Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Februar 1984, ab 1. Januar 1986 nur noch abgasentgiftete Kraftfahrzeuge neu zuzulassen
auf.
Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalition muten dem Bundestag in der Frage der abgasarmen Kraftfahrzeuge ein zweites Buschhaus zu.
({0})
Wie im Fall Buschhaus folgen großartigen Ankündigungen zunächst ein chaotisches Hin und Her und dann der kleinlaute Rückzug. Wie im Fall Buschhaus mißachten Sie eine auf Ihren Antrag auch mit Ihren Stimmen nahezu einstimmig verabschiedete Entschließung des Deutschen Bundestages.
({1})
Wie im Fall Buschhaus wollen Sie weitere Zerstörungen unserer Umwelt in Kauf nehmen, obwohl Sie nach dem Stand der Technik vermieden werden könnten.
({2})
Wir alle wissen heute, daß unsere Wälder von einer tödlichen Gefahr bedroht sind.
({3})
Wir wissen, daß 1982 knapp 8 %, 1983 aber schon
annähernd 35 % aller Waldflächen in der Bundesrepublik geschädigt waren. Wir wissen, daß der Prozentsatz 1984 noch höher liegen wird. Wir wissen, daß wir alle - ich betone: wir alle - besser schon früher auf die Warnungen derer gehört hätten, die das bereits in den 70er Jahren vorausgesagt haben. Wir wissen auch, daß die giftigen Autoabgase eine wesentliche Ursache des Waldsterbens sind.
({4})
In der Entschließung vom 9. Februar 1984 haben wir darauf gemeinsam eine entschiedene, eine richtige Antwort gegeben. Wir haben gemeinsam verlangt, es müsse sichergestellt werden, daß ab dem 1. Januar 1986 nur noch Kraftfahrzeuge neu zugelassen werden, bei denen die Schadstoffemissionen um rund 90 v. H. reduziert werden.
({5})
Meine Damen und Herren von der Koalition, warum geben Sie diese Antwort preis? Warum verlängern Sie die Frist, in der unsere Wälder weiterhin den zerstörenden Wirkungen der Abgase ausgesetzt sind?
({6})
Ist denn all das, was Sie und vor allem Ihr Ankündigungsminister Herr Zimmermann in der Debatte vom 9. Februar 1984 und auch danach gesagt haben, auf einmal nicht mehr richtig?
({7})
Jetzt behaupten Sie, die deutsche Automobilindustrie werde ruiniert, wenn es bei dem von Ihnen selbst geforderten Termin bleibt. Aber das ist doch abwegig. Die Verbandssprecher haben solche Behauptungen noch jedesmal aufgestellt, und sie waren noch jedesmal falsch. Außerdem, warum stellen wir unsere Industrie als weniger leistungsfähig dar als sie ist? Die deutsche Autoindustrie produziert doch schon seit Jahren abgasarme Kraftfahrzeuge für den Export nach den Vereinigten Staaten und nach Japan. Und die Degussa ist inzwischen der größte Katalysatorhersteller in Europa. Wie wollen Sie im Ernst behaupten, daß die deut6148
sehe Industrie zur Bewältigung dieses Problems nicht fähig sei!
({8})
Sie behaupten, ein nationaler Alleingang in der EG sei nicht möglich. Aber auch der Termin, den Sie jetzt nennen, bedeutet doch einen Alleingang. Und wenn die anderen 1988 oder 1989 nicht akzeptieren, wollen Sie dann den Termin noch weiter hinausschieben? Der Art. 36 der Verträge gibt uns doch die Befugnis zu einer nationalen Regelung. Herr Dregger spricht sogar von einem nationalen Notstand. Was wollen Sie denn eigentlich an Begründung noch mehr verlangen?
({9})
Sie sind j a, meine Damen und Herren, auch sonst gar nicht zimperlich mit nationalen Alleingängen, etwa bei den Milliardensubventionen für die Landwirtschaft, bei denen Sie sich sogar über geltendes EG-Recht hinwegsetzen, weil Sie es politisch für begründet halten,
({10})
oder beim Reinheitsgebot für unser Bier, um das Sie - ich begrüße das - sogar vor dem Europäischen Gerichtshof kämpfen. Warum kämpfen Sie nicht für unsere Wälder vor dem Europäischen Gerichtshof?
({11})
Außerdem: All Ihre klugen Reden - ist Ihnen das alles erst jetzt eingefallen? Hat denn der forsche Herr Zimmermann, der ja als erster den 1. Januar 1986 für die Bundesregierung angekündigt hat, das alles nicht gewußt? Was soll man einem Minister, der so leichtfertig argumentiert, eigentlich überhaupt noch glauben?
({12})
Nein, das sind Ausflüchte. Die Wahrheit ist: Sie sind einmal mehr umgefallen. Sie haben einmal mehr das Parlament für eine Propagandaentschließung mißbraucht, die Sie, wenn es ernst wird, wie Makulatur behandeln.
Das zeigt, meine Damen und Herren, was Sie vom Parlament halten. Das ist ein spezieller Beitrag zur Selbstverständnisdebatte, die wir heute nachmittag führen wollen. Auf diesen Beitrag wird zurückzukommen sein.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gestrige Entscheidung der Bundesregierung über die Einführung des umweltfreundlichen Kraftfahrzeugs
ist ein weiterer realistischer Schritt unserer Umweltpolitik.
({0})
Dies paßt der Opposition natürlich nicht ins Konzept, und sie sucht nach dem bekannten Haar in der Suppe, um vom Erfolg unserer Politik abzulenken.
({1})
Sie haben hier nichts weiter vorzubringen als das Argument Buschhaus. Das haben Sie bis heute nicht kapiert; nur die Gewerkschaft. Sie sollten sich dort einmal erkundigen, was es mit Buschhaus auf sich hat.
Keiner aus den Reihen der Opposition hat vor dem Kabinettsbeschluß im Juli des vergangenen Jahres diesen Weg gesehen oder vorgeschlagen. Wir wollen das ganz nüchtern festhalten.
({2})
Der Kollege Hauff jammerte noch in der letzten Woche bei seiner Rede vom 13. September über das Unvermögen der damaligen Bundesregierung im Jahre 1971 und führte aus, daß die SPD nur am Widerstand der Automobilindustrie gescheitert sei, denn sonst hätte sie - so der Kollege Hauff - schon damals neue Grenzwerte eingeführt.
({3})
- Das müssen Sie gerade sagen. Auf so intelligente Zwischenrufe gehe ich nicht ein.
({4})
Schreien Sie doch ein bißchen deutlicher!
Dies, meine Damen und Herren, war vor 13 Jahren. Andere Länder wie die USA und Japan haben gerade in diesem Zeitraum gezeigt, daß es möglich war, Lösungen aufzuzeigen und neue Technologien einzuführen. Sie hätten ja nichts anderes tun müssen, als nur zu kopieren. Sie haben das nicht getan.
({5})
Es wäre j a schon genug gewesen, wenn Sie damals als Fraktion einen Antrag eingebracht hätten.
({6})
Wir, meine Damen und Herren, sind - Sie werden immer nervöser - nach 15 Monaten wesentlich weiter. Wir werden in Stufen ab 1985 - nicht immer diese magische Zahl 1986 - bis 1987 bzw. 1988 das schadstoffarme Auto eingeführt haben, d. h. umweltfreundliche Fahrzeuge mit 90 % weniger Schadstoffen. Wir werden alle Fahrzeuge, die den neuen Normen entsprechen, ab Mitte 1985 für einen Zeitraum von - je nach Hubraum - vier bis zehn Jahren von der Kraftfahrzeugsteuer befreien.
Wir werden den Kauf herkömmlicher Autos durch Kraftfahrzeugsteuererhöhungen unattraktiver machen und auch die sogenannten Altfahrzeuge steuerlich anheben. Wir werden die Mineralölsteuer so gestalten, daß bleifreies Benzin keinesfalls teurer sein wird als bleihaltiges.
Groteskerweise - dies hat der Herr Oppositionsführer hier eben gemacht - hebt die Opposition auf einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ab, ohne ihn aber genau zu lesen, und versteift sich prompt auf einen fixen Termin, nämlich den 1. Januar 1986.
({7})
- Hätten Sie den Entschließungsantrag genau gelesen, dann wäre Ihnen klar geworden, daß die Bundesregierung, entsprechend dem Antrag, bemüht war, wie vorgesehen, nationale Regelungen europaweit durchzusetzen.
({8})
- Lesen Sie den Spiegelstrich unten, der dazugehört!
({9})
So gesehen ist die getroffene Kabinettsentscheidung, bereits 1985 das umweltfreundliche Auto einzuführen,
({10}) der einzig richtige und realistische Weg.
({11})
Meine Damen und Herren der Opposition, was soll zu diesem Zeitpunkt das Gerede um eine gemeinsame Umweltpolitik, wenn Sie sich heute um Sachargumente drücken und sich lediglich an einem Datum festbeißen?
({12}) Unterstützung sieht wohl anders aus.
({13})
Helfen Sie doch mit, statt ständig nur zu lamentieren! Die Bundesregierung ist im Umweltschutz der Schrittmacher und Vorreiter in Europa.
({14})
Wir wissen sehr wohl, daß unsere getroffenen Entscheidungen nur eine begrenzte Wirkung haben, solange die übrigen Partner in der EG nicht mitziehen und nicht nachziehen. Die bisherigen Vorschläge der EG-Kommission sind, gemessen an unseren Entscheidungen, nicht zu akzeptieren. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung nachdrücklich, eine europaweite Einführung des schadstoffarmen Autos möglichst schnell zu erreichen. Jetzt hat die Europäische Gemeinschaft eine Chance; sie ist am Zuge, mit uns gemeinsam als Motor und nicht als Bremse zu wirken. Die EG muß erkennen, daß die Lobbyisten ihre Tätigkeit von Bonn nach Brüssel verlagert haben. Sie sind in
Bonn gescheitert, sie müssen auch in Brüssel scheitern.
({15})
Meine Damen und Herren von der Opposition -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Darf ich die Bitte äußern, bei der Aktuellen Stunde mit den Zwischenrufen etwas zurückhaltender zu sein; denn der Redner kann bei fünf Minuten Redezeit ja nicht auf die Zwischenrufe eingehen. Deshalb sollte man ihm die fünf Minuten wirklich gönnen, damit er sich frei aussprechen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ehmke ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Zunächst möchte ich auf einen Ausdruck eingehen, den Herr Kollege Schmidbauer soeben in die Debatte geworfen hat, der in der Katalysatordiskussion immer wieder eine Rolle spielt: das sogenannte umweltfreundliche Auto. Meine Damen und Herren, es gibt einfach kein umweltfreundliches Auto,
({0})
wenn man die ganzen negativen Umweltfolgen bedenkt, die das Auto hervorruft. Es braucht Straßen und vernichtet damit die Lebensräume von Tieren und Pflanzen,
({1})
es erzeugt Lärm, es verbraucht Energie usw. Wenn man das alles bedenkt, muß man einfach sagen: Es gibt kein umweltfreundliches Auto, und wir lassen uns diesen Begriff jedenfalls nicht aufnötigen.
({2})
- Seien Sie doch vorsichtig! Sie werden schon noch Ihr Fett wegkommen.
Erster Aspekt. Was bringen die Beschlüsse der Bundesregierung von gestern tatsächlich für die Umwelt? Die dramatische Entwicklung der Schäden in den Wäldern und bei der Gesundheit ist vorhin schon dargestellt worden. Ich glaube, es ist mit wenigen Ausnahmen auch allgemein anerkannt, welche dramatische Entwicklung hier stattgefunden hat. Auch daß das hauptsächlich auf die Abgase der Autos zurückzuführen ist, brauche ich hier nicht mehr weiter auszuführen. Wichtig ist die Erkenntnis, daß es ganz entscheidend darauf ankommt, daß möglichst schnell gehandelt wird. Der entscheidende Zeitraum liegt bis zum Jahr 1990. Wir stehen in einem Wettlauf mit der Zeit; der Wald wartet nicht, bis alle Autos mit Katalysatoren aus6150
Dr. Ehmke ({3})
gestattet sind. Er stirbt heute und morgen und nicht erst ab 1989.
({4})
Deshalb muß man sagen, daß die Maßnahmen der Bundesregierung viel zu spät greifen und dem Wald nicht helfen werden. Haben Sie denn mal ausgerechnet, Herr Kollege Schmidbauer, wie lange es dauert, bis sämtliche Fahrzeuge mit Katalysatoren ausgerüstet sein werden? Haben Sie mal festgestellt, daß mit Ihrem Beschluß der Stickoxidausstoß bis 1990 nur um klägliche 400 000 t pro Jahr vermindert wird?
({5})
Wenn Sie jetzt sagen, Sie seien der Schrittmacher in Europa in dieser Frage, muß man der Öffentlichkeit klar und deutlich sagen, daß Sie mit Ihrem gestrigen Beschluß bis 1990 viel mehr Stickoxid ausstoßen werden als Frankreich und Italien, die auf ihren Straßen eine Geschwindigkeitsbegrenzung haben.
({6})
Rechnen Sie das einmal aus; dann werden Sie das merken.
({7})
Meine Damen und Herren, wenn wir bis 1990, in dieser wichtigen Phase, einen spürbaren Beitrag zur Luftentgiftung leisten wollen, können wir das nur dadurch erreichen, daß wir eine möglichst frühzeitige Einführung das Katalysators, also die Einführung im Jahre 1986, mit sofort wirksamen Entgiftungsmaßnahmen kombinieren: Geschwindigkeitsbegrenzung, Einführung von zwölf autofreien Sonntagen und Güterverlagerung von der Straße auf die Schiene. Dies würde im selben Zeitraum, also bis 1990, gegenüber dem, was die Regierung jetzt mit ihrem verhungerten Katalysatorkonzept beschlossen hat, eine achtmal so starke Minderung des Stickoxidausstoßes bewirken.
({8})
420 000 t gegenüber 3,2 Millionen t, das ist die Alternative!
({9})
- Nein, das ist keine Theorie, das ist berechnet, auch vom Umweltbundesamt. An jedem Tag, an dem Sie das Tempolimit nicht einführen, werden 740 t Stickoxid unnötig in die Luft geblasen.
({10})
Aber Sie haben das Tempolimit - wider besseres Wissen, möchte ich sagen - zum Tabu erklärt. Die in der Koalition tonangebenden Automobilideologen verdrängen die klar für unser Konzept sprechenden Fakten, die ihnen von Behörden und Instituten vorgelegt werden, und verschanzen sich hinter den falschen Zahlen des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie, mit denen der Innenausschuß nachgewiesenermaßen angelogen wurde. Dabei ist ein zusätzliches frühzeitiges Tempolimit um so wichtiger, je später der Katalysator kommt.
Deshalb möchte ich heute meinen alten Vorschlag erneuern, dann wenigstens ab 1985 einen ein- oder zweijährigen Großversuch mit Tempo 80 und Tempo 100 durchzuführen, um die Daten für eine endgültige Entscheidung zu beschaffen. Wenn Sie immer wieder behaupten, es lägen zu wenige Zahlen vor, warum verschließen Sie sich dann einem Großversuch, den man jederzeit revidieren kann?
Ich möchte Ihnen zum Schluß nur noch eines zu bedenken geben: In dieser Frage vertreten wir nicht bloß 5,6 % der Bevölkerung, sondern weitaus mehr als 50 %.
({11})
Ich erinnere nur daran, daß gestern die Waldbauern im Schwarzwald begriffen haben, was Ihr Beschluß eigentlich bedeutet, nämlich das Aus für den Wald. Obwohl diese Waldbauern nicht gerade die geborenen Demonstranten sind, haben sie sich gleich aufgemacht und haben das Kinzigtal im Schwarzwald blockiert.
({12})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde hat nur dann wirklich einen Sinn, wenn die SPD auf den Weg der Wahrheit zurückfindet, Herr Kollege Vogel.
({0})
Sie als Opposition geben seit Tagen die Parole aus, die Bundesregierung setze sich über einen Bundestagsbeschluß hinweg. Das ist Ihr Ansatzpunkt.
({1})
Aber die Wahrheit ist, daß sage und schreibe zehn Bundestagsausschüsse den Bundestagsbeschluß vom 9. Februar vorbereitet hatten und daß neun Bundestagsausschüsse dem federführenden Innenausschuß ihre Stellungnahmen und Empfehlungen vorgelegt hatten.
Die Wahrheit ist auch, meine Damen und Herren, daß der Innenausschuß die ausdrückliche Empfehlung des Verkehrsausschusses des Bundestages, nämlich genau das zu tun, worauf Sie, Herr Hauff, sich seit Tagen berufen, und zwar den 1. Januar 1986 in jedem Falle zu halten, also dann, wenn die EG-Partner nicht mitziehen, einen nationalen Alleingang mit einem Pilotprojekt zu unternehmen, aus guten Gründen eben nicht übernommen hat.
({2})
Meine Damen und Herren, genau diese entscheidende Forderung hat der Innenausschuß gestrichen, und genau diese entscheidende Passage hat, Herr Hauff, auch der Deutsche Bundestag nicht übernommen, denn er hat Wort für Wort den Text des Innenausschusses beschlossen.
Dieser Text verlangt - das kann ja jeder nachlesen, auch bei den Medien - statt eines nationalen Alleingangs, also statt eines Festhaltens am 1. Januar 1986 um jeden Preis, ausdrücklich, daß der Termin zur obligatorischen Einführung abgasarmer Autos in allen EG-Ländern zeitgleich als, wie es heißt, internationale Lösung durchgesetzt werden soll. Aber genau das ist zum 1. Januar 1986 nicht möglich.
({3})
Denn inzwischen steht ja fest, Herr Vogel, daß die EG-Partner zu diesem Termin nicht bereit sind, daß sie auch keinen 86er-Alleingang dulden,
({4})
daß sie statt dessen klagen würden. Wer will denn von Ihnen, meine Damen und Herren, wirklich ernsthaft bestreiten, daß dann zumindest die akute Gefahr besteht, daß die Kläger per Einstweiliger Anordnung des Europäischen Gerichtshofs den deutschen Termin und Alleingang „kassieren", bevor er überhaupt begonnen hat?
Das, was wir uns, meine Damen und Herren, einhandeln würden, sind Einfuhrbeschränkungen für unsere exportabhängige Automobilindustrie, sind Arbeitsplatzverluste auf breiter Front. Eben dies nicht zu riskieren, hat den Innenauschuß, hat den Bundestag veranlaßt, gerade nicht den 1. Januar 1986 als festen Termin um jeden Preis verbindlich anzukündigen. Aber angekündigt
({5})
hat ihn der Bundesinnenminister, unterstützt - und sagen wir das ehrlich dazu - von allen Fraktionen und allen Parteien.
({6})
Und glauben Sie doch nicht, Herr Vogel und Herr Hauff, daß hier im Deutschen Bundestag auch nur ein einziger Abgeordneter sitzt, der sich nicht - wie auch wir, wie auch ich - einen früheren Termin gewünscht hätte.
({7})
Der Bundestagsbeschluß jedenfalls verlangt ausschließlich, meine Damen und Herren, mit konkreten Vorschlägen auszuloten, was in Europa geht und was nicht geht. Und genau dies ist geschehen; das Ergebnis steht im Kabinettsbeschluß.
Dies, meine Damen und Herren, sind die wirklichen Zusammenhänge. Es wäre gut gewesen, Herr Hauff, Sie hätten diese Zusammenhänge in der Öffentlichkeit korrekt dargestellt, anstatt Kampfparolen auszugeben und dann sogar noch die Selbstachtung des Parlaments zu bemühen. Dann hätten wir uns diesen Streit hier heute sparen können. Kommen Sie zur Wahrheit zurück!
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
Der Gegenstand, über den wir heute morgen in der Aktuellen Stunde beraten, ist nach unserer Auffassung - ich denke, nach unserer gemeinsamen Auffassung - zu ernst, um sich in Haarspaltereien zu begeben.
({1})
Ich will deswegen, Herr Kollege Hoffie, auf Ihren Beitrag eingehen, indem ich die Drucksache 10/870 zur Hand nehme
({2}) und daraus vorlese,
({3})
was wir auf Grund einer gemeinsamen Beschlußempfehlung vom 30. November 1983 des Innenausschusses des Deutschen Bundestags gemeinsam beschlossen haben.
({4})
Es heißt dort:
Zur Verminderung der Schadstoffe in Autoabgasen sind ... spätestens Anfang 1984 dem Deutschen Bundestag die Entwürfe notwendiger oder förderlicher Gesetzes- oder Verordnungsänderungen zuzuleiten, mit denen sichergestellt wird,
- Herr Kollege Hoffie daß ... ab 1. Januar 1986 nur noch Kraftfahrzeuge neu zugelassen werden,
({5})
die der in den USA vorgeschriebenen Norm der Abgaswerte entsprechen und bei denen die Schadstoffemissionen um rd. 90 v. H. reduziert werden;
({6})
Herr Abgeordneter Schäfer - Schäfer ({0}) ({1}): Wem die deutsche Sprache noch -
Herr Abgeordneter Schäfer, ich bitte Sie, doch darauf zu achten, wenn ich Sie unterbreche. - Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von den GRÜNEN, Sie kommen
Vizepräsident Stücklen
j a noch dran; Sie können alle noch auf die Ausführungen des Abgeordneten Schäfer eingehen.
({0})
Bitte, Herr Schäfer, fahren Sie fort.
Ich verstehe ja, daß Sie so reagieren. Ich wollte nur sagen, daß in der Aktuellen Stunde keine Zwischenfragen zulässig sind.
Jetzt will ich aber den letzten Absatz vorlesen, auf den Sie eben so lautstark hingewiesen haben. Da steht:
diese Regelungen zur Grundlage europäischer Initiativen zu machen,
({0}) - Regelungen, die Sie vorlegen sollen mit denen eine zeitgleiche Einführung entsprechender Vorschriften ...
({1})
Diese Regelungen, Entwürfe, Verordnungen, Gesetze sollen ab 1. Januar 1986 verbindlich vorschreiben,
({2})
daß nur noch abgasentgiftete Autos zugelassen werden dürfen. Diese Regelungen sollten Sie zur Grundlage europäischer Initiativen für eine zeitgleiche Einführung machen.
({3})
Meine Damen und Herren, Herr Schmidbauer und Herr Hoffie, lesen Sie einmal Ihre Reden vom 9. Februar im Deutschen Bundestag nach. Da werden Sie keine Andeutung einer solchen Argumentation finden, wie Sie sie eben vorgetragen haben.
({4})
Meine Damen und Herren, es bleibt festzuhalten:
({5})
Es bleibt festzuhalten, Sie haben eine Legende in die Welt gesetzt, nämlich die Legende, Kohl und Zimmermann seien gleichsam personifizierte Markenzeichen für einen effektiven Umweltschutz.
({6})
Dieser Anspruch ist geplatzt.
({7})
Buschhaus und dieser Vorgang sind die Markenzeichen der Umweltpolitik dieser Regierung.
Eigentlich könnte sich eine Opposition darüber nur freuen, wenn wir so eine schlechte Regierung haben. Aber in diesem Fall, wo es um den Wald, um die Umwelt, um die Zukunft unserer Kinder geht,
müssen wir das Versagen der Regierung mit großem Bedauern leider Gottes zur Kenntnis nehmen.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hanz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, daß wir unsere Vorstellungen über Entgiftung der Autoabgase nicht hundertprozentig erfüllen können, nicht aber in erster Linie wegen technischer Probleme, sondern weil uns die EG einfach zur Streckung unseres Programms zwingt.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gehört allerdings schon ein gewisses Stück Unverfrorenheit insbesondere von Sozialdemokraten dazu, die Beschlüsse der Bundesregierung von gestern so herunterzumachen.
({1})
Was haben denn Sie, die Sozialdemokraten, in den 16 Jahren auf diesem Gebiet getan, als Sie den Verkehrsminister stellten?
({2})
Nichts, meine Damen und Herren, rein gar nichts!
({3})
Ist irgend jemandem eine Vorlage der Bundesregierungen bis 1982 an die EG bekannt, gemeinsam die Schadstoffgrenzen zu senken? Gab es, meine Damen und Herren, eine Vorlage der Bundesregierung Anfang der 70er Jahre, als die USA den Katalysator einführten? Gab es eine Vorlage der Bundesregierung an die EG, Herr Kollege Vogel, als 1976 die Japaner den Katalysator einführten?
({4})
Wo war denn eigentlich der tapfere Streiter Hauff, als er Verkehrsminister war, mit seinen Anträgen an die EG?
({5})
Wir sehen, daß beispielsweise die USA 1972 und die Japaner 1976 bleifreies Benzin und den Katalysator eingeführt haben, aber in unserem Lande bis zur Übernahme der Bundesregierung der Mitte nichts geschehen ist.
({6})
Ich meine, eigentlich müßten Sie sich ein bißchen schämen,
({7})
heute solche Töne hier anzuschlagen.
({8})
Wir, Herr Kollege Vogel, haben gleich zu Beginn unserer Regierungsverantwortung
({9})
Hanz ({10})
die Umweltprobleme angepackt und den Partnern in der EG unsere Dinge dargelegt und um Verständnis für unser Drängen geworben. Immerhin wurde durch unser Drängen erreicht,
({11})
daß die EG und unsere Partner ihre Meinung in Richtung auf unsere Position zu ändern beginnen.
({12})
Ich hoffe auf eine gemeinsame Regelung ab 1989.
Nun kommen viele, auch von Ihnen in der SPD, wie ich meine, um ihre Versäumnisse aus der Vergangenheit zu kaschieren, mit Ihrem Allheilmittel, wie wir es auch hier eben gehört haben: Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und Bundesstraßen.
({13})
Die Fachleute sagen uns, daß ein Tempolimit auf Autobahnen keinen wesentlichen Vorteil für die Luftreinhaltung bringt. Wichtige Experten befürchten sogar, daß ein Tempolimit im nachhinein mehr Nach- denn Vorteile bringt.
({14})
Meine Damen und Herren, ich persönlich möchte nicht, daß auf unseren sicheren Autobahnen im letzten eine Kriechspurgesellschaft der Bundesrepublik herangezogen wird.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu meinem Vorredner sagen: Das Auto war natürlich Gegenstand der Umweltbemühungen früherer Bundesregierungen.
({0})
Das hat sicher nicht ausgereicht. Aber wir sollten der Wahrheit zuliebe sagen, daß bereits im Ersten Umweltprogramm Normen vorgegeben waren,
({1})
daß wir seit 1970 die Werte mehrfach herabgesetzt haben. Ich habe zusammen mit Graf Lambsdorff wiederholt Gespräche mit der Automobilindustrie geführt,
({2})
um nach dem Energieschock von 1973 zu verhindern, daß die Einsparung von Kraftstoff zu einer Mehrproduktion von Abgasen führt.
({3})
1981 hatte sich die Automobilindustrie verpflichtet,
die ECE-Abgasnormen vorzeitig zu erfüllen. Das
muß man auch einmal hier sagen. Es ist eine Vorreiterrolle durch die Deutschen bereits wahrgenommen worden, eine Schadstoffreduzierung zwischen 30 % und 70 % vor allen Europäern.
({4})
Wir sollten einmal sagen, daß wir diese Linie jetzt fortsetzen. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wir fangen doch nicht vom Nullpunkt an. Wir haben doch auch früher schon nachgedacht.
1981 ist von mir ein Memorandum in der EG vorgelegt worden, mit dem Ziel, alle Schadstoffe wirklich drastisch herabzusetzen. Ich sage Ihnen, es war damals noch nicht bekannt, daß die Stickoxide eine so schädliche Rolle für den Wald haben. Wir haben für die menschliche Gesundheit in den Ballungsgebieten gekämpft. Leider hat das nicht so mobilisiert wie das Waldsterben. Das muß ich Ihnen leider sagen.
({5})
Das, was jetzt geschehen ist, meine Damen und Herren, geht darauf zurück, daß die neue Bundesregierung die Lage konsequent beurteilt hat. Meine Damen und Herren, von der SPD, was die Kommission jetzt vorgeschlagen hat, hat es vorher nicht gegeben, das ist auf den Anstoß aus unserem Lande hin erfolgt. Wenn Sie heute kritisieren und nicht erfüllbare Forderungen stellen, Herr Kollege Vogel, meine Damen und Herren, von der SPD, dann wischen Sie die Realitäten beiseite, die Sie in früherer Regierungsverantwortung, wenn Sie ehrlich sind, in Europa nicht haben überwinden können. Das ist es doch.
({6})
Bundeswirtschaftsminister Bangemann hat erreicht, daß die Kommission ihren Vorschlag jetzt überdenkt und überarbeitet. Ich bin der Meinung, daß alle Beteiligten jetzt Rechtssicherheit brauchen. Man muß wissen, woran man ist. Der Beschluß der Bundesregierung von gestern hat dazu beigetragen. Er muß jetzt durch konkrete Normen ausgefüllt werden.
Auch unsere europäischen Partner wissen jetzt, woran sie sind. Sie haben eine angemessene Übergangszeit bis 1989, um sich darauf einzustellen.
({7})
Wir haben ihnen gesagt - dieser Wille ist j a wohl nachdrücklich geäußert worden -, daß wir im Interesse der Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen in unserem Lande auch vorangehen werden,
({8})
wenn sie sich nicht entschließen können, uns zu folgen.
Für meine Partei ist besonders wichtig, daß die Kaufanreize schon ab 1. Juli 1985 vorgesehen sind, daß die Kraftfahrzeuge über 2 Liter diesen Regeln bereits ab 1. Januar 1988 unterworfen werden. Die Bundesregierung setzt auf die Verhandlungen in
der EG und mit ihren Nachbarn. Aber sie ist entschlossen, wenn nötig, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Dabei hat sie unsere volle Unterstützung.
Jährliche Abgaskontrollen kommen nun endlich. Es wird nicht mehr allein auf Kohlenmonoxid hin geprüft, sondern auf alle Schadstoffe - ein Vorschlag meiner Partei -; Flüssiggas, Elektro und Diesel sind in die neuen Regeln einbezogen.
Ich meine - damit komme ich zum Schluß -: Der Beschluß der Bundesregierung wird eine Dynamik zum schadstoffarmen Auto auslösen, wie sie bisher eben nicht gegeben war. Die Bundesregierung hat bei dieser Politik unsere volle Unterstützung. Der Bürger hat jetzt, wenn er umweltfreundlich ist - ich bin überzeugt, daß er es ist -, die Gelegenheit, selbstverantwortlich zu handeln.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
({0})
Zuerst ein paar Worte an die Kollegen, die vorher gesprochen haben.
An dem guten Willen des Kollegen Baum ist überhaupt nicht zu zweifeln gewesen. Ich weiß, was er damals alles vorgeschlagen hat. Nur war das beim Kollegen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff eben nicht durchzusetzen
({0})
und auch nicht beim Bundeskanzler Helmut Schmidt; denn der stand hier ganz fest auf der Seite des Bundeswirtschaftsministers. Der hat bekanntlich vom Umweltschutz noch nie sehr viel gehalten.
({1})
Zu Ihnen, Herr Vogel. Sie sind zwar sehr bekanntgeworden durch ihren Kampf gegen das Automobil überhaupt. Da gibt es viele Zitate, die heute erwähnenswert wären. Aber einen Antrag auf Schadstoffbegrenzung beim Auto gibt es von Ihnen nicht. Sie haben sich in keiner der Bundesregierungen, denen Sie angehört haben, für irgend etwas in dieser Richtung stark gemacht.
({2})
Zu Herrn Schäfer nur eines: Er wird in meiner Grundsatzrede vom 9. Februar 1984 vergeblich nach dem Wort „obligatorisch 1. Januar 1986" suchen. Das kommt darin nicht vor. Selbstverständlich ist diese Gesamtdebatte, diese Gesamtproblematik so auszulegen, wie sie Kollege Schmidbauer als erster dargestellt und wie sie Kollege Hoffie expliziert hat. Genauso und nicht anders. Alles andere ist Heuchelei. Die SPD als ehemalige Arbeiterpartei sollte
sich eigentlich zu schade sein, so zu argumentieren.
({3})
Dem Herrn Kollegen Ehmke von den GRÜNEN gratuliere ich zu seinem wunderbaren Satz: Das Auto braucht Straßen. In der Tat. Ich empfehle den GRÜNEN, ab heute keine Straßen mehr zu benutzen. Dann ist das Problem geregelt.
({4})
Nun zurück zum Ernst. Kein anderes Land der Europäischen Gemeinschaft ist so früh so weit gegangen wie die Bundesregierung mit ihrem gestrigen Beschluß. Die Bundesregierung hat jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen und die Weichen gestellt. Die Einführung beginnt im Juli 1985. Jeder kann ab diesem Zeitpunkt davon Gebrauch machen. Die Steuererleichterungen - dazu wird der Bundesrat, das Organ der Länder, das letzte Wort reden - werden diesen Einführungsmechanismus unterstützen.
Brüssel kennt jetzt die Ernsthaftigkeit des wichtigsten Durchgangslandes Europas, des drittgrößten Automobilproduzenten der Welt. Das Produktionsvolumen dieses Industriezweiges, von dem jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland abhängt, hat allein, was den Export anbetrifft, im letzten Jahr 30 Milliarden DM betragen. Ich bitte, einmal mit den betroffenen Betriebsräten von Wolfsburg bis Bremen, Regensburg und München zu sprechen, um zu hören, was sie von einer Politik hielten, die diese Arbeitsplätze ernsthaft gefährden würde.
({5})
Meine Damen und Herren, Politik ist immer noch die Kunst des Möglichen und nicht die Kunst der Utopie. Wer heute die Inanspruchnahme des Art. 36 des EG-Vertrages fordert, der geht Risiken EG-politischer, handelspolitischer und wettbewerbspolitischer Art ein, die so niemand tragen kann, denn eine Einstweilige Anordnung aus Brüssel bei einer obligatorischen Inanspruchnahme ab 1. Januar 1986 könnte die Umweltpolitik der Bundesrepublik sofort und für Jahre auf null zurückschrauben. Und das sollte doch wohl niemand riskieren.
Im übrigen brauchen wir auch unsere Nachbarn, wenn wir bleifreies Benzin europaweit einführen wollen. Wir müssen es europaweit einführen, weil die deutschen Automobilfahrer bekanntlich europaweit fahren und nicht an den Grenzen Deutschlands haltmachen wollen. Das heißt, die von uns angestrebten Maßnahmen machen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten den Ernst der Lage klar. Es gibt viel Goodwill für unsere Lösungen besonders in Österreich, der Schweiz und anderen nicht der EG angehörenden Länder. Aber wir dürfen nicht durch eine Provokation, durch einen nationalen Kraftakt um seiner selbst willen das aufs Spiel setzen, was uns jetzt möglich ist.
Unsere Maßnahmen, von denen wir sicher sind, daß sie der Bürger unterstützen und sich danach richten wird, erreichen dieses Ziel auf breiter Front.
Diesen Weg ist die Bundesregierung mit ihren gestrigen Kabinettsbeschlüssen gegangen. Der Bundesrat wird diesen Beschlüssen - in der Grundrichtung - sicher folgen. Dann werden wir wir konsequent, auch auf der europäischen Ebene, das tun, was wir wahr gemacht haben - Pilotfunktion übernehmen um anderen zu zeigen, wohin die Reise gehen muß.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Baum dankbar dafür, daß er ein bißchen dafür gesorgt hat, daß bei dieser Debatte die Wahrheit nicht ganz unter den Schlitten kommt.
({0})
Was er gesagt hat, verdient an vielerlei Stellen sicherlich noch der Ergänzung. Wenn er etwas davon erzählt hätte, wer ihm eigentlich mit welchen Argumenten Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, dann würden wir nicht bei dem damaligen Kabinett landen, sondern bei der Opposition,
({1})
die dauernd davon gesprochen hat, daß Umweltschutz auf keinen Fall dazu führen darf. Wie war denn die Rolle des Bundesrates beim Abwasserabgabengesetz? Was war dabei eigentlich Ihre Rolle?
({2})
Herr Zimmermann, der Ernst des Themas, die sterbenden Wälder und die bedrohte Gesundheit der Menschen verlangen von uns, glaube ich, heute morgen in dieser Debatte auch ein selbstkritisches Wort.
({3})
Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben unterschätzt, was mit dem Wald passiert.
({4})
Keiner von uns hat Anfang der 80er Jahre begriffen, daß der Wald stirbt. Keine der heute im Bundestag vertretenen Parteien einschließlich der GRÜNEN hat in ihrem Wahlprogramm 1980 den Sachverhalt Waldsterben überhaupt gekannt.
({5})
Wenn wir heute morgen über dieses Thema debattieren, dann muß diese selbstkritische Bemerkung an uns alle am Anfang stehen. Das gilt dann wirklich für die CDU wie für die SPD, das gilt für die CSU wie für die GRÜNEN.
Für Selbstgerechtigkeit gibt es in der Tat keinen Grund - das ist richtig -, bei keiner Partei. Niemand hat Anlaß, deswegen auf den anderen mit dem Finger zu zeigen,
({6})
denn das berühmte Wort von Gustav Heinemann stimmt, daß immer drei Finger auf den Betroffenen selbst zurückzeigen. Das gilt auch in diesem Fall.
Die Luftverschmutzung bedroht unsere Wälder und die Gesundheit der Menschen. Die Lage ist wirklich ernst. Deswegen haben wir zunächst aufmerksam zugehört, als der Bundesinnenminister wörtlich erklärt hat: „Der Stichtag 1. Januar 1986 zur Einführung umweltfreundlicher Autos und des bleifreien Benzins ist unumstößlich." - Unumstößlich!
({7})
Wir haben uns dann gefreut, als wir am 9. Februar miteinander Konsequenzen daraus gezogen haben, daß wir dieses Problem unterschätzt haben, und das gemacht haben, was der Kollege Schäfer hier vorgetragen hat. Da helfen doch keine Schriftgelehrtentricks, Herr Kollege Hoffie.
({8})
Lesen Sie doch Ihre eigenen Reden noch einmal nach! Von Regelungen, die auf europäischer Ebene vorgelegt werden sollten, ist die Rede. Wenn die deutschen Sprache noch einen Sinn macht, dann war der 1. Januar 1986 vorgesehen.
({9})
Am Ernst der Lage messen wir auch das, was jetzt beschlossen werden soll. Das Ergebnis einer solchen Prüfung ist enttäuschend; es ist deprimierend. Sie haben offensichtlich nicht die Kraft, wirklich das Notwendige, auch gegen Widerstände aus dem Ausland und der Industrie, durchzusetzen.
({10})
Nach Buschhaus ist das der zweite Fall, wo Sie einen nahezu einstimmig gefaßten Beschluß mißachten. Eine solche Mißachtung ist in der Geschichte dieses Parlaments beispiellos.
({11})
Meine Damen und Herren, wir wollen klare Antworten auf drei ganz einfache Fragen, auf die ich heute morgen noch keine Antwort bekommen habe.
({12})
Welche Gründe - präzise und klar formuliert - hindern Sie denn daran, am 1. Januar 1986 festzuhalten? Was sind die Gründe? Legen Sie sie hier dar, dann reden wir darüber.
({13})
Zweitens. Wenn Sie meinen, daß es gute Gründe gibt: Warum haben dann Sie, Herr Zimmermann 6156
Sie, Herr Bangemann, waren noch nicht da -, Sie, Herr Dollinger, eigentlich am 9. Februar dieses Jahres dem Beschluß des Bundestages zugestimmt?
({14})
Warum hat kein einziges Mitglied dieser Regierung das Wort ergriffen und auf Schwierigkeiten hingewiesen? Waren Sie denn damals ahnungslos, oder haben Sie aus Opportunismus geschwiegen? Das ist die Frage.
({15})
Drittens. Wie ist es eigentlich mit 1989? Wackelt denn auch der Termin schon? Werden Sie denn 1989 notfalls den nationalen Alleingang machen? Oder ist Ihr jetziger Beschluß genauso viel Wert wie die Entscheidung am 9. Februar dieses Jahres?
({16})
Ist denn das, was Sie dort gesagt haben, genauso unumstößlich wie Ihr damaliges Wort?
({17})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Es sind fünf Minuten, und der Präsident ist verpflichtet, darauf zu achten, daß sie eingehalten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hauff, es ist doch einfach unwahr, wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, die Entschließung des Bundestages von Anfang dieses Jahres werde mißachtet. Wir müssen Ihnen und Ihren SPD-Kollegen sagen, auch wenn es Ihnen nicht paßt, daß sich die Bundesregierung mit dem Kabinettsbeschluß zur Einführung des schadstofffreien Autos erneut und entschlossen der Aufgabe, der Herausforderung stellt, Gesundheit und Leben zu schützen und den Wald zu retten - auch wenn Sie dies bestreiten wollen.
({0})
Wir treten damit in den größten industriellen Umstrukturierungsprozeß der nächsten Jahre ein. Wir stellen die Industrie, die in ihr schaffenden Menschen vor eine schwere Aufgabe. Wir muten ihnen dies zu, weil wir - und ich sage: über alle Parteigrenzen hinweg - eine Lösung in der Frage des Umweltschutzes herbeiführen wollen. Da sind wir uns doch einig. Und wenn man über Ihren Verbalradikalismus hinwegsieht, stellt man fest: Es gibt doch Einigkeiten. Quer durch alle Fraktionen und im Bundesrat wird nahezu einhellig der Weg bejaht, über finanzielle Anreize Schadstoffreduzierungen herbeizuführen. Der differenzierte Mineralölsteuersatz, der verbleites Benzin stärker belastet als unverbleites, ist unstrittig. Die Differenzierung der Kraftfahrzeugsteuer, die Halter umweltfreundlicher Autos entlastet, die Halter von Altwagen nur geringfügig stärker belastet, die die Neuanschaffung von verschmutzenden Autos stark belastet, ist doch weitgehend unstrittig. Das ist zu Recht so. Hier wurde eine Lösung gefunden, die Bund und Länder gleichmäßig einbezieht. Beide müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Hier wurde eine Lösung gefunden, die dem Verursacherprinzip Rechnung trägt und auf steuerlichem Weg die Sünder bestraft. Hier wurde eine Lösung gefunden, die auch ordnungspolitisch sauber, über den avisierten Zeitraum aufkommensneutral ist und deshalb nicht zu einer unverträglichen steuerlichen Ausplünderung der Bundesbürger unter umweltpolitischem Deckmantel führt.
Diese Lösung ist auch sozial verträglich, um das zu sagen; denn die Altwagenhalter werden in einem zumutbaren Ausmaß stärker belastet. Selbst die Ente kann mit einer Zusatzbelastung von weniger als 5 Pfennig pro Tag weiterschwimmen.
Meine Damen und Herren, warum sage ich das? Ganz einfach deshalb, weil ich bei Ihnen eines nicht verstehe: Warum beteiligen Sie sich an der Diskussion über die wirtschaftlichen Anreize, wenn Sie zum 1. Januar 1986 alles verbindlich regeln wollen? In dieser Argumentation ist doch keine Logik. Das hat man Ihnen schon im Bundesrat entgegengehalten, und Sie haben dort nichts dazu sagen können.
Was vorliegt, ist ein tragfähiges, ein konsequentes Abgasverminderungskonzept, das den mündigen Bürger fordert und das darüber hinaus den Automobilunternehmen, den Zulieferfirmen Zeit - knapp bemessen - zur Anpassung läßt.
Sie sagen, das alles geht schneller. Aber das ist doch Heuchelei. Ihr Exkollege, der jetzige hessische Wirtschaftsminister - SPD -, hat bereits jetzt in einem Schreiben an den Bundesrat Übergangsfristen über den 1. Januar 1986 hinaus für die Unternehmen gefordert, die die Umstellung technisch nicht leisten können.
({1})
Wo sitzt denn da der Sachverstand, Herr Vogel?
({2})
- Das sind doch nicht meine Worte. Das sind die Worte Ihres Kollegen, die ich hier zitieren muß. Das ist doch Ihre Handlungsweise: Sie reden intern anders als nach außen, für die Bevölkerung, wo Sie Irritationen verbreiten, und zwar aus wahlpolitischen Gründen.
({3})
Deshalb muß Ihnen klar gesagt werden: Wir können keinem Markteinbruch der Japaner Vorschub leisten. Wir Christdemokraten bekennen uns - ich sage das ganz deutlich - zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Sicherung wettbewerbsfähiger Unternehmen. In diesem Sinne hat die Bundesregierung mit ihrer Initiative eine Vorreiterrolle übernommen.
Das ist ein nationaler Alleingang. Das muß man ganz eindeutig sehen. Wir können keinen Handelskrieg gebrauchen. Das schadet uns mehr als es anderen schadet. Wir haben alleine in der Automobilindustrie 14 Milliarden Exportüberschuß. Frühere SPD-Minister konnten das noch in Arbeitsplätze
umrechnen. Es wäre schön, wenn das heute wieder der Fall wäre.
Noch eins: Mit einer kurzfristigen alleinigen nationalen Lösung erreichen wir etwas im Bereich des Umweltschutzes, aber wir verhindern die gemeinsame Lösung. Luftreinhaltung ist nicht nur national, Luftreinhaltung ist international. Auf mittlere Frist würden wir, wenn wir hier den Krieg provozieren,
({4})
mehr gegen die Umwelt tun als für sie. Das müssen wir vermeiden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Beschluß der Bundesregierung waren drei Probleme gleichzeitig zu lösen. Das hat die Beschlußlage nicht einfach gemacht. Ich finde, dieses Hohe Haus würde dem Ernst des Gegenstandes gerechter werden, wenn man das Problem nicht immer nur mit dem Blick zurück und mit gegenseitigen Schuldaufrechnungen behandelte, sondern wenn man sich wirklich einmal die drei Fragen vorlegte, vor denen auch die Bundesregierung stand:
Erstens. Wie sieht die Lösung aus, die den größten Vorteil für die Umwelt bringt?
Zweitens. Wie sieht die Lösung aus, die man arbeitsmarktpolitisch verantworten kann?
Drittens. Wie sieht die Lösung aus, die wir zusammen mit unseren europäischen Nachbarn durchsetzen können?
Das sind die drei Überlegungen, vor denen auch Sie stehen, wenn Sie dieses Ergebnis beurteilen. Das sind auch Antworten auf die drei Fragen, die Herr Hauff gestellt hat.
Zunächst ist doch ganz klar: Jede Lösung, die früher kommt als das, was in diesem Beschluß steht, ist unter allen Umständen für die Umwelt besser. Das heißt, je früher wir diese Lösung hätten durchsetzen können - auch frühere Regierungen -, um so besser wäre es gewesen.
Herr Hauff, Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen: Zur Druchsetzung einer solchen Lösung brauchen Sie das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit. Dieses Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit ist bei uns erst langsam gewachsen. Deswegen glaube ich nicht, daß man Ihnen, dem Kollegen Baum, Herrn Zimmermann oder meinem Kollegen Graf Lambsdorff einen Vorwurf machen kann. Wir sind vielmehr erst jetzt soweit, daß wir mit diesem Umweltbewußtsein auf breiter Front rechnen können.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist kein Industrielobbyismus, wenn man sich darum kümmert, daß eine Lösung von der deutschen Industrie technisch
durchzuführen ist und wenn sie dazu führt, daß wir im Wettbewerb mit anderen Automobilproduzenten unsere Position halten können.
({1})
Der erste Teil, das technisch Machbare, ist vielmehr die einfache Voraussetzung für jede Lösung, und im zweiten Teil haben wir einen Zielkonflikt, den wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen; denn der Umwelt ist am wenigsten damit gedient, daß der Eindruck entsteht, man könne Umwelt nur dann schützen, wenn das auf Kosten von Arbeitsplätzen ginge. Wenn das nämlich letzten Endes ein Zielkonflikt wird, den wir gar nicht mehr überwinden können, dann würden wir alle zusammen, auch Sie, in einer Sackgasse stecken.
({2})
Und nun wird immer wieder das Argument gebracht, die deutsche Industrie exportiert doch schon nach Amerika und nach Japan und müßte doch dann diesen Normen gerecht werden können. Das ist richtig, aber es ist eben nur teilweise richtig. Weil nicht von allen Modellen solche Exportmodelle hergestellt werden. Beispielsweise alle kleineren Wagen - und das ist der große Teil dessen, was bei uns produziert wird, beispielsweise der Polo, der Fiesta -, sind nicht, sind noch nicht und wären auch nicht bis zum 1. 1. 1986 mit Abgaskatalysatoren auszurüsten gewesen. Und das bedeutet, meine Damen und Herren - und damit kommt das arbeitsmarktpolitische Argument, an dem auch Sie nicht vorübergehen sollten -, das hätte dazu geführt, daß, wenn wir am 1. 1. 1986 eine obligatorische Regelung eingebracht hätten - und, Herr Hauff, das ist eine Antwort auf Ihre Frage -, in breitem Umfang japanische Automobile, die alle schon auch in diesen kleinen Modellklassen nach US-Normen ausgerüstet werden können, auf unseren Automobilmarkt eingebrochen wären. Herr Vogel, Sie können doch an dieser Tatsache nicht vorübergehen. Und ich sage Ihnen, dies ist nicht allein eine Frage von 1986, sondern auch für die weiteren Jahre. Denn wenn einmal jemand sich ein japanisches Auto gekauft hat, dann ist er bei der Markentreue und auch angesichts des besseren Wiederverkaufswertes eines gebrauchten japanischen Autos eben erneut sehr stark an diese Marke gebunden. Das ist ein Argument, das man dabei berücksichtigen muß. Also, Herr Vogel, - ({3})
- Ja, aber ich muß doch eines hier zurückweisen, was Herr Vogel gesagt hat; gerade ihm als Bayern gegenüber muß ich das tun. Er hat einen sehr gefährlichen Vergleich mit dem Reinheitsgebot für Bier gezogen. Herr Kollege Vogel, wenn Sie das mit der Regelung vergleichen, die wir hier einführen wollen, dann machen Sie einen großen Fehler. Sie gefährden unsere Chance zur Einführung dieses Modells in der EG. Denn - das muß ich Ihnen als Bayern sagen - das Reinheitsgebot für Bier wurde bereits 1516 eingeführt. Wenn Sie das wissen, dann
müssen Sie zugeben: das kann man nun wirklich nicht als Handelshemmnis betrachten, sondern das ist nun schon sehr lange Geschichte.
Das hier aber, meine Damen und Herren und lieber Kollege Vogel - damit bin ich nun bei dem dritten Gesichtspunkt -, ist auch in der jetzt vorliegenden Form wesentlich mehr, als die Kommission bisher vorgeschlagen hat. Ich darf Sie wirklich bitten, schauen Sie sich das an. 1995 soll der Endtermin sein. 1995! In meinen ersten Gesprächen mit der Kommission - ({4})
- Ja, meine verehrten Damen und Herren, ich bin an dem Beschluß, den Sie damals gefaßt haben - deswegen kann ich auch die Frage 2 nicht beantworten -, nicht beteiligt gewesen. Aber ich darf Ihnen für die Zukunft eines sagen - und das sage ich nicht nur Ihnen, sondern das sage ich dem ganzen Haus -: es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder dieses Hohe Haus will diese Regierung unterstützen,
({5})
dann kann es Grundsatzbeschlüsse fassen, die die Regierung weiter treibt, als sie vielleicht am Anfang gehen wollte. Dann muß das Hohe Haus aber auch bereit sein, Argumente, die danach von der Regierung vorgetragen werden und die sich auf sachliche Überlegungen stützen, an denen keiner vorbeigehen kann, zu berücksichtigen,
({6})
ohne daß man dann ständig den Vorwurf der Mißachtung des Parlaments hört. Wenn das nicht möglich ist, meine Damen und Herren, auch nicht bei der Opposition, dann werden solche Beschlüsse im Grunde genommen nicht nützlich sein, sondern werden unsere Position erschweren.
({7})
Dies gilt insbesondere von dem EG-Teil. Bereits vorgestern hat der Bundeskanzler einen Brief des französischen Premierministers bekommen, in dem dieser ausdrücklich gesagt hat - natürlich sehr höflich, aber ganz ausdrücklich und hart in der Sache -, daß eine solche Regelung als nationale Regelung allein für ihn nicht akzeptabel ist und daß er darauf besteht, daß wir eine europäische Regelung nicht nur akzeptieren, sondern auch beachten. Es liegt also noch ein erhebliches Stück Weg vor uns. Wir werden uns mit diesem Beschluß der Bundesregierung in diese Diskussion ganz aktiv einschalten.
({8})
Ich werde versuchen und die Kollegen mit mir, eine europäische Regelung zu erzielen, die entweder - ({9})
- Also, Herr Hauff, wenn Sie Fragen stellen, dann müssen Sie wenigstens zuhören, wenn ich Ihnen eine Antwort gebe.
({10})
Wir werden uns bemühen, die europäische Regelung entweder deckungsgleich mit unseren Vorstellungen zu machen oder, wenn das nicht möglich ist, für diese Vorstellungen eine Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft zu haben, so daß wir dann einen von einer europäischen Regelung gedeckten nationalen Alleingang durchführen können.
({11})
- Das ist überhaupt nicht gewackelt, sondern das ist eine klare Aussage für die europäische Unterstützung dieser Vorlage.
({12})
- Herr Hauff, daß Sie das als Wackeln bezeichnen, zeigt, daß Sie in Wahrheit gar nicht daran interessiert sind,
({13})
eine Lösung zu bekommen, die von den Europäern gedeckt wird.
({14})
Es zeigt: Auf einem der wichtigsten Felder deutscher Politik, bei der Umweltpolitik, benutzen Sie die Situation, in der wir alle gemeinsam sind und wo wir eine europäische Unterstützung brauchen, dazu, ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen. So ist die Wahrheit.
({15})
Meine Damen und Herren, vielleicht zur Beruhigung der Gemüter habe ich dem Hause eine sehr erfreuliche Mitteilung zu machen. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des Staates Kuwait unter der Leitung des Präsidenten der Nationalversammlung, Herrn Mohammad Jousif Al-Adsani, Platz genommen. Ich begrüße die Delegation recht herzlich im Deutschen Bundestag und wünsche einen angenehmen Aufenthalt.
({0})
Besonders dankbar ist der Deutsche Bundestag dafür, daß diese Delegation auch Berlin besuchen wird.
({1})
Wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Herr Minister Bangemann, Sie haben hier ja soeben sehr deutlich gesagt, wie undeutlich dieser Termin 1989 ist. Denn die beiden Wege, die Sie gezeigt haben, könnten sich als Irrwege erweisen; und dann stehen wir in wenigen Jahren vor genau der gleichen Situation: Nationaler Alleingang, ja oder nein?
({0})
Zum zweiten, Herr Bangemann, haben Sie hier als Wirtschaftsminister eine problematische Position bezogen. Ich möchte Sie eigentlich bitten, doch mal darüber nachzudenken. Sie verhelfen - und das werden Sie wahrscheinlich in der Zukunft öfDuve
ters tun - der Industrie immer wieder zu solchen Pyrrhussiegen, also zu Siegen, die in Wahrheit keine Siege, sondern Niederlagen sind.
({1})
Das japanische Auto wird nach dem, was Sie hier dazu gesagt haben, gerade nach dieser Entscheidung wesentlich kräftiger, als Sie es hier eben dargestellt haben, auf dem deutschen Markt auftreten.
({2})
Am 27. Oktober 1983 haben Sie, Herr Minister Zimmermann, im Deutschen Bundestag erklärt: Durch die Einführung des bleifreien Benzins am 1. Januar 1986 werden die jährlichen Emissionen des Verkehrs im Zuge der Erneuerung der Fahrzeugflotte bis 1990 etwa halbiert sein. - Halbiert sind jetzt ihre rhetorischen Verbalemissionen zum abgasarmen Auto, Herr Minister.
({3})
Mir liegt der Text vieler Ihrer Reden auf schönem Umweltpapier vor, und jedes Mal steht darauf geschrieben: „Es gilt das gesprochene Wort". Ich kann nur sagen: Es gilt das gebrochene Wort - jedenfalls für diesen Minister.
({4})
In diesem Sinn hat sich j a auch der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Herr Christoph Böhr, eingelassen und heute oder gestern vom neuen Rückzieher der Bundesregierung gesprochen. Also aus Ihren eigenen Reihen wird deutlich gemacht, daß all das, was Sie hier heute morgen erzählt haben, auch dort nicht ernst genommen wird. - Herr Wissmann grinst ein bißchen oder - Entschuldigung, Herr Wissmann - lächelt ein bißchen. Sie wissen, was Herr Böhr damit gemeint hat.
Und dann, Herr Zimmermann, haben Sie am 4. November 1983 erklärt: Wir haben die begründete Zuversicht, daß Europa einschließlich Italiens und Frankreichs mitziehen wird. Diese Bundesregierung hat j a die Chance zu einer wirklich europäischen Intitiative gehabt, aber sie gar nicht erst wahrzunehmen versucht.
({5})
Wahrlich ein Stück aus dem Buschhaus, das uns diese Bundesregierung vorführt: erst die Zuversicht von Herrn Zimmermann, dann Herrn Lothar Späths nationaler Alleingang. Bereits 1983 hätte j a die Gelegenheit wahrgenommen werden können, als diese Bundesregierung in Europa das Präsidium hatte. Das Umweltjahr 1983 ist vorbeigegangen. Bei allen europäischen Gipfeln ist in dieser Frage überhaupt kein Fortschritt erzielt worden.
Zweiter Akt aus dem Stück Buschhaus: Umweltkraftmeierei des Lothar Späth. Am 13. Juli 1984 sagte Lothar Späth - Originalton -:
Wenn das Ergebnis wäre, auf den nationalen Alleingang zugunsten einer allgemeinen unverbindlichen EG-Regelung zu verzichten, käme das für Baden-Württemberg nicht in Frage.
Europa hat gezittert und hielt den Atem an, als Lothar Späth diese Ankündigung machte. Aber dann ist auch er in der vergangenen Woche wieder umgekehrt.
Den dritten Akt haben wir vor zwei Tagen erlebt: Die Bundesregierung verschiebt alles um drei Jahre.
Ich meine, nun wird die drastische Geschwindigkeitsbegrenzung, so wie Volker Hauff es vorgestern in der Öffentlichkeit gesagt hat, wahrscheinlich unumgänglich.
({6})
Viele Franzosen, viele Italiener, viele Europäer halten uns zu Recht vor, daß wir dauernd den europäischen Kraftakt beschwören, daß wir aber nicht einmal in der Lage sind, unser System der Fahrgeschwindigkeit auf den Straßen den europäischen Verhältnissen anzupassen.
({7})
Wer die Insel der Raser, die wir j a immer noch sind, gegen alle Argumente der Vernunft immer noch aufrechterhalten will, der hat das Argument Europa in Wahrheit nur vorgeschoben.
({8})
Wir könnten die Stickoxidemissionen auf diese Weise sofort um ca. 7 % mindern.
Wer jetzt plötzlich davon spricht, der nationale Alleingang würde ein europäisches Autochaos produzieren, verkennt die europäischen Realitäten. Die Holländer haben sich längst auf die notwendigen Maßnahmen eingestellt. Die Schweiz und Österreich, die ja schließlich ebenfalls zu Europa gehören, sind bereit, mit uns zu gehen. Die Franzosen und Italiener werden sich ihre Schritte sehr genau überlegen - trotz des Briefes von Herrn Fabius von vorgestern - angesichts des großen Interesses auch an deutsche Autotouristen.
({9})
Meine Damen und Herren, es droht kein Handelskrieg. Das europäische Argument war vorgeschoben. In Wahrheit hat man der Automobilindustrie zu einem technologischen Pyrrhussieg verholfen, der sich bitter rächen wird.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch einmal zum Kernpunkt, nämlich dem Vorwurf der Mißachtung eines Bundestagsbeschlusses: Wer das sagt, muß sich diesen Beschluß ansehen und wenn er ihn nicht lesen will, muß er ihn sich noch einmal anhören. Ich trage ihn noch einmal vor. Wir haben von der Regierung verlangt, Gesetzentwürfe vorzulegen, die den 1. Januar 1986 als Termin vorsehen.
({0})
Wir haben gleichzeitig aber auch verlangt, und zwar gleichrangig und in direkter Verbindung damit, Initiativen auf dieser Grundlage zu ergreifen,
({1})
damit eine zeitgleiche Einführung entsprechender Vorschriften auf EG-Ebene erreicht werden kann.
({2})
Ich frage mich: Hat die Bundesregierung das getan? - Die Bundesregierung hat in der EG verhandelt.
({3})
Die Bundesregierung hat in der EG erreicht, daß der europäische Fahrplan um viele Jahre nach vorn gezogen wurde. Wenn es Ihnen um die Umweltpolitik und um die Umwelt geht, dann muß das getan werden, was zählt, nämlich die Einführung dieser Techniken in Europa um Jahre vorzuziehen. Das hat die Bundesregierung erreicht. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Wenn Sie den Beschluß von damals heute so interpretieren, wie Sie es tun, dann hätten wir einen nationalen Alleingang beschlossen. Aber wir haben ausdrücklich keinen nationalen Alleingang beschlossen. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, ob wir in solchen Fragen jemals wieder gemeinsam mit der Opposition Entschließungsanträge formulieren, wenn, wie im Falle Buschhaus, die Opposition nur die Gelegenheit wahrnimmt, um hinterher etwas anderes hineinzuinterpretieren, als in Wirklichkeit gemeint war.
Wir wollten der Bundesregierung Rückhalt geben durch strenge, drastische Vorgaben. Wir wollten ihr Rückhalt geben, damit sie auf europäischer Ebene erfolgreich verhandeln kann und die europäischen Partner etwas auf unseren Weg bringen kann. Das war doch das Ziel.
({4})
Ich ergänze gleich noch: Wenn Sie meinen, wir müssen hier Beschlüsse über Dinge fassen, die man sozusagen als Buchhalter absegnen kann und nur noch zu quittieren braucht, dann können wir uns die Beschlüsse sparen. Ich verstehe die Politik immer noch als einen dynamischen Prozeß, wo man Vorgaben machen muß, um ein Ziel zu erreichen. Das Ziel für die Umwelt ist, daß wir die EG weit nach vorn bringen, und das Ziel für die Umwelt ist auch, daß die Bundesregierung durch begleitende Maßnahmen, durch Anreizstrategien bewirken wird, daß in Deutschland schon vor dem Termin 1. Januar 1986 viele umweltfreundliche Autos fahren werden. Auch das zählt, und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Wenn Sie feixen, meine Kollegen von der SPD, und feixend darauf hoffen, daß wir in der EG scheitern würden - Sie zweifeln an, daß wir den Termin des 1. Januar 1989 in der EG durchsetzen können -,
({5})
dann weiß ich nicht, wie es qualifizieren soll, daß
Sie uns jetzt auf den nationalen Alleingang zum
1. Januar 1986 festlegen wollen, wo die Gefahr, daß
die EG tatsächlich nicht mitmacht, viel größer ist. Mit dem Termin 1. Januar 1989 haben wir eine Chance, daß wir die EG noch einmal ein Stück nach vorn bringen und zu einer gemeinsamen Linie kommen und unsere Automobilindustrie nicht behindert wird.
Ich möchte Sie mal im Jahre 1987, wenn wir vielleicht einen großen Einbruch erleben, sehen, wie Sie sich in die Fabriken stellen. Ich brauche niemanden aufzufordern, Sie dann in der gebührenden Art und Weise hinauszukomplementieren.
({6})
Wer hier so redet, als seien es dunkle Mächte, deren Interesse hier irgend jemand vertritt, wenn wir sagen, wir dürften unsere Automobilindustrie nicht totmachen, dem sage ich: Es geht uns um die Arbeitnehmer, es geht uns um die Arbeitsplätze. Ich meine, daß uns dieser Beschluß der Bundesregierung in diesem Sinne ein gutes Stück auf unser gemeinsames Ziel hin vorangebracht hat, und darum begrüße ich ihn auch ausdrücklich.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lennartz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage, wo der Unglücksrabe ist, kann ich nach rechts zeigen: Da sitzt er.
({0})
Leider habe ich nur drei Minuten Zeit zur Verfügung, und deshalb will ich mich - ({1})
Meine Damen und Herren, ich nehme an, der Innenminister hat heute morgen noch nicht die „Süddeutsche Zeitung" gelesen:
Die Koalition versagt beim Katalysator.
({2})
Auch auf der europäischen Ebene hat Zimmermann wie ein Hobby-Politiker agiert.
({3}) Nächster Punkt:
Warum hat Zimmermann immer nur Beamte oder Parlamentarische Staatssekretäre entsandt? In Brüssel entstand jedenfalls der Eindruck, Bonn könne es nicht allzu ernst meinen. Kohl und Zimmermann brauchten wohl ein europäisches Alibi, weil sie sich nicht mit der deutschen Automobilindustrie anlegen wollten.
Das, meine Damen und Herren, ist genau das Ergebnis, das heute morgen hier zustande gekommen ist. Der zuständige Wirtschaftsminister trägt das hier auch noch frei vor. Er formuliert: Lösung, die von den Europäern gedeckt wird. Ich bitte Sie, wir brauchen Lösungen, die dem deutschen Wald mit Wirkung vom 1. Januar 1986 an helfen, nicht
den Europäern insgesamt. Hier müssen wir den nationalen Alleingang machen.
({4})
Lassen Sie mich, da ich mich auf die Steuerpolitik vorbereitet hatte, einen Satz sagen. Wir erleben hier das gleiche Schauspiel: Der Finanzminister macht seine Kassen über die Mineralölsteuer voll und sucht den Verschiebebahnhof bei der Kfz-Steuer.
({5})
Lassen Sie mich dazu einen Satz sagen. Während Sie das bei der Mineralölsteuer mit etwa 1000 Steuerfällen - so viele rechnen Sie nur ({6})
locker handhaben können, werden Sie den Ländern gigantischen Verwaltungsaufwand aufhalsen. Lassen Sie mich das bitte sagen. Denn jedes der 25 Millionen Kraftfahrzeuge hat eine eigene Steuerakte, die in die Hand genommen werden muß, die Arbeit macht und die Kosten verursacht. Sie haben für ca. 25 Millionen Bearbeitungstatbestände pro Jahr gesorgt. Haben Sie sich einmal vorgestellt, meine Damen und Herren, wenn ein Auto innerhalb von vier Jahren einmal, zweimal oder dreimal den Besitzer wechselt, was keine Seltenheit ist, welch einen bürokratischen Aufwand Sie durch die Umsetzung auf die Kraftfahrzeugsteuer verursachen?
({7})
Sie haben mit dem Kabinettsbeschluß die Umweltpolitik erneut, auch aus steuerlicher Sicht, als Verschiebebahnhof mißbraucht, in dem anderen Lasten zugeschoben werden und der Bund sich selbst freihält. Statt eine klare Ordnungspolitik zu betreiben, d. h. für Kraftfahrzeuge ab 1986 Abgasgrenzwerte festzulegen und nur über die Mineralölsteuer eine Lenkung vorzunehmen, haben Sie mit einer komplizierten, aufwendigen und ungerechten Regelung versucht, sich Ihrer Verantwortung zu entledigen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen am 27. November 1983 von dieser Stelle aus gesagt - und das kann ich heute nahtlos wiederholen -, Sie sollten hier ehrlich und offen sein. Sie sind längst weg vom Katalysator;
({8})
Sie wollen von 1989 an den Magergemischmotor einführen. Ob der deutsche Wald -
Herr Abgeordneter Lennartz, ich habe abgeklingelt!
Ob der deutsche Wald das noch mitmachen kann, ist allerdings mehr als fraglich.
({0})
Ich bitte darum, auf das Abklingeln Rücksicht zu nehmen. Der Redner hat eine Minute mehr zugebilligt bekommen, als ihm normalerweise zustehen würde. Dann bitte ich aber auch darum, das Abklingeln korrekt zu berücksichtigen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung ({1}).
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein altes handwerkliches Sprichwort, das heißt: Meister ist, wer was ersann, Geselle ist, wer was kann, Lehrling ist jedermann. - Der wichtigste Teil dieses Sprichworts ist der letzte.
({0})
Ich meine nämlich, ein Politiker, der nicht in der Lage ist, jeden Tag etwas Neues hinzuzulernen, etwas Neues im Sinne einer besseren Politik, die unseren Bürgern zugute kommt,
({1})
der ist meines Erachtens in der Politik fehl am Platze.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist offenbar die SPD, die in den vergangenen Jahren einfach nichts Neues hinzugelernt hat.
({3})
Wenn Sie auch heute, nach den Ausführungen von Herrn Minister Zimmermann und von Herrn Bangemann, nicht in der Lage sind, die wirtschafts- und marktpolitischen und die europapolitischen Zusammenhänge zu begreifen, dann tun Sie mir echt leid.
Bedauerlich ist auch, daß der Bundestag erst heute die Möglichkeit hat, sich über konkrete Vorschläge der Bundesregierung zu unterhalten. Denn es ist doch unbestritten: Wenn wir von seiten des Bundestages bereits vor zwölf Jahren - wie in Amerika - oder vor acht Jahren - wie in Japan - mit der Einführung des abgasgereinigten Autos begonnen hätten,
({4})
wäre die Umwelt bei uns heute freundlicher, wäre die Luft sauberer. Aber was, meine Damen und Herren, ist geschehen? Leider nichts.
({5})
Ich kann also nur sagen, Sie sind durch Untätigkeit zum Sünder an unserer Umwelt geworden.
({6})
Jung ({7})
Sie haben durch Untätigkeit dazu beigetragen,
({8})
daß einzige zig Millionen Tonnen Abgase aus unseren bundesdeutschen Auspuffrohren ungehindert in die Luft geblasen wurden.
({9})
- Herr Vogel, ich möchte Ihnen den gutgemeinten Rat geben: Machen Sie mit der SPD künftig eine bessere, konstruktive, aufbauende Opposition, sonst brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Bürger so denken wie jener Fernfahrer, den ich kürzlich auf der Autobahn
({10})
zwischen Karlsruhe und Basel erlebt habe, der hinten auf seinem Anhänger ein großes handgemaltes Schild hatte, auf dem stand: Tausche alten Anhänger gegen bessere SPD.
({11})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Punkte 3 bis 5 der Tagesordnung auf:
3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Schäfer ({0}), Tietjen, Bernrath, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Reuter, Schröer ({1}), Wartenberg ({2}), Dr. Wernitz, Paterna, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise
- Drucksache 10/1115 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
4. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise
- Drucksache 10/1316 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
5. Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN zum Gesetz über Personalausweise
- Drucksache 10/1016 Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 bis 5 und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({4}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich will - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - mit einigen Zitaten beginnen.
({0})
Sie brauchen keine Genehmigung von mir. Wichtig ist nur, daß man erkennt, daß es sich um ein Zitat handelt, daß Anfang und Ende zu erkennen sind. Sie können auch noch hinzufügen, von wem es stammt. ({0})
Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident. Die Verschiebung der Einführung des neuen, fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweises ist vorbehaltlos zu begrüßen. Sie ist notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht in dem Volkszählungsurteil grundsätzliche Ausführungen zum Verhältnis von Datenverarbeitung und Persönlichkeitsrecht gemacht hat und sich daraus Änderungen des Personalausweisgesetzes als zwingend notwendig erweisen.
So Burkhard Hirsch am 23. Februar 1984.
({0})
Das Personalausweisgesetz sollte jedoch unter Beachtung der in dem Urteil enthaltenen Grundsätze novelliert werden. Dies gilt insbesondere für die Ausgestaltung des Personalausweises und die Verwendung der bei der Ausstellung des Ausweises erhobenen personenbezogenen Daten. Es wird deshalb vorgeschlagen, das Inkrafttreten des Gesetzes zu verschieben.
So der Staatssekretär im Innenministerium, Kroppenstedt.
({1})
Die Koalition hat sich im Frühjahr dieses Jahres entschieden, nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes das Personalausweisgesetz datenschutzrechtlich zu ergänzen und deshalb den neuen Ausweis erst 1985 einzuführen.
So der innenpolitische Sprecher der CDU/CSUFraktion, Laufs.
Innenminister Zimmermann erklärt am 24. Juli in der „FAZ", daß er nicht - ich zitiere - „unter allen Umständen an diesem Ausweis festhalten will". Dies gelte vor allem dann, wenn er entbehrlich sein sollte.
Schäfer ({2})
Justizminister Engelhard schließlich, meine Damen und Herren, verkündet am 9. August 1984 - wörtlich -:
Im Augenblick habe ich jedenfalls erhebliche Zweifel, ob der polizeiliche Sicherheitsgewinn des maschinenlesbaren Ausweises tatsächlich so groß ist, daß man demgegenüber die offensichtlichen Probleme des Datenschutzes, aber auch die Befürchtungen jener Bürger vor einem solchen Ausweis - und seien sie auch noch so irrational - einfach in Kauf nehmen kann.
So weit, meine Damen und Herren, der Zitatenstrauß, so weit die Ankündigungen von CDU/CSU und FDP, soweit, Herr Justizminister, Ihre, wie ich finde, berechtigten Zweifel.
Und die Wirklichkeit Ihrer Politik, meine Damen und Herren? In sechs Wochen, am 1. November 1984, tritt das neue Personalausweisgesetz in Kraft. Bis zur Stunde haben Sie dem Deutschen Bundestag keinen Gesetzentwurf vorgelegt, der Ihren Ankündigungen, die ich soeben ziemlich breit vorgetragen habe, auch tatsächlich Folge geleistet hätte. Sie sind bis zur Stunde über den Vorentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise nicht hinausgekommen, einen Vorentwurf übrigens, der auf herbe und einhellige Kritik von Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder gestoßen ist.
Sie, meine Damen und Herren, haben also bis zur Stunde nicht die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen. Nach den Äußerungen der letzten Tage steht jedenfalls fest, daß der fälschungssichere, verfälschungssichere - angeblich fälschungssichere, verfälschungssichere - und maschinenlesbare Ausweis nach Ihrer Auffassung auf jeden Fall kommen soll. Wir fragen Sie, meine Damen und Herren: Wieso hat es eigentlich so lange gedauert? Oder haben etwa die „Stuttgarter Nachrichten" recht, die am Samstag vergangener Woche darauf hinweisen, daß es sich bei den neuen Koalitionsvereinbarungen offenkundig um einen Kuhhandel handelt, einen Kuhhandel etwa dergestalt: Der Zimmermann bekommt seine Maschinenlesbarkeit des Ausweises,
({3})
dafür darf sich die FDP mit Datenschutzforderungen profilieren. Haben die „Stuttgarter Nachrichten" damit recht? Wäre es nicht ein schlimmer Vorgang, Herr Kollege Hirsch, daß man sich das, was uns das Verfassungsgericht zwingend vorschreibt, nämlich Datenschutzforderungen ins Personalausweisgesetz zu schreiben, erst noch in einem Koalitionskompromiß abhandeln lassen müßte? Ich finde, das ist die Grenze, wo notwendige Kompromisse aus unserer Sicht ins Gegenteil verkehrt werden, zum schieren Kuhhandel herabgewürdigt werden.
({4})
Sie, meine Damen und Herren - wer immer von Ihnen spricht -, werden nachher die alte Leier wiederholen, ob Herr Laufs oder Herr Miltner oder wer auch immer. Sie werden sagen, wir Sozialdemokraten weckten und schürten Ängste.
({5})
Sie wissen selber um die Absurdität Ihrer Anwürfe. Es lohnt überhaupt nicht, darauf näher einzugehen.
Es ist wahr, meine Damen und Herren, Politik soll keine Ängste schüren, keine Ängste wecken, nicht auf Ängste bauen, nicht auf ihnen aufbauen. Wahr ist aber auch, meine Damen und Herren - und das vor allem Ihnen von der CDU/CSU ins Stammbuch -, daß es Aufgabe der Politik ist, vorhandene Ängste und deren Ursachen, zumal wenn sie begründet und begründbar sind, zur Kenntnis zu nehmen, aufzunehmen und auf sie einzugehen. Nur dann und nur so können nämlich bestehende Ängste abgebaut und zusätzliches Vertrauen und Zuversicht - das sind wichtige Aufgaben der Politik - gewonnen werden.
Oder wollen Sie gar bestreiten, daß die modernen Informationstechnologien, daß das Verknüpfen verschiedener Dateien - beispielsweise mittels des maschinenlesbaren Personalausweises - Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten eröffnen, die tatsächlich beängstigend sind? Wie anders ist das wegweisende Urteil des Verfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz mit der Forderung nach informationeller Selbstbestimmung des Bürgers zu verstehen als auf dem Hintergrund der modernen Informationstechnologien und ihrer Gefahren für die Freiheitsrechte des einzelnen?
Stellt sich nicht - das frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Union - tatsächlich für viele Bürger die beängstigende Alternative „Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat"? Ist es nicht nachgerade Aufgabe der Politik und auch des Deutschen Bundestages, eine Strategie zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter zu entwickeln? Ist nicht nachgerade eine Strategie zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter notwendig?
Von all diesen Fragestellungen spüren wir bei Ihnen von der CDU/CSU wenig bis überhaupt nichts. Wie tibetanische Gebetsmühlen wiederholen Sie - nachher werden Sie es wieder tun - ihre Auffassungen von gestern und vorgestern, ohne auch nur zu prüfen, ob die Antworten von gestern heute noch Bestand haben und für morgen noch verantwortet werden können. Typisch dafür ist Ihr Verhalten beim Personalausweis.
Fragen wir uns doch einmal, ob die Planungen der Jahre 1977/78, die zum fälschungs- und verfälschungssicheren Personalausweis geführt haben, heute, im Jahre 1984, noch gelten oder ob es sich um überholte Planungen handelt. Ist es nicht so, Herr Kollege Miltner, daß die entsprechenden Empfehlungen der Internationalen Luftfahrtorganisation und des Europarats aus den Jahren 1977/78 und daß die 1977/78 getroffene Entscheidung beispielsweise der französischen Regierung für den fälschungssicheren, maschinenlesbaren Ausweis heute nicht mehr gelten? Ist es etwa nicht so, daß mit Aus6164
Schäfer ({6})
nahme der Bundesrepublik Deutschland keine Regierung im westlichen Ausland an die Einführung eines fälschungs- und verfälschungssicheren, maschinenlesbaren Ausweises denkt, daß es einen solchen Ausweis in keinem dieser Länder gibt?
({7})
Führen diese Änderungen, die ich eben objektiv berichtet habe, nicht automatisch zu einer Verringerung des angestrebten Sicherheitsgewinns des neuen Personalausweises? Gelten also die Argumente von ehedem heute noch?
Alle diese Fragen und Tatsachen verdrängen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition.
({8})
Sie werfen uns Sozialdemokraten statt dessen - das werden Sie nachher wieder tun - in billiger Polemik Effekthascherei und Opportunismus vor. Sie bleiben dabei: Der fälschungssichere Ausweis muß kommen - so Herr Hirsch, so die FDP.
({9})
Sie bleiben dabei: Der fälschungs- und verfälschungssichere Ausweis muß maschinenlesbar kommen. Der Kollege Laufs fordert für die Union am 16. Juli gar, daß gleichzeitig auch die Einführung eines fälschungssicheren und automatisch lesbaren Europapasses ihr Ziel sei.
({10})
- Ich komme darauf zurück, lieber Herr Kollege.
Schließlich frage ich Sie, meine Damen und Herren: Liegt nicht zwischen den Planungen, auch zwischen dem Jahr 1982, als wir gemeinsam die Einführung des neuen Personalausweises beschlossen haben,
({11})
und heute das Datum 15. Dezember 1983, das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts?
({12})
Dieses Urteil zwingt uns, meine Damen und Herren, die vom Gericht aufgestellten Grundsätze zur Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Normenklarheit, Zweckbindung und Vorhersehbarkeit der beabsichtigten Datenverarbeitung bei „Einschränkungen des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung, die nur im überwiegenden allgemeinen Interesse zulässig sind" - Leitsatz 2 des Verfassungsgerichtsurteils -, strikt zu beachten. Liegt nicht zwischen 1982 und heute auch die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz vom 25. April 1984? Dort heißt es auf Seite 54 lapidar: „Das Gesetz über den Personalausweis in der Fassung vom 15. März 1983 entspricht in einer Reihe von Punkten nicht den Anforderungen des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichtes und macht insoweit eine erneute Prüfung notwendig."
Ich sage Ihnen von der Regierungskoalition, in diesem Falle vor allem Ihnen von der CDU/CSU, die Sie schon heute an der Einführung des maschinenlesbaren Ausweises festhalten wollen - nach Ihren eigenen Bekundungen -,
({13})
und auch Herrn Kollegen Hirsch, der Sie an der Einführung des fälschungs- und verfälschungssicheren Personalausweises festhalten wollen: Wir würden unserer Aufgabe, unserem politischen Auftrag nicht gerecht, wir würden unserem höchsten Gericht den nötigen Respekt versagen, wenn wir wie Sie unter offensichtlicher Verkennung der neuen Tatbestände stereotyp nichts anderes täten als die Forderung nach dem fälschungssicheren, maschinenlesbaren Personalausweis zu wiederholen, ohne in eine erneute intensive Prüfung dieses Problemfeldes einzusteigen.
Ich will nun für uns alle am Beispiel von zwei der vom Verfassungsgericht aufgestellten Grundsätze Ihr Ja zum fälschungssicheren, maschinenlesbaren Personalausweis überprüfen und insofern ein Stück der Diskussion mit eröffnen, nämlich am Grundsatz der Erforderlichkeit und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Beides sind tragende Grundsätze, die uns als Gesetzgeber vorgegeben sind.
Sie behaupten, meine Damen und Herren, der neue Ausweis sei aus Gründen der inneren Sicherheit, also der Verbrechensbekämpfung, erforderlich, ja unverzichtbar. Untersuchen wir Ihre Argumente dafür, Stück für Stück, Argument für Argument. Ursprünglich wurde die Notwendigkeit eines solchen Ausweises mit der Bekämpfung von Terroristen begründet. Heute wird dieses Argument - zu Recht
- auch von den Befürwortern kaum noch verwendet. In der Tat ist der fälschungssichere neue Personalausweis zur Terrorismusbekämpfung nicht erforderlich. Die Terroristen können auf andere Papiere, vor allem auf Auslandspapiere, ausweichen. Bei den nunmehr dreißig Personen, Herr Kollege Miltner, aus dem Untergrund der Rote-Armee-Fraktion, die seit 1979 verhaftet worden sind, ist festgestellt worden, daß sie alle über Auslandspapiere verfügten, die sie sich verfälscht hatten oder durch halbstaatliche Institutionen aus dem Vorderen Orient zur Verfügung hatten stellen lassen.
({14})
- Auslandspapiere, verehrter Herr Broll, Auslandspapiere.
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- Was nützt Ihnen denn ein fälschungssicherer Personalausweis, wenn Sie auf andere Ausweispapiere ausweichen können?
Auch zur Bekämpfung des sogenannten Staatsterrorismus ist der neue Personalausweis nicht erforderlich. Bei dem sogenannten Staatsterrorismus werden, wie Sie wissen, Killerkommandos beispielsweise aus dem Vorderen Orient geschickt. Ich denke, es ist einleuchtend: Es wird einer Staatsregierung wahrhaftig nicht schwerfallen, ihre Killerkommandos mit entsprechenden Ausweisen auszuSchäfer ({16})
statten. Dazu bedarf es keines neuen Personalausweises.
Es bleiben noch zwei Argumente der Befürworter des neuen Personalausweises, was den angeblichen Sicherheitsgewinn angeht. Der Personalausweis sei, wird behauptet, zur allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung und zur intensiveren und schnelleren Grenzkontrolle unverzichtbar. Hier sind Phantome im Gespräch - so der Leiter des Hamburgischen Landesamts für Verfassungsschutz, Christian Lochte, CDU-Mitglied.
Unzulässigerweise werden die - ich wäre dankbar, wenn wir das ohne Polemik gemeinsam nachvollziehen könnten; Sie sehen, ich bemühe mich, weil das Thema von der Sache her wichtig ist, zum Kern der Argumente zu kommen, die man im Pro und Contra gegeneinander abwägen kann ({17})
über Jahre hinweg abhandengekommenen Ausweise - man kommt auf eine Zahl von 380 000 bis 400 000 - mit absichtlich verlorengegangenen, mit gestohlenen und dann auch mit verfälschten Ausweisen gleichgesetzt. Man wird so gleichsam Opfer der eigenen Propaganda.
Interessanter und aussagekräftiger ist eine andere Zahl. Sie ist belegbar, sie ist nachvollziehbar. Im Durchschnitt stößt die Kriminalpolizei in Hamburg auf 25 gefälschte Ausweise pro Jahr. Auf 25 bei einer Bevölkerung von über 1,6 Millionen, bei über einer Million Ausweisen! Das ist eine echte Zahl. Sie läßt sich - so Sicherheitsfachleute - ohne weiteres auf die Bundesrepublik insgesamt hochrechnen.
Die Zahl von 25 überrascht auch nicht, wenn man einen Blick auf die Verbrechensarten wirft und sich drei Fragen stellt und diese Fragen auch beantwortet. Frage 1: Wann ist ein Täter, um eine Tat zu begehen, auf die Möglichkeit eines gefälschten Ausweises angewiesen? Frage 2: Wann braucht er einen gefälschten Ausweis, um der Polizei zu verbergen, daß er der Täter ist? Frage 3: Wann und warum braucht er einen gefälschten Ausweis, wenn er als Täter erkannt ist und sich beispielsweise zur Flucht ins Ausland begibt?
Die Beantwortung dieser drei Fragen ergibt: Die Erforderlichkeit des neuen Ausweises ist unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung gleich Null. Ein Blick in die Kriminalitätsstatistik unterstreicht diese Feststellung: Zwei Drittel aller Straftaten sind Eigentumsdelikte. Um sie zu verhindern, bedarf es keines gefälschten Ausweises.
Nun zu den schlimmen Verbrechenstaten wie schwerer Raub, Geiselnahme, Mord und Totschlag, Vergewaltigung. Auch bei diesen Taten spielt der gefälschte Ausweis keine Rolle, weder bei ihrer Begehung noch bei ihrer Verschleierung.
Ich gestehe zu, daß bei Betrugsdelikten dem gefälschten Ausweis durchaus ein Gewicht zukommt. Der BMI nennt jährlich etwa 3 000 Betrugsdelikte, die mit einem gefälschten Ausweis begangen werden. Auch diese Zahl ist gegriffen. Es gibt nämlich überhaupt keine spezielle Polizeistatistik, Kriminalstatistik, die ausweisen würde, welche Art von Verbrechen mit Hilfe eines gefälschten Personalausweises begangen worden sind. Aber auch diese 3 000 Betrugsdelikte können, meine ich, nicht hinreichen, die Notwendigkeit der Einführung des fälschungssicheren Personalausweises aus den Gründen der allgemeinen Verbrechensbekämpfung zu begründen. Denn auch für diese Betrugsdelikte gibt es Umgehungsmöglichkeiten. So kann der Täter beispielsweise beim Eurocheque-Betrug ohne weiteres statt seines Personalausweises einen Reisepaß benutzen. Die Vermutung spricht dafür, daß nach Einführung des fälschungssicheren, maschinenlesbaren Ausweises diese Möglichkeit verstärkt genutzt wird und der vermutete Sicherheitsgewinn bei Betrugsdelikten vermindert wird.
Bleibt das Argument, daß mittels des neuen Ausweises eine schnellere und intensivere Grenzkontrolle stattfinden kann. So begründet Herr Zimmermann dieses Ausweispapier. Da kann ich nur sagen: Mit dem von Ihnen mit so großem Pomp vorgestellten Wegfall der Grenzkontrollen ist auch dieses Argument für den neuen Personalausweis weggefallen. Ich denke, es macht keinen Sinn, ein Inlandspapier zu schaffen, das angeblich fälschungssicher und maschinenlesbar ist, und das Ganze damit zu begründen, es ginge an den Grenzen schneller, wenn man sich gleichzeitig für den Abbau der Grenzkontrollen feiern läßt. Dies macht, meine Damen und Herren, keinen Sinn.
({18})
Angesichts dieser Fakten kann man das Urteil des Sicherheitsexperten Lochte gut verstehen und sich ihm anschließen, eines Verfassungsschützers, eines Mannes, der seit Jahrzehnten im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung erfolgreich arbeitet, der CDU-Mitglied ist - ich zitiere -:
Ich bestreite die Notwendigkeit einer Fälschungssicherheit.
({19})
Die mag wünschenswert sein, sie ist aber nicht erforderlich. Ich bestreite die Erforderlichkeit einer automatischen Lesbarkeit von Ausweisen und halte dies auch nicht für wünschenswert.
So Herr Lochte.
Es verwundert von daher auch nicht, daß der CDU-Landesverband Hamburg den Verzicht auf den fälschungssicheren, maschinenlesbaren Ausweis gefordert hat. Sie sollten sich vielleicht einmal, Herr Kollege Miltner, von Ihrem Kollegen, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Herrn Rühe aus Hamburg, darüber und über die Beweggründe informieren lassen.
({20})
Ich habe mich bewußt ausführlich der Frage zugewandt, ob der neue Ausweis erforderlich ist, ob er dem im Volkszählungsgesetz-Urteil dargelegten
Schäfer ({21})
Grundsatz der Erforderlichkeit entspricht und ob er unter Sicherheitsgesichtspunkten notwendig ist.
Lassen Sie mich ganz knapp etwas zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sagen. Ist es eigentlich tatsächlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren, den Ausweis bei annähernd einer Milliarde D-Mark Kosten
({22})
für annähernd 45 Millionen Bundesbürger bei dem vergleichsweise geringen Sicherheitsgewinn einzuführen? Glauben Sie wirklich, daß es, ich zitiere, „im überwiegenden Allgemeininteresse liegt" - ein Anspruch des Verfassungsgerichtsurteils -, den neuen, fälschungssicheren Ausweis tatsächlich einzuführen?
Ich bin auf die Datenschutzprobleme und auf die Möglichkeit einer lückenlosen Kontrolle des einzelnen nicht eingegangen. Darauf wird mein Kollege Wartenberg noch eingehen.
Wir verstehen unseren Gesetzentwurf auch als Angebot an alle Fraktionen. Die anstehenden Probleme müssen nämlich intensiv und sachlich ohne Zeitdruck und, was wichtig ist, nicht allein fixiert auf den Personalausweis, erörtert werden. Dies kann auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfes und seiner Begründung geschehen. Ich sage noch einmal: Die Teilnehmer meiner Fraktion an der öffentlichen Anhörung unserer Fraktion am 16. Juli dieses Jahres zur Notwendigkeit des neuen Personalausweises sind zum Ergebnis gelangt, auch auf der Grundlage dieser Anhörung auf die Einführung des neuen, fälschungssicheren und verfälschungssicheren Ausweises ganz verzichten zu können. Viele Fraktionskollegen schließen sich dieser Auffassung an, teilen diese Auffassung. Es versteht sich von selbst, daß wir diese Auffassung in den Beratungs-
und Diskussionsprozeß einführen werden. Ich wäre nicht überrascht, wenn auch in diesem Bundestag, auch bei Ihnen, nach der intensiven Diskussion, die wir hier anbieten, die Mehrheit zu demselben Ergebnis käme wie die Mehrheit meiner Fraktion - vielleicht auch die der FDP -: Der neue, fälschungs- und verfälschungssichere Personalausweis ist aus Gründen der inneren Sicherheit nicht erforderlich. Es ist im Hinblick auf die Sicherheit nicht verhältnismäßig, eine Milliarde DM für 45 Millionen Personalausweise auszugeben. - Ich bedanke mich bei Ihnen für die Geduld.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Kollegen Schäfer eben gehört hat, kann man nur resignierend feststellen: Die Sicherheitslage hat sich vom Dezember 1982 bis heute grundlegend geändert. Was damals gegolten hat, gilt heute nicht mehr. Das
war ein einziger großer Rückzieher der SPD zu diesem Punkt.
({0})
Der Deutsche Bundestag befaßt sich heute bereits zum vierten Mal seit dem Jahre 1979 mit der Problematik der Einführung des fälschungssicheren Personalausweises. Dieses Jubiläum besonderer Art ist natürlich kein Grund zum Feiern. Wir sollten, glaube ich, vielmehr alle, über die Parteigrenzen hinweg, nachdenken, wie es kommen konnte, daß, kaum daß das Personalausweisgesetz verkündet worden war, der Zeitpunkt seines Inkrafttretens wieder suspendiert worden ist. So war es im Jahre 1981. Am 7. August 1981 wurde der Tag des Inkrafttretens des Personalausweisgesetzes von 1980 wieder aufgehoben. Am 15. Dezember 1982 hat der Deutsche Bundestag dann einstimmig das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise beschlossen. Heute nun, noch nicht ganz zwei Jahre danach, werden wir das Inkrafttreten auch dieses Gesetzes suspendieren müssen. Wenn es nach dem Wunsch der Fraktion der GRÜNEN ginge, sollte es gar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschwinden.
({1})
Ich möchte aber an Sie alle hier die Bitte richten, diesem Trauerspiel des Hin und Her ein Ende zu bereiten; denn das Personalausweisgesetz ist ein Punkt der inneren Sicherheit, wo eine Einigkeit von Bürgern und staatstragenden Parteien bestehen sollte, ein Punkt, der uns und alle Bürger angeht.
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, dem alsbald ein Gesetz folgen muß, mit dem tatsächlich der neue Personalausweis eingeführt wird. Eines will ich deutlich klarmachen: Wir brauchen einen fälschungssicheren Personalausweis. Diejenigen, die heute in dem fälschungssicheren Personalausweis die Wurzel allen Übels sehen, sollten sich einmal überlegen, ob das falsch war, was wir vor noch nicht einmal zwei Jahren beschlossen haben.
({2})
Ich darf Sie an die Ausführungen unseres damaligen Kollegen Pensky von der SPD-Fraktion erinnern, mit dem ich im Innenausschuß viele Jahre Politik gemacht habe. Er hat am 20. September 1979 im Parlament vorgetragen - ich zitiere -: Dieser Gesetzentwurf - es handelt sich um den von der früheren Regierung vorgelegten Entwurf zur Änderung des Personalausweisgesetzes - deckt sich im übrigen in der Zielsetzung mit dem von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bereits im September 1977 erarbeiteten Konzept sicherheitspolitischer Vorschläge. Dieses SPD-Konzept war - das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich erwähnen -, so sagt Pensky, „schwergewichtig" darauf gerichtet:
durch technische und organisatorische Maßnahmen die Fahndungsarbeit der Sicherheitsbehörden effektiver gestalten zu wollen. Dazu gehört eben auch die Einführung fälschungs-
und verfälschungssicherer Personalpapiere.
Herr Pensky fuhr dann fort, es gebe auch Leute, die fragen:
Ist dieser ganze Aufwand denn überhaupt erforderlich? Meine Antwort hierzu: Diese Maßnahme ist zwingend geboten ..., wenn nicht sogar ... überfällig.
Herr Pensky hat damals diesen Standpunkt der SPD-Bundestagsfraktion auch noch mit folgenden Worten begründet - ich zitiere wiederum -:
„Schafft euch euer eigenes Paßamt", dazu rief vor einigen Jahren Andreas Baader, seinerzeitiger Chef und Gründungsmitglied der sogenannten „Rote-Armee-Fraktion", seine Gesinnungsfreunde auf.... Terroristen und Schwerkriminelle
haben
in der Vergangenheit von dieser Empfehlung reichlich Gebrauch gemacht.... Sie stahlen ... aus verschlossenen, aber auch aus unverschlossenen Amtsstuben massenhaft Blankovordrucke von Personalausweisen und Reisepässen.
({3}) Mit dieser Beute fielen ihnen auch ... große Mengen
Dienstsiegel, Ösenzangen oder Rasterwerkzeug zum Befestigen von Paßbildern
in die Hände.
Das hat damals Pensky ausgeführt. Ich habe damit das Zitat beendet.
Ich vermute, daß Kollege Pensky nicht in einer anderen Welt gelebt hat, sondern allenfalls in einer anderen SPD als der heutigen.
({4})
Wenn ich die Ausführungen von Herrn Kollegen Schäfer heute hier höre, kann ich nur sagen: Das, was damals erforderlich war, wird heute in Bausch und Bogen über Bord geworfen. Sie machen einen einzigen großen Rückzieher von Ihrer damaligen Position, ohne auch nur ein sachliches Argument vorgetragen zu haben.
({5})
Meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, ist ein fälschungssicherer Personalausweis, der natürlich datenschutzrechtlich in Ordnung ist.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem wegweisenden Urteil vom 15. Dezember letzten Jahres
zum Volkszählungsgesetz Maßstäbe gesetzt, die
selbstverständlich in vollem Umfange berücksichtigt werden müssen.
({7})
Dies gebietet nicht nur die Achtung vor dem höchsten Gericht. Mit aller Überzeugung trete ich auch dafür ein, daß in unserer hochtechnisierten Zeit die Persönlichkeit des Menschen in allen Bereichen geschützt wird.
({8})
Individuelle Freiheit und Sicherheit sind aber verfassungsrechtlich gesehen natürlich Geschwister. Der Staat trägt die Verantwortung für die Sicherheit des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums und der anderen grundrechtlichen Schutzgüter gegenüber den Gefahren, die von technischen Anlagen und auch von privater Hand ausgehen.
({9})
Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem bereits zitierten Urteil deutlich gemacht, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und im Hinblick auf die damit verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit besondere Bedeutung gewonnen hat.
({10})
Das Bundesverfassungsgericht - jetzt werden Sie gut zuhören müssen, Herr Duve - hat aber in derselben Entscheidung unmißverständlich klar gemacht, daß der einzelne eine Persönlichkeit ist, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltet und die auf Kommunikation angewiesen ist.
({11})
Das Verfassungsgericht hat die Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und der Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden.
({12})
Grundsätzlich muß daher jeder einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
Meine Damen und Herren, es ist heute Mode geworden, das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu zitieren.
({13})
Leider, das muß ich Ihnen sagen, werden hierbei die Ausführungen des Gerichts zur Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums geflissentlich verschwiegen. Ich empfehle daher den Kollegen, daß
sie einmal das Urteil auch ganz lesen. Dann werden sie vielleicht einige Erleuchtungen bekommen.
Diese dargestellten Prinzipien aus diesem Urteil müssen bei der Novellierung des Personalausweisgesetzes natürlich berücksichtigt werden. Wir, die Fraktionen von CDU/CSU und FDP, haben uns nach langem Abwägen dafür entschieden, auch das Inkrafttreten des alten Gesetzes zu suspendieren, um den seit seinem Inkrafttreten eingetretenen wichtigen Veränderungen Rechnung zu tragen. Insoweit sind wir gar nicht auseinander. Die eine Maßgabe habe ich dargestellt: die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983.
Wir müssen aber auch einen weiteren Gesichtspunkt beachten. Durch die Öffnung der Grenzen nach Frankreich und nach Österreich haben sich gleichfalls neue Sachverhalte ergeben. Der gewichtigste, noch offene Punkt ist die Frage, ob der Personalausweis mit dem Europapaß, zu dessen Einführung sich die EG-Chefs bekanntlich seit langem entschlossen haben, gekoppelt werden muß. Wir werden daher auch prüfen, ob nicht gleichzeitig auch ein fälschungssicherer Europapaß eingeführt werden kann. Die notwendigen Prüfungen und Abklärungen führen aber an einem nicht vorbei: der fälschungssichere Personalausweis, auf den sich einmal alle demokratischen Gruppierungen hier vor zwei Jahren geeinigt haben, ist und bleibt unverzichtbar.
Lassen Sie mich das an Hand einiger Fakten noch einmal begründen, auch im Gegensatz zu Herrn Schäfer. Erstens: Die Straftäter benutzen in allen Bereichen der Kriminalität, insbesondere aber auch in der Schwerkriminalität, abhandengekommene und gestohlene Personalausweise. Um sich eine Vorstellung über den Umfang zu machen, will ich zwei Zahlen nennen. In der Sachfahndung sind rund 474 000 Personalausweise und rund 12 000 Blankopersonalausweise als abhandengekommen aufgeführt. Zweitens: Gefälschte oder verfälschte Personalausweise werden zum Beispiel bei folgenden Straftaten verstärkt und schwerpunktmäßig verwendet.
({14})
- Wahrscheinlich wollen Sie danach fragen, Herr Schäfer.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer? - Bitte, Herr Schäfer!
Angesichts der Tatsache, daß ich vorhin Zahlen genannt habe, frage ich Sie, ob Sie es intellektuell für zulässig halten, aus der über Jahre hinweg abhandengekommenen Zahl von Personalausweisen - 380 000 und 400 000 - darauf zu schließen, dies sei ein Indiz, daß ebenso viele Verbrechen mittels gefälschter Personalausweise begangen worden seien.
Das kann man daraus nicht direkt schließen, das ist ganz klar. Aber Sie
wissen ganz genau, der Personalausweis, den wir jetzt gemeinsam einführen wollten, hatte ja das Ziel, daß die Ausgabe der Personalausweise zentral geschieht und damit der Diebstahl und das Abhandenkommen weitgehend eliminiert werden. Das ist der Punkt.
Zweitens: Gefälschte oder verfälschte Personalausweise werden also bei folgenden Straftaten schwerpunktmäßig verwendet, erstens beim Betrug, weil der Täter die falschen Identitätspapiere verwendet, um unter falschem Namen an sein Ziel zu gelangen, zum Beispiel zur Benutzung von Postsparbüchern oder zur Einlösung von Schecks. Allein im Jahre 1983 wurden 14 000 Fälle sogenannter betrügerischer Scheckeinlösungen festgestellt. Hierdurch ist ein Schaden von 33 Millionen DM entstanden. Die Polizei geht davon aus, daß bei jährlich zirka 3 000 Betrugsdelikten im Zusammenhang mit Euro- und Reiseschecks total gefälschte oder verfälschte Ausweise vorgelegt werden. Und nun darf ich Ihnen sagen, mit einem ausländischen Paß können Sie natürlich kein Konto eröffnen, können Sie auch keinen Scheck einlösen. Da brauchen Sie schon ein deutsches Personalpapier.
Falsche Ausweispapiere werden aber auch häufig zur betrügerischen Anmietung von Kraftfahrzeugen benutzt.
Schließlich: Um in den Besitz von Personalausweisen zu gelangen, wurden zahlreiche Diebstähle von Ausweisvordrucken begangen. Im Jahre 1983 sind 504 amtliche Siegel, Stempel, Vordrucke für Personal- und Kfz-Papiere als gestohlen gemeldet worden, in den Jahren 1981 und 1982 waren es weit über 1 000.
Ein letzter Punkt dazu. Nach wie vor sind Terroristen auf die Verwendung falscher Papiere angewiesen. In den Depots, die unlängst im Zusammenhang mit der Festnahme von Terroristen aufgedeckt wurden, wurden 70 deutsche Personalausweispapiere gefunden, die auf jeder Seite nummernverfälscht - wie es im Fachjargon heißt - waren. Unter den am 2. Juli 1984 in Frankfurt festgenommenen Terroristen führten zwei verfälschte Personalausweise mit sich. Darüber hinaus wurden in ihren Wohnungen 26 deutsche Personalausweise gefunden, die in den Jahren 1983 und 1984 entwendet worden waren.
({0})
- Ich habe jetzt von deutschen gesprochen.
({1})
Diese Zahlen machen doch deutlich, daß die gesamte Kriminalität mit falschen Ausweispapieren arbeitet. Ich bin sicher: In den Jahren 1974 bis 1977 hätte auch der deutsche Terrorismus nicht den schrecklichen Umfang bekommen, wenn wir schon damals fälschungssichere Personalausweispapiere und die zentrale Ausgabe, die die Entwendung von Vordrucken erschwert, gehabt hätten.
({2})
- Aber Sie natürlich!
({3})
Wir müssen ein neues Personalausweisgesetz, genauer gesagt: eine Novellierung des Personalausweisgesetzes vorlegen.
Lassen Sie mich ein paar Worte auch zur Maschinenlesbarkeit sagen. Sie ist weder ein spezieller Punkt der gläsernen Menschen, noch darf sie zu einem Fetisch werden. Wir müssen ganz nüchtern fragen, was die Maschinenlesbarkeit ist und was sie bringt.
Das Verfahren ist einfacher und weniger zeitraubend, wenn der Personalausweis maschinenlesbar ist. Es werden nicht nur die Beamten entlastet, sondern auch die Bürger, denen längere Wartezeiten erspart werden.
Eines ist klar: Es macht keinen Unterschied, ob ich eine Datei mit einem Sichtgerät erschließe oder ob ich die Nummer in dieses Gerät eintippe oder Maschinen lesen lasse. Und ich sage Ihnen heute hier: Ob wir einen neuen Ausweis maschinenlesbar einführen, wird von uns noch im Zusammenhang mit den dazu notwendigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen geprüft und danach entschieden. Aber ich habe Ihnen die Voraussetzungen, auch die technischen, hier kurz beschrieben.
Schließlich wird immer wieder ins Feld geführt: Die Bürger werden verunsichert; sie hätten Angst vor dem Ausweis, weil dadurch in ihr datengeschütztes Innenleben eingegriffen würde.
Es hat kürzlich eine Umfrage gegeben. Sie hatte das Ergebnis, daß 66 % der Bürger für die Einführung des fälschungssicheren und maschinenlesbaren Ausweises sind.
({4})
Ganze 12 % sind überhaupt dagegen. 18 % haben einige Bedenken. Nun könnten Sie die Frage stellen: Woher ist diese Umfrage eigentlich? Der Auftraggeber dieser Umfrage war die hessische SPD-Regierung;
({5})
Ausführender war Infas, das, wie Sie wissen, der SPD bekanntlich nicht fernsteht. Ich hätte gern einmal die langen Gesichter in den rot-grünen Amtsstuben in Wiesbaden gesehen, als man dieses Ergebnis bekommen hat.
({6})
Die Koalitionspartner werden zusammen einen Gesetzentwurf ausarbeiten, der die Einführung eines neuen fälschungssicheren und vielleicht auch maschinenlesbaren Personalausweises vorsieht. Wir werden dabei natürlich die berechtigten Interessen der Bürger und des Staates berücksichtigen. Sie können sicher sein, daß wir einen Gesetzentwurf vorlegen, der nicht nach einem Jahr durch irgendein Gericht aufgehoben wird.
({7})
Ein derartiges Vorhaben wird die Stimme meiner Fraktion - das sage ich auch an unseren Koalitionspartner - nicht erhalten.
Zum Abschluß auch noch einmal ein Wort an die Sozialdemokraten. Wir alle sind dankbar, daß wir von terroristischen Exzessen und Gewalttaten größeren Umfangs in der letzten Zeit verschont geblieben sind. Aber ich muß alle Kollegen auch an die 70er Jahre und an die arge Bedrohung und Gefährdung, die damals herrschten, erinnern. In erinnere Sie daran, wie damals im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung plötzlich die Fragen der inneren Sicherheit, auch des Personalausweises, des fälschungssicheren Personalausweises, hochkamen. Wir sollten doch so klug sein, uns in einer ruhigeren Phase daran zu erinnern, was damals war, und nicht wieder abwarten, bis etwas passiert, um dann die ganze Diskussion hochzupushen und dann schnell, schnell etwas machen zu wollen.
({8}) [GRÜNE]: Sie sollten
Ihre Hysterie jetzt ablegen!)
Keiner hier im Hause kann garantieren, daß wir nicht schon morgen wieder eine solche Situation haben werden.
Meine Damen und Herren, ich schließe: Der fälschungssichere Personalausweis ist ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der Kriminalität und der Verbrechen. Wir werden einen solchen demnächst auch einführen.
Vielen Dank.
({9})
Vizepäsident Stücklen: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre für das Verständnis der hier zu treffenden Entscheidungen wahrscheinlich besser gewesen, wenn wir uns zuerst über das Bundesdatenschutzgesetz und die Tätigkeitsberichte der Datenschutzbeauftragten unterhalten hätten, weil sich die mit dem Personalausweis zusammenhängenden Probleme daraus ergeben. Dann wäre auch klar geworden, daß es einen Handel nach der Art „Ausländer gegen Ausweise" in der Tat nicht gibt.
Wenn man sich in einer parlamentarisch unbequemen Lage befindet, dann muß man entweder sehr polemisch oder sehr sachlich werden. In dieser unbequemen Lage befindet sich der größte Teil der Opposition. Ich habe mit Interesse gehört, Herr Kollege Schäfer, daß die Beschlußlage in Ihrer Fraktion offenbar nicht eindeutig ist. Das habe ich Ihren Worten entnommen.
In der Tat haben wir wiederholt und gemeinsam die Einführung eines fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweises beschlossen;
allerdings verbunden mit der gemeinsamen Entschließung aller damaligen Fraktionen von 1980, in der wir die Auffassung vertreten haben, daß die rasche Fortentwicklung der automatischen Datenverarbeitung weitere Entscheidungen über den Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden erfordert, um einen ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger gegen mißbräuchliche Verwendung ihrer Daten zu gewährleisten.
Diese Aufgabe besteht unverändert fort. Spätestens bei dem Vortrag des früheren BKA-Präsidenten Herold vor wenigen Wochen in Wiesbaden konnte man erkennen, welche Möglichkeiten die gegenwärtige, aber auch die zukünftige Generation von Datenverarbeitungsanlagen eröffnet.
({0})
Diese Möglichkeiten können zum Kampf gegen die Kriminalität gebraucht, sie können natürlich auch mißbraucht werden.
Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß auch nach unserer Überzeugung eine erfolgreiche polizeiliche Arbeit ohne Datenverarbeitung nicht möglich ist. Wer die Datenverarbeitung bei der Polizei grundsätzlich abschaffen wollte, würde ein Chaos anrichten und dem Bürger nicht mehr, sondern eben weniger Rechtssicherheit geben. Unser Ziel ist es also, die Grenze zwischen Gebrauch und Mißbrauch so zu ziehen, daß der Bürger sicher sein kann, nicht in allen Lebensäußerungen, in seinem Verhalten erfaßt, registriert oder, wie er sagt, in den Computer gebracht zu werden, wenn es nicht zur Kriminalitätsbekämpfung nach der Auffassung dieses Hauses unbedingt notwendig ist.
Die Datenverarbeitung darf das Vertrauen des Bürgers in den Staat und in die Polizei nicht erschüttern. Er muß wissen, daß er eben nicht in einem Überwachungsstaat lebt, sondern daß seine Rechte gewährleistet sind, und dem müssen auch die Entscheidungen zum Personalausweisgesetz entsprechen. Das befiehlt nicht nur die politische Vernunft, sondern das folgt auch aus dem hier schon erwähnten Volkszählungsurteil.
Das Gericht sagt:
Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltenweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs-
und Wirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens ist.
Wir sind der Überzeugung, daß das Personalausweisgesetz, das nach der letzten von uns gemeinsam getroffenen Entscheidung am 1. November 1984 in Kraft treten würde, geändert werden muß, wenn es vor den strengen Anforderungen des Urteils Bestand haben soll. Wir haben darum schon vor vielen Monaten beschlossen, daß dieses Gesetz nicht in der bisherigen Form in Kraft treten kann, sondern daß auch für dieses Gebiet Folgerungen aus dem Urteil gezogen werden müssen. Insoweit stimmen die Gesetzentwürfe der SPD und der Koalition in der Absicht völlig überein.
({1})
- Ja, er liegt vor. Er ist eingebracht.
({2})
- Dann muß ich die Frage an die Geschäftsführer richten. Der Gesetzentwurf liegt vor.
Demgegenüber will der Gesetzentwurf der Fraktion der GRÜNEN -
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble?
Bitte, selbstverständlich.
Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen bekannt, daß die Aufsetzung unseres Gesetzentwurfs auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung am Widerspruch der SPD gescheitert ist?
Das war mir nicht bekannt. - Herr Kollege Schäfer, damit haben Sie die Antwort auf Ihre Frage bekommen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen auch bekannt, daß wir Ihren Gesetzentwurf bisher nicht in die Hand bekommen haben, nicht kennen und deshalb hier schlecht behandeln können und daß unser Einwand deshalb berechtigt ist?
Sehr verehrter Herr Kollege Schmude, ich bin sicher, daß Sie den Gesetzentwurf lesen können. Jedenfalls werden diejenigen ihn lesen können, die es abgelehnt haben, daß er auf die Tagesordnung kommt.
Aber ich will Ihnen sagen: Der Gesetzentwurf beinhaltet die Aufhebung des Datums vom 1. November 1984 für das Gesetz und die dazu zu erlassende Ausführungsverordnung. Insofern sind beide Intentionen völlig deckungsgleich, und ich kann überhaupt nicht begreifen, welchen Sinn Ihre Fraktionsführung damit verbindet, die gleichzeitige BeDr. Hirsch
handlung dieser Gesetzentwürfe in diesem Hause zu verhindern.
({0})
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble?
Herr Dr. Schäuble, ich möchte vorschlagen, daß sich die Geschäftsführer über diesen Punkt direkt unterhalten. Ich komme sonst etwas in zeitliche Probleme.
Ich möchte mich gerne noch mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN auseinandersetzen. Die GRÜNEN leugnen einen Sicherheitsgewinn überhaupt. Zu diesem Sicherheitsgewinn muß man sagen, daß man nicht gegen ein Höchstmaß an Fälschungssicherheit sein kann, wenn man überhaupt einen Personalausweis haben will.
({0})
Wenn man einen Personalausweis haben will, muß man auch wollen, daß er fälschungssicher ist. Es ist auch unbestreitbar, Herr Kollege Fischer, daß der gegenwärtige Ausweis keineswegs dem Stand der Technik entspricht. Er kann leichter als jede Kreditkarte ge- und verfälscht werden.
({1})
Es sind - das hat Herr Kollege Miltner gesagt - zur Zeit über 12 000 Formulare als gestohlen gemeldet worden, und in jedem Jahr werden in der Tat mehrere tausend Betrugsfälle mit Hilfe verfälschter Ausweise begangen.
Das Kernproblem liegt nicht in der Maschinenlesbarkeit allein, und zwar deswegen nicht, weil es Datenverarbeitungsgeräte gibt, die jede maschinengeschriebene Schrift lesen können. Der Bürger muß wissen, daß natürlich auch der jetzige Personalausweis mit Hilfe solcher Anlagen maschinengelesen werden könnte.
Die entscheidende Frage ist also, ob es uns gelingt, bei der Einführung eines fälschungssicheren Personalausweises gesetzliche Regeln über die Grenzen seiner zulässigen Verwendung und die entsprechende Datenverarbeitung so zu formulieren, daß die Anforderungen des Verfassungsgerichts erfüllt werden, und ob es uns gelingt, das Datenschutzumfeld so zu regeln, daß die Einführung der fälschungssicheren Ausweise tatsächlich ein Sicherheitsgewinn wird, nicht etwa ein Ansatzpunkt für eine maßlose Kampagne insbesondere gegen die deutsche Polizei.
Einen Teil dieser Probleme zu lösen hat der Innenausschuß bereits in seinem Beschluß zum 5. Datenschutzbericht des Bundesbeauftragten der Bundesregierung aufgetragen. Dazu gehört die Frage, wie weit das Auskunftsverhalten der Sicherheitsbehörden nach den jetzt geltenden sogenannten KPSRichtlinien verrechtlicht werden sollte und welche Regelungen für die polizeilichen Beobachtungen im
Sinne der §§ 161 und 163 StPO - einschließlich der sogenannten Rasterfahndung - gelten sollten.
Wir haben auch die gemeinsame Auffassung formuliert, daß die Rechtsfragen der Datenverarbeitung beim Bundesnachrichtendienst und beim Militärischen Abschirmdienst sowie bei der Amtshilfe zwischen Polizei und Nachrichtendiensten so bald wie möglich einer Klärung zugeführt werden müssen. Die FDP hält dazu eine gesetzliche Regelung für unerläßlich.
Ich habe also den Eindruck, daß in diesen Fragen
({2})
- ich sage das ja, Kollege Wernitz - eine Übereinstimmung zwischen der Koalition auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite besteht, weil wir uns im Innenausschuß über die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen zwischen allen Fraktionen einig waren.
Andere Probleme können vom Bund nicht allein gelöst werden. Wir haben z. B. für das Meldewesen der Länder nur eine Rahmenkompetenz. Auch die gesetzliche Regelung der Informationsverarbeitung der Polizei, die der frühere BKA-Präsident Herold in seinem schon erwähnten Vorschlag nach meiner Auffassung zu Recht gefordert hat, ist nur im Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern möglich. Seit März dieses Jahres beschäftigt man sich im Rahmen der Innenministerkonferenz mit diesen Problemen. Die Aufgaben sind noch nicht gelöst, und jeder von Ihnen weiß, daß die Lösung auch sehr schwierig ist.
Ich empfinde es daher nicht als ein politisches Problem, hier offen zu sagen, daß die Verhandlungen in der Koalition noch nicht abgeschlossen sind. Wir wollen solide arbeiten. Die Regelungen, die wir vorschlagen wollen, sollen jeder Kritik standhalten. Das ist auch der Grund, warum wir mit unserem Gesetzentwurf - .und zwar mit dem, den wir eben besprochen haben, Herr Kollege Schmude - ebenfalls beantragen, das Personalausweisgesetz nicht am 1. November in Kraft treten zu lassen. Wir sind aber nach dem bisherigen Verlauf unserer Beratungen in der Koalition der Überzeugung, daß die Koalition dem Deutschen Bundestag in absehbarer Zeit einen Gesetzentwurf vorlegen kann, der die mit dem fälschungssicheren Personalausweis unmittelbar verbundenen datenschutzrechtlichen Probleme sachgerecht löst.
Wir werden dementsprechend den Überweisungsanträgen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zustimmen, um eine weitere sachgerechte Beratung zu ermöglichen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 16. Februar 1984, also vor etwa acht Monaten, brachte die Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag eine Große Anfrage zum Gesetz über Personalausweise ein. Mit Schrei6172
Fischer ({0})
ben vom 28. Februar 1984 erklärte der Bundesminister des Innern seine Bereitschaft, die Große Anfrage zu beantworten, aber statt einer Antwort erfolgte das große ministeriale Schweigen. Am 17. August 1984 - mittlerweile hatten wir Hochsommer - erhielt meine Fraktion erneut einen Brief mit der aufmunternden Mitteilung, daß die Bundesregierung die Große Anfrage „voraussichtlich" im September zu beantworten gedächte. Aber bis zur Stunde steht die Beantwortung noch aus.
({1})
Der Innenminister hatte dawohl wieder einmal Schwierigkeiten mit seinen Koalitionspartnern, und also schweigt er. Und überhaupt: Mit den GRÜNEN spricht jetzt offensichtlich nur noch Geißler, und der redet ja bekanntlich nicht mit uns, sondern wirft mit braunem Dreck à la Reichspropagandaminister.
({2})
Eben zur Stunde ist er ja nicht im Deutschen Bundestag, sondern bei einer dieser miesen Pressekonferenzen gegenüber den GRÜNEN.
({3})
Immerhin gibt es nunmehr einen Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium, der den grundsätzlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zum Datenschutz und zur „informationellen Selbstbestimmung" angeblich Rechnung tragen soll. Dieser Entwurf - wie könnte es beim Hause Zimmermann auch anders sein - gibt zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Im wesentlichen formuliert man die bisherige illegale Verwaltungs- und Polizeipraxis in den Entwurf hinein, wenn man einmal davon absieht, daß die Verwendung des neuen Personalausweises in der Privatwirtschaft untersagt wird. Aber dort wird man es demnächst eh mit der noch weitaus gefährlicheren Chip-Karte zu tun haben.
Im alten Gesetzentwurf war die Maschinenlesbarkeit nicht enthalten. Nunmehr steht sie da, und der Mißbrauch wird in den Gesetzesrang erhoben. Die Seriennummer des Personalausweises läßt sich auch weiterhin ohne weiteres als Substitut des verbotenen Personenkennzeichens verwenden - der große, niemals aufgegebene Traum unserer staatlichen Kontrollfanatiker!
Das bisher zwar vorhandene, aber rechtswidrige Personalausweisregister bei den Personalausweisbehörden wird legalisiert, der rasterfahndungsähnliche Direktzugriff der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste festgeschrieben, und das Melderegister und das Personalausweisregister dürfen wechselseitig korrigiert, d. h. abgeglichen werden. Außerdem werden integrierte, landesweite Personalausweisregister ermöglicht, und die Register lassen sich beliebig erweitern.
Der Entwurf versucht sogar, die Grunddaten des Bürgers dem Datenschutz gänzlich zu entziehen, indem er die Liste der zum Geheimabruf berechtigten Behörden wesentlich erweitert und diese zudem der Protokollierung enthebt. Es verwundert daher
nicht, wenn ein Fachmann wie Professor Steinmüller von der Universität Bremen zu dem Fazit gelangt - ich zitiere -:
Es fällt schwer, in dem Gesetzentwurf ... etwas anderes zu sehen als einen präzise formulierten Affront gegen das Gericht und gegen den Bürger.
({4})
- Sie kennen natürlich nur Zimmermann; das ist mir klar. - Steinmüller weist zu Recht darauf hin, daß unser Verfassungsminister Zimmermann den Verfassungsverstoß in dem Entwurf in den folgenden drei Punkten verschärft - ich zitiere -:
1) Der Bürger kann auf Grund eines Gesetzes weniger als jemals zuvor wissen, was mit seinen Daten bei welcher Gelegenheit geschieht.
({5})
2) Das alte Personenkennzeichen wird durch ein aufeinander abgestimmtes, verbundenes System von PK-Substituten ersetzt ({6}).
3) Die verfassungsgerichtlich gewährte Datenschutzkontrolle wird im zentralen Bereich des Geheimabrufs beseitigt.
Da mag sich das Bundesverfassungsgericht - irgendein Gericht, wie Sie das zu nennen pflegen, Herr Kollege Miltner - auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen und festlegen, daß dies
auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Sachverhalte offenbart werden,
umfaßt und daß
diese Befugnis unter den heutigen und künftigen Bedingungen
- jetzt hören Sie einmal gut zu der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes ({7}) ...
- aber was schert das diese Koalition und diesen Verfassungsminister! Für ihn beinhaltet das Grundgesetz im wesentlichen den staatlichen Macht- und Kontrollanspruch gegenüber dem Bürger, auch wenn das Verfassungsgericht im Gegenteil davon ausgeht, daß die Grundrechte „Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat" seien.
Der fälschungssichere und maschinenlesbare Personalausweis ist eine jener juristischen Monstrositäten aus der Zeit der Terrorismushysterie, von welchen die Bundesrepublik noch so manche mit sich schleppt. Man sollte dieses überwachungsstaatliche Attentat auf Verfassung und Bürgerfreiheit endlich aufgeben.
({8})
Fälschungssicher ist diese Mustermannkarte eh
nicht. Der maschinenlesbare Personalausweis
schafft nicht ein Mehr an Sicherheit - das ist wirkFischer ({9})
lich ein dummes Geschwätz, das Sie hier zum besten geben -, sondern stellt selber ein eminentes Sicherheitsrisiko dar.
({10})
In diesem Sinne ist unser Gesetzentwurf eingebracht worden, der den schlichten Abbruch dieses ganzen Unternehmens verlangt und zu Recht vermerkt: „Alternativen ... Kosten: keine". Punktum!
({11})
Wir brauchen keinen neuen Personalausweis, weder einen fälschungssicheren noch gar einen maschinenlesbaren. Was wir nötig brauchen, ist mehr Grundrechtschutz gerade in dem sensiblen Bereich persönlicher Daten.
Nun haben wir von Fritze Zimmermann zwar keine Antwort auf unsere Große Anfrage erhalten, aber je mehr der Innenminister in schweigendem Trotz verharrt, desto heftiger dampft natürlich die Gerüchteküche. In eingeweihten Kreisen gilt der maschinenlesbare Personalausweis - - Soll er jetzt nur noch fälschungssicher sein, Herr Hirsch, und nicht mehr maschinenlesbar? Ich habe da so einen leichten Zwischenton gehört. Aber wir werden es ja noch erleben.
({12})
- Ich habe versucht zuzuhören, Herr Kollege Kleinert. Deswegen sagte ich ja, daß ich einen Zwischenton gehört habe.
In eingeweihten Kreisen gilt der maschinenlesbare Personalausweis bereits als abgenagter Knochen, welchen man der Datenschutzopposition zum Fraße vorzuwerfen gedenkt, um mit anderer überwachungsstaatlicher Konterbande zu enteilen. „Es war die Bundesregierung", sagt ein Fachmann, „nicht die Polizei, die an die Stelle des maschinenlesbaren und fälschungssicheren Kfz-Kennzeichens den maschinenlesbaren Personalausweis setzte, dessen Wirksamkeit bezweifelt werden muß", so verlautbarte da unlängst ein gewisser Horst Herold. Der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts und Chefideologe des modernen Überwachungsstaats gibt uns da einen wertvollen Hinweis.
Nachdem die Einführung eines maschinenlesbaren Europapasses gescheitert ist und Ihr launiger Bundeskanzler zudem die Grenzkontrollen ins westliche Ausland aufzuheben versprach, da taugt natürlich der maschinenlesbare Personalausweis nur noch sehr bedingt für die Zwecke massenhafter Kontrolle und Überwachung, und zudem war er, folgt man Herold, für die Polizei eh schon immer zweite Wahl.
Beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg hatte man vor Jahren mit der Errichtung einer zentralen Datenbank mit den Daten der Halter von mehr als 20 Millionen Kraftfahrzeugen begonnen. Ihr Aufbau wurde in diesem Jahr abgeschlossen. Es ist eine gewaltige Datensammlung, bei welcher sich sämtliche Polizeidienststellen in Bund und Ländern nebst den obligatorischen Geheimdiensten in direktem Zugriff und unkontrolliert bedienen können.
Mit diesem System werden die Grenzkontrollen im Inland stattfinden, unerkannt vom Bürger und noch umfassender als bisher an den Grenzen.
Liest man den darüber handelnden Abschnitt im sechsten Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten, so spürt man dessen kaum verborgenes Entsetzen angesichts jenes zentralen Überwachungssystems mit dem lieblichen Namen ZEVIS, welches eine bis dato eher verschlafene Behörde in einen „Großen Bruder" à la Orwell verwandelt hat. Für den Datenschutzbeauftragten ist diese Datei schlichtweg illegal, weil ohne gesetzliche Grundlage.
Hören wir ihm weiter zu! Ich zitiere:
Der Eintritt in die Aufbauphase und der vorgesehene vollständige Ausbau bis zum Jahre 1984 macht deutlich, daß anscheinend nicht oder nicht mehr die Absicht bestand, die Entscheidung des Gesetzgebers
- das sind wir alle hier abzuwarten, um die Systemplanungen an den Vorgaben des Gesetzgebers zu orientieren; vielmehr dürfte der Ausbau vollständig vollzogen sein, wenn sich der Deutsche Bundestag anläßlich eines entsprechenden Gesetzentwurfs mit der Angelegenheit befaßt.
So der sechste Tätigkeitsbericht.
Nun, der Gesetzentwurf wird gegenwärtig ausgeheckt. Aber er beinhaltet im wesentlichen die bloße Legalisierung einer bisher illegalen Überwachungspraxis bundesdeutscher Behörden, wenn man den Pressemeldungen folgen darf.
Die Bundesregierung sollte die Karten bei ZEVIS endlich offen auf den Tisch legen. Sie sollte damit aufhören, das Parlament zu übergehen und illegale Tatsachen zu schaffen, die es dann im Nachtrag zu legalisieren gilt.
({13})
Sie sollte auch Schluß damit machen, die Bürger für dumm zu verkaufen, indem sie ihnen offene Grenzen verspricht, nur um im Inland die elektronischen Kontrollen um so dichter, massenhafter und anonymer anzusetzen.
({14})
Was, Herr Zimmermann, Herr Dollinger, so fragen wir, wird mit ZEVIS wirklich beabsichtigt? Wir verlangen von Ihnen die umfassende Offenlegung von Absicht und Praxis dieses Systems. Sie können sich da auf die nächste Große Anfrage vorbereiten. Vielleicht klappt es dann endlich mit dem Antworten.
({15})
Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.
Es ist uns aus dem Straßenverkehr und seiner rechtlichen Regelung kein einziger Grund bekannt geworden, welcher die Notwendigkeit eines solchen zentralen Verkehrsinformationssystems erfordern würde. Die Gründe liegen ausschließlich im Bereich polizeilicher und geheimdienstlicher Kontrolle und Erfassung. Bei ZEVIS handelt es sich um einen wei6174
Fischer ({16})
teren, unserer Meinung nach noch wesentlich schlimmeren Anschlag auf die Bürgerfreiheit und Verfassung, als es der maschinenlesbare Personalausweis ist. Für uns GRÜNE bedeutet dies, daß eine solche Datei vom Gesetzgeber kassiert werden muß.
Alles in allem bleibt festzustellen: Der Datenschutz - und damit auch der Gesetzgeber - läuft der rasanten Entwicklung der Kontrolltechnologie beständig hinterher. Ohne eine wirkliche Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, d. h. auf Bundesebene Ausgliederung aus dem für die meisten Anschläge auf die innere Freiheit verantwortlichen Innenministerium, ohne eine radikale Erweiterung seiner Kompetenzen in Richtung exekutiver Befugnisse bei illegalen Dateien und ähnlichem mehr, ohne personellen Ausbau wird der Datenschutzbeauftragte als demokratische Schutz- und Konfliktbehörde nicht funktionieren können. Es ist schon ein trüber Witz, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, dieser verlängerte Arm parlamentarischer Kontrolle, dem hauptsächlich zu Kontrollierenden, nämlich dem Polizeiminister, unterstellt ist. Hier wäre dem Präsidenten des Deutschen Bundestages - oder den Präsidenten - dringend anzuraten, ein wesentliches Element parlamentarischer Kontrolle von der Regierung zurückzufordern, anstatt sich mit dem albernen Gezänk um jenes Wochenblatt namens „Parlament" von dem Bundesinnenminister abspeisen zu lassen.
({17})
Wir wissen um die mühevolle Arbeit des Datenschutzbeauftragten und seiner Mitarbeiter. Ihnen sei hier ausdrücklich gedankt.
({18})
Nun sollte man sich ernsthaft überlegen, ob es angesichts der dramatischen Veränderungen in der Informationstechnologie und einer niemals befriedigten Kontrollüsternheit der staatlichen Organe noch genügt, die notwendige Kritik weiterhin in Streicheleinheiten und in gutes Zureden zu verpakken.
Ein Unding finden wir allerdings, daß die wesentlichen Prüfberichte des Datenschutzbeauftragten bei den Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden als geheim eingestuft und damit der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Hier fordern wir schonungslose Offenlegung gemäß dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Man rede sich dabei nicht mit dem Sicherheitsrisiko heraus. Da geht es nicht um Ostspione, sondern um die verfassungsfeindliche Praxis des Überwachungsstaates.
Der SPD - ich komme jetzt zu Ihnen - sind mittlerweile erhebliche Bedenken gekommen. Da haben Sie eine Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz vorgelegt. Wir werden das nachher debattieren. In der Tendenz steht da viel Richtiges, etwa die Stärkung der Rechte der Bürger bezüglich Aufklärungspflicht, Schadenersatzansprüche etc., stärkere Präzisierung und Beschränkung des behördlichen Verarbeitungsrahmens, Stärkung der Aufsichtsorgane und Einschränkung der Datenprivilegien der
Sicherheitsbehörden - wenn auch nur ganz klein. Wie gesagt: Alles richtige und wichtige Dinge, nur, wie meistens bei den Sozialdemokraten, viel zu spät und viel zu lau. Das ist aber schwer zu ändern.
({19})
So spricht, Kollege Duve, nicht eine radikaldemokratische Opposition, sondern eine Regierung im Wartestand. Es gilt dabei anzumerken, daß Sie nur acht geben müsse, daß Ihnen ob des Wartens nicht so manches einschläft und Sie am Ende recht lange zu warten haben ({20})
etwas, was letztendlich auch nicht in meinem Interesse wäre. Der hessische Datenschutzbeauftragte, Professor Simitis, sprach unlängst von der „tiefsten Krise" des Datenschutzes trotz des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts. Er konstatierte die Gefahr seiner „Domestizierung" durch die staatliche Verwaltung und machte dafür „zwei Konstruktionsfehler" im Bundesdatenschutzgesetz verantwortlich: die Beschränkung des Gesetzes auf Generalklauseln, welche den Behörden ihre jeweils passende Interpretation ermögliche, und die vom Gesetz propagierte Ansicht, daß es sich bei den Datenschutzgesetzen um Auffanggesetze handele, d. h. daß diese lediglich Mißbräuche zu beseitigen hätten. Wir stimmen dieser Einschätzung zu.
Ebenso folgen wir der Forderung nach präzisen bereichsspezifischen Regelungen des automatisierten Datenverarbeitungsverfahrens in jedem einzelnen Abschnitt. Insofern wird man um eine generelle Revision des Bundesdatenschutzgesetzes nicht herumkommen. Man wird es, ausgehend von dem Grundrecht auf infomationelle Selbstbestimmung und den schlimmen Erfahrungen mit der Staatsverwaltung, völlig neu schreiben müssen. Auch unter diesem Gesichtspunkt halten wir den SPD-Entwurf für völlig unzureichend.
Man sollte den bereichsspezifischen Datenschutz versuchen, auch dynamisiert mittels zeitlich befristeten Gesetzen, um mit der technologischen Entwicklung Schritt halten zu können. Man sollte ebenso die Möglichkeiten des technischen Datenschutzes untersuchen und das Sinnvolle machen, sofern das nicht nur als Vorwand dient, die Datenbestände auszuweiten und gegen unerlaubten Zugriff zu sichern.
Aber dennoch bleibt uns eine tiefe Skepsis angesichts der kommenden technologischen Entwicklung. Die zukünftige, die fünfte Generation der Computer eröffnet selbst für einen vernarrten Liebhaber dieses Geräts wie Horst Herold bedrückende Perspektiven. Dann nämlich wird die Digitalisierung der fahndenden Personenerkennung - wie er das nennt - Wirklichkeit werden, d. h. die Maschine kann dann Stimmen identifizieren, beliebige Hand- und Maschinenschriften lesen, Personen an Hand von Bildern erkennen und vieles mehr. Herold schreibt dazu:
Einem Straftäter könnte die Tat wesentlich erschwert werden, wenn die Digitalwerte seines
Fischer ({21})
Lichtbildes, seiner Stimme und seiner Schrift überall dort in Kontrollanlagen für denkbare Angriffsobjekte gespeichert wären, wo die Wiederholung der Straftat droht.
Die Digitalmauer - wie er das nennt - könnte dann wirksamer als die Gefängnismauer sein, was aber im Klartext nichts anderes heißt, als daß sich das Gefängnis auf die gesamte Gesellschaft elektronisch ausgedehnt hätte.
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Herold sieht darin „ein denkbares Umkippen zu totalitären Formen der Digitalisierung beliebig großer gesellschaftlicher Gruppen". Das ist keine Science fiction, sondern wird heute geplant und morgen Wirklichkeit werden.
Der freiheitliche Verfassungsstaat steht vor einer grundsätzlichen Herausforderung. Wenn wir nicht acht geben, könnte es sein, daß der Verfassung trotz Datenschutz technologisch der Boden entzogen würde. Die Informationstechnologie ist eben nicht nur eine Technologie wie jede andere, sondern sie besitzt im wahrsten Sinne des Wortes umstürzende Qualität.
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Wieviel sind die individuellen Verfassungsgarantien in einer Informationsgesellschaft der fünften Generation für das Individuum eigentlich noch wert? Wäre angesichts eines ungeheuren Formierungsdrucks auf die Einzelnen persönliche Freiheit überhaupt noch vorhanden? Genau diese Überlegungen und Befürchtungen formulierte übrigens das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil. Wir wissen uns also in guter Gesellschaft bei unserer sogenannten Panik. Und genau deshalb bedarf es einer grundsätzlichen Novellierung des Datenschutzes.
Politik und Datenschutz befinden sich gegenüber der Informationstechnologie in einer ähnlichen Lage wie die Abrüstungsbemühungen gegenüber der Kriegsmaschinerie. Die Technik setzt die Imperative, Politik und Recht hinken hinterher. Heute entscheidet etwa im Sicherheitsbereich - welch absurde Situation - die AG Kripo der Innenministerkonferenz über die Technologie des Überwachungsstaates. Der Gesetzgeber darf die Fakten - siehe beispielsweise ZEVIS - dann zur Kenntnis nehmen und noch notifizieren. Das ist unserer Meinung nach ein unhaltbarer, aber auch ein äußerst gefährlicher Zustand.
({24})
Die Einführung einer neuen Computergeneration oder neuer Verarbeitungstechnologien ist keine technische, sondern eine hochpolitische Frage. Sie muß vor allen Dingen vorher und nicht hinterher politisch entschieden werden. Gleiches gilt für die Einführung und die Produktion neuer Waffensysteme.
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Die neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen
haben hierzulande - ich will das einmal als Beispiel anführen - eine gewaltige politische Kontroverse und nachhaltige Erschütterungen ausgelöst. Das ist gut so; denn unserer Meinung nach ist der Frieden zu wichtig, als daß man ihn politischen Ignoranten und militärischen Fachidioten allein überlassen könnte. Ähnliches gilt für die innere Freiheit.
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Andernfalls - wenn der Gesetzgeber seine Aufgabe nicht wahrnehmen wird, wenn er vorher nicht politisch festgelegt, welche Basistechnologien eingeführt werden sollen - taumeln wir, getrieben von Sicherheitsängsten und dem Versprechen nach mehr Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit, in einen Überwachungsstaat, der, in seinen technologischen Grundzügen einmal eingerichtet, kaum noch zu beseitigen sein wird. Gott sei Dank zeigt der Volkszählungsboykott, das dazugehörige Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der lautlose Aufstand gegen die Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken und Sparkassen, daß sich hier in der Bevölkerung eine Akzeptanzlücke auftut, die uns Hoffnungen macht. Datenverweigerung und subversive Phantasie gegen den erbarmungslosen Zugriff der Großsysteme sind politisch angesagt, und ohne diesen Widerstand der Bürger im Alltag wären all der juristische Datenschutz - so wichtig er im übrigen ist - und die freiheitliche Verfassung nicht mehr viel wert.
Wir GRÜNE wissen daher, auf welcher Seite wir zu stehen haben. Wir werden alles unternehmen, Herr Zimmermann, daß Sie und Ihresgleichen in dieser Auseinandersetzung um die Akzeptanz unterliegen werden.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Dezember 1982 hat der Deutsche Bundestag einstimmig ein neues Personalausweisgesetz, das die Rechtsgrundlage für die Einführung fälschungssicherer und automatisch lesbarer Personalausweise geschaffen hat, verabschiedet. Seit Jahren sind sich Bund und Länder darin einig, daß dieser neue Ausweis zur effektiveren Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus notwendig sei, weil der derzeit verwendete, insbesondere wegen seiner leichten Verfälschbarkeit, nicht mehr den Anforderungen entspricht, die an ein Identitätspapier zu stellen sind.
In jedem Bereich der Technik - ich beziehe mich auf Herrn Kollegen Hirsch -, in der gesamtem Umweltpolitik, bei der Entschwefelung der Kraftwerke und überall, wird der Stand der Technik gefordert, manchmal fordern wir sogar schon den Stand der Technik von morgen und übermorgen, wir versuchen das jedenfalls. Ausgerechnet hier soll der Stand der Technik nicht gelten, sondern
man würde sich mit Papieren begnügen, die es genauso schon im vorigen Jahrhundert gegeben hat.
({0})
- Das sind überhaupt unwichtige Dinge, Herr Duve, für Sie schon, das ist bekannt.
Ich darf meinen Vorgänger im Amt, Herrn Bundesminister Baum, zitieren, der 1979 von dieser Stelle ausgeführt hat:
Unsere Bürger haben einen Anspruch, gegen eine Kriminalität, die sich allenthalben modernster Technik bedient, erfolgreich geschützt zu werden. Fälschungssichere Personalausweise sind ein wirksamer Beitrag, diesen Anspruch zu erfüllen.
Dem kann die heutige Bundesregierung voll zustimmen.
Es sind schon eine ganze Reihe von Beispielen gebracht worden, wo im Bereich der mittleren Kriminalität, beim Scheck- und Darlehensbetrug und bei der Kfz-Anmietung die Ausweise in der Tat eine große Rolle spielen. Vor allem der Kollege Miltner hat eine ganze Reihe von Zahlen genannt, wie die Zahl der Fahndungen nach Blanko-Personalausweisen ist, die Zahl der gestohlenen Ausweise, wieviel solcher Ausweise sich in den RAF-Depots befanden usw.
Man kann sich selbstverständlich für beide Möglichkeiten entscheiden, für den nur fälschungssicheren und für den auch automatisch lesbaren Personalausweis. Dabei muß jeder wissen - auch das ist gesagt worden -, daß heute selbstverständlich jedes Papier automatisch lesbar gemacht werden kann. Es kommt nur auf die Apparate an, die man dazu verwendet. Auch aus diesem Grund stelle ich hier die Frage, warum man nicht den modernsten Stand der Technik nimmt.
Nicht nur Grenzkontrollen beschleunigen sich, denn dort, wo Stichproben gemacht werden, muß j a nach wie vor kontrolliert werden. Bei Kontrollen an Flughäfen ist es das gleiche. Es gibt überhaupt eine ganze Reihe von vorstellbaren Tatbeständen, bei denen das von Bedeutung ist.
So hält der Bundesminister des Innern mit der weit überwiegenden Zahl der Innenminister der Länder auch heute einen fälschungssicheren und automatisch lesbaren Personalausweis aus Gründen der inneren Sicherheit für geboten.
Obwohl eine enorme Kampagne gegen den neuen Ausweis stattgefunden hat, gibt es eine nicht vom Bundesinnenminister in Auftrag gegebene Umfrage von infas, die im Juli herausgegeben worden ist. Danach haben sich über zwei Drittel der Bevölkerung für einen fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweis ausgesprochen. Nur 12 waren dagegen.
({1})
- Die gehören sicher nicht zu Ihrer Klientel, Herr Ehmke.
({2})
- Sie lachen wegen etwas anderem. Na ja, mir ist es ziemlich gleichgültig, weshalb Sie lachen.
({3})
- Da irren Sie sich. Wir sind da immer sehr fröhlich. Aber Sie können das Bild ja herzeigen. Vielleicht lache dann auch ich.
Wir werden also fortfahren, den interessierten Bürger nüchtern und umfassend über die sicherheitspolitische Bedeutung des Ausweises zu informieren. Diesem Ziel dient auch die Änderung des Bundespersonalausweisgesetzes. Wie ich bereits in meiner Stellungnahme vom 25. April dieses Jahres zu den Auswirkungen des Urteils des Verfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz gegenüber dem Innenausschuß des Bundestages ausgeführt habe, sind wir bei der Urteilsprüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß das Personalausweisgesetz unter Beachtung der in diesem Urteil enthaltenen Grundsätze und von Hinweisen der Datenschutzbeauftragten im Sinne einer zusätzlichen Datenschutzfreundlichkeit novelliert werden sollte.
Der dementsprechende Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes ist inzwischen den Innenministern der Länder zur Prüfung vorgelegt worden. Sie sind wieder ganz überwiegend der Auffassung, daß der Gesetzentwurf geeignet ist, die mit der Ausgabe des neuen Ausweises für die innere Sicherheit verfolgten Ziele zu erreichen,
({4})
aber auch den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichts ergeben.
Da das Inkrafttreten zum 1. November schon im Hinblick auf die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens nicht erreichbar ist, ist eine Verschiebung des Einführungstermins unvermeidbar. Die Bundesregierung unterstützt deshalb den Initiativgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, mit dem der Einführungstermin aufgehoben werden soll. - Ich hoffe, daß die noch laufenden Abstimmungen des Entwurfes zur Änderung des Gesetzes zügig zum Abschluß gebracht werden können.
Die Auswertung des Verfassungsgerichtsurteils zum Volkszählungsgesetz, die im Zusammenwirken mit der Innenministerkonferenz der Länder erfolgt ist, hat auch ergeben, daß verschiedene präzisierende Regelungen im Bereich der Datenerhebung und -verarbeitung bei Polizei und Verfassungsschutzbehörden erforderlich sind. Wegen der Komplexität dieser Fragen konnte die gegenseitige Abstimmung verständlicherweise noch nicht abgeschlossen werden.
Mit der Frage der Schaffung von bereichsspezifischen Regelungen im Bereich der Datenerhebung
und -verarbeitung bei Polizei und Verfassungsschutzbehörden stehen zwei weitere Problemkreise in engem Zusammenhang. Ausgehend von den Empfehlungen der Höcherl-Kommission und des 1. Untersuchungsausschusses des Bundestages prüft die Bundesregierung zur Zeit, durch welche gesetzlichen Regelungen die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit des MAD verbessert werden können.
Zum anderen stellt sich die Problematik einer gesetzlichen Verfestigung der Zusammenarbeit und Amtshilfe zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diesem vielschichtigen Problemkreis am ehesten durch die Erarbeitung einer bundesgesetzlichen Regelung entsprochen werden kann, die allerdings wegen der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern für die innere Sicherheit unseres Staates sorgfältig mit den Ländern abgestimmt werden muß.
Bei den gesamten Überlegungen muß es darauf ankommen, ausgewogene Lösungen zu finden. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß der Schutz des Persönlichkeitsrechtes des einzelnen mit dem gemeinsamen Ziel konkurrieren kann, die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, beides zu gewährleisten.
Auch Regelungen im Sicherheitsbereich können nicht gänzlich auf Generalklauseln verzichten. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden ist so unmittelbar mit der Vielfalt des täglichen Lebens konfrontiert, daß ihre Aufgabenerfüllung nicht total in Regelwerken ersticken darf. Die Datenschutzgesetzgebung darf notwendige und rechtsstaatlich vertretbare Spielräume der Verwaltung nicht einengen, die Sicherheitsbehörden dürfen durch neue gesetzliche Regelungen in ihren Kompetenzen nicht so beschnitten werden, daß sie unwirksam werden, daß sie ihre Aufgaben im Interesse der Sicherheit der Bürger nicht erfüllen können. Es ist doch wohl die Sicherheit der Bürger, deretwegen wir hier stehen und miteinander diese Fragen diskutieren.
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Denn der Bürger, der keine Angst vor dem Schrekkensgemälde hat, das Sie, Herr Fischer, hier in unzulässiger Weise entworfen haben, der hat auch keine Angst vor dem neuen Personalausweis. Der hat nur Angst vor Ihnen.
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- Aber nur für Sie. Und darauf bin ich stolz.
({7})
- Wenn Sie mich lieben würden, hätte ich Angst, Herr Fischer.
({8})
Zu den Fragen der GRÜNEN.
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Natürlich kann kein Ausweissystem absolut gegen eine mißbräuchliche Benutzung gesichert werden. Der neue Ausweis bildet aber ein Maximum an Sicherheit gegen Manipulationsversuche. Die Gründe dafür sind vorher dargestellt worden. Die Bundesregierung teilt die Bedenken des Kronzeugen der SPD und der GRÜNEN, des ständig zitierten Leiters des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg, gegen den neuen Ausweis nicht. Dieser Herr steht mit seiner Meinung im deutschen Verfassungsschutz ziemlich allein.
({10})
Hinsichtlich des Ausweichens auf ausländische Papiere ist zu bedenken, daß ein Aufenthalt im Bundesgebiet mit einem Paß oder Personalausweis eines anderen Staates wesentlich schwieriger als mit einem deutschen Ausweis ist, da Ausländer nicht nur den melderechtlichen, sondern auch den ausländerrechtlichen Bestimmungen unterliegen.
({11})
Im übrigen ist falsch, was hier von Ihnen, Herr Schäfer, gesagt worden ist, daß andere Staaten an der Einführung fälschungssicherer, automatisch lesbarer Personalausweise oder Reisepässe nicht arbeiten würden. Zwei Staaten arbeiten daran, nämlich Belgien und Großbritannien.
({12})
Zu den Fragen zwei und drei. Belgien und Großbritannien, die daran arbeiten, sind ja zwei ganz undemokratische Staaten.
({13})
- Nein, darum arbeiten sie ja an einem neuen Ausweis - Herr Fischer, stellen Sie sich vor, es ist möglich, daß ein Land, in dem es noch keinen gibt, erkennt, daß es einen möchte, und dann möchte es den modernsten. Das sprengt natürlich Ihr Vorstellungsvermögen total.
({14})
- Ihre Stimmlage ist so gefährdend - um jetzt einmal im Polizeijargon zu sprechen -, daß ich Sie bitte, etwas weniger zu stören und sich auf intelligentere Zwischenrufe zu beschränken.
({15})
- Es spricht hier nicht die Exekutive, sondern der Kollege, er darf das bewerten.
({16})
Ebenso wie in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, kann es in begründeten Ausnahmefällen erforderlich werden - z. B. bei Entführungen durch terroristische Gewalttäter -, den Personenverkehr örtlich und zeitlich begrenzt umfassend zu kontrollieren. Ich hoffe, Sie können sich noch vorstellen, daß so etwas möglich ist. Es liegt noch nicht so lange zurück. Eine automatische Lesbarkeit des neuen Ausweises würde es ermöglichen, Kontrollen in solchen Fällen schneller und unter geringerer Belästigung durchzuführen. Wie bisher soll nur die Personen- und Sachfahndungsdatei des polizeilichen Informationssystems INPOL erschlossen werden.
Im übrigen bewirken Fahndungsabfragen an der Grenze keine weitere Datenspeicherung. Die Notwendigkeit von Aufzeichnungen besteht nur in Ausnahmefällen, nur bei Maßnahmen zur Verfolgung oder Verhütung schwerer Straftaten.
({17})
Es darf ja hoffentlich auch weiter sein, daß Straftaten verfolgt werden. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Aufzeichnung automatischer Abfragen mit Hilfe des neuen Personalausweises auf solche Ausnahmefälle zu beschränken. Gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen ist das Personalausweisgesetz in Verbindung mit dem Polizeirecht des Bundes und der Länder sowie der Strafprozeßordnung.
({18})
Frage vier ist schon beantwortet.
Zu Frage fünf. Das automatische Lesen des neuen Personalausweises ist in den §§ 3 und 4 des Gesetzes verankert. Seine erleichterte Lesbarkeit im unteren Teil des Ausweises ist durch Rechtsverordnung vom 15. März 1983 bestimmt.
Zu Frage sechs. Der Gesetzgeber hat im Personalausweisgesetz spezielle Regelungen getroffen, die die Einführung eines Personenkennzeichens und die Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung der Seriennummer ausschließen. Die Bundesregierung ist bereit, diese Regelungen noch weiter zu präzisieren. Nach den Meldegesetzen werden die Meldedaten nur bei der für die Einwohner zuständigen Meldebehörde gespeichert; ein bundesweit einheitlicher Zugriff ist ausgeschlossen.
Zu Frage sieben. Die Bundesregierung hält die Regelung im neuen Personalausweisgesetz, die es verbietet, daß auf dem Personalausweis verschlüsselte Angaben über die Person des Inhabers enthalten sind, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes für sinnvoll.
Zu Frage acht. Einrichtung ist die erstmalige Speicherung von neuen Daten in einer Datei, während es sich bei der Erschließung um den Zugriff auf bereits vorhandene Daten einer Datei handelt. Im übrigen wird geprüft, ob diese Begriffe im Zuge der Änderung des neuen Personalausweisgesetzes präzisiert werden sollten. Die Bundesregierung teilt die Ansicht der Datenschutzbeauftragten, daß unter den Begriff „Einrichtung von Dateien" auch die Protokollierung des Abrufes personenbezogener Daten aus einem Polizeiinformationssystem fällt.
Zu Frage 9. Die Bundesregierung wird im Rahmen der Novellierung des Personalausweisgesetzes vorschlagen, die automatische Einrichtung von Dateien im nichtöffentlichen Bereich mittels des Personalausweisgesetzes zu verbieten. Die Frage der Zulässigkeit einer nichtautomatischen Erschließung von Dateien ist im Personalausweisgesetz nicht geregelt. Soweit eine Erschließung von Dateien ohne Verwendung des Personalausweises erfolgt, kann diese Frage schon aus gesetzessystematischen Gründen nicht im Personalausweisgesetz normiert werden. Die Bußgeldvorschrift gilt nicht für öffentliche Bedienstete, weil diese von den mit der Fach- und Dienstaufsicht befaßten Stellen mit der Möglichkeit der Einleitung von Disziplinarverfahren und auch von den Datenschutzbeauftragten überwacht werden.
Zu Frage 10. § 4 des Personalausweisgesetzes dient der Klarstellung, daß auch der neue Personalausweis die herkömmliche Funktion staatlicher Ausweise als Ausweispapier im privaten Rechtsverkehr behält. Wie bisher ist eine Verwendung des Ausweises als Werksausweis oder als Zugangsberechtigung für ein Bankkonto erlaubt.
Die Frage 11 habe ich bereits vorher beantwortet.
Zu Frage 12. Der Europarat hat einen Expertenausschuß beauftragt, die Frage des bereichsspezifischen Datenschutzes im Zusammenhang mit der Einführung maschinell lesbarer Identitätsdokumente zu prüfen und Vorschläge zu unterbreiten. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß die Datenschutzregelungen im Personalausweisgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch im internationalen Bereich Eingang finden.
Zur letzten Frage 13. Die Bundesdruckerei hat die Vorarbeiten zur Herstellung des neuen Ausweises weitgehend abgeschlossen. Die Maßnahmen haben bisher 120 Millionen DM gekostet. Hinzu treten die Kosten der Personalausweisbehörden der Länder, insbesondere der Städte, die ihre automatische Datenverarbeitung einsetzen. Die Kosten der Bundesdruckerei schlüsseln sich wie folgt auf: Kauf von Maschinen und Geräten ca. 22 Millionen DM, Kauf von Material ca. 12 Millionen DM, Kauf und Miete von hard- und software ca. 55 Millionen DM, Entwicklungskosten ca. 11 Millionen DM, Ausgleichszahlungen an die Computergesellschaft ca. 5 Millionen DM, Entwicklungskosten an AgFA ca. 4,5 Millionen DM, sonstige innerbetriebliche Kosten ca. 11 Millionen DM. Für die Ausgabe des neuen Personalausweises soll grundsätzlich eine Gebühr von 10 DM erhoben werden. Wenn ein Ausweispflichtiger bedürftig ist, kann von der Gebührenerhebung abgesehen werden.
Nach einer Stellungnahme des Bundesrates betragen die zusätzlichen Bereitstellungskosten der Gemeinden für die Ausgabe des neuen Ausweises rund 10 DM, so daß die Gebühr im wesentlichen die Mehrkosten abdeckt. Die Bundesregierung hält diese Kosten, die durch Beschlüsse der früheren
Bundesregierung und einstimmig gefaßte Gesetzesbeschlüsse des früheren Deutschen Bundestages verursacht sind, aus sicherheitspolitischen Gründen für gerechtfertigt. Der Personalbestand des Bundesbeauftragten für den Datenschutz braucht mit Inkrafttreten des neuen Personalgesetzes, das alle datenschutzrechtlichen Regelungen beachten wird, die notwendig sind, nicht erhöht zu werden.
Ich bitte um Nachsicht, daß die Bundesregierung sich aus internen Abstimmungsgründen innerhalb der Koalitionsfraktionen nicht in der Lage gesehen hat, Ihre Fragen rechtzeitig schriftlich zu beantworten. Sie haben das mit Recht moniert. Ich habe heute versucht, wenigstens mündlich eine dementsprechende Antwort zu geben.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine merkwürdige Art und Weise, in der sich die Bundesregierung in wirklich schwerwiegenden und wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen darstellt. Es ist ja nicht das erste Mal, daß sie nicht in der Lage ist, rechtzeitig Anfragen des Parlaments zu beantworten, daß sie aber dann so tut, als sei das ein normaler Vorgang. In der Ausländerfrage, wo eine Große Anfrage aussteht, ist es das gleiche.
({0})
Zu dieser wichtigen Frage des Personalausweisgesetzes rattern Sie dem Parlament gegenüber Antworten auf die Frage herunter. Das ist eine Mißachtung parlamentarischer Gebräuche.
({1})
Gleichzeitig zeigt sich natürlich, wie unsicher in der Abstimmung diese Regierung ist
({2})
und wie wenig überzeugend diese Regierung in ganz bestimmten wichtigen Fragen ist, obwohl zum Teil ein bis zwei Jahre Zeit ist, sich abzustimmen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegt ja nun schon relativ lang zurück.
({3})
Und in der Rede selbst, die der Herr Zimmermann hier soeben lustlos heruntergerattert hat, ist, bezogen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, im Grund genommen wenig ausgesagt.
({4})
Was will denn die Bundesregierung konkret tun? Sie kann es immer noch nicht sagen. Und weil sie es nicht sagen kann, muß sie einen Tag vor der Debatte auf die Terminverschiebung ausweichen.
Wir begrüßen es, daß auch Sie jetzt den Gesetzesantrag gestellt haben, den Termin des Inkrafttretens nicht iri den November zu legen, sondern einen späteren Zeitpunkt zu wählen. Das zeigt deutlich, daß Sie nicht in der Lage sind, so etwas rechtzeitig
zu machen, obwohl die Opposition es schon seit langem gefordert hat. Daß eine ganze Menge passiert ist - da gehe ich auf Herrn Miltner ein, der vorhin sentimental gesagt hat: Was waren das für schöne Zeiten, als wir mit Herrn Pensky gemeinsam diesen Entwurf eingebracht haben -, geht doch wohl schon daraus hervor, daß die Bundesregierung jetzt selber verschieben muß und nicht in der Lage ist, das, was damals beschlossen worden ist, durchzusetzen.
Daran hat ohne Frage auch die FDP einen Anteil. Die Rede, die Herr Hirsch hier gehalten hat, hörte sich ganz ordentlich an. Nur, ich bin nach dem, was der Herr Zimmermann hier gesagt hat, nicht sicher, ob auch nur die Hälfte davon durchgesetzt wird. Nach allen Erfahrungen mit Ihnen und mit Abstimmungen in dieser Koalition glaube ich nicht, daß dabei sehr viel herauskommt. Einen Punkt habe ich noch im Ohr. Er hat gesagt: Es ist nichts gegen die Personenkennziffer einzuwenden; sie sei wünschenswert. Das ist für uns einer der kritischen Punkte.
Ich gehe noch einmal auf das ein, was uns bei der Einführung des neuen Personalausweises so beunruhigt und warum wir es uns nicht mit einer gefallsüchtigen Pseudoradikalität, die manchmal bei Herrn Fischer durchklang, leichtmachen, indem wir etwa einfach nur sagen, dieser Personalausweis muß weg, und den Eindruck erwecken, damit seien die Probleme vom Tisch.
({5})
Der neue Personalausweis ist nur ein Indiz für eine neue technische Infrastruktur, die - das hat Herr Fischer auch im zweiten Teil seiner Rede gesagt - uns größte Sorgen machen muß, weil damit die Kontroll- und Überwachungsmechanismen unseres Staates eine ganz neue Qualität erfahren.
Wir Sozialdemokraten machen es uns aber nicht so leicht, indem wir einfach nur sagen: der Ausweis muß weg; sondern wir versuchen, die technische Entwicklung durch datenschutzrechtliche Maßnahmen, die wir sowieso brauchen, ob dieser Personalausweis nun kommt oder nicht, einzugrenzen. Das ist für uns der entscheidende Punkt der Debatte. Wir stehen im Augenblick vor der Frage, inwieweit durch diesen neuen Personalausweis die Kontrolldichte, die größere Quantität der Kontrollen in eine neue Qualität umschlägt, ob beispielsweise Bewegungsprofile des Bürgers entstehen können.
Diese Fragen können nicht nur durch Zurücknehmen des Personalausweises gelöst werden. Wir wissen, daß die technische Entwicklung auch bei herkömmlichen und anderen Papieren dazu führen wird, daß qualitative Veränderungen möglich sind. Das bedeutet: Unabhängig von dieser Diskussion werden Gesetze zum Datenschutz über den mißbrauchverhindernden Datenschutz hinaus bis zur informationellen Selbstbestimmung geschaffen werden müssen. Das ist der entscheidende Punkt in der augenblicklichen Diskussion.
Ich weise noch einmal auf das hin, was nicht gerade sehr radikale Leute wie die Datenschützer - die Landesdatenschützer und die Bundesdaten6180
Wartenberg ({6})
Schützer - gesagt haben. Wer die Erklärungen dieser wichtigen Personengruppe zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts studiert, der erkennt, daß die Sorgen, die wir als Opposition haben, von diesen Institutionen voll geteilt werden. Ich führe, da es schon von anderen Kollegen im einzelnen gemacht worden ist, nicht noch mal die einzelnen Punkte auf, zu denen die Datenschützer intensive Forderungen stellen, um den Mißbrauch dieses neuen Personalausweises einzugrenzen.
Es besteht nach wie vor die Gefahr, daß neue große Datenbestände angelegt und abgefragt werden können, und zwar unbemerkt von dem Betroffenen. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, der auch vielen Bürgern nicht klar ist, nämlich daß sie diese neue Qualität in eine andere Lage dem Staat gegenüber versetzt.
({7})
Er wird sich in einer anderen Position den Staatsorganen gegenüber befinden. Viele Bürger wiegen sich jedoch in Sicherheit gemäß dem banalen Satz: „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen; was soll mir eigentlich passieren?"
Das Problem besteht darin, daß sich das Individuum durch diese neue Infrastruktur der Kontroll-
und Überwachungsmechanismen in einer neuen Situation befindet. Dies wird langfristig Auswirkungen haben, die unseren Staat ganz massiv verändern können.
Meine Damen und Herren, die Fragen, die sich daran knüpfen, können wahrscheinlich an Hand des Personalausweisgesetzes allein nicht gelöst werden. Aber gerade der Personalausweis symbolisiert die neue Qualität der Auseinandersetzungen. Ich meine, daß die Forderung erhoben werden muß, als Begleitschutzmaßnahme im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung bezüglich des neuen Personalausweises einen wirklich vorwärtsweisenden Datenschutz zu entwickeln.
Wir sind in der großen Sorge, daß diese Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist oder aber auch nicht will, weil einige Mitglieder wie Herr Zimmermann auch von ihrer Ideologie her dazu nicht bereit sind. Für Leute wie Zimmermann steht an erster Stelle das Ziel, die Kontroll- und Überwachungsmechanismen des Staats zu verschärfen. Wir sind nicht sicher, ob die liberalen Ansätze, die bei der FDP in dieser Frage noch bestehen - zum Teil wohl nur aus Profilierungsgründen -, in den Koalitionsabsprachen dazu führen, daß das vorliegende Gesetz gemäß den Forderungen der Datenschützer entschärft und die Freiheitsräume für das Individuum in unserem Staat in Zukunft gesichert bleiben werden.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erblast aus den Jahren der sozialliberalen Koalition
({0})
- ich weiß, das hören Sie nicht gern - besteht nicht nur aus Schulden, sondern sie besteht auch aus Gesetzesvorhaben, die nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts überarbeitet werden müssen. Deshalb muß, wie der Herr Bundesinnenminister gerade ausgeführt hat, die Einführung des fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweises nochmals aufgeschoben werden. Ich persönlich bedauere das sehr.
Die Unionsfraktion hält den neuen Personalausweis sowie in Ergänzung dazu einen deutschen Europapaß für sicherheitspolitisch erforderlich. Wir werden uns deshalb in der Koalition dafür einsetzen, daß möglichst bald ein datenschutzrechtlich ergänzter Gesetzentwurf eingebracht und verabschiedet wird.
Wesentliche Vorarbeiten - ich möchte sagen: sehr gute Vorarbeiten - sind im Hause des Bundesinnenministers bereits geleistet worden. Ich hoffe, daß dieses dann auch zu einer vernünftigen Regelung führt.
Herr Kollege Wartenberg, Sie haben sich eben bemüht, Herrn Hirsch nach seiner Rede ein paar Korsettstangen einzuziehen. Ich hoffe dennoch, daß wir ein vernünftiges Dokument hier vorlegen, das letzten Endes der Verbrechensbekämpfung dient.
Aus zwei Gründen ist es wichtig, den ganzen Sachverhalt noch einmal zu betonen, und zwar zum einen allen denjenigen gegenüber, die nicht aufhören, in möglichst kräftigen Farben am Bild des Innenministers Dr. Zimmermann als dem ewig unbelehrbaren, gegenüber Verfassungsargumenten unempfindlichen Dickhäuter
({1})
im innenpolitischen Porzellanladen herumzumalen. Wir sind, was Urteile des Bundesverfassungsgerichts angeht, sehr wohl lernfähig. Wir werden diesen Anregungen und Bedenken Rechnung tragen.
Die CDU/CSU-Fraktion, die sich der Menschenwürde und den Bürgerrechten unseres Grundgesetzes zutiefst verpflichtet fühlt, wird sich für die Belange des echten Datenschutzes einsetzen.
({2})
Nun behandeln wir heute in Erster Lesung den Gesetzentwurf der GRÜNEN, der, wie nicht anders erwartet, ein offenes Nein zum neuen Personalausweis sagt. Sie sind immer dagegen, warum nicht hier. Insofern ist das wenigstens offen.
Dann haben wir einen Gesetzentwurf der SPD, der vorgibt, die Einführung des neuen Ausweises zur Klärung datenschutzrechtlicher Fragen aufzuschieben. Ich meine, nach der Rede von Herrn Schäfer - die von Herrn Wartenberg war so ähnlich -({3})
kann man heute schon sagen: Das ist nur ein Schleiertanz, wo man noch nicht das sieht, was man gern sehen möchte. - Sie haben dieses Vorhaben längst aufgegeben.
({4}) Deswegen muß man Sie erheblich kritisieren.
Nun muß man Sie mal fragen, meine Damen und Herren von der SPD: Was soll eigentlich dieser Umdenkungsprozeß? Man muß Ihnen vorhalten, wie das früher war. Vorhin wurde schon der Kollege Pensky genannt. Ich nenne auch noch den Kollegen Hugo Brandt, der auszog, dem Vogel in Rheinland-Pfalz das Fürchten zu lernen, und heute dort nur Oppositionsführer ist. Der Brandt hat in seiner Rede damals im Jahre 1982 erklärt: Die Einführung fälschungssicherer Personalausweise ist ein wirklicher Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit. - Sehr schön. Nun könnte ich Sie zitieren, Herr Dr. Wernitz - ich habe ein hervorragendes Zitat, aber ich will das jetzt in dieser kurzen Zeit nicht alles bringen -, und ich könnte auch noch einmal den Herrn Pensky zitieren. Alle waren sie dafür, so schnell wie möglich hier den neuen fälschungssicheren Personalausweis einzuführen. Sie haben sich sogar beklagt, das sei ein Chaos, weil die Länder ihnen ein bißchen Schwierigkeiten wegen des Geldes machten. Es ist aber nichts geschehen. Nun kritisieren Sie uns. Irgendwo paßt das nicht zueinander.
Damals wandte sich nicht nur der Kollege Brandt - ich habe das ausgeführt - energisch dagegen, die Einführung der neuen Ausweise auf die lange Bank zu schieben. Nachdem aber eine hysterische Kampagne unter maßgeblicher Mitwirkung der GRÜNEN gegen den neuen Personalausweis entfacht worden war, sind für die SPD offensichtlich die Belange der Kriminalitätsbekämpfung zu einem lästigen Ballast auf dem Weg in ein bundesweites rot-grünes Bündnis geworden.
({5})
So ließ sich der SPD-Kollege Vahlberg am 2. Februar dieses Jahres im Pressedienst seiner Partei mit der Forderung vernehmen, das Gesetz zur Einführung des neuen Personalausweises doch insgesamt im Bundestag zu kassieren, weil der neue maschinenlesbare und fälschungssichere Ausweis ein Schritt in den totalen Überwachungsstaat sei. Das sind genau dieselben Vokabeln, die wir hier von den GRÜNEN hören.
Ich möchte daran erinnern, meine Damen und Herren von der SPD: Sie haben am 14. März in dem uns jetzt vorliegenden Gesetzentwurf die Einführung aufschieben wollen, um angeblich die datenschutzrechtlichen Fragen zu lösen. Nachdem nun, einen Monat später, der Gesetzentwurf der GRÜNEN vorliegt, machen Sie einen Rückzieher und sind im Prinzip dagegen. In diesem Zusammenhang zitiere ich auch noch den Herrn Kollegen Schäfer, der am 17. Juli 1984 ausgeführt hat: der Sicherheitsgewinn durch den neuen Ausweis sei nur marginal, die vom Bundesinnenministerium vorbereiteten datenschutzrechtlichen Verbesserungen des Gesetzes
seien absolut untauglich. Das konsequente Ende dieses bemerkenswerten Erkenntnisprozesses bildete schließlich der hessische Justizminister Günther, der vor wenigen Wochen mit entwaffnender Deutlichkeit empfahl, auf den neuen Ausweis ganz zu verzichten; im Orwell-Jahr würde damit eine Last von unserem Land genommen. Ich halte hier jeden Kommentar für überflüssig.
({6})
Offenbar müssen bei der SPD kriminalpolitische Einsichten proportional zur Annäherung an die GRÜNEN unter den Teppich gekehrt werden. Ich glaube, daß muß man hier so deutlich aussprechen.
Die Gegner des neuen fälschungssicheren Personalausweises haben sich auch heute wieder auf den Leiter des Hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Herrn Lochte, berufen, der sich im vergangenen Jahr im „Spiegel" über den Gesetzentwurf mokiert hatte. Ich möchte hier sagen: Schuster - wenn jetzt Herr Fischer da wäre, würde ich auch sagen: Fischer - bleib' bei deinem Leisten.
({7})
Ich möchte Sie eigentlich fragen: Ist es denn belanglos, wenn z. B. Terroristen, wie Mohnhaupt und Dutzi bei ihrer Festnahme verfälschte Bundespersonalausweise hatten oder am 2. Juli die festgenommenen Terroristen Eckes und Staub ebenfalls verfälschte Bundespersonalausweise mit sich führten?
({8})
Will man eigentlich nicht wahrhaben, daß etwa eine Reihe von Deutschen in der ersten Hälfte des Jahres 1983 unter Vorlage verfälschter Personalausweise im Raum Hessen und Nordrhein-Westfalen mit ungedeckten Schecks eine Vielzahl von Pkw kauften und dann ins Ausland verschoben.
({9})
oder daß eine Straftätergruppe seit 1978 in großem Stil unter Verwendung von hier entwendeten Blanko-Pässen und -Personalausweisen, die sie mit fiktiven Personalien versah, gestohlene Kraftfahrzeuge über Norditalien in den Nahen Osten verschob?
Wir haben es hier also mit Bandenkriminalität zu tun. Auch das alles läßt Sie aber völlig kalt. Sie wollen das Gesetzgebungsprojekt verhindern. „Verbrechensbekämpfung" ist für Sie jetzt offensichtlich ein Fremdwort. Wie schön war es damals, als Ihre Kollegen hier etwas anderes gesagt haben!
Gewiß wird auch nach der Einführung des neuen Ausweises ein Mißbrauch ausländischer Personalpapiere möglich sein, und es mag vielleicht auch dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR gelingen, nach einigen Jahren einen neuen Personalausweis zu fälschen. Aber ich meine, wir können nicht tatenlos zusehen, wie die Verfälschung der herkömmlichen Personalausweise in den letzten Jahren immer leichter geworden ist, weil die zunehmend aus Plastikmaterial hergestellten Fotos nicht
mehr dauerhaft mit dem Ausweispapier verbunden werden können.
Bei der Kriminalitätsbekämpfung soll offensichtlich auf einmal nichts mehr gelten. Wir sollen wohl so lange warten, bis die Gewähr für eine hundertprozentige Aufgriffquote beim Mißbrauch von Personaldokumenten gegeben ist. Diese gegenüber der unseren unterschiedliche Haltung der SPD zeigt auch eine Unehrlichkeit in der Argumentation zum neuen Personalausweis, und das möchte ich hier noch einmal herausgestrichen haben.
Ganz anders verhalten sich das Ministerkomitee des Europarates und die internationale Zivilluftfahrtorganisation. Beide waren realistischer, als sie 1977 und 1980 die Einführung fälschungssicherer und automatisch lesbarer Ausweiskarten empfahlen. Es kommt im übrigen nicht von ungefähr, daß seit einigen Jahren in den USA ein fälschungssicherer und maschinenlesbarer Paß ausgegeben wird. Das gleiche erleben wir in Großbritannien.
Ich kann in diesem Zusammenhang eigentlich nur an die Bundesregierung appellieren, möglichst bald in Abstimmung mit den Ländern einen datenschutzrechtlich überarbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen. Die CDU/CSU-Fraktion wird jedenfalls dafür eintreten.
Ich bedanke mich dafür, daß Sie mir zugehört haben.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 3 schlägt der Ältestenrat Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 10/1115 an den Innenausschuß vor. Zu Tagesordnungspunkt 4 schlägt der Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1316 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 6 und 7 der Tagesordnung auf:
6. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 10/1180 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
7. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
Fünfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({2})
- Drucksachen 9/2386, 10/1719 - Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz
Fischer ({3})
Dr. Hirsch
b) Beratung des Sechsten Tätigkeitsberichts des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({4})
- Drucksache 10/877 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({5})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Verteidigungsausschuß
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Forschung und Technologie
Zu Punkt 7 a) der Tagesordnung liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Wernitz, Fischer ({6}), Dr. Blank und Dr. Hirsch auf Drucksache 10/2004 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 und 7 und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe, es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Einstieg in diese Debatte materiell zum Teil vorhin schon gehabt. Das ist kein Schade, sondern das verdeutlicht durchaus den gegebenen Zusammenhang. Lassen Sie mich aber nun konzentriert auf die jetzt aufgerufenen Tagesordnungspunkte eingehen.
Wir Sozialdemokraten haben das Bundesdatenschutzgesetz bereits im Rahmen der seinerzeitigen parlamentarischen Beratungen und bei seiner Verabschiedung zu Recht als korrekturbedürftiges Regelungswerk angesehen. Ich hatte damals bei der dritten Lesung für die Bundestagsfraktion der SPD darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz ein Anfang sei und daß der Gesetzgeber bereit sein müsse, Merkposten für eine spätere Novellierung zu sammeln. Deswegen hatten wir eine ganze Reihe von Fragen zurückgestellt, über die seinerzeit noch keine Einigung erzielt werden konnte oder zu denen noch praktische Erfahrungen gesammelt werden mußten.
Damals wie heute ist aktuell, was der hessische Datenschutzbeauftragte einmal so formulierte - ich zitiere -:
Je später der Gesetzgeber eingreift, desto schwerer gestaltet sich seine Aufgabe; die Revision bereits etablierter Informationsstrukturen stößt auf sehr viel mehr Widerstand und erfordert einen weitaus höheren Aufwand als die Formulierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine sich erst anbahnende Entwicklung.
Das ist auch heute noch aktuell, ja, aktueller als jemals zuvor, weil Innenpolitik nicht nur im Bereich der Umweltschutzpolitik, sondern auch im Bereich der Datenschutzpolitik zuallererst Vorsorgepolitik sein muß.
Die Zeit ist reif für eine Generalüberholung des Bundesdatenschutzgesetzes. Eine umfassende Datenschutznovelle ist ohne Zweifel das Gebot der Stunde.
({0})
Wir verfügen nicht nur über eine ausreichende praktische Erfahrung aus der Arbeit mit dem Gesetz - die Entwicklung im Datenschutzrecht der Länder ist vorangeschritten; Nordrhein-Westfalen
- wir werden es nachher von Herrn Schnoor hören
- geht jetzt ebenfalls noch einmal einige konkrete Schritte weiter -, sondern wir verfügen auch mit den sechs umfangreichen Tätigkeitsberichten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz über eine Fülle von Material, das uns solide und eindringlich zugleich den Weg in Richtung auf Novellierung weist. Darüber hinaus könnte man auf die Literatur hinweisen, theoretisch-wissenschaftlich und praktisch orientiert, die dazu auch eine Fundgrube für parlamentarische Arbeit sein kann.
Vor allem aber haben wir beim Datenschutz in der Gesetzgebung künftig folgende Vorgaben des Karlsruher Verfassungsgerichtsurteils vom - hier schon mehrfach zitierten - 15. Dezember 1983 konsequent zu beachten. Ich möchte diese wesentlichen Sätze hier einmal in unser aller Bewußtsein rufen.
Erstens. Das Grundgesetz garantiert dem Bürger ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das im einzelnen die Befugnis gewährt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, und das nur im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden darf. - Ich bestätige an dieser Stelle sehr gerne das, was einer der Kollegen hier gesagt hat, daß nämlich diejenigen das Karlsruher Urteil falsch interpretieren, die ausschließlich die eine Seite, bezogen auf die Individualrechte, sehen
- das ist ganz wesentlich und hat eine Schubkraft für das Datenschutzrecht - und daneben nicht auch das zweite Standbein, nämlich das Eingebundensein des Individuums in die Gesellschaft und in die staatliche Gemeinschaft. Nur wenn man in der aktuellen politischen Diskussion beides zusammen sieht, angemessen gewichtet und wertet, wird man dem Urteil und den Konsequenzen gerecht, die daraus zu ziehen sind. Ich kehre nun zu den Grundsätzen zurück. Zweitens. Voraussetzung für eine derartige Einschränkung ist eine gesetzliche Grundlage. - Das ist eine ganz wesentliche Aussage von Karlsruhe.
- Der Staat muß dem Bürger klar sagen, für welche Zwecke er Daten von ihm fordert, und er ist an diese Verwendungszwecke gebunden.
Drittens. Der Bürger muß bei der Datenerhebung über seine Rechte schriftlich belehrt werden.
Viertens. Über die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage hinaus fordert das Gericht für eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vom Gesetzgeber, daß er mehr als bisher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen trifft, die der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechtes entgegenwirken.
Fünftens. Für einen effektiven Schutz dieses Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist die Kontrolle der Datenverarbeitung durch unabhängige Datenschutzbeauftragte von erheblicher Bedeutung.
({1})
- Unabhängig, natürlich. Wir werden das, was Sie, Herr Kollege Fischer, hier gesagt und wir seinerzeit auch diskutiert haben, wiederholen. Ohne unsere Arbeit im Parlament gäbe es das Institut des Bundesbeauftragten für den Datenschutz nicht.
({2})
Das haben wir im Parlament durchgesetzt. Wir waren uns über die Probleme einer rechtsaufsichtlichen Zuordnung zum Bundesinnenministerium durchaus bewußt. Aber wir müssen auch bereit sein
- da stimme ich Ihnen zu -, über weite Entwicklungen den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden. Darüber muß man diskutieren und darüber kann und wird man auch diskutieren können, ohne Scheuklappen und ohne Einseitigkeit.
({3})
Wir müssen in der Tat - Herr Laufs, da haben Sie recht - auch auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Rahmen der Gewaltenteilung achten. Da tauchen nicht ganz leicht zu lösende Probleme auf. Aber das werden wir in den parlamentarischen Beratungen umzusetzen haben. Ein Merkposten wichtiger Art ist es allemal.
Wir Sozialdemokraten haben uns mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf zum Ziel gesetzt, die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Forderungen an die Datenverarbeitung anzupassen, die in der Praxis in den letzten Jahren erkennbar gewordenen Mängel zu beseitigen, einige in den letzten Jahren aufgetretene bedeutsame Streitfragen über die Prüfbefugnisse des Bundesbeauftragten für den Datenschutz auszuräumen und das Gesetz den neuen technischen Entwicklungen anzupassen. Ich kann und will hier heute nicht auf die Einzelheiten eingehen. Das
würde den Rahmen einer ersten Lesung sprengen. Aber ich will doch einige Grundsätze hinzufügen.
Die Grundlinien des Entwurfs sind dementsprechend eine Erhöhung der Transparenz der Datenverarbeitung für die Betroffenen, eine Stärkung der Rechtsstellung und Ausweitung der Befugnisse der Kontrollorgane, d. h. des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, der Aufsichtsbehörden und der betrieblichen Datenschutzbeauftragten, eine Verstärkung der Rechtsstellung der Betroffenen und - angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklung ein ganz wesentlicher Punkt - besondere Vorschriften für die Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten sowie die Einführung der Mitbestimmung beim Einsatz von Personalinformationssystemen.
Wir haben uns bei den mehrjährigen Vorarbeiten zu diesem Gesetzentwurf nicht nur auf die bereits erwähnten Materialien und Erfahrungen stützen können, sondern sind zu großem Dank auch all denen verpflichtet, die in einer entsprechenden Arbeitsgruppe der SPD mitgewirkt haben.
Seit einem halben Jahr sind wir Sozialdemokraten bereit und in der Lage, die parlamentarische Arbeit zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes zügig in Angriff zu nehmen. Was haben demgegenüber Bundesregierung und Koalition bislang zum Thema Datenschutznovelle zu bieten?
({4})
Bisher gab es nur einen Referentenentwurf von 1983, zu dem der Bundesbeauftragte für den Datenschutz im sechsten Tätigkeitsbericht kurz und bündig, aber vernichtend wertet - ich zitiere -:
Aus der Sicht des Datenschutzes ist festzustellen, daß der Entwurf den Erwartungen nicht entspricht.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Seitdem wird wohl regierungsintern intensiv weiter geprüft und koalitionsintern verhandelt. Auch gibt es hin und wieder - nicht nur, aber auch von liberaler Seite - durchaus positive öffentliche Verlautbarungen und Forderungen zum Datenschutz. Ich erinnere hier an das, was der Bundesjustizminister dieser Tage mit dem Blick auf den privatwirtschaftlichen Bereich geschrieben oder veröffentlicht hat. Das ist sehr wichtig, und dem ist zuzustimmen. Aber im Grunde genommen wartet man, von solchen öffentlichen Äußerungen abgesehen, immer noch und leider vergeblich auf ein konkretes Ergebnis. Das ansonsten wenigstens ankündigungsfreudige Innenministerium bzw. die Bundesregierung sind in dieser Frage jedenfalls bis zu diesem Tag auf Tauchstation gegangen. Von politischer Führungs- und Entschlußkraft ist auch hier weit und breit nichts zu merken.
({5})
Man darf gespannt sein, ob sich an Stelle der Bundesregierung die Koalitionsfraktionen in absehbarer Zeit auf eine Datenschutznovelle einigen, noch mehr darauf, wie deren konkrete Regelungen aussehen.
Wir appellieren aber schon jetzt an Sie von den Koalitonsfraktionen, mit Ihrem eventuellen Gesetzentwurf über die Meßlatte der Datenschutzgrundsätze und -vorgaben des Karlsruher Urteils zu springen und Ihren Entwurf nicht mühsam und mit halber Kraft tief unter dieser Meßlatte hindurchzuschieben.
({6})
Wie immer letztlich Ihr Entwurf zur Datenschutznovelle aussehen mag, alle Vorschläge, selbstverständlich auch der SPD-Entwurf, werden es sich gefallen lassen müssen, in einer breit angelegten Sachverständigenanhörung im Parlament - das heißt konkret: im Innenausschuß - auf ihre Substanz in Pro und Kontra abgeklopft zu werden. Wir alle sollten dementsprechend offen sein für zusätzliche Einsichten und Verbesserungen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit mit der Datenschutzgesetzgebung wissen wir, daß gerade bei dieser Materie viel Beratungszeit benötigt wird. Bei realistischer Betrachtung haben wir noch gute zwei Jahre Zeit. Der um die Wahrung seiner Persönlichkeits-
und Freiheitsrechte besorgte Bürger hat Anspruch auf unser aller parlamentarisches Handeln. Er hätte kein Verständnis dafür, daß es zu weiteren Verschleppungen kommt, die angesichts der gegebenen Situation voll zu Lasten dieser Koalition und Bundesregierung gingen.
({7})
Meine Damen und Herren, neben dem Entwurf der SPD für eine Datenschutznovelle steht heute auch die Beschlußfassung zum Fünften Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz sowie die Überweisung des Sechsten Tätigkeitsberichts an die beteiligten Parlamentsausschüsse auf der Tagesordnung.
Der Fünfte Tätigkeitsbericht enthält zum Abschluß der fünfjährigen Amtsperiode des ersten Bundesbeauftragten für den Datenschutz auch eine Bilanz über diesen Zeit- und Arbeitsabschnitt. Hier haben wir uns einvernehmlich auf eine Empfehlung einigen können, nämlich darauf, daß sich die Institution des BfD, des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, bewährt hat.
({8})
Wir haben dem Bundesbeauftragten für seine Arbeit in den letzten fünf Jahren einvernehmlich gedankt. Wir Sozialdemokraten tun dies hier noch einmal in besonderer Form. Denn wir wissen, daß die positive Wertung und der inzwischen erreichte hohe Stellenwert des Datenschutzgedankens entscheidend dem engagierten und sachkundigen Wirken von Professor Hans Bull in seinem Amt während dieser fünf Jahre zu verdanken ist. Dafür sprechen wir ihm von dieser Stelle noch einmal Dank und Anerkennung aus.
({9})
Es würde den vorgegebenen Rahmen sprengen, hier alle insgesamt noch 25 Einzelempfehlungen anzusprechen. Wir haben einvernehmliche Punkte. Ich will hieraus wenige herausgreifen.
Wir halten es weiterhin für wichtig und richtig, wenn der Bundesbeauftragte für den Datenschutz auch künftig in seinen Tätigkeitsberichten unabhängig von der Kompetenzlage über wesentliche Entwicklungen im nichtöffentlichen Bereich berichtet.
({10})
Das Parlament muß auch über diesen Bereich, der in der weiteren Entwicklung für den Bürger immer mehr an Bedeutung gewinnt, informiert sein. Die Auseinandersetzungen und Diskussionen - nicht nur zum Thema Bankauskünfte - vor einigen Monaten sind ein aktuelles Beispiel hierfür.
Meine Damen und Herren, leider ist es uns diesmal nicht gelungen - was die Beschlußempfehlung insgesamt angeht, muß die SPD mit einem Nein votieren -, anders als bei den Beschlußempfehlungen zu den bisherigen vier Tätigkeitsberichten, ein positives Gesamtvotum zu erreichen. Die Koalitionsfraktionen haben in einer ganzen Reihe für uns wesentlicher Fragen Positionen eingenommen, die nach unserer Auffassung, insbesondere vor dem Hintergrund des Karlsruher Volkszählungsurteils und der sich daraus für den Datenschutz ergebenden Konsequenzen, nicht tragbar waren. Auch hierzu nur einige wenige Stichworte.
Da wird etwa bei dem Kontrollrecht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gesagt: Das muß für die Zukunft gewährleistet sein. Natürlich, selbstverständlich! Aber darum geht es ja nicht. Wenn es notwendig ist, so etwas in eine Beschlußempfehlung aufzunehmen, dann läßt das bestenfalls Rückschlüsse auf die Probleme innerhalb der Koalition zu, was den Verkehr der Fraktionen in der Koalition untereinander angeht. Für uns ist das selbstverständlich. Die Rechte müssen ausgebaut werden.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die Kontrollbefugnisse des BfD nicht nur voll gewährleistet sein müssen. Wir wollen auch, daß die Dissenspunkte zwischen der Bundesregierung und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz geklärt werden, und wollten hier eine positive Aussage im Tätigkeitsbericht haben. Das haben die Koalitionsfraktionen leider nicht mitgemacht.
Ein Punkt ist hier schon von anderer Seite angesprochen worden. Das ist das Thema ZEVIS, Zentrales Verkehrsinformationssystem. Hier waren wir der Meinung, daß es nicht nur genügt, zu fordern: Eine gesetzliche Grundlage tut not!, sondern wir haben seitens der Sozialdemokraten auf die bohrenden Fragen und Vorhaltungen des Bundesbeauftragten dann auch die Konsequenz gezogen und gesagt: Solange das keine rechtlich einwandfreie Grundlage hat, kann man das auch nicht anwenden. Sonst wird man unglaubwürdig und wird auch dem Karlsruher Urteil nicht gerecht. Zu dieser Konsequenz haben sich die Koalitionsfraktionen leider nicht verstanden.
Es gäbe noch eine ganze Reihe weiterer Punkte, die ich hier nicht nennen möchte. Nur zur Rasterfahndung - Kollege Hirsch hat das, glaube ich, angesprochen -: Da haben die Kollegen im Rechtsausschuß gesagt, jetzt sei die gesetzliche Grundlage notwendig. Im Innenausschuß haben Sie sich mit Mehrheit diese Forderung, die wir Sozialdemokraten uns zu eigen gemacht hatten, nicht zu eigen gemacht
({11})
- selbstverständlich; lesen Sie es nach -, sondern eine sehr weiche Formulierung gewählt. Das ist nicht ausreichend. Hier ist Ihre Haltung zu weich.
Aus alledem ist deutlich der Koalitionstrend zu erkennen. Sie fährt beim Datenschutz mit halber Kraft. Sie spitzt den Mund, aber sie pfeift nicht, wenn es gilt, die erforderlichen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil für den Datenschutz zu ziehen. Mit unserem Nein gegen diesen Trend der Koalition setzen wir ein positives Signal für den effektiven Datenschutz. Wir werden sehen, ob bei den kommenden Beratungen zum Sechsten Tätigkeitsbericht die Koalition auf konsequenterem Datenschutzkurs zu sichten ist.
Den Sechsten Tätigkeitsbericht hat der Nachfolger Professor Bulls, Herr Baumann, vorgelegt. Dieser Bericht steht in der Kontinuität der früheren Jahresberichte. Der Bundesbeauftragte, Herr Baumann, kann für sich in Anspruch nehmen, daß er seinen gesetzlichen Auftrag konsequent in der Sache und konziliant in der Form wahrnimmt.
({12})
Wir danken dem Bundesbeauftragten an dieser Stelle für sein entschiedenes Eintreten für die Sache des Datenschutzes während vieler Sitzungen in den Parlamentsausschüssen und in der Öffentlichkeit. Sie haben, Herr Baumann, auf diesem Kurs auch in Zukunft die Sozialdemokraten als konstruktiven und zuverlässig kritischen Partner.
({13})
Das sogenannte Orwell-Jahr 1984 hat das Thema Überwachungsstaat in besonderer Weise in den Blickpunkt gerückt. Hierzu hat der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Bull, eine bemerkenswerte Einschätzung in drei Punkten formuliert, die sich der amtierende Datenschutzbeauftragte, Herr Baumann, voll zu eigen gemacht hat und die ich auch mir zu eigen machen möchte.
Erstens. Die Technologie für eine umfassende Überwachung der Bevölkerung ist zu einem erheblichen Teil entwickelt.
Zweitens. Die technischen Möglichkeiten bedeuten noch keineswegs, daß die Überwachung auch wirtschaftlich, sozial und politisch machbar ist. Bei der Diskussion um „1984" sollten die wirtschaftlichen oder machtpolitischen Anreize für eine Perfektionierung der Datenverarbeitung in Verwaltung und Wirtschaft nicht überschätzt werden.
Drittens. Vor allem aber sind die rechtlichen Hindernisse für einen Überwachungsstaat eindeutig. Sie ergeben sich aus der Verfassung, insbesondere den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip, zu dem auch das Verhältnismäßigkeitsgebot gehört,
und aus einer Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen über den Datenschutz, auch außerhalb des Bundesdatenschutzgesetzes.
Vor diesem Hintergrund wird wohl allen Verantwortlichen klar, daß es falsch und sogar gefährlich wäre, die Diskussion auf das Jahr 1984 einzugrenzen. Gleichwohl bietet die Debatte um das OrwellJahr 1984 die große Chance, auf breiter Front zu sensibilisieren und die Einsicht erheblich zu fördern, daß nur mit einer konsequenten Datenschutzpolitik den unbestreitbaren Risiken eines Abgleitens in den Überwachungsstaat auf Dauer erfolgreich begegnet werden kann.
In diesem Zusammenhang ist das Symposium der hessischen Landesregierung vom 3. bis 5. September 1984 von großer Bedeutung. Ich empfehle diese Unterlagen, die da herausgekommen sind und noch herauskommen werden, jedem der Kolleginnen und Kollegen zur Lektüre. Dort ging es - und es wird auch weiterhin darum gehen - um das Thema: „Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat - Strategien zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter".
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben das alles erkannt und handeln danach im Interesse unserer Bürger. Das ist unser Auftrag, dem stellen wir uns.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige erste Lesung der SPD-Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz gibt uns erfreulicherweise die Möglichkeit, auch von dieser Stelle in die seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz vom 15. Dezember letzten Jahres wieder lebhafter gewordene Datenschutzdiskussion einzugreifen.
Leider gleicht die Diskussion vornehmlich auf Datenschutzkongressen und dergleichen oft dem Schaulaufen von Eiskunstläufern, während die solide Pflichtarbeit an den praktisch möglichen und wirksamen Verbesserungen des Datenschutzes auf der Strecke bleibt. Während man beim Umweltschutz mitunter aus Kleinstmengen, die mit subtilsten Meßmethoden auf einmal nachweisbar geworden sind, ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Haltbarkeit Katastrophenmeldungen macht, gehen die Propheten des Computerzeitalters anders vor. Sie lassen ihrer geschulten Phantasie freien Lauf, erfinden Computer, die, mit schrecklicher Intelligenz ausgestattet, von skrupellosen Machthabern eingesetzt, den totalen Überwachungsstaat praktizieren. Das alles nennt man dann ein „mögliches Szenario". In der Folge geht es nur noch darum, wie man dieser phantastischen Schreckensbilder Herr werden könne, während die Wirklichkeit unseres Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland völlig außen vor bleibt.
Einen farbigen Eindruck von dem Ausmaß der Geistesverwirrung, dieser wirklichkeitsblinden, ganz und gar maßlosen Hysterie hat der Kollege Fischer heute morgen sehr gut vermittelt.
({0})
Bei einer Datenschutzveranstaltung Anfang September in Wiesbaden etwa ist die Forderung geboren, man müsse, wie es wörtlich heißt, „den Pakt mit der Wissenschaft aufkündigen", weil der Computer das Recht des Menschen auf Leben bedrohe. Ein bekannter Datenschutzrechtler hat den Vorwurf erhoben, der Datenschutz leide im Bundesgebiet an einer „porösen rechtlichen Infrastruktur". Angesichts solcher Spitzenleistungen juristischer Präzision ist es gut, daß wir uns in den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses bald sehr konkret und sehr sorgfältig mit der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes beschäftigen werden.
Die Koalitionsfraktionen haben sich bereits zu Beginn ihrer politischen Zusammenarbeit eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes vorgenommen. Auf der Grundlage der im Innenministerium geleisteten Vorarbeiten arbeiten wir seither an einem gemeinsamen Entwurf zur Weiterentwicklung des Datenschutzrechtes. Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, Herr Kollege Wernitz, hat allerdings - das räumen wir ein - unsere Vorstellungen zum Zeitbedarf und zum Aufwand der Novellierung überrollt.
({1})
- Herr Kollege Wernitz, die billigste Form der Opposition ist übrigens, alles umfassend und sofort einzufordern, und zwar gerade dort, wo man früher sehr wenig hat vorweisen können.
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Dieses Spielchen, Herr Wernitz, sollten wir hier lassen.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts über das aus unserem Grundgesetz abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger muß in den verschiedenen Rechtsbereichen des Datenschutzgesetzes konkret umgesetzt werden. Hier muß mit großer Sorgfalt vorgegangen werden. Von daher bewundere ich die Schnelligkeit, mit der Sie von der SPD-Fraktion schon einige Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit wenigen Retuschen den Entwurf für eine Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes vorgelegt haben, der bereits vor dem Volkszählungsurteil in Kreisen der Datenschützer kursierte.
({3})
Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß ihn Welten trennen von dem Referentenentwurf einer Landesdatenschutznovelle, den der nordrhein-westfälische SPD-Innenminister Dr. Schnoor der ÖffentDr. Laufs
lichkeit dieser Tage vorgestellt hat und gewiß in dieser Debatte heute noch erläutern wird.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für uns bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes eine schwerwiegende Herausforderung, der man nicht mit Schnellschüssen, aber auch nicht mit einer Umsetzung in kleiner Münze gerecht wird. Weder eine maximalistische noch eine minimalistische Auslegung,
({4})
sondern schlicht eine richtige Auslegung des Urteils tut not.
Leider wird diese wichtige Entscheidung des Verfassungsgerichts
({5})
- Herr Kollege Fischer - inzwischen für jede rechtspolitische Forderung zum Datenschutz in Anspruch genommen, ohne Rücksicht darauf, ob die tragenden Gründe der Urteils dies hergeben. Ich wäre froh, wenn gerade die Überinterpreten des Urteils auch andere Verfassungsgerichtsentscheidungen wie z. B. diejenige zum Grundlagenvertrag mit der DDR so ernst nähmen und so oft im Munde führten, meine Damen und Herren von der Opposition.
({6})
Was sind nun die wesentlichen vom Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz abgeleiteten Folgerungen zum Datenschutz? Zunächst: Das Recht auf sogenannte informationelle Selbstbestimmung ist eine Ausprägung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes dürfen die Bürger nicht zum bloßen Objekt ihres Staates degradiert werden. Kein Staat hat das Recht, die Menschen zwangsweise in ihrer ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren. Unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung ist deshalb der einzelne gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten zu schützen. Gleichzeitig betont das Gericht in Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung aber die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums. Der einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren zieht.
Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt deshalb nicht absolute, uneingeschränkte Herrschaft über die eigenen Daten.
({7})
Vielmehr muß jedermann Beschränkungen seiner informationellen Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Wieweit derartige Einschränkungen nur vom Gesetzgeber angeordnet werden dürfen, macht das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich von Art, Umfang und
denkbarer Verwendung der erhobenen Daten sowie der Gefahr ihres Mißbrauchs abhängig.
({8})
- Richtig. Aber auch das hat seine Grenzen in der realen Welt.
({9})
- Sie können niemals wissen, wer gerade an Sie denkt und Informationen über Sie hat, Herr Kollege Fischer.
({10})
- Vielleicht sind es mehr, als Sie sich vorstellen.
({11})
Das Urteil stützt also keineswegs die vielfach erhobene Forderung, daß in Zukunft jeder Umgang mit personenbezogenen Informationen in der öffentlichen Verwaltung oder im privaten Bereich einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Wie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz im März dieses Jahres zu Recht festgestellt hat, zwingt ein im Geiste unseres Grundgesetzes betriebener Datenschutz nicht zur totalen Verrechtlichung. Ein solches Vorgehen würde nur zu einem Übermaß an Rechtsnormen führen, die immer weniger Beachtung fänden, sowie zu einer Datenschutzbürokratie, welche niemandem nützte.
Durch die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes, an der wir in der Koalition arbeiten, sollen die für den Schutz des Bürgers unerläßlichen Regelungen geschaffen, gleichzeitig aber die Möglichkeiten für die Einführung und Weiterentwicklung moderner Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechniken wie z. B. auch des Heimcomputers offengehalten werden. So wäre es beispielsweise ein Unding, die schon jetzt gebräuchlichen elektronischen Notizbücher allen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes zu unterwerfen. Im SPD-Entwurf ist diese Problematik überhaupt nicht gesehen. Datenschutz darf nicht um seiner selbst willen betrieben werden und sich nicht in Bürokratie erschöpfen, sondern muß da gesichert werden, wo die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre der Betroffenen gefährdet werden. Die Chancen für technische Innovationen durch Einsatz der automatischen Datenverarbeitung müssen gewährt bleiben. In diesem Rahmen strebt die Unionsfraktion wirksame Lösungen an, die einen möglichst geringen Verwaltungsaufwand ohne Regelungsübermaß für alle Beteiligten bedeuten. Von daher stehe ich den Versuchen, das Bundesdatenschutzgesetz bei Gelegenheit seiner Novellierung nach allen Seiten hin auszudehnen, mit allen möglichen neuen Rege6188
lungsinhalten zu befrachten, äußerst skeptisch gegenüber.
({12})
So frage ich mich, was die im SPD-Entwurf in den §§ 25a und 25b vorgesehenen Regelungen über die Befugnisse der Arbeitgeber zur Erhebung von persönlichen Angaben beim Abschluß eines Arbeitsvertrages sowie über die Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Einführung und Nutzung sogenannter Personalinformationssysteme im Bundesdatenschutzgesetz zu suchen haben, das seinem Charakter nach ein Auffanggesetz ist und bleiben soll.
({13})
Ich verkenne nicht, daß es sich hier um eine Materie handelt, die sehr interessant und wichtig ist, aber wir haben das Bundesdatenschutzgesetz als Auffanggesetz und daneben eine Fülle anderer, bereichsspezifischer Regelungen im Datenschutzrecht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz?
Bitte schön.
Herr Laufs, sind Sie bereit, die Frage zu prüfen, ob nicht entscheidend ist, daß eine Materie geregelt wird? Wenn Sie diese Frage positiv beantwortet haben, dann ist die Frage der systematischen Zuordnung sekundär. Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir mit der Vorlage des Entwurfs in diesem Punkt sensibilisieren wollen und dem Parlament die Chance geben wollen, daß auf diesem Gebiet möglichst schnell eine Regelung kommt, weil sich alle darüber im klaren sind, daß wir hier dringend Regelungen brauchen?
Herr Kollege Wernitz, wir haben uns im Zusammenhang mit der Beratung der Tätigkeitsberichte mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt. Wir werden in dieser Debatte noch mehr dazu hören. Wenn wir aber daran gehen sollen, bereichsspezifische Regelungen in das Bundesdatenschutzgesetz aufzunehmen, wenn wir also eine Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes, die wir bald brauchen - Sie fordern das ja ein -, derartig überfrachten sollen, möchte ich Sie sehr bitten, sich mit Ihrer Kritik an unserer Arbeitsweise zurückzuhalten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich habe nicht unendlich viel Zeit.
Sie haben in Ihrem Entwurf - ({0})
- An Hochmut sind Sie nicht zu überbieten, Herr Kollege Schäfer.
({1})
Sie haben in Ihrem SPD-Entwurf eine Gefährdungshaftung mit Ersatz von immateriellen Schäden für die privaten Betreiber und auch die öffentliche Hand vorgesehen, während Sie diese Vorschrift für die Medien - Presse, Rundfunk und Film - nicht gelten lassen wollen. Dabei hätten wir Anlaß genug, das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung auch gegenüber den Archiven der Illustrierten und politischen Magazine wirksam zu verteidigen.
Bei der Abgrenzung des Geltungsbereichs des Bundesdatenschutzgesetzes wird zu entscheiden sein, ob es bei der bisherigen Konzeption bleiben soll oder ob sich die Regelungen über Dateien hinaus erstrecken und auch Datenerhebungen ohne Bezug auf eine automatische Verarbeitung erfaßt werden sollen. Das Bundesdatenschutzgesetz hat sich - wie ich meine: aus guten Gründen - im wesentlichen auf die Regelung der automatischen Datenverarbeitung in Dateien beschränkt. Nur bei einer solchen Beschränkung paßt seine Konzeption des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt.
Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts verlangt bei näherer Betrachtung keineswegs eine Änderung dieser Konzeption und uferlose Ausweitung. Wir stehen also vor der Frage, ob künftig jedes auch formlose Festhalten von personenbezogenen Daten, etwa in Notizbüchern, auf losen Blättern oder in Akten, einer gesetzlichen Regelung unterworfen sein soll. Soll der Bundesgesetzgeber ernstlich alle Notizen, geistige Wahrnehmungen, Abfragen von Informationen und den Austausch solcher Aufzeichnungen und Daten regeln?
Wir dürfen uns hier nicht übernehmen. Es gibt eine Grenze, wo der wohlgemeinte Schutz persönlicher Daten zur Plage und die Einhaltung gesetzlicher Normen gänzlich unkontrollierbar werden. Eine totale Datenverkehrsordnung, die auch den Briefwechsel etwa - wenn er noch leben würde - des Geheimrats Goethe mit Eckermann oder des Innenministers in Hessen mit seinem Frankfurter Oberbürgermeister erfaßte
({2})
- schauen Sie sich einmal den Gesetzentwurf an, den Herr Schnoor vorgelegt hat, und welche Konsequenzen das haben würde -,
({3})
würde weitestgehende Regeln für den privaten, wirtschaftlichen und öffentlichen Bereich aufstellen. Wann dürfen Daten erhoben, wann dürfen sie übermittelt, wann verwendet werden? Privates und wirtschaftliches Verhalten sowie jedes Verwaltungshandeln stünden mit einemmal unter GesetDr. Laufs
zesvorbehalt. Die Kontrollbefugnisse der Datenschutzbeauftragten und der Aufsichtsbehörden wären allumfassend, geradezu schrankenlos. Das kann nicht unser Wille sein.
Das Bundesdatenschutzgesetz beschränkt sich bisher aus guten Gründen auf Regelungen für die Datenverarbeitung in Dateien. Im Mittelpunkt steht die automatisierte Datenverarbeitung mit ihren spezifischen Gefahren der unbegrenzten Speicherung, blitzschnellen Übermittlung und Kombination personenbezogener Daten. Eine Ausweitung des Bundesdatenschutzgesetzes auf den Umgang mit Daten unabhängig von Dateien würde wiederum das gesamte staatliche und weitgehend auch das private Handeln erfassen. Dazu besteht keine Notwendigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hebt vielmehr in seinem Volkszählungsurteil wiederholt und ausdrücklich auf die besondere Gefährdung des Persönlichkeitsrechts, sprich: des Rechts auf informatielle Selbstbestimmung, durch die Möglichkeiten der automatischen Datenverarbeitung ab.
Die Koalition steuert in Sachen Datenschutz - Herr Kollege Wernitz, auch wenn Sie das so nicht sehen wollen - einen klaren und konsequenten Kurs. Sie fährt nicht mit halber Kraft, sondern arbeitet im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung. Wir machen es uns nicht so leicht, wie Sie in der Opposition. Alles, was Sie z. B. im März dieses Jahres in einer Presseerklärung als Konsequenzen aus diesem Urteil gefordert haben, ist ins Werk gesetzt. Unter sorgfältiger Auswertung des Volkszählungsurteils wird die Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz gerade erarbeitet. Das bereits verabschiedete Personalausweisgesetz ist gestoppt und wird überarbeitet. Das Mikrozensusgesetz wird in überarbeiteter Form demnächst vorgelegt. Die Prüfung, wo der Gesetzgeber bereichsspezifische Regelungen zum Verwendungszweck von Daten treffen muß, wenn staatliche Behörden vom Bürger zwangsweise die Angabe personenbezogener Daten verlangen, ist eingeleitet. Der Bund hat zusammen mit der Innenministerkonferenz eine Überprüfung des Polizeirechts von Bund und Ländern begonnen. Gleichfalls wird die Datenverarbeitung der Nachrichtendienste sowie deren Zusammenarbeit etwa mit den Polizeibehörden überdacht und, soweit erforderlich, geändert und normiert. Dabei werden wir aber eine hypertrophe Auslegung des Zweckbindungsgrundsatzes, die zur Aufblähung der Bürokratie und zum Stillstand vieler Verwaltungstätigkeiten führen würde, nicht hinnehmen.
({4})
- Nein, hypertroph, Herr Kollege Fischer. Das sollten Sie nun wirklich aus eigener Lebenspraxis wissen, was hypertroph ist. So stellen Sie sich andauernd dar. - Es kann nicht Sinn des Datenschutzes sein, die Verfolgung von Kriminalität, die Begrenzung von Kreditrisiken, die Werbung und Geschäftsanbahnung unmöglich zu machen. Der Datenschutz darf nicht dazu führen, daß unser freiheitliches und soziales Wirtschaftssystem aus dem Gleichgewicht gebracht wird.
Gerade bei der Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden, die mit dem Schutz des Bürgers und der Strafverfolgung wesentliche Aufgaben des Staates erfüllen, sind Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung legitim. Es wäre beispielsweise unerträglich, entsprechend dem Willen eines Datenschutzbeauftragten die sogenannten Routineanfragen der polizeilichen Informationssysteme einzuschränken. Ich darf daran erinnern, daß die hamburgische Polizei im September letzten Jahres auf Grund solcher Routineanfragen 268 Haftbefehle vollstrecken konnte. Ebenso müssen die Sicherheitsbehörden weiter vor Ausforschungen geschützt bleiben. Bislang kenne ich kein Konzept, das einerseits dem Bürger ein uneingeschränktes Auskunftsrecht gegenüber den Sicherheitsbehörden gibt, andererseits diese vor Ausforschungen bewahrt. Wegen marginaler Verbesserungen des Datenschutzes darf es nicht zu erheblichen Gefährdungen der Arbeit der Sicherheitsbehörden kommen.
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Abschließend möchte ich Ihnen eine Pressemeldung nicht vorenthalten, nach der ein Landesdatenschutzbeauftragter gefordert hat, künftig in Schülerkarteien die körperlichen Gebrechen von Schülern nicht mehr aufzuführen. Soll hier Datenschutz der menschlichen Fürsorge vorgehen? Darf die Schule nicht mehr wissen, ob ein Kind zuckerkrank ist oder belastende Medikamente braucht, um sich seiner mit besonderer Sorgfalt anzunehmen? Dies wolle ja niemand verhindern, wird eingewendet. Aber die Voraussetzung sei, daß die Zulässigkeit dieser Datenverwendung normativ geregelt werde. Ist es wirklich notwendig und überhaupt machbar, daß der Gesetzgeber die grenzenlose Fülle menschlicher Informationsbeziehungen bis ins letzte Detail durchleuchtet und normiert? CDU und CSU treten für einen wirksamen Datenschutz ein, wir wollen aber nicht mit einer Normenflut jedes freie Leben ersticken. Beim Datenschutz geht es um wichtige und ernst zu nehmende Belange der Bürger. Wir sind aber der Auffassung, daß gerade die Datenschutzgesetzgebung nicht von hysterischen Angsten und einem unbegründeten Mißtrauen gegen die Einrichtungen unseres Rechtsstaates bestimmt werden darf.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich: Wir unterhalten uns weniger über unsere eigenen Vorlagen als über ein Urteil, das fast ein Jahr alt ist. Es gibt wenige Urteile, die einen nach so langer Zeit immer wieder faszinieren. Ich glaube, daß es weitergehende Folgen hat, als wir am Anfang geglaubt haben. Ich beginne zu ahnen, was eine moderne Informationsgesellschaft bedeutet und daß die technische Entwicklung nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern auch die Machtstrukturen und das System
der checks and balances, das wir aus dem vorigen Jahrhundert traditionell übernommen haben, ändern wird.
In der Tat liegt die Gefahr darin, wie Sie, Herr Laufs, es dargestellt haben, daß wir auf der einen Seite die Privatsphäre des einzelnen schützen müssen und auf der anderen Seite sichern müssen, daß wir nicht beziehungslos nebeneinander lebende Robinsone werden; auch das würde, glaube ich, unserer Gesellschaft, unseren Bedürfnissen widersprechen.
Ich beneide jeden, der genau sagen kann, wo die richtige Mitte zwischen diesen beiden Extremen liegt. Zu Ihrem Beispiel eines gebrechlichen Kindes an einer Schule würde ich spontan fragen: Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, eine solche Datensammlung auf freiwillige Basis zu stellen?
Ich finde: Das Urteil ärgert manchen; es ist unbequem; es produziert Widerspruch; es zwingt zu neuen Überlegungen. Es stellt sich kompromißlos auf die Seite des Bürgers. Ein liberales Urteil!
Volkszählung und Mikrozensus sind nicht nur notwendig, sondern es ist, wie wir finden, auf der Grundlage des Urteils gesetzgeberisch auch nicht schwer, Lösungen zu finden. Die Vorarbeiten dazu sind - das haben Sie dargestellt - weit fortgeschritten.
Wichtiger für den Schutz der Privatsphäre und für die Transparenz staatlicher Entscheidungen ist nicht nur die Fortentwicklung des allgemeinen Datenschutzes, sondern der Zwang zu exakten, bereichsspezifischen Lösungen.
Das Urteil beschreibt es als einen Teil des Persönlichkeitsrechts des Bürgers, über seine Daten selber zu bestimmen, und überläßt es dem Gesetzgeber und nur dem Gesetzgeber, exakt festzulegen, in welchen Grenzen und zu welchen Zwecken dieses Selbstbestimmungsrecht eingeengt werden darf.
Das entspricht in der Tat der Struktur der modernen Informationsgesellschaft. Zur Zeit der Habeaskorpusakte lag die Gefahr für die Freiheit in der willkürlichen körperlichen Verhaftung.
({0})
Heute sind die Möglichkeiten, die Freiheit des einzelnen zu beschränken, ja sehr viel diffiziler: im Zwang zum konformen Verhalten, in der Sorge, sich einem allmächtigen und allwissenden Apparat gegenüberzusehen, dem man sich um so weniger entziehen kann, als wir j a in vielen Punkten der Daseinsvorsorge und unserer persönlichen Existenz von der Gemeinschaft weit mehr als in einem früheren Zeitraum abhängen.
In der „Zeit" hat Bieber diese Probleme und den Kern des Urteils treffend umschrieben. Er sagt: Die Daten gehören dem Bürger. Wenn er sie hergeben muß, hat er Anspruch auf dreierlei, nämlich auf eine gesetzliche Regelung und darauf, daß das Gesetz verständlich ist und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht, also auf den Zweck be- schränkt ist, den es erfüllen soll.
Wir sind nicht der Meinung, daß das Urteil so engherzig wie möglich ausgelegt werden darf. Amtshilfe, feste Informationsgrenzen, die Abkehr von der beliebigen Austauschbarkeit behördlichen Wissens verlangen in vielen Bereichen tatsächlich eine grundsätzliche Neuorientierung.
Die gesetzliche Regelung der Datenverarbeitung im polizeilichen Bereich und im Sicherheitsbereich bis hin zu Neuformulierung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt sind notwendige und schwere Aufgaben.
Herr Wernitz, in der Tat haben wir im Ausschuß der Bundesregierung einen Prüfauftrag gegeben, d. h. die Bundesregierung gebeten, innerhalb eines dargestellten Zeitraums ihre Position dazu zu formulieren.
Wir verstehen auch die Sorgen der Wirtschaft, sie könnte im Gebrauch moderner Technik übermäßig beschnitten werden. Wir halten diese Sorge für unbegründet, weil wir die gegenteilige Absicht verfolgen. Man muß daran erinnern, daß die Mißachtung des Akzeptanzproblems tiefgreifende Folgen schon auf vielen anderen Gebieten gehabt hat. Natürlich spielt das auch bei der Datenverarbeitung eine Rolle. Wer den technischen Fortschritt will, muß ihn menschlich machen. Er muß dafür sorgen, daß die Menschen ihn nicht fürchten. Man muß die negativen Wirkungen beschränken, damit man die positiven nutzen kann.
Darum ist der Datenschutz, wie wir ihn empfinden, kein Gegner der modernen Informatik und der Datenverarbeitung, sondern er macht in einer demokratischen Gesellschaft moderne Technik überhaupt erst möglich, weil er ihre Gefahren begrenzt.
Es hat mich immer überrascht, daß manche Kritiker des Datenschutzes die klassischen, sozusagen die vorindustriellen Datenschutzrechte ohne jede Einschränkung akzeptieren: Briefgeheimnis, Postgeheimnis, ärztliche Schweigepflicht, Berufsgeheimnisse aller Art, Steuergeheimnis, Bankgeheimnis, Schutz der Wohnung, strafprozessuale Belehrungspflichten vor Aussagen usw. Das sind alles klassische Datenschutzrechte.
Die Berichte der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern zeigen j a seit Jahren, daß man bei diesen traditionellen Formen nicht stehenbleiben kann. Wir haben bei der weitgehend einmütigen Beschlußfassung zum Fünften Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten dazu unsere Empfehlungen gegeben: zum Personalaktenrecht, zum ZEVIS, zum Arbeitnehmerdatenschutz im Zusammenhang mit der Einführung von Personalinformationssystemen - der Justizminister hat sich dankenswerterweise dazu geäußert -, was in der Tat im Zusammenhang mit einer neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu sehen ist, zu den Regelungen im polizeilichen Bereich und im Sicherheitsbereich, auf die wir hier schon verschiedentlich abgestellt haben.
Auch der Sechste Tätigkeitsbericht bezieht sich auf eine Fülle bereichsspezifischer Probleme, die nach dem Volkszählungsurteil mit den GeneralDr. Hirsch
klauseln des Bundesdatenschutzgesetzes nicht mehr befriedigend gelöst werden können. Darum stehen wir in der Tat vor dem typischen Dilemma des modernen Gesetzgebers, daß wir zu immer neuen gesetzgeberischen Lösungen gezwungen und auch gedrängt werden, sie brauchen, während es unser Wunsch wäre, mit möglichst wenigen gesetzlichen Regelungen auszukommen.
Der Gesetzentwurf der SPD entspricht in Teilen einem Referentenentwurf aus der Amtszeit des früheren Innenministers Baum. Aber er ist überall dort, wo er eigene Wege geht, mit Recht ziemlich kritisiert worden. Die Regelungen über Persönlichkeitsprofile, umfangreiche Datenstatuten über den zulässigen Umfang der ärztlichen Untersuchung eines Arbeitnehmers vor Abschluß des Arbeitsvertrags, über Mitbestimmungsrechte gehören nur zu einem Teil in dieses Gesetz. Ich stimme Herrn Laufs zu, daß sie zu einem außerordentlichen bürokratischen Aufwand führen würden. Ich will hinzufügen: Sie sind so unpräzise, daß ich nicht in die Lage kommen möchte, ein solches Gesetz anwenden zu müssen.
Herr Wernitz, Sie haben eben gesagt: Wir wollen ja nur einen Anstoß geben. - Das ist natürlich schön für eine Opposition. Es ist sehr viel leichter, aus der Opposition heraus einen solchen Entwurf vorlegen zu können. Auf unserer Seite sieht das sehr viel schwieriger aus. Ich sage Ihnen: Ich halte ein solches Wettrennen im Interesse der Sache nicht für angemessen.
Ich halte den nordrhein-westfälischen Referentenentwurf, Herr Kollege Schnoor, für sehr viel interessanter. Zum Teil trifft die Kritik auch ihren Entwurf. Auch Sie haben die Arbeitnehmerdaten in diesen Entwurf mit aufgenommen. Sie haben den Vorteil, daß Sie sich damit nur im Bereich der Verwaltung bewegen müssen, im Gegensatz zu unseren Aufgaben hier. Ferner ist es ein Referentenentwurf, über den die Meinungsbildung im Bereich der Landesregierung noch nicht abgeschlossen ist. Aber er ist in der Tat nicht uninteressant.
Wir sind der Meinung, daß das Bundesdatenschutzgesetz ein Auffanggesetz bleiben soll. Es soll keine bereichsspezifischen Lösungen enthalten. Wir werden den Bereich der Medien in dem erforderlichen Umfang erfassen. Wir werden entsprechend der technischen Entwicklung die privaten Kleincomputer, wie Herr Laufs es dargestellt hat, die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind, weitgehend aus den Reglementierungen herauslösen.
Wir wollen den verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch. Wir wollen die Auskunftsrechte und die Belehrungspflichten verstärken. Wir werden den Grundsatz der Zweckbestimmung berücksichtigen. Wir werden die Online-Anschlüsse sachgerecht regeln. Wir werden die Stellung des Datenschutzbeauftragten verstärken.
Alles das sind Punkte, in denen eine weitgehende Übereinstimmung erzielt worden ist. Wir wissen, daß die Zeit drängt, auch mit Rücksicht auf die notwendigen Entscheidungen in den Ländern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Natürlich, Herr Wernitz, bitte.
Herr Kollege Hirsch, können Sie ungefähr einen Zeitpunkt angeben, zu dem die Koalition, die das offensichtlich an Stelle der Bundesregierung jetzt tun will, einen solchen Entwurf zur Novellierung des BDSG vorlegen wird?
Es liegt mir nicht, Ankündigungen zu machen; aber ich glaube, die Verhandlungen, unsere Gespräche sind in einem Stadium, daß wir sagen können, daß wir einen solchen Gesetzentwurf in absehbarer Zeit vorlegen können. Mir ist das Thema zu ernst, um in irgendeinen Wettbewerb in bezug auf das Erstgeburtsrecht einzutreten.
Für viele Bereiche sind schwer Lösungen zu finden, wenn man den vernünftigen Mittelweg gehen will. Da gibt es Wertungsunterschiede. Ich kann Ihnen nur sagen - das möchte ich auch Herrn Laufs sagen -, daß ich ihm für die außerordentlich vertrauensvolle und, wie ich finde, befriedigende Art unserer Verhandlungen in diesem Bereich sehr danken möchte.
({0})
Ebenso möchte ich im Namen der Fraktion dem Bundesdatenschutzbeauftragten unseren Dank und unsere Anerkennung für seine schwierige, aber im Interesse einer freiheitlichen Demokratie unerläßliche und notwendige Arbeit aussprechen.
({1})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie hier vor diesem Hohen Hause schon mehrfach ausgeführt, hält auch die Bundesregierung eine baldige Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes für notwendig. Ich verweise z. B. ausdrücklich auf die Regierungserklärung vom 4. Mai 1983. Herr Kollege Wernitz, Sie hatten gesagt, es solle alles schneller gehen. Ich möchte hier auf die Ankündigungen der beiden Koalitionsfraktionen - Kollege Hirsch hat davon gerade noch einmal gesprochen - hinweisen, daß eine Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz erarbeitet wird. Ich will hier sagen: Das Bundesministerium des Innern ist bei der Erarbeitung der Vorlage intensiv beratend beteiligt. Wir sind um diese Hilfe auch gebeten worden, um alle Auswirkungen des Karlsruher Urteils mit berücksichtigen zu können.
Ich möchte an dieser Stelle für die Bundesregierung den Experten aus den Koalitionsfraktionen sehr herzlich danken, die sich bereits mit den Experten aus unserem Hause in vielen, vielen Stunden bemüht haben, eine gute Vorlage zu erarbeiten. Meine Damen und Herren, ich glaube, uns allen in diesem Hause muß vor Augen stehen, daß das eine Rechtsmaterie ist, für die eine ganz, ganz solide
Bearbeitung notwendig ist, weil wir andere wichtige Staatsziele mit dem Datenschutz koordinieren müssen. Ich bin der Meinung, Herr Kollege Wernitz, wir tun der gesamten Sache - Sie haben selbst gesagt, daß man Zeit braucht, um die Dinge ordentlich zu regeln - einen guten Dienst, wenn wir das jetzt in den Beratungen sehr solide vorbereiten. Wir werden als Regierung alles uns Mögliche tun, damit die Vorlage hier bald eingebracht werden kann.
Ich will im übrigen sagen: Ich finde, das ist auch ein guter Beitrag zu dem, worüber heute hier im Hause diskutiert wird, nämlich zum Selbstverständnis des Parlaments. Zu diesem wichtigen Themenbereich kommen aus den Fraktionen, auch von der SPD-Fraktion, Vorschläge. Dies sollte man ausdrücklich begrüßen.
Ich will aber auch darauf verweisen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in Auswertung des Urteils von Karlsruhe schon eine Fülle von Initiativen ergriffen hat. Wir haben in den Fraktionen darüber berichtet, daß eine Novellierung des Volkszählungsgesetzes, daß die Initiativen zum Mikrozensusgesetz und anderes bearbeitet werden mußten. Kollege Laufs hat darüber gesprochen.
Nun möchte ich in meinem kurzen Beitrag heute einige Aspekte ansprechen, die ich im Hinblick auf die Novellierung für wichtig halte, die uns beschäftigen wird. Lassen Sie mich folgende Punkte kurz, geradezu beispielhaft ansprechen. Seit langem wird in der Datenschutzdiskussion eine Stärkung des Zweckbindungsprinzips verlangt. Nach dem Volkszählungsurteil ist die Verwendung zwangsweise erhobener Daten auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt. Hier stellt sich und wird sich für die Beratungen die gesamte Problematik der Amtshilfe stellen; darüber werden wir eingehend zu sprechen haben. Ich möchte hier als Leitlinie erwähnen: Der dringend notwendige Datenschutz muß mit den anderen Aufgaben des Staates koordiniert werden, die er zum Schutz der Bürger wahrzunehmen hat, z. B. auch mit den Aufgaben für die innere Sicherheit. Dies müssen wir zusammen sehen, und dem müssen wir bei der Gesetzesausarbeitung gerecht werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Novellierung wird das Recht auf Auskunft sein, das die Bürger ja auch sehr beschäftigt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird dem Betroffenen eine Auskunft über seine Daten pauschal, also ohne Prüfung im Einzelfall, nicht mehr verweigert werden können. Es werden aber im Sicherheitsbereich sicherlich Sonderregelungen erforderlich sein, um Ausforschung - der Kollege Laufs hat schon darauf hingewiesen - zu vermeiden.
({0})
- Wir haben Gelegenheit, das im Innenausschuß an Beispielen sehr deutlich zu machen.
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- Ich könnte eine ganze Reihe von Beispielen dafür nennen, wo die Gefahr für die innere Sicherheit besteht. Herr Kollege Fischer, alle hier im Hause, alle Abgeordneten haben, wenn wir etwas wirklich Beständiges schaffen wollen, die Aufgabe, den wirklich erforderlichen Datenschutz mit den Notwendigkeiten der inneren Sicherheit zu koordinieren. Sonst werden wir einer Aufgabe, zu deren Erfüllung wir auch berufen sind, nicht gerecht.
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Etwas möchte ich noch zur Gebührenfreiheit sagen. Wir werden sicherlich auch darüber sprechen müssen, daß im öffentlichen Bereich Informationen auch gebührenfrei erteilt werden müssen. Auch will ich etwas zur Haftungsregelung sagen: Ich stelle mir vor, daß es eine Datenschutznovelle ohne wirksame Haftungsregelung nicht geben kann.
Auf Grund des Volkszählungsurteils sind neben Änderungen und Ergänzungen des Bundesdatenschutzgesetzes insbesondere bereichsspezifische Zulässigkeitsnormen erforderlich, die den Verwendungszweck sehr präzise bestimmen müssen. Ich will hier aber sagen: Dies entspricht von Anfang an der Konzeption unseres Datenschutzrechts; es ist z. B. im Meldewesen bereits durch das Melderechtsrahmengesetz aus dem Jahre 1980 sichergestellt. In Zukunft dürfte dies für den Sicherheitsbereich noch besondere Bedeutung haben.
Die Innenminister des Bundes und der Länder sind gemeinsam der Auffassung, daß nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz auch Folgerungen für die Regelung der Datenerhebung und -verarbeitung im Bereich der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden zu ziehen sind. Dementsprechend hat die Innenministerkonferenz in ihrer Sitzung am 13. Juni 1984 ihre zuständigen Arbeitskreise beauftragt, einen Bericht mit Formulierungsvorschlägen einschließlich Begründung für fachspezifische gesetzliche Regelungen über die Informationsgewinnung und -verarbeitung im Bereich der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden vorzulegen. Ziel dieses wichtigen Auftrags ist es, eine gemeinsam abgestimmte Grundlage zu finden, die realistischer Ausgangspunkt für eine Novellierung der einschlägigen Polizei- und Verfassungsschutzgesetze in Bund und Ländern sein kann.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle will ich auch folgendes sagen: Es wird wichtig sein, daß wir bei diesen Aufgaben, auch und gerade bei der Koordination von Datenschutz und innerer Sicherheit, zwischen dem Bund und den Ländern, den Trägern der Polizei, sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die Initiativen sind ja inzwischen auch ergriffen.
Komplexität, Schwierigkeit und Sensibilität der Materie erfordern äußerste Sorgfalt und eingehende Abstimmung nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch im Blick auf die unmittelbar berührten Rechtsmaterien wie z. B. Strafprozeßrecht, allgemeines Datenschutzrecht, Verwaltungsverfahrensrecht und dergleichen. In diesem Sinne, Herr Kollege Wernitz, werden wir uns dann in den Ausschußberatungen auch mit den einzelnen
Vorschlägen, die Ihre Initiative beinhaltet, zu beschäftigen haben. Die Bundesregierung wird sich, falls notwendig, dazu äußern.
Lassen Sie mich dazu jetzt nur dies sagen: Auf den ersten Blick haben wir die - auch schon von den Kollegen Laufs und Hirsch angesprochene - Sorge, daß bei den von Ihnen verlangten Initiativen nachher außerordentlich viel bürokratischer Aufwand herauskäme.
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Ich möchte uns alle bitten, auch im Blick auf andere Staatsziele, die wir verfolgen, zu beachten, daß bei all diesen Aufgaben ein Ziel auch intensiv verfolgt werden muß: Der berechtigte Datenschutz darf nicht zu einem enormen Übermaß an neuer Bürokratie führen, denn dann würde er auch für die Bürger und für den Staat insgesamt nicht gut sein.
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Meine Damen und Herren, ich möchte mich noch kurz zum Fünften und zum Sechsten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz äußern. Hinsichtlich der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zum Fünften Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz teilt die Bundesregierung - auch wenn sie nicht immer dessen Rechtsauffassung teilt - die Auffassung, daß sich die Institution des Bundesbeauftragten für den Datenschutz bewährt hat. Vor allem, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist im Interesse der Bürger - das will ich hier deutlich sagen - um eine gute Zusammenarbeit bemüht.
Im übrigen sieht sie sich durch die Beschlußempfehlungen in ihrer Auffassung bestätigt, daß die Ziele des Gesetzgebers im wesentlichen erreicht worden sind. Auch der Innenausschuß verweist auf die Feststellungen des Bundesbeauftragten, daß Behörden den Datenschutz richtig ausführen und ihn in ihren Aufgabengebieten auch entsprechend ernst nehmen. Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen auch in Zukunft gewährleistet ist.
Was die bereichsspezifischen Anregungen und Feststellungen in der Beschlußempfehlung angeht, so hat die Regierung hierzu teilweise bereits in kürzlich vorgelegten Stellungnahmen zum Sechsten Tätigkeitsbericht Stellung bezogen. Im übrigen wird sie diese Punkte gern aufgeschlossen, sorgfältig prüfen und in ihre Überlegungen einbeziehen.
Der Sechste Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, meine Damen und Herren - der erste unter der Verantwortung des neuen Amtsinhabers -, enthält - wie die früheren Berichte - eine Reihe von Prüfungsfeststellungen sowie Anregungen, auch zur Fortentwicklung des Datenschutzes. Dem Bericht läßt sich, insgesamt gesehen, die Tendenz entnehmen, daß der Persönlichkeitsschutz bei den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes weitgehend beachtet wird. - Meine Damen und Herren, das will ich hier
einmal herausstellen: Ich bin dem Datenschutzbeauftragten Baumann sehr dankbar, daß das in dem Bericht sehr deutlich zum Ausdruck kommt, weil j a in der öffentlichen Diskussion bisweilen so getan wird, als würde auf Daten überhaupt nicht in entsprechender Weise Rücksicht genommen. Hier hat der Datenschutzbeauftragte ein wichtiges Wort in einem wichtigen Bericht gesprochen, der auch allen Bürgern so offensiv zur Kenntnis gebracht werden sollte. Ich bin dankbar dafür, daß das so festgestellt worden ist. - Die Bundesregierung ist jedenfalls bestrebt, mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz einvernehmliche Lösungen zum Wohle der Bürger zu erzielen. Sie hat dies erst kürzlich in einer umfangreichen schriftlichen Stellungnahme zum Sechsten Tätigkeitsbericht bekräftigt und dem Innenausschuß vorgelegt.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu dem, was wir hier im Tätigkeitsbericht und in den Empfehlungen des Innenausschusses feststellen können, zusammenfassend einmal sagen: Wir können heute in wichtigen Bereichen eine positive Zwischenbilanz der Arbeit für den Datenschutz zum Wohle der Bürger ziehen. Das sollte man hier vor diesem Hohen Haus auch ganz offen aussprechen und den Bürgern bekanntmachen.
Meine Damen und Herren, die Ihnen zur Beratung vorliegenden Unterlagen bieten Gelegenheit, die Fortentwicklung des Persönlichkeitsschutzes auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung zu diskutieren und darüber zu entscheiden. Die Bundesregierung wird sich an diesem Entscheidungsprozeß aktiv beteiligen. Sie orientiert sich dabei an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die genügend Spielraum bieten, um sowohl für die betroffenen Bürger als auch für die Datenverarbeiter angemessene Regelungen zu finden.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen: Es wird vor allem unser Anliegen sein, die wichtige Aufgabe des Staates, den berechtigten Datenschutz für den Bürger zu gewährleisten, mit viel Intensität mit anderen wichtigen Aufgaben in Einklang zu bringen, die der Staat auch zu erfüllen hat, wobei insbesondere für das Allgemeinwohl in wichtigen Bereichen und für die innere Sicherheit Sorge zu tragen ist. Es wird unser Auftrag sein, das miteinander zu einem Ziel, für das allgemeine Wohl, zu verbinden.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen.
Minister Dr. Schnoor ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich in diesen Wochen und Monaten so manchen Sicherheitsapostel höre, dann kommen mir wirklich die Tränen. Das gilt sowohl dann, wenn über den Datenschutz diskutiert wird, als auch dann, wenn über den fälschungssicheren Personalausweis gesprochen wird. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, schafft man die Grenzkontrollen ab, ohne daß ir6194
Minister Dr. Schnoor ({1})
gend jemand weiß, wie man die Sicherheitsdefizite ausgleichen soll.
({2})
Es gab im Jahre 1983 an unseren westlichen Grenzen 14 000 Festnahmen, meine Damen und Herren, doch die Polizei weiß nicht, wie das Sicherheitsdefizit ausgeglichen werden soll. Und dann sprechen Sie davon, welche Gefahren uns für die Sicherheit durch den Datenschutz entstehen können.
({3})
Meine Damen und Herren, wer für den Datenschutz politisch verantwortlich ist, kann den Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der SPD nur nachdrücklich begrüßen.
({4})
Endlich, verehrter Herr Kollege, nimmt sich jetzt auch der Bundesgesetzgeber dieses drängenden Themas an, auch wenn sich Bundesregierung und Koalition ihrer Pflicht bisher noch zu entziehen suchen.
({5})
- Doch, Herr Hirsch! Bisher ja. Es ist ganz erstaunlich, Herr Hirsch, daß es die Bundesregierung nicht fertiggebracht hat, einen Gesetzentwurf vorzulegen.
({6})
Ich begrüße es außerordentlich, daß wir jetzt Gelegenheit haben, im Bundestag durch Initiative der SPD-Bundestagsfraktion das Thema „Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes" voranzutreiben. Ich meine auch, daß das, was die Fraktion hier vorgelegt hat, der richtige Schritt in die richtige Richtung ist.
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- Ich habe sehr genau zugehört, Herr Hirsch. Ich werde gleich etwas dazu sagen.
({8})
Der Gesetzentwurf gibt mit einer Vielzahl geänderter und neuer Vorschriften neue Denkanstöße. Er ist in einigen Punkten nicht ausreichend; das ist für mich eindeutig. Aber er ist ein wesentlicher Schritt zur praktischen Verbesserung des Datenschutzes im Interesse der Bürger.
Das Bundesdatenschutzgesetz und die Datenschutzgesetze der Länder, so fortschrittlich sie einmal gewesen sein mögen, geben Antworten auf Fragen von vorgestern, nicht auf Fragen von heute, geschweige denn auf Fragen von morgen, meine Damen und Herren.
({9})
Mit der Zunahme der Informationsverarbeitung in Verwaltung und Wirtschaft und mit dem Aufkommen neuer Technologien müssen weitergehende Vorschriften als bisher vorgesehen werden, und - meine Damen und Herren, das sage ich mit allem Ernst - wir müssen der Gefahr vorbeugen, daß der einzelne durch Staat und öffentliche Stellen zunehmend durchleuchtet und vereinnahmt werden kann und wird. Wir müssen die Rechte der betroffenen Bürger stärken.
Gleichzeitig müssen wir natürlich die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1983 ziehen. Zu Recht hat der Datenschutz in der Öffentlichkeit die erforderliche Resonanz gefunden und, wie ich meine, zu einem Datenschutzbewußtsein in der Öffentlichkeit geführt.
Natürlich ist die Verwaltung im modernen Sozialstaat auf Daten angewiesen. Natürlich muß der Staat, der für den Bürger Leistungen zu erbringen hat, von diesem auch personenbezogene Informationen verlangen. Das ist ganz selbstverständlich; sonst könnten wir unsere Aufgaben gar nicht erfüllen. Aber die notwendige Akzeptanz der Datenverarbeitung - verehrter Herr Hirsch, darauf haben Sie aufmerksam gemacht -, auf die wir angewiesen sind, wird im wesentlichen von der Qualität des Datenschutzes abhängen.
({10})
Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion bietet eine deutlich verbesserte Grundlage für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Ich meine, er bietet auch einen Ansatz, um die notwendige Leitfunktion für den bereichsspezifischen Datenschutz zu übernehmen. Denn das Bundesdatenschutzgesetz soll ja auch eine Grundlage für die bereichsspezifischen Regelungen sein, die hier ergänzend notwendig sind.
Die Tatsache, daß die SPD-Fraktion einen solchen Gesetzentwurf vorlegt, wirft allerdings ein bezeichnendes Licht auf die Rolle der Bundesregierung und wirft auch einige kritische Fragen auf. Trotz jahrelanger Vorarbeiten, meine Damen und Herren, auch in der früheren Bundesregierung - ({11})
- Oh, die waren sehr gut. Herr Laufs, wenn der Bundesinnenminister doch wenigstens den Entwurf übernommen hätte, den Herr Baum damals erarbeitet hatte, wieviel weiter wären wir dann in der Diskussion jetzt schon! Wir müssen ihn ergänzen; denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist hinzugekommen.
Trotz jahrelanger Vorarbeiten - ich wiederhole es - ist es dem Bundesminister des Innern nicht gelungen, dem Kabinett einen abgestimmten Entwurf zur Entscheidung vorzulegen. Er will dies - das haben wir vorhin deutlich gehört - auch nicht tun, sondern er will die Verbesserung den Fraktionen des Bundestages überlassen. Wenn ich mich allerdings auf das verlasse, Herr Laufs, was Sie dazu gesagt haben, als Sie von Hypertrophie spraMinister Dr. Schnoor ({12})
Chen, von den Schaukünstlern, die sich auf dem Eis bewegen, dann höre ich solche Worte wohl, aber gleichzeitig höre ich: Es soll sich möglichst wenig ändern.
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Meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung keinen Gesetzentwurf vorlegt, erstaunt mich sehr. Ich habe nicht damit gerechnet, daß Herr Zimmermann, verehrter Herr Kollege Waffenschmidt, auch hier resignieren würde.
({14})
Sie haben darauf hingewiesen, welche schwierige Rechtsmaterie hier zu regeln sei. Ist es da nicht die Aufgabe des Bundesinnenministers und des Bundesjustizministers, dem Kabinett einen abgestimmten Entwurf vorzulegen?
({15})
Oder ist es Aufgabe von Koalitionsfraktionen, das im einzelnen zu erarbeiten? Ich meine, das wirft ein bezeichnendes Licht auch auf die Führungsfähigkeit dieser Bundesregierung.
({16})
Eine ähnliche Zurückhaltung ist auch beim bereichsspezifischen Datenschutz festzustellen, im Sicherheitsbereich, meine Damen und Herren. Während die Länder in der Innenministerkonferenz intensiv an den erforderlichen Änderungen ihrer Polizeigesetze arbeiten - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, inwieweit nämlich bereichsspezifische Regelungen notwendig sind, ist immer noch ungeklärt, wie weit die Vorschriften des Bundesrechts geändert werden. Meine Damen und Herren, insbesondere vermisse ich Vorstellungen über die Änderung der Strafprozeßordnung. Denn das, was die Innenministerkonferenz zur Novellierung des Musterentwurfs für ein Polizeigesetz vorlegen kann, bleibt ein Torso, wenn nicht gleichzeitig die Strafprozeßordnung geändert wird. Aber hier scheinen sich der Innenminister und der Justizminister im Zaudern zu finden.
({17})
Offenbar sieht die Bundesregierung in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur ein vorübergehendes Gewitter, dessen unvermeidlichen Flurschaden es im nachhinein soweit wie möglich zu begrenzen gilt.
({18})
Was ist die Folge dieses Verhaltens, meine Damen und Herren? Nachdem ich Herrn Kollegen Hirsch gehört habe - ich habe aufmerksam zugehört - und Herrn Laufs und sehr wohl die Töne und Zwischentöne gehört habe, bin ich sehr gespannt, auf was sie sich einigen werden. Herr Hirsch, das, was ich in Nordrhein-Westfalen vorgelegt habe, ist ein Referentenentwurf. Das ist wohl wahr. Aber Sie können davon ausgehen, daß dieser Referentenentwurf in Punkt und Komma meine
Handschrift trägt. Sonst würde ich in dieser Situation nicht einen solchen Entwurf vorlegen. Es ist sehr wohl so, Herr Hirsch, daß hier manches noch unzulänglich ist. Wer etwas vorlegt, setzt sich der Kritik aus. Das ist sicher richtig. Aber, verehrter Herr Kollege Hirsch, ob es Ihnen gelingt, sich mit Herrn Laufs auf das zu verständigen, was ich für den öffentlichen Bereich vorgelegt habe, darauf bin ich sehr gespannt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie das könnten, wenn Sie vielleicht auch noch weiter gehen könnten.
({19})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Minister Dr. Schnoor ({0}): Bitte schön.
Herr Minister, können Sie sich vorstellen, daß wir uns schneller einigen können, als Herr Börner das mit den GRÜNEN in Hessen kann?
Minister Dr. Schnoor ({0}): Ich hoffe, daß Sie sich schneller einigen können. Das wird allerdings, wie ich hoffe, nur möglich sein, wenn Sie von Ihren Vorstellungen, nämlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil restriktiv auszulegen, ein- für allemal Abstand nehmen.
({1})
Sonst glaube ich nicht, daß eine solche Einigung von der FDP hier vertreten werden kann.
({2})
Meine Damen und Herren, was ist nun die Folge dieses Attentismus der Bundesregierung? Die Folge ist, daß der Bund seine Leitfunktion, die er bisher im Bereich des Datenschutzrechts gehabt hat, nicht mehr wird ausüben können. Vielleicht genügt es der Bundesregierung auch, daß sie das Wort Regierung im Namen trägt. Nachdem vorhin schon einmal einige Bemerkungen über Nordrhein-Westfalen gefallen sind: Man kann ja auch nach dem Grundsatz verfahren: Wer nichts tut, fällt hoffentlich nicht unangenehm auf.
Man darf sich dann allerdings nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn mittlerweile einzelne Länder eigene Wege gehen werden. Wir haben das getan, und wir werden das tun. Soweit ich das sehe, wird das Land Hessen jetzt im Herbst auch einen eigenen Entwurf vorlegen. Das muß für die Bürger nicht nachteilig sein, meine Damen und Herren. Wir werden Fakten setzen. Wir werden den Bürgern Rechte einräumen. Wir werden ihnen Rechte einräumen, die die Bürger dann auch vom Bund, vom Bundesgesetzgeber einfordern werden und die Sie nicht mehr ignorieren können.
({3})
Deswegen, muß ich sagen, stört mich dieser Attentismus letztlich auch nicht. Er wird, glaube ich, im Interesse des Datenschutzes sehr nützlich sein.
Minister Dr. Schnoor ({4})
Die anstehende Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes und der Datenschutzgesetze der Länder muß einmal die in dem SPD-Entwurf enthaltenen Fortschritte übernehmen, und sie muß zum zweiten von folgenden Grundüberlegungen ausgehen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt die Entscheidungsfreiheit des betroffenen Bürgers voraus. Der Bürger muß in der Lage sein, zu erkennen, welche Stelle welche Angaben zu welchem Zweck und bei welcher Gelegenheit über ihn erhält.
({5})
Diese Kernaussage des Bundesverfassungsgerichts macht bei vergleichbaren Sachverhalten gleiche oder ähnliche Bewertungen unabweisbar. Deshalb kann sich der Datenschutz jedenfalls im öffentlichen Bereich nicht mehr auf die automatische Datenverarbeitung beschränken. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - diese Passagen müssen Sie auch lesen, Herr Laufs - besteht das Recht des Bürgers unabhängig davon, in welcher Form Daten festgehalten werden.
({6})
Der Anwendungsbereich der Datenschutzgesetze muß deshalb auf die Verarbeitung personenbezogener Daten in nicht automatisierten internen Dateien und Akten ausgedehnt werden.
({7})
Entsprechend wird auch die Kontrollbefugnis des Datenschutzbeauftragten auf interne Dateien und Akten erweitert werden müssen - auch im Bundesdatenschutzgesetz; denn das Bundesdatenschutzgesetz befaßt sich ja bekanntlicherweise nicht nur mit dem privaten Bereich, sondern auch mit dem öffentlichen Bereich.
({8})
- Verehrter Herr Kollege, wissen Sie denn nicht, daß es daneben auch noch bereichsspezifische Datenschutzregelungen gibt bzw. geben muß? Das ist doch selbstverständlich.
({9})
- Aber Ihre Erregung ist wirklich interessant.
({10})
Sie ist nämlich entlarvend. Sie möchten in Wirklichkeit alles beim alten lassen. Das können Sie aber nicht mehr, und das dürfen Sie nicht mehr. Das gestattet auch nicht mehr das Bundesverfassungsgericht.
({11})
- Sie werden das Recht eines Bundesratsmitglieds, hier zu sprechen, auch nicht beseitigen können, Herr Kollege.
({12})
- Die hätte ich gerne bei Ihnen vorhin bemerkt.
Dem Bürger ist diese Abgrenzung des Dateibegriffs ohnehin nicht verständlich. Das ist dem Bürger auch nicht klarzumachen. Das ist wichtig, wenn es um die Akzeptanz geht.
Die Ausdehnung des Schutzzweckes bedeutet natürlich nicht, daß wir auf jede differenzierte Regelung verzichten müssen. Das müssen wir nicht.
Der betroffene Bürger muß ferner grundsätzlich selbst über die Preisgabe und die Verwendung seiner Daten entscheiden können. Das setzt die Einbeziehung der Erhebung in den Anwendungsbereich des Gesetzes voraus; denn gerade in diesem Stadium der Informationsgewinnung besteht für den Bürger oft der einzige wirksame Schutz für seine personenbezogenen Daten.
Heute morgen ist schon mehrfach auf das Zweckbindungsprinzip hingewiesen worden. Das hat auch grundlegende Bedeutung, weil der Bürger bei der Hergabe seiner Daten darauf vertrauen muß, daß diejenigen Umstände, die ihn zur Preisgabe veranlaßt haben, tatsächlich zutreffen und von der verarbeitenden Stelle auch beachtet werden. Die Stärkung der Zweckbindung und die Erweiterung der Aufklärungs- und Informationspflichten der Behörden gehören bei der Datenerhebung zusammen. Auch das Auskunftsrecht muß bürgerfreundlich sein. Von der Auskunftspflicht sollten jedenfalls grundsätzlich auch die Sicherheitsbehörden nicht ausgenommen werden. Im übrigen sind für die Sicherheitsbehörden natürlich bereichsspezifische Regelungen erforderlich.
Die zentrale und schwierigste Frage, mit der wir es überhaupt zu tun haben, sehe ich darin: Inwieweit muß nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts der Informationsaustausch, also die Informationshilfe, gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwendungsverbote geschützt werden? Das betrifft nämlich die Datenübermittlung, die mangels spezifischer Regelungen auf Generalklauseln des Datenschutzes und auf die allgemeinen Amtshilfevorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze gestützt wird. Hier haben wir eine sehr schwere Aufgabe zu lösen. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Nur wenn wir diese Aufgabe lösen, werden wir auch den Forderungen gerecht, die das Bundesverfassungsgericht an uns stellt. Da gibt es kein Wegtauchen, meine Damen und Herren.
({13})
- Herr Baum, bei manchen Beiträgen, die ich nicht
aus Ihrer Fraktion, sondern aus Ihrer KoalitionsMinister Dr. Schnoor ({14})
fraktion gehört habe, habe ich den Eindruck, man möchte gerne den Kopf in den Sand stecken.
Es wird künftig geboten sein, personenbezogene Daten grundsätzlich nur noch beim betroffenen Bürger selbst zu erheben und sie von anderen Behörden nur noch abzurufen, wenn und soweit dies mit dem Zweckbindungsprinzip vereinbar ist. Das verträgt sich nicht mit den klassischen Vorstellungen der Amtshilfe, nach denen die Behörden frei entscheiden, welche Daten sie benötigen und woher sie die Daten erhalten. Mit der Datenübermittlung im Wege der Amtshilfe ist regelmäßig auch - das ist künftig nicht mehr zulässig - eine Zweckentfremdung verbunden, z. B. wenn es sich beim Informationsaustausch um Behörden mit unterschiedlicher Aufgabenstellung handelt.
({15})
Dieses bisher ebenso als rechtmäßig wie selbstverständlich von uns allen angesehene Verhalten in der Verwaltung müssen wir von Grund auf überdenken. Der Datenschutz macht eine Überprüfung überkommener, von uns als selbstverständlich angesehener Verwaltungsroutine unausweichlich. Das ist nun einmal der Preis der modernen Informationsgesellschaft, der wir alle nicht ausweichen können.
Dieses bisher als ebenso rechtmäßig wie selbstverständlich angesehene Verhalten werden wir also überprüfen müssen. Den Kompromiß, den die Koalition finden wird, Herr Hirsch, werden wir daran zu messen haben, ob es Ihnen besser gelingt, als es mir bisher gelungen ist. Ich weiß, daß das, was man vorlegt, immer zunächst einmal unzulänglich ist. Andere haben es manchmal etwas leichter, wenn sie darauf aufbauen können.
Aber natürlich müssen wir auch darauf achten - ich bin sehr dankbar, daß Sie darauf hingewiesen haben, Herr Hirsch -, daß das Zweckbindungsprinzip nicht zu einer Abschottung von Behörden und Verwaltungseinheiten führt, die mit neuen Gefahren für den Bürger verbunden sind, die nämlich darin bestehen können, daß sich jede Behörde nun ihren eigenen, vollständigen und umfassenden Datenbestand und natürlich noch einen Unterbau mit Exekutivbefugnissen zulegt.
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Wir wollen eine Lösung dieser Probleme etwa in der Weise, wie ich das in Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen habe. Das heißt aber dann auch, es gibt keinen Informationsaustausch mehr im Sinne der klassischen Vorstellungen der Amtshilfe. Das ist vorbei. Das ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten. Und das ist, meine ich, wegen der stürmischen Entwicklung in der Informationstechnik auch unerläßlich.
Die Möglichkeiten des Menschen in der Technik sind exponentiell gewachsen. Aber ist eigentlich
seine moralische Substanz seit der Zeit, als er noch im Neandertal lebte, auch gewachsen?
({17})
Ich möchte das mit einer großen Skepis betrachten.
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- Ich möchte auch gerne mit dieser Selbstgerechtigkeit - und mit diesem Alles-Wissen wie Sie darangehen -, Probleme der modernen Industriegesellschaft gelöst sehen!
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Mein Gott, wie kann man Ihnen überhaupt nur die Verantwortung für dieses Land anvertrauen!
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Meine Damen und Herren, wenn wir unsere Erfahrungen bedenken, die wir in vielen Bereichen der Technik gemacht haben, und uns fragen, ob es uns jetzt wenigstens gelingt, die neue Technik zu beherrschen und uns nicht von ihr beherrschen zu lassen, dann, so muß ich Ihnen sagen, bin ich eher skeptisch als hoffnungsvoll. Aber es gibt für uns keine Möglichkeit, uns der modernen Informationsgesellschaft zu entziehen. Deshalb gibt es auch keine Alternative zu einem konsequenten Datenschutz. Nur, das haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, noch nicht gemerkt.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nehmen uns Ihre letzten Worte zu Herzen, werden aber bestimmt nicht davon abgehen, die Probleme nach wie vor so ernst zu nehmen, wie wir das hier im Hause alle miteinander tun. Angesichts dessen, daß heute noch die Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments stattfinden wird, stelle ich mir wahrlich die Frage, was dieser Beitrag sollte. Ich habe nichts Neues erfahren. Es gab ein bißchen Lob für die SPD. Wenn die gut sind, dann machen wir das selber. Aber die loben sich nun schon selber gebührend. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Panik in den Knochen steckt, daß die Mehrheit für das rotgrüne Bündnis noch nicht ganz reicht und Sie noch etwas zulegen müssen. Mir ist das also irgendwo unerfindlich.
Ich muß nun etwas, mit Vorsicht, zum Kollegen Hirsch sagen. Er hat vorhin eine bestimmte Nähe zum Kollegen Schnoor bekundet. Ich unterstelle, daß die nicht mehr ganz so da ist. Aber selbst wenn es so wäre, hinderte mich das nicht, zu sagen, daß ich doch sehr weit von dem entfernt bin. Vom Stand der sachlichen Diskussion sind wir doch nicht aus6198
einander. Was Sie hier an Weisheiten eingebracht haben, ist Gegenstand unserer Diskussionen bis zuletzt gewesen. Es ist schon seit Jahren Gegenstand unserer Diskussionen.
Und wenn Sie uns speziell mit einem Schlenker auf das Unterbleiben der Grenzkontrollen die Ernsthaftigkeit absprechen: Genau das war natürlich ein Thema, über das sich die Sicherheitspolitiker unterhalten haben. Nur, wenn Sie es kritisieren, sollten Sie klar sagen, ob Sie sie wieder einführen wollen. Tun Sie es. Sagen Sie, ob Sie sie wieder einführen wollen.
({0})
Es wäre wesentlich sachgerechter, sich mit uns zu überlegen, wie man im Verkehr zwischen Ländern das Maß an Sicherheit herstellen kann, wie es bisher durch die Grenzkontrollen und die dabei erfolgten Aufgriffe gegeben war.
Ich möchte noch ein paar Stichworte aus der Diskussion aufgreifen. Ich bin Herrn Kollegen Wernitz dankbar, daß er sehr sachlich und wirklich fair den Entwurf der SPD eingebracht hat. Ich halte diesen Entwurf für nicht gut. Darin ist eine Menge, was ich für hektisch und absolut überzogen halte. Ich bin ihm aber dankbar, daß er zu dem Problem selber gesagt hat, daß wir die neuen technischen Möglichkeiten im Bereich der Datenverarbeitung sehen müssen, daß wir wissen, daß es bestimmte Anreize, sie zu verwenden, gibt, daß wir uns aber auch - und das sollten wir sehr selbstbewußt sagen - darüber im klaren sein müssen, daß wir ein sehr, sehr umfangreiches Netz an Kontrollen, an Sicherheiten eingebaut haben. Ich weiß, daß die GRÜNEN und verschiedene andere diesem Netz der rechtlichen Kontrollen mißtrauen. Das entspricht dem Selbstverständnis der GRÜNEN, die immer eine Abneigung gegen ein staatlich organisiertes Gemeinwesen haben, jedenfalls solange sie dieses Gemeinwesen nicht brauchen.
Ich meine, wir sollten an dieser Stelle im Hinblick auf die datenschutzrechtlichen Möglichkeiten und die Möglichkeiten der modernen Datenverargeitung z. B. im Zusammenwirken staatlicher Stellen auch einmal sagen, daß dort Beamte, Bürger, sitzen, die in der Regel ihrer Pflicht gerecht werden, die allerdings genau wie andere Bürger Fehler machen können, zu deren Verhinderung wir aber Kontrollen eingebaut haben.
Ich möchte einen Gedanken, den der Kollege Hirsch eingebracht hat, verstärken. Ich wundere mich, warum nicht inzwischen jedem Briefträger ein zweiter zu Seite gestellt ist, der aufpaßt, daß der eine die Briefe nicht öffnet. Ich wundere mich, wieso wir hier selbstverständlich Vertrauen haben, wo sich dies seit Jahrzehnten, Jahrhunderten bewährt hat, und wieso wir in anderen Bereichen in diesem Umfang Mißtrauen säen und davon ausgehen, als wollten bei uns die Bürger, die mit Daten umzugehen haben, diese generell nur so verwenden, daß sie Mitbürgern schaden?
({1})
Ich meine, man sollte in diese Debatte über den Datenschutz auch einmal ganz nüchtern diese Punkte wieder einführen, und zwar gerade weil er so dramatisiert wird.
Herr Kollege Fischer, gerade weil Sie vorhin große Reden gehalten haben, sage ich Ihnen: Ich finde Sie nicht mehr überzeugend; denn mit der Lockerheit - ({2})
Ich finde auch den Stil Ihrer Rede nicht mehr überzeugend; denn die Lockerheit, mit der Sie hier Untergangsszenarien sozusagen herbeireden, läßt schon annehmen, daß die Realität noch nicht traurig genug ist, damit Sie überzeugend wirken können.
({3})
Herr Kollege Wernitz, zu Ihrem SPD-Entwurf nur ein paar kurze Anmerkungen. Ich bin der Meinung, daß er sicherlich einige Dinge aufgreift, die in der Diskussion an sich abgehakt sind, wie die Einführung der Unentgeltlichkeit der Auskunftserteilung und die Schaffung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs.
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- Weil Einigkeit darüber herrscht, daß wir das machen. In dem Sinne meine ich das. Wir haben zwar noch kein Gesetz, aber nachdem Sie immer darstellen, daß noch so viel zwischen uns offen und keine Einigung da wäre, darf ich das doch wohl sagen.
Im Grunde genommen handelt es sich jedoch um ein etwas übereifriges Elaborat. Ich spreche nur einen Punkt an: Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Das geht dann ja wohl so weit, daß nicht nur über die Programme zu entscheiden wäre, sondern auch über die Frage, ob ein Gerät von IBM, Nixdorf, Wang oder sonst etwas eingeführt wird. Ich halte das für überzogen und meine, daß wir darüber noch sehr viel diskutieren müssen. Wir müssen auch über die bereichsspezifischen Regelungen diskutieren, die Sie dort einbauen wollen, wovon ich persönlich nichts halte.
Ich meine, daß wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein paar Punkte nicht aus den Augen verlieren sollten. Das Bundesdatenschutzgesetz muß der technischen Entwicklung angepaßt werden. Wir müssen außerdem auch die Erfahrungen einbauen, die wir aus den Erfahrungsberichten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gewonnen haben. Wir müssen Themen regeln, die uns aus diesen Datenschutzberichten als regelungsbedürftig bekanntgeworden sind.
({5})
- Es ist nur die Frage, wo wir das einbauen, ob Arbeitnehmer-Datenschutz in das Arbeitsrecht gehört, oder ob wir ihn in das Auffanggesetz einbauen. Darüber waren wir uns schon einig.
Wir werden auch die Frage aufgreifen, ob wir die Nähe des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
zum Parlament nicht z. B. durch einen Beirat aus diesem Hause beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz verbessern können.
Ich kann Ihnen versichern: Wir arbeiten mit großem Ernst an den Themen, und wir alle sind überzeugt, daß wir den Anforderungen, die speziell das Verfassungsgerichtsurteil stellt, gerecht werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen.
Herr Schnoor, Sie haben die mangelnde Leitfunktion des Bundes hier beklagt. Wissen Sie, es kommt nicht so sehr darauf an, ob wir innerhalb einer bestimmten Frist einen Gesetzentwurf vorlegen, sondern es kommt meines Erachtens darauf an, daß sich der Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland, über alle Partei- und Ländergrenzen hinweg jedenfalls bemüht, einen Minimalkonsens oder sogar noch mehr in dieser schwierigen Frage herbeizuführen; denn Datenverarbeitung geschieht bundesweit. Es nützt gar nichts - um es mit Verlaub zu sagen -, wenn Sie in einem Bundesland, wo Sie die absolute Mehrheit haben, das vorlegen, was Sie wollen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß es im Sinne des kooperativen Föderalismus sehr viel besser wäre, wenn wir uns über die Grenzen der Länder hinweg verständigen würden,
({0})
wie wir das bei allen Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause 1976 beim Datenschutz gemacht haben. Ich habe das damals für die Regierung gemacht. Wir haben uns doch damals verständigt, Herr Kollege Wernitz. Es bestand weitgehende Übereinstimmung über das erste Datenschutzgesetz und darüber, wie es in den Ländern umgesetzt worden ist. Zu meinem Bedauern bestand sie nicht voll und ganz. Auch beim Meldegesetz fehlte einiges.
({1})
Aber wir sollten uns wirklich zum Ziel nehmen, hier - wie auch in Fragen des Ausländerrechts - die Bundesrepublik Deutschland als einen Gesamtstaat zu sehen und nicht als einen Fleckerlteppich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wernitz?
Ja, wenn die Kollegen es mir nicht übelnehmen, daß es etwas länger dauert.
Nein, Sie haben Ihre Redezeit. Bitte, Herr Abgeordneter Wernitz.
Herr Kollege Baum, teilen Sie meine Befürchtung, daß wir, wenn Sie nicht in sehr kurzer Frist seitens der Koalition Ihren Entwurf vorlegen, angesichts der Erfahrungen, die wir mit der Bearbeitung des ersten Datenschutzgesetzes
gemacht haben, in die Gefahr kommen, in dieser Legislaturperiode die notwendigen Änderungen beim Bundes-Datenschutzgesetz nicht mehr zu schaffen?
Herr Kollege Wernitz, ich sehe die Gefahr nicht. Sie müssen bitte respektieren, daß es hier zwei Parteien gibt, die sich über einen Gesetzentwurf verständigen müssen. Es gibt doch hier Auffassungsunterschiede. Warum soll man die verschweigen? Wir sind selbständige Parteien. Wir werden aber einen Entwurf vorlegen, dessen bin ich auch nach dem Stand der bisherigen Gespräche ganz sicher.
Für uns Liberale hat die Person den Vorrang vor der Institution. Das hat gerade in der Informationsgesellschaft eine große Bedeutung. Und wir kämpfen für den Primat des Politischen. Wir wollen die technologische Entwicklung nicht laufen lassen. Wir wollen nicht, daß die Bürger fragen und keine Antworten bekommen, daß ihnen die Entwicklungen übergestülpt werden. Wir wollen vielmehr, daß sie das Gefühl haben, daß wir uns politisch darüber unterhalten, einen Rahmen setzen und die Gefahren nach Möglichkeit abwehren. So war ja eigentlich der Datenschutz eine exemplarische Angelegenheit. Die Gefahren einer neuen Technologie wurden ausgelotet. Manche werden sagen, das war 1976 nicht rechtzeitig. Es gab aber in ganz Europa nichts Vergleichbares. Wir dürfen uns hier mal selbst ein Lob aussprechen. Wir sind in Sachen Datenschutz nach wie vor vorn in Europa, bei allen Mängeln und Schwächen. Ich sehe diese Mängel und Schwächen. Natürlich entwickelt sich die Informationsgesellschaft rasant. Wenn wir nichts tun, ist der Stillstand, das Nichtstun bereits der Rückschritt.
Also Sie haben hier die feste Absicht nicht nur meiner Fraktion, sondern, wie ich überzeugt bin, auch der Kollegen von der CDU/CSU, dem Verfassungsgerichtsurteil gerecht zu werden, nicht in einer einengenden, restriktiven Auslegung, sondern so, wie es gemeint ist. Datenschutz ist heute mehr als ein Schutz vor Mißbrauch von Daten. Es ist eine hervorragende Aufgabe, die Bürgerrechte zu sichern. Man muß doch eigentlich mit Zufriedenheit feststellen, daß ein Thema, das 1976 nur eine Minderheit von Experten in diesem Lande interessiert hat, zu einem Mehrheitsthema geworden ist, das nahezu alle interessiert. Die Bürger haben begriffen, daß zu ihrer Privatheit auch gehört, daß ihre personenbezogenen Daten nicht beliebig gespeichert und verwendet werden dürfen. Das ist ein Freiheitsthema von wirklich großer Bedeutung.
({0})
Ich kann aus meiner Sicht nur sagen - ich habe ja als Innenminister viele Konflikte auf diesem Felde gehabt, auch mit unseren Kollegen, Herr Schnoor, in der Innenministerkonferenz, auch in diesem Hause -, ich fühle mich durch das Verfassungsgerichtsurteil eigentlich sehr bestätigt. Vieles an öffentlicher Kritik, etwa auch gegenüber den Plänen, die Datenverarbeitung amtshilfefest zu machen - eine ganz wichtige Frage, da sind wir alle einig -,
ist verstummt. Heute wird das als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Nun müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir Amtshilfe im einzelnen ausformen sollen.
Die Institution der Datenschutzbeauftragten ist hier schon genannt worden. Sie hat uns so geholfen, wie wir das gehofft haben. Sie sollten uns bei der Durchsetzung des Gesetzes helfen und sie sollten uns auch sagen, wo Datenschutz bei welchen Veränderungen notwendig ist. Wir haben, meine ich, aus den Stellungnahmen viel gelernt, auch wenn es sicherlich richtig ist, daß nicht alles so gemacht werden kann. Ich habe mich als Innenminister nicht nur für die Entwicklung des Datenschutzes verantwortlich gefühlt, sondern auch für die Sicherheit. Ich habe mir gesagt, ich bin auch Sicherheitsbeauftragter und muß hier wirklich abwägen. Ganz entscheidend ist doch, wenn wir nicht rechtzeitig etwas tun - von diesem Gedanken habe ich mich als Innenminister leiten lassen -, um dem Mißtrauen der Bürger gegenüber Datensammlungen bei Polizei und Nachrichtendiensten entgegenzuwirken, dann kann es sehr leicht eine Situation geben, in der die Bürger uns hindern, das unbedingt Notwendige zu tun, einfach deshalb, weil das Mißtrauen so stark ist, daß das nicht mehr gelingt.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Ich stimme Robert Leicht zu, der in der „Süddeutschen Zeitung" gesagt hat:
So gesehen, hört der Datenschutz auf, ein gewissermaßen lästiger Wurmfortsatz der Datenverarbeitung zu sein. Es gibt vielmehr schlechterdings keine Datenverarbeitung mehr ohne Datenschutz.
Von diesem Gedanken werden wir uns leiten lassen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den teilweise unternommenen Höhenflügen der Datenschutzdiskussion komme ich zu den Niederungen zurück, nämlich zu dem Fünften und Sechsten Tätigkeitsbericht.
Diese umfangreichen Berichte geben einen hervorragenden Überblick, wie die Datenschutzlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland konkret, d. h. vor Ort in der öffentlichen Verwaltung des Bundes, aussieht. Wir finden in diesen Berichten eine Fülle von Anregungen, die bei den Überlegungen zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes - das ist hier in der Debatte deutlich geworden
- sicher Berücksichtigung finden. Ich mache zu den Tätigkeitsberichten drei Bemerkungen.
Erstens. Mit dem Fünften Tätigkeitsbericht hat der Bundesbeauftragte eine Art Bilanz - Herr Wernitz, Sie haben das heute morgen schon gesagt
- der ersten fünf Jahre seiner Tätigkeit gezogen. Ich begrüße nachdrücklich, daß die Regierungsfraktionen und die SPD-Opposition in der Bewertung dieser Bilanz übereinstimmen.
Aus der Bilanz entnehme ich mit Genugtuung auch, daß der Bundesgesetzgeber mit dem Bundesdatenschutzgesetz, das ja Neuland betreten hat, seine Ziele im wesentlichen erreicht hat. Die Bürger der Bundesrepublik sind vor dem Mißbrauch ihrer persönlichen Daten mit den Mitteln der modernen Datenverarbeitung wirksam geschützt. Die Bundesbehörden nehmen nach den Feststellungen des Bundesbeauftragten den Datenschutz ernst. Schwerwiegende Verletzungen der gesetzlichen Datenschutzbestimmungen sind dem Datenschutzbeauftragten nicht bekannt geworden. Das ist alles in allem, denke ich, eine gute und ermutigende Bilanz, die endlich auch mal jene zur Kenntnis nehmen sollten, die fortwährend den Datenschutznotstand in dieser Republik ausrufen wollen und die großen Schlagworte vom Großen Bruder und vom Überwachungsstaat im Mund führen.
({0})
Die zweite Bemerkung. Seit Januar liegt uns der Sechste Tätigkeitsbericht - für 1983 - vor. Der neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Baumann, ruft darin zu Beginn in Erinnerung, was sein Amtsvorgänger bei der Vorstellung des Fünften Tätigkeitsberichts im Januar 1983 im Hinblick auf George Orwells „1984" und die Bezüge zu dem in diesem Roman geschilderten Überwachungsstaat gesagt hat. Ich denke, es ist richtig, diese übereinstimmende Auffassung nicht nur der zwei Datenschutzbeauftragten, sondern aller, die sich seriös mit Fragen des Datenschutzes beschäftigen, deutlich zu unterstreichen. Es ziehen nämlich falsche Propheten durchs Land, die uns einreden wollen, die Bundesrepublik sei unaufhaltsam auf dem Weg in den totalen Überwachungsstaat. Mit beiden Datenschutzbeauftragten bin ich darin einig, daß es in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat unüberwindliche Hindernisse für ein Abgleiten in einen wie auch immer gearteten Überwachungsstaat gibt. Diese Hindernisse ergeben sich nämlich aus dem Grundgesetz, aus den Grundrechten und unserem Rechtsstaatsprinzip. Und im Bundesbeauftragten für den Datenschutz und letztlich im Bundesverfassungsgericht - davon ist heute ja mehrmals gesprochen worden - haben wir verläßliche Garanten gegen den Mißbrauch der modernen Informations- und Datenschutztechnologie.
({1})
Die dritte Bemerkung. Die Beratung der Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zeigt auch - Herr Kollege Fellner hat bereits darauf hingewiesen -, daß der Kontakt des Parlaments mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz verbesserungsbedürftig ist.
({2})
Wir haben im Innenausschuß den Fünften Tätigkeitsbericht - für 1982 - in sieben Sitzungen - Sie erinnern sich, Herr Fischer - mit z. T. durch das vorzeitige Ende der 9. Wahlperiode verursachDr. Blank
ter Verzögerung beraten müssen. Der Sechste Tätigkeitsbericht - für 1983 - liegt uns seit Januar 1984 vor, wird aber erst heute an die Ausschüsse zur weiteren Beratung überwiesen. Ich halte dieses Verfahren sowohl für alle damit im Haus befaßten Kollegen als auch für den Bundesbeauftragten für nicht zumutbar. Der in den Tätigkeitsberichten enthaltene Stoff ist so umfangreich, daß sich jedenfalls der Innenausschuß damit nicht in angemessener Zeit beschäftigen kann. So hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mit seinen Mitarbeitern, Herr Baumann, nicht selten stundenlang vor dem Ausschuß antichambrieren müssen und dann erfahren, daß man seinen Tätigkeitsbericht wegen anderer dringender politischer Geschäfte leider nicht mehr behandeln oder weiterbehandeln könne.
Das Zusammenspiel zwischen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und dem Parlament bedarf - ich glaube, darüber sind wir uns alle einig - dringend einer Verbesserung. Für die Unionsfraktionen möchte ich in diesem Zusammenhang vorschlagen, doch einmal darüber nachzudenken, ob wir nicht in der Tat dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz einen parlamentarischen Beirat zur Seite stellen, an den sich der Bundesbeauftragte jederzeit wenden kann und der sich der eingehenden Prüfung der Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten widmen würde.
Wie ich mir habe sagen lassen - Herr Kollege Schäfer, erkundigen Sie sich einmal -, hat man in Bayern seit Jahren mit einem ähnlichen Beirat gute Erfahrungen gemacht.
({3})
Außerdem sollten wir bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes ernsthaft prüfen, ob der jetzt im Gesetz vorgeschriebene Berichtszeitraum von einem Jahr nicht auf zwei Jahre ausgedehnt werden sollte.
({4})
Diese Lockerung der Berichtspflicht hätte auch den Vorteil, Herr Kollege Schäfer, worauf Sie ja immer ganz besonders dringend hingewiesen haben, beim Datenschutzbeauftragten Arbeitskapazitäten für seine Kontrolltätigkeit freizusetzen und ihn nicht nur dazu zu bewegen, dicke Berichte zu schreiben.
({5})
Ich bin selbstverständlich dafür, daß es dabei bleiben muß, daß der Bundesbeauftragte auch außerhalb dieses Zweijahresrhythmus' jederzeit, wenn ihm dies notwendig erscheint, dem Bundestag berichten kann.
Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir diese zugegebenermaßen etwas konkreteren Vorschläge bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes noch mit in unsere Überlegungen einbeziehen sollten.
Ich möchte schließen mit einem Satz an den verehrten Herrn Minister des Landes Nordrhein-Westfalen. Herr Schnoor, ich habe Ihrer Rede mit Aufmerksamkeit zugehört. Ich habe einiges verstanden; eine Menge habe ich nicht verstanden, aber das mag an mir liegen. Eines habe ich jedenfalls überhaupt nicht begriffen, nämlich wieso Sie sich als Verfassungsminister hier hinstellen und kritisieren können, daß aus der Mitte des Parlaments eine Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz erarbeitet wird.
({6})
Ich denke, wir haben heute nachmittag in der Debatte, wenn wir über das Selbstverständnis des Parlaments reden, noch genügend Gelegenheit, uns auch darüber zu unterhalten, ob es richtig ist, daß Gesetzentwürfe zunehmend aus den Ministerien kommen. Man sieht: Wenn man so lange Minister ist, verdirbt das.
({7})
Wir sollten darüber diskutieren, ob wir als Parlament nicht zunehmend das Recht in Anspruch nehmen sollten, Vorschläge aus unseren eigenen Reihen heraus zu entwickeln.
Vielen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt für die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 6 und 7 b auf den Drucksachen 10/1180 und 10/877 die Ausschußüberweisung vor. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 7 a. Zu der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/1719 liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Wernitz, Fischer ({0}), Dr. Blank und Dr. Hirsch auf Drucksache 10/2004 vor.
Ich lasse zunächst über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/1719 mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenstimmen? - Das erste war die Mehrheit.
Meine Damen und Herren, ich muß noch die Äußerung der Frau Kollegin Vollmer, die sie in der vorhergehenden Debatte bei dem Debattenbeitrag von Herrn Abgeordneten Schmidbauer gemacht hat, als unparlamentarische Ausdrucksweise zurückweisen.
({1})
- Das können Sie aus dem Protokoll entnehmen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Beratung des Tagesordnungspunktes 8 - Stellung
Vizepräsident Wurbs
und Arbeit des Deutschen Bundestages - fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Stellung und Arbeit des Deutschen Bundestages
Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 10/1983 und 10/2011 zwei Entschließungsanträge vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache fünf Stunden mit Zehn-Minuten-Beiträgen vorgesehen. Im Ältestenrat bestand Einvernehmen, die Aussprache nach Ablauf dieser Zeit fortzusetzen, sofern das gewünscht wird. - Ich sehe keinen Widerspruch. Das Haus ist also mit dieser Regelung einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 6. Dezember 1983 habe ich vom Vorsitzendenstuhl aus angeregt, eine Debatte zu führen, wie sie heute stattfindet, in der nicht die politische Kontroverse nach Mehrheit und Minderheit im Vordergrund stehen sollte, sondern die Debatte über uns selbst. Ich schulde herzlichen Dank, vor allen Dingen den Fraktionen, daß diese Debatte nun heute stattfindet.
Es ist an der Zeit, wie ich glaube, daß der Deutsche Bundestag nicht nur über andere und anderes kritisch berät, sondern auch, und zwar ebenso, auch kritisch über sich selbst. Dies kann und soll, wie ich vorschlage, ohne Tabus und ohne falsche Rücksicht geschehen. Damit dies wirklich geschehen kann, spreche ich von hier aus und nicht von oben. Ich bedauere dabei ausdrücklich, daß ich etwas mehr als Notizen dafür brauche, wegen der Verbindung von Funktionen, die nicht geleugnet werden kann.
Wir haben hier, meine Damen, meine Herren, nichts zu verbergen. Unsere Arbeit ist jedermann einsichtig, sie braucht aber - wie alles Menschenwerk - den immer wieder erneuerten Willen, besser zu werden. Wir brauchen auch die Einsicht wie die kritische Begleitung durch Öffentlichkeit und Medien. Wir brauchen das. Freilich: Auch Verständnis und Respekt sind erlaubt.
Parlament und Medien sind aufeinander angewiesen. Nur deren faires Zusammenwirken macht die parlamentarische Demokratie möglich, belebt und erhält zugleich diese schwierige, aber, wie ich glaube, einzig menschenwürdige Staatsform. So soll auch diese Debatte unserem Gemeinwesen - und nicht uns selbst - dienen.
Unser Ansehen ist, ausweislich der Demoskopie, gut, mit Ausnahme der Frage von Diäten und Präsenz im Plenum. Über die Diäten habe ich mich amtlich, dem Gesetz folgend, geäußert. Die Präsenz
hier im Plenum - bei einer vom Bundesverfassungsgericht festgestellten wöchentlichen Arbeitszeit der Mitglieder des Deutschen Bundestages von etwa 80 Stunden - hängt auch zusammen - ich wiederhole: auch - mit diesem Saal, mit Planung, Art und Struktur unserer Debatten, deren Themen wohl etwas früher, wenn das geht, festgelegt sein sollten, damit man sich besser einrichten kann.
({0})
Die Arbeit, die wir hier leisten - das muß einmal ausgesprochen werden - steht außerhalb des Erfahrungsschatzes, welche die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger an der Werkbank oder am Schreibtisch oder sonst in ihrer Arbeitswelt machen. Reisen ist hier Pflicht, Zeitungslesen Dienst, unerläßliche Arbeit wie Briefeschreiben, Telefonieren, Kontaktpflege, Sprechstunden, Diskussionen, Interviews, Aktenstudium, Berichte schreiben. Das meiste davon bleibt dem Außenstehenden verborgen.
Mich belastet, meine Damen und Herren, daß unser Verfassungsrecht und unsere Verfassungswirklichkeit nicht voll übereinstimmen. Der Deutsche Bundestag ist nach unserer Verfassung das Herz unserer Demokratie, weil er das deutsche Volk vertritt, das höchste Verfassungsorgan, das uns das Mandat gab und dem wir Rechenschaft schulden. Unser Staat erwächst immer wieder aus der Selbstbestimmung unseres Volkes. Dieses wählt sich sein Parlament, welches für das Volk handelt. Das ist, wie mir scheint, noch nicht überall hinreichend ins Bewußtsein gedrungen.
In Großbritannien sagt man - ich zitiere -: „Von jedem Engländer wird angenommen, daß er dort" - im Parlament - „anwesend ist, in Person oder durch Vertretung ... Die Zustimmung des Parlamentes gilt als die Zustimmung von jedermann."
Unsere öffentliche Meinung ist noch nicht überall und immer so weit. Für viele ist hier der Staat immer noch zuerst die Behörde, das Gericht, die Regierung. Das kann man aus unserer Verfassungsgeschichte verstehen, aber es ist nun, nachdem sich die parlamentarische Demokratie bewährt hat, an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen. Denn auch heute noch sehen viele im Staat zuerst die Regierung - Sie wissen, ich bin ihr freundschaftlich verbunden -, mehr die Regierung als das Parlament. Wer das aber so sieht, meine Damen und meine Herren, der fühlt sich eben leicht ausgeschlossen, von oben regiert und fern von Mitwirkungsrechten.
({1})
An dieser Situation ist nun der Deutsche Bundestag nicht ganz unschuldig, ich auch nicht; ich gehöre ihm lange genug an. Wir nehmen immer noch hin, daß unser Haushalt nicht von uns vorgelegt wird, sondern von der Bundesregierung; daß der Präsident des Bundesrechnungshofes nicht von uns ausgesucht wird, sondern von der Bundesregierung;
({2})
daß die - ich betone: achtenswerte - Zeitschrift „Das Parlament" nicht von uns herausgegeben wird, sondern von der Bundesregierung, konkret: von der Bundeszentrale für politische Bildung; daß unsere Besucher aus der heimischen Kommunalpolitik nicht von uns betreut werden, sondern von der Bundesregierung;
({3})
daß die aktuelle Information des Deutschen Bundestages über Kabinettsitzungen - wir haben einmal einen Versuch gemacht, der an uns allen gescheitert ist - selbst dann entfällt, wenn der Deutsche Bundestag versammelt ist; daß unser anerkannter wissenschaftlicher Dienst nicht über genügend Fachleute für Umwelt, Gesundheit und Medien verfügt,
({4})
während wir vernünftigerweise und völlig zu Recht der Bundesregierung für neue Fragen auch solche neuen Stellen zur Verfügung stellen; daß die Personalstruktur unserer Verwaltung hinter der Wirklichkeit von Bundesministerien zurückbleibt und daß - auch dies gehört dazu - der strafrechtliche Schutz von Abgeordneten bei Dienstreisen im Ausland nicht dem der Mitglieder und Vertreter der Bundesregierung entspricht. - Das ist weder vollständig, noch etwa eine Rangfolge.
Die Erörterung dieser Fragen - auch mit dem Bundesrat - ist im Gange. Ich bin, wenn Sie damit einverstanden sind, bereit, einige dieser Fragen zweckmäßigerweise der Konferenz der europäischen Parlamentspräsidenten vorzulegen. Das betrifft vor allem die Immunität im Ausland. Über unsere Öffentlichkeitsarbeit beraten wir uns mit unabhängigen Fachleuten; ich hoffe, bald die Konsequenzen vortragen zu können.
Dies alles, meine Damen und Herren, beansprucht nicht das anspruchsvolle Wort „Reform", sondern ist ein pragmatisches Bemühen, nicht durch gute Vorsätze, sondern durch konkretes Tun das mögliche Bessere schrittweise zu erreichen. Ich sage es ganz schlicht: Ein selbstbewußtes Parlament sollte sich nehmen, was ihm rechtlich wie politisch zukommt.
({5})
Ich freue mich darüber, daß die Bundesregierung, soweit sie von diesen Punkten betroffen ist, einen konstruktiven Dialog mit uns aufgenommen hat, und ich weiß es auch zu schätzen, daß wir bei dieser Debatte eine recht gut, j a, sehr gut besetzte Regierungsbank haben.
({6})
Wir brauchen - um dies deutlich zu sagen - die Rechte, die unsere Pflichten erst erfüllbar machen, denn unser Ansehen hängt von unserer Arbeit ab. Diese Arbeit muß man unverstellt und unbehindert sehen können, damit die Verantwortlichkeiten unmißverständlich sind.
Ich sage deshalb: Wer das Parlament, das die Bürgerinnen und Bürger sich wählen, sichtbar in den
Mittelpunkt rückt, gibt dem höchsten Staatsorgan, unserem Volk, besser das Bewußtsein, selbst gestalten, mitwirken, entscheiden zu können. Dieser letzte Gedanke leitet mich bei dieser Arbeit allem voran! Wer nicht der Gefahr der Entfernung, ja Entfremdung zwischen Wählern und Gewählten erliegen will, wer Rumoren an der vielzitierten Basis wahrzunehmen imstande ist, der wird das Parlament stärken und deutlich machen: Der Deutsche Bundestag ist das Instrument des deutschen Volkes, durch das es einwirkt, regelt und bestimmt.
({7})
Meine Damen und Herren, etwa anwachsende oder verbreitete Ohnmachtsgefühle in der Bevölkerung sind Warnzeichen für die parlamentarische Demokratie!
Ich bemühe mich - auch das gehört dazu -, durch Verabredungen zu erreichen, daß die jederzeitigen und zeitlich nicht begrenzten Rederechte der Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates so gehandhabt werden, daß lebhafte Debatten auch mit den und durch die Mitglieder des Bundestages im Bundestag möglich bleiben; daß nicht durch das Erscheinungsbild dieser Debatten das Parlament selbst als weniger wichtig erscheint;
({8})
daß neue Talente wie unabhängige Meinungen mehr Chancen haben.
({9})
Es gibt, meine Damen, meine Herren - ich sage dies mit Bedacht -, nicht nur diese Sonder-Rederechte, sondern es gibt auch die Pflicht des jeweils amtierenden Präsidenten, Wort und Widerwort wie den Rang des Parlaments in der Struktur der Debatte sicherzustellen.
Wir alle - und da schließe ich mich nicht aus - können, glaube ich, kürzer reden. Ich möchte uns in Erinnerung rufen, was ein Berliner Theaterkritiker den Autoren riet: „Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen."
({10}) - Das hat natürlich Grenzen.
Es ist, meine Damen und Herren, kein Geheimnis, daß die Lebendigkeit der Debatten und die Chance, das Wort auch für einen Kurzbeitrag zu erhalten, die Anwesenheit hier im Plenum fördern.
({11})
Aber auch die Gestalt dieses Raumes ist wesentlich. Dies hier ist doch wohl mehr ein Vortrags- als ein Parlamentssaal. Wer da ganz hinten sitzt, hat es schwer, der Beratung zu folgen. Da wir hier aus bau- und feuerpolizeilichen Gründen renovieren müssen, haben wir - Präsidium und Ältestenrat gemeinsam - empfohlen, die Gestalt des Plenarsaals - ausgenommen die traditionsreiche Rückwand - zu verändern. Ich danke für Rat, Hilfe und Zustimmung in dieser Sache. Wir sind bemüht, den
erfreulich breiten Strom unserer Besucher auch während der Renovierung und Beengung zu erhalten.
Wir werden bei den Neuerungen auch bemüht sein - wir bitten da um Anregungen -, die Möglichkeiten für spontane Kontakte, kleine Besprechungen, Zeitungskauf usw. zu fördern. Das Zentrum des Bundestages muß der Plenarsaal sein, und da müssen das Drum und Dran so sein, daß man dort gern hingeht, weil man weiß, man trifft einander auch, meine Damen, meine Herren.
({12})
Wir denken dabei natürlich auch an unsere Mitarbeiter. Ich möchte nicht erleben, daß nun etwa auch noch gewerbepolizeiliche Beanstandungen wegen der oft unzulänglichen Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter ins Haus stehen.
({13})
Unsere Planungen sehen deshalb Arbeitsplätze vor, die der gerechten Forderung nach Humanität der Arbeitswelt auch im Deutschen Bundestag entsprechen.
({14})
Ich schlage - nach dieser bewußt kurzen Rede - vor, den Inhalt dieser Debatte alsbald in einer Punktation zu ordnen, im Präsidium, im Ältestenrat und im ersten Ausschuß darüber zu beraten und dann - es gibt auch andere Vorschläge - nach Arbeitsteilung zu entscheiden und zu beschließen. Ich füge ausdrücklich hinzu, daß mich nach Kenntnis der Vorbereitungen ein Termin nicht schreckt. Denn entweder werden wir in einem halben Jahr entscheiden, oder wir werden es vertagen.
Meine Damen und Herren, ausdrücklich und mit Dank begrüße ich die zahlreichen Anregungen, die sehr viele Mitglieder des Deutschen Bundestages zu unseren Themen eingebracht haben, nachdem diese Debatte angeregt war. Ich danke - und beziehe sie ausdrücklich ein - für die Anregungen aus der Wissenschaft, mit deren sachkundigen Vertretern wir im Gespräch sind. Ich danke für die Erwägungen der Enquête-Kommission zur Verfassungsreform, für die verdienstvolle Punktation des ersten Ausschusses, Herr Schulte, und nicht zuletzt für eine Reihe ermutigender Kommentare in der Presse; die anderen werden uns nicht abhalten.
Meine Damen, meine Herren, wenn wir nun einander zuhören und aufeinander zugehen, wenn wir gemeinsam und konsequent handeln, dann wird dieser 10. Deutsche Bundestag das fertiggebracht haben, was die wenigsten von ihm erwartet haben: Er wird dann die parlamentarische Demokratie in Deutschland belebt und gefestigt haben. Diese Arbeit lohnt und ehrt. Machen wir uns ans Werk!
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! 110 ihren Parteien und Fraktionen loyal verbundene Abgeordnete aus allen Fraktionen - das sind mehr als 20 % - haben nach Arbeitsbeginn Januar dieses Jahres im April Überlegungen und Vorschläge für eine ihrer Ansicht nach überfällige Parlamentsreform veröffentlicht und eine offene Debatte zu dieser Thematik vorgeschlagen. Wir begrüßen deshalb unser heutiges Vorhaben und danken allen, die es ermöglicht haben, vor allem dem Präsidenten des Deutschen Bundestages. Eine offene, selbstkritische Debatte und ein vertieftes Nachdenken über die gewissenhafte Erfüllung unseres Verfassungsauftrags sind unseres Erachtens 35 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes überfällig.
Was hat uns zu dieser Initiative und der Vorlage eines Entschließungsantrags - damit diese Debatte nicht wie das Hornberger Schießen ausgeht - bewogen? Es ist einmal, liebe Kollegen, die Sorge um die Funktionsfähigkeit des Parlaments als gewählte Kontroll-, Initiativ- und Repräsentativinstanz unseres Volkes gegenüber Exekutive und Regierung. Es ist zum anderen die Sorge um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der durch uns repräsentierten parlamentarischen Demokratie bei unseren Bürgern. Und es ist nicht zuletzt die spürbare Ohnmacht des einzelnen, noch so verantwortungsbewußten Abgeordneten, diesem Entfremdungsprozeß - Herr Präsident und Herr Abgeordneter, auch Sie haben dieses Wort eben benutzt -, der sich offenkundig zwischen Verfassungsauftrag und parlamentarischer Wirklichkeit, zwischen Parlament und Bürger, zwischen Wähler und Gewähltem angebahnt hat, aus eigener Kraft entgegenzuwirken.
Vor allem diese Besorgnisse sind es, die uns veranlaßt haben, in einem kleinen und dann immer größer werdenden Kreis von Kollegen aus allen Fraktionen Überlegungen anzustellen und diese Vorschläge zu erarbeiten, wie solchen Gefährdungen unserer repräsentativen Demokratie entgegengewirkt werden kann.
Unsere politische Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen und Fachgebiete hinweg hat uns menschlich nähergebracht - eine sehr schöne Erfahrung, liebe Kollegen. Zahlreiche weitere Kollegen haben Interesse und Sympathie bekundet.
Wir alle stimmen überein, daß das Nachdenken über die innere Verfassung unserer parlamentarischen Wirklichkeit unsere gemeinsame, unsere überfraktionelle Aufgabe ist. Kraft Auftrags unseres Grundgesetzes ist jeder einzelne Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes hierfür in die Pflicht und in die Mitverantwortung für das Ganze genommen. Diese Mitverantwortung läßt sich eben nicht an Fraktions- und Parteiräson abtreten.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns also bei dem Thema Parlamentsreform ad personam zu Wort melden, so berufen wir uns dabei ausdrücklich auf den ersten und obersten Satz desjenigen Artikels unseres Grundgesetzes, der von den Verfassungsvätern - übrigens expressis verbis - an den
Anfang des Abschnitts „Der Bundestag" gestellt wurde. Es handelt sich um Art. 38 Abs. 1 Satz 2. Wie aus den Protokollen des Parlamentarischen Rats eindeutig hervorgeht, ist das die redaktionelle Änderung folgender Langfassung:
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Jeder Abgeordnete folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen.
Das Protokoll vermerkt ausdrücklich, daß beide Fassungen, die jetzt im Grundgesetz stehende und die Langfassung, sachlich das gleiche bedeuteten, die am Ende beschlossene Fassung aber klinge sprachlich besser.
Der FDP-Abgeordnete Thomas Dehler bezeichnete dieses Verfassungsgebot als eine wesentliche und daher unentbehrliche Grundlage unseres politischen Lebens. Der CDU-Abgeordnete Dr. Süsterhenn sowie der SPD-Abgeordnete Dr. Katz und andere wollten diese Bestimmung als eine Mahnung an alle Abgeordneten verstanden wissen, sich bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen - ich zitiere - nach ihrer persönlichen Entscheidung zu orientieren. Es besteht demnach kein Zweifel, daß die Verfassungsväter ausdrücklich und bewußt eine Aufwertung der persönlichen Verantwortung des einzelnen Abgeordneten beabsichtigt haben. Dies war übrigens eine Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen des Scheiterns des Weimarer parlamentarischen Systems mit der Folge der totalen Gewissensunfreiheit im Dritten Reich.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß heute, nach 35 Jahren, die Frage gestellt werden, wie wir es nun eigentlich mit dem uns betreffenden Verfassungsgebot halten, welche Ausdeutung wir ihm geben und welche Konsequenzen wir daraus für das Selbstverständnis des einzelnen Abgeordneten und für seine parlamentarische Tätigkeit ziehen. Ist dieses Verfassungsgebot zu einer wesentlichen und daher unentbehrlichen Grundlage unseres parlamentarischen Lebens geworden? - Unbequeme Fragen, gewiß, aber doch legitime Fragen, wenn wir das Grundgesetz in eigener Sache genauso gewissenhaft respektieren wollen, wie wir es ja von unseren Bürgern selbstverständlich erwarten! Gerade für uns ist die gleichwertige Achtung und Beachtung aller Grundgesetzbestimmungen verbindlich und eben nicht beliebig, wie dies im Parlamentsgeschehen als Folge der Überinterpretation des Art. 21 des Grundgesetzes - „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung ... mit" - und in Konsequenz der Unterinterpretation des Art. 38 Abs. 1 hier in unserem Parlamentsgeschehen praktiziert wird. Das ist der eigentlich sensible Punkt. Es ist nicht nur die große Fraktionsräson, um die wir hier immer wieder ringen müssen. Es sind die ungezählten kleinen Zwänge und Tabus, die den Art. 38 im parlamentarischen Alltag nach Ansicht so vieler Kollegen zur Lyrik oder zur Leerformel degradieren.
({0})
Sicher, meine Damen und Herren, kann man und werden wir trefflich darüber streiten, welche Konsequenzen aus dem Art. 38 Abs. 1 für die parlamentarische Arbeit im allgemeinen und für das Selbstverständnis des einzelnen Abgeordneten im besonderen zu ziehen sind. Nicht streiten kann man aber darüber, daß bei gewissenhafter Beachtung und Güterabwägung beider Artikel ein fairer Ausgleich gefunden werden muß. Bisher jedenfalls hat das Verfassungsgebot in Reden und Handlungen seiner Überzeugung und seinem Gewissen zu folgen - sehen wir von der restriktiven Möglichkeit der persönlichen Erklärung ab -, für den Abgeordneten hier noch keinen ausreichenden Niederschlag in unseren Fraktions- und Parlamentsgeschäftsordnungen gefunden.
So halte ich es beispielsweise für eine unzulässige Bevormundung des Gewissens, qua Beschluß des Ältestenrates zu entscheiden, ob eine Abstimmung gemäß Art. 38 Abs. 1 freigegeben wird oder nicht. Das muß doch jedem Abgeordneten in eigener gewissenhafter Abwägung selbst überlassen bleiben.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das doppelte Nachdenken über unseren Verfassungsauftrag als Abgeordnete einerseits und über die offenkundigen Defizite in der Funktionsfähigkeit des Parlaments andererseits hat mit der allen Abgeordneten noch einmal zugeleiteten Initiative der 110 zu konkreten Vorschlägen geführt, die nun im einzelnen zu prüfen sein werden.
Diese Vorschläge zielen darauf ab, unsere Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive wirksamer zu gestalten und Minister und Kanzler hierbei deutlich einzubeziehen, Informationen und Initiativen zu aktualisieren, Debatten lebendiger, spontaner und individueller zu gestalten. Unvorbereitete Fragestunden und individuelle Wortmeldungen sollen ermöglicht werden.
({2})
Unsere Vorschläge zielen auch darauf ab, mehr Chancengerechtigkeit, liebe ältere Kollegen, für jüngere Abgeordnete und zwischen Regierung und Parlament herzustellen und auch - das ist sehr wichtig - den nicht beamteten Sachverstand in kleinen Anhörungen mehr als bisher zu Wort kommen zu lassen. Soweit unsere Vorschläge.
Obgleich wir uns angesichts der realen Machtstrukturen hier in diesem Hause der mehr oder weniger schmerzlich empfundenen Ohnmacht des einzelnen Abgeordneten bewußt sind, werden wir uns im Ringen um ihre Verwirklichung den Schneid nicht abkaufen lassen. Wir werden sehr kritisch begleiten, was nun im Gefolge dieser Debatte geschieht. Wir hoffen dabei auf viele Bundesgenossen; denn wenn wir draußen, liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren Versammlungen das Hohelied von der persönlichen Verantwortung und Initiative des einzelnen Bürgers zur Stärkung der freiheitlichen Demokratie singen, dann sollten wir in unseren eigenen vier Wänden mit gutem Beispiel vorangehen. So wie wir wissen, daß der verplante, der reglementierte, der verbürokratisierte Bürger ein unfreier Bürger wird, so wissen wir auch, daß der verplante,
der verbürokratisierte, reglementierte Abgeordnete ein unfreier Abgeordneter sein wird. Das wollen wir nicht zulassen.
({3})
Wir sind es, die einzelnen Abgeordneten, die für das Erscheinungsbild, für den politischen Stil und das Ansehen dieses Parlamentes mithaften. Deshalb müssen wir eine Parlamentsreform wagen - da weiche ich etwas von Ihrem Votum ab, Herr Kollege Barzel -, die sich nicht in technischen, organisatorischen und materiellen Verbesserungen erschöpft, sondern die das Parlament insgesamt funktionsfähiger macht. Das wird nur dann gelingen, wenn wir die Mitwirkungs- und die Gestaltungsmöglichkeit des Abgeordneten spürbar verbessern.
({4})
- Wenn ich nur zehn Minuten zur Verfügung habe, bleibt mir leider nichts anderes übrig, Herr Kollege. Ich hätte auch lieber frei gesprochen.
Selbstverständlich wissen wir, daß wir keine heile parlamentarische Bilderbuchwelt herbeireformieren können. Hier wird weiter kontrovers und nicht zimperlich qua Fraktionen gegeneinander gestritten werden. Aber wir sitzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht nur als abgeschottete Mannschaften in unseren Fraktionsbooten, um einander zu überrunden oder zum Kentern zu bringen. Letztlich sitzen wir alle in einem Boot, und dieses Boot trägt den Namen parlamentarisch verfaßte, repräsentative Demokratie.
Dieses Boot ist leider nicht so seetüchtig, wie es notwendig wäre. Unser Verfassungsauftrag, Vertreter des ganzen Volkes zu sein, heißt j a nicht, es allen recht machen zu wollen oder derselben Meinung zu sein. Vertreter des ganzen Volkes zu sein heißt, immer wieder in uns und unter uns das Bewußtsein zu schärfen, daß wir in diesem Boot eben gemeinsam sitzen und für seine Seetüchtigkeit, für seinen Kurs nach bestem Wissen und Gewissen Mitverantwortung tragen. Dieses Bewußtsein in Möglichkeiten für konkretes Handeln und Verhalten umzusetzen muß das Ziel einer Parlamentsreform sein, die diesen Namen verdient. Damit schaffen wir, meine lieben Kolleginnen und Kollegen - wie unsere Verfassungsväter das vor 35 Jahren gefordert haben -, endlich und endgültig, wie wir hoffen, eine wesentliche und daher unentbehrliche Grundlage unseres politischen Lebens.
Vielen Dank.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben uns auf Redezeiten von zehn Minuten verständigt.
({0})
Wenn Frau Dr. Hamm-Brücher etwas länger gesprochen hat, so deshalb, weil sie für eine größere
Anzahl von Abgeordneten gesprochen hat, die diese
Debatte vorbereitet haben. Ich bitte daher, sich auf diese Ausnahme nicht zu berufen.
({1})
Ich werde von der Möglichkeit, dem Redner das Wort zu entziehen - ein sehr wichtiges Instrument des Präsidenten -, notfalls Gebrauch machen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Es ist keine freie Rede, weil es in der Tat so ist, daß ich mich wirklich kurz fassen will. Ich bin ein Fanatiker von kurzen Reden. Dann muß man sich allerdings auch konzentrieren, d. h. die Sätze vorher aufschreiben. So ist das.
({1})
In dieser Debatte soll es um das Selbstverständnis und die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie in Deutschland gehen. Es geht also nicht um das Selbstmitleid der Abgeordneten. Für mich ist deshalb nicht ausschlaggebend, ob der zum Berufspolitiker gewordene Parlamentarier nun einen schweren und unbequemen Beruf hat. Für mich lautet die Fragestellung, ob Volksvertreter tatsächlich noch das Volk vertreten oder sich in einem Gewirr von Regeln, Geschäftsordnungen und Vorherrschaften selbst verfangen.
Wie heißt es im Gundgesetz? „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Weshalb soll dann das Volk abgeschottet und ausgesperrt werden und nicht teilhaben können an der öffentlichen Sache, äußerlich und inhaltlich? Natürlich muß die Sicherheit gewährleistet sein. Natürlich haben Bannmeilen ihren Sinn. Aber schützen wir uns nicht allzusehr gegen den mündigen Bürger?
({2})
Ist es für die Demokratie eigentlich gefährlich, die öffentliche Sache auch offen zu verhandeln?
Die Bürger wollen sich nach meiner Einschätzung und nach meiner Beobachtung nicht darauf beschränken, alle vier Jahre ihre Stimme abzugeben. Es bedarf neuer Wege, um die Teilhabe der Bürger auch zwischen den Wahlterminen zu ermöglichen.
({3})
Da möchte ich einmal an die Vorschläge unseres Kollegen Horst Peter aus Kassel erinnern, der im vergangenen Jahr zum Bericht des Petitionsausschusses, im Mai 1983 war es, hier vorgeschlagen hat, unter bestimmten Voraussetzungen Massenpetitionen direkt im Bundestag zu behandeln.
({4})
In diesem Zusammenhang erscheint es mir voreilig
und unrichtig, wenn z. B. gegen die Initiative „Bremer Abrüstungspetition" formale Schranken aufgeWaltemathe
baut werden, statt sich mit dem Anliegen selbst auseinanderzusetzen.
({5})
Wieso können Verbändevertreter uns laufend sozusagen mit Dauerausweis und ohne Kontrolle, aufsuchen, aber Gruppen von normalen Bürgern kaum?
({6})
Wir stellen fest, daß der Bürger, den wir schließlich zu vertreten haben, an dessen Stelle wir hier sind, immer weniger durchfindet durch die Bürokratie von Staat, Wirtschaft, Banken, Kollektivversicherungen usw. Da auch wir selbst das Gestrüpp unserer Parlamentsregelungen nach außen immer weniger erklärbar und verständlich machen können, sind wir in der Gefahr, selbst als eine Art Bürokratie angesehen zu werden, die jedes Gespür für spontanes und naives Anpacken von Aufgaben zu verlieren droht.
Um bessere Möglichkeiten des Transports von Meinungen des Parlaments hinein in die Regierung zu schaffen, haben wir einmal, ich glaube, es war zu unserer Regierungszeit, ganz genau weiß ich es aber nicht, den Parlamentarischen Staatssekretär erfunden. Aber auch die Parlamentarischen Staatssekretäre sind in Wahrheit längst Juniorminister geworden, die parlamentarische Initiativen abbügeln.
Dieses Parlament, meine Damen und Herren, kann und darf auf der einen Seite nicht zu einer Versammlung von 520 Spontis verkommen.
({7})
- Herr Fischer, Sie geben mir recht. Ich weiß, Sie finden 520 Spontis zuviel. - Aber dieses Parlament darf auch nicht zu einer Versammlung von gestanzten Figuren ohne jegliche Persönlichkeit, beliebig austauschbar, weil verwechselbar, verkommen.
({8})
Wir tun so, als seien wir eine Versammlung von vier Meinungsblöcken, Fraktionen genannt, und Abweichen ist da natürlich nicht gefragt, weil es der sogenannten Realpolitik widerspricht.
In einer parlamentarischen Demokratie mit Verhältniswahlrecht darf sich kein Abgeordneter als persönlicher Eigentümer seines Mandats betrachten.
({9})
Es gibt hier keinen einzigen, der nicht über eine Parteienliste in den Bundestag eingezogen wäre, auch nicht der direkt gewählte Abgeordnete. Ich kann das gut sagen, denn ich habe eines von den beiden Überhangmandaten, aber natürlich bin ich als Sozialdemokrat hier hineingewählt worden.
Gewissensfreiheit kann deshalb nicht heißen, daß der Sitz im Parlament persönliche Verfügungsmasse werden darf und sich bei Parteiwechsel von Abgeordneten auch der Wählerwille verkehrt. Insoweit wäre ich selbst immer noch dafür, Mandatsübertragungen gesetzlich zu verbieten. Aber Gewissensfreiheit hat sehr wohl etwas damit zu tun, daß jeder von uns über Wissen und über Bewußtsein verfügt. Gegen geschlossenes Handeln von Parteien ist im Grundsatz überhaupt nichts zu sagen, Stirnmenabweichung kann kein Prinzip sein, aber es gibt Situationen und Fragestellungen, bei denen die geschlossene Abstimmung jedenfalls keine Tugend ist.
Eine Frage wie die, ob das Parlament im Jahre 1980 dem Nationalen Olympischen Komitee hätte empfehlen sollen, eine Mannschaft nach Moskau zu entsenden oder nicht, darf nicht dazu führen, daß eine Einheitsmeinung im Parlament entsteht, die den Eindruck erweckt, als gebe es auch im Volk darüber eine Einheitsmeinung. Ich erinnere an lauter Sachen aus unserer Regierungszeit, um gar keine falschen parteipolitischen Verdächte aufkommen zu lassen. Ich erinnere an die Antiterrorgesetze, an die Frage Moskau-Fraktion und Antiamerikanismus, an die Frage der Disziplinierung von Abgeordneten, nur weil sie zunächst einmal eine abweichende Meinung vorgebracht hatten. Weshalb ist es eigentlich so schwer, abweichende Meinungen oder Stimmabgaben im Einzelfall zu dulden? Offenbar, weil auch die veröffentlichte Meinung - und ich freue mich, daß heute auch die Pressetribüne gut besetzt ist ({10})
davon, wenn überhaupt, negativ Notiz nimmt. Journalisten neigen dazu, Etiketten zu verteilen und kommentieren eigentlich nie die Sache, deretwegen eine abweichende Stimmabgabe erfolgte, sondern den Täter. Die freundlichste Kommentierung heißt dann, es handele sich um einen Profilierungssüchtigen, der nur aus der Hinterbank heraustreten wolle. Meistens aber handelt es sich laut Presse um einen „Rebellen", einen „Dissidenten", einen „Parteispalter", einen „Kanzlerstürzer" oder zumindest um einen Ehrgeizling, der in Wahrheit selber an die Spitze wolle.
Man frage sich, welche Auffassung von demokratischer Willensbildung eigentlich zum Vorschein kommt, wenn man meint, daß ein Gesetz, j a ein einzelner Paragraph, schon geeignet sei, Regierungsfähigkeit oder Regierungsunfähigkeit nachzuweisen. Immer werden sich Abgeordnete in einem Spannungsfeld zwischen Gewissensfreiheit und Parteidisziplin bewegen. Den Wählerauftrag hat man nur auf Zeit. Um dessen Ausfüllung muß man sich vor den Wählern rechtfertigen.
Ich bin deshalb gegen das imperative Mandat. Ich bin aber auch gegen das imperative Mandat von oben. Ich betrachte das Mandat nicht als persönliches Eigentum. Aber ich lehne auch das Rotationsprinzip ab. Eine Bundestagswahlperiode sollte doch wohl nicht auf zwei Jahre verkürzt werden. Und das Mandat sollte auch nicht enteignet werden können.
({11})
Das aber bedeutet das Rotationsprinzip der GRÜNEN. Es stärkt die parlamentarische Demokratie
nämlich nicht, es schwächt sie und stärkt die Exekutive.
({12})
Zu Ende gedacht, meine Damen und Herren, kommt hier eine sehr weit rechts stehende Meinung vom parlamentarischen System zum Vorschein: der Abgeordnete als Befehlsempfänger. Und auch dieses: Die Schwäche des parlamentarischen Systems soll entlarvt werden, indem gezeigt wird, daß es egal sei, welche Personen ein Mandat wahrnehmen, da sowieso nichts Vernünftiges herauskomme.
Wohlgemerkt: Die heutige Debatte ist keine Auseinandersetzung von Fraktionen. Und mein Hinweis auf die GRÜNEN soll nicht bedeuten, daß nicht auch ich - mit ihnen wahrscheinlich - der Meinung wäre, daß wieder mehr getan werden müsse, damit wirklich im Parlament zur Sprache kommt, was eine Basis, was große oder kleine Teile der Bevölkerung denken. Die Aussperrung wichtiger Argumente bei unseren Debatten und Abstimmungen darf nicht weitergehen. Aber das rotierende Mandat bedeutet, daß man auf der Basis steht und auf den Abschuß wartet.
Die Stärke und Überlegenheit der Demokratie liegen darin, daß offene und öffentliche Auseinandersetzungen um den jeweils richtigen Weg geführt werden und sich die Bürger in ihren Abgeordneten wiederfinden. Meinungsfreiheit, Toleranz, Kompromißbereitschaft, Einander-zuhören-Können, Achtung vor den elementaren Rechten des anderen, dies haben wir vorzuleben. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments zeigt sich darin, daß Mehrheiten zustande kommen. Aber die Reife der Demokratie erweist sich darin, wie wir mit Minderheiten umgehen. Politiker, die immer nur ausgrenzen, sich vor dem Volk schützen wollen, das sie zu vertreten haben, werden kaum Vertrauen und Verständnis dafür wecken können, daß es für die Ausübung des Mandats gewisser Arbeitsbedingungen und Spielregeln bedarf.
Ich bedanke mich.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete. Dr. Langner. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe offen: Das Wort „parlamentarisches Selbstverständnis" kommt mir schwer über die Lippen; denn parlamentarische Regierung und Parlamentarismus sollten uns selbstverständlich sein. Wir können, so glaube ich, hier heute auch keine Selbstbespiegelungsdebatte oder Frust oder Psychogramme gebrauchen. Wer Frust empfinden sollte, weil er in der Opposition ist oder weil er als Mitglied der Mehrheit nicht zur Regierung gehört, wäre ein schlechter Parlamentarier und ein schlechter Ratgeber in dieser Debatte.
({0})
Was wir brauchen, ist eine Antwort auf die nüchterne Frage: Wie erfüllen wir unsere Aufgabe, für
die wir gewählt sind und für die wir repräsentativ sind, besser?
Wenn wir heute hier eine Art Betriebsversammlung machen und dafür wertvolle Arbeitszeit unseres „Arbeitgebers", des Volkes, aufwenden, dann sollten wir dem Volk sehr deutlich sagen, warum wir das tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben von verfassungswegen drei Aufgaben: die Kreativfunktion, die Legislativfunktion und die Kontrollfunktion.
Die beiden ersten Aufgaben, die Regierungsbildung und die Gesetzgebung, sind - so glaube ich - vom Bundestag in all den Jahren hervorragend wahrgenommen worden. Die Kreativfunktion wurde erfüllt durch Regierungsbildung, durch Kanzlerwahl, eingebrachte Mißtrauensvoten, Kanzlerrücktritte, Regierungswechsel durch Koalitionsbildung oder Koalitionswechsel, Selbstauflösung des Bundestages. Soviel hier im einzelnen kontrovers sein mag: Ich glaube, es ist unbestritten: Der Deutsche Bundestag hat sich dort, wo die zentralen Machtfragen gestellt waren, bewährt.
Ich glaube, wir haben auch bezüglich der Legislativfunktion nicht sehr viele Veränderungsvorschläge zu machen. Wir sind wohl alles in allem ein leidlich guter Gesetzgeber.
Ansetzen müssen wir bei der dritten Funktion, die ich Kontroll- und Motorfunktion nennen möchte. Unser Auftag ist insbesondere hier auf Öffentlichkeit angelegt. Wenn manchmal - und nicht ganz falsch - gesagt wird, besser als jede VS-Einstufung ist eine im Plenum gehaltene Rede, um ihren Inhalt vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten, dann stimmt etwas nicht. Dann müssen wir hier ansetzen; denn wir sind, wie gesagt, gerade bei der Kontrollfunktion auf Öffentlichkeit angewiesen.
Hier, in diesem Saal, müssen die aktuellen Fragen frühzeitig und die grundlegenden Probleme kenntnisreich debattiert werden. Von hier müssen sie nach außen. Gestern hat ein „Grüner" Kollege, so glaube ich, dem Finanzminister zornig entgegengerufen: „Sie sind die Inkarnation von Rationalität!" Er hat gar nicht gemerkt, daß er dem Finanzminister ein Kompliment gemacht hat.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, etwas Kritisches: Die Regierung sollte ihre Informationspflicht gegenüber dem Parlament etwas ernster nehmen, als das alle Regierungen in den letzten Jahren getan haben.
({2})
Ich meine, wenn das Haus hier tagt, sollte sie sich nicht via Bundespressekonferenz direkt an die Öffentlichkeit wenden und uns dabei übergehen. Wenn der Bundestag Sitzungswochen hat, ist hier der Ort, wo Regierungsneuigkeiten bekanntzugeben sind.
({3})
Die Regierung muß nicht mit ihren Kabinettsentscheidungen ins Parlament kommen, aber wenn sie sie veröffentlichen will, dann bitte hier. Ein nobile officium sollte es dann sein, ganz Wichtiges nur in Sitzungswochen und dann hier bekanntzugeben, sich unseren kritischen ersten Fragen zu stellen und sich, wenn sie nicht ausreichend beantwortet sind, vielleicht eine erste Kurzdebatte anzuhören.
Ich weiß, daß hierbei - der Herr Präsident hat ähnliches vorgeschlagen - noch mancher Teufel im Detail steckt. Aber wenn wir hier keine Veränderung herbeiführen, ist das gesamte Reformgerede, so glaube ich, im Endeffekt wenig wert. Weiter: Wenn jeder hier nur zehn Minuten redet - ich versuche, das wirklich zu tun - und auch ein Fraktionsvorsitzender, ein Kanzler und ein Minister im allgemeinen nach 15 Minuten fertig wäre, würde es hier sehr viel farbiger werden.
({4})
Daß hier 10% der Abgeordneten vielleicht 60% der Redezeit in Anspruch nehmen, ist ein Rest von Feudalismus im Parlamentarismus, wenn ich das einmal so nennen darf.
({5})
Wir wollen dabei auch folgenden Nebeneffekt bedenken. Wenn in allgemeinpolitischen Debatten hier mehr Kollegen zu Wort kommen, werden manchmal Debatten aus Anlaß von ersten Lesungen, die eigentlich Fachdebatten wären und in die Ausschüsse gehören, nicht so lange werden.
Mehr Farbe, meine Damen und Herren, gäbe es auch, wenn das Wechselspiel zwischen Redner, Zwischenrufer und Zwischenfrager verbessert werden könnte.
({6})
Aber auch hier zunächst Selbstkritik an uns. Was wir uns hier manchmal an Zwischenruferei erlauben, ist oft nur Geräuschkulisse. Wer keinen Witz hat, sollte keinen Zwischenruf machen. Und umgekehrt: wenn ein Zwischenruf sitzt, ist er besser als ein langatmiger Redebeitrag.
({7})
Zwischenfrage! Das derzeitige Ritual verplempert hier meiner Ansicht nach sehr viel Zeit. Die Ordnung des Hauses erfordert, daß der Herr Präsident das Wort erteilt. Aber kann man das bei der Zwischenfrage nicht einfacher machen? Der Zwischenfrager geht ans Mikrophon, der Redner lädt durch eine Geste ein, die Frage zu stellen. Wenn der Fragesteller in zehn Sekunden nicht fertig ist, übergeht der Redner die Frage, der Präsident nimmt ihm den Saft weg, und der Fragesteller steht da wie einer, der das Handwerk nicht beherrscht. Umgekehrt: wenn der Redner nicht mindestens ein bis zwei Zwischenfragen, um die er vom Saalmikrophon aus gebeten wird, zuläßt, dann gilt er als Feigling, würde ich sagen. Damit aber sein Mut belohnt wird, soll er für jede zugelassene Zwischenfrage 30 Sekunden mehr Redezeit bekommen.
({8})
Das könnte man ja in einer Planung der Debatte vorher einplanen. Ich weiß, daß das vielleicht ein nicht ganz durchdachter Vorschlag ist. Aber er ist experimentierfähig.
({9})
- Bitte schön, Herr Kollege Klein.
Herr Kollege, was passiert, wenn mir ein Kollege aus der eigenen Fraktion 20 Zwischenfragen stellt?
({0})
Dann wird die Redezeit entsprechend verlängert. Dieses Problem ist sicherlich dabei auch zu bedenken.
Warum sage ich das? Wichtig wäre nämlich, daß wir hier im Plenum bildschnittfähige Szenen entstehen lassen, die nach draußen gehen. Ich meine natürlich Szenen der Rede und Gegenrede, ich meine nicht Happenings. Wenn Happenings von der Kamera aufgefangen und gesendet werden, ist das eigentlich Agenturpropaganda und nicht Chronistenpflicht. Ich meine Szenen in Rede und Gegenrede.
({0})
Fernsehen meine sehr verehrten Damen und Herren, ist überhaupt ein Problem, weil nur Ausschnitte gesendet werden.
({1})
Oftmals ist man versucht zu überspitzen, um mit einer Überspitzung in den Ausschnitt zu kommen. Der Bildausschnitt oder die Schlagzeile mag ein kleiner Vorteil sein. Die dann oft vergiftete Debattenatmosphäre hier im Haus gleicht das keineswegs aus.
Ein gewisses Gleichgewicht könnte geschaffen werden, wenn die Debatten generell übertragen werden. Eine generelle Fernsehübertragung ist aber nur im Vormittagsprogramm möglich. Wir sollten deshalb - auch aus anderen Gründen - überlegen, ob wir nicht vom derzeitigen Debattenrhythmus abkommen sollten. Drei- bis viermal in der Woche drei bis höchstens vier Stunden am Vormittag, das würde die öffentliche Wirksamkeit des Bundestages nach draußen sehr verbessern.
({2})
Ich weiß, daß viel Praxis hinter der Einteilung Montag Vorstand bis Freitag mittags Plenarsitzung steckt. Ich weiß, daß auch europaweite Terminabstimmungen darin stecken. Aber unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Wirksamkeit des Bundestages ist eine Debatte am Donnerstag von 9 Uhr bis nachts 22 Uhr oder 23 Uhr keineswegs optimal.
({3})
Das kann nicht nach draußen dringen, und da können wir auch nicht alle die 8, 10, 12, 14 Stunden hier drinsitzen, nicht einmal den größten Teil. Das hält man nicht nur physisch nicht aus, sondern das ist auch mit unseren anderen Pflichten überhaupt
nicht vereinbar. Auch unter diesem Gesichtspunkt - Präsenz ist ja eines unserer Probleme im Ansehen draußen - wäre dies eine Verbesserung.
Letzter Gedanke: Zu vielen Vorschlägen gehört auch manche Selbstkritik. Mir wäre manchmal bei meinem kritischen Blick auf die Regierungsbank oder die Pressetribüne wohler, wenn wir alle miteinander oder wenigstens die meisten von uns - ich jedenfalls schließe mich da ein - etwas besser wären, als wir tatsächlich sind. Aber das können wir j a anpacken, und dem soll j a unsere Debatte heute dienen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Liebes Wahlvolk! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hamm-Brücher, zuerst möchte ich sagen, daß auch die GRÜNEN Ihre Vorschläge unterstützen, weil dadurch bestimmt eine ganze Menge mehr Demokratie in dieses Parlament kommt und die Abgeordneten mehr Möglichkeit erhalten, ihre Rechte wahrzunehmen.
Aber vielleicht haben Sie gemerkt, daß der Funke eben nicht übersgesprungen ist. Das hat mir so leid getan, weil darin lange Arbeit steckt.
Woran mag das liegen? Die Debatten sind wohl weniger deshalb so langweilig, weil die Reden so fad sind - das ist manchmal freilich auch der Fall -; sondern es liegt wahrscheinlich daran,
({0})
daß die Abgeordneten hier nichts zu sagen haben. Denn die meisten Abgeordneten hier haben sich schon lang ein imperatives Mandat überstülpen lassen.
({1})
Sie haben sich aber nicht an die vielen kleinen Leute, an das Wahlvolk gebunden, sondern sie haben sich an wenige Mächtige binden lassen.
Ich belege das. Wir haben in diesem Sommer zwei hervorragende Beispiele erlebt. Das erste ist Buschhaus.
({2})
Die Abgeordneten haben Ende Juni gesagt: Buschhaus darf nicht ohne Rauchgasentschwefelung ans Netz; der Wald stirbt; da muß etwas getan werden. Vier Wochen später erklären dieselben Abgeordneten alle einstimmig
({3})
- fast einstimmig; gut -: Ja, wir haben uns geirrt; wir wollen jetzt, daß alles zurückgenommen wird.
Wie kommt das denn? Es liegt nicht daran, daß die nicht schlau genug sind oder zu wenig Grips haben; hier sitzen eine ganze Menge studierter Leute, viel mehr als andere, und die haben sehr wohl den Durchblick.
({4})
Daß die so entscheiden und so schnell ihre Meinung ändern, liegt daran, daß da z. B. stromerzeugende Betriebe, Kohlebergbau, Chemielobby und in der Frage des Katalysators Autolobby ihr Vetorecht eingelegt und sie unter Druck gesetzt haben und das imperative Mandat hier funktioniert hat.
({5})
Die Debatten hier sind deshalb so langweilig und die Bürger sind deshalb so sauer, weil dieses Parlament, Herr Barzel, eben nicht mehr ein Instrument des ganzen Volkes ist, weil es die Überlebensfragen - Luft, Wasser, Boden, Wald, Gesundheit sind extrem gefährdet - nicht sieht und sie wirtschaftlichen Interessen opfert. Es ist doch wirklich ein Stück weit pervers, daß die Bürger sich zum Teil gegen das Parlament diese Überlebensgrundlagen erkämpfen müssen.
({6})
Indem Sie das zugelassen haben, ist diese Verbindung zwischen dem Parlament und den Wahlbürgern ein Stück weit aufgehoben. Man hat das Gefühl: Das hier ist ein Raumschiff Bonn. Die Leute kommen mit Petitionen - vor der Nachrüstung war wirklich die Mehrheit der Bevölkerung dagegen -, rennen gegen eine Gummiwand, fliegen in ihr Wählerdasein zurück und dürfen nur alle vier Jahre ihren Stimmzettel abgeben. Bei den Leuten bleibt ein ganz fader Nachgeschmack. Sie sagen: Unsere Interessen vertreten die nicht; was machen die denn da überhaupt? Und dann sagen sie: Na gut; das ist also ein Selbstbedienungsladen, die machen sich die Taschen voll, die nehmen Parteispenden, und dann stellen die sich selber auch noch einen Persil-Schein aus und machen ein Amnestiegesetz. Das sagen die Leute; und sie sind unheimlich böse.
Ich will Ihnen sagen, daß uns GRÜNEN das sehr leid tut. Denn dieses Parlament ist ein ganz großer Fortschritt zu allem, was wir früher jemals hatten; es ist schade, daß es so auf den Hund gekommen ist.
({7})
Wissen Sie, was ebenfalls sehr schade ist? Daß Sie ganz allein den GRÜNEN, den Schmuddelkindern des Parlaments, die Arbeit überlassen, zu versuchen, eine Bresche in die Wand zwischen der Wahlbevölkerung und diesem Parlament zu schlagen. Wir haben versucht, eine Bresche zu schlagen, indem wir offene Mandate haben. Wir lassen Vertreter von Bürgerinitiativen in dieses Parlament. Wir sind da großzügig. Wir haben gesagt: Wir verzichten ein Stück weit auf Macht, wir rotieren, wir geben Diäten ab, damit viele an der Mitgestaltung teilhaben können. Wir haben paritätisch besetzte Listen, damit 50 % der Bevölkerung, die Frauen, auch endlich einmal etwas zu sagen haben.
({8})
Wir haben eine absolute Öffentlichkeit eingeführt, weil jeder - wir auch - nur ein Mensch ist. Sie haben Kritik an uns geübt. Wir fangen ja auch schon an, den Versuchungen der Macht zu erliegen. Darum haben wir gesagt: Unsere Sitzungen sind alle öffentlich, damit Sie uns kritisieren und wieder auf den Boden herunterholen können. Das ist richtig so.
({9})
Wir haben uns diese Strukturen gegeben. Wir wären wirklich froh, wenn uns die anderen Fraktionen auf diesem Gebiet überholen würden, indem sie mehr Demokratie wollen, indem sie dem Souverän wieder zu seiner Würde verhelfen. Wir wären wirklich froh, wenn Sie alle mit daran arbeiten würden, daß das, was die Verfassung will, was in Art. 20 steht, daß nämlich alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wieder zurechtgerückt wird.
Aber was passiert denn jetzt? Wenn man die Diskussion der letzten Wochen anschaut, wenn ich mir anschaue, was der Herr Geißler heute morgen auf der Pressekonferenz und Herr Hennig sowie die stellvertretenden Geschäftsführer oder Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen gesagt haben, dann sehe ich, daß Sie uns, anstatt uns GRÜNE zu überholen und zu zeigen, wie man es wirklich gut macht - vielleicht können Sie es auch besser machen -, in die Ecke der Verfassungsfeinde stellen. Wissen Sie, woran mich das erinnert? Im alten Orient
({10})
war es üblich, daß man den Boten, der die Nachricht von der verlorenen Schlacht überbrachte, umgebracht hat. Die Feldherren haben, anstatt darüber nachzudenken, warum die Schlacht verlorengegangen ist, den Boten verantwortlich gemacht. Das machen Sie jetzt ebenfalls.
({11})
Die GRÜNEN gäbe es nicht im Parlament, wenn Sie nicht so vieles falsch gemacht hätten.
({12})
Wir sind die Überbringer der Nachricht, daß die grundsätzlichen Lebensinteressen der Bevölkerung überhaupt nicht wahrgenommen werden. Anstatt diese Nachricht aufzunehmen, versuchen Sie jetzt, den Boten rauszuschmeißen und beiseite zu schaffen.
({13})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir begrüßen es alle sehr, daß das Parlament heute über sich spricht. Es ist da nicht sehr schön von Kollegen, wenn sie sich auf Kosten der Kollegen zu profilieren suchen. Das ist sogar ein bißchen billig.
Wir wollen über unsere Arbeitsweise reden und nicht versuchen, die anderen schlechtzumachen.
({0})
In meiner Schule gab es für so etwas - ich weiß nicht, in welche Schule Sie gegangen sind - Klassenkeile.
({1})
Ich weiß aber nicht, wie man das im Parlament machen sollte.
({2})
Ich habe mir aber heute ein anderes Thema gesucht, ein, wenn Sie wollen, vielleicht mehr äußerliches. Ich bin seit 1980 im Bundestag und seither auch immer Schriftführerin gewesen. Ich habe sehr oft und viele Stunden da oben gesessen, was unter Umständen sehr allgemeinbildend ist. Da macht man sich seine Gedanken.
({3})
Das erste, was einem in diesem Saale äußerlich nachteilig auffällt, ist die Architektur in diesem Hohen Hause.
({4})
Der Herr Präsident hat das auch angesprochen. Auch jetzt kann ich Ihnen sagen, daß ich die Zwischenrufe bis zu Ihnen, Herr Fischer, noch verstehe. Alles, was von weiter hinten kommt, merke, höre, sehe ich nicht mehr. Wir alle haben ja die Erfahrung gemacht, daß man in jedem Dorfgasthaus besser Kontakt zu seinen Zuhörern bekommt.
({5})
Dieser Plenarsaal ist im Grunde ein ganz gigantischer Vortragssaal, aber nicht für Rede und Gegenrede geeignet. Ich erinnere an andere Parlamente: Da sitzt die Regierung den Abgeordneten auf gleicher Ebene gegenüber, Auge in Auge. Da sitzt die Opposition gegenüber, da kann man auch vom Platze aus sprechen. Das ist hier vollkommen unmöglich.
({6})
Deshalb begrüße ich es auch sehr, daß wir in das sogenannte Wasserwerk umziehen werden. Das wird ja sehr viel kleiner und intimer sein. Ich finde es sogar gut, wenn dort nicht alle Abgeordneten einen Sitzplatz bekommen.
Ich habe ein Beispiel: Im englischen Abgeordnetenhaus gibt es 635 Abgeordnete, aber nur Sitzgelegenheiten für 437 Menschen. Was hat das für einen Vorteil?
({7})
Wenn was los ist, rennt alles, es drängt sich, es wird spannend darin, es gibt Dramatik. Was ist bei uns? Selbst wenn die Hälfte da ist, ist es immer noch kalt und gähnend leer. Da bin ich wirklich froh - und ich danke dafür, daß das möglich wird -, daß wir einen neuen Parlamentssaal kriegen.
({8})
Ich möchte noch eine andere Geschichte ansprechen, die ein heißes Eisen ist. Ich meine das Fernsehen hier im Plenarsaal. Es geht mir immer wieder durch den Kopf, ob es so richtig ist, daß wir hier im Plenarsaal in jeder Sekunde bis in den letzten Winkel vom Fernsehen gewissermaßen überwacht werden. Es hat einerseits den guten Effekt, daß die Öffentlichkeit weiß, was wir hier tun, daß wir unsere Ideen an den Mann bringen. Stellen Sie sich andererseits aber einmal die Szene vor: Hier spricht einer vielleicht über Arbeitslose, über irgend etwas Trauriges. Dann kommt gerade ein Kollege herein und erzählt Ihnen etwas Lustiges, und Sie fangen an zu grinsen. Dort spricht der Redner, und der Zuschauer zu Hause hat Ihren grinsenden Kopf im Wohnzimmer. Er denkt sich, das sind schöne Abgeordnete. Das sind die kleinen Nachteile, die wir hier schlucken müssen.
Im englischen Parlament gibt es das nicht. Die haben immer wieder - ganz mit Bewußtsein - die Übertragungen abgelehnt. Ich danke jetzt dem Wissenschaftlichen Dienst, der mir die Gründe beschafft hat, warum das immer wieder mit wechselnden Mehrheiten abgelehnt worden ist. Ich will Ihnen hier nur einmal die wichtigsten sagen:
Der erste Grund ist, daß man befürchtet, daß sich exhibitionistisch veranlagte Abgeordnete in ihren Reden und Zwischenrufen vor dem Fernsehpublikum produzieren wollen.
({9})
- Ich glaube, wir haben gerade von Ihrer Bank, Herr Fischer, unsere schlechten Erfahrungen damit.
({10})
Ein zweiter Grund ist, daß man befürchtet, daß bestimmte parlamentarische Vorhaben durch die breite öffentliche Anteilnahme einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen würden und das Parlament durch die Öffentlichkeit unter Druck gesetzt werde. Auch da haben wir alle - in allen Lagern, glaube ich - unsere Erfahrung.
Man befürchtet ferner, daß die Fernsehgesellschaften ihre Aufgabe für triviale oder das Parlament herabsetzende Berichte mißbrauchen könnten.
({11})
Man befürchtet des weiteren, daß die Öffentlichkeit
auf die geringe Präsenz der Abgeordneten aufmerksam werden würde, ohne daß gleichzeitig das Verständnis für die vielfältigen Aufgaben des Abgeordneten wüchse.
({12})
Ich habe in der letzten Woche relativ viele Übertragungen gesehen, und es gibt anscheinend für jeden Kameramann einen Schwenk, den er sich nie versagen kann. Sie wissen alle, welcher das ist: das ist der Schwenk über die leeren Bänke. Das ist verständlich. Man kann das ruhig bringen; es sitzt ja auch keiner da. Heute sitzt einer da, der Dr. Soell. Aber es wäre ehrlicher, wenn man dann auch einmal einen Schwenk über unsere übervollen Schreibtische nach der Sommerpause bringen würde, wie wir dasitzen und arbeiten.
({13})
Noch ein Grund: Man befürchtet, daß Regierungsmitglieder versuchen würden, während der besten Fernsehzeiten zu reden.
({14})
Dadurch würden die Rechte der einzelnen Abgeordneten - im Englischen heißt es übrigens nicht Hinterbänkler, sondern sehr viel charmanter private members - beeinträchtigt. Da kommt einem doch manches bekannt vor.
Aber es ist mir ganz klar: wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen, wir können und wir wollen das Fernsehen gar nicht aus diesem Raum vertreiben. Aber wir sollten uns doch noch einmal überlegen und darüber nachdenken, wann Übertragungen wirklich sinnvoll sind und wann sie anfangen, unsere Freiheit zu beeinträchtigen und unsere Gleichheit abzuschaffen.
Aber jetzt komme ich zum Schluß. Ich bin noch einmal fündig geworden. Ich habe noch ein schönes Zitat darüber gefunden, daß dieses Thema, das wir heute behandeln, j a überhaupt kein neues Thema ist. Das gibt es schon sehr lange. Bereits 1964 hat Dolf Sternberger, Professor für politische Wissenschaften, in der „FAZ" einen Kommentar geschrieben, von dem, so glaube ich, auch heute noch jedes Wort gilt. Da heißt es:
Der Bundestag
- damals war es der vierte versucht sich augenscheinlich vor allem und fast ausschließlich als gesetzgebende Körperschaft, als „Legislative". Seine ganze Organisation ist darauf ausgerichtet. Natürlich ist er das Hauptorgan der Gesetzgebung, aber er sollte noch mehr und anders sein oder werden. Er könnte Schauplatz sein, an dem die großen Fragen des Landes in Spruch und Widerspruch diskutiert werden. Er könnte die Institution sein, welche die öffentliche Diskussion führt und nicht hinter ihr herliefe. Einstmals gab es in unserem Land das böse Wort von der „Schwatzbude". Der deutsche Parlamentarismus scheint es sich sehr zu Herzen genommen zu haben, so
sehr, daß man sich nun ganz in die Arbeit und in die Papiere vergräbt. Aber ein Parlament der Gesetzgebungsbeamten würde seinen Sinn ebenso versäumen wie eines der Diplomaten.
({15})
Wer dem Bundestag wohl will, wünscht ein Parlament der Parlamentarier.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, schon die erste Runde dieser Diskussion hat gezeigt, wie farbig und lebhaft eine Diskussion werden kann, wenn nicht vorabgestimmte Meinungen vorgetragen werden, sondern Einzelne spontan ihre Ansichten und ihre Auffassungen zu unseren Problemen beitragen.
({0})
Ich möchte denen, die vor mir gesprochen haben, dafür ausdrücklich danken.
Ich will mich auch selbst daran halten, daß wir nicht abgestimmte Meinungen vortragen. Daß ein Fraktionsvorsitzender natürlich auch bei dieser Gelegenheit mit einer gewissen Vorsicht zu Werke geht und eher das in den Vordergrund stellt, was in seiner Fraktion konsensfähig ist, werden Sie verstehen. In diesem Sinne möchte ich fünf Bemerkungen machen.
Erstens. Wir danken Ihnen, Herr Bundestagspräsident, Herr Kollege Barzel, für Ihre Bemühungen um die Verbesserung des Deutschen Bundestages. Viele Ihrer Vorschläge und vieles von dem, was Sie heute gesagt haben, stößt bei uns auf Sympathie und wird von uns als ein wertvoller Beitrag eingestuft.
({1})
Wir danken genauso der Frau Kollegin Hamm-Brücher und den Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr zusammen konkrete Anregungen erarbeitet haben,
({2})
und wir freuen uns darüber, daß das quer durch alle Fraktionen - ich sage ohne jede Ausgrenzung: quer durch alle Fraktionen - geschehen ist.
Zweitens. Der Bundestag handelt - daran darf man auch in dieser Debatte erinnern - im unmittelbaren Auftrag des Volkes, von dem alle Staatsgewalt ausgeht. Das steht nur dem Bundestag zu. Dies unterscheidet ihn von allen anderen Organen. Diese besondere Stellung muß er insbesondere gegenüber der Bundesregierung, aber auch gegenüber dem Bundesrat immer wieder zur Geltung bringen. Insbesondere müssen wir - und ich glaube, dies ist ein Kernpunkt der heutigen Debatte - immer wieder dem Eindruck entgegenwirken, wir seien im
Grunde nur eine Art kollektiver Notar, der in ritualisierten Verfahren Entscheidungen beglaubigt, die schon längst vorher getroffen worden sind.
({3})
Dies ist eine Folgerung aus dem Auftrag, den wir haben.
Dazu gehört - ich stimme dem Kollegen Langner ausdrücklich zu -, daß, wann immer möglich, die Bundesregierung - ich sage dies nicht einseitig gegenüber der gegenwärtigen Bundesregierung, sondern auch selbstkritisch für unsere Zeit der Regierungsverantwortung - über aktuelle Ereignisse zuerst im Bundestag und auf diesem Wege die Öffentlichkeit unterrichtet. Die Praxis des englischen Unterhauses ist gerade in diesem Punkt vorbildlich.
({4})
Der umgekehrte Weg, die Unterrichtung der Abgeordneten über die Medien, wird der Stellung des Bundestages in unserer Verfassungsordnung nicht gerecht.
({5})
Drittens. Die zentrale Funktion des Bundestages kann aber nur dann optimal ausgeübt werden, wenn der einzelne Abgeordnete, jeder einzelne, seinen Beitrag zur Wahrnehmung dieser Funktion zu leisten vermag. Gerade auch zu diesem Zweck stehen ihm eigene Rechte zu, nicht um seiner Person willen, sondern um der gemeinsamen Aufgabe des Bundestages willen. Die Rechte des einzelnen Abgeordneten - und dies sage ich selbstkritisch auch hinsichtlich der Funktion, die ich wahrzunehmen habe - müssen deshalb im parlamentarischen Alltag stärker als bisher auch gegenüber den für die ordnungsgemäße Abwicklung unserer Arbeit unentbehrlichen Ansprüchen und Abreden der Fraktion zur Geltung kommen.
({6})
Es muß hier wirklich eine Abwägung stattfinden; die Frage darf nicht vorentschieden sein. Das sage ich auch selbstkritisch in Richtung derer, die eine Funktion wie die meinige hier in diesem Hause innehaben und mit mir teilen.
Außerdem bedarf der einzelne Abgeordnete einer personellen und sachlichen Ausstattung, die ihm gegenüber den Apparaten der Bundesregierung und der Fraktionen eine Chance läßt und ihm auch den ständigen Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern in den großen Wahlkreisen erlaubt.
({7})
Für meine Fraktion - da sind wir uns weitgehend einig - kommt deshalb der Verbesserung der Mitarbeiterpauschale, Herr Präsident, besondere Dringlichkeit zu. Dabei sollte jedem Abgeordneten nicht nur die Verbesserung der Bezüge der vorhan6214
denen, sondern zunächst die Beschäftigung einer weiteren Halbtagskraft ermöglicht werden.
({8})
Sonst ist das Verhältnis zwischen den gewaltigen Apparaten der jeweiligen Regierung, den kleineren Apparaten der Fraktion und dem einzelnen Abgeordneten völlig unausgewogen.
({9})
Viertens. Das Ansehen des Parlaments, meine Damen und Herren - und um das geht es ja heute auch -, hängt auch von der Art des Umgangs ab, den wir miteinander pflegen.
({10})
Es stünde uns gut an, Ausführungen von Mitgliedern anderer Fraktionen nicht grundsätzlich mit Ablehnung oder dem Ausdruck unerschütterlicher Selbstgerechtigkeit entgegenzunehmen; das sage ich in alle Richtungen.
({11})
Gewiß, meine Damen und Herren, es gibt immer wieder ärgerliche und auch provozierende Beiträge. Aber die Art und Weise, in der wir nicht selten auf unbequeme Kritik oder ungewohnte Argumente reagieren, ist nicht weniger ärgerlich und nicht weniger provozierend als diese Beiträge.
({12})
Es wäre gut, wenn wir dem künftig noch stärker Rechnung tragen und beispielsweise quer durch die Fraktionen - nicht nur heute, sondern auch sonst - Darlegungen von Sprechern anderer Fraktionen, wenn wir sie gut finden, ebenso unbefangen Beifall spenden würden wie Rednern der eigenen Fraktion und aus dem eigenen Lager.
({13})
Fünftens. Alle Bemühungen um einen besseren Arbeitsstil und bessere Arbeitsmöglichkeiten werden nur im Zusammenhang mit dem Gegenstand und dem Inhalt unserer Debatten und Entscheidungen und nicht losgelöst von ihnen zu einer stärkeren Wirksamkeit unserer Arbeit und zu einem höheren Ansehen des Parlaments führen. Deshalb die Frage an uns alle - jeden eingeschlossen -: Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, setzen wir unsere Kräfte eigentlich richtig ein? Wenden wir sie hier in diesem Parlament dem Wesentlichen zu? Ist der Bundestag wirklich der Ort, an dem die großen Herausforderungen unserer Zeit analysiert, die Entwürfe zu ihrer Lösung gegeneinandergestellt, der immerwährende Konflikt zwischen Beharren und Verändern, der Kampf um Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit und die Bändigung der Macht durch das Recht tatsächlich ausgetragen werden? Können sich alle wichtigen Strömungen und alle wichtigen Meinungen in unserer Auseinandersetzung hier wirklich wiedererkennen?
Mir scheint, das alles blitzt in unseren Debatten nur gelegentlich auf. Das wird so oft von dem mühevollen Ringen um Absätze, Sätze und Halbsätze von Gesetzentwürfen und Verordnungen überlagert und überwuchert, die in Wahrheit doch viel mehr den Willen der jeweiligen Exekutive, den jeweiligen Willen der Regierung ausdrücken und für die wir nach außen viel mehr Verantwortung übernehmen, als es den realen Verhältnissen tatsächlich entspricht.
({14})
Und auch das geht in alle Richtungen von parteipolitischen Pflichtübungen: Die sozialen Bewegungen, die sich in unserem Volk in den letzten Jahren entwickelt haben, hängen auch mit diesem Defizit, mit dieser Fehlleitung unseres parlamentarischen Potentials zusammen. Jede Reform muß auch diesen inhaltlichen Gesichtspunkt im Auge behalten.
({15})
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine persönliche Bemerkung hinzufügen. Es ist gut, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir an uns und andere hohe Anforderungen stellen. Wir sollten uns aber vor Übertreibungen und Widersprüchen hüten.
Widersprüchlich ist es, von unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Interesse für unsere Plenarsitzungen zu fordern, wenn wir selber dieses Interesse mitunter nur in kümmerlichem Maße aufbringen.
({16})
Widersprüchlich ist es auch, das Gewicht und die Bedeutung des Parlaments bei solchen Gelegenheiten zu reklamieren, wenn wir selbst oft genug andere Tätigkeiten als die Anwesenheit und die Mitarbeit in Fraktionen, Arbeitskreisen, Ausschüssen und Kommissionen für wichtiger halten.
Wir sollten aber auch niemand weismachen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir seien Übermenschen. Ich persönlich halte die Vorstellung, man könne in diesem Saal Verhandlungen 13 oder 14 Stunden mit gleichbleibender Aufmerksamkeit verfolgen, für gänzlich irreal. So etwas sollten wir auch niemandem weismachen.
({17})
Für ebenso irreal halte ich es, daß alle Mitglieder des Hauses jeweils einigermaßen genau wissen können, worüber eigentlich im einzelnen zu entscheiden ist. Auch das sollten wir deutlich sagen.
Schließlich ist - auch das sei immer mit Selbstkritik gesagt - auch die Vorstellung irreal, die eigene Seite habe immer recht und die anderen immer unrecht. Deshalb sollten wir öfter als bisher den Mut finden, uns auch als Parlament und Abgeordnete und auch als Fraktionen zu unseren Unzulänglichkeiten, zu unseren Irrtümern und Fehlern zu bekennen. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur politischen Kultur.
({18})
Einer der ganz großen Parlamentarier, Adolf Arndt, hat das so ausgedrückt:
Die Wahrheit seiner Antwort kann kein Politiker verbürgen, wohl aber die Wahrhaftigkeit des Fragens und des immer neuen Bemühens.
Wir sollten uns gerade bei dieser Gelegenheit an diesen Satz erinnern.
Ich danke Ihnen.
({19})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Saal ist zwar in der Tat völlig ungeeignet, von diesem Platz aus zu sprechen, aber ich denke, bei einer „Betriebsversammlung", wie es der Kollege Langner vorhin zu Recht charakterisiert hat, sollten wir schon einmal den Versuch unternehmen, nicht vom Podium aus zueinander zu reden.
({0})
Diese Debatte findet statt, weil die große Mehrheit aller Kollegen in diesem Haus von der Notwendigkeit überzeugt ist, über eine Verbesserung der Arbeitsweise und auch der öffentlichen Wirksamkeit des Deutschen Bundestages nachzudenken. Dabei wollen wir den Parlamentarismus weder neu erfinden, noch wollen wir ihn überwinden. Er ist für uns die selbstverständliche Grundlage und auch das verfassungsrechtliche Fundament unserer Arbeit, für das es nach unserer festen Überzeugung keine vernünftige Alternative gibt. Wer selber ein gebrochenes Verhältnis zum Parlamentarismus hat, braucht für noch so weitreichende Reformvorschläge keine besondere Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit zu erwarten.
({1})
Systemüberwindung ist keine Parlamentsreform.
Wenn wir uns hier Mühe geben wollen, über eine Verbesserung der Arbeitsweise nachzudenken, dann kann im Zentrum dieser Überlegungen nicht die Erstellung eines möglichst umfangreichen Kataloges von Änderungen unserer Geschäftsordnung stehen. Diese ist erst in der vorletzten Legislaturperiode völlig neu formuliert worden. Alle die Kollegen, die im 1. Ausschuß ständig mit ihrer Anwendung zu tun haben, werden eindrucksvolle Belege für die Grenzen der Regelungsfähigkeit einer Geschäftsordnung vortragen können. Parlamentarische Indianerspiele lassen sich auch durch eine Geschäftsordnung nicht ausschließen. Umgekehrt läßt unsere Geschäftsordnung jeden sinnvollen Vorschlag für eine Verbesserung und Verlebendigung unserer parlamentarischen Praxis zu. Darum kann es im Kern also ganz sicher nicht gehen.
Ich will eine Reihe von knappen Anmerkungen und Anregungen machen, in welcher Richtung Veränderungen und hoffentlich Verbesserungen vielleicht möglich sind.
Hier ist mehrfach das Stichwort „Präsenz im Plenum" angesprochen worden. Die Präsenz im Plenum entscheidet ganz sicher nicht über die Leistungsfähigkeit und den Wirkungsgrad einer parlamentarischen Demokratie. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sie ganz offensichtlich und erheblich über das Ansehen des Parlamentarismus und der Parlamentarier entscheidet. Dies ist übrigens einer der Punkte, die sich durch Geschäftsordnung offensichtlich nicht regeln lassen, sondern im wesentlichen durch unsere eigene Selbstdisziplin - wenn sie denn da ist, sonst eben nicht -, vielleicht aber auch durch eine gezielte Neuorganisation der Parlamentsdebatten. Insofern halte ich die Anregung für ausgesprochen erwägenswert, vielleicht statt ganztägiger Mammutdebatten Vormittagsdebatten hier im Plenum vorzusehen.
({2})
Das würde im übrigen, Frau Hamm-Brücher, neben unseren Kollegen vielleicht auch manchen Journalisten die persönliche Teilnahme an den Debatten erleichtern, über die sie anschließend Berichte und kraftvolle Kommentare verfassen.
({3})
Zweite Anregung. Die Redezeiten und ihre übertriebene Inanspruchnahme
({4})
lähmen den Debattenverlauf weit mehr als die oft beklagte Strukturierung durch die Geschäftsführer.
({5})
Das Rederecht von Bundesregierung und Bundesrat ist, ob man das schön oder weniger schön findet, verfassungsrechtlich verankert. Seine exzessive Inanspruchnahme bleibt ein Ärgernis,
({6})
zumal wenn in der Praxis durch diese Inanspruchnahme die parlamentarischen Beiträge einfacher Abgeordneter in die wenig faszinierende Rolle des Pausenfüllers in der Elefantenschau geraten.
({7})
Hier sollte man einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob nicht eine Vereinbarung, auch mit der Bundesregierung, möglich ist, die analog der Praxis in unserer Aktuellen Stunde dann, wenn eine bestimmte Redezeit überschritten ist, die man festlegen müßte, eine allgemeine Aussprache und damit eine Aufhebung der ursprünglich vereinbarten Redezeiten zur Folge hätte.
Dritte Anregung. Zur Entlastung knapper Debattenzeiten könnte auch eine stärkere Inanspruch6216
nahme der Geschäftsordnungsmöglichkeit beitragen, Reden zu Protokoll zu geben.
({8})
Wer sich die große Mühe macht, eine Rede im Wortlaut auszuformulieren, sollte vielleicht in Zukunft häufiger als in der Vergangenheit sich und uns die Freude machen, sie zu Protokoll zu geben, zumal dies den Vorzug hat, daß sie dann auch unbeschädigt von Zwischenrufen und Zwischenfragen im Protokoll wie vorgesehen erscheint.
({9})
Vierte Anregung. Die parlamentarische Arbeit vollzieht sich nun mal nicht nur im Plenum, vielleicht nicht einmal wirklich zentral. Sie vollzieht sich auch und gerade in den Ausschüssen. Alle Ausschüsse klagen mit guten Argumenten darüber, daß ihnen immer weniger effektive Arbeitszeit für die konkrete Gesetzesarbeit und die Bearbeitung von Anliegen, Initiativen und Resolutionen und die Berichterstattung über laufende politische Ereignisse verbleibt. Auch hier müssen wir darüber nachdenken, wie sich vielleicht das Verhältnis des Zeitaufwandes zueinander neu gestalten läßt.
Ich möchte in diesem Punkt noch einen anderen Aspekt unterbringen, den ich als eine Diskriminierung der Abgeordneten des Parlaments empfinde. Die Abgeordneten haben im Unterschied zur Regierung nicht die Möglichkeit, zu Sitzungen ihres Parlaments und ihrer Ausschüsse eigene Mitarbeiter mitzubringen, während die Regierung ganz selbstverständlich in der Stärke einer halben Kompanie aufmarschiert.
({10})
weil der Sachverstand jedes Fachministers im Einzelfall natürlich und aus guten Gründen überfordert wird. Hier lassen sich sicher praktikable Mittelwege finden, die jedenfalls die bisherige - wie ich finde: zweifelhafte - Praxis verbessern könnten.
Fünfter Punkt. Eine der sicher zentralen parlamentarischen Kontroll- und Wirkungsmöglichkeiten ist das Institut der Untersuchungsausschüsse. Für Untersuchungsausschüsse haben wir bisher, bis zum 10. Deutschen Bundestag, noch immer keine verbindliche solide gesetzliche Grundlage. Ich persönlich empfinde das Mißverhältnis zwischen der notwendigen Akrobatik in der Auslegung analoger Verfahrensregeln und dem meist kümmerlichen Ergebnis dieser Untersuchungsausschüsse geradezu als peinlich und meine, wir sollten endlich schleunigst das nachholen, was hier seit Legislaturperioden zwar immer wieder als Problem empfunden, aber nicht erledigt worden ist: für eine entsprechende solide gesetzliche Grundlage zu sorgen.
({11})
Sechster Punkt. Die oft, wie ich meine, vordergründig kritisierte Fraktionsdisziplin steht nach meinen persönlichen Erfahrungen der verfassungsrechtlichen Stellung und der Weisungsgebundenheit der Abgeordneten nicht im Wege - nicht im Wege! Kalkulierbar und rechtfertigungsfähig werden parlamentarische Entscheidungsprozesse nur durch identifizierbare Verantwortlichkeiten. Es mangelt uns in der Regel ja nicht an Selbstbewußtsein. Aber wir sollten die Bedeutung der eigenen Person auch nicht überschätzen. Wenn jeder Abgeordnete zu jedem einzelnen Sachverhalt seine sicher immer interessante, aber eben nicht immer maßgebende persönliche Meinung zum besten geben wollte, dann verkäme der Parlamentarismus zum unverbindlichen Palaverismus.
({12})
- Sicher auch, Herr Kollege.
Siebtens. Die Wirksamkeit und das Ansehen des Parlaments hängen nicht nur von unserem Engagement ab, sondern ganz sicher zu einem erheblichen Teil von unserer Selbstdisziplin. Ich bin persönlich sehr skeptisch, Frau Hamm-Brücher, gegenüber der Anregung, die Möglichkeit persönlicher Erklärungen, die unsere Geschäftsordnung vorsieht, auszudehnen, gerade nach den Erfahrungen der vergangenen Monate. Wenn dieses wichtige Instrument zur kleinen Münze persönlicher Eitelkeiten oder der Verschleppung von Abstimmungen verkommt,
({13})
dann zerstören wir seinen Rang als Dokumentation der Unabhängigkeit frei gewählter Abgeordneter, statt es zu stärken.
({14})
Letzte Anregung oder Überlegung: Gewissensentscheidungen, die diesen Namen verdienen, gibt es sehr selten. Aber an Gelegenheiten zu Zivilcourage mangelt es eigentlich nicht. Rückgrat ist aber keine Frage der Geschäftsordnung. Das muß schon jeder für sich selbst erledigen und dabei möglichst selbstkritisch überprüfen, ob er im Einzelfall nicht vielleicht dickes Fell mit stabilem Rückgrat verwechselt. Jedenfalls bin ich persönlich fest davon überzeugt, daß diese Frage über das Ansehen des Parlaments weit mehr entscheidet als die technischen und organisatorischen Verbesserungen, über die wir heute nachmittag mit guten Gründen und zu Recht reden. Insofern entscheidet sich die Frage, ob aus dieser Debatte eigentlich etwas zurückbleibt, am Ende und ständig durch unser eigenes Verhalten.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Skarpelis-Sperk. Bitte sehr.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unsere heutige öffentliche Diskussion zum Selbstverständnis des Deutschen Bundestages war im Grunde überfällig, wenn man der Öffentlichkeit redlich Antwort auf eine Fülle von KriFrau Dr. Skarpelis-Sperk
tikpunkten geben und die Reformbemühungen vieler Abgeordneter quer durch die Fraktionen dieses Hauses nicht von vornherein zur Unwirksamkeit verdammen will.
Zwei Fragen sollten dabei meines Erachtens heute im Vordergrund stehen. Erstens. Ist das Parlament überhaupt noch Forum der politischen Willensbildung, auf dem unterschiedliche politische Meinungen und echte Alternativen vorgetragen, sorgfältig bewertet, abgewogen und dann gemeinsam entschieden werden?
Die zweite Frage aber ist meines Erachtens ebenso wichtig wie die erste: Ist das Parlament bzw. der einzelne Abgeordnete seinen Aufgaben noch gewachsen? Während wir zum ersten Fragenkomplex in der Therapie nicht ganz einig sind, ist die zweite Frage ernsthaft nicht umstritten: In wichtigen Funktionen erfüllt der Deutsche Bundestag seine Aufgaben nicht so, wie er es nach dem Selbstverständnis seiner Mitglieder und nach den uns von der Verfassung auferlegten Pflichten tun sollte; denn unsere Pflichten und das, was tägliche Realität ist, klaffen weit auseinander.
Die Ansprüche, die Bürger, organisierte Gruppen und Öffentlichkeit an uns stellen, nehmen gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten deutlich zu, während die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten und des gesamten Parlaments dem nicht Schritt gehalten haben. Das klingt für viele in der Öffentlichkeit erstaunlich: „Haben die denn nicht ihre Büros und Assistentinnen, Dienstwagen, Diensttelefone, Freifahrtscheine? Stehen ihnen denn nicht auf den kleinsten Wink hin Ministerien, ja allwöchentlich leibhaftige Staatssekretäre zur Verfügung, um ihnen jede gestellte Frage zu beantworten? Bekommen sie denn nicht alles, was sie wollen, auf den Tisch'?" Da wären wir schon bei einem Problem, bei dem sich die gewaltige Distanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gut zeigen läßt; zwischen dem Ideal des wohlinformierten Abgeordneten und der Wirklichkeit des gehetzten, der über zuviel an irrelevanten und zuwenig an relevanten Informationen verfügt.
({0})
Dabei stellen sich uns in der Praxis drei Probleme. Erstens: Wie kommen wir überhaupt an uns interessierende Informationen heran? Zweitens: Wie können wir aus der Flut der Informationen die für uns notwendigen heraussuchen? Und drittens: Wie können wir sie in der uns zur Verfügung stehenden, stets knappen Zeit zu sinnvollen Stellungnahmen, Entscheidungen und Gesetzen verarbeiten? Wie können wir Regierung und Verwaltung wirksam kontrollieren?
Zur ersten Frage: Exekutive und Wirtschaft haben sich im Laufe der Jahre eine Reihe von Datenbanken aufgebaut und sind im Begriff, sie zu imponierenden Datenimperien auszubauen, zu denen sie ohne Zeitverzögerung unmittelbaren Zugriff haben. Aus dieser Datenfülle erhalten wir das für uns herausgefiltert, was Regierung, Verwaltung und Wirtschaft für richtig halten, und das meist erst nach einer Frageprozedur, die Wochen dauern kann und
bei der unvollständige und nichtssagende Antworten einen erheblichen Anteil bilden.
Warum lassen wir uns so viele glatte Leerformeln oder sogar bewußt irreführende Informationen gefallen? Nun, das ist nicht nur eine Frage des Selbstbewußtseins, sondern das ist auch deswegen der Fall, weil wir entweder die Information nicht haben, um nachstoßen oder die Antwort falsifizieren zu können, oder weil wir die Arbeitskapazität nicht haben, um Konflikte in der Ausübung unseres Informations- und Kontrollrechts auch wirklich durchhalten zu können. Darauf, daß wir im Vergleich zur Verwaltung weder die Zeit noch genug Mitarbeiter haben, um in mehr als einigen Fällen nachzustoßen, verlassen sich auch die macht- und selbstbewußten Bürokratien.
({1})
Ich rechne dabei gar nicht die Summe aller Arbeitskapazitäten, über die das Parlament verfügt, gegen die Arbeitskapazität von Regierung und Verwaltung auf. Nein, viel bescheidener bitte ich Sie einmal, die „Kampffähigkeit" eines Abgeordneten mit der eines schlichten Referatsleiters - wir haben im Verlaufe unserer Arbeit mit vielen zu tun - zu vergleichen. Dort, selbst in kleinen Referaten, drei Mitarbeiter, hier, beim Abgeordneten, höchstens anderthalb. Dort ein relativ kleines, überschaubares Sachgebiet und die Möglichkeiten des Zugriffs zu einer umfassenden technisch-organisatorischen Infrastruktur des jeweiligen Hauses, hier ein Abgeordneter, der von den Ansprüchen her eine „eierlegende Wollmilchsau" sein soll, hin- und hergerissen zwischen Bonn und dem Wahlkreis, dessen technisch-organisatorische Infrastruktur teils den frühen 60er, teils den frühen 70er Jahren entspricht.
Der bittere Witz dabei ist, daß die von uns zu Kontrollierenden in der Regel Inhalt und Ausmaß der Information bestimmen, mittels derer wir sie kontrollieren sollen.
({2})
Damit wären wir beim zweiten Problem: Wie wählen wir die geeigneten Informationen aus? Regierung, Ministerialbürokratie und organisierte Interessen geben in der Regel eine Menge gezielter Informationen ab, die zum Teil die Grenze zur Desinformation bewußt überschreiten, um unsere Entscheidungen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Das tun sie entweder dadurch, daß sie uns zuwenig Informationen geben, oder, wenn man hartnäckig und fleißig ist, dadurch, daß sie uns mit zuviel Informationen überschütten. Das Schlimme ist, daß man im ersten Fall wenigstens noch weiß, daß man nichts weiß; im zweiten Fall aber ist man so eingedeckt, daß man gar nicht merkt, zu welchen Zwecken die Papierfluten gesteuert werden.
({3})
Nur dann, wenn der Problemdruck so groß wird,
daß wir es von unten spüren, daß uns die Basis und
die Bürger beuteln, schieben wir die Stöße beiseite
und fragen nach anderen Informationen als jenen, die uns auf die Schreibtische geladen werden. - Herr Kollege, wenn Sie in Arbeits-Ausschüssen mit ihrer Fülle von 20 bis 30 Tagesordnungspunkten mit kompliziertesten Inhalten säßen, würden Sie wissen, daß die Zahl der gezielten Informationen, die Fülle der Informationen nicht mehr zu vernünftigen Entscheidungen zu verarbeiten sind.
({4})
Deswegen geht im Regelfall der Kampf des Abgeordneten um Informationen so aus wie das Rennen des Hasen mit dem Igel. Der Hase kann so viel laufen, wie er will, sich anstrengen, so viel er will, unter den heutigen Bedingungen wird er überall einen ausgeschlafenen Igel vorfinden, der ihm höflich oder arrogant sagt: Setzen S' sich, Herr oder Frau Abgeordnete, schnaufen S' mal kurz durch, ich bin nämlich schon da.
({5})
Und wenn man nun kein heuriger Hase ist, merkt man schnell, daß es unter den Igeln auch einzelne Fraktionen, abweichende Meinungen, ja, sogar wohlmeinende Exemplare gibt, die uns schon einmal den einen oder anderen Lauf ersparen - nur am System ändert sich nichts: Der Hase bleibt erschöpft und der Igel Sieger.
({6})
Angesichts dieser Laufereien um relevante Informationen bleibt auch der Lösungsansatz für das dritte Problem, wie wir Informationen in der uns zur Verfügung stehenden knappen Zeit zu sinnvollen Stellungnahmen, Entscheidungen und Gesetzen verarbeiten und - warum nicht? - sogar konstruktiv kontrollieren können, unbefriedigend. Wenn wir erkennen, was wir für eine unglaubliche Zeit für die Beschaffung, das Hin- und Hertransportieren von Informationen und Material zwischen Bonn und dem Wahlkreis vergeuden, wie viele Wälder für Papier geschlachtet werden, das wir, ohne es je gelesen zu haben, in den Papierkorb befördern,
({7})
während für die gezielte Auswahl und Verarbeitung von Informationen für eine wirkliche Kontrolle oder gar die Erarbeitung von Alternativen kaum noch Zeit bleibt, ist es kein Wunder, daß sich viele bei der Fülle von Einzelentscheidungen und Kontrollen, die wir uns selbst aufgebürdet haben, zu politischen Rechnungshöfen oder, vielleicht besser noch: zu Schiedsrichtern zwischen streitenden Mannschaften von Verwaltungen und Verbänden degradiert fühlen.
Ein Teil unserer Probleme ließe sich sicher durch mehr Selbstbewußtsein und weise Beschränkungen auf weniger Entscheidungen und Kontrollen reduzieren. Der größere Teil aber bleibt ungelöst, wenn wir nicht unsere Arbeitsmöglichkeiten als Abgeordnete deutlich verbessern können. Verbesserte organisatorische Lösungen unter Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken, der unmittelbare Zugang zu relevanten Datenbanken und eine gleichzeitige Verdoppelung des Mitarbeiterfonds sind im Grunde genommen überfällig.
Ich komme zum letzten Satz: Wir bieten als Bundestag und als Abgeordnete schon ein merkwürdiges Bild, wie wir in der Postkutsche nach Informationen jagen, während der Kommunikations-Jet-set von Regierung, Verwaltung, Medien und Verbänden über unsere Köpfe hinwegdonnert.
({8})
Das ist nicht bloß ein Problem von Würde und Ansehen der höchsten gesetzgebenden Körperschaft, auch unsere Funktionsfähigkeit als Organ der politischen Willensbildung und Kontrolle steht auf dem Spiel, wenn wir zu Kostgängern von Informationen und Dienstleistungen bei Regierung, Verwaltung und Verbänden werden. Es liegt an uns selbst, das zu ändern.
({9})
Der beste Ansatz für eine Reform ist das gute Beispiel.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eben bin ich doch etwas zu elegisch für die Veranstaltung geworden. Bei uns in Niedersachsen, genauer gesagt: auf der großen Heide bei Buxtehude, versteht man sehr viel von diesem Hase-und-Igel-Problem. Und ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie als Hase nicht zurechtkommen, versuchen Sie, Igel zu werden,
({0})!
und Sie werden Erfolge erleben.
({1})
Ich möchte die Gelegenheit dieses Beitrages dazu benutzen, um ganz kurz auf einige praktische Dinge zu kommen, die hier sicherlich verbessert werden können. Seit einigen Jahren gibt es eine Reihe von Abgeordneten, die sich mehr oder weniger intensiv mit dergleichen befassen. Ich habe eine leichte Legitimation, so hoffe ich wenigstens, aus dem, wie Sie gleich erkennen werden, präzise auf die Presse gezielten Versuch, einen Verein zu gründen, der da heißt: „Zusammenschluß nachdenklicher und unabhängiger Abgeordneter zur Relativierung der Vervielfältigung von Bauten im Bundeshausbereich".
({2})
Dieser verdienstvolle Kreis hat sich schon vor einigen Jahren zusammengefunden. Ich danke dem Herrn Präsidenten für seine Bemühungen und dafür, daß er diesen Kreis nach einigen Jahren seiner, wie ich meine, mehr unterirdischen Tätigkeit bei
Kleinert ({3})
sich empfangen hat, um einige unserer Gedanken zur Kenntnis zu nehmen.
Diese Gedanken laufen tatsächlich auf die Frage hinaus, wie man sich hier als Igel bewähren kann, statt zum Hasen zu werden. Meine persönliche Meinung ist: Sie werden am schnellsten zum Hasen, je eher Sie den Schalmeienklängen derjenigen erliegen, die Ihnen sagen: Sie müssen nur mehr Mitarbeiter haben, dann haben Sie mehr Information, und dann sind Sie zum Schluß der Allerklügste und Einflußreichste. Das krasse Gegenteil ist der Fall.
({4})
Es gibt darüber ein eindrucksvolles Werk von Herrn Parkinson. Sie haben schon bei einer verhältnismäßig kleinen Personenzahl binnen kurzem mehr Zeitaufwand für das Schlichten der Streitigkeiten insbesondere über Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter als für ihre eigentliche Tätigkeit.
({5})
Da kann die Lösung nicht liegen.
Selbstverständlich widerspreche ich nicht der Forderung nach vernünftigen, vergleichbaren Arbeitsbedingungen. Das ist ganz klar. Aber man soll es nicht übertreiben. Dann kommt man nämlich ganz schnell über die optimale Kapazität hinaus.
Deshalb hat sich besagter Kreis von Abgeordneten - übrigens aus allen Fraktionen des Hauses, die es damals gab - zum Ziel gesetzt, die Gigantomanie zu vermeiden, auf die wir uns damals hinsichtlich der Baulichkeiten zuzubewegen im Begriff waren; denn diese Baulichkeiten waren so angelegt, daß für jeden Abgeordneten drei Räume vorhanden waren. Schließlich wäre die Idee aufgekommen, daß man da auch Mitarbeiter hineinsetzen sollte, damit diese Räume einen Sinn hätten. Dann wäre das entstanden, wovon ich eben gesprochen habe.
Wenn der Abgeordnete einen deutlichen Vorteil hat, dann ist es der, daß er viel öfter als die Leute, die vom „Raumschiff Bonn" oder von der „Käseglocke" oder sonst etwas reden, mit vielen Bürgern unseres Landes aus ganz unterschiedlichen Kreisen zusammenkommt, viele Anregungen bekommt, dadurch - wenn er dafür überhaupt geeignet ist - einigermaßen beweglich im Denken und in seiner Phantasie bleibt. Wenn er hier durch die Gänge geht, also nicht an seinem Schreibtisch sitzt und sich dafür bedankt, daß andere sich bei ihm für Briefe bedankt haben
({6})
- das hat natürlich keinen Sinn -, und diesen und jeden Kollegen trifft, weiß, wie er ihn einzuschätzen hat und was er von der gerade interessierenden Sache weiß, kann er damit sehr rasch einen enormen Informations- und Kommunikationsvorsprung vor den hier zitierten Beamten haben, deren wesentliches Merkmal doch auch ist, daß sie im Rahmen ihres zweifellos leistungsfähigen Apparats an einer ganz speziellen Stelle eingebunden sind
und außerdem im horizontalen und vertikalen Bereich verhältnismäßig wenig Übersicht haben und sich deshalb gelegentlich auch einmal auspunkten lassen.
({7})
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff?
Ja, bitte.
Herr Kollege Kleinert, könnten Sie hier vielleicht sagen, wieviel Mitarbeiter Ihnen zur Verfügung stehen, und zwar einschließlich Ihrer Funktion als Vorsitzender des Arbeitskreises Recht der FDP-Fraktion?
({0})
Da ich ein sehr kollegialer Mensch bin - wie z. B. Herr Beckmann, Herr Hirsch und Herr Baum bestätigen werden -, es ist völlig unzulässig, die Mitarbeiter des Arbeitskreises auf mich zu beziehen. Sie arbeiten genauso eifrig für die anderen Kollegen auch; dann bleibt also ein Drittelchen für mich über.
({0})
Unsere Apparate sind wirklich klein und effizient. Dafür danke ich auch unseren Mitarbeitern.
({1})
- Herr Fraktionsvorsitzender Vogel, ich will Ihnen einmal einen kleinen Tip geben. Denken Sie einmal an das, was allein - um nur ein Beispiel, das uns beiden nicht fremd ist, zu erwähnen - bei Ihnen an Reibungsverlusten durch die Tatsache entsteht, daß Sie - zugegeben, der großen Zahl wegen, wie übrigens später auch zu ihrem Schaden die Union - die Arbeitskreise für Innen und Recht geteilt haben, trotz der unglaublich vielen Berührungspunkte zwischen den beiden Sachgebieten. Was dabei an Abstimmung unter den Mitarbeitern bei Ihnen anfällt, davon kann man bei uns ein ganzes Dezernat bestreiten.
({2})
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich habe abgehoben - insofern bin ich der Frau Vorrednerin ausgesprochen dankbar - auf die besondere Chance des Abgeordneten im persönlichen Gespräch, in der persönlichen Begegnung, nicht nur untereinander, sondern auch mit den Wählern, und das immer wieder. Wer ein anderes Bild aufbaut, der weiß einfach nicht, wovon er redet. Er stiftet auch völlig überflüssig zusätzlichen Schaden. Einiges hier im Ablauf ist schwer verständlich zu machen. Aber den Unfug sollte man wirklich nicht ohne Not erzählen.
Deshalb ist es wichtig, daß wir jetzt dazu kommen, die Vorschläge, die hier schon angeklungen sind, zu verwirklichen: baulich hier viel näher an6220
Kleinert ({3})
einanderzurücken, zusätzlichen Anreiz für Gespräche zu geben, zusätzlichen Anreiz für die Dichte der parlamentarischen Verhandlung zu geben. Das hat eben auch alles irgendwo eine Komponente im Umfeld einer solchen Veranstaltung. Einige wenige Dinge unseres Ablaufs sollten wir immer wieder neu in Frage stellen und überdenken. Hier bin ich z. B. anderer Meinung als die beiden Vorredner, die das Thema bisher erwähnt haben. Die Frage der Anordnung der Plenarsitzungen ist zweifellos sehr wichtig. Einig sind wir uns wohl darin, daß das mit den 13 oder 15 Stunden eine blasse Theorie ist, um nichts Deutlicheres zu sagen. Ich bin im Gegensatz zu den beiden Vorrednern der Meinung, man sollte mit den Plenarsitzungen nicht auf den Vormittag, sondern auf den Nachmittag gehen, um nämlich sehenden Auges in Kauf zu nehmen, daß die Presse erst mit dem Abstand des folgenden Vormittags darüber berichtet, eine Auswahl treffen kann, damit sie nicht vorab dringend schriftliche Beiträge erbettelt, um sie am nächsten Morgen gerade noch bringen zu können. „Höchst aktuelle" Beiträge sind leider des öfteren so aktuell, daß sich anschließend herausstellt, sie sind überhaupt nicht geleistet worden. Das ist j a auch nicht der Sinn der aktuellen Berichterstattung, daß nicht gehaltene Reden veröffentlicht werden, aber gehaltene keineswegs.
({4})
Deshalb empfehle ich, daß wir uns auf den Nachmittag verständigen und den Vormittag für die Ausschüsse lassen. Dann wird die große Masse der Presse erst am übernächsten Tag berichten können; dann werden wir das in einer etwas ausgeglicheneren und ausgewogeneren Form vorfinden. Die vielen Journalisten, die unser Parlament mit Interesse und Freundschaft begleiten, werden dann eine bessere Gelegenheit haben, diesem Bemühen nachzukommen, als das jetzt bei der zwangsläufig eintretenden Hetze der Fall ist.
Es ist ein ewiger Jammer, daß ich jetzt diese rote Lampe hier sehe. Mir ist nur eins aufgefallen - wenn ich das zum Schluß sagen darf -: Es ist so schön, wenn mal von allen Fraktionen Beifall kommt.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.
Liebe Bürgerinnen und Bürger!
({0})
Frau Hamm-Brücher und Herr Barzel, Sie haben eingangs der Debatte ein zu beobachtendes zunehmendes Ohnmachtgefühl der Bevölkerung gegenüber der Politik diagnostiziert. Nach ca. zwei Stunden Bundestagsdebatte über Parlamentsreform bin ich sicher, daß die Zuhörer aus der Wahlbevölkerung dieses schleichende Ohnmachtgefühl endgültig abgelegt haben und wieder im vollen Kraftgefühl ihrer Volkssouveränität sind.
({1})
Die Debatte um die vorgeschlagenen Parlamentsreförmchen macht die tatsächliche Rolle und Bedeutung des Parlaments in unserer Gesellschaft wieder einmal klar. Das Parlament ist weit davon entfernt, eigentliches politisches Machtzentrum der Volkssouveränität in unserer Gesellschaft zu sein. Es entpuppt sich auch durch den Charakter dieser Debatte wieder einmal als ein Ort relativer politischer Ohnmacht. Während zentrale politische Fragen außerhalb des Parlaments vorentschieden werden, versucht das Parlament mit der heute angesetzten Debatte und auch mit den meisten der bisherigen Debattenbeiträge krampfhaft, sich in Ornamentik von parlamentarisch-staatlichen Institutionen einzuüben und stellt damit nichts anderes dar als eine neu herausgeputzte Staffage für eine elitär und autoritär strukturierte Gesellschaft.
({2})
Ich nutze die Gelegenheit, um die von interessierter Seite in der jüngsten Vergangenheit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis der Grünen zum Parlament und zum Parlamentarismus anzusprechen. Wir Grünen haben 1979 und 1980 nach intensiven Diskussionen mit unserer Parteigründung, mit der Teilnahme an Wahlen und mit dem Einzug in verschiedene Parlamente - Kommunalparlamente, Landesparlamente und Bundestag ({3})
eindeutig und grundsätzlich zum Parlament und zum Parlamentarismus ja gesagt. Ich denke, trotz aller Kritik im einzelnen haben die vergangenen anderthalb Jahre gezeigt, daß wir uns nach unseren Kräften und auf unsere Art und Weise bemühen, unsere politischen Intentionen in das Parlament einzubringen.
({4})
Während wir Grünen auf der einen Seite zum Parlamentarismus deutlich ja sagen, lehnen wir auf der anderen Seite die Verkürzung der Demokratie auf ihre parlamentarische Form entschieden ab. Nach unserer Auffassung bedeutet Gemeinsamkeit aller Demokraten die Verwirklichung von Basisdemokratie. Die parlamentarische Demokratie, Parlament, freie Wahlen, Mehrparteiensystem, verfassungsmäßig garantierte Grundrechte sind ein unverzichtbarer Teil von Basisdemokratie, von sozialer Demokratie, aber eben nur ein Teil davon; und wir stimmen nicht in die sogenannte Gemeinsamkeit aller Demokraten ein, die unter Demokratie bewußt nur parlamentarische Demokratie verstehen wollen.
({5})
Jeden Morgen, fünfmal die Woche, verläßt jeder abhängig beschäftigte Bundesbürger für acht Stunden den demokratischen Sektor der Bundesrepublik.
({6})
Von dem, was auf der parlamentarischen Ebene in der Bundesrepublik selbstverständlich ist,
({7})
nämlich nach der Verfassung die freie Teilnahme jedes einzelnen Wahlbürgers an der Politik - nach der Verfassung! -, erleben wir in der betrieblichen Wirklichkeit das exakte Gegenteil. Jeder abhängig Beschäftigte erlebt Tag für Tag und Jahr für Jahr und ein Leben lang das Diktat der Unternehmer, ob er nun in einem privaten oder in einem öffentlichen Unternehmen arbeitet.
({8})
Ihm werden die Arbeitsbedingungen diktiert. Ihm werden die Produktionsziele diktiert. Es wird neuerdings mit Hilfe elektronischer Personalinformationssysteme ganz genau ausgeschnüffelt, wie er am Arbeitsplatz arbeitet. Damit wird die Kontrolle über seine Arbeitsweise immer dichter.
({9})
Das Argument, das in der Zeit, als sich die parlamentarische Demokratie durchsetzte, bei Reaktionären und Aristokraten und Vertretern des Adels gang und gäbe war, nämlich daß der gemeine Mann zur Teilnahme an der Politik gar nicht fähig sei, hält sich hartnäckig im Bereich wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Institutionen und wird gerade von denen gepflegt - dabei denke ich vor allem an die Koalitionsfraktionen -, die sich als Hüter der parlamentarischen Demokratie aufspielen. Unsere Auffassung ist, daß ein demokratischer Staat und ein Parlament als Ausdruck von Volkssouveränität niemals auf der Basis einer unfreien Wirtschaft existieren kann.
({10})
Die Herrschaft der Unternehmer und das Zwangssystem des angeblich freien Marktes und des Weltmarktes setzen sich - auch in den letzten anderthalb Jahren - auf vielfältige Weise bis in dieses Parlament fort. Die letzten aktuellen Erfahrungen dazu sind Buschhaus und die Erfahrungen mit dem Abgaskatalysator.
({11})
Wenn wir beispielsweise in der Ökologiedebatte radikale ökologische Schutzmaßnahmen im Bereich der Aluminiumindustrie fordern, kontert sie und sagt: Für uns ist es ein leichtes, unsere Produktion ins Ausland auszulagern, wo wir diesen Umweltauflagen nicht Genüge tun müssen, wenn das Parlament sie mehrheitlich beschließt. - Hier zeigt sich die relative Ohnmacht des Parlaments gegenüber wirtschaftlicher Macht, die über das Instrument der Kapitalflucht verfügt und es in der Vergangenheit oft genug eingesetzt hat.
Ein zweites Beispiel ist der Bundestagswahlkampf 1983, wo Unternehmer gegen die SPD und - damals schon - gegen angeblich rot-grüne Gefahren mit Briefen an ihre Arbeitnehmer zu Felde gezogen sind, in denen sie gesagt haben: Wenn ihr nicht den Aufschwung, d. h. eine bestimmte Partei wählt, sehen wir uns nicht in der Lage zu investieren. Sie haben mit einem Investitionsstreik gedroht.
Ein drittes Beispiel ist die Flick-Spendenaffäre als Spitze eines Eisbergs, die den korrupten Charakter dieser Republik deutlich macht,
({12})
wobei ich sagen muß, daß das, was zunehmend ans Licht der Öffentlichkeit kommt,
({13})
von denjenigen - da meine ich auch Vertreter Ihrer Fraktion -, die sich zum Anwalt von Parlamentarismus und der Republik machen,
({14})
unter den Tisch gekehrt wird. Sie zeigen damit Ihre eigentliche antirepublikanische Gesinnung, die darin besteht, daß Sie mißachten, was eigentlich „Republik" von seiner historischen Tradition her heißt,
({15})
daß nämlich die öffentliche Sache auch öffentlich verhandelt und damit kontrollierbar wird.
({16})
Sie verteidigen ein Wirtschaftssystem und die wirtschaftlichen Interessenten, die Tag für Tag und Jahr für Jahr die Republik mit Füßen treten und die Volkssouveränität in ihr Gegenteil verkehren.
({17})
Wir GRÜNEN im Bundestag sind dabei, den Doppelcharakter des Parlaments am eigenen Leibe zu erfahren.
({18})
Wir erfahren das Segensreiche des Parlaments, weswegen wir auch hier eingezogen sind, nämlich die Möglichkeiten der öffentlichen Aufklärung,
({19})
die Möglichkeiten der Kritik und die Möglichkeiten, der Öffentlichkeit politische Alternativen vorzustellen und damit an der politischen Willensbildung teilzunehmen.
Wir erfahren auf der anderen Seite an unserem eigenen Leib den Sog, mittels der parlamentarischen Teilhabe in das herrschende gesellschaftliche System integriert zu werden. Wo Regierungsteilhabe, ja sogar Ministerposten winken, scheint der Weg zu politischem Erfolg zu liegen.
Doch die Parlamentarisierung, auch der GRÜNEN, fordert ihren Preis. Diejenigen unter uns - das meine ich selbstkritisch an die Adresse der eigenen Partei -, die lauthals rot-grüne Koalitionen herbeireden, haben im Grunde schon - das kann ich bei sehr vielen nachweisen - den Kampf um die radikale gesellschaftliche Veränderung, um radikale Basisdemokratie, um die Verwirklichung der Sozialen Demokratie aufgegeben.
({20})
- Daß das so ist, Joschka Fischer, hängt nicht etwa an dem bösen Willen einzelner Parlamentarier in unserer Fraktion oder anderen Fraktionen, sondern es hängt an einem Sog zum sozialen Frieden, der von dem Parlament auf jeden ausgeht, der daran teilnimmt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Bitte schön.
Würden Sie mir zugeben, daß Ihre radikale Gesellschaft eine intolerante, reglementierte und somit unfreie Gesellschaft ist, in der wir alle nicht leben wollen?
({0})
Ich will mit der Beantwortung Ihrer Frage zum Schluß kommen, Herr Ertl. Wenn wir auf der einen Seite zum Parlamentarismus klar ja sagen und hier mitarbeiten,
({0})
dann sehen wir den Sinn darin, das Parlament zu nutzen, um außerparlamentarischen Bewegungen, die an einer radikalen Veränderung der Gesellschaft arbeiten, größeren politischen Spielraum zu geben. Ich sage Ihnen konkret, was wir damit meinen, Herr Ertl, damit Sie mich nicht mißverstehen. In der kommenden Woche werden etliche -
Herr Abgeordneter Stratmann, Sie haben Ihre Zeit längst voll ausgeschöpft. Ich kann also auch keine weitere Zwischenfrage zulassen. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
({0})
Ich denke, zur freien Debatte gehört zumindest die endgültige Beantwortung der Frage, Herr Ertl. Etliche von uns werden in der kommenden Woche in das Fulda-Gap fahren und sich an Behinderungen der NATO-Herbstmanöver beteiligen. Ich betone bewußt: an Manöverbehinderungen.
Herr Abgeordneter Stratmann, das ist keine ergänzende Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Ertl. Für diesen Zweck habe ich Ihnen noch einen Satz zugebilligt,
nicht aber um neue Ausführungen zu machen. Ich bitte, sich an die Ordnung des Hauses zu halten.
Bevor ich den Vorsitz abgebe, erteile ich dem Abgeordneten Fischer ({0}) für die Bezeichnung „Sie als bleifreier Hanswurst" einen Ordnungsruf.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({2}).
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
({0})
- Ich hätte ja gern gewußt, wer mit dem Zwischenruf gemeint war, aber das werde ich sicher nachher noch erfahren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Parlament ist gar nicht so schlecht wie seine Reputation, wenn es solchen sauertöpfischen Blödsinn verträgt, ohne aus den Fugen zu geraten, wie er soeben von dem Kollegen Stratmann vorgetragen wurde.
({1})
Ich muß Ihnen sagen, ich habe auch keine Selbstverständnisschwierigkeiten. Ich fühle mich im Plenum wohl, gehe so oft hinein, wie es geht, und wir alle wissen, daß es oft leider nicht geht. Das Schlimme ist, daß die Kameraden oben an der Fernsehkamera, die sich vorhin schon den Rumpf verbogen haben, um ja noch hinten ein paar leere Plätze zu erwischen, genausogut wie wir wissen, warum wir oft nicht hier sein können.
({2})
Der Herr Bundestagspräsident Dr. Barzel pflegt jungen Kollegen, die ihn fragen, gelegentlich den Rat zu erteilen: So lange auf den Vorstand schimpfen, bis man selber drin ist.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß manche der Initiatoren dieser heutigen Debatte so lange über mangelndes Rederecht geredet haben, bis sie den Trick gefunden haben, sich heute hier einmal ausführlich auszulassen.
({4})
- Regt euch ruhig auf! Ich habe auch hier mit Vergnügen zur Kenntnis genommen, Herr Duve, welche fabelhaften Ideen jemand zur Begründung finKlein ({5})
den kann, daß er selbst bei dieser Debatte nicht frei spricht.
({6})
Ich habe eine ganze Serie von Erklärungen dazu gehört.
Ich möchte gern ein paar Sätze zu dem Thema Verhältnis zwischen Presse und Parlament, Verhältnis zwischen Medien und Parlament sagen.
({7})
Der Alterspräsident Herbert Wehner hat am 4. November 1980 zur Eröffnung der 9. Periode
({8})
eine Collage aus Reden seiner Vorgänger - Paul Löbe, Marie-Elisabeth Lüders, Robert Pferdmenges, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard - hier vorgetragen. Ich erinnere mich sehr gut, wie er folgendes Zitat von Paul Löbe verlesen hat:
Ich begrüße auch die Vertreter der Presse, füge daran aber die Bitte, ihre Berichterstattung und ihre Kritik nicht in Sensationen und Zwischenfällen zu suchen, sondern die praktische Arbeit des Bundestags zu würdigen.
Im Protokoll steht „Beifall bei allen Fraktionen", und ich erinnere mich gut an die Stärke des Beifalls bei allen Fraktionen an dieser Stelle.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte bei diesem Beifall ein bißchen das Gefühl, hier bricht sozusagen einmal die geknechtete Seele des Abgeordneten, der sich von den Medien mißverstanden fühlt, auf.
Die praktische Arbeit würdigen: Natürlich werden die Journalisten sofort bereit sein, über die praktische Arbeit zu berichten, wenn sich diese nicht in gestelztem, unverständlichem, unverkäuflichem, langweiligem Fachjargon vollzieht, wenn auch unsere Gesetze für die Bürger lesbar bleiben.
Berichterstattung nicht in Sensationen suchen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle reagieren, jeder Mensch reagiert doch auf das Ungewöhnliche stärker als auf das Normale und Gewöhnliche. Es gehört nun einmal zu den inneren Gesetzmäßigkeiten der Presse, daß sie auf das Ideenreiche, auf das Originelle, auf das Ungewöhnliche - selbst die etwas faden Ideen der Grünen haben ja eine Zeitlang Publizität bekommen ({10}) stärker einsteigt.
({11})
Aber, meine Damen und Herren, diese innere Gesetzmäßigkeit hat natürlich auch eine Kehrseite. Ich will nicht verschweigen, daß es diese Kehrseite ist, die auch mich bedrückt. Es gibt einen zynischen Agenturspruch, der heißt: „good news is no news, bad news is good news", gute Nachricht ist keine
Nachricht, schlechte Nachricht ist gute Nachricht. Nach diesem Prinzip in der Berichterstattung zu verfahren, auch in der Berichterstattung über ein Parlament, kann für den Parlamentarismus Gefahren bergen.
Ich stelle jetzt wieder an unsere Adresse die Frage: Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bringen wir denn den gleichen Mut, die gleiche Courage auf, die unsere parlamentarischen Vorväter hatten, als sie sich gegen unkontrollierte, willkürliche Monarchenherrschaft mit Konstitutionen durchzusetzen versucht haben, oder ducken wir nicht weg vor der unkontrollierten, willkürlichen Beurteilung durch eine Macht in unserem Staate, die sich in vielen Punkten, in vielen Fragen genauso despotisch zu gebärden anschickt, wie es früher Monarchen getan haben?
({12})
- Herr Duve,
({13})
Sie können sich mit solchen Zwischenbemerkungen schon ein bißchen an die empfindlichen Journalisten anschmeißen; ich bin aber ein Mann, der sich Kritik gefallen läßt, der sich aber auch die Freiheit nimmt, Journalisten, die unsaubere, schlecht recherchierte Arbeit leisten, dafür ebenfalls zu kritisieren.
({14})
Dem, der sich diese Freiheit selber versagt, wird sie bald sehr arg eingeengt werden;
({15})
dann werden nämlich nur noch Menschen über uns berichten und über uns urteilen, die keine Rücksicht darauf nehmen, welche Kräfte zu 90 % gewählt wurden, sondern sie werden dann vielleicht mit Hilfe von Monopolstellungen einige der Ideale zu verwirklichen trachten, wie sie Herr Stratmann vorhin verkündet hat, und dann wären wir an dem Punkt, daß wir sagen können: Alle Gewalt
({16})
geht von 5,6 % Grünen aus. Ich bedanke mich.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will - weil das eine Debatte sein soll - versuchen, auf einiges von dem einzugehen, was Herr Kollege Stratmann gesagt hat. Ich verstehe gut, daß eine neue Fraktion, eine neue Partei versucht - auch in einer solchen Debatte -, uns anderen erst einmal einen überzubraten und ihre Kritik an dem loszuwerden, was wir politisch gemacht haben, auch daran wie wir das Parlament bisher verstanden haben.
Hätten wir in den vergangenen Jahren alles richtig gemacht, wären Sie gar nicht hier.
({0})
Insofern hören wir sorgfältig zu und nehmen Ihre Kritik ernst. Ich hoffe auch, daß wir die Frage, ob es plebiszitäre Elemente, Elemente direkter Mitwirkung in der Politik geben kann, in dieser Ad-hocKommission diskutieren, um auch damit das Parlament zu stärken.
({1})
Wir sehen - ich jedenfalls - mit großer Sympathie Ihre Bemühungen, sich hier zurechtzufinden. Ich finde es bemerkenswert - das muß ich einmal den Kollegen, die darauf mit viel Häme eingehen, sagen -, wie eine kleine Fraktion, die ganz neu anfängt und bei der nicht schon 80 % da sind, wenn man neu dazukommt, hier versucht, mit dem Instrument Parlament klarzukommen. Daß da nach unserer Meinung manches ziemlich schief herauskommt - na gut! Sie lernen j a allmählich - das zeigt sich j a auch an Ihrer abnehmenden Präsenz im Plenum -, wo die Arbeit im Parlament getan wird. Sie werden auch noch lernen, daß man mit Basisdemokratie allein so schwierige Themen wie das Bundesbaugesetz, Immissionsschutz oder Personalausweisgesetz nicht bewältigt, sondern daß es dazu auch eines gehörigen Maßes an Professionalismus bedarf, nämlich solcher Leute, die ihr Geschäft verstehen.
({2}) Wir wollen also Ihre Kritik hier ernst nehmen.
Jetzt will ich etwas zum Verständnis des Plenums sagen. Sie - die Grünen - sind ja auch mit der Kritik hergekommen: Die Kerle kassieren nur und sind nie da. - Diese Kritik am Plenum signalisiert ein Mißverständnis von Parlamentarismus. Offenbar glauben auch viele Journalisten - wahrscheinlich haben sie das bei ihren Gemeinschaftskundelehrern gelernt -, daß die Sache hier im Plenum so abläuft: Wir reden miteinander, und wer besonders gut redet, überzeugt die anderen, und dann stimmen die so ab; hier würde also in Rede und Gegenrede entschieden.
Die Wahrheit ist ganz anders: Wir reden hier am Schluß eines Verfahrens, in dessen Verlauf wir über Monate, manchmal über Jahre in den Fraktionen, in Arbeitsgruppen und in den Ausschüssen ein Gesetz beraten haben. Oft nimmt im Ausschuß die Mehrheit einen Gedanken der Minderheit auf und die Minderheit sagt j a dort auch nicht immer nur nein. Wenn wir dann lange darüber beraten und schließlich entschieden haben, kommen wir ins Plenum und tragen hier vor, warum die einen so und die anderen so abstimmen. Das heißt: Hier legen wir der Öffentlichkeit noch einmal unsere Argumente vor. Ich finde es immer lustig, wenn ein Journalist schreibt, hier würden Fensterreden gehalten. Dies ist genau die Funktion des Plenums! Der Plenarsaal ist das Fenster des Parlaments zur Öffentlichkeit.
({3})
Und es ist dann auch nicht notwendig, daß sich ständig alle am Fenster drängeln. Das heißt: Es muß hier gar nicht dauernd voll sein; die Qualität einer Debatte ist nicht abhängig von der Präsenz. Ich habe hier schon sehr gute Debatten mit kaum 10 % der Abgeordneten erlebt.
({4})
Ich stelle mir aber oft die Frage, ob wir das Plenum nicht mit der Überfrachtung von Themen, die eigentlich hier nicht hergehören, kaputtmachen. Natürlich sind wir in der Gesetzgebung sehr gut. Zum einen kommen viele von uns aus dem öffentlichen Dienst, und auch die vielen Juristen tragen dazu bei. Das, was man gut kann, macht man gern. Deshalb sind wir ein gutes, Gesetzgebungsparlament. Wie aber steht es mit unserem Beitrag zur politischen Meinungsbildung in diesem Land, mit unserem Beitrag zur politischen Kultur? Da möchte ich einen Vorschlag aufgreifen, den die Enquete-Kommission vor einigen Jahren zur Entlastung des Parlaments gemacht hat. Ich habe mir - jetzt muß ich doch einmal auf meinen Zettel gucken - entschuldigen Sie bitte; mit Genehmigung des Präsidenten will ich das ablesen
({5})
- ich weiß - herausgeschrieben, was wir am 7. und 8. Juni hier verhandelt haben: Europapolitik, Asylverfahren, Bundeszentralregister, Richtergesetz, Handwerksförderung in der Dritten Welt, Lage in Afghanistan, S-Bahn im Ruhrgebiet, deutsch-polnische Beziehungen, NATO, Milcherzeugung, Emissionsschutz, Waschmittel, Altöl, Abwasser, Dioxin und Änderung des Grundgesetzes - dies alles in zwei Tagen. Mit solchen Tagesordnungen schlagen wir das Plenum, uns selbst und unsere Zuhörer ka- putt.
({6})
Der Vorschlag, den ich hier aufgreifen möchte, geht dahin, am Ende einer Gesetzesberatung mit dem federführenden Ausschuß und den beratenden Ausschüssen eine öffentliche Ausschußsitzung zu machen, in der wir das Gesetz in die Form bringen, in der es dann im Plenum verabschiedet wird. Dort in der öffentlichen Ausschußsitzung soll dann die Fachdebatte geführt werden. Es sind doch diese Fachdebatten, die uns hinaustreiben, weil hier noch einmal Ausschußreden gehalten werden. Eine öffentliche gemeinsame Sitzung der beteiligten Ausschüsse könnte das Plenum entlasten. Dort würden wir dann auch ein bißchen mehr aufeinander eingehen. Ich finde es schäbig, wie die federführenden Ausschüsse oft mit den Voten der mitberatenden Ausschüsse umgehen.
({7})
Das wird so weggewischt: Die haben doch keine Ahnung; wir sind die Federführenden, wir machen das. Eine gemeinsame Sitzung der beteiligten Ausschüsse würde die unterschiedlichen fachlichen Argumente zur Geltung bringen und aus dem Plenum vieles herausnehmen, was nicht hierhergehört.
({8})
Wenn wir dann im Plenum mehr politische Debatten führen, wenn das Volk sieht, daß es hier vertreten wird, daß nicht nur wir die öffentliche Debatte beeinflussen, sondern uns auch von dieser Öffentlichkeit beeinflussen lassen, wenn wir hier auch einmal ohne Große Anfrage und ohne Antrag und Abstimmung miteinander reden - wie es weitergeht mit dem Energieverbrauch, ob wir wegen des Kabelfernsehens Angst haben oder was die Gentechnologie möglicherweise bedeutet, wenn wir hier so miteinander reden, daß sich die Vertretenen mit ihren Problemen hier wiederfinden, dann werden sie uns auch besser zuhören.
Deswegen möchte ich Sie bitten, diese Überlegungen, am Schluß der Ausschußarbeit eine gemeinsame öffentliche Ausschußsitzung zu machen und damit mehr Raum für die politische Debatte im Plenum zu schaffen, mit uns in den weiteren Debatten zu prüfen.
({9})
- Das ist sicher auch eine Frage des Transports dessen, was hier gesagt wird nach draußen. Aber ich sehe uns in einer Wechselbeziehung. Vieles von dem, was von draußen kommt, soll j a auch hier wieder ausgesprochen werden. Ich will, daß meine Wähler, wenn ich hier einmal rede, das Gefühl haben: Der spricht etwas aus, was wir ihm gesagt haben. Und umgekehrt will ich die Debatte meiner Wähler beeinflussen.
Ich komme zum Schluß. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich möchte ihn nicht als weiße Salbe oder als an den Ältestenrat überwiesen verstehen. Viele von uns sind unglücklich und unzufrieden über die Arbeitsweise des Parlaments, nicht nur über die Arbeitsweise des Plenums. Wir sollten das ändern, und wir wollen das ändern. Wir werden dahinterher sein. Wir werden, wenn die Ad-hoc-Kommission zustande gekommen ist, Sie unterstützen, Herr Präsident, damit sich dieses Parlament in einer Gesellschaft, die sich wandelt, auch selbst reformiert und seine Aufgaben besser wahrnehmen kann, als es das heute tut.
({10})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, daß wir Gäste haben. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des Althing der Republik Island Platz genommen.
({0})
Den isländischen Kollegen gilt unser herzlicher Gruß. Ihr Besuch unterstreicht die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern und Parlamenten. Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen einen guten und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Nun hat Herr Abgeordneter Ertl das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann hat mich bewogen, etwas zu sagen. Herr Stratmann, ich habe schon durch meine Frage angedeutet, daß ich die Welt ganz anders sehe, vielleicht deshalb, weil ich selber mehr Radikalität erlebt habe als Sie. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Ich habe unter radikalen Verhältnissen gelebt und sage: Nie wieder! Ich lebe wahnsinnig gern in unvollkommenen Verhältnissen in Freiheit. Ich will keine perfekte Politik. Ich will eine menschliche Politik, die natürlich nicht frei von Fehlern ist. Aber ich will keine nur mit Fehlern versehene Politik. Sie soll so gut wie möglich sein. Politiker brauchen nicht allwissend zu sein, müssen dafür aber frei und verantwortungsbewußt in diesem Land handeln.
({0})
Dies unterscheidet meine Generation von der jüngeren. Ich möchte das wirklich im Dialog sagen. Ich begrüße, daß es heute einmal Zeit ist, in diesem Haus miteinander im Dialog zu reden.
Wer wie ich als 20jähriger die Stunde null im materiellen und im ideellen Sinn erlebt hat und suchen mußte, der empfindet es als beglückend, in einer Welt wie heute, in aller Unvollkommenheit, mit Umweltschäden, mir rasenden Autos, aber hoch menschenwürdig, zivilisiert und kultiviert leben zu dürfen.
({1})
Das hat dieser Staat, diese Gesellschaft geschaffen. Das ist die Gefahr mit Radikalität. Ich warne. Wer die neuere Geschichte kennt - ich bin nicht derjenige, der immer mit neuerer Geschichte und den 13 Jahren operiert -, wer den Geist des Totalitarismus kennt, der weiß: Es beginnt mit Radikalität, und am Ende steht die Unfreiheit.
({2})
Deshalb möchte ich das freie Parlament. - Herr Duve, ich wundere mich gar nicht, wenn Sie den Kopf schütteln. Die Schreibtischtäter stehen am Anfang; die primitiven Menschen vollziehen dann die fürchterlichen Taten von Schreibtischtätern. Das ist auch eine historische Erfahrung.
({3})
- Da ziehe ich gar nicht die Bremse an. Das ist historisch belegbar. Es wäre viel besser, Sie würden sich mehr mit der Geschichte auseinandersetzen und würden dann schätzen.
Das folgende sage ich jetzt zu diesem Parlament. Das ist sicherlich ein Parlament von Menschen, gottlob mit allen guten und schlechten Seiten. Mir wird in diesem Parlament viel zu wenig gelacht.
({4})
Für mich ist das alles viel zu tierisch ernst, zu radikal ernst. Aber das kommt davon, wenn man die Welt immer ändern will, dann hat man nicht einmal mehr Zeit zum Lachen.
({5})
Ich kann auch hinzufügen: Dann vergeht wahrscheinlich dem normalen Bürger das Lachen. Das kommt hinzu.
({6})
Herr Abgeordneter Ertl, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve gestatten?
Herr Duve, bitte.
Herr Kollege Ertl, finden Sie es nicht auch richtig, in einer solchen Debatte dann, wenn Sie eine Meinung nicht teilen wie die des Kollegen Stratmann, nun nicht jedesmal den großen Zampano des Totalitarismus hier herbeizuziehen und eine Debatte zu eröffnen, die Herr Stratmann überhaupt nicht gemeint hat?
({0})
Auch ich war nicht mit dem einverstanden, was er gesagt hat. Aber wir kommen in Teufels Küche mit diesem Parlament, wenn bei jeder Forderung nach Veränderung gleich die Warnung vor dem Totalitarismus hier erhoben wird. Das geht nicht.
({1})
Herr Duve, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für diese Zwischenfrage. Ich sage Ihnen wirklich aus dem Verfolgen von Debatten und Beiträgen und auch aus der Tendenz, wie ich Herrn Stratmann interpretiert und verstanden habe, und aus dem, was ich lese: Ich lebe in der Angst, daß durch permanente Schwarzweißmalerei, durch totale Reformsucht zur Veränderung, zur radikalen Veränderung um jeden Preis am Ende als Logik und Handeln der Totalitarismus stehen wird. Dies ist meine latente Angst im Jahre 1984. Die habe ich vor zehn Jahren in diesem Umfang in diesem Lande nicht so gehabt.
({0})
Daher bin ich Ihnen außerordentlich dankbar für diese Frage. Ich komme jetzt wieder zu einem gemütlicheren Teil. Aber wir sollten uns alle miteinander prüfen, Sie wie ich. Ich gehöre auch noch zu den Leuten, die kritisch darüber nachdenken, was sie machen; denn ich lebe in- dem Bewußtsein: Wenn es überhaupt eine Verantwortung gibt, dann ist es die Verantwortung, über seine eigenen Fehler nachzudenken, wo immer man handelt.
Ich möchte jetzt zwei Bemerkungen aus meiner Erfahrung im Parlament machen. In jenen Jahren habe ich erlebt, daß die freie Rede zwar immer beschworen wurde, aber immer weniger wurde.
({1})
Zur freien Gesellschaft, zum freien Parlament gehört die freie Rede, auch für Bundeskanzler und Bundesminister.
({2})
Ich sage Ihnen: Für mich war das Schlimmste in all den Jahren, als ich hier Bundesminister war, daß ich gezwungen war, Reden von Referenten vorzulesen. Ich möchte mich nicht mit dem Geist anderer schmücken. Jeder Verantwortliche muß selber Geist haben und selber mit Geist vortragen können.
({3})
Ich gebe zu, daß man für Grundsatzerklärungen einmal zehn Minuten braucht. Was ich jetzt sage, richtet sich an das Parlament, an die Fraktionsvorsitzenden, an alle. Es ist doch schandbar, daß jeder tagelang Mitarbeiter braucht, um dann hier eine halbe Stunde Vorlesung zu halten. Das hier sollte der Ort des Dialogs, der freien Rede und der freien Gegenrede, werden. Dann gibt es auch nicht soviel Sich-Einstellen auf das Fernsehen. Denn dann muß man ad hoc reden und kann sich nicht so präparieren und darauf achten, wie man ankommt. Denn eines der Übel der Demokratie ist die Frage: Wie komme ich an? Ich sage Ihnen: Dabei kommt die Sache zu kurz. Eine Demokratie wird im Höchstmaß verantwortlich geleitet durch Sachverstand und durch Sachentscheidungen. - Das ist der erste Punkt - freie Rede, Gegenrede, Dialog, hart oder auch einmal zahm, wie auch immer; aber das muß die Methode sein.
Meine Erfahrung in meinem parlamentarischen Leben ist: Die erste Lesung kann man sich mit ganz geringen Ausnahmen sparen. Da werden Grundsatzerklärungen, vorbereitete Erklärungen abgegeben. Sie machen das Parlament nicht lebendig. Es gibt Themen, bei denen vielleicht eine erste Lesung notwendig ist. Es ist eine wichtige Aufgabe des Ältestenrats, zu prüfen: Wo kann man auf erste Lesungen verzichten und dafür dann in der zweiten Lesung einen breiteren Raum der detaillierten wie auch der grundsätzlichen Materie widmen? Das gilt natürlich auch für das Verhältnis Regierung/Parlament.
Dritte Bemerkung: Wer so lange ein Ministerium geführt hat wie ich, weiß, daß die Verwaltung dem Parlament natürlich haushoch überlegen ist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten der Änderung: eine zusätzliche Ausstattung des Parlaments oder - was ich eher befürworten würde - das Ministerium hat nicht einem Minister allein zu dienen, sondern hat in gleicher Weise dem Parlament, d. h. auch jedem Parlamentarier zu dienen. Das heißt ganz konkret: Wenn ich Zahlen über Irland haben will - aus welchen Gründen -, muß mir das Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium, wo diese Zahlen zu bekommen sind, genauso zur Verfügung stehen wie dem Minister. Das ist nicht überall so. Ich glaube, das würde den Informationsfluß erleichtern und die Ausschußarbeiten beschleunigen.
Das wollte ich am Schlusse sagen. Ich glaube, es war nützlich, darüber einmal zu diskutieren.
Aber was mir ganz besonders am Herzen liegt -entschuldigen Sie, daß ich das noch sage -: Ich bin froh, in einer solchen Zeit unter solchen Umständen in einer solchen Demokratie in einem solchen Parlament leben und arbeiten zu dürfen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ansehen des Parlaments zu stärken ist eines der Ziele unserer heutigen Debatte. Das Ansehen wird auch von der äußeren Gestalt seiner Parlamentsgebäude geprägt. Lassen Sie mich deshalb dem bunten Strauß, den der Herr Bundestagspräsident von dieser Debatte erwartet, ein paar Bemerkungen über diese äußere Gestalt des Parlamentes hinzufügen.
Ein Parlament ist mehr als eine Ansammlung von Sitzungssälen und von Büros. Mehrere Hunderttausend Besucher in jedem Jahr bilden sich ihr Urteil über den Deutschen Bundestag auch nach dem äußeren Eindruck, den sie bei ihrem Besuch in Bonn bekommen.
({0})
- Herr Kollege Fischer, ich glaube, leider ist das Langweiligste an Bonn das Regierungsviertel.
Was finden sie heute vor? Heute finden sie hier ein unansehnliches Gewirr von Büros und Tagungsräumen vor. Sie erreichen die Tribüne des Bundestags nur über Hintertreppen. Schon Adolf Arndt hat in seiner Schrift „Demokratie als Bauherr" im Jahre 1961 gesagt: „In den Anbauten und den Umbauten des Bundeshauses sehe ich das Elendeste, was man sich in Bonn nach 1945 geleistet hat."
Jede Kreisverwaltung, jede Sparkasse, jeder Privatmann achtet darauf, Besuchern und Betrachtern seines Hauses den Eindruck eines Mindestmaßes von der Bedeutung zu vermitteln, die der Bauherr sich selbst beimißt. Auch die Bauplanung des Parlaments muß deshalb - ich zitiere den Herrn Bundestagspräsidenten - der Selbstachtung des Parlaments entsprechen.
Sein Vorgänger, Bundestagspräsident Stücklen, hat im Plenum zur 30. Wiederkehr des Tages des ersten Zusammentritts des Deutschen Bundestages ausgeführt:
Nur ein Staat, der durch eine würdige Selbstdarstellung Selbstachtung zum Ausdruck bringt, erfreut sich der Hochachtung und der Zuneigung seiner Bürger.
Auf den Deutschen Bundestag trifft in besonderer Weise zu, was der frühere Hamburger Bürgermeister Weichmann von Bonn als Sitz von Parlament und Regierung gesagt hat: Er ist das Aushängeobjekt im Schaufenster des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland, das zum Eintritt einlädt oder eben auch nicht.
({1})
Das Bundeshaus ist in den 35 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland gewissermaßen zum Symbol unserer Demokratie geworden. Es wird im Fernsehen gezeigt, nicht nur bei den Plenardebatten, sondern auch von außen als Motiv, wenn über Bonn und über die Bundespolitik berichtet wird. Auch die äußere Gestalt des Bundeshaus hat deshalb eine bewußtseinsbildende Kraft.
({2})
Das gilt auch für das Bewußtsein derer, die in diesem Hause arbeiten. Jeder Unternehmensberater weiß, daß es erhebliche Wechselwirkungen zwischen der architektonischen Gestalt eines Gebäudes und der Arbeitsatmosphäre derer gibt, die in ihm zu tun haben. Es wird den Stil unserer Debatten mit prägen, wenn sich Redner und Zuhörer nicht mehr wie in einem Hörsaal frontal gegenüberstehen und -sitzen, sondern wenn sie gemeinsam in eine Debattenrunde einbezogen sind.
({3})
Lassen Sie mich ein Letztes auch als Abgeordneter des Wahlkreises Bonn sagen. Der Deutsche Bundestag hat als Bauherr auch eine städtebauliche Verantwortung gegenüber Bonn und seinen Bürgern.
({4})
Von jedem Kaufhaus, von jeder Bank erwarten wir heute auch einen städtebaulichen Beitrag bei der Gestaltung einer Stadt. So waren etwa die Kaufhäuser und Banken am Münsterplatz in Bonn selbstverständlich bereit, auf die besondere historische und städtebauliche Bedeutung dieses Platzes Rücksicht zu nehmen. Sie haben dafür sogar erhebliche Mehraufwendungen in Kauf genommen.
Das Parlaments- und Regierungsviertel, in dem der Bund der wichtigste Bauherr ist - ich komme auf das zurück, was Sie eben zwischengerufen haben - zeichnet sich nach Auffassung eines Architekturkritikers der „Frankfurter Allgemeinen" vom 9. Februar dieses Jahres bis jetzt durch eine „gutgeformte Gesichtslosigkeit" aus. Ich meine, Bonn und seine Bürger haben Anspruch darauf, daß der Bund und gerade auch der Deutsche Bundestag dort, wo die obersten Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland angesiedelt sind, einen städtebaulichen Beitrag auch zur Schönheit dieser Stadt leisten.
({5})
Dabei kommt, so scheint mir, der Gestaltung von Straßen, Plätzen und öffentlich zugänglichen Freiflächen als Erlebnisraum für Bürger und Besucher genausoviel Bedeutung zu wie der Architektur der Gebäude. Ich meine, es wäre verhängnisvoll, wenn wir der Gestaltung der Freiflächen gerade auch in unmittelbarer Umgebung des Deutschen Bundestages und im Eingangsbereich des Plenarsaals weniger Aufmerksamkeit widmen würden als den Gebäuden. Die Stadt Bonn hat mit dem Rheinauenpark als Vorgarten des Bundes Maßstäbe gesetzt,
an denen sich die Planungen des Bundes werden messen lassen müssen.
Herr Abgeordneter Dr. Daniels, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Drabiniok? - Bitte schön.
Herr Dr. Daniels, halten Sie diesen Platz für angebracht, in den Kommunalwahlkampf in NRW einzusteigen?
({0})
Herr Kollege, ich bin in der Tat der Überzeugung - das ist eine Erfahrung, die alle Staaten und auch alle Privatleute in der Geschichte immer wieder gemacht haben -, daß die äußere Gestalt eines Gebäudes von entscheidender Bedeutung für das Bewußtsein derer ist, die in ihm arbeiten, und auch für das Bewußtsein derer, die dieses Gebäude von außen betrachten.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir alle und sicher auch die Bonner wollen für die Bundesrepublik Deutschland eine Hauptstadt ohne Triumphbögen. Die Hauptstadt muß aber auch - und hier zitiere ich den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt
- ein Punkt der Selbstidentifikation der Bürger eines Staates sein können. Deshalb müssen gerade die Bauten der obersten Verfassungsorgane und insbesondere des Deutschen Bundestages mit der sicher notwendigen Bescheidenheit auch Würde verbinden.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat sehr viele Facetten.
({0})
Aber ich finde es doch etwas ungewöhnlich, daß sie dazu dienen soll, für einen Ort in der Bundesrepublik Kommunalwahlkampf zu betreiben.
({1})
Aber das ist sicherlich Geschmacksache. Und ich glaube, daß das aufgewogen wird durch viele sehr ernstgemeinte und gutgemeinte, aber auch einige sehr muntere Beiträge, die wir bisher hier gehört haben.
Ich will der Frage nachgehen, wie dieses Parlament sein Verhältnis zu den Medien, zu den Journalisten sieht und welche Probleme, welche Verzerrungen möglicherweise, über die Arbeit dieses Parlaments dadurch entstehen, daß Journalisten über unsere Arbeit so und nicht anders berichten. Ich hätte mich besonders gefreut, wenn die Pressetribüne noch so stark wie am Anfang der Debatte besetzt gewesen wäre.
({2})
- Ach, das war eine Besuchergruppe. - Ich werde auf den Punkt noch kommen.
Ich glaube, daß zum Verhältnis zwischen der ersten und der vierten Gewalt einige kritische Bemerkungen gemacht werden sollten, wobei ich nicht die Vorgänge meine, die vielleicht Herr Klein vorhin gemeint hat, wo Journalisten, vor allem in den letzten Monaten, in Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe Finger in die richtigen Wunden hier in Bonn gelegt haben.
({3})
Von diesen Vorgängen hatten wir eine ganze Reihe. Ich meine das in vielen Medien transportierte Bild des Parlaments, das viel zu teuer sei, in dem graue Mäuse nur ihren Lobbyistenverpflichtungen nachgingen oder im Restaurant herumlungerten, statt im Plenum zu sitzen. Ich möchte davor warnen, dies an die Adresse meiner Kolleginnen und Kollegen Journalisten, solche Vorurteile zu fördern. Solche Vorurteile könnten in der Bundesrepublik immer noch als antiparlamentarische Saat aufgehen.
({4})
Wer sich als Journalist die Mühe macht, hinter die Kulissen des Parlamentsbetriebs zu gucken - und viele tun das -, der weiß, daß die meisten Abgeordneten ziemlich fleißig sind und daß sich die meisten Abgeordneten auch bemühen, nicht zum Spielball und Aushängeschild von Interessengruppen draußen zu werden, von denen sie ferngesteuert werden. - Der Kollege Eigen widerspricht jetzt sofort. Aber er hat ja auch ins Handbuch geschrieben, wessen Interessen außer denen seines Wahlkreises er hier sonst noch vertritt. Wer als Journalist ehrlich ist, der weiß, daß der leere Plenarsaal auf manchem polemischen Foto überhaupt nichts über den Fleiß der Abgeordneten aussagt, und der weiß auch, daß Journalisten nicht immer dabei sind, so wie z. B. am vergangenen Freitag, als der Herr Oppositionsführer hier seine Rede in Erwiderung auf den Bundeskanzler in der Haushaltsdebatte hielt und als von den rund 600 beim Bundestag akkreditierten Journalisten nicht einmal zehn auf der Pressetribüne saßen. Sicherlich hatten die anderen etwas Wichtigeres zu tun. Aber was wäre gewesen, wenn an diesem Vormittag in diesem Parlament wirklich eine spannende Debatte zustande gekommen wäre,
({5})
wenn dieselben Journalisten immer behaupten, in diesem Parlament sei kein Leben?
({6})
- Die Frau Kollegin Blunck möchte mir gerne eine Zwischenfrage stellen. Bitte.
Sie darf es mit Ihrer Genehmigung, Herr Kuhlwein? - Denn man los.
({0})
Was gehen wir freundlich miteinander um. - Herr Kollege Kuhlwein, ich wollte nur wissen: Sind Sie in Kenntnis dessen, daß auf Nachfrage bei den Fernsehanstalten, warum sie die Plenardebatte zur Stellung und Arbeit des Deutschen Bundestages nicht live übertragen, von Herrn Nowottny, Studio-Leiter der ARD in Bonn, eine Erklärung gekommen ist, daß solche Debatten das Volk nicht interessierten, weil es nicht verstehe, worüber debattiert werde, und im übrigen die Debatte die internen Angelegenheiten des Bundestages betreffe.
({0})
Herr Nowottny ist ein freier Journalist, der für sich Pressefreiheit in Anspruch nehmen sollte. Herr Nowottny irrt, so wie manche andere Journalisten auch manchmal irren. Und es muß Politikern möglich sein, das Journalisten manchmal auch öffentlich zu sagen.
({0})
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen, um die Ausgewogenheit wiederherzustellen. Die Äußerung des ZDF war auch nicht viel besser. Aber die schreibenden Journalisten sind zahlreich vertreten.
Wenn das klar ist, können wir nur darauf hoffen, daß die schreibenden Journalisten die Bedeutung einer Debatte des Parlaments über seine Arbeit höher einzuschätzen wissen als die der Telekommunikation.
Journalisten beklagen manchmal, daß im Deutschen Bundestag zu wenig frei geredet werde, daß es zu wenig wirkliche Debatten gebe. Aber wie soll denn eine wirkliche Debatte zustande kommen, wenn die einzige Chance, mit seinem Beitrag in die Gazetten einzuziehen, darin besteht, daß man den Beitrag rechtzeitig am Morgen bei der Pressestelle abliefert?
({0})
Journalisten beklagen, daß es heute im Parlament zu wenig Talente gebe. Die Frage kann man natürlich auch umgekehrt stellen.
({1})
Aber wie sollen denn Talente entdeckt werden, wenn die Medien vor allem dann dabei sind, wenn die großen Kriegselefanten in den großen Debatten aufeinanderprallen?
({2})
Da die großen Kriegselefanten - darüber haben wir schon geredet - immer fast die ganze Redezeit in Anspruch nehmen, bleibt kaum noch etwas übrig für die Präsentation des Parlaments durch andere
Debattenredner. Wie soll es dann möglich sein, die guten Leute zu entdecken, die vielleicht in den späten Abendstunden, wenn die Journalisten längst Dienstschluß gemacht haben, wenn Redaktionsschluß ist und das Fernsehen längst abgeschaltet hat, die interessanten Argumente bringen, die leider nur im Protokoll des Deutschen Bundestages ihren Niederschlag finden, weil am nächsten Tag neue Nachrichten entstanden sind, die die alten von gestern überholt haben? Wie soll man denn da Talente entdecken?
Journalisten klagen über zu viele Hinterbänkler. Aber wie soll eigentlich ein Abgeordneter nach vorne rücken können, wenn sein Name nicht einmal bei der Berichterstattung über Fragestunden genannt wird, obwohl es doch seine kreative Arbeit war, eine Frage und Zusatzfragen zu entwickeln,
({3})
und manche Journalisten die Fragestunde als eine Verlängerung der Regierungspressekonferenz mißinterpretieren? Wie soll denn da einer die Möglichkeit haben, im Angesicht und im Ansehen der Öffentlichkeit von hinten nach vorne zu rücken?
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Noch ein Wort zu den Themen, mit denen man in die Gazetten kommt. Ich bedauere immer ein bißchen, daß Nachrichten aus Bonn vor allem dann zu produzieren sind, wenn es um Personalquerelen geht - das steht meistens an der Spitze - oder wenn es um Koalitionsspekulationen geht. In den Fällen kommt man, wenn man zu einer gewissen mittleren Hierarchie gehört, garantiert in die Presse. Außerdem kommt man in die Presse, wenn man sich abweichend verhält, wenn man gegen die eigene Fraktion diskutiert oder gar androht, man werde in einer Plenarsitzung dagegen stimmen. Ernst Waltemathe hat schon auf das Dissidentenproblem hingewiesen.
Ich glaube, daß vieles von der Arbeit dieses Parlaments deswegen in der Öffentlichkeit nicht genügend gewürdigt werden kann, weil sich viele Journalisten mit Sachen beschäftigen, die eigentlich nicht im Zentrum der politischen Arbeit und der politischen Auseinandersetzung stehen.
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Eine letzte Bemerkung zu einem Vorschlag, zu dem der Herr Bundestagspräsident eine Frage gestellt hat. Der Bundestag kann sich draußen auch durch die rund 70 000 Besucher darstellen, die auf Einladung von Abgeordneten jedes Jahr hierher nach Bonn kommen. Aber sinnigerweise werden die Reisen von einer Regierungspressestelle veranstaltet, und sinnigerweise beschränkt sich bei diesen Reisen, zu denen die Abgeordneten einladen, der Kontakt mit dem Parlament in aller Regel auf eine Stunde hier im Plenum - wenn überhaupt 6230
und auf vielleicht eine Stunde Gespräch mit Abgeordneten, weil rundherum zu wenig Säle dafür zur Verfügung stehen. Die Abgeordneten würden oft sehr viel länger mit ihren Gruppen reden. Aber die Säle sind hier nicht vorhanden.
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Dem stehen dann acht bis zehn Stunden bei Regierungsbehörden in den Ministerien gegenüber. Das sind acht bis zehn Stunden, wo gutwillige, aber weisungsgebundene Ministerialbeamte den Besuchern klarmachen, wie in Bonn eigentlich Politik gemacht wird. Sie haben vielleicht j a recht. Aber die Gäste der Abgeordneten nehmen diesen Eindruck mit nach Hause und entwerfen dort - weil sie Multiplikatoren sind - bei den Wählern und bei den Gruppen, aus denen sie kommen, ein Bild über die Parlamentsarbeit, das eigentlich dem Verfassungsrang dieses Hauses nicht entspricht.
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Wir sollten alles tun, um diese Reisen in die Regie des Deutschen Bundestages zu bekommen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Herr Präsident, ich möchte die Gelegenheit nutzen, vom Saalmikrophon zu sprechen. Denn auf diese Art und Weise erleben Sie und erleben wir alle, daß es im Grunde wenig sinnvoll ist, dieser Möglichkeit, die ja in der Geschäftsordnung gegeben ist, nachzukommen. Andererseits erachte ich es auch als wenig sinnvoll, sich nur nach vorn zu stellen, statt dann gleich nach oben zu gehen. Das Ergebnis ist wohl das gleiche.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der uns selber betrifft - wie ich überhaupt den Eindruck habe, wir haben hier heute nachmittag sehr viel theoretisiert, hohe, hehre Vorschläge im Hinblick auf Parlamentarismus in den Raum gestellt, dabei aber nicht bedacht, daß wir zumindest schon längst in der Lage gewesen wären, punktuell, Schritt für Schritt das eine oder andere zum Besseren zu wenden. Dies haben wir nicht getan! Ich greife mir da selbstkritisch an die Brust - selbstverständlich. Aber ich meine, es handelt sich um vieles, das wir hier hätten verändern können und verändern sollen.
Ich möchte insbesondere einen Punkt herausgreifen. Ich möchte den Punkt herausgreifen, der eng mit der parlamentarischen Kontrolle zusammenhängt. Das ist die Frage der Informationsmöglichkeit, die wir als Abgeordnete haben, um Aussagen, die die Regierung uns schriftlich oder mündlich weitergibt, in entsprechender Weise überprüfen, wenn Sie so wollen, kontrollieren zu können, und andererseits uns selbst in die Lage zu versetzen, selber kreativ - ich betone dies: selber kreativ - zu werden. Denn Kreativität ist doch in unseren Fraktionen, meine Kolleginnen und Kollegen, oftmals nur dann möglich, wenn es einem gelingt, listig in den Besitz des Fraktionsapparates zu kommen, oder wenn man bereits nach vorn vorgestoßen ist und sich in den Reihen der Ministerien frei bewegen kann, als Staatssekretär oder Minister. Dort ist es leicht möglich, zu zeigen, welche brillianten Ideen und Überlegungen man hat. Von dorther ist es dann auch sehr leicht, darzulegen, welcher Unfug aus den Reihen der einfachen Abgeordneten angeblich immer wieder nach oben dringt.
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Deswegen möchte ich uns hier in diesem Haus ansprechen und ganz konkret zwei Bereiche aufgreifen. In Amerika gibt es ein großangelegtes Büro, das eine größere Verwaltung hat, als der ganze Deutsche Bundestag hier an Verwaltung besitzt. Das ist das Office of Technology Assessment, eine Behörde, die zu nichts anderem da ist, als dem Kongreß, den Abgeordneten beider Häuser, hilfreich mit Kenntnissen, mit Aufarbeitung von Marterialien, mit Ausarbeitung von Kurzinformationen unter die Arme zu greifen, so daß diese Abgeordneten in der Lage sind, sich rasch und verläßlich kundig zu machen und selber vor dem Hintergrund dieser Informationen weiter Gedanken zu entwickeln. Wir haben dergleichen nicht, werden dergleichen wahrscheinlich auch nicht haben.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben ja etwas Ähnliches. Dies ist der Punkt, wo ich uns selbst kritisch anspreche. Wir haben die wissenschaftliche Dokumentation, wir haben wissenschaftliche Fachdienste hier in diesem Haus. Wir haben es allerdings in den vergangenen Jahren sträflicherweise vernachlässigt, über unsere Haushalter und über unsere Finanzpolitiker Sorge dafür zu tragen, daß wir uns das geeignete Instrumentarium schaffen, damit wir in etwa in der Lage sind, nachzuprüfen, was z. B. ein Agrarbericht in der Tat aussagt, oder daß wir aus unserer Sicht ausarbeiten können, in welche Richtung, etwa im Bereich des Umweltschutzes, wir uns selber bewegen wollen. Ich möchte einmal darauf hinweisen, daß wir es mit tüchtigen Leuten zu tun haben, die hier in diesem Haus tätig sind! Wir haben den wissenschaftlichen Gutachterdienst, einen Gutachterdienst, den wie ich meine, wir an sich noch stärker in Gebrauch nehmen sollten. Dieser Gutachterdienst ist aber jetzt schon maßlos überfordert angesichts der vielen Anfragen; er setzt sich aus knapp 50 höheren Beamten zusammen. Trotz der buhten Palette von schwierigen Themenbereichen, mit denen wir es zu tun haben, befindet sich darunter kein einziger Mediziner. Es befinden sich darunter zwei Naturwissenschaftler. Nun, meine Damen und Herren, gehen wir heran und bitten um die Ausarbeitung von Gutachten, und erfahren dann: Der eine Referent ist auf Erholungsurlaub, die andere Referentin ist unabkömmlich, der dritte Referent kann es nicht aufgreifen, weil er gleichzeitig vier bis fünf Gutachten auszuarbeiten hat.
Was will ich damit sagen? Es kann uns passieren, daß wir sechs, acht und noch mehr Wochen zu warWerner
ten haben. In der Zwischenzeit ist uns die Regierung natürlich davongelaufen.
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Das empfindet der Abgeordnete, der einer Oppositionspartei angehört, besonders. Aber auch wir, die wir in einer Regierungspartei sind, haben mit diesem Problem zu tun.
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- Herr Schöfberger, wenn der Herr Präsident damit einverstanden ist: ja.
Herr Abgeordneter an Saalmikrofon Nr. 10: Sind Sie mit einer Zwischenfrage des Abgeordneten an Saalmikrofon Nr.4, Herrn Dr. Schöfberger, einverstanden?
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- Sie sind einverstanden? - Also; bitte.
Herr Kollege, welche geheimnisvolle Macht beschert uns diese Zustände, und wer in dieser Republik wäre berufen, diese Zustände zu ändern?
Kollege Schöfberger, ich habe es eingangs gesagt: Hierzu berufen sind zunächst wir! Deswegen bitte ich, gerade mit dem Fingerzeig auf Zahlen, uns alle recht herzlich, den Überlegungen der betroffenen Beamten, die für uns, und damit auch für die Wählerschaft, wertvolle Arbeit leisten, in entsprechender Weise auch haushalterisch unter die Arme zu greifen.
Nun träume ich nicht davon, hier Gutachterdienste mit Hunderten von Personen aufzubauen. Das wäre schön, läßt sich aber in absehbarer Zeit nicht verwirklichen. Aber realisieren ließe sich ein Beschluß, pro Jahr zehn Stellen zusätzlich zu schaffen, so daß wir es eines Tages nicht mehr nur mit 50, sondern mit 100 Fachbeamten zu tun hätten, die uns unter die Arme greifen könnten. Das Problem ist eben - das ist vorhin schon von der Kollegin Skarpelis-Sperk angesprochen worden -: Die Ministerialbürokratie ist uns meilenweit voraus, sowohl bei der Aufbereitung der jeweils jüngsten dokumentativen Zugänge als auch bei der Ausarbeitung dessen, was wir im Hinblick auf die weitere Entwicklung unserer politischen Überlegungen haben wollen.
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- Sofern ich noch Zeit habe, Herr Abgeordneter: gern.
Herr Abgeordneter Werner, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Drabiniok.
Herr Kollege, Ihre Forderung nach einem Ausbau des Wissenschaftlichen Dienstes kann man unterschiedlich beurteilen. Halten Sie es nicht eher für angebracht, daß die Bundesregierung Untersuchungen und Gutachten, die vom Umweltbundesamt oder vom Bundesgesundheitsamt oder von dergleichen Stellen zu Formaldehyd, Abgasbegrenzung, Schadstoffbelastung usw. gemacht werden, veröffentlicht oder uns zur Verfügung stellt, statt sie in den Giftschrank zu legen?
Herr Kollege, ich finde es durchaus gut, wenn derartige Gutachten den Abgeordneten und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden - allerdings erst dann, wenn in entsprechender Weise der Prozeß der Stellungnahme und Auseinandersetzung innerhalb der zuständigen Ministerien erfolgt ist! Denn vorher wäre das, was stattfände, ein leerer papierener Abschlag, den ich als wenig sinnvoll erachte.
Herr Kollege Werner, Sie haben noch eine Minute. Es kommt eine weitere Zwischenfrage, und zwar von der Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher.
Ja; bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Werner, ist es nicht ebenso denkbar, Terminals großer Datenbanken, die aufgebaut worden sind, mehr nutzbar zu machen? Das ginge nämlich viel schneller als der Weg über die ganzen Planstellen.
Frau Kollegin, ich habe mich auch in dieser Richtung ein bißchen umgetan. Hier gibt es j a die dankenswerten Ansätze, die gerade vom Präsidium vorangetrieben werden. Aber auch hier ist es äußerst bedauerlich, wenn man sich als Parlamentarier dann sagen lassen muß: Wir sind noch nicht so weit, wie ihr es haben wollt, und zwar infolge eurer eigenen haushalterischen Handhabung und eurer eigenen Sparsamkeit. - Das sollten wir uns vor Augen halten!
Überhaupt sollten wir den Abend weniger mit Hochtrabendem verbringen, sondern uns an der Nase fassen, wo wir in diesem Haus die Arbeit miteinander und füreinander konkret verbessern können.
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Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
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Ja, ja. Danke schön!
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Ich bitte um Entschuldigung! Dann bringe ich von hier aus von uns allen einen Glückwunsch an. Man fragt ja in dem Zusammenhang nicht danach, der wievielte Geburtstag es ist.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Ich habe ein Manuskript; aber ich zolle meinen ausdrücklichen Respekt all denen, die frei gesprochen haben. Damit wir das aber alle üben können, bitte ich Sie gleich jetzt, meinen Vorschlag zu unterstützen, den ich vertrete: nämlich offene Debattenrunden einzuführen.
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Zweite Vorbemerkung. Ganz offensichtlich ist heute Heiterkeit sehr gefragt. Das ist ein gutes Zeichen für dieses Parlament.
Trotzdem möchte ich den, wie ich meine, doch sehr mutigen Versuch unternehmen, Sie wieder auf ein paar ernste Probleme zurückzuführen; denn das Gesamtthema, das wir behandeln, lohnt es.
Thema Nummer eins: Plenardebatte. Unsere Plenardebatten können nicht so bleiben, wie sie sind.
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Mit Recht erhalten wir bissige Kommentare, nicht nur in der Presse, sondern auch in der Bevölkerung, und zwar nicht deswegen, weil nicht kluge und richtige Dinge gesagt würden, sondern deswegen, weil andauernd das übliche, altgewohnte Ritual abläuft:
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Elefantenparade, abgecheckte Rednerlisten, breite Selbstdarstellung der Regierungsmitglieder und endlose Wiederholungen längst bekannter Positionen. „Bundestag zum Abgewöhnen" lautete einer der Kommentare nach unserer Haushaltsdebatte der letzten Woche. Das können wir uns hinter die Ohren schreiben.
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- Das haben andere schon gesagt, Herr Repnik, Sie haben recht. Konsequenz sind nicht nur leere Bänke im Plenum, sondern auch - und das ist höchst bedenklich - viel Irritation bei den Bürgern draußen.
Worüber reden die denn eigentlich, so wird man gefragt? Reden die wirklich über unseren Haushalt, reden die wirklich über unser Geld und darüber, wie es im nächsten Jahr am vernünftigsten und gerechtesten verwendet werden soll, oder geht es nicht vielmehr um Parteienhickhack? - Täuschen wir uns ja nicht! Je verbissener die wechselseitigen Attacken ausfallen, je fremder die Sprache ist, in der wir so gekonnt aneinander vorbeireden, desto mehr verbreitet sich bei den Bürgern das dumpfe Gefühl, daß da gar nicht so unbedingt ihre Sache abgehandelt wird. Sie haben es gründlich satt, zu jedem Problem immer wieder dieselben vorgefertigten Meinungsschablonen serviert zu bekommen.
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Das Ergebnis ist eine spürbare Entfremdung. Manche nennen es auch Parteien- und Parlamentsverdrossenheit. Hier muß sich einiges ändern. Es wäre schon viel geholfen, wenn im Plenum eine größere Palette der Meinungen und Individualitäten
sichtbar würde, wenn also offene Debattenrunden stattfinden könnten.
Wir leben nun einmal in einer pluralistischen Gesellschaft. Was ist da natürlicher, als daß der Bürger auch mehr Pluralität von seinem Parlament erwartet! Es glaubt doch keiner im Ernst, daß es in 520 verschiedenen Köpfen nur 20, am Ende gar nur drei verschiedene Meinungen gäbe. Natürlich müssen klare Entscheidungen fallen. Sie fallen in den Fraktionen und in den Ausschüssen. Sie müssen auch vertreten werden. Sie müssen auch durchgehalten werden. Das steht aber keineswegs im Widerspruch zu der Forderung, auch im Plenum mehr Vielfalt zu zeigen, die Aspekte und Positionen offenkundiger zu machen, als dies heute geschieht.
Ein Weg dazu ist eben das individuelle Rederecht für den Abgeordneten. Vorgeschlagen wird von der interfraktionellen Initiative, einen Teil der Redezeit - mindestens aber 30% - für offene, von den Fraktionen nicht verplante Redezeiten freizuhalten, d. h. für spontane Wortmeldungen direkt aus dem Plenum.
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Damit könnte gleichzeitig dem einzelnen Abgeordneten auch wieder ein Stück Bewegungsfreiheit zurückgegeben werden, ein Recht, das er heute nicht selten schmerzlich vermißt.
Das Plenum würde mit Sicherheit auch spannungsreicher, interessanter, lebendiger. Man könnte noch einmal auf den vorherigen Redner eingehen, Argument gegen Argument setzen. Je intensiver alle Aspekte ausgeleuchtet werden, je komplexer Entscheidungen begründet werden, desto überzeugender würde das Parlament auch gegenüber dem sehr kritischen und aufmerksamen Bürger erscheinen. Das sollten wir nicht geringschätzen.
Frau Kollegin Hartenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordenten Collet?
Das ist eine Frage der Zeit. - Danke schön.
Was verschlüge es denn, wenn auch einmal ein Ausrutscher passierte? Was verschlüge es denn, wenn einmal einer aufstünde und bloß mit persönlichen Worten seine Betroffenheit zum Ausdruck brächte, bloß einmal zeigte, wie schwer es heute ist, überhaupt noch Problemlösungen zu finden, oder offen und ehrlich darlegte, daß er weder die eine noch die andere Entscheidung voll mittragen kann? Er würde der Glaubwürdigkeit des Parlaments mehr nutzen als manche rhetorisch noch so brillante Attacke auf den politischen Gegner. Die Bevölkerung soll doch durchaus erkennen können, daß hier Menschen aus Fleisch und Blut sitzen, mit eigener Meinung und eigenem Gewissen, so wie es der Art. 38 des Grundgesetzes will. Auch unter Inkaufnahme mancher Risiken wäre das, weitaus besser als die heute übliche, oft allzu lähmende und allzu glatte Routine des Parlamentsbetriebs. Es tut also not, die Schleusen zu öffnen. Das ist unsere
Bitte an den Herrn Präsidenten, an die Fraktionen, an die Parlamentsgremien. „Sire, geben Sie mehr Redefreiheit", könnte man in Abwandlung des DonCarlos-Wortes sagen.
Drei Minuten bleiben mir noch. Ich will versuchen, ein Zweites anzusprechen, was meines Erachtens not tut. Mit großem Interesse, mit großer Freude habe ich gehört, daß mein Fraktionsvorsitzender die Stellung des einzelnen innerhalb, zwischen und gegenüber den Apparaten bereits angesprochen hat. Ich will jetzt nicht Streit anfangen
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- ich habe gar keine Zeit dazu -, aber ich meine, wir sollten es uns nicht ersparen, auch ein paar unangenehme Wahrheiten auszusprechen.
Selbstverständlich muß sich ein großes Parlament auch organisieren, wenn es funktionieren soll. Selbstverständlich müssen sich die Angehörigen derselben Partei in Fraktionen zusammenschließen, wenn politische Willensbildung stattfinden soll. Das ist legitim, das ist nötig. Dennoch besteht ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen dem einzelnen und den von uns selbst geschaffenen Apparaten. Nimmt man den Art. 38 des Grundgesetzes beim Wort, so sagt er klar und deutlich, daß weder die Fraktionen noch gar die Parlamentsgremien, sondern nur die Abgeordneten einen Verfassungsauftrag haben. Sie werden als Volksvertreter ins Parlament entsandt, weil man ihnen zutraut, Urteilsvermögen zu haben, die Lebensverhältnisse zu kennen, weil man ihnen zutraut, Verantwortung tragen zu können, und weil man ihnen sogar zutraut, Ideen zu haben, wie man Probleme lösen kann. Aber was wird aus diesen komplexen, ausgewählten und gewählten Individuen oft, wenn sie in die Parlamentsmaschinerie geraten? Sie werden zusammengedrückt, plattgedrückt wie eine Flunder.
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Zunächst einmal geschieht das dadurch, daß man sie sehr schnell zu Experten befördert. Der eine hat nur zum Schwerbehindertenrecht zu reden, der andere nur zum Lärmschutz und der dritte nur zur Seerechtskonferenz. Ist es nicht ein seltsamer Widerspruch, daß derselbe Mann oder dieselbe Frau, die im Wahlkreis und auch sonst in der Öffentlichkeit über alle Politikbereiche Bescheid wissen sollen, die zu allen aktuellen Problemen Rede und Antwort stehen sollen, im Parlament - ich sage es einmal hart - stets in Gefahr geraten, zu einer Programmnummer verkürzt zu werden?
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Nichts gegen eine vernünftige Arbeitsteilung, die sein muß. Arbeitsteilung ja, aber Schubkästchendenken nein. Ich bin gegen den politischen Fließbandarbeiter, der nur noch an einem Rädchen drehen darf. Das Parlament tut sich meines Erachtens auch keinen Gefallen, wenn der Kampf zwischen einzelnen und den Apparaten zugunsten der Apparate ausgeht, wenn der einzelne zu stark in die Zwangsj acke gesteckt wird.
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Denn Kreativität geht nur vom einzelnen, nicht von der Gruppe aus, neue Ideen, neue Vorschläge, ja Zukunftsentwürfe werden vom einzelnen geboren. Sie werden in die Partei, sie werden in die Fraktion hineingetragen und werden dort mehrheitsfähig oder auch nicht. Immer wieder wird nach der kantigen und eckigen Persönlichkeit gerufen, die Politik glaubwürdig darstellen soll. Sind aber nicht die vorhandenen Strukturen viel eher geeignet, diese Ecken und Kanten so lange abzuschleifen, bis oft genug nur noch ein stromlinienförmiges Etwas übrigbleibt? Man muß sich schon kräftig zur Wehr setzen, meine Damen und Herren, wenn man diesen Kampf siegreich bestehen soll.
Ich finde, das war ein schöner Schlußsatz, Frau Dr. Hartenstein. Ihre Zeit ist um.
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Der Herr Präsident mahnt mich, und er hat auch recht. Lassen Sie mich nur einen Satz noch hinzufügen.
Ich glaube, diesem Parlament täte es gut, wenn es seine eigene Reform selbstbewußt in die Hand nähme. Ich habe immer wieder gehört, daß uns erfahrene Kollegen der frühen Zeit, der ersten Stunde sagen, dies sei früher anders gewesen. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, uns Ihren Rat nicht vorzuenthalten. Jedenfalls sollten wir alle praktischen Schritte unternehmen, die zu einer Verbesserung führen, und mit den offenen Debatten anfangen. In diesem Fall bin ich nicht für ein Tempolimit, sondern für Tempobeschleunigung.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Verehrtes Geburtstagskind! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich Ihnen an, Frau Kollegin: Auch ich habe ein Manuskript, weil ich mich zu einer schwierigen Frage äußern will, nämlich zu den politisch-sachlichen personalen Kompetenzen des einzelnen Abgeordneten, zu seinem Informationsanspruch und zu seinem Interpellationsrecht im Sinne der Initianten.
Der Alltag im Parlament wird wesentlich, aber nicht ausschließlich durch die Geschäftsordnung bestimmt. In dieser Geschäftsordnung kommt der einzelne Abgeordnete relativ schmal weg. Neben sechs Paragraphen, den §§ 13 bis 18, über seine Rechte und Pflichten mit dem wichtigen Recht der Akteneinsicht, aber ansonsten viel Organisatorischem, gibt es noch Verstreutes zum Rede- und Fragerecht, aber das sind nicht mehr als fünf Prozent der Vorschriften, während Gott sei Dank der freie Bürger in 19 Artikeln des Grundgesetzes seine
Grundrechte in dreifach größerem Raum geschützt sieht.
Und doch, Art. 38 des Grundgesetzes und unsere Rechtsordnung gründen auf personalen Pflichten und Rechten, bei denen sich die Person verantwortlich in Gemeinschaftsverpflichtungen einfügen muß. Der Dienst in der Fraktion ist, so meine ich, Frau Kollegin Hamm-Brücher, dann besonders ergiebig, wenn er nicht nur verantwortlich gegenüber den Kollegen und dem Ganzen erbracht wird, sondern auch - und da stimme ich mit Ihnen überein
- nicht über Gebühr durch vielfältige Hierarchien eingeengt wird und auch nicht ab und zu besonders belohnt wird, wenn er in untertänig-opportunistischer Weise geleistet wird.
Zum Informationsanspruch und zum Interpellationsrecht des Abgeordneten geht das verbindliche neueste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 1984, Seite 35, viel weiter als § 105 der Geschäftsordnung: Mit dem Interpellationsrecht des Abgeordneten korrespondiert die - ich zitiere verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und
- jetzt kommt das Wichtigste den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen.
({0})
Die letzten Worte sind entscheidend: „den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen". Die Regierung ist aber - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen - ein selbständiges Verfassungsorgan. Die Informationspflicht gilt also - der Herr Kollege Werner hat das angedeutet - nur für Fragen, die in der Regierung bereits entschieden sind, nicht für die Zeit, vorher, während des Meinungsbildungsprozesses. Nach dessen Abschluß aber gilt der Anspruch auch für die Dokumente des Für und Wider, die bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben.
Meine Damen und Herren, wer diesen Anspruch nicht in die Geschäftsordnung hineinschreiben will
- und starke Kräfte wollen es nicht -, übersieht, daß die neuen Kommentare zum Grundgesetz diese auch von dem Verfassungsorgan Bundestag einzufordernde Verfassungspflicht aus dem Wesen der parlamentarischen Demokratie und aus dem Kontrollrecht des Parlaments ableiten. Hinzu kommt das Verfassungsprinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme.
In der Geschäftsordnung des Parlaments können sehr wohl im Grundgesetz verankerte Ansprüche für den Parlamentsalltag stehen. Und ein Kontrollrecht ohne personale Mitwirkung einzelner Abgeordneter gibt es meiner tiefen Überzeugung nach nicht, meine Damen und Herren,
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steht doch in der Geschäftsordnung die Erscheinungspflicht von Regierungsmitgliedern! Seit Bismarcks Zeiten, verstärkt aber in der Weimarer Republik, wird davon die Verfassungspflicht der Regierungsvertreter abgeleitet, wie es in den Kommentaren heißt, nicht als stumme Fische oder als Verbreiter ablenkender Argumente zu erscheinen, sondern präzise Rede und Antwort zu stehen.
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Der Erscheinungspflicht korrespondiert, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, eben der Anspruch des Abgeordneten auf die präzise Antwort. Dies, meine Damen und Herren, gehört in die Geschäftsordnung hinein!
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Auch in der Fragestunde können die Antworten nicht der reinen Beliebigkeit des Regierungsvertreters überlassen bleiben.
Dagegen spreche, so sagt man oft, der Geheimschutz. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist das durch die Geheimschutzordnung des Bundestages abzudecken;
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ich nehme das ernst. Wegen eines Rückgangs des Verantwortungsbewußtseins einzelner, vielleicht sogar anarchischer Anwandlungen, die Herr Ertl befürchtete, ist diese Geheimschutzordnung vielleicht zu verbessern. Aber lassen Sie mich auch offen sagen: In 31 Jahren Tätigkeit im Bundestag habe ich drei bis vier schwere Fälle der Verletzung des Geheimschutzes durch Abgeordnete erlebt, aber Hunderte von Fällen durch beamtete Mitarbeiter auf anderen Ebenen, meine Damen und Herren.
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Dazu sagt das Bundesverfassungsgericht im übrigen klar, daß außer in die Sicherheit des Staates betreffenden, besonders geregelten Bereichen - nunmehr wieder Zitat das Parlament ohne eine Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermag.
Der einzelne Abgeordnete ist allerdings nicht das Parlament. Aber auch er hat den Rechtsanspruch auf Information und Akteneinsicht in jenen Bereichen, die nicht höchste Sicherheitsstufen berühren, jedoch zu seinem speziellen Arbeitsgebiet notwendig sind.
Erschwert wird dies, Herr Staatsminister Möllemann, nicht selten bei Beratungen nach Art. 59 GG, zu Vertragsgesetzen, also zu außenpolitischen Entscheidungen von größter Tragweite. Bei Vertragsgesetzen wird auch zuständigen Ausschußabgeordneten die Einsicht
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in die täglichen amtlichen, die Vertragsverhandlungen umreißenden deutschen Protokollnotizen nach Abschluß der Verhandlungen, aber auch in andere Dokumente oft versagt.
Ein krasses Beispiel: Bei den Ostverträgen geschah das selbst dort, wo es um die Wahrung von Staatsangehörigkeitsrechten Deutscher und um Aufhellung von Dissensen zur Klärung des Umfangs gemeinsamer, eindeutiger Willensbekundungen ging. Während 48 Stunden später infolge von Ausspähung in den Fällen G und B diese Notizen bei den Regierungen des Ostblocks auf den Tischen lagen und auch dem deutschen Autor Professor Bahring für sein Werk „Machtwechsel" die Einsicht vom Bundespräsidialamt gewährt wurde, wurde die gleiche Einsicht, meine Damen und Herren, den Abgeordneten, die zu befinden hatten, versagt.
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So etwas sollte nicht wieder vorkommen! Das behindert das Kontrollrecht des Parlaments in schwerwiegensten Fragen, meine Damen und Herren.
({8})
Gut ist daher, Frau Kollegin Hamm-Brücher, daß eine besondere Kommission zur Bearbeitung der Vorschläge vorgesehen wird. Interessierte Parlamentsmitglieder könnten dort nicht nur Parlamentsjuristen, sondern auch damit befaßte Rechtslehrer und Praktiker hören.
Beamte sind notwendig - wir haben viele gute Beamte -, aber es gibt auch Formen erstarrter Bürokratie, hinein bis in die Bundestagsverwaltung. Das Präsidium und die Verwaltung des Bundestages sind für das Funktionieren des Sitzungsablaufs, des Parlaments unabdingbar. Aber Ihre Mitarbeiter sollten jeder Versuchung widerstehen, herrschaftlich über personale Rechte des Abgeordneten verfügen zu wollen.
({9})
Die wissenschaftlichen Fachkräfte, die Sie ansprachen, Herr Werner, sollten nicht nur ängstlich Regierungsgutachten neu umschreiben, sondern auch Alternativvorschläge bieten.
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Daher helfen Sie bitte, daß Ziffer 3 des Abschnitts III Buchstabe B der Vorschläge der 110 Initianten unter Führung von Frau Hamm-Brücher in die Geschäftsordnung eingeht. Der Text lautet:
Jeder Abgeordnete hat Anspruch auf ausreichende Informationen der Regierung über Angelegenheiten, die innerhalb der Regierung entschieden und die für seine Mitwirkung an der Kontrollbefugnis des Parlaments notwendig sind. Solche Informationen dürfen - ausgenommen in Fragen der Staatssicherheit - nicht aus subjektivem Ermessen von Regierungsmitgliedern gegenüber den am Kontrollrecht beteiligten Abgeordneten geheimgehalten werden. Einzelheiten sollen in der Geheimschutzordnung des Parlaments geregelt werden.
Herr Dr. Czaja, ich muß Sie bitten - Dr. Czaja ({0}): Das könnte ein Fortschritt in der Stärkung des Sachkompetenz und eine Überwindung atavistischer Überbleibsel der Abhängigkeit von Parlamentsabgeordneten mildern. Hoffentlich gelingt das.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Schöfberger.
Nach dem Verlauf dieser Debatte könnte man nur wünschen, daß sie Vorbild für den Mindeststandard anderer Debatten in diesem Hause würde.
({0})
Der Drang, ins Plenum zu kommen und die andere Arbeit eher liegen zu lassen, würde bei mir größer werden.
({1})
Ich möchte aber vor der Gefahr warnen, uns in der Behandlung vordergründiger Symptome zu erschöpfen: Redezeiten, materielle und personelle Ausstattung und dergleichen mehr. Das hat j a alles seinen guten Grund, aber es sind nur Symptome.
Ich glaube, unser Zustand ist auf einen geradezu traumatischen Grundsatz des deutschen Parlamentarisums zurückzuführen, der in anderen westlichen Parlamenten keine Heimat hat: Im deutschen Parlament darf die deutsche Regierung keine Niederlage erleiden. Wir waren als Regierungspartei stolz, daß uns dies zwischen 1969 und 1981 gelungen ist. Die wenigen Niederlagen hinterher waren eine Spätzeiterscheinung.
Auch Sie versuchen sich darin. Aber das hat seine Folgen für den parlamentarischen Ablauf. Wenn man das so durchhält, muß sich eine Koalitionsfraktion stets als Verteidigungsschwadron der eigenen Regierung mißverstehen. Die jeweilige Opposition - das gilt für alle Oppositionen - wird in die Fundamentalkritik ohne jede Chance des wirklichen Einflusses verwiesen, und das Parlament insgesamt verkümmert zu einer notariellen Bewilligungsstelle für Regierungsabsichten.
({2})
Die Reden, die hier dann meist gehalten werden, sind entweder fundamental-kritische Ohnmachtsreden, oder es sind Mimikry-Reden gegen die bessere Überzeugung, nur weil man halt in der Regierungskoalition als Redner eingeteilt ist und diese Chance nicht verlieren will, schon wegen des eigenen Aufstiegs nicht. Daran krankt das Parlament.
Die Ausstattung dieses Parlaments entspricht dann genau dem Rollenverständnis, das ich hier geschildert habe. Alles, was wir sonst zu beklagen haben, ist Ableitung aus diesem Rollenverständnis mit wenig Selbstbewußtsein eines Parlaments.
Auch die Diätendebatten, die wir jedesmal, auch bei dem bescheidensten Versuch, draußen auslösen, sind Folgen dieses eigenen Mißverständnisses.
({3})
Haben Sie schon einmal eine Protestwelle durch das Volk gehen sehen, wenn der deutsche Zahnarzt dafür sorgt, daß sein durchschnittliches Jahreseinkommen von 650 000 auf 750 000 DM steigt? Diese Grundwelle geht nicht durch das Volk, weil jeder unserer Mitbürger überzeugt ist, daß Zahnärzte nützlich sind.
({4})
Bei Bankdirektoren ist das ähnlich. Bankdirektoren erhöhen sich ihr Jahresgehalt auf 1,2 Millionen DM. Das ist 18mal soviel wie das, was einem Abgeordneten nach allen Abgaben bleibt.
({5})
- Fußballstars kann man dazunehmen.
Haben Sie da schon jemals eine Protestwelle durch das Volk gehen sehen? Man ist von der Nützlichkeit von Bankdirektoren überzeugt. Ich glaube, daß die Mehrheit unseres Volkes von unserer Nützlichkeit nicht so recht überzeugt ist, sonst gäbe es die regelmäßigen Diätendebatten draußen nicht.
({6})
- Beim Bürgermeister sind sie auch überzeugt: den braucht man.
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Haben Sie schon einmal gehört oder gesehen, daß man in der Presse einem Landrat, einem Bürgermeister oder einem Ministerialbeamten seinen Dienstwagen, seine Sekretärin, die Portoausgaben der Behörde als eigenes Einkommen anrechnet? Bei uns ist es so.
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Ich glaube, wir haben in dem Ansehen unserer Mitbürger genau das verdient, was wir verdienen, wenn wir hier nicht selbst für eine Änderung sorgen. Seit Perikles ist bekannt, daß die Befreiung von Sklaven nur ein Werk der Sklaven selbst sein kann.
({9})
Seit Perikles ist bekannt, daß die Mächtigen dieser Welt nicht eines Tages aufwachen und sich entschließen, den Ohnmächtigen mehr Macht einzuräumen. Ich bitte Sie also herzlich, nicht nur Mißstände zu beklagen - auch ich beklage sie, den bedauernswerten Zustand des Wissenschaftlichen Dienstes, die mangelnde Ausstattung -, sondern Hand anzulegen, Anträge einzubringen, diese Zustände zu ändern und ein neues Selbstbewußtsein zu entwickeln. Ich wünsche mir, daß es 518 selbstbewußte Abgeordnete gibt,
({10})
die dieses Verfassungsorgan als das einzige von der Volkssouveränität unmittelbar abgeleitete Verfassungsorgan verstehen und alle anderen als sekundär oder tertiär abgeleitete Verfassungsorgane.
({11})
Wenn das bei 518 nicht möglich ist, weil es auch in einem Parlament immer wieder menschelt, dann wünsche ich mir 259 selbstbewußte Abgeordnete, die das beschließen.
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- 110 sind es schon.
Ich mache zum Schluß noch einen Vorschlag, wenn es jetzt zu einer Kommission kommt. Lassen Sie uns auch über das verfassungsmäßig verankerte Initiativrecht der Bundesregierung nachdenken. Es wäre vielleicht besser, wenn das Parlament zunächst eine Grundsatzdebatte über ein Regelungsbedürfnis in der Gesellschaft führen würde, am Ende dieser Grundsatzdebatte politische Leitlinien beschließen und eine Punktation aufstellen würde und es erst dann zu einem bürokratisch ausgefeilten Regierungsentwurf kommen dürfte.
({13})
Wenn wir den bisherigen Zustand aufrechterhalten, werden wir immer wieder von Anfang an auf den mit Punkt und Komma ausgefeilten Regierungsentwurf gesetzt. Es gibt keine Möglichkeit mehr, außer Kommata und das eine oder andere Wort, die Konzepte zu verändern. Vielleicht wäre dies ein Beitrag zur größeren Selbstachtung des Parlaments. Sicher bedarf das einer Verfassungsänderung.
Ich sage nur noch einen Satz zum mehr oder weniger vollen Plenum aus der Theaterwelt. Beim Theater gilt der Grundsatz: Wenn das Theater leer ist, liegt das an der Aufführung und nicht an den Leuten.
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hellwig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schöfberger, ich möchte unmittelbar an das anschließen, was Sie gesagt haben. Wenn wir sagen, das heute sei eine Betriebsversammlung, dann erinnere ich mich an eine Erfahrung von Gewerkschaftern und Unternehmern. Die sagen, wenn in einem Betrieb wirklich die Krise drin ist, dann ist die Betriebsversammlung voll. Aber wenn es keine Krise gibt, dann sind Betriebsversammlungen schwach besucht. Aus dieser Erfahrung über Betriebsversammlungen müßte man eigentlich annehmen, daß die Krise unseres Parlaments gar nicht so groß ist, wie es zunächst einmal den Anschein hat. Denn so stark ist das Parlament doch nicht besucht.
Aber lassen Sie mich auf die Argumente eingehen, die gerade auch Sie vorgetragen haben, Herr
Schöfberger. Sie waren ja nicht der einzige Redner - das ist auf allen Seiten immer wieder zum Ausdruck gekommen -, dem ein „Leiden am Mehrheitsprinzip" anzumerken war. Der frei gewählte Parlamentarier, der sich verpflichtet fühlt, individuell zu entscheiden, kann das nicht so einfach verkraften. Ich kann Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrung sagen: Meine parlamentarische Tätigkeit habe ich im Studentenparlament von Berlin angefangen. Ich hatte mich natürlich geweigert, in irgendeine Fraktion einzutreten, weil ich der Meinung war, der selbständige Parlamentarier müsse seine Meinung individuell vertreten können.
Wir waren damals eine große Gruppe - an die 30 % -, die als sogenannte Fachschaftsvertreter ohne jedes Programm völlig frei war hinsichtlich der Vertretung derjenigen, die diese Gruppe gewählt haben. Aus dieser Zeit habe ich folgende Erfahrung mitgenommen: Obwohl wir eine so große Gruppe waren, waren wir im wesentlichen ein Spielball der anderen, die in Fraktionen organisiert waren; denn Mehrheiten haben sich so gebildet, daß sich andere Fraktionen zunächst geeinigt haben und dann einzelne aus unserer Gruppe sozusagen herausgebrochen haben. Je nach der Situation wurde mit ihnen zusammen die Mehrheit gebildet.
Das war für mich die allererste Erfahrung in der Politik: Daß man offenbar notgedrungen am Mehrheitsprinzip in der Politik leiden muß. Dieses Mehrheitsprinzip ist erforderlich, um zu einem rationellen, vernünftigen Willensbildungsprozeß zu kommen. Manchmal, meine Kollegen von den GRÜNEN - gestatten Sie, daß ich das sage -, habe ich den Eindruck, daß Sie diese Erfahrung, die ich damals im Studentenparlament gemacht habe, jetzt auch machen, wenn es darum geht, Fraktionen zu bilden und den Sinn von Fraktionen und Mehrheiten zu erkennen. Es kann eben nicht ganz so individuell zugehen, wie hier immer der Eindruck entsteht.
Ich halte es offen gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch überhaupt nicht für hilfreich, wenn jetzt in einer etwas sich anbiedernden Weise auf eine Stimmung eingegangen wird, die in der Bevölkerung draußen durchaus herrscht und die ich grundsätzlich parteienfeindlich nennen möchte. Es wird gesagt: Ach, diese Parteien sind sowieso nur ein Klüngelverein. In diese Parteien tritt man überhaupt nur ein, um sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Die heben dann irgendwelche Leute in Spitzenpositionen. Dafür müssen sie dann ein ganzes Leben lang Sklavendienste leisten. Im Grunde kann man eigentlich jeden, der in einer Partei ist, nur noch mit moralisch halb gebrochenem Rückgrat wiedererkennen.
Parlamentarier, die in ihre Partei fest eingebunden sind, die den sinnvollen Willensbildungsprozeß von Parteien kennen, die auch wissen, wie elementar wichtig es ist, daß es Fraktionen im Bundestag gibt und diese Fraktionen - und auch die einzelnen Abgeordneten - einer Programmdisziplin unterliegen, sollten sich hier nicht hinstellen und sagen, eigentlich wollen wir heraus aus dieser Fraktionsklammer. Der Bürger hat ja völlig recht, wenn er dann fragt, warum streift ihr diese Klammer
nicht ab? Aus meiner Sicht ist gerade der umgekehrte Weg richtig. Es wäre richtig, dem Bürger tatsächlich einmal verständlich zu machen, daß wir - das müssen wir zugestehen, wenn wir ehrlich sind - bisher noch kein anderes Prinzip der Übertragung des Willens unseres Volkes auf ein so kompaktes Handeln, wie es Regierungshandeln notgedrungenerweise darstellen muß, gefunden haben.
Ich will jetzt einmal die Modelle, die heute erörtert wurden, einfach als Alternative zur Wahl stellen. Wir haben rund 60 Millionen Bürger. Wie sollen eigentlich 60 Millionen Einzelwillen im Regierungshandeln eines Bundeskanzlers, eines Verkehrsministers, eines sonstigen Fachministers gebündelt werden?
({0})
Soll das etwa in der Form geschehen - die Medien könnten uns das j a bald zur Verfügung stellen -, daß vor jeder Entscheidung eine saloppe Fernsehsendung stattfindet, bei der jeder Bürger einen roten, grünen oder weißen Knopf am Ende der Diskussion entsprechend seiner Meinung zu bestätigen hat? Dann hätten wir das, was ein Vertreter der GRÜNEN gefordert hat: die absolute Basisdemokratie.
Aber was wäre das Ergebnis? Das Ergebnis wäre eine Hektik der Willensbildung, einmal so und einmal so. Wir wissen doch selber - wir als Abgeordnete sind auch Menschen und nicht frei -, wie wir eine Debatte verlassen: so oder so überzeugt, je nachdem, ob der eine oder der andere in gelungener Weise argumentiert hat. Von solchen Zufallsentscheidungen kann doch nicht konsequentes Regierungshandeln abhängig werden.
Herr Schöfberger, ich darf jetzt noch einmal direkt auf Sie eingehen. Sie haben gesagt, der Fraktionenzwang sollte sichtbar wenigstens dadurch gelockert werden, daß auch Regierungen davon abhängig sein müßten, sich die Mehrheit einmal aus Teilen der Opposition zu holen, und einmal das Glück haben sollen, sie in der Koalition zu bekommen. Bekanntlich war es in Ihrem Koalitionsvertrag mit der FDP damals der Kasus knacktus schlechthin, daß Sie sich solche unterschiedlichen Mehrheiten nicht holen. Wenn man in seiner eigenen Fraktion einer Minderheitsfraktion angehört, die die Mehrheit will und die natürlich, ähnlich wie die GRÜNEN, hier einen höheren Aktionsradius sucht, dann ist es aus dieser Ihrer Logik durchaus verständlich, eine solche Meinung zu vertreten. Ich bevorzuge demgegenüber das Leiden am Mehrheitsprinzip, das aus meiner Sicht das einzig wirklich demokratische und auch vernünftige ist, zu einem konsequenten Regierungshandeln zu kommen. Zu dem gehört nämlich für mich auch im Grunde genommen ein Aufrechterhalten der Macht des Wählers.
Es gibt gelegentlich Stimmen in den Reihen der GRÜNEN, die sagen den Bürgern: Ach, was habt ihr denn? Ihr habt gar nichts. Nur alle vier Jahre könnt ihr einmal ja oder nein zu dieser oder jener Partei sagen. Das ist doch gleich null. - Sind wir uns nicht dessen bewußt, daß das im Grunde die wichtigste,
die entscheidende, die urdemokratische Macht des Bürgers ist, für die es aus meiner Sicht schlechthin nichts besseres gibt. Wir hier sind diejenigen, die diese Macht verantwortlich vier Jahre hindurch tragen, nicht als Hamm-Brücher, als Hellwig, als Schöfberger, als Stratmann, sondern als Repräsentant der CDU, Repräsentant der FDP, der GRÜNEN oder der SPD.
({1})
- Nein, das ist sehr gut so. Stellen Sie sich doch einmal die Alternative vor. Was soll mein armes Volk, mein Volk, meine 200 000 Bürger in meinem Wahlkreis tun, was steht ihnen denn bevor, wenn wir jetzt individuelle Abgeordnetenwahlen hätten? In welche Gewissenskonflikte, in welche Hilflosigkeit würden wir die Bürger eigentlich treiben?
Die bösen Parteien dürfen keine Listen mehr aufstellen, also darf jeder, der gerade Lust hat, für den Deutschen Bundestag kandidieren
({2})
und schreibt ganz individuell sein Programm. Ob er das dann einhält oder nicht - Sie haben doch genau das gleiche Problem.
({3})
- Ja, natürlich. - Es geht darum, was meine Partei oder Ihre Partei in Regierungsverantwortung gemacht hat. Natürlich kann ich sie kritisieren. Sie alle wissen, daß Fraktionssitzungen in Regierungsfraktionen erstens einmal länger dauern, zweitens für den einzelnen Abgeordneten zehnmal so interessant sind wie in Oppositionszeiten und drittens natürlich auch einen sehr hohen Aufmerksamkeitsgrad bei Regierungen haben.
Ich halte es für sehr, sehr wichtig, daß wir hier wirklich auch das Forum nutzen, dem Bürger zu erklären, was für einen Sinn es hat, daß Volkes Willen in Parteien gebündelt wird.
({4})
- Herr Schöfberger, bitte.
Es sind aber nur noch Sekunden, die Sie haben.
Frau Kollegin, nachdem Sie mich selbst ansprechen, frage ich Sie: Geht es nicht darum, festzustellen, daß Gemeinschaft, Solidarität nicht ausarten darf in eine Wilderergemeinschaft, die dann durch dick und dünn, auf Gedeih und Verderb, mit und ohne Verantwortung, mit und ohne Gewissen geht? Das ist doch die Frage.
({0})
Sehen Sie, diese Frage der Grenzziehung werde ich wahrscheinlich anders beantworten als Sie. Vielleicht habe ich ein größeres Solidaritätsbedürfnis in bezug auf meine
Fraktion als Sie. Aber ich gebe zu, daß es hier durchaus Grenzziehungen gibt.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Ehe wir uns bitter über mangelnde Macht unseres Parlamentes beklagen, darf ich Ihren Blick einen Moment auf das Europaparlament richten. Ich glaube, wir haben eine Verpflichtung, diesem armen Parlament, das zehnmal schwerer dran ist als wir, das im Verhältnis zu den Bürokratien, von denen es beherrscht wird, überhaupt keine Macht hat, tatsächlich mehr Macht zukommen zu lassen, gerade auch im Interesse der Europabürger.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einigen Beiträgen heute ist mir wieder einmal der Unterschied zwischen Bayern und Preußen aufgefallen, auch beim letzten. Ich hoffe nicht, daß ich der Vorrednerin zu nahe trete. In Bayern gibt es ein Sprichwort: Die Preußen müssen immer ihren ganzen Denkvorgang runterplappern, während die Bayern nur das Ergebnis bekanntgeben.
({0})
Was Sie gesagt haben, das gibt es: Das Panaschieren und Kumulieren ist in Bayern doch längst verwirklicht. Aber wir haben ein anderes Thema.
Einer der Vorredner heute hat gemeint, das wäre auch eine Profilierungsmöglichkeit für einige, die sonst nie zum Reden kommen. Ich gehöre zu denen. Nur habe ich anfangs eine ganz andere Überlegung angestellt. Ich habe mir überlegt, ob es einem, der hier relativ neu ist, noch dazu einem, der nicht in den vorderen Reihen sitzen darf, überhaupt zusteht, bei einer so anspruchsvollen Debatte um Selbstverständnis und Selbstdarstellung des Parlaments mitzureden, wo doch offensichtlich 30 Jahre lang Erfahrungen angesammelt werden mußten, bis es überhaupt einmal zu einer solchen Selbstverständnis-Debatte kommen konnte. Aber nach einigen Beiträgen sind meine Skrupel ein bißchen geringer geworden, und darum habe ich mich dann doch gemeldet.
Ich glaube, es wäre der Debatte sehr schädlich, wenn der Eindruck entstünde, daß hier nur ein Domestikenaufstand stattgefunden hätte. Jeder muß sich darüber seine Gedanken machen. Ich fühle mich nicht so sehr - wie ich gestern gelesen habe - behindert, wenngleich manches geändert werden müßte. Mir geht es vielmehr um den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der draußen entsteht. Ich meine auf der einen Seite insbesondere die Würde des Parlaments, von der ich immer gehört habe. Das hat mich tief beeindruckt - bis ich drin war. Seitdem bin ich von der Würde des Parlaments nicht mehr so sehr beeindruckt. Auf der anderen Seite meine ich die Möglichkeit des einzelnen, sich überhaupt zu Wort zu melden. Jeder hier weiß, wie schwierig das ist, welche Kämpfe im Grunde genommen dafür erforderlich sind.
Mir ist vor ein paar Tagen eine nette Karikatur in die Hände gefallen. Ich hoffe, daß ich niemandem zu nahe trete. Ich erkläre die Karikatur: Zwei Gruppen von Abgeordneten stehen beisammen, auf der einen Seite Kollegen von den GRÜNEN - bis dahin war der Habitus mit Bluejeans und Turnschuhen sowie offenen Hemden im Parlament nicht üblich; wir kennen das alle - und auf der anderen Seite aus allen Parteien die getragenen Abgeordneten mit den blauen Anzügen und dunklen Krawatten, so, wie es sich gehört. Die haben auf die erste Gruppe gedeutet und gesagt: Schaut einmal die an! Die Würde des Parlaments. - Nun hat die ganze Sache aber einen Haken gehabt. Als die letztgenannte Gruppe aufgestanden war, sah man, daß hinten im Jackett ein Fleck herausgemodert war. Auf dem stand: Flick-Spenden-Affäre. Die Unterschrift: „Wer hat der Würde des Parlaments mehr geschadet?" hat mich sehr nachdenklich gemacht.
({1})
Vor kurzer Zeit sind in einer Zeitschrift unter „Bonner Rede" die „stummen" Abgeordneten aufgeführt worden, süffisant und ohne einen Grund zu nennen, warum sie denn so stumm seien. Ich glaube, da stellt sich die Demokratie-Frage. Und in der Öffentlichkeit - auch bei mir war das so - hat sich der Eindruck festgesetzt: Das Sitzen und Diskutieren im Parlament ist die einzige Arbeit des Abgeordneten. Wenn die Fernsehnation dann aber leere Bänke, zeitunglesende Abgeordnete sieht und immer dieselben Redner hört, dann wird, glaube ich, in fleißige Abgeordnete und in faule Abgeordnete eingeteilt. Das geht in die Richtung überflüssige. - Ich kriege schon ein Zeichen, weil ich nur fünf Minuten reden darf.
Ich glaube, daß das Ganze so lange nicht funktionieren kann, wie die Mächtigen oder die, die es werden wollen, bei ihren Botschaften an die Nation den Bundestag als Vorlese-Tribüne benutzen und sich nie die Frage stellen: Warum sind keine oder so wenige Abgeordnete hier?
Es ist von der freien Rede gesprochen worden. Das ist doch gar nicht so einfach. Es gibt sicherlich Naturtalente. Der Schöfberger ist eines. Aber auch die freie Rede will gelernt sein. Und wenn ich nie im Parlament zum Reden komme, dann werde ich mich mit der freien Rede schwerer tun als derjenige, der jede Woche redet. Auch das ist doch eine Tatsache.
({2})
Naturgemäß werden diejenigen, die nicht mehr bereit sind, diese Rituale hinzunehmen, an Zahl immer mehr - denn es gibt andere Aufgaben der Abgeordneten. Ich glaube, das Absitzen im Parlament, die notwendige Selbstdarstellung der Demokratie, macht höchstens 10 % der gesamten Arbeit eines Abgeordneten aus. Ich stelle fest - und auch viele Vorredner haben das gesagt -: Je fleißiger der einfache Abgeordnete ist, je ernster er seine Arbeit, auch die für den Wahlkreis, die in den Ausschüssen, die in Sachen Bürgernähe, die wir immer praktizieren wollen, nimmt, desto weniger wird er
diese unsinnigen Vorlesungen und Rituale hier mitmachen.
Ich glaube - auch das ist gesagt worden -, wenn man ernstlich etwas ändern will - und es hat den Anschein -, dann könnte man daran auch etwas ändern. Aber dann müssen die Regierenden einen Beitrag dazu leisten. Mein Fazit ist: Geändert hat sich seit einer Rede von Thomas Dehler am 4. Februar 1952 - ich habe nachgeschaut - nichts. Er sprach von dem geringen Ansehen des Bundestages und seiner Arbeit. So ähnlich hat Dr. Barzel heute auch gesprochen. Dehler hat ein Gespräch zwischen Ludendorff und Max Weber wiedergegeben. Max Weber hat seine Ansicht über die Demokratie kundgetan:
„In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht hineinreden. Nachher kann das Volk richten.' Hat der Führer" - so sagt Max Weber - „Fehler gemacht, dann an den Galgen mit ihm!"
Ich glaube, vor einer solchen Demokratie, Herr Bundeskanzler - jetzt ist er nicht mehr da -, müßte man warnen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich in meinem Beitrag weniger mit organisatorischen Fragen beschäftigen, obwohl ich sie - das will ich ausdrücklich betonen - für ausgesprochen wichtig halte. Ich möchte ein paar Gedanken zum Selbstverständnis des Parlaments im Hinblick auf unsere eigene Darstellung beitragen, weil das von einigen angesprochen worden ist, von Ihnen, Herr Vogel, von Ihnen, Herr Conradi, auch von Ihnen, Frau Hartenstein - ich sehe sie im Moment nicht - und zuletzt von Frau Hellwig.
In der vergangenen Woche haben wir hier eine dreitägige Haushaltsdebatte geführt. Presse und Fernsehen haben in diesem Zusammenhang nicht nur über die teilweisen mangelnde Präsenz berichtet, sondern dies teilweise auch bissig und hämisch kommentiert, zumindest kritisch. Die ARD hatte am vergangenen Freitag im „Bericht aus Bonn" die Präsenz während dieser Tage zum Aufhänger für einen Bericht über die heute hier stattfindende Debatte genommen und für mich gar nicht überraschend mit der Bemerkung des Herrn Nowottny beendet, dies sei dann wohl heute hier die Stunde der Hinterbänkler. - Nun gut.
Ich glaube aber, daß wir es uns zu einfach machen würden, unsere Probleme im Rahmen der Darstellung unserer parlamentarischen Arbeit allein an den öffentlichen Medien festzumachen, so wichtig und so richtig die Kritik, die hier ja schon geäußert worden ist, sicherlich ist. Richtig ist sicher auch, daß wir Probleme mit unserer eigenen Selbst6240
darstellung haben. Ich denke, daß Stil und Inhalte unserer Auseinandersetzungen jedenfalls nicht immer geeignet sind, Ansehen und Glaubwürdigkeit der Parlamentarier in der Öffentlichkeit zu stärken.
Frau Hellwig, ich bin nicht Ihrer Meinung. Unser Parlament - das ist richtig - ist ein Parteienparlament. Die meisten Parlamentarier sehen sich wohl in erster Linie als Parteienvertreter. Sie haben das vorhin hier ganz deutlich gemacht. Man kann sicherlich trefflich darüber streiten, ob die Abhängigkeit des Parlaments von den politischen Parteien Ursache für die Machtminderung des Parlaments ist oder nicht.
Problematisch wird es für mich jedenfalls dann, wenn die Parteien ihre Abgeordneten als eine Art Befehlsempfänger für die Direktiven der Parteizentralen betrachten oder wenn Abgeordnete meinen, bloßes Megaphon ihrer Parteien sein zu müssen. Auch das soll es ja geben. Diesen Eindruck - entschuldigen Sie bitte, meine Damen und Herren, ich gehöre diesem Hohen Hause erst seit gut eineinhalb Jahren an -, den man bei manchen Reden, die hier gehalten werden, bekommt, kann man nicht einfach beiseite wischen. Weil man die Parteipropaganda - die eigene wie die der politischen Kontrahenten - zur Genüge kennt, ist dies vielleicht auch ein Grund dafür, warum viele Bundestagsdebatten in unserer Telekratie für uns so wenig attraktiv sind. Ich habe manchmal den Eindruck, daß das Parlament nicht selten bloß die Plattform ist, das Fernsehen dann das Mikrophon stellt und das Bild besorgt und das Volk die Zuhörerschaft für mehr oder weniger parteipolitische Pflichtübungen ist.
Etwas anderes kommt dann noch hinzu. Auch das macht mich manchmal betroffen. Ich denke, es macht vielleicht auch den einen oder anderen von Ihnen betroffen. Zu dieser parteiischen Darstellung kommt dann noch ein angeblich notwendiger Absolutheitsanspruch. Die eigene Meinung wird als die allein seligmachende dargestellt, Selbstzweifel sind selbstverständlich verpönt, sie schwächen angeblich die eigene Position. Ich frage Sie: Ist das eigentlich wirklich so? In jeder besseren Rede von uns kommt vor, daß es den mündigen Bürger gibt. Ich habe den Eindruck, dieser vielzitierte kleine Mann ist schon sehr erwachsen und groß geworden.
Ich habe mich - und das wird Ihnen vielleicht schon des öfteren so ergangen sein - bei mancher Rede von einem Kollegen, den man sonst durch die Ausschußarbeit ganz gut kennt, oder bei mancher Rede von einer Kollegin gefragt: Glaubt die eigentlich wirklich, was die da vorne sagt, glaubt der eigentlich wirklich, was der da vorne sagt? Meine Damen und Herren, glauben wir denn wirklich, daß der Bürger dies nicht merkt? Der Bürger merkt doch zumindest, wenn den Reden nicht Taten folgen, daß wir verbal alles können, daß die Wirklichkeit aber manchmal ganz anders ist. Warum sollen wir uns eigentlich nicht mal Gedanken darüber machen, ob wir glauben, auf jede Frage eine Antwort geben zu müssen, und diese mit Ewigkeitswert? Warum fällt es uns eigentlich so schwer - ich glaube, Herr Vogel, Sie haben das vorhin auch gesagt -, zuzugeben, daß wir etwas mal falsch gesehen haben, daß wir auch etwas falsch gemacht haben? Warum leiden wir fast zwanghaft unter dem Gefühl, Antworten auf Fragen geben zu müssen, die überhaupt noch niemand gestellt hat? Warum versuchen wir eigentlich immer das Gefühl zu vermitteln, als wüßten wir schon die Lösungen für alle Probleme?
Meine Damen und Herren, mal ganz ernsthaft: sind wir denn wirklich davon überzeugt, daß die Mehrheit deswegen im Besitz der Wahrheit ist, weil sie die Mehrheit ist, oder die Minderheit deswegen im Besitz der Wahrheit, weil die Mehrheit angeblich nicht genügend nach ihr sucht und forscht? Glauben wir den wirklich - das können wir doch eigentlich nicht glauben -, daß die meisten Menschen nicht längst erkannt haben, daß die Problemlösungskompetenz der Politiker und der Politik ihre engen Grenzen hat, das Anspruch und Wirklichkeit oft auseinanderklaffen und bei der Kompliziertheit der zur Debatte stehenden Themen auch gar nicht so einfach deckungsgleich zu bekommen sind?
Als Hinterbänkler: Ein bißchen mehr Selbstbewußtsein als freie, Frau Hellwig, auch von unseren Parteien unabhängigere Abgeordnete und ein bißchen weniger Absolutheitsanspruch bei der Verkündung unserer Vorstellungen und Überlegungen, und schon eine Menge wäre erreicht.
({0})
Vor der nächsten Worterteilung muß ich leider unterbrechen, weil es aus dem vorläufigen Protokoll doch noch etwas zu rügen gibt. Es gab vom Abgeordneten Stratmann einen Redeteil, in dem er von dem „korrupten Charakter dieser Republik" sprach. Und es kam vom Abgeordneten Glos ein Zwischenruf, der von einem „aufgeblasenen Schulmeister" sprach. Ich möchte beide Äußerungen als unparlamentarisch zurückweisen, und zwar in Übereinstimmung mit dem zu der Zeit amtierenden Präsidenten.
Wir kommen zu dem Beitrag des Abgeordneten Burgmann.
Meine Damen und Herren, ich bin außerordentlich dankbar für diese Debatte. Sie hat mich um eine Erfahrung reicher gemacht. Ich möchte vor allem dem Präsidenten danken, daß er diese Betriebsversammlung hier ermöglicht hat. Ich möchte auch der Regierung danken, daß sie ihr so zahlreich beigewohnt hat. Ich möchte vor allem den Kolleginnen und Kollegen für diese aufbauenden und spritzigen Beiträge danken. Wenn ich so an meine Zeit als Betriebsrat zurückdenke, muß ich allerdings sagen, daß ich noch nie eine Betriebsversammlung erlebt habe, wo so oberflächlich an den Dingen vorbeigeredet worden ist, wie in den letzten Stunden hier in diesem Hause.
({0})
Ich möchte deshalb ein bißchen Essig in diesen Wein hineingießen und möchte ein paar Sternstunden dieses Parlaments hier aufzählen. Ich möchte einmal erinnern an die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht durch dieses Parlament, ich möchte
nur ganz kurz erinnern an den Beschluß über die Notstandsgesetze durch den Deutschen Bundestag. Ich möchte daran erinnern, daß Berufsverbote wieder die Regel geworden sind, ohne daß dieser Deutsche Bundestag eingegriffen hat. Ich möchte erinnern an die polizeiliche Aufrüstung, die wir jetzt beispielsweise auch im Wendland wieder erleben. Dem hat dieser Bundestag nicht widersprochen. Ich möchte an den Abbau des Asylrechts in dieser Bundesrepublik erinnern, das im Grundgesetz verankert ist, dem niemand hier widersprochen hat.
({1})
Ich möchte an die Parteienfinanzierung und an die Volksauszählung erinnern, die von diesem Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Der Widerstand kam nicht aus diesem Parlament, zumindest so lange nicht, bis die GRÜNEN darin waren; sondern der Widerstand kam aus der Bevölkerung, die dadurch erst die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Beschlusses hat erzwingen müssen.
({2})
Im Zusammenhang damit, daß viele Kollegen immer wieder der Bewegung draußen im Land faschistische Tendenzen unterstellen, möchte ich nur am Rand daran erinnern, daß die Abschaffung der Demokratie der Weimarer Republik letzten Endes auch vom Parlament aus gelaufen ist und daß Kritik sich daher auch gegen Entwicklungen in diesem Parlament richten muß. Ich glaube, da gibt es neben den eben genannten Daten genug Anlaß zur Kritik.
Dieses Parlament und die von diesem Parlament gewählten Regierungen haben - das zeigt auch unsere Anwesenheit - die großen Probleme unserer Zeit nicht gelöst. Ich behaupte sogar: Sie haben viele dieser Probleme erst ausgelöst, zumindest verstärkt.
({3})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Aufrüstung, die von der Mehrheit des Deutschen Bundestags vor knapp einem Jahr beschlossen wurde, obwohl die Bevölkerungsmehrheit dagegen war.
({4})
Es geschah wahrscheinlich deshalb, weil die Bundesregierung und die Parlamentsmehrheit von den USA so unter Druck gesetzt worden sind, daß sie sich gegen die Bevölkerungsmehrheit und gegen den Widerstand der Kirchen zu diesem Beschluß gezwungen gesehen haben.
({5})
Ich möchte an die Umweltpolitik erinnern. Buschhaus und die Katalysator-Entscheidung sind heute schon erwähnt worden. Ich erinnere an die Entwicklung in der Entschwefelung, an die Probleme
mit Formaldehyd und viele andere und an die Hintergründe, die - mein Freund Eckhard Stratmann hat es schon etwas deutlicher dargestellt - darin bestehen, daß die Industrie hier mit falscher Information teilweise auch mit massivem Druck dieses Parlament unter Druck setzt, so daß sie sich letzten Endes mit ihren Interessen durchsetzen kann, statt daß sich die Interessen der Bevölkerung durchsetzen.
({6})
Ich möchte an die Atompolitik erinnern, die auch in diesem Haus trotz der Warnungen zahlreicher Wissenschaftler beschlossen worden ist und durch die Millionen gefährdet werden und die letzten Endes mit ihrer Unwirtschaftlichkeit auch diesen Staat wirtschaftlich in größte Probleme bringen wird - über 50 Milliarden sind schon in diese Entwicklung gegangen -. Ich möchte vor allem an den verzweifelten Widerstand in der Bevölkerung und daran erinnern, wie dieses Parlament darauf reagiert hat und wie wenig es weiß, welche Probleme die Menschen draußen im Land bewegen, und wie wenig es sich zumindest danach richtet.
({7})
Entscheidend ist nicht, daß hier Fehler gemacht werden. Das machen die GRÜNEN genauso, vielleicht noch mehr als Sie. Entscheidend ist auch nicht, daß man Dinge zu spät sieht. Sondern entscheidend an der Kritik auch in der Bevölkerung an diesem Parlament ist die Ignoranz gegenüber der Bevölkerung und den Mahnungen und Erfahrungen und Bitten dieser Bevölkerung.
({8})
Da findet man statt offener Ohren - wie es heute in manchen Beiträgen wieder so schön geklungen hat - letzten Endes eine Dämonisierung dieser Opposition, die da entstanden ist, bis hin zu den Leuten, die heute im Parlament sitzen, eine Dämonisierung, wie wir sie erst heute wieder von Herrn Geißler in seiner Pressekonferenz gehört haben.
({9})
Man muß auch erleben, wie sich dieses Parlament beispielsweise auch mit einer Bannmeile zu schützen sucht und wie junge Leute, die aus Verzweiflung über die Tatsache, daß sie nicht mehr gehört werden, sich draußen mit einem Sit-in vor dem Langen Eugen bemerkbar machen, mit dem Strafgesetzbuch verfolgt werden und hohe Strafen zu zahlen haben. Sie schicken nicht die Parlamentarier hinaus, damit sie hören, welche Sorgen die Menschen bewegen,
({10})
sondern sie schicken die Polizei und die Justiz. Ich
frage: Was nützt das Demonstrationsrecht, wenn
sich in diesem angeblich so hohen Haus keiner um die Anliegen der Demonstranten kümmert?
({11})
Der Verlust an Ansehen ist nicht in erster Linie auf die Fensterreden oder das Hin- und Herschieben von Schuldzuweisungen zurückzuführen - das ist man sicher auch bald leid -,
({12})
sondern letzten Endes auf diese Fehler in der Politik und die Ignoranz gegenüber dem Bürger.
({13})
- In einem Dreivierteljahr. Sie werden mich noch eine Weile ertragen müssen, Herr Kollege.
Wir sehen diese Entwicklung aber auch nicht nur negativ. Die Ablösung von der Staatsgläubigkeit, dem Glauben an Parlament und Regierung, dem Gottesgnadentum der hohen Herren im Hohen Hause sehe ich durchaus auch als eine positive Entwicklung. Denn diese Entwicklung ist - im Gegensatz zu den 30er Jahren - bislang nicht in Richtung einer faschistischen Entwicklung gegangen, sondern sie hat zu einer gewaltigen Demokratisierung in unserem Lande geführt. Die Menschen haben gerade aus den Fehlern, die in diesem Hause gemacht worden sind, gelernt, daß sie sich nicht auf irgendwelche Stellvertreter verlassen können, die Politik machen, sondern daß sie sich selber engagieren und initiativ werden müssen.
({14})
Das, was wir in den Bürgerinitiativen erfahren, ist gelebte Demokratie. Davon müssen wir einiges in dieses Haus hineinbringen. Das ist ein Vorgang, der mir auch einige Hoffnung bringt. Ich glaube, die Bürger sollten dieses Parlament ein wenig entzaubert sehen, sie sollten sehen, daß hier Menschen sitzen, die weder besser noch klüger als sie selber sind, die sogar teilweise weniger von den Problemen verstehen, die die Menschen draußen im Lande bedrücken.
({15})
Sie sind letzten Endes gefangen in den Zwängen, die in diesem Hause, vor allem aber auch in unserem Industriesystem, das dieses Haus zur Durchsetzung seiner Ziele benutzt, gegeben sind. Es sind Veränderungen notwendig, die wesentlich tiefer als das gehen müssen, was wir heute bisher von diesem Pult gehört haben, wenn wir die Lebensgrundlagen der Demokratie erhalten wollen. Diese Veränderungen können wir natürlich nicht - das ist eine ganz klare Position von uns - dadurch erreichen, daß wir dieses Parlament abschaffen. Wir sind durchaus froh, daß es diese Entwicklung der Demokratie gibt. Sie ist für dieses Land doch ein ganz entscheidender Fortschritt gewesen.
({16})
Wir sind aber der Meinung, daß ganz entschieden Macht von der Bürokratie, von der Regierung, von der Industrie genommen werden muß und daß diese Macht nun nicht dieses Parlament stärken sollte, sondern daß sie dem Volke zurückgeführt werden muß, daß sich das Volk die Macht wieder aneignen muß.
({17})
Wir haben das als Basisdemokratie bezeichnet. Es geht um die Wiederaneignung und Selbstbestimmung, beispielsweise im Wohnungswesen, im Schulwesen, im Bereich der Kindergärten und dergleichen. Warum muß da überall der Staat und auch dieses Parlament hineinregieren?
({18})
Es geht um eine Rückführung der Macht dorthin, wo die Bürger leben, in die Kommunen und kleinen Einheiten. Es geht um Dezentralisierung der Entscheidungsbefugnis im Steuerwesen, im Bauwesen, in der Verkehrspolitik, in der Energieversorgung. Es geht um Selbstbestimmung, vor allem auch in den Betrieben und im öffentlichen Dienst. Gerade da könnte dieses Haus eine Vorreiterrolle spielen. Es geht um Öffentlichkeit, um Entmachtung der Parteiapparate, um Befreiung der Medien, des Rundfunks und des Fernsehens von dem Proporzsystem der Parteien. Es geht um Streichung der 5-%-Klausel, um Volksabstimmungen auf allen Ebenen.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit jetzt ausgeschöpft.
Ich komme zum Schluß.
Wenn Sie zu solchen Änderungen bereit wären, würden Sie diese Demokratie und das Ansehen dieses Parlaments ungeheuer verbessern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als Fraktionsvorsitzender bedauere ich, daß es nicht möglich war, sich in diesem Hause darauf zu verständigen, diese Debatte am Vormittag zu führen
({0})
und damit der Presse eine erweiterte Möglichkeit der Berichterstattung zu geben, nachdem - wie wir vorhin gehört haben - Fernsehen und Rundfunk nicht bereit waren, Übertragungen vorzunehmen.
Als Fraktionsvorsitzender möchte ich klar zum Ausdruck bringen, daß wir versuchen werden, die vielen Anregungen grundsätzlicher oder spezieller Art so schnell wie möglich aufzuarbeiten, damit sie in der Kommission umgesetzt werden können.
Persönlich möchte ich meinem Vorredner sagen: Natürlich hat in einer Demokratie jede Minderheit
das Recht, beachtet zu werden, aber auch jede Mehrheit hat das Recht, beachtet zu werden,
({1}) und das wird durch Wahlen entschieden.
Es ist die Bitte geäußert worden, aus Erfahrungen der Vergangenheit, weil da manches besser gelaufen sei, hier dazu etwas zu sagen. Dies will ich als Abgeordneter tun. Zunächst eine Bitte: Alle, die hier mit Überzeugung für mehr Individualität der Abgeordneten eingetreten sind, bitte ich herzlich, in ihren eigenen Stellungnahmen nicht mehr in den Fehler zu verfallen, dann individuelle Meinungen als Fraktionsmeinung oder Parteimeinung der anderen Parteien hinzustellen und daraus dann parteipolitisches Kapital schlagen zu wollen.
({2})
Nur wenn diese Forderung nach mehr Individualität, die wir an uns selbst stellen, von jedem in diesem Sinne beachtet wird, kann sie auch im Parlament wirkungsvoll vertreten werden.
({3})
Eine Anregung - das ist eine rein praktische Frage -: Wir sprechen soviel davon, daß die Effektivität unserer Arbeit verbessert werden soll. Ich wäre dankbar, wenn diese Kommission einmal darüber nachdenken würde, ob es nicht sinnvoll ist, das, was wir Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre praktiziert haben, wieder einzuführen, d. h. in jeder zweiten Sitzungswoche, wenn wir zwei oder drei Sitzungswochen hintereinander haben, eine reine Ausschußsitzungswoche durchzuführen, damit die Ausschüsse von Mittwoch bis Donnerstag und Freitag hintereinander arbeiten können, damit nicht ständig wieder Fragen neu aufgenommen werden müssen, so daß die Ausschüsse - wie Verteidigungsausschuß, Auswärtiger Ausschuß und Innerdeutscher Ausschuß, wo eine relativ große Identität der Kollegen vorhanden ist - durch ein Nacheinanderliegen der Termine besser und ökonomischer arbeiten können, so daß die Kollegen, die in mehreren Ausschüssen sind, öfter als bisher in den Sitzungen mitwirken können. Selbstverständlich soll dabei das Recht auf die Fragestunde an den Sitzungstagen erhalten bleiben. Sich darauf zu konzentrieren und dies mit zu überlegen, würde manches in diesem Hause effektiver machen, als es jetzt ist, wo in den Ausschußsitzungen die Gesetzesberatungen auseinandergerissen werden und damit oft länger dauern, als wir es Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre erlebt haben.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ({0})?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, befürchten Sie nicht, daß dann noch weniger Aktualität durch den Deutschen Bundestag nach außen
dringen kann, weil alle Ausschußsitzungen überhaupt nicht nach draußen transportiert werden?
Nein, Herr Kollege Schulte, das befürchte ich nicht; denn wir haben natürlich auch die Möglichkeit gehabt, wenn sich herausstellte, daß tatsächlich nicht alle drei Tage in einer Woche gebraucht wurden, den Freitag für Plenarsitzungen zu verwenden. Zweitens geht damit das Recht der Aktuellen Stunde nicht verloren. Aber wenn Sie dies einmal wirklich bis zum letzten durchdenken, werden Sie feststellen, daß dann das Interesse der Abgeordneten für das Plenum größer wird und sie im Plenum konzentrierter diskutieren, wie sie auch in den Ausschüssen die Arbeit dann konzentrierter verrichten können. Deshalb meine Bitte, diese Frage in der Kommission noch einmal in aller Ruhe zu durchdenken und dabei die positiven Erfahrungswerte, die wir Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre damit gehabt haben, in diese Überlegungen miteinzubeziehen.
Herr Abgeordneter Mischnick, da gibt es noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage von Dr. Marx. Gestatten Sie diese?
Bitte.
Danke sehr. Herr Kollege Mischnick, könnten Sie in die Überlegungen der Kommission auch einen Vorschlag mit einbeziehen, der heute von einem anderen Kollegen gemacht worden ist - wir tagen selten drei Wochen hintereinander -, nämlich daß wir am Vormittag die Plenarsitzungen machen, wo auch die Aufmerksamkeit der Presse entsprechend hoch ist, da darüber am Nachmittag berichtet werden kann, und an den Nachmittagen die Ausschüsse tagen lassen? Ihren Vorschlag halte ich hinsichtlich der Ausschußarbeit für gut, die jetzt so sehr notleidet, daß ich Ihnen sagen muß: Man kann bald die Verantwortung für die Führung eines Ausschusses bei der Geschäftslage nicht mehr übernehmen.
({0})
Selbstverständlich ist dieser Vorschlag, der auch schon vor einiger Zeit diskutiert worden ist, ebenfalls eine Überlegung wert. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß das natürlich bedeutet, daß längere Debatten immer auf zwei Tage verteilt werden müssen, oder daß die Gefahr besteht, daß nachmittags Ausschüsse ausfallen, weil die Debatte am Vormittag nicht beendet werden konnte. Deshalb scheint mir die andere Überlegung praktikabler zu sein, obwohl ich den Wert reiner Vormittagssitzungen von der Berichterstattung her durchaus zu sehen vermag. Umgekehrt hat auch der Gedanke, Plenarsitzungen nur nachmittags abzuhalten, seinen Charme. Nur muß man sehen, daß bei beiden Überlegungen die Möglichkeit, längere Debatten wirklich durchzustehen, nicht mehr besteht, und die Ausschußsitzungen würden auf diese Weise wieder auseinandergerissen. Meine Bitte ist, dies in aller Ruhe zu bedenken und darüber nachzudenken.
Eine letzte Bemerkung: Es ist der Wunsch geäußert worden, daß wir darüber möglichst bald entscheiden. Meine Bitte ist, daß diese Kommission so schnell wie möglich zusammentritt, daß wir aber auch, wenn Ergebnisse vorliegen, sie hier schnellstens beraten und die Folgerungen, die daraus für den Haushalt zu ziehen sind, dann durchstehen, selbst wenn es dann draußen wieder heißt, für das Parlament werde diese oder jene Million bewilligt.
({0})
Das darf dann draußen kein Gegenstand unterschiedlicher Betrachtung sein. Ich kann ja nicht verschweigen, daß es Kollegen gibt, die hier für Dinge eintreten, die aber dann, wenn es draußen darum geht, dazu zu stehen, allzu leicht bereit sind, Meinungen, Stimmungen und Stimmungstrends nachzugeben.
({1})
Herr Kollege Mischnick, Sie werden sicher mit mir einverstanden sein, wenn ich Sie sehr bewußt an einer Stelle korrigiere. Der WDR überträgt bis 19 Uhr. Der Hörfunk soll dann hier wenigstens positiv erwähnt werden.
({0})
Jetzt hat der Abgeordnete Buschbom das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt vier Stunden debattiert und haben doch eigentlich vieles gesagt, was unser Anliegen ist und was uns am Herzen liegt. Ich habe ein bißchen Hemmungen, noch zu sprechen, weil ich meine, daß wir, wenn wir noch sehr lange debattieren, das, was wir in diesen vier Stunden erarbeitet haben, wieder zerreden.
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Da ich aber gebeten worden bin, hier zu einem Sonderproblem zu sprechen, bin ich veranlaßt, Ihre Aufmerksamkeit noch in Anspruch zu nehmen. Ich soll mich mit Ihnen über die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages unterhalten.
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- Die Kollegen im Geschäftsordnungsausschuß, dem ich angehöre, meinten, daß man sich bei dieser Debatte auch darüber unterhalten sollte, und das ist der Grund dafür, daß Sie mich hier oben sehen.
Als ich Mitglied des Bundestages wurde, bekam ich - wie Sie alle - ein Formblatt: Biographische Angaben für das Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages. Da stand vorn ein Auszug aus den Verhaltensregeln, und dann kamen Angaben nach den Verhaltensregeln. Das habe ich - wie Sie vermutlich auch - brav ausgefüllt, und dann hat es,
glaube ich, ein Jahr oder noch etwas länger gedauert, bis ich mich mit den Verhaltensregeln einmal richtig befaßt habe. Ich nehme an, Ihnen wird es ähnlich gegangen sein.
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Deshalb dieser Beitrag zu der Frage, was denn nun diese Verhaltensregeln sind.
Als gründlicher Bürger versucht man dann, ein bißchen in der Historie zu forschen und nach den Rechtsquellen zu suchen. Die haben wir in der Tat. Wir haben einen verfassungsmäßigen Grundsatz; das ist Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes. Wir haben eine gesetzliche Grundlage, nämlich § 44 a des Abgeordnetengesetzes. Schließlich haben wir tatsächlich die Verhaltensregeln in der Fassung von zwei Bundestagsbeschlüssen.
Ich muß leider in mein Konzept schauen, weil all das ein bißchen formalistisch ist. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes lautet: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Das ist ein großer Satz. Was heißt das? Vertreter des ganzen Volkes zu sein, heißt, nicht nur Vertreter der Partei zu sein, der man angehört. Das ist schon sehr schwierig. Aber die Staatsgewalt geht nach unserer Rechtsauffassung in einer Republik nun einmal vom Volke aus, das von allen Mitgliedern dieses Bundestages repräsentiert wird.
Die Abgeordneten sind „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" - auch das ist ein ganz großes Wort. Wenn wir so an unsere internen Strukturen hier denken, die uns die Arbeit ermöglichen, dann kommen uns j a schon manche Zweifel. Aber immerhin, die Verfassungsnorm gibt dem Abgeordneten hier seine persönliche Unabhängigkeit und weist seine Willensentscheidung ihm ganz allein, seiner eigenen Verantwortlichkeit und seinem eigenen Gewissen zu, das dem Urteil des ganzen Volkes gegenüber bestehen muß.
Schön, das ist zwar Verfassungstheorie, aber immerhin folgt auch etwas für unser praktisches Leben daraus: Nach dieser Verfassungsnorm trägt jeder Abgeordnete die persönliche Mitverantwortung sowohl für seine Gewissenhaftigkeit als Vertreter des ganzen Volkes bei der Wahrnehmung seiner parlamentarischen Aufgaben, also etwa bei der Gesetzgebung, der Bildung der Regierung und deren Kontrolle, als auch für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Parlaments in der Öffentlichkeit.
Diese persönliche Mitverantwortung umfaßt die gesamte parlamentarische Tätigkeit des Abgeordneten - aber nicht nur das, sondern auch seine private Tätigkeit. Das Schlagwort „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" gilt für Abgeordnete sehr eingeschränkt, weil das ganze Volk natürlich Idealvorstellungen gegenüber seinen Vertretern hegt
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und vorbildliches Verhalten sowohl in der parlamentarischen Tätigkeit als auch im sonstigen gesellschaftlichen Umfeld erwartet. Der Abgeordnete
muß daher auch in seinem privaten Bereich mit besonderer, kritischer Aufmerksamkeit rechnen; für das parlamentarische Verhalten ist das selbstverständlich.
Beim parlamentarischen Verhalten haben wir zwei Besonderheiten: Die eine liegt in der Zusammensetzung des Bundestages, der die Gesamtbevölkerung nicht angemessen widerspiegelt - jedenfalls habe ich diese Ansicht -, weil der Anteil an öffentlichen Bediensteten, Rechtsanwälten, Landwirten und Gewerkschaftlern überdurchschnittlich groß ist. Hier können Vorbehalte gegenüber der Eignung der Parlamentarier entstehen, und es kann auch allgemeine Verdrossenheit beim Betrachter wegen Fehlens angemessener Repräsentanz aufkommen.
Die zweite Besonderheit bietet die Begleitung, die wir da links und rechts haben, die das Fernsehen dem öffentlichen Auftreten des Abgeordneten - nicht nur hier, sondern auch außerhalb des Hauses - angedeihen läßt und dadurch natürlich Wirkungen auf das Verhalten des Abgeordneten erzielt. In den Ausschüssen, die im allgemeinen nicht öffentlich tagen, ist die interfraktionelle Zusammenarbeit kollegial. Ich habe da also immer ordentlich arbeiten können.
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Im Plenum, wenn das Fernsehen läuft, glaubt nahezu jeder Redner, seinem Wähler beweisen zu müssen, daß er es den andern aber so richtig zeigen kann. Da herrscht der schwere Säbel, obgleich das Florett ausreichte. Dem Wähler, also dem vertretenen Volk, mißfällt das, weil sein Verständnis wenn auch nicht unbedingt auf Harmonie, so doch auf Sachlichkeit ausgerichtet ist. Das sollten wir uns hin und wieder zu bedenken geben. Der Wähler sieht das „interfraktionelle Bier", das wir ja zum Glück miteinander trinken, und den gemeinsamen Skat, den wir hin und wieder spielen, leider nicht. Nun, das war die Verfassung.
Wir kommen nun zu § 44 a des Abgeordnetengesetzes.
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- Dazu kommen wir ja gleich. - Das ist also die Norm, nach der unsere Verhaltensregeln verankert worden sind. Nach diesem Gesetz - Herr Kollege, Sie haben es offenbar nicht gelesen, sonst könnten Sie diese Frage nicht stellen; ich muß Ihnen aber ehrlich sagen, mir ist es lange Zeit auch so gegangen - hat sich der Bundestag für seine Abgeordneten Verhaltensregeln zu geben, die Bestimmungen über die Angabe der beruflichen Tätigkeit, die Offenlegung von Interessenverknüpfungen, die Rechnungsführung und die Anzeige von Spenden, die Anzeige besonderer Einnahmen und die Unzulässigkeit der Annahme bestimmter Zuwendungen sowie das Verfahren bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln enthalten müssen. Solche Verhaltensregeln sind, wie gesagt, vom Bundestag am 21. September 1972 und am 25. Juni 1980 beschlossen worden. Ich kann Ihnen diese Regeln hier jetzt nicht vorlesen; ich bitte Sie, sie nachzulesen. Diese Regeln zerfallen in drei Gruppen: Anzeigepflichten,
zwei Verbotstatbestände und das Verfahren bei Nichtbeachtung dieser Pflichten oder Verbote.
Die Anzeigepflichten bestehen gegenüber dem Präsidium. Darüber wird zum Teil etwas veröffentlicht, wie man aus dem Kürschner entnehmen kann. Die Anzeigepflichten betreffen den Beruf, Nebentätigkeiten, Beratungs- und Vertretungstätigkeiten, Einkünfte aus Gutachten, Veröffentlichungen oder Vorträgen und aus Vertretungen in Rechtsstreitigkeiten für oder gegen die Bundesrepublik Deutschland, sofern die jeweilige Vergütung eine im einzelnen bestimmte Summe überschreitet. Sie betreffen ferner Interessenverknüpfungen und erhaltene Spenden.
Der Zweck der Anzeige ist es, wirtschaftliche Tätigkeiten von Abgeordneten mit den damit verbundenen Einkünften und möglichen Interessen - wenn auch nur teilweise und nur präsidialintern - zu publizieren und damit eine sowohl bundestagseigene als auch öffentliche Kontrolle zu ermöglichen.
Dies geschieht nicht reibungslos. Insbesondere verfassungsmäßige Rechte wie auch standesrechtliche Bindungen von Abgeordneten schaffen Probleme und Abgrenzungsschwierigkeiten. Der Abgeordnete soll frei, unabhängig und nicht an Weisungen gebunden sein. Wird durch die geschilderte Offenbarungspflichten und Kontrollen nicht seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt?
Weiter: Nach dem Verfassungsverständnis unseres Grundgesetzes ist die Ausübung eines Zivilberufs nicht unvereinbar mit dem Abgeordnetenmandat. Lediglich für Beamte und Angestellte, also für Bedienstete des öffentlichen Dienstes, sowie für Soldaten, Richter und Hochschullehrer ist die Wählbarkeit eingeschränkt. Aber, wie gesagt, grundsätzlich geht das Grundgesetz davon aus, daß der Abgeordnete auch einen Zivilberuf ausübt oder ihm nachgehen kann.
Meine Redezeit läuft ab. Ich muß mich etwas beeilen.
Nein, Ihre Redezeit ist überzogen, Herr Kollege.
Dann mache ich also Schluß. Ich kann Ihnen nur sagen: Hier gibt es Kollisionen mit Berufspflichten und Mandatsoffenlegungspflichten, die nicht immer einfach zu lösen sind und nur von Fall zu Fall einer Lösung zugeführt werden können.
Ich bin leider noch nicht ganz am Ende.
Präsident Dr. Barzel Doch, Sie sind jetzt am Ende, Herr Kollege.
Aber was ich noch zu sagen habe, werde ich in einer späteren Debatte nachholen.
Ich bedanke mich sehr.
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Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, habe ich eine geschäftsleitende Bemerkung zu machen. Wir hatten vorgesehen, die Debatte bis ungefähr 19 Uhr zu führen, ohne daß das so streng gehandhabt werden soll. Mir liegt noch weit über ein Dutzend Wortmeldungen vor. Ich bitte die parlamentarischen Geschäftsführer, ein Gespräch miteinander zu führen und mir dann einen Vorschlag für den Fortgang der Debatte zu machen.
Das Wort hat Herr Kollege Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat hoffentlich schon eine mehrfache positive Wirkung. Denn eines kann man feststellen: Man lernt die Kollegen von einer neuen Seite kennen.
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Ich kann z. B. erstmals dem Herrn Kollegen Czaja in der Sache zustimmen. Ich möchte das, was Herr Czaja hier vorhin ansprach, an Beispielen illustrieren. Ich hoffe, daß er am Ende zustimmen kann.
Wir sind sicherlich alle, meine Damen und Herren, mit mehr oder weniger hohen Erwartungen als Abgeordnete nach Bonn gekommen. Auch wenn die Durchsetzbarkeit eigener Vorstellungen gering eingeschätzt wurde, so hofften wir zumindest, daß alle Organe, ganz besonders auch die Bundesregierung, die heute nicht allzu auffällig vertreten ist und die größtenteils aus Parlamentariern besteht, bemüht sein würden, den Abgeordneten in die Lage zu versetzen, seinem Auftrag zur Vertretung des Volkes und seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung nachzukommen. Man las sicherlich in den ersten Tagen schon die Geschäftsordnung und fand sich bestätigt, da es in § 16 heißt:
Die Mitglieder des Bundestages sind berechtigt, alle Akten einzusehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder eines Ausschusses befinden; ...
Aber schon bald erfährt jeder: Die Wirklichkeit ist ganz anders - auch trotz der schönen großen Reden hier heute. Nicht die Bürokratie alleine ist der Hemmschuh, sondern auch der Versuch der Regierung, den Abgeordneten Informationen vorzuenthalten und durch vorhandenes Herrschaftswissen im Vorteil zu bleiben. Die Menschen sind sicherlich alle freundlich, auch die auf seiten der Regierung. Aber die notwendigen Informationen werden um so hartnäckiger abgeblockt.
Ich möchte dieses Problem an einem praktischen Beispiel illustrieren. Man könnte sicherlich viele andere Beispiele nennen.
Die Bevölkerung im Wahlkreis wird unruhig. Sie hört, die USA wollen ihre Giftgaskampfstoffe modernisieren. Die Leute leben in der Nähe von USStandorten und beobachten dort vermehrt Baumaßnahmen. Die Bevölkerung im Umkreis dieser US-Standorte ist sicher: Diese Baumaßnahmen werden vorgenommen, um dort die neuen Giftkampfstoffe zu lagern. Man spricht den Abgeordneten an: Du mußt was tun; wir wollen nicht, daß unsere Region zum Pulverfaß ausgebaut wird. Wie leicht kann ein Unfall passieren! Worin besteht der Zivilschutz? Das sind nur einige Fragen.
Der gewissenhafte Abgeordnete ist skeptisch, ob bei diesen Standorten das Giftgas der US-Streitkräfte lagert, aber er nimmt die Argumente und die Ängste der Bevölkerung ernst und will den Sachverhalt aufklären. Er will auch wissen, ob es gegebenenfalls wirksame Zivilschutzmaßnahmen gibt. Aber dazu muß er wohl wissen, wo welche Kampfstoffe lagern und ob die Ängste der Bevölkerung seiner Region berechtigt sind. Gegebenenfalls will er glaubwürdig beruhigen können und der Bevölkerung die Sorge nehmen. Er will aber auch nicht ungeprüft nachplappern - wie es sicherlich einige von uns immer wieder tun -, was von Regierungsseite pauschal versichert wird, nämlich, es gehe keine Gefahr von den Giftgaslagern für die Bevölkerung aus.
Der Abgeordnete stellt also mündliche Fragen. Die Antwort auf viele Fragen ist einheitlich: Wir sagen dazu nichts, weder bestätigen wir noch dementieren wir. Das unterliege der Geheimhaltung. Zuerst glaubt man noch an eine Ausnahme. Es muß doch einen Weg geben, um sich selbst sachkundig zu machen. Man stellt weitere Fragen. Andere Kollegen schließen sich an. Und immer wieder kommt die gleiche verschleiernde Antwort. Der Abgeordnete setzt sich mit Mitgliedern anderer Ausschüsse zusammen. Er führt Gespräche im Verteidigungsministerium - immer die gleiche nichtssagende Antwort. Kein Ansprechpartner ist offensichtlich wirklich informiert. Die Informationen unterliegen der Geheimhaltung. Weder Akteneinsicht noch Information unter Geheimhaltung sind möglich.
Die Regierung wechselt, nicht aber die Sturheit in der Verweigerung der Auskunft. Wie heißt es doch so schön in der Geschäftsordnung? „Die Mitglieder ... sind berechtigt, alle Akten einzusehen, ..." - Ich meine: blanke Theorie; die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Was sollen die festgelegten Geheimhaltungsgrade, von denen auch der Kollege Czaja sprach - ich nenne nur die drei wichtigsten: streng geheim, geheim, vertraulich -, wenn der einzelne Abgeordnete keine Chance hat, an wichtiges, eventuell geheimes Material irgendwie heranzukommen? Welchen Wert hat die Fragestunde, wenn die Bundesregierung entscheidet, in welchem Fall überhaupt informiert wird? Wir ändern dieses Problem auch nicht dadurch, daß wir die Zahl der Fragestunden vermehren.
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Ich meine, im Grunde ist es eine Schande für alle Abgeordneten des Bundestages, wenn Mitglieder dieses Hauses eine Organklage in Gang setzen müssen, um sich ihr Informationsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht zu erstreiten und die Bundesregierung zur Auskunftspflicht zu zwingen. Auch hier wird dann der Kampf mit ungleichen Waffen sofort deutlich. Die Bundesregierung hat ausreichend Mittel zur Verfügung, um die besten Gutachter gegen die Interessen der Abgeordneten zu verpflichten, während die einzelnen AbgeordneSielaff
ten lange suchen müssen, um überhaupt eine teilweise Finanzierung eines Gutachters zu erreichen.
Ich meine, Sontheimer hat recht, wenn er in „Grundzüge des politischen Systems" schreibt: „Die geringe Kontrollmöglichkeit des Parlaments wird auch erkennbar an der Art und Weise, in der es über politische Entscheidungen der Regierung informiert wird."
Ich möchte weitere Beispiele bringen. Wenn Frau Hamm-Brücher in ihrem Papier bzw. in unserem gemeinsamen Papier schreibt - ich zitiere - „Das Fragerecht des Abgeordneten ist ein entscheidendes Instrument der Regierungskontrolle. Mit dem Fragerecht korrespondiert die Antwortpflicht.",
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so kann man dem voll zustimmen. Dann muß allerdings auch die Qualität der Antwort zur Diskussion stehen.
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Wenn geantwortet wird, ohne Information zu geben oder ohne sich überhaupt ernsthaft darum zu bemühen, bleibt diese Aussage ohne jegliche Wirkung. Mit der Art der Antwortpflicht steht und fällt auch, wie ich meine, das Informationsrecht.
Noch gestern, liebe Frau Kollegin, gab es einige Beispiele, wie die Bundesregierung auf Anfragen der Abgeordneten eingeht: indem sie teilweise Fragen gar nicht beantwortet, Dinge beantwortet, die überhaupt nicht gefragt sind, oder Ausflüchte macht. Zum Beispiel bei einer Zusatzfrage, welche Weisung die Bundesregierung ihren Mitgliedern in Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit gegeben habe. Die Antwort - ich zitiere -: Dieses ist nicht der Ort, darüber zu reden. Das war die Antwort; sicherlich morgen im Protokoll nachzulesen.
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- Sehen Sie. Man könnte daraus auch weiter folgern: Welche Funktion haben wir, wenn das an diesem Ort gesagt wird?
Oder auf die schriftlich eingereichte Frage „In wie vielen Arbeitsämtern sind die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereits erschöpft?" die Antwort: Das wissen wir nicht. Und das, obwohl die Bundesregierung mehrere Tage Zeit gehabt hätte, nachzuforschen, oder sie hätte zumindest sagen können: Wir liefern die Antwort nach. Wo bleibt da die Auskunftspflicht der Bundesregierung?
Die verbürgte Kontrollkompetenz des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten gegenüber der Regierung ist, meine ich, nur im Zusammenhang mit einer allgemeinen Informationszuständigkeit möglich und auch sinnvoll. Ohne ausreichende Information kann das Parlament die Kontrollpflicht nicht ausüben. Ich meine - damit möchte ich zum Schluß kommen -, daß das Bundesverfassungsgericht das auch so festgehalten hat. Wir sollten alle gemeinsam versuchen, diese Kontrollfunktion nicht nur verbal im Parlament anzusprechen, sondern auch auszuüben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kriege gerade gesagt, daß ich fünf Minuten reden darf. Das ist natürlich ein Beispiel dafür, wie man Parlamentsdebatten nicht gestalten kann: daß man um 18.30 Uhr einem Kollegen sagt, er habe nur fünf Minuten Redezeit. Das ist kein Beitrag, der uns, den Abgeordneten, das Hiersein in diesem Parlament erleichtert.
Ich möchte allerdings auch eine kritische Bemerkung machen. Wenn es hier heißt, die Kollegen können 10 Minuten reden, dann wäre es keine Schande, wenn man bei 9:30 Minuten aufhört, anstatt 11, 12 und 13 Minuten zu reden. Auch das wäre, meine ich, ein wichtiger Beitrag zur Kollegialität.
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- Herzlichen Dank, Herr Kollege Klein, für Ihre sieben Minuten. - Ich weiß, wie man das erreichen kann. Wenn wir wollen, daß wir miteinander reden: Dann schmeißt doch die Manuskripte weg. Wer nicht in der Lage ist, 7 Minuten ohne Manuskript zu reden, soll es doch sein lassen oder es irgenwann um 22 Uhr tun
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- das ist ein Beitrag -, egal ob jemand Fraktionsvorsitzender oder Antragsteller ist. Ich finde, dies ist für die Debatte wichtig. Wenn wir sagen, was wir alles wünschen, wie man mit uns umgeht, und 20 Leute nicht in der Lage sind, völlig frei zu reden, darf man sich doch nicht wundern, daß Journalisten über uns schlecht schreiben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich wundere mich gar nicht über mich selbst, wenn ich dann nicht mehr im Plenum bin. Das kommt noch dazu.
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Ich möchte etwas zur Präsenz sagen. Ich sage Ihnen ganz offen: Als ich hier anfing - ich bin jetzt 25 Jahre Abgeordneter, wenn es erlaubt ist, die Zeit im Rheinland-Pfälzischen Landtag dazuzunehmen -, war ich ein fleißiger Plenarsitzungsteilnehmer. Ich habe nach einigen Wochen festgestellt, daß hier zu sitzen unnötige Zeit ist, gemessen an dem, was ich als Einmannbetrieb-Abgeordneter sonst zu tun habe. Ich warne meinen Parlamentarischen Geschäftsführer Wolfgang Schäuble davor, zu sagen: Ihr müßt sehen, daß ihr mehr Präsenz habt. - Der Fraktionsvorsitzende Vogel hat gesagt, wir müßten mehr im Plenum sein. Ich sage Ihnen: Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich weiß nicht, wo ich streichen soll. Am Dienstag bei der Arbeitsgruppe? Wenn ich da nicht bin, verliere ich jeden Infor6248
mationsstand. In der Fraktion? Wenn ich da nicht bin, verliere ich jede politische Übersicht. Im Ausschuß? Wenn ich da nicht bin, entziehe ich mir selbst meine politisch-parlamentarische Tätigkeit. Dann kommt der Donnerstag. Meine Güte, ich muß doch meine Leute anrufen, ich muß doch Termine mit Leuten vereinbaren, die mich besuchen kommen. Ich muß doch zur Besuchergruppe.
Ich meine, wir sollten Abschied nehmen von der Präsenzpflicht, wie sie uns dargestellt wird. Präsenzpflicht haben wir in Moskau, in Ost-Berlin, in Warschau. Da gehört sich das so. Aber in den freien Parlamenten der Welt, ob im Unterhaus, im amerikanischen Senat oder im französischen Parlament, ist nicht die Frage, ob da zehn oder hundert Kollegen sitzen. Da lautet die Frage: Was ist das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen?
Es ist einiges Kritische zu Journalisten allgemein gesagt worden. Nun muß ich sagen: Es gibt nicht „die" Journalisten, es gibt nicht „die" Politiker. Aber es gibt einen Herrn Besser, Kommentator einer großen Boulevardzeitung, die am Sonntag erscheint.
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Dieser Herr Besser schreibt: „Daß Politiker eine besondere Gattung Mensch sind, bei denen das Streben nach gesicherten Posten über dem steht, was wir Anstand zu nennen pflegen, ist ja nichts Neues."
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Ich will nicht in eine Journalistenbeschimpfung eintreten. Nur ist soviel journalistische Arroganz, wie dieser Schreiber hier an den Tag legt, der von nichts eine Ahnung hat, einfach unerträglich.
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Da frage ich: Wieviel sind wir selber schuld, daß wir dies alles zur Kenntnis nehmen und denken, um Gottes willen, da darf man nichts gegen sagen, es ist eine große Zeitung, die verschweigen Dich? Ich weiß, in der Politik zählt: Besser, es steht etwas Schlechtes in der Zeitung als gar nichts. - Nach diesem Grundsatz ist es wertvoll, Schlechtes über einen geschrieben zu finden.
Meine Freunde, wenn wir Selbstbewußtsein haben und nicht davon ausgehen, daß wir von manchen zur Fußmatte der Nation gemacht werden, wenn wir lernen, hier diszipliniert, notfalls fünf Minuten und freihändig zu reden, dann leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Ansehen des Parlaments. Das ist wichtiger als die Präsenz in jeder Plenarsitzung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine Erfahrungen als Neuling im Deutschen Bundestag sind die - das ist heute schon an verschiedenen Stellen angeklungen -, daß die Informationsmöglichkeiten und somit die Entscheidungshilfen im allgemeinen für die Kontrolleure der Bundesregierung, die gleichzeitig die Volksvertreter sind, unzureichend sind. Das heißt nicht, daß nicht auch ich Berge an Material bekomme - auch ich bekomme nicht alle Informationen -, aber das heißt, daß ich nicht in der Lage bin, dieses Material durchzuarbeiten; dazu fehlt mir einfach die Zeit. Ich meine, daß dieses Aufarbeiten ein echtes Problem ist. Das macht die Kontrolle der Regierung in diesem Parlament recht schwer.
Das liegt auch daran - um das an zwei Beispielen zu bringen -, daß die Personalausstattung des durchschnittlichen Abgeordneten, 1,5 Arbeitskräfte, in der Regel zu miserabel ist. Darunter leiden die Bürger im Wahlkreis. Daß auf Redenschreiber zurückgegriffen wird, mag für die Betroffenen schön sein, aber ich gehöre zu den Abgeordneten, die das selber machen müssen. Wir müssen uns eben bis nachts hinsetzen, weil wir auf diese Ressourcen nicht zurückgreifen können. Deshalb gibt es ein Problem der Darstellung.
Zweitens sind Informationen und Entscheidungshilfen, die der Apparat des Deutschen Bundestages dem normalen Abgeordneten bietet, deshalb problematisch, weil sie nicht konzentriert genug sind und damit für den betroffenen Volksvertreter nicht zur Argumentationshilfe werden können. Das ist mein Eindruck. Wer andere Eindrücke hat, muß das sagen. Da liegt auch einer meiner Kritikpunkte. Das ist auch eine Frage des Ansehens des Parlaments, der Öffentlichkeitsarbeit, der Abgeordneten selber und ihrer Positionen.
Hier stellt sich die Frage: Sind denn alle Abgeordneten dieses Hauses gleich? Nach dem Gesetz ja. Aber wie ist das in der Praxis? Die Chancenverteilung zwischen den priveligierten Abgeordneten - man möge mir den Begriff „priveligiert" verzeihen - und den normalen Abgeordneten ist höchst ungleich. Die Abgeordneten in den vorderen Reihen können in den Fraktionen in der Regel auf Referenten zurückgreifen. Abgeordnete, die aus der Industrie kommen, können in der Regel auf Möglichkeiten der Zusammenarbeit dort zurückgreifen.
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Aber es gibt viele Abgeordnete, die das nicht können. Herr Schwarz, gerade weil Sie dazwischengesprochen haben: Man sollte es den Abgeordneten überlassen, ob sie hier mit einem Konzept, mit Stichworten oder frei reden wollen; denn es ist für jeden, der neu ist, ein Problem, hier vorne hinzugehen und das zu sagen, was er denkt.
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Eine unmittelbare Folge davon, Kolleginnnen und Kollegen, ist aber auch, daß die Presse bzw. die Medien sich an die privilegierten Abgeordneten wenden, sich an ihnen orientieren, weil sie über den höchsten Informationsstand, den aktuellsten Informationsgehalt verfügen. Damit gehört denen quasi der Raum auf den Vorderseiten der Zeitungen, und das Quasi-Monopol wird dadurch verstärkt. Das an sich ist nicht schlimm. Schlimm aber ist, daß bei der
Bevölkerung ein unrepräsentatives Bild der Abgeordneten besteht; denn sie hört und sieht fast nur dieselben, während alle anderen Abgeordneten, die in den Wahlkreisen, in der Bürgerbetreuung, in den Vereinen und Parteien ihre Arbeit absolvieren, in der Berichterstattung oft zu kurz kommen.
Wenn ich beklage, daß Informationen und Entscheidungshilfen des Apparates, der Ministerien, des Wissenschaftlichen Dienstes unzulänglich sind - ich weiß nicht, wie es euch geht; mir ist es so gegangen -, dann nicht zuletzt deshalb, weil man bei Anfragen stoßweise Bücher mit Zetteln drinnen bekommt, wo die Materie abgehandelt wird.
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Ja, wer soll denn wann diese Bücher alle lesen? Der Abgeordnete muß doch sachkundig für die Entscheidungen gemacht werden, die er vorbereiten will. Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß sich da etwas tun muß. Denn wenn sich da nichts tut, wird das Feld zwangsläufig den Experten überlassen, weil die Experten in den Fraktionen, wie immer das auch zustande kommen mag, über die besseren Argumentationshilfen verfügen. Hier kann ich dem Herrn Kleinert von der FDP zustimmen: Dann erst beginnt sich der Rest der Abgeordneten im Bundestag einzuigeln, weil sie sich mit ihrem Informationsdefizit als Außenstehende vorkommen. Und das schadet dem Parlamentarismus in dieser Gesellschaft, ganz abgesehen davon, daß den Menschen im Wahlkreis so nicht optimal geholfen werden kann.
Ich will das an einem Beispiel aus meinem Wahlkreis Ludwigshafen verdeutlichen. Ein Chemiearbeiter ist durch das chemische Produkt Methylphenylketon krank geworden. Ich habe versucht, dem Mann zu helfen. Ich kann ihm aber nur helfen, wenn dieses Produkt in die Liste der krebserregenden Stoffe aufgenommen wird. Entsprechende Erkenntnisse liegen vor. Nur dann würde er Berufsunfähigkeitsrente und Unfallrente bekommen. Er ist davon materiell abhängig. Da muß mir der Wissenschaftliche Dienst helfen. Das habe ich getan. Ich wende mich an den Wissenschaftlichen Dienst. Ich wende mich an die zuständigen Ministerien. Ich mache parlamentarische Anfragen und fordere Gutachten an. Das ist doch eines der Dilemmas, denen wir hier begegnen: Erstens hat der Wissenschaftliche Dienst sehr lange gebraucht, um zu antworten. Ich werde noch sagen, warum. Zweitens war der Wissenschaftliche Dienst leider nicht auf dem Erkenntnisstand, der mittlerweile zu dieser schädigenden Substanz in der Bundesrepublik bei Wissenschaftlern gegeben war.
Es war also nicht möglich, diese Informationen weiter zu transportieren. Ich sage noch einmal: Ich will hier nicht den Mitarbeitern des Wissenschaftlichen Dienstes zu nahe treten; denn mir ist auch die Erklärung gegeben worden, daß für verspätete, unzureichende und unvollkommene Antworten im Grunde genommen der katastrophale Personalmangel und die Arbeitssituation dortselbst verantwortlich zeichneten. Aber wenn ein Bürger monatelang auf Antworten warten muß, geht Vertrauen in dieses Parlament verloren, auch Vertrauen in den
einzelnen Wahlkreisabgeordneten, der nicht antworten kann.
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Des weiteren möchte ich in diesem Zusammenhang aus meinen Erfahrungen noch etwas zu den Anfragen an die Bundesregierung anmerken. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich sage wieder, wie es mir gegangen ist. Das beantwortende Ministerium sollte vielleicht stärker als in der Vergangenheit auch außenstehende Stellen konsultieren. Vielleicht könnte man dann den Abgeordneten bessere Informationen geben, Informationen, die mehr auf dem laufenden sind und die ihnen helfen.
Das bedeutet, meine Damen, meine Herren, daß die Exekutive, welche Partei sie auch immer stellen mag, die Einrichtung der Fragestunde und die Antworten des Wissenschaftlichen Dienstes ernster nehmen muß. Die Regierung darf keine Kosten scheuen, Parlamentarier auf den wirklich neuesten Stand der Entscheidungen zu setzen und ihnen bei der Entscheidung zu helfen.
Kurzum: Wenn Selbstverständnis und Selbstdarstellung des Deutschen Bundestages, repräsentiert durch alle Mitglieder, nicht leiden sollen, muß jeder einzelne Abgeordnete über die Möglichkeit verfügen, seine politische Kompetenz voll einzusetzen. Das heißt, daß damit vorrangig die Arbeits- und Personalkapazitäten und somit auch die Informations- und Entscheidungshilfen für die Kontrolleure der Bundesregierung - das sind die Abgeordneten - zu stärken sind.
Ein letzter Satz dazu: Fehlentscheidungen und parlamentarische Pannen der Regierung und der Abgeordneten kommen in der Regel durch schlechte Vorbereitung und durch Informationsdefizite zustande. Wir sollten daran denken, daß jede Entscheidung so gut und so schlecht ist wie die Information, die dieser Entscheidung zugrunde liegt. Die Abgeordneten sollen doch entscheiden. Wie sie entscheiden, erleben wir oft bei namentlichen Abstimmungen. Da können sie sich morgen wieder bewähren.
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Meine Damen und Herren, es ist möglich, die Redezeit nicht voll auszunutzen. Ich arbeite hier nicht gerne mit „Schluß der Debatte" oder solchen Sachen.
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Feldmann das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten beißen die Hunde - zumindest zeitlich -, heißt es so schön. Aus zehn Minuten werden fünf Minuten. Ich werde aber trotzdem versuchen, noch etwas herüberzubringen.
Zunächst möchte ich Dank sagen an Frau Kollegin Hamm-Brücher für ihre Initiative, die es ermög6250
licht hat, daß wir die Debatte heute hier in diesem Hause in dieser Ausführlichkeit führen können.
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Meine Damen und Herren, es ist auch ihr zu danken, daß wir hier einen konkreten Entschließungsantrag vorliegen haben, über den wir abstimmen können. Das ist wirklich hier heute in diesem Hause mehr als bloß eine Betriebsversammlung. Lassen wir uns letzteres doch nicht einreden!
Es ist sicher kein Zufall, Frau Kollegin HammBrücher, daß Sie diese Initiative ergriffen haben, können Sie doch als ehemaliges Mitglied der Regierung deutlich ermessen, was es heißt, ein Regierungsmitglied zu sein und als Regierungsmitglied den Apparat zur Verfügung zu haben, und was es heißt, sich als einfache Abgeordnete täglich wieder neu zu bemühen.
Ich unterstütze diesen Entschließungsantrag auch nicht deswegen, weil ich als überzeugter Liberaler gelegentlich gerne gegen den Stachel der Fraktion löcke oder hier Dampf ablassen muß - das brauche ich nicht hier vom Rednerpult zu machen -, sondern weil es mir wirklich ein Anliegen ist, dieser Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes, zwischen dem Anspruch des Wählers und des Bürgers und unseren realen Möglichkeiten hier Ausdruck zu verleihen. Ich meine wirklich, der vorliegende Entschließungsantrag ist ein Ansatz, der mit einem aufgeschlossenen Parlamentspräsidenten, wie wir ihn haben, dem freien Abgeordneten, der in erster Linie seiner Überzeugung und seinem Gewissen folgt, auf die Beine helfen kann.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, was die Vorredner hier gesagt haben. Zunächst sind die Informationsmöglichkeiten des Abgeordneten deutlich zu verbessern und ist korrespondierend dazu die Informationspflicht der Regierung zu erweitern. Und weiter: Warum soll mein Mitarbeiter nicht mit mir in meinen Ausschuß gehen dürfen, warum eigentlich nicht?
Verbessert werden muß aber auch die Möglichkeit, die Informationen, die ich erhalte, zu verarbeiten und umzusetzen. Dazu hat unser Parlamentspräsident eingangs sehr Richtiges gesagt - ich darf zitieren -: „Unser Ansehen hängt von unserer Arbeit ab." Wahrlich, so ist es. Zu Recht wird vom Abgeordneten Leistung verlangt. Aber meine Leistungsbereitschaft hängt doch nicht davon ab, daß meine Diäten regelmäßig angepaßt werden, meine Damen und Herren. Meine Leistungsfähigkeit hängt entscheidend davon ab, welche Mitarbeiter ich mir zur Durchführung meiner Arbeit leisten kann.
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Derzeit reicht eben die personale Ausstattung des einzelnen Abgeordneten nicht aus. Da stimme ich - mit Erlaubnis der Fraktion - voll dem Oppositionsführer zu und begebe mich in Gegensatz zu meinem Fraktionsmitglied Kleinert, ohne deswegen
gleich die Fraktion verlassen zu wollen, in der ich mich sehr wohlfühle.
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Als Realist bin ich mir auch bewußt, daß wir mit Reformeuphorie allein unsere Abgeordnetensituation nicht wesentlich verbessern können. Aber wir haben es hier heute wirklich in der Hand, dem vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen und damit unsere Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß dieses Parlament als oberstes Verfassungsorgan auch vom Bürger akzeptiert wird.
Herr Dr. Barzel, Sie haben eingangs gesagt: „Ein selbstbewußtes Parlament sollte sich nehmen, was ihm rechtlich und politisch zusteht." Ich wiederhole: was ihm rechtlich und politisch zusteht. Das halte auch ich für richtig. Die Initiative unserer Kollegin Frau Hamm-Brücher, der immerhin ein Fünftel der Mitglieder dieses Hauses zugestimmt hat, zeigt doch, daß es so schlecht um unser Selbstverständnis gar nicht bestellt ist. Allein die Tatsache, daß diese Aussprache heute in dieser Ausführlichkeit stattfinden kann, zeigt, daß wir die Unzulänglichkeiten unserer Arbeitsbedingungen erkannt haben und bereit sind, daraus Konsequenzen zu ziehen. Diese Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Debatte hier heute hat sich wirklich gelohnt.
Ich bedanke mich.
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Meine Damen und Herren, ich danke den Parlamentarischen Geschäftsführern für eine Verständigung darüber, daß wir die Debatte nicht abbrechen, sondern mit Fünf-MinutenBeiträgen fortsetzen wollen. Wir werden das nicht ganz streng handhaben. Sollte gleichwohl der eine oder andere Kollege nicht mehr drankommen, gibt es natürlich die Möglichkeit, Vorschläge für die Kommission auch schriftlich bei mir abzugeben.
Das Wort hat als nächster der Abgeordnete Vogt ({0}).
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Weg zum Mikrophon ist mir aufgegeben worden: „Mach was Fröhliches!" Ich finde es immer sehr schwierig, wenn man sozusagen unter Erfolgszwang steht.
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Das erste, was ich hier sagen möchte, ist, daß wir als Neulinge hier natürlich einige Beobachtungen von Zusammenhängen und von Funktionen gemacht haben, die vielen Kollegen und Kolleginnen sehr selbstverständlich sind. Ich möchte hier eines benennen, was vielleicht unüblich erscheint. Ich möchte den Stenographischen Dienst nennen. Ich muß sagen: Am Deutschen Bundestag fasziniert mich am meisten - ich sage das aus tiefster Seele,
Vogt ({1})
weil es sich in mir tatsächlich so abgespielt hat - der Stenographische Dienst,
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weil er sowohl geradezu atemberaubend akkurat als auch gewissenhaft arbeitet, z. B. indem er die Zitate nachprüft und auch sozusagen sehr außerhalb des üblichen liegende Zitate genau überprüft. Ich habe das selbst mehrfach erlebt. Ich habe aber auch erlebt - ich muß das hinzusagen -, daß er einem mit einer sehr nachdrücklichen Würde entgegentritt, wenn man - was sicher der eigenen Eitelkeit entspräche - versucht, den eigenen Beitrag sozusagen noch zu schönen.
({3}) Auch diese Seite konnte ich kennenlernen.
Ich will gleich auch etwas sagen, was vielleicht nicht jeder oder jede, in gleicher Weise von sich sagen würde; vielleicht hat jemand auch Angst, sich zu sehr anzubiedern. Ich sage hier mit voller Überzeugung, daß ich bei Mitgliedern der anderen Fraktionen mindestens genausoviel Achtung, Freundlichkeit und Kollegialität wie bei meiner eigenen Fraktion hier erlebt habe. Ich beziehe das nicht nur auf die Fraktionen, sondern insbesondere auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments im weitesten Sinn.
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- Man kann das verlängern. Zum Fahrdienst komme ich hoffentlich auch noch, wenn die Zeit reicht.
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Ich muß aber hinzufügen, daß es auch einiges gab, was mich schockiert hat. Dazu gehört eine gewissermaßen bei allen Fraktionen beheimatete Verhaltensform der Schuldzuweisung. Ich habe mich immer daran erinnert, was der damalige Justizminister Heinemann gesagt hat, als es darum ging, die sogenannten Osterunruhen 1968 parlamentarisch und in den Institutionen zu bewältigen. Er hat gesagt: Derjenige, der mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, soll immer darauf achten, daß drei Finger derselben Hand auf ihn zurückweisen. - Das ist eine Erkenntnis, die hier schon einmal vorgetragen worden ist.
({6})
- Doch. Das können Sie einmal nachprüfen. Wenn Sie allerdings mit ausgestreckter Hand zeigen, dann trifft das für Sie nicht zu. - Ich meine, das sollten sich alle zu Herzen nehmen. Mich hat das seinerzeit sehr beeindruckt, weil das, was geschehen war - das Attentat auf Rudi Dutschke und die anschließenden studentischen Unruhen in Berlin -, mich außerordentlich aufgewühlt hat und mir das auch in diesem Zusammenhang im Gedächtnis haften geblieben ist.
Das zweite, was mich hier oft zum Verzweifeln gebracht hat, ist die Undurchlässigkeit der Fraktionen sowohl im Plenum wie auch in den Ausschüssen, vor allem in den regulären Ausschüssen, insbesondere in den geschlossenen Ausschüssen. Es gibt gewisse Ausnahmen. Ich erwähne hier den Unterausschuß „Abrüstung und Rüstungskontrolle". Da habe ich oft den Eindruck: Dort gibt es einen Diskurs, bei dem eine gewisse Offenheit zu finden ist.
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang über den Begriff der Partei nachdenken. Partei ist, glaube ich, vom Wortsinn her etwas, was einen Teilaspekt betrifft. Parteien sind also Organisationen, die einen Teilaspekt in den Vordergrund rücken, historisch sicher meist dadurch ausgelöst, daß dieser Teilaspekt gesellschaftlich unterentwickelt war. Als die Sozialdemokratie z. B. ganz jung war, waren die soziale Gleichheit und die soziale Gerechtigkeit ganz besonders unterentwickelt. Sicher ist dieses Problem noch nicht gelöst. Insofern besteht eine sehr große Berechtigung, daß es weiterhin eine solche große Volkspartei gibt, die sich dieses Problem in erster Linie vornimmt.
Ich muß leider zum Schluß kommen. Ich möchte Ihnen ganz kurz sagen, daß der wichtige Teilaspekt, der bei den Grünen im Vordergrund steht, das Leben unter dem Aspekt der Bedrohung ist. Wir denken, daß dies in der Politik und von den Institutionen nicht hinreichend gesehen worden ist, und nehmen uns deshalb immer vor allem dieser Themen mit einer - sagen wir - gewissen Wucht und Verve an. Daß wir auch einmal andere Themen, die wir als von anderen nicht hinreichend berücksichtigt empfinden, mit der gleichen Leidenschaft angehen, bitte ich zu verstehen. In diesem Bereich des Lebensschutzes meinen wir keinen Kompromiß machen zu können. Ich kann das leider hier nicht mehr ausführen. Dieses Moment ist aber nicht das, was hier als Totalitarismus empfunden worden ist.
Ich danke Ihnen für die Geduld, die Sie aufgebracht haben, obwohl ich außerfahrplanmäßig hier noch etwas gesagt habe.
Herr Präsident, ich möchte Ihnen persönlich sagen, daß ich einen ziemlichen Gewinn von dieser Debatte habe.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der Kürze der Zeit ohne jede Einleitung ein paar Worte zu einem Thema, das uns heute schon häufig beschäftigt hat: Ich meine die Leere des Plenums. Über das Erscheinungsbild brauche ich nichts zu sagen. Wir sollten uns auch nicht der Illusion hingeben, daß das Plenum etwa immer voll sein müsse. Wenn aber Debatten - wie in der letzten Woche - vor 40 oder 50 Abgeordneten ablaufen, ist das Erscheinungsbild des Parlaments in der Öffentlichkeit verheerend. Das wird auch nicht durch die Presse bewirkt. Die Diskussionen mit unseren Parteifreunden oder
auch mit unseren Wählern machen uns das ja jedesmal wieder klar.
({0})
- Das weiß ich aus vielen Diskussionen, Herr Kollege Klein.
({1})
- Sie wissen es, weil wir doch Wert darauf legen, daß wir uns nicht im Geheimen versammeln. Ich weiß gar nicht, was wir eigentlich dagegen haben, daß das Fernsehen auch ab und zu die leeren Reihen zeigt. Das ist doch die Wahrheit, Herr Kollege Klein.
({2})
Wenn wir uns über die Ursachen unterhalten wollen, müssen wir sortieren. Es gibt Ursachen, die wir ändern können; es gibt Ursachen, die wir nicht ändern können. Wir können nicht ändern, daß die politischen Entscheidungen nicht im Plenum fallen. Sie fallen in den Präsidien der Parteien, sie fallen in den Ausschüssen, in den Arbeitskreisen, in den Fraktionssitzungen. Das ist im Grunde von den Schöpfern des Grundgesetzes auch so gewollt. Denn sonst wären die Diskussionen hier nicht öffentlich.
Wir sind da - das ist schon gesagt worden - in der Tat das Schaufenster. Wir sind - das ist ebenfalls schon gesagt worden - so etwas wie ein öffentliches Notariat. Ich würde allerdings das Bild vorziehen, daß wir hier ein Schauspiel vorführen. Damit trete ich dem Hohen Hause durchaus nicht zu nahe. Die Kulturkritik und Kulturgeschichte hat schon längst nachgewiesen, daß dem parlamentarischen Leben eine ganze Reihe von Spielelementen innewohnen. Das ist auch gar nicht schlecht. Es hat sich jedenfalls im angelsächsischen Bereich durchaus bewährt.
Wenn das aber ein Schauspiel ist, dann müssen wir sehen, wie wir dieses Staatsschauspiel so interessant machen, daß die Bänke nicht leer sind. Ich möchte zunächst einmal dafür plädieren, die Geschäftsordnung anzuwenden. In § 33 der Geschäftsordnung steht nun einmal, daß frei geredet werden muß. Wir wissen alle, daß eine Schreibe keine Rede ist und daß nichts so sehr den Kontakt zwischen dem Zuhörer und dem Redner beeinträchtigt, als wenn ein Manuskript abgelesen wird.
Es geht gar nicht darum, wie sehr nun der eine Aufzeichnungen benutzt oder nicht. Wir erleben es aber doch immer - wir haben es sogar heute in der Parlamentarismusdebatte erlebt -, daß Reden vom ersten bis zum letzten Satz abgelesen werden.
({3})
Hier ist es eigentlich dann die Aufgabe der Präsidenten, einmal zu sagen, daß das gegen die Geschäftsordnung verstößt. Vielleicht könnte die Geschäftsordnung sogar einmal Anlaß für eine Wortmeldung sein.
Eine zweite Bemerkung: kürzer reden. Wir haben heute gesehen, daß wir mit zehn Minuten blendend zu Rande kommen. Politiker tun sich in einer Hinsicht immer schwer: Ich beziehe mich auf Matthäus 12, Vers 36, in dem steht, daß wir eines Tages Rechenschaft über jedes unnütze Wort ablegen müssen, das wir gesprochen haben.
In § 27 der Geschäftsordnung steht, daß Zwischenfragen kurz und präzise sein sollen und müssen. Zwischenfragen sind ja ein durchaus belebendes Element. Es ist auch legitim, den Redner damit aus dem Konzept zu bringen, zu versuchen, ihn in die Enge zu treiben. Ich finde es aber niveaulos, ihm die Zeit zu stehlen. Wir wissen doch alle, wie Zwischenfragen ablaufen, nämlich in der Weise: „Gehen Sie mit mir darin einig, daß ...". Dann kommt ein endloser Bandwurmsatz, zum Teil kommen sogar mehrere Sätze. Wir brauchten uns über die Frage, ob sich die Redezeit dadurch verlängert, gar nicht zu unterhalten, wenn darauf geachtet würde, daß eine Zwischenfrage tatsächlich kurz und präzise ist. Wenn sie das nicht ist, muß das Mikrophon abgeschaltet werden.
Eine letzte Bemerkung noch - ich hätte noch eine Reihe von Vorschlägen zu machen -: Wenn wir es ernst meinen mit unserem Vorhaben, das Plenum zu füllen, dann müssen wir insbesondere dann, wenn wir die Plenumszeiten verändern, vielleicht auch einmal darüber nachdenken, daß wir die hausinternen Fernseh- und Rundfunkübertragun. gen aus dem Plenum stoppen.
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- Jawohl, das müssen wir wirklich tun; denn wenn wir davon ausgehen, daß uns nur wichtige Dinge vom Plenarbesuch abhalten, können wir auch darauf verzichten.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Stand der Debatte möchte ich mich auf zwei Punkte beschränken. Zunächst möchte ich mich mit den Initiativmöglichkeiten beschäftigen, und zwar weniger mit den formalen Initiativrechten als den praktischen Initiativmöglichkeiten. Ich tue das vor dem Hintergrund, daß ich glaube, daß es in diesem Haus in einer Reihe von Fragen inhaltlich Mehrheiten gibt, die aber durch die Art der Willensbildung in diesem Hause nicht zum Tragen kommen.
({0})
Es gibt hier sicherlich eine Mehrheit, etwas mehr
für die Krebsforschung zu tun, es gibt eine MehrBindig
heit, etwas gegen die hohe Zahl der Verkehrstoten zu tun,
({1})
und es gibt sicherlich eine Mehrheit auch bei einer Reihe von Maßnahmen im Umweltbereich. Ja sogar bei der aktuellen Frage, die wir heute morgen diskutiert haben, glaube ich, daß die wirkliche Mehrheit zu etwas anderem als dem führen könnte, was jetzt wohl aus diesem Parlament herauskommen soll. Das ist auch beim Tierschutzgesetz, beim Schutz wild lebender Tiere, beim Schwerbehindertengesetz so. Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die eigentlich ein anderes Ergebnis haben könnten, wenn die Willensbildungsmechanismen hier anders wären.
Woran liegt das? Die Meinungsbildung der Abgeordneten ist, ehe sie richtig in Gang kommt, schon vorherbestimmt oder zumindest kanalisiert. Abgeordnete der Regierungsfraktionen spüren das am deutlichsten; denn wenn das Kabinett einmal entschieden hat, heißt es sowieso nur noch: Es soll das durchgesetzt werden, was im Kabinett beschlossen worden ist. So kommt es, daß manche mögliche Mehrheit, die für das Gemeinwohl aber sehr wichtig wäre, letztlich gar nicht bei den Parlamentsberatungen zustandekommt. Es geht mir nicht um eine Verwischung der Fraktionsgrenzen, sondern darum, bei Fragen, die für unsere Gesellschaft in besonderem Maße wichtig sind, darauf zu achten, daß die Initiativkraft dieses Parlamentes voll ausgeschöpft wird.
Hier bin ich gänzlich anderer Meinung als Sie, Frau Hellwig. Natürlich sehe ich den Sinn ein, daß Parteien die Willensbildung im Volk mit organisieren, daß sie Programme bilden; aber irgendwo ist dann hinsichtlich der Parteilichkeit Schluß. Wenn es um die Lösung geht, darf das Parteiwohl nicht vor das Allgemeinwohl gestellt werden, sondern der Kern muß der Versuch sein, das Allgemeinwohl zu definieren.
({2})
Der zweite Punkt ist vielleicht etwas prosaischer, aber ich halte ihn doch für sehr wichtig. Ich meine die unverdauliche Art der Ausgestaltung der Drucksachen, die wir hier im Bundestag vorgelegt bekommen.
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Im letzten Haushaltsbegleitgesetz steht z. B. eine so inhaltsreiche Aussage wie diese: § 59 wird wie folgt geändert: In Abs. 3 werden nach der Zahl „2" das Komma und die Zahl „6" gestrichen. - Oder es steht hier: In § 85 Nr. 3 Satz 2 wird das Wort „kann" durch das Wort „soll" ersetzt. - So kann man eine ganze Reihe von Beispielen bilden. Gucken Sie einmal auf Ihren Tisch. Da liegt heute ein Zettel. Er enthält ein unverdauliches Wort- und Zahlenkauderwelsch. Niemand weiß, was materiell dahintersteckt. Es müßte doch möglich sein, die Drucksachen so anders zu gestalten, daß man die gültige Fassung des Gesetzes und daneben, eingearbeitet und drucktechnisch hervorgehoben, die vorgesehenen Änderungen und dann vielleicht noch weitere Änderungen anderer Fraktionen aufführt. Dieses sollte bereits eingearbeitet werden, damit die Texte überhaupt erst begreifbar werden, damit man nicht stundenlang sitzen und die Änderungen mühselig in die geltende Fassung eintragen muß, um herauszufinden, worum es geht, was man nicht weiß, wenn man nicht gerade in dem betreffenden Ausschuß ist.
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Ich sage dies gerade vor dem Hintergrund, daß es ja moderne Farbdrucktechniken gibt. Wir verfahren hier ja wie kurz nach der Erfindung der Buchdrukkerkunst! Es gibt moderne Möglichkeiten, das farbig herauszuheben: für die Regierung eine Farbe, für die Fraktionen bestimmte Farben, für die Ausschußfassung usw. Man könnte die Dinge visuell erfassen und sich die Arbeit wesentlich erleichtern. - Das wollte ich hier vorschlagen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Ich hatte eigentlich die Absicht, dem Präsidium heute zur Emanzipation zu gratulieren, weil wir eine Debatte führen, bei der unsere verehrten Parlamentarischen Geschäftsführer nicht wie die Hunde um die Herde herumlaufen. Aber es hat sich herausgestellt, daß die Parlamentarischen Geschäftsführer doch wieder notwendig waren, weil der Andrang zu dieser Debatte so groß wurde, daß man ohne die Geschäftsführer nicht auskam.
Es ist jetzt natürlich die Frage zu stellen: Heißt das, daß die Parlamentarischen Geschäftsführer in der Tat so wichtig sind, wie viele es glauben, sie selbst vielleicht manchmal auch - ich darf diese Bemerkung machen, weil ich es einmal gewesen bin -, oder haben wir uns für unsere Debatte nicht eigentlich zu wenig Zeit genommen, haben wir nicht die Zeit für die Gesamtdebatte zu einem Zeitpunkt festgelegt, zu dem wir noch gar nicht wissen konnten, wie viele der Kollegen sprechen wollten,
({0})
wie viele die Absicht hatten, hier ihre Meinung zu sagen?
Wir sollten - dies ist eine erste Anregung, die ich geben möchte - eine derartige Debatte nicht als ein Unikat stehenlassen.
({1})
Wir sollten uns jedes Jahr einmal die Zeit nehmen, über uns selbst und über unsere Arbeit nachzudenken. Denn es ist hier ja nicht nur etliches zur Arbeit gesagt worden, sondern viele Kollegen, die gar nicht die Absicht hatten, hier zu sprechen und die auch nicht gesprochen haben, haben mit anderen Kollegen vielleicht zum erstenmal seit Jahren wieder darüber nachgedacht, was denn nun eigentlich die parlamentarische Arbeit an besonderem bedeutet.
Das Plenum ist heute ein wenig zur Klagemauer geworden. Das ist nicht verwunderlich. Es ist auch ein bißchen Journalistenschelte herausgekommen. Das wundert ebenfalls niemanden. Darüber sollte man vielleicht einmal mit einem Kreis interessierter Kollegen und mit einem Kreis interessierter Journalisten sprechen, weil ich glaube, daß auch die andere Seite, die journalistische Seite, nicht nur Wünsche hat, sondern auch Kritik an uns üben kann, und zwar Kritik, die berechtigt ist.
Jetzt möchte ich noch einen Punkt herausstellen, der gerade mit der Publizistik zusammenhängt. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland eine weit verbreitete Zeitung, die den Titel „Das Parlament" trägt, eine Zeitung, die über die diversen Debatten des Deutschen Bundestages berichtet, eine Zeitung, von der die meisten, die sie bekommen, annehmen, sie sei sozusagen das Sprachrohr des Deutschen Bundestages.
In Wirklichkeit aber müssen wir feststellen: Sie ist zwar nicht ein Sprachrohr, aber ein Organ einer Regierungsstelle. Ich habe bei früherer Gelegenheit schon einmal ironisch vorgeschlagen, zu überlegen, ob der Deutsche Bundestag nicht eine Zeitung mit dem Titel „Die Regierung" herausgeben sollte, damit wir auf diese Weise Chancengleichheit bekommen.
({2})
Ich halte es jetzt für zwingend notwendig, daß wir als Bundestag uns aufraffen und - egal, welcher Innenminister dies gerade als sein Privileg, als sein Revier, als seine Beute oder als was auch immer ansieht - mit allen Fraktionen gemeinsam dafür eintreten, die Wochenzeitung „Das Parlament" auch tatsächlich dorthin zu bringen, wohin sie gehört, nämlich zum Parlament.
({3})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn nur diejenigen, die mir dazu jetzt Beifall geklatscht haben, mir im kommenden Jahr ihre Unterschrift geben, wenn ich - sofern dieses Thema nicht geregelt ist - den Antrag stelle, die Mittel für die Wochenzeitung „Das Parlament" im zukünftigen Etat zu streichen, habe ich bereits genügend Unterschriften und auch die Sicherheit, daß wir dann „Das Parlament" zum Parlament bekommen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat Frau Schmidt ({0}).
Liebe Kollegen! Ich war heute ein klein wenig betroffen darüber, wie auch wir hier den Art. 43 des Grundgesetzes auslegen. Darin steht, daß Bundesregierung und Bundesrat durch ihre Mitglieder jederzeit das Wort ergreifen können. Ich frage hier: Bedeutet „jederzeit" eigentlich „dauernd"? Bedeutet es wirklich „dauernd"? Heute konnte man in der „Süddeutschen Zeitung" lesen, daß Klaus Dreher einmal die
Rechnung aufgemacht hat, daß von 22 Stunden Haushaltsdebatte 6 Stunden an die Regierung fielen und zwar immer zur Fernsehzeit.
({0})
Weil man ja am besten die jüngsten Debatten herausgreift, habe ich mir einmal die Mühe gemacht, die Debatte über Buschhaus zu untersuchen. Das war eine Debatte, die das Parlament - jetzt einmal ganz Wurst, welche Fraktion - beantragt hatte, die also wir beantragt hatten. Von 39 Protokollseiten entfielen 15 auf die Regierung, der Rest entfiel auf das Parlament. Redezeit der Regierung ist gleich Fernsehzeit. Im übrigen, es ist schon ein bißchen bedenklich, wenn wir als Repräsentanten des Souveräns weniger Respekt genießen als die Regierung, die inzwischen leider Gottes zum Repräsentanten der Bürokratie geworden ist.
({1})
Ich bin ganz froh, daß der Kollege Lammert hier heute den Begriff „Betriebsversammlung" eingeführt hat. Das bedauert er zwar inzwischen, aber es ist trotzdem so. Inzwischen ist es ein bißchen so, daß die Regierung zur Geschäftsleitung, das Volk zur Belegschaft und wir zum Betriebsrat geworden sind. Die Frauen haben bei all dem die Leichtlohngruppe, und zwar die Frauen im Parlament.
({2})
Die Kollegin Schoppe hat hier in einer ihrer ersten Reden einen Begriff eingeführt, der zu Schenkelklatschen geführt und Unverständnis hervorgerufen hat.
({3})
Das war, als sie vom alltäglichen Sexismus im Parlament gesprochen hat. Ich darf hier als Zitate ein paar Zwischenrufe bringen, denen wir uns ausgesetzt sahen: „Zur Sache, Schätzchen!", „Sie sehen besser aus, als Sie reden!" - weil's so lustig war, kam das dann gleich zweimal -, „Hat die aber eine spitze Nase!", „Küßchen, Küßchen!" mußte sich eine Kollegin sagen lassen, als sie am Ende ihrer Rede eine Reihe von Petitionen einem Staatssekretär brachte - nicht Ihnen, Herr Höpfinger. Im übrigen: Mir wäre der Zwischenruf „Bleifreie Hampelfrau!" lieber als die erwähnte Sorte von Zwischenrufen.
({4})
Wenn ein sozialdemokratischer Minister - Charme hin, Charme her - den Beitrag einer von mir sehr geschätzten Kollegin der CDU so ganz en passant abqualifiziert, wenn ein CDU-Minister einer Kollegin attestiert, der Zahn der Zeit nage ganz schön an ihr,
({5})
und das Ganze dann auch noch mit einem süffisanten „Gnädige Frau" verpackt, dann stelle ich hier
fest, daß ich zwar eine Frau, aber ganz schön unFrau Schmidt ({6})
gnädig bin. Wir wollen hier nämlich ernst genommen werden. Wir wollen, daß man sich politisch mit uns auseinandersetzt. Es ist unerträglich, feststellen zu müsen, daß dann, wenn eine Frau hier ans Rednerpult geht, der Geräuschpegel ganz beträchtlich steigt und die Zurufe an Qualität abnehmen und an Quantität zunehmen.
({7})
Ich habe auch hier einmal versucht, das statistisch aufzubereiten, und habe zu diesem Zweck einmal wahllos Debatten herausgegriffen. Da gab es eine Debatte zur Gentechnologie. Die Verabschiedung der Vorlage erfolgte einstimmig. Es gab im Prinzip überhaupt keinen Widerspruch zwischen uns, zumindest nicht vom Grundsätzlichen her. In dieser Debatte haben zwei Männer geredet - beide ungefähr gleich lang -, die keinen Zwischenruf zu verzeichnen hatten. Ich habe im übrigen nichts gegen Zwischenrufe, aber sie müssen ein bißchen intelligenter sein, als sie gemeinhin sind. Außerdem haben zwei Frauen gesprochen, die sich insgesamt 26 Zwischenrufe anzuhören hatten, und zwar in der gleichen Redezeit.
({8})
- Ich sage gleich etwas dazu.
Nun zu der Aktuellen Stunde über Polen: Durchschnittliche Anzahl der Zwischenrufe bei Männern: 6, durchschnittliche Anzahl der Zwischenrufe bei Frauen: 13.
Jetzt komme ich zur Qualität der Zwischenrufe: „So ein Unsinn, so ein Unsinn!", „Sehr richtig!", „Hört! Hört!", „Wer hat Ihnen denn diese Rede geschrieben?", „Wechseln Sie doch einmal Ihren Referenten!" Ich habe keinen Zwischenruf gefunden, der intelligenter war. Ich will hier für die Frauen zwar keinen Schonraum, ich möchte aber, daß wir vom gesamten Parlament, von unseren männlichen Kollegen ernst genommen werden
({9})
und daß man sich mit uns hier in diesem Raum politisch auseinandersetzt. Wir sind in derselben Arbeitssituation wie Sie. Beim Bier können wir dann gerne anders miteinander umgehen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Warrikoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Nur zu, ich bitte darum. - Es ist hier so ein bißchen üblich, daß man sich für den schönen Gang
der Debatte und das Engagement bedankt. Ich
möchte das, um nicht aus der Rolle zu fallen, selbstverständlich auch tun,
({1})
aber gleichzeitig eine kritische Bemerkung anbringen, und zwar in Richtung der Grünen.
Es hat mir ein bißchen leid getan, daß Sie es so außerordentlich häufig für notwendig gehalten haben, in Ihren zum Teil ja sehr konstruktiven Bemerkungen zum Thema Ihre politische Botschaft unterzubringen. Warum konzentrieren wir uns nicht darauf, uns jetzt mit der Arbeit des Parlaments zu befassen und nicht politische Agitation zu betreiben?
({2}) Es würde der ganzen Sache dienen.
Meine Damen und Herren, nun zu meinem Sachpunkt. Wenn man - wie wir alle - gelegentlich einmal zuhört, wenn Plenarredner reden, stellt man immer fest, daß sich die Kolleginnen und Kollegen hervorragend vorbereitet haben. Ich habe manchmal den Eindruck, daß die Vorbereitung um so besser ist, je kürzer die Rede ist. Wenn man auf der einen Seite das Engagement des Vortragenden sieht und auf der anderen Seite die zum Teil unglaubliche Gleichgültigkeit feststellt, mit der die Ausführungen entgegengenommen werden, und man ganz außerordentlich dankbar für jeden Zwischenruf ist, weil er beweist, daß zumindest einer zuhört - insofern bin ich wirklich dankbar, wenn jemand dazwischenruft -,
({3})
dann kann man damit nicht zufrieden sein. Natürlich kann man es überhaupt nicht vermeiden, daß Kolleginnen und Kollegen nicht zuhören. Es gehört zum Recht des freien Abgeordneten, nicht zuzuhören. Aber ich wäre dankbar, wenn wir uns entschließen könnten, Demonstrationen der Gleichgültigkeit zu unterlassen. Diese Demonstration liegt z. B. vor, wenn jemand eine sehr große Zeitung liest. Wenn man eine kleine Zeitung liest, geht es noch. Aber wenn man eine ganz große Zeitung liest und sie so weit ausbreitet, daß auch der Nachbar dahinter verschwindet, dann ist das nicht schön.
({4})
Ich erinnere auch an den Zustand, daß hier nennenswert größere Besprechungen abgehalten werden und sich Gruppen bilden. Ich habe von einer Besuchergruppe gehört: Wir wußten gar nicht, daß man im Deutschen Bundestag spazieren gehen kann. Es gibt also auch Kollegen, die den Saal zum Spazierengehen benutzen. Im übrigen geht es hier nicht nur um eine Frage der Höflichkeit gegenüber dem redenden Kollegen und gegenüber dem Präsidium, sondern auch um die Frage, wie ein solches Verhalten bei unseren Mitbürgern ankommt. Ich habe Reaktionen festgestellt - ich kann die Damen und Herren da oben jetzt nicht fragen -, die zwischen Verblüffung und geradezu Empörung schwanken. Das Verhalten kommt ganz negativ an.
Darum die herzliche Bitte - ich habe noch zwei Minuten Redezeit; ich will mit gutem Beispiel vorangehen und sie nicht ausschöpfen -: Lesen Sie die Zeitung so, daß es nicht die ganze Welt sieht. Und wenn Sie Besprechungen abhalten, machen Sie es leiser und nicht in Gruppen über fünf!
Danke.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erste Stunde der Wahrheit, ob die Debatte heute fruchtbar war, werden die zweite und die dritte Beratung des Bundeshaushalts sein.
Ich bin dankbar, daß gerade am Schluß der Debatte wieder der Hinweis auf die materiellen Arbeitsbedingungen gekommen ist. Wir müssen darauf sehen, daß die Mitarbeiterausstattung sowohl bei den wissenschaftlichen Diensten als auch bei uns selber hic et nunc, heuer noch angegangen wird, daß von unseren Haushältern da keine halben Sachen fabriziert werden, sondern ein ganzer Mitarbeiter zusätzlich bewilligt wird. Bitte, machen wir fraktionsübergreifend den Haushältern Beine!
Ich habe gehört, die Haushälter lassen sich vom Finanzminister die Steigerungsrate des Haushalts des Parlaments vorschreiben. Ich habe im Sommer viel über den Fürsten Bismarck und über seinen Umgang mit dem Parlament gelesen. Er wollte den Abgeordneten nie etwas geben. Mir kommt es vor, als ob es heute fast immer noch so wäre. Was früher die Fahrkarte war, sind heute die Mitarbeiter der Abgeordneten. Laßt uns hier hart sein! Laßt uns hier das Ganze nicht auf Kommissionen und Arbeitskreise verschieben, sondern laßt uns noch heuer miteinander handeln, damit wir ab dem nächsten Jahr den zusätzlichen Mitarbeiter haben.
({0})
All die schönen neuen Rechte, Initiativrechte, Fragerechte - was auch immer - bleiben graue Theorie, wenn man sie nicht nutzen kann. Schauen wir uns doch einmal das Zeitbudget eines Abgeordneten im ländlichen Raum an: Sprechstunden, Ombudsmantätigkeit, Repräsentation, dazu die Arbeit in den Ausschüssen. Was bleibt uns den eigentlich für die wirklich politische Arbeit? Schauen wir uns doch einmal konkret das Zeitbudget an. Da muß die Entlastung kommen. Und auch zum Schafskopf, Herr Stücklen, in seiner kreativen Form muß noch Zeit sein.
({1})
Zweiter Punkt: Gemeinsam gegen die Bürokratie! Wir haben es im Rechtsausschuß mehrfach geschafft, daß wir bei den Vorlagen, die nicht überstreitig sind der Bürokratie, den Marsch geblasen und uns durchgesetzt haben. Und vergessen wir nicht: 80 % der Vorlagen führen nicht zu großen ideologischen Auseinandersetzungen, sondern zu Einvernehmlichkeit. Laßt uns das Gewicht des Parlaments gegen die Bürokratie gemeinsam einbringen, so wie wir es im Rechtsausschuß schon mehrfach getan haben.
Ein dritter Punkt. Mein Fraktionsvorsitzender hat mich gerade gemahnt wegen gewisser bayerischer Äußerungen. Ich will etwas Gutes über den Bayerischen Landtag sagen.
({2})
Der kennt die öffentlichen Ausschußsitzungen. Herr Präsident, lassen Sie uns - mit Ausnahme vielleicht von Verteidigung, Auswärtigem und Innerdeutschem - versuchsweise öffentliche Ausschußsitzungen machen. Dann haben wir mehr Redezeit für alle, mehr Öffentlichkeit für alle und mehr Transparenz in diesem Bereich.
({3})
Ein letzter Punkt, den ich hier ansprechen will. Herr Präsident, wir sollten uns nach einem Jahr Rechenschaft ablegen und auflisten, was wir wirklich geleistet haben, damit wir nächstes Jahr um die gleiche Zeit sehen: Haben wir etwas verändert, oder haben wir nichts verändert, damit es nicht eine der vielen gruppendynamischen Debatten gibt, wo man sich alles von der Seele redet und wo hinterher nichts getan wird. Es muß hier etwas getan werden: erster Schritt beim Haushalt 1985, zweiter Schritt: diese Reformkommission, dritter Schritt: Erfolgskontrolle nach einem Jahr.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Verehrte Kollegen, Kolleginnen eingeschlossen! Die große Zahl der Wortmeldungen und Beiträge heute zeigt, daß sich Unmut angesammelt hat, daß sich Dampf entwickelt hat. Ich hoffe, daß die Fraktionsführungen diese Debatte nicht so schnell vergessen werden.
({0})
Fraktionen und Fraktionsführungen dürfen keine Herrschaftsinstrumente sein. Ich glaube, wenn wir hier auch manchmal den Mut haben, dafür zu sorgen, daß alle dort ihre Beiträge vorbringen, dann dürfte einiger Unmut bereits weg sein.
Es gibt im Parlament zu lange Reden, auch zu langweilige.
Kollege Dr. Vogel,
({1})
Sie haben sich vorhin darüber beschwert, daß kein parteiübergreifender Beifall möglich sei. Ich kann Sie nur auffordern: Sprechen Sie besser und nicht immer so traurig. Dann kriegen Sie immer unseren Beifall.
({2})
Wir haben ihn Helmut Schmidt zu seiner Zeit ja auch gegeben.
({3})
Die Redezeit konzentriert sich leider noch zu stark auf dieselben Redner.
({4})
Mich wundert im Grunde genommen eines: daß diese Redner noch nicht entdeckt haben, wie gut es oft sein kann, wenn ein Dritter etwas Gutes für sie sagt. Das ist oft vor der Öffentlichkeit viel wirksamer.
Es gibt die Angst der Fraktionsgeschäftsführer, daß irgend etwas schieflaufen könnte, und natürlich ein feinsinniges Instrumentarium, um etwas Derartiges zu verhindern. Ich erinnere mich an meine erste Fraktionssitzung. Ich war gerade aus dem Beruf herausgekommen und wollte mich natürlich gleich zu Wort melden. Ein Kollege hat mir sofort signalisiert, daß man eventuell eine Strafe bezahlen müßte, wenn man so schnell hineinspringen will. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Aber man kann das nie so genau unterscheiden.
({5})
Die Fraktionen sind oft zu stark nach den Grundsätzen einer Ministerialbürokratie geführt. Wir haben manchmal das Gefühl, es gibt hier Klassen - erste Klasse, zweite Klasse usw. - wie in der Schule. Ich fürchte, daß das Berufspolitikertum dazu geführt hat, daß der unmittelbare Bezug zur Praxis manchmal etwas verlorengeht.
({6})
Ich kann mich an eine Diskussion im Rechtsausschuß erinnern. Dort hat sich ein Kollege zu Wort gemeldet und die Legitimation seiner lichtvollen Ausführungen damit begründet, daß er vor elf Jahren in der Praxis gewesen sei. Das sei Grund genug, daß er genau sagen könne, wie es laufen könne. Ein anderer hat gesagt, er habe ein Gespräch mit einem Oberlandesgerichtsrat geführt. Das war dann seine Legitimation, eine politische Entscheidung zu treffen. Meine verehrten Kollegen, ich glaube, das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit.
Ich möchte mich gar nicht mit den Problemen auseinandersetzen, die wir mit den Medien haben. Die Medien sind heute in ihrem Selbstverständnis manchmal so, daß sie den Politiker als ihren Gegner ansehen. Lesen Sie bei Schelsky nach.
Ich lasse auch offen, daß dieses Parlament immer noch voller Minderwertigkeitskomplexe steckt. Sonst hätten wir diese vielen Diskussionen über die notwendige Ausstattung der Abgeordneten nicht, die sich nur die Besucher hinterher vorstellen können, die in Bonn waren und denen man vorgeführt hat, mit was wir hier eigentlich auskommen müssen.
Viel mehr entscheiden über das Ansehen und die Stellung des Parlaments der Stil und die Art, wie wir miteinander umgehen. Das mag zunächst etwas
profan klingen. Aber wenn die Diskussion im Bundestag zum Schlachtfeld wird, dann identifizieren viele draußen unser parlamentarisches System mit der Art, wie wir miteinander umgehen. Gerade die Jugendlichen meinen, daß das die Art ist - weit mehr als bestimmte Auseinandersetzungen in der Regierung -, in der bei uns Politik gemacht wird.
Es ist ein Problem, wenn wir Monologe bringen, die aneinander vorbeigehen, nicht auf den vorangegangenen Gesprächspartner eingehen.
Das größte und schlimmste Problem ist letztlich diese psychologisch raffinierte Aufstellung von politischen Maximalforderungen, die man in der Praxis niemals verwirklichen kann. Hier wird mit einer hervorragenden, werbewirksamen Äußerung von Politik Schindluder mit der Vorstellungskraft unserer Menschen getrieben. Wenn diese Vorstellungen nicht verwirklicht werden können, muß das zu einer großen Frustration, zu einer großen Enttäuschung der Menschen draußen führen.
({7})
Wenn Sie heute draußen diskutieren, werden Sie erleben, daß immer wieder der absolute Staat, der Staat verlangt wird, der fast ins Totalitäre geht, der alle Probleme sofort lösen kann. Wir müssen als Demokraten den Leuten draußen klarmachen, daß dieses Parlament nicht alles wie in einem totalitären Staat regeln kann. Deswegen bitte ich Sie: Kommen wir zurück zu dem notwendigen Konsens, auf dem eine Demokratie und ihr System aufbauen.
({8})
Wir haben noch sechs Redner. Wir werden also ungefähr um 20 Uhr fertig sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich einige Bemerkungen im Anschluß an das machen, was der Kollege Kleinert vor einiger Zeit in seiner fidelen Art gesagt hat. Nun ist es leider nicht möglich, daß er hier ist. Vermutlich weilt er in dem Kommunikationszentrum, was aus seiner Sicht der Erfahrungen wohl mit das wichtigste Instrument zur Persönlichkeitsbildung des Abgeordneten darstellt.
Wenn der Kollege Kleinert - was an sich nicht vorstellbar wäre - sozialdemokratischer Abgeordneter oder möglicherweise auch christsozialer Abgeordneter in einem Flächenwahlkreis wäre, würde er nicht versuchen, sich in dieser Form über die Ausführungen der Kollegin Skarpelis-Sperk lustig zu machen.
({0})
Wenn er in einem Flächenwahlkreis mit 10 oder gar 15 % Arbeitslosen arbeitete, würde er nämlich erleben, daß der Abgeordnete für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger der rettende Strohhalm ist, an den sie sich in ihrer Not noch klammern. Er würde dann erleben, daß viele junge Leute, die zig Bewerbungen
Schreiner ({1})
umsonst geschrieben haben, auf die Idee kommen, sich an den Kollegen Abgeordneten zu wenden. Ich will das überhaupt nicht beklagen.
Er würde im übrigen auch erleben, daß manche Gefangene, die über untragbare Zustände in Gefängnissen klagen, auf die Idee kommen, sich an den Abgeordneten zu wenden. Und die Abgeordneten, die den Weg ins Gefängnis nicht finden oder die sich davor drücken, sich um einen verzweifelten arbeitslosen Mitbürger zu kümmern, oder die sich davor drücken, sich der Sorgen des Sechzehnjährigen anzunehmen, der einen Ausbildungsplatz sucht, diese Abgeordneten sind ihr Mandat nicht wert.
({2})
Wenn das aber so ist - ich bin im Grunde der Meinung, daß es so, wie es ist, gut ist, weil das nämlich im Kern dazu führt, daß das Vertrauen in die Demokratie gestärkt wird -, wenn die Mitbürgerinnen und Mitbürger - gerade auch die, die in sozialer Not sind - den Abgeordneten nicht als abstrakten Zeitungsgegenstand, sondern als konkreten Träger von menschlicher Solidarität erfahren, stärkt das Demokratie.
({3})
Im übrigen ist das umgekehrt ja auch für den Abgeordneten ganz hilfreich. Wenn er nicht in abstrakten Sphären verschwindet, sondern in der konkreten Sorgenwelt seiner Mitbürger steht, dann weiß er, worüber er hier redet.
({4})
Nur ist - das ist mein Problem - der Preis für diese Zusatzrolle von Abgeordneten, die in keinem Grundgesetz, in keinem Gesetz formuliert ist, unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen außerordentlich hoch. Meine persönliche Erfahrung ist, daß ich ganze Arbeitsschübe, die aus dieser Rolle von sozialem Ombudsmann herrühren - salopp formuliert: man ist eine Art wandelnder Petitionsausschuß - mit nach Bonn bringe und bringen muß, weil die Arbeitszeit zu Hause es nicht mehr zuläßt, das auch nur einigermaßen organisiert in den Griff zu kriegen.
Das bedeutet aber für die Arbeitsverhältnisse hier in Bonn, daß ein ganz erheblicher Teil des Arbeitsvolumens absorbiert wird durch die berühmten Schularbeiten, die aus dem Wahlkreis rühren und die man hier teilweise zu erledigen hat. Das führt im Ergebnis dazu, daß, eingeschlossen die Anforderungen des Bonner Routinebetriebs, die notwendige Zeit zum Nachdenken fehlt.
({5})
Das führt dazu, daß Abgeordnete Gefahr laufen, unfähig zu werden zu konzeptioneller Arbeit.
({6})
Und das führt dazu, daß die Gefahr sehr groß ist,
daß wir im Laufe der Jahre Roboter werden. Wenn
das so ist, muß man nachdenken über die Arbeitsbedingungen der Abgeordneten.
Deshalb ist es überhaupt nicht ins Lächerliche zu ziehen - wie es versucht worden ist -, wenn gefordert wird, darüber zu debattieren, ob es nicht wirklich Sinn macht, uns einen Mitarbeiter mehr zu geben.
({7})
Wir wollen ja keine amerikanischen Verhältnisse, wo die Mitglieder des Repräsentantenhauses im Schnitt 16 Mitarbeiter haben.
({8})
- Oder 22. - Das wollen wir nicht. Einer mehr würde mir reichen. Dann würde ich, glaube ich, in der Lage sein, die Anforderungen in den verschiedenen Rollen an den Abgeordneten ein bißchen mehr befriedigender erfüllen zu können, als dies gegenwärtig der Fall ist. Dies wäre nicht zuletzt auch ein Dienst an den Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu Hause im Wahlkreis.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Roitzsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Wir haben jetzt fünfeinhalb Stunden über das Parlament, seine Arbeit und seine Darstellung gesprochen. Dabei sind sehr viele kluge und ich meine, auch praktikable Ratschläge gegeben worden. Ich möchte nur einen Punkt nachtragen, und zwar den: Wie lassen wir uns als Mitglieder des Parlamentes, wie lassen wir unser Parlament darstellen? Es wird der Bevölkerung suggeriert: Die Abgeordneten sind alle total frustriert, der Frust geht um in Bonn. - Das machen ganz bestimmte Leute. Ich muß Ihnen sagen: Jeder Kollege, jede Kollegin, die Frust empfindet, hat selbst schuld.
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Denn keiner von uns muß hier sein. Wir haben dies wahrscheinlich alle gewollt. Ich bin gerne hier, und ich empfinde keinen Frust.
Die Darstellung unseres Parlamentes - ich habe ein bißchen Angst, daß hier ganz gezielt ideologisch versucht wird, dieses Parlament aus den Angeln zu heben.
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- Ich habe Sie nicht angesprochen. Ich meine, wer das nicht will, sollte sich nicht angesprochen fühlen.
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Ich stelle fest, daß man eine Kampagne gegen die Arbeitsweise des Parlamentes gestartet hat. Warum hat es soviel Aufmerksamkeit gegeben? Es gab wirklich die Kampagne: Das Plenum ist leer. - Ich stelle fest, daß die Journalisten, die das immer wieder berichtet haben, auch nicht da sind.
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Frau Roitzsch ({4})
Ich bin j a Journalistenkollegin, und mir werden die Journalisten morgen wahrscheinlich sagen: Ja, wissen Sie, wir machen das genauso wie Sie. Wir hören die Debatte in unseren Büros - dort haben wir ja die Übertragungsgeräte -; denn wir haben anderes zu tun. - Aber genauso, wie man von uns erwartet, hier präsent zu sein, wenn Plenarsitzung ist, sind diese Kollegen Journalisten abgestellt für die Berichterstattung aus dem Plenum. Dies ist also zum Teil, befürchte ich, eine Darstellung, die uns nicht nützen kann.
Ich möchte da auch einmal an die Kollegen der GRÜNEN appellieren, ob sie nicht einmal überlegen könnten, der Würde des Hohen Hauses entsprechend - ich halte viel von der Würde des Hohen Hauses - die Schrebergartenfreizeitkleidung zu vertauschen mit der, mit der sie auch sonst auf Einladungen gehen.
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- Herr Kollege, ich habe nur fünf Minuten! Ich meine, ein gewisser Stil sollte hier beibehalten werden. Ich gucke alle Kollegen an. Jetzt werden Sie sagen: Typisch Hausfrau. - Gucken Sie einmal auf den Fußboden. Gucken Sie einmal an, wie wir unseren Plenarsaal mit Papier versauen. Zu Hause dürfen wir das alle nicht.
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Dann möchte ich zum Schluß fragen - gerade wenn wir auf der Tribüne junge Menschen sitzen haben -: Wie wollen Sie das diesen jungen Menschen und der Bevölkerung klarmachen? Dies alles sind Einbrüche, die ich nicht für gut halte. Dies ist ein Hohes Haus. Das soll es bleiben, mit einer gewissen Würde, mit einem gewissen Stil.
Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich den Reichstagspräsidenten Paul Löbe zitieren, der da sagte:
Der Verfall parlamentarischer Sitten und Rechte im Deutschland der Weimarer Republik wurde von der Stunde an planmäßig herbeigeführt, in der Gegner des parlamentarischen Systems in die Volksvertretung einrückten. Das geschah zunächst auf der sogenannten Linken. Es siegte der Flügel, der die Tribüne der Volksvertretung zu propagandistischen Zwecken benutzen wollte. Es setzte der Versuch ein, die Verhandlungen des Hauses zu stören. Das geschah durch Nichtbeachtung der geschäftsmäßigen Vorschriften, durch Geschrei, Schimpfreden, durch endlose Tiraden, die den gleichen Text dutzend einmal wiederholten.
Ich nehme an, das haben wir heute ein paarmal gehört.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen und bitte Sie, mit mir darüber nachzudenken, daß wir uns unser Parlament in seiner Darstellung nicht aus den Händen nehmen lassen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich wegen der Kürze der Zeit auf einen Schwerpunkt beschränken. Wer hier die Sterilität der Debatten beklagt, muß sich Gedanken über eine Veränderung des § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung machen, der die Möglichkeit der Zwischenfragen betrifft. Wir wollen doch bitte heute abend gegenüber uns selber ehrlich sein und sagen, daß die Praxis, die wir hier erleben, zutiefst unbefriedigend ist. Hier müssen wir zu einer neuen Regelung kommen; denn dieses Parlament wird für uns selber und auch für die Zuhörer und Zuschauer nur dann interessant sein, wenn ein echtes-Frageund-Antwortspiel hier im Hause stattfindet. Das findet zur Zeit nicht statt.
Leider habe auch ich selber schon einmal gegenüber dem Kollegen Schäfer von der FDP-Fraktion praktizieren müssen, eine Zwischenfrage, nachdem ich ihn angesprochen hatte, nicht zuzulassen. Das ist nicht in Ordnung. Aber das liegt doch daran, Herr Kollege Schäfer, daß wir festgesetzte Redezeiten haben. Wer das ändern will, muß bereit sein, Fragen der Redezeit zuzurechnen. Sonst kriegen wir das nicht in den Griff. Dies ist ein Vorschlag, den wir gemacht haben. Ich bitte die Ad-hoc-Kommission, ich bitte den Präsidenten, diesen Vorschlag wirklich aufzugreifen.
Damit das nicht mißbraucht wird, möchte ich gleich dazusagen, daß man Fragen aus der Koalition, aus den Regierungsfraktionen ausschließen sollte, damit keine Türken gebaut werden. Es gibt doch die Hilfestellung, die man dem Redner durch gezielte Zwischenfragen geben will. Das kann ausgeschlossen werden. Das sollten wir ausschließen, damit die jeweilige Opposition wirklich die Möglichkeit hat, in der Debatte konkrete Sachfragen zu stellen. Das bedeutet: Zurechnung zur Redezeit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Klein hat vorhin seinem Fraktionskollegen Langner die Frage gestellt, ob das nicht eine unzumutbare Verlängerung der Redezeit insgesamt bedeuten würde. Ich sehe das nicht so, weil ich aus meiner Schulzeit noch weiß, daß nicht der längste Aufsatz der beste war, und daraus die Konsequenz gezogen habe, daß nicht die längste Rede die beste ist. Wenn man die Zwischenfrage wirklich ernst nimmt, muß man auch bereit sein, nicht länger als zehm Minuten zu reden. Dann wird die Debatte insgesamt nicht verlängert. Dann ist eine Fülle von Zwischenfragen möglich. Das würde dieses Parlament dann lebendig machen. - Also mein Petitum und das vieler Kollegen: Anrechnung der Zeit für entsprechende Fragen von Oppostionsabgeordneten auf die Redezeit nach § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl wir heute eine Debatte führen, die sich etwas von anderen in der Vergangenheit unterscheidet, ist die volle Spontaneität, mit
der ich bei einer solchen Debatte gerechnet hätte, noch nicht vorhanden.
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Ich habe zumindest in der Geschäftsordnung nicht gefunden, wie es möglich ist, daß man sich als erster zu Wort meldet und fast als letzter spricht.
({1})
Aber da haben irgendwelche Kräfte, die wohl bei den Fraktionsgeschäftsführern zu finden sind, wahrscheinlich etwas mitgewirkt.
Damit komme ich zu einem Thema und einem Vorschlag. In einer Debatte, die wir in der CSU-Landesgruppe vor kurzem führten, wies der Bundestagsvizepräsident, der seit 1949 diesem Hause angehört, darauf hin, daß in den ersten beiden Legislaturperioden noch sehr viel spontane Diskussionen vorhanden waren. Er führte das darauf zurück, daß erst später die Fraktionsgeschäftsführer eingeführt worden seien.
({2}) Ich will das nicht im einzelnen untersuchen.
Aber ich möchte einen konkreten Vorschlag machen. Ich habe eine lange Erfahrung in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Viele Kollegen sind ja hier. Wir sollten einmal in einer Plenarwoche den Mut haben, eine Debatte zu führen, die so abläuft, daß man sagt: Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt müssen die Wortmeldungen vorliegen - z. B. drei Stunden vorher -, vier Stunden Zeit stehen zur Verfügung, dann wird die zur Verfügung stehende Zeit durch die Wortmeldungen geteilt. Es stehen dann sieben, acht oder zehn Minuten zur Verfügung. Jeder kann dazu sprechen. Das funktioniert im Europarat hervorragend. Dort kommen wirkliche Debatten zustande. Das Plenum ist besetzt, weil es einen interessiert, was die verschiedenen Varianten, noch dazu aus 21 Ländern, sagen.
Der zweite Punkt. Liebe Kollegen, das, was der Kollege Schreiner und andere Kollegen zum Selbstverständnis des Repräsentanten gesagt haben, unterstreiche ich voll und ganz. Aber hier wird immer gesagt, es stehe nicht genügend Geld zur Verfügung. Ich verweise darauf, daß inzwischen für die Fraktionen mehr Geld im Haushalt des Bundestages steht als für die einzelnen Abgeordneten. Hier hat man doch bewußt das Kollektiv gestärkt und das Individuum geschwächt.
Es ist nicht so, meine sehr verehrten Kollegen, daß es gut wäre, wenn z. B. in einer Fraktion 10 oder 15% der Mitglieder noch 20 % höhere Diäten bekommen. Ich glaube, das ist nicht der Sinn des Grundgesetzes im Hinblick auf die Ausstattung der Bundestagsabgeordneten.
Lassen Sie mich hier ein konkretes Beispiel aus Amerika bringen. Über die Ausstattung der Abgeordneten ist schon gesprochen worden. In den Vereinigten Staaten ist es z. B. üblich, daß jedes Mitglied des Repräsentantenhauses oder des Senats 30 000 Briefumschläge pro Monat bekommt, die nicht mit einer Briefmarke beklebt sind, sondern mit seiner Unterschrift, und auf denen steht: „Mitglied des amerikanischen Kongresses". Die kann er verschicken. Damit kann er sich an die Wähler wenden, damit kann er sich an die Bürger wenden. Das wäre eine vernünftige Einrichtung auch bei uns in der Bundesrepublik.
({3})
- Mit den Mitarbeitern. Ich sage das nur als Beispiel. Herr Kollege Schwenninger, Sie müssen Beispiele nicht sofort in die Tat umsetzen.
Liebe Kollegen, ich glaube, es war der Kollege Schöfberger, der sehr richtig und vernünftig am Beispiel der Zahnärzte und der Notwendigkeit der Zahnärzte für die Bürger der Bundesrepublik gezeigt hat, wie die Einschätzung der Abgeordneten ist. Ich mache hier einen Vorschlag und bitte, ihn in die Berichte der Kommission aufzunehmen, und zwar einen ganz ernsthaften Vorschlag, wieder nach amerikanischem Vorbild. In Amerika gibt es ein Gesetz, in dem steht, daß kein Beamter, kein Angestellter des öffentlichen Dienstes und niemand aus öffentlich-rechtlichen Anstalten mehr verdienen darf als ein Mitglied des amerikanischen Kongresses.
({4})
Das ist die richtige Einschätzung. Der Kongreß ist dort das oberste Verfassungsorgan. Es werden in diesem Gesetz nur zwölf Ausnahmen im Detail aufgeführt, z. B. der Präsident der amerikanischen Federal Reserve Bank, die davon ausgenommen sein dürfen. Da ich glaube, daß wir nicht angehoben werden, weil hunderttausend Beamte und Angestellte im öffentlich-rechtlichen Bereich mehr verdienen als die Abgeordneten im Bundestag - von Bürgermeistern und Landräten gar nicht zu reden -, wäre eine hervorragende Chance gegeben, durch diese Angleichung der Gehälter der Beamten und Angestellten in der Bundesrepublik einen echten Einsparungseffekt zu erzielen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Kollegen Müller bin ich ordnungsgemäß dran. Ich hatte mich als letzter gemeldet und habe erfahren, daß ich auch als letzter rede.
Ich habe heute viele interessante Ratschläge gehört, die wir uns wechselseitig gegeben haben. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß vieles davon beherzigenswert ist. Es ist viel über die Leere im Plenum gesprochen worden und davon, daß es heute besser sei. Ich möchte den vielen guten Ratschlägen einen kleinen hinzufügen. Viel fällt einem ja am Ende der Debatte nicht ein. Ich habe die herzliche Bitte an alle Kollegen, bei den nächsten Debatten ihre Rede nicht damit zu beginnen oder zu enden, wie bedauerlich es doch sei, daß das Plenum bei dieDr. Hornhues
ser wichtigen Frage so leer sei, um anschließend den Saal zu verlassen.
({0})
- Ich habe den Vorteil, daß ich am Ende dran bin; ich kann tatsächlich gleich gehen.
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Ich möchte einen zweiten Punkt aufgreifen zu dem, was der Kollege Schreiner eben gesagt hat. Ich glaube, daß er in dem Schlußteil seiner Rede sehr präzise eine der Kernveränderungen der Arbeit eines Abgeordneten beschrieben hat. Altkanzler Kiesinger hat mir mal - so als Lehrling im ersten Lehrjahr - hier gesagt: „Jungs, ihr kümmert euch viel zuviel um Kirmes und alles Mögliche und viel zuwenig um Politik; das machen die anderen dann hier für euch. - Das ist falsch." Ich glaube, was er gesagt hat, ist nur zum Teil richtig. Denn ich glaube, die Funktion, wenn Sie so wollen, des sozialen Ombudsmannes, die der Abgeordnete inzwischen übernommen hat, ist eine unverzichtbare Funktion, die wir j a auch in der Regel alle gern erfüllen. Aber die hat dann zwei Konsequenzen, wenn wir im zweiten Teil, nämlich bei der Frage, welche Möglichkeiten wir haben, um die Politik hier zu beeinflussen, darauf drängen müssen, daß einiges an Forderungen, die heute erhoben worden sind, auch erfüllt wird.
Meine verehrten Damen und Herren, ich will zum Abschluß dieser Debatte drei Wünsche äußern. Es war ja in den Märchengeschichten schon häufiger der Fall, daß man drei Wünsche bekam. Ich habe sie mir halt genommen. Den ersten Wunsch hätte ich an uns alle: daß wir all die vielen guten Vorsätze, die heute hier mit Bekundungen deutlich geworden sind, auch in die nächsten Monate und Jahre hineintragen. Das wäre mein erster Wunsch.
Mein zweiter Wunsch ist der folgende. Ich habe beobachtet, wie unsere Fraktionsführungen alle miteinander dieser Debatte weithin mit großem Wohlwollen gefolgt sind und auch an kritischen Punkten wohlwollend geklopft haben. Ich wünsche mir und vielleicht uns allen, daß unsere Fraktionsführungen dieses Wohlwollen auch künftig beibehalten und nicht nur für heute behalten, damit mein dritter Wunsch in Erfüllung gehen kann. - Herr Bundestagsvizepräsident, entschuldigen Sie, ich wollte Sie gern ansprechen, Herr Kollege Stücklen.
Mein dritter Wunsch ist, daß Ihre Vorhersage nicht in Erfüllung geht. Sie haben nämlich in einem Interview, das Sie dem „Express" gestern oder vorgestern gegeben haben, zu der Frage, was bei der Debatte rauskäme, gesagt: „Ich fürchte, nicht viel." Mein dritter Wunsch ist, daß Sie nicht recht behalten, sondern daß es anders wird.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den
Eindruck, wir haben eine sehr muntere und zugleich auch inhaltsreiche Debatte gehabt. Ich bin eigentlich froh, daß so viele interessante Vorschläge gemacht worden sind, die allerdings zu einem ganz großen Teil keine Novitäten waren. Aber das ist ja auch kaum möglich.
Ich glaube, ich erlebe inzwischen den vierten oder fünften Anlauf, die Arbeitsbedingungen in diesem Hause zu verbessern, auch über den Status des Abgeordneten nachzudenken. Ich darf Ihnen sagen, insbesondere den jüngeren Kolleginnen und Kollegen: In jedem Fall war den Bemühungen Erfolg beschieden, wenn auch nicht der volle Erfolg. Aber wenn Sie einmal die Geschichte dieses Parlaments, gar nicht seit 35 Jahren, vielleicht seit 10, 15 oder 20 Jahren, wirklich verfolgen, werden Sie sehen, daß sich die Arbeitsbedingungen und die Situation im Grunde genommen gebessert haben. Es gibt ein Paar Schwierigkeiten und Probleme, auf die ich ganz kurz eingehen möchte.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, Sie haben Fragen angesprochen, die Verfassungsfragen sind, die das Verfassungsverständnis, aber auch die geschriebene Verfassung berühren. Ich bitte alle, die sich über die Probleme, die wir heute miteinander diskutiert haben, Gedanken machen, darüber nachzudenken, daß die parlamentarische Demokratie ganz bestimmte Konsequenzen hat, die nicht abgeschafft werden können. Dies wird immer eine Illusion bleiben.
Wer hier eine Änderung will, muß zur präsidentiellen Demokratie wollen. Und davor warne ich. Wie oft werden wir von amerikanischen Kollegen nach unserem parlamentarischen System gefragt, weil man ganz offensichtlich dieses präsidentielle System nicht für der Weisheit letzten Schluß hält. Darüber müssen wir nachdenken. Das sind alles Konsequenzen, die zum Teil außerordentlich schwerwiegender Natur sind.
Lassen Sie mich nur noch eines herausgreifen. Es ist viel darüber geredet worden, daß sich das Parlament nicht in die Öffentlichkeit umsetzt. Ich sehe hier eines der gravierendsten Probleme überhaupt. Bitte lassen Sie uns die Fakten anschauen. Hinüber kommt eigentlich nur das, was aus diesem Hause direkt oder manchmal in ganz kleinen Ausschnitten in Nachrichtensendungen oder anderen Sendungen übertragen wird. Hier gibt es sehr gute Debatten und ausgezeichnete Beiträge, die vollständig untergehen und für die es überhaupt kein Transportmittel gibt.
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Ich verfalle jetzt nicht der großen Versuchung, eine Presseschelte vorzunehmen.
({1})
Aber ich weise darauf hin, daß es in freien Demokratien eine ganze Reihe Parlamente gibt, denen in der Berichterstattung viel, viel größerer Raum eingeräumt wird. Und dies halte ich für notwendig.
Schulte ({2})
Dies muß Thema eines unserer nächsten Gespräche sein.
({3})
Wahrscheinlich werde ich in irgendeiner Form damit zu tun haben, das aufzuarbeiten, was heute vorgetragen worden ist. Wir werden das mit aller Gründlichkeit machen. Zum Teil sind Probleme involviert, die den Haushaltsausschuß angehen. Aber ich glaube, eine Reihe entscheidender Fragen betrifft doch auch unsere Arbeitsweise und vielleicht die Änderung gewisser Bestimmungen. Überfordern Sie nicht die Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Aufgabe unterziehen werden! Dies alles ist nicht binnen weniger Wochen zu schaffen; denn es muß alles sorgfältig ausgelotet werden. Ich habe das schon zweimal verantwortlich getan.
Ich kann Ihnen versprechen, daß diese Debatte ihren Sinn gehabt haben soll und daß wir Ihnen ganz konkrete und - ich glaube - auch gute Vorschläge vortragen werden.
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Meine Damen und Herren, es war eigentlich vorgesehen, damit die Debatte zu beenden. Aber der Abgeordnete Gansel möchte für eine Minute das Wort haben. Ich erteile es ihm.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hinweise des Geschäftsführers und des Bundestagspräsidenten, daß ich alles durcheinanderbrächte, haben mich bestärkt, doch noch eine Minute zu sprechen.
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Denn dazu langt es nach zwölf Jahren Parlamentsmitgliedschaft immer noch.
Ich meine, wir haben in der Debatte heute eine ganze Menge Fragen gestellt, die wir schon vorher hätten klären können, wenn wir sie an das Bundestagspräsidium in einer Fragestunde des Parlaments hätten stellen können. Wir können ja immerhin eine ganze Menge Fragen an die Bundesregierung stellen. Da gibt es manches zu verbessern; doch manches kommt dabei heraus. Aber an das Bundestagspräsidium, das ja auch Chef einer großen Verwaltung ist und das unsere Arbeitsbedingungen regelt, können wir im Parlament keine Fragen stellen und hier auch nicht die Antworten diskutieren.
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Ich hätte es als nützlich empfunden, das vorwegzuschalten. Man kann es aber auch später tun.
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Vielleicht macht man dann eine Fragestunde daraus, bei der man nicht nach der Geschäftsordnung verpflichtet ist, schon bei der Frage eine akrobatische Verrenkung zu machen: Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie das Zitat soundso - -. Und dann rufen die Kollegen: Frage! Frage! Wo ist die Frage? Wo ist die Frage? Vielmehr sollte man sagen
können: Da ist folgender Sachverhalt; Herr Präsident, ich hätte gern eine Antwort.
Ein Sachverhalt, den ich ansprechen möchte, hängt mit unserem Selbstverständnis zusammen. Bei einer der letzten Regierungserklärungen war ich tatsächlich - es gibt Zeugen - im Plenum präsent. Ich erwartete eine wichtige Nachricht von meiner Mitarbeiterin aus meinem Büro. Ich kriegte die Nachricht nicht. Ich kam nach der Sitzung in mein Büro und sagte: Verdammt noch mal, warum habe ich nichts erfahren? Da sagte mir meine Mitarbeiterin: Ja, es ist so: Ich war vor dem Plenarsaal, aber an der Tür bin ich zurückgewiesen worden; denn während Regierungserklärungen darf der Saaldienst den Abgeordneten keine Nachrichten überbringen.
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Nun frage ich Sie: Warum wird meine Präsenz im Plenum bei einer Regierungserklärung dadurch bestraft, daß ich gewissermaßen unter Kontaktsperre komme, und das auch noch unter der erschwerten Bedingung der Beschallung durch den Bundeskanzler?
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Ich habe mich nun sachkundig gemacht und habe gesehen, daß es da eine Dienstanweisung gibt mit mehreren Absätzen, man unterscheidet genau. Da ist es übrigens so: Die Mitarbeiter der Geschäftsführer dürfen immer durch, aber bei den Abgeordneten gibt es eine bestimmte Regel. Bei der Drucksachenverteilung wird dann noch unterschieden zwischen dem Oppositionsführer, den es nach der Verfassung gar nicht gibt, und dem Bundeskanzler. Es ist also alles genau bürokratisiert.
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Ich finde, so etwas ist Schlichtweg schwachsinnig. Ich sage das, in der Hoffnung, daß es zur Zeit der sozialdemokratischen Bundeskanzler eingeführt worden ist.
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Denn nur dann wirkt meine Kritik hier heute glaubwürdig.
({7})
Vieles kam für unsere Glaubwürdigkeit zu spät, für Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der regierenden Koalition, rechtzeitig. Deshalb bin ich so außerordentlich dankbar für einen Beitrag wie den des Kollegen Langner, von dem ich ehrlich gehofft hätte, er wäre zehn Jahre vorher gekommen, und von uns, als wir noch regierten und die Mehrheit hatten. Aber Respekt, wenn Sie versuchen, es in diesem Bereich besser zu machen. Respekt, Herr Kollege, auch vor diesem Beitrag ganz persönlich!
Vielen Dank.
({8})
Herr Kollege Gansel, daß wir natürlich diesem Hinweis nachgehen, ist ganz klar. - Das war wohl eine etwas längere Minute.
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Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Was wir heute gemacht haben, ist auch geschäftsordnungsmäßig Neuland und kompliziert. Ich möchte eigentlich nicht, nachdem strittig ist, ob Anträge hier überhaupt zulässig sind, ein Präjudiz schaffen. Deshalb würde ich gerne die Frage, die sich ergibt, an den Geschäftsordnungsausschuß übergeben und heute den Weg gehen, der mir - auch von den Fraktionen - nahegelegt worden ist, nach § 126 von der Geschäftsordnung abzuweichen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich zuerst den Entschließungsantrag der Frau Hamm-Brücher und Kolleginnen und Kollegen auf Drucksache 10/1983 aufrufen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
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Meine Damen und Herren, es ist nach § 126 auch der Antrag gestellt worden, über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2011 abzustimmen. Er bedarf der Unterstützung von zwei Dritteln der Mitglieder des Hauses. Wer dafür ist, daß wir jetzt unter Abweichung von der Geschäftsordnung über diesen Antrag abstimmen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist das nach der Geschäftsordnung notwendige Quorum nicht erreicht. Ich kann über diesen Antrag nicht abstimmen lassen.
Meine Damen und Herren, wir hatten 45 Redner. Es steht dem Präsidenten nicht zu, eine Debatte zu bewerten. Es ist ihm aber sicherlich erlaubt, sich zu bedanken und zu versichern, daß wir mit dieser Debatte etwas anzufangen wissen. Ich danke Ihnen herzlich.
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Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, 8 Uhr ein.
Ich schließe die Sitzung.