zum zweiten Aspekt. Wir müssen das Problem im Rahmen eines ökologischen Gesamtkonzeptes lösen. Ein ökologisches Gesamtkonzept, das davon ausgeht, daß Abfälle vorrangig zu vermeiden und, wenn dies nicht möglich ist, zu vermindern und zu verwerten sind, bedarf im Prinzip keiner weiteren Regelung des Abfallexportes. Er sollte schlichtweg nicht mehr nötig sein. Von dieser Utopie sind wir jedoch weit entfernt. Aber man hätte schon in der Dritten Novelle die Weichen stellen können. So hätte man z. B. die Nutzung von Verwertungsanlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes vorschreiben können vor der Beseitigung im Ausland. Auch hätte man eine stufenweise Reduzierung des Abfallaufkommens bei den antragstellenden Firmen festschreiben können. Abfälle sollten vermehrt rückholbar gelagert werden, damit sie einer späteren Verwertung, wenn die technologische Entwicklung soweit fortgeschritten ist, zugeführt werden können. Sind die Abfälle erst einmal ins Ausland verbracht, so entziehen sie sich einer Wiederverwertung in diesem Lande. Abfälle sind - das hat der Kollege Hirsch eben schon richtig konstatiert - Rohstoffe am falschen Platz. Niemand würde auf die Idee kommen, Rohstoffe zu exportieren und dafür auch noch zu bezahlen. Hier muß ein rigoroses Umdenken erfolgen und zu schnellem Handeln der Gesetzgeber führen. Abschließend möchte ich eines feststellen. Die GRÜNEN erkennen klar die Notwendigkeit einer strengeren Reglementierung der Abfallströme, da, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, die derzeitige Handhabung bei weitem nicht ausreicht. Andererseits sind ihnen die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht weitgehend genug. Einige Dinge, wie z. B. der Sondermüllexport in die DDR und die Abfallbeseitigung auf hoher See, sind für die GRÜNEN nicht kompromißfähig. Die GRÜNEN können den vorgeschlagenen Entwurf nicht mittragen, sehen aber auch, daß es dringend notwendig und an der Zeit ist, in Brüssel mit den hier vorgesehenen Maßnahmen eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Deswegen werden die GRÜNEN sich hier bei der Abstimmung zu dem vorgelegten Entwurf enthalten. Wir werden in Kürze einen eigenen Entwurf zur Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes, der sich nicht nur mit dem Transportproblem beschäftigt, sondern eine umfassende Neuorientierung der Abfallwirtschaft vorsieht, vorlegen. Schönen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger. ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bemühe mich. Wenn der Herr Kollege Wartenberg die eine oder andere Berner-kung unterlassen hätte, hätte ich mich kürzer fassen können. Deswegen muß ich kurz gleich darauf eingehen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wartenberg, Sie sagten auf die Tatsachenbehauptung vom Kollegen Schmidbauer, daß die Bundesrepublik Deutschland mit diesem Gesetz eine Schrittmacherrolle in Europa übernommen habe, das sei großkotzig. Ich möchte mich vorsichtig ausdrücken: Das läßt auf eine zumindest sehr beschränkte Kenntnis der Situation in Europa schließen. Wenn Sie die Presse verfolgt hätten, wenn Sie in Brüssel rückgefragt hätten und wenn Sie sich hier sachkundig gemacht hätten, hätten Sie gewußt, welche ungeheuren Schwierigkeiten hier zu überwinden waren. Die Schwierigkeiten wurden überwunden, und die Zustimmung der Mehrheit des Hauses macht ja deutlich, daß die Position der Bundesregierung sehr fortschrittlich ist. Wenn Sie sagen, das sei nur ein kleiner Schritt auf dem Weg, daß Abfallberge uns nicht über den Kopf wachsen, dann, meine ich, ist das weniger ein Appell an die Bundesregierung, sondern wohl eher ein Appell an die hessische Landesregierung, ihre entsprechende Vereinbarung mit den GRÜNEN dort aufzukündigen. Denn genau das, was Herr Sauermilch beklagt hat - dieser Abfalltourismus - wird durch diese nach allen Informationen jedenfalls in Hessen bevorstehende Müllkatastrophen ausgelöst. ({0}) Also erst in der eigenen Zuständigkeit handeln, bevor man hier die Bundesregierung und die Entscheidung der sie tragenden Parteien kritisiert! ({1}) Mit diesem Vorschaltgesetz werden die notwendigen politischen und rechtlichen Konsequenzen aus den Erfahrungen mit den Seveso-Abfällen gezogen. Die Grundprinzipien dieses Gesetzentwurfes haben nicht nur die Zustimmung der Ausschüsse des Bundestages, Herr Schäfer, gefunden. Das Europäische Parlament hat es in ähnlicher Form übernommen, Rechtsexperten aus aller Welt haben dem bei einer Konferenz im Februar 1984 in München ebenfalls zugestimmt. Die Europäische Gemeinschaft hat sich hier schwerer getan. Ich sagte es schon, die Diskussionen waren sehr hart, weil unter dem Gesichtspunkt des unbehinderten Warenverkehrs einzelne Staaten sich weigerten, eine solche Regelung zu übernehmen. Wir haben uns dieser Auffassung entgegengestellt. Es kam dann nach langen Verhandlungen zu einer Richtlinie, die den Prinzipien des Umweltschutzes Rechnung trägt. Sie legt beim grenzüberschreitenden Verkehr die Verantwortung des jeweiligen EG-Empfängerlandes eindeutig fest. Wenn also nun Abfälle aus der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich beseitigt werden sollen und die französischen Behörden dieses Vorhaben nach Maßgabe der Richtlinie bestätigen, betrachten wir dies, Herr Kollege Wartenberg, als eine Genehmigung im Sinne unserer Rechtsordnung. Das ist also insofern rechtlich abgeklärt. Allerdings: Auch wenn diese Bestätigung vorliegt, darf der Abfall nicht nach Frankreich verbracht werden, soweit Abfallbeseitigungspläne der Länder entgegenstehen. Die Richtlinie berücksichtigt damit den Standpunkt der Bundesregierung, daß gefährliche Abfälle grundsätzlich dort beseitigt werden müssen, wo sie anfallen. Wieweit der Grundsatz der Abfallbeseitigung im Land der Abfallentstehung verwirklicht werden kann, hängt entscheidend von der Bereitschaft der einzelnen Bundesländer ab, ihre seit 1972 bestehenden Verpflichtungen zur Planung und Errichtung einer leistungsfähigen Sonderabfallbeseitigung zu erfüllen. Der Abfall-Tourismus entwickelt sich nun einmal am besten dort, wo die erforderlichen Entsorgungseinrichtungen fehlen oder eine Abfallpolitik gemacht wird, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Die Industrie und die Entsorgungswirtschaft verlangen zu Recht, daß einmal ergangene Planfeststellungsbeschlüsse auch in die Praxis umgesetzt werden können. Es wäre ein schwerer Fehler, bei der Entsorgung von Abfällen nur auf die guten Dienste oder die Nothilfe der ausländischen Nachbarn zu hoffen. Auch bei denen setzen sich immer deutlicher stärkere Anforderungen an die umweltverträgliche Abfallbeseitigung durch, die wir entwickelt haben. In Zukunft werden wir deshalb unsere Abfälle in anderen Staaten immer schwerer - vor allem auch immer teurer - beseitigen können. In diese Abhängigkeiten sollten wir uns jedoch nicht begeben. Meine Damen und Herren, es ist modern, der Sonderabfallbeseitigung, aber auch den Hausmülldeponien und den Müllverbrennungsanlagen den Stempel „Seveso" aufzudrücken. Natürlich ist es richtig, wenn bestehende Mißstände aufgedeckt werden. Man kann aber davon ausgehen, daß die hierfür zuständigen Behörden der Länder allen Hinweisen nachgehen und die erforderlichen Maßnahmen zur Abhilfe treffen. Falsch ist es aber, wenn bestimmte Agitations- und Horrorspezialisten den Eindruck erwecken, nur ein Atomkrieg sei bedrohlicher als die von Industrieabfällen ausgehenden Gefahren. Das Bundesministerium des Innern hat wiederholt darauf hingewiesen, daß es nicht nur darauf ankommen kann, die bestehenden Vorschriften zur Überwachung weiter auszubauen. Noch viel wichtiger ist es, die bestehenden Anlagen vor Ort personell besser auszustatten und mit technischem Überwachungsgerät zu versehen. Wer hier spart, schafft die Altlasten von morgen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs übernimmt die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Europäischen Gemeinschaften erneut die Vorreiterposition. Die Bundesregierung hat mit der Vorlage der Dritten Novelle bewirkt, daß die EG ein einheitliches Kontrollverfahren für die grenzüberschreitende Beseitigung gefährlicher Abfälle entwickelt. Der heutige Beschluß des Bundestages ermöglicht es, daß unser Beitrag für Europa auch auf diesem wichtigen Gebiet des Umweltschutzes geleistet werden kann. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 bis 23 auf: 18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften - Drucksache 10/2114 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß 19. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes - Drucksache 10/1306 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes - Drucksache 10/1641 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 6. November 1982 - Drucksache 10/2119 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Juni 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 10/2121 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit 23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlaß- und Erbschaftsteuern in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 20. Januar 1984 - Drucksache 10/2115 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/2114, 10/1306, 10/1641, 10/2119, 10/2121 und 10/2115 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Ihnen vorliegenden Tagesordnung. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Rücknahme der Ablehnung des hessischen Existenzsicherungsprogramms für kleine und mittlere Grünland- und Futterbaubetriebe durch die EG-Kommission - Drucksache 10/2082 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/2082 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist somit so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25a, 25b und den Zusatzpunkt 3 auf: 25. a) Beratung der Sammelübersicht 49 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/2109 - Vizepräsident Stücklen b) Beratung der Sammelübersicht 50 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/2130 Zusatzpunkt 3: Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/2138 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 49, 50 und 51 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses ({5}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 10/2137 Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2137, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung eines Grundstücks in BerlinSpandau - Drucksache 10/2139 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Das Wort wird ebenfalls nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/2139 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Andere Vorschläge gibt es nicht. - Sie sind damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. Oktober 1984, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.