Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/19/1983

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren! Auf der Diplomatentribüne haben der Präsident der Nationalversammlung der Republik Burundi, Herr Professor Dr. Emile Mworoha, und Mitglieder der Nationalversammlung Platz genommen. Ich habe die Ehre, sie im Namen des Deutschen Bundestages hier herzlich willkommen zu heißen. ({0}) Es ist uns, Herr Präsident und verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein besonderes Vergnügen und eine große Freude, Sie hier zum ersten Mal bei uns zu haben. Wir begrüßen es besonders, daß Ihre Delegation auch Berlin in Ihr Besuchsprogramm aufnehmen wird. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und Ihrem Land und Ihrem Parlament von Herzen alles Gute. ({1}) Meine Damen und Herren, zunächst einige Mitteilungen. Erstens. Am 16. Mai 1983 hatte der Abgeordnete Gerstl ({2}) seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm die herzlichen Glückwünsche des Deutschen Bundestages aus. ({3}) Zweitens. Für die Abgeordneten Dr. Althammer und Dr. Schachtschabel läuft Mitte des Jahres die Amtsdauer als Mitglieder des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank aus. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD, auf deren Vorschlag diese Abgeordneten gewählt wurden, haben die Abgeordneten Dr. Althammer und Rapp ({4}) zur Wiederwahl bzw. zur Neuwahl vorgeschlagen. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Damit sind die Abgeordneten Dr. Althammer und Rapp ({5}) gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank als Mitglieder des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank gewählt. Drittens. Punkt 17 der Tagesordnung soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt werden. - So beschlossen. Viertens. Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 18 der Tagesordnung um zwei Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt, die Ihnen vorliegt: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben - Drucksache 10/67 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Forschung und Technologie Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Sondergutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen" - Drucksache 10/84 Ist das Haus damit einverstanden? - Widerspruch erhebt sich nicht. Es ist so beschlossen. Meine Damen, meine Herren, die Fraktion der SPD beantragt, wie ich höre, den Antrag auf Drucksache 10/79 - Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und Europäischer Rat in Stuttgart - im Anschluß an den Tagesordnungspunkt 12 - Beratung des Agrarberichts 1983 der Bundesregierung - auf die heutige Tagesordnung zu setzen. Der Antrag ist mir am 18. Mai 1983 vor 18 Uhr zugegangen. Er ist also zulässig. Wird zu diesem Antrag das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? Ich weise darauf hin, daß eine Redezeit von fünf Minuten nach der Geschäftsordnung nicht überschritten werden darf. Wer bittet ums Wort? - Herr Kollege Lahnstein.

Manfred Lahnstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001269, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert außerordentlich, daß unser Antrag zum Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und zum Europäischen Rat in Stuttgart zum Gegenstand einer Geschäftsordnungsdebatte gemacht werden muß. Für uns entsteht der Eindruck, daß eine Diskussion über ein wichtiges politisches Problem vermieden werden soll. ({0}) Aus folgenden Gründen scheint uns eine Debatte über unseren Antrag auf Drucksache 10/79 noch heute notwendig zu sein. Erstens. Vor Williamsburg tritt der Deutsche Bundestag nicht mehr zusammen. Es ist dringend geboten, von der Bundesregierung vorher präzise Auskunft darüber zu bekommen, wie ihre Haltung zu den drängenden Fragen der Weltwirtschaft ist. ({1}) Für Williamsburg gilt: Unsere Sache wird dort verhandelt, insbesondere die der Arbeitnehmer, ganz besonders das Schicksal von vielen Millionen Arbeitslosen in den Ländern der OECD. Die Regierungserklärung hat über Williamsburg und über die weltwirtschaftlichen Ansichten der Bundesregierung praktisch keine Auskunft gegeben. Deshalb brauchen wir die Debatte heute. ({2}) Zweitens. Aus der Formulierung unseres Antrags, meine Damen und Herren, entnehmen Sie, daß es uns keineswegs um billige oder vordergründige Kritik, sondern um Klärung geht. Insbesondere wollen wir vor Williamsburg wissen, welches Konzept zur Überwindung von Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeit die Bundesregierung dort vorlegen will. Aus diesem Grund sind wir in unserem Antrag bewußt kurz geblieben, um der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, ihre Auffassungen im Detail und präzise darzulegen. Schweigen müssen wir so deuten, daß der Bundeskanzler und die Bundesregierung gewillt sind, die untauglichen Konzepte derjenigen Neokonservativen zu übernehmen, die derzeit in den USA das Sagen haben. ({3}) Das wäre verheerend. Das können wir nicht hinnehmen. Wie ernst die Lage insgesamt geworden ist, können Sie dem jüngsten Bericht des International Institute for Strategic Studies von heute morgen entnehmen. Da muß man wohl auch hier im Parlament Klartext reden. Drittens. Die Bundesregierung als Präsidialmacht in der EG hat für den nächsten Europäischen Rat eine besondere Verantwortung. Die Verschiebung des Rates nun um zwei Wochen eröffnet die Möglichkeit, zu besseren Verhandlungsergebnissen zu kommen. Diese Möglichkeit muß genutzt werden. Sie darf nicht versäumt werden. Hierbei wollen wir der Bundesregierung helfen, wir wollen sie ermuntern. Deshalb muß die Debatte zu Stuttgart heute stattfinden und nicht erst dann, wenn es nichts mehr zu debattieren gibt. ({4}) Jugendarbeitslosigkeit, Binnenmarkt, Stahlkrise, Süderweiterung, EG-Finanzierung, Agrarpolitik, Umweltpolitik - das alles liegt auf dem Tisch. Unsere Bürger wollen präzise wissen, wie sich Bundeskanzler und Bundesregierung die Lösung vorstellen. Für uns ist es, um dies abschließend zu sagen, mehr als erstaunlich, daß der Bundeskanzler und die Bundesregierung die Fraktionen der Regierungskoalition nicht geradezu ermuntert haben, heute hier Williamsburg und Stuttgart zu diskutieren. Damit wird eine wertvolle Chance vertan - die andere Regierungen übrigens nutzen -, sich für zugegebenermaßen schwierige Verhandlungen auch parlamentarische Rückendeckung zu verschaffen. Im Namen meiner Fraktion beantrage ich deshalb die Debatte am heutigen Tage. - Danke schön. ({5})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU widerspricht dem Antrag der SPD, die Tagesordnung zu ergänzen. Herr Kollege Lahnstein, ich habe den Eindruck, Sie haben Ihren Antrag nicht sehr genau gelesen; denn Ihr Antrag bezieht sich zu 95% auf den EG-Gipfel in Stuttgart, und der findet bekanntlich vom 17. bis 19. Juni statt. Im übrigen muß ich Ihnen sagen: Die Tatsache, daß in Williamsburg ein Weltwirtschaftsgipfel ist, ist seit Monaten bekannt. Wir hatten in der Aussprache zur Regierungserklärung ausreichend Gelegenheit, darüber zu debattieren. ({0}) Ich weiß nicht recht, was in Ihrer Fraktion vor sich geht. Meine Damen und Herren, wir wollen die Tagesordnung in diesem Hause einvernehmlich vereinbaren. Wir wollen das nicht majorisieren. Wir haben sie einvernehmlich vereinbart. Wir wollen uns heute morgen in einer gründlichen Debatte mit den Problemen des Jugendprotestes im demokratischen Staat beschäftigen. Wir haben heute nachmittag und abend eine lange, gründliche Agrardebatte. Dies alles ist einvernehmlich vereinbart. Jetzt beantragen Sie, heute gegen Mitternacht - gegen Mitternacht, früher würde das nicht sein! - über den Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und über den Gipfel in Stuttgart zu tagen. Jetzt will ich Ihnen in aller Freundschaft noch etwas sagen - das muß j a dann hier noch einmal ausgetragen werden -: Sie haben uns am Montag von Ihrem Wunsch unterrichtet, daß Sie möglicherweise einen solchen Antrag stellen. Wir haben dann gesagt: Für den Fall, daß es bei dem Termin des Gipfels in Stuttgart Anfang Juni bleibt, stimmen wir zu, daß die Tagesordnung dieser Woche ergänzt wird, damit vor dem Europäischen Gipfel hier debattiert werden kann. Für den Fall, daß verschoben wird - und damit haben Sie sich einverstanden erklärt -, wollen wir diese Debatte diese Woche nicht, sondern im Juni. - Dann haben Sie uns am Dienstag nach Schluß unserer Fraktionssitzung wissen lassen, daß Sie diesen Antrag heute stellen. Ich sage noch einmal, Herr Kollege Lahnstein: Wir wollen Sie nicht majorisieren, aber wir wollen ein geregeltes Miteinander im Umgang und in der Aufstellung dieser Tagesordnung. ({1}) Deswegen muß es bei der vereinbarten Tagesordnung bleiben. Wir lehnen den Antrag der SPD ab.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. ({0}) - Ich freue mich, daß manche am Morgen schon so munter sind. Das Präsidium ist dies auch. ({1}) Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" - Drucksache 10/51 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({2}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Es wird aus Gründen, die Sie kennen, beantragt, den Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" aus der 9. Legislaturperiode auf Drucksache 9/2390 im Plenum zu behandeln und an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden. Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von vier Stunden vereinbart. - Ich sehe, das Haus ist auch damit einverstanden. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war der Auftrag der EnqueteKommission, Ursachen, Formen und Ziele der Proteste junger Menschen zu untersuchen und Wege aufzuzeigen, wie die Lage der Jugend verbessert und Spannungen abgebaut werden können. Die Aufgabe der Kommission war sowohl analytischer als auch konzeptioneller Natur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist der Kommission als einem Untersuchungsinstrument des Parlaments nicht möglich, unmittelbar die Verwirklichung eines Teils der über 50 erarbeiteten konkreten Forderungen durchzusetzen. Aber ich meine, es kann den Mitgliedern des ganzen Hauses nicht gleichgültig sein, was mit der Analyse und den Vorschlägen der Kommission weiterhin geschehen soll. Die Arbeit dieser Kommission hat nur dann einen Sinn gehabt, wenn sie konkrete Impulse gibt, die wir alle gemeinsam versuchen politisch umzusetzen und damit gegenüber vielen jungen Leuten glaubwürdig zu sein, ({0}) die erwarten, daß wir nicht nur Papiere schreiben, sondern Schritt für Schritt Papiere in politische Praxis umsetzen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner zu folgen oder Gespräche draußen zu führen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die „Süddeutsche Zeitung" schrieb am 3. Februar 1983 im Vorgriff auf die heutige Debatte folgendes: Das Schlimmste, was der Kommission und ihrer Arbeit passieren könnte, wäre eine Bundestagsdebatte in der kommenden Legislaturperiode, - also heute bei der sich alle Fraktionen gegenseitig ihr Problembewußtsein bescheinigen, den Bericht „verabschieden", an Länder, Gemeinden, Verbände sowie Organisationen appellieren und dann zur Tagesordnung übergehen. Dies - so sagt die „Süddeutsche Zeitung", wie ich finde, mit Recht schüfe neue Ursachen für „Jugendprotest". Deswegen möchte ich Sie alle, uns alle bitten, daß wir in den kommenden Monaten bei der Beratung des Berichts in den Ausschüssen, bei der Diskussion in den Parteien, bei der Umsetzung auf Länder- und Gemeindeebene dafür sorgen, daß wir auch dadurch ein Stückchen glaubwürdiger werden, daß Jugendliche spüren: Die haben da nicht nur beraten und schöne Papiere geschrieben, sondern die bemühen sich, nach ihren Kräften alles daran zu setzen, daß Anregungen zur Jugendpolitik schrittweise umgesetzt würden. Deswegen meine ich, es ist gut, daß die Bundesregierung bereit ist, noch im nächsten Jahr einen Bericht über die Verwirklichung des Schlußberichts der Enquete-Kommission hier vorzulegen, damit jedermann auch draußen spürt, daß wir ernst nehmen, was wir aufgeschrieben haben. Das ist ein Stückchen Glaubwürdigkeit. ({0}) Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Es ist in der Öffentlichkeit gelegentlich kritisiert worden, daß wir neben vielen gemeinsamen analytischen Bemerkungen, aber auch gemeinsamen Vorschlägen der ganzen Kommission auch unterschiedliche Mei318 nungen an bestimmten Punkten, etwa zur Außen- und Sicherheitspolitik, etwa zur wirtschaftspolitischen Strategie zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder zur Leistungsbewertung in der Schule in den Endbericht hineingeschrieben haben. Ich erachte dies in keiner Weise als einen Nachteil. Politische Rezeptbücher, die den Schein der Einigkeit wahren, enthalten nach meiner Überzeugung in der Regel keine brauchbaren Antworten auf die komplizierten Fragen, die sich uns heute stellen. Meine Bitte an uns alle, an das ganze Haus, wäre, zu versuchen, die Punkte, an denen wir in der Kommission über unseren Schatten gesprungen sind, von links bis rechts, nun gemeinsam umzusetzen und über die anderen Punkte, wo der Dissens festgeschrieben werden mußte, weil wir nicht künstlich Konflikte unter den Teppich kehren, ehrlich zu reden. Meine Damen und Herren, ich möchte als Vorsitzender der Kommission an dieser Stelle allen Mitgliedern der Kommission, den parlamentarischen Kollegen wie den Sachverständigen, die keine Parlamentarier sind, für die Arbeit herzlich danken. Es war ein gutes Klima, es war eine konstruktive Zusammenarbeit. Ich meine, da vor allem wichtig ist, daß die Kommission nicht nur über Jugendliche geredet hat, sondern daß sie mit Hunderten von Jugendlichen in den Monaten der Arbeit zusammengearbeitet hat. ({1}) Denn ich glaube, es wird zuviel über Dritte geredet, zuwenig mit Jugendlichen über Probleme der Jugend- und der Gesellschaftspolitik debattiert und gestritten. Die Grundmotive, die die Kommission geleitet haben, werden in der vielbeachteten Schrift der deutschen Bischöfe vom 18. April dieses Jahres in besonders überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht. Ich möchte daraus kurz zitieren. Hier wird gesagt: Viele junge Menschen lassen heute ein neues Gespür für eine weltweite menschliche Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg erkennen. Sie stoßen zu einer Geisteshaltung vor, die von Gerechtigkeitsliebe und Einsatzbereitschaft geprägt ist. Allerdings kennzeichnen auch Angst und Hoffnungslosigkeit die Lebenseinstellung nicht weniger junger Menschen. Dann fahren die Bischöfe in ihrer Schrift fort und sagen: Um so mehr ist die Erwachsenengeneration aufgerufen, der Jugend ihre Erfahrungen zu vermitteln und Räume des Handelns zu öffnen, in denen junge Menschen bereits Mitverantwortung ausüben können. Weiter sagen die Bischöfe in ihrer Schrift: Nur auf diese Weise kann es gelingen, die Ordnung der Freiheit und des Rechts, die Ordnung der Demokratie mit Inhalt und Leben zu erfüllen, damit sie auch kommenden Generationen anziehend und lebenswert erscheint. Dieses Wort umreißt die doppelte Aufgabe, die wir alle haben und die sich im Schlußbericht der Enquete-Kommission widerspiegelt, nämlich auf der einen Seite auf berechtigte Anliegen von jungen Leuten, auf Kritik, die sie auch an uns dort üben, wo wir wissen, sie haben im Kern recht, einzugehen und uns selbst zu öffnen und dann nicht nur zuzustimmen, sondern daraus auch politische Konsequenzen zu ziehen. Ich nehme ein Beispiel aus der Diskussion der letzten Tage mit Jugendlichen, wo uns Jugendliche gesagt haben: Macht ihr nicht häufig in der Jugendpolitik der Städte und Gemeinden den Fehler, daß Kommunalpolitiker sagen: „Gut, 10 Millionen für ein neues Jugendhaus", und dann ein neues Jugendhaus entsteht, meistens als Betonklotz irgendwo mitten in anderen Betonruinen? Die Jugendlichen sagen nun: Gebt uns lieber ein oder zwei Millionen - also wesentlich weniger Geld -, und gebt uns die Chance, selbst daran zu arbeiten und mitzuwirken, daß ein altes Haus wiederhergestellt wird; das ist besser, als zu glauben, die perfektionierte Betonwelt auch in der Jugendpolitik fortsetzen zu können. ({2}) Auf solche Punkte einzugehen macht uns glaubwürdig, wenn wir an anderen Punkten, wo wir aus unserer Grundüberzeugung nicht zustimmen können, den Mut haben zu widerstehen. Das, meine ich, ist der andere Teil unserer Aufgabe: den Mut zu haben, an den Punkten zu widersprechen, an denen es vielleicht unpopulär ist, an denen wir aber, wenn es um die Verteidigung des Rechtsstaates geht, wie ich finde, als ganzes Haus bereit sein sollten, Jugendlichen zu sagen: Wir verteidigen gemeinsam den Rechtsstaat. In einer Demokratie ist allein der Staat berechtigt, Gewalt zum Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Bürger auszuüben, vor allem auch zum Schutz der Schwächeren; denn wer den Rechtsstaat aufgibt, stellt die Weichen für eine Ellenbogengesellschaft, in der der Schwächere auf der Strecke bleibt, weil das Faustrecht des Stärkeren die Wirklichkeit prägt. ({3}) Meine Damen und Herren, was wir gestern in der Jugend-Fragestunde des Bundestages erlebt haben, war gerade auch in dieser Hinsicht ermutigend, weil nämlich deutlich wurde, daß einige wenige, die glauben, Provokation als Mittel der Auseinandersetzung suchen zu müssen, von der überwiegenden Mehrheit der anwesenden Jugendlichen ein deutliches Nein erfahren haben. ({4}) Wir sollten Jugendlichen klarmachen, daß nicht der Rabatz politische Wirkungen auslöst, sondern daß Politiker bereits aufwachen - da können wir auch selber lernen -, bevor Fensterscheiben klirren - damit niemand ermutigt wird, Methoden der Aggression und Provokation als Mittel der Auseinandersetzung zu suchen. Deswegen möchte ich unser aller Aufmerksamkeit - und ich weiß, daß viele von Ihnen in diesen Themen ähnlich engagiert sind wie wir in der Kommission - auf ein Feld lenken, bei dem zur Zeit niemand lautstark auf der Straße steht, bei dem wir aber, wenn wir ein Sensorium für Entwicklungen haben und wenn wir aus Gesprächen mit vielen gelernt haben, wissen: ({5}) Es kann in den nächsten Jahren durchaus so werden, daß, ähnlich wie in Brixton in Großbritannien im Jahre 1981, nicht der Protest gegen die perfektionierte Wohlstandsgesellschaft wie bei vielen Unruhen in Deutschland, sondern das Gefühl, sozial benachteiligt zu sein, ({6}) Jugendliche zum Protest ermutigt. Deswegen, meine ich - lieber Kollege Roth, das sollten wir nicht in kleinkariertem Gezänk zerhakken -, müßte es die gemeinsame Aufgabe des ganzen Hauses sein, den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel nicht zum parteipolitischen Instrument werden zu lassen, sondern gemeinsam zu versuchen, wenigstens in einigen Punkten konkrete Lösungsvorschläge durchzusetzen. ({7}) Die Kommission hat, neben den Unterschieden in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Strategien, die wir natürlich nicht haben verwischen können, an einer ganzen Reihe von Punkten aktuelle, konkrete, zum Teil auch unkonventionelle Lösungsansätze zu diesem Thema genannt. Ich nenne nur drei. Erstens. Wir haben in der Kommission gemeinsam vorgeschlagen, private, nicht gewerbsmäßige Initiativen, etwa von Unternehmen, Gewerkschaften, Gemeinden und Eltern, zur Information über das Lehrstellenangebot, zur Steigerung der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und zur Lehrstellenvermittlung in Zukunft nicht mehr durch die Arbeitsverwaltung behindern zu lassen, sondern nachhaltig zu unterstützen. Ich sage das hier an einem praktischen Beispiel ganz deutlich: Ich halte es für einen Skandal, daß vor wenigen Tagen ein südbayerischer Kleinunternehmer von der Arbeitsverwaltung mit einem hohen Bußgeld belegt wurde, weil er es geschafft hatte, 13 Jugendlichen eine Lehrstelle zu vermitteln. ({8}) Wir sollten, wie ich finde, den Mut haben, hier unbürokratisch zu sein und auch solche unkonventionellen Vorschläge in unsere Diskussion und Beschlußfassungen einzubeziehen. ({9}) Ein zweiter Punkt. So schnell wie möglich, meine ich, sollte der Bundestag das Schwerbehindertengesetz mit dem Ziel erneuern, daß Lehrstellen bei der Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsabgabe der Betriebe nicht mehr berücksichtigt werden müssen. ({10}) Eine Änderung des Gesetzes würde vor allem Klein- und Mittelbetrieben Mut machen und die Bereitschaft stärken, zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, ohne daß auch nur einem einzigen schwerbehinderten Mitbürger dadurch Schaden zugefügt würde. Ich meine, wir sollten die entsprechende Gesetzesarbeit beschleunigen und eine solche Gesetzesänderung nach Möglichkeit gemeinsam verabschieden. In der Kommission waren wir in diesem Punkt doch zu gemeinsamen Ergebnissen fähig. Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren, ist, meine ich, genauso wichtig: Es wird bei der allgemeinen Diskussion über Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel häufig übersehen, daß es für eine große Zahl von Jugendlichen besondere Probleme gibt, die in der Pauschaldiskussion nicht vorkommen. Ich nenne vor allem die Situation der jungen Mädchen und Frauen. Nur etwa ein Drittel aller Ausbildungsplätze ist von Mädchen und jungen Frauen besetzt. Es droht die Gefahr, daß in einer Zeit, in der die Gleichberechtigung im Bildungswesen zu einem größeren Maße erreicht ist als jemals zuvor, die Benachteiligung in der Beruf s-welt in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten wieder zunimmt. Deswegen meine ich, das ist nicht nur eine Sache der Kolleginnen im Hause, sondern eine Sache des ganzen Hauses, daß wir uns darum bemühen, die Öffnung neuer Berufswege für Mädchen zu erwirken und beispielsweise die bürokratischen Hindernisse, die auf diesem Wege noch liegen, abzubauen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum etwa im Bauhauptgewerbe nach wie vor ein Beschäftigungsverbot für Frauen existiert und wir dieses nicht überwinden, um Frauen eine Chance auch in Berufen zu geben, in denen sie bereit sind zu arbeiten, ohne daß bisher die ausreichenden Möglichkeiten vorhanden sind. ({11}) Meine Damen und Herren, wir sollten ein weiteres tun, wir sollten die in Amerika bereits praktizierte Frauenförderung in öffentlichen Stellen, aber auch in der privaten Wirtschaft in unsere Programme mit einbeziehen, damit Mädchen und junge Frauen nicht doppelt benachteiligt werden. Ich weiß genau, es geht nicht nur um praktische Maßnahmen. Es geht auch um die Änderung unserer Einstellung, um die Änderung mancher Vorurteile. ({12}) Ich finde, auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müßte kein Gegenstand des Streites sein, sondern könnte ein Gegenstand gemeinsamer Anstrengungen sein. Was in der Enquete-Kommission gemeinsam möglich war, müßte doch auch im ganzen Haus gemeinsam möglich sein. ({13}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß auf einen Gedanken hinweisen, der über unsere praktischen Vorschläge hinausgeht. Jugendliche fragen uns nicht nur nach unseren praktische Maßnahmen, Jugendliche fragen uns auch nach der Haltung, nach den Grundwerten, die hinter unserer praktischen Politik stehen. Wir haben gerade auch in der Diskussion mit vielen hundert Jugendlichen festgestellt, daß es nicht einen Wertzerfall in der Jugend gibt, ({14}) sondern daß es im Gegenteil bei vielen Jugendlichen ein neues Wertbewußtsein gibt, ja, daß viele für alt gehaltene Werte wieder neu entdeckt werden: Gemeinschaftsgeist beispielsweise, die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen und zu engagieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sollten wir nicht den einen Teil der Jugend gegen den anderen ausspielen. Natürlich gibt es auch beispielsweise in Landkommunen Jugendliche, die sich ernsthaft engagieren und die wir nicht diskreditieren werden. Aber ich finde, umgekehrt sollte auch gesehen werden, daß es Hunderttausende von Jugendlichen gibt, auf die niemand aufmerksam macht und die trotzdem in der Alltagsarbeit, bei der Feuerwehr, in der Behindertenarbeit, in der Entwicklungsarbeit ihren Mut und ihre Tapferkeit täglich beweisen. ({15}) Beides gibt es und beides sollten wir unterstützen und ermutigen. Aber nicht nur Ermutigung in den praktischen Dingen ist gefragt, sondern die Bereitschaft, daß wir selbst unser Wertbewußtsein in der praktischen Arbeit sichtbar machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind keine neuen Grundsatzprogramme gefragt, es sind keine neuen und besseren Reden zu Wertfragen gefragt, sondern wonach uns viele Jugendliche kritisch fragen, ist: Lebt ihr denn, wovon ihr redet, und verwirklicht ihr, was ihr so tönend in Programmen geschrieben habt? Ich will es an einem praktischen Beispiel sagen, nämlich an dem Kampf für Menschenrechte und Grundfreiheiten. Muß es denn in diesem Hause so bleiben, daß wir uns sozusagen gegenseitig ständig den Schwarzen Peter zuschieben, wenn es um die Fragen des Einsatzes für Menschenrechte geht, oder sollten wir uns nicht gemeinsam deutlicher als bisher entschließen, Jugendlichen zu sagen: „In diesem Hause setzt sich jeder ein für Verfolgte überall in der Welt, für die Verfolgten unter Rechtsdiktaturen genau wie für die Verfolgten in Polen, in der Sowjetunion, in der DDR"? ({16}) Da machen wir keinen Unterschied, meine Damen und Herren! ({17}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit der nochmaligen Bitte schließen: Je mehr sich unsere Taten mit unseren Reden und Programmen decken - und da sind wir alle, jeder persönlich, gefordert -, desto glaubwürdiger werden wir werden. ({18}) - Lieber Herr Kollege, je weniger selbstgefällig wir über solche Punkte reden, desto größer ist die Chance, daß wir alle ein Stückchen glaubwürdiger werden. ({19})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Schröder ({0}).

Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002078, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wissmann hat so viel Dank abgestattet, daß mir nichts mehr nachbleibt. Ich will deswegen auch darauf verzichten. Recht hat er natürlich gehabt, als er gesagt hat, gerade in puncto Beseitigung oder wenigstens Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit geht es um Glaubwürdigkeit. ({0}) Sicher; nur wenn ich mir dann die Regierungserklärung anschaue und mir ansehe, was darin zu diesem Punkt an konkreten Maßnahmen aufgeschrieben ist, kann - das ist eben das Problem - von Glaubwürdigkeit denn doch wohl keine Rede sein. ({1}) Es steht lediglich darin, man müsse der Jugend Hoffnung geben. Nun stelle ich mir jenen Jugendlichen vor, der auf die 30. Bewerbung die 30. Absage bekommen hat und der an Stelle konkreter Vorschläge von Regierungsseite den Hinweis bekommt, er solle Hoffnung schöpfen, und die wolle man ihm geben. Nein, was er haben will, ist nicht blumige und wolkige Hoffnung, ausgedrückt in eben dieser Sprache. Was er haben will und braucht, ist eine Lehrstelle, und was er erwartet, ist, daß der Staat und diejenigen, die für ihn handeln, ihren Teil dazu tun, daß er eine Lehrstelle bekommt. ({2}) Sie müßten schon sagen, welche staatlichen Maßnahmen Sie denn zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit vorschlagen, und sie dürften nicht dabei stehenbleiben, einen Appell an die Kräfte des Marktes - was für Kräfte das immer sein mögen - zu richten. ({3}) Zur Glaubwürdigkeit gehört auch, Herr Kollege Wissmann, daß man sich nicht in Wahlkämpfen hinstellt und sagt, in diesem Jahr werde jeder Jugendliche eine Lehrstelle bekommen, ({4}) Schröder ({5}) sich aber ein paar Monate später vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit - wie gerade gestern geschehen - bescheinigen lassen muß, daß nach seinen Zahlen jedenfalls keine Rede davon sein kann, daß dieses Versprechen auch eingelöst wird. ({6}) Wenn - so ist zu betonen - staatliche Instanzen, wenn Politiker sich so verhalten, tragen sie dazu bei, daß die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft, daß die Kluft zwischen Staat und Jugendlichen nicht etwa geringer, sondern im Gegenteil größer wird; ({7}) dann tragen sie dazu bei, daß es nicht mehr, sondern weniger Glaubwürdigkeit geben wird. ({8}) Ich habe hier über den Bericht der Kommission, der ich angehört habe, zu reden, und einen bemerkenswerten Satz möchte ich gern mit Genehmigung des Präsidenten zitieren. Die Kommission schreibt: Einig war sich die Kommission darin, daß der Jugendprotest wesentlich als Reaktion auf ungelöste gesellschaftliche Probleme verstanden werden muß und nicht als klassischer Generationenkonflikt erklärt werden kann. Diese Feststellung - übrigens der gesamten Kornmission - weist jene sehr deutlich in ihre Schranken, die den Protest von Jugendlichen mehr oder minder wohlwollend als jugendspezifisches Problem abtun wollen, so nach dem Motto: Wenn die erst mal älter werden, werden sie auch vernünftiger. Dabei ist - das ist eigenartig - Vernunft natürlich immer das, was man selbst für Vernunft hält. ({9}) Die Kommission hat sich Mühe gegeben zu erklären, welche gesellschaftlichen Ursachen der Protest hat; ich wiederhole: welche gesellschaftlichen Ursachen der Protest hat. Indem die Kommission genau dies getan hat, hat sie zugleich eine sehr deutliche Absage an jene formuliert, die den Protest als durch Konfliktpädagogik gleichsam anerzogen begreifen wollen. Ich wäre, Herr Wissmann, sehr dankbar, wenn Sie diese Feststellungen der Kornmission etwa an Frau Wilms weitergäben, die ja mit der Leerformel von der Konfliktpädagogik über die Dörfer zieht. ({10}) Eine weitere grundlegende Feststellung scheint mir wichtig zu sein. Ich zitiere wiederum aus dem Bericht: Die Kommission bewertet viele Formen friedlichen Protestes als Ergebnis einer im demokratischen Sinne gelungenen Sozialisation. Hier - und das scheint mir wichtig - findet sich die Erkenntnis, daß vordergründige Harmoniemodelle in einer offenen Gesellschaft wirklichkeitsfremd und damit objektiv reaktionär sind. Das sollten die Mitglieder der Kommission, die diesem Satz zugestimmt haben, einmal dem Bundeskanzler nahebringen, der in seiner Regierungserklärung ein einziges und ein einzig wirklichkeitsfremdes Harmoniemodell entworfen hat. ({11}) Nein, in einer Demokratie - so, denke ich, ist die Kommission durchaus zutreffend zu interpretieren - ist eben nicht Ruhe, sondern Unruhe die erste Bürgerpflicht. ({12})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002078, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich; aber nur eine.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schröder, halten Sie es eigentlich für besonders überzeugend, den Text der Kommission zu nehmen und ihn sozusagen parteipolitisch jeweils gegen die andere Seite zu instrumentalisieren? Halten Sie es nicht für besser, daß wir gemeinsam versuchen, bei uns selbst zu entdecken, was wir verbessern können und wo wir Fortschritte erzielen können, statt ein kleinkariertes Gezänk zu entfalten? ({0})

Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002078, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wissmann, ich instrumentalisiere nicht. Ich stelle fest, daß Sie diesen Passagen zugestimmt haben - übrigens Herr Sauter von der CSU auch -, daß Sie aber in Ihren Fraktionen noch eine gewaltige Aufklärungsarbeit vor sich haben. Dafür wünsche ich Ihnen sehr viel Erfolg. ({0}) Aber jetzt lassen Sie mich fortfahren. Ich sage: Die von der Kommission getroffenen Feststellungen sollten uns veranlassen, darüber nachzudenken, welche gesellschaftlichen Ursachen denn den Protest, über den wir reden, begründen. Die Feststellungen sollten uns übrigens auch veranlassen, darüber nachzudenken, was wir denn daraus lernen können. Die wesentlichen Ursachen hat die Kommission aufgeschrieben. Lesen Sie das bitte, meine Damen und Herren; lesen Sie es nach. Es ist nämlich die Rede von der Angst, die die Menschen haben, die jungen Menschen zumal. Wenn Sie das lesen, werden Sie merken, daß der Protest damit zu tun hat, daß es in der Gesellschaft in ganz wichtigen Fragen, in Existenzfragen schlechthin, einen Konsens über das, was gelten soll, nicht oder jedenfalls nicht mehr vollständig gibt. Das betrifft vor allen Dingen Schröder ({1}) Begriffe wie Fortschritt, aber auch wie Sicherheit. Von diesen beiden zentralen Begriffen handelt auch der Bericht. Trotz tiefgreifender Differenzen über die konkrete Organisation gesellschaftlichen Zusammenlebens bestand doch quer durch die Parteien weitgehend Einigkeit darüber, daß Fortschritt jedenfalls auch mit wirtschaftlichem Fortschritt, mit Wachstum, mit der Entfesselung der Produktivkräfte gleichzusetzen sei. Ich denke, daß diese Einigkeit quer durch die Parteien geschwunden ist. Es gibt die Ahnung vieler, daß weiteres Wirtschaftswachstum, jedenfalls sofern es ungesteuert verläuft, die natürlichen Existenzgrundlagen der Menschen vernichten wird. Diese Ahnung vieler ist bei nicht wenigen bereits Gewißheit geworden. Indem sie sich dermaßen bedroht sehen, protestieren sie gegen die Verlängerung jener Trends in ihre Zukunft hinein. Sie haben den Mut, den Protest nicht irrational, sondern durchaus rational zu finden. Wir sollten diesen Mut auch haben. ({2}) Dieser Protest wird übrigens andauern, auch wenn sich seine Formen verändern. Er wird andauern, weil die Probleme bleiben werden. Er wird andauern, weil uns die objektiven Möglichkeiten, die Probleme zu lösen, ja bisweilen die Bereitschaft, die Probleme auch nur zu erkennen, fehlen. Weil das so ist, beschwört ein Teil derer, die im Land das Sagen haben, lieber das Hergebrachte. Und das macht mir Angst; denn ich halte es für unmöglich, die Probleme von heute und morgen mit den Rezepten von gestern lösen zu wollen. ({3}) Die zweite Erschütterung betrifft den Begriff der Sicherheit. Was immer uns - das geht auch quer durch die Parteien - in der Sicherheitspolitik getrennt hat - das war sehr, sehr viel -, so war uns doch gemeinsam die - jedenfalls nach meiner Auffassung - historisch schrecklich falsche Vorstellung, Waffen, atomare zumal, könnten jedenfalls auch zum Frieden beitragen. Das Konzept der Abschreckung war und ist Folge dieses Denkens. Hier gab es einen Konsens, der so nicht mehr existiert. Mehr und mehr Menschen begreifen, daß dieses Konzept die Beherrschung der Waffen durch den Menschen notwendig voraussetzt, eine Voraussetzung, die eben immer zweifelhafter wird. Angesichts der Entwicklung der Waffentechnologie und angesichts der dahinterstehenden Interessen der militärisch-industriellen Komplexe wächst die Gefahr, daß auch hier die Technik den Menschen beherrscht und daher ein menschlich denkender und menschlich handelnder Adressat, der abzuschrekken wäre und der abgeschreckt werden könnte, nicht mehr oder jedenfalls bald nicht mehr zur Verfügung steht. Weil das die Menschen spüren, wächst ihre Angst, eine Angst, die den Protest speist. Wenn das die Situation ist oder wenn sie damit wenigstens annähernd beschrieben ist, haben wir uns zu fragen, was wir denn daraus lernen können. Ich meine, wir können zuallererst lernen, daß der Protest bleiben wird, auch wenn sich die Formen ändern. Wir können dann lernen, daß er Existenzprobleme von Menschen betrifft, auf die wir zur Zeit zureichende Antworten nicht haben. Schließlich sollten wir lernen, daß die Begrenztheit unserer Antworten staatlichem Handeln, das wir zu verantworten haben, Grenzen setzt. Wir sollten lernen, daß angesichts dessen das Beschwören des starken Staates nichts nützt, dort nämlich nichts nutzen kann, wo die Schwäche der Problemlösungsmöglichkeiten eben dieses Staates allzu deutlich ist. Es wirkt dann wie Pfeifen im Kohlenkeller und macht die Akteure lächerlich, wenn wir angesichts unserer offenkundigen inhaltlichen Schwäche Stärke beschwören. ({4}) Ich weiß nicht, ob die Staatsvorstellung, die in diesem Bericht formuliert wird, die ihm zugrunde liegt, allen hinreichend deutlich ist. Es ist eben nicht die Vorstellung vom repressiven Staat. Im Bericht findet sich ein Kapitel, dem alle zugestimmt haben und das mit „Legalität und Legitimität" überschrieben ist. Es heißt dort - ich zitiere wieder -: Gerade in der Demokratie muß sich der Staat bei seinem Handeln stets neu um Glaubwürdigkeit bemühen. Zur Rechtfertigung staatlicher Entscheidungen reicht der Hinweis, daß sie in einem formal einwandfreien Verfahren zustande gekommen sind, nicht aus. Anders gesagt: Die Legalität ist nicht durch das Verfahren allein legitimiert. Wodurch - so ist zu fragen - aber dann? Was muß hinzukommen, um Legalität und Legitimität nicht auseinanderfallen zu lassen? Nun, die Antwort auf diese Frage findet man im Grundgesetz. Insbesondere in seinem Art. 79 Abs. 3 enthält das Grundgesetz eine Positivierung der Legitimität staatlicher Gewalt. Die strikte Beachtung der Grundrechte, der Sozialstaatlichkeit, der Gewaltenteilung und der Grundsätze der Demokratie und des Rechtsstaates eben durch den Staat selbst legitimieren die staatliche Gewalt. Das heißt dann aber auch, daß sich die Legitimität der konkreten Politik durch die Beachtung dieses Rahmens, der nicht durch Hinweis auf Mehrheiten ersetzt werden kann, erweist. Legitim ist danach mehrheitlich entschiedene Politik dann und nur dann, zumal in existentiellen Fragen, wenn sie in laufender Auseinandersetzung mit Opposition und öffentlicher Meinung konkretisiert und den sozialen und ökonomischen Wandlungen angepaßt wird und zwischen widerstreitenden Zielen stets und ständig Kompromisse gesucht werden. ({5}) - Ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu. - Legale Entscheidungen, die so zustande gekommen sind, können nicht unter Berufung auf die LegitimiSchröder ({6}) tät durchbrochen werden - nicht von einzelnen und nicht von Gruppen. Aber da gibt's dann auch einen Umkehrschluß: Das gilt eben nur für jene Entscheidungen des Staates, die sich durch mehr als Verfahren legitimieren. Warum sage ich das? Nun, mir war angesichts der im Herbst anstehenden Entscheidungen wichtig, auch einmal Anforderungen an staatliche Maßnahmen zu formulieren, die gegeben sein müssen, wenn Widerstand dagegen als illegal bezeichnet werden können soll. Die Frage wird erlaubt sein, ob die Offenheit des Entscheidungsprozesses, die Entscheidungsmöglichkeiten der Betroffenen und die Kompromißbereitschaft der Entscheidenden wirklich von einer Qualität waren und sind, um der anstehenden Nachrüstungsentscheidung im Herbst das Attribut „legal" in diesem Sinne zu verleihen. ({7}) Ich bestreite dies und mit mir viele, die angesichts des Legitimitätsdefizits dieser Entscheidung mit ihrem Nein eben nicht in die Illegalität gedrängt werden wollen, die, wie ich finde, recht haben, die sich, wie ich finde, auf diesen Bericht in seinen grundsätzlichen Aussagen berufen können und, so denke ich, berufen werden und berufen sollen. ({8}) Ich sage das auch deshalb, weil schon jetzt Tendenzen erkennbar sind, sich um die Mängel der anstehenden Entscheidung, um die Legitimitätsdefizite nicht zu kümmern, ({9}) sondern ausschließlich um die Durchsetzung der Entscheidung besorgt zu sein so nach dem Motto: Legitim ist eben auch das, was Ergebnis ist. Es ist aber eine Legitimität, die die Kluft zwischen Bürger und Staat vergrößern wird. ({10}) Es geht um die geplanten Änderungen des Demonstrationsstrafrechts. Was hier geschieht bzw. geschehen soll, ({11}) ist meilenweit vom Staatsverständnis entfernt, daß dieser Bericht formuliert. ({12}) Das, was hier geschieht und geschehen soll, ist, daß man die Existenzängste der Menschen in der Friedensbewegung eben nicht ernst nimmt. Die Entschlossenheit zur Stationierung, von der man glaubt, sie nach außen demonstrieren zu müssen, verbaut nach innen die Möglichkeit, Kompromißbereitschaft zu signalisieren und Kompromisse tatsächlich zu machen. Eben weil der äußere Gegner angeblich unter massivsten Druck gesetzt werden muß, geschieht beinahe zwangsläufig - das ist das Tragische daran - das gleiche mit den Stationierungsgegnern im Innern. Das sind die Rückwirkungen einer Polititk, die nur in den Kategorien von Freund und Feind denken kann. Die innenpolitischen Folgen sind verheerend: Wo Kompromiß angeblich nicht möglich ist, ist Repression die Antwort. Weil man sich das Legitimitätsdefizit der eigenen Entscheidung nicht eingestehen will, rüstet man zu ihrer Durchsetzung. Denn, so glaubt man, wenn die Entscheidung Realität ist, ist sie auch richtig. Das, was man übersieht, ist, daß die Kluft zwischen dem Staat und wachsenden Minderheiten von Bürgern auf diese Weise nicht geringer, sondern größer wird. ({13}) Ein demokratischer Staat kann dies nicht aushalten. ({14}) Deshalb ist wohl wahr: Entweder wir erzwingen eine Abwendung von dieser Art, Politik zu betreiben, oder wir laufen Gefahr, daß die demokratische Substanz verschwindet und daß - als Folge dessen - Demokratie wieder einmal weniger wird. Die Gefahr, so denke ich, ist angesichts der Politik der Mehrheit keine utopische Gefahr, sondern in vielen Punkten - einige davon habe ich genannt - bereits Realität. ({15}) - Ach, schwätzen Sie doch nicht herum. Hören Sie endlich einmal zu. Das ist sehr viel vernünftiger. ({16}) Dieser Gefahr, so denke ich, sollten wir begegnen - sollten wir, soweit es geht, gemeinsam begegnen. Wenn diese Gemeinsamkeit nicht herstellbar ist, wird die Opposition der Wächter eines Staatsverständnisses sein, das sich in diesem Sinne aus dem Grundgesetz legitimiert. - Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesjugendring hat in einem Brief vom 13. Mai gegen die frühe Behandlung und gegen diese Debatte im Plenum protestiert. Der Bundesjugendring meint, dies könne eine Pflichtübung werden. Er meint in seinem Brief, daß leichtfertig mit Inhalten und Anliegen des Berichts umgegangen werden könne, und hat uns aufgefordert, diese Beratung zu verschieben. ({0}) Ich bin anderer Meinung, meine Damen und Herren. Ich glaube, daß hier eine Verkennung der Gegebenheiten und der Tatsachen vorliegt. Wir glauben nicht, daß bei einer frühen Behandlung nicht auch gut beraten werden kann, ganz im Gegenteil. Es ist j a nicht damit getan, daß wir hier vier Stunden über dieses Thema reden und daß es dann in der Versen324 Eimer ({1}) kung verschwindet. Nein, wenn wir dieses Thema ernsthaft in den Ausschüssen beraten und uns intensiv damit beschäftigen wollen, dann müssen wir diesen Bericht möglichst bald einbringen. Deswegen ist dieser frühe Zeitpunkt notwendig. Denn heute haben wir hier im Plenum, aber auch in den Ausschüssen Zeit, mehr Zeit als gegen Ende oder in der Mitte der Legislaturperiode. Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht nachkauen, was im Bericht schriftlich niedergelegt ist. Das kann jeder nachlesen. Wir haben uns oft genug dazu geäußert. Aber ich will diesen Bericht kommentieren und gewichten aus liberaler Sicht. Dieser Bericht kann natürlich nicht der Endpunkt aller Überlegungen sein. Ich will Fragen dazu stellen und Anregungen geben über das hinaus, was bisher im Bericht angesprochen worden ist. Denn die Diskussion über diesen Bericht ist j a weitergegangen. Lassen Sie mich am Anfang eines sagen. Jede Gesellschaft hat Probleme, die gelöst werden müssen. Das ist natürlich. Sie zu lösen ist unsere Aufgabe, unsere Aufgabe als Parlamentarier. Der Protest gegen Mißstände ist nicht unbedingt das Symptom einer Krankheit einer Demokratie, sondern ist sehr wohl das Zeichen für die Vitalität der Demokratie. ({2}) Es muß aber die Frage nach dem Stil gestellt werden - damit komme ich auf das, was Sie als Zwischenruf gebracht haben -, die Frage, ob dieser Protest gegen wirkliche oder vermeintliche Mißstände geht oder ob er gegen demokratische Institutionen insgesamt geht. ({3}) Die Probleme der Jugend und die Ursachen des Protestes sind Dinge, die hier im Bericht niedergelegt sind: Umwelt, Rüstung, Kernenergie, Ausbildungsfragen. Die Beseitigung dieser Probleme ist das tägliche Brot der Parlamentarier. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, daß dies alles nur Stolpersteine sind, Stolpersteine, die auffallen, die weh tun, aber daß der Grund für diesen Protest sehr viel tiefer liegt. Deswegen geht diese Rede von mir aus nicht an die Jugendlichen, die vielleicht zuhören, sondern ich möchte in erster Linie Sie, meine Kollegen, ansprechen. Der Analysenteil wurde allgemein gelobt. Kritik wurde geübt an Vorschlägen und Maßnahmen. Hier sind auch verstärkt unterschiedliche Voten im Bericht vermerkt. Aber es darf doch nicht Anlaß zur Kritik sein, wenn aus unterschiedlichen politischen Richtungen unterschiedliche Meinungen kommen. Wir sind doch auch Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen. Und wer von den Rezepten anderer nicht überzeugt ist, ist doch deswegen noch lange nicht gegen die Ziele, die wir gemeinsam formuliert haben. Ich will dies an einem Beispiel deutlich machen. Eines der Minderheitenvoten handelt von den Rezepten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich habe ein solches Minderheitsvotum im Bericht niedergelegt. Fast alle Probleme, die dieser Bericht aufzeigt, können nur durch Arbeit gelöst werden, z. B. in der Umweltpolitik, der Entwicklungspolitik. Das Rezept der Arbeitszeitverkürzung kommt mir vor, als wenn jemand sagt: Uns geht es schlechter als vor zwei Jahren; laßt uns weniger arbeiten, auf daß es uns besser gehe! - Dieses Rezept muß doch falsch sein. ({4}) Ich nehme es niemandem übel, meine Kollegen von der SPD, wenn er anderer Meinung ist, wenn er andere Rezepte hat. Aber ich bitte, mir nicht zu unterstellen, daß ich, wenn ich andere Rezepte habe, deswegen für Arbeitslosigkeit bin. ({5}) Es gibt Probleme, die uns mehr beschäftigen sollten und die von der Protestseite her für uns problematischer sind.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege Eimer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eimer, sind Sie ganz sicher, daß Sie das Problem der Arbeitszeitverkürzung schon begriffen haben? ({0})

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen darüber auseinanderzusetzen. Aber die Art Ihrer Fragestellung macht deutlich, daß Sie offensichtlich glauben, in Besitz der allgemeingültigen Wahrheit zu sein. So weit gehe ich nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, wer mit seinem Protest nur seinen Weg, nur seine Ziele durchsetzen will, gegen die Mehrheit, wie dies sich in einigen Bereichen andeutet, wer sich zum Richter aufschwingt, wer zur Mißachtung von Gesetzen aufruft, die demokratisch einwandfrei zustande gekommen sind, der kann wohl kein Demokrat sein. In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit dem Thema „gewaltfreier Widerstand" beschäftigen, weil dies ein Thema auch der gestrigen Jugendfragestunde war. Widerstand heißt doch: es steht etwas dagegen. Gewaltfreier Widerstand ist nach meiner Überzeugung ein Widerspruch in sich selbst. Widerstand kann in seltenen Fällen sehr wohl moralisch gerechtfertigt sein, nicht aber, wenn ich glaube, recht zu haben, weil ich meine, im Besitz der Wahrheit zu sein, selbst dann nicht, wenn ich glaube, andernfalls ginge die Welt unter. Die Mehrheit, die in einigen Dingen vielleicht anders denkt, will auch nicht mit untergehen. Eimer ({1}) Aber, meine Kollegen, was wird alles als „gewaltfrei" bezeichnet! Da werden Straßen blockiert, da werden Menschen gehindert, sich frei zu bewegen; da gibt es in Berlin im Grunewald einen „Spaziergang gegen Schieber und Spekulanten". Das alles ist natürlich Gewalt. Das letztgenannte Beispiel ist sogar eine Art, jemanden so an den Pranger zu stellen, daß er nicht einmal die Möglichkeit hat, sich zu wehren. ({2}) Das alles ist nicht gewaltfrei, sondern eine neue Art von Gewalt, heimtückisch, subtil, gefährlich für die Demokratie. Das müssen wir endlich erkennen. ({3}) Und ausgerechnet die sind für die angeblich gewaltfreien Aktionen, die von der „strukturellen Gewalt" des Staates sprechen. Ich kann mich da nur wundern. Manche in unserem Land fragen sich, ob und warum denn Demokratie bei uns so schlecht verankert ist. Ich muß gestehen, daß ich das gar so schlimm nicht sehe. Auch andere Länder - das zeigt der Bericht - haben ähnliche Probleme. Und der Protest gegen eine Politik - ich möchte das wiederholen - ist das Zeichen für die Vitalität einer Demokratie. Dennoch haben wir, was die Akzeptanz von demokratischen Entscheidungen angeht, mehr Probleme als z. B. angelsächsische Länder. Man sagt, uns ist die Demokratie übergestülpt worden. Da ist sicher etwas dran. Die in Deutschland vorherrschende Philosophie fußt noch heute auf den Gedanken von Männern, seien sie aus der Neuzeit oder aus dem Altertum, die der Demokratie feindlich gesinnt waren - mehr, als dies in den angelsächsischen Ländern der Fall ist. Da gab es im Altertum die Sophisten, die die Träger der Demokratie in Griechenland waren. Heute ist „Sophist" ein Schimpfwort geworden. Und da gab es einen Philosophen, von dem ich ein Zitat bringen will, weil es sehr aufschlußreich ist. Dieser Philosoph sagte: Das erste Prinzip von allen ist dieses: Niemand, weder Mann noch Weib, soll jemals ohne Führer sein. Auch soll niemandes Seele sich daran gewöhnen, etwas ernsthaft oder auch nur im Scherz auf eigene Hand allein zu tun. Vielmehr soll jeder, im Kriege und auch mitten im Frieden, auf seinen Führer blicken und ihm gläubig folgen. Und auch in den geringsten Dingen soll er unter der Leitung des Führers stehen. Zum Beispiel: Er soll aufstehen, sich bewegen, sich waschen, seine Mahlzeiten einnehmen nur, wenn es ihm befohlen wurde. Kurz, er soll seine Seele durch Gewöhnung so in Zucht nehmen, daß sie nicht einmal auf den Gedanken kommt, unabhängig zu handeln, und daß sie dazu völlig unfähig wird. ({4}) Dieser Philosoph wird noch heute von der Gesellschaft hoch geehrt und noch heute als der „Göttliche Platon" bezeichnet. Sie glauben vielleicht, daß diese Gedanken überholt sind und daß kein Mensch heute mehr dem Führer nachhängt. Dann, meine Kollegen, ersetzen Sie bitte das Wort „Führer" durch das Wort „Idee" oder das Wort „Ideologie". Dann sind dieser Satz und dieser Glaube noch heute hochaktuell. Viele, die heute ein moralisches Recht auf Widerstand postulieren, glauben, sie seien im Recht und im Besitz der Wahrheit. Diese „Wahrheit" und diese Philosophie beruhen auf dem totalitären Gedankengebäude dieses Philosphen, den ich gerade zitiert habe. Das ist es, was wir lernen müssen und was wir unterscheiden müssen. Der Protest für oder gegen eine bestehende Politik ist damit nicht gemeint. Ich betone nochmals: Protest ist ein Zeichen für die Vitalität der Demokratie. Denn wo sonst kann man demonstrieren? Aber der autoritäre Anspruch auf Durchsetzung, das ist es, was wir erkennen müssen und bekämpfen müssen. Wenn junge Menschen das manchmal nicht so ohne weiteres unterscheiden können, sollten wird das nachsehen und nicht überbewerten. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, ({5}) dies deutlich zu machen. Und es ist unsere Aufgabe als Politiker, jungen Leuten das Rüstzeug zu geben, dies unterscheiden zu lernen. - Vielen Dank. ({6})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}). ({1})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) Auf dem Höhenpunkt einer Reihe von außerparlamentarischen Protestaktionen, die zum großen Teil von Jugendlichen getragen worden sind, hat der Deutsche Bundestag in der 9. Wahlperiode 1981 diese Enquete-Kommission eingesetzt, deren Bericht wir heute diskutieren. Er wollte demonstrieren: Wir nehmen Proteste ernst. Wir kümmern uns. Wir stellen uns den Problemen. Wir greifen Herausforderungen auf. Wir verstehen. „Wir" sind in dem Fall die etablierten Politiker, von denen der Kommissionsbericht selber sagt, daß sie ihre Glaubwürdigkeit bei großen Teilen der Jugend längst weitgehend verloren haben. Mit großem Aufwand wollten Sie hier den sogenannten Dialog mit der Jugend eröffnen, der nach Ihrer Auffassung die Aufgabe haben sollte - ich zitiere -, „die Kluft zwischen Staat, Gesellschaft und Protestjugend zu überwinden". Fast zwei Jahre hat dieser Versuch gedauert. Was ist dabei herausgekommen? Herausgekommen ist ein Enquete-Bericht, dem wir bei aller Kritik am gönnerhaften Unterton des „Wir sollten den Ju326 Kleinert ({1}) gendlichen mehr Freiraum gewähren" - einen Freiraum, den sie sich übrigens meistens längst genommen haben - eines durchaus nicht absprechen wollen, daß er nämlich in der Analyse eine ganze Reihe von durchaus richtigen Erkenntnissen, Einsichten, Beobachtungen enthält. So erstaunlich es ist, daß gerade Herren hier rechts Aussagen wie - ich zitiere nur eine -: Eine ganzheitliche Lebensperspektive zerteilt den Menschen nicht in seine einzelnen Funktionen, sondern vernetzt seine unterschiedlichen Lebensräume miteinander. zustimmen - es gibt noch eine ganze Reihe solcher Passagen -, so gilt immerhin: Der Bericht enthält in seinen beschreibenden und auch in seinen analytischen Teilen durchaus eine Reihe zutreffender Einsichten und Erklärungsversuche. Da wäre an vielen Stellen Kritik anzubringen, aber darauf kann ich mich jetzt nicht näher einlassen. Viel interessanter ist aber doch, welche praktischen Konsequenzen aus den vielen schönen Worten folgen. Wie es damit aussieht, will ich an vier meines Erachtens zentralen Punkten jetzt ansprechen. Erstens. Die Enquete-Kommission hält die Jugendarbeitslosigkeit für eine der zentralen Ursachen der Proteste. Das ist zweifellos richtig. Mehr als jeder dritte Arbeitslose ist jünger als 25 Jahre, und die Zahl der Arbeitslosen - und damit auch die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen - wächst. Weit mehr als 100 000 Jugendliche werden in diesem Jahr ohne Lehrstelle bleiben. Das sind die Realitäten, die Zukunftsangst und Ohnmachtsgefühle nur allzu verständlich erscheinen lassen. Das sieht die Kommission durchaus richtig. Aber was ist denn die praktische Politik, die gerade in diesem Moment von der Bundesregierung betrieben wird? Die Kommission sagt: Die Arbeitszeit muß verkürzt werden; die Ausbildung muß verbessert werden; genügend Ausbildungsplätze müssen her; die Rechte der Jugendvertretungen müssen ausgeweitet werden. - Aber was erleben wir denn tatsächlich? Wir erleben, daß sich in diesem Jahr noch mehr Jugendliche als 1982 vergeblich um eine Lehrstelle bemühen werden ({2}) und daß gerade den Ledigen, also den jugendlichen Arbeitslosen, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe zusammengestrichen werden. Wir erleben, daß die Bundesregierung wirtschaftspolitisch auf einen forcierten Wachstumskurs setzen wird, von dem jetzt schon feststeht, daß er vielleicht neue Rationalisierungsinvestitionen, aber kaum neue Arbeitsplätze bereitstellen wird. ({3}) Die Enquete-Kommission nennt - zweitens - die Zerstörung der natürlichen Umwelt als eine Ursache der Proteste. Sie empfiehlt Dezentralisierung, sie fordert die Beachtung ökologischer Kreisläufe und stellt sogar fest - ich zitiere -: Eine Beachtung ökologischer Erfordernisse berührt alle Bereiche des menschlichen Lebens: Sie beinhaltet den Naturschutz und die Rettung bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Sie verbietet die weitere Belastung der Umwelt durch Schadstoffe, Abgase und Abwässer und zwingt zu einem anderen, sparsameren Umgang mit Rohstoffen sowie zur Erforschung neuer Substitutionsmöglichkeiten. Sie gebietet die Auffächerung von Großsystemen in kleine, dezentrale und in die Umwelt eingepaßte Kleinsysteme und fordert von uns allen eine neue Denkweise. Hört! Hört! kann ich da nur sagen. ({4}) Sehr richtig! möchte ich dazu auch noch sagen. Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es denn praktisch aus, was Sie hier politisch betreiben? Praktisch sieht es doch ganz anders aus. Praktisch sieht es so aus: Jeden Tag geht das Wäldersterben weiter; die neue Großfeuerungsanlagenverordnung wird daran auch nichts ändern. Der Wachstumskurs der Bundesregierung setzt verstärkt genau auf jene Großtechnologie, deren negative Auswirkungen für Natur und Umwelt j a gerade von der Enquete-Kommission eingestanden worden sind. Das ist doch die praktische Politik! Der Ausbau der Atomkraft wird beschleunigt vorangetrieben, und von dezentraler Energieversorgung ist nicht einmal die Rede. So sieht es doch in der Praxis aus! ({5}) Als dritte Ursache für Protest nennt die EnqueteKommission fortschreitendes Wettrüsten und zunehmende Kriegsgefahr. Sie spricht von der Notwendigkeit einer einschneidenden Verringerung der Rüstung. Ein Teil der Kommission fordert sogar atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa. Aber auch hier ist doch die politische Realität eine ganz andere. Für die neue Bundesregierung ist die Stationierung der Mittelstreckenraketen im Herbst praktisch längst beschlossene Sache. Die Aufrüstungspolitik der amerikanischen Regierung wird voll mitgetragen. Damit wird eine Politik betrieben, die eine gefährliche weitere Eskalation der atomaren Bedrohung herbeiführen wird. Sogar das Wort von der Entspannungspolitik haben die Regierungsparteien aus ihrem politischen Vokabular gestrichen. Das ist Ihre praktische Politik, und das sind die praktischen Konsequenzen, die hier aus diesen schönen Worten gezogen werden. Die Enquete-Kommission hat viertens auch die Zerstörung von zwischenmenschlichen Beziehungen und, wie das so schön heißt, bürokratisierte Lebensverhältnisse als Faktoren bei der Entstehung von Protesten genannt. Als Konsequenz wird u. a. die Förderung von Alternativprojekten gefordert, gerade auch wegen des dort verwirklichten Genossenschaftsgedankens. Ziemlich breiten Raum nimmt auch die durchaus positiv gehaltene Schilderung der Leistungen wohngemeinschaftlicher Lebensformen ein. Aber auch hier sieht die praktische Kleinert ({6}) Politik doch ganz anders aus, die Sie betreiben. In der geht es nämlich nicht um die Förderung kleinerer Einheiten, es geht nicht um überschaubare Lebenszusammenhänge, in denen, wie das im Kommissionsbericht so schön heißt - ich zitiere - „Arbeit und Leben wieder zueinander finden können". Die Stichworte, die die Politik heute bestimmen, sind ganz andere. Die Stichworte sind: beschleunigte Förderung von Großtechnologie und Großprojekten, Breitbandverkabelung, totale Kommerzialisierung der Medienlandschaft. Statt der geforderten kleineren Einheiten werden in der praktischen ,Politik eher die Umrisse einer Konkurrenz- und Ellbogengesellschaft erkennbar, die nichts mit Selbstverwirklichung, Gemeinschaft und Kreativität, sondern etwas mit Besitzindividualismus, Konkurrenz und ausschließlicher Orientierung an materiellem Wohlstand im Sinn hat. Das ist die praktische Politik. ({7}) Verbunden damit erleben wir die weitere Zerstörung gewachsener Lebenszusammenhänge zugunsten der erzwungenen Unterwerfung unter das Diktat von Lohnarbeit und industriell vorfabrizierten Konsum- und Freizeitgewohnheiten. Demgegenüber sind auch die vielen konservativen Lippenbekenntnisse zur Familie als Lebensmittelpunkt, als der kleinen Einheit, die Sie sich vorstellen, doch bloß ideologisches Beiwerk. Damit wollen Sie doch darüber hinwegtäuschen, wie sehr gerade Ihre eigene Politik wirklich menschliche Lebenszusammenhänge in Wahrheit zerstört. ({8}) Ich könnte die Reihe dieser Punkte noch um einiges verlängern. Ich könnte etwa auf das eingehen, was Sie wirklich unter Förderung von Alternativprojekten verstehen, was wir gerade gegenwertig an der Weigerung des West-Berliner Senats erleben, der Ufa-Fabrik in Berlin einen längerfristigen Mietvertrag zuzugestehen, der Voraussetzung dafür wäre, daß sie ihre sinnvolle Arbeit dort weiterführen können, die Sie selber im Kommissionsbericht als sinnvoll ausweisen. Was tut der Senat der Stadt Berlin? Er bietet ihnen nicht einmal ein längerfristiges Mietverhältnis an. Das ist ein politischer Skandal ersten Ranges. Ich komme zum Schluß. ({9}) So bemerkenswert sich manches anhört, was im Kommissionsbericht steht, es entspricht in keiner Weise den politischen Realitäten des Jahres 1983. Was Sie hier verfaßt haben, sind nicht viel mehr als schöne Worte. So lange sich die praktische Politik nicht wirklich durchgreifend in Richtung auf eine Politik verändert, die wirklich den Schutz von Natur und Umwelt betreibt und die Abrüstung fördert und nicht weitere Rüstungseskalation betreibt, wird es solche Protestbewegungen geben. Das ist auch gut so; denn in diesen Bewegungen formiert sich der Protest gegen die Zerstörung menschlicher und natürlicher Lebensverhältnisse -

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

... - letzter Satz -, gegen militärische Aufrüstung, gegen Spekulantentum und Vernichtung von Wohnraum, ein Protest, dem wir GRÜNE uns ausdrücklich verbunden fühlen. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter.

Alfred Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001925, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte an und für sich zunächst ganz gern auf den Kollegen Schröder eingehen, nachdem er vor mir gesprochen hat. Da er sich in der gewohnten Art und Weise wieder einmal so ausgedrückt hat, daß ihn im Regelfall niemand verstanden hat, glaube ich, daß es sich erübrigt, sich sonderlich mit dem zu beschäftigen. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Ich bitte um Mäßigung in der Sprache.

Alfred Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001925, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin echt beglückt, daß wir uns innerhalb kürzester Zeit schon wieder im unmittelbaren Gespräch befinden. Es war bisher noch nie anders, aber es sind auch immer die gleichen, die reagieren, wenn ich das dazu sagen darf. Ich freue mich, daß Sie immer dann kommen, wenn ich rede. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese erste Diskussion über den Endbericht der JugendEnquete-Kommission sollte aus meiner Sicht als Ergebnis des heutigen Tages eines mit sich bringen, nämlich daß die heutige Debatte über den Endbericht der Enquete-Kommission unter keinen Umständen die letzte Debatte in diesem Parlament sein darf. Ich glaube, dieser Bericht muß unsere weitere Arbeit in diesem Parlament begleiten. Die Analyse, die Hintergrundbeschreibungen und die gemeinsam festgehaltenen Positionen sollten a) für uns von gleicher Verbindlichkeit sein und b) in unsere weitere Arbeit mit eingehen. Diese meine Hoffnung entbehrt nicht einer gewissen Sorge: In der Enquete-Kommission befanden wir uns bis zum Regierungswechsel an und für sich in einer Situation, in der das Ganze sehr positiv und geordnet ablaufen konnte. Als dann im Oktober vergangenen Jahres der - im übrigen längst überfällige und zwischenzeitlich nachhaltig bestätigte - Regierungswechsel stattgefunden hat, haben das Klima auf der einen Seite und die Konsensfähigkeit auf der anderen Seite leider sehr, sehr deutlich gelitten. Ich bedauere dies, weil es zeigt, daß diejeni328 Sauter ({1}) gen, die vorher um diesen Konsens bemüht waren, zu einem Zeitpunkt, als sie nicht mehr die Mehrheiten für sich hatten, die früher vielleicht da waren, an diesem Konsens kein Interesse mehr hatten. Ich neige allerdings im Moment zu der Annahme, daß die damalige Enttäuschung zwischenzeitlich wieder stark nachgelassen hat und die berechtigte Hoffnung besteht, daß man vielleicht doch wieder zueinanderkommt. Bei dem Kollegen Schröder und mir ist das im Regelfall am unproblematischsten; ich hoffe, wir schaffen das bei nächster Gelegenheit wieder. ({2}) - Herr Kollege Schröder, ich hoffe, daß das Ihre Chancen in der Fraktion nicht mindert. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein Bericht zum Verstauben, es ist auch kein Bericht um des Berichts willen. Es war ebenfalls keine überflüssige Beschäftigung von Fachleuten, Sachverständigen und Kollegen, sondern der Bericht ist vielmehr eine Richtschnur für unsere künftige Arbeit, aus meiner Sicht ein kleines Handgepäck, das viele Kollegen nach Möglichkeit sehr oft bei sich haben sollten. ({4}) - Wir nehmen unser Handgepäck im Regelfall an die Hand. Wenn Sie es an den Fuß nehmen, habe ich nichts dagegen. ({5}) Dieser Bericht hat viel Mut und viel Hoffnung gemacht und bei der jungen Generation auch Zuversicht geschaffen, im übrigen auch bei der protestierenden. Ich stelle mit einer gewissen Genugtuung fest, daß das Protestieren zwischenzeitlich überwiegend aufgehört hat. Es sitzen zwar noch ein paar im Parlament, die davon leben, aber auch das wird sich legen. Wir müssen aus meiner Sicht den gesetzten Erfahrungen gerecht werden. Das können wir nur dann tun, wenn wir mit diesem Bericht auf der einen Seite in die Ausschüsse gehen und den Bericht auf der anderen Seite als Anregung für die Lösung der Probleme der nächsten Jahre nehmen. Im übrigen haben wir nicht nur einen Bericht für die protestierende Jugend gemacht. Das war zwar unser Auftrag, aber es hat sich sehr schnell herausgestellt, daß sich die Arbeit so nicht hat abwickeln lassen. Es war richtig und notwendig, daß wir in großen Bereichen einen Bericht für die gesamte Jugend gemacht haben. Ich glaube, es ist auch ein Bericht für die gesamte Gesellschaft, weil ein großer Teil der Probleme, die hier angesprochen worden sind, nicht isoliert als Jugendprobleme betrachtet werden können, sondern als gesamtgesellschaftliche Probleme angesehen werden müssen. ({6}) - Ich bedanke mich. Auch ich habe Ihnen gestern schon einmal zugestimmt und freue mich daher, wenn Sie mir heute zustimmen. Wir haben uns in diesem Bericht natürlich nicht nur damit beschäftigt, was sich an sichtbaren Problemen zwischenzeitlich in der Gesellschaft alles tut, sondern wir sind auch auf die Probleme eingegangen, die vielleicht die Sprengsätze der nächsten Jahre sein könnten. Wenn ich von diesen Sprengsätzen der nächsten Jahre rede, dann glaube ich, es ist schon von einer gewissen Bedeutung, daß wir uns in diesem Bericht ganz besonders der zweiten und der dritten Ausländergeneration angenommen haben, die bei uns lebt, mit uns lebt, bei uns wohnt und bei der wir uns überlegen müssen, wie das Ganze weitergehen soll. Diese jungen Menschen müssen nach meiner Überzeugung - hier teile ich im wesentlichen das, was die Kommission beschlossen hat - die Möglichkeit einer chancengerechten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bei uns erhalten. Diese Chance muß ihnen nicht zuletzt auch deshalb eröffnet werden, um den sozialen Frieden bei uns im Lande erhalten und stärken zu können. Für diese Integration müssen jetzt die Grundentscheidungen getroffen werden, da andernfalls der sozialpolitische Sprengstoff anwachsen würde. Wenn wir nicht jetzt Modelle für eine gerechte Integration finden, sehe ich Gefahren, daß es in wenigen Jahren bereits zu spät sein könnte. Man kann sicher keine Patentlösungen anbieten, zumal wir in dem Bereich der Intergration junger Ausländer vielfach politisches Neuland betreten müssen. Aber ich glaube, daß auf der einen Seite ein Anfang gemacht werden muß und daß auf der anderen Seite Ausländerfeindlichkeit die schlechteste und falscheste Grundlage wäre, um dieses Problem zu lösen. Diese jungen Menschen, die bei uns sind, haben ihre Heimat irgendwo in Deutschland, nicht in der Türkei. Sie kennen die Heimat ihrer Väter aus den Erzählungen der Großeltern und gelegentlich aus dem Urlaub. Aus diesem Grunde, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß von uns gemeinsam mit den Bemühungen um die Integration ein erster Anfang gemacht werden. Wir sollten uns darüber im klaren sein: Voraussetzung dafür muß sein, daß die Integrationshilfe und die Integrationsbereitschaft möglichst früh ansetzen. ({7}) Ich sage dies - wenn ich dies nochmals in diesem Zusammenhang erwähnen darf - ganz bewußt in bezug auf die zweite und dritte Ausländergeneration. Dies muß zunächst bei der vorschulischen Erziehung beginnen, wo aus meiner Sicht nationale Hindernisse am besten überwunden werden können und sich diese Probleme so noch gar nicht stellen. Das muß seine Fortsetzung in der schulischen Erziehung erfahren, wobei ich insbesondere daran denke, daß wir Ausländerkinder nicht länger in reine Ausländerklassen stecken sollten, sondern Sauter ({8}) weiter bemüht sein müßten, hier entsprechend zu mischen. ({9}) Das muß, meine sehr verehrten Damen und Herren, seine Fortsetzung natürlich auch darin finden, daß wir Lehrer bekommen, die nicht nur über Kenntnisse in der Muttersprache, sondern auch über Kenntnisse in Deutsch verfügen, und daß wir die Sprachförderung - in Deutsch - für die ausländischen Kinder ausbauen. Es muß seine Fortsetzung im Bereich der Berufsausbildung finden, wo wir im sprachlichen Bereich ebenfalls vieles tun müssen. Schließlich muß eine Klärung hinsichtlich des Status, der aufenthaltsrechtlichen Fragen herbeigeführt werden. Aus unserer Sicht sollte ein Anspruch auf Einbürgerung eingeführt werden, wenn die Antragstellung vor dem 21. Lebensjahr erfolgt, wenn ein längerer, ununterbrochener Aufenthalt und Deutschkenntnisse nachgewiesen werden können, wenn keine Verurteilung zu einer bemerkenswerten Freiheitsstrafe vorliegt und wenn die Aufgabe der früheren Staatsbürgerschaft gesichert ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, um den bei uns lebenden und integrationswilligen jungen Ausländern eine echte Chance zu geben, müssen wir bei der Familienzusammenführung ein klares Wort sprechen. Um diejenigen integrieren zu können, die jetzt da sind, kommen wir nicht umhin, den weiteren Zuzug zu beschränken. Deshalb muß das Zuzugsalter auf sechs Jahre beschränkt werden ({10}) nicht zuletzt deshalb, weil sich nur dann, wenn diese jungen Leute bei uns voll die Schule besuchen können, auch die echte Chance zur Integration ergibt. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren: Zur Ausländerfrage noch etwas anderes. Ich glaubte an und für sich, dies bei diesem Endbericht nicht mehr ansprechen zu müssen: die Frage des Gewaltmonopols des Staates, also des Verbots der willkürlichen privaten Gewalt gegenüber dem Staat. Aber nachdem sich nun einige Kollegen hier befinden, die auf diesem Gebiet ihre letztendliche Position offensichtlich noch nicht gefunden haben, könnte es sein, daß hier unterschiedliche Positionen bestehen. Deshalb glaube ich, daß wir trotz der nachhaltigen Übereinstimmung in der Kommission hinsichtlich des Gewaltmonopols um diese Frage hier nicht herumkommen. Da ich gerade bei Ihnen bin, meine sehr verehrten Kollegen von den GRÜNEN, darf ich bei der Gelegenheit erwähnen, daß ich hier nochmals mein Bedauern und meine Entrüstung über die Gäste zum Ausdruck bringen möchte, die Sie gestern hier ins Parlament eingeladen haben. ({12}) Das ist nicht das beste Bild, das Sie sich hier gegeben haben. Wenn das Wort gilt: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist", dann sieht es bei Gott nicht gut aus. ({13}) Ich glaube, Sie hätten sich und uns dieses gestrige Spektakel in der Tat ersparen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir von Gewaltmonopol reden, dann müssen wir wissen, daß derjenige, der sich mit dem Ruf nach Gewaltfreiheit vor allem gegen den Einsatz staatlicher Machtmittel und damit oft auch gegen die Existenz des Staates wendet, übersieht, daß der Staat ohne die Möglichkeit, Entscheidungen durchzusetzen, seine Aufgaben nicht erfüllen kann. Es kann einfach nicht in das Belieben des einzelnen gestellt werden, ob Leben und Gesundheit der Mitbürger geachtet werden und ob beispielsweise Umweltschutzauflagen eingehalten werden oder Steuern gezahlt werden. GRÜNE und Alternative sind völlig unglaubwürdig, wenn sie die von ihnen propagierte Gewaltfreiheit dann vergessen, wenn es um Gewalt gegen den Staat geht; dann wollen sie auf einmal mit dieser Gewaltfreiheit nichts mehr zu tun haben. ({14}) Wer das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellt, läuft Gefahr, daß es durch das Recht des Stärkeren ersetzt wird, denn im freien Spiel der privaten Gewalt würden gerade die Schwachen die geringsten Chancen haben, ihre Interessen durchzusetzen. Das ist etwas, was bei Ihnen bisher leider völlig unberücksichtigt geblieben ist. Schädlich ist deshalb auch das Verschleiern von Gewalt durch Formulierungen wie „nichtlegale gewaltfreie Aktionen", „sozialer Widerstand" und das Verharmlosen bestimmter Formen von Gewalt, z. B. indem Handlungen angeblich ohne verletzende Gewalt gegen Personen durchgeführt werden. Da Sachen nicht handeln können, kann man sie auch nicht nötigen. Auch Gewalt gegen Sachen richtet sich letztlich gegen Menschen, die über diese Sachen verfügen. Darüber ist, wie ich meine, von manchen von Ihnen noch nicht genügend nachgedacht worden. ({15}) Wenn jemand wie die GRÜNEN in ihrem Bundesprogramm beispielsweise Gewalt über das Recht auf Widerstand oder auf Notwehr rechtfertigt, dann befindet er sich erstens im Widerspruch zum Grundgesetz, weil danach ein Widerstandsrecht nur bei einer echten Gefährdung für die parlamentarische Demokratie zulässig ist, und dann ist er zum zweiten intolerant, da er den eigenen politischen Zielen absoluten Vorrang einräumt und nicht bereit ist, demokratische Entscheidungen zu respektieren. Ein Recht auf Widerstand bei persönlicher Betroffenheit würde dazu führen, daß es konsequenterweise auch dem Schwerverbrecher zugestanden werden müßte, sich gegen die Strafvollstreckung zu wehren. Ein solches Recht bei örtlicher Betroffenheit hätte fast jeden technischen Fortschritt bisher bei uns verhindert. Ein Recht auf Widerstand kann Sauter ({16}) es nur bei totalitären Umsturzversuchen geben, nicht aber, wenn es sich gegen den parlamentarischen Rechtsstaat wendet und richtet. ({17}) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie von Ihrer Seite aus einen echten Beitrag dazu leisten würden, daß es nicht dazu kommt, daß wir innerhalb der jungen Generation über die Verwirrung der Sprache, die hier seit einiger Zeit mitbetrieben wird, zu der Situation kommen, in der über diese Sprachverwirrung mit Gewaltfreiheit und Gewaltlosigkeit Gewalt propagiert wird und so getan wird, als ob dies keine Gewalt sei. - Herzlichen Dank! ({18})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat Frau Abgeordnete Terborg.

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Du hast keine Chance, aber nutze sie", so lautet der Titel eines Buches, das Reimar Oltmanns vorgelegt hat. „Dieses Buch", so schrieb die „Süddeutsche Zeitung", „ist so etwas wie eine atemberaubende, bestürzende, hoffnungsmachende Reisebeschreibung einer Republik mitten in unserer Republik, einer Republik der Jungen." „Du hast keine Chance, aber nutze sie", wie ein Brennglas bündelt, so finde ich, das Paradoxon dieses Buchtitels die Situation Tausender Jugendlicher. Das gilt vor allem für die vielen Jugendlichen zwischen Kiel und Konstanz, die die 30. oder gar die 40. Absage aus dem Briefkasten ziehen, ({0}) die ihnen zeigt, daß sie sich wiederum vergeblich um einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz beworben haben. ({1}) Wir müssen uns fragen: Was geht in diesen Jugendlichen vor? Was geht in ihnen vor, wenn ihnen eine Abfuhr nach der anderen zuteil wird? Was geht in ihnen vor, wenn ihnen der Rundfunk zugleich die Botschaft der „neuen deutschen Welle" - „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt" - ins Haus schickt? ({2}) Viele junge Menschen wenden sich in ihrer Ausweglosigkeit an den Bundeskanzler, und ich möchte an dieser Stelle sagen, daß ich es sehr bedaure, jetzt diese leere Regierungsbank zu sehen. ({3}) Das macht deutlich, welches Gewicht diesem Bericht hier - zumindest von Regierungsseite - gegeben wird. Ich bedaure das auch für die Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, die in der Kommission mitgearbeitet haben, wozu ich sagen kann, daß wir trotz aller Unterschiede eine gute Zusammenarbeit hatten. ({4}) Viele junge Menschen wenden sich also in ihrer Ausweglosigkeit an den Bundeskanzler, und zwar im Vertrauen auf seine sogenannte Ausbildungsplatzgarantie. Die Antwort besteht in einem nichtssagenden Standardbrief, ausgeworfen von einem Schreibautomaten, mit freundlichen Grüßen und mit einer faksimilierten Unterschrift „Ihr Helmut Kohl". ({5}) Hier wird der Eindruck eines persönlichen Briefes des Bundeskanzlers zu erwecken versucht; tatsächlich aber kommt es sogar vor, daß der Brief an Frau X adressiert ist, während die Anrede „Sehr geehrter Herr X" lautet. Wir müssen uns fragen: Was geht in den Jugendlichen vor, die solche Briefe erhalten? Was geht in ihnen vor, wenn derselbe Bundeskanzler durch die Regierungserklärung seine Botschaft übermittelt, die da heißt „Für alle Bürger muß gelten: Wer mehr wagt und wer sich mehr plagt, der hat auch Anspruch auf Erfolg und Gewinn"? ({6}) Die Jugendlichen spüren den Zirkel des Zynismus, ({7}) der sich, Herr Kollege, auf diese Weise um sie schließt. ({8}) Die Enquete-Kommission vertritt die Auffassung, daß die große Mehrzahl der Jugendlichen für einen Einstieg in die Gesellschaft und nicht für einen Ausstieg motiviert ist. Damit diese Einstellung nicht in Resignation umschlägt, müssen wir ihnen die Chancen geben, die sie nutzen können und nutzen werden. Wichtigste Voraussetzung ist, daß wir dafür sorgen, daß die Jugendlichen nicht schon beim Start in das Berufsleben in den Startlöchern sitzenbleiben. ({9}) Wenn es uns nicht gelingt, die Jugendlichen in Ausbildung und Arbeit zu bringen, ergeben sich für die Betroffenen Folgen, die sich lebenslang auswirken. Die Kommission stellt dazu fest - ich zitiere -: Auch wenn der aktuelle Jugendprotest nicht durch die Jugendarbeitslosigkeit ausgelöst wurde, stellt die Sorge um Ausbildungschancen und um die berufliche Zukunft ein beherrschendes Thema für die junge Generation dar. Zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und ein im Vergleich zum Ausbildungswunsch immer größerer Mangel an Ausbildungsplätzen für bestimmte Berufsfelder gliedern einen Teil der Jugend bereits vor dem Einstieg in das Berufsleben von der gesellschaftlichen Teilhabe und Anerkennung aus und bedrohen das Selbstwertgefühl der gesamten jungen Generation. Wenn den Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung verweigert wird, ist das aber nicht nur ein individuelles Problem, denn unsere gesamte wirtFrau Terborg schaftliche und soziale Leistungsfähigkeit hängt auch künftig davon ab, daß wir über eine ausreichende Anzahl qualifizierter Arbeitnehmer verfügen. Den sogenannten Schülerberg, das Ergebnis geburtenstarker Jahrgänge - ich glaube, unsere Kinder sind doch wohl das Kapital, das wir für unsere Zukunft haben -, werden wir in wenigen Jahren überwunden haben, und dann werden es die geburtenschwachen Jahrgänge sein, die den Übergang vom Bildungssystem ins Beschäftigungssystem vollziehen wollen. Deshalb wäre es kurzsichtig, gerade bei der Ausbildung zu sparen. Es muß über den aktuellen Bedarf hinaus ausgebildet werden. Das heißt: heute ausbilden für morgen. ({10}) Diesem Leitsatz müssen wir Geltung verschaffen; denn alle Erfahrung lehrt, daß eine fundierte Berufsausbildung der Grundstein für den späteren erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben ist. Für die Berufsausbildung ergibt sich aber ein düsteres Bild. Von Anfang Oktober 1982 bis Ende März 1983 haben die Betriebe und öffentlichen Verwaltungen den Arbeitsämtern 353 300 Ausbildungsstellen gemeldet. Das waren 36 400 oder 9% weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Zahl der Bewerber um Ausbildungsstellen belief sich dagegen auf 451 300. Sie lag damit um 69 500 oder 18% über dem Zugang des Vergleichszeitraums. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt hat sich also weiter geöffnet. Auch die Arbeitsplatzsituation für Jugendliche ist erschreckend. Ende April 1983 wies die Bundesanstalt für Arbeit rund 175 000 arbeitslose Jugendliche unter 20 Jahren aus. Die Arbeitslosenquote dieser Altersgruppe lag über 8 %. Zudem müssen wir uns klarmachen, daß sich in diesen Statistiken die tatsächliche Lage nicht wiederspiegelt, denn viele Jugendliche haben es aufgegeben und sind in die stille Reserve zurück abgewandert. Andere tauchen in den Statistiken deshalb gar nicht auf, weil sie ihr Vertrauen in die Vermittlungsfähigkeit der Arbeitsämter verloren haben. Sie halten es für sinnlos, sich überhaupt als Ausbildungs- oder Arbeitsplatzsuchende zu melden. Ich erlebe das besonders auch im ländlichen Bereich. Wir haben darüber hinaus zu berücksichtigen, daß der Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für Jugendliche von Region zu Region sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Man muß sich fragen: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung? Ich zitiere aus der Regierungserklärung von

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

In diesem Jahr werden alle Jugendlichen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, eine Lehrstelle erhalten können. Allerdings wird nicht jeder - das sage ich schon seit Monaten - seinen Wunschberuf erlernen und nicht jeder dort in die Lehre gehen können, wo er möchte, wo er wohnt. Ein weiteres Zitat: Ich werde deshalb auch in den kommenden Jahren auf eine besondere Initiative für die Ausbildung drängen. Das ist alles; kein einziger konkreter Hinweis auf das, was die Bundesregierung tatsächlich tun will. ({0}) Statt dessen die unverbindliche Ankündigung einer Initiative für die kommenden Jahre und das Lehrstellenversprechen, das schon während des Wahlkampfs eine so trübe Rolle spielte und das weniger denn je eingelöst werden kann. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Bitte sehr.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der DGB-Vorsitzende nach den letzten Gesprächen mit dem Bundeskanzler über die Ausbildungsplatzfrage öffentlich erklärt hat, daß er die Zusage, 30 000 neue Lehrstellen zu schaffen, für eine glaubwürdige Zusage halte?

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wissmann, wenn der DGB-Vorsitzende das gesagt hat, nehme ich das zur Kenntnis. Für mich zählen am Ende dieser Diskussion aber die Taten, ob tatsächlich die jungen Menschen eine Lehrstelle haben werden. Das wird der Herbst zeigen. ({0}) Allein das Prinzip Glaube, Liebe, Hoffnung schafft meiner Meinung nach, Herr Wissmann, noch keinen einzigen Arbeitsplatz. ({1}) Auch das Vertrauen auf diese Initiative, die irgendwann in den nächsten Jahren Ausbildungsplätze schaffen soll, nützt denjenigen nichts, die heute zu den 100 000 ohne Arbeitsplatz gehören. ({2}) - Das ist kein Gemälde; das ist wirklich traurig. Das ist ganz schlimm. Da sollten Sie nicht so zynisch sein. ({3}) Wir stecken mitten in einer Umstrukturierung unserer Industriegesellschaft, die natürlich auch ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Traditionelle Berufe gehen unter, neue Berufsbilder entstehen. Daran können wir nicht vorbeisehen; wir können nicht so tun, als habe sich nichts geändert. Es reicht deshalb nicht aus, sich lediglich über die Anzahl der zu schaffenden Ausbildungsplätze Gedanken zu machen. Ebenso wichtig ist die Frage, in welchen Bereichen in Zukunft ausgebildet werden soll. Anderenfalls, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, verschieben Sie das Problem der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit, nur um einige wenige Jahre, ohne es entscheidend zu lösen. Da reicht es nicht aus, sich bei Handwerk, Handel und Industrie für die Bereitschaft zu bedanken, den jungen Leuten zu helfen. Da ist schon etwas mehr erforderlich. ({4}) Der Staat kann die Verantwortung für die Zukunft dieser jungen Menschen nicht auf diese Weise von sich abschütteln. Sie sagen - Herr Bundeskanzler Kohl, wollte ich sagen; wenngleich er nicht anwesend ist, meine ich ihn -, unser Staat brauche die zupackende Mitarbeit der jungen Generation, tun aber nichts dafür, daß diese junge Generation, die j a zupacken will, nicht ins Leere greift. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein besonderes Problem hinweisen, auf das auch die Enquete-Kommission in ihrem Bericht eingegangen ist: die Ausbildungs- und Berufssituation junger Frauen und Mädchen. Wir müssen wissen, daß beinahe regelmäßig die Mädchen und jungen Frauen in besonderer Weise benachteiligt sind. Für viele Mädchen im ländlichen Bereich sind die Chancen, ausgebildet zu werden oder arbeiten zu können, praktisch gleich Null. Auch die Jungen haben dort größere Probleme als vielleicht in Ballungszentren. Nachzuvollziehen, welche Enttäuschungen gerade Mädchen und junge Frauen hinnehmen müssen, bedeutet, Leidensgeschichten aufzuzeigen. Die Kommission stellt fest, daß die Benachteiligungen von Mädchen im Hinblick auf die schulischen Bildungschancen heute überwiegend abgebaut seien. Sie weist aber darauf hin, daß die Mehrzahl der bei der Bundesanstalt für Arbeit gemeldeten Ausbildungsplätze nur für Männer angeboten werden. Darüber hinaus seien die Ausbildungsgänge der Frauen in der Regel kürzer und von der Qualität her weniger anspruchsvoll als die der Männer.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Eicke Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, gestatten Sie mir folgende Frage: Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß die von Ihnen nunmehr zu Recht in dieser Weise geschilderte Jugendarbeitslosigkeit am Ende einer 13jährigen SPD-Regierung so dramatische Formen angenommen hat? ({0})

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie die Ursachen hierfür in dieser Regierungszeit suchen. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück und nenne auch die Verantwortlichen, die meiner Ansicht nach anders handeln müssen. ({0}) - Ich glaube, Sie haben auch einiges von dem noch nicht gelesen, was in der Analyse unseres Berichts steht. Dort werden auch die Ursachen aufgezeigt. ({1}) Ich möchte jetzt aber bei meinem Thema bleiben und keine Zwischenfragen mehr zulassen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das ist Ihr gutes Recht, Frau Kollegin.

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen, die in besonderer Weise über die Situation der jungen Frauen und Mädchen etwas aussagen. 1982 waren nur 38 % der Ausbildungsplätze im dualen System von Mädchen besetzt. Diese Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich. Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist bei Mädchen und jungen Frauen höher als bei gleichaltrigen Männern. Ich sagte es eben schon: Trotz gleicher oder manchmal auch besserer schulischer und beruflicher Qualifikation werden junge Frauen und Mädchen in der Ausbildung, im Beruf nach wie vor benachteiligt. In dem Bericht der Enquete-Kommission werden auch insoweit Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Sie reichen von der Frauenförderung bei der Beschaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze über die Aufstellung von Frauenförderungsplänen, die Öffnung neuer Berufswege für junge Frauen und Mädchen bis hin zu einer Überwindung des geteilten Arbeitsmarktes und dem Abbau beruflicher Diskriminierung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird gerade im Zusammenhang mit dem zuletzt genannten Bereich in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, der in Anlehnung an die Initiative des Landes Hessen im Bundesrat eine Überarbeitung des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes im Sinne eines Gleichstellungsgesetzes beinhaltet. ({0}) Die Vorschläge der Kommission zielen darauf ab, die volle Gleichberechtigung der Frau im Berufsleben sicherzustellen. Auch der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung davon gesprochen, daß die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Arbeitswelt hergestellt werden müsse. Konkret fiel ihm dazu aber nur ein, die Arbeitsplatzteilung und die Teilzeitarbeit nach Kräften zu begünstigen. Das ist nun aber nicht gerade der Weg, den wir Sozialdemokraten uns vorstellen, um die Gleichberechtigung der Frauen auch im Berufsleben sicherzustellen. ({1}) Wir wenden uns entschieden dagegen, daß die Probleme, die mit der notwendigen Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit auf uns zukommen, vorwieFrau Terborg gend auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden. ({2}) Ich empfehle der Bundesregierung nachdrücklich, die von der Enquete-Kommission vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten zu prüfen und in die Tat umzusetzen. Wenn sie diesen Weg geht, wird sie auch die Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben. Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Aspekt des Problems der Jugendarbeitslosigkeit ist die zunehmende Tendenz einer starken Konzentration auf nur wenige Berufe aus dem breiten Spektrum der anerkannten Ausbildungsberufe. Dies gilt im übrigen für Mädchen in noch stärkerem Maße als für Jungen. Hinzu kommt, daß die meisten Jugendlichen, Eltern und leider auch manche Lehrer überhaupt nur die gängigen Ausbildungsberufe kennen. Sie wissen jedoch nicht, daß es 466 anerkannte Ausbildungsberufe gibt, von denen viele gute Zukunftschancen bieten und die auch nicht überlaufen sind. Infolge der Konzentration der Berufswünsche bleiben Ausbildungsmöglichkeiten letztendlich unausgeschöpft. Deshalb möchte ich eine breitangelegte Informationsoffensive vorschlagen. Daran sollten sich alle beteiligen, die für die berufliche Bildung Verantwortung und Mitverantwortung tragen. Klar bleiben muß: Die Arbeitgeber sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze anzubieten. ({3}) Folgt man dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz, so müßten die Arbeitgeber eigentlich von sich aus das Notwendige tun. Ich zitiere: In dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden dualen Berufsbildungssystem mit dem Lernort Schule und Betrieb liegt die spezifische Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen der Natur der Sache nach bei den Arbeitgebern. An einer anderen Stelle geht es weiter: Wenn der Staat in Anerkennung dieser Aufgabenteilung den Arbeitgebern die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen überläßt, so muß er erwarten, daß die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, daß grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chancen erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. So weit das Bundesverfassungsgericht. Ich kann dies hier nur unterstreichen. ({4}) Ich frage mich: Was sollen denn die Jugendlichen auch von unserem Grundgesetz halten, wenn die Arbeitgeber der Verpflichtung nicht nachkommen, die die Karlsruher Richter ihnen auferlegt haben? Was sollen denn die Jugendlichen von unserer Gesellschaftsordnung halten, die nicht gewährleistet, daß der Start ins Berufsleben nicht zu einem Fehlstart wird? Zur Verbesserung des Ausbildungsplatzangebotes und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sind energische Maßnahmen erforderlich. Wir Sozialdemokraten werden das uns Mögliche tun, um die Jugendlichen mit ihren Nöten nicht allein zu lassen. Wir treten für folgende Maßnahmen ein: Erstens. Ein Programm zur Förderung der außerbetrieblichen und der überbetrieblichen Ausbildung sowie der Ausbildung im Ausbildungsverbund muß für die Bereiche aufgelegt werden, in denen kein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot gegeben ist. ({5}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie sollten sich dieser Forderung anschließen. Ein solches Programm wird in Berlin seit Jahren mit großem Erfolg praktiziert. Der sozialdemokratisch geführte Senat hat es begonnen, und Herr von Weizsäcker führt es uneingeschränkt fort. Bevor Sie sich zur Kritik herbeilassen, rate ich Ihnen, sich bei Herrn von Weizsäcker sachkundig zu machen. ({6}) Zweitens. Das sogenannte Benachteiligtenprogramm für Jugendliche mit schulischen Defiziten ist aufzustocken und besonders auf die Gruppe ausländischer Jugendlicher auszudehnen. ({7}) Drittens. Zusätzliche Ausbildungsplätze sind beim Bund, bei der Post und bei der Bahn zu mobilisieren. Viertens. Das Programm „Bildungshilfen für arbeitslose Jugendliche", die Arbeitsplätze suchen, ist zu erweitern. Fünftens. Für junge Arbeitslose müssen mehr Beschäftigungsstellen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereitgestellt werden. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen bleiben untätig, verharmlosen die Lage und verlassen sich im übrigen auf die Schaustellerei von Herrn Kohl. ({8}) Der Vertrauensschaden wird bei Jugendlichen groß sein, wenn der Herr Bundeskanzler im Herbst Bilanz ziehen muß und sehen wird, daß sich die Ausbildungsplatzgarantie endgültig als plumper Wahlkampftrick entpuppt. ({9}) - Nein, das würde mich nicht freuen. ({10}) Mehr noch: Mit Ihrer konservativen Wende in der Bildungspolitik, die sich u. a. in der Streichung des Schüler-BAföG manifestiert hat, fügen Sie den be334 troffenen Jugendlichen Schaden zu. Denn wenn Sie ihnen schon für ihren Schulbesuch die finanzielle Grundlage entziehen, verstärken Sie damit den Druck auf den Ausbildungs- und Stellenmarkt und verstärken den Konkurrenzkampf um die ohnedies schon wenigen Ausbildungsplätze. ({11}) Viele in den Parteien mit dem großen C und in der FDP meinen, einen Beitrag zur Ausweitung des Ausbildungsplatzangebots dadurch leisten zu können, daß sie das Jugendarbeitsschutzgesetz zurückschneiden. Dagegen wenden sich zu Recht die Jugendlichen, z. B. in den Gewerkschaften und in den Jugendorganisationen der Kirchen. Die Jugendverbände, die sich gegen die Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzgesetzes wehren, haben uns Sozialdemokraten auf ihrer Seite. Lassen Sie mich abschließend noch auf einen Aspekt in der Regierungserklärung eingehen, der besonders deutlich den Widerspruch zwischen Worten und Taten der neuen Bundesregierung offenlegt. In der Regierungserklärung heißt es, wir können auf Leistungseliten nicht verzichten, und niemand dürfe wegen seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden. Die Realität sieht so aus, daß das Schüler-BAföG gestrichen wurde und durch die Umstellung des Studenten-BAföG auf ein reines Darlehenssystem zukünftige Hochschulabsolventen ihren Berufsstart mit einer Schuldenlast von etlichen zehntausend D-Mark beginnen müssen. Diese Kahlschlagpolitik bedeutet doch ganz konkret, daß in Zukunft nur derjenige eine Chance hat, seinen Fähigkeiten entsprechend ausgebildet zu werden und zu dieser Leistungselite zu gehören, der von seinem Elternhaus her schon zu einer bestimmten Geldelite gehört. Oder anders ausgedrückt: Wer arm ist, darf ruhig dumm bleiben. Das ist doch die Realität. Die SPD-Fraktion wird deshalb erneut einen Antrag zur Erhaltung des Schüler-BAföG hier im Parlament einbringen. ({12}) Die Enquete-Kommission Jugendprotest im demokratischen Staat hat eine wachsende Entfremdung zwischen einem Teil der Jugend auf der einen und dem politischen System und seinen Vertretern auf der anderen Seite festgestellt. Um das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen, sind ernsthafte Anstrengungen vonnöten. Noch setzt der überwiegende Teil der jungen Menschen seine Hoffnung auf diesen Staat, auf die Regierung und auf die Politiker. Sie erwarten Taten und nicht unverbindliche Absichtserklärungen. In der Regierungserklärung heißt es, wir müssen der jungen Generation Hoffnung geben. Hoffnung, das ist zu wenig. Wir müssen etwas tun. Der hier vorgelegte Bericht darf nicht in den Schubladen verschwinden. Nicht nur wir hier im Parlament, sondern alle Verantwortlichen, voran die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, Länder, Kommunen, müssen sich mit den Vorschlägen und Lösungsmöglichkeiten ernsthaft beschäftigen und sie in die Realität umsetzen. - Ich danke Ihnen. ({13})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht der Enquete-Kommission spricht - und das ist hier in den einzelnen Wortbeiträgen schon zur Sprache gekommen - neben den wichtigen allgemeinen Fragen des Verhältnisses der jungen Menschen zu Gesellschaft und Staat eine Reihe von Themen an, die weit und grundsätzlich in das Feld der Bildungspolitik hineinreichen. Die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit verbietet es, auf die vielen Einzelpunkte einzugehen. Unser heutiges Thema macht aber noch einmal sehr deutlich, von welcher entscheidenden Bedeutung für das Klima in Staat und Gesellschaft gerade der Lebenszeitraum ist, auf dessen Gestaltung sich die bildungspolitischen Entscheidungen oder auch Nichtentscheidungen beziehen. Meine Damen und Herren, das mag wie ein Gemeinplatz klingen, aber auch solche allgemeinen Feststellungen können, wenn, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" gestern befürchtete, „die Bildungspolitik im Schlepptau der Finanz- und Wirtschaftspolitik mühsam dahintreibt" oder vorerst „im Prokrustesbett der wirtschaftlichen Zwänge" verharrt nicht oft genug wiederholt werden - das ist übrigens von Koalitionszusammenstellungen unabhängig -, und sei es nur, um Kapitän und Steuerleute auf dem Leitschiff der Finanz- und Wirtschaftspolitik noch einmal durch diese Rufe aufmerksam zu machen, ganz abgesehen davon, daß Bildungspolitik eigentlich als eines der Energiemittel angesehen werden sollte, die den Flottenverband Staat und Gesellschaft auf seiner Fahrt in die Zukunft antreiben. ({0}) Meine Damen und Herren, der von der FAZ genannten Prokrustes - es ist immer interessant, sich mit solchen Bildern zu beschäftigen -, den ich hier übrigens mit niemandem identifizieren möchte, der über die Bemessung und Beurteilung der wirtschaftlichen Zwänge verfügt, denen sich Bildungspolitik zu fügen habe, Prokrustes wird als ein Riese geschildert, der alle, die in seine Hände fielen, auf sein Bett legte. Waren diese Unglücklichen an Körpergestalt zu kurz, so streckte er sie mit Hilfe eines Hammers. Waren sie zu lang, so kürzte er sie zu passender Körpergröße. Insofern, meine Damen und Herren, ist dieses Bild der FAZ durchaus eine Mahnung, weil j a Bildungspolitik im Ernst nicht nur von denen gemacht wird, die im engeren Sinne für sie verantwortlich sind, sondern auch - und dies nicht erst seit heute - von den Kapitänen und Riesen, die den Rahmen für ihre Möglichkeiten abstecken. Meine Damen und Herren, diese Geschichte findet ein gutes Ende: Prokrustes wurde schließlich von Theseus überwunden. Und der Theseus, den wir brauchen, wird nicht als ein Deus ex machina erscheinen, er verbirgt sich hinter der Notwendigkeit einer stets neuen und erneuerten Besinnung auf die aktuelle und zugleich grundsätzliche Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, auf deren Grundlage junge Menschen dazu befähigt werden, mit kritischem Denken, Entscheidungsfähigkeit, Verantwortungsbewußtsein und Leistungsbereitschaft ihren Platz in unserer Gesellschaft und ihre Haltung gegenüber den Anforderungen einer in stetem Wandel befindlichen Welt zu finden. Meine Damen und Herren, wenn es, wie oft gesagt wird, ein Fehler war, daß sich Bildungspolitik eine Zeitlang vielleicht zu isoliert betrachtet hat, so müßte sich dieser Fehler allerdings fortschreiben, wenn nun die anderen Politikbereiche die Interdependenzen zur Bildungspolitik vernachlässigten. Denn lassen sich die Auswirkungen der Bildungspolitik auf positive, aber auch negative Erscheinungen, über die wir sprechen, nicht leugnen, so ist doch auch zu bedenken, daß, wie der Kommissionsbericht feststellt, Bildungsinstitutionen nicht nur ganz allgemein für das Leben ausbilden, sondern - ich zitiere - „auch die Gesellschaft selbst in ihren Grundsätzen und vorrangigen Werten widerspiegeln". Damit, meine Damen und Herren - das betrifft quantitative und qualitativ-inhaltliche Fragen - nähert sich der Bericht auch - das ist eine interessante Passage darin - der begrifflichen Unterscheidung von Bildung und Erziehung und sieht sie doch auch wieder in einer untrennbaren Verbindung, indem er vermerkt, daß man nicht an der Tatsache vorbeikomme, daß sich jeder, zumal jeder institutionalisierte Umgang mit Jugendlichen erzieherisch auswirke, eine Tatsache, die man in alle Richtungen ebenfalls nicht oft genug wiederholen kann. Meine Damen und Herren, darüber ließe sich viel sagen, und darüber wird noch viel zu sagen sein. Im Kern heißt das: Bildungspolitik verfehlt ihre Aufgabe, wenn sie sich nur als Auseinandersetzung über organisatorische und administrative Maßnahmen vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen versteht, wenn sie nicht letztlich den einzelnen jungen Menschen meint, diesen Schüler und Studenten, jenen Lehrling oder Auszubildenden, jeden einzelnen mit seinen Erwartungen, Hoffnungen, Wünschen, Rechten, Pflichten, Fähigkeiten und Möglichkeiten. ({1}) Das drängendste Problem dieser Wochen und Monate - es wurde angesprochen - ist das Problem ausreichender Ausbildungsplätze für die geburtenstarken Jahrgänge. Es ist - auch heute - zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen geworden. Ich halte es für wenig hilfreich, wenn man aus den mangelhaften Zahlen der Bundesanstalt von heute schon Hochrechnungen auf eine Bilanz für den September dieses Jahres herleiten will. ({2}) Meine Damen und Herren, jede übertriebene Dramatisierung erreicht, wenn sie - und das setze ich voraus - ernst und verantwortungsvoll gemeint ist, unter Umständen genau das Gegenteil von dem, was sie anstrebt. In unserem Fall kann sie statt zu einer zusätzlichen Motivierung zu einer resignierenden Hinnahme des angeblich Unvermeidbaren führen. ({3}) Natürlich gilt das - das ist selbstverständlich - auch für eine Verharmlosung, die zu ähnlichen Effekten führen müßte. Aber angesichts der Appelle und Erklärungen innerhalb der Wirtschaft und besonders des Handwerks und der vielen, vielen Einzelmaßnahmen vor Ort, angesichts der erheblichen Anstrengungen, die schon in den Vorjahren unternommen wurden, zum Erfolg geführt haben und auch überall fortgesetzt werden, und angesichts auch - das sei mit Vorsicht gesagt - der Berichte aus einzelnen Kammerbereichen, daß die Zahl der zur Zeit bereits abgeschlossenen Ausbildungsverträge die Zahl zu der entsprechenden Stichzeit des Vorjahres nicht unwesentlich übersteigt, und angesichts auch der vernünftigen Haltung der Tarifpartner - ich denke hier an die IG Chemie - bei der Gestaltung der Ausbildungsvergütungen, angesichts all dieser Umstände, die man doch nicht verharmlosen und wegreden kann, verstärkt sich meine Ansicht, daß es im Interesse der jungen Leute zwar notwendig ist, das Warnsignal mit aller Eindringlichkeit leuchten zu lassen, aber mit Anerkennung und Zuspruch viel mehr zu erreichen ist als mit lärmenden Unwetterprognosen. ({4}) Die Dinge werden ja sogleich noch problematischer, wenn man sich bestimmten konkreten Überlegungen widmet, Überlegungen, die auch aufgreifen, was unmittelbar betroffene Jugendliche und ihre möglichen Ausbilder zur Sprache bringen. Da ist zum einen das schon angeschnittene Thema der ausbildungshemmenden Vorschriften. Daß es solche ausbildungshemmenden Vorschriften gibt, ist doch nicht zu bestreiten. Deshalb muß dieser Komplex untersucht und auf seine Berechtigung abgeklopft werden. Daraus nun aber gleich den Vorwurf herzuleiten, es solle - wie ich gelesen habe - die Ausbildungsplatznot der jungen Generation dazu benutzt werden, entscheidende Fortschritte im Jugendarbeitsrecht rückgängig zu machen und das notwendige qualitative Niveau zukunftweisender Ausbildung abzusenken, ja nackte Interessenpolitik dem Ausbildungsanspruch der jungen Generation überzuordnen, das geht meines Erachtens zu weit und läge, falls wir in diesen Vorwurf einbezogen werden, zwar von anderer Seite vorgetragen, auf genau derselben rhetorischen Linie, mit der uns Freien Demokraten noch vor einigen Monaten nachgesagt wurde, wir seien damit beschäftigt, mitzuhelfen, das duale System der Ausbildung zu untergraben. ({5}) Mit diesem Hin und Her kommen wir angesichts des Ernstes des Problems nicht weiter. Ich danke Frau Dr. Wilms ausdrücklich für die zahlreichen Bemühungen um Initiativen, das Problem insgesamt und im Hinblick auf die besonderen regionalen Schwierigkeiten oder die Schwierigkeiten für benachteiligte junge Leute zu lösen. Problematisch - das wurde schon angeschnitten - ist es natürlich auch, wenn sich gegenüber zahlreichen Einzelinitiativen oder Initiativen gesellschaftlicher Gruppen administrative und sonstige Hindernisse zeigen. Ein Beispiel hat Herr Wissmann genannt. Ein weiteres füge ich aus dem bayerischen Bereich hinzu. Wenn gegenüber Bemühungen um die Schaffung eines Ausbildungsverbunds, der ja als ein Mittel von der Kommission empfohlen wird, der Vertreter eines Arbeitsamtes äußert: „Ein Ausbildungsverbund ist so überflüssig wie ein Kropf" und damit in einem Landkreis ein Projekt zu Fall bringt, so kann das - ohne daß ich die Gegebenheiten des Einzelfalls endgültig beurteilen könnte - nicht als ein Beitrag zur Ermutigung solcher notwendigen Initiativen angesehen werden. ({6}) Gerade die Arbeitsverwaltung müßte alle Initiativen unterstützen, auch solche, die vielleicht dem Vermittlungsmonopolanspruch der Arbeitsämter nahekommen, ({7}) aber im Sinn der drängenden Situation nicht mit der kleinlichen Elle administrativer Abwehr gemessen werden sollten. Viele tausend mittelständische Betriebe vermitteln Jahr für Jahr dann, wenn sie eigenen Bedarf schon ausgefüllt haben, junge Leute an andere Ausbildungsbetriebe. Wir müssen diese Initiativen doch unterstützen und dürfen sie nicht stören. ({8}) Auch wenn es der Bericht der Kommission zu Recht als erforderlich bezeichnet, über den aktuellen Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften hinaus auszubilden, und wenn wir diesen Appell wie der Bericht auf den Bereich ausdehnen, auf den Bund, Länder und Gemeinden Einfluß haben, so wissen wir doch, daß nach Abschluß der Ausbildung die Unsicherheiten des Arbeitsmarktes folgen. Und doch darf dieser Hinweis kein Hindernis für die Bereitschaft zur Ausbildung bei Ausbildern und Auszubildenden sein. Einerseits sind die Chancen der ausgebildeten jungen Leute auf jeden Fall größer. Andererseits - es wurde schon erwähnt - stehen wir in einigen Jahren vor der von heute aus gesehen paradox erscheinenden Situation, daß ein Mangel an Ausbildungsplatzbewerbern eintreten wird. Das ist eine demographische Bewegung, die j a schon die Schulen erreicht hat und mancherorts zu Konkurrenzkämpfen um Schüler führt. Damit wird der qualitative Aspekt der beruflichen Bildung von noch größerer Bedeutung als heute sein. In diesem Zusammenhang muß man auch die technologische Herausforderung erwähnen, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, der sich auch das Bildungswesen zu stellen hat. Die neuen Technologien führen zu Berufen mit der Notwendigkeit hoher Qualifikationen und Spezialisierungen. Sosehr wir auf diese Spezialisierungen und Qualifizierungen Wert legen müssen und sie zu fördern haben, so sehr hat die Bildungspolitik aber auch mit dafür Sorge zu tragen, daß die Anerkennung aller menschlichen Arbeit in unserer Gesellschaft stärker wird und Lebenssinn nicht nur in einer hohen Spezialisierung gesehen werden kann. Ich glaube, daß diese Frage sehr eng mit der Frage der Akzeptanz der Technik in der jungen Generation zusammenhängt. Meine Damen und Herren, unsere Sorge geht über den Bereich der beruflichen Bildung hinaus. Auch Schulen und Hochschulen müssen ihren Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Situation leisten. Nicht nur hier bleiben Bund und Länder in einer gemeinsamen Verantwortung, der auch in Zukunft nur gemeinsam Rechnung getragen werden kann. Es geht uns wahrhaft nicht darum, eine möglichst hohe Zahl von Akademikern zu haben. Wir vertreten die Gleichwertigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung, und wir sehen wie andere auch, daß in der Vergangenheit oft viel zu sehr auf die Hochschulen gesehen wurde und der Eindruck entstand, daß nur im Hochschulabsolventen der Mensch gesehen werde, der seine Selbstverwirklichung gefunden habe. Aber der Druck der geburtenstarken Jahrgänge und die Tatsache, daß die Berufsausbildungsmöglichkeiten durch sie schon jetzt mindestens so beansprucht sind wie die der Hochschulen, gebietet es, alle Bereiche des Bildungswesens - auch die Hochschulen - so offenzuhalten, daß kein junger Mensch ohne Ausbildung bleibt. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Bei allen Problemen, deren wir uns auch in diesem Zusammenhang ganz deutlich bewußt sind: Es darf nicht eine Mentalität entstehen, die die Verantwortung für die Schaffung von beruflichen Lebenschancen junger Leute jeweils anderen zuweisen möchte. Mit aller Kraft müssen wir - nicht nur wir, sondern auch alle Verantwortlichen in der Berufswelt - durch Handeln deutlich machen, daß die junge Generation keine Last, sondern eine Herausforderung, eine Aufgabe und, meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten auch eine Freude ist. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann.

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Man könnte den Kommissionsbericht in vielen Einzelheiten kritisieren und Widersprüche darstellen, man könnte auch sehr viel Positives in diesem Bericht herausstellen. Ich meine aber, der Hauptwiderspruch besteht zwischen dem Bericht der Kommission und der politischen Wirklichkeit, wie wir sie alltäglich erleben, auch hier in diesem Hause. Ich zitiere aus Seite 21 des Berichts: Die Frage der Glaubwürdigkeit von Staat und Politik ist einmal eine Frage der Leistungen bzw. des Versagens von Politikern und Parteien bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme. Auch sonst ist in diesem Bericht von den krassen Widersprüchen zwischen dem Reden und dem Handeln die Rede. Es ist die Rede von Unehrlichkeit und Opportunismus der Politiker. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß die Zweifel dieser Jugendlichen sehr berechtigt sind. Vor der Wahl erschien es Herrn Kohl opportun, allen Jugendlichen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, ({0}) einen Ausbildungsplatz zu versprechen. Er forderte sogar auf, sich persönlich an ihn zu wenden. Mein Sohn, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist - wie nach dem Bericht der Kommission zirka 95 % der Schulabgänger -, hat also an Herrn Kohl geschrieben, weil er testen wollte, wie der Herr Bundeskanzler darauf reagieren würde. Ich würde Herrn Kohl gerne selber ein paar Worte aus seinem Brief zitieren, vielleicht kennt er ihn ja: ({1}) Da ich aber die Sorge vieler Jugendlicher und ihrer Eltern kenne, eine geeignete Lehrstelle zu finden, nehme ich auch Ihren Vermittlungswunsch sehr ernst. Ich empfehle Ihnen, sich mit einer konkreten Bewerbung und den erforderlichen Unterlagen an die für Sie zuständige Industrie- und Handelskammer bzw. Handwerkskammer zu wenden. Dort wird man sich, meiner Vereinbarung mit den Spitzenorganisationen der Wirtschaft entsprechend, Ihrer Bewerbung in Zusammenarbeit mit dem gesetzlich für die Vermittlung zuständigen Arbeitsamt weiter annehmen. ({2}) Die Handwerkskammern verweisen die Jugendlichen dann wieder an das Arbeitsamt, bei dem sie sich ein halbes Jahr zuvor schon einmal gemeldet und vorgesprochen hatten. Damit schließt sich der Kreis. ({3}) Für wie dumm hält unser Bundeskanzler die Jugendlichen eigentlich? Diese kommen sich doch echt verarscht vor. Sie können Ihre Zusage nicht einhalten, Herr Bundeskanzler. ({4}) Sie hören sie nicht einmal an. Es ist sicher typisch, daß die Regierung und der Herr Bundeskanzler es nicht für notwendig halten, bei dieser Debatte anwesend zu sein. ({5}) Der Herr Bundeskanzler hat offensichtlich die Not und Hoffnung von Hunderttausenden von jungen Menschen mißbraucht, um die Wahl zu gewinnen und an der Macht zu bleiben. Es ist schlimm, was da an Vertrauen zerstört und an Enttäuschung ausgelöst wird, wie mit dem Schicksal der jungen Menschen hier umgegangen wird. Da darf man sich nicht wundern, wenn eines Tages die Farbbeutel fliegen. Ich kann das zumindest verstehen. ({6}) Ich möchte dem Bundeskanzler ein paar Zahlen vermitteln; vielleicht kann er sie im Protokoll nachlesen. Eine Umfrage in der ersten Maiwoche in Nürnberg ergab, daß von den Hauptschülern erst 40 % einen Lehrvertrag haben. ({7}) - Bis dahin waren in anderen Jahren die meisten Jugendlichen schon in einem Lehrvertrag. - Davon sind 50 % Buben und 27 % Mädel, was wiederum beweist, wie sehr gerade die Frauen in solchen Fragen benachteiligt sind. ({8}) Ebenfalls hat diese Umfrage ergeben, daß nur 50 % eine Lehrstelle bekamen, die ihren Wünschen entspricht, daß also hier sehr viel Flexibilität gegeben ist. 20 % dieser Jugendlichen gehen von vornherein auf weiterführende Schulen, weil sie gar keine Chance sehen, überhaupt einen Lehrberuf zu bekommen. Sie fallen aus dieser Statistik also schon wieder heraus. - Man muß dazu sagen, daß Nürnberg sicher kein strukturschwaches Gebiet ist und daß hier mit Mobilität überhaupt nicht zu helfen ist. Bundesweit sieht es ähnlich aus; wir haben dazu heute schon einige Zahlen gehört. Ich zitiere den Bericht auf Seite 14: In dieser Angst um ihre Zukunft äußern sie den Verdacht, daß die Erwachsenen, die heute die Entscheidungen für die Zukunft treffen, ihrer Verantwortung für die Erhaltung menschenwürdiger Lebensbedingungen nicht gerecht würden. Ich meine, es handelt sich hier nicht um einen Verdacht, sondern das ist die bittere Wirklichkeit, daß die Verantwortlichen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. ({9}) Zugleich betont die Kommission immer wieder, wie wichtig gerade Ausbildung, sinnvolle Arbeit und Aufgaben für die Jugendlichen sind. Dann bekommen sie von dem Bundeskanzler dieses Staates solch leere Versprechungen. ({10}) - Ich komme gleich darauf. Es ist hier zu Recht über die besondere Bedeutung der Jugendarbeitslosigkeit diskutiert worden; aber es ist doch nur einer der vielen Widersprüche, denen sich die jungen Leute heute gegenüber sehen. Zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und Per338 spektivlosigkeit, die wohl mit Sicherheit kommende NATO-Aufrüstung mit Pershing 2, das Atomkonzept und verheerende Umweltzerstörungen lassen ein kräftiges Anwachsen des Protestes erwarten. Wir werden gespannt sein, ob dann die Empfehlungen der Kommission berücksichtigt werden - ich zitiere -: Es ist von entscheidender Bedeutung, wie von seiten der Behörden und der Politiker auf Kritik und Protest reagiert wird. Je weniger sich die Politiker und Verwaltungen als fähig erweisen, Kritik und gewaltfreien Protest als fruchtbaren Beitrag zur demokratischen Willensbildung und Veränderung aufzufassen und je unverständlicher und abweisender ihre Reaktionen den Jugendlichen erscheinen, um so wahrscheinlicher ist eine Steigerung der Konflikte. Wie die Wirklichkeit aussieht, habe ich selbst sozusagen am eigenen Leibe erleben müssen, als meine Tochter zusammen mit 140 anderen jungen Menschen vor zwei Jahren im Nürnberger KOMMZentrum verhaftet wurde, übrigens auf Grund von vervielfältigten Haftbefehlen, wie auch die Antwortschreiben vervielfältigt waren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Burgmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauter zu?

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Alfred Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001925, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, sind wir uns darüber einig, daß es bei dem Zitat, das Sie soeben vorgetragen haben, insbesondere auf das Wort „gewaltfrei" ankommt?

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Übrigens sind auch diese Haftbefehle damals auf vervielfältigten Antwortschreiben gekommen, so wie das Antwortschreiben des Herrn Kohl an meinen Sohn. Die Verfahren wurden zwar nach zwei Jahren eingestellt, weil es offensichtlich keine Rechtsgrundlage gab. Zuerst aber hatten die jungen Menschen die Staatsgewalt zu spüren bekommen, aber nicht als Schutz der Schwachen, sondern als Schutz des starken Staates und als Zerstörung gegenüber den Jugendlichen. ({0}) Herr Sauter, Sie haben mich auf dieses spezielle Problem der Gewalt angesprochen. Ich bin der Meinung, daß wir uns über diese Frage in diesem Hause noch einmal sehr eingehend unterhalten müssen. Wir müssen über das Verständnis von Gewaltfreiheit sehr eingehend diskutieren. Dafür müssen wir uns etwas mehr Zeit nehmen, als ich heute habe. Auf jeden Fall wäre das, was da in den jungen Leuten vorgegangen und kaputtgegangen ist, eine eigene Studie, eine eigene Enquete-Kommission wert. Es müßte einmal beispielhaft gezeigt werden, wie diese Staatsgewalt auf diese jungen Menschen wirkt. Die CSU-Staatsregierung jedenfalls, deren Ministerpräsident schon vorher angekündigt hatte, er wolle den jungen Leuten aufs Haupt hauen, fand kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung gegenüber den Jugendlichen. Das Gegenteil war der Fall. Die Folgerung war nämlich, daß man den Strafgesetzbuchparagraphen des Landfriedensbruchs wieder in die alte Fassung aus dem Kaiserreich glaubte bringen zu müssen. Genau das finden wir heute im Programm der CDU/CSU-Regierung und des CSU-Innenministers: die geplante Verschärfung dieses Paragraphen, daß man bei Demonstrationen, wo es zu Auseinandersetzungen kommt, in Zukunft auch Unbeteiligte wegen Landfriedensbruchs bestrafen kann. Ich bin nur gespannt, ob sich dann der Kollege Wissmann, der sich hier eben so sehr für Glaubwürdigkeit eingesetzt hat, im Sinne des Kommissionsberichts dagegen aussprechen wird und dagegenstimmen wird, daß solche Verschärfungen im Strafrecht entstehen. Ich meine, krasser, als ich es an den zwei Beispielen aufgezeigt habe, kann der Widerspruch zwischen dem wahrlich nicht revolutionären Kommissionsbericht und der politischen Wirklichkeit kaum sein. Es gibt nur die Folgerung: Auf die Parteien, die Politiker und die Parlamente können sich die Jugendlichen in diesem Lande nicht verlassen. ({1}) Der Bericht wird in riesigen Aktenbergen verschwinden, so wie die bunten Flecken an den Adlerflügeln sehr schnell verschwunden sind. Ihre Chance und Hoffnung besteht darin, daß ihr eigener Protest und Widerstand von immer breiteren Schichten auch der älteren Bevölkerung unterstützt und getragen wird und wir somit Veränderungen gewaltfrei von unten in diesem Lande durchsetzen können, gewaltfrei in Demonstrationen und Aktionen, von denen wir uns auch durch Verschärfung der Demonstrationsbestimmungen nicht abschrecken lassen, gewaltfrei beispielsweise bei der Arbeitslosendemonstration am 4. Juni hier in Bonn, zu deren Unterstützung ich aufrufen möchte, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, durch Streiks und Betriebsbesetzungen, im Einsatz für Arbeitszeitverkürzung, Betriebserhaltung und Ausbildungsplätze, in der Friedensbewegung, in der Anti-AKW-Bewegung, in der Umweltschutzbewegung. Die Hoffnung für die Jugend liegt nicht in diesem Hause, sondern in ihrem eigenen Einsatz, in der Tatsache, daß sie sich auch von der Staatsgewalt im Dienste der Konzerne nicht unterkriegen läßt. Das ist die eigentliche Hoffnung und Zukunftschance. Ich möchte schließen mit dem Zitat der Kommission aus dem Brief des Besetzerrats aus Berlin: Die Jugend könnt ihr nicht zum Patienten machen, wenn das System krank ist. Massive Kriegsvorbereitung, permanentes Risiko radioaktiver Verseuchung, Ausbeutung der Dritten Welt, Umweltschmutz überall, legales Spekulantentum mit unserem Wohnraum, lügende Politikermäuler, das sind die Symptome der Krankheit, die wir bekämpfen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Parlament zunächst mitteilen, daß sich der Bundeskanzler entschuldigen läßt. Er hat heute vormittag eine Konferenz mit dem Präsidium des Europäischen Gewerkschaftsbundes und mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Vorbereitung des europäischen Gipfels in Stuttgart, und zwar in seiner Eigenschaft als Präsident des Europäischen Rates. Es liegt auf der Hand, daß es bei dieser Besprechung vor allem um eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland geht. Ich bin fest davon überzeugt, daß die jungen Menschen, die diese Debatte verfolgen, dafür Verständnis haben, daß der Bundeskanzler bei dieser Gelegenheit und bei dieser Konferenz auch für sie seine Pflicht erfüllt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich zulassen?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Nein, danke schön. Ich möchte jetzt zur Sache reden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) - Ich bin gerne bereit, Zwischenfragen entgegenzunehmen. Sie kennen mich. Sie wissen, daß ich keine Zwischenfrage scheue. Aber ich möchte mich nicht mit Ihnen um diese Frage, die Sie jetzt hier künstlich hochbringen, auseinandersetzen. Die Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" des Deutschen Bundestages hat uns zwei Berichte vorgelegt, die von einem großen politischen Gewicht sind. Wir diskutieren jetzt den Abschlußbericht. Im Namen der Bundesregierung sage ich allen Dank, die daran mitgewirkt haben, den Sachverständigen, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und vor allem auch dem Vorsitzenden, Matthias Wissmann. Die Berichte der Enquete-Kommission bilden auch eine wichtige Grundlage für die kommende Arbeit der Bundesregierung. Ich will im folgenden auch konkrete Ausführungen zu dieser EnqueteKommission machen. Ich bin der Auffassung, daß über das hinaus, was jetzt schon geschieht, konkrete Konsequenzen aus diesen Berichten gezogen werden müssen. Welchen Fragen haben wir uns beim Studium dieses Enquete-Kommissions-Berichts zu stellen? Welche Fragen habe auch ich mir zu stellen? Welche Fragen hat sich die Bundesregierung zu stellen? Welche Erwartungen und welche Hoffnungen verbinden junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Arbeit, mit der Arbeit der Bundesregierung? Sicher gibt es den einen oder anderen, der der Auffassung ist, daß dies die falsche Fragestellung sei. Da gibt es viele, die sagen: Sagt doch den jungen Leuten, wo es langgeht! Da ist sogar ein bißchen was dran. Der Kommissionsbericht sagt doch ausdrücklich, daß junge Menschen auch Orientierungen suchten. Aber es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann vom Katheder herunter oder vor dem Fernsehen sagen, wo es langgeht. Das ist der eine Weg. ({1}) Man kann sozusagen die Marschbefehle ausgeben. Man kann es aber auch anders machen - und dies ist etwas, was der Kommissionsbericht uns allen empfiehlt -, nämlich versuchen, durch das Gespräch und durch den Dialog, durch Überzeugung einen gemeinsamen und richtigen Weg zu finden, einen Weg, den Ältere und Junge gemeinsam gehen, nicht gegeneinander, einen Weg, um die Zukunft zu gestalten. ({2}) Ich glaube, daß wir mindestens drei Folgerungen aus diesem Bericht ziehen sollten, auch auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre. Erstens. Wir müssen jungen Menschen Hoffnung geben. Ich bekenne mich ausdrücklich zu dem Satz, den der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung gesagt hat; denn es ist eines der Grundprobleme, das man erkennt, wenn man mit jungen Menschen redet, daß sie Angst haben, daß sie Furcht haben, daß sie Gefahr laufen, in die Hoffnungslosigkeit zu sinken. Wir müssen den jungen Menschen Hoffnung geben, indem wir ihre Probleme ernst nehmen. Das ist der erste Punkt. ({3}) - Ich werde dazu gleich etwas sagen. Wir müssen - und das gehört dazu - wahrhaftige Antworten geben, ({4}) keine leeren Versprechungen machen, ({5}) nur das sagen, was wir auch halten können. ({6}) - Ich habe genau gewußt, wie Sie reagieren würden, und ich sage es trotzdem. Jetzt will ich mal etwas zu den Ausbildungsplätzen sagen, weil hier Behauptungen aufgestellt worden sind. Im Jahre 1982 hat die deutsche Wirtschaft, haben Handel und Handwerk insgesamt 650 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Davon sind 630 000 besetzt gewesen, offengeblieben sind 20 000. Wir stehen in diesem Jahr vor dem Problem: Wir berechnen den Bedarf auf rund 655 000 Ausbildungsplätze, das sind etwa 30 000 mehr als im vorigen Jahr. Deswegen hat der Bundeskanzler mit Industrie, Handwerk und Handel gesprochen und die Zusage erhalten, daß 30 000 Ausbildungsplätze zusätzlich in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden. Ich will Ihnen jetzt einmal folgende Frage stellen. Im Jahre 1976 haben dieselben Verantwortlichen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt die Zusage für 100 000 Ausbildungsplätze gegeben. Diese Zusage ist eingehalten worden. Wie kommen Sie denn jetzt eigentlich dazu, im Mai zu behaupten, daß die Zusage für 30 000 Ausbildungsplätze bis zum Ende des Jahres 1983 nicht eingehalten werden könne? ({7}) - Nein, deswegen habe ich das gesagt. Sie sagen nicht die Wahrheit. Denn wenn Sie die Wahrheit sagen würden, dann würden Sie den jungen Menschen sagen, daß dieses Angebot bis zum Ende dieses Jahres gilt und daß Industrie, Handel und Handwerk auch im Jahre 1976 diese Zusage erfüllt haben. Sie machen etwas anderes: Sie wollen jungen Leuten Angst machen. Das ist der Punkt: jungen Leuten Angst machen. ({8}) - Das gilt für Sie genauso. ({9}) Sie sprechen im Mai dieses Jahres von der Resignation, die in die Köpfe und Herzen vieler junger Menschen einzieht. Sagen Sie den jungen Leuten die Wahrheit und geben Sie ihnen die Hoffnung, die in diesem Angebot enthalten ist, und zwar gemeinsam! Darum geht es. ({10}) Was die Wahrheit anbelangt, sage ich folgendes: ({11}) Im Kommissionsbericht ist ja darüber geredet worden, daß die Frage der Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie und der Politik eine große Rolle gespielt hat. Mein Vorredner hat j a starke Worte gebraucht. Ich stelle einmal an die jetzt 20jährigen, 22jährigen die Frage: Was haben Sie denn vor zehn Jahren als Schüler von der Bundesregierung gehört? Die Demokraktie fange erst an, der Friede werde immer sicherer, die Wirtschaft kenne keine Grenzen. Ein deutscher Bundeskanzler hat damals die staatliche Vollbeschäftigungsgarantie ausgesprochen. Das hat man doch durch die Medien und die Schulen zu den jungen Leuten transportiert. Jetzt erleben dieselben jungen Leute - zehn Jahre älter geworden -, wenn sie in das Erwachsenenleben hineingehen, genau das Gegenteil von dem, was die damals Verantwortlichen ihnen als Schülern versprochen hatten: sie erleben die Massenarbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit; der Friede ist nicht sicherer, sondern unsicherer geworden; die Wirtschaft stößt an die Grenzen ihres Wachstums. Da habe ich Verständnis dafür, daß einige in die Resignation gehen und daß viele protestieren. Nur bin ich der Auffassung, daß sich der Protest gegen diejenigen richten muß, die damals falsche Versprechungen gemacht haben. Das ist der Punkt. ({12}) Wir möchten diese Fehler nicht wiederholen. Deswegen sagen wir zur Diskussion um diesen Jugendbericht in dieser Konsequenz nur das, was wir auch realisieren können. ({13}) - Ich kann j a einen Moment still sein, damit die Diskussionen zu Ende geführt werden können. ({14}) Aber ich würde doch folgendes zu bedenken geben: Bei dieser Frage dürfen wir auch um der Wahrheit willen nicht den Eindruck erwecken, als ob die Probleme, die wir heute vorfinden, schnell gelöst werden könnten. ({15}) Die Probleme der Arbeitslosigkeit und auch die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit sind groß. Wir würden unseren jungen Mitmenschen Steine statt Brot geben, ({16}) wenn wir ihnen die Illusion mit auf den Weg gäben, wir könnten die Probleme, an denen Sie in den letzten 13 Jahren kräftig mitgewirkt haben, innerhalb von 13 Monaten erledigen. Das ist nicht möglich. ({17}) Aber wir werden konkrete Folgerungen ziehen. Sie haben vorhin gelacht, weil ich gesagt habe, wir müßten die Probleme ernst nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde dies überhaupt nicht lächerlich! ({18}) Denn die Probleme sind groß geworden, sie sind ernst geworden. Wenn ich dies sage, meine ich nicht, daß wir jungen Leuten nach dem Munde reden sollten. Junge Leute brauchen auch den Widerspruch, und sie brauchen die Vermittlung der Erfahrungen älterer Mitbürger. Ich sage auch ganz klar: Vor allem sollte jeder junge Mensch wissen, daß er auf den Schultern derjenigen steht, die vor ihm waren, die vor ihm die Arbeit geleistet haben - dazu gehört auch ein geschichtliches Verständnis -, auf den Schultern derjenigen, die vor ihm die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit aufgebaut und die Freiheit gesichert haben. Deswegen paßt es in die Diskussion über diesen JugendbeBundesminister Dr. Geißler richt, daß wir sagen: Die älteren Mitbürger, die nach dem Kriege dieses Land aufgebaut haben, verdienen auch den Dank und die Anerkennung unserer jungen Leute. ({19}) - Ich kann mich nur darüber wundern, daß Sie da protestieren. Aber wir würden den Problemen unserer Jugend nicht gerecht, wenn wir nicht unsere Augen für das öffneten, was sich grundsätzlich geändert hat. Wir haben im letzten Wahlkampf - den ich nicht heraufbeschwören will - eine Diskussion über das Thema „Klassenkampf von oben nach unten und Umverteilung von unten nach oben" gehabt. Ich wiederhole: Dies scheint uns wirklich nicht der zentrale Konflikt der heutigen Gesellschaft zu sein. Heute lebt nicht eine Klasse auf Kosten der anderen, sondern es besteht die Gefahr, daß die jetzt lebende und tätige Generation auf Kosten der zukünftigen lebt. ({20}) Dies muß auch im Zusammenhang mit den Sparmaßnahmen gesagt werden, ({21}) die wir durchführen müssen. Das Thema „Staatsverschuldung" gehört in dieses Kapitel. ({22}) Die älteren von uns haben noch die Tyrannei und die Unfreiheit erlebt. Ich persönlich habe in meinem eigenen Leben Hunger leiden müssen; ich war 14 Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Deswegen waren für viele von uns Freiheit und Sicherung des Wohlstands in einer neuen Gesellschaft ein überwältigendes Erlebnis. Aber Freiheit und Wohlstand sind heute selbstverständlich geworden, und das finde ich auch gar nicht schlecht; es bestätigt den Erfolg, den wir in dieser Gesellschaft und mit unserer Politik gehabt haben. Aber es ist auch richtig, daß viele nicht nur eine kalte, isolierte Freiheit wollen, sondern sich auch Sicherheit wünschen, Geborgenheit, Wärme, überschaubare Verhältnisse. Es ist auch richtig, daß sich viele nicht mit dem Wohlstand zufriedengeben, sondern Fragen stellen nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn der Politik, Fragen, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen. Ich halte dies für eine gute Entwicklung, die manchen von uns, die viele Ältere herausfordert. Daß die Frage nach dem Sinn des Lebens oder der Politik vor allem bei jungen Menschen eine Rolle spielt, hat ja seine Ursachen. Die Probleme der heutigen Welt sind existentiell von einer anderen Qualität als die früheren Probleme. Es sind Probleme wegen der Ausbeutung der Natur, es sind Fragen, die z. B. deswegen entstehen, weil die Entwicklungsländer wegen einer falschen Energiepolitik ({23}) - weil die Energiepreise zu hoch sind - pro Jahr tropische Regenwälder in der Größenordnung der Bundesrepublik Deutschland abholzen müssen mit allen negativen Konsequenzen für das ökologische System. ({24}) - Treten Sie bitte einmal für eine realistische Energiepolitik ein, die nicht dazu führt, daß durch eine falsche Energiepolitik der Industriestaaten die Energiepreise in den Entwicklungsländern hochgetrieben werden! ({25}) Der Hunger in der Welt, die Angst vor einem atomaren Krieg, das alles begründet existentielle Angst um das Überleben der gesamten Welt, und das ist qualitativ etwas anderes als früher. Es ist klar, daß Menschen, die ihr Leben noch vor sich haben, junge Menschen, diese Probleme in einer anderen Schärfe empfinden als diejenigen, die das Leben hinter sich oder fast hinter sich haben. Was ist also unsere Aufgabe? Ich habe von den wahrhaftigen Antworten gesprochen. Wir, die Bundesregierung, sagen den jungen Menschen, daß wir sie brauchen. Wir wollen nicht, daß sie den Eindruck bekommen, sie seien überflüssig und wir brauchten sie nicht. ({26}) Aber wir sagen ihnen auch: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Wir sagen ihnen, daß Aussteigen unsozial ist; denn wer etwas leisten kann, wer leistungsfähig ist, hat dazu auch eine moralische Verpflichtung, weil wir sonst denen nicht helfen können, die zur Leistung nicht mehr in der Lage sind, nämlich den Alten, den Kranken und den Behinderten. ({27}) Es ist richtig: Damit die jungen Menschen die Möglichkeit haben, etwas zu leisten, müssen wir dafür sorgen, daß die jungen Frauen und Männer, wenn sie die Schule verlassen, beruflich nicht vor einer vernagelten Welt stehen, sondern einen Ausbildungs- und einen Arbeitsplatz finden können. Das ist eines der zentralen Probleme, die auch in der Kommission genannt wurden, neben der Sicherung des Friedens und der Umwelt. In diesen drei wichtigen Gebieten müssen wir entscheiden und handeln: ({28}) handeln für den Frieden durch Abrüstung, aber durch beiderseitige Abrüstung. ({29}) Damit ist nicht vereinbar, daß eine Reihe von verantwortlichen Politikern heute schon hergehen und die Abrüstungsverhandlungen, die gestern in Genf wieder aufgenommen wurden, von vornherein für gescheitert erklären. ({30}) Wer so handelt, leistet keinen Beitrag zur Sicherung des Friedens. Wir werden alles tun, damit es in Genf zu Ergebnissen kommt, und zwar zu vertrag342 lich abgesicherten Ergebnissen. Wir erklären diese Verhandlungen nicht von vornherein für gescheitert. ({31}) Wir müssen auch für den Schutz der Natur und der Umwelt handeln. Die neue Bundesregierung hat auf diesem Sektor in wenigen Monaten mehr geleistet, Besseres entschieden als die alte Regierung in den vergangenen drei Jahren. Dies will ich auch einmal festhalten. ({32}) Ich sage hier ganz offen: Bürokratische Maßnahmen werden an ihre Grenzen stoßen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gehört auch zur Pflicht der Wahrhaftigkeit, daß wir den jungen Menschen nicht einen Alternativradikalismus beim Umweltschutz predigen, weil dieser nicht realisierbar ist, weil er unsere Arbeitsmarktprobleme nicht löst und uns gleichzeitig nicht in die Lage versetzt, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu haben, um den Umweltschutz zu finanzieren. Bürokratische Maßnahmen werden an ihre Grenzen stoßen. Deshalb wiederhole ich, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung gesagt hat: Wir brauchen eine Umkehr in der Umweltschutzpolitik, eine Veränderung. Es heißt in der Regierungserklärung wörtlich: Das Eigeninteresse der Wirtschaft am Umweltschutz muß gestärkt werden. Umweltfeindliche Produktionsverfahren dürfen sich nicht lohnen. Umweltfreundliches Verhalten muß sich auch wirtschaftlich auszahlen. Dies ist der richtige Weg. Jetzt will ich etwas zur Jugendarbeitslosigkeit sagen, weil dies eine sehr große Rolle gespielt hat. ({33}) Die Konsequenzen müssen gezogen werden. Unabhängig davon möchte ich schon jetzt folgende 20 Maßnahmen und Entscheidungen der Bundesregierung nennen, die eine Antwort auf wichtige Probleme des Kommissionsberichts enthalten. ({34}) 1. Das wirtschaftliche Wachstum wurde hier angegriffen. Aber ohne wirtschaftliches Wachstum können wir auch die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit nicht lösen. Aber das wirtschaftliche Wachstum muß ergänzt werden durch gezielte Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt. Ich nenne hier - das wird Sie vielleicht wundern - die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, für die wir im kommenden Haushalt 500 Millionen DM, also eine halbe Milliarde DM, zur Verfügung stellen, weil sie auch jungen Arbeitnehmern die Möglichkeit gibt, nicht nur vom Lohn leben zu müssen, sondern Eigentum am Produktivkapital zu erwerben. ({35}) Gleichzeitig verstärken wir mit dieser Maßnahme auch die Eigenkapitalbildung der Unternehmen. ({36}) Jetzt will ich Ihnen folgendes sagen. Es ist gesagt worden, wir würden große Unternehmen fördern. ({37}) Sie tun so, als sei Ihnen unser Mittelstandsprogramm unbekannt, obwohl Sie es doch ununterbrochen angreifen. Wir fördern den Mittelstand, weil wir junge Menschen nicht dazu verurteilen wollen, als Pendler, womöglich noch in einer sozialistischen Campinggesellschaft, 100 oder 150 Kilometer weit entfernt einen Arbeitsplatz suchen zu müssen. Wir brauchen viele kleine und mittlere Unternehmen, damit die Menschen dort einen Arbeitsplatz finden, wo sie wohnen. ({38})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Nein, vielen Dank. 2. Die Bundesregierung wird die Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen fördern, vor allem in dem Bereich, wo sie politische Verantwortung trägt. Der Bundesminister des Innern ist gestern in der Kabinettssitzung gebeten worden, für den öffentlichen Dienst die dafür notwendigen beamtenrechtlichen Vorschriften zu verbessern, weil hier erhebliche Lücken vorhanden sind, ({0}) die Hindernisse darstellen, mehr Teilzeitarbeitsplätze für Beamte im öffentlichen Dienst anbieten zu können. 3. Wir werden, soweit notwendig, die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß dort, wo es betriebswirtschaftlich möglich ist, die moderne Form der Arbeitsplatzteilung, also das sogenannte Job-sharing, verwirklicht werden kann. ({1}) 4. Wir sind der Auffassung, daß der Versuch gewagt werden muß - was z. B. die Junge Union vorgeschlagen hat -, das Ausbildungsplatzsharing, also eine Ausbildungsplatzteilung zu verwirklichen. Ausbildung auf Vorrat und damit verbunden die Chance auf einen Arbeitsplatz sind besser als Arbeitslosigkeit wegen mangelnder beruflicher Qualifikation. ({2}) 5. Wir wollen eine Verbesserung der flexiblen Lebensarbeitszeit. Wir halten es für besser, einem älteren Arbeitnehmer, der freiwillig früher in Rente gehen will, eine Übergangsrente als einem jungen Arbeitslosen das Arbeitslosengeld zu finanzieren. Deswegen hat flexible Lebensarbeitszeit etwas mit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. 6. Wir werden die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Größenordnung von 1,13 Milliarden DM auch im nächsten Haushaltsjahr weiterführen. 7. Wir wollen den jungen Menschen, die durch geistige, körperliche und soziale Behinderungen besonders benachteiligt sind, besonders helfen, und zwar durch ein entsprechendes Programm des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft und durch Maßnahmen der Jugendhilfe. 8. Ich werde 1984 ein neues Modellprogramm mit dem Ziel starten, jugendliche Arbeitslose durch eine besondere pädagogische Begleitung während der Arbeitslosigkeit zu einer sinnvollen Arbeit zu führen und für aussichtsreiche Berufe zu qualifizieren. ({3}) 9. Im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres arbeiten zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland 8 000 junge Menschen. Wir wollen diese Möglichkeiten auch in den kommenden Jahren weiter ausbauen. ({4}) - Ja, ich bin für konkrete Maßnahmen. Das ist besser, als Sprüche zu machen. ({5}) 10. Unsere besondere Sorge gilt auch den jungen Menschen, die aus den kommunistischen Staaten Osteuropas, aus der DDR oder als Flüchtlinge aus anderen Kontinenten zu uns kommen. 30 000 junge Menschen werden so mit Hilfe des Jugendplans gefördert. 11. Ich halte auch die Anregung der Kommission für richtig, in schlecht versorgten Regionen, überall dort, wo Ausbildungsplatzmangel herrscht, einen Ausbildungsverbund der dort ansässigen Firmen zu schaffen. Die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft wird dafür ein Programm realisieren. Ich möchte ihr in diesem Zusammenhang herzlich danken für ihr Bemühen, in ständigen Kontakten mit den verantwortlichen Stellen diese Ausbildungsplatzgarantie zu realisieren. ({6}) 12. Dasselbe gilt für die Vorschläge zur Verbesserung der Ausbildung von schwerbehinderten Jugendlichen und zur Beseitigung der Benachteiligung von Mädchen und ausländischen Jugendlichen. Außerdem - das ist der 13. Punkt - bereitet die Bundesregierung eine Änderung der rechtlichen Bestimmungen vor, um Ausbildungshindernisse für junge Menschen zu beseitigen; wobei es selbstverständlich ist, daß die Substanz und die Grundsätze des Jugendarbeitsschutzes nicht beeinträchtigt werden. ({7}) 14. In Übereinstimmung mit der Enquete-Kommission unterstützt die Bundesregierung Bemühungen, Arbeitsplätze auch in alternativen Projekten mit modellhaftem Charakter zu schaffen. Dabei komme ich noch einmal auf einen Diskussionsbeitrag zu sprechen. Da ist die Rede gewesen von der Projektgruppe „Ufa-Fabrik" in Berlin. Ich will Ihnen sagen, was los ist: ich bin vor zwei Tagen noch mit dem zuständigen Senator zusammen gewesen und habe mit ihm über diese Sache gesprochen. Das Bezirksamt Tempelhof hat der „Ufa-Fabrik" einen Mietvertrag angeboten; der liegt vor. Zur Zeit wird lediglich noch über den Mietpreis verhandelt. Ich bin fest davon überzeugt, daß diese Frage gelöst werden kann. Projektunterstützung hat es in der Tat nie gegeben, und zwar deswegen, weil die „Ufa-Fabrik" - das wissen Sie vielleicht nicht - eine solche Projektunterstützung auf Grund ihres Selbstverständnisses noch nie verlangt hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde Ihnen vorschlagen, daß Sie, wenn Sie über einen solchen Komplex reden, die Wahrheit sagen und nicht Agitation machen. ({8}) 15. Wir werden den Bundesjugendplan weiter in vollem Umfang erhalten. Wir werden auch in der Zukunft Jugendverbände ebenso fördern wie offene Jugendarbeit. Wir werden die sportliche Jugendarbeit ebenso fördern wie die politische und kulturelle Bildung und das soziale Engagement junger Menschen. Ich erkläre ausdrücklich, daß die Sorge der Bundesregierung auch den jungen Menschen gilt, die abseits stehen, die sich verweigern wollen oder ihre Erfüllung in alternativen Lebensformen suchen. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bemühungen einiger Bundesländer und nenne hier beispielhaft die anerkannte Arbeit des Berliner Senats. Aber ich möchte hier auch folgendes sehr klar und deutlich sagen: Wir denken auch an die große Anzahl von Hunderttausenden, von Millionen junger Menschen, die in vielen Vereinen, in den Sportvereinen wie in den Musikvereinen, in anderen Organisationen, etwa in kirchlichen Jugendgruppen, ({9}) ihre Arbeit mit Engagement leisten und damit auch ein Beispiel für andere geben. ({10}) Viele kümmern sich um ihre Mitmenschen und setzen so ein Beispiel. Wir begrüßen dieses Engagement ausdrücklich, das von der Behindertenarbeit der Pfadfinder über die Entwicklungshilfe kirchlicher Jugendverbände bis zum selbstlosen Dienst - und jetzt sage ich es ausdrücklich - in der Jugendfeuerwehr und im Jugend-Rot-Kreuz reicht. ({11}) Diesen Einsatz werden wir fördern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe hier nur folgende Anregung: Ich glaube, es wäre auch im Sinne des Kommissionsberichts besser, wenn die Medien - ich denke hier auch an die öffentlich-rechtlichen Medien ({12}) vielleicht weniger oft radikale Auftritte von 50 Leuten, aber dafür mehr das soziale Engagement von Millionen von jungen Menschen auf dem Bildschirm zeigen würden. ({13}) 16. Ich sage ausdrücklich, daß wir in diesem Sinne alles tun werden, um Interessen, Neigungen und Fähigkeiten junger Menschen zu fördern. Hierzu gehören so erfolgreiche Bundeswettbewerbe wie „Jugend musiziert", aber auch wie „Jugend forscht". ({14}) - Ja, sprechen Sie doch einmal mit den jungen Leuten! Sie haben doch gar keine Ahnung, was die meisten jungen Leute in der Bundesrepublik Deutschland bewegt! Da haben Sie doch gar keine Ahnung! ({15}) Tausende, Hunderttausende beteiligen sich an diesen Projekten. Wir werden einen neuen Wettbewerb durchführen, den Wettbewerb sozialer Initiativen, mit dem wir durch besondere Beispiele praktischer Menschlichkeit Zeichen setzen wollen. 17. In diesem Sinne wird auch das Jugendwohlfahrtsgesetz von der Bundesregierung novelliert werden, vor allem aber mit der Zielsetzung, den Problemen junger Menschen und ihrer Familien besser gerecht zu werden als frühere Projekte. Das heißt: Jugendhilfe mit und in der Familie und nicht gegen die Familie; das ist etwas Wichtiges. ({16}) Auch werden wir den Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe stärker betonen. 18. Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen: Die Bundesregierung beobachtet mit großer Sorge die zunehmende Darstellung von brutaler und menschenverachtender Gewalt. Die Reform des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit sollte deshalb im Parlament so bald wie möglich verabschiedet werden. ({17}) Videoautomaten mit Tötungsspielen, Killerautomaten, Programme mit Gewalttätigkeit und kriegsverherrlichende Darstellungen sind menschenverachtend und zerstören die seelische Entwicklung junger Menschen. ({18}) Ich will keine muffige Zensur einführen, aber ich möchte den Geschäftemachern, die mit solchen Gewaltdarstellungen ihr Geld verdienen wollen, das Handwerk legen. Ich glaube, das ist das, was wir brauchen. ({19}) 19. Gewaltverbrechen sind immer schlimm. Ich möchte hier auf zwei Punkte zu sprechen kommen. Es gibt zwei Arten von Gewaltverbrechen, die ich besonders verabscheuungswert finde. Ich nehme Diskussionsbeiträge auf, die in der Diskussion um die Regierungserklärung hier gebracht worden sind. Es sind dies Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Frauen. Noch immer sind falsche Vorstellungen - ich möchte das hier in aller Ruhe sagen - über die Vergewaltigung und die Mißhandlung von Frauen verbreitet. Die Hauptursache dafür sind falsche Erziehung, Darstellungen über sexuelle Gewalt in Bild, Schrift und Ton und sehr oft falsche gesellschaftliche Klischeevorstellungen. Die Bundesregierung wird durch verbesserte Information und z. B. durch die Neuregelung des Jugendschutzes ihren Beitrag dazu leisten. Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung von Frauenhäusern. ({20}) Wir finanzieren entsprechende Modelle einschließlich einer Aktion „Notruf für vergewaltigte Frauen". Dies wird weiter fortgeführt. ({21}) 20. Letzter Punkt. Die Jugendlichen suchen heute nicht nur materiellen Wohlstand und soziale Sicherheit - ich habe das am Anfang gesagt -, sondern auch Geborgenheit und Sinnerfüllung. Das Fundament für eine Entwicklung, wie wir sie für richtig halten und wie sie auch dem Kommissionsbericht entspricht, dieses Fundament für eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht, wie sie in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers dargestellt worden ist, ist die Familie. Dort lernen junge Menschen, wenn die Familie ihre partnerschaftliche Aufgabe richtig erfüllt, Tugenden und Verhaltensweisen, die unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht geben können: Liebe und Vertrauen, Toleranz und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung. Ich habe ausdrücklich von der „partnerschaftlichen" Familie gesprochen. Die Bundesregierung und wir christlichen Demokraten vertreten nicht das Leitbild einer patriarchalischen Familie, sondern wir gehen von der partnerschaftlichen Familie aus. Dies bedeutet, daß wir auch die Eltern bitten, in der Zeit, in der die Kinder groß werden, gemeinsame Interessen zu schaffen, immer gesprächsbereit zu bleiben, Autorität zu zeigen, aber vor allem durch das persönliche Vorbild zu beweisen. ({22}) Dies gilt auch für die Familie. Dadurch, daß wir andere zum Schweigen bringen - das gilt auch für die eigenen Kinder - haben wir sie noch lange nicht überzeugt. Nach einer gestern veröffentlichten Umfrage ist für 83 % aller Frauen und 76 % aller Männer die eigene Familie das Wichtigste. 1976 noch hatten bei einer Umfrage 36 % aller Männer und 37 % aller Frauen behauptet, daß man keine Familie braucht, um wirklich glücklich zu sein. Hier zeigt sich ein positiver Weg. Hier zeigt es sich, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Jede Stärkung der Familie bedeutet Hoffnung für die Jugendlichen, daß sie in eine Gesellschaft hineinwachsen, in der Wärme, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe herrschen können. Ich glaube, wir können für unsere jungen Menschen nichts Besseres tun, als uns für eine solche Gesellschaft mit einem menschlichen Gesicht einzusetzen, in der sie statt mehr Bürokratie, mehr Anonymität und mehr Kollektivismus mehr Selbstverantwortung, Bürgersinn und Nächstenliebe erfahren können. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen ({0}).

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Geißler, Herr Bundesminister Geißler - ich weiß ja nicht, in welcher Eigenschaft Sie hier gesprochen haben -, das war wohl eher eine Rede zur Vorbereitung Ihrer demagogischen Rede auf dem Parteitag der CDU und nicht eine Auseinandersetzung in der Sache. ({0}) Wissen Sie, Herr Geißler, wenn Sie hier die Feuerwehrjugend in Stellung bringen gegenüber einer Minderheit anderer Jugendlicher, dann ist das genau der Punkt, wo Sie versuchen wollen, die Mehrheitsjugend zu streicheln, um sie gegen andere Jugendgruppen auszuspielen. ({1}) Sie hätten davon reden müssen, daß es auch die Jugend der Gewerkschaften gibt, die Jugend der Arbeiterwohlfahrt und Friedensgruppen, die genauso ihr soziales Engagement in die Gesellschaft hineintragen. ({2}) Ausgerechnet Sie, Herr Geißler, stellen sich hier hin als ein Apostel der Wahrheit, als ein Apostel der Gemeinsamkeit! Sie haben mit Ihrer Person ganz besonders dazu beigetragen, daß die Glaubwürdigkeit der Politik erheblichen Schaden genommen hat. ({3}) Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Ich nehme Sie erst dann ernst, wenn Sie hier vor dem Deutschen Bundestag Ihren „Verbrecher"-Vorwurf gegen die Sozialdemokratie zurückziehen. ({4}) Wissen Sie, Herr Geißler, Sie haben die Frage nach den Ausbildungsplätzen herausgenommen. Ich will Ihnen, weil hier soviel geredet wird von denen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig seien, dazu eines sagen: Der Kanzler hat in jener Anzeige - Sie kennen sie ganz genau ({5}) im Februar dieses Jahres ganz deutlich erklärt: Für jeden ist eine Lehrstelle da. Es hieß da, die Kanzlerinitiative schaffe 30 000 Ausbildungsplätze. Da ist nicht von Ausbildungswilligkeit und nicht von Ausbildungsfähigkeit die Rede. Jeder junge Mensch soll seine Lehrstelle, die er braucht, erhalten können. Daran werden wir Sie am Ende dieses Jahres messen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Weisskirchen, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter zulassen?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich, Herr Sauter.

Alfred Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001925, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie fragen, auf welche Parteitagsrede Sie sich gerade vorbereiten? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Sauter, Ihre Zwischenfrage zeigt genauso wie die Rede des Herrn Geißler ganz klar, daß Sie überhaupt nicht begriffen haben, was in dem Bericht der Jugend-Enquete steht. ({0}) Herr Wissmann, da geht es nicht nur um Gefühle der sozialen Ungerechtigkeit, die Sie beschworen haben, da geht es darum, daß Hunderttausende junger Menschen - die Arbeitgeberverbände selber sagen, mindestens 600 000 - eine Berufschance erhalten. Herr Geißler, Sie haben vorhin die jungen Menschen apostrophiert und gesagt, es gehe um einen Ausstieg. Nein, es geht darum, daß wir diesen jungen Menschen den Einstieg in die Gesellschaft verschaffen. Darum geht es. ({1}) Diesen jungen Menschen helfen Sie, Herr Wissmann und Herr Geißler, überhaupt nicht, indem Sie Gemeinschaft beschwören. Denen helfen Sie nur, wenn Sie daran mitwirken, daß ihnen Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. ({2}) Solche Reden, wie Sie sie hier gehalten haben, sind im Grunde nur eine Bestätigung des Befundes der Enquete-Kommission. Das sind Gründe für Verhärtungen und Gleichgültigkeit. ({3}) - Herr Wissmann, ich bin Ihrer Rede sehr genau gefolgt. Der entscheidende Punkt ist der, daß Sie, Herr Wissmann, jetzt die Chance gehabt haben und Weisskirchen ({4}) noch hätten, in der Regierungserklärung und in der weiteren Arbeit dieser Regierung zu beweisen, an welchem Punkt Sie die Chancen für die Jugend ernst nehmen. Aber was tun Sie in Wirklichkeit? Sie schneiden - das hat gestern das Kabinett beschlossen - erneut ein auch in soziale Besitzstände arbeitsloser Jugendlicher. Das ist Ihr Umgang mit der Jugend. ({5}) Übrigens, wenn wir über Jugendprotest reden, dann ist das ja nicht nur eine Angelegenheit von jungen Leuten. Wer Gleichgültigkeit oder auch Abwehr gegenüber der Politik auflockern will, der darf, Herr Wissmann, übrigens den Spiegel nicht nur anderen vorhalten, sondern muß auch selber den Mut haben, in den Spiegel zu gucken, den andere uns vorhalten. Dann müssen wir uns eben einigen unbequemen Fragen stellen. ({6}) - An uns alle. Für welche Zukunft, Herr Wissmann, wollen wir eigentlich die Jugend gewinnen? Etwa für die Freiheit, auf den Autobahnen mit 180 Stundenkilometern davonjagen zu können? Oder wollen wir die Jugend dafür gewinnen - vorhin hat Herr Geißler auch über Gewalt im Fernsehen, Video usw. gesprochen -, daß wir alle und ganz besonders unsere Kinder an die 35 Kabelfernsehprogramme angeschlossen werden, die doch zu nichts anderem taugen als dazu, uns an die Verkaufsstrategien der großen Konzerne anzukabeln? ({7}) Wir müssen uns diesen Fragen erst einmal stellen. Warum sagen wir nicht, daß die beschleunigte Aufrüstung ein Verbrechen an der Menschheit ist, wenn wir zulassen, daß jährlich über 1 500 Milliarden DM ausgegeben werden, damit wir uns gegenseitig besser umbringen können, während in dem gleichen Zeitraum 15 Millionen Kinder sterben müssen, nur weil sie nichts zu essen haben. Das sind doch die entscheidenden Fragen, die von den Jungen an uns gestellt werden. ({8}) Und weil das von vielen, nicht nur von Jugendlichen, so empfunden wird, ist dann eigentlich die Antwort des Jugendprotests nicht auch ein Fingerzeig an uns, von dieser Politik abzukehren?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Weisskirchen, haben Sie die Absicht, eine Zwischenfrage des Kollegen Kroll-Schlüter zu beantworten?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei Ihnen immer, Herr Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weisskirchen, wollen Sie den Zuhörerinnen und Zuhörern nicht auch erklären, woran es gelegen hat, daß zu Zeiten der Kanzlerschaften Brandt und Schmidt in diesem Jahrzehnt sehr stark aufgerüstet worden ist, und zwar so stark, wie kaum in einem Jahrzehnt zuvor?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wissen Sie: Zunächst erinnere ich mich sehr gut, Herr Kroll-Schlüter, daß in diesem Deutschen Bundestag Sie in aller Regel Verteidigungshaushalte der sozialliberalen Koalition abgelehnt haben, weil zu wenig Aufrüstung bezahlt werden sollte. ({0}) Daran erinnere ich mich sehr gut. Wir werden ja die Nagelprobe am Ende dieses Jahres erleben. ({1}) Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, müssen Sie auch ein positives Wort zu dem sagen, daß es junge Leute - und nicht nur junge Leute - gibt, die versuchen wollen, die Aufstellung von Raketen auf unserem deutschen Boden zu verhindern. Wenn Sie dazu bereit sind, bin ich auch bereit, mit Ihnen in einen offenen Dialog einzutreten. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie auch eine zweite Zwischenfrage beantworten, Herr Weisskirchen? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist schade, daß Sie nicht darauf eingegangen sind. Aber ein Urteil steht mir nicht zu. Nun frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, daß es Sozialdemokraten, z. B. Herr Bahr, waren, die dafür gekämpft haben, daß das Fernsehprogramm pro Tag um mehrere Stunden ausgeweitet wird. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, Herr Kroll-Schlüter, ob Sie mit dieser Frage eine Flucht nach vorn antreten wollen; denn Sie sind dafür, daß wir unsere Fernsehprogramme ausgeweitet bekommen. ({0}) - „Gott sei Dank"! Sehen Sie, Sie kriegen also Ihre Antwort von Ihrer eigenen Koalition. Ich möchte mich jetzt der Sache zuwenden. Wir sollten versuchen, den jungen Menschen Ausbildungschancen anzubieten, die ihren Wünschen entsprechen. In der Shell-Studie, die ja eine erhebliche Grundlage für die Arbeit der Kommission war, ist ermittelt worden, daß 98% aller jungen Menschen einen Ausbildungswunsch haben. Das heißt: Sie wollen einsteigen in unsere Gesellschaft. Sie wollen einen Beruf haben, in dem sie ihre Leistungskraft, ihre Leistungsfähigkeit entwickeln können. Nur zwei Prozent sind anderer Auffassung. Weisskirchen ({1}) Herr Geißler, das Problem können Sie nicht durch schöne Reden wegdiskutieren. Daß 1982 36 000 Ausbildungsplätze gefehlt haben, wissen wir. Wir wissen aber auch, daß 1983 die Schere sich noch mehr weiten wird und die Gefahr besteht, daß Hunderttausende von jungen Menschen ohne Ausbildung und auch ohne Arbeitschance bleiben. Dagegen müssen wir etwas tun. Und da hilft es den jungen Menschen überhaupt nicht, sie mit der falschen Parole der Ausbildungsfähigkeit und der Ausbildungsmöglichkeit zurückzustoßen und ihnen sozusagen den Schwarzen Peter zuzuschieben, als seien sie selber daran schuld, daß sie keinen Ausbildungsplatz bekämen. ({2}) Die Wahrheit ist doch - Herr Geißler, das wissen Sie genauso gut wie wir -, daß die Arbeitgeber die Verantwortung dafür haben, daß die Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Sie haben die Pflicht, die Ausbildungsplätze für die jungen Leute zur Verfügung zu stellen. Es kommt jetzt darauf an, daß wir diejenigen, die darüber verfügen, haftbar machen und sie an dem messen, was sie tun. Sie können damit rechnen, daß wir dann in diesem Parlament unsere Anträge zur Abstimmung stellen werden. Wenn nämlich solchen jungen Menschen Ausbildung und Arbeit verweigert werden, dann ist dies ein Hinweis darauf, daß die Gesellschaft ihren eigenen Entwurf nicht verwirklicht, denn der Kern unseres Verständnisses von Leben in unserer Gesellschaft ist doch, daß sich die jungen Menschen in Beruf, in Ausbildung und in Arbeit verwirklichen können. Was bedeutet es denn, wenn einer wachsenden Zahl von jungen Menschen diese Chance verweigert wird? Was bleibt denn da bei diesen jungen Menschen übrig, in ihren Herzen, von denen Sie gesprochen haben, Herr Geißler? Werden da nicht Zweifel gesät, ob unsere Gesellschaft imstande ist, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden? Oder, was für mich noch sehr viel schlimmer ist, verstärkt nicht Ihre Rede von der Ausbildungsfähigkeit den Selbstvorwurf, selbst daran schuld zu sein, wenn man keinen Ausbildungsplatz gefunden hat? Ist das vielleicht „die Gesellschaft mit menschlichem Gesicht", wenn sich der einzelne junge Mensch tiefer in den eigenen Schuldvorwurf verstrickt? Ich sage Ihnen, was das Ergebnis der von Ihnen betriebenen Politik ist: Am Ende wird nicht die Vision einer solidarischen Gesellschaft stehen, am bitteren Ende steht die Brutalität einer Ordnung, bei der der Nächste seinen Nächsten auszustechen versucht. Das beginnt schon bei den kleinen Kindern in der Grundschule, wo die Zehntelnote darüber entscheidet, welchen Weg der einzelne in der Zukunft findet. ({3}) Im übrigen, Frau Dr. Wilms: Wir können ja über alles diskutieren, aber ich lehne es ab, wenn Sie Schuld an andere, zuzuweisen versuchen. Denn wenn Sie davon reden, die Konfliktpädagogik sei daran schuld, daß es Konflikte in der Gesellschaft gebe, ({4}) dann kann ich eigentlich nur zurückfragen: Wollen Sie damit die harte Arbeit, die Lehrer und Erzieher Tag für Tag für unsere Kinder an den Schulen leisten, abqualifizieren und den Lehrern sagen: Hört einmal zu, jetzt müßt ihr aber mit den Kindern wieder von oben nach unten umgehen? Das ist vielleicht ein Verständnis von Konfliktpädagogik, das überhaupt nie, an keiner Schule - bisher jedenfalls nicht; hoffentlich wird das auch so bleiben - Platz gegriffen hat. ({5}) - Wenn Sie mich hier ständig angreifen, dann geht das nicht anders. ({6}) - Ein nächster Punkt, Herr Daweke. Die Ausbildungsförderung - darüber bestand doch eigentlich Konsens vor zehn Jahren, als wir gemeinsam an diesem Punkt begonnen haben - war doch die materielle Grundlage dafür, daß auch jungen Menschen materiell die Chance gegeben wurde, ihren Anspruch auf Chancengleichheit zu verwirklichen. Das kam, wie wir in den Statistiken nachlesen können, insbesondere Kindern aus einkommensschwachen Familien, besonders Arbeiterkindern zugute. Wer die soziale Ausbildungsförderung zerstört, der nimmt vielen Jungen und Mädchen genau das, was sie zur Verwirklichung ihrer Bildungschancen brauchen, nämlich die materielle Grundlage dafür. Ab August - wir werden das ja alle demnächst erleben -, wenn das BAföG gestrichen ist, wenn die Ausbildungsplatzsituation schwieriger werden wird, dann werden die Eltern am eigenen Leibe verspüren, was denn die „geistig-moralische Erneuerung" eigentlich heißt. Es ist für sie nichts anderes als der Griff in mühsam errungene soziale Besitzstände. Das lehnen wir ab. ({7}) Dann wird auch offenbar, was sich hinter dem, was Sie mit Ihrer Rede zu verschleiern versucht haben, verbirgt. Chancengleichheit, die Öffnung aller Bildungswege - das war das gemeinsame Ziel. Wir sind, glaube ich, dabei auch ein gutes Stück vorangekommen. Heute haben Arbeiterkinder eine sehr viel größere Chance, Bildungswege zu durchlaufen, die ihnen vor wenigen Jahren noch nicht offenstanden. Wir lassen uns von niemandem diese positive Entwicklung unserer Bildungspolitik zerreden. Von niemandem lassen wir das zerreden! ({8}) Deswegen sage ich Ihnen: Sie werden mit dieser Art von Politik, mit der Sie jetzt versuchen wollen, die Wende einzuleiten, Eliteförderung statt soziale Ausbildungsförderung zu betreiben, eine neue Grundlage für Jugendprotest und für den Protest Weisskirchen ({9}) von Eltern legen. Wir warnen Sie, auf diesem Weg weiterzugehen. Nur: Wenn Sie ihn gehen, dann müssen Sie wissen, daß Sie - ausschließlich Sie! - die alleinige Verantwortung dafür tragen. ({10}) Unsere Antwort werden wir Ihnen hier in diesem Parlament präsentieren. Erstens werden wir von Ihnen verlangen, daß der BAföG-Kahlschlag beim Schüler-BAföG und auch bei der Umstellung des Studenten-BAföG auf Volldarlehen zurückgenommen wird. Wir werden Sie dann daran messen, wie Sie sich verhalten. ({11}) - Lassen Sie mich diesen Satz noch zu Ende sagen, Herr Wissmann. - Zweitens werden wir ganz konkrete Anträge stellen, wie es möglich sein kann, auch am Ende des Jahres zusätzliche Ausbildungsplätze zu mobilisieren. Lassen Sie mich noch eines dazu sagen. Wenn es sich herausstellen sollte, daß die einzelbetriebliche Finanzierung von Ausbildungsplätzen die Schranke ist, daß zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden, dann - davon bin ich überzeugt - werden wir hier Gesetzesanträge vorlegen, die die überbetriebliche Finanzierung der Ausbildung möglich machen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Wissmann, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben soeben gesagt, Sie wollten die Veränderung beim Studenten-BAföG, die Umstellung auf Darlehen, zurücknehmen, um den alten Zustand wieder herzustellen. Ich möchte Sie zweierlei fragen: Erstens. Wie vereinbaren Sie diese Äußerung hier mit dem, was Herr Vogel noch im Wahlkampf öffentlich zu diesem Thema gesagt hat, was sich nämlich anders anhörte? Zweitens. Wie verantworten Sie diese Vorstellung eigentlich gegenüber vielen Arbeitnehmern angesichts der Tatsache, daß die Umstellung auf Darlehen doch den Gedanken verwirklicht, daß derjenige, der auf Kosten aller, auch der Arbeitnehmer, studiert, dann, wenn er anschließend gut verdient, dieses Geld wieder an die Mehrheit der Arbeitnehmer zurückgeben sollte? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wissmann, wir sollten darüber sehr intensiv und sorgfältig diskutieren. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Erstens. Wer sich das BAföG genau vornimmt, der stößt auf manche Unklarheiten, die dazu zum Anlaß genommen werden könnten, zu überprüfen, ob es nicht auch jetzt noch falsche Berechtigungen beim BAföG gibt. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir diese falschen Berechtigungen abschaffen können! Es ist immer noch möglich, daß Leute, die es nicht brauchen, BAföG beziehen. Wir sollten an diesem Punkt gemeinsam versuchen, das BAföG zu erhalten und dafür sorgen, daß Arbeiterkinder eine Chance bekommen, aber wir sollten nicht den Kahlschlag aufrechterhalten. ({0}) Zweitens. Herr Wissmann, wenn wir darüber reden könnten, daß wir an der Stelle, wo es richtig ist, auch versuchen, mehr Finanzmittel in die öffentlichen Kassen hineinzubekommen, dann wäre ich sehr gerne bereit, den alten Vorschlag des Herrn Arbeitsministers, der in der CDU gescheitert ist, mit aufzugreifen, nämlich den Spitzensteuersatz für Besserverdienende heraufzusetzen. ({1}) Es kommt nicht nur darauf an, mit den Jugendlichen zu reden, über sie zu reden, Papiere zu schreiben, Enquete-Kommissionen einzusetzen, sondern es ist das Entscheidende, tatsächlich dafür zu sorgen, daß die materiellen Chancen der Jugendlichen, die gegenwärtig auf der Strecke bleiben, auch wirklich von uns allen überzeugend eingefordert werden. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die jungen Menschen in unserem Lande heute auf dieses Parlament schauen, dann werden sie zunächst einmal etwas sehr Menschliches feststellen. Sie werden feststellen, daß eine Fraktion in diesem Hause ihre Wahlniederlage noch nicht richtig verdaut hat. ({0}) - Ich glaube, daß das auch für Jugendliche verstehbar ist. Als wir im April 1981 diese Enquete-Kommission zur Untersuchung des Jugendprotestes im demokratischen Staat einsetzten, spielte - das geht aus den Protokollen hervor - die Jugendarbeitslosigkeit in der Debatte so gut wie keine Rolle, obwohl wir zum damaligen Zeitpunkt, im April 1981, 112 000 jugendliche Arbeitslose hatten. Ich frage: Sind 112 000 junge Menschen nicht auch wichtig? Woran lag es, daß wir damals nicht darüber gesprochen haben? Meine Damen und Herren, das lag daran, daß damals gesagt wurde: Wir sprechen deshalb nicht darüber, weil es woanders noch sehr viel schlimmer ist. Wir leben in einer schnellebigen Zeit. Die Schnelllebigkeit hat dazu geführt, daß wir heute über Jugendarbeitslosigkeit sehr viel offener reden können. Das ist ein Fortschritt. Es ist wichig, daß wir in diesem Punkt Übereinstimmungen erzielen. Ich gebe der Kollegin Terborg recht, die sagt, es bestehe die Gefahr, daß diejenigen, die heute aus nichtmateriellen Gründen protestieren, durch diejenigen abgelöst oder ergänzt werden könnten, die materielle Gründe haben, denen der Einstieg verwehrt ist, die für ihre Zukunft keine Perspektive sehen. Das ist das Problem, das es zu lösen gilt. Wir müssen verhindern, daß diese heranwachsende Generation zur Generation der Überflüssigen wird und in eine verstopfte Gesellschaft hineingerät. Die jungen Leute treffen infolge Wachstumsschwäche und Strukturveränderungen der Wirtschaft auf ein dezimiertes Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebot. Ich frage hier: Ist es denn richtig, daß wir nun in dieser Situation in Panik machen? Wem nützt die Panik hier? Wem nützt Panik überhaupt in irgendeiner Lebenssituation? In schwierigen Situationen hilft Vernunft. Vernünftig sein heißt, jetzt zu fragen: Wer kann denn zusätzliche Ausbildungsstellen anbieten? Dies kann vor allen Dingen die mittelständische Wirtschaft. ({1}) - Herr Kollege, das ist kein ideologisches, sondern ein statistisches Problem. ({2}) - Schauen Sie sich die Statistik an! ({3}) Zusätzliche Ausbildungsstellen anbieten kann vor allem die mittelständische Wirtschaft. Nachdem ich Ihre Einlassungen gerade der letzten Tage gehört habe, in denen unser Mittelstandsförderungsprogramm in die Öffentlichkeit kommt, stelle ich fest: Sie haben etwas dagegen, daß wir den Mittelstand fördern, um damit zu ermöglichen und zu verwirklichen, daß dort zusätzliche Ausbildungsplätze angeboten werden. ({4}) Das ist eine Rechnung, die jedem Kind in unserem Land aufgeht: Wer den Mittelstand fördert, schafft zusätzliche Ausbildungsplätze. ({5}) Welche Vorstellung haben Sie eigentlich von Mittelständlern, von Handwerksmeistern? Glauben Sie wirklich, daß die Leute, die in einem Handwerksbetrieb Verantwortung tragen, nicht genau wüßten, daß sie es sein müssen, die neue Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen? Das wissen die sehr genau. ({6}) Die werden sich durch Ihre Panikmache gar nicht davon abhalten lassen. Ich habe manchmal den Eindruck, Frau Kollegin Terborg, daß Sie uns den Erfolg nicht gönnen, daß am Ende dieses Jahres tatsächlich alle jungen Menschen einen Ausbildungsplatz bekommen. ({7}) Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit in ihrer Struktur anschaut, stellt man fest, daß vor allem diejenigen betroffen sind, die keinen Hauptschulabschluß haben. Jugendliche ohne Hauptschulabschluß brauchen unsere besondere Aufmerksamkeit. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß der Bildungsweg der Hauptschule in der Vergangenheit nicht den Ansprüchen des Arbeitsmarkts gerecht werden konnte. ({8}) Es hat keinen Sinn, Herr Sielaff, aus der Hauptschule ein schlecht kopiertes Minigymnasium zu machen, wenn die Interessenlage der Hauptschüler dabei nicht getroffen wird. Die Hauptschule muß praxisbezogener werden. Die Hauptschule muß in der Lage sein, auf die Berufswahl vorzubereiten. Wenn Sie hier die Lehrer ansprechen, muß ich Sie fragen: Sind Sie davon überzeugt, daß die Hauptschullehrer - ich könnte die Realschullehrer durchaus dazunehmen -, tatsächlich wissen, was auf diejenigen, die vor ihnen sitzen und die ihrer Sorge anvertraut sind, zukommt? ({9}) Ich bin davon überzeugt, daß wir viel tun müssen, um den Praxisbezug von Hauptschullehrern und Realschullehrern zu verbessern. ({10}) Wir müssen ihnen Möglichkeiten eröffnen, Berufspraxis kennenzulernen und betriebliche Realität zu sehen. ({11}) Wir haben in der Debatte heute auch über Ausbildungshemmnisse gesprochen. Sobald man mit sozialdemokratischen Kollegen über Ausbildungshemmnisse im Zusammenhang mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz spricht, kann man immer nur hören, daß man die Gefahr sehe, der gesamte Jugendarbeitsschutz sei gefährdet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Breuer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz zu?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, als einer der Abgeordneten, dessen Tochter auf einer Hauptschule ist, darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, was auf Hauptschulen geschieht, und ich darf die weitere Frage an Sie richten, wann im deutschen Bildungssystem die Lehrer praxisbezogen ausgebildet worden sind.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lutz, ich kenne die Hauptschule von innen sehr gut, da ich dort jahrelang unterrichtet habe und auch heute noch ständigen Kontakt halte. ({0}) Meine Damen und Herren, Ausbildungshemmnisse im Zusammenhang mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz müssen sachlicher diskutiert werden. Als 1976 das Jugendarbeitsschutzgesetz verabschiedet wurde, entstand kurz darauf eine Spannung zur beruflichen Praxis. Speziell eine Vorschrift, nämlich das Verbot der Beschäftigung Jugendlicher zwischen 6 Uhr und 7 Uhr am Morgen, fand viel Widerspruch. Ich will aus der Praxis eines Abgeordneten aus dem ländlichen Raum berichten, wie so etwas aussieht. Wo der öffentliche Nahverkehr teilweise nur schlecht ausgebaut ist, kann es sein, daß die Eltern eines Auszubildenden vor 6 Uhr mit dem Pkw zum Betrieb fahren müssen. Sie nehmen ihre Kinder dann mit. Diese würden gern ab 6 Uhr ausgebildet. Aber sie müssen bis 7 Uhr herumsitzen, und nichts bewegt sich. ({1}) Warum kann man über eine solche Frage nicht sachlich diskutieren? Warum muß das ideologisiert werden, so, als ob es uns darum ginge, der Gesundheit junger Menschen Schaden zuzufügen? Das ist doch Unsinn, meine Damen und Herren. ({2}) Wenn ich eben darüber gesprochen habe, daß diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, keinen Beruf erlernen können, in Zukunft die Protestierenden sein könnten, dann muß man sicher auch daran denken ({3}) - keine Zwischenfrage mehr, danke sehr; ich habe nur noch wenig Zeit -, daß wir in der Zukunft eine große Schwemme von jugendlichen Akademikern zu erwarten haben. Meine Damen und Herren und Herr Kollege Weisskirchen speziell, das hat mit Ideologie nichts zu tun. Auf 100 Absolventen von Berufsausbildungen kommen heute 19 Hochschulabsolventen, 19 Akademiker. Im Jahre 1990 werden das 34 sein, 34 auf 100. Heute sind es 19 auf 100. Das ist nahezu eine Verdoppelung. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sich das Anforderungsgefüge des Arbeitsmarktes so entscheidend verändern wird, daß die vielen Akademiker problemlos aufgenommen werden könnten. Also gilt es, kreativ zu sein und nicht so zu tun, als ob nach wie vor das alte Prinzip gelten würde: Geh' zur Schule, und alle Wege stehen dir offen. Wenn ich Ihre bildungspolitischen Vorstellungen sehe, habe ich manchmal den Eindruck, daß Sie dem Bildungsbürgertum des vergangenen Jahrhunderts nachjagen. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn wir über die schwierige Lage diskutieren, dann sollten wir, meine ich, auch die Chancen der Krise sehen. Ich habe in meiner Rede zur Einsetzung dieser Enquete-Kommission gesagt, daß die Unzufriedenheit der Jugend eine Chance für unsere Zukunft sein könnte. Ich meine, daß z. B. die Solidarität, die dazu notwendig ist, die Krise zu überwinden, eine Chance für die Zukunft ist, Solidarität zu begründen und Mitverantwortung zu übernehmen. Am Beispiel der Lehrerarbeitslosigkeit zeigt sich das sehr deutlich. Wir haben in unserer Republik 500 000 Lehrer. Wenn alle nur eine Stunde pro Woche weniger arbeiten würden, ({5}) würde das Mittel dafür bereitstellen, daß 21 800 Lehrer eingestellt werden könnten. ({6}) Wir können die Probleme nicht gegeneinander, sondern nur miteinander, wir können sie nur in Solidarität lösen. Das sollten wir auch in diesem Parlament tun. - Ich bedanke mich. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission, deren Schlußbericht wir heute diskutieren, ist auf Grund einer Anregung zustande gekommen, die ich Anfang 1981 als Regierender Bürgermeister von Berlin unter dem Eindruck der Begegnung mit den dortigen Erscheinungsformen des Jugendprotestes gegeben habe. Ich halte mich deshalb auch für legitimiert, der Kommission, all ihren Mitgliedern und den Sachverständigen aus diesem Grunde zu danken. ({0}) Die Kommission und die Sachverständigen haben eine bemerkenswerte Arbeit geleistet, die sich neben dem international anerkannten Bericht der Eidgenössischen Kommission für Jugendfragen aus dem Jahre 1980 und anderen vergleichbaren Untersuchungen durchaus sehen lassen kann. Vor allem verdient Anerkennung, daß die Kommission in ihrem Bericht, wenn ich es richtig sehe, einstimmig deutlich gemacht hat, daß es sich bei den Fragen, an denen sich der Protest entzündet, eben nicht um jugendspezifische und jugendpolitische Fragen im engeren Sinne handelt, sondern um die zentralen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit, nämlich um die Friedenssicherung, um den Schutz der Umwelt, um die Überwindung der Arbeitslosigkeit. ({1}) Ich möchte ohne jeden Hintergedanken den Mitgliedern der Kommission aus den Reihen der Regierungsparteien ausdrücklich dafür Dank sagen, daß sie Lösungen entwickelt und mitgetragen haben, die über die konkrete Politik der gleichen Regierungsparteien deutlich hinausgehen und in vielen Punkten das Maß an Konkretheit besitzen, das wir in der Regierungserklärung vor 14 Tagen vermißt und die wir deshalb kritisiert haben. ({2}) Aber ich habe nicht nur deshalb das Wort ergriffen. Ich spreche in dieser Debatte, weil ich für meine Fraktion unter dem Eindruck dieser Diskussion der Sorge Ausdruck geben möchte, daß die Arbeit der Kommission, daß all ihre Feststellungen und Empfehlungen folgenlos bleiben könnten. ({3}) Ich befürchte, daß diejenigen recht behalten könnten, die das Ganze nur als eine Art Alibi-Veranstaltung ansehen. An äußeren und inneren Anzeichen dafür mangelt es nicht. Zunächst die äußeren Anzeichen. Ich sage das in alle Richtungen des Parlaments: Ist es nicht entmutigend, daß auch dieses Thema wieder vor einem fast leeren Haus diskutiert wird? ({4}) - Ich habe es in alle Richtungen gesagt. Ich muß Ihnen an dieser Stelle entgegenhalten: Diese fatale Neigung zur Rechthaberei, bei jeder Kleinigkeit hin und her, ist auch eine Ursache der Entfremdung der jungen Menschen und des Jugendprotestes. ({5}) Ich möchte auch die Frage aufwerfen, was junge Menschen sich eigentlich für einen Reim darauf machen sollen, daß die Bundesregierung bei einer Debatte über dieses Thema im Ergebnis nur durch den Jugendminister vertreten ist, der dann im übrigen gar nicht als Jugendminister, sondern als Generalsekretär seiner Partei das Wort ergreift. ({6}) Wo sind denn die Herren Bundesminister, deren Themen hier heute in der Debatte über diesen Bericht behandelt werden? Warum nehmen sie nicht das Wort? Es muß auch die Frage erlaubt sein: Wo ist der Herr Bundeskanzler? ({7}) Er hat in seiner Regierungserklärung ({8}) Worte von erhebender Allgemeinheit über die junge Generation gefunden, ({9}) aber, meine Damen und Herren - ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Gegensatz zu Herrn Geißler gestatte ich sie gerne, selbstverständlich.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Vogel, darf ich davon ausgehen, daß Sie während der Rede des Jugend- und Familienministers nicht hier waren und deswegen die Entschuldigung des Fehlens des Bundeskanzlers nicht mitbekommen haben? ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Zwischenfrager, ich habe die Rede gehört. Diesen Punkt habe ich überhört, und ich entschuldige mich ausdrücklich dafür, daß mir dieses Versehen unterlaufen ist, weil ich glaube, daß dies zu dem guten Stil gehört, den wir miteinander pflegen sollten. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser äußere Eindruck ist schlimm genug, aber die inhaltlichen Diskrepanzen sind noch schlimmer. Der Bericht der Kommission ist - jedenfalls in wesentlichen Teilen - von fast allen Rednern gelobt worden, und er verdient dieses Lob in den meisten Teilen, auch in seinen Lösungsvorschlägen. Aber die entscheidende Frage ist: Was geschieht mit dem Bericht tatsächlich, welche der auch von den Mitgliedern der Kommission aus den Reihen der Union befürworteten Maßnahmen und Lösungen werden denn tatsächlich aufgegriffen? Ich habe die Rede des Herrn Generalsekretärs Geißler - mit Ausnahme dieser einen Stelle - sorgfältig verfolgt. ({1}) - Ich bin für diesen Hinweis dankbar. Sie unterstreichen, daß er auch Bundesminister ist. Das ist verständlich, aber man kann durchaus von den Bezeichnungen je nach dem Inhalt der Rede, die gehalten worden ist, die zutreffende wählen. ({2}) Er hat hier 20 Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorgetragen. Herr Geißler, Sie wissen doch ganz genau, daß ein großer Teil dieser Maßnahmen bereits zur Zeit der sozialliberalen Bundesregierung in Angriff genommen und eingeleitet worden ist. Tun Sie doch nicht so, als wären das alles neue Erfindungen! ({3}) Außerdem bedürfen einige Ihrer Vorschläge in der Tat noch nähèrer Erläuterung. Was an Hoffnung Sie jungen Arbeitslosen eigentlich vermitteln wollen, wenn Sie darauf hinweisen, daß die Möglichkeiten für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand erleichtert werden, vermag man auch bei gutem Willen nicht zu verstehen. ({4}) Glauben Sie, daß junge Arbeitslose Vermögen bilden können oder wollen? Ihre semantische Abteilung hat Ihnen außerdem diesen originellen Begriff der sozialistischen Camping-Gesellschaft zur Verfügung gestellt, weil Sie meinen, daß man da Entfernungen zurücklegen muß. Aber der Herr Bundeskanzler und Sie propagieren doch ständig, daß junge Menschen, die Ausbildungsplätze suchen, nicht auf ihrem Wohnort beharren dürfen, sondern auch eine Ortsveränderung in Kauf nehmen müssen. Messen Sie also bitte mit gleichem Maßstab, und tun Sie nicht so, als wäre dies ein Punkt, den Sie bei uns kritisieren können. ({5}) Nun noch etwas zur ehrenamtlichen Tätigkeit. Der Gedanke mit der Feuerwehr ist nicht ganz originell; den hat hier bei der Aussprache über die Regierungserklärung als erster der Herr Bundesaußenminister entwickelt. Er hat sich zu den Leistungen derer bekannt, die in der Feuerwehr ihren Dienst tun. Sie haben diesen Gedanken aufgegriffen, aber das geschieht in einer Art und Weise, als ob es in diesem Parlament Kräfte gäbe, die diese ehrenamtliche Tätigkeit nicht genauso hoch schätzen, anerkennen und würdigen. ({6}) Außerdem wissen Sie doch so gut wie ich, daß in den freiwilligen Feuerwehren und in den anderen gesellschaftlichen Gruppen Vertreter aller Parteien ihre Pflicht tun und engagiert sind. Versuchen Sie doch nicht, auch hier noch einen Keil hineinzutreiben und eine Spaltung zu vollziehen! ({7}) Ich erkläre ausdrücklich meine Anerkennung und meinen Respekt für diejenigen, die in all diesen Organisationen ihre Pflicht tun und sich engagieren. Aber ich erstrecke die Anerkennung und den Dank auch auf diejenigen, die es in Selbsthilfegruppen tun, die es durch alternative Aktivitäten tun, ({8}) bei denen Sie mit Ihrem Lob und Ihrer Anerkennung über Jahre nicht zu hören waren, ({9}) als Sie nämlich ständig eine kritische und bedenkliche Entwicklung ({10}) an die Wand gemalt haben. ({11}) Ich höre mit großem Interesse Ihre Kritik an der Entwicklung auf dem Video-Gebiet. Sie werden unsere Unterstützung für vernünftige Maßnahmen haben. Aber Sie werden einen erheblichen Erklärungsbedarf bekommen, wie diese Warnungen mit Ihrer ständigen Förderung der kommerziellen Fernsehentwicklung eigentlich zusammenstimmen. ({12}) Fragen Sie nach den italienischen Erfahrungen; dann wird dieser Erklärungsbedarf noch größer. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten - das haben die Sprecher meiner Fraktion schon ausgedrückt - sind bereit, diesen Bericht sehr ernst zu nehmen. Wir werden in unserer parlamentarischen Arbeit immer wieder darauf Bezug nehmen. Wir werden ihn nicht in den Archiven vergilben lassen. Wir werden auch die Bundesregierung immer wieder fragen, was konkret geschieht. Wir werden Ihnen Gelegenheit geben, dies auch im Zusammenhang darzulegen. Ich darf noch eine Frage an uns alle richten. Wo ist eigentlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieses Berichts die konkrete Bereitschaft, auch einmal die eigene Position zu überdenken, Fehler zuzugeben und sie dann auch zu korrigieren? Das frage ich in alle Richtungen, übrigens auch in Richtung der Fraktion, die jetzt erstmals dem Bundestag angehört. Sind wir denn endlich, um konkret zu werden, bereit, die Neigung zur Rechthaberei zurückzudrängen? ({14}) Warum räumen nicht alle Fraktionen des letzten Bundestags ein, daß es falsch - nein: daß es fatal war -, im Zusammenhang mit den Parteispenden eine Grundgesetzänderung zugunsten der Betroffenen überhaupt auch nur ernsthaft zu erwägen? ({15}) Warum bringen wir als diejenigen aus dem letzten Parlament nicht den Mut auf, dies zu sagen? ({16}) Das waren Erwägungen, die übrigens zu derselben Zeit angestellt wurden, als mit durchaus diskutablen Gründen die Amnestie für Hausbesetzer als schwere Erschütterung des Rechtsbewußtseins kritisiert und zurückgewiesen wurde. ({17}) Hier sind Beschädigungen des Rechtsbewußtseins der jungen Generation hervorgerufen worden, mit denen wir es noch lange zu tun haben. ({18}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind bereit, die Anstöße aufzunehmen. Im Unterschied zu Ihnen werden wir auch die überkommenen Strukturen unserer Gesellschaft nicht als unantastbar ansehen, sondern wir werden für ihre Veränderung, für ihre Reform eintreten, wo diese Strukturen einer humanen Entwicklung im Wege stehen. Wir vergessen auch nicht - da darf ich gerade auch die liberalen Kollegen ansehen -, daß es alternative Ideen für die Gestaltung der Gesellschaft nicht erst seit heute gibt. Diese Ideen sind in aller Regel als Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklung betrachtet, j a, gepriesen worden, zumindest dann, wenn sie sich durchgesetzt hatten, wenn sie nicht mehr Idee waren, sondern Realität geworden waren. Es ist doch auch wahr, daß jede der heute existierenden Gesellschaftsordnungen ursprünglich eine alternative Vorstellung und oft genug das Ergebnis intensiver Protestbewegungen war: der liberalen bürgerlichen Protestbewegungen, unserer sozialdemokratisch-reformerischen Protestbewegungen und auch der katholischen Protestbewegung, gegründet auf die Soziallehre. Bei der Auseinandersetzung mit neuen Alternativen wird das gelegentlich übersehen. Wir Sozialdemokraten haben jedenfalls nicht vergessen, daß unsere Bewegung ihre Entstehung dem Protest verdankt: dem Protest gegen soziales Unrecht, dem Protest gegen Not und Elend, dem Protest auch gegen politische und gegen materielle Privilegien. ({19}) Wir haben uns nicht verhärtet gegenüber unserer eigenen Geschichte. Wir hoffen deshalb, daß möglichst viele zu einer Grundeinstellung früherer Generationen zurückfinden, einer Grundeinstellung, die auch in der polemischen Auseinandersetzung dieser Tage, Wochen und Monate fast verschüttet zu werden droht, zu der Einstellung nämlich, der Jugend werde gelingen, was die Älteren nicht geschafft oder verfehlt haben, die Jugend werde nicht nur für sich, sondern für alle eine bessere Zukunft heraufführen. Dazu gehört auch der Vertrauensvorschuß gegenüber den unbequemen und den protestierenden Teilen dieser jungen Generation. ({20}) Mit dieser Grundeinstellung werden wir dem Protest dort widersprechen, wo er die Regeln unseres Zusammenlebens sprengt, wo er den Boden der Realität verläßt, wo er Bekenntnis und Politik verwechselt. Auch in diesen Verwechslungen kann ein Mißbrauch junger Menschen und ihrer Begeisterungsfähigkeit liegen. ({21}) Aber wir werden für den Protest dort offen sein, wo er uns vor Verkrustung und vor Selbstgerechtigkeit bewahrt und wo er uns vor allem an die Verantwortung für die Folgen unserer Entscheidungen, unseres Tuns und Unterlassens erinnert, die nicht wir, sondern die künftigen Generationen zu tragen haben. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogel, ich habe noch einmal die Debatte vom 28. Mai 1982 über den Zwischenbericht überflogen. Nachdem ich die Debatte hier und zum Teil in meinem Zimmer verfolgt habe, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, daß damals bei der Debatte über den Zwischenbericht hinsichtlich der sachlichen Beurteilung zwischen den Fraktionen mehr Gemeinsamkeit bestand, als das heute - ich will es vorsichtig ausdrücken - der Fall zu sein scheint. Das zeigt mir, daß offensichtlich manche äußeren Einwirkungen die Positionen und Betrachtungsweisen in dieser Enquete-Kommission etwas verschoben haben. ({0}) - Wissen Sie, diese billigen Zwischenrufe „Wir hätten uns geändert" sollten Sie doch langsam sein lassen. Wir haben unsere politische Grundauffassung genausowenig geändert, wie Sie Ihre Grundauffassung geändert haben. Die Frage ist, in welcher Form man sich dann in Einzelpunkten in einer Regierungskoalition oder in der Opposition verhält. Wenn man einmal grundsätzliche Positionen eingenommen hat, wäre es sehr gut, wenn man diese dann sowohl in der Opposition wie in der Regierungskoalition beibehielte. Mehr will ich damit doch gar nicht sagen. ({1}) Herr Kollege Vogel, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir uns in der Auseinandersetzung gerade mit der jungen Generation davor hüten müßten, die Rechthaberei, das Allein-Wissen-Wollen in den Vordergrund zu stellen. Ich teile völlig Ihre Meinung. Ich möchte allerdings auch hinzufügen: Das gilt natürlich auch für diejenigen, die meinen, sie hätten allein den Stein der Weisen der Veränderung gefunden, die glauben, die absolute Wahrheit zu besitzen, was an dieser Gesellschaft falsch und richtig ist. ({2}) Wir müssen gemeinsam die Rechthaberei vermeiden. Das hindert mich aber doch nicht daran, den Weg, von dem ich überzeugt bin, daß er der richtige ist, mit aller Energie zu vertreten, zu verteidigen, aber trotzdem für kritische Auseinandersetzungen offen zu sein. In Wahrheit ist doch die Scheidewand immer da, wo der Versuch der Veränderung, der Protest gegen etwas, was man nicht für richtig hält, umschlägt in den Versuch, das mit Gewalt durchzusetzen und einer Mehrheit aufzuzwingen, was eine Minderheit für richtig hält. Das ist doch der Punkt, wo wir uns in Wirklichkeit unterscheiden. ({3}) Es kommt ein Weiteres hinzu: Ich habe heute den Eindruck gehabt, daß zwar die Mängel, die kritischen Punkte sehr stark herausgearbeitet worden sind - das ist notwendig -, daß aber dabei etwas zu kurz gekommen ist, was an positiven Entwicklungsmöglichkeiten und -fähigkeiten vorhanden ist. ({4}) Wie will ich denn in einer schwierigen Situation die Bereitschaft zur Mithilfe, die Bereitschaft zum Überwinden von Problemen wecken können, wenn ich alles schwarz in schwarz male oder schwarzweiß-male, statt gleichzeitig die Möglichkeiten zur Überwindung der Probleme aufzuzeigen? Dies scheint mir notwendig zu sein. Wenn dieser Bericht heute mit einem Beschluß als angenommen, erledigt, „beerdigt" gelten würde, dann würde ich die Kritik teilen, daß in manchen Dingen noch mehr an Substanz kommen muß. Da er aber an die Ausschüsse überwiesen wird, da im einzelnen beraten werden soll, wie man welche Punkte in welchem Zeitraum umsetzen kann, zeigt das doch, daß hier nicht eine Beendigung, sondern eine zweite Runde der Auseinandersetzung über diese Fragen stattfindet. Nun sind wir gern bereit, jeden konkreten Vorschlag zur Umsetzung, zur Verwirklichung zu prüfen und dann auch zum Beschluß zu kommen. Nur, eines geht nicht - das geht jetzt weniger in Richtung mancher Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion, sondern mehr in Richtung derjenigen Kollegen, die als Fraktion in diesem Haus neu sind -: daß man immer nur glaubt, die Diskussion mit aller Härte führen zu können, dann aber, wenn es ans Entscheiden geht, die Entscheidungen anderen überläßt. Das erinnert mich sehr an Diskussionen, die ich in den Jahren der außerparlamentarischen Opposition 1968/69 an vielen Universitäten geführt habe. Da war es auch oft so, daß man hervorragende theoretische Überlegungen für morgen und übermorgen anstellte. Wenn man aber im Parlament vor der Entscheidung steht, was mit BAföG, was mit Renten, mit Besoldung, mit bestimmten außenpolitischen Fragen werden soll, dann kann man nicht sagen: Darüber müssen wir erst noch einmal da und dort diskutieren. Da muß ich auch bereit sein, eine Entscheidung zu treffen, sie zu vertreten und dann, wenn ich erkenne, daß sie falsch war, auch eine Korrektur anzubringen. Aber das Ganze immer nur als ein großes Diskussionsthema zu sehen, es aber nicht konsequent auch umzusetzen und dann dazu zu stehen, auch wenn es schwer ist, kann keine praktische Politik sein. ({5}) Zu einem weiteren Punkt, der hier in der Debatte eine Rolle gespielt hat: Es wird mit Recht darauf hingewiesen, welche vielen Aktivitäten in den verschiedensten Bereichen in unserem Land, gerade bei vielen jungen Menschen, vorhanden sind; hier ist auch die Feuerwehr wieder genannt worden. Herr Kollege Vogel, es geht doch gar nicht darum, zu sagen, die einen tun da mehr, die anderen weniger. Das, worum es in Wirklichkeit geht, ist, bei der Auseinandersetzung um kleine Gruppen, die sich eben nicht als ein Teil des Ganzen fühlen, nicht vergessen machen zu lassen, daß die überwältigende Mehrheit mit Engagement zu diesem Staat - manchmal in kritischer Distanz - im ganzen steht und sich nicht wie wir gestern erlebt haben, von einer Minderheit in die Ecke drängen läßt, sondern sich mit überwältigender Mehrheit ganz klar von denen distanziert, die meinen, Farbbeutel seien Politik. Das hat überhaupt nichts mit Politik zu tun. Das ist kindisch, sonst gar nichts. Das hat die überwältigende Mehrheit deutlich gemacht. ({6}) Ich möchte allerdings auch bitten, gerade bei der Diskussion über das Thema Jugendarbeitslosigkeit, hinsichtlich der mit Recht darauf hingewiesen worden ist, daß die Probleme noch vor uns liegen, die Bereitschaft junger Menschen, sich weiter zu bemühen, nicht mit Prognosen in Frage zu stellen, weil sie sonst den Eindruck gewinnen müssen: Es hat ja gar keinen Sinn. Richtig ist eines: Wir haben es in all den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, nahezu - ich sage: nahezu - eine Ausgeglichenheit zwischen Angebot und Bedarf zu erreichen. Ich warne davor, heute, im Mai, so zu tun, als wären die Zahlen, die für September/Oktober dann Wirklichkeit wären, schon gegeben, und damit Resignation heraufzubeschwören statt Bereitschaft, mitzuhelfen, diese Probleme zu lösen. ({7}) Deshalb: Kritisch beleuchten, diese Probleme immer sichtbar machen, aber nicht gleichzeitig durch Miesmacherei einen Eindruck erwecken, als wären wir nicht in der Lage, hier Schritt für Schritt auch diese Frage zu lösen. ({8}) Wir werden sie Schritt für Schritt lösen. - Wenn Sie jetzt wieder dies in Zweifel ziehen: Ich bin einmal gespannt, welche praktischen, umsetzbaren Vorschläge zu diesen Punkten außer der allgemeinen Beklagung von Zuständen kommen werden. Wir sind gern bereit, wenn sie vorliegen, sie auch im Detail zu prüfen und ihnen auch zuzustimmen, wenn sie richtig und sinnvoll sind. Nur war bisher mein Eindruck leider so - das haben wir auch gestern in der Diskussion gespürt -, daß außer plakativen, zugestandenermaßen recht öffentlichkeitswirksamen Vokabeln sehr sehr wenig an praktischer Substanz dahintersteckt. Sollte sich das in der Ausschußarbeit entscheidend verändern, wäre niemand froher als wir, wenn wir das zur Kenntnis nehmen könnten. Meine herzliche Bitte, daß wir bei der Beratung dieser gesamten Materie in den Ausschüssen nicht nur darauf warten, bis wir abschließend gesamte Bereiche zu entscheiden haben, sondern, wenn es sich ergibt, daß Einzelbereiche entscheidungsreif sind, wir sie an das Parlament herantragen, damit wir Schritt für Schritt Einzelmaßnahme für Einzelmaßnahme umsetzen können. Es kommt hier nicht darauf an, mit einem Riesengesamtkomplex in zwei, drei oder vier Jahren etwas zu entscheiden, sondern die Punkte, die entscheidungsreif sind, in den Ausschußberatungen Stück für Stück dem Parlament vorzulegen und damit sichtbar zu machen: Es geht nicht um die Diskussion, sondern um die Umsetzung der einzelnen angesprochenen Punkte. - Vielen Dank. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, ich möchte mich zuerst bei Ihnen bedanken, weil sich Ihr Beitrag sehr wohltuend abgehoben hatte von den Beiträgen des Kollegen Schröder, mit dem ich lange Zeit in der Enquete-Kommission gearbeitet habe. Aber heute, Herr Schröder, war unsere Gemeinsamkeit, nämlich zu versuchen, hier zu dokumentieren, daß wir alle in einem Boot sitzen und das beste für die Jugend wollen, leider nicht so gelungen. ({0}) Ich wollte das sagen und die Bitte an Herrn Vogel weitergeben, daß dieser Bericht nicht parteipolitisch mißbraucht wird. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie das in Ihrer Partei durchsetzen könnten. ({1}) Meine Aufgabe hier heute ist es, zu zwei Themenbereichen für die Fraktion zu reden, nämlich einmal zum Themenbereich von Mädchen und Frauen und zum anderen, falls es die Zeit noch erlaubt, zum Jugendverbandsbereich. Eine neue Veröffentlichung, die sich mit der Diskussion der letzten Jahre über die Jugend befaßt, überschreibt eines ihrer Kapitel „Ein vergessenes Thema: die Mädchen in der Jugenddebatte". Ich meine, meine Damen und Herren, daß dies so nicht richtig ist. Dies zeigt jetzt der Schlußbericht. Ich möchte als ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission sagen, wir haben viele Stunden gerade über die Situation der jungen Frauen in der Szene, aber auch in den alternativen Projekten diskutiert. Ich habe mich immer wieder gefragt und möchte dies auch heute tun: Wie kommt es, daß so viele junge Frauen in der Protestszene sind? Ich vermute, daß in den Protestaktivitäten der jungen Frauen ein gesellschaftlicher Umbruch zum Ausbruch kommt, der auch erhärtet wird durch die Shell-Studie und durch die „Brigitte"-Untersuchung „Mädchen '82". Dort wird erkennbar: Die Zukunftserwartungen von Mädchen und jungen Frauen heute unterscheiden sich deutlich von den Vorstellungen ihrer Mütter. Gewiß werden die Mädchen von ihren Müttern immer noch etwas stärker als die Jungen im Haushalt herangezogen, im übrigen aber sind die traditionellen Unterschiede in der Erziehung zwischen Mädchen und Jungen zwar noch nicht ganz beseitigt, aber doch im Abklingen. In ihren eigenen Lebenserwartungen und -planungen haben sich Mädchen und Jungen stark angenähert. Beide folgen nicht mehr den alten gesellschaftlichen Rollenerwartungen. Sie suchen nach neuen Möglichkeiten gemeinsamer und gleichberechtigter Zukunftsbewältigung, manchmal auch gegen den Widerstand der Eltern, zumeist jedoch mit deren Hilfe und Unterstützung. Und es scheint, daß die Mädchen in dieser Veränderung der treibendere, der aktivere, auch der stärker fordernde Teil sind. Ihre Forderungen betreffen insbesondere ihren Wunsch nach Arbeit und Beruf und nach gerechter Lastenverteilung in der Familie. Wir sehen und unterstützen diesen Wandel des Selbst- und Rollenverständnisses junger Frauen, für die Arbeit und Beruf heute von ungleich größerem Gewicht sind als für ihre Mütter. ({2}) Dieser Wandel wird im öffentlichen Bildungswesen gestützt, in dem die Mädchen heute weitgehend gleichgezogen, j a manchmal die Jungen überflügelt haben. Wir schätzen diesen Teil realer Gleichberechtigung nicht gering ein und wollen ihn auch bewahrt wissen. ({3}) Demgegenüber ist in der dualen Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen. Die anhaltende Arbeitslosigkeit beeinträchtigt in besonderem Maße die Chancen von Mädchen und Frauen. Ich führe dieses Thema hier nicht mehr aus, weil die Kollegin Terborg heute morgen j a Daten und Fakten dargelegt hat. Unsere Bemühungen zielen darauf ab - das ist ein anderer Aspekt -, für die Frauen die Freiheit der Wahl zwischen Familie und Beruf zu fördern. Dazu gehört dann aber auch die andere Seite, nämlich die gerechtere Arbeitsteilung innerhalb der Familie. ({4}) Dazu kann der Staat nur sehr begrenzt etwas tun, denn er hat die Privatsphäre der Bürger zu respektieren. Es ist aber in diesem Zusammenhang wichtig, so meine ich, daß auch die Jungen zu einem veränderten Selbst- und Rollenverständnis kommen. Dazu kann die Schule Wesentliches beitragen. Wir wollen die jungen Frauen nicht an Kinder und Küche festbinden, wie uns dies manchmal unterstellt wird. Wir machen ihre Hausfrauentätigkeit aber auch nicht madig, wie das gelegentlich im Umfeld der Frauenbewegung geschieht. ({5}) Wir wollen sie nicht zu Arbeit und Beruf drängen, aber wir diskriminieren auch keine Frauen, die ihre Entfaltung im Berufsleben suchen. Deshalb ist auch vor der manchmal zu hörenden Polemik gegen „Doppelverdiener" zu warnen, ({6}) so verständlich solche Stimmen angesichts der Arbeitslosen sind. ({7}) Wer die „Doppelverdiener" - ich meine die Ehepaare, bei denen Mann und Frau berufstätig sind, nicht die Vielfachverdiener - abschaffen will, trifft in der Regel ganz einseitig die Frauen. ({8}) Er nimmt den Mädchen einen wesentlichen Teil ihrer Zukunftsperspektiven. So können und dürfen wir das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen. ({9}) Allerdings bin ich der Meinung, daß Frauen auch und gerade ihrer Rolle in der Familie als Mutter positive Seiten abgewinnen können, daß diese Aufgabe Freude bereiten kann. ({10}) Ich meine, daß Fortschritte auf dem Wege zu mehr Gleichberechtigung in Beruf und Familie sichtbar sind. Frau Kollegin Kelly, ich denke da etwas anders über Freude und Lust als eine Ihrer Kolleginnen, aber das tut jetzt hier nichts zur Sache. Ich wollte nur auf Ihren Zwischenruf eingehen. ({11}) Ich halte es für wichtig, daß die bestehenden Verhältnisse - was ich jetzt sage, scheint mir wichtig zu sein; nicht weil ich es sage, sondern weil es auch etwas die Szene beleuchtet - nicht schwarz in schwarz gemalt werden, wie das unter einigen engagierten Frauen in bestimmten Gruppen zur Zeit ziemlich verbreitet ist. Wir müssen vielmehr zur Kenntnis nehmen, daß es einen Umbruch gibt und auch Verbesserungen feststellbar sind, ohne daß wir die Probleme, gerade im Arbeitsbereich, leugnen. Nach wie vor - und dies hat eben der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit bereits ausgeführt ({12}) ist die Zahl derjenigen Jugendlichen, die Ehe und Familie grundsätzlich ablehnen, sehr gering. Sie wird auf 10 bis 14 % geschätzt. Dennoch - und dies ist nicht zu leugnen - ist auch unverkennbar, daß die Ehe ohne Trauschein starke Anziehungskraft gewonnen hat. Die meisten Jugendlichen halten sie zumindest zeitweise für sinnvoll. Viele praktizieren sie. Die Mädchen stehen dabei den Jungen keineswegs nach. Ich verstehe diese Zurückhaltung etwas. Tagtäglich müssen sie doch mit ansehen, wie viele Ehen auseinandergehen. Es kann auch nicht verwundern, daß in einer Lebensphase, in der viele junge Leute noch in der Ausbildung stehen und ihre Zukunft etwas ungewiß erscheint, Scheu vor einer festen Bindung besteht. Ich glaube allerdings und bin fest davon überzeugt, daß eine intakte Familie in unserer Zeit von unvergleichlichem Wert für die Entfaltung der Menschen ist. Der Enquete-Bericht weist uns auch auf die große und wachsende Bedeutung der Familie für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen hin. Ich begrüße dies, da wir hier im Hause auch schon andere Debatten geführt haben, in denen das Gegenteil zum Mittelpunkt gemacht wurde. Nur Ehe und Familie können die Erwartungen erfüllen, die manche jungen Menschen in die nichtehelichen Lebensgemeinschaften setzen. So bleiben diese Wünsche in sich widersprüchlich. Man kann nicht emotionale Intimität und personale Zuwendung einfordern und zugleich die Beziehung unter den permanenten Vorbehalt der Auflösung, der Trennung stellen. Man kann nicht Geborgenheit und Schutz beanspruchen und zugleich dauerhafte Bindungen verweigern, weil diese vermeintlich die Freiheit beschränken, die Emanzipation behindern. Ich glaube, das geht nicht. ({13}) Ich habe noch ein paar Minuten Zeit. Ich möchte zum Schluß einiges zur Jugendverbandsarbeit sagen. Der Bericht der Enquete-Kommission beschäftigt sich nur wenig mit diesem Thema, was mit seinem spezifischen Auftrag zusammenhängt. Für mich hat die Jugendverbandsarbeit eine herausragende Bedeutung - auch dann, wenn die Jugendverbände Anliegen protestierender Jugendlicher aufnehmen und in der Öffentlichkeit vertreten. ({14}) Sie dürfen sich dann allerdings auch nicht beklagen, daß sie von der Öffentlichkeit kritischer als üblich befragt werden. Wer Partei ergreift, muß es auch ertragen, als Partei behandelt und kritisiert zu werden, ({15}) d. h., manchmal auch hart angegangen zu werden. Es genügt nicht, selbstverwaltete Jugendzentren in die Landschaft zu setzen, Jugendlichen ihre Freiräume zuzugestehen und ihnen zu sagen: Nun seht mal zu, wie ihr zurechtkommt; aber laßt uns Erwachsene gefälligst in Ruhe. - Ich verstehe die vielfältigen Erscheinungen des Protests und der Verweigerung gegenüber dem Abgeschobenwerden, gegenüber der Vernachlässigung als einen verzweifelten Ruf nach Gemeinschaft und Mitverantwortung. ({16}) Bundeskanzler Kohl hat in seiner Regierungserklärung auf den leider nicht mehr selbstverständlichen Sachverhalt hingewiesen: Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten. Wo können solche Einsichten und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen besser gewonnen werden als in der Familie und in den Jugendgruppen? Gemeinsame Erlebnisse und Erfolge in der Bildungsarbeit, in der Freizeitgestaltung und im sozialen Engagement können das Bewußtsein der Rücksichtnahme und Verantwortlichkeit entwickeln, den Zusammenhang von Rechten und Pflichten, von Leistung und Erfolg erfahren lassen. Gemeinsame Interessen, gemeinsame weltanschauliche Grundlagen fordern den Einsatz junger Menschen heraus und stiften Identität. In einer tätigen Gemeinschaft können Überdruß und Langeweile nicht aufkommen. Kontinuität der Gruppe und Erfüllung der Aufgaben erfordern praktische Solidarität und Gemeinsinn. Ich will hier keine Idylle zeichnen. Wir wissen auch sehr wohl um die Probleme der Jugendverbände; wir wissen auch, daß sie nicht alle Jugendlichen erreichen und daß daher andere Formen der Jugendarbeit nötig sind und hinzutreten müssen. Die Enquete-Kommission hat nachdrücklich auf alternative Projekte nicht zuletzt zur Förderung neuer Arbeits- und Beschäftigungsformen hingewiesen. Ich halte diese Hinweise für anregend; sie müssen praktisch erprobt werden. Auch in der Jugendarbeit begrüßen wir die neuen Initiativ- und Selbsthilfegruppen. Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Förderung in der Regel sinnvoll nur vor Ort, d. h. vor allem durch die kommunalen Parlamente erfolgen kann. Diese Förderung verlangt ein großes Maß an Flexibilität und Offenheit. Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, daß der übersteigerte Ausbau großer und anonymer sozialer Institutionen als Gehäuse von Unmündigkeit und Entfremdung empfunden wird. Die Chancen für Selbstverantwortung und Selbsthilfe der Bürger sind geschwunden. Die unmittelbare solidarische Hilfe in konkreten und übersehbaren Lebensbezügen wurde durch ein komplexes und durch Bürokratien verwaltetes System von Ansprüchen und Leistungen verdrängt. Ihr tatsächlicher Nutzen und ihre Wirksamkeit werden zunehmend bezweifelt, so auch eindeutig in der Enquete-Kommission. Zu den nötigen neuen Antworten und Lösungen können Jugendverbände und Selbsthilfeinitiativen einen wichtigen Beitrag leisten. Meine Damen und Herren, ich lade uns alle ein, gemeinsam mit den Jugendverbänden und den Selbsthilfegruppen einen Weg zu beschreiten, der zu unser aller Guten und Nutzen ist. - Ich bedanke mich. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind am Ende der Aussprache, die ich damit abschließe. Bevor ich zu den Ausschußüberweisungen komme, muß ich auf einen Vorgang am Anfang unserer Debatte zurückkommen. Der Kollege Egert hat vorhin einen Zwischenruf gemacht, der nicht in Übereinstimmung mit unseren parlamentarischen Gewohnheiten steht und der auch nicht Stil werden sollte. Ich muß ihm deshalb einen Ordnungsruf erteilen. ({0}) - Es geht um den Zwischenruf, den Herr Egert bestätigt hat, in dem er einen unserer Kollegen als „arroganten Schnösel" bezeichnet hat. ({1}) Dies sollte nicht Stil werden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ausschußüberweisungen im einzelnen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" auf der Drucksache 9/2390 an eine ganze Reihe von Ausschüssen zu überweisen, zunächst an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur federführenden Beratung und des weiteren an den Auswärtigen Ausschuß, den Innenausschuß, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Mitberatung. Sie sehen, wir haben uns vorgenommen, den Bericht überall zu beraten. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/55 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern und daraus die Frage 36 der Frau Abgeordneten Reetz auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die KundenComputer-Daten der großen Versandhäuser ({0}) besonders schutzwürdige persönlichkeitsbezogene Daten darstellen ({1}) und daß deshalb nach geltendem Bundesrecht keinerlei Weiterverkauf dieser Daten erfolgen darf, und, wenn nein, wird die Bundesregierung eine Initiative mit dem Ziel ergreifen, den Weiterverkauf derartiger Daten zu verbieten? Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Bitte schön.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Sie unterstellen in Ihrer Frage, daß Versandhäuser Kundenprofile an Hand der über Jahre gesammelten Daten über Bestellungen und über Bezahlung fertigen und diese weiterverkaufen. Hierüber besitzt die Bundesregierung keine Erkenntnisse. Im übrigen weise ich darauf hin, daß es sich hierbei um Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich handelt. Darüber haben die Länder die Aufsicht.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich darf -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bei einer Zusatzfrage brauchen Sie nur die Hand zu heben. Dann weiß ich, daß Sie gern eine Zusatzfrage stellen möchten. Bitte sehr, Frau Kollegin Reetz.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich unterstelle das nicht, sondern ich sage das aus Erfahrung, weil ich selbst in bezug auf Daten bei Neckermann plötzlich Werbung von Firmen erhielt, zu denen ich nie einen Bezug hatte. Wissen Sie von solchen Handhabungen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sagte schon, daß der Bundesregierung von diesen Unterstellungen nichts bekannt ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage des Fragestellers. Herr Abgeordneter Laufs, eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der von ihr angekündigten Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes eine Neuregelung der listenmäßigen Übermittlung von personenbezogenen Daten dahin gehend anzustreben, daß schutzwürdige Belange nicht beeinträchtigt werden und Persönlichkeitsprofile auch wie bisher nicht in den Handel gelangen können?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Laufs, die Novellierung des Datenschutzgesetzes wird unter Berücksichtigung der Erfahrungen in der Praxis seit 1977 geschehen. Das wird in den zuständigen Gremien des Bundestages ausführlich diskutiert werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 37 der Frau Abgeordneten Reetz auf: Kann die Bundesregierung ausschließen, daß die KundenComputer der großen Versandhäuser bereits von Bundesbehörden angezapft wurden, z. B. bei Rasterfahndungen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich beantworte die Frage mit Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}) auf: Sieht die Bundesregierung im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs eine Möglichkeit, daß der türkische Filmregisseur Yilmaz Güney ({1}) bei der Vorführung seines Films „Yol" am 29. Mai 1983 persönlich anwesend sein kann, ohne Folgen für seine persönliche Sicherheit befürchten zu müssen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich möchte Ihre zwei Fragen gern im Zusammenhang beantworten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Da der Fragesteller damit einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}) auf: Kann die Bundesregierung im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs garantieren, daß Yilmaz Güney zu diesem Termin einreisen, sich in der Bundesrepublik Deutschland frei bewegen und dann wieder nach Frankreich ausreisen kann, ohne von deutschen Behörden festgenommen zu werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Dem türkischen Staatsangehörigen Yilmaz Güney kann unter den vorliegenden Umständen ein Sichtvermerk für die Einreise nicht erteilt werden, weil seine Anwesenheit im Bundesgebiet Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen würde.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Haben Sie die Absicht, eine Zusatzfrage zu stellen?

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte, das mit einem Handzeichen anzukündigen. Das sehe ich, und Sie bekommen dann selbstverständlich das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schneider.

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß diese offensichtlich ausschließlich von juristischen Standpunkten her geprägte Antwort für die Belange der Bundesrepublik Schaden bringen kann, weil die offensichtlich angestrebte Festnahme von Yilmaz Güney sowohl in der Öffentlichkeit hierzulande als auch in der europäischen Öffentlichkeit mit großem Befremden aufgenommen werden würde?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich glaube nicht, daß diese Entscheidung auf Grund von ausschließlich juristischen Argumenten getroffen worden ist; hier waren vielmehr politische Gründe mit maßgebend.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie mir auch sagen, welche politischen Gründe maßgebend waren?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es ist zu befürchten, daß ein Auftritt von Herrn Güney als Exponent der extremen Linken in der Bundesrepublik Deutschland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen türkischen Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland führen würde.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, worauf stützen Sie Ihre Ansicht, daß der Filmregisseur Yilmaz Güney ein Linksradikaler ist und linksradikale Tendenzen befördern könnte?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Auf seine eigenen Aussagen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Spranger, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind es politische und nicht juristische Gründe, die Sie zu dieser Antwort bewegen. Kann man daraus schließen, daß die persönliche Sicherheit von Yilmaz Güney bei einer Einreise durch eine politische Verfolgung und nicht wegen zu erwartender rechtlicher Tatbestände gefährdet wäre?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Diese Frage müßten Sie an den Herrn Justizminister richten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine letzte Zusatzfrage, bitte.

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, welche politischen Äußerungen des Regisseurs Güney veranlassen Sie zu Ihrer Antwort, die Sie mir auf meine dritte Zusatzfrage gegeben haben? Mir sind solche Äußerungen von Yilmaz Güney nicht bekannt.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es gibt hier politische Äußerungen, die er zu verantworten hat. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Repnik auf: Hat die Bundesregierung über die sich ständig ausweitende Ölkatastrophe im Persischen Golf verläßliche Informationen, und liegen ihr Erkenntnisse über die umweltbelastenden Auswirkungen, die z. B. dadurch entstehen, daß bis zu 50 v. H. des Öls verdunsten, vor?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die beschädigten Bohrlöcher, aus denen das 01 im Arabisch-Persischen Golf ausfließt, liegen im Kampfgebiet zwischen Irak und Iran. Verläßliche Informationen sind daher nur schwer zu gewinnen. Nach unserer Kenntnis sind seit Anfang März 1983 etwa 20 000 bis 30 000 t 01 ausgeflossen. Das ist etwa ein Zehntel der Menge, die beim Unfall des Tankers „Amoco Cadiz" vor der französischen Nordseeküste ins Meer strömte. Nach Mitteilung der angrenzenden Staaten besteht eine akute Gefahr für die Umwelt am Golf zur Zeit noch nicht. Die potentielle Gefahr jedoch ist groß, da Bohrlöcher, die früher gebrannt haben, nach dem Erlöschen jetzt größere Mengen 01 abgeben. Je nach der chemischen Zusammensetzung des Rohöls ist besonders bei den hohen Durchschnittstemperaturen am Golf mit einer Verdunstungsquote von etwa 40 % zu rechnen. Der Rest des Öls verklumpt und treibt als Schlick unter der Oberfläche des Meeres. Zusätzlich ist davon auszugehen, daß die im Wasser des Golfs zahlreich vorhandenen ölabbauenden Bakterien unter den günstigen Temperaturbedingungen des Gebiets einen weiteren Teil des Öls unschädlich machen. Umweltbelastungen durch verdunstendes Öl sind bislang noch nicht bekannt. Die Bundesregierung hatte am 2. Mai 1983 eine Expertendelegation unter Leitung des Auswärtigen Amts in die Golfstaaten entsandt. Zweck der Reise war vor allem das Angebot unserer Hilfe an die betroffenen Staaten, aber auch die Gewinnung von Informationen über Umfang und Charakter der Ölverschmutzung am Golf.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die zirka 40% des Öls, die in die Atmosphäre entwichen sind, möglicherweise Schäden für die Bundesrepublik Deutschland nach sich ziehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, das ist ungefähr der Wortlaut Ihrer zweiten Frage, die ich hier gleich noch beantworten werde.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Antwort auf die zweite Frage braucht jetzt nicht gegeben zu werden. Wir kommen auf die zweite Frage noch zurück. Ich möchte nicht, daß eine zweite Frage von seiten der Regierung schon beantwortet ist, wie es gestern geschehen ist, und der Präsident bei der Worterteilung zu Zusatzfragen dann vor Probleme gestellt wird. Es darf nicht sein, daß durch vorzeitige Beantwortung Abgeordnete irgendwie benachteiligt werden. Das Wort zu einer Zusatzfrage zu Frage 4 hat Herr Abgeordneter Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem offensichtlich ist, daß die Ölkatastrophe im Golf das Ergebnis eines kriegerischen Konflikts in der Golfregion ist, und nachdem offensichtlich klar ist, daß die Rapid Deployment Force der Amerikaner dazu dient, westliche Interessen im Falle von kriegerischen Konflikten zu schützen, möchte ich Sie fragen, in welcher Form die Rapid Deployment Force dazu dienen könnte oder sollte, in solchen Formen von Konflikten irgendeine Art von Problemlösung herbeizuführen.

Not found (Gast)

Es fällt mir außerordentlich schwer, Herr Kollege Voigt, den Zusammenhang zwischen dieser Ölkatastrophe im Golf und Überlegungen für eine Rapid Deployment Force zu erkennen. Soweit ich diese Überlegungen kenne, ist diese Einheit zu allem anderen, aber sicherlich nicht zur Bekämpfung einer Ölkatastrophe gedacht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Repnik auf: Ist zu befürchten, daß umweltbelastende Auswirkungen durch die Verdunstung auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten sind, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gegebenenfalls ergriffen, um auf die unverzügliche Beseitigung der Ursache der Ölkatastrophe zu drängen?

Not found (Gast)

Wegen der großen Entfernung vom Arabisch-Persischen Golf bis nach Mitteleuropa sind Auswirkungen der Verdunstung des dort ausgeflossenen Öls hier nicht zu erwarten. Das Golfgebiet und Mitteleuropa gehören zwei völlig verschiedenen Wetterzonen an. Das Hauptproblem für eine erfolgreiche Bekämpfung der Ölverseuchung bleibt die fehlende Einigung zwischen Irak und Iran über eine Einstellung der Kampfhandlungen im Seegebiet um das Nauruz-Ölfeld. Die regionale Meeresschutzorganisation für das Golfgebiet, ROPME bemüht sich, hierfür einen Weg zu finden. Dies war bis jetzt leider erfolglos. Die Bemühungen gehen jedoch weiter. Die Bundesregierung hält das im Rahmen der ROPME Unternommene zur Zeit für das Richtige und Angemessene.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, gibt es eine internationale Zentrale, die Umweltkatastrophen dieser Art registriert und über die Folgen informiert bzw. Verantwortliche oder Betroffene alarmiert?

Not found (Gast)

Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich weiß das nicht. Vielleicht weiß es die Bundesregierung, aber ich weiß es nicht. ({0}) - Ich will Ihnen das gerne nachreichen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, worauf Sie Ihre Kenntnisse gründen, daß Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwarten seien, und darf ich damit den Gedanken und die Frage verbinden, daß es durchaus üblich ist, daß auf Grund der starken Winde Transporte u. a. auch von Sand über weite Strecken erfolgen?

Not found (Gast)

Ja, es ist unbestreitbar so, daß Transporte durch Winde gelegentlich über weite Strecken erfolgen. Aber die Experten sagen genauso unbestreitbar, daß solche Transporte nicht über zwei Wetterzonen hinweg erfolgen. Ich muß einräumen, daß ich selber das noch nicht am konkreten Beispiel überprüft habe. Aber mir erscheint das plausibel. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Fragen 6 und 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich die Frage 8 der Frau Abgeordneten Blunck auf: Ist der Bundesregierung die Praxis amerikanischer Konsulate in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ({0}) bekannt, deutschen Staatsangehörigen, die zu einem früheren Zeitpunkt ihren Wohnsitz in der DDR oder Berlin ({1}) hatten, vor Erteilung eines Visums für die USA einen gesonderten, umfangreichen Fragebogen vorzulegen und die Erteilung des Visums von der detaillierten Beantwortung des Fragebogens abhängig zu machen, und ist die Bundesregierung bereit, auf die verantwortlichen amerikanischen Stellen entsprechenden Einfluß zu nehmen, damit diese im Sinne einer Gleichbehandlung aller deutschen Staatsangehörigen auf ein Sonderverfahren bei der Erteilung von Visa für die Zukunft verzichten?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, eine solche Praxis ist der Bundesregierung nicht bekannt. Das von der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Bonn benutzte Sichtvermerksantragsformular - Optional Form - 156 German ({0}) - enthält keine Fragen, die sich speziell auf die DDR oder Ost-Berlin beziehen. Die Bundesregierung vermag ein amerikanisches Sonderverfahren bei der Erteilung von. Sichtvermerken an Deutsche, die früher ihren Wohnsitz in der DDR oder in Ost-Berlin hatten, inzwischen jedoch ins Bundesgebiet gezogen sind und sich eindeutig zur Bundesrepublik Deutschland bekennen, nicht zu erkennen. Sie sieht deshalb keine Veranlassung, auf die verantwortlichen amerikanischen Stellen entsprechenden Einfluß mit dem Ziel der Beseitigung dieses angeblichen Sonderverfahrens zu nehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sieht die Bundesregierung, Herr Staatsminister, wenn ich ihr den Vorgang, der tatsächlich passiert ist, zuschicke, Veranlassung, irgendwie tätig zu werden?

Not found (Gast)

Ja, selbstverständlich. Wenn Sie einen Vorgang, der das belegt, zuschicken können, müssen wir dem nachgehen. Aber ich kann mir vorstellen, Frau Kollegin, daß Ihnen ein Vorgang mit den Sichtvermerksantragsformularen alter Fassung, die bis 1982 gegolten haben, vorliegt. Die neuen Formulare enthalten die Formulierung, in der es in der Frage 39 a in der Tat hieß „Haben Sie jemals in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Ost-Berlin gewohnt oder gearbeitet?", nicht mehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie möchten noch eine Zusatzfrage stellen? - Bitte sehr.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dazu möchte ich eine Vorbemerkung machen: Ihre Vorstellungskraft reicht nicht aus, Herr Minister. Deswegen meine Frage - den Vorgang werde ich Ihnen zuschicken -: Steht diese Haltung, die die USA mit ihrer Praxis hier unterstützen, nicht eigentlich im Gegensatz zu der Haltung der Bundesregierung, eine eigene Staatsangehörigkeit der DDR nicht anzuerkennen?

Not found (Gast)

Auf der Grundlage der von mir soeben gegebenen Antwort, die die von Ihnen hier vorgetragene Meinung als unbegründet erscheinen läßt, möchte ich eine hypothetische Antwort auf diese Frage nicht mehr geben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie gegebenenfalls bereit, die USA darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung und damit die Bundesrepublik an der Einheit der deutschen Nation festhalten?

Not found (Gast)

Ich habe das Gefühl - und das ist uns auch amtlich bekannt -, daß das den Vereinigten Staaten von Amerika und deren Regierung hinreichend bekannt ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wie darf ich Ihre erste Antwort verstehen, in der Sie gesagt haben „... die ... sich eindeutig zur Bundesrepublik Deutschland bekennen"; wie erkennen die amerikanische Botschaft bzw. die Konsulate gegebenenfalls irgendwelche Unterschiede?

Not found (Gast)

Damit ist gemeint, daß sich jemand als deutscher Staatsangehöriger versteht. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Kann die Bundesregierung darüber Auskunft erteilen, wie viele Bürger der Sowjetunion deutscher Volkszugehörigkeit in den letzten fünf Jahren in ursächlichem Zusammenhang mit dem Ausreisebegehren und mit Demonstrationen wegen verweigerter Ausreise verhaftet und verurteilt worden sind und wie viele sich in Haft befinden?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Botschaft Moskau erhält von sowjetischer Seite in solchen Haftfällen keine Mitteilungen, da es sich bei den Inhaftierten um sowjetische Staatsbürger handelt. Hinweise aus dem Bundesgebiet sind selten. Werden solche Fälle im sowjetischen Außenministerium angesprochen, wird ein Zusammenhang der Verhaftung mit einem Ausreisebegehren entschieden in Abrede gestellt. Bekannt ist der Bundesregierung, daß sowjetischerseits Straftatbestände wie Wehrdienstverweigerung oder unerlaubte religiöse Tätigkeit - so wird das genannt - vorgeschoben werden, um Ausreisebemühungen zu unterbinden. Teilnehmer an Demonstrationen wegen verweigerter Ausreise wurden in den letzten Jahren nach den Erfahrungen unserer Botschaft in der Regel festgenommen und nach ihrer Vernehmung, die einige Tage in Anspruch nehmen kann, in ihre Wohnorte entlassen. Die Bundesregierung kann daher die gestellten Fragen für die zurückliegende Zeit nicht genau beantworten. Ein Vertriebenenverband sprach am 7. Dezember 1982 von 44 inhaftierten Rußlanddeutschen, eine humanitäre Organisation am 31. März 1983 von 51. In der Haftliste, die Außenminister Gromyko am 17. Januar 1983 mit der Bitte um wohlwollende Behandlung überreicht wurde, waren 42 namentlich aufgeführt. Davon sollen am 12. Januar 1983 wegen Ausreisebemühungen 11, hiervon 2 auch wegen ihrer Vorschläge zur Errichtung deutscher Kulturzentren, wegen Kriegsdienstverweigerung, jedenfalls auch wegen Kriegsdienstverweigerung, 2 und auch aus religiösen Gründen 29. Am 3. Mai 1983 wurde eine weitere Verhaftung in Kirgisien bekannt, am 16. Mai 1983 die Festnahme von 3 Rußlanddeutschen, die sich den Zugang zu unserer Botschaft in Moskau erzwingen wollten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, indem ich mich auf den letzten Teil Ihrer Antwort beziehe: Ist es richtig, daß unser Botschafter - wie dpa meldete - am 16. Mai wegen des Abtransportes, wie das so im Behördendeutsch heißt, von 3 ausreisewilligen Deutschen, nachdem sie die Botschaft verlassen hatten, protestiert hat, und was hat die Sowjetunion auf diesen, wie es heißt, „schärfsten Protest" geantwortet?

Not found (Gast)

Es ist zutreffend, daß der Botschafter wegen dieses Vorfalls - er begann im übrigen schon bei dem Versuch der Betroffenen, die Botschaft zu betreten - im Außenministerium Protest eingelegt hat. Er hat dargelegt, daß eine solche Praxis nach unserer Auffassung unter anderem auch gegen den Geist der Schlußakte von Helsinki verstößt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben eine Liste von Verhaftungen genannt, die dem Außenminister Gromyko vorgelegt worden ist. Welches war die Reaktion der Sowjetunion sowohl bezüglich dieser Liste als auch bezüglich unserer Einlassung, daß das Verhalten der Sowjetunion dem Geist und Buchstaben der Schlußakte von Helsinki widerspricht?

Not found (Gast)

Es hat in beiden Fällen noch keine endgültige konkrete Reaktion gegeben. Im ersten Fall wurde eine Prüfung dieser übergebenen Liste zugesagt. Auf die zweite Einlassung ist eine sehr zurückhaltende Reaktion erfolgt. Man hat das zur Kenntnis genommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 10 des Herrn Abgeordneten Lowack auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Falschinformation durch die türkische Regierung am Rande des Besuches des türkischen Außenministers in Bonn am 1. Februar 1983, wonach der seit September 1982 in türkischen Gefängnissen festgehaltene Student Thomas Reinl, dem zur Last gelegt wird, während eines Ferienaufenthaltes ein erst nachträglich als antik deklariertes Stück Stein in seinem Pkw transportiert zu haben, „voraussichtlich noch im März dieses Jahres mit einer Entlassung" rechnen könne, und „die Sache an eine türkische Strafkammer verwiesen worden sei, deren Strafbefugnisse höchstens 15 Monate betrage"?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat die Verurteilung von Herrn Rein! zu einer Haftstrafe von 20 Monaten durch das nunmehr zuständige Gericht in Nazilli mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, da diese Entscheidung nicht der Mitteilung entsprach, die von türkischer Seite am Rande des Besuchs von Außenminister Türkmen in Bonn am 1. Februar 1983 gemacht worden war. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß türkische Gerichte unabhängig entscheiden und daß die türkische Regierung mehrfach betont hat, keinen Einfluß auf diese Entscheidungen nehmen zu können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, trotz dieser Einschränkung, die Sie am Schluß gemacht haben, frage ich: Bedeutet das, daß der türkische Außenminister bei seinem Besuch in Bonn über den Fall falsch informiert gewesen ist?

Not found (Gast)

Die Äußerung, von der Sie gesprochen haben, stammte nicht vom türkischen Außenminister, sondern aus seiner Umgebung. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob der entsprechende Mitarbeiter falsch informiert war. Das kann ich nicht beurteilen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, Konsequenzen aus diesem Vorfall zu ziehen und deutsche Touristen in Zukunft besser aufzuklären, nämlich so, daß man weiß, was bei Dingen passieren kann, die nach deutschem Strafrecht ganz anders bewertet würden?

Not found (Gast)

Es ist natürlich sehr schwer, deutsche Touristen bei der Vielzahl der Länder, in die sie reisen, und bei der Art und Weise, in der das in aller Regel vorbereitet und durchgeführt wird - nämlich privat -, über die rechtliche Situation in diesen Ländern so zu informieren, daß solche Kollisionen unterbleiben. Aber wahrscheinlich werden wir ganz einfach darauf hinweisen müssen, daß es nicht nur in der Türkei, sondern vermutlich auch bei uns mit ausgesprochen wenig guten Gefühlen gesehen wird, wenn von Baudenkmälern - es unterliegt unterschiedlichen Definitionen, was ein Baudenkmal ist - Gegenstände mitgenommen werden. Wenn ich mir bestimmte historische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland vorstelle und einmal annehme, daß dort etwa ein türkischer Bürger etwas mitnehmen würde, bin ich ziemlich sicher, daß das auch geahndet würde. Insofern kann man nur darum ersuchen, daß man sich anderswo nicht anders verhält als zu Hause. Das Strafmaß allerdings und auch die Haftvollzugsbedingungen sind dann unterschiedlich. Darauf kann man in der Tat hinweisen. Aber es ist sehr schwierig, das so komplex darzustellen, daß alle Länder erfaßt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, werden durch den Tatbestand, der in der Frage angesprochen ist und den Sie gerade erläutert haben, nicht die Anfragen und Feststellungen von Abgeordneten dieses Hohen Hauses aus der Vergangenheit bestätigt, nach denen die türkische Justiz - im Gegensatz zu anderen Gepflogenheiten - Deutsche genauso wie ihre eigenen Landsleute behandelt, nämlich nach Rechtsformen, die wir als Demokraten nicht akzeptieren können?

Not found (Gast)

Die türkische Justiz behandelt Straftäter oder solche, die dort dafür gehalten werden, nach türkischem Recht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, kann ich Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Lowack so verstehen, daß die Bundesregierung künftig darauf verzichten wird, gegenüber der türkischen Regierung dann zu intervenieren, wenn es zu einer Rechtsprechung türkischer Gerichte kommt, die zwar den türkischen Gesetzen entspricht, aber etwa unseren Rechtsvorstellungen oder gar internationalen Menschenrechtsvereinbarungen widerspricht? ({0})

Not found (Gast)

Nein, das können Sie daraus überhaupt nicht entnehmen, sonst hätte sich j a die Bundesregierung in diesem Falle nicht schon bemüht. Sie wird das im übrigen auch weiterhin tun. Im Moment ist ja das Verfahren nach einer Wiederaufrollung noch im Gang. Ich hatte nur auf Grund der Frage des Kollegen darauf hinweisen wollen, daß es Verhaltensweisen auch von Deutschen im Ausland geben kann, die für die Justiz - wie auch immer diese geartet sein mag - ein Anlaß sind, dagegen vorzugehen. Der Hinweis darauf, daß sich jemand, der einen Stein oder eine Fliese aus einem als historisch empfundenen Baudenkmal mitnimmt - das ist j a der Gegenstand dieses Verfahrens gewesen -, auch in Deutschland strafbar macht, sollte keinerlei Anerkennung des Strafmaßes, sonstiger Bestimmungen oder Einzelheiten bedeuten, sondern im Grunde eine Mahnung an deutsche Touristen sein, sich im Ausland so zu verhalten, wie wir es auch von ausländischen Touristen bei uns erwarten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, um jetzt eine klare Antwort zu bekommen: Halten Sie die Verfahrensweise dort für eine Menschenrechtsverletzung - j a oder nein? -, und, wenn Sie mit Ja antworten, wie gedenkt die Bundesregierung dagegen endlich nicht nur wegen deutscher Staatsbürger, sondern auch wegen der Türken vorzugehen? ({0})

Not found (Gast)

Ich bedaure, ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß ich für einen behutsameren Umgang mit dem Wort „Menschenrechte" bin, ({0}) damit wir nicht in die Situation kommen, daß wir die Menschenrechte am Ende nicht mehr verteidigen können, weil in jedem Bereich jede Ungerechtigkeit gleich in den Rang einer Menschenrechtsverletzung gehoben wird. Ich vermag nicht einzusehen, weshalb eine Verurteilung, die nach türkischem Recht wegen Diebstahls erfolgt, bei der uns das Strafmaß eindeutig als zu hoch erscheint, ({1}) den Charakter einer Menschenrechtsverletzung haben soll. Ich bitte Sie wirklich sehr, zu verstehen, daß wir mit diesem Begriff behutsamer umgehen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß die türkischen Gerichte unabhängig urteilen. Wie verträgt sich das damit, daß im Zusammenhang mit dem Filmregisseur Güney bei uns so argumentiert wird, daß wir auf Grund von Verträgen mit der türkischen Regierung verpflichtet sind, diesen Mann, wenn er nach Deutschland kommt, auszuliefern, da er dort gerichtlich wegen Totschlags verurteilt worden ist? Sehen Sie da nicht eine Diskrepanz?

Not found (Gast)

Nein. Es ist übrigens auch in der Bundesrepublik Deutschland so, daß, wenn unabhängige Gerichte jemanden verurteilen, die Umsetzung dieses Urteils nicht Aufgabe der Gerichte ist. Es ist im übrigen auch nicht die Aufgabe der Gerichte, dafür zu sorgen, daß jemand, der sich dem Urteil entzieht, gefaßt wird. Ich glaube, das Zusammenwirken von verschiedenen staatlichen Institutionen und Stellen, wie es sich hier deutlich macht, gibt es bei uns auch.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Lowack auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Thomas Reinl in einer Verhandlung vom 27. April 1983, zu der er - kahlgeschoren - von acht Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehren in Ketten vom Gefängnis durch die Straßen vorgeführt wurde, zu 20 Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt, eine Haftentlassung gegen Paßentzug oder Kaution abgelehnt und die Unterbringung in einer Tag und Nacht erleuchteten Zelle mit elf weiteren Häftlingen, denen ein gemeinsamer Kübel in der Mitte des Raumes zur „Benutzung" zusteht, verfügt sowie Schreibverbot erteilt wurde?

Not found (Gast)

Herr Kollege, wie wir immer wieder feststellen müssen, sind die Haftbedingungen in türkischen Haftanstalten nicht mit denen in deutschen Justizvollzugsanstalten vergleichbar. Die Bundesregierung ist jedoch seit langem ständig bemüht, eine Verbesserung der Bedingungen für deutsche Staatsangehörige zu erreichen. Das Urteil des Prozeßgerichts in Nazilli vom 27. April 1983 entspricht der nach dem türkischen Antiquitätengesetz vorgesehenen Mindeststrafe für Diebstahl von Antiquitäten. Durch die vorgeschriebenen Kontrollen des Briefverkehrs und Übersetzungen ein- und ausgehender Briefe durch die Staatsanwaltschaft sind Verzögerungen im Briefverkehr nicht auszuschließen. Ein Schreibverbot für Herrn Reinl ist dem Auswärtigen Amt nicht bekannt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, eine kurze Vorbemerkung. Ich bedaure, daß Sie bereits den Schuldspruch vorgenommen haben; ({0}) denn es liegen Anhaltspunkte und Zeugenaussagen vor, daß diese Art Stein, um den es hier geht, normalerweise von der türkischen Bevölkerung zum Hausbau verwendet wird und erst nach der Wegnahme Verbotsschilder aufgestellt wurden. Daran anknüpfend meine Frage: Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, daß etwas mehr hinter der Verurteilung steckt, die Thomas Reinl so beschrieben hat, es sei gar nicht um den Stein, sondern darum gegangen, daß er gewissermaßen für Deutschland und für eine deutsche Intervention zu brummen habe? ({1})

Not found (Gast)

Dafür sind der Bundesregierung keine Anhaltspunkte bekannt. Ich möchte im übrigen klarstellen, daß ich hier keine Art von Schuldspruch vorgenommen habe, sondern ich habe mich auf das Urteil gestützt, das auf dieser Grundlage gefällt worden ist. Da die Mitglieder der Bundesregierung ebenso wie wahrscheinlich die meisten hier anwesenden Mitglieder des Parlaments diesen Stein nicht gesehen haben, möchte ich mich auch einer Bewertung dieses Steins enthalten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, eine abschließende Frage: Ist die Bundesregierung bereit, in dieser Sache erneut zu intervenieren, um zu erreichen, daß Thomas Reinl nach Deutschland zurückkommen kann?

Not found (Gast)

Ja, wir sind dazu bereit. Wir wollen in dem Moment, in dem das Verfahren erneut abgeschlossen ist, noch einmal bei der türkischen Regierung vorstellig werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, bestätigen Sie die in der Frage von Herrn Kollegen Lowack aufgestellte Behauptung im Zusammenhang mit den Festnahme- und Haftbedingungen? Bezeichnen Sie das als den Menschenrechten entsprechend, oder sind Sie mit mir der Meinung, daß man bei einem solchen Fall gerade einem NATO364 Immer ({0}) Partner gegenüber verpflichtet ist, diese Dinge durch einen Protest abzustellen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß entsprechend dem vorgelegten Zeitplan die demokratischen Grundrechte und eine demokratische Struktur in der Türkei wieder eingeführt werden. Aber die Erfahrungen, die diese Bundesregierung und ihre Vorgänger gemacht haben, beweisen, daß in den verschiedensten Staaten dieser Erde mit einer Protestaktion allein Haftbedingungen so schnell nicht geändert werden. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat sich die deutsche Botschaft nach diesem Urteil vom 27. April selbst ein Bild über die Haftbedingungen dieses deutschen Staatsbürgers gemacht?

Not found (Gast)

Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 12 der Abgeordneten Frau Hoffmann ({0}) auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bisherige Unterstützung Simbabwes von deutscher Seite nicht zuletzt damit zu begründen war, daß Simbabwe als Modell für demokratisch legitimierte Machtausübung durch eine schwarze Bevölkerungsmehrheit angesehen wurde, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Bestrebungen des Premierministers Dr. Mugabe, selbst unter massiven Menschenrechtsverletzungen den Einparteienstaat durchzusetzen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung hat 1980 die Unabhängigkeit Simbabwes auch deshalb begrüßt, weil sie unter Beweis stellte, daß in einer durch politische und militärische Polarisierung geprägten Region ein friedlicher Ausgleich zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen möglich ist. Der Prozeß, der zur Unabhängigkeit Simbabwes führte, hat daher eine positive Signalwirkung für die Lösung ähnlich gelagerter Konflikte, vor allem im südlichen Afrika. Premierminister Mugabe hat für sein Land das System des parlamentarischen Pluralismus akzeptiert. Wir begrüßen diese Entscheidung. Sie ist für ein afrikanisches Land, das zu einer Nation werden will, keine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung hat es als ihre politische und moralische Verpflichtung angesehen, ihren Beitrag zur Konsolidierung des jungen Staates zu leisten, auch im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Bundesregierung hat mit Sorge die Entwicklung im Matabeleland seit Anfang des Jahres verfolgt. Sie hat nicht gezögert, die Regierung in Simbabwe klar an ihre Verantwortung für die Respektierung elementarer Menschenrechte zu erinnern. Diese Haltung ist mit der unserer westlichen Partner auf das engste abgestimmt. Die Bundesregierung nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Ausschreitungen im Matabeleland seit einigen Wochen ein Ende gefunden haben. Es erscheint auch geboten darauf hinzuweisen, daß die dortigen Vorgänge nicht Ausdruck einer Konfrontation der weißen und der schwarzen Bevölkerungsgruppen war, sondern in einem wesentlichen Maße eine gewiß nicht zu billigende, jedoch in ihren politischen Hintergründen erkennbare Reaktion der Simbabweschen Regierung gegen eine systematisch betriebene Politik der Destabilisierung. Daß zahlreiche unschuldige Zivilpersonen die Leidtragenden der Auseinandersetzungen geworden sind, ist tief zu beklagen. Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, daß Premierminister Mugabe durch die im Matabeleland begangenen Ausschreitungen den parlamentarischen Pluralismus in Frage stellen wollte. Vielmehr teilen wir mit anderen westlichen Beobachtern die Einschätzung, daß sich Premierminister Mugabe auch weiterhin den Zielen verpflichtet fühlt, zu denen er sich seit Übernahme des parlamentarischen Systems in Simbabwe bekennt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Ingeborg Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung, Herr Staatsminister, Informationen zu, nach denen die Regierung Simbabwes im Zuge ihrer Menschenrechtsverletzungen die Errichtung von Konzentrationslagern in Nkayi, Lupane, Tsholothso, Mushumbi und Gonakudzingwa vorbereitet?

Not found (Gast)

Der Bundesregierung sind Informationen, daß an diesen Orten Konzentrationslager errichtet werden sollen, nicht bekannt. Die Errichtung solcher Lager verstieße natürlich auch, wenn sie denn geplant wären bzw. errichtet würden, gegen den vorher von mir erwähnten Gedanken der nationalen Aussöhnung, den Premierminister Mugabe bisher jedenfalls verfolgt hat.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Ingeborg Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor über die Beschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten für ausländische Journalisten in Simbabwe und insbesondere im Schwerpunktgebiet der Menschenrechtsverletzungen, dem Matabeleland?

Not found (Gast)

Der Bundesregierung sind Informationen darüber, daß es zu einer generellen Beschränkung der Bewegungsmöglichkeiten deutscher oder ausländischer Journalisten gekommen ist, nicht bekannt. Allerdings ist es während der Auseinandersetzungen im Matabeleland tatsächlich zu solchen Beschränkungen gekommen. Andererseits spricht die doch sehr ausführliche Presse- und auch Bildberichterstattung über die Vorgänge eher dafür, daß sich Journalisten dort doch haben bewegen können, wenn auch mit den von mir genannten Einschränkungen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß die bisherige enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Simbabwe auch dadurch bestimmt war, daß dieses Land einen konstruktiven Kurs der Blockfreiheit verfolgt und außerdem die Sicherheitsrats-Resolution Nr. 435 bezüglich Namibia in einer aktiven Weise unterstützt hat?

Not found (Gast)

Auch das war und ist einer der Gründe, weshalb wir die doch sehr intensive Zusammenarbeit mit diesem Land fortsetzen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben eben gesagt, die Haltung der Bundesregierung sei mit den westlichen Bündnispartnern abgestimmt. Heißt das, daß die künftige Haltung der Bundesregierung auch in der Entwicklungspolitik gegenüber Simbabwe in eine westliche Gesamtstrategie eingepaßt und das zum Kriterium der zukünftigen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gemacht werden soll?

Not found (Gast)

Nein, Herr Kollege. Das ist eben der Unterschied zwischen „abstimmen" und „sich anpassen". Unter „abstimmen" versteht die Bundesregierung, daß sie ihre Überlegungen im Rahmen der politischen Abstimmungsmechanismen der EG wie auch mit anderen befreundeten Staaten einbringt. Aber das heißt nicht, daß wir uns an Vorstellungen anzupassen hätten, die wir nicht akzeptieren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 13 der Frau Abgeordneten Hoffmann ({0}) auf: Kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, nach denen der simbabwische Premierminister Dr. Mugabe Anfang April in Zhombe die Regierungstruppen ermuntert haben soll, sogar die Familienangehörigen derer zu töten, die den sogenannten „Dissidenten" zu essen geben?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung kann derartige Darstellungen nicht nur nicht bestätigen, sondern sie ist auf Grund verläßlicher Informationen davon überzeugt, daß Premierminister Mugabe die notwendigen Schritte unternommen hat, um den Ausschreitungen im Matabeleland ein Ende zu setzen. Er hat insbesondere seit seiner Rückkehr vom BlockfreienGipfel in Neu-Delhi durch persönliche Intervention bei der 5. Brigade auf Disziplinierung hingewirkt. Auch von politischen Gegnern des Premierministers Mugabe sind derart schwerwiegende Vorwürfe nicht erhoben worden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage? - Bitte.

Ingeborg Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, welche Erkenntnisse über die Entwicklung der Menschenrechtslage in Simbabwe liegen der Bundesregierung aus den letzten beiden Wochen vor?

Not found (Gast)

Die Menschenrechtssituation, vor allen Dingen im Matabeleland, hat sich nach den Informationen, die uns vorliegen, in den letzten beiden Wochen weiter stabilisiert. Wir führen das nicht zuletzt auch darauf zurück, daß eben über die bilateralen Kontakte in diesem Sinne Einfluß genommen worden ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den Fortgang und den Stand der Bemühungen der Kontaktgruppe der fünf westlichen Staaten auf der Grundlage der VN-Resolution 435 zur Unabhängigkeitswerdung Namibias?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung setzt ihre Bemühungen um eine möglichst baldige Unabhängigkeit Namibias auf der Grundlage des Lösungsplanes der Vereinten Nationen gemeinsam mit ihren westlichen Verbündeten in der Kontaktgruppe nachdrücklich fort. Die Afrika-Beauftragten der Außenministerien der westlichen Fünf sind noch am vergangenen Montag in Bonn zusammengetroffen, um ihre gemeinsamen Positionen zu bestimmen, insbesondere im Hinblick auf die für die kommende Woche erwartete Debatte des VN-Sicherheitsrates über die Namibia-Frage. Das gemeinsame Ziel der möglichst baldigen Durchführung der Resolution 435 des Sicherheitsrates wurde dabei erneut bekräftigt. Bundesminister Genscher hat ein Treffen der Außenminister der fünf Staaten der Kontaktgruppe beim Wirtschaftsgipfel von Williamsburg vorgeschlagen. Seit den erfolgreichen New-Yorker Konsultationen der Kontaktgruppe mit den Frontlinien-Staaten, der SWAPO und dem VN-Sekretariat vom Sommer 1982 sind in den Verhandlungen jedoch erhebliche Verzögerungen eingetreten. Obwohl die Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung der Resolution 435 im wesentlichen geklärt sind, hat Südafrika seine Zustimmung zum Beginn des von den VN zu überwachenden Übergangsprozesses noch nicht gegeben. Bekanntlich steht die Regierung von Angola in direkten Gesprächen mit der Regierung der USA und auch mit der südafrikanischen Regierung. Diese bilateralen Kontakte, an denen die Bundesregierung nicht beteiligt ist, sind auch für die weitere Entwicklung der Namibia-Frage von Bedeutung. Die Bundesregierung wünscht - im Interesse einer baldigen Namibia-Lösung und auch im Interesse einer Entspannung in der Region - insgesamt rasche Fortschritte bei diesen Gesprächen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, kann ich als Resümee Ihrer Antwort annehmen, daß die Bundesregierung nicht nur nicht beabsichtigt, sich von der VN-Resolution 435 zu lösen, sondern daß sie entschlossen ist, diese Resolution und ihre Umsetzung weiter aktiv zu fördern?

Not found (Gast)

Ja. Dafür spricht die Tatsache, daß sich die Bundesregierung und die vier weiteren Mitglieder der Kontaktgruppe auf Ini366 tiative der Bundesregierung am Montag hier in Bonn darüber verständigt haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kann ich Ihrer Antwort zusätzlich entnehmen, daß sich an den Prinzipien, aber auch an den Praktiken der bisherigen Namibia-Politik der Bundesregierung nichts ändern wird?

Not found (Gast)

So ist es.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung über den Stand der amerikanischangolanischen Verhandlungen und über den Abzug der kubanischen Truppen informiert, und hält sie ein erfolgreiches Ergebnis dieser Verhandlungen, also einen Abzug der kubanischen Truppen für eine Vorbedingung für die Lösung der Namibia-Frage?

Not found (Gast)

Wir werden im Rahmen der politischen Konsultationen natürlich auch über solche Fragen informiert; wir sind an diesen Gesprächen aber nicht beteiligt. Die Bundesregierung hat im übrigen bislang - sie wird das auch weiterhin tun - für eine möglichst baldige Durchführung des Lösungsplanes gemäß Sicherheitsratsresolution 435 Stellung bezogen, und zwar ohne Vorbedingungen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwenninger.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Könnte die Verzögerung bei den Verhandlungen für ein unabhängiges Namibia damit zusammenhängen, daß die Bundesregierung weiß, daß wir ziemlich viel Uran von der Firma Rössing bekommen, an der die bundeseigene Firma Uran-Gesellschaft, glaube ich, 15% Anteile hat, und wir dieses Uran brauchen? Vielleicht könnte das eine Überlegung für die Bundesregierung sein.

Not found (Gast)

Die Überlegungen für die Bundesregierung ist, daß sie sich für die Selbständigkeit dieses Landes Namibia einsetzt und für dessen Unabhängigkeit, und zwar auf der Grundlage der genannten Resolution. Von daher vermag ich einen Zusammenhang von dem von Ihnen angesprochenen Sachverhalt nicht zu erkennen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem Sie sich eben dankenswerterweise offiziell für die Bundesregierung - im Unterschied zu anderen Teilen der Koalitionsfraktionen - zur Fortsetzung der sozialliberalen Namibia-Politik bekannt haben, möchte ich Sie fragen, ob diese Kontinuität auch eindeutig und klar ist in der Haltung gegenüber einem Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Windhuk.

Not found (Gast)

Ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen, daß ich hier in der Tat nicht für einzelne Mitglieder von Koalitionsfraktionen spreche, sondern für die Bundesregierung. ({0}) Das wird kein Mitglied einer Koalitionsfraktion daran hindern, gegebenenfalls eine abweichende Meinung zu haben. Das ist ein Phänomen, das wir schon bei früheren Regierungen beobachten konnten. ({1}) Im übrigen ist die Errichtung eines Konsulats in Windhuk nicht geplant.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie Meldungen bestätigen, die in letzter Zeit in der Presse zu vernehmen waren, daß sich eine Gruppe deutschstämmiger Namibier in der Hauptstadt Simbabwes, Harare, mit Führern der SWAPO getroffen und daß dieses Treffen vorbereitet und organisiert wurde vom Auswärtigen Amt? Halten Sie das für einen sinnvollen Beitrag zur Lösung der Namibia-Frage?

Not found (Gast)

Ich kann diese Meldung nicht bestätigen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Buschfort.

Hermann Buschfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000315, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem Sie bei einer der voraufgegangenen Fragen dem Fragesteller geantwortet haben, er müsse dann die Bundesregierung fragen, möchte ich jetzt die Frage stellen, ob die Antworten an Frau Dr. Hamm-Brücher in Ihrem Namen oder im Auftrag der Bundesregierung gegeben worden sind. ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Buschfort, da Sie lange Jahre von dieser Bank aus Fragen beantwortet haben, und mir übrigens auch ansonsten an Erfahrung überlegen sind, muß ich einräumen, daß die vorhin gegebene Antwort bei einer momentanen Unwissenheit vielleicht nicht ganz den Bestimmungen entsprach. Ich wollte vorhin bei bestimmten Fragen zur Umweltproblematik nur deutlich machen, daß ich jedenfalls das nicht beantworten konnte. Eben habe ich für die Bundesregierung geantwortet, wie im übrigen bei allen anderen Fragen auch.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte auch sehr darum, daß die Fragen, die an die Bundesregierung gestellt werden, im Auftrage und im Sinne der Bundesregierung beantwortet werden und persönliche Meinungen bei der Beantwortung hier nicht einfließen. Das gilt generell. Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß die Auffassung, wonach die gegenwärtige amerikanische Administration solange nicht in der Kontaktgruppe mitarbeitet, als die Frage Angola/Kuba, die Sie angedeutet haben, gelöst ist, falsch ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Akustisch nicht durchgekommen?

Not found (Gast)

Akustisch eigentlich weniger. Die Bundesregierung hat im Moment den Sinn Ihrer Frage nicht erfassen können. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Toetemeyer, ich unterstelle, daß 50 % akustisch nicht ganz angekommen sind und 50 % dem Inhalt nach nicht. Da dann immer zugunsten des Abgeordneten entschieden wird, wiederholen Sie bitte Ihre Frage.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Habe ich Sie vorhin, Herr Staatsminister, richtig verstanden, daß die Behauptung, daß die gegenwärtige amerikanische Administration solange nicht in der Kontaktgruppe mitarbeitet, bis die Frage, die Sie eben selbst angedeutet haben - Kuba/Angola - gelöst ist, falsch ist?

Not found (Gast)

Da haben Sie mich richtig verstanden. Bei der Arbeitssitzung am Montag haben auch die Vereinigten Staaten teilgenommen. ({0}) - Ich kann nicht beurteilen, ob für die Vereinigten Staaten eine Vorbedingung wegfällt oder nicht. Ich kann nur sagen: sie arbeiten in der Kontaktgruppe weiter mit und haben sich mit uns weiterhin auf das Ziel verpflichtet, die Resolution 435 des Sicherheitsrates umzusetzen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf: Welche Auswirkungen hat der schleppende Fortschritt bei der Unabhängigkeitswerdung Namibias auf unsere Beziehungen zu schwarz-afrikanischen Staaten - insbesondere auf die sogenannten Frontstaaten im südlichen Afrika -, und wie soll seitens der Bundesregierung einem Vertrauensverlust entgegengewirkt werden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die verständliche Ungeduld der afrikanischen Regierungen und ihre Unzufriedenheit über die in der Namibia-Frage eingetretenen Verzögerungen sind natürlich auch in Gesprächen afrikanischer Politiker mit uns in den letzten Monaten zum Ausdruck gekommen. Die afrikanischen Staaten wissen jedoch, daß die Bundesregierung im Rahmen der westlichen Kontaktgruppe unvermindert für eine baldige Namibia-Lösung engagiert ist. Sie wissen auch, daß es zu dieser Lösung bisher vor allem deshalb noch nicht gekommen ist, weil Südafrika seine Zustimmung zur Durchführung des auch von ihm akzeptierten Lösungsplans noch immer nicht gegeben hat. Von einem Vertrauensverlust zwischen den schwarzafrikanischen Staaten und uns kann deshalb nicht gesprochen werden. Wir wissen, daß die am Verhandlungsprozeß beteiligten schwarzafrikanischen Regierungen wünschen, daß die westlichen Fünf ihre Vermittlungsaktion fortsetzen. Unverkennbar wären weitere Fortschritte auf dem durch die Resolution 435 vorgezeichneten Wege dem Verhältnis zwischen Afrika und dem Westen insgesamt allerdings förderlich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung einer Aufforderung Rechnung tragen, daß alle Gesprächskontakte und jede Form der Unterstützung der SWAPO eingestellt werden sollen, oder wird sie - wie früher - auch diese Kontakte weiter pflegen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung, die mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers deutlich gemacht hat, daß sie weiterhin mit ihren westlichen Partnern auf eine baldige Unabhängigkeit Namibias hinwirken wird, wird auch weiterhin alle geeigneten Schritte, die dazu beitragen können, die Konfliktparteien aufeinander zuzubringen, sicherlich unterstützen. Wenn wir in einer konkreten Situation dadurch einen Beitrag leisten können, daß wir beispielsweise die SWAPO in Richtung auf diese Regelung bewegen können, ist das sicherlich ein konstruktiver Beitrag.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, beurteilt die Bundesregierung die SWAPO als eine prokommunistische und terroristische Organisation?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hält die SWAPO für eine politische Gruppierung, die auf die Unabhängigkeit Namibias hinarbeitet. Sie enthält sich dabei einer Bewertung ihrer politischen und sonstigen Mittel. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn ein Vertrauensverlust bei schwarzafrikanischen Staaten wegen der Namibia-Frage nicht eingetreten ist, würden Sie mir zustimmen, daß aber die Vertagung der Regierungsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Simbabwe über die Fortsetzung der Entwicklungshilfe ohne die Festlegung eines neuen Termins zumindest in Simbabwe zu einem Vertrauensverlust geführt hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die von Ihnen angesprochene Frage hat jedenfalls mit dem Namibia-Problem nichts zu tun, sondern mit dem Sachverhalt, der hier zuvor bei den Fragen der Kollegin Hoffmann angesprochen worden ist. Ich denke, es müßte auch im Interesse der Angehörigen dieses Hauses sein, daß sich die Regierung in einer Phase, in der schwerwiegendste Vorwürfe noch nicht geklärt waren, einen gewissen Handlungspielraum erhielt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Immer ({0}) auf: Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um die Entwicklungshelfer in den Ländern zu schützen, die von rechtsextremistischen Guerrilla-Organisationen militärisch mit dem Ziel eines politischen Umsturzes terrorisiert werden, indem sie rücksichtslos Mordtaten an unschuldigen Menschen begehen?

Not found (Gast)

Das Auswärtige Amt, Herr Kollege, hat in Abstimmung mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Trägerorganisationen inzwischen die für die Sicherheit der deutschen Fachkräfte und Entwicklungshelfer in Nicaragua notwendigen Maßnahmen getroffen. Es wurden alle DED-Helfer aus den gefährdeten Gebieten abgezogen und ihr Einsatz auf Managua und andere größere Städte sowie die Pazifikregion beschränkt. Die Bundesregierung wird weitere Maßnahmen von der Entwicklung der Sicherheitslage in Nicaragua abhängig machen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, den Schutz deutscher Entwicklungshelfer in solchen Ländern dadurch sicherzustellen, daß sie generell die personelle Entwicklungshilfe einfach streicht?

Not found (Gast)

Nein. Eine solche generelle Entscheidung der Bundesregierung wird nicht in Erwägung gezogen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Ihren Worten auch entnehmen, daß die Bundesregierung nicht generell jegliche Entwicklungshilfe - also nicht nur personelle, sondern auch technische Hilfe - dort versagt, wo z. B. der amerikanische Geheimdienst CIA darauf ausgerichtet ist, einen Umsturz der herrschenden Regierung herbeizuführen?

Not found (Gast)

Für die Vergabe deutscher Entwicklungshilfeleistungen ist eine Vielzahl von Kriterien maßgeblich, aber das von Ihnen angesprochene sicher nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da feststeht, daß einige dieser Widerstandsgruppen von den USA entweder trainiert oder finanziert worden sind, frage ich: Hat die Bundesregierung nach dem Tod des Staatsbürgers Pflaum bei der amerikanischen Administration etwas unternommen, um die Sicherheitslage in Nicaragua und die Möglichkeiten der Fortsetzung einer Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland in Nicaragua zu verbessern?

Not found (Gast)

Zunächst: Es ist der Bundesregierung nicht authentisch bekannt, wer für die Ermordung des deutschen Staatsbürgers verantwortlich ist. ({0}) - Ich möchte das hier nur sagen, ({1}) weil in Ihrer Frage eine Bewertung durchklang, die ich hier nicht für die Bundesregierung übernehmen kann. Die von Ihnen angesprochenen Sicherheitsmaßnahmen, die zu ergreifen waren, habe ich in der Beantwortung der Frage vorhin gerade beschrieben. Es ist eine Konzentration auf bestimmte Schwerpunkte, die derzeit nicht als gefährdete Gebiete gelten. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zuatzfrage, Herr Abgeordneter Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß die Bundesregierung für entsandte Entwicklungshelfer auch eine Fürsorgepflicht hat und daß dies unter Umständen bedeuten kann, daß sie, wenn die Sicherheit dieser Entwicklungshelfer nicht mehr gegeben ist, entsprechende Konsequenzen in der Entsendung von Entwicklungshelfern in ganz bestimmte Gebiete zieht? ({0}) - Lassen Sie mich doch fragen! Ich habe die Frage an den Herrn Staatsminister gerichtet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Voigt, wir haben ja jetzt keine Bundestagsdebatte, sondern eine Fragestunde. - Bitte schön.

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Die Bundesregierung hat selbstverständlich eine entsprechende Verpflichtung, sich für ihre Staatsangehörigen, seien sie im diplomatischen Dienst, seien sie im Entwicklungsdienst, einzusetzen. Natürlich kann es extreme Situationen der Gefährdung geben, in denen man, ganz egal, in welchem Staat sie gegeben sind, sich entschließt, Bürger abzuziehen. Das geschieht gelegentlich mit Botschaftspersonal. Das wird man natürlich auch mit Entwicklungshelfern dann tun, wenn ein weiteres Verbleiben in einer bestimmten Region unvertretbar wäre. Deswegen hat die Bundesregierung ja im konkreten Fall die entsprechenden Helfer aus bestimmten, gefährdeten Gebieten Nicaraguas abgezogen und in Bereichen Nicaraguas, die nicht gefährdet sind, konzentriert.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr, Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, kann ich aus Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß es außenpolitische Gründe gibt, die dafür sprechen, daß Entwicklungshelfer so lang als möglich weiter in Nicaragua arbeiten können?

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Ja. Für die Tätigkeit der Entwicklungshelfer in Nicaragua sprechen außen- und entwicklungspolitische Gesichtspunkte. Deswegen sind sie ja dort tätig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Immer ({0}) auf: Inwieweit ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, bei den Regierungen von Honduras und den USA darauf zu dringen, daß bei den Interventionen gegenüber Nicaragua die Unverletzlichkeit deutscher Staatsbürger gewährleistet wird, und wird wegen der Ermordung deutscher Staatsbürger bei den Verursachern Protest erhoben?

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Herr Kollege, die bewaffneten Auseinandersetzungen in Nicaragua und der Mord am deutschen Entwicklungshelfer Dr. Pflaum beweisen die Dringlichkeit beschleunigter Anstrengungen um eine friedliche Beilegung der Konflikte in Zentralamerika. Diese Bemühungen müssen aus der Region kommen. Die Bundesregierung unterstützt deshalb regionale Initiativen der zentralamerikanischen und der Contadora-Staaten ({0}) und steht hierüber mit diesen Staaten, auch mit Honduras und mit den Vereinigten Staaten, in engem Kontakt. Eine Lösung der zentralamerikanischen Probleme ohne die Vereinigten Staaten ist offenkundig derzeit nicht möglich. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich möchte Sie fragen, inwieweit die Bundesregierung generell die j a im Deutschen Fernsehen schon dokumentierte Absicht der Entwicklungshelfer, die in Nicaragua stationiert sind, unterstützen wird, trotz des Mordes an einer Reihe von Entwicklungshelfern weiter in diesem Staat zu arbeiten und zu bleiben.

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Ich sagte ja, daß die Bundesregierung die Maßnahmen getroffen hat, die es ermöglichen, daß sie dort tätig sind. Sie hat nämlich ihre Tätigkeit auf Bereiche konzentriert, in denen sie ohne Gefahr für ihr Leben tätig sein können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Inwieweit wird die Bundesregierung, nachdem Sie vorhin ausgeführt haben, daß Sie aktiv geworden seien, bei den Anliegerstaaten darum zu werben, eine Lösung herbeizuführen, gerade jetzt die Erörterungen im Sicherheitsrat der UNO zum Anlaß nehmen, um ihrerseits auch gegenüber Amerika und gegenüber Honduras ihre Meinung klarzustellen, denn es ist doch so, daß hier die Einflüsse zu einer Veränderung der politischen Situation herrühren, und das wird der Bundesregierung doch wohl auch bekannt sein?

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Wie ich gerade erwähnte, unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen um eine friedliche Lösung der Konflikte in dieser Region, insbesondere die Bemühungen, die ich erwähnte, aus dem Kreis der dort betroffenen Staaten, etwa der Contadora-Staaten, und macht das auch in ihren Kontakten mit ihren Bündnispartnern deutlich, auch mit den Vereinigten Staaten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da ich annehme, daß die ständige Abstimmung unserer Außen- und Entwicklungspolitik mit den Vereinigten Staaten keine Einbahnstraße darstellt, möchte ich Sie fragen, welche konkreten Schritte die Bundesregierung bisher unternommen hat, auf die Vereinigten Staaten einzuwirken, daß die politischen Organisationen, die die Intervention in Nicaragua betreiben und die j a nach amerikanischen Presseveröffentlichungen von amerikanischen Stellen mit Waffen, mit Trainingslagern und mit Geld unterstützt werden, zumindest die Unverletzlichkeit deutscher Staatsbürger gewährleisten.

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Die Bundesregierung kann nicht erkennen, wie die Unverletzlichkeit der deutschen Staatsbürger durch diese Kräfte gewährleistet werden kann, aber sie kann sich mit allem Nachdruck dafür einsetzen, daß die Ursachen für diese Konflikte beseitigt werden, und setzt sich deswegen eben für eine friedliche Lösung ein, für Vereinbarungen und für Verhandlungen auf der Grundlage des Konzepts, das ich hier gerade mehrfach erwähnt habe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burgmann.

Dieter Burgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000311, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß der beste Schutz der deutschen Staatsbürger in Nicaragua darin bestehen würde, auch die nicaraguanischen Staatsbürger vor der Intervention der USA zu schützen, und ist die Bundesregierung bereit, bei den USA zu intervenieren, diesen Einmarsch in Nicaragua aufzugeben?

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Herr Kollege, nach unseren Erkenntnissen werden die Auseinandersetzungen, die es in Nicaragua gibt, derzeit von unterschiedlichen Gruppierungen geführt, zum einen im Norden von der Gruppe der „Fuerza Democratica Nicaraguense", die aus Exilnicaraguanern, Indiogruppen, aber auch aus Mitgliedern der Nationalgarde Somozas besteht, und im Süden von der ARDE, die fast ausschließlich aus ehemaligen San370 dinisten, etwa Pastora, besteht. Von daher ist die Bewertung, von der Sie ausgehen, keine, die die Bundesregierung übernehmen kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 18 der Frau Abgeordneten Gottwald auf: Sieht sich die Bundesregierung im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs in der Lage, die Tatsache zu beurteilen, daß die der Hanns-Seidel-Stiftung nahestehende „Internationale Arbeitsgemeinschaft Freiheit und Demokratie" im März 1983 auf einer Pressekonferenz einigen führenden Mitgliedern der „Fuerza Democratica Nicaraguense" ({0}) in Bonn die Gelegenheit gab, zum gewaltsamen Sturz der Regierung Nicaraguas aufzurufen, vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß diese Organisation für zahlreiche Morde in Nicaragua verantwortlich gemacht wird, so auch für den Mord an Albrecht Pflaum?

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Frau Kollegin, die vier politischen Stiftungen in der Bundesrepublik Deutschland sind unabhängige Organisationen, die Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. Über die genannte Pressekonferenz der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft Freiheit und Demokratie" liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine Zusatzfrage? - Haben Sie zu dieser Frage eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Schwenninger.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Glaubt uns die Bundesregierung - Frau Gottwald und ich waren als Abgeordnete des Deutschen Bundestages bei dieser Pressekonferenz zugegen -, daß diese Pressekonferenz tatsächlich in diesem Haus dort drüben im März - ich glaube, es war am 14. oder 15. März - stattgefunden hat?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat natürlich überhaupt keinen Grund, in Erklärungen von Mitgliedern dieses Hohen Hauses Zweifel zu setzen. Ich kann nur sagen, daß der Bundesregierung nähere Sachverhalte über die hier angesprochene Konferenz nicht bekannt sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Zuständigkeit der Bundesregierung ist in diesem Fall, bezogen auf die Frage, nicht gegeben. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß Sie die Frage im Rahmen der Zuständigkeit der Bundesregierung stellen müssen. Bitte schön, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, kann ich also davon ausgehen, daß der Bundesregierung die Tätigkeit der Hanns-Seidel-Stiftung im Zusammenhang mit Nicaragua nicht bekannt ist?

Not found (Gast)

Es bedarf einer besonderen Interpretationsfähigkeit, Herr Kollege, diese Schlußfolgerung zu ziehen. Die Tätigkeit der Stif tungen im allgemeinen ist der Bundesregierung natürlich bekannt; sie hat sie aber nicht zu bewerten. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher, ich bitte Sie, sich als ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt dessen bewußt zu sein: Die Stiftungen unterstehen nicht der Beurteilung durch die Bundesregierung. ({0}) - Ruhig, Herr Abgeordneter Immer! Bitte schön, Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bin mir dessen voll bewußt, was Sie hier sagen. Meine Frage an den Herrn Staatsminister geht dahin, ob er nicht auch der Meinung ist, daß sich die politischen Stiftungen - ich will jetzt auf keine abheben - generell solcher Äußerungen der Einmischung in innere Angelegenheiten eines Landes enthalten sollten. ({0})

Not found (Gast)

Frau Kollegin, in der Phase, in der Sie Staatsministerin waren, war ich Mitglied der Enquete-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik". Insofern, aber auch als Mitglied der Bundesregierung, ist mir bekannt, daß sich die Tätigkeit der Mittlerorganisationen hier auf einem sehr schmalen Grat bewegt. Ich bin ganz sicher, daß die Stiftungen, die diesen Rang haben, mit Recht sehr darauf achten, daß ihre Aktivitäten auf die außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland Rücksicht nehmen, daß sie aber andererseits auch sehr darauf achten, von der Bundesregierung nicht zensiert zu werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, halten Sie es für richtig, daß politische Stiftungen, gleich welcher Art, ausländischen Organisationen, gleich welcher Art, Gelegenheit geben, mit ihren Mitteln, nämlich mit Steuermitteln, auf deutschem Boden innenpolitische Agitation für ihre Heimatländer zu betreiben?

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Herr Kollege, das ist zweifellos nicht unproblematisch, aber ein gern praktiziertes Verfahren bei den verschiedensten Stiftungen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 19 der Frau Abgeordneten Gottwald auf: Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, auf dem Hintergrund ihrer eigenen Verurteilung des Mordes an Albrecht Pflaum als „terroristischen Akt" und der dazu konträr stehenden Einschätzungen von US-Präsident Reagan, der die „Fuerza Democratica Nicaraguense" ({0}) als Freiheitskämpfer bezeichnet, die er verstärkt unterstützen wolle ({1}), weiterhin über die Entscheidung der Vizepräsident Stücklen Fortsetzung bundesdeutscher Entwicklungshilfe für Nicaragua „mit Washington Kontakt zu halten", wie der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit am 4. Mai 1983 in einem Interview mit der Westfälischen Rundschau erklärte?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung hält mit den Regierungen befreundeter westlicher Staaten, darunter auch der Vereinigten Staaten, zu dieser Frage enge Verbindungen. Diese Kontakte werden selbstverständlich fortgesetzt. Sie dienen auch dazu, die Maßnahmen für die Sicherung der deutschen Experten zu erörtern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Könnten Sie bitte die Frage beantworten? Ich habe auf den Konflikt hingewiesen, daß der amerikanische Präsident die FDN als Freiheitskämpferin bezeichnet und der Entwicklungshilfeminister Warnke von einem terroristischen und brutalen Akt gesprochen hat. Könnten Sie dazu bitte Stellung nehmen?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Stellen Sie bitte Ihre Zusatzfrage so, daß der Herr Staatsminister - Frau Gottwald ({0}): Es ist die gleiche Frage wie die, die ich gestellt habe. Sie ist meiner Meinung nach nicht beantwortet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie wiederholen die gleiche Frage als Zusatzfrage.

Not found (Gast)

Wie ich bereits sagte, hält die Bundesregierung in dieser Frage auch mit den Vereinigten Staaten weiterhin Kontakt, um die bei der Beantwortung mehrerer Zusatzfragen vorher gegebene Position der Bundesregierung zur Geltung zu bringen. Im übrigen ist das von Ihnen angesprochene Zitat betreffend die Äußerungen von Herrn Warnke nach Aussagen des Bundesministers Warnke unzutreffend.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage, bitte.

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Worin liegt nach Meinung der Bundesregierung die Ursache für die militärischen Auseinandersetzungen an der Grenze zu Honduras und auch für die militärischen Auseinandersetzungen im Landesinneren von Nicaragua?

Not found (Gast)

Wie ich bereits sagte, Frau Kollegin, sind im Norden wie im Süden Nicaraguas unterschiedliche Gruppierungen auch von einer sehr unterschiedlichen politischen Struktur, die einen früher mehr den Sandinisten nahestehend, die anderen mehr Somoza nahestehend, in Auseinandersetzungen mit den regulären Truppen begriffen. Es handelt sich hierbei um eine Auseinandersetzung, die unterschiedlich soziale und politische Gründe hat. Das läßt sich nach Meinung der Bundesregierung beim besten Willen nicht auf einen einzelnen Punkt reduzieren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer ständigen Kontakte mit Washington die politische Unterstützung der FDN durch Herrn Reagan zum Anlaß genommen, ihr Befremden auch gegenüber der amerikanischen Regierung darüber auszudrücken, daß diese von den Vereinigten Staaten unterstützte Organisation auch an dem Mord an dem deutschen Entwicklungshelfer Albrecht Pflaum verantwortlich beteiligt war?

Not found (Gast)

Letzteres hat die Bundesregierung allein deswegen nicht tun können, weil ihr nicht bekannt ist, daß das so ist. Sie hat die entsprechenden Verlautbarungen bisher zur Kenntnis genommen, aber es gibt dafür keinen Beleg. Im übrigen hat die Bundesregierung, was ich noch einmal unterstreichen darf, bisher - und sie wird es auch weiterhin tun - deutlich gemacht, daß sie sich für eine Verhandlungslösung, für eine friedliche Lösung dieser Probleme auf dem Weg der Gespräche einsetzt. Das bedeutet, daß sie insbesondere den hier genannten Initiativen - z. B. der Contadora-Staaten - ihre Rückendeckung gibt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, inwieweit verfolgte die Bundesregierung die Diskussion, die nicht nur in der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern auch in den parlamentarischen Gremien stattfindet, wo festgestellt wird, daß von amerikanischer Seite massiv angebliche Freiheitsbewegungen oder Interventionsbewegungen von Honduras aus nach Nicaragua finanziell und mit Militärberatern gefördert werden, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um gegenüber ihrem wichtigsten Partner klarzumachen, daß sie, wie Sie vorhin festgestellt haben, in Nicaragua und den umliegenden Ländern eine andere Politik verfolgt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ohne die diversen Wertungen, die Sie in Ihrer Frage mit zum Ausdruck gebracht haben, zu übernehmen, möchte ich hier sagen, daß sich so, wie sich die Bundesregierung gegenüber dem deutschen Parlament zu verantworten hat, die amerikanische Regierung, wie Sie richtig erwähnen, ganz offenkundig gegenüber dem amerikanischen Parlament verantworten muß. Ich sehe keine Veranlassung, hier die Kompetenzen zu verwirren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Reents auf: Welche Rechte hat die Bundesregierung den USA im Rahmen des am 15. April 1982 unterzeichneten Regierungsabkommens „Wartime Host Nation Support" eingeräumt, und in welchen Fällen internationaler Konflikte können die vereinbarten Rechte von den USA in Anspruch genommen werden?

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Herr Kollege, das von Ihnen erwähnte Regierungsabkommen über Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krise oder Krieg erweitert die den Vertragspartnern aus dem NATO-Vertrag erwachsenen Rechte und Pflichten nicht. Der Beginn der Heranführung von Verstärkungstruppen der USA würde einvernehmlich festgelegt werden. Das Abkommen bezieht sich auf den Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 und somit nur auf das von diesem Vertrag erfaßte geographische Gebiet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, können Sie die Information bestätigen und wie beurteilen Sie sie, die beispielsweise die „Wehrtechnik" in ihrer Ausgabe vom April 1981 gegeben hat, wonach dieses Abkommen den USA u. a. Rechte einräumt, z. B. einmal für zehn Tage lang Schulen zu beschlagnahmen und dort US-Truppen unterzubringen und Busse zu requirieren, um US-Soldaten beispielsweise von Bremerhaven, von der Seeanlandung, nach Frankfurt weiterzutransportieren, und wie beurteilen Sie Meldungen, wie sie beispielsweise im Bonner „Extradienst" im April vergangenen Jahres erschienen sind, daß die Bundesregierung ihrerseits in diesem Abkommen u. a. die Verpflichtung eingegangen ist, bereit zu sein zur Übernahme von Kriegsgefangenen - täglich bis zu 200 Gefangenen - sowie zu Maßnahmen gegen atomare Verstrahlung, chemische und bakterielle Verseuchung, und zwar für täglich bis zu 34 000 Menschen und 2 700 Kraftfahrzeugen, die von den USA aus den Konfliktgebieten hier eingeflogen werden?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die genaue Angabe der Verpflichtungen, die die Bundesregierung in diesem Abkommen übernimmt, mögen Sie freundlicherweise - die Nennung im einzelnen würde jetzt den Rahmen der Fragestunde ein bißchen sprengen - im Detail dem Abkommen selber entnehmen; es ist jedermann zugänglich. Unter anderem - um auf Ihre Frage zu kommen - enthält der Art. 2, der Art und Umfang der deutschen Unterstützung im Fall einer Krise oder eines Krieges beschreibt, Verpflichtungen, die wie folgt formuliert sind: Diese Unterstützung erstreckt sich auf a) Sicherung von Einrichtungen der USLuftwaffe, b) Unterstützung von US-Luftwaffenteilen auf gemeinsamen Einsatzflugplätzen, c) Flugplatzinstandsetzungen, d) Sicherung von US-Heereseinrichtungen, e) Transport-, Umschlag- und Nachschubleistungen, f) Abtransport von Verwundeten, g) Übernahme von Kriegsgefangenen, h) Dekontamination von Personal und Material und i) Eingliederung der Mitglieder des Labor Service der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten US-Streitkräfte, die der Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland unterliegen, in die zur Unterstützung der US-Streitkräfte gebildeten Einheiten der Bundeswehr. Weitere Quantifizierungen der Art, wie Sie sie hier vorgenommen haben, enthält das Abkommen nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt es gegebenenfalls in darüber hinausgehenden Vereinbarungen, die nicht Bestandteil des Abkommens, das ich in meiner Frage erwähnt habe, sind, genauere Ausführungen über die Quantifizierungen, wie ich sie hier genannt habe?

Not found (Gast)

Es gibt natürlich quantifizierende Bestandteile des Abkommens, die etwa in Form des Anhangs I vorhanden sind, was die Personalstärke der zur Verfügung zu stellenden deutschen Einheiten angeht. Eine darüber hinausgehende Quantifizierung der Art, wie Sie sie vorgenommen haben, ist nicht in dem entsprechenden Anhang enthalten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminister der Finanzen. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss. Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die wirtschaftliche Lage der Kartoffelbrennereigenossenschaften in den landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten, z. B. in Nord- und Ostbayern, angesichts der Kürzung der Brennrechte auf 80 v. H. und des weiter rückläufigen Absatzes an Sprit?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Dr. Jobst, sind Sie einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte? Dr. Jobst ({0}): Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Dann rufe ich auch die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf: Ist die Bundesregierung bereit, die Brennrechte dieser Brennereien wieder auf 100 Prozent zu erhöhen, auf jeden Fall aber eine weitere Kürzung unter 80 v. H. zu verhindern, und ihre Entscheidung umgehend bekanntzugeben, damit die Mitglieder der ländlichen Kartoffelbrennereigenossenschaften rechtzeitig für 1984 ihren Anbau planen können?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Die Höhe der jährlichen Brennkontingente richtet sich nicht nach dem agrarwirtschaftlichen Bedürfnis der Brennereien, sondern kraft Gesetzes nach dem Bestand und der Absatzlage des Alkohols. Die Bundesmonopolverwaltung kann daher nur so viel Alkohol in den Brennereien erzeugen lassen, wie sie voraussichtlich auch verkaufen kann. Da die Nachfrage nach alkoholischen Getränken zurückgegangen ist ({0}) und seit einiger Zeit erhebliche Alkoholeinfuhren vor allem aus Frankreich auf den deutschen Markt gelangen, ist die Bestands- und Absatzlage für inländischen Alkohol zur Zeit unbefriedigend. Pari. Staatssekretär Dr. Voss Eine zutreffende Beurteilung der Erzeugungsmöglichkeiten für das nächste Betriebsjahr ist erst ab 1. Oktober dieses Jahres möglich. Das Jahresbrennrecht kann daher noch nicht festgesetzt werden. Mit Sicherheit wäre es jedoch unrealistisch, mit einer Festsetzung auf 100 % zu rechnen. Der äußerst ungünstige Alkoholabsatz des Monopols, der zur Kürzung der Jahresbrennrechte geführt hat, wirkt sich zwangsläufig nachteilig für die landwirtschaftlichen Brennereien aus, weil sie weniger Kartoffeln verwerten können. Es darf andererseits nicht übersehen werden, daß die Bundesmonopolverwaltung den Brennereien bei geringerer Jahreserzeugung einen höheren Übernahmepreis pro Hektoliter Alkohol zahlt, um eine wirtschaftliche Verarbeitung der Kartoffeln zu ermöglichen. Inwieweit die Kartoffeln, die nicht zu Alkohol verarbeitet werden können, anderweitig absetzbar sind, dürfte von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Deshalb kann zu der wirtschaftlichen Lage der Brennereigenossenschaften in landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten kein generelles Urteil abgegeben werden. Die mit der Brennrechtskürzung einhergehende Einschränkung der Kartoffelverwertungsmöglichkeit betrifft die gesamte Kartoffel- und Brennereiwirtschaft. Sie ist eine Folge der gesetzlichen Anbindung der Erzeugung an die Absatzmöglicheit für Alkohol. Eine regional unterschiedliche Vergabe von Brennkontingenten ist nach dem Gesetz nicht möglich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr, Herr Kollege Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem die genossenschaftlichen Gemeinschaftsbrennereien in den landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten zur Verbesserung der Agrarstruktur und auch zur Verbesserung der Einkommensverhältnisse mit öffentlichen Zuschüssen eingerichtet worden sind: Sehen Sie nicht einen Widerspruch, wenn nun die Brennrechte auch dieser Brennereien bereits gekürzt worden sind?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Kollege Jobst, ich habe eben darzulegen versucht, daß hier eine Bindung besteht. Diese Bindung ist gesetzlich festgelegt, und an diese Bindung muß sich die Bundesmonopolverwaltung halten. Daher hat sie auch in den Fällen, in denen es den Brennern schlecht geht, keine Möglichkeiten, zusätzliche Kontingente aufzukaufen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Brennereien, die in diesen landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten eingerichtet worden sind, anders beurteilt werden müßten als andere Brennereien und deshalb von Brennrechtskürzungen ausgenommen werden sollten?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Die Bundesregierung sieht durchaus die schwierige wirtschaftliche Lage dieser Brennereien, aber sie sieht keine Möglichkeiten, hier Differenzierungen vorzunehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie, nachdem Sie hier keine Zusagen machen können, wenigstens in Aussicht stellen, nachdem die Brennrechte auch für diese Gemeinschaftsbrennereien bereits von 100 auf 80 % gekürzt worden sind, daß keine weitere Kürzung mehr beabsichtigt ist? Dr. Voss, Parl. Staatsekretär: Herr Kollege Dr. Jobst, ich kann diese Zusage leider nicht machen, weil der Bestand an Alkohol, der zur Zeit vorhanden ist, für eineinhalb Jahre reichen würde. ({0}) Nun kann ich vielleicht die Hoffnung aussprechen, daß der Verbrauch bis zum 1. Oktober dieses Jahres so sein wird, daß der Bestand dann so reduziert ist, daß es zumindest bei den Brennrechten von 80%, die wir zur Zeit haben, bleiben kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das ist natürlich eine Aufforderung an uns alle, den Umsatz entsprechend zu steigern. ({0}) Damit ist dann auch den Brennereien geholfen. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, so habe ich das Lachen hier im Hause verstanden. Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch fragen: Wird die Bundesregierung ihre Bemühungen verstärken, daß eine weitere Einfuhr von subventioniertem und damit billigem Alkohol aus dem Ausland verhindert wird und daß dafür eine Ausgleichsabgabe erhoben wird?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Jobst, die Bundesregierung wird alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um Ungleichheiten und Benachteiligungen der deutschen Brenner in Zukunft in dem Maße zumindest zu halten, in dem sie nicht vermieden werden können. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie sagen, ob Sie in Verfolg Ihrer letzten Antwort auch willens sind, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Zur Zeit liegen keine Absichten vor, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof anhängig zu machen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich darf Sie weiter fragen: Würde das Finanzministerium Überlegungen anstellen, viel374 leicht durch Steuersenkungen den Konsum anzuregen ({0}) und einen Beitrag zur alternativen Verwertung von Alkohol und zur Verbesserung der Umwelt zu leisten?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Ertl, bei der derzeitigen Finanzlage des Bundes sieht die Bundesregierung keinerlei Anlaß, aber auch keinerlei Möglichkeit, zu Steuersenkungen ihre Zuflucht zu nehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wird die Wortmeldung aufrechterhalten, Herr Abgeordneter Krizsan? Sie haben am Mikrophon gestanden. - Nein. Dann liegen keine Zusatzfragen mehr vor. Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf: Wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Haushaltsüberlegungen für 1983 ein langfristig staatlich mitfinanziertes Beschäftigungsprogramm zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Bereichen Umweltschutz-, Verkehrs- und Forschungspolitik vorlegen?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Die Bundesregierung plant kein Beschäftigungsprogramm, da derartige Programme, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, letztlich zu keiner Verminderung der Arbeitslosenzahl führen. Gegenwärtig ist es primäre Aufgabe der Finanzpolitik, die Neuverschuldung abzubauen und das Vertrauen in die Stabilität der öffentlichen Finanzen wieder herzustellen. Darüber hinaus sind steuerliche Maßnahmen zur Stärkung der Investitions- und Innovationskraft der Wirtschaft vorgesehen. Außerdem sind zusätzliche wachstumsfördernde Maßnahmen beabsichtigt, über die im weiteren Rahmen der Verhandlungen zur Haushaltsaufstellung zu entscheiden sein wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie in der Antwort, die Sie jetzt gegeben haben nicht einen Widerspruch zu der Handlungsweise der Bundesregierung, nachdem man auf dem Wohnungsbausektor sicherlich davon sprechen kann, daß ein staatlich mitfinanziertes Programm dieser Art vorliegt?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Ich sehe darin keinen Widerspruch, Herr Kollege. Das ist eine Teilmaßnahme auf einem Teilgebiet, die durchaus in die Gesamtkonzeption unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik paßt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie dann, wenn unsere damaligen Programme keinerlei Wirkung gezeigt haben sollen, die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Arbeitslosigkeit weit unter dem Durchschnitt der übrigen OECD-Länder liegt?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Matthöfer, es spricht niemand davon, daß die Programme seit dem Jahre 1974 keinerlei Effekte gehabt hätten, aber sie haben nachweislich keine längerfristigen Effekte gehabt. Sie hatten Strohfeuereffekte, und das ist genau das, was die Bundesregierung mit ihrer jetzigen Politik verhindern will. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, fällt auch das Wohnungsbauprogramm, das die Bundesregierung aufgelegt hat, in die Kategorie „keine beschäftigungspolitischen Effekte"? ({0})

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Es fällt in die Kategorie der Ankurbelung der Wirtschaft, die notwendig ist, fällt aber auch in die Kategorie, daß arbeitsmarktpolitische Effekte erzielt werden sollen, die ja auch bereits erzielt worden sind. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie uns erklärt haben, daß Sie kein Beschäftigungsprogramm beabsichtigen: Können Sie mir, nachdem Ihre Regierung im Bundestagswahlkampf den Abbau der Arbeitslosigkeit als ihr oberstes Ziel definierte, erklären, wie Sie heute die mittelfristigen Daten aus dem Bundesfinanzministerium vom Dienstag dieser Woche zur durchschnittlichen Arbeitslosigkeit - 2,49 Millionen für das Jahr 1983, 2,43 Millionen für 1985, 2,36 Millionen für 1986 und 2,3 Millionen für 1987 - an der von Ihnen im Wahlkampf gemachten Aussage messen können?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege, die Bundesregierung sieht eines ihrer primären Ziele in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und sie wird im Haushalt 1984 Maßnahmen ergreifen, die zur Förderung der Wirtschaftskraft, zu Investitionen und Innovationen beitragen werden. Aber, Herr Kollege, die Bundesregierung hat aus den Erfahrungen, die die vorhergehende Bundesregierung gemacht hat, gelernt, und sie nimmt keine Zuflucht zu kurzfristigen Beschäftigungsprogrammen, die im übrigen unsere Schuldenlast in einer Form vermehrt haben, die uns heute den politischen Spielraum sehr eng werden läßt. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie angesichts der von meinem Kollegen Dreßler genannten Zahlen nicht doch meinen, daß es notwendig wäre, durch entschlossenes Handeln die SteigeLutz rung der Arbeitslosenzahlen nicht fortzuschreiben, sondern gegen sie anzukämpfen?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Die Bundesregierung handelt entschlossen, Herr Kollege, und sie tut alles, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Lambinus, wir haben uns schon einmal darüber unterhalten, daß es auf den Ton ankommt. Dieser Ton erfordert eine Zurechtweisung, zwar in mildester Form, aber sie erfolgt. ({0}) Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß es noch einige Zeit dauern wird, bis die Bundesregierung den Lernprozeß durchgemacht hat, den offensichtlich Herr Ministerpräsident Späth in Baden-Württemberg durchgemacht hat, nämlich daß eine reine Wachstumsförderung allein durch Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichen kann, um einen Abbau der Arbeitslosigkeit zu erreichen, und meinen Sie, daß wir es uns erlauben können, daß der Lernprozeß bei Ihnen ähnlich lange dauern wird, wie er bei Herrn Späth in der Vergangenheit gedauert hat?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege, nachdem die Bundesregierung seit 1974 die Beschäftigungsprogramme, die von der vorigen Regierung aufgelegt worden sind, in ihrer Wirkung hat beobachten können, und da sie diese Wirkung, wie ich eben bereits dargelegt habe, zumindest für den langfristigen Zeitraum negativ einschätzt, bitte ich doch um Ihr Verständnis, daß wir jetzt einmal einen anderen Weg gehen. Wenn der deutsche Bürger nämlich die Fortsetzung der bisherigen Finanz- und Wirtschaftspolitik gewollt hätte, wären die Wahlen vom 6. März dieses Jahres ganz bestimmt anders ausgegangen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Darf ich die Fragesteller darum bitten, sich auf die Erstfrage des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) - „Besteht die Absicht, Mittel einzusetzen?" - zu beschränken. Die Antwort lautete: Nein. Ich bitte also, keine wirtschaftspolitische Diskussion daraus werden zu lassen. Ich bitte, darauf zu achten. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram ({1}).

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie wollen Sie konkret das Wahlversprechen Ihrer Partei im Ruhrgebiet -„Wir schaffen Arbeit fürs Revier" - verwirklichen, wenn Sie tatenlos zusehen, daß Arbeitsplätze im Bergbau, in der Bergbau-Zulieferindustrie, in der Stahlindustrie und in vielen anderen Branchen im Ruhrgebiet entfallen?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege, die Bundesregierung sieht nicht tatenlos zu. Es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, daß sie im Haushalt des Jahres 1984 1,5 Milliarden DM für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen vorsieht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie einerseits festgestellt haben, daß Ihr wohnungsbaupolitisches Programm schon zusätzliche Arbeitsplätze gebracht haben soll, ist es dann nicht auf der anderen Seite vernünftig, so, wie die Opposition es will, ein breit angelegtes Beschäftigungsprogramm zu fahren, damit das, was Sie festgestellt haben, umfassend erreicht wird?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Das, was in diesem Zeitraum durch ein Programm zu erreichen war, ist durch das Wohnungsbauprogramm erreicht worden. Die weitere Ankurbelung unserer Wirtschaft kann nach unserer Auffassung nur durch die Maßnahmen erfolgen, wie wir sie im Haushalt 1984 und in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1987 festgelegt haben und festlegen werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Absicht der Bundesregierung, keine Beschäftigungsprogramme aufzulegen, nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß diese nur durch höhere Abgaben oder durch höhere Schulden des Bundes finanziert werden können und beide Finanzierungsinstrumente notwendigerweise zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen müssen? ({0})

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Cronenberg, das kann ich voll und ganz bestätigen. Ich habe eben bereits versucht, das andeutungsweise in meinen Antworten darzulegen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lahnstein.

Manfred Lahnstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001269, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie Ihre Weigerung, Mittel für zusätzliche beschäftigungsfördernde Maßnahmen in den Haushalt einzustellen, damit begründen, daß man schlechte Erfahrungen mit Programmen der voraufgegangenen Regierung gemacht habe: Wie erklären Sie es sich dann, daß diese Maßnahmen der vorangegangenen Regierung sowohl von der Opposition im Bundestag als auch insbesondere im Bundesrat mit verschwindenden Ausnahmen mitgetragen worden sind, j a mitgetragen werden mußten, denn sonst wären sie überhaupt nicht zustande gekommen?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Lahnstein, das waren unter anderem auch Gründe, die nicht unbedingt die Richtigkeit dieser wirtschaftlichen Maßnahmen befürwortet haben. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine letzte Zusatzfrage dazu, Herr Abgeordneter Ehmke ({0}). - Nein. Meine Damen und Herren, es lohnt sich nicht mehr, einen neuen Geschäftsbereich aufzurufen. In erster Linie an die Regierungsbank ist folgende Mitteilung gerichtet: Die Fragen 78 und 79 des Abgeordneten Zander, 86 des Abgeordneten Conradi, 89 und 90 des Abgeordneten Dr. Apel sind von den Fragestellern zurückgezogen. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden im Stenographischen Bericht der 9. Sitzung abgedruckt. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Wir fahren nunmehr in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung auf: Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Drucksache 10/66 Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes - Drucksache 10/70 Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Wahlmänner und die Mitglieder des Richterwahlausschusses in einem Wahlgang mit verdeckten Stimmzetteln, d. h. geheim gewählt werden. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? - Ich höre und sehe keine Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich bitte Sie nunmehr um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise. Sie wissen ja, daß sich ungültige Stimmen für die einzelnen Fraktionen besonders negativ auswirken. Deshalb muß ich diese Hinweise machen und um die größte Aufmerksamkeit bitten. Es sind zwölf Wahlmänner aus der Mitte des Hauses und elf Mitglieder des Richterwahlausschusses nach den Regeln der Verhältniswahl zu wählen. Die für die Wahl allein gültigen Stimmzettel erhalten Sie nach Aufruf Ihres Namens von den Schriftführern vor dem Betreten der hier vorne rechts und links aufgestellten Wahlzellen. Für die Wahl der Wahlmänner werden orange, für die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses weiße Stimmzettel ausgegeben. Sie können Ihre Stimme jeweils nur für einen der drei Wahlvorschläge auf dem Stimmzettel abgeben. Den Wahlvorschlag, dem Sie zustimmen wollen, kreuzen Sie bitte in dem dafür vorgesehenen Kreis auf dem Stimmzettel an. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Ungültig sind Stimmen auf einem nichtamtlichen Stimmzettel sowie Stimmzettel, die mehr als ein Kreuz, Namen oder Zusätze enthalten. Sie dürfen den Stimmzettel nur in der Wahlzelle ankreuzen und müssen ebenfalls noch in der Wahlzelle beide Stimmzettel in den Umschlag legen. Die Schriftführer müssen jeden zurückweisen, der seine Stimmzettel außerhalb der Wahlzelle gekennzeichnet oder in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Bevor Sie die Stimmzettel in die Wahlurne geben, bitte ich Sie, den Schriftführern Ihren Namen zu nennen. Die Kennzeichnung Ihres Namens in der Namensliste gilt als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Soweit noch nicht geschehen, erübrigt sich damit die Eintragung in die Anwesenheitsliste. Ich bitte jetzt den Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die beiden Schriftführer neben mir werden die Namen der Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Damit können wir mit der Wahl beginnen. Vorher mache ich aber nochmals darauf aufmerksam, daß die Stimmzettel für diese Wahlen an den Tischen ausgegeben werden. Es werden nicht die Stimmzettel verwendet, die auf Ihren Plätzen liegen. Sie sind für die Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission bestimmt. Ich eröffne die Wahl. Bitte, beginnen Sie mit dem Namensaufruf. Ich bitte um ausreichende Aufmerksamkeit, damit die Namen, die aufgerufen werden, auch verstanden werden. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß die beiden Wahlzellen auf der linken Seite, vom Präsidium aus gesehen, wesentlich weniger frequentiert sind als die Zellen rechts vom Präsidium. Ich bitte also, die Abstimmung auch in den Zellen auf der linken Seite vorzunehmen. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, der Namensaufruf ist beendet. Haben alle Mitglieder des Hauses und auch die Schriftführer ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Auszählung wird etwa eine Stunde in Anspruch nehmen. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 10/71 Vizepräsident Wurbs Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Ich darf noch einmal fragen, ob zum Tagesordnungspunkt 5 das Wort gewünscht wird. Das ist nicht der Fall. Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 10/71 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist einstimmig angenommen. Damit sind die Mitglieder des Vermittlungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Festlegung der Zahl und Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - Drucksachen 10/68, 10/72, 10/73, 10/90 Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen Ihnen Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 10/68 und 10/90, der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/72 sowie der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/73 vor. Im Ältestenrat wurde eine Debatte mit Debattenbeiträgen bis zu zehn Minuten vereinbart. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Parlamentarische Kontrolle des Handelns der Regierung ist eines der grundlegenden Rechte des Parlaments, und es ist ein Recht des ganzen Parlaments. ({0}) Die Sorgfalt, mit der dieses Recht vom gesamten Parlament in Anspruch genommen wird, gibt für die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie einen Maßstab, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich einen Augenblick unterbreche. Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. Ich bitte, die Türen rechts und links zu schließen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zweifel daran, ob unsere parlamentarische Demokratie die Aufgaben eines freiheitlichen Staats wirksam und glaubwürdig erfüllen kann, werden am ehesten und gerade dann laut, wenn Zweifel darüber aufkommen können, ob das Parlament seiner Kontrollaufgabe voll gerecht wird. Ein Grund zum Zweifel an der wirksamen Kontrolle des Regierungshandelns durch das Parlament ist darin angelegt, daß unser Grundgesetz die Kontrollaufgaben dem gesamten Parlament, seiner Mehrheit und seiner Minderheit, ungeteilt überträgt. Politischer Auftrag von Regierungsmehrheit und Oppositionsminderheit stehen jedoch im Gegensatz zueinander. Wille und Fähigkeit zur Kontrolle sind infolgedessen auch unterschiedlich stark. Verantwortung und Last der Kontrolle trägt die Opposition stärker als die Regierungsmehrheit. In diesem Sinne ist die wirksame und glaubwürdige Kontrolle der Regierung durch das Parlament auch ein ausgeprägtes Minderheitenrecht. ({0}) Nur dann, wenn die Mehrheit des Deutschen Bundestages die besondere Verantwortung der Minderheit für eine wirksame, überzeugende und glaubwürdige Kontrolle achtet, trägt die Mehrheit ihrer Verantwortung dafür Rechnung, daß das Parlament seine Aufgabe als Gesamtheit wahrnehmen kann. Das gilt insbesondere und verstärkt dann, wenn die parlamentarische Kontrolle in besonderer Weise rechtlich abgesichert ist. Die Eigenart des staatlichen, von der Regierung zu verantwortenden Handelns im Bereich der Nachrichtendienste macht die Kontrolle mit den üblichen parlamentarischen Mitteln besonders schwer. Deshalb haben wir vor fünf Jahren mit dem Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes eine wichtige Entscheidung zur Stärkung der Kontrollaufgaben des Parlaments geschaffen. Die in dem Gesetz festgelegte Parlamentarische Kontrollkommission soll der Regierung und den ihr unterstellten Nachrichtendiensten die Sicherheit und das Vertrauen für ihre Arbeit geben, das nur aus wirksamer Kontrolle erwachsen kann. Wirksame und glaubwürdige Kontrolle erfordert aber die uneingeschränkte Teilhabe des ganzen Parlaments. Die Kontrolle und ihre Ausgestaltung sind nicht ein Vorrecht der Mehrheit, die die Regierung trägt. ({1}) Bei einer Kontrolle, von der eine Minderheit ausgeschlossen ist, würde die Kontrollaufgabe selbst Not leiden. Kontrolle ist nur dann wirksam und überzeugend, wenn sie uneingeschränkt von der Gesamtheit des Parlaments, also auch von der Minderheit, getragen und verantwortlich ausgeübt wird. Das Recht auf Kontrolle ist ein natürliches und ein grundlegendes Recht der Minderheiten, das nicht in das Belieben von Mehrheiten gestellt ist und von Mehrheiten nicht nach Gutdünken gehandhabt werden darf. ({2}) Darüber aber gibt es offensichtlich unterschiedliche Meinungen. Alle dem Hause vorliegenden Anträge zu der Einsetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission genügen der Form nach dem Gesetz. Aber der Antrag der Mehrheit von CDU/ CSU und FDP läßt offen, ob und in welcher Weise die parlamentarische Minderheit bei der Zusammensetzung der Parlamentarischen Kontrollkom378 Jahn ({3}) mission berücksichtigt werden soll. Er ließe es zu, daß die Parlamentarische Kontrollkommission alleine von der Mehrheit besetzt wird. Das wäre nicht nur eine Verfälschung, sondern in seiner Wirkung die Aufhebung der parlamentarischen Kontrolle. Das Gesetz fordert in seinem § 4 klar eine Entscheidung über die Zusammensetzung. Das ist nicht - das kann gar nicht gemeint sein - nur eine Entscheidung über die Zahl der Mitglieder. ({4}) Zusammensetzung bedeutet, daß auch Klarheit über das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit bei der Zusammensetzung zum Ausdruck kommen muß. Um den Mehrheitsverhältnissen in klarer Weise Rechnung zu tragen, beantragt die SPD-Fraktion deshalb eine Erweiterung der Zahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission von bisher acht auf neun. Damit wird eine Zusammensetzung möglich, bei der vier Sitze auf die CDU und die CSU entfallen, drei Sitze auf die Sozialdemokraten, ein Sitz auf die FDP und ein Sitz auf die GRÜNEN. Auf diese Weise können alle Fraktionen und damit alle Gruppen, die die Mehrheit und die Minderheit des Hauses darstellen, berücksichtigt werden. Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben dieselbe einheitliche Legitimation und dieselbe Verantwortung durch die freie Entscheidung der Bürger für unser frei gewähltes Parlament. ({5}) Unser Parlament steht ständig vor der Herausforderung, seinen Auftrag gegenüber der Gesamtheit der Bürger glaubwürdig zu erfüllen. Wir erfüllen diesen Auftrag nur, wenn auch die Mehrheit begreift, daß die Achtung der Rechte der Minderheit im Grunde nichts anderes ist als die Achtung vor dem Auftrag des ganzen Parlaments. ({6}) Ich fordere die Mehrheitsfraktionen auf, sich klar dazu zu äußern, wie die Parlamentarische Kontrollkommission nach ihrer Auffassung zusammengesetzt werden soll, und damit klarzustellen, daß sie das Recht der Minderheit ohne Wenn und Aber achten. ({7}) Und noch ein Hinweis: Es geht nicht nur um Minderheiten, sondern es geht auch um Gleichbehandlung. Oder wie wollen Sie begründen, daß die FDP mit 35 Abgeordneten nach Ihrem Vorschlag zwei Sitze, die Fraktion der GRÜNEN mit 28 Abgeordneten aber keinen Sitz erhalten soll? ({8}) Hier geht es um Offenheit und Klarheit. Diese Offenheit und Klarheit fordert die SPD-Bundestagsfraktion und bittet um Unterstützung ihres Antrags auf Drucksache 10/72. ({9})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes legt fest, daß der Deutsche Bundestag zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus seiner Mitte wählt, die Zahl der Mitglieder bestimmt und ihre Zusammensetzung. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. Das ist die Rechtslage. Nun haben der Parlamentarischen Kontrollkommission, meine Damen und Herren, seit ihrem Bestehen jeweils acht Mitglieder des Bundestages angehört. Herr Kollege Jahn, Sie wissen auch, daß es damals schon Vorschläge und Entwürfe gab, die Zahl der Mitglieder dieses Gremiums noch zu verkleinern. Wir wollen an der jetzigen Größe festhalten, und zwar auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 30. März, wonach sich die Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Sitze nach dem Verfahren der mathematischen Proportion berechnet. Danach stünden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vier Sitze zu, der SPD drei Sitze und der FDP ein Sitz. Wir sind bereit, einen Sitz an die FDP abzugeben, Herr Kollege Jahn. Es stünde der SPD ohne weiteres frei, auch ihrerseits einen Verzicht zugunsten einer anderen Fraktion zu leisten. ({0}) Die SPD-Fraktion spricht hier von Minderheitenschutz, lehnt aber dieses Verfahren ab. Statt dessen stellt sie einen Antrag, der auf eine willkürliche und daher manipulative Verschiebung der Stärkeverhältnisse innerhalb der Kommission hinausläuft. ({1}) Daher lehnen wir diesen Antrag und den der GRÜNEN mit aller Klarheit ab. Es gibt, meine Damen und Herren, für die beantragte Vergrößerung der Kontrollkommission auch mit Blick auf den Minderheitenschutz keine sachliche Begründung. Aus dem Gesetz ergibt sich kein Anspruch einzelner Fraktionen auf Beteiligung an dieser Kommission. Es gibt weder ein Grundmandat einer Fraktion noch ein Benennungsrecht. Die Kandidaten bedürfen vielmehr des Vertrauens der Mehrheit des Deutschen Bundestages. Schon das Wahlverfahren gibt dem Parlament einen großen Freiraum für die Besetzung dieses Gremiums. ({2}) - Hören Sie doch einmal zu, Herr Conradi! Ich will ja gerade einen zweiten Satz hinzufügen. - Ihre Grenze findet die Entscheidungsfreiheit des Parlaments nur im allgemeinen Mißbrauchsverbot, wie das Bundesverfassungsgericht es in seinem Abhörurteil formuliert hat, nämlich daß eine einseitige Besetzung des Gremiums, z. B. durch Ausschluß der Opposition, mißbräuchlich wäre. Davon kann doch im Ernst hier überhaupt keine Rede sein, da nach unseren Vorstellungen von acht Mitgliedern drei der Opposition angehören werden. Die Opposition wäre in dieser Legislaturperiode ebenso stark verSeiters treten wie in der vergangenen. Das nehmen Sie bitte auch einmal zur Kenntnis! ({3}) Hinzu kommt folgendes, meine Damen und Herren: Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekanntgeworden sind, weil die Kontrollkommission ihren Parlamentsauftrag nur bei strikter Geheimhaltung aller in Ausübung der Kontrolltätigkeit gegenüber der Bundesregierung gewonnenen Informationen erfüllen und nur so das Spannungsverhältnis zwischen dem parlamentarischen Kontrollanspruch und den nachrichtendienstlichen Notwendigkeiten zum Nutzen des Gemeinwesens aufgelöst werden kann. Gefordert ist also die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten, die Geheimhaltung zu beachten und die Sicherheitsbestimmungen zu respektieren. Das ist ein wichtiger Grund für die Größe des Gremiums, für das Wahlverfahren und für das Vertrauen des Parlaments, dessen die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission bedürfen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gerne meine Ausführungen mit einer Zusammenfassung beenden, Herr Kollege Jahn, und folgendes sagen. Unser Antrag berücksichtigt die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause und nimmt gleichzeitig Rücksicht auf die Rechte der Opposition. Wir wählen die Abgeordneten unseres Vertrauens auf einem klaren, rechtlich gesicherten Weg. Wir bitten um Unterstützung für den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und FDP. Die Anträge der SPD und der GRÜNEN lehnen wir ab. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Jahn hat hier Grundsätzliches über das Kontrollrecht der Minderheit im Parlament dargelegt. Dem muß man sich, so finde ich, vollinhaltlich anschließen. Lassen Sie mich die Anwendung dieser Grundsätze allerdings gegenüber einer kleinen Oppositionspartei durch die gegenwärtige Mehrheit hier kurz darstellen. Kollege Seiters, was ich bei Ihnen nicht verstehe, ist, warum gegenüber kleinen Parteien der Zugang zu parlamentarischen Kontrollgremien von hohem Rang immer als eine Frage des Ermessens der Mehrheit dargestellt wird. Sie können natürlich - das klang schon in der Debatte, die wir damals über die Besetzung des Präsidiums geführt haben, an - vom Gesetzestext und von der Gesetzesform her sowohl das Präsidium als auch die Parlamentarische Kontrollkommission oder auch den G-10-Ausschuß jeweils ausschließlich mit Ihrer Mehrheit besetzen. Sie haben das Mißbrauchsverbot des Verfassungsgerichts angeführt. Das sagt doch eben, daß die Opposition dort vertreten sein muß. Nun gibt es aber nicht mehr diese Dreierkonstellation, die Opposition setzt sich aus zwei Parteien zusammen. Sie gewichten hier doch materiell. Das ist etwas, was wir in den letzten Wochen beständig erleben mußten. Wir haben dies in der Frage des Präsidiums erlebt, wir haben dies beim G-10-Ausschuß erlebt, und wir erleben dieses jetzt wieder bei der Frage der Parlamentarischen Kontrollkommission. Was ich aber besonders von den Kollegen der liberalen Partei nicht verstehe, ist folgendes. Sie betonen doch immer Ihren Anspruch auf Liberalität. Sie betonen vor allen Dingen die Verteidigung von Minderheitenrechten, die Verteidigung von Individualität und auch die parlamentarische Kontrolle. Wenn man die alten Protokolle etwa aus der Zeit der Großen Koalition durchblättert, dann findet man, daß selbst Herr Genscher in Verfahrensfragen teilweise noch sehr, sehr bürgerrechtsnah argumentiert hat. Sie waren in allen Gremien des 9. Deutschen Bundestages qua Deputatssitz, qua Geschenk vertreten. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb uns dieses nicht zugebilligt wird. ({0}) - In diesem Zusammenhang geht es darum, daß das Kontrollrecht der Minderheit oder auch das Recht der Minderheit, im Präsidium vertreten zu sein, nicht immer wieder mit dem formalen Argument, die SPD solle einen Sitz an die GRÜNEN abtreten, abgeblockt werden kann. ({1}) - Aus diesem Grunde, verehrter Kollege, will ich hier keinen Farbbeutel werfen. Vielmehr behalten wir uns vor, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen dieses diskriminierende Verfahren Klage zu erheben. ({2}) Ich fordere Sie auf, dem Antrag der SPD und dem Antrag der GRÜNEN, die sich jeweils nur in Punkt 4 unterscheiden - dort finden Sie die unterschiedlichen Personenvorschläge -, zuzustimmen und endlich mit Ihrer diskriminierenden Praxis gegenüber einer neuen Oppositionspartei in diesem Hause aufzuhören. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm. ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen. Meine Herren! Wir haben am 30. März dieses Jahres in der 3. Sitzung dieses Hohen Hauses beschlossen, daß wir bei der Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen das mathema380 Wolfgramm ({0}) tische Proportionsverfahren Hare-Niemeyer, Schepers anwenden wollen. Das ist ein Verfahren, das die Minderheiten besser berücksichtigt als das d'Hondtsche Verfahren - ich meine, das ist auch angemessen - im Zusammenhang mit dem § 12 der Geschäftsordnung. Davon profitieren ({1}) - ich komme darauf, Herr Kollege - die kleineren Fraktionen dieses Hauses in besonderem Maße. Wir haben uns bei allen anderen Gremien, die wir in den Sitzungen des Deutschen Bundestages hier behandelt und konstituiert haben, an die bisherigen Zahlen gehalten. Das gilt für die Vizepräsidenten, das gilt für die anderen Gremien, und dies aus guten Gründen, um hier keine Veränderungen zu manipulieren. Wir werden auch bei diesem Gremium an der bisherigen Zahl von acht Mitgliedern festhalten. Bei der Zahl Acht ergibt es sich, daß die Freien Demokraten aus eigenem Recht mit einem Sitz vertreten sind. Sie bekommen, wie Sie vorhin gehört haben, von dem Koalitionspartner einen Sitz dazu. ({2}) - Sie werden verstehen, Herr Conradi und Herr Fischer, daß der Koalitionspartner Ihnen von den GRÜNEN diesen Sitz nicht abtreten wird. Sie müssen sich dann an die Kollegen der Sozialdemokraten wenden, die drei Sitze in diesem Gremium haben und einen Sitz abtreten könnten. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jahn, mit größtem Vergnügen.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Wolfgramm, ist Ihnen eigentlich beim sicherlich gelegentlichen Blick in das Gesetz schon einmal aufgefallen, daß dort von Zusammensetzung und nicht von Abtretung von Sitzen die Rede ist? ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege, der Blick in das Gesetz macht es genauso möglich, zu erklären, daß Sie einen der drei Sitze, die Ihnen zustehen, abtreten könnten. ({0}) Ich glaube, es ist wirklich nicht vertretbar, Herr Kollege Conradi, das der CDU/CSU zuzumuten. ({1}) Übrigens hat sich auf Wunsch der SPD ein Untersuchungsausschuß in der 5. Wahlperiode damals auf die Zahl Fünf geeinigt, weil man ein Höchstmaß an Effizienz, parlamentarischer Kontrolle und Vertraulichkeit sicherstellen wollte. Später ist bei der Enquete-Kommission Verfassungsreform die Zahl Acht genommen worden. Ich meine, wir sollten bei dieser Zahl Acht bleiben. Die Freien Demokraten werden auch bei dieser Zahl bleiben. Wir lehnen Ihre Anträge ab und unterstützen den Koalitionsantrag. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Ich rufe zunächst Ziffer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, des Antrags der Fraktion der SPD und des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf. Ziffer 1 dieser Anträge ist identisch: Der Bundestag soll eine Parlamentarische Kontrollkommission einsetzen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Nr. 1 ist einstimmig angenommen. Ich rufe Ziffer 2 der Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf, nach der die Parlamentarische Kontrollkommission aus neun Mitgliedern bestehen soll. Ziffer 2 ist in beiden Anträgen identisch. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? ({0}) Das letzte war die Mehrheit. Enthaltungen? - Ziffer 2 dieser Anträge ist abgelehnt. Ich rufe nunmehr Ziffer 2 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf, wonach die Parlamentarische Kontrollkommission aus acht Mitgliedern bestehen soll. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ziffer 2 dieses Antrags ist angenommen. Ziffer 3 der Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN sehen, ausgehend von der Mitgliederzahl Neun, übereinstimmend die folgende Sitzverteilung vor: CDU/CSU: 4, SPD: 3, FDP: 1, DIE GRÜNEN: 1. Soeben wurde beschlossen, daß die Parlamentarische Kontrollkommission aus acht Mitgliedern bestehen soll. Darf ich davon ausgehen, daß Ziffer 3 der Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN damit erledigt ist? - Danke sehr. Ich rufe jetzt Ziffer 3 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf, wonach sich die Parlamentarische Kontrollkommission aus den acht Mitgliedern zusammensetzen soll, die gemäß § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages gewählt worden sind. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Ziffer 3 dieses Antrags ist angenommen. Wir kommmen nun zur Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die FrakVizepräsident Wurbs tionen der CDU/CSU und der FDP schlagen folgende Abgeordnete vor: Dr. Dregger, Erhard ({1}), Dr. Waigel, Mischnick und Dr. Hirsch. Die Fraktion der SPD benennt gemäß Ziffer 4 der Drucksache 10/72 die Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Emmerlich und Jahn ({2}). Die Fraktion DIE GRÜNEN schlägt unter Ziffer 4 der Drucksache 10/73 den Abgeordneten Schily vor. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Wahl offen, aber mit Stimmzetteln durchzuführen. Die Namen sind auf den Stimmzetteln ausgedruckt. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich bitte um Aufmerksamkeit für einige wichtige Hinweise zum Wahlverfahren. Es sind, wie soeben beschlossen, acht Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission zu wählen. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stirn-men erhält. Auf Ihrem Pult befinden sich ein Wahlausweis und ein rosafarbener Stimmzettel. Sie können auf dem Stimmzettel höchstens acht Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr Kreuze, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Da eine geheime Wahl nicht vorgeschrieben ist, können Sie die Stimmzettel auf Ihrem Pult ankreuzen. Bevor Sie den Stimmzettel in einer der aufgestellten Wahlurnen geben, müssen Sie den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben. Ich weise abschließend darauf hin, daß allein die Abgabe des Wahlausweises als Nachweis der Teilnahme an der Wahl gilt. Deshalb können Sie Ihren Stimmzettel nur in die Wahlurne legen, nachdem Sie dem Schriftführer Ihren Wahlausweis übergeben haben. Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Wahl und bitte, die Stimmzettel anzukreuzen und sie anschließend nach Übergabe des Wahlausweises an den Schriftführer in einer der aufgestellten Wahlurnen zu geben. Meine Damen und Herren, ich frage: Haben alle Mitglieder, auch die Schriftführer, ihre Stimmzettel abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, die Auszählung wird etwa 45 Minuten in Anspruch nehmen. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren, bis die Ergebnisse vorliegen? - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung - Drucksache 10/74 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/74 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung gewählt. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt - Drucksache 10/75 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 10/75 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist einstimmig angenommen. Damit sind die vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt und deren Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost - Drucksachen 10/54, 10/76 Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt Ihnen ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/54 sowie ein Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/76, vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/54 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/76 ab. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorgeschlagenen Mitglieder des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost und deren Stellvertreter gewählt. Vizepräsident Wurbs Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost - Drucksache 10/77 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 10/77 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorgeschlagenen Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost gewählt. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost - Drucksache 10/78 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 10/78 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorgeschlagenen Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost gewählt. Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Agrarberichts 1983 der Bundesregierung - Drucksachen 9/2402, 9/2403 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Agrarpolitik in dieser Woche zu einem politischen Schwerpunkt geworden ist, so liegt das nicht allein an der Einbringung des Agrarberichts und an der sich jetzt daran anschließenden Agrardebatte, sondern auch daran, daß der EG-Agrarministerrat in dieser Woche erneut damit befaßt war, die Agrarpreisverhandlungen aus einer schwierigen Situation herauszuführen und zu einem tragbaren Kompromiß zu kommen. Meine Damen und Herren, wir haben am Montag dieser Woche die Agrarpreisverhandlungen in einer äußerst schwierigen Lage wieder aufgenommen. Demonstrierende Bauern in Brüssel und an den Grenzen haben ihren Unmut über die noch ausstehende und überfällige Agrarpreisentscheidung deutlich gemacht. In dieser Situation haben alle Beteiligten einen kühlen Kopf bewahrt und die Verhandlungen vorurteilsfrei geführt. Der Agrarpreisbeschluß sieht eine durchschnittliche Anhebung der EG-Agrarpreise um rund 4 % vor. Für die deutschen Landwirte beträgt die Erhöhung nach den vereinbarten Abbauschritten beim deutschen Währungsausgleich durchschnittlich 2 %, bei Milch allerdings nur 1 % und bei Getreide etwas mehr als 1 %. Dieses Ergebnis war möglich, weil sich zum einen im währungstechnischen Bereich Lösungen angeboten haben, die sonst nicht verfügbar sind, zum anderen aber auch deshalb, weil wir zu einem abgeschwächten Abbau des Währungsausgleichs bei den sensiblen Produkten Milch und Getreide gefunden haben. Es galt, zu einem Beschluß zu kommen, der eine Krise von der Gemeinschaft abwendet und der ihr weiteres Fortkommen nicht gefährdet. Für die deutschen Landwirte ist das Ergebnis gerade noch tragbar, wenn man den allgemein rückläufigen Preisanstieg und das sinkende Kostenniveau berücksichtigt. Immerhin können unsere Landwirte bei einer durchschnittlichen Preiserhöhung von 2 % damit rechnen, daß sich dadurch die im großen und ganzen positive Einkommensentwicklung fortsetzt. Die Verbraucher schließlich werden durch dieses Ergebnis nur mit einer kaum spürbaren Erhöhung der Verbraucherpreise um weniger als ein halbes Prozent belastet. In finanzieller Hinsicht hält sich dieser Beschluß mit all seinen Elementen in dem Kostenrahmen, wie er von Anfang an von der EG-Kommission wegen der finanziellen Situation der Europäischen Gemeinschaft abgesteckt war. Wenn sich die agrarpolitische Situation in der Europäischen Gemeinschaft so schwierig darstellt, wie es derzeit der Fall ist, so ist dies nicht das Ergebnis jüngster Entwicklungen. Die europäische Agrarpolitik wurde in den letzten zehn Jahren immer häufiger mit Problemen und Aufgaben belastet, die sie nicht lösen kann, j a für die sie nicht im entferntesten zuständig ist. Alle Mitgliedstaaten befrachten diese europäische Agrarpolitik mit politischen Daten, die sie anderweitig nicht loswerden können. Sie übersehen dabei, daß sie so die einzige harmonisierte europäische Politik überfordern und Europa damit in die Vorstufe einer Krise stürzen können. Dies gilt auch für das Ergebnis einer über 13 Jahre währenden Politik der Kanzler Brandt und Schmidt. Beiden Kanzlern ist es nicht gelungen, das europäische Einigungswerk voranzubringen. ({0}) Sie haben in den vergangenen Jahren auf Regierungschefebene die europäische Einigung nicht vorangetrieben, sondern sind utopischen Visionen des Sozialismus nachgelaufen, ({1}) oder Sie haben sich als der ökonomische Vordenker Europas aufgespielt. ({2}) - Genau das ist es. - Ihre Zugeständnisse in Dublin, in Den Haag und überall bezahlen wir heute. ({3}) Sie haben damals große Sprüche gemacht, was Sie für tolle Taten vollbracht hätten, und heute - dazu sage ich Ihnen gleich noch etwas - stellt sich der Fraktionsvorsitzende Ihrer Fraktion, kaum daß diese Fraktion aus der Regierungsverantwortung entlassen ist, hierher und sagt, die Agrarpolitik, die Sie schließlich 13 Jahre konzipiert haben, sei schlechthin ein Ärgernis. ({4}) Ich muß hinzufügen, Sie haben bei Gott Herrn Ertl in den letzten Jahren seine Arbeit für Europa nicht leichtgemacht. ({5}) Hier über Europa herzufallen und den Agrarmarkt, den er auch nur im Rahmen der Kabinettsbeschlüsse hat beeinflussen können, so zu gestalten, wie wir ihn jetzt vorfinden, und dann zu sagen, der Agrarmarkt sei schlechthin ein Ärgernis, das habe ich als ein starkes Stück empfunden. ({6}) Wenn Sie im übrigen meinen, daß mit jeder in der europäischen Agrarmarktpolitik eingesparten Milliarde 125 000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, Herr Dr. Vogel, kann ich Ihnen nur sagen, zwischen diesen genannten Größenordnungen besteht kein kausaler Zusammenhang. Außerdem wäre ein solches Konzept geeignet, diese EG-Agarmarktpolitik zu sprengen. Das würde aber Europa nicht dienen. Sie und Ihre Fraktion hätten sich lieber um die Harmonisierung der Arbeits-, Wirtschafts-, Sozial- und Währungspolitik in Europa kümmern sollen, dann würde sich die Agrarpolitik leichter tun. ({7}) Ich möchte ein paar Sätze zum Agrarbericht '83 sagen, der dem Bundestag seit dem 15. Februar vorliegt. Seine Ergebnisse und auch die Perspektiven, die darin genannt sind, wurden bereits auf breiter Ebene eingehend in der Öffentlichkeit erörtert. Ich kann mir jetzt Einzelheiten ersparen. Ich möchte vielmehr eine politische Wertung vornehmen, sozusagen auch als eine Art Eröffnungsbilanz. Daß diese Bilanz schlecht ist, weil die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren äußerst negativen Einflüssen von außen her ausgesetzt gewesen ist, muß man bekennen. Sie war diesen Einflüssen nahezu schutzlos ausgeliefert, und sie konnte sich kaum gegen diese Einflüsse wehren. Im Agrarbericht '83 - man konnte dies hier eindeutig nachlesen - ist zu erkennen, daß es die allgemeinen Rahmenbedingungen gewesen sind, die den Bauern das Leben zunehmend schwerer gemacht haben. Die unter der SPD-Regierung entstandenen Mißstände wie Arbeitslosigkeit, Inflation, stagnierende oder sogar sinkende reale Masseneinkommen und eine kaum zu glaubende Staatsverschuldung haben auch die Lösung der land- und forstwirtschaftlichen Probleme erschwert. Die von mir aufgeführten Negativfaktoren lassen den Absatz hochwertiger landwirtschaftlicher Produkte stagnieren oder gar sinken und behindern darüber hinaus den notwendigen und vernünftigen Strukturwandel. ({8}) Im Wirtschaftsjahr 1981/82 - darüber wird im Agrarbericht ja Auskunft gegeben - hat zwar die Landwirtschaft einen deutlichen Schritt aus der Talsohle heraus gemacht, aber immer noch lag das Jahreseinkommen je Familienarbeitskraft um rund 10 % niedriger als 1975/76. Real sind dies 30 % weniger. An die außerlandwirtschaftliche Einkommensentwicklung hat die Landwirtschaft noch lange keinen Anschluß gefunden. Im Durchschitt lagen die landwirtschaftlichen Einkommen 1981/82 nominal fast 30% unter den durchschnittlichen außerlandwirtschaftlichen Einkommen, gemessen am gewerblichen Vergleichslohn des Agrarberichts. Gottlob geht es im laufenden Wirtschaftsjahr auch für die Bauern wirtschaftlich wieder aufwärts. Aber noch sind wir nicht über den Berg. Erst gilt es den Schutt in Gestalt von Arbeitslosigkeit, Inflation und Überschuldung wegzuräumen. Wenn dies geschafft ist, sind wieder Rahmenbedingungen möglich, die für die Bauern günstigere Perspektiven eröffnen. Die Regierung der Mitte unter Helmut Kohl kann und wird eine Wende zum Besseren erreichen. Dies wird nicht ohne die Einsicht aller Beteiligten möglich sein. Aber gerade die Land- und Forstwirtschaft ist daran interessiert, daß wieder wirtschaftlich geordnete Verhältnisse in Deutschland einkehren. ({9}) Denn, meine Damen und Herren, ohne eine solche Stabilität ist auch eine erfolgreiche Agrarpolitik nicht zu betreiben. ({10}) Selbst wenn diese Schwerstarbeit geschafft ist, gibt es immer noch genügend Probleme zu lösen. Dazu gehört in erster Linie die EG-Agrarpolitik. ({11}) Sie steht unter der unglücklichen Konstellation, daß bei erheblichem Produktionsanstieg die Nachfrage stagniert oder gar zurückgeht, da die Kaufkraft der Verbraucher gesunken ist; ({12}) - das bezweifelt ja keiner - daß besonders hohe Produktionszuwächse im vergangenen Jahr die Überschußproblematik verschärft haben; der Weltmarkt sich schwieriger gestaltet hat, da immer mehr Ländern durch die teuren Energieimporte die Devisen für Nahrungsmittelkäufe fehlen; die sogenannten Weltmarktpreise in den Keller gefallen sind und damit der Export unserer Agrarprodukte immer höhere Exporterstattungen verlangt; der Finanzrahmen der Gemeinschaft bald ausgeschöpft ist und die insgesamt angespannte Situation im Weltagrarhandel zu immer stärkeren Differenzen mit den großen Agrarexporteuren führt. Trotzdem leistet die Landwirtschaft wichtige Vorreiterfunktionen. Sie ist als einziger Wirtschaftsbereich voll in die Europäische Gemeinschaft integriert und damit ganz in das Wirtschaftsgeschehen dieser Gemeinschaft eingebunden. Sie muß mit den Ungereimtheiten dieses Zehn-Staaten-Bundes leben, und daß das nicht einfach ist, erleben wir täglich. Mit dem gemeinsamen Agrarmarkt wurde aber die entscheidende politische Geschäftsgrundlage für die europäische Zollunion geschaffen, die für die exportorientierte deutsche Industriewirtschaft von kaum zu überschätzender Bedeutung ist. Ich möchte dies an einigen wenigen Beispielen erläutern und wäre Ihnen, Herr Dr. Vogel, dankbar, wenn Sie mir einen Augenblick zuhören könnten. ({13}) - Nun, mir ist es auch schon oft schwergefallen, aber ich habe trotzdem zugehört. ({14}) Wir Deutschen kauften im Jahre 1982 in Frankreich für 42,8 Milliarden DM Waren; wir verkauften in Frankreich für 60 Milliarden Waren. Wir haben in den neun EG-Mitgliedsländern, für die wir einen EG-Agrarbeitrag leisten, für insgesamt 181 Milliarden DM Waren aller Art gekauft, und wir haben in diese neun Mitgliedsländer für 206 Milliarden DM Waren verkauft. Ich vermag nicht zu erkennen, wieso unter dieser Perspektive - bei diesem Handelsüberschuß gegenüber diesen neun Staaten, wo wir keine Hermes-Garantien zu geben brauchen, wo wir unsere Waren ordnungsgemäß verkaufen können und sie auch bezahlt bekommen, wo wir die Kredite nicht vorausfinanzieren müssen, sondern gute Geschäfte machen - dieser Markt, bezogen auf den agrarischen Teil, schlechthin ein Ärgernis sein soll. ({15}) Diese Beispiele machen deutlich, daß von einem Scheitern des Agrarmarkts und der damit zwangsläufig verbundenen Beendigung der Zollunion gerade die deutsche Wirtschaft ungemein hart getroffen werden könnte. Ich glaube, auch die SPD sollte wissen, daß jeder vierte Arbeitsplatz in unserem Land von der Exportwirtschaft abhängt und daß der Export in die neun Mitgliedsländer 47 % des gesamten Exports unserer deutschen Wirtschaft ausmacht. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer an diesem Ast sägt, handelt unverantwortlich. ({16}) Niemand, der über die schwierige und manchmal verfahrene Lage auf dem europäischen Agrarmarkt urteilt, darf diese Fakten vergessen und nur über die Kosten reden. Sicher bin auch ich besorgt über die steigenden Ausgaben für die EG-Agrarpolitik. Aber sie sind in einem Markt von fast 300 Millionen Verbrauchern in der Höhe von 0,5 % des Sozialprodukts anzusetzen, und sie gelten für den gesamten Agrarmarkt. Ich meine, bei aller Einzelkritik muß die Frage erlaubt sein, ob das zuviel ist. Ich glaube, es ist noch vertretbar, besonders unter den Aspekten des deutschen Handelsüberschusses. Ich möchte hier noch eines anmerken. Ich wende mich hierbei an alle, die national und international die Kosten des EG-Agrarmarktes darstellen: Hören Sie bitte auf damit, statt der Wahrheit Horrorgemälde mit Zahlen an die Wand zu malen, in denen Ausgaben enthalten sind, die mit dem EG-Agrarmarkt nichts zu tun haben. ({17}) Es muß jetzt klipp und klar dargelegt werden, welche Ausgaben der Landwirtschaft zuzuordnen sind und welche nicht. ({18}) Unbestreitbar ist, meine Damen und Herren, daß hier und da in diesem europäischen Agrarmarkt zuviel produziert wird. Daß diese Überschüsse auch mir große Sorgen bereiten, vor allem die Zuwachsraten, möchte ich Ihnen ausdrücklich ganz offen bekennen. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, daß eine über dem Bedarf liegende Produktion den Verbrauchern ein preiswertes und qualitativ hochwertiges Angebot an Nahrungsmitteln auf Dauer sichert. Es ist unbestritten, daß wir uns bei knapper Kasse nicht mit erheblichen Überschüssen abfinden können. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, daß viele Menschen in der Welt liebend gern mit uns tauschen würden. Es ist noch immer einfacher gewesen, mit Überschüssen fertig zu werden als mit dem Hunger. Mir sind - ich gestehe das auch ganz offen - in dem Zusammenhang die Besserwisser nicht gerade sympathisch, die einerseits über Agrarüberschüsse in Europa lamentieren, andererseits den Hunger in der Welt beklagen, aber weder gegen das eine noch gegen das andere ein Konzept haben. ({19}) - Diesen Zusammenhang müssen Sie erst einmal logisch nachweisen. Im übrigen haben Sie, Herr Dr. Vogel, in Ihrer Rede nur über die Kosten und dieses schlechthin ein Ärgernis darstellendes Element gesprochen, sonst nicht ein Wort. Die Landwirtschaft sichert aber nicht nur unsere Ernährung, meine Damen und Herren; sie macht es uns möglich, daß wir immer weniger von unseren Einkommen für ein immer reichhaltigeres Nahrungsmittelangebot ausgeben müssen. Das möchte ich in einer Agrardebatte auch einmal deutlich sagen. Es kommt auch noch hinzu, daß sich die Nahrungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren als ausgesprochene Billigmacher im Warenkorb gezeigt haben und damit die Inflationsrate drückten. Dies wird übrigens auch heuer wieder so sein. ({20}) Unsere Landwirtschaft hat aber nicht nur ökonomische Funktionen, sondern sie pflegt auch unsere Kulturlandschaft. Ohne Landwirte gibt es keine intakten ländlichen Räume. Eine Industriegesellschaft wie die unsere ist aber auf vielfältige Siedlungsstrukturen angewiesen. Nicht nur in den Ballungszentren liegt der Reiz unseres Landes, sondern in der Abwechslung zwischen Verdichtungsraum und naturnahem Raum. Diese ausgewogenen Entwicklungen sind gleichermaßen darauf zurückzuführen, daß unsere Landwirtschaft auf eine große Zahl selbständiger Unternehmer und eine breite Eigentumsstreuung zurückblicken kann. ({21}) Die Bundesregierung unterstützt die Fortentwicklung dieser Struktur. Damit unterscheidet sie sich ganz wesentlich von einer von sozialistischen Ideen geprägten Politik. ({22}) - Machen Sie eine solche? Ich habe nichts gesagt. Aber wenn Sie glauben, daß das Ihre Politik war, dann stimme ich dem möglicherweise zu. Die von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien befürwortete Struktur selbständiger Unternehmer auf der Grundlage der breiten Eigentumsstreuung ist fortschrittlich und bewahrend zugleich. Keine andere Agrarverfassung ist leistungsfähiger. Wer in Europa und in der Welt nur etwas herumgekommen ist, kann dies ohne Schwierigkeiten feststellen. Meine Damen und Herren, bei aller Fortschrittlichkeit haben unsere bäuerlichen Betriebe bewiesen, daß ihre wirtschaftlichen Interessen nicht im Gegensatz zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Nutzung des land- und forstwirtschaftlichen Grund und Bodens stehen. Wer etwas anderes behauptet, hat entweder keine Ahnung von den Zusammenhängen oder verfolgt im wesentlichen eigene Interessen, die gegen die Bauern gerichtet sind. ({23}) Von dieser von mir geschilderten agrarpolitischen Situation geht die Bundesregierung aus, wenn sie ihre agrarpolitischen Ziele formuliert. Die Bundesregierung stellt hierzu fest: Die Agrarpolitik ist ein wichtiger Teil des europäischen Einigungswerks. Sie muß mit der Interessenvielfalt der Mitgliedstaaten leben und auf konsensfähige Lösungen in der Europäischen Gemeinschaft hinarbeiten. Wir werden uns weiter beharrlich für unsere Landwirte und Verbraucher einsetzen, ohne dabei die übergeordneten Ziele unserer Europapolitik aus den Augen zu verlieren. Nur ein geeintes Europa kann auf Dauer unsere freiheitliche demokratische Ordnung gewährleisten. ({24}) Wir werden uns ebenso dafür einsetzen, daß der Gemeinsame Markt und damit Europa nicht durch einseitige Interessen und kurzsichtige Vorteilnahme aufs Spiel gesetzt werden. Für uns ist Europa und die mit ihm untrennbar verbundene gemeinsame Agrarpolitik kein Ärgernis schlechthin. Aber auch wir wollen Ungereimtheiten beseitigen. Dazu bedarf es einer stabilen ökonomischen und finanziellen Grundlage. Ein gemeinsamer Agrarmarkt muß unseren Landwirten Lebensverhältnisse ermöglichen, die denen der übrigen Erwerbstätigen gleichwertig sind. ({25}) Die Bundesregierung will sie für unsere Landwirte sichern. Schließlich erwartet die Bevölkerung, daß sie sicher, gut und preiswert ernährt wird. Diese Sicherung einer unserer wesentlichen Lebensgrundlagen hat hohen Rang. Die Bundesregierung wird ihren Teil dazu beitragen, daß die Landwirtschaft diesen Auftrag auch künftig erfüllen kann. Agrarpolitik ist für uns zugleich auch Gesellschaftspolitik im ländlichen Raum. Wir wollen abwechslungsreiche und gesund strukturierte Räume, ein breit gestreutes Bodeneigentum und das Miteinander von Landwirtschaft, Handwerk, Industrie und Handel. Dazu brauchen wir den bäuerlichen Familienbetrieb. ({26}) Ihm gilt die Fürsorge der Bundesregierung. ({27}) Unsere bäuerlich strukturierte Landwirtschaft hat den technischen Fortschritt angenommen, ihn aber nicht rücksichtslos gegen die Natur angewendet. Auch die bäuerliche Landwirtschaft kann auf den technischen Fortschritt nicht verzichten. Ebensowenig möchte die Mehrheit der zivilisierten Bürger in unserem Land nicht unter den Bedingungen primitiver Wohnkommunen leben. Die Menschen in unserer Zeit erkennen aber immer mehr, daß sie der Umwelt verpflichtet sind. Die sorgsame und verantwortliche Nutzung der Naturgüter ist uns allen eine dauernde Verpflichtung. Dazu gehört der pflegliche Umgang mit dem Boden und der Pflanzenwelt. Obwohl die moderne Agrarwirtschaft auf den technischen Fortschritt nicht verzichten kann, da sonst Milliarden Menschen nicht ernährt werden könnten, muß die Anwendung des technischen Fortschritts rücksichtsvoll erfolgen. Die technischen Möglichkeiten in der Agrarwirtschaft stehen aber in keinem natürlichen Gegensatz zur Umwelt. Wir müssen sie nur so einsetzen, daß keine Schäden verursacht oder aber bislang entstandene Schäden wieder abgebaut und beseitigt werden können. Deswegen wenden wir uns auch gegen letzte Intensitäten bei der agrarischen Produktion. Es ist ein weiteres Anliegen der Bundesregierung, der Qualität und gesundheitlichen Unbedenklichkeit unserer Nahrungsmittel hohen Rang einzuräumen. Hier duldet die Bundesregierung keine Kompromisse. Alle bislang angestellten Untersuchungen haben auch ergeben, daß moderne Agrarproduktion - richtig angewandt - mit diesen Zielen keinesfalls im Widerspruch steht. Ich selbst werde mich auch vermehrt darum kümmern, daß in die Bundesrepublik verbrachte Nahrungsmittel den hohen Anforderungen deutschen Rechts genügen. ({28}) In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, daß Naturgüter und land- und forstwirtschaftliche Produktion stärker durch Abfälle und Emissionen der Industriegesellschaft geschädigt werden können, als das bislang in vollem Umfang erkannt worden ist. ({29}) Die Schäden an unseren Wäldern sind dafür ein alarmierendes Warnsignal. Unser Wald - ich glaube nicht, daß irgend jemand hier das bezweifelt - ist von unschätzbarer Bedeutung für Wasserhaushalt, Klima, Gesundheit und Erholung aller Menschen. ({30}) In diesem Zusammenhang wende ich mich trotzdem gegen alle Überlegungen, sich mit weniger volkswirtschaftlichem Wachstum durch Einschränkung der industriell-gewerblichen Tätigkeit zufrieden zu geben, um dem geschilderten Problem Herr zu werden. Dies gefährdet industrielle Arbeitsplätze und richtet sich somit auch gegen die Land-und Forstwirtschaft. Nein, meine Damen und Herren, es müssen Lösungen her, die die schädlichen Einflüsse auf die Land- und Forstwirtschaft vermeiden oder zumindest stark mildern. Die kosten Geld, ich füge hinzu: viel Geld. Aber da die meisten Bürger den Schutz der Natur wollen, müßte es j a wohl auch zu schaffen sein, die erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen. In dem Sinne appelliere ich an das ganze Haus, mich in diesen Bemühungen zu unterstützen. ({31}) Neben dem Umwelt- und Naturschutz ist auch der Tierschutz ein vordringliches Anliegen. Wir bekennen uns zu dieser ethischen Verpflichtung und werden ihr durch entsprechende Maßnahmen auch gerecht werden. Diese Grundsätze werden unser agrarpolitisches Handeln bestimmen. Wir wollen keine Lösungen mit Heftpflaster und Druckverband, sondern Ansätze, die auf eine durchgreifende Gesundung zielen. Die EG-Agrarpolitik ist von zentraler Bedeutung für unsere Landwirtschaft. Wenn diese Politik auch von manchen Ungereimtheiten gezeichnet ist, so erlaubt die Vielzahl der Interessen dennoch keine Reform an Haupt und Gliedern und total. Wir setzen deshalb auf notwendige Anpassungen, um das System der Gemeinsamen Marktordnungen zu sichern. Das setzt die schrittweise Wiederherstellung funktionierender Märkte voraus. Nur so können die Kosten gesenkt und die Finanzierung des Agrarsystems innerhalb eines vernünftigen Rahmens gesichert werden. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Ebenso müssen wir die Konfrontationen abbauen, die sich auf dem Weltagrarmarkt aufgebaut haben. Wir müssen zu umfassenden Konzeptionen gelangen, aber nicht erst, wenn die auseinanderlaufende Entwicklung von Produktion und Finanzressourcen uns lähmt, sondern jetzt. Wir stehen gegenüber dem Gemeinsamen Markt in Verantwortung. Bei allem Vorbehalt gegenüber dirigistischen Eingriffen wird die EG um gewisse produktionslenkende Maßnahmen nach meiner Überzeugung nicht herumkommen. ({32}) Die Idee, alles sich selbst zu überlassen, ist für die acht Millionen Bauern der Europäischen Gemeinschaft lebensgefährlich. ({33}) Die Bundesregierung wird sich daher von folgenden Grundüberlegungen leiten lassen: Der Produktionszuwachs bei Agrarprodukten soll durch eine vorsichtige Mengensteuerung begrenzt werden. ({34}) Die Mitverantwortung der Bauern bei der Finanzierung von Überschüssen wird differenzierter gestaltet. Es wird eine Preisgestaltung angestrebt, die es sinnvoll erscheinen läßt, mehr wirtschaftseigene Futtermittel an Stelle von Importfuttermitteln einzusetzen. ({35}) Das System der landwirtschaftlichen Marktordnungen und der Garantiepreise ist auf die Struktur unserer bäuerlichen Betriebe zugeschnitten; Agrarfabriken könnten mit weniger Marktregulierungen auskommen. Deshalb wollen wir vor allem den bäuerlichen Familienbetrieben den Zugang zum Gemeinsamen Markt sichern und auch erhalten. ({36}) Die veränderten Rahmenbedingungen machen auch in der nationalen Agrarpolitik deutliche Akzentverschiebungen notwendig. Dies wird besonders deutlich in der Agrarstrukturpolitik. Hier wird noch nach Bestimmungen gearbeitet, die bereits zu Beginn der 70er Jahre in gewissem Sinn problematisch waren. Diese staatlichen Investitionsförderungsbestimmungen waren und sind in Teilbereichen wegen ihrer sich nach außerlandwirtschaftlichen Maßstäben richtenden Förderungsschwelle heute unbrauchbar. Sie haben nachweisbar einen Produktionsanreiz bewirkt und mit zu der Überschußbildung beigetragen. Diese Förderungsbestimmungen sind auch problematisch, weil sie viele Inhaber kleiner Betriebe automatisch von der staatlichen InvestitionsfördeBundesminister Kiechle rung ausschließen, nur weil sie sogenannte kleine Bauern sind. Diese Art der Förderschwelle muß weg. ({37}) Sie muß ersetzt werden durch Kriterien der Leistungsfähigkeit der Leiter landwirtschaftlicher Betriebe und der Rentabilität der Investitionen. Ich bin meinem Vorgänger, Herrn Kollegen Ertl, in gewissem Sinne dankbar, daß er in Gesprächen schon vor Monaten einer solchen Neuordnung insofern auch mit zugestimmt hat, als er bestimmte Aufträge in damals noch seinem Hause erteilt hat. ({38}) Die Bundesregierung wird bei ihrer Neukonzeption der Agrarstrukturpolitik zu berücksichtigen haben, daß sich fehlende außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten jetzt deutlich in einem verlangsamten Strukturwandel niederschlagen. Die Agrarstrukturpolitik muß diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Eine Politik, die darauf abzielt, Menschen unter wirtschaftlichem Druck aus der Landwirtschaft zu entfernen, wäre in höchstem Maße unvertretbar. Sie wird von dieser Regierung auch abgelehnt. Zur Zeit ist es eher angebracht, darauf hinzuwirken, landwirtschaftliche Arbeitskräfte dort zu belassen, wo sie sind. Damit auch die kleineren und mittleren Betriebe die notwendigen Investitionen tätigen können, um erträglich über die Runden zu kommen, plane ich die Einführung eines allgemeinen Agrarkredits. Mit ihm sollen die Investitionen, wie Maschinenanschaffungen, Gebäudesanierungen, Wohnhausrenovierungen, aber auch Arbeitserleichterungen ermöglicht werden, ohne damit verwaltungsaufwendige und hemmende Auflagen zu verbinden. Ein solcher Agrarkredit muß in den Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" eingepaßt werden. Deshalb muß dieses Vorhaben mit den Ländern erörtert und abgestimmt werden. Auf Teile des heutigen einzelbetrieblichen Förderungsprogramms werden wir auch in Zukunft nicht verzichten können. Investitionen wie Aussiedlungen und Althofsanierungen sollen wie bisher über weitergehende Förderungskonditionen realisiert werden. Aber wir werden Entscheidungen über solche Förderungsmöglichkeiten nicht mehr von der außerlandwirtschaftlichen Förderschwelle abhängig machen. ({39}) Meine Damen und Herren, nach wie vor ist Mobilität von Boden und Menschen eine richtige Reaktion auf den Wandel. Mobilität kann aber unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht erzwungen werden. Anstatt Mobilitätsdruck auszuüben, müssen Mobilitätsanreize gegeben werden. Sie können nicht nur über die Agrarsozialpolitik, sondern auch durch entsprechende steuerpolitische Impulse erfolgen. Ich bin der Auffassung, daß die Bodenmobilität erhöht werden kann durch den Abbau steuerlicher Hemmnisse. Die Lösung des Problems der steuerlichen Entlastungen bei der Veräußerung einzelner landwirtschaftlicher Grundstücke ist besonders vordringlich. ({40}) Eine Möglichkeit zur steuerneutralen Wiederanlage der Erlöse aus Grundstücksverkäufen sollten nicht nur in landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden und in entsprechenden Gebäuden möglich sein, sondern es sollte nach erweiterten Möglichkeiten zur steuerneutralen Reinvestition gesucht werden. So etwas ist rechtlich und auch steuersystematisch möglich. Das könnte den Bodenmarkt und z. B. den Wohnungsbau beleben. Auch für die Einkommenssicherung und zur Entlastung der Agrarsozialpolitik wäre dies ein Schritt nach vorn, übrigens ohne Belastung des Bundeshaushalts. ({41}) Ein weiteres steuerliches Problem besteht für verpachtungswillige Landwirte. Bislang gilt die par-zellenweise Verpachtung des Betriebs als Betriebsaufgabe mit der steuerlichen Folge, daß die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens als in das Privatvermögen überführt gelten. Die damit verbundenen erheblichen steuerlichen Belastungen gehen selbst bei der Verpachtung kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe manchmal in die Hunderttausende. Das Absurde dieser Regelung ist, daß einerseits die Landabgabe durch Verpachtung als Maßnahme zur Verbesserung der Agrarstruktur durch den Bund gefördert wird, daß aber andererseits den verpachtenden Landwirten Einkommensteuern abgenommen werden, als hätten sie ihren landwirtschaftlichen Betrieb verkauft. Betroffene haben mir in Briefen dargelegt, wie groß ihre Verwunderung und Enttäuschung ist. Die Bürger verstehen derartige Gesetze nicht mehr. Solche Gesetze sind in der Regel auch schlecht. Sie müssen geändert werden. ({42})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Nein. ({0}) Die Agrarsozialpolitik hat besonderes finanzielles Gewicht. Sie ist deshalb in besonderem Maße den Haushaltszwängen ausgesetzt. Die Bundesregierung ist angetreten, die Wirtschaft zu beleben, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren. Sparsamkeit ist oberstes Gebot. Zur Wiederbelebung unserer Wirtschaft brauchen wir Investitionen und eine darauf ausgerichtete Förderungspolitik. Die konsumtiven Ausgaben - und dazu zählen auch Sozialausgaben - können daher nicht vorrangig ausgeweitet werden. Wenn der Sozialbereich nicht ständig weiter wachsen kann, so heißt dies umgekehrt nicht, daß es unter dieser Regierung einen Abbau unerläßlicher sozialer Vorsorge geben wird. Es geht im Gegenteil darum, dieses Sozialsystem wieder solide finanziell abzusichern. Aus vielen Gesprächen mit Landwirten weiß ich, daß sie die Zusammenhänge zwischen einem geordneten Finanzwesen, stabiler Wirtschaft und den sozialen Leistungen sehr genau kennen. Sie sind einsichtsvoll und zu den Opfern bereit, wenn dabei im Rahmen des finanziell Möglichen auch die von der Landwirtschaft bereits eingebrachten Vorleistungen berücksichtigt werden und auf Ausgewogenheit im agrarsozialpolitischen Konzept geachtet wird. Eindeutige Untersuchungsergebnisse zeigen, daß unsere Nahrungsmittel qualitativ gut und gesundheitlich unbedenklich sind. Die Angst vieler Verbraucher vor Gift in der Nahrung ist völlig unbegründet. ({1}) Analytische Unterschiede zwischen konventionell oder mit den Verfahren des sogenannten biologischen Landbaus erzeugten Nahrungsmitteln sind nicht feststellbar. ({2}) Aber beide Produktionsrichtungen haben ihre Berechtigung. Auf eine Landwirtschaft mit modernen Produktionsmethoden können wir nicht verzichten, weil nur mit ihr die ausreichende und preiswerte Versorgung der Bevölkerung gesichert werden kann; und nur wenige Bürger können es sich leisten, in den teuren Bioläden und im Reformhaus einzukaufen. Deshalb wird die Bundesregierung weiter daran arbeiten, die Produktion und Verarbeitung von Nahrungsgütern in ein Netz strenger Regelungen einzubinden und diese ständig den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. In diese Richtung zielt beispielsweise die eingeleitete Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes. Darüber hinaus aber beabsichtigen wir auch weitere ordnungspolitische Regelungen auf dem Gebiet der Höchstmengen von Schwermetallen, der Schwermetallbelastung in Düngemitteln und Futtermitteln und eine weitere Änderung der Richtlinie über Zusatzstoffe in der Tierernährung. Weit größere Sorgen aber als der Produktionsmitteleinsatz in der Landwirtschaft bereiten uns die Belastungen der Nahrungsmittelproduktion durch Emissionen, wie sie für eine Industriegesellschaft leider typisch sind. Ganz vorne stehen dabei die Belastungen aus den Großfeuerungsanlagen und dem Kraftfahrzeugverkehr. Die dadurch mitverursachten Waldschäden sind zu einem zentralen umweltpolitischen Problem geworden und zu einer Bewährungsprobe für unsere Industriegesellschaft. ({3}) Die Schäden in unseren Wäldern werden nicht nur immer deutlicher sichtbar, sie greifen auch um sich. Ihr Umfang ist mehr als besorgniserregend. Allein mit forstwirtschaftlichen Maßstäben und Maßnahmen ist dieses Problem nicht zu erfassen und zu bewältigen. ({4}) Selbst wenn noch nicht alle Ursachen und Wirkungszusammenhänge aufgeklärt sind: Wir können nicht länger mit Maßnahmen warten. Wir müssen an der Quelle der Verursachung ansetzen und eine konsequente Luftreinhaltepolitik verwirklichen. ({5}) Um Schäden von anderen Naturgütern abzuwenden, müssen wir aus der Problematik der Waldschäden lernen und uns vorbeugend um schützende Konzeptionen für den Boden und das Wasser bemühen. Der Bundestag wird morgen eine ausführliche Debatte zu den Waldschäden führen, so daß ich mich hier und heute kurz fassen und mir Einzelheiten ersparen kann. Aber an alle Damen und Herren dieses Hohen Hauses: Die Walderhaltung ist nötig. Notwendig ist aber auch eine richtungweisende Ursachenforschung, die Klärung der Fragen, wie man den Schäden weiter und langfristig begegnet. ({6}) Wegen seiner Bedeutung noch einige Anmerkungen zu dem in die Zuständigkeit meines Hauses fallenden Tierschutz. Mit der Auflösung des Bundestages sind die in der 9. Legislaturperiode eingebrachten Entwürfe zur Änderung des Tierschutzgesetzes hinfällig geworden. Meine Mitarbeiter arbeiten mit Nachdruck weiter an einer Novellierung des Tierschutzgesetzes. Bereits bis zum Juli dieses Jahres soll ein Referentenentwurf allen Beteiligten zur Stellungnahme zugeleitet werden. Ziel der Gesetzesänderung ist in erster Linie eine weitere Einschränkung der Tierversuche, die Bindung des Handels mit Tieren an bestimmte Voraussetzungen und schließlich die Neuregelung des Schlachtrechtes einschließlich entsprechender Regelungen zum rituellen Schlachten. Ebenso sollen Regelungen für die intensive Haltung von Nutztieren erlassen werden, um dabei EG-verbindliche Vorschriften erreichen zu können. Ganz besonders bemühen wir uns um eine Einigung über die Mindestanforderungen zum Schutz der Legehennen in Käfigbatteriehaltungen. Ferner wollen wir dem Verbraucher die Möglichkeit einräumen, zwischen Eiern aus den verschiedenen Haltungssystemen zu wählen und mit seiner Kaufentscheidung ein Votum für die Haltungsform abzugeben. ({7}) Obwohl in der Gemeinschaft nach mehrjährigem zähem Ringen schließlich zu Jahresbeginn eine gemeinsame Fischereipolitik beschlossen werden konnte, von der vor allem die Hochsee- und Kutterfischerei profitieren kann, stellen sich uns erneut Probleme auf dem Fischereisektor. Nach den Regelungen für das EG-Meer sind es jetzt die Fangrechte vor Drittländern, die uns Sorgen bereiten. Unsere Hochseefischerei ist auf Fangrechte im externen Bereich angewiesen, wenn sie ihre Existenz behaupten will. Die Robbenproblematik hat jetzt Fangrechte vor Kanada gefährdet. ({8}) Die Fangrechte in den Gewässern vor Grönland sind gleichermaßen von existenzieller Bedeutung für unsere Hochseeflotte. Der drohende Austritt Grönlands aus der EG bringt hier weitere Probleme. Angesichts dieser Gefahren ist es ein vorrangiges Ziel der Bundesregierung, unserer Hochseefischerei und der Kutterfischerei den Aktionsradius zu erhalten, den sie benötigen, um leistungs- und wettbewerbsfähig zu sein. Schließlich dürfen wir bei unseren agrarpolitischen Überlegungen nicht die längerfristigen Perspektiven übersehen, die sich hinsichtlich unserer Rohstoff- und Energiesituation ergeben können. Wir alle wissen, daß nicht nur das Öl knapp und teurer wird, sondern daß auch der Strompreis steigen wird, wenn wir Strom umweltgerecht erzeugen wollen. Deshalb muß die Landwirtschaft schon heute als Lieferant nachwachsender Rohstoffe in eine entsprechend umfassende Konzeption eingebunden werden. In vielen Bereichen, vor allem natürlich in der Chemie, können landwirtschaftlich erzeugte Grundstoffe Ölderivate ersetzen. Wir können aber mit der Forschung und der Anwendungstechnik nicht warten, bis uns die Probleme akut unter den Nägeln brennen. Wir müssen heute schon nach Lösungen für morgen suchen. Wir tun dies auf dem Sektor Bioalkohol und Biogas. Andere Bereiche werden wir unverzüglich angehen. Deshalb fordern wir im Rahmen einer Versorgestrategie mit Nachdruck eine entsprechende Ausrichtung der Agrarforschung und eine Reihe von einschlägigen Modellvorhaben. Ich fasse abschließend zusammen: Die Landwirtschaft hat im Wirtschaftsjahr 1981/ 82 nach Einbrüchen früherer Jahre wieder Tritt fassen können. Diese positive Entwicklung hält auch im laufenden Wirtschaftsjahr an. Damit hat die Landwirtschaft aber noch keineswegs Anschluß an die außerlandwirtschaftlichen Einkommensverhältnisse gefunden. Sie steht nicht nur im nationalen Vergleich am unteren Ende der Einkommensskala, sondern auch im Vergleich mit den anderen europäischen Bauern ziemlich weit hinten; konkret gesagt: gerade noch vor Italien und Griechenland. Die deutsche Landwirtschaft kann darauf vertrauen, daß die neue Bundesregierung wirtschaftliche und finanzielle Rahmenbedingungen schaffen wird, die es auch den Bauern ermöglichen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme leichter zu lösen. Die Bundesregierung wird den bäuerlichen Familienbetrieb zur Richtschnur ihres agrarpolitischen Handelns machen. Er wird sich in einem gemeinsamen Markt behaupten, der der größte Absatzmarkt der Welt mit der höchsten Kaufkraft der Verbraucher ist. Wir werden alles tun, daß die deutschen Landwirte diese Chance nutzen können. Die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft hat sich als leistungs- und wettbewerbsfähig erwiesen. Ich bin zuversichtlich, daß dies im Interesse aller am Nahrungsgütermarkt Beteiligten auch in Zukunft der Fall sein wird. Anläßlich dieser Bundestagsdebatte bedanke ich mich bei allen, die zur gewissenhaften Erstellung des Agrarberichts 1983 beigetragen haben. Unseren Bäuerinnen und Bauern und der jungen Generation auf den Höfen unseres Landes wünsche ich eine gute Ernte, gesundes Wachstum in Feld und Stall und auch viel Freude an ihrem schönen Beruf. ({9})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, bevor wir in der Aussprache fortfahren, möchte ich die Ergebnisse der vorhin durchgeführten Wahlen bekanntgeben. Ich verlese zunächst das Ergebnis der Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. Mitgliederzahl 520, Abgegebene Stimmen 490, davon gültig 475, Enthaltungen keine, ungültige Stimmen 15. Von den 475 gültigen Stimmen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 270 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 181 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN 24 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 7 Wahlmänner, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 5 Wahlmänner, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN keine. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Von dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sind damit als Wahlmänner gewählt: die Abgeordneten Erhard ({0}), Dr. Lenz ({1}), Dr. Waigel, Dr. Mikat, Helmrich, Kleinert ({2}), Echternach. Als Ersatzmänner sind gewählt: die Abgeordneten Dr. Bötsch, Dr. Stark ({3}), Dr. Miltner, Bohl, Dr. Schäuble, Cronenberg und Müller ({4}). Von dem Wahlvorschlag der Fraktion der SPD sind als Wahlmänner gewählt: die Abgeordneten Dr. Emmerlich, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Jahn ({5}), Dr. Schmude und Dr. Vogel. Als Ersatzmänner sind gewählt: die Abgeordneten Dr. de With, Schulte ({6}), Rappe ({7}), Schröder ({8}), Dr. Schwenk ({9}). Ich gebe nunmehr das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes bekannt. Mitgliederzahl Vizepräsident Wurbs 520, abgegebene Stimmen 490, davon gültig 475, Enthaltungen keine, ungültige Stimmen 15. Von den 475 gültigen Stimmen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 270 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 181 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN 24 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sieben Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD vier Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN keine. Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Von dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sind damit als Mitglieder des Richterwahlausschusses gewählt: die Abgeordneten Dr. Mikat, Erhard ({10}), Dr. Wittmann, Dr. Olderog, Helmrich, Kleinert ({11}), Dr. Stark ({12}). Zu Stellvertretern sind gewählt: die Abgeordneten Müller ({13}), Bohl, Dr. Kreile, Marschewski, Buschbom, Beckmann, Dr. Schroeder ({14}). Von dem Wahlvorschlag der Fraktion der SPD sind als Mitglieder des Richterwahlausschusses gewählt: die Abgeordneten Dr. Emmerlich, Schulte ({15}), Schmidt ({16}), Stiegler. Zu Stellvertretern sind gewählt: die Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Fischer ({17}), Lambinus, Dr. Schwenk ({18}). Ich gebe das Ergebnis der Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt. Mitgliederzahl 520, abgegebene Stimmen 490, davon gültig 488, Enthaltungen keine, ungültige Stimmen 2. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Dr. Dregger 330 Stimmen, auf den Abgeordneten Erhard ({19}) 371 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Waigel 335 Stimmen, auf den Abgeordneten Mischnick 349 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Hirsch 379 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Vogel 431 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Emmerlich 443 Stimmen, auf den Abgeordneten Jahn ({20}) 412 Stimmen, auf den Abgeordneten Schily 132 Stimmen. ({21}) Die Abgeordneten Dr. Dregger, Erhard ({22}), Dr. Waigel, Mischnick, Dr. Hirsch, Dr. Vogel, Dr. Emmerlich, Jahn ({23}) haben die nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission gewählt. Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache über den Agrarbericht. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({24}).

Rudolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001565, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon in der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 hatten wir Aussagen zur künftigen Agrarpolitik erwartet. Wir wurden enttäuscht. In dieser Regierungserklärung spielte die Agrarpolitik überhaupt keine Rolle. ({0}) Auch die zweite Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 führte nicht weiter. Wir warteten vergebens auf neue Erkenntnisse, aber es gab nur Gemeinplätze und Unverbindlichkeiten; ich füge hinzu: die wir alle auch hätten unterschreiben können. Aber es wurde kein einziges Problem genannt, von Lösungswegen ganz zu schweigen. Unsere ganze Hoffnung, endlich das Neue zu erfahren, richtete sich deshalb, Herr Minister, auf Ihre Einbringungsrede. Sie beschönigten viel, warfen uns Grobheiten an den Kopf, sozusagen als Alibi für mangelnde Erfolge, wiesen auf Sachzwänge hin, die sicher vorhanden sind, aber die agrarpolitische Wende war in Ihrer Rede nicht zu finden. ({1}) Diese Wende haben nicht wir erfunden, sondern Sie, meine Damen und Herren, haben sie versprochen. Der Agrarbericht bezieht sich auf das Wirtschaftsjahr 1981/82. Dieses Wirtschaftsj ahr endete am 30. Juni 1982. Es handelt sich also um einen Rechenschaftsbericht der alten Regierung. Wir meinen, die Landwirte können mit diesem Ergebnis zufrieden sein. Das geben Sie ja auch zu; wir haben hier, wie ich annehme, keine Meinungsverschiedenheiten. Wenn eine Steigerung des Reineinkommens je Familienarbeitskraft um 7,7 % vorliegt und wir die Vorausschätzung für das laufende Wirtschaftsjahr noch mit berücksichtigen, zeigt sich daran, daß sich dieser Trend fortsetzt. Sie haben Ihre Meinung in dieser Hinsicht sehr schnell geändert. Ich erinnere an Ihren Entschließungsantrag, über den wir im März letzten Jahres hier bei der Einbringung des letzten Agrarberichts gesprochen haben. Da malten Sie noch Schwarz in Schwarz, was zu Ihnen übrigens paßt, aber da hieß es: Angesichts der auch längerfristigen Betrachtung der immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Situation der deutschen Land- und Forstwirtschaft usw. usw. Als wir im Dezember dann diesen Entschließungsantrag im Ausschuß berieten, galt das plötzlich nicht mehr, und wir hatten eine ganz interessante Debatte darüber. Ich freue mich, daß Sie heute noch lachen, Herr Kollege Eigen. Denn plötzlich hieß es: Die Bundesregierung wird ersucht, alles zu tun, daß sich die derzeit sich abzeichnende verbesserte Einkommensentwicklung der Land-und Forstwirtschaft fortsetzt. Das hat sie getan. Deswegen sage ich: Die Landwirte können, was die Einkommensentwicklung betrifft, zufrieden sein, auch wenn wir die 13jährige Regierungszeit der sozialliberalen Koalition mit einbeziehen. Denn das Reineinkommen stieg während dieser 13 Jahre von 12 050 DM im Jahr 1969 auf 22 980 DM im Jahre 1982. Müller ({2}) Herr Minister, Sie haben als Basisjahr 1975/76 herangezogen. Das verstehe ich. Aber das war ein Jahr mit einer Einkommenssteigerung von 20%. Wir meinen, man sollte das Basisjahr 1969 nehmen, also das Jahr, in dem die sozialliberale Koalition begann; das ist ehrlicher und auch gerechter. Wenn man das Jahr heranzieht, kann sich das Ergebnis nach 13 Jahren durchaus sehen lassen. ({3}) Ob die Landwirte nach sieben Monaten mit Ihnen zufrieden sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollen die Landwirte selber und auch Sie beurteilen. Diesen Agrarbericht, Herr Minister, haben nicht Sie zu vertreten. Aber das landwirtschaftliche Einkommen ist sehr stark von den Ergebnissen in Brüssel abhängig. ({4}) Auch das ist für uns nichts Neues. - Ja, Herr Kollege Glos, Sie haben uns in der Vergangenheit auch für das Wetter verantwortlich gemacht. Ich hoffe, das galt und gilt auch für das letzte Jahr; dann haben Sie recht. Aber wie schwer es ist, in Brüssel etwas durchzusetzen, Herr Minister, haben Sie in den vergangenen Wochen selber erlebt. Gestern haben Sie dem „Expreß" ein Interview gegeben. Ich weiß zwar, daß Sie ein Optimist sind, aber das, was Sie hier kommentieren, grenzt schon an Galgenhumor. Hier heißt es nämlich: Das Ergebnis liegt unter der Inflationsrate und ist z. B. für den Deutschen Bauernverband bestimmt nicht optimal. Das ist schon sehr optimistisch, würde ich sagen. Aber gemessen daran, was ursprünglich vorlag, ist es ein erheblicher Erfolg. Immerhin gab's bei den Preisen keine Nullösung, sondern bescheidene Preiserhöhungsraten für die deutschen Landwirte. ({5}) Wenn ich dieses Interview mit den Aussagen vergleiche, Herr Minister, die Sie letztes Jahr zu den Preisbeschlüssen gemacht haben, dann sieht die Situation natürlich ganz anders aus. Deswegen will ich aus Ihrem Diskussionsbeitrag zur letztjährigen Agrardebatte vom 25. März 1982 zitieren. Da sagten Sie: Seit Jahren betreibt diese Regierung eine Politik des Preisdrucks gegenüber den Bauern, und es ist das erklärte Ziel ihrer Politik, damit eine Produktionseinschränkung zu erreichen. Sie nennt es zwar „vorsichtige Preispolitik", im Klartext ist das aber ein eindeutiges UnterDruck-Setzen dieses mittelständischen Wirtschaftszweiges. Man formuliert zwar „vorsichtige Preispolitik", meint aber Null. Wie müßten wir dann heute Ihre Politik, Herr Minister, an Hand des vorliegenden Preisbeschlusses bezeichnen? ({6}) Letztes Jahr betrug die Erhöhung immerhin 10,6 %, und der Grenzausgleich wurde um 2,9 Prozentpunkte abgebaut. Damals redeten Sie von Unter-Druck-Setzen und Nullösung. Was sagen Sie heute, Herr Minister? In Ihrem Pressedienst schrieben Sie damals zu dieser Preiserhöhung: Die EG-Kommission hat vorgeschlagen, das Agrarpreisstützungsniveau für 1982/83 um durchschnittlich 9 % anzuheben. Für die deutschen Bauern sollen es jedoch nur 5 % sein. Immer wieder muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es sich hierbei nicht um Preise handelt, die die Bauern unmittelbar für ihre Produkte erhalten. Höchstens die Hälfte davon und oftmals noch weniger kommt bei den Bauern an. Wenn man diese Ihre letztjährige Berechnungsmethode, Herr Minister, auf das vorliegende Brüsseler Ergebnis anwendet, was käme dann wohl heraus? ({7}) Daß Sie den Unterschied zwischen Marktordnungspreisen und landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen ein bißchen verwischen oder vernebeln, nehmen wir Ihnen nicht übel, Herr Minister; das gehört zur Freiheit eines Ministers, würde ich sagen. Aber als Oppositionspolitiker waren Sie in dieser Hinsicht viel penibler. Vergleichen Sie deshalb Ihr heutiges Ergebnis mit Ihren Ankündigungen, mit Ihren Zusagen und Versprechungen! Noch vor einigen Monaten forderten Sie in einem Rundfunkinterview auf die sogenannte Lohnerhöhungspause Ihres Ministerkollegen Blüm hin eine 6%ige Agrarpreisanhebung für die deutsche Landwirtschaft. ({8}) In der „Welt" vom 11. November hieß es: Für eine aktivere Preispolitik im Agrarbereich, also für eine stärkere Anhebung der Marktordnungspreise hat sich der neue stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ignaz Kiechle ausgesprochen. Damals waren es noch 4,4 %; herausgekommen sind aber nur 4,2 %, Herr Kiechle, also weniger. Im „Deutschlandfunk" sagten Sie: Ein akzeptables Ergebnis wäre um die 3 netto für die deutschen Bauern. Im „Agra-Europe" steht es ähnlich. Dort ist auch von 3 % die Rede. Und der „VWD" hat genau dasselbe übernommen. Wenn Sie, Herr Minister, das alles in Betracht ziehen, können Sie doch dieses Ihr Ergebnis nicht als einen „erhebliche({9}) Erfolg" - siehe „Expreß" von gestern - oder als „großartige({10}) Erfolg" - wie Müller ({11}) „VWD" von gestern - verkaufen. Ich würde sagen: Das ist die schönste Bauchlandung, Herr Minister, die Sie sich hier geleistet haben. ({12}) Im „VWD" von gestern heißt es weiter: Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle, bewertete den Abschluß unter den gegebenen Rahmenbedingungen als das Äußerste, was vertretbar erschien. ({13}) Aber, Herr Minister, die Rahmenbedingungen liegen doch seit Monaten fest. Trotzdem haben Sie, gerade im Wahlkampf, den Eindruck erweckt, als könnten Sie ein erheblich besseres Ergebnis erzielen. Wie würden Sie, wären Sie heute Agrarsprecher, so ein Verhalten wohl bezeichnen? Sie waren - ganz höflich ausgedrückt - mit harten Formulierungen in der Vergangenheit nie zimperlich. Herr Minister, was Sie in Ihrer Rede heute als Lösung im währungstechnischen Bereich bezeichnen, nannten Sie früher schlichtweg Manipulation. Das hört sich in Ihrem CDU-Pressedienst dann folgendermaßen an: Die Bundesregierung wird ersucht, dafür zu sorgen, daß nicht weiterhin am System des bestehenden Agrargrenzausgleichs durch Änderungen der Berechnungsmodalitäten manipuliert wird. Heute stellen Sie das als Erfolg hin. Wir erkennen an, Herr Minister, daß Sie durch die Währungsbeschlüsse in eine schwierige Situation gebracht, besser gesagt: hineinmanövriert worden sind ({14}) durch die zu hohe Aufwertung der D-Mark und die zu geringe Abwertung des französischen Franc. Das haben Sie Ihrem Bundeskanzler und auch Ihrem Finanzminister zu verdanken. ({15}) Herr Kollege Susset hat dazu, nach „Agra-Europe" vom 5. April dieses Jahres, etwas bemerkenswertes gesagt, das ich noch zitieren will. Da heißt es: In einer Pressemitteilung wies Susset darauf hin, daß die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zu einer deutlichen Aufwertung der D-Mark bei den jüngsten Paritätsanpassungen im Europäischen Währungssystem erneut Vorleistungen für Europa erbracht hat ({16}) und dazu beigetragen habe, das in der gemeinsamen Währungspolitik bisher Erreichte zu erhalten. ({17}) - Darüber brauchen wir nicht zu streiten. - Aber, Herr Kollege Susset, Sie sagen weiter: Dieses Entgegenkommen müsse bei den laufenden Agrarpreisverhandlungen berücksichtigt werden. So Sie, Herr Kollege Susset. ({18}) Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, Herr Kollege Susset. Diese Ihre Tat wurde ja als große Leistung für Europa verkauft. Wenn es um Europa geht, kann man nicht immer in Heller und Pfennig rechnen, da stimmen wir Ihnen voll zu. Europa ist auch ein Opfer wert. ({19}) Aber hier hat die Bundesrepublik an Frankreich Zugeständnisse gemacht, dabei aber versäumt - aus Unerfahrenheit oder Nachlässigkeit oder aus beiden -, die Preisverhandlungen mit einzubeziehen und klare Vereinbarungen über den Abbau des deutschen Grenzausgleichs zu treffen. Die Folgen sind bekannt. Das Durcheinander wäre zu verhindern gewesen. ({20}) Herr Kollege Kiechle, Sie haben wieder über das Apel-Papier polemisiert. Ich füge hinzu: Es ist schlichtweg falsch, wenn Sie behaupten, die SPD-Agrarpolitiker stünden nicht dahinter. Wir haben dieses Papier mit erarbeitet und stehen auch heute noch voll dazu. ({21}) Und wenn man sieht, wie in Europa die Kosten auf dem Agrarsektor explodieren, muß es doch wohl erlaubt sein, nach neuen Lösungen zu suchen. Das haben wir getan; nicht mehr und nicht weniger. Sie wissen doch, daß diese EG-Agrarausgaben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um rund 35% angestiegen sind. Herr Minister, da ist es doch nicht damit getan, zu sagen, die Gesamtausgaben betrügen nur 0,5% des Sozialprodukts. Entscheidend ist doch, daß die Lage auf dem EG-Agrarmarkt und in der europäischen Landwirtschaft nicht besser geworden ist, sondern sich von Jahr zu Jahr verschärft hat. Darum geht es doch. ({22}) - Jawohl, Sie können uns beschimpfen, daß wir das 13 Jahre fortgeführt haben, aber Sie haben es doch eingeführt und sich dagegen gewehrt, irgendeine Änderung mit uns durchzuführen. Das ist das Entscheidende, Herr Kollege. ({23}) Ich füge hinzu: Mit dem Ausdruck „Ärgernis", den Herr Kollege Dr. Vogel verwandt hat, hat er die Situation eher zurückhaltend kommentiert. Auch die FDP war damals für unsere Vorschläge. Wir glaubten, mehr Markt, mehr Selbstverantwortung in der Landwirtschaft müßte auch mit Ihren ordnungspolitischen Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen sein. Wo, meine sehr verehrten Müller ({24}) Damen und Herren von der Regierungskoalition, bleiben diese Ihre ordnungspolitischen Vorstellungen, wenn Sie einer Reglementierung der Mengen das Wort reden? Wohin führen denn die Quoten und Kontingente? Ich weiß, Sie scheuen diese Ausdrükke, aber es läuft doch darauf hinaus. Hier ist der Bauernverband ehrlicher. Er nennt es beim Wort. Sie führen doch in die totale Bürokratie und in eine Reglementierung. Deswegen sagen wir: Gerade in der Zeit der leeren Kassen in Brüssel und bei den Mitgliedstaaten müssen wir handeln. Wir hoffen nur: mit mehr Freiheit und mit weniger Zwang. ({25}) Aber die Andeutungen heute stimmen uns nicht gerade optimistisch. Sie stimmen uns auch nicht optimistisch, Herr Minister Kiechle, wenn ich an das denke, was Sie über die Begrenzung der Einfuhrfuttermittel gesagt haben. Sie sagten, es werde eine Preisgestaltung angestrebt, welche die Verwendung von wirtschaftseigenen Futtermitteln anstelle von Importfuttermitteln ermöglicht. Ich will nicht eingehen auf Inlandsprobleme, die die Verbraucher und die Preise betreffen, und will auch nicht auf EG-Probleme oder auf außenpolitische oder außenwirtschaftliche Probleme - USA, GATT - eingehen. Ich will nur darauf hinweisen, daß Zölle, Steuern oder auch Beihilfen mehr Abkapselung und mehr Protektionismus bedeuten. In der Regierungserklärung sagte dazu Bundeskanzler Helmut Kohl, Sie seien für den freien Welthandel, nur freier Austausch, nicht Protektionismus sichere Beschäftigung und Wohlstand. ({26}) Herr Minister, Sie haben auf den Export hingewiesen. Aber welche Folgen würden sich für den Export ergeben, wenn das durchkäme, was Sie hier angedeutet haben! ({27}) Was gilt deswegen: die Regierungserklärung oder diese Ihre Ankündigung? ({28}) Wir haben in unserem Wahlprogramm auch eine Neuordnung der Zuständigkeiten der Ressorts im Umweltschutz gefordert, um eine bessere Interessenabwägung zu ermöglichen. Wir sind gespannt, Herr Minister, ob Ihnen diese Interessenabwägung gelingt. Sie wollen die Produkte und die Verarbeitung von Nahrungsgütern in ein Netz strengerer Regelungen einbinden und kündigen verschiedene gesetzliche Maßnahmen an. Legen Sie die Gesetze bald vor, darum bitten wir Sie; denn der Schutz unserer Umwelt, insbesondere Natur-, Pflanzen- und Tierschutz, und die gesundheitliche Unbedenklichkeit unserer Nahrungsmittel dulden keinen Aufschub. Knüpfen Sie dort an, wo wir aufhören mußten. Auf das weiter um sich greifende Waldsterben will ich jetzt nicht eingehen. Sie haben selber gesagt, morgen wird über das von uns eingebrachte Notprogramm diskutiert. Aber wir können Ihnen heute schon sagen: Wenn Sie diese Gesetze bald einbringen, werden Sie unsere volle Unterstützung haben. Herr Minister, Sie wollen auch Maßnahmen zugunsten der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe ergreifen - so sagten Sie in Ihrer Rede und so steht es auch in Ihrem Koalitionspapier. An welche Maßnahmen haben Sie hier gedacht? Nur an Agrarkredit, finanziert über die Gemeinschaftsaufgabe? Was wollen Sie dort kürzen, Herr Minister? Das einzelbetriebliche Förderungsprogramm wollen Sie ja fortführen. Soll dann alles im Rahmen der vorhandenen Mittel durchgeführt werden? Das ist ein bißchen unklar. Ich will hier nicht darauf eingehen, daß die bayerische Regierung die Gemeinschaftsaufgabe ja abschaffen will, das können Sie vielleicht in den monatlichen Kabinettssitzungen in München klären, Herr Minister. ({29}) Aber dem Vorschlag, kleinen und mittleren bäuerlichen Betrieben schnell zu helfen, können wir zustimmen. Wir können Ihnen sogar einen Vorschlag machen, ohne finanziellen Aufwand. Ihnen ist doch bekannt, daß kleine Betriebe mit Sozialabgaben wesentlich stärker belastet sind als große Betriebe. Es ist doch bekannt, daß diese Belastung von Jahr zu Jahr zunimmt. Der Beitrag zur Altershilfe beträgt für jeden landwirtschaftlichen Betrieb, ohne Rücksicht auf Größe, 105 DM. Für einen FünfHektar-Betrieb sind das pro Hektar 21 DM, für einen 50-Hektar-Betrieb pro Hektar nur noch 2,10 DM. Die Belastung in der Krankenversicherung ist ähnlich. Kleine Betriebe haben eine Hektarbelastung bis zu 24 DM, größere Betriebe nur bis 4,50 DM. ({30}) - Natürlich gibt es eine Staffelung, Herr Eigen. Aber da wäre doch noch einiges zu tun. Da könnte man doch noch etwas machen. ({31}) - Natürlich 13 Jahre! Wir hatten ja einen Vorschlag, ich komme gleich darauf zurück. Sie haben doch immer alles abgelehnt, wenn nicht im Bundestag, dann im Bundesrat. Dafür haben Sie gesorgt. ({32}) Es muß doch nicht so sein, daß einkommenstarke und einkommenschwache landwirtschaftliche Betriebe Bundeszuschüsse in gleicher Höhe erhalten. Im Agrarbericht 1982 können Sie nachlesen, daß für Betriebe mit einem Standardbetriebseinkommen von mehr als 50 000 DM die Aufwendungen für die soziale Sicherheit seit 1978 von 9,7 % auf 12,5 % des Gewinns gestiegen sind, während für Betriebe mit einem Standardbetriebseinkommen unter 20 000 DM ein Anstieg von 17,7 auf 26,7 % stattfand. Kleine Müller ({33}) Betriebe geben also einen mehr als doppelt so hohen Anteil ihres Gewinns für die soziale Sicherheit aus als die großen Betriebe. ({34}) Das, was hier geschieht, widerspricht doch jeder sozialen Gerechtigkeit. Deswegen sage ich nochmals: Wir hatten j a das Änderungsgesetz. Aber im Bundesrat haben Sie es scheitern lassen. ({35}) Wir hatten auch einen Antrag zum Haushalt 1983 eingebracht. Aber den haben Sie abgelehnt, mit der FDP abgelehnt; beim Gesetz hat die FDP noch mit uns gestimmt. Betriebe, denen Sie, Herr Minister, jetzt helfen wollen, könnten schon längst besser dastehen, wenn Sie und Ihre Freunde nicht blockiert hätten. ({36}) Diese Blockade, meine sehr verehrten Damen und Herren, ging voll zu Lasten der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe. ({37}) Bringen Sie das in Ordnung. Legen Sie schnellstens einen Gesetzentwurf vor, dann können Sie beweisen, was Sie für diese Betriebe übrig haben, ({38}) ob Sie ein Herz für diese Betriebe haben. Auf unsere Unterstützung können Sie in diesem Fall zählen. Herr Minister, nicht nur den Mund spitzen, endlich einmal pfeifen, würde ich sagen. ({39}) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben über Jahre hinweg von den Oppositionsbänken aus den Landwirte Versprechungen gemacht und Erwartungen geweckt. Seit nunmehr einem halben Jahr hätten Sie Gelegenheit gehabt, Ihre großen Worte in Taten umzusetzen. Wir haben niemals an eine Verwirklichung geglaubt. Die agrarsozialen Kürzungen im Haushalt 1983, die jüngsten Brüsseler Ergebnisse, die Vorankündigungen von Kürzungen im Haushalt 1984 geben uns recht und bestätigen, daß Sie weder gewillt, noch in der Lage sind, die bei den Landwirten geschürten Hoffnungen zu erfüllen. ({40}) Wir Sozialdemokraten sehen für unsere Politik folgende Schwerpunkte: Anpassung der EG-Agrarpolitik an den gegebenen Finanzrahmen. Die Versorgung unserer Bevölkerung mit preisgünstigen und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln muß sichergestellt werden. Der Verbraucher hat Anspruch auf gesundheitlich einwandfreie Lebensmittel. Deshalb sind die bestehenden Regelungen ständig den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Wir fordern eine sozial gerechtere Verteilung der Bundeszuschüsse in der Sozialpolitik zugunsten einkommenschwacher landwirtschaftlicher Betriebe. Wir fordern eine weitere Einschränkung der Investitionsförderung in Überschußbereichen und Strukturbeihilfen für kleine und mittlere Betriebe. Wir wollen ein aktives, verantwortungsvolles Mitwirken der Landwirtschaft an der Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir sind für eine schnelle Verabschiedung umweltpolitischer Vorhaben. Wir werden Sie, Herr Minister, und auch Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, an der Erfüllung Ihrer Aussagen und Versprechungen messen. Bisher sind Sie dem Anspruch, Sachwalter der Belange im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu sein, nicht gerecht geworden. ({41})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Sie haben zum Schluß ein paar Sätze gesprochen, denen man teilweise sogar zustimmen könnte. Aber veranlassen Sie bitte in Ihrer Fraktion, daß heute noch jemand erklärt, für wen Sie gesprochen haben: ob Sie als Rudolf Müller ({0}), als freischaffender Künstler, ({1}) oder ob Sie als einer gesprochen haben, der das unterstützt, was heute Ihr Neukollege Lahnstein auf den Tisch gelegt hat und wozu er eine Debatte erzwingen wollte. Wenn hier wiederum - genauso wie Herr Vogel das in seiner Rede in Brüssel und in seiner Rede hier in der Debatte über die Regierungserklärung getan hat - die europäische Agrarpolitik insgesamt zum Sündenbock gestempelt wird, wenn man so tut, als ob es in Europa nichts Schlimmeres gäbe, dann frage ich: Ist das, was Sie gesagt haben, durch die Gesamtfraktion gedeckt? ({2}) Sie haben heute auch den „VWD" in der Hand gehabt. Ich nehme an, Sie haben auch die Meldung auf Seite 30 „Landwirtschaftsminister Schneider kritisiert EG-Agrarpreisbeschlüsse" gelesen. ({3}) Jemand aus der SPD möge heute bitte erklären, ob diese Preiserhöhungen zu niedrig oder zu hoch sind. Ich kann nämlich aus dem, was dazu an einem Tag aus Ihrer Fraktion kommt, nicht entnehmen, ob sie Ihnen zu niedrig oder zu hoch sind. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Müller, ich schaue immer auf die Uhr. ({0}) Für den Fall, daß mir bei Zwischenfragen die entsprechende Zeit nicht angerechnet wird, lasse ich mehrere Fragen zu. Aber ich möchte gegenüber den Kollegen, die nach mir auch noch sprechen wollen, nicht intolerant sein. Sie haben heute bemängelt, daß durch uns einiges blockiert wurde. Was wurde blockiert? Wenn Sie als Gesamtfraktion jemals mit einer gemeinsamen Meinung aufgetreten wären - ob mit Ihrem früheren Koalitionspartner oder in Absprache mit uns -, dann wäre das nicht blockiert worden. Sie haben jetzt einen Entschließungsantrag auf dem Tisch liegen. In Ziffer 2 dieses Antrages wird klar zum Ausdruck gebracht, daß die staatlichen Zuschüsse künftig stärker an der betrieblichen Leistungsfähigkeit auszurichten seien. Bitte, mit Ihnen war das doch nicht durchzusetzen. ({1}) Deshalb mußten wir warten, bis andere Mehrheiten vorhanden waren. Herr Kollege Müller, Sie haben auch das Haushaltsproblem angesprochen. Wir haben ja eine mittelfristige Finanzplanung vorliegen. Aber es ist doch eigentümlich - und eine Arbeitsteilung, für die wir nicht zu haben sind -, wenn Sie, die Sie praktisch das verursacht haben, was es heute an Staatsverschuldung gibt, jetzt jene prügeln, die nun versuchen, auf allen Ebenen wieder eine Gesundung der Staatsfinanzen herbeizuführen. ({2}) Es ist für uns keine lustvolle Angelegenheit, den Haushalt zu sanieren, meine Damen und Herren. Aber wir treffen die notwendigen Entscheidungen, damit hier in der Bundesrepublik Deutschland künftig wieder vernünftige Verhältnisse sind. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich auf einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von gestern hinweisen, der die Überschrift „Agrarmisere" trägt. Der Schreiber des Artikels stellt fest, daß das „,Gleichgewicht der Unzufriedenheit` gerade noch gewahrt" wurde. Er fährt fort: Die letzte Verhandlungsrunde verlief ... gelassener, als viele befürchtet hatten ... Das lag an der besonnenen Verhandlungsführung von Landwirtschaftsminister Kiechle, der als Neuling einen guten Einstand hatte. ({4}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich nach der Kritik des Kollegen Müller für meine Fraktion, für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hier aufs nachdrücklichste unterstreichen, und dem Kollegen Kiechle möchte ich danken, daß er dies unter den gegebenen Bedingungen noch hat erreichen können. ({5}) Daß die Agrarpreisrunde nicht erneut ergebnislos abgebrochen werden mußte, ist das Verdienst von Ignaz Kiechle. Er mußte - er hat das in seiner Rede vorhin auch gesagt - in der Zwischenzeit entstandenen Schutt und Ballast beiseite räumen. ({6}) Er hatte gegen großen, betrüblichen nationalen Egoismus bei einigen Mitgliedsländern anzukämpfen. Ich bedanke mich namens der Fraktion dafür, daß er sich dem gewaltigen Druck auf verstärkten Abbau des Grenzausgleichs erfolgreich widersetzt hat. ({7}) Wir müssen, meine Damen und Herren - lassen Sie mich auch das sagen -, unserem französischen Nachbarn deutlich machen, daß die Bundesrepublik Deutschland - da haben Sie mich zu Recht zitiert; ich stehe heute noch zu dem, was ich damals vor der Presse gesagt habe ({8}) Frankreich bei dem unlängst zu beobachtenden Währungspoker mit einer hohen Aufwertung der D-Mark entgegenkam, um damit ein weiteres Auseinanderdriften Europas zu verhindern. Die französischen Landwirte und der französische Bauernverband müssen sich auch den Hinweis darauf gefallen lassen, daß die Nettobetriebseinkommen in der Bundesrepublik Deutschland nach einer amtlichen EG-Erhebung für 1982/83 an drittletzter Stelle unter den Mitgliedstaaten liegen - weit unter denen, die die Franzosen im letzten Jahr erreicht haben. Angesichts dieser Zahlen klingt es meiner Meinung nach wie Spott und Hohn, wenn ständig über den hohen Grenzausgleich für die Bundesrepublik geklagt wird. Trotz Grenzausgleich haben die Abwertungsländer für ihre Landwirtschaft Preis- und Marktvorteile; das möchte ich festgehalten wissen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen, das ich kürzlich in einer Anzeige in der „Stuttgarter Zeitung" fand. Da wird von einem französischen Weinauslieferungslager mit folgendem Satz geworben: Durch Aufwertung der D-Mark und durch Abwertung des Franc können wir französische Weine noch preiswerter liefern. Hier wird deutlich, daß der Grenzausgleich notwendig ist. Deshalb werden wir den Kollegen Kiechle in seinem Bemühen zum Erhalt des Grenzausgleichs auch künftig unterstützen. ({9}) Das, was sich in letzter Zeit an den Grenzübergängen abspielte, meine Damen und Herren, zeugte sicher wenig von partnerschaftlichem Geist in Europa. Aber wir meinen: Nicht Konfrontation, sondern faires und sachgerechtes Handeln ist das Gebot der Stunde, wenn Europa nicht um Jahre zurückgeworfen werden soll. Dies aber kann niemand wollen. Trotz aller Kritik will ich für die CDU/CSUBundestagsfraktion feststellen, daß sich die gemeinsame Agrarpolitik insgesamt bewährt hat und einen wesentlichen Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung auch außerhalb der Landwirtschaft geleistet hat. Es ist in den letzten Jahren gelungen, die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung auf qualitativ hohem Niveau und zu angemessenen Preisen sicherzustellen. Durch zielgerechte Gestaltung der Preise und Absatzmöglichkeiten ist es gelungen, Preisschwankungen auszugleichen und eine für alle Beteiligten wünschenswerte Stabilität zu erreichen. Deshalb stehen wir dazu. „Die Grundprinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik sind zu erhalten und auszubauen." Die Markt- und Preispolitik bleibt wichtigste Säule der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik. Die Bemühungen zum Abbau der zunehmenden Ungleichgewichte auf den einzelnen Agrarmärkten sind fortzusetzen, und dabei stehen Maßnahmen zur Beteiligung der Erzeuger an den Kosten der Überschußproduktion - lassen Sie mich das klar sagen - gleichrangig neben absatzfördernden Maßnahmen. ({10}) - Das waren wir seit jeher. Das haben die französischen Sozialisten einmal kaputtgemacht. Wir wissen um diese Probleme und wissen auch, daß wir hier etwas tun müssen. Meiner Meinung nach ist zur Stabilisierung einiger Märkte eine zeitweilige Einführung - und da unterscheidet sich die Fraktion nicht von dem, was der Minister sagte - mengenbeschränkender Maßnahmen auch durch finanzielle Belastung der Mehrerzeugung sowie der flächenunabhängigen Produktion erforderlich. Dies muß im Interesse der Gesamtlandwirtschaft EGweit durchgesetzt werden. Dazu gehört auch, daß Maßnahmen zur Verhinderung von immer mehr Großbeständen in der Veredelungsproduktion zum Schutz der bäuerlichen Familienbetriebe ergriffen werden. Wir haben zu diesem Fragenkomplex in dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag der CDU/CSU- und der FDPFraktion unter Ziffer 1 vorgeschlagen: Die Bundesregierung wird ersucht, angesichts zunehmender Konzentrationstendenzen in der tierischen Erzeugung geeignete Maßnahmen zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und zur Verhinderung unerwünschter Großbestände zu ergreifen. Dabei muß auch die Frage von Bestandsobergrenzen oder ähnlich wirkender Maßnahmen geprüft werden. Dieser Entschließungsantrag ist ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Sie können also davon ausgehen, daß Sie die SPD mit der geschwundenen Mehrheit nicht in der Lage sind, ihn zu blockieren. ({11}) - Es steht doch drauf! ({12}) Ich weiß, meine Damen und Herren, Überschüsse, über die wir diskutieren, sind eine Erscheinung des westlichen Wirtschaftsraums. Weltweit gesehen gibt es neben Überschüssen in den westlichen Ländern einen empfindlichen Mangel an Nahrungsgütern sowohl in der Dritten Welt als auch im kommunistischen Machtbereich. Da müssen wir uns alle vorwerfen lassen, daß es uns nicht gelungen ist, in den letzten Jahren die Verteilung der Nahrungsmittel auch nur in Ansätzen zu regeln - ({13}) - Das ist mit ein Verteilungsproblem. Auf Sie komme ich noch zurück gnädige Frau. Ich kann Ihnen versprechen, der Kollege Borchert auch. Es nützt jedoch nichts, meine Damen und Herren, dieses Problem ist da, mit der Konsequenz, daß von Monat zu Monat mehr von der Nichtfinanzierbarkeit der europäischen Agrarpolitik gesprochen wird. Es ist selbstverständlich, daß sich beim Eintritt weiterer Länder in die Europäische Gemeinschaft die Finanzprobleme verschärfen. Die Süderweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal ist aus gesamtpolitischer Sicht anzustreben. Es muß jedoch jedem von Anfang an klar sein, daß der Beitritt dieser Länder einen Anstieg der agrar- und integrationspolitischen Kosten zur Folge hat. Deshalb bitte ich die Bundesregierung, alles zu tun, daß sich die aus der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft zu erwartenden Mehrausgaben im Finanzrahmen halten und nicht zu einer Belastung der gemeinsamen Agrarpolitik führen. ({14}) - Darüber werden wir uns unterhalten. Anläßlich der Debatte zur Regierungserklärung hat die Frau Kollegin Dr. Vollmer für die Fraktion der GRÜNEN erklärt: „Unser Teil in diesem Haus kann nur die Ankündigung einer grundlegenden und umfassenden agrarpolitischen Opposition sein." Nun, Frau Dr. Vollmer, wir haben die Ankündigung vernommen und erklären uns bereit, die Diskussion - wenn notwendig, auch kontrovers - aufzunehmen. Das ist parlamentarisches Geschäft. ({15}) Das werden wir im Ausschuß machen, und das werden wir hier im Plenum machen. Aber lassen Sie mich doch vorher fragen: Wo waren Sie, Frau Dr. Vollmer - es tut mir leid, daß Ihre Vorsitzende, Frau Kelly, jetzt nicht da ist -, als es darum ging, den unseligen Thesen des Sozialisten Dr. Sico Mansholt zu widersprechen, jenes Dr. Mansholt, ({16}) der anläßlich eines Hubschrauberfluges über Baden-Württemberg in seiner Eigenschaft als zuständiger EG-Agrarkommissar erklärte, ({17}) daß es nur noch kurze Zeit dauern werde, bis die Landwirtschaft auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald aufgegeben werde? Daß es so kam, das haben in erster Linie wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und auch andere, und die CDUregierten Länder verhindert. Ich frage Sie, Frau Kelly - ({18}) - Frau Vollmer ist in der gleichen Fraktion; es ist doch sicher noch soviel Integrationsmöglichkeit da, daß man es der Frau Vollmer sagen kann und diese es dann der Frau Kelly weitersagt. Ihr macht doch immer gemeinsame öffentliche Fraktionssitzungen. Da kann man doch so einen Punkt mal ansprechen. ({19}) Nun, ich frage: Was hat Frau Kelly getan, als sie bei der EG-Kommission war, als sie, wie sie in einem Interview sagte, 1972 gegen viele männliche und auch drei weibliche Bewerber den Posten einer Verwaltungsrätin errang? Dieser Posten hat sie nach eigenen Angaben in die Lage versetzt, alle Dokumente, die es gab, einzusehen, weil sie über ihren Tisch gingen. ({20}) Da hätte sie doch die Möglichkeit gehabt, dieser Agrarpolitik entgegenzutreten. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Reetz?

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber ganz kurz.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Sie fragen, wo Sie waren, als in Baden-Württemberg unter der Regierung von Herrn Filbinger im Katastrophenschutzplan festgelegt wurde, daß die bäuerliche Bevölkerung sich vom Kaiserstuhl und weit darum herum notfalls in den Schwarzwald zurückziehen müßte, damit ein großes Industriegebiet am Oberrhein eingerichtet werden könnte. ({0})

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gnädige Frau, dies liegt auf einem ganz anderen Gebiet. ({0}) Was unter den Notwendigkeiten des Katastrophenschutzes oder des zivilen Bevölkerungschutzes dort unter Umständen vorgesehen war, können wir vielleicht einmal in der Debatte im Innenausschuß besprechen, ({1}) aber nicht hier. Die Landwirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist als Teil der Volkswirtschaft ein auf wirtschaftliche Tätigkeit ausgerichtetes Gewerbe. Fortschreitende Industrialisierung und bessere Einkommenserwartungen in anderen Berufen führten zu einer starken Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft. Der Mangel an Arbeitsplätzen und die steigenden Lohnkosten machten es unumgänglich, auch die Anbaumethoden immer mehr zu rationalisieren und zu technisieren. Die vom Verbraucher und vom Handel gestellten hohen Anforderungen an die Qualität pflanzlicher Produkte, die festgelegten Qualitätsnormen, schließlich veränderte Ernährungsgewohnheiten trugen zu einer Entwicklung bei, daß mehr Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft verwendet werden, um die Ernteausfälle auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Wir haben im letzten Jahr - das bitte ich in den einen oder anderen doch zu überlegen - für Polen Saatkartoffeln geliefert. Als einmal ein zuständiger Mann aus Polen, der für die Nahrungsmittelhilfe und die Hilfe durch andere landwirtschaftliche Hilfsgüter verantwortlich ist, in der Bundesrepublik Deutschland war, erklärte er: Schickt uns bitte Mittel gegen Colorado-Käfer; sonst sind die Saatkartoffeln, die ihr geliefert habt, überhaupt nicht in der Lage, als Nahrungsmittel für die Polen ihren Beitrag zur Bekämpfung des Hungers zu leisten. Auch das dürften alle, die diese Frage heute ansprechen, doch zu bedenken haben. Der Landwirtschaft wird häufig vorgeworfen, daß sie aus reiner Gewinnsucht permanent nach Höchstleistungen strebt und dabei die nachhaltige Existenz ihrer Betriebe vernachlässigt. Für die konsequente Nutzung des technischen Fortschritts durch die Landwirte ist doch in erster Linie die wirtschaftliche Gesamtentwicklung verantwortlich, ebenso die unbefriedigende Entwicklung der PreisKosten-Relation, die Notwendigkeit einer ausreichenden Eigenkapitalbildung zur Sicherung der nachhaltigen Existenz als Haupt-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe und der Mangel an außerlandwirtschaftlichen Beschäftigungsmöglichkeiten, der viele abwanderungswillige Landwirte zwingt, ihren Betrieb intensiv weiter zu bewirtschaften, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es wird oft behauptet, mit den verschiedenen Formen der alternativen Landbewirtschaftung ließen sich die vermeintlichen Nachteile der modernen Landwirtschaft vermeiden. Hierzu wird nachher der Kollege Borchert einen Beitrag leisten. Der Agrarbericht liegt schon lange vor. Deshalb befassen wir uns heute nicht so viel mit dem Bericht. Ich möchte aber die Gelegenheit wahrnehmen, auch Herrn Minister Ertl, der hier ist, zu danken. Er war ja der zuständige Minister mit seinen Mitarbeitern, der uns den Agrarbericht vorgelegt hat, der heute auf Grund politischer Umstände erst spät beraten wird, viel später, als es normalerweise nach der Übung des Parlaments notwendig ist. ({2}) Wir bedanken uns bei unserem Minster Josef Ertl. Er weiß: Wir waren die längste Zeit Opposition. Aber er weiß auch, daß er sehr viel nur mit unserer Hilfe durchsetzen konnte. Für die Kooperation herzlichen Dank. ({3}) Ein Blick in den Agrarbericht zeigt, daß die Landwirte in den zurückliegenden Jahren erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen mußten. Aber er zeigt auch, daß die Zeit der permanenten Einkommenseinbußen erstmals durchbrochen ist. ({4}) Die Durchschnittszahlen, die vorliegen, verbergen natürlich die Unterschiedlichkeit der Entwicklung der verschiedenen Betriebseinkommen. In Abhängigkeit von der Mengen- und Preisentwicklung veränderte sich das Einkommen in einzelnen Betriebsformen sehr unterschiedlich. Ich will ein paar Sätze zur Sozialpolitik sagen. Wir haben in einem Entschließungsantrag - unter Ziffer 2 - die Bundesregierung ersucht, angesichts der Tatsache, daß die Beiträge der Landwirte zur Altershilfe, Kranken- und Unfallversicherung in den zurückliegenden Jahren sehr gestiegen sind, die Einkommen im gleichen Zeitraum jedoch nur um durchschnittlich 1,2 % zugenommen haben, anzustreben, daß die strukturwandelbedingten Defizite der Unfallversicherung ausgeglichen werden. ({5}) In der Agrarstrukturpolitik stehe ich voll hinter dem, was der Kollege Kiechle sagte. Er kann sich darauf verlassen, daß die Reform der Förderpolitik von der CDU/CSU und von der FDP-Fraktion hier in der Form getragen wird, wie er sie dargestellt hat. Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch das Problem der Verhinderung und Verminderung von Waldschäden und deren Folgen angesprochen. Wir ersuchen, dafür Sorge zu tragen, daß ergänzend zu den bereits getroffenen Maßnahmen wesentliche weitere Schritte zur Luftreinhaltung, insbesondere zur Verminderung der Stickoxide und Schwefeldioxide sowohl in der Europäischen Gemeinschaft als auch in den osteuropäischen Staaten unternommen werden. Aber zu diesem Thema wird ja in der morgigen Debatte ausgiebig geredet werden. Kollege Müller, da haben Sie vielleicht auch einen Auftrag, einmal dafür zu sorgen, daß die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen zum Problem Waldsterben und Luftreinhaltung das gleiche sagen wie die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg und in Bayern. ({6}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihre Agrarpolitik an folgenden Zielen ausrichten: Sicherung der Versorgung mit gesundheitlich einwandfreien und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen, gleichrangige Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung, Erhaltung von Natur und Landschaft sowie stärkere Berücksichtigung der Erfordernisse des Tierschutzes. Diese Ziele zu erreichen, meine Damen und Herren, heißt im Bereich der EG-Agrarpolitik: Wahrung und Ausbau der Grundprinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik, Aufrechterhaltung des Systems des Grenzausgleichs bei Änderung der Währungsparitäten, keine Belastung der bestehenden gemeinsamen Agrarpolitik bei der Süderweiterung der Gemeinschaft, Einräumung eines größeren Gestaltungsspielraums für die einzelnen Mitgliedsstaaten zur Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten bei der Neufestsetzung der EG-Argrarstrukturpolitik, im Bereich der nationalen Agrarpolitik - wieder in voller Übereinstimmung mit dem Minister - Wegfall der bisherigen Förderschwelle und gezielte Förderung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, Erhaltung des eigenständigen sozialen Sicherungssystems in der Landwirtschaft. Meine Damen und Herren, auch wenn es oft anders aussieht, muß ich feststellen: Das soziale Ansehen der Landwirtschaft in der Gesellschaft ist in den letzten Jahren tatsächlich gestiegen. Ich glaube, das Unwesentlichste war es sicher nicht, daß ihr Beitrag zur Nahrungssicherung, Umwelterhaltung und Stärkung der Wirtschaftskraft in dünn besiedelten Gebieten zunehmend deutlicher gesehen wird. Sicher ist aber auch, daß die Landwirte wieder besser in ihrer Lebenseinstellung und ihrer Verhaltensweise verstanden werden. Diesen Prozeß wollen wir fördern - nach außen, indem wir als mündige Bürger voll Anteil nehmen an der Gestaltung der Lebensbedingungen in einem modernen Staatswesen, nach innen, indem wir die bewährten Verhaltensweisen, Arbeits- und Lebensformen stärken, aber gleichzeitig aufgeschlossen sind für notwendige Änderungen und neue Erfordernisse. Eine solche Haltung ist im Grunde fortschrittlich. Sie jagt nicht blindlings nach Neuem, sondern sie will dem Menschen dienen, der immer in Gegenwärtiges und Vergangenes eingebunden ist, wenn er das Zukünftige neu gestalten will. Ich will zum Abschluß nochmals allen danken, dem Ministerium, den Landwirten mit ihren Familien und allen, die mit der Landwirtschaft, in der Landwirtschaft und für die Landwirtschaft im Nahrungsmittelgewerbe, im vor- und nachgelagerten Bereich tätig sind. Es ist schließlich jeder sechste Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland, der davon abhängig ist, ob sich die Landwirtschaft auch künftig gut weiterentwickeln kann. Dem neuen Landwirtschaftsminister, unserem Kollegen Ignaz Kiechle, verspreche ich solide Zusammenarbeit und - ganz klar - eine Unterstützung der Ziele, die wir gemeinsam erarbeiten wollen, um sie dann zum Wohle der Landwirtschaft und zum Wohle unseres Volkes durchzusetzen. - Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einem Regierungswechsel ist es sicherlich angebracht, in der ersten Agrardebatte auch darüber zu sprechen, was die Bürger im ländlichen Raum, insbesondere die Land- und Forstwirte, die Fischer, die Imker, von dieser Regierung erwarten können. Mit Genugtuung stelle ich fest, daß sich unser Bundeskanzler eindeutig und unmißverständlich für den bäuerlichen Familienbetrieb ausgesprochen hat. Unser Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat in seiner Rede am gleichen Tag ein Bekenntnis zu den selbständigen Existenzen im ländlichen Raum und den bäuerlichen Familienbetrieben abgegeben. Beide Erklärungen sind wohltuend und setzen sich deutlich von den pauschalen Verurteilungen der EG-Agrarpolitik der Opposition, der SPD, ab. ({0}) Ich meine nicht nur, daß Herr Dr. Vogel die europäische Agrarpolitik hier negativ herausgestellt und daß er sicherlich kein einziges Wort der Anerkennung für die deutsche Landwirtschaft gefunden hat. Das war für uns ein bemerkenswerter Vorgang. Es ist auch insoweit bemerkenswert, daß sich diese Verhaltensweise deutlich von den Agrarpolitikern der SPD abhebt. Bevor ich aber zu meinen Aussagen zum Agrarbericht komme, erlauben Sie mir als Angehöriger einer Fraktion, die 13 Jahre lang den Minister Josef Ertl und die Parlamentarischen Staatssekretäre Logemann und Gallus im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gestellt hat, zu sagen, was in dieser Zeit agrarpolitisch geleistet worden ist. ({1}) Lassen Sie mich einige Tatsachen nennen. Die landwirtschaftlichen Einkommen sind von 1968/69 von 12 151 DM je Familienarbeitskraft bis 1982/83 auf rund 24000 DM verdoppelt worden. ({2}) Der Durchschnittshaushalt mußte 1969 23,4 % seines verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgeben, während es 1982 nur noch 19,5 % waren. ({3}) Der Agrarexport belief sich 1969 auf 3,7 Milliarden DM, 1982 auf 24 Milliarden DM. Die gewerbliche Ernährungswirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk und Gastronomie, stellte ein preiswertes Angebot von anerkannter Qualität und nie dagewesener Vielfalt zur Verfügung. Ihre über 380 000 Betriebe mit etwa 2,6 Millionen Beschäftigten erwirtschaften heute einen Umsatz von annähernd 600 Milliarden DM und damit mehr als doppelt soviel wie 1970. Um eine Abwanderung in Ballungsgebiete zu verhindern, wurden im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftssturktur 1972 bis 1982 etwa 500 000 Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen. Über die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes wurden seit 1970 etwa 200 000 km ländliche Wege ausgebaut, mehr als 10 Millionen Menschen konnten an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossen werden, für mehr als 20 Millionen Einwohner im ländlichen Raum wurden Abwasseranlagen geschaffen. Für die Agrarsozialpoltik standen im Bundeshaushalt 1969 rund 800 Millionen DM zur Verfügung. 1982 waren es 3,7 Milliarden DM. Im Oktober 1972 wurde die Krankenversicherung der Landwirte bei kostenfreier Versicherung der Altenteiler eingeführt, Bundeszuschuß 1 Milliarde DM 1983. Die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung erhöhten sich von 200 Millionen DM jährlich zeitweise auf 400 Millionen DM. Derzeit liegen sie bei 280 Millionen DM. Das landwirtschaftliche Altersgeld ist seit 1974 nach Beitragsjahren gestaffelt, seit 1975 dynamisiert und an die Entwicklung der übrigen Altersrenten gekoppelt. Der monatliche Grundbetrag lag 1969 bei 175 DM für Verheiratete und 115 DM für Alleinstehende. Ab Juli 1983 lauten die Vergleichszahlen 502 DM und 335 DM. Rund drei Viertel der Ausgaben finanziert der Bund. Dazu wird seit 1975 ein Waisengeld und seit 1980 auch eine Versorgung für jüngere Hinterbliebene gewährt. Eine Zusatzversorgung für land- und forstwirtschaftliche Arbeitnehmer wurde 1975 eingeführt. Die Zusatzrente beträgt bis zu 70 DM im Monat. Mit Hilfe der Landabgaberente wurden seit 1969 rund 45 000 Unternehmen strukturverbessert abgegeben und dadurch rund 626 000 ha Land mobilisiert. Um Belastungen von Natur, Umwelt und Agrarprodukten zu vermeiden bzw. zu verringern, sind entsprechende Regelungen vorgenommen worden im Pflanzenschutzrecht, im Futtermittel-, Düngemittel- und Tierkörperbeseitigungsrecht, im Flurbereinigungsgesetz sowie im Abfallbeseitigungs- und im Chemikalienrecht. Außerdem werden mit dem integrierten Pflanzenschutz umweltschonende Alternativen entwickelt. Ein neues Naturschutzgesetz wurde 1976 erlassen. Sein Ziel sind Schutz, Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft. Die Bundesartenschutzverordnung von 1980 will gefährdete Arten vor direktem Zugriff schützen. Die Förderungsgrundsätze der Agrarstrukturverbesserung wurden mehrfach mit dem Ziel geändert, schutzwürdige Biotope zu erhalten. Darüber hinaus wurden in knapp 2 000 Flurbereinigungsverfahren seit 1975 5 643 Hecken und auf 1 364 ha Büsche und Feldgehölz angepflanzt sowie über 1 000 ha Seen, Teiche und Weiher angelegt. 2 666 ha wurden direkt für Zwecke von Natur- und Landschaftspflege verwendet. Weitere 4 444 ha wurden vorrangig berücksichtigt. Dadurch konnten 1909 Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, geschützte Landschaftsteile, Natur- und Bodendenkmäler gesichert werden. 1972 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 47 Naturparke mit 34 250 qkm. Das sind 13,8 % der Bundesfläche. 1982 hat sich die Zahl der Naturschutzgebiete auf 1 486 mit 4 338 qkm - das sind 1,7 % - erhöht. Dazu kommen zwei Nationalparke mit 340 qkm Fläche. Unserem ausgeschiedenen Minister Ertl möchte ich im Namen meiner Fraktion für seine Verdienste nochmals recht herzlich danken, ({4}) ebenso dem Parlamentarischen Staatssekretär Schorsch Gallus. ({5}) Versäumen möchte ich auch nicht, dem neuen Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ignaz Kiechle, zu sagen, daß er mit den FDP-Abgeordneten treue Mitstreiter für den ländlichen Raum und für die Land- und Forstwirtschaft haben wird. ({6}) An dieser Stelle gratuliere ich ihm für die schwere bestandene Feuertaufe in Brüssel. Was uns besonders freut, ist die Tatsache auf Grund der Brüsseler Verhältnisse, daß der Bauernverband heute, wenn es weniger gibt, sogar viel zufriedener ist als früher. Vieles steht uns ins Haus. Der agrarpolitische Wind wird zunehmend kälter. Wir können die Augen nicht mehr davor verschließen, daß die EG mit ihren Finanzierungsmöglichkeiten an Grenzen stößt, was, wenn sie nicht erweitert werden, zu schwerwiegenden agrarpolitischen Konsequenzen führen muß. Die handelspolitischen Auseinandersetzungen mit den USA werden uns weiter begleiten. Und der Streit um den Grenzausgleich läßt unsere europäischen Nachbarn nicht zur Ruhe kommen, obwohl wir heute einen positiven Grenzausgleich von rund 27 % haben müßten, wenn wir nicht bisher schon laufend nachgegeben hätten. Für die deutschen Bauern ist dies weniger erfreulich; denn sie liegen in der Zwischenzeit an drittletzter Stelle der Einkommensskala in Europa. ({7}) Vor diesem Hintergrund und dem Vorjahresergebnis mit einem Minus von 12,6 % ist es erfreulich, daß die Bundesregierung den Agrarbericht 1983 mit einer Steigerung des durchschnittlichen Familieneinkommens von 7,7 % vorlegen konnte. Das Familienarbeitseinkommen liegt nun wieder bei 22 899 DM. Das Unternehmereinkommen stieg um 5,9 % und lag im Wirtschaftsjahr 1981/82 bei 28 587 DM. ({8}) Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß das im Wirtschaftsjahr 1981/82 erreichte Durchschnittseinkommen noch unter dem des Wirtschaftsjahres 1975/76 liegt. Der Einkommenszuwachs war für die einzelnen Betriebsformen immer unterschiedlich; das wissen Sie aus den anderen Agrarberichten. Auf Grund verteuerter Betriebsmittel in Verbindung mit ungewöhnlich hoher Auswinterung ging z. B. der Gewinn bei Marktfruchtbaubetrieben zurück, während die Futterbaubetriebe auf Grund steigender Milchleistungen und höherer Milchpreise einen Einkommensanstieg von 3,2 % je Familienarbeitskraft zu verzeichnen hatten. Ganz besonders konnten sich die Veredelungsbetriebe freuen, denen der kräftige Anstieg der Erzeugerpreise für Schlachtvieh, besonders für Schweine, einen Anstieg von 31,5 % brachte. Dauerkulturbetriebe konnten ebenfalls bis zu 49 % höhere Gewinne erzielen. Hier muß aber dazugesagt werden, daß die Einkommen in dieser Gruppe, so z. B. beim Weinbau, in den vergangenen Jahren katastrophal niedrig lagen. Hier soll es dann auch nicht zu einem verkehrten Schluß kommen. Der Einkommensanstieg der Gemischtbetriebe lag bei 7 % und damit geringfügig über dem durchschnittlichen Anstieg der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe. Erneut beweist der Agrarbericht, daß die günstigsten Betriebsstrukturen nach wie vor auf Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verweisen. Die Nebenerwerbsbetriebe konnten ihre Familieneinkommen um 6 % auf 36 268 DM steigern. Die Zuerwerbsbetriebe steigerten ihre Gewinne den Vollerwerbsbetrieben vergleichbar, nämlich um 5,5 %, und liegen mit dem außerlandwirtschaftlichen Einkommen bei 34 520 DM Familieneinkommen. Die Schätzung für das Jahr 1982/83 liegt bis jetzt noch günstig. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, daß die Marktpreise für Schweine zur Zeit leider im Keller sind und daß dies bestimmt Auswirkungen auf das Jahresergebnis 1982/83 haben wird. Diese Debatte über den Agrarbericht 1983 darf uns keinesfalls dazu verleiten, die anstehenden Agrarprobleme in Europa zu verniedlichen. Wir müssen Bilanz ziehen und nach neuen Wegen Ausschau halten. Wir wissen alle, welche grundsätzliche Bedeutung die Agrarpolitik für die Weiterentwicklung Europas hat. Die erste Frage muß lauten: Haben sich die Marktordnungen der EG bewährt? Können wir mit einer Konzeption weiterarbeiten, die in den Zeiten des Mangels geboren wurde? Reichen die Instrumente aus, um eine Situation ständig steigender Überschüsse zu bewältigen? Hier muß auch gefragt werden, ob die 1-%-Mehrwertsteuer-Regelung noch für die Europapolitik ausreicht. Zum Glück stehen wir vor einer Neuordnung der Agrarstrukturpolitik in Europa. Wenn wir uns die Entwicklung der Agrarproduktion anschauen, dann marschieren wir in den nächsten Wochen auf eine Überschußsituation von 400 000 Tonnen Butter und 750 000 Tonnen Magermilchpulver zu. Nach Thiede in „Agra-Europe" vom 25. April 1983 stieg die Agrarproduktion in den letzten zehn Jahren in den einzelnen Sparten wie folgt: ({9}) - Dies soll uns zu denken Anlaß geben, mein lieber Müller. Die Getreideproduktion um 25 %, die Nachfrage nur um 5 %, die Milcherzeugung um 23 %, der Verbrauch bei Milch nur um 6 %. Die Zuckerherstellung stieg um 42 %, der Verbrauch sank um 10 %; die Weinerzeugung stieg um 10 %, der Konsum ging um 4 % zurück. Dieser Trend dürfte sich sicher in den 80er Jahren fortsetzen. Wenn diese Fakten bei der europäischen Agrarpolitik weiterhin außer acht gelassen werden, ist am Ende das Desaster unausweichlich. Die Gefahr liegt darin, daß wir in der Agrarpolitik in die gleiche Situation kommen wie die europäische Stahlindustrie, ({10}) und das zu einer Zeit, wo es in Europa mehr Arbeitslose gibt als Bauern. Wenn wir den bäuerlichen Familienbetrieb in Europa wirklich erhalten wollen, dann muß er sein Einkommen aus den Verkaufserlösen auf den Märkten erzielen können. Die EG-Marktordnungen müssen dies garantieren. Dies wird aber nicht mehr der Fall sein können, wenn die Überschüsse immer mehr steigen. Die FDP-Fraktion sieht keinen Sinn mehr in der laufenden Ausdehnung der Produktion von Milch und Fleisch in Europa mit Hilfe staatlicher Mittel. Niemand kann auf die Dauer die Preise für die Überschüsse garantieren. Notwendig ist eine agrarpolitische Neubesinnung in Europa. Die FDP fordert deshalb eine neue agrarpolitische Konferenz von Stresa, wo im Zeichen des Überschusses über neue Wege nachgedacht wird, die agrarpolitischen Probleme Europas zu bewältigen. Man wird nicht darum herumkommen, vorübergehend jegliche staatliche Förderung der Mehrproduktion von Milch und Fleisch auszuschließen. Wem es mit dem bäuerlichen Familienbetrieb ernst ist, der muß ihm die Veredelungskapazitäten erhalten. Dazu bedarf es der Festlegung von Höchstbestandsgrenzen oder ähnlicher Maßnahmen, sicherlich am besten europaweit. Es muß verhindert werden, daß den Bauern die Schweineproduktion verlorengeht, wie dies schon in den 60er Jahren mit der Eierproduktion geschah. Ein weiteres Problem ergibt sich auf dem Getreidesektor. Angesichts der Auseinandersetzung zwischen Europa und den USA um die Weltagrarmärkte und angesichts der Tatsache, daß keine Möglichkeit besteht, den gewaltigen Zufluß an Substituten einzudämmen, muß Europa zur Selbsthilfe greifen. Wir fordern die offene Deklaration bei Mischfuttermitteln in ganz Europa, sind aber auch bereit, dieses im nationalen Alleingang zu erzielen. Wir sind sicher, daß eine entsprechende Änderung des Futtermittelgesetzes mit unserem Koalitionspartner möglich ist. Es ist höchste Zeit, daß der Landwirt erfährt, aus welchen Komponenten sein Futter zusammengesetzt ist. Wir müssen wegkommen vom reinen Nährstoffdenken, wenn wir mit den Getreideüberschüssen fertig werden sollen. Wir sind sicher, daß die Landwirte bereit sind, Futtermischungen mit höherem Getreideanteil zu bevorzugen. Auf nationaler Ebene darf nicht entgegen diesem übergeordneten europäischen Gedanken gehandelt werden. Die FDP ist für einen Agrarkredit, aber der darf nicht auf breiter Front zu einer Ausdehnung der Agrarproduktion führen. Wenn Nebenerwerbsförderung und Überbrückungshilfen in einem Agrarkredit aufgefangen werden, dürfen nur die Förderung des Wohnhauses, Hilfen zu arbeitserleichternden Maßnahmen, in bestimmten Fällen auch die Anschaffung von Maschinen und ebenso Einrichtungen für Freizeit und Erholung zur Diskussion stehen. Wenn schon Ärzte in Deutschland sagen, daß Urlaub mit Kindern besser auf einem Bauernhof als am Mittelmeer gemacht werden soll, ist, meine ich, der Weg aufgezeigt, den wir gehen sollen. ({11}) Auch ein Sonderprogramm für junge Landwirte würden wir für richtig halten. Junge Landwirte haben bei der Übernahme eines landwirtschaftlichen Betriebs zunehmend Schwierigkeiten, die besonderen Lasten, die mit der Übernahme verbunden sind, zu bewältigen. Darum meine ich, daß wir auch hier Überlegungen anstellen sollten. Ich bin sicher, daß uns auch die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1984 vor weitere Probleme stellen wird. Schon jetzt halten wir von der FDP-Fraktion es für absolut notwendig, die Gelder, die der Staat für die Agrarsozialpolitik ausgibt, gerechter zu verwenden. Wir sind für eine Staffelung der Beitragszuschüsse beim Altersgeld. Ich bin sicher, daß unser Koalitionspartner dies aus christlicher Verantwortung auch so sieht. ({12}) Wenn ich mir die weitere agrarpolitische Entwicklung vor Augen halte, muß ich feststellen: Wir werden sicher keinen rosigen Zeiten entgegengehen. Hinzu kommt, daß der Kampf um den Boden bei den Landwirten immer härter ausgetragen wird. Ich bitte die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, daß bei Verpachtung von Höfen als Einzelgrundstücken keine Überführung ins Privatvermögen bei entsprechendem Steueranfall mehr erfolgt. Des weiteren bitte ich darum, die Frage zu prüfen, ob angesichts des bei vielen landwirtschaftlichen Betrieben stark gestiegenen Schuldenstandes die Veräußerungserlöse aus Grundstücksverkäufen nicht steuerlich zur Tilgung von Betriebsschulden verwendet werden dürfen. Minister Kiechle hat uns sehr aus dem Herzen gesprochen, als er angedeutet hat, daß dann, wenn Erlöse aus dem Betriebsvermögen erzielt werden, diese steuerunschädlich sein sollen, wenn sie im Wohnungsbau verwendet werden. Wir sind der gleichen Meinung. ({13}) Minister Ertl ist seinem Nachfolger sicherlich sehr dankbar dafür, daß er diese Idee von ihm übernommen hat. Ertl war j a einer der ersten, der dies befürwortet hat. Diese Maßnahmen erscheinen mir dringend notwendig, wenn es mit der Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebs ernst gemeint ist. Dazu gehört auch die Verabschiedung eines Pachtrechtsschutzgesetzes, mit dem wir uns in diesem Hause in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich befassen werden. Wir als FDP werden es ernst nehmen mit der Frage: Wie ist die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen, gesundheitlich unbedenklichen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen gesichert? ({14}) Ich verweise hier nur auf ein Stichwort, auf den Hunger in der Welt. Hier müssen noch Antworten gefunden werden, die sicherlich nicht leicht zu geben sind. Wir sind auch der Meinung, daß immer wieder überprüft werden muß, ob die Sicherung und Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im ländlichen Raum - mit der Teilnahme der in der Landwirtschaft, im Weinbau, in der Garten-, Forst- und Fischereiwirtschaft Tätigen an der allgemeinen Wohlstands- und Einkommensentwicklung in Verbindung mit einer bäuerlichen Agrarstruktur - noch gegeben ist. Es ist auch wichtig, daß der Schutz, die Pflege und die Entwicklung der Landschaft sowie die Verbesserung des Tierschutzes berücksichtigt werden. Zum Waldsterben möchte ich heute nichts weiter ausführen, weil das morgen mein Kollege Professor Rumpf in der Debatte tun wird. Zum Schluß möchte ich allen Beamten danken, die diesen Agrarbericht erstellt haben. Er war für uns sicherlich wieder eine Hilfe. Aber er ist nur eine Hilfe, mehr nicht. Handeln muß wohl dieses Parlament. Ich möchte auch an dieser Stelle allen Bäuerinnen und Bauern in diesem Land herzlich dafür danken, daß sie trotz eines Einkommens, das, wie Minister Kiechle es erwähnte, 10 % niedriger liegt als das vergleichbare Einkommen anderer, dafür gesorgt haben, daß die Ernährung sichergestellt war und daß die Kulturlandschaft gepflegt wurde. Ich weiß als praktizierender Landwirt, was sie geleistet haben. Ich möchte unserem neuen Landwirtschaftsminister auch von dieser Stelle aus recht viel Glück und Erfolg für die Zukunft wünschen. ({15}) Uns allen wünsche ich, daß wir der Herausforderung der Zeit gerecht werden und die Fragen beantworten, was für den ländlichen Raum, für die Landwirtschaft notwendig ist. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn ich hier stehe, fällt mir immer das Beispiel von David und Goliath ein, wobei der David ja nicht ganz gewaltfrei war. ({0}) - Ich habe ihn schon gedrückt; es geht nicht weiter herunter. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich das letzte Mal in diesem Haus anläßlich der Regierungserklärung zur Agrarpolitik gesprochen habe, kam ich damit unter die Rubrik „Sonstiges". Ich habe damals gesagt, dies sei für die Bauern, die ja solche Hoffnungen in die CDU-Regierung gesetzt hätten, sicherlich bemerkenswert. Es ist inzwischen einiges in den landwirtschaftlichen Wochenblättern aufgewandt worden, um aus den ganzen 14 Zeilen, die in der Regierungserklärung der Lage der Bauern galten, doch noch so etwas wie ein Agrarprogramm herauszuklopfen. Der Herr Kollege Seiters hat sogar noch die Stirn gehabt, im Anschluß an meinen Beitrag zu sagen, ich sei nur schlecht informiert, obwohl ich in diesem Fall von unserem Geschäftsführer sehr gut informiert war. Er hat gesagt, Ihnen sei die Lage der Bauern so wichtig, daß Sie darüber sofort eine große Debatte führen wollten. Meine Damen und Herren, diese Agrardebatte - so gut bin ich informiert - verdanken wir nicht Ihrer Einsicht in die Probleme der Bauern, sondern den Vätern - ob auch Mütter dabei waren, weiß ich nicht - des Landwirtschaftsgesetzes, die in weiser Voraussicht die Regierung verpflichtet haben, jedes Jahr einen Bericht über die Lage der Bauern zu schreiben; offensichtlich doch in der Befürchtung, die auch Realität geworden ist, daß sich die Lage der bäuerlichen Betriebe gegenüber den sonstigen Beschäftigten Jahr für Jahr verschlechtern würde. Darum also reden wir jetzt über Agrarpolitik. Das zur Klarstellung. Ich betone dies aus folgendem Grund. Ich halte es nämlich nicht für zufällig und auch nicht für Vergeßlichkeit, daß die Bauern bei der Regierungserklärung so schlecht weggekommen sind. Ich nehme die von Ihnen geschaffenen Tatsachen beim Wort und sage: Sie wollten gar nicht in die wirkliche Auseinandersetzung um die Agrarpolitik eintreten, und dies aus dem einzigen Grund, weil Sie nämlich eine Agrarpolitik vertreten, die man Bauern überhaupt nicht erklären kann. ({1}) Diese Politik hat nämlich - erklären Sie das einmal den Bauern - zur Ruinierung von HundertFrau Dr. Vollmer tausenden von Betrieben geführt und wird dies auch weiterhin tun. ({2}) Ich will das im folgenden beweisen. Ich habe die Debattenreden der letzten Jahre genau gelesen. Der Tenor auf seiten der Ministerien war regelmäßig ein Seufzen über das Wetter, über die Preise, über die EG bzw. ein gewisses Aufatmen, daß es diesmal nicht ganz so schlimm war wie das Jahr davor. Der Agrarbericht, über den wir heute sprechen, ist von der letzteren Art. Die harten Tatsachen aber bleiben über die Jahre gleich: Verlust von selbständigen Bauernexistenzen, Verlust landwirtschaftlicher Flächen, reales Sinken der Agrarpreise, Zunahme der Verschuldung Jahr um Jahr. Von den noch knapp 400 000 Vollerwerbsbetrieben haben nach dem Agrarbericht über 44 % von der Substanz gelebt. Bei 25 % der Betriebe, dem sogenannten und viel zitierten letzten Viertel, lag der Substanzverlust bei über 500 Mark pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche und 12 000 Mark pro Betrieb. Daß es zu diesem Substanzverlust kommt, ist bei einem Einkommen pro Familienarbeitskraft im letzten Jahr von 1 000 Mark sehr erklärlich; das Jahr davor gab es sogar 600 Mark Miese. Die damalige Opposition und besonders der heutige Minister Kiechle haben aber in diesen Debatten einige Probleme auch richtig angesprochen; das möchte ich extra vermerken. Er stellte in der letzten Debatte fest, daß 40 % der Vollerwerbsbetriebe im Berichtsjahr unter dem Sozialhilfeniveau lagen. Er sagte in der letzten Debatte und auch heute wieder, daß die Lebensmittel zu Billigmachern im Warenkorb des Verbrauchers geworden sind. Mir fehlt allerdings für einen Landwirtschaftsminister die Wut über diese Tatsache, denn immerhin bedienen sich andere für sehr sinnlose Konsumgüter ja reichlich. ({3}) Der Herr Minister Kiechle hat zu Recht darauf hingewiesen, daß erst die Agrarmilliarden aus der EG für die deutsche Industrie die Märkte ganz Europas geöffnet haben; mit dem Ergebnis eines Handelsüberschusses von 10 Milliarden. Die Landwirte mußten also - um es deutlich zu sagen - für die Erfolge der Industrie bezahlen. Er hat zu Recht betont, daß eine eigenständige landwirtschaftliche Versorgung eines Landes die Voraussetzung seiner nationalen und politischen Unabhängigkeit ist. Gerade weil ich diese Sätze gut finde, unterstreiche ich sie und frage um so entschiedener nach den grundsätzlich neuen Weichenstellungen in Ihrer Politik. Ich frage dies angesichts eines Agrarberichts, der immer noch das Ausscheiden von Bauern als „wesentlichen Faktor für die betriebliche Einkommensentwicklung" nennt - das war ein Zitat: Ausscheiden von Bauern ist ein „wesentlicher Faktor der betrieblichen Einkommensentwicklung", nämlich der übriggebliebenen Betriebe - und der Bedauern darüber ausdrückt, daß die Kleinbauern in der letzten Zeit nicht mehr weichen wollen. Herr Minister Kiechle, Sie haben auch heute wieder gesagt, daß es immer noch Mobilitätsanreize geben soll. Ich frage Sie, wenn Sie sich die Millionen mobilgemachter Bauern ansehen: wie mobil sollen diese Bauern eigentlich noch werden? Sollen sie sich vollkommen aus der deutschen Geschichte entfernen? ({4}) Ich will es ganz deutlich sagen. Wenn das Grundkonzept Ihrer Agrarpolitik über den Regierungswechsel hinweg so bleibt wie bisher, dann ist dies die letzte Generation von Bauern in der deutschen Geschichte. ({5}) Am Ende dieser Generation und dieses Jahrhunderts wird es dann keine Bauern mehr geben. Sie sind entweder wegrationalisiert ({6}) oder sie sind in agrarindustrielle Unternehmer verwandelt worden, die nur noch gerade zufällig ihr Kapital in die Produktion agrarischer Rohstoffe investieren. ({7}) Ebenso gut hätten es Knöpfe oder Betonsteine sein können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Vollmer, würden Sie mir bitte die Frage beantworten, wie die von Ihnen auch in Prozent bezifferten erhöhten Preise von dem HDW-Facharbeiter mit 1 400 DM Nettogehalt bezahlt werden sollen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe schon in meinem letzten Beitrag gesagt, es ist Demagogie, zu sagen, daß dies auf Kosten der Arbeiter geht. Wenn die Bauern den Preis bekommen, den sie brauchen, und wenn sich die Agrarindustrie und auch die großen Genossenschaften nicht mehr den großen Teil der Handelsspannen dabei wegnehmen, ({0}) werden viele Produkte überhaupt nicht teurer. Dieses Argument „jedem Berliner seine Kuh" - das will ich einmal deutlich wiederholen -, kennzeichnet Sie und nicht uns. ({1}) Da ich jetzt auf diesen Redebeitrag geantwortet habe, will ich überhaupt auch noch auf die Frage nach Sicco Mansholt antworten. Wenn Sie sagten, Sie kämen noch auf meinen Beitrag zurück, dann hätte ich ja erwartet, daß Sie auf unsere Position zur Kleinbauernfrage kommen. Was fragen Sie uns? Sie fragen uns nach Sicco Mansholt. ({2}) Ich kann mit Fug und Recht sagen, daß wir an der Politik von Sicco Mansholt keinen Anteil haben, aber sehr viel Anteil daran, daß Sicco Mansholt heute sagt, daß diese Politik von Grund auf falsch war. ({3}) Sie haben sich verbal immer von der Politik von Sicco Mansholt abgesetzt. Praktisch aber haben Sie sie schon zur Hälfte erfüllt. Das ist die Realität. ({4}) Die Grundlage Ihres agrarpolitischen Konzeptes ist eine Ideologie, eine Ideologie, wie sie mit Albrecht Thaer, dem Begründer des modernen wissenschaftlichen Landbaus, vor 200 Jahren begonnen hat, ({5}) nämlich, „daß Landwirtschaft ein Gewerbe sei, mit dem Ziel, mittels der Produktion pflanzlicher und tierischer Substanzen den höchstmöglichen Gewinn aus einem Betrieb zu ziehen." Ihre konsequente Verfolgung dieser Ideologie von Landwirtschaft als rein gewinnorientiertem Gewerbe führt zu ungeheuren Widersprüchen innerhalb der Landwirtschaft selbst, aber auch im Umweltbereich, im ländlichen Raum, in den Handelsbeziehungen zu unseren Nachbarn sowie besonders zur Dritten Welt. Ich will nur drei dieser Widersprüche aufgreifen. Punkt eins. Die Einkommensunterschiede innerhalb der Landwirtschaft - das wissen Sie - nehmen ständig zu. Während eine kleine Schicht von Wachstumsbauern mit Millionenzuschüssen Spitzeneinkommen erzielt, geht das Einkommen bei der Mehrzahl der Bauern ständig zurück. Ihr Konzept für die bedrohten Kleinbauern lautet - heute haben wir es wieder gehört -: Agrarkredit, um Wachstumsbauer zu werden, und zwar nur für die geeigneten Betriebsleiter, oder Aussteigen in den Nebenerwerb. Den Nebenerwerbslandwirten, so sagen Sie, geht es gar nicht so schlecht. Nebenbei: Ich frage mich, ob der Präsident des Bauernverbandes, der ja wohl auch ein Nebenerwerbslandwirt sein dürfte, mit seinem Einkommen zu diesen positiven Bilanzen beigetragen hat? ({6}) - Das ist auch eine Art von Doppelverdiener. ({7}) Aber: Der Weg in den Nebenerwerb ist ein Weg zu einem langen und zähen Sterben. Ein Drittel dieser Betriebe - so der Agrarbericht - hat nicht eine Mark Gewinn, sondern zahlt aus erarbeitetem Lohn zu. Wissen Sie, was das heißt? Die Bäuerin, die in der Regel mit einem harten zweiten Arbeitstag den Betrieb hochhält, ({8}) erhält dafür nicht einmal einen Arbeitslohn. Außerdem haben - das kann man auch aus dem Agrarbericht lesen - im letzten Jahr 9 % der Nebenerwerbslandwirte ihren Arbeitsplatz verloren. Das heißt, sie sind zum zweitenmal Opfer des Rationalisierungsprozesses im ländlichen Raum geworden, zuerst, indem sie ihren Arbeitsplatz in ihrem Betrieb verloren haben und dann den bei der kleinen Genossenschaft, die von der großen geschluckt wurde. Punkt zwei. Auch für Sie unbestreitbar nehmen die ökologischen Probleme nicht nur durch die Emissionen der Industrie, sondern auch zunehmend durch die konzentrierte chemo-technische Landwirtschaft zu. Ihre Lösung: Mit Hilfe von Landschaftsplänen weisen Sie vorrangig die Gebiete der Kleinbauern als schützenswerte Gebiete für den ökologischen Ausgleich aus. Das ist mir eine schöne Lösung! Die Zentren der Massentierhaltung werden nicht davon betroffen. Das heißt also, die Bergbauern, die Kleinbauern, die Nebenerwerbslandwirte, die vom Ertrag ihrer Betriebe nicht mehr existieren können, taugen doch allemal als ökologischer Ausgleich für die Zentren der großen Schweine- und Hühnerställe. Hierzu werden die Kleinbauern in diesen Gebieten sogar noch staatlich verpflichtet. ({9}) Ein solches Konzept, wo die einen den Gewinn und die anderen die Auflagen haben, wo die Kleinen die Umweltsünden der Großen ausgleichen sollen, nenne ich unredlich. ({10}) Wie andererseits auch noch Ökologie unter dem Prinzip des Gewinns zu betreiben ist, las man kürzlich in der Presse. Die Firma BASF, die Mitverursacher großer Umweltprobleme ist, erklärt das Waldsterben als Folge mangelhafter Nährstoffversorgung und bietet gleich einen entsprechenden Dünger an. Dazu noch ein Zitat: Wahrlich, wenn dieser Boden schreien könnte wie eine Kuh oder ein Pferd, dem man ein Maximum von Milch oder Arbeit mit dem geringsten Aufwand an Futter abquälen wollte, für diese Menschen würde die Erde schlimmer als die Dantesche Hölle schreien. Wissen Sie, wer das gesagt hat? - Justus von Liebig, der Begründer der chemischen Düngung. ({11}) - Das will ich meinen. Der hat am Ende seines Lebens eine Menge begriffen. ({12}) - Ich komme noch darauf, wovon die Leute verhungern. Wir sagen, Ökologie und die heutige agrarindustrielle Landwirtschaft geht nicht mehr zusammen. ({13}) Ökologie und klein- und mittelbäuerliche Landwirtschaft ist kein unüberwindlicher Gegensatz. Das ist zwar auch noch nicht dasselbe, aber es ist kein Gegensatz. Punkt drei. Ich komme zum Problem der Überschüsse, als Beispiel für die Widersprüche, die Ihre Politik erzeugten. Die einseitig auf Gewinn orientierte Produktion in den Wachstumsbetrieben erzeugt zunehmend Überschüsse, damit haben Sie Probleme, und dies trotz der Vernichtung der landwirtschaftlichen Produktion der ausgeschiedenen Kleinbetriebe. Eine ihrer Lösungen ist Steigerung des Agrarexports, unter anderem mit dem Argument, damit beseitige man den Hunger in der Dritten Welt. Wir exportieren aber nicht nur in die Dritte Welt. Wie dies verläuft, will ich am Beispiel der Milch erklären: Die Kuh ist ein wertvolles Instrument. ({14}) - Ich rede in der Sprache Ihrer Ideologie. - ({15}) Sie vermag Gras, das für die menschliche Ernährung unbrauchbar ist, in wertvolles Eiweiß umzuwandeln, das Menschen als Milch genießen. Traditionelle Milchgebiete waren die Gründlandstandorte, vor allem in den Mittelgebirgen. Da war also die Kuh auch keine Konkurrenz für die menschliche Ernährung. Heutzutage wird es zunehmend rentabler, mehr Milch auf der Basis von Kraftfutter, das zum großen Teil aus der Dritten Welt kommt, zu produzieren. Die Kuh konkurriert in diesem System unmittelbar mit der Ernährung der Menschen aus der Dritten Welt. ({16}) - Ich möchte keine Zwischenfragen mehr annehmen, ({17}) weil Sie sich weigern, öffentlich auf Fragen der Agraropposition zu antworten. Aus diesem Grunde antworte ich auch nicht auf Ihre Frage. Ich sagte, die Kühe werden zu unmittelbaren Konkurrenten der Ernährung der Menschen aus der Dritten Welt. ({18}) Nicht genug damit. Die überschüssige Milch wird im Rahmen der EG von den Großgenossenschaften mit viel Energie „verpulvert", sie wird mit Subventionen gelagert, sie wird hin und her quer durch Europa gefahren und landet als Kondens- oder Trockenmilch in der Dritten Welt. Wir sind auf diesem Gebiet führend im Weltmarkt. Oder die Milch wird, noch einmal mit Veredelungsverlusten und Subventionen, an die Schweine gefüttert, mit Gewinn von den Fleischgenossenschaften verarbeitet und dann für den Export, diesmal nach Frankreich, vorgesehen, und zwar subventioniert mit den Marktstrategien der CMA, die die Bauern dann auch noch bezahlen müssen. Am Ende dieses Prozesses kommt es dann zum kleinen Bauernkrieg an der deutsch-französischen Grenze - als Ergebnis Ihrer Politik. ({19}) Das ist ein sehr langer Weg, ein sehr langer Irrweg. ({20}) Und auf jeder Stufe wurde Gewinn aus dem Gewerbe erzielt. Nur daß die Menschen in der Dritten Welt dabei verhungern und daß unsere Bergbauern dabei kaputtgehen! Das ist der Preis. ({21}) Gegen diese Ideologie setzen wir eine ganz andere Sicht der Landwirtschaft. ({22}) Auch wir betrachten Landwirtschaft als ein Gewerbe, aber wir betrachten sie vor allen Dingen als eine der wichtigsten Grundlagen des Lebens überhaupt. Gegen die volkswirtschaftlich verheerenden Folgen einer Landwirtschaft, die nur unter dem Prinzip des Gewinns betrieben wird, ({23}) - ich komme darauf -, setzen wir eine andere Sicht. Die erste unserer Forderungen heißt: Erhaltung von klein- und mittelbäuerlichen Betrieben durch die Einführung gestaffelter Preise, die den Produktionskosten der Kleinbetriebe entsprechen, während bei großen Produktionsmengen deutliche Preisabschläge erfolgen. Diese Preisabschläge sind mehr als gerechtfertigt durch die volkswirtschaftlichen Schäden, die die Großproduktion verursacht. Es ist uns bekannt - und Ihre Reaktionen zeigen das -, in welcher Weise Sie diese Forderung lächerlich zu machen versuchen. ({24}) Sie wissen aber auch, daß dies die zentrale Forderung aller oppositionellen Bauernvereinigungen in Europa ist. Sie ist fast gleichzeitig in Frankreich, in Österreich, in Dänemark, in Holland und bei uns entstanden; in Norwegen wird dieses Konzept bereits praktiziert. Hier entsteht eine einheitliche Bewegung der europäischen Bauern - und nicht in Brüssel! ({25})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben noch zwei Minuten, Frau Kollegin.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zweitens fordern wir ein völlig neues Verhältnis zwischen Bauern und Verbrauchern und die Förderung aller Initiativen, die diesem Ziel dienen, insbesondere von ErzeugerVerbraucher-Genossenschaften. Ein Grund, warum die bäuerlichen Kleinproduzenten nicht vom Preis ihrer Produkte leben können, sind die Handelsspannen von Genossenschaften. ({0}) Wir wollen, daß die Produktion der Bauern für die Verbraucher durchsichtig ist, und wir wollen, daß die Bauern für ihre Produkte angemessene Preise bekommen. ({1}) Für beide Ziele brauchen wir inzwischen Genossenschaften gegen die Genossenschaften. ({2}) Sie haben uns oft vorgeworfen - auch heute wieder -, wir wären Nestbeschmutzer und würden die Landwirtschaft bei den Verbrauchern in Verruf bringen. ({3}) Wir dagegen nehmen für uns in Anspruch, daß wir ungeheuer notwendige Aufklärungsarbeit - auch bei den Verbrauchern - über die wirkliche Lage der Bauern leisten. Wir sind erschrocken, wieviel Ahnungslosigkeit bei den Verbrauchern über die Lage der Bauern besteht. Wir nehmen für uns in Anspruch, daß wir die einzigen sind, die offen sagen, daß die Erzeugerpreise bei ökologischer Produktion nicht um 2 %, sondern um 20 bis 30 % steigen müssen, daß wir als einzige ein wirklich ehrliches Interessenbündnis von Bauern und Verbrauchern aufzeigen können. ({4}) Wir sind allerdings auch der Meinung, daß etliche dazu nicht gehören, von denen Sie immer noch sagen, daß sie mit allen Landwirten gemeinsam in einem Boot sitzen. Unsere dritte Forderung ist - und damit komme ich dann auch zum Schluß -, daß dem ökologischen Landbau endlich der Platz eingeräumt wird, der ihm zusteht, und daß Sie endlich lernen, die großen Anstrengungen zu würdigen, die die Bauern, die sich diesem Weg verschrieben haben, auf eigenes Risiko machen. Wir wissen aber auch, daß diese Bauern einen verzweifelten Kampf führen, wenn immer noch auf ihre Äcker so viel Blei fällt. ({5}) Der Kern unserer Forderungen ist die Erhaltung und Schaffung dezentralisierter klein- und mittelbäuerlicher und gewerblicher Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Wir wissen wohl: Die Existenz von Kleinbauern allein reicht nicht aus, um die Ökologie des ländlichen Raums zu retten; so groß sind die Schäden. Aber sie ist eine notwendige und unerläßliche Voraussetzung dafür.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich tue es. - Der Widerspruch zwischen Landwirtschaft und Ökologie ist ein Widerspruch, der für die Bauern in hohem Maß unwürdig ist. Die einzige ökologische, menschenwürdige und politisch weitblickende Lösung ist die Schaffung der wirtschaftlichen Bedingungen, die es Bauern ermöglichen, so Bauer zu sein, daß davor die Natur nicht mehr geschützt werden muß. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich habe Ihnen anläßlich Ihrer Einführung in Ihr neues Amt viel Glück und Segen gewünscht. Ich will das hier im Bundestag wiederholen, weil die Probleme der Agrarpolitik weit wichtiger als das Reden über unsere berufsspezifischen Interessen sind. Was ist wohl wichtiger als die Sicherstellung der Volksernährung? Was ist wichtiger, als die Sozialfunktion eines ländlichen Raums sicherzustellen? Dies hängt mit Frieden in der Welt und den Grundbedürfnissen aller Menschen zusammen. ({0}) Uns Demokraten stände es gut an, uns das Bemühen hierum nicht gegenseitig abzusprechen. ({1}) Das gilt auch für Mitglieder der neuen Fraktion, die hier im Bundestag eingezogen sind. ({2}) Weshalb also gleich die Vorbedenken? Hören wir uns das doch wenigstens an. ({3}) Die Debatte über den Agrarbericht betrachte ich als Anlaß, über reine Daten hinaus zu fragen, was im Gesamtsystem der Landwirtschaft geschehen ist und geschehen soll. Ich wiederhole die guten Wünsche, indem ich sage: Wer des Landes Bestes sucht, muß auch aus der Opposition heraus einer Regierung das wünschen. ({4}) Aber er darf dann, Freunde, auch fragen: Was ist nun? Die Auseinandersetzung darüber ist geboten. Die Beschlüsse von Stresa sind - Herr Paintner sagte es - in einer Situation des Mangels entstanden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Politik von damals - und sie war berechtigt, solange wir in einer Mangelsituation lebten -, versuchten über die Preispolitik die Einkommenssituation der Landwirtschaft zu verbessern. Dies war damals verantwortbar. Heute haben wir eine völlig neue Situation. Herr Susset, nach Ihrem Vortrag ist mir endlich klar geworden, daß wir in der Politik wirklich eine Wende haben. ({5}) Ich war mit Ihnen im Agrarbereich eigentlich immer zufrieden. Ich habe Sie jetzt aber nicht wiedererkannt. An den Sachen hat sich nichts geändert. Aber gewendet haben Sie sich. Da hat sich Paintner besser über die Runden geholfen. Sie haben das differenzierter gemacht, Herr Paintner - das muß ich schon sagen -, auch wenn Sie die Fragen dann in die verkehrte Richtung gestellt haben. Aber Sie waren dabei gewissermaßen ein Künstler. ({6}) Die Lage ist heute, daß wir in einer Überschußgesellschaft leben. Im Überschußbereich ist es dazu gekommen, daß wir heute eine gnadenlose Verdrängung haben. Daran gibt es doch wohl keinen Zweifel. Wir haben eine unverantwortliche Einkommensdisparität insgesamt, besonders aber innerhalb der Landwirtschaft. Der Agrarbericht weist aus, daß der Abstand im Einkommen zwischen dem oberen und dem unteren Viertel der Vollerwerbsbetriebe erneut größer geworden ist. Brutto betrug das Familienarbeitseinkommen im Jahre 1974/75 35 700 DM zu 7 000 DM. Heute beträgt es 52 800 DM zu ganzen 1 200 DM je Familienarbeitskraft; das sind 3 Mark und 28 Pfennige als Ertrag für die Tagesarbeit eines Landwirts im unteren Bereich, der oft wohl weit mehr als acht Stunden am Tag unter den von der Politik und damit von uns gesetzten Rahmenbedingungen gearbeitet hat. Für mich ist das ein Skandal! Eine Verniedlichung dieser Tatsache ist unverantwortlich! ({7}) Wir können doch nicht einfach zusehen, wie 25% unserer Berufskollegen praktisch kalt enteignet werden. Dies sage ich selbstkritisch zu allen, vornehmlich auch jenen, die immer gemeint haben, man könne über Preispolitik hier etwas machen. Herr Kiechle, ich finde es nicht in Ordnung, daß Sie über diesen Bereich kein Wort verloren haben. ({8}) Sie reden immer über Durchschnittseinkommen, aber nicht darüber, was das existentiell für den einzelnen bedeutet. Ich unterstütze den Beirat Ihres Ministeriums, Herr Kiechle, der eine verbesserte Darstellung der Einkommensverteilung gefordert hat. Die Darstellung im Agrarbericht ist unbefriedigend. Im übrigen habe ich den Eindruck, daß mit der derzeitigen Darstellung im Agrarbericht für die Leser die wahren Zustände verschleiert werden. Im Vorjahr sind noch Angaben über das Verhältnis vom obersten zum untersten Viertel gemacht worden. 1979 stand dort die Zahl 1 : 7,6. 1980/81 stand dort verschämt nur ein Punkt. In diesem Jahr ist die ganze Spalte weggelassen worden. Man genierte sich wohl, eine Einkommensstreuung von 1 : 43 auflisten zu müssen. ({9}) Das sind die Fakten. Meine Damen und Herren, 25 % der Vollerwerbsbetriebe befinden sich in existentieller Notlage. Es dürfte in diesem Hause Konsens darüber bestehen, daß man die Aufgabe von zirka 100 000 landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieben mit über 140 000 Arbeitsplätzen im Ernst nicht wollen kann. Die Landwirte unter uns wissen, was das bedeutet. Aufgabe bedeutet nicht nur, seine Existenz zu verlieren. Wer Aschböden kennt, der weiß, daß seine Vorväter bei einem zwei Meter dikken Aschboden, der einen Millimeter im Jahr wächst, schon 2 000 Jahre geackert haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Sie haben das Wort.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Oostergetelo, ist Ihnen bekannt, daß der Agrarbericht, über den heute debattiert wird, von der vorhergehenden Regierung vorgelegt worden ist? ({0})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar; wenn Sie es mir gestatten, werde ich wegen der Kürze der Zeit aber nur kurz auf Ihre Zwischenfrage eingehen. Ich komme mit Sicherheit auf diese Feststellung zurück. Das wird von mir überhaupt nicht bestritten. Sie waren es, die auch bei Debatten über vorherige Agrarberichte zu meiner Rede gesagt haben: Haben Sie eigentlich die Regierung kritisiert oder nicht? - Sie haben genau gemerkt, daß es hier durchaus kritische Ansätze gibt, die wir nicht durchsetzen konnten. Natürlich ist das so. Das wird Ihnen in der Koalition auch so gehen. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Aber wenn Sie sagen, dies sei das Ergebnis der bisherigen Politik, dann bestreite ich das nicht. Nur: Ich muß Sie dann bitten, einmal zur Kenntnis zu nehmen, was Sie gefordert haben. Ich kenne das; es wiederholte sich jedes Jahr von neuem. Es hieß: Herr Minister Ertl, wir werden Ihnen den Rücken stärken. Es ist unerhört, was die Kommission vorschlägt. Wir brauchen sehr viel mehr. - Und am Ende hat man dann gesagt: Ja, es hätte zwar mehr sein müssen, aber dank unserer Rückenstärkung haben wir das geschafft. - Dies ging bis in die Neuzeit hinein. Soll ich Ihnen wirklich alle Zitate Ihrer Fraktion einmal aufzeigen? Soll ich Ihnen vorhalten, was Sie noch bis März dieses Jahres zur Preis408 politik gesagt haben? Heute höre ich kein Wort dazu, auch nicht von dem Kollegen Susset, der jetzt gerade hinausgeht. Ich habe kein Wort der Selbstkritik gehört. Er hat hier überhaupt nicht angesprochen, daß er nicht erreicht hat, was er immer gefordert hat. Nein, Freunde, es ist merkwürdig - das Wort heißt ja: zum Merken würdig -, daß Sie die aktuellen Ergebnisse dieses Preisbeschlusses überhaupt nicht erwähnen, da sie Ihren eigenen Forderungen eigentlich diametral gegenüberstehen. Denn es waren doch die Unionsagrarpolitiker, die in den letzten Jahren immer wieder die höheren Preise gefordert haben. Es waren die Unionsparlamentarier, die sich, als die Europäische Kommission in diesem Jahr Preiserhöhungen von 4,5 % vorschlug, in Brüssel flugs der Forderung der Bauernverbände anschlossen und eine 7 %ige Erhöhung gefordert haben. ({0}) Einen Teil hat mein Kollege Müller hier schon zitiert; ich will die Zitate hier nicht im einzelnen bringen. Dies ist beschämend, Freunde. Wenn ich gestehe, daß wir uns alle um eine bäuerliche Struktur bemühen, dann können die Wahrheiten doch nicht danach anders sein, ob ich in der Opposition oder in der Regierung bin. Das erzielte Ergebnis ist nach Ihrer Philosophie - deshalb bin ich Ihnen für die Zwischenfrage dankbar - eine Bankrotterklärung. Was ist es denn sonst? ({1}) ({2}) Sie haben bestenfalls plus/minus Null herausgeholt. Das ist doch alles. Meinen Sie, wir wissen nicht, wie das zustande gekommen ist, und zwar auch im Hinblick auf das englische Pfund? Ich habe nicht die Zeit, das im einzelnen zu vertiefen. Aber ich frage Sie: Was hätten Sie wohl dem Kollegen Ertl gesagt, wenn er mit diesem Ergebnis angetreten wäre? Wären Sie damit zufrieden gewesen? ({3}) Machen wir uns also bitte gegenseitig nichts vor! Herr Minister, ich finde es unerträglich, daß Sie in Ihrer Erklärung von der sozialistischen utopischen Vision reden. Ihre Preisvorstellungen, die Sie hier Jahr für Jahr wieder bis ins Utopische hinein gefordert haben, waren diese Illussion - mit dem Ergebnis, daß wir heute wissen, daß jeder zweite Landwirt seine Existenz verloren hat. ({4}) Freunde, laßt uns dort nicht kämpfen! Ich habe die ganzen Zitate da, und ich bin gern bereit, sie Ihnen noch einmal zu schicken. ({5}) Ich habe zu Herrn Susset gesagt: Sie kennen sich selber nicht wieder. Das ist wirklich die Wende. Sie haben Ihre ganzen Worte vergessen. Man hört nichts mehr von Ihnen. ({6}) Aber, Herr Minister, ich will nicht schwarz in schwarz malen. ({7}) Es könnte ja sein, daß mit dem Amt nun endlich auch die Erkenntnis kommt, daß die Möglichkeiten, Einkommensverbesserungen über den Preis zu erreichen nur allzu begrenzt sind. Herr Kiechle, Sie sind als Milchmann bekannt. Ich habe mir sagen lassen, in Brüssel ist das noch wunderbarer umschrieben worden: Papa di latte. Das ist wunderschön. ({8}) Ich traue Ihnen zu, daß Sie das ernst meinen. Herr Kiechle, ich prophezeie Ihnen aber, wenn Sie die Zeit Ihrer Amtsführung nicht dazu nutzen, den Zwang zur ständigen Mehrproduktion durch eine Reform außer Kraft zu setzen, wird das von uns allen gewollte Europa unter Butterbergen und Magermilchhalden ersticken. Ich kenne auch Ihre Äußerungen, wie Sie beispielsweise im vorigen Jahr die Überproduktion negiert haben: Die Butter ist j a weg. Ich brauche Ihnen die Prozentzahlen nicht zu nennen; Sie kennen sie alle. Auch hier ist Herr Paintner ehrlicher gewesen und hat wenigstens die Tendenz zur Zunahme zugegeben. Weshalb kann man eigentlich in unserer jungen Demokratie nicht etwas zugeben, auch wenn man in eine andere Koalition gewandert ist? Daher möchte ich mich dafür bedanken, daß das wenigstens in Ansätzen erkennbar war. Dies alles bedeutet mehr Produktion. Mehr Produktion ist nichts anderes als eine weitere Steigerung der Überschüsse. Sie bedeutet eine höhere Belastung unserer schon gefährdeten ökologischen Grundlagen, höhere und sogar unerträglich hohe Kosten für die Bürger und auch für den Nettozahler, Belastungen unserer Außenhandelsbeziehungen bis hin zum absehbaren Handelskrieg. Dies ist in diesem Zusammenhang keine Frage der Administration von Mr. Reagan, sondern dies ist eine Frage, auf die uns jede Regierung wieder ansprechen wird, und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten. Die Zerstörung der noch vorhandenen bäuerlichen Struktur, die Zerstörung der Familienbetriebe zugunsten industrieller Großagrarfabriken mit all ihren negativen Folgen sind weiter zu nennen. Ich bitte Sie, auch einmal aufzulisten, wo diese Großfabriken entstanden sind. Ich kann Ihnen das sagen: in Cloppenburg, im Emsland und anderswo, wo es in den Kommunen absolute Mehrheiten der Union gibt. Man hat zwar immer bäuerliche Landwirtschaft gepredigt, aber dann, wenn es darum ging, das Gegenteil getan. ({9}) Die Kritik am Agrarsystem habe ich im übrigen auch schon geäußert, als die SPD noch in der Regierung war. Auch meine Fraktion hat schon früher auf die Mißstände aufmerksam gemacht. So hat Hans-Jochen Vogel meines Erachtens völlig zu Recht in einer Rede vor der sozialistischen Fraktion und in seiner Entgegnung auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl darauf verwiesen, daß das europäische Agrarsystem ein Skandal und ein Ärgernis ist. Weshalb geben Sie nicht zu, daß das so ist, wenn Millionen von Menschen verhungern, während wir in der Überproduktion leben und noch so tun, als ob unsere Überproduktion den Hunger in der Welt stillen könnte? Das Gegenteil ist richtig. Was denn sonst! ({10}) Es ist doch wahr, daß wir an die Grenze des Finanzierbaren gekommen sind. Insofern, Herr Minister, mache ich Ihnen wegen des Abschlusses keinen Vorwurf. Ich kenne doch die Schwierigkeiten der Situation. Sie haben in dieser Situation mit dem Verhandlungsergebnis wenigstens noch die Strukturen offengehalten, damit es weitergehen kann. Meine Kritik gilt hier ganz besonders Ihren Forderungen und Ihrer Philosophie, womit Sie jetzt selber eingepackt, aufgegeben haben. Sie haben mit Ihren eigenen Forderungen Bankrott gemacht. Das ist die Kritik, und ich hoffe, Sie nehmen die Lehre an. ({11}) Ich habe jedenfalls lieber einen Fraktionsvorsitzenden, der bereit ist, dies beim Namen zu nennen. Ich habe bewußt an den Anfang gestellt, daß ich uns allen unterstelle, daß wir eine bäuerliche Struktur zu schätzen wissen, zu der es keine Alternative gibt. Wenn ich das weiß, muß ich auch die heutige Situation beim Namen nennen, und darstellen, wie sie aussieht. Ich darf sie nicht beschönigen, weil sie nicht zu meinen Forderungen paßt. Es bleibt festzuhalten: Allein die Bundesrepublik Deutschland muß einschließlich der Marktordnungsausgaben im Jahr 1982 12,438 Milliarden DM Steuermittel aufwenden, um das System mit all seinen Fehlern überhaupt erhalten zu können. Ich frage Sie, Herr Minister: Was sagt denn Ihr Finanzminister Stoltenberg dazu? Meint er, daß das so weitergehen kann? Ist das für ihn etwa kein Ärgernis? Oder wollen Sie im sozialen Bereich wieder neu kürzen?

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Oostergetelo, wenn Sie auf der einen Seite sagen, die Agrarpolitik sei zu teuer, und auf der anderen Seite dem Minister vorwerfen, er habe aus Brüssel zuwenig mitgebracht, was ist dann eigentlich Ihr Konzept? ({0})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich darf auch Sie ein bißchen um Geduld bitten. Ich bin auch Ihnen für diese Frage dankbar. Ich könnte es mir einfach machen und Sie fragen, wie Sie das Konzept, das Sie bis vor einem Vierteljahr gehabt haben, und Ihre Äußerungen und die Äußerungen der Unionspolitiker heute unter einen Hut bringen wollen. Aber ich will es mir nicht so einfach machen. Ich komme darauf zurück. Nur ist eines klar, meine Damen und Herren: Es kann keine Besserung geben, wenn ich nicht erst einmal eine Situationsbeschreibung vornehme. Wir haben z. B. in der Milchproduktion die Situation, daß von einer Mark noch 28 Pf - ({0}) - Warten Sie doch! Ich habe 13 Jahre auf Ihre Konzeption gewartet. Die hieß immer nur Preispolitik für „die Oberen". Was sonst! Mehr ist doch nicht herausgekommen. Ich habe immer gewartet, aber da kam nichts. ({1}) In den flankierenden Maßnahmen haben wir Ihrerseits nur Ablehnung erfahren. Aber ich komme darauf zurück. Dies sind nur einige Beispiele, die, wie ich finde, belegen, daß wir in eine Sackgasse geraten sind. Hier unterstreiche ich, daß, was Jochen Vogel gesagt hat, eigentlich noch sehr leger ausgedrückt ist. Das ist doch die Situation, um die auch jeder von Ihnen weiß. ({2}) Machen wir uns doch nichts vor! Die Debatte über den Agrarbericht ist immer zugleich auch - so einfach mache ich Ihnen das nicht - die Diskussion über die Regierungspolitik. Das ist ja heute wohl gefragt. Sie haben doch so viel Zeit gehabt, in Ihre Regierungserklärung einmal Ihr großes agrarpolitisches Fachwissen einzubringen. Aber ich muß es mit der Lupe suchen, und was finde ich dabei? Ich bin dabei nicht schlauer geworden, aber ich denke, auch Sie nicht. ({3}) Ich spreche Ihnen, Herr Minister, Ihr persönliches Engagement für die Bauern und eine bäuerliche Struktur nicht ab; ({4}) aber selbst wenn ich unterstelle, daß Sie Probleme erkannt haben, bleibt festzuhalten, daß Sie hier nicht einmal Lösungsansätze präsentiert haben - nicht einmal Lösungsansätze! Als Opposition haben die Abgeordneten der CDU/CSU oft hart mit der damaligen Regierung gefochten. ({5}) Die meisten Vorschläge, die Sie machten, hatten aber den Vorteil, daß Sie keine Aussicht hatten, sich beim Versuch der Verwirklichung zu blamieren. So war es doch wohl. Nach der Bestätigung am 6. März durfte man gespannt sein, welche Ziele Sie, welche Wege der Kanzler in seiner Regierungserklärung zur Lösung des Agrarproblems aufzeigen würde, hatte doch die Union während der Oppositionszeit unermüdlich versichert, daß sie allein die wahre Heimat der bäuerlichen Interessen sei. ({6}) Ihre Regierungserklärung haben wir nun gehört. Aber wir sind nicht schlauer geworden. Niemand ist schlauer geworden. Die Agrarpolitik der neuen Regierung bietet Gemeinplätze, aber kein Programm. ({7}) Ich zitiere aus der Regierungserklärung: Unsere ... Landwirte sichern die Ernährung unserer Bevölkerung. ({8}) Der Satz ist so simpel, daß er schon wieder falsch ist. ({9}) - Nur eine bodenabhängig produzierende Landwirtschaft kann die Ernährung sichern. ({10}) Die durch Kostendruck zur Verwendung von immer mehr Substituten gezwungene deutsche Landwirtschaft der 80er Jahre kann gerade nicht Sicherheit bieten, sondern bleibt abhängig von Unwägbarkeiten politischer Stabilität in fremden Ländern, funktionierender Transportwege und hinreichender Fremdenergiebereitstellung. Nicht Überproduktion sichert die Volksernährung, Herr Minister, sondern ein möglichst hoher Anteil an bodenabhängiger Produktion. Aber der Kanzler weiß noch mehr. Zitat: Die eigenständige soziale Sicherung der Landwirte hat sich bewährt und muß erhalten bleiben. ({11}) So ist das wieder falsch. Die eigenständige soziale Sicherung der Landwirte war zwar bei ihrer Einführung ein großer Erfolg - Sozialdemokraten haben maßgeblich daran mitgewirkt; das können Sie alles bei Rehwinkel nachlesen -, aber es ist offensichtlich geworden, daß sie der Reform bedarf; denn gerade die geringverdienenden Landwirte, vom System sowieso schon benachteiligt, müssen oft bis zu einem Viertel und mehr ihres Einkommens für die soziale Sicherung aufwenden, die gutverdienenden nur einige wenige Prozent. Meine Damen und Herren, eine Änderung ist bitter nötig. Diese haben Sie bisher abgelehnt. Ihr Entschließungsantrag in diesem Zusammenhang ist doch nur ein Schauantrag. Sie hätten das alles haben können, wenn Sie unserer Forderung zugestimmt hätten. ({12}) Es kann doch wohl nicht so sein, daß man sich gegen Gerechtigkeit stemmt und dann mit einem Entschließungsantrag so tut, als ob man das verschleiern könne. - Wir sind nach wie vor dazu bereit, dafür zu sorgen, daß es hier mehr Gerechtigkeit gibt. Dies ist bitter notwendig. Es ist nicht einsichtig, daß der sich im unteren Viertel der Einkommensskala befindende Landwirt mit einem Einkommen noch unter der Grenze der Sozialhilfe denselben Anteil seines Einkommens für die Alterssicherung bezahlt wie andere, denen es - wie Ihnen und mir - nicht so ganz schlecht geht. ({13}) Das dritte Zitat sei erlaubt. Der Kanzler sagte: Wir wissen, daß der Staat allein alle diese Probleme nicht lösen kann. Der Staat soll dies auch gar nicht versuchen. Das haben wir vom Kollegen Kiechle noch ganz anders in Erinnerung. Er sagte in der 94. Sitzung der 9. Legislaturperiode anläßlich der Debatte des Agrarberichts unter dem Aspekt, wie man der Landwirtschaft helfen könne, kritisch zur Regierung: Handeln, meine Damen und Herren, muß die Regierung. Das Protokoll vermerkte: Beifall bei der CDU/CSU. ({14}) So stellt sich für mich die Frage: Was denn nun? Handelt der Staat, oder handelt er nicht? ({15}) Soll er handeln, oder soll er alles den berühmten Marktkräften überlassen? Sie machen hier dieselben Fehler wie in anderen Bereichen, indem Sie nämlich so tun, als ob Sie blind seien, obwohl Sie die Ergebnisse sehen. Dem Herrn Kollegen Heereman muß es ja fast das Herz zerreißen, wenn er hier im Bundestag dem Kanzler und dem Minister Beifall spenden muß für eine Politik, die keine Forderung des Deutschen Bauernverbandes erfüllt und keine Perspektive hat. ({16}) Hans-Jochen Vogel hat in seiner Erwiderung zur Regierungserklärung deutlich gemacht, daß die SPD ihre Rolle im Parlament als konstruktive Opposition betreiben will. Dies ist in diesem Bereich besonders notwendig, weil es sonst keiner macht. ({17}) In diesem Zusammenhang will ich auch anerkennen, daß Sie bei diesem Abschluß die Türen noch offengelassen haben. Die Ziele eines neuen Weges sind aus der Sicht der SPD-Agrarpolitik; die Gerechtigkeit des Mittelvergabesystems ({18}) in allen Bereichen wieder herzustellen, besonders im sozialen Bereich; die sinnlose Steigerung der Überproduktion zu ändern; die bäuerliche Struktur des Familienbetriebes in Haupt-, Neben- und Zuerwerb zu sichern; die natürlichen Grundlagen unserer Landwirtschaft in Verantwortung vor den nachfolgenden Generationen zu bewahren. Das ist wichtig, nein, das ist überlebenswichtig. ({19}) Die derzeitige Agrarordnung ist, wie Jochen Vogel gesagt hat, ein Sprengsatz der EG. Sie muß wieder zur Klammer werden, sie muß möglich machen, daß die Süderweiterung möglich wird. Dies hängt mit Frieden in der Welt zusammen. ({20}) Die Siedlungs-, Arbeits- und Erholungsfunktion der ländlichen Räume muß gerettet werden. - Die Länder der Dritten Welt dürfen nicht in ihrer Wirtschaftsentwicklung durch weiteren Mißbrauch als Lieferanten überflüssiger Substitute in falsche Bahnen gezwungen werden; denn nicht die Ertragssteigerung beim Getreide bei uns von 60 auf 70 Doppelzentner, sondern die Steigerung in den Entwicklungsländern von 10 auf 25 Doppelzentner ist es, was den Hunger stillen kann. Die europäische Agrarpolitik ist auch im Hinblick auf den Hunger in der Welt ein Skandal. Dies ist leider von Ihnen nicht genannt worden; dies ist die Wahrheit. Zur Lösung der Probleme gibt es kein Patentrezept, aber ein gangbarer Weg ist eine Bündelung von Maßnahmen, ({21}) die Sie bisher nicht genannt haben. Die Preis- und Abnahmegarantie muß in ihrer unerfüllbaren Doppelfunktion als Sicherer landwirtschaftlicher Einkommen und Marktregulator zugleich entlastet werden, eventuell durch gezielte Einkommensübertragung. Das haben wir schon im Bergbau. Wir sollten auch nicht von vornherein andere Überlegungen, etwa gespaltener Preis oder Obergrenzen, ablehnen. Dies gehört zusammen. Wir dürfen nicht nur feststellen, wie schlecht es uns geht, sondern wir müssen etwas tun.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich muß Sie leider darauf hinweisen, daß Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. ({0}) Die Förderung bodenabhängiger Produktion muß wieder Priorität haben. Wir müssen die progressiv gestaltete Mitverantwortung für eine Übergangszeit wollen und die Agrarpolitik reformieren. Diese Regierung hat bisher überhaupt keinen Anlaß geboten, daß wir sagen könnten, hier ist die Interessenvertretung der bäuerlichen Landwirtschaft. Was wir gehört haben, sind Allgemeinplätze. Auch Ihr Antrag ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Wir bitten Sie sehr, kommen Sie mit Vorschlägen, die wieder einer bäuerlichen Landwirtschaft Priorität geben. Sie werden unsere Mithilfe finden. - Vielen Dank. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Brunner.

Josef Adalbert Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000282, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Oostergetelo, ich will nur eine ganz bescheidene Frage stellen, bevor ich mich mit meiner Thematik befasse: Wußten Sie überhaupt, von was Sie in den letzten 25 Minuten geredet haben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach einer erneuten Brüsseler Nachtsitzung konnte der neue Bundeslandwirtschaftsminister und amtierende Vorsitzende des Agrarminsterrats der EG, mein Landsmann Ignaz Kiechle, in dieser Woche die Verhandlungen zur Festlegung der Agrarpreise für das Wirtschaftsjahr 1983/84 zum Abschluß bringen. Dem jetzt endlich gefundenen Kompromiß ging - viele haben es in den Nachrichten verfolgen können - ein wochenlanges Tauziehen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und der EG-Kommission voraus. In bewährter Manier haben einzelne nationale Delegationen wiederum versucht, für ihr Land und ihre Bauern zusätzliche Vergünstigungen zu erzielen. Dies ist ihnen leider zum Teil gelungen. Dennoch meine ich, daß aus deutscher Sicht kein besseres Ergebnis zu erreichen war, nicht zuletzt in Anbetracht der massiven Proteste der Bauern des mit uns befreundeten Nachbarstaates Frankreich. Die Zugeständnisse sind der Preis für den Fortbestand des gemeinsamen Agrarmarktes und des Gemeinsamen Marktes überhaupt, dessen einzige voll funktionierende Klammer letztendlich die Agrarpolitik ist. ({0}) Für die deutschen Bauern ist das Ergebnis mit einer durchschnittlichen Anhebung der Marktordnungspreise - nicht der Marktpreise, schon gar nicht, wie viele fälschlich behaupten, für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse - von 2 % natürlich alles andere als berauschend. Auch im Hinblick auf die von den Preisbeschlüssen ausgehende Verteuerung der Nahrungsmittel um allenfalls ca. 0,5 % habe ich kein Verständnis, wenn bestimmte Gruppen in unserem Lande die Beschlüsse als überhöht bewerten. Insgesamt müssen wir, so meine ich, unserem Minister sehr herzlich für seinen enormen Einsatz, für sein Verhandlungsgeschick und für seine Aus412 dauer in einer weiß Gott schwierigen Situation danken. Als ein von der Natur das ganze Jahr über in vielfältiger Weise abhängiger Berufszweig hat sich die Landwirtschaft seit Generationen an das jährliche Auf und Ab der Erträge und der Einkommen gewöhnt. Dennoch sind wir mit Freude Landwirte und wollen es auch in der Zukunft sein. Auf unsere besondere Situation machen wir aber aufmerksam, und hier beginnt die Aufgabe für Regierung und Parlament, wenn wir mehrere Jahre hintereinander Einkommensverluste hinnehmen müssen. Die Bundesregierung hat im Agrarbericht ausgewiesen, daß die Nettowertschöpfung der Landwirtschaft im Berichtsjahr 1981/82 immer noch nominal um 21 % unter dem Stand von 1975/76 liegt. Trotz der Einkommensverbesserungen in den letzten beiden Wirtschaftsjahren und der voraussichtlichen Erhöhung im laufenden Wirtschaftsjahr wird der Gewinn je Familienarbeitskraft im Durchschnitt der Vollerwerbsbetriebe das Niveau von 1975/76 nicht erreichen. Verständnis der Landwirtschaft hierfür kann niemand erwarten, schon gar nicht, wenn der gewerbliche Vergleichslohn im gleichen Zeitraum nominal um 43 % gestiegen ist. Die von der Natur benachteiligten Gebiete insbesondere der Mittelgebirgs- und Bergregionen wären von dieser Entwicklung noch weitaus härter getroffen worden, wenn nicht auf Grund des Brüsseler Bergbauernprogramms Hilfen zum Ausgleich der erschwerten natürlichen und wirtschaftlichen Bedingungen gewährt würden. Dieses Programm, das auch der Beschäftigungssituation im ländlichen Raum gerecht werden soll, ist auf Grund der gemachten Erfahrungen national voll auszuschöpfen und zu verbessern. Da sich in den Randzonen der Berg- und Kerngebiete der Einkommensabstand zum Durchschnittsgewinn vergrößert hat, sind weitere Zonen vorzuschalten, in denen eine - natürlich abgestufte - Ausgleichszulage gewährt wird. Auf Grund der bayerischen Erfahrungen mit dem dort 1978 eingeführten Agrarkreditprogramm unterstütze ich ausdrücklich das von Bundesminister Kiechle in jüngster Zeit mehrfach angekündigte Vorhaben, auch auf Bundesebene einen allgemeinen Agrarkredit einzuführen. Damit folgt die Bundesregierung einem Entschließungsantrag, den meine Fraktion und die Fraktion der Freien Demokraten bei den Beratungen des Agrarhaushalts 1983 im November letzten Jahres einbrachten. Die Erfahrungen Bayerns mit dem Agrarkreditprogramm haben gezeigt, daß Fehlinvestitionen ausgeschlossen werden können, weil der einzelne Betriebsleiter sein Unternehmerrisiko trotz der staatlichen Finanzierungshilfe selber tragen muß. Unabhängig vom jeweiligen Zinsniveau mußte der Betriebsinhaber beim bayerischen Agrarkreditprogramm über die Jahre hinweg durchschnittlich etwa 5 % an eigener Zinslast einkalkulieren. Seit der Einführung des Agrarkreditprogramms wurden in Bayern jährlich zirka 5 000 Betriebe - davon etwa 4 000 Haupterwerbsbetriebe und 1 000 Nebenerwerbsbetriebe - unterstützt. Das jährlich verbilligte Darlehnsvolumen belief sich bei uns im Durchschnitt der Jahre auf rund 200 Millionen DM, entsprechend zirka 40 000 DM je Betrieb. Damit konnten immerhin knapp 50 % der Gesamtkosten der mit Unterstützung dieses Kreditprogramms durchgeführten Vorhaben zinsverbilligt werden. Dabei ist insbesondere zu erwähnen, daß rund 50 bis 60 % der antragsberechtigten landwirtschaftlichen Unternehmer aus benachteiligten Gebieten stammen, d. h. aus Gebieten, in denen das einzelbetriebliche Förderungsprogramm des Bundes bisher weniger zur Geltung kam. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Neugestaltung der EG-Strukturrichtlinien, die bekanntlich zum Ende dieses Jahres auslaufen, verfolge ich mit Genugtuung die Bestrebungen, den Bundesländern in der Agrarstrukturpolitik einen möglichst weiten Gestaltungsrahmen zuzugestehen. Hierin ist der richtige Weg zu sehen, damit eine große Zahl bäuerlicher Betriebe erhalten und deren Wirtschaftskraft gestärkt werden kann. Es kann nicht angehen, daß auch weiterhin eine Agrarstrukturpolitik betrieben wird, die - das läßt der Agrarbericht erkennen - die guten Standorte und Betriebsstrukturen übermäßig begünstigt. Vielmehr sind Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb deren es möglich wird, den örtlichen Verhältnissen künftig mehr Rechnung zu tragen. Das Stichwort muß hier lauten: mehr Flexibilität für regionale Besonderheiten. ({1}) Darüber hinaus kann ich für die nationale Strukturpolitik nur noch einmal die Forderung unterstreichen, die Förderschwelle zu beseitigen. Meine Damen und Herren, die gemachten Vorschläge zur Förderungs- und Strukturpolitik beinhalten in keiner Weise eine Schwerpunktverlagerung von der Preispolitik auf die Strukturpolitik. Dies ist auch nicht erforderlich; denn die EG-Agrarmarktordnungen haben sich im Grundsatz bewährt. Nötig wäre es allerdings gewesen, manche Marktordnungsentscheidungen frühzeitiger und mit mehr Mut einzuleiten. Abgesehen vom Währungsausgleich, für den die Agrarpolitik nicht verantwortlich gemacht werden kann, liegt der größte Sprengstoff für den Gemeinsamen Markt allerdings im Milchmarkt. In den vergangenen Jahren haben sich die politischen Entscheidungsträger nicht dazu entschließen können, eine gezielte Anpassungspolitik, aufbauend auf der Marktordnung, vorzunehmen. Hierdurch sind die Milcherzeuger in eine wirtschaftlich schwierige Lage gebracht worden. Die Einkommenssituation in den Milcherzeugungsbetrieben, wie sie im Agrarbericht dargestellt ist, läßt den Landwirten keine andere Chance, als alles zu versuchen, dem Einkommensdruck durch eine Produktionsausweitung zu entgehen. ({2}) Die Milcherzeuger stehen damit aber auch am Ende der Einkommensskala, auch wenn manche glauben, daß die Milchproduzenten das meiste Geld hätten. Ein weiterer Preisdruck - darüber sollten sich diejenigen im klaren sein, die leichtfertig derartige Vorschläge unterbreiten - bewirkt keinen verstärkten Strukturwandel. Den Landwirten stehen die benötigten Erwerbsalternativen angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum nun einmal nicht zur Verfügung. Das Ziel der zukünftigen Milchpolitik muß es sein, einer möglichst großen Anzahl von familienbäuerlichen Betrieben ein ausreichendes Einkommen aus der Milcherzeugung zu sichern. Wenn ich an meine Heimat im Bayerischen Wald denke: Was täten unsere Kleinbetriebe heute angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, wenn sie nicht nebenbei noch ihre Milchproduktion hätten? Hierzu ist es erforderlich, in die bestehende EGMilchmarktordnung Instrumente einzubauen, die ein ungehemmtes Produktionswachstum unterbinden. Flankierend zu einem mengenbegrenzenden Instrument ist durch eine neue, verbesserte gemeinschaftliche Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch bzw. für die Umstellung von der Milchproduktion auf die Fleischproduktion der bestehende Produktionsüberhang abzubauen und eine natürliche strukturelle Anpassung zu ermöglichen. Vor neuen Problemen stehen wir - darauf möchte ich rechtzeitig hinweisen - beim Getreide. Die Getreideerzeugung der Gemeinschaft ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, und zwar nicht infolge einer Ausdehnung der Anbauflächen, sondern auf Grund erheblich gestiegener Ertragsleistungen im Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft. Eine Politik des Preisdrucks, wie sie die EG-Kommission anstrebt, wird somit ohne nachhaltige Wirkung bleiben, sondern die Betriebe zwingen, sämtliche Produktionsreserven ähnlich wie in der Milchproduktion auszuschöpfen oder gar verstärkt in die Veredelung einzusteigen. Damit würden neue Problemmärkte geschaffen. Die Gemeinschaft muß daher nicht nur die Einfuhr von Getreidesubstituten auf dem jetzigen Stand begrenzen und dafür sorgen, daß mehr Getreide verfüttert wird, sondern sie ist auch gezwungen, auf dem Weltmarkt als zuverlässiger und kalkulierbarer Getreideexporteur aufzutreten. ({3}) - Ich habe es gemerkt, Herr Präsident. Ich bin aber gleich fertig. Unablässig muß die Förderung des Anbaus von Alternativfrüchten zu Getreide, z. B. Ackerbohnen und Futtererbsen, als Eiweißpflanzen und die Verwendung von Agrarprodukten als Rohstoff für die Äthanol- und Stärkeherstellung fortgeführt und gegebenenfalls ausgeweitet werden. Die mehrfach erfolgten nationalen Kürzungen seitens des deutschen Branntweinmonopols haben viele kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe, die z. B. auf die Produktion von Brennereikartoffeln auf Grund ihres Standorts angewiesen sind, vor die Existenzfrage gestellt.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Josef Adalbert Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000282, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weitere Forschungen auf dem Sektor der nachwachsenden Rohstoffe und weitere Prüfungen neuer Verwendungsmöglichkeiten für Agraralkohol und -stärke sind daher unumgänglich. Ich darf zum Schluß kommen. Den deutschen und europäischen Bauern ist die hohe Aufgabe übertragen, die Ernährung der Bevölkerung in Europa sicherzustellen. Der Verbraucher, so meine ich, kann mit den Leistungen der Landwirtschaft durchaus zufrieden sein.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich muß auf die Uhr schauen.

Josef Adalbert Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000282, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aufgabe des Staates muß es sein, dafür zu sorgen, daß die Landwirtschaft in Zukunft gleichberechtigt an der Einkommensentwicklung der übrigen Bevölkerung teilnehmen kann. - Danke schön. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat allen deutlich gemacht, daß auch die agrarpolitischen Probleme in der Bundesrepublik und in der Europäischen Gemeinschaft durch die wirtschaftlichen und außenpolitischen Probleme noch größer geworden sind. Die Beiträge der Kollegen der SPD, des Kollegen Müller und des Kollegen Oostergetelo, haben auch deutlich gemacht, wie schnell Sie in vielen Bereichen der Politik - und so auch in der Agrarpolitik - nach wenigen Monaten der Opposition zu neuen Erkenntnissen kommen. ({0}) - Nein. Ich habe das bei dem Kollegen Oostergetelo und bei Ihnen durchaus bemerkt. Ich meine, wir sollten uns die größte Mühe geben, Ihnen noch eine lange Zeit des Nachdenkens zu ermöglichen - möglichst viele Jahre -, damit Sie zu weiteren neuen Erkenntnissen kommen, Erkenntnissen, zu denen Sie in Ihrer dreizehnjährigen Regierungspolitik offensichtlich nicht gekommen sind. ({1}) Wenn Sie davon sprechen, daß das europäische Agrarsystem ein Skandal und Ärgernis sei, dann, meine ich, muß auch gesagt werden: Das, was Sie uns auch in diesem Bereich hinterlassen haben, kann man nur als einen Skandal und ein Ärgernis bezeichnen. Herr Minister Kiechle und wir müssen heute versuchen, damit fertig zu werden. ({2}) Herr Kollege Oostergetelo, als ich Ihre Ausführungen hörte, war ich versucht, im Handbuch des Bundestages nachzusehen, ob Sie tatsächlich erst am 6. März 1983 als neues Mitglied in dieses Hohe Haus gewählt worden sind; denn ich habe ähnliche Äußerungen von Ihnen in den vergangenen Debatten auch nur ansatzweise vermißt. Während Ihrer ganzen Rede haben wir vergeblich auf die Vorlage der von dem Kollegen Gallus geforderten neuen Konzeption gewartet. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie dazu wahrscheinlich noch etwas mehr Zeit zum Nachdenken in der Opposition benötigen. Der Kollege Susset hat darauf hingewiesen, daß wir es in diesem Hause mit einer neuen Opposition zu tun hätten. Ich werde mich jetzt in einigen Ausführungen den Vorschlägen und Vorstellungen der Kollegin Frau Dr. Vollmer zuwenden. Sie haben bereits am 5. Mai in der Debatte über die Regierungserklärung eine grundlegende und umfassende agrarpolitische Opposition angekündigt und von den agrarpolitischen Alternativen der GRÜNEN gesprochen. Sie haben das heute im Kern wiederholt. Ich meine aber, verehrte Frau Kollegin, daß Sie es sich dabei relativ einfach gemacht haben. Sie haben vom gewollten Höfesterben, von der Enteignung kleinbäuerlichen Eigentums durch den Zwang zur modernen, hochrationalisierten Landwirtschaft gesprochen, die Großgenossenschaften pauschal als bauernfeindlich bezeichnet und die Landmaschinenindustrie, die chemische Industrie, die Nahrungsmittelindustrie, die Banken und einige - von Ihnen so bezeichnete - „Wachstumsbauern" zu den Gewinnern dieser Entwicklung erklärt. Mit diesen Behauptungen und Vorwürfen haben Sie aber kein einziges agrarpolitisches Problem gelöst. Wenn sich die Welt so säuberlich in Gerechte und Ungerechte scheiden ließe, wie Sie sich das offensichtlich vorzustellen scheinen, dann wäre Politik wirklich ein einfaches Geschäft. Unsere Aufgabe ist es - wenn Sie nicht scheitern wollen, werden auch Sie dies zur Kenntnis nehmen müssen -, die Probleme so differenziert zu betrachten, wie sie sich nun einmal darstellen. Sie werden dabei versuchen müssen, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen; dabei müssen Sie auch Kompromisse schließen. Hinsichtlich des Wegrationalisierens von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, wie Sie es nennen, sind Sie während der Debatte über die Regierungserklärung nur bis in die 50er Jahre zurückgegangen. Heute sind Sie weiter zurückgegangen, nämlich bis zu Albrecht Thaer. Ich meine aber, Sie könnten durchaus weiter zurückgehen: Vor 150 oder noch mehr Jahren waren in Deutschland 80% der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. ({3}) Seitdem sind Landwirte doch kontinuierlich ausgeschieden und haben eine neue, eine produktive Tätigkeit im industriell-gewerblichen Bereich gefunden. In diesen Zusammenhang gehört auch - Sie haben dies moniert -, daß der deutschen Industrie durch die Europäische Gemeinschaft das Tor zum europäischen Industriemarkt, wie Sie es nannten, aufgestoßen wurde. Ich weiß nicht, ob Sie es bedauern, daß wir dort einen Überschuß von 10 Milliarden DM erzielen. Dieser Strukturwandel hat auch die industrielle Entwicklung in unserem Lande ermöglicht und damit, so meine ich, die Voraussetzung für unseren heutigen Wohlstand geschaffen. Dazu ist Mobilität erforderlich, Mobilität nicht nur bei den Bauern, sondern auch bei den Arbeitnehmern. Gehen Sie ins Ruhrgebiet und sehen Sie sich an, wie Arbeitnehmer dort in den vergangenen Jahrzehnten Arbeitsplätze gewechselt haben und in neue, produktivere Bereiche gegangen sind. Oder halten Sie es für möglich, jeden Arbeitsplatz in der jeweiligen Branche zu sichern, jedem Stahlarbeiter, jedem Schuhmacher seinen Arbeitsplatz zu sichern? ({4}) - Wir werden auch dies beseitigen; dazu sind wir angetreten. Wir alle - nicht nur einige wenige „Wachstumsbauern" - sind die Gewinner dieses Strukturwandels, der sich ja seit Jahrzehnten vollzieht. Auch in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit und bei knappen öffentlichen Mitteln und geringen Förderungsmöglichkeiten werden wir an dem Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft festhalten, an einem Leitbild, das für uns aus Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben besteht. Wir werden dabei nicht - wie Sie - die Nebenerwerbsbetriebe ausklammern. Denn dies würde für viele Regionen das Ende der Landbewirtschaftung bedeuten. Das wäre das Ende vieler ländlicher Regionen. ({5}) Sie haben aber auch eine alternative Agrarpolitik für die Vollerwerbsbetriebe vorgeschlagen. Sie haben die Einführung des gespaltenen Preises, ({6}) - des gestaffelten Preises, d. h. hoher Preise für die kleinen Betriebe und niedriger Preise für die Großbetriebe vorgeschlagen; da sind wir uns in der Definition offensichtlich einig. Gleichzeitig haben Sie eine dezentrale Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte gefordert. Was bedeuten aber diese Vorschläge für die Praxis? Alle Abnehmer von Agrarprodukten, die Verbraucher, der Handel, die weiterverarbeitende Industrie, wollen preisgünstig einkaufen und würden daher nur bei den großen Bauern kaufen, die ihre Produkte nach Ihren Vorschlägen j a billiger abzugeben haben. Auch die Verbrauchergenossenschaften würden nicht bei den kleinen Bauern, sondern bei den großen Bauern kaufen. Der kleine Bauer, dem Sie angeblich helfen wollen, bliebe auf seinen Mastschweinen und seiner Milch sitzen. Gestaffelte Preise zugunsten der kleinen Betriebe - ich bin gern bereit, dies noch einmal ausführlicher mit Ihnen zu diskutieren - sind also nicht möglich im Rahmen einer dezentralen Vermarktung, sondern sie wären nur möglich, wenn Sie eine staatliche Institution schaffen, die alle Agrarprodukte aufkauft, die aus den unterschiedlichen Preisen einen Mischpreis bildet und die die Produkte dann zu einem Einheitspreis an den Abnehmer, die Verbraucher oder die Weiterverarbeiter, abgibt. Diese Institution müßte aber gleichzeitig alle Höfe kontrollieren, die Tierbestände, die Produktionsmengen exakt erfassen und durch einen totalen Ablieferungszwang das Entstehen schwarzer Märkte verhindern. ({7}) Aber die totale Reglementierung geht ja in Ihrem System noch weiter. Sie wollen auch in der Verpachtung nicht haltmachen bei einer Anzeigepflicht, sondern die Verpachtung soll der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Dazu fordern Sie Pachtgenossenschaften, ({8}) die festlegen, wer wo wieviel und zu welchem Preis landwirtschaftliche Flächen pachten darf. ({9}) Sie müssen den Verkauf der Produkte total kontrollieren, Sie müssen den Pachtmarkt total kontrollieren, und dann kann der Wettbewerb zwischen Betrieben nur noch beim Einkauf der Produkte stattfinden. ({10}) Es ist daher nur konsequent, wenn Sie auch dort einheitliche Preise und einheitliche Lieferbedingungen vorschreiben. Das bedeutet doch aber in der Konsequenz eine weitere staatliche Institution zur perfekten Kontrolle auch des Bezugs landwirtschaftlicher Betriebsmittel. ({11}) Sie wollen mit Ihrem agrarpolitischen Programm Unabhängigkeit und politische Selbständigkeit der Bauern erreichen. Dies geht jedoch nicht mit Schlagworten, und dies geht auch nicht mit widersprüchlichen Thesen. Sie sind bisher im Ansatz noch jeden Versuch schuldig geblieben, dies etwas mehr zu konkretisieren. Der Bauer Ihres Agrarprogramms ist ein Bauer - wenn man ihn noch so bezeichnen darf -, der bei einer staatlichen Institution seine Betriebsmittel kauft, seine Flächen von einer Pachtgenossenschaft zugeteilt bekommt und seine Produkte an eine staatliche Absatzorganisation verkauft. ({12}) - Sie werden die Unterschiede zur EG auch noch lernen. ({13}) Es bleibt aber Ihre Aufgabe, den Bauern diese Auswirkungen Ihres Programms als die Zukunft wirtschaftlich unabhängiger und politisch selbständiger Bauern darzustellen. ({14}) - Frau Kollegin, ich kann Ihnen zur Abrundung Ihres Programms eigentlich nur noch empfehlen, auf jedem Hof eine Stempeluhr zu installieren, damit die Bauern dann morgens und abends etwa in Abwandlung eines populären Schlagers beim Stechen der Stechuhr lustvoll stöhnen können. ({15}) Ich will Ihnen, verehrte Frau Kollegin, den guten Willen ja gar nicht absprechen. Aber Sie brauchen noch Zeit, um zu erkennen, was realisierbar ist. ({16}) Sie haben j a vorhin bestätigt, daß auch Sicco Mansholt Zeit brauchte, um zu neuen Einsichten zu kommen. ({17}) Stellen Sie sich vor, Sicco Mansholt hätte die Möglichkeit gehabt, seine Vorstellungen zu realisieren. Was würde es dem Betroffenen, dem wegrationalisierten Bauern, heute helfen, wenn er - Herr Mansholt - zu neuen Erkenntnissen kommt? Davor wollen wir die Bauern bewahren: daß es zu spät ist, wenn Sie zu neuen Erkenntnissen kommen. ({18}) Sie sollen diese Möglichkeit in der Opposition behalten. Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, wir hätten Patentrezepte. Agrarpolitik war und ist ein mühsames Geschäft. Wir sollten in diesem Hause nicht so tun, als könnten wir den Bauern goldene Zeiten versprechen. ({19}) - Wenn Sie nicht so schreien, bin ich gleich fertig. - Wir sollten gemeinsam in diesem Hause in der Agrarstrukturpolitik und in der Agrarsozialpolitik helfen, die Konzeption weiterzuentwickeln, damit wir wirksam den kleinen und mittleren Betrieben helfen können. - Vielen Dank. ({20})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat die Kollegin Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vordergrund dieser Debatte stand bislang die EG-Agrarpolitik. Dies ist angesichts der explodierenden Kosten und leeren Kassen in Brüssel auch wichtig genug. Ich möchte mich allerdings anderen Themen widmen. Da muß ich gleich zu Anfang auf einen Vorfall zu sprechen kommen, der so nicht im Raume stehenbleiben darf. Sie, Herr Minister Kiechle, haben auf die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher zum Brüsseler Preiskompromiß in unverantwortlicher und - ich möchte fast hinzufügen - unverschämter Weise reagiert. ({0}) Ich zitiere aus dem „Express" vom 18. Mai 1983: Dieser berüchtigten Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände kann man nur imponieren, wenn man sagt, die Lebensmittel seien kostenlos. ({1}) Solange ein Minister das nicht erreicht - und darauf werden wir lange warten -, wird dieser Verein immer kritisieren. Ich kümmere mich nicht um seine Aussagen. ({2}) Auch wenn sich die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände mit ihren Zahlenangaben ein wenig vergaloppiert haben sollte, ({3}) so frage ich Sie, Herr Kiechle, was Sie mit dem Wort „berüchtigt" ausdrücken wollten. ({4}) - Lassen Sie ihn doch zuhören! Er hat j a auch gar keinen Genuß davon, wenn ich nicht in Ruhe reden kann. Halten Sie einen Verband, der die Interessen von Millionen von Verbrauchern vertritt, für überflüssig oder gar gefährlich? ({5}) Dürfen etwa nur die Bauernverbände das von Ihnen in Brüssel erreichte Ergebnis kritisieren? ({6}) Gegenüber dem Deutschen Bauernverband und der Kritik seines Präsidenten haben Sie nur freundliche Worte gefunden. ({7}) Das Ergebnis sei für den Deutschen Bauernverband nicht optimal. Das war alles. Sie, Herr Kiechle, sind Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Sie sind auch für die Verbraucherpolitik zuständig ({8}) und sollten nicht gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit deutlich machen, daß Ihnen die Interessen von 800 000 Landwirten - dabei muß man sich noch fragen, wie viele Ihnen ganz am Herzen liegen - mehr am Herzen liegen als die von 60 Millionen Verbrauchern. ({9}) Oder ist Ihre Einlassung im „Express" schon als Vorbereitung für die Wende in der Verbraucherpolitik zu verstehen? ({10}) Laut Agrarbericht erhielten die Verbraucherzentralen der Länder im Jahre 1982 - also noch unter der alten sozialliberalen Regierung - trotz der schwierigen Haushaltslage immerhin rund 5 % mehr Mittel als im Vorjahr. ({11}) Jetzt hört man, daß die Fördermittel für die Verbraucherberatung in den Ländern ab 1985 um 25 % gekürzt werden sollen. ({12}) Damit würde gegen einen einstimmigen Beschluß des Haushaltsausschusses verstoßen. Eine Reduzierung dieser Fördermittel führt zu einer Schwächung der Verbraucherschutzeinrichtung und bedeutet in einer Zeit, in der der Verbraucher mehr denn je auf Information und Beratung gerade auch im Ernährungsbereich angewiesen ist, nichts anderes als eine skandalöse Wende in der Verbraucherpolitik. ({13}) Herr Minister, es wäre gut, wenn Sie diese Aussprache zu einem klärenden Wort und, wenn es möglich ist, auch zu einer Entschuldigung nutzen würden. ({14}) Daß Verbraucherberatung not tut, davon wissen die Beratungszentralen ein Lied zu singen. Viele Menschen haben Angst vor schädlichen Chemikalien in Lebensmitteln. Diese Angst ist verständlich. Denn nahezu tagtäglich werden wir mit Berichten über die Gefahren konfrontiert, die aus zu hohen Rückständen von Schadstoffen in Lebensmitteln und aus der Verunreinigung des Wassers, des Bodens und der Luft mit Schwermetallen und anderen gesundheitsgefährdenden Chemikalien entstehen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich muß die Zeit nutzen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Danke schön.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nun mag man diese als Über-und Falschbewertung von Einzelfällen oder gar als Panikmache abtun. Ich meine aber, man sollte diese Ängste ernstnehmen und nach ihren Ursachen forschen. Mit einer Verharmlosung der Schadstoffbelastung ist uns wenig gedient. Auch mit der Feststellung im Agrarbericht, daß nach den vorliegenden Forschungsergebnissen zur Zeit von unerwünschten Lebensmittelinhaltsstoffen und Kontaminanten in der Regel keine Gefährdung der menschlichen Gesundheit ausgehe, vermag man die Ängste in der Bevölkerung nicht zu entkräften. ({0}) Sobald die Wissenschaft empfindlichere Nachweismethoden entwickelt hat, gelangen wir jedesmal zu neuen Erkenntnissen, die eine Korrektur unseres Lebensmittelrechts erforderlich machen. ({1}) Wir sollten uns daher immer wieder bewußt sein, daß sich aus der Vielfalt der Umweltchemikalien und ihrer Folgeprodukte erhebliche Nachweis- und Überwachungsschwierigkeiten ergeben und damit zugleich ein Risiko der Abschätzung einer möglichen Gesundheitsgefährdung verbunden ist. Ich möchte nur ein Stichwort nennen: Kombinationswirkung mehrerer Schadstoffe in der täglichen Nahrung. Weitere wichtige Forderungen aus der Verbrauchersicht sind Festsetzung zulässiger Höchstmengen für Tierarzneimittel und für die Schwermetalle Kadmium, Blei und Quecksilber, Durchführung einer kontinuierlichen Untersuchung eines repräsentativen Querschnitts der Lebensmittel zur Aufhellung der Quellen und Wege möglicher Verunreinigungen. ({2}) - Sehen Sie, zum Reinheitsgebot gibt es im Agrarbericht einen längeren Abschnitt, während es zum Lebensmittelschutz nur einen ganz kleinen Abschnitt gibt. ({3}) Sie sollten einmal ein bißchen vergleichen und die Wertung sehen. ({4}) Das Pflanzenschutzrecht sollte entsprechend den Vorschlägen des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministers so geändert werden, daß für die Zulassung und Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln strengere Vorschriften als bisher getroffen werden und Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsamt und dem Umweltbundesamt notwendig ist. Für Pflanzenbehandlungsmittel mit in der Bundesrepublik verbotenen Wirkstoffen ist ein grundsätzliches Exportverbot zu erlassen, um die Belastung importierter Nahrungs- und Futtermittel mit Schadstoffen zu verringern. ({5}) Lassen Sie mich als Küstenbewohnerin auf einen Problembereich zu sprechen kommen, der für diese Region von großer Bedeutung ist, nämlich die Fischerei. Das Brüsseler Fischereiabkommen vom Anfang dieses Jahres wird sicherlich eine Erleichterung für die Hochsee- und Kutterfischerei bringen. Nur, eine auf dem Papier ausgehandelte Quotenregelung garantiert noch nicht automatisch das Überleben unserer Fischerei. Außerdem habe ich Zweifel in die zur Schau gestellte Eintracht. Denn die für den 6. Juni vorgesehene Sitzung des Fischereirates wird ja nicht ohne Grund verschoben; das geschieht doch wohl nur, weil erneut Uneinigkeit über die Höhe der Fangmengen besteht. Der Fischereikompromiß vom Januar hat im übrigen seine Tücken. Ich denke z. B. daran, daß jeweils im Oktober eine EG-Kommission die bis dahin abgefischten Fangmengen der einzelnen Nationen errechnen und den Rest eventuell neu aufteilen soll. Diese Regelung dürfte zur Folge haben, daß einige EG-Staaten mit ihren entsprechenden Kapazitäten ihre Fischereiquoten im EG-Meer quasi im Windhundverfahren ausschöpfen in der Erwartung, daß ihnen im letzten Quartal noch Anteile von Fangquoten derjenigen Staaten zufallen, die behutsamer mit den Fischbeständen umgegangen sind. Hier bleibt zu hoffen, daß die Bundesregierung die Interessen der deutschen Fischerei mit Nachdruck vertritt. Zu Recht weisen Sie, Herr Minister, auf die Probleme mit den Fangrechten vor Drittländern hin. Hier sind durch die langen internen Querelen der Europäer untereinander wichtige Verhandlungspositionen preisgegeben worden. Das gilt gerade auch in bezug auf Kanada. Nur, wenn Kanada jetzt lediglich für den zehnten Teil der vertraglich zugesicherten Fangmengen Lizenzen erteilt hat, dann sollten wir dies nicht mit der Entscheidung des geplanten Robbenfelleinfuhrverbots entschuldigen. Es gibt keine Verbindung zwischen Robben- und Fischfangquoten. Wenn ich mir noch einmal vergegenwärtige, wie sich die Mitglieder dieser Bundesregierung vor dem Wahltermin 6. März als Beschützer der Jungrobben in Szene gesetzt haben - da gab es doch die Achse Genscher/Brigitte Bardot; ({6}) ich weiß, Herr Minister, das hat Ihrem großen bayerischen Vorsitzenden auch nicht gefallen -, dann muß man sich jetzt doch fragen, ob die markigen Worte gegen das Abschlachten der kanadischen Jungrobben nicht nur dazu dienen sollten, um sich unverbindlich als Tier- und Naturschützer aufzuspielen. ({7}) Die Verquickung der Fischereifrage mit der Diskussion um die Einfuhr von Jungrobbenfellen ist nicht zulässig. Sie haben auch das Grönlandproblem angesprochen. Der Fischfang vor den beiden grönländischen Küsten ist in der Tat für unsere Hochseefischerei von existenzieller Bedeutung. Da Grönland nach dem Referendum vom 23. Februar 1982 seinen Willen bekundet hat, aus der EG auszuscheiden, stellt sich bei den zu führenden Austrittsverhandlungen die Frage, wie der deutschen Fischerei die traditionellen Fangrechte erhalten werden können. Hier kann die Bundesrepublik ihr Verhandlungsgeschick unter Beweis stellen und zeigen, in welchem Maße und wie standhaft sie die Belange der deutschen Fischerei tatsächlich vertritt. ({8}) In der Grönlandfrage ist aber nicht allein die Bundesregierung gefordert. Auch die Fischereiunternehmen müssen sich Gedanken machen, wie sie unter veränderten Bedingungen durch eigene Initiativen die Voraussetzung für ihre weitere Existenz schaffen. Eine geschickte Verhandlungsführung zur rechtlichen Absicherung der Fanggründe ist für unsere Fischerei unerläßlich. Überlebensnotwendig ist aber der Schutz der Fischereifanggründe vor der immer stärker werdenden Meeresverschmutzung. Die Fischerei wird auf Dauer keine Zukunft mehr haben, wenn die Gewässer und Meere wie bisher als Müllabladeplatz, und zwar für Müll höchstgefährlicher Art, mißbraucht werden. ({9}) Die Nordsee ist teilweise schon so verunreinigt, daß auch die Tierwelt Schaden nimmt. Wenn der Einleitung von Schadstoffen nicht endlich und mit Nachdruck ein Ende bereitet wird, dann ist bereits jetzt der Zeitpunkt absehbar, an dem der Fischfang in der Nordsee verboten werden muß. ({10}) Das Schicksal der Elbfischer sollte uns hier ein mahnendes Menetekel sein. Am Beispiel der Elbfischer - vor 15 bis 20 Jahren lebten noch 2 000 Fischer mit ihren Familien vom Fang, heute sind es nur noch zwei - wird deutlich: Umweltpolitik ist ein Wirtschaftsfaktor. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Umweltpolitik kostet nicht Geld, Umweltpolitik ist Zukunftspolitik. Arbeitsplätze und Umwelt bedingen sich sogar. ({11}) Spätestens seit Vorlage des Sondergutachtens „Umweltprobleme der Nordsee" kennen wir die Ursachen für die Nordseeverschmutzung und sind auch in der Lage, erste, zum Teil erschreckende Erkenntnisse über die Folgen zu sammeln. Es reicht nun wirklich nicht mehr, uns gegenseitig zu versichern, es sei nun bald fünf Minuten vor zwölf oder zwölf Uhr, und wir müßten handeln. ({12}) Weil der Satz, erst stirbt der Wald, dann der Mensch, abgewandelt auch für die Nordsee gilt - erst verseuchen wir die Nordsee, die Nordsee wird zum Massenmörder der in ihr lebenden Pflanzen und Fische, und dann sterben wir -, müssen wir alle Einleitungen aus der Industrie und aus den Kläranlagen erfassen und überwachen. Wir müssen öffentlich machen, wer was wann und wie einleitet, ({13}) und wir müssen diese Einleitungen kontrollieren, und dies nicht stichprobenartig, sondern systematisch und kontinuierlich. Sonst können wir bald wirklich nur noch alle das Lied gemeinsam singen nach der Melodie „Ein Hering jung und schön": Da schoß eine Flunder in den Sand, wo sie viele Schwermetalle fand. - Man kann natürlich fortfahren und dies zur besten Form von Recycling erklären, indem man Fische zur Bleigewinnung fängt, analog zu den Forderungen des Herrn Ministers Riesenhuber, der dem Waldsterben ja auch entgegenzuwirken hofft, indem er nach schadstoffresistenten Bäumen fahnden läßt. Ich hoffe, Herr Minister Kiechle, Sie machen sich diese Haltung nicht in Ihrem Haus zu eigen. Plastikfische sind weder zum Fang noch zum Verzehr noch zur Weiterverarbeitung geeignet, sondern allenfalls dazu, den Verantwortlichen um die Ohren geschlagen zu werden. ({14}) Bei der zehnten Konferenz der Umweltminister des Bundes und der Länder in Düsseldorf unter Vorsitz von Minister Flessner, Schleswig-Holstein, sind eine Reihe von Prüfungsaufträgen an die Bundesregierung erteilt worden, um der Meeresverschmutzung entgegenzuwirken. Es sind Forderungen, die schon lange Bestandteil des Programms von SPD und Naturschützern sind. Aus zwei Gründen wage ich an der Glaubwürdigkeit von Minister Flessner zu zweifeln. Er macht sich auf der einen Seite Gedanken über die Ölverschmutzung der Nordsee, auf der anderen Seite aber gab es seitens seines Hauses keinen Einspruch gegen die Erdölbohrungen im Wattenmeer. Der zweite Grund ist die Vordeichung der Nordstrander Bucht. Der schleswig-holsteinische Minister sollte ein wenig lernfähig sein, und wenn er schon nicht den Umweltschützern und uns glauben mag, sollte er sich von seinen niedersächsischen Parteikollegen die Vorzüge einer Deicherhöhung statt einer Vordeichung schildern lassen. ({15}) Aus ökologischen und ökonomischen Gründen, aber auch auf Grund der ernsthaften Sorge um die Sicherheit der Menschen hinter den Deichen sollte klar sein: Hände weg von der Vordeichung der Nordstrander Bucht und sofortige Inangriffnahme der Erhöhung des bestehenden Deiches! Statt 30 Arbeitern die vierfache Anzahl von Menschen in Lohn und Brot, und das nicht nur für die Zeit der Baumaßnahmen, sondern auch darüber hinaus für die Erhaltungsarbeiten! ({16}) - Ich komme zum Schluß. Im Rahmenplan „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" sind wiederum die Förderungsgrundsätze, salopp gesprochen: bei gleicher Sicherheit Vorrang für Deichverstärkung, aufgeschrieben worden. Das ist offensichtlich nicht einklagbarer Verbalradikalismus. Herr Minister Kiechle, schaffen Sie endlich Klarheit in den Förderungsgrundsätzen, damit der nicht vertretbaren Zerstörung des einmaligen und nicht wiederbringbaren Wattengebietes Einhalt geboten wird, damit die Kinderstube von Fisch und Pflanzen erhalten bleibt! Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, daß die Nordsee ein Meer voller Leben bleibt! ({17})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist symptomatisch für die Haltung unseres Bundeskanzlers Dr. Kohl, daß er um 21 Uhr hier in den Bundestag zur Agrardebatte kommt. ({0}) Ich finde es bemerkenswert, und auch Sie sollten das bemerkenswert finden. ({1}) Das zeigt nämlich, daß die außerordentlich positiven Passagen in der Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers Dr. Kohl von ihm wirklich auch ganz ernst gemeint sind. Ihre Polemik gegen diese Aussagen ist überhaupt nicht zu verstehen angesichts der Tatsache, daß der damalige Bundeskanzler Schmidt 1980 hier im Deutschen Bundestag überhaupt als einziges zur Agrarpolitik nur ausgeführt hat: Die Bundesregierung, damals 1980, hält verstärkte Importbehinderungen oder aggressive Exportförderung nicht für geeignete Lösungen der Überschußprobleme der Europäischen Gemeinschaft. Das war die einzige Aussage von dem damaligen Bundeskanzler Schmidt zur Agrarpolitik. Sonst gab es nichts, und diese einzige Aussage war negativ. ({2}) Dagegen Bundeskanzler Dr. Kohl, der sich nachhaltig für die Existenz der bäuerlichen Familienbetriebe einsetzt: Agrarpolitik ist für uns immer auch Gesellschaftspolitik für den ländlichen Raum. ({3}) Unsere Bauern und Landwirte sichern die Ernährung unserer Bevölkerung. Sie haben ein Recht auf Lebensverhältnisse, die denen der übrigen Erwerbstätigen gleichwertig sind. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dagegen sagte der Oppositionsführer Dr. Vogel in der Debatte über die Regierungserklärung: Diese Agrarpolitik ist schlechthin ein Ärgernis. Sie verschlingt Milliarden, damit Produkte, für die keinerlei Bedarf besteht, ({5}) zunächst erzeugt, dann mit hohen Kosten eingelagert und schließlich mit noch höheren Kosten auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. ({6}) Meine Damen und Herren, Sie müssen in der SPD zunächst einmal eine gemeinsame Haltung zur Agrarpolitik entwickeln; denn in derselben Debatte zur Regierungserklärung stand hier der ehemalige, von Ihnen geschaßte

Not found (Kanzler:in)

Und die Jugend kann nicht verstehen, daß Hunderte von Milliarden für Rüstung ausgegeben werden und Hunderte von Millionen Menschen hungern müssen. ({0}) - Jawohl. - Der eine ist Vorsitzender der NordSüd-Kommission, und der andere ist Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. ({1}) Das alles können Sie im Protokoll des Deutschen Bundestages nachlesen. Da werden Sie das alles bestätigt finden. ({2}) - Ja, sehr gut. Da sind wir uns einig. ({3}) Daß das Ergebnis von Brüssel keinen vom Stuhl reißen kann, war bei den Vorbedingungen doch selbstverständlich. Wir wußten doch alle, was hier auf uns zukam. Daß das Auseinanderdriften der Volkswirtschaften der Länder der Europäischen Gemeinschaft mit dem damit erzwungenen Währungsausgleich - und dieser wieder auf ein erträgliches Maß zurückgeführt - die Verhandlungen schwierig gestalten würde, war für jedermann selbstverständlich. Aber nun, meine Damen und Herren, einiges zu dem, was hier vor allem von seiten der SPD gesagt worden ist. Hier wird so getan, als wenn wir das sogenannte Apel- oder Dohnanyi-Programm nicht kennen würden. Wir kennen das. Wir wollen es den Bauern auch sagen, was SPD-Agrarpolitik bedeutet. Sie bedeutet: Die Preise sollen - lesen Sie es nach - auf das Weltmarktniveau heruntergehen - die Ansätze werden von der Kommission ja leider auch schon gemacht -, und dann wollen Sie das fehlende Einkommen durch direkte Einkommensübertragungen durch die nationalen Länder ergänzen. Das ist Ihr Programm. Nun überlegen Sie sich einmal, wo wir in der Agrarpolitik stünden, wenn wir dieses Programm bei der Haushaltslage annähmen, die Sie uns als alte Last, als Erblast übertragen haben, als wir die Regierung übernahmen. ({4}) Sie müssen sich über eines im klaren sein: Wenn Sie das Agrarpreisniveau senken, dann haben Sie dieselben Probleme wie heute, nur auf einem niedrigeren Preisniveau. Das ist alles, was Sie am Markt damit erreichen. Dann haben Sie noch lange nicht das Geld, mit dem Sie tatsächlich den Einkommenstransfer direkt an die Landwirte zahlen können. Das ist ein Irrweg. Nun will ich Ihnen noch eines sagen. Wir haben leider noch einige wenige Länder - viele sind es Gott sei Dank nicht mehr -, in denen es eine SPDRegierung gibt. ({5}) - Jawohl! - Der Landwirtschaftsminister unseres volkreichsten Landes, des schönen Nordrhein-Westfalen mit dem Ruhrgebiet, ist der Minister, der gegen die Gesundheit der Kinder die Schulmilchverbilligung in seinem volkreichen Land aufgehoben hat. ({6}) Um 3 Millionen DM zu sparen, wollte er 24 Millionen DM Bauerngelder aus der Mitverantwortungsabgabe nicht annehmen. ({7}) Das ist Ihre Politik. Das soll der Verbraucher wissen, und auch der Bauer soll wissen, was wirklich die Politik der SPD ist. ({8}) Lieber Jan Oostergetelo, das war hier ein sehr engagierter Vortrag; das will ich gern zugeben. Es war auch relativ wenig Polemik drin, im Gegensatz zu anderen, die hier heute von Ihrer Seite aus diskutiert haben. Aber Sie haben überhaupt keine Lösungsmöglichkeiten angeboten. Bei Ihnen klang ehrlicherweise das Apel-Papier mit der Einkommensübertragung durch. Aber Sie haben überhaupt keine Lösungsangebote, wie man so etwas finanzieren soll. ({9}) Nun möchte ich ein Wort zu Frau Dr. Vollmer sagen, und zwar in Ergänzung der hervorragenden Ausführungen meines Kollegen Borchert.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege Eigen, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich, bitte schön. Wir debattieren hier ja und lesen nicht ab.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eigen, Sie haben auch Ihren Kollegen Herrn Borchert zitiert. Ich habe bisher nur von Ihrer Seite erfahren, was man alles nicht tun kann. Ein Viertel all unserer Berufskollegen verdient unterhalb der Sozialhilfe. Daß man endlich in die Diskussion eintreten darf -

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, Sie müssen fragen.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das haben Sie nicht zugegeben. Was wollen Sie da tun, Herr Kollege? ({0})

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Ergebnis, das Sie beklagen, ist das Ergebnis von 13 Jahren SPD-Regierung. ({0}) - Lieber Klaus Immer, lieber Kollege Immer, das, was Oostergetelo gesagt hat, ist für 25 % der Landwirte bitterer Ernst. Darüber würde ich mich nicht so außerordentlich amüsieren. ({1}) Wenn 25 % der Landwirte in einer solchen schlechten wirtschaftlichen Situation sind, ist das doch wohl bitterer Ernst. ({2}) Auch ich bin dafür, daß man Politik auch etwas mit Humor gestaltet. Aber man darf die Politik und auch gerade die Agrarpolitik nicht lächerlich machen. Ich würde Sie herzlich darum bitten, daß wir auch im Bereich der Agrarpolitik doch ein bißchen in der Würde des Hauses bleiben. ({3}) Ich möchte ein paar Worte zu Frau Dr. Vollmer und vor allen Dingen auch zur deutschen Öffentlichkeit sagen. Erstens. Unsere Methode der Landbewirtschaftung mit selbständigen bäuerlichen Familienbetrieben, mit dem Miteinander von Neben-, Zu- und Vollerwerbsbetrieben ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch die beste Landbewirtschaftung der Welt. ({4}) Sie ist allen anderen Landbewirtschaftungsformen haushoch überlegen, ({5}) allein schon deswegen, weil der Landwirt, der Bauer, der sich als Glied in der Kette der Generationen fühlt, natürlich ein persönliches Interesse daran hat, den Boden ständig fruchtbarer zu machen. Wir hier in Europa betreiben die einzige Landwirtschaft der Welt, die sicherstellt, daß der Boden jedes Jahr fruchtbarer wird, daß die Landschaft jedes Jahr schöner wird und nicht umgekehrt. ({6}) - Ich will den Satz eben zu Ende führen, dann gerne. Unsere Methode der Landbewirtschaftung ist dem hundert Jahre nacheinander weizenbauenden Farmerbetrieb im Mittelwesten der USA überlegen, ist der Kolchose in Rußland überlegen. Sie sehen an den Ertragsschwankungen, welche ökologischen Sünden man dort begangen hat, indem man diese Riesenkolchosen schuf. Wir sind der Hutungslandwirtschaft der Sahel-Zone überlegen. Nicht umsonst wächst die Wüste in Afrika ({7}) - die Sahara, ich bitte um Entschuldigung; ist das nicht etwas Ernstes? - jedes Jahr um die Größe der Bundesrepublik Deutschland. Das ist doch eine ernste Sache.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege Eigen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Vollmer?

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Eigen, gibt es Ihnen nicht zu denken, daß Sie noch vor ein, zwei Jahren, wenn wir auf die Schäden im deutschen Wald hingewiesen haben, gesagt haben, das seien Horrorgemälde, und gibt es Ihnen nicht zu denken, daß all das, was an Emissionen auf den Wald fällt, auch auf die Acker fällt und das, was den Wald betrifft, also irgendwann auch die Acker und die Menschen betreffen wird?

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Dr. Vollmer, ganz klar, da sind wir uns völlig einig. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß man auch viele Dinge des ökologischen Landbaus durchaus ernstnehmen und erwägen muß, ob man nicht in die normale Landbewirtschaftung bestimmte Dinge wie verbesserte Fruchtfolge etc. miteinbauen kann. Warum denn nicht? Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß man nicht ideologisch mit Scheuklappen durch die Gegend laufen und sagen kann, alle Chemie sei schlecht. Ohne Chemie gäbe es kein menschliches Leben. ({0}) - Wer gegen Chemie ist, soll sich erst einmal ohne Betäubung operieren lassen, und dann soll er wiederkommen ({1}) und hier große Sprüche machen. Frau Dr. Vollmer, noch eines möchte ich korrigieren: Sie sprachen davon, daß die Preise bei ökologischem Landbau um 20 % bis 30 % ansteigen würden. Das ist falsch. Diese Produkte würden um weit über 100 % teurer sein. Meine Berufskollegen und ich haben doch gar nichts gegen ökologischen Landbau. Der Landwirt, der das gerne will, soll das tun. Wenn er eine Marktnische findet und diese Produkte an reiche Leute absetzen kann, soll er das doch tun. Ich habe dagegen überhaupt nichts einzuwenden. ({2}) Nur, das mit den 20 %, das ist Volksverdummung. Die Differenz beträgt über 100 %. Ob unsere Volkswirtschaft solche Verwerfungen ertragen könnte, wenn statt jetzt 18 % - das ist eine riesige Leistung unserer Landwirtschaft - auf einmal wie vor 20 Jahren 44 % des Einkommens für Nahrungsmittel aufgewendet werden müßten, ob sie das verkraften könnte, ist fraglich. Fragen Sie einmal die Kollegen von der SPD, was wäre, wenn wir jetzt wieder auf 40 % hopsen würden. ({3}) - Nein, nein, Sie haben -

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege Eigen, ich muß Sie bitten - Eigen ({0}): Sofort. Ich komme sofort zum Schluß. ({1}) Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie haben den Vorsitz im Ausschuß für Forschung und Technologie bekommen. Sie werden dort erforschen, wieviel Sprossen man braucht, um die Leiter zu bauen, um auf den Baum zu kommen und Blätter zu essen. Das kriegen Sie fertig. ({2})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Sie haben die Zeit überschritten.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt komme ich zum Schluß. ({0}) Ein wichtiger Punkt soll hier bei der Agrardebatte nicht vergessen werden: Unsere Bauern und Gärtner und Fischer und Waldbauern können erwarten und müssen erwarten ...

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege - Eigen ({0}):..., daß dafür gesorgt wird, daß der Wettbewerb in Europa so gestaltet wird, daß auch für die deutsche Landwirtschaft nicht nur eine Überlebenschance besteht, sondern daß er auch die Leistungsfähigkeit der Familie beinhaltet.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege - Eigen ({0}): Die CDU/CSU-Fraktion wird die Politik von Bundeskanzler Kohl und von Ignaz Kiechle als Landwirtschaftsminister unterstützen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wird vor allem unsere Bauern nicht im Stich lassen, Herr Präsident. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit sind wir fast pünktlich am Ende der Aussprache über den Agrarbericht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Agrarbericht 1983 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ich frage zugleich, ob die Antragsteller des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/89 damit einverstanden sind, daß der Entschließungsantrag ebenfalls den genannten Ausschüssen überwiesen wird. - Beides ist der Fall, ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen. Ich rufe die Punkte 13 und 14 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 10/34 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 10/33 Ich bin davon unterrichtet, daß interfraktionell verabredet ist, bei den Tagesordnungspunkten 13 und 14 für die Aussprache einen Beitrag bis zu 15 Minuten für jede Fraktion vorzusehen. - Ich sehe, daß sich kein Widerspruch erhebt. Ich erteile als erstem dem Herrn Kollegen Spöri das Wort.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nach dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu untersuchenden Steuerbegünstigungen der Flick-Gruppe haben in der Öffentlichkeit, aber auch hier im Deutschen Bundestag zu jahrelangen intensiven Diskussionen und auch zu kritischen Fragen geführt. Das lag aus unserer Erfahrung daran, daß es sich erstens hier wohl um die größte Steuersubvention in der deutschen Wirtschaftsgeschichte überhaupt an eine einzelne Firma gehandelt hat, daß zweitens die wirtschafts- und die finanzpolitischen Meinungsunterschiede über diese Großsubvention kraß auseinandergegangen sind und daß dann drittens noch die Diskussion und der Meinungsstreit über die besondere volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit verschiedener Projekte der Flick-Gruppe in eine Zeit gefallen sind, die zunehmend durch Sparparolen geprägt war. Insofern war angesichts dieses Kontrasts die zunehmende Lautstärke dieses zunächst finanzpolitischen, rein fachpolitischen Meinungsstreits eigentlich nicht verwunderlich und aus meiner Sicht erwartbar. Dieser anfangs rein finanzpolitische Meinungsstreit wurde im eigentlichen Sinne des Wortes erst zur Flick-Affäre, als die Einleitung von Ermittlungsverfahren und die sich darum rankende Berichterstattung in den Medien ernsthaft die Frage finanzieller Einflußpraktiken auf diese Subventionsentscheidungen gestellt haben. Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine Frage, die an die Grundsubstanz unserer Demokratie rührt. Sie muß in diesem Parlament geklärt werden. ({0}) Von Affäre muß leider schon heute deshalb gesprochen werden, weil allein schon die undementierten Teile dieser Zusammenhänge einen unübersehbaren Vertrauensschaden in der Öffentlichkeit angerichtet haben, und dies unabhängig von der Frage, ob im einzelnen Rechtsbrüche vorliegen oder nicht. Wir sollten jetzt in dieser Debatte nicht etwa versuchen, die Ergebnisse des von uns beantragten Untersuchungsausschusses zu präjudizieren. Wir sollten uns aber allesamt hier in diesem Parlament keinen Illusionen hingeben: Allein dieser undementierte Teil des hier zutage getretenen Geflechts zwischen einem Großkonzern als Subventionsempfänger auf der einen Seite und dem politischen Raum auf der anderen Seite hat zu ungeheuer viel Mißtrauen in die Unabhängigkeit der Politik von der Wirtschaft geführt. ({1}) Diese Wirkungen werden uns unabhängig von den ausstehenden rechtlichen Klärungen politisch noch lange beschäftigen und unsere Arbeit belasten. Wenn wir den Vertrauensschaden, der sich hier abzeichnet, in Grenzen halten wollen, muß dieser Deutsche Bundestag alles unterstützen und alles tun, was in dieser Frage eventuell gesetzwidriger Einflußpraktiken oder aber auch nach unserem Demokratieverständnis anstößiger Einflußpraktiken Klärung bringen kann. ({2}) Wir müssen hier an Aufklärung alles unterstützen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wo das im einzelnen verschiedenen hier vertretenen politischen Richtungen Schmerzen bereiten mag. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat ihre Bereitschaft zur Transparenz in dieser Frage durch den vorliegenden Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unterstrichen. Sinn dieses Ausschusses ist nicht etwa eine Konkurrenzveranstaltung zu den laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Meine Damen und Herren, wir würden es übrigens sehr begrüßen, wenn diese Ermittlungen bald zum Abschluß gebracht werden könnten, und werden deshalb streng darauf achten, daß durch den Untersuchungsausschuß die staatsanwaltschaftlichen Aktivitäten nicht beeinträchtigt werden. ({3}) Das Untersuchungsziel dieses Ausschusses geht über den rein justitiablen Teil der Zusammenhänge hinaus. Über die Frage hinaus, ob tatsächlich Gesetzesverstöße vorliegen, soll nämlich geklärt werden, ob und inwieweit die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Macht eines großen Subventionsempfängers über die in einer parlamentarischen Demokratie vertretbare Interessenwahrnehmung hinausreichen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns an Hand dieses spektakulären Falles einmal klarmachen, ob es überhaupt und auf welchen Ebenen tatsächlich möglich sein kann, daß ein großer Konzern den Staat unter Einsatz finanzieller Mittel auf sein spezifisches Unternehmensinteresse programmieren kann. ({4}) Hier muß im Interesse der politischen Kultur unseres Landes Klarheit geschaffen werden. Diejenigen, die politische Macht nur einmal in vier Jahren bundespolitisch mit ihrer Stimmabgabe ausüben und die von Steuervorteilen à la Flick eigentlich nur träumen können, ja, deren Alltag durch Hiobsbotschaften wie BAföG-Streichung oder Kostenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt oder Verschiebung der Rentenanpassung geprägt ist, ({5}) haben ein Recht darauf, daß diese Einflußzone durchleuchtet wird und daß anschließend aus nachgewiesenen Fehlentwicklungen auch Konsequenzen gezogen werden, und zwar ohne Rücksicht auf Institutionen und Personen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Untersuchungsausschuß muß aber auch der wichtigen Frage nachgehen, ob nach den Erfahrungen bei der Entscheidung über diese Steuerbegünstigung die finanz- und die haushaltspolitischen Kontrollmöglichkeiten des Bundestages durch die gültigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zu sehr eingeengt sind. Es ist sogar zu fragen, ob diese Ausschaltung des Parlaments bei den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen - § 6 b Einkommensteuergesetz - und die gleichzeitige Beschneidung des parlamentarischen Fragerechts über ein überzogen ausgestaltetes Steuergeheimnis nicht die Gefahr, ja die Wahrscheinlichkeit massiver Einflußversuche auf die Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen geradezu provozieren müssen. Die praktischen Auswirkungen einer steuerlichen Spezialbestimmung in Form enormer Steuervorteile - für einen großen Konzern zirka 800 Millionen DM - werden den Untersuchungsausschuß aber vor allen Dingen mit dem Problem konfrontieren, ob nicht das wichtigste Kontrollrecht dieses Parlaments, die Kontrolle haushaltsrelevanter Entscheidungen der Regierung, hier unerträglich durchlöchert wird. Wenn durch eine steuerliche Spezialvollmacht die Regierung ohne Beteiligung des Parlaments, nicht einmal des Haushaltsausschusses, j a ohne Informationsrecht der Parlamentarier in der Substanz, wenn sie Auskünfte haben wollen, ({7}) theoretisch unbegrenzt über Milliarden D-Mark an Subventionen entscheiden kann, so ist das nicht mehr mit dem Königsrecht des Parlaments, der effektiven Haushaltskontrolle, zu vereinbaren, meine Damen und Herren. ({8}) Wenn ich hier auf Zwischenrufe eingehen darf: Herr Eigen, ich darf Ihnen nur sagen, daß diese Aussage überhaupt nicht parteibezogen ist, sondern daß mit dieser Aussage ein Grundproblem der steuerpolitischen Gesetzgebung angesprochen ist. ({9}) Meine Damen und Herren, ein wichtiger Untersuchungsgegenstand ist auch die Frage, ob nicht' inzwischen Zweifel an wichtigen Angaben des begünstigten Flick-Konzerns voll berechtigt sind. ({10}) Das Bundeswirtschaftsministerium hat mir auf Anfrage hin mitgeteilt, daß dort in einem Verwaltungsverfahren seit Dezember letzten Jahres geprüft wird, ob die Begünstigungen im Fall der Anlage des Flick-Konzerns in dem amerikanischen Mischkonzern Grace nicht deshalb gestrichen werden müssen, weil die damaligen Angaben zu angeblichen Kooperationsprojekten mit amerikanischen Firmen überhaupt nicht realisiert worden sind. ({11}) Immerhin müßte bei einer Rückgängigmachung dieser Begünstigung von zirka 400 Millionen DM annähernd die Hälfte der umstrittenen Steuerersparnisse zurückgezahlt werden. Das wäre immerhin schon etwas. Den in unserem Antrag vorgegebenen Untersuchungszielen kann nur dann mit einer ausreichenden Chance auf Klärung nachgegangen werden - das ist der wichtigste Punkt für die Arbeitsmöglichkeiten dieses Ausschusses -, wenn dem Kontrollrecht des Parlaments in Form des Instruments „Untersuchungsausschuß" nach Art. 44 des Grundgesetzes Vorrang vor dem Steuergeheimnis eingeräumt wird. ({12}) Dieser Ausschuß würde zur Farce, wenn jede konkrete Auskunft zu den wichtigsten Fragenkomplexen, die hier angesprochen sind, von vornherein mit dem Hinweis auf das Steuergeheimnis verbaut wird. Ich möchte hier daher für meine Fraktion vorsorglich darauf hinweisen, daß die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses keiner Beschränkung durch das Steuergeheimnis unterliegen kann. Nachdem in der Vergangenheit von interessierter Seite aus immer wieder versucht worden ist, dem Steuergeheimnis den Rang eines ungeschriebenen Verfassungsrecht einzuräumen, hat dankenswerterweise Professor Rupert Scholz, wie Sie wissen, kein SPD-Mitglied, sondern CDU-Mitglied, wir kennen ihn alle ({13}) - dann muß ich mich für diese Aussage entschuldigen -, ({14}) klargestellt, daß die Untersuchungsausschüsse ihre Schranken erst an der Verfassung selbst haben können. Die Exekutive ist danach verpflichtet, dem Aufklärungsverlangen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Folge zu leisten. Meine Fraktion geht davon aus, daß sich die Bundesregierung an diesem Grundsatz orientiert. Ich gehe auch davon aus, daß in dieser entscheidenden Frage zwischen den Fraktionen Konsens besteht, was den Untersuchungsausschuß anlangt. Meine Damen und Herren, eine den Untersuchungsausschuß in zentralen Fragen blockierende Handhabung des Steuergeheimnisses würde mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht führen. Wir könnten es nicht akzeptieren, wenn das Steuergeheimnis in diesem Fall als unantastbarer denn heilige Kühe in Indien behandelt wird. ({15}) Nachdem bereits die Staatsanwaltschaft ermittelt, kann es einem Parlament über das Steuergeheimnis wohl nicht verwehrt werden, zu untersuchen, ob es bei Anwendung der von ihm selbst verabschiedeten Gesetze mit rechten Dingen zugegangen ist oder ob hier etwa unter dem Einsatz wirtschaftlicher Macht nachgeholfen worden ist. Der von uns eingebrachte Antrag gibt einen breit detaillierten Fragenkatalog vor, der in der praktischen Ausschußarbeit durch Beweisanträge noch weiter aufgefächert wird. Wir wollen über diesen Ausschuß Transparenz über die wichtigsten Zusammenhänge der Flick-Affäre bekommen. Das allein wird eine höchst zeitaufwendige Angelegenheit sein. Deshalb hält es meine Fraktion nicht für sinnvoll, über den Flick-Komplex hinaus andere, zum Teil bei der Staatsanwaltschaft anhängige Vorgänge, mit denen wir uns in der Diskussion im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung und mit dem Gutachten zur Parteienfinanzierung sicher noch beschäftigen müssen, jetzt in diesen Ausschuß hineinzupacken. Damit würde der Ausschuß auf absehbare Zeit als unübersichtliche und damit ergebnislose Veranstaltung überfrachtet. Inzwischen gibt es in diesem Punkt erfreulicherweise ja wohl auch Einvernehmen. Dieser Untersuchungsausschuß beleuchtet Zusammenhänge, durch die das Grundverständnis unserer Demokratie in Zweifel gezogen wird. Es kann deshalb bei diesem Ausschuß nicht um billige wechselseitige Parteipolitik gehen. Es kann deshalb nicht um Häme und Schadenfreude gehen. Dazu ist der Untersuchungsgegenstand viel zu ernst. Da und dort mag auch der Gedanke aufkommen, warum diese unattraktive, j a für unsere Demokratie geradezu traumatische Affäre, die ja schon die Staatsanwaltschaft intensiv beschäftigt, jetzt noch zusätzlich in das grelle Rampenlicht, in das Scheinwerferlicht eines Untersuchungsausschusses gezerrt werden soll. Meine Damen und Herren, man kann nicht genug betonen, daß es geradezu die Stärke unseres parlamentarischen Systems ausmacht, wenn es in einem solchen Fall selbst unter Schmerzen einen aktiven und weitergehenden Beitrag zur Aufklärung leisten will. Die Demokratie wird durch einen arbeitsfähigen Untersuchungsausschuß in dieser Angelegenheit per Saldo nicht verlieren, sondern nach meiner festen Überzeugung gewinnen. Der Parlamentarismus in der Bundesrepublik kann hier seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Transparenz zeigen. Das ist bei allem schon eingetretenen Schaden eine Chance. An der Wahrnehmung dieser Chance wird sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion aufrichtig, aktiv und konstruktiv beteiligen. - Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Januar dieses Jahres hat die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" - ein bürgerliches Blatt, wie man sagen darf - folgendes geschrieben: Was da zutage kommt, wirkt mit seinen widerwärtigen Details über schwarze Kassen in Millionenhöhe, Zuwendungen in Kuverts, Durchstechereien und unverhohlenen politischen Ansinnen wie eine Horrorgeschichte über die Abgründe des Kapitalismus. Es zeigen, weil rundum betroffen, alle Parteien nur einen schwachen Impuls, sich mit dem Skandal zu beschäftigen. ({0}) Nichts dagegen, daß die Staatsanwaltschaft in Ruhe zu Ende ermittelt. Das kann der Sache nur nützen. Aber dann sollte in dieses Dunkel viel Licht gebracht werden, nicht zuletzt aus sozialhygienischen Gründen. So die „Frankfurter Allgemeine Zeitung". Ein vom Bundestag einzusetzender Untersuchungsausschuß könnte und sollte ein Instrument sein, um die rückhaltslose Aufklärung der Geschehnisse unter politischen Vorzeichen zu erreichen. Eine Ausleuchtung der Szene von wuchernden Verflechtungen zwischen Kapitaleignern und einer bestimmten Sorte von Politikern ({1}) wird aber nicht gelingen, wenn der Untersuchungsausschuß nur mit einem Taschenlämpchen statt mit lichtstarken Scheinwerfern ausgerüstet wird. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 2. August 1978 mit Recht darauf hingewiesen, daß das Ausschußverfahren seinen Sinn verlieren kann, wenn der Ausschuß den zu überprüfenden Sachverhalt von vornherein nur unter einem eingeengten Blickwinkel untersucht und damit dem Parlament und auch der Öffentlichkeit allenSchily falls eine verzerrte Darstellung vermitteln kann. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts muß auch ein höherer Zeitaufwand der Ausschußarbeit in Kauf genommen werden, wenn dieser nötig ist, um ein umfassendes und wirklichkeitsgetreues Bild der aufzukärenden Mißstände zu vermitteln. Der SPD-Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der für sich begrüßenswert ist und der zum Teil mit unserem Antrag identisch ist, krankt aber daran, daß er die Untersuchungen auf das Verhalten des Flick-Konzerns und seiner Beauftragten beschränken will. Damit würde aber ein wesentlicher Fragenkomplex ausgeklammert, der das Verhalten der betroffenen Parteien selbst zum Gegenstand hat. Der Antrag der SPD beschäftigt sich im wesentlichen mit den Entscheidungsvorgängen im Zusammenhang mit den Steuergeschenken an den Flick-Konzern, während die Frage, ob sich die betroffenen Parteien Spenden auf unlautere und ungesetzliche Weise verschafft haben und ob sie ihren Verpflichtungen - darauf legen wir besonderen Wert - zur Rechenschaftslegung über die Herkunft von Spenden nachgekommen sind, ausgeklammert wird. Die von der SPD-Fraktion vorgenommene Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes ist um so fataler, als die Staatsanwaltschaft nicht für die Prüfung zuständig ist, ob die Parteien ihre Verpflichtung zur Rechenschaftslegung hinsichtlich der Herkunft ihrer Finanzmittel erfüllt haben oder nicht. ({3}) Die Öffentlichkeit hat aber Anspruch darauf, in allen Einzelheiten zu erfahren, ob sich die Parteien und die Parlamentsabgeordneten an die ihnen durch Verfassung und Gesetz auferlegten Pflichten halten. ({4}) Das an die Parteien gerichtete Gebot, über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben, findet sich in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes; das Gebot hat somit Verfassungsrang. Es ist in § 25 des Parteiengesetzes bekanntlich in der Weise konkretisiert, daß Spender, deren Zuwendungen in einem Kalenderjahr 20 000 DM im Gesamtwert übersteigen, in dem jährlichen Rechenschaftsbericht namentlich aufgeführt werden müssen. Es muß als ein äußerst schwerwiegender Verfassungsbruch bezeichnet werden, wenn gegen dieses Verfassungsgebot über Jahre und Jahrzehnte hinweg verstoßen wurde. Dafür gibt es eine Vielzahl von Anzeichen. Ich erinnere nur daran, daß in einer Schutzschrift des Verteidigers einer der in den staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren Beschuldigten wörtlich ausgeführt wird: Es ist für einen Schatzmeister einer Partei üblich, der Bitte, den Spender ungenannt zu lassen, zu entsprechen. Was da mit schlichten Worten eingestanden wird, ist nichts anderes als die Üblichkeit des Verfassungsbruchs. Wir wissen inzwischen auch, daß der Flick-Konzern die Parteien, die ihm wohlgesonnen sind oder denen er Sympathie entgegenbringt, mit beträchtlichen Geldern ausgestattet hat. Allein die CSU soll in den Jahren 1975 bis 1979 1 Million DM Flick-Spenden vereinnahmt haben. ({5}) Der Bundeskanzler selbst soll sich bei der Entgegennahme von Flick-Spenden nicht spröde gezeigt haben. Nun schauen Sie aber einmal in den Rechenschaftsberichten der betroffenen Parteien nach. Sie werden sie ja vielleicht kennen. Sie werden nirgends den Namen Flick finden. Oder will jemand behaupten, daß Flick die betroffenen Parteien nur mit Summen bis zu 20 000 DM jährlich bedient hat? 20 000 DM, das sind für diesen Verein offenkundig doch nur Trinkgelder, mit denen sich kein Staat machen bzw. aushalten läßt. Die herausragende Bedeutung des Verfassungsgebots in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes, das den Parteien auferlegt, über die Herkunft ihrer Finanzmittel öffentlich Rechenschaft abzulegen, hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung wie folgt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus den Urteilen vom 19. Juli 1966 und 24. Juli 1979 zitieren - sehr eindringlich beschrieben: Der Verfassungsgeber hat mit dem Gebot der Rechenschaftslegung beabsichtigt, Vorsorge zu treffen, daß die Öffentlichkeit Kenntnis über die Herkunft der Mittel der Parteien erhält, ({6}) damit ersichtlich ist, wer hinter einer politischen Gruppe steht. Mit dieser Bestimmung will das Grundgesetz der Gefahr entgegenwirken, daß anonyme Interessenten allein auf Grund ihrer Kapitalmacht auch auf dem Umweg über die Parteikassen die öffentliche Meinung dirigieren und so indirekt eine enorme politische Macht entwickeln und Einfluß auf die staatliche Willensbildung gewinnen. Das Verfassungsverbot zielt darauf ab, den Prozeß der politischen Willensbildung für den Wähler durchschaubar zu machen und ihm zu offenbaren, welche Gruppen, Verbände oder Privatpersonen im Sinne ihrer Interessen durch Geldzuwendungen auf die Parteien politisch einzuwirken suchen. Es will Zuwendungen, mit deren Hilfe finanzkräftige Geldgeber die Werbemöglichkeiten einer Partei erhöhen und damit ihren eigenen politischen Einfluß verstärken, durch Offenlegung unter die Kontrolle der Öffentlichkeit stellen. Damit soll zugleich die Chancengleichheit der Parteien gesichert werden. In dem weiteren Urteil heißt es: Der Gefahr, daß anonyme Großspender durch ins Gewicht fallende finanzielle Zuwendungen auf die längerfristige Zielsetzung der begün426 stigten Partei oder sie berührende innerparteiliche Entscheidungen von Einzelfragen einzuwirken versuchen, um so indirekt mehr oder minder großen Einfluß auf die staatliche Willensbildung zu gewinnen, begegnet das Grundgesetz durch das in Art. 21 an die Parteien gerichtete Gebot. Diesem Verfassungsgebot kommt zentrale Bedeutung zu. So das Bundesverfassungsgericht. An Klarheit lassen diese Sätze des Bundesverfassungsgerichts wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Um so mehr ist es mit aller Schärfe und Entschiedenheit den betroffenen Parteien vorzuwerfen, wenn sie sich bewußt über ein Verfassungsgebot von solch zentraler Bedeutung hinweggesetzt haben. Wenn sich die Mehrheit dieses Hauses unserem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entgegenstellt, wird sich der Eindruck in der Öffentlichkeit verstärken und festigen, daß sich die betroffenen Parteien einer wirklichen Aufklärung des „Bonner Watergate", wie es die „Süddeutsche Zeitung" genannt hat, widersetzen, weil sie die Erkenntnisse, die die Arbeit eines solchen Untersuchungsausschusses zutage fördern würden, ({7}) zu fürchten haben. Ich finde es einen schlechten Stil, Herr Bundeskanzler - das gehört in diesen Zusammenhang -, daß Sie heute hinter verschlossenen Türen mit den Fraktionsvorsitzenden mit Ausnahme der GRÜNEN Unterhaltungen über Parteienfinanzierung geführt haben. Was soll denn da eigentlich wiederum der Öffentlichkeit verborgen gehalten werden? ({8}) Eine Politik, die sich den Interessen einiger weniger Großverdiener prostituiert, die sich als käuflich erweist, die deshalb das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hat, wird jedenfalls das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Funktionieren parlamentarisch-demokratischer Institutionen nicht erhöhen. Im Gegenteil! Heute morgen ist wieder in der Debatte über den Enquete-Bericht zum Jugendprotest der Verfall des Rechtsbewußtseins bei der Jugend bejammert worden. ({9}) Aber was ist von diesem Gejammer zu halten, wenn die Verelendung des Rechtsbewußtseins bei den von dem Spendenskandal betroffenen Parteien schon so weit gediehen ist, daß sie fortgesetzt elementare Verfassungsgrundsätze in rüder Weise mißachten? ({10}) In dem Bericht der vom Bundespräsidenten einberufenen Kommission über die Parteienfinanzierung findet sich ein ebenso bemerkenswerter wie bedenklicher Satz. Ich zitiere: Es ist aber einer freiheitlichen Demokratie in höchstem Grade unwürdig, die sie tragenden politischen Parteien in eine Situation zu versetzen, die sie zwingt, entweder auf ihnen zugedachte Spenden zu verzichten oder stets am Rande der Legalität operieren zu müssen. Wie das denn, kann ich nur fragen. Sind die Verfassung, sind das Parteiengesetz, sind die Strafgesetze für die betroffenen Parteien nur dann verbindlich, wenn das Geld reicht? Wenn Sie sich so verhalten, meine Damen und Herren, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn andere es auf die Ihnen sicher nicht sympatische Formel bringen: legal - illegal - scheißegal, wenn Sie sich gleich so verhalten. ({11}) Eine Bemerkung zum Schluß. ({12}) Unser Antrag unterscheidet sich von dem der SPDFraktion auch insofern, ({13}) als wir die Forderung erheben, daß dem Untersuchungsausschuß zwei Mitglieder unserer Fraktion angehören sollen. Damit soll sichergestellt werden, daß ein Vertreter der Belegschaft der Firma Daimler-Benz, unser Freund Willi Hoss, an dem Ausschuß mitwirken kann. Ich finde, diese Belegschaft hat ein besonderes Interesse an den Vorgängen, die hier zur Debatte stehen und die aufzuklären sind. - Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Langner.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion sagt ja zu der von der SPD beantragten Untersuchung. Aufzuklären ist da im Sachverhalt aus der Regierungszeit von Altkanzler Schmidt, und Herr Spöri, ich wundere mich eigentlich über die Sicherheit des einen oder anderen Urteils, das Sie heute hier schon gefällt haben, und auch über den Zeitpunkt, zu dem Ihnen diese Urteile erst einfallen. Es gibt Verlautbarungen und Veröffentlichungen zu dem Komplex in großer Fülle. Was trifft zu, was nicht? Wir wollen bei dieser Untersuchung erfahren, sine era et studio, wie es eigentlich wirklich gewesen ist. Nur so können wir zu den auch von Ihnen gewünschten gesetzgeberischen Konsequenzen kommen, wenn sie erforderlich sind. Da verschließen wir uns einem möglichen Ergebnis überhaupt nicht. Eine Klärung der erhobenen Vorwürfe der Vorteilsannahme ist auch unserer Auffassung nach dringend. Sie ist dringend im Interesse des Staates. Sie ist dringend im Interesse des Ansehens der öffentlichen Verwaltung. Sie ist aber auch nicht weDr. Langner niger dringend im Interesse der Betroffenen, die jetzt seit Jahren größten Verdächtigungen ausgesetzt sind. ({0}) Wir hätten es allerdings begrüßt, wenn zunächst das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft hätte abgeschlossen werden können, und zwar ohne publizistische Vorverurteilungen. ({1}) Das Nebeneinander von Ermittlungsverfahren und Untersuchung - zulässig - ist nicht besonders glücklich. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden allerdings im Untersuchungsausschuß unser besonderes Augenmerk darauf richten, daß der Ausschuß kein Instrument der Verzögerung oder zur Behinderung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wird. Das würden wir nicht mitmachen, ({2}) um so weniger, als die Ermittlungsverfahren bereits durch Veröffentlichung von Teilen der Ermittlungsakten ins Zwielicht geraten sind. ({3}) Leider ist, wie die Arbeit des Untersuchungsausschusses im Düsseldorfer Landtag zeigt, nicht auszuschließen, daß aus amtlichen Stellen heraus hier eine Kampagne fortgesetzter Vorverurteilungen führender Politiker Unterstützung erfahren hat. ({4}) Das unzulässige Publizieren von Akten der Staatsanwaltschaft erweist dem Rechtsstaat keinen Dienst. Im Gegenteil. ({5}) Denn es handelt sich ja nicht um Vorgänge, die durch die Presse erst aufgedeckt oder aufgeklärt werden müßten. Die staatlichen Organe, die Staatsanwaltschaften, sind seit langem tätig. Im angelsächsischen Rechtskreis, dem wir über die Bedeutung und den Rang von Pressefreiheit sicher nichts beibringen müssen, wäre ein solcher contempt of court undenkbar und würde zur sofortigen Einstellung des Verfahrens, und zur Verurteilung derer, die so etwas veröffentlichen, führen. ({6}) Mit Effekthascherei dienen wir nicht der Aufklärung, die wir brauchen und wünschen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Eine Sekunde! Darf ich fragen, ob der Kollege, der gerade das Wort hat, eine Zwischenfrage erlaubt?

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling. Bitte schön.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Langner, stimmen Sie mir zu, daß es im angelsächsischen Rechtskreis auch unmöglich wäre, so lange als ein Betroffener des Ermittlungsverfahrens dieses Verfahren selber hinauszuzögern, indem man eine Antwort auf gestellte Fragen verweigert? ({0})

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im angelsächsischen Rechtskreis wäre von der ermittelnden Behörde das Verfahren längst abgeschlossen worden, Herr Kollege Sperling. Es hätte nie so lange gedauert wie bei uns. ({0}) Mit Effekthascherei dienen wir nicht der Aufklärung, die wir brauchen und die wir wünschen. Herr Schily, in der Debatte über die Regierungserklärung haben Sie uns schon die Skizze für eine Sündenbockfigur eines finsteren Kapitalisten gezeichnet. Sie haben dabei Formulierungen verwendet, bei denen Sie sich eigentlich überlegen sollten, in welche geistige Nähe Sie sich da bringen, ({1}) wenn Sie im Rollentausch vom Terroristenverteidiger zum Kapitalistenankläger - ({2}) - Lassen Sie mich diesen Satz fertigmachen! ({3}) Bei diesem Rollentausch sollten Sie jedenfalls einen Satz nie vergessen: ({4}) Bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt jeder Bürger als unschuldig. ({5})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, können Sie einen einzigen Satz von mir zitieren, in dem ich einen der Betroffenen im vorhinein als schuldig bezeichnet habe? Und ist Ihnen bekannt, daß ich im Wahlkampf stets erklärt habe, daß jeder der Betroffenen, auch ein Minister, Anspruch auf Wahrung seiner Unschuldsvermutung hat? ({0}) Und ist Ihnen bekannt, daß manche die Unschuldsvermutung, die in der Menschenrechtskonvention verankert ist, erst heute wieder entdecken, die sie früher lange vergessen hatten? ({1})

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, Sie wünschen ein Zitat. Ich kann Ihnen das gern bringen. Sie fragten vor kurzem hier im Haus: Was ist denn gewagt worden, damit die Flick-Millionen zusammenkamen? Ihre Antwort: An den Flick-Millionen klebt noch das Blut der Arisierungs- und Ausrottungsaktionen des Dritten Reichs. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn das nicht Stimmungsmache ist! ({1}) Der Antrag der GRÜNEN beschäftigt sich nicht nur mit dem 6 b-Komplex, sondern mit weiteren Fragen der Parteienfinanzierung. Dieser zweite Bereich bedarf derzeit nach unserer Auffassung keiner parlamentarischen Untersuchung. Er ist weitgehend bekannt. Der Bericht über die Parteienfinanzierung liegt vor. Das Thema wird das Parlament noch in aller Breite beschäftigen. Auch der Parteivorsitzende der CDU hat sich heute anläßlich einer Einladung an andere Parteivorsitzende mit diesen Fragen beschäftigt. Wir werden hier in diesem Haus ausgiebig, in aller Breite, nehme in an, darüber diskutieren. Entscheidend scheint uns aber zu sein - das ist der Vorzug des Antrags der SPD -, daß durch eine solche Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes von dem eigentlichen Thema abgelenkt würde, nämlich ob Mißstände bei einer früheren Bundesregierung im Zusammenhang mit einer Steuerstundungsentscheidung festzustellen sind. Das ist das Thema des Untersuchungsausschusses. Unsere Aufgabe als Parlament ist die Kontrolle der Regierung, und davon wollen wir uns nicht abbringen lassen. Wollte man aber tatsächlich untersuchen, ob und welche finanziellen und ähnlichen Einflußnahmen es auf Parteien und deren Mitglieder gab oder gibt, dann könnte von einer solchen Untersuchung selbstverständlich auch die Partei der GRÜNEN nicht ausgenommen sein. Immerhin gibt es hier einiges, was von Interesse wäre. Man muß das politisch diskutieren, ohne daß man gleich eine Enquete beantragt. Die Partei der GRÜNEN hat sich nach dem Kommissionsbericht beispielsweise 1979 zu 98,2 % aus staatlichen Mittel finanziert. ({2}) Kollege Schily wird uns sicherlich gelegentlich einmal erklären, wie sich dies mit den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Parteienfinanzierung aufgestellt hat, eigentlich vereinbart. ({3}) - Nachdem ich zwei Zwischenfragen beantwortet habe, möchte ich jetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen. - Die Öffentlichkeit weiß aber nicht, wie Sie das Geld ausgeben, denn entsprechende Auskünfte haben Sie als einzige Partei der Kommission verweigert. ({4}) Wir wissen auch nicht, wie es sonst mit der finanziellen Unterstützung führender Mitglieder der GRÜNEN aussieht. Wir lesen nur, daß es da eine lebhafte Debatte in Ihren Reihen gibt. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen werden wir aber keine Untersuchung beantragen. ({6}) Wir lesen in der Zeitung weiter, daß es gewisse Verbindungen der GRÜNEN zu dem libyschen Diktator Gaddafi gibt. ({7}) - Es ist doch merkwürdig, wie unruhig diese Damen und Herren werden, wenn es einmal um sie geht. ({8}) Im Angreifen groß, im Zuhören schwach. ({9}) Wir lesen da von Treffen in Wien und später auch in Libyen, ({10}) und wir lesen, daß solche Reisen auch von dort finanziert worden sein sollen. Wir wissen es nicht, es stand in der Zeitung, und es ist in Ihren Kreisen ja lebhaft diskutiert worden. ({11}) Wenn man das liest und gleichzeitig weiß, mit welchen Methoden Gaddafi auch über die Grenzen seines Staates hinaus zu herrschen versucht, dann drängen sich doch die Fragen auf: Was will Gaddafi, wenn die Presseberichte stimmen, eigentlich mit dieser finanziellen Unterstützung? ({12}) Was wollen Sie da lernen, z. B. aus diesem grünen Buch „Die dritte Universaltheorie"? ({13}) Wollen Sie da etwa die großartige Erkenntnis lernen: ({14}) „Es ist heute wohl unbestritten, daß Mann und Frau menschliche Wesen sind." ({15}) Oder geht es Ihnen um die Erkenntnis von Herrn Gaddafi an einer anderen Stelle - ich zitiere -: Ein Parlament ({16}) - das sollten wir doch einmal mit Ruhe hören ist eine Mißrepräsentation des Volkes, und parlamentarische Regierungen sind irreführende Lösungen des Demokratieproblems. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Zitate dieser Art könnten fortgesetzt werden. Sie sehen, daß das Parteienthema ein unerschöpfliches Thema ({18}) und gut geeignet wäre, uns von dem eigentlichen Gegenstand, um den es geht, abzulenken. ({19}) Es sollte aber in dieser Debatte nicht der Eindruck entstehen, als sei die Parteienfinanzierung und als seien ({20}) Parteispenden durch die Wirtschaft oder durch einzelne generell etwas Schlechtes. Das ist keineswegs der Fall. Das Bundesverfassungsgericht sagt klar, daß eine ausschließliche staatliche Parteienfinanzierung nicht in Betracht kommen kann. Wenn dem so ist, brauchen Parteien Mitgliedsbeiträge und Spenden. Sie sind unerläßlich. ({21}) Was abzulehnen ist, das ist das Erkaufen von Einflußnahme mittels Geld. Darum geht es. Das wollen wir untersuchen. Wir werden uns auch mit der Frage beschäftigen, ob man die Vorschrift des § 6 b des Einkommensteuergesetzes anders fassen sollte. Dies scheint auch ein Anliegen des SPD-Antrages zu sein. Allerdings gehen meine Überlegungen da in eine etwas andere Richtung als das, was Herr Spöri angedeutet hat. Aber wir werden darüber reden müssen. ({22}) - Nein. Wenn es einen klaren Rechtsanspruch bei § 6 b bei einem klar umgrenzten Tatbestand gäbe, wenn es z. B. keine Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Ministerien gäbe, dann könnte auch kein Verdacht entstehen, daß irgendwelches Mäzenatentum absichtsvoll sei und man verstimmt sein müßte. Worum geht es eigentlich im Kern bei der Vorschrift des § 613? Hans Mundorf schrieb kürzlich im Handelsblatt dem § 6 b die Rolle zu, eine Besteuerung inflationär verursachter Scheingewinne zu vermeiden. Wenn, so sagte er, im privaten Bereich Veräußerungsgewinne regelmäßig steuerfrei blieben, wenn zu Recht der Abbau heimlicher Steuererhöhungen, die Anpassung des Tarifs an die Inflation gefordert würden, dann sei ein - ich füge hinzu: gestraffter und entbürokratisierter - § 6 b die richtige Ergänzung der Besteuerung im Unternehmensbereich. Auf die Prognose von Beamten - damit möchte ich dann schließen -, was volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig sei, sollte man nach meiner Auffassung allerdings nach Möglichkeit verzichten. Dieser Untersuchungsausschuß könnte dann ein Erfolg werden, wenn wir Tatsachen ermitteln und nicht Verdächtigungen streuen und wenn am Ende ein durchdachter Reformvorschlag zur Unternehmensbesteuerung im 6-b-Bereich mit herauskäme. - Vielen Dank. ({23})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({0}).

Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002078, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Langner. Ich finde, für Ihren sehr seltsamen Vergleich in bezug auf die berufliche Rolle von Herrn Schily sollten Sie sich entschuldigen, ({0}) weil er einen Mann betrifft, der rechtsstaatliche Gegebenheiten in sehr schwierigen Prozessen wahrgenommen hat und dem aus seinem konkreten Verhalten niemals ein Vorwurf gemacht worden ist, gemacht werden konnte. ({1}) Ich finde, daß es zu einer Debatte wie dieser auch gehört, daß man das berücksichtigt. ({2}) Ein Zweites zu dem, was Sie hier gemacht haben. Sie haben eine Pressebeschimpfung vorgenommen, obwohl es doch wahr ist, daß es allein die Presse - jedenfalls vorrangig die Presse - gewesen ist, deren Berichterstattung dazu geführt hat, daß wir heute überhaupt über die Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses diskutieren. ({3}) In einer Demokratie haben wir Anlaß, uns in dieser Frage bei der Presse zu bedanken, und zwar wir alle, auch Sie. Wir haben aber überhaupt keinen Anlaß, nach der Methode des „Haltet-den-Dieb" zu verfahren, wie Sie es getan haben, und Vorwürfe an eine Presse zu formulieren, die ihre Wächterfunk430 Schröder ({4}) tion in dieser Frage sehr wohl wahrgenommen hat. ({5}) Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Kampagne und von Vorverurteilung reden, dann bin ich mit Ihnen und sicher auch mit Herrn Kollegen Schily - auch aus beruflicher Sicht - einig, daß es Vorverurteilungen nicht geben darf, durch uns nicht und auch durch die Presse nicht. ({6}) Aber wegen der Rolle der Parteien, die in dieser Frage in der Vergangenheit nicht glanzvoll war, hat die Presse recht daran getan, hier eher zu überziehen, als sich defensiv zu verhalten. Deswegen sollte diese Bemerkung von Ihnen - auch in bezug auf die Funktion der Presse - so nicht stehen bleiben. Im übrigen: Wo sind Sie denn eigentlich, wenn es um Vorverurteilungen geht, wenn es z. B. darum geht, mehr als 140 Jugendliche in Nürnberg vor Vorverurteilungen zu schützen? Wo sind Sie da? ({7}) Ich finde, wir haben keinen Anlaß, Pressebeschimpfungen vorzunehmen oder uns über angebliche Vorverurteilungen sehr lautstark zu beklagen. Wir haben Anlaß, über das nachzudenken, was uns zu beschäftigen hat. Dazu will ich ein paar Bemerkungen machen. Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, daß nicht nur Flick, sondern auch die Parteien in Verruf geraten sind. ({8}) Der Verdacht, daß - um es sehr vorsichtig auszudrücken - Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, bewegt doch wohl viele Menschen. Ebenso viele Menschen - das ist ein Politikum - treibt die Vermutung um, unter Verwendung der so häufig strapazierten Formel von der Solidarität der Demokraten könnte eine in Wahrheit bestehende Kumpanei der Betroffenen eine schonungslose Aufklärung der Vorgänge verhindern. Ich denke, wir sind einig, daß dies, wenn es denn einträte, die Glaubwürdigkeit der politischen Parteien zerstören würde. Aber - so will ich fragen -: Geht es eigentlich wirklich nur um die Glaubwürdigkeit der politischen Parteien? Es gibt ein neues Handbuch für Verfassungsrecht; ein lesenswertes Werk. Ich habe darin einmal nachgelesen, was in bezug auf das Thema unter anderem geschrieben wird. Dort schreibt der Bielefelder Rechtsprofessor Grimm: Parteienrecht ist eine abhängige Variable des Demokratieprinzips, wie freilich auch die konkrete Gestalt einer Demokratie wiederum von der rechtlichen Stellung - dann kommt es und der faktischen Beschaffenheit ihrer politischen Parteien mitgeprägt wird. Ich denke, der Mann hat recht. Weil das so ist, geht es um mehr als um das Ansehen der einen oder anderen Partei. Das sollten auch jene bedenken, die so ein bißchen klammheimliche Freude über das ramponierte Ansehen jener Parteien verspüren, die sie allzu leicht und allzu häufig „etabliert" nennen - ein Sprachgebrauch im übrigen, der schleunigst aufgegeben werden sollte, und zwar deswegen, weil er an den Kampfbegriff der „Systemparteien" anknüpft, mit dem einmal Parteienverdrossenheit antidemokratisch genutzt worden ist. ({9}) Worum, so frage ich, geht es im Kern? Wegen der Stellung der Parteien im Verfassungsgefüge berührt der Spendenskandal die Grundlagen unseres politischen Systems. Um dessen Glaubwürdigkeit geht es letztlich. Es geht um die Glaubwürdigkeit eines politischen Systems, das schlechterdings davon lebt, daß Richtschnur des Handelns seiner Repräsentanten der in Wahlen und politischen Aktionen ausgedrückte Wille der Millionen und nicht das Geld der Millionäre ist. Es geht - und das ist wichtig - um die Freiheit des politischen Prozesses. Gerade Sie, die Sie diesen Begriff inflationär verwenden, sollten hier aufmerksam zuhören; denn diese Freiheit des politischen Prozesses ist bedroht. Auch insoweit ist dem zitierten Juristen Grimm wohl zuzustimmen, wenn er im selben Handbuch schreibt: „Frei ist der politische Prozeß allerdings nicht schon dann, wenn er staatsfrei ist. Er muß vielmehr auch vor Verzerrungen durch gesellschaftliche, namentlich wirtschaftlich begründete Macht bewahrt werden." ({10}) Es ist daher gut, daß es diesen Untersuchungsausschuß geben wird. Gut aber nur dann, wenn er nicht nur eingesetzt wird, sondern wenn er Ergebnisse hervorbringt, die zeigen, daß wir es mit einer schonungslosen Untersuchung ernst meinen. Untersuchungsgegenstand dieses Ausschusses sollte die Frage sein, ob von Flick Geld eingesetzt und auf der anderen Seite genommen wurde, um ein bestimmtes politisches Handeln zu beeinflussen, und wenn ja, wie und mit wessen Beteiligung das vonstatten gegangen ist. Übrigens auch hier, Herr Langner, korrekt bleiben. Es geht nicht darum ob der Regierung Schmidt - dem Sie auch ganz gern hier ein Bonbon anhaften wollten; Sie haben immer von der Regierung Schmidt geredet - Fehlverhalten vorzuwerfen ist, sondern es geht darum, ob dem in dieser Frage zur Entscheidung befugten Wirtschaftsminister politisches, ja sogar justitiables Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dies sollten wir, so finde ich, nicht verwischen lassen. ({11}) Diese Frage soll offen und öffentlich am Beispiel der Firma Flick untersucht werden. Wenn Sie wollen, exemplarisch; weil hier doch der Verdacht mehr als berechtigt erscheint. Schröder ({12}) Im übrigen haben Sie Herrn Kollegen Schily zu unrecht kritisiert. Es ist schon bemerkenswert, daß es wieder einmal um Flick geht, um jene Firmengruppe und Familie also - und das ist historische Wahrheit -, deren Geld schon einmal zur Zerstörung der Demokratie eingesetzt wurde. ({13}) Ich komme jetzt zu dem, was meine Fraktion mit ihrem Antrag vom Antrag der Fraktion der GRÜNEN unterscheidet. Ich bitte, Herr Kollege Schily, dies auf dem Hintergrund dessen zu verstehen, was ich eben versucht habe, deutlich zu machen, weil es uns ernsthaft nicht um Verschweigen geht, sondern um Aufklärung. Ich habe zur Vorbereitung dessen, was ich hier zu sagen habe, mir sehr genau die Schutzschrift des Anwaltes des Flick-Managers von Brauchitsch durchgelesen. ({14}) - Die war in der „Frankfurter Rundschau" abgedruckt, im „Spiegel" auch. Damit das ganz klar ist: Ich gehe davon aus, daß nach Aufforderung durch den betroffenen Anwalt die „Frankfurter Rundschau" das erbetene Honorar auch gezahlt hat; denn dies hat er verlangt. Das ist zwar Geschmacksache, aber rechtlich korrekt war das schon. Da ich die Zeitung als seriös einschätze, werden die auch gezahlt haben. Wer diese Schutzschrift liest, dem erschließt sich eine bestimmte Verteidigungsstrategie dieses - und das muß man ihm lassen - wahrlich guten Anwaltes. Die Verteidigungsstrategie ist nämlich die, von Flick abzulenken, von der Frage, ob die Beauftragten Flicks vor allem den Wirtschaftsminister „geflickt" haben. Von dieser Frage soll abgelenkt werden, und als Mittel der Ablenkung dient der Versuch, möglichst viele Tatbestände, und natürlich auch Personen, in die Sache mit hineinzuziehen, was, wenn man Ihrem Antrag folgte - das sage ich den sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN -, zur Folge hätte, daß durch dieses Verfahren und die damit gegebenen rechtlichen Möglichkeiten der Kern der Sache, um den es hier geht, verwischt würde ({15}) und wir deshalb zu keinem greifbaren Ergebnis jedenfalls in einer Zeit kämen, in der diese Sache eben historisch noch am Kochen ist. Und ein Ergebnis, denke ich, sollten wir wollen. ({16}) Das erkennbare Ziel dieser Schutzschrift ist nämlich nicht Klarheit, sondern Verwirrung. Wir sollten auf diese Art der Verteidigungsstrategie nicht dadurch hereinfallen, daß wir sie sozusagen kopieren und in unsere Anträge mit hineinnehmen. Das, was Sie wollen, nämlich Klarheit nicht nur über die Geber, auch über die Empfänger, Herr Kollege Schily, dies wird geschehen. Wenn gegeben worden ist, muß man auch gucken, wer es genommen hat. Dies wird geschehen, und das kann auch geschehen, wenn wir darangehen, die erforderlichen Beweisanträge zu formulieren. Ich sage also, gerade weil wir eine schonungslose Untersuchung wollen, eine erfolgsorientierte Untersuchung, sind wir für die Beschränkung des Untersuchungsauftrages. Schonungslos werden wir im übrigen auch gegen uns selbst sein. Ich sage das, weil ich davon ausgehe, daß Sozialdemokraten sich in dieser Frage nichts vorzuwerfen haben. ({17}) Sollte es anders sein, werden Sie sehen, und werden die sehen, die unser Treiben aufmerksam beobachten, daß wir in der Lage sind, die Konsequenzen zu ziehen. ({18}) Ich sage also, wir dürfen auf die Strategie nicht hereinfallen, und deswegen insoweit die Beschränkung des Auftrages. Meine Fraktion wird im übrigen auch nicht dem anderen Teil Ihres Zusatzes, wenn ich es so ausdrücken darf, zustimmen, der sich mit den Vorgängen um die sogenannte Amnestie befaßt. Heute morgen - Sie haben j a offenbar zugehört - hat der Fraktionsvorsitzende unserer Fraktion, Hans-Jochen Vogel, schon in aller notwendigen Klarheit zu dem, lassen Sie es mich sagen, Versuch Stellung genommen, unter dem, wie ich finde, hier falsch verstandenen Begriff der Solidarität Dinge zu machen, die mit dem Rechtsbewußtsein meiner Fraktion nicht in Einklang zu bringen sind. Die Motive mögen ehrenwert gewesen sein; aber ebenso sicher war es falsch verstandene Solidarität. Wenn ich über das Rechtsbewußtsein meiner Fraktion in dieser Frage rede, lassen Sie mich sagen, daß der Versuch, an diesem Punkt etwas unter den Teppich zu kehren, an der Aufmerksamkeit der Presse einerseits, aber auch am Rechtsbewußtsein meiner Fraktion gescheitert ist. ({19}) Sie werden verstehen, daß ich ein wenig stolz darauf bin, daß dieses in einer nicht ganz einfachen politischen Situation möglich war. Ich bin stolz darauf, nicht zuletzt deshalb, weil ich weiß, daß diese Haltung des Nicht-unter-den-Teppich-Kehrens die Arbeit der Mitglieder meiner Fraktion im Untersuchungsausschuß begleiten wird, daß diese Haltung aber auch verhindern wird, daß jemals eine Parteienfinanzierungsregelung in diesem Bundestag gemacht wird, die eine Amnestie für jene Spendensünder, wenn sie denn festgestellt werden, enthält. ({20}) Ich denke, daß wir in dieser Debatte deutlich sagen sollten, daß es nach allem, was dazu öffentlich erklärt worden ist, die Zustimmung meiner Fraktion zu einer solchen Regelung nicht geben wird, auch dann nicht, wenn Druck ausgeübt wird. Druck wird uns in dieser Frage von unserer Auffassung Schröder ({21}) nicht abbringen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann. ({0})

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Institution „Parlamentarischer Untersuchungsausschuß" blickt auf eine lange Geschichte zurück. So hieß es schon in der preußischen Verfassungsurkunde von 1850 in Art. 82: Eine jede Kammer hat die Befugnis, behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen zu ernennen. Auch nach der Verankerung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Art. 44 unseres Grundgesetzes soll es um Tatsachen gehen, zu deren Feststellung die erforderlichen Beweise erhoben werden können. Der Anspruch der Freien Demokraten, den sie in einem Sondervotum der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages erhoben haben, orientiert sich an dieser verfassungsrechtlichen Tradition. So hat seinerzeit der Kollege Dr. Hirsch ausgeführt - ich zitiere -: Das gerichtsförmige Verfahren nach den Regeln der Strafprozeßordnung, die öffentliche Beweiserhebung und die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage können nur dann einen Sinn haben, wenn Ziel des Ausschusses die Feststellung der Wahrheit ist. Die schlichte Fortsetzung des parlamentarischen Kampfes mit anderen Mitteln wäre sinnlos. ({0}) Wir müssen nun leider feststellen, daß die Untersuchungsausschüsse der letzten Legislaturperioden diesem Anspruch nur bedingt gerecht geworden sind. Ein Indiz dafür ist die teilweise vernichtende Kritik, die ihre Arbeit in der Öffentlichkeit gefunden hat. Zugegebenermaßen reagieren die Medien und damit die öffentliche Meinung eher und lieber auf vordergründiges Spektakel, das allzu oft die Außendarstellung solcher Ausschüsse des Parlaments bestimmt, als daß sie eine sorgfältige Analyse der schließlich erarbeiteten Berichte vornehmen, die allesamt deutlich machen, welchen objektiven Schwierigkeiten die Wahrheitsfindung in der Wirklichkeit ausgesetzt ist. ({1}) Hier muß auch durchaus eine Wechselwirkung zwischen plakativem Verhalten von Mitgliedern parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und veröffentlichter Meinung gesehen werden; allzu gerne schaukelt man sich hier gegenseitig hoch. Meine Damen und Herren, angesichts dieser politischen Wirklichkeit ist die Auffassung der Mehrheit der Enquete-Kommission über die Funktion der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zwar nicht die vornehmste, aber doch wohl die ehrlichste. ({2}) So heißt es im Bericht der Kommission von 1976 - ich zitiere -: Die Kommission neigt in Übereinstimmung mit den Beschlüssen einer Kommission der Konferenz der Präsidenten der deutschen Länderparlamente vom 12./13. März und 27. Juni 1972 dazu, das Schwergewicht der Funktion des Untersuchungsausschusses auf den Aspekt der politischen Auseinandersetzung zu legen, wenngleich dadurch die notwendige Sachaufklärung bei der Untersuchung von Mißständen nicht leiden soll. Das Ansehen des Untersuchungsausschusses in der Öffentlichkeit ist aber gerade dann besonders negativ, wenn er nur als Instrument des politischen Kampfes mit anderen Mitteln gebraucht wird. Eine Reihe von Fragen aus den hier heute zu behandelnden Anträgen folgt - ich bedaure das - dieser Richtschnur nach dem Motto „semper aliquid haeret". ({3}) Anders ist aus meiner Sicht nicht zu erklären, daß die Überschneidung mit noch nicht abgeschlossenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gesucht wird, eine Parallelität, die in den bisherigen Untersuchungsausschüssen dieses Hauses aus guten Gründen sorgfältig vermieden worden ist. Aber offensichtlich reichen die auf Grund unglaublicher Indiskretionen möglichen Pressekampagnen, die mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz „Jeder gilt bis zu seiner Verurteilung als unschuldig" nichts mehr zu tun haben, ({4}) nicht aus, um den politischen Kampf erfolgreich zu bestehen. Ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Schily. Sie haben soeben in einer Zwischenfrage an den Herrn Kollegen Langner behauptet, Ihnen könne ein Verstoß gegen die rechtsstaatlich gebotene Unschuldsvermutung nicht vorgeworfen werden. Dies sehe ich leider anders. Sie haben erst vor kurzem in der Debatte vom 6. Mai in diesem Hause Straftatbestände wie - ich zitiere - „Steuerhinterziehung und in Tateinheit damit begangenen Betrug, Untreue und Unterschlagung" gleichsam als verwirklicht dargestellt und damit eine Vorverurteilung vorgenommen, die sich mit unserem rechtsstaatlichen Bewußtsein nicht deckt. ({5}) So kurz, Herr Kollege Schily, wie Sie sich unser Gedächtnis wünschen, ist es Gott sei Dank nicht. ({6}) Ein Wort auch noch an den Kollegen Schröder. Herr Kollege Schröder, haben Sie vielleicht eine bestimmte Absicht im Auge gehabt, als Sie eben bei Ihren Vorwürfen den früheren Finanzminister Matthöfer nicht genannt haben? ({7}) Meine Damen und Herren, auch wenn Art. 44 des Grundgesetzes die Möglichkeit nicht ausschließt, ist die FDP der Meinung, daß parallele Verfahren von Staatsanwaltschaft oder Gericht und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sich gegenseitig nicht fördern. Vielmehr enthalten sie eine ganze Reihe von Gefahrenquellen im verfahrensrechtlichen Bereich, und zwar insbesondere deshalb, weil es leider immer noch nicht gelungen ist, dringend notwendige gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu finden. Deshalb halten wir eine Reihe von Fragestellungen aus beiden Anträgen für bedenklich und sehen grundsätzlich - ich sage: grundsätzlich - keine Notwendigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, ({8}) solange in gleicher Sache ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren schwebt. ({9}) - Lassen Sie mich doch mal ausreden! Diese Bedenken machen wir jedoch nicht geltend für eine Fragestellung, in der auf konkretes parlamentarisches Handeln abgestellt wird, womit eine Entscheidung des Parlaments gefordert wird, unabhängig vom Ergebnis des strafrechtlichen Verfahrens. ({10}) Diese Fragestellung kommt im Antrag der SPD in der Frage 10 zum Ausdruck. Sie lautet - ich wiederhole es -: Ist eine Entscheidung des Bundesministeriums für Wirtschaft aufzuheben und - falls ja - sind Maßnahmen gegen die Steuerpflichtigen zu ergreifen? Hier handelt es sich nicht um eine direkte Zuständigkeit des Parlaments, denn Prüfung und Entscheidung dieser Frage liegen ja beim Bundesminister für Wirtschaft; da jedoch die Kontrolle der Regierung - dies ist eingangs von Herrn Kollegen Spöri richtig ausgeführt worden - eine originäre Aufgabe des Parlaments ist und die steuerliche Entscheidung der Regierung im Fall Flick in die Diskussion geraten ist, gehört es zum demokratischen Selbstverständnis, diesen Fragenkreis parlamentarisch zu untersuchen, um zu einer Schlußfolgerung und zu einer sachlichen Empfehlung zu kommen. Auf diese Fragestellung arbeitet der Antrag der SPD konkreter hin als jener der Fraktion der GRÜNEN. Deshalb werden wir dem Antrag in Drucksache 10/34 zustimmen und den Antrag in Drucksache 10/33 ablehnen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Bundestag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner Mitglieder verlangt wird. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/34 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Nunmehr ist noch über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/33 zu befinden. Eine Erweiterung der Beweisthemen des soeben beschlossenen Untersuchungsausschusses wäre nur mit Zustimmung der Fraktion der SPD als Antragsteller möglich. In der Aussprache ist deutlich geworden, daß die Fraktion der SPD dies nicht wünscht. Wenn der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN aufrechterhalten wird, kann er also nur dahin verstanden werden, daß ein zweiter Untersuchungsausschuß mit den weitergehenden Beweisthemen eingesetzt werden soll. Ich darf daher die Fraktion DIE GRÜNEN fragen, ob ihr Antrag so aufgefaßt werden soll oder aber durch den soeben eingesetzten Untersuchungsausschuß erledigt ist. ({0}) Sie halten Ihren Antrag aufrecht. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich glaube, daß Ihre Auffassung hinsichtlich der Erweiterung nicht korrekt ist. So ist das zwar vom Bundesverfassungsgericht generell gesagt worden. Wenn es zu einer - sagen wir - Verdeckung oder Verfälschung oder Veränderung des Beweisthemas einer Minderheitsenquete führen würde, haben Sie recht. Sie haben aber nicht recht, wenn durch zusätzliche Punkte - ({0}) - darf ich meine Rechtsauffassung vortragen? So weit sollte Ihr demokratisches Bewußtsein doch reichen - das Beweisthema nur deutlicher hervortritt und in seinem Kern nicht verändert wird. Im Gegenteil - ich habe diese Entscheidung in meinem Beitrag ja auch zitiert -: Dann gibt es kein Recht, sich einer solchen Erweiterung zu widersetzen. Aber wir betrachten das nicht als eine große Auseinandersetzung. Wir stellen unseren Antrag als eigenen Antrag zur Abstimmung und appellieren an das Haus, unserem Antrag zuzustimmen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Ich darf davon ausgehen, daß Sie den Antrag auf Drucksache 10/33 aufrechterhalten? ({0}) - Dann haben wir über den Antrag abzustimmen, ob ein zweiter Untersuchungsausschuß mit den auf Drucksache 10/33 enthaltenen Beweisthemen eingesetzt werden soll. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung - Drucksache 10/40 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/40 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzübereinkommen vom 8. Oktober 1982 zum Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit - Drucksache 10/41 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/41 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Mai 1983, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.