Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Nach Art. 56 unseres Grundgesetzes leistet der von der Bundesversammlung gewählte Bundespräsident „vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates" seinen Amtseid. Zu diesem Zwecke sind wir heute hier versammelt.
Ich begrüße den bisherigen Bundespräsidenten Karl Carstens
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und den Bundespräsidenten Richard von Weizsäkker.
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Ich grüße den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel, ich grüße die Botschafter, die Botschafterinnen, unsere Gäste und alle Deutschen.
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Dies ist ein herausragendes Ereignis in der Geschichte unserer Republik. Der Tradition entsprechend und getreu dem Charakter unseres freiheitlichen Rechtsstaates wird auch dieser Tag schlicht begangen - ohne Pomp und ohne anderen Glanz als den, welchen die Demokratie durch ihre innere Gebundenheit an Freiheit und Würde jedes Menschen ausmacht. Die republikanische Tugend der Gleichheit aller vor dem Gesetz findet so auch heute ihren Ausdruck, einer Republik, die auf der Teilung der Gewalt beruht, die Amter nur auf Zeit und mit fest umrissenen Zuständigkeiten kennt, die den Staat selbst in den Dienst der Entfaltung der menschlichen Person stellt.
Unsere Bundesrepublik Deutschland ist heute innerlich festgefügt, gesund und solide; festgefügt nicht so sehr, weil wir hier durch herausragende Vorzüglichkeit uns auszeichneten, sondern weil die überwältigende Mehrheit unseres Volkes diese parlamentarische Demokratie in ihrem Herzen wie mit ihrer Vernunft bejaht. So besteht heute - anders als früher - auch kein Anlaß mehr, diesen Tag zu nutzen, um für unseren Staat zu werben.
Ebenso besteht - anders als früher - kein Anlaß mehr, den herausragenden, einzigartigen Rang des Bundespräsidenten der Bundesrepublik
Deutschland wie seine Rolle im Verfassungsgefüge darzulegen. Die gleiche, lebendige Tradition hat ausgefüllt, was da nach geschriebenen Normen noch offen oder zweifelhaft war oder schien.
Die Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel und Karl Carstens haben den Nutzen des deutschen Volkes gemehrt und Schaden von ihm gewendet. Wir hatten Glück mit unseren Präsidenten!
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Es besteht aber, wie ich glaube, Anlaß, dem höchsten Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland, dem in Wahlen handelnden Staatsvolk, von dem alle Gewalt ausgeht, auch von hier aus zu versichern: Wir alle wissen, wer uns unsere zeitlich befristeten Ämter anvertraut hat. Wir wissen uns alle - alle, ob im Bund oder in den Ländern oder in den Kommunen verantwortlich; über Parteien und Kompetenzen hinweg - in der Pflicht des deutschen Volkes, das sich im Kreis seiner Nachbarn europäisch empfindet; in der Pflicht unseres Volkes, dem wir mit Stolz, mit Dank und in Liebe angehören und dienen.
Es ist an der Zeit, denen öffentlich und amtlich Respekt zu bezeugen, die unsere Republik gestalten durch freiwillige, von Bonn aus gesehen, namenlose, ehrenamtliche Arbeit, durch Arbeit nach Feierabend, in der Freizeit, unaufgefordert, auf eigene Kosten, unentgeltlich; die in den Kirchen und vielfältigen sozialen und nachbarlichen Diensten, die in Parteien, kommunalen Körperschaften und in den Ländern, die in Gewerkschaften und Verbänden, die auf unbeschreibbar mannigfache, auf ihre Weise also, dem Gemeinwohl unseres Volkes und Staates dienen, die so durch freiwillige Arbeit unsere lebendige, aus dem Volk lebende Demokratie täglich schaffen und bewahren.
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Was Deutschland in seinem freien Teil geworden ist, verdankt es zunächst seinen Bürgern, seinen Frauen und Männern, die hier ja an ihrem Platz und in ihrem Pflichtenkreis dem Gemeinwohl dienen. Diese breite, tiefgegründete Basis des freiheit5792
Präsident Dr. Barzel
lichen, sozialen Rechtsstaats allen Deutschen friedlich zu erwirken, sind wir berufen. Der bremische Senatspräsident Wilhelm Kaisen, Ihnen, Herr Bundespräsident Carstens, besonders vertraut und verbunden, hat hier - als Präsident des Bundesrates am 15. September 1959 aus Anlaß des Ausscheidens des Bundespräsidenten Theodor Heuss - zu diesem ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland von hier aus gesagt - ich zitiere -:
Wir wissen leider aus bitteren Erfahrungen nur zu gut, daß echtes demokratisches Staatsgefühl nicht durch eine demokratische Verfassung allein zur Entwicklung gelangen kann; dieses Staatsgefühl wird nur lebendig durch die Vermittlung von Männern und Frauen, die sich durch ihr Vorbild im Dienste der Demokratie bewähren.
So weit Wilhelm Kaisen.
Das gilt auch für Sie, Herr Bundespräsident Carstens, der Sie nun als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland - von allen hochgeachtet - zwar aus Ihrem Amt, nicht aber aus Ihrer vaterländischen Pflicht scheiden.
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Im Respekt vor Ihrer und Ihrer Frau Veronika Leistung erheben sich Bundestag und Bundesrat,
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um auszusprechen, was in dieser Stunde auch die empfinden, die uns das Mandat gaben:
Karl Carstens hat sich um das Vaterland verdient gemacht.
Das Wort hat der scheidende
Herr Bundespräsident! Verehrte Frau von Weizsäcker! Herr Präsident des Deutschen Bundestages! Herr Präsident des Bundesrates! Herr Bundeskanzler! Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts! Meine Damen und Herren Abgeordneten des Bundestages und Mitglieder des Bundesrates! Wenn ich heute auf die letzten fünf Jahre im Amt des Bundespräsidenten zurückblicke, dann erfüllt mich ein Gefühl tiefer Dankbarkeit.
Ich möchte beginnen mit einem Wort herzlichen Dankes an die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Die Zusammenarbeit mit beiden war gut und vertrauensvoll, und ich freue mich darüber, daß ich das sagen kann.
Ich danke auch den übrigen Mitgliedern der beiden Bundeskabinette, die mir meine Aufgabe sehr erleichtert haben, besonders dem Bundesminister des Auswärtigen, der mich - wie der Auswärtige Dienst - bei meinen zahlreichen Auslandskontakten unterstützt hat.
Ich danke dem Deutschen Bundestag, an erster Stelle den beiden Bundestagspräsidenten Richard Stücklen und Rainer Barzel, für die gute Zusammenarbeit ebenso wie den Parteivorsitzenden und den Fraktionsvorsitzenden. Ihnen, Herr Bundestagspräsident, danke ich herzlich für die Worte, die Sie soeben für mich gefunden haben.
Die meisten Ausschüsse des Bundestages waren Gast in meinem Hause. Wir haben offene Gespräche miteinander geführt, und manchmal war für mich nicht erkennbar, welcher Fraktion die Ausschußmitglieder angehörten, die sich jeweils zu bestimmten Fragen äußerten. Ich sehe darin ein gutes Zeichen.
Ich danke den Mitgliedern des Bundesrates, in Besonderheit seinen Präsidenten, die während meiner Auslandsreisen meine Befugnisse wahrgenommen haben.
Ich habe alle Bundesländer besucht und danke den Ministerpräsidenten, den Landtagspräsidenten, den Länderparlamenten sowie allen Landesministern für das Vertrauen, das sie mir geschenkt haben. Der Föderalismus ist für unser Land eine Quelle kulturellen Reichtums, aber zugleich auch eine wichtige politische Kraft. Besonders danke ich Nordrhein-Westfalen und der Stadt Bonn für vielfältige Unterstützung bei der Wahrnehmung meiner repräsentativen Aufgaben.
Meinen Respekt bekunde ich den Gerichten. Ich habe das Bundesverfassungsgericht und alle obersten Bundesgerichte besucht. In wenigen Ländern der Welt ist die Gerichtsbarkeit so mächtig wie bei uns. Ein deutscher Dichter, dessen Wort mir viel bedeutet, hat in der Villa Hammerschmidt kürzlich als besonderes Kennzeichen unserer Verfassungsordnung hervorgehoben, daß bei uns die Grundrechte vor Gericht einklagbar sind. Er wußte, wovon er sprach; er hatte vorher lange in der DDR gelebt.
Zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes wurde im Zusammenhang mit meiner Entscheidung, den Bundestag aufzulösen, gegen einen Bundespräsidenten über eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Das Gericht hat meine Entscheidung bestätigt, aber ich hatte vorher unzweideutig erklärt, daß ich auch jede gegen mich gerichtete Entscheidung respektieren würde.
Ich danke der Bundeswehr, die ich oft besucht habe, für ihren Einsatz zur Aufrechterhaltung des Friedens. Unsere Soldaten schützen unsere Freiheit.
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Bundesgrenzschutz und Polizei haben in behutsamer und unaufdringlicher Weise für meine persönliche Sicherheit gesorgt.
Ich danke den Verbänden, mit denen ich regelmäßig zusammengekommen bin, den Gewerkschaften, den Arbeitgebern, der Industrie, dem Handel, dem Handwerk und der Landwirtschaft. Sie alle, und gerade auch die Gewerkschaften, haben maßgeblich dazu beigetragen, daß unser Land 35 Jahre in sozialem Frieden und partnerschaftlichem Miteinander gelebt hat.
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Ich stehe zu dieser Meinung, wenn mich auch die langandauernden Arbeitskämpfe der letzten Monate beunruhigt und bedrückt haben.
Karl Carstens
Ich danke Herrn Georg Leber für seine erfolgreichen Bemühungen zur Schlichtung des Arbeitskampfes in der Metallindustrie.
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Er hat damit nicht nur den Tarifparteien, sondern unserem ganzen Lande einen großen Dienst erwiesen.
Ich bitte die Tarifpartner herzlich, bei ihren Auseinandersetzungen das Gemeinwohl nicht aus dem Auge zu verlieren. Bei langen Arbeitskämpfen gewinnt letztlich niemand, weder die Unternehmer noch die Arbeitnehmer, weder die Volkswirtschaft noch die Arbeitslosen. Sie alle, wir alle sind gemeinsam die Verlierer.
Ich danke der Evangelischen und der Katholischen Kirche und den anderen Religionsgemeinschaften für ihren Dienst an unserem Volk und für die geistige und moralische Unterstützung, die sie mir gegeben haben. Sie halten Wertvorstellungen wach, die als Grundlage unseres Zusammenlebens unentbehrlich sind. Dies ist besonders in den eindringlichen Reden deutlich geworden, die der Papst bei seinem Deutschlandbesuch gehalten hat.
Ich danke den vielen karitativen und humanitären Organisationen unseres Landes, den Frauenverbänden, den Jugendverbänden und auch den Ausländern, die als Mitbürger und Nachbarn unter uns leben.
Meine Begegnungen mit den Vereinigungen der Wissenschaft, der Musik, der bildenden Künste, der Schriftsteller und Dichter haben mich bereichert und mir die Bedeutung dieser geistigen Welt für unseren Staat und unsere Gesellschaft erneut vor Augen geführt.
Ich danke auch den Vertretern des Sports und den Sportlern, denen, die Leistungssport treiben, ebenso wie denen, die im Breitensport und am Spiel Freude finden. Der Deutsche Sportbund ist mit 18 Millionen Mitgliedern der größte Verband in unserem Lande.
Vor allem aber danke ich den Tausenden von Bürgern, mit denen ich in Städten und Dörfern, auf meinen Wanderungen und bei anderen Gelegenheiten zusammengetroffen bin; Bürgern, die wenig von sich reden machen, die kaum im Fernsehen erscheinen und die doch so viel dazu beitragen, daß dieses Land Freiheit und Wohlstand bewahrt, ja daß es überhaupt fest zusammenhält. Unter ihnen sind viele, die sich für eine gute Sache engagieren, freiwillig und meist ehrenamtlich, im Sport und in der Musik, bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Roten Kreuz, im Arbeiter-Samariter-Bund, im Technischen Hilfswerk, bei den Johannitern und Maltesern, in den Grubenwehren an Ruhr und Saar, im Seenotrettungsdienst an unseren Küsten, in der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, in den christlichen Jugenddörfern, in Tausenden von Vereinen und Bürgerinitiativen der verschiedensten Art.
Es sind auch viele jugendliche Mitbürger darunter. Sie verdienen, unsere Jugend überhaupt verdient unser Vertrauen.
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Gewiß gibt es einige, die den Staat und unsere gesellschaftliche Ordnung ablehnen - wie ich glaube, zu Unrecht; denn der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat ist der Raum, in dem sie ihre Meinung frei entfalten können, und er gibt ihnen in aller Regel auch die materielle Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Aber es ist eine kleine Minderheit. Die große Mehrheit unserer Jugendlichen hat eine erfreulich offene Einstellung zum Leben und eine positive Haltung gegenüber unserer freiheitlichen Ordnung.
Freilich müssen die jungen Menschen manchmal erst noch erkennen, daß es kein Paradies auf Erden gibt und daß jede menschliche Ordnung, auch die unsere, notgedrungen unvollkommen ist. Aber unter den Verfassungssystemen der Welt gehört das unsere zu den besten, vor allem hat es die Kraft, sich selbst zu reinigen und Mißstände zu überwinden.
Meine Begegnungen schlossen auch Tausende von Behinderten ein. Meine Frau und ich haben Bethel und Ursberg besucht. Wir haben das schwere Schicksal der Behinderten kennengelernt. Aber diese Begegnungen beschenkten uns auch zugleich. Viele Behinderte meistern ihr Schicksal in bewundernswerter Weise. Sie können ein Vorbild für uns alle sein, und vorbildlich sind auch viele ihrer Betreuer.
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Schließen möchte ich mit einem Dank an meine Mitarbeiter im Bundespräsidialamt für ihre vorbildliche Pflichterfüllung. Sie haben es mir überhaupt erst ermöglicht, meine Arbeit, die manchmal schwer war, zu bewältigen.
An erster Stelle danke ich Staatssekretär Hans Neusel, einem Beamten, der durch hervorragende Sachkunde und mit beispielhafter Loyalität unserem Lande jahrzehntelang gedient hat.
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Besonders aber danke ich meiner Frau.
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Sie stand mir immer zur Seite. Darüber hinaus hat sie eigene soziale und karitative Aufgaben übernommen. Schließlich hat sie in Tausenden von Briefen Mitbürgern, welche sich in ihrer Not an sie wandten, warmherzigen Trost gegeben.
Während meiner Amtszeit haben schwere Probleme auf dem Weg unseres Landes gelegen. Am bedrückendsten war und ist die Arbeitslosigkeit. Das Mittel zu ihrer Überwindung haben wir noch nicht gefunden. Aber wir müssen weiter unsere größten Anstrengungen darauf richten.
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Ich benutze diese Gelegenheit, um erneut an Wirtschaft, Behörden, Kirchen und Gewerkschaften
Karl Carstens
zu appelieren, den jungen Schulabgängern Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
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In den letzten Tagen habe ich 5 000 Betriebe ausgezeichnet, die sich durch die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze besonders hervorgetan hatten. Aber wir werden in diesem Jahr unsere Anstrengungen noch vergrößern müssen.
Ich wende mich an alle, die es angeht, und ich wiederhole, was ich mehrfach gesagt habe: daß um der sozialen Gerechtigkeit willen letztlich auch der Staat für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen verantwortlich ist,
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ebenso wie der Staat jedem Abiturienten, der studieren will, die Möglichkeit dazu gibt.
Eine noch wachsende Rolle wird in Zukunft die Frage des Umweltschutzes spielen. Ihr kommt in der Tat höchste Priorität zu. Die schweren Schäden an unseren Wäldern - um nur ein Beispiel zu nennen - sind alarmierend. Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern unternehmen beachtliche Anstrengungen, um der zunehmenden Gefährdung unserer Umwelt zu begegnen. Aber es wird noch mehr geschehen müssen. Vor allem sollten die ins Auge gefaßten Maßnahmen schneller verwirklicht werden, als dies bisher vorgesehen ist.
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In zunehmendem Maße ist in den letzten Jahren die Bedeutung neuer, sich sprunghaft entwickelnder Technologien für unsere Wirtschaft, ja, für unser Leben überhaupt, sichtbar geworden. In einigen Bereichen hinken wir hinter den großen Industrienationen USA und Japan her. In anderen können wir gut mithalten. Aber die damit aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen sind noch nicht ausreichend geklärt. Weder haben wir eine Antwort auf die zu erwartenden Rückwirkungen am Arbeitsmarkt gefunden, noch haben wir uns bisher genügend mit den ethischen Problemen auseinandergesetzt, die der Fortschritt aufwirft.
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Ich habe keinen Zweifel, daß es ethische Grenzen gibt, die Wissenschaft und Industrie beachten müssen. Sie zu definieren und die dazu erforderlichen Verfahren zu entwickeln, halte ich für eine dringende Aufgabe der Zukunft.
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Mit tiefer Anteilnahme habe ich die Friedensdiskussion verfolgt. Sie wurde zeitweilig sehr emotional geführt. Angst schien sich in weiten Teilen unserer Bevölkerung auszubreiten. Es erfüllt mich mit Zuversicht, daß dieses Angstgefühl anscheinend abklingt. Aber das Problem bleibt.
Meine eigene Auffassung dazu habe ich nicht verschwiegen. Unter den gegebenen Verhältnissen ist, so glaube ich, der beste Beitrag zur Bewahrung des Friedens, den unser Land zusammen mit seinen Bündnispartnern leisten kann, ein doppelter: Wir müssen unablässig und aktiv für den Abbau der
Spannungen und für eine gemeinsame Lösung der Ost und West in gleicher Weise bedrängenden Probleme, vor allem für Abrüstung und Rüstungskontrolle, eintreten; und zugleich müssen wir uns um die Aufrechterhaltung eines annähernden Gleichgewichts der militärischen Kräfte bemühen. Beides ist nach meiner Überzeugung unverzichtbar.
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Neben solchen wichtigen Fragen sind in der öffentlichen Diskussion der letzten fünf Jahre manche Eintagsfliegen aufgetaucht, die zeitweilig eine beherrschende Rolle zu spielen schienen, aber dann doch schnell wieder von den Bildschirmen verschwanden. Ich habe es vermieden, mich dazu zu äußern. Ich möchte uns allen anraten, gegenüber sensationell aufgemachten Nachrichten etwas mehr Gelassenheit zu bewahren und dafür den grundsätzlichen Fragen eine um so größere Aufmerksamkeit zu schenken.
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Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung schöpft ihre Kraft daraus, daß letztlich die Bürger selbst über die Gestaltung der Welt, in der sie leben, entscheiden. Sie kann aber nur funktionieren, wenn drei fundamentale Einsichten beachtet werden: Wer frei ist, trägt Verantwortung; wer Rechte hat, hat auch Pflichten; und wer Ansprüche stellt, vor allem Ansprüche an den Staat, muß auch bereit sein, Leistungen zu erbringen.
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Zu den unverzichtbaren Werten, auf denen unsere Lebensordnung beruht, gehören Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Brüderlichkeit, gehören aber auch Vertrauen und Wahrhaftigkeit. Vertrauen bedeutet, daß man sich auf das Wort eines anderen verlassen kann, sowohl in der Politik wie im persönlichen Bereich.
Ich habe mich bemüht, das Geschichtsbewußtsein in der jungen Generation zu wecken und wachzuhalten, und an sie appelliert, die Idee der Einheit der Nation nicht preiszugeben. Deutschland ist unser Vaterland, dem wir wie alle Menschen mit ihrem Vaterland in Liebe verbunden sein können.
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Einen großen Teil meiner Zeit habe ich den auswärtigen Beziehungen unseres Landes gewidmet. Ich habe 17 Staatsbesuche absolviert und dabei die Freundschaft und die Dankbarkeit empfunden, die uns entgegengebracht wird. Die Bundesrepublik Deutschland genießt in der Welt hohes Ansehen. Unsere beständige Politik des Friedens und des Ausgleichs wird ebenso anerkannt wie unsere Entwicklungshilfe für die Dritte Welt.
Bei meinen außenpolitischen Tätigkeiten lag ein Schwerpunkt im europäischen Bereich. Ich bin mehrfach mit den französischen Staatspräsidenten zusammengekommen, und ich möchte ihnen auch an dieser Stelle für die freundschaftliche und noble Haltung unserem Lande gegenüber herzlich danken.
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Karl Carstens
Es gibt für mich, der ich seit Jahrzehnten am Werk der europäischen Einigung mitgearbeitet habe, nichts Beglückenderes, als zu sehen, daß die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich immer enger und immer fester geworden ist.
Auf ihrer Grundlage ist es zu unserer Freude nach unendlichen Mühen in Stuttgart und in Fontainebleau gelungen, sich unter allen Partnern in den strittigen Fragen der Europapolitik zu einigen. Zur Europäischen Gemeinschaft gehört auch Großbritannien. Es gehört notwendigerweise zu ihr, und es leistet - das sollten wir nicht vergessen - einen wesentlichen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung und zur Sicherheit Berlins. Auch mit allen anderen Partnern der Gemeinschaft, mit Italien und den Benelux-Ländern, mit Irland, Dänemark und Griechenland, habe ich Kontakte nach Kräften gepflegt, ebenso wie mit Spanien und Portugal, mit Österreich und der Schweiz, mit Jugoslawien und Rumänien.
Ich habe die Vereinigten Staaten von Amerika besucht und habe dort wie hier die Notwendigkeit des Atlantischen Bündnisses unterstrichen. Die USA sind gewiß nicht immer ein einfacher Partner, aber sie und wir sind aufeinander angewiesen.
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Im amerikanischen Volk gibt es überdies uns gegenüber Empfindungen wirklicher Freundschaft und Übereinstimmung in grundlegenden Wertvorstellungen.
Mehrfach bin ich auch mit den sowjetischen Führern zusammengetroffen, und ich habe das mir Mögliche getan, um ihnen die Friedenspolitik unseres Landes zu erläutern. Auch von dieser Stelle aus sage ich: Die Bundesrepublik Deutschland ist von tiefer Sehnsucht und dem festen Willen zur Erhaltung des Friedens erfüllt! Sie wird darin von keinem anderen Land der Welt übertroffen.
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Ich bitte meinerseits die sowjetischen Führer, aus dem Wortschatz ihrer Medien die Vokabeln des Hasses zu verbannen. Sie passen nicht mehr in eine Welt, die sich nach Verständigung und Frieden sehnt.
Beifall)
Zweimal bin ich dem Staatsratsvorsitzenden der DDR begegnet. Bei aller Unterschiedlichkeit politischer Grundpositionen zeigte sich auch Gemeinsames, zum Beispiel in dem Bestreben, die großen Denkmäler deutscher Kultur zu bewahren und das Bewußtsein deutscher Geschichte, wenn auch gewiß mit unterschiedlichen Akzentuierungen, zu erhalten. Gemeinsam ist beiden deutschen Staaten die Aufgabe, den Frieden zu sichern und den Menschen das Leben zu erleichtern. Die bedrückenden Szenen, die sich in diesen Tagen in unserer OstBerliner Vertretung abspielen, zeigen einmal mehr, wie schwer die Teilung des Landes auf den Menschen liegt.
64mal habe ich Berlin besucht, diese tapfere und lebendige Stadt, ein Symbol der Teilung, aber auch unseres Willens, die Trennung zu überwinden. Ich
möchte auch von dieser Stelle Berlin von ganzem Herzen eine glückliche Zukunft wünschen.
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Abschließen möchte ich mit einem persönlichen Wort. Die Präambel unseres Grundgesetzes, das sich das deutsche Volk vor 35 Jahren gegeben hat, hebt mit einer Anrufung Gottes an. Sie erscheint mir heute noch genauso wichtig wie damals, vier Jahre nach dem Ende eines schrecklichen Krieges. Denn wenn wir heute angesichts der Fülle der schier unlösbar erscheinenden Weltprobleme, dem Hunger, an dem Millionen von Menschen zugrunde gehen, der Bevölkerungsexplosion, den Flüchtlingsströmen mit ihrem Elend, der Unterdrückung der Freiheit in vielen Ländern, dem Rüstungswettlauf, dem Blutvergießen im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan und in anderen Teilen der Welt zu verzagen drohen, so hilft uns, so hilft wenigstens mir, der Glaube.
Glaube und Erfahrung haben mich gelehrt, daß Erfolg oder Mißerfolg unseres menschlichen Bemühens nicht allein von uns abhängt, sondern letztlich in der Hand eines Höheren liegt, aber daß wir das Vertrauen, ja die Gewißheit haben dürfen, von ihm bewahrt und getragen zu werden.
In diesem Sinne, Herr Bundespräsident, spreche ich Ihnen meine herzlichsten Wünsche für Ihre Amtszeit aus. Sie haben in Ihrem Leben immer wieder die Fähigkeit zum Ausgleich bewiesen und Ihren Mitbürgern die Ziele und Werte gezeigt, die uns bei unseren Bemühungen um die Lösung der uns gestellten Aufgaben leiten müssen. Sie genießen das Vertrauen der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes. Ich wünsche Ihnen für Ihre Amtsführung Gottes Hilfe und Segen. Möge er unser Vaterland schützen und ihm Frieden schenken.
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Meine Damen und Herren, Sie haben dem scheidenden Bundespräsidenten Ihren Dank ausgesprochen. Ich schließe mich persönlich und von Herzen an.
Meine Damen und Herren, am 23. Mai dieses Jahres hat die Bundesversammlung Herrn Richard von Weizsäcker zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Herr von Weizsäcker hat vor der Bundesversammlung diese Wahl angenommen und mit dem heutigen Tage das Amt des Bundespräsidenten angetreten.
Nach Art. 56 des Grundgesetzes leistet der Bundespräsident bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates den vorgeschrieben Eid. Ich bitte Sie Herr Bundespräsident - und ich bitte den Herrn Präsidenten des Bundesrates -, zu mir hinzutreten und diese Eidesleistung vorzunehmen.
({0})
Herr Bundespräsident, ich gebe Ihnen das Original des Grundgesetzes und bitte Sie, den Eid zu sprechen.
Dr. von Weizsäcker, Bundespräsident: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Herr Bundespräsident, damit haben Sie den Eid geleistet. Ich spreche Ihnen die Glückwünsche des Deutschen Bundestages aus. Ich wünsche Ihnen Segen, eine glückliche Hand und Erfolg für unser Vaterland.
Das Wort hat der Herr Bundespräsident.
Dr. Richard von Weizsäcker, Bundespräsident: Meine Herren Präsidenten! Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates! Herr Bundeskanzler! Exzellenzen! Liebe Mitbürger und Gäste! Mein erster Gedanke gilt heute dem Mann, aus dessen Hand ich mein Amt übernehme: Karl Carstens. Ich danke Ihnen für Ihren klugen und uneigennützigen Rat bei der Überleitung des Amtes. Sie sind Ihren Aufgaben stets und unbeirrbar überparteilich, aber nie mit neutraler Standpunktlosigkeit nachgegangen. Sie haben die Pluralität der Auffassungen in unserem Gemeinwesen stets geachtet. Dennoch haben Sie positiv hineingewirkt in eine Sphäre der Meinungs- und Bindungslosigkeit, die der Pluralismus gelegentlich erzeugt. Ihre Amtsführung war geprägt von der Geradlinigkeit Ihres Denkens und Handelns. Sie haben unser Land mit sicherem Stil und mit Würde vertreten. Dafür möchte auch ich Ihnen und Ihrer von uns allen verehrten Frau von Herzen danken.
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Unsere Verfassung spricht ausführlich von unseren Rechten als Bürger. Pflichten dagegen werden kaum erwähnt. In umgekehrter Weise behandelt das Grundgesetz das Amt des Bundespräsidenten, und zwar aus wohlerwogenen Gründen. Von seinen Befugnissen ist nur spärlich die Rede. Dagegen werden seine Pflichten hervorgehoben, und sie werden an die höchsten Ziele gebunden. Denn was könnte es Größeres, aber auch Schwereres im Staat geben, als dem Wohl des Volkes zu dienen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden und Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben? Das sind die Ziele - wörtlich in der Verfassung vorgeschrieben -, auf die ich soeben meinen Eid geleistet habe. An ihnen orientieren sich meine Pflichten. Sie sind es, die mich auch heute legitimieren, Ihnen aus Anlaß meiner Amtseinführung einige persönliche Gedanken vorzutragen.
Meine Kraft dem deutschen Volk zu widmen ist meine Aufgabe. Dem deutschen Volk? Wer ist gemeint? Stocken wir hier schon? Ich glaube nicht. In beiden deutschen Staaten lebt das deutsche Volk. Von ihm, von dem ganzen deutschen Volk, geht die Präambel unseres Grundgesetzes aus.
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Unmittelbar verpflichtet mich unsere Verfassung
auf die Bundesrepublik Deutschland. In ihr und von
ihr aus wollen wir unsere Beiträge für die Zukunft
leisten, um nach innen und außen in Frieden zu leben, die Teilung zu überwinden, die Vereinigung Europas zu fördern und unserer Verantwortung in der Welt gerecht zu werden. Dazu müssen wir unsere heutige staatliche Gegenwart ernst nehmen. Die Bundesrepublik Deutschland muß eine handlungsfähige Einheit sein. Dies ist es, was auch die Deutschen in der DDR von uns erwarten. Europa wächst nicht aus verunsicherten Völkern, die auf der Flucht vor ihrer Gegenwart leben, sondern nur aus lebensfähigen, von ihren Bürgern getragenen Einheiten.
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Gewiß, wir haben unsere besonderen Schwierigkeiten mit unserem Nationalgefühl. Unsere eigene Geschichte mit ihrem Licht und ihrem Schatten und unsere geographische Lage im Zentrum Europas haben dazu beigetragen. Aber wir sind nicht die einzigen auf der Welt, die ein schwieriges Vaterland haben. Das sollten wir nicht vergessen. Nirgends sind zwei Nationen einander gleich. Jedes Nationalgefühl hat seine besonderen Wurzeln, seine unverwechselbaren Probleme und seine eigene Wärme. Unsere Lage, die sich von der der meisten anderen Nationen unterscheidet, ist kein Anlaß, uns ein Nationalgefühl zu versagen. Das wäre ungesund für uns selbst, und es wäre nur unheimlich für unsere Nachbarn. Wir müssen und wir dürfen uns in der Bundesrepublik Deutschland zu unserem nationalen Empfinden bekennen, zu unserer Geschichte, zur offenen deutschen Frage, zur Tatsache, daß wir überzeugte Bündnis- und Gemeinschaftspartner sein können und doch mit dem Herzen auch jenseits der Mauer leben.
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Wir sind kein Volk verwirrter Gefühle oder romantischer Grübeleien. Wir sind auch keine wandernden Missionare zwischen den Welten. Wir sind Menschen wie andere auch. Unsere Nachbarn dürfen davon ausgehen, daß auch sie in unserer Lage ganz ähnlich empfinden würden.
Zwei Grunddaten sind es, die diese Lage kennzeichnen. Das eine ist die Zugehörigkeit zum Westen. Sie beruht auf unserer Entscheidung für die Grundwerte des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates. Sie ist endgültig und unwiderruflich. Es ist dieser geistige und humane Boden, auf dem unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis beruht. Nur weil die Partnerschaft auf gemeinsamen Überzeugungen von Menschenrecht und freier Gesellschaft gründet, kann sie Interessen ihrer Mitglieder schützen. Unser Wille zu dieser Partnerschaft ist keine opportunistische Episode von vorübergehender Dauer und schon gar kein Gegensatz zu unserer deutschen Identität, sondern vielmehr ihr unentbehrlicher Bestandteil. Wir haben länger als andere gebraucht und es nur unter größeren Schmerzen erreicht, zu dieser Lebensform zu kommen. Um so weniger werden wir sie je wieder preisgeben wollen.
Eine besondere Gemeinschaft verknüpft uns mit I den Deutschen im anderen deutschen Staat. Das ist I das andere Grunddatum unserer Lage. Die GeBundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
schichte hat ihnen am Ende des Zweiten Weltkrieges den schwereren Teil als uns auferlegt. Um so mehr sollten wir sie spüren lassen, daß wir die Verantwortung für diese Geschichte mit ihnen ebenso teilen wie die Wurzeln unseres geistigen und sozialen Lebens, allen Systemunterschieden zum Trotz. Dies gilt nicht nur für die großen Zeugnisse aus der Vergangenheit, für die Dome in Naumburg, Erfurt und Güstrow, für den Geist aus Wittenberg und Weimar, für die Musik aus Leipzig und Dresden. Es kennzeichnet auch die heutige lebendige Wechselwirkung. Bewegend war etwa die Aufnahme, die die Berliner Philharmoniker im neuen Gewandhaus zu Leipzig gefunden haben. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Die Aussagen von Christa Wolf haben auch für uns im Westen eine bestimmende geistige Bedeutung. Man denke nur etwa an ihre Frankfurter Kassandra-Vorlesungen. So schön Teneriffa ist und so wichtig das Silicon Valley für unsere Entwicklung auch sein mag, der Neuaufbau der Semperoper in Dresden und das Leben der christlichen Gemeinden in der DDR berühren auch uns zutiefst.
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Uns Deutsche in Ost und West verknüpft eine elementare menschliche Zusammengehörigkeit. Erzwungene Abgrenzung und Zeitablauf haben sie nicht absterben lassen. Man denke nur an die Mauer. Die Absicht ihrer Erbauer war nur allzu klar und folgerichtig. Es galt, das eigene politische System zu konsolidieren. Die Bevölkerung der DDR sollte sich abfinden mit Teilung und Trennung. Aber fast noch deutlicher als vor 23 Jahren sehen wir heute, daß die Mauer dieses Ziel verfehlt. Wider Willen ist sie der überzeugende täglich frische Beweis, daß die Frage offen ist, die sie abschließend zu beantworten versuchte. Sie macht die Zusammengehörigkeit nur augenfälliger, die sie vergessen machen wollte.
Sorgen im Ausland über die Beständigkeit der deutschen Politik können wir um so glaubwürdiger begegnen, wenn wir unbequeme Realitäten der deutschen Lage nicht verschweigen, denn sie gehören zur menschlichen Natur. Wiederum ist die Mauer in Berlin dafür Beispiel. Ich habe dort noch keinen Polen oder Franzosen, keinen Afrikaner oder Amerikaner erlebt, der in ihrem Angesicht nicht so empfunden hätte wie wir. Übrigens hat auch Chruschtschow sie eine „häßliche Sache" genannt, die wieder weichen müsse, wenn die Gründe für ihren Bau entfielen. Und welche Gründe? Auf einer Synode in der DDR war davon unlängst eindrucksvoll die Rede: Die Menschen in der DDR fühlen sich ihrer Heimat verbunden. Sie wollen nicht weg. Heimat ist aber, so hieß es, nicht nur dort, wo man geboren ist. Heimat ist der Ort, wo man in Verantwortung genommen wird und wo man verantwortlich sein kann. Mehr Mitsprache und Mitverantwortung einräumen - das nimmt das Gefühl von Heimatlosigkeit und macht Ausreiseanträge und Abgrenzung überflüssig.
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Was die Menschen in zwei deutschen Staaten miteinander verbindet, kann nur im Frieden gedeihen. Die Deutschen haben nicht mehr Angst oder mehr Friedensliebe als andere Völker auch. Aber ihre Zusammengehörigkeit über Paktgrenzen hinweg gibt ihnen besondere Impulse in Richtung auf den Frieden. Lebten wir ohne inneres Band gleichgültig nebeneinander in zwei Lagern, so wäre vielleicht unser Engagement für den Frieden weniger intensiv. Die Teilung ist ein großes Leid. Die Trennung von Menschen, die zusammengehören, erzeugt aber auch eine friedensstiftende Kraft, die uns besonders nachdrücklich nach Beiträgen zur Verständigung in der internationalen Lage suchen läßt.
Wir sind in beiden deutschen Staaten einig im Begriff der Verantwortungsgemeinschaft. Die Führungen auf beiden Seiten bekennen sich dazu, daß nie wieder Krieg vom deutschen Boden ausgehen soll. Das ist gut. Aber damit ist, wie jeder weiß, der Frieden noch nicht gesichert. Unser Frieden hängt von der Lage zwischen Ost und West im ganzen ab. Auf sie, auf das Ganze einen friedlichen Einfluß zu suchen, darauf kommt es an. Nur so dienen wir unseren deutschen Interessen, nicht aber mit dem Gaukelbild einer Neutralisierung. Es gibt nur einen Ausstieg, nämlich den mit dem Kopf in den Sand.
Das Atlantische Bündnis, zu dem wir fest stehen, hat schon in den späten sechziger Jahren mit dem Harmel-Bericht die Richtung gewiesen, die auch heute gilt: Verteidigung und Entspannung als untrennbare Bestandteile unserer Politik gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten. Wir müssen und wir werden unsere Freiheit schützen. Daher lassen wir mit uns über unseren Platz im Bündnis und über seine Fähigkeit zur Verteidigung nicht verhandeln. Sicherheit ist erforderlich. Sie verlangt die Fähigkeit zum Selbstschutz auf möglichst niedrigem Niveau.
Wir wollen unseren vollen Anteil an der Verteidigung tragen. Wir tun es im Bewußtsein, daß die Verantwortung für den Frieden im atomaren Zeitalter fast übermenschlich groß ist. Allzuoft schon in der Geschichte sind die Völker in Kriege gegeneinander geraten, zumeist gegen ihren Willen, oft durch Pannen und Irrtümer. Die Wirkung der heutigen Waffen aber hat den Charakter eines Krieges verändert. Wenn die Menschheit überleben will, dürfen die Waffen nicht eingesetzt werden. Damit wird von uns eine ganz neue Kraft, eine ganz andere Qualität im Umgang mit Konflikten verlangt. Es gibt keinen unentrinnbaren Weg in die Katastrophe. Aber es gibt beileibe auch keinen zwingenden Grund zu Optimismus. Im Zeichen der Kernwaffen erlebt Europa heute eine seiner längsten Friedenszeiten, und wir sind dankbar dafür. Es wäre aber leichtfertig, zu glauben, daß uns nur deshalb auch eine friedliche Zukunft für immer sicher sei. Zahl und Perfektion der Waffen steigen von Jahr zu Jahr. Viele Menschen haben das Gefühl, daß dennoch oder vielleicht gerade darum die Sicherheit abnimmt. Jede Provokation, jedes Imponiergehabe, jedes waffentechnische Überholmanöver und auch jedes unbeabsichtigte Mißverständnis können gefährlich sein.
Es ist mit den Waffen wie mit anderen Bereichen der wissenschaftlichen und technischen Revolution auch. Der Mensch hat sich im Umgang mit der
Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
Natur schier grenzenlose Möglichkeiten eröffnet. Nun stößt er an eine neue Grenze, nämlich die seiner eigenen herkömmlichen Einsicht und Verantwortung. Da liegt die gewaltige Gefahr, aber auch die große und neue Chance. Weil die Kernwaffen die Menschheit auslöschen können, können sie keine Konflikte mehr lösen. Wir müssen um des Lebens willen zu einer neuen Einsicht und Verantwortung im Umgang mit Konflikten vorstoßen. Das ist die große Herausforderung vor uns.
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Werden wir diese Herausforderung bestehen? Werden wir denen, die die Hauptverantwortung tragen, helfen können, anstatt es ihnen zu erschweren? Werden wir zur Vertrauensbildung beitragen? Keinen Tag dürfen wir uns dem Druck dieser Fragen entziehen - keinen Tag inmitten des Friedens, in dem wir dankbar leben.
Wir Deutschen wollen in Frieden auch mit unseren Nachbarvölkern des Warschauer Paktes leben. Sie gehören einem fundamental anderen System zu, aber mit uns sind sie durch gemeinsame Geschichte, Kultur und Friedenswillen verbunden. Sie sind Europäer wie wir, und das sollten wir nie vergessen.
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Friedliche Beziehungen zur Sowjetunion haben für uns ein besonderes Gewicht. Dazu müssen wir die Realitäten ernst nehmen, wie sie sind. Kein Bündnis wird das andere mit einem Rüstungswettlauf in die Knie zwingen. An den Verhandlungstisch wird die Sowjetunion kommen, wenn es gelingt, ihre eigenen Interessen dafür zu mobilisieren. Zu einem inneren Reformkurs wird sie sich durch Druck von außen nicht nötigen lassen. Es gilt, bei der Sowjetunion, aber auch bei uns selbst, einem gegenseitigen allzu vereinfachten Weltbild entgegenzuwirken.
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Unzureichende Informationen und Vorurteile erzeugen wechselseitig unbegründete Angst, die nicht weniger gefährlich sein kann als Rüstung. Auch fördert es den Frieden nicht, die Welt in gut und böse einzuteilen.
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Wir verlieren unser Unterscheidungsvermögen zwischen Freiheit und Tyrannei keineswegs, wenn wir die Menschen in der Sowjetunion für so gut oder so böse halten wie uns selbst.
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Auch wenn wir alle Kraft auf eine besonnene und verantwortliche Sicherheitspolitik verwenden, so sollten sich doch die Ost-West-Beziehungen nicht in Sicherheitsfragen erschöpfen. Rüstung, Abrüstung, Rüstungskontrolle, kurz: der ganze Bereich der Sicherheitspolitik ist von großer Bedeutung, aber er ist die Rahmenbedingung der Ost-West-Beziehungen, dagegen nicht ihr eigentlicher Inhalt. Er darf, was die friedensstiftende Wirkung betrifft, nicht ein Monopol über unser Denken und Handeln annehmen. Denn diese friedensstiftende Wirkung, so lehrt historische Erfahrung, zeigt, daß in der Regel nicht Abrüstung den Weg zum Frieden ebnet, sondern friedliche Zusammenarbeit den Weg zur Abrüstung.
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In diesem Zusammenhang kann es auch deutsche Friedensbeiträge geben. Wir sind keine Führungsmächte, wir verfügen nicht über Kernwaffen, aber wir haben eine Klimaverantwortung für das Ost-West-Verhältnis. Die Kontakte zwischen verantwortlichen Politikern beider deutscher Staaten sind zahlreicher geworden. Man spricht unbefangener miteinander als früher. Man verliert weniger Zeit mit propagandistischen Einleitungen. Nun gilt es, die Substanz anzureichern. Wir wollen die anderen nicht gesundbeten, uns aber auch nicht ineinander verkrampfen.
Entscheidend ist die Entspannung, die sich nicht in Begegnungen der Politiker erschöpft, sondern von der Bevölkerung selbst am eigenen Leib erlebt werden kann. So können Klima und Beziehungen der beiden deutschen Staaten eine verklammernde Wirkung mit sich bringen, die sich gegen niemanden richtet, aber die dem Frieden in Europa nützen kann.
In diesem Sinne wäre ein Besuch des Generalsekretärs der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR bei uns zu begrüßen.
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Für mich hoffe ich auf eine Entwicklung der Verhältnisse für eine spätere Gelegenheit, in die DDR reisen zu können, mit deren Menschen ich mich tief verbunden fühle und die ich herzlich grüße.
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Ich komme aus Berlin in mein neues Amt. Die Geschichte dieser Stadt war immer geprägt von Weltoffenheit, Toleranz und Liberalität. Berlin wurde zum Zentrum des Deutschen Reichs. Es war nicht die Geburtsstätte, aber Machtmittelpunkt der nationalsozialistischen Herrschaft. So wurde Berlin auch Augangspunkt für Weltkrieg und schließlich für den Holocaust. Wir alle haften für unsägliches Leid, das im deutschen Namen geschehen ist.
Aber nicht nur Schrecken und Verbrechen verbreiteten sich von Berlin, sondern auch immer wieder und bis zuletzt tapfere und selbstlose Taten der Menschenhilfe und des Widerstandes. Wir werden ihrer am 20. Juli in Berlin gedenken.
Trotz Zerstörung, Teilung und isolierter Lage ist Berlin der Platz geblieben, der uns - wie kein anderer - Maßstäbe für unser Denken und Handeln gibt. Bald nach dem Krieg wurde die Stadt unter notvollem Druck von außen zum Symbol der Freiheitsliebe der Menschen. Unter gegenseitigem Respekt wurden dort aus ehemaligen Kriegsgegnern Freunde. Dafür gilt heute unser Dank den Franzosen, den Briten und nicht zuletzt den Amerikanern, denen wir überall in Frieden herzlich verbunden sind.
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Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
Und erlauben Sie mir bei diesem Anlaß als Vertreter des Kongresses der Vereinigten Staaten einen alten Freund der Deutschen, den Senator Mathias, herzlich zu grüßen.
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Von Berlin aus sind wir einander berechenbare und zuverlässige Partner geworden, und wir werden es bleiben.
In Berlin leben die wichtigsten Impulse der Zusammengehörigkeit aller Deutschen. Nirgends erklärt sich der notwendige Zusammenhang vom Schutz der Freiheit im Bündnis und von friedlicher Entspannung nach Osten so selbstverständlich wie in Berlin. In Berlin hat sich auch gezeigt, daß Ost und West sich auch dort über praktische Regelungen verständigen können, wo prinzipielle Meinungsverschiedenheiten zur Zeit nicht überbrückbar sind.
In Berlin hat sich im vollen Bewußtsein der furchtbaren Vergangenheit wieder eine jüdische Gemeinde zusammengefunden, um einen neuen Anfang mit uns zu machen. Nicht verdrängen, sich erinnern hilft weiter. Daran hat sie sich gehalten. Inzwischen ist weit über Berlin hinaus im Judentum wieder Vertrauen gewachsen. Eine neue menschliche Brücke ist entstanden. Sie ist noch zart und anfällig. Aber sie trägt wieder, und sie darf nie wieder einstürzen.
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So erfüllt Berlin entscheidende nationale Aufgaben für alle Deutschen. Ich bin froh, auch im neuen Amt mit Herz und Verstand Berliner bleiben zu können.
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Die wichtigste Aufgabe für uns, die wir heute Verantwortung tragen, ist die lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen. Unsere Nachfahren werden nicht fragen, welche Zukunftsvisionen wir für sie bereithielten; sie werden wissen wollen, nach welchen Maßstäben wir unsere eigene Welt eingerichtet haben, die wir ihnen hinterlassen. Woraufhin also leben wir heute, in unserer Zeit?
Die Maßstäbe dafür kann niemand vorschreiben. Auf der Suche nach ihnen gibt es ständig Konflikte und Veränderungen. Jahrelang herrschte ein neuer, ein aufbruchartiger sozialer und kultureller Fortschrittsglaube vor. Das Zutrauen, daß wir die guten Dinge machen können, bestimmte die Diskussionen. Utopien folgten die Ernüchterung und Enttäuschung. Heute sind die Stimmungen von einem Zeitgeist geprägt, der zwischen Zukunftsangst und Optimismus hin- und herschwankt. Seine heftigen Ausschläge sind kein sehr stabiles Zeichen.
Nutzen mehren, Schaden abwenden - beides gilt dem uns allen anvertrauten Wohl. Worin sehen wir dieses Wohl?
Nach wie vor beschäftigen wir uns stark mit unserer wirtschaftlichen Lebensgrundlage, mit unserem materiellen Wohlergehen. Wir leben im Bestreben, weit vorn in der Weltrangliste von Wirtschaft und Technik zu stehen. In unserer Lage kann das auch gar nicht anders sein. Aber damit erfüllen wir den politisch-humanen Begriff des Wohls nur sehr mager. Das Wohl, das uns anvertraut ist, weist auf das Dauernde im unaufhaltsamen Wandel hin, auf das, was es in der Natur der Welt und des Menschen zu bewahren gilt. Es zielt auf eine Sittlichkeit, die für sich in Anspruch nimmt, über den Tag und die Generation hinaus zu bestehen. Sie fragt nach einem humanen Maßstab für die Anwendung wissenschaftlicher und technischer Fähigkeiten. Sie betrifft die Kultur im Umgang von Menschen mit Menschen, mit Dingen und mit der Zukunft. Dafür kann ich nur Beispiele nennen. Es kommt meinem Amt zu, Fragen zu stellen und die Arbeit für Antworten auf sie zu ermutigen, nicht aber Rezepte anzubieten.
Von den Gefahren immer neuer, wirkungsgenauerer Waffen war schon die Rede.
Den Ertrag des Bodens kurzfristig zu steigern, haben wir gelernt. Können wir aber auch verhindern, daß der Boden auf diese Weise langfristig abstirbt? Werden wir angesichts unserer angewachsenen Macht, die Zukunft schon heute zu verbrauchen, auch in unseren Enkeln unseren Nächsten erkennen lernen?
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Fragen wir uns unerbittlich genug, ob aus dem, was wir heute tun, keinem Nachgeborenen ein Schaden entsteht? Können wir uns aus der menschlichen Überheblichkeit befreien und Rücksicht auf die Natur um ihrer selbst willen lernen?
Die Produktionstechnologie macht sprunghafte Fortschritte. Sie macht schwere Arbeit leichter, und das ist human. Sie macht vielfach Arbeit überhaupt überflüssig, und mit den Folgen werden wir bislang nicht fertig. Technischer Wandel schafft zwar auch neue Arbeit, er verändert und verlagert sie. Die Übergänge aber sind es, die uns zu schaffen machen. Viel zu viele alte und junge Menschen suchen zur Zeit vergeblich Arbeit. Wir brauchen die Tarifautonomie; wir dürfen Arbeitskämpfen nicht ausweichen.
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Auch ich möchte den Vermittlern im jetzigen Konflikt meinen herzlichen Dank sagen.
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Aber werden wir nach diesen schweren Monaten eine Neubesinnung auf eine Sozialpartnerschaft erleben, die wir dringender als je brauchen? Die Verbände haben große wirtschaftliche und soziale Macht, weit über ihre Mitglieder hinaus. Werden sie sich und werden wir alle uns mit ihnen im wirklich uneigennützigen Kampf zugunsten Dritter, nämlicher derer bewähren, die Arbeit suchen?
Europa ist für uns und für die Zukunft von entscheidender Bedeutung. Die Stimme der Europäer und ihre Verantwortung in der Welt sind dringend gefragt. Die Notstände verlangen es gebieterisch: die Überbevölkerung, der Hunger, die sozialen Spannungen, die Zahlungsunfähigkeit. Wir kommen auf unserem steinigen Weg langsam vorwärts. Gerade jetzt sind wir für Fortschritte dankbar, die in Fontainebleau erzielt wurden. Aber Großes und
Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
Schweres bleibt zu tun. Junge Menschen z. B. werden wir für Europa erst gewinnen, wenn wir ein System überwinden, mit dem wir hier bei uns Ernährungsüberschüsse finanzieren, die dort nicht einsetzbar sind, wo Menschen Hungers sterben.
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In Australien haben Ärzte aus einem monatelang tiefgekühlten Embryo ein Kind entwickelt. Eine amerikanische Zeitschrift meinte dazu, die Embryos würden hier „mit ebensoviel Respekt wie gefrorene Erbsen" behandelt. Verständlicherweise werden die besorgten und heftigen Fragen zunehmen. Was für wissenschaftlich entwickelte Wickelkinder wird es noch geben?
Was uns not tut, ist aber nicht die Emotionalisierung, sondern die gemeinsame sachliche und strenge Suche nach einer angemessenen Ethik. Auch die Forschung am Menschen ist Teil der freien Wissenschaft. Aber die Freiheit ist nicht schrankenlos.
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In vielen Bereichen haben wir genaue Vorschriften für den Umgang mit dieser Freiheit, z. B. beim Eigentum. Reicht für die Forschung am Menschen und ihre Anwendung die verantwortliche Selbstkontrolle der Wissenschaft aus? Oder müssen wir ihr nicht doch mit klareren Rahmenregeln helfen? Will sie es nicht in Wirklichkeit selbst?
Maßstäbe für den Umgang untereinander ergeben sich aus den Erfahrungen während der Kindheit. Maßgeblich dafür ist das Beispiel der Älteren in den Familien, sind die Schulen, ist aber auch das Fernsehen.
Besonders viele Fragen richten sich an die Entwicklung der elektronischen Medien. Werden uns die Gründerjahre der neuen Medien, wie manche meinen, das neue Heil bringen? Werden wir mit ihnen beweisen können, daß wir dem technischen Fortschritt menschlich gewachsen sind? Oder werden sie eine Industrialisierung des Bewußtseins bringen, eine neue, tiefgehende Entfremdung? Werden sie uns die eigenen Erlebnisse rauben und sie durch vorgefertigte, standardisierte Erfahrungen ersetzen? Werden wir uns, wenn die Videofilme immer perfekter und zahlreicher Gewalttaten und Katastrophen elektronisch verbreiten, auch hier damit zufriedengeben, der Gebrauch der Freiheit kenne nun einmal keine Grenzen? Werden uns diese Medien also ungehemmt nahebringen, wie man gegeneinander lebt? Oder werden sie uns helfen, zu lernen, was viel schwieriger, aber auch viel wichtiger zu lernen ist, nämlich wie wir miteinander auskommen?
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Die Sehnsucht des menschlichen Herzens geht gewiß über eine Denver-Clan-Koexistenz hinaus.
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Aber wir dürfen uns nicht allein auf die Stärke der menschlichen Natur zur Selbstbehauptung verlassen. Es genügt auch nicht, auf die beruhigende Statistik zu bauen, wonach bisher nur 26 % aller Zuschauer beim Fernsehen noch nie eingeschlafen sind.
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Ich gestehe, meine Damen und Herren, auch ich gehöre nicht zu dieser standhaft wachen Minderheit.
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Müssen wir nicht vielmehr die gewaltige, langfristige Problematik einfach noch viel ernster nehmen als bisher? Ich meine nicht nur die Programmacher, sondern auch uns Zuschauer. Denn wir sind ja dieselben Menschen - hüben und drüben. Es ist erstaunlich, wie viele Forschungsgebiete der Staat seit Jahr und Tag fördert, wie stiefmütterlich er aber bisher die Medienwirkungsforschung behandelt hat.
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Es gab viel ideologischen Streit, Konflikte um vermeintliche parteipolitische Vorteile, aber wenig empirische Sozialforschung. Muß das so bleiben? Sollten wir uns nicht auch hier der Frage nach Regeln für den rechten Gebrauch dieser Freiheit stellen?
Den Schulen gilt die Frage, ob sie nicht nur Lehranstalt sind, sondern Lebensraum. Lernen die Kinder neben der notwendigen kritischen Fähigkeit, Konflikte zu führen, auch, Konflikte zu beenden? Das Beispiel der Erwachsenen ist da mitunter recht trübe. Lernen sie, etwas von sich zu verlangen und dadurch Selbstbewußtsein und Lebensmut zu gewinnen? Der Sport - Sie haben ihn schon erwähnt - ist dafür wertvoll; man kann dies vor allem beim Versehrtensport sehen. Freilich, die Erfahrung mit dem Sport gilt natürlich auch für Erwachsene, auch für Ältere. Die 680 000 Mitbürger, die im letzten Jahr das Sportabzeichen erworben haben, werden auch mir als gutes Beispiel dienen.
Welche Rolle spielt neben dem erlernbaren Wissen die Phantasie? Sie ist kein musischer Winkel für ein paar künstlerisch Begabte, sondern sie ist eine Lebenshilfe für jeden von uns in der technischen Welt. Ich bin kein sachverständiger Liebhaber aller Schöpfungen von Joseph Beuys. Aber ich bin beeindruckt von seinem pädagogischen Kunstbegriff und seinen Forderungen, daß wir uns nicht in Künstler und Nichtkünstler einteilen lassen dürften. Vielmehr sollten wir in jedem Menschen einen Mitgestalter von Leben und Zukunft und damit einen auf seine Weise künstlerisch tätigen Mitmenschen sehen.
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Kinder, die musisch erzogen werden und schon früh das Gefühl für Reim und Rhythmus bekommen, lernen später besser lesen. Wer gut lesen kann, versteht und verarbeitet überdies erwiesenermaßen das Fernsehen besser. Ich hoffe, mit Schülern aller Schulen möglichst oft zusammenzutreffen und sprechen zu können.
Jahrzehnte hindurch haben wir die Lebensbedingungen der Familie materiell und moralisch geschwächt. Das uns anvertraute Wohl nimmt dadurch schweren Schaden. Wie können wir ihn wenBundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
den? Wie begegnen wir dem Zusammenwirken von familienfeindlicher ökonomischer Struktur und menschlicher Bequemlichkeit? Wird uns die lebensnotwendige Korrektur eines Systems gelingen, welches den Gegenwartskonsum fördert, die Zukunftsvorsorge bestraft und damit den Wunsch nach Kindern entmutigt? Werden wir der viel zu weit gehenden, der unmenschlichen Isolierung alter Menschen wehren? Wird es gelingen, die Kinder während ihrer ersten Lebensjahre unter besseren Bedingungen im eigenen Elternhaus zu erziehen und damit frühkindliche Gesundheitsschäden zu vermeiden?
Was Frauen in unserer Zeit vor allem bewegt und was sie fragen, ist berechtigt und ist Ausdruck einer historischen Veränderung. Es ist in erster Linie an uns, an den Männern, zwar nicht immer die Antworten zu geben, aber sie möglich zu machen. Wenn Männer die Fragen der Frauen ernst nehmen, ohne sie auf dem Rücken der Familie zu beantworten, dann müssen sie zunächst sich selbst stärker den Familien zuwenden.
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Je mehr bloße Zweckbündnisse, vorübergehende Beziehungen unter Menschen entstanden sind, desto mehr wächst zugleich ein tiefes Verlangen nach Entschiedenheit, nach Verbindlichkeit und Dauer, nach etwas anderem als dem Management von Beziehungskrisen, nach Bindung, Wärme und Liebe. Es geht nicht um Partnerschaft als Eheersatz, sondern es geht um partnerschaftliche Ehe.
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Es gibt bei uns besondere Minderheiten. Ich denke an die bei uns lebenden Ausländer. Auch hier muß sich die Kultur im Umgang vom Menschen mit dem Menschen bewähren. Das erfordert große Anstrengungen auf beiden Seiten. Gelingen kann es nur, wenn die Zahl der Ausländer nicht weiter wächst. Die allermeisten von ihnen haben wir eingeladen, zu uns zu kommen. Das ist unsere Verantwortung. Sie erbringen ihre Leistungen, aber viele von ihnen leben in Spannungen und Zukunftssorgen. Soweit sie auf die Dauer bei uns bleiben wollen, müssen sie die Fähigkeit und den Willen entwickeln, mit uns allmählich zusammenzuwachsen. Unsere Aufgabe ist es, Lebensbrücken zu bauen und der kulturellen Eigenständigkeit der Ausländer Raum zu lassen.
Die beste Friedenserziehung für Kinder wird es, so glaube ich, sein, Ausländerkinder in deren Familien zu besuchen und ihnen dort zu helfen. Dann erwerben sie ganz von selbst ein Empfinden dafür, daß sich Deutsche und Ausländer gegenseitig achten und bereichern können.
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Dringend unserer Zuwendung bedarf der Strafvollzug. Das ist kein Problem der Ideologie, sondern der praktischen Verhältnisse, unter denen Insassen und Mitarbeiter im Vollzug leiden. Vor allem bei Jugendlichen und Erststraftätern sollte an ihre Zukunft gedacht werden.
Für das Gnadenwesen frage ich, wie wir verhindern können, daß es immer weiter verrechtlicht und abstrahiert wird. Seine Handhabung sollte daran erinnern, wo es herkommt. Das Recht ist ein wichtiger Maßstab für Gnade. Aber es darf nicht der einzige sein. Recht ist auf Gnade angewiesen: Gnade vor Recht.
Zehn Beispiele für Fragen nach einer lebenswerten Zukunft, die uns heute bewegen, habe ich genannt. Bei den Konflikten, die sie mit sich bringen, haben wir es mit einer Polarisierung quer durch Parteien, Schichten und Altersgruppen hindurch zu tun. Die einen wollen die Gesellschaft mit radikalen Protestaktionen aufrütteln und auf Gefahren für die Zukunft aufmerksam machen. Andere sehen in der Radikalität von Protesten eine Gefahr für die freiheitliche Demokratie und damit einen Grund zur Sorge um die Zukunft. Ich glaube, wir müssen beide Ansätze ernst nehmen. Die Demokratie kann nur bestehen, wenn die langfristigen Überlebensfragen der Menschheit schonungslos erörtert und glaubwürdig beantwortet werden. Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Probleme kann dies nicht ohne Härte und Ungeduld abgehen.
Es ist fatal, wenn beim Bürger der Eindruck entsteht, auf ihn käme es gar nicht an, denn „die da oben" machten ja doch, was sie wollten. In Wirklichkeit wissen doch wir Politiker oft selbst noch keine Lösung und sind dringend auf Mitberatung angewiesen. Ich meine, es ist ehrlicher und überzeugender, dies offen einzugestehen, statt zu glauben, wir Politiker - egal welcher Richtung - schuldeten dem Publikum nur einen ermutigenden Optimismus und dem Gegner die scharfe Konfrontation.
({32})
Andererseits können wir die Überlebensfragen der Menschheit nirgendwo mit einer größeren Chance auf Erfolg behandeln als in der Demokratie. Sie ist offener und lernfähiger als jede andere Regierungsform. Auch wenn es oft nicht schnell genug geht und nicht immer auf Anhieb der richtige Weg gefunden wird, so ist doch die Demokratie am besten in der Lage, Fehler zur Sprache zu bringen, sich zu korrigieren, Einsichten und Vernunft im Widerstreit der Meinungen zu entwickeln.
Entscheidend ist die Freiheit. Sie allein macht es möglich, gemeinsam die Wahrheit, das richtige Ziel und die richtigen Mittel und Wege zu suchen.
Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die den stets notwendigen Weg zum Wandel in Frieden finden läßt. Damit dies möglich bleibt, darf die Radikalität des Streitens niemals die Regeln des Rechts verletzen, denn diese sind die Bedingungen für die Freiheit und die Kraft zur Reform.
({33})
Damit wir in dieser Freiheit zu Entscheidungen kommen können, muß es nach dem Mehrheitsprinzip gehen. Dabei wissen wir alle, daß die Mehrheit genauso wenig über die Wahrheit verfügt wie die Minderheit. Keiner darf für sich den Besitz der Wahrheit beanspruchen, sonst wäre er unfähig zum Kompromiß und überhaupt zum Zusammenleben; er würde kein Mitbürger, sondern ein Tyrann. Wer das Mehrheitsprinzip auflösen und durch die Herr5802
Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
schaft der absoluten Wahrheit ersetzen will, der löst die freiheitliche Demokratie auf.
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Deshalb können wir die Stimmen nur zählen, wir können sie nicht wägen.
Aber das genügt nicht. Von Mehrheiten und Minderheiten wird mehr verlangt, als zählen zu können. Die Minderheit muß der Mehrheit das Recht zur Entscheidung zugestehen. Die Mehrheit hat beim Umgang mit diesem Recht die Pflicht, sich in der offenen Suche nach Wahrheit besonders zu engagieren. Sie muß ihre Entscheidung auf Grundsätze stützen, die von allen eingesehen und als legitim empfunden werden können. Die Entscheidungen müssen zumutbar sein. Keiner soll sich durch sie in seiner Existenz bedroht oder ausgebürgert fühlen. Nur so ist ein demokratischer Grundkonsens möglich, den die Verfassung zwar nicht vorschreibt, ohne den aber die Demokratie auf die Dauer nicht leben kann. Nur so ist auch die Zustimmung der freien Bürger zu ihrem freien Staat zu gewinnen. Nur so wachsen ihre Mitarbeit und ihr Gemeinsinn.
Es gibt bei uns eine große Aktivität der Bürger. Man kann ein gestärktes Bürgerbewußtsein, verbunden mit einem geschwächten Staatsbewußtsein, beobachten. Aber heißt dies, daß sich die Bürger damit ganz grundsätzlich gegen den Staat wenden? Das glaube ich durchaus nicht.
Gewiß, die einzelnen und die Gruppen nehmen in erster Linie ihre eigenen Interessen wahr. Aber sie empfinden doch sehr deutlich, daß nicht jeder frei ist, durchzusetzen, was er will, sondern daß zur Vielfalt der Einzelinteressen die Einheit der Gemeinwohlentscheidung treten muß. Das ist es, was die Bürger vom Staat erwarten. Wenn er sie darin enttäuscht, wenn er nur eine Dienstleistungsmaschine ist, wenn er seine ganz eigenständige Gemeinwohlaufgabe in der Gesellschaft nicht überzeugend durchzusetzen weiß, wenn er also am Ende bestenfalls ein bald beklatschter, bald ausgepfiffener Schiedsrichter ist, wie will er dann seine Bürger binden und gewinnen? Wie kann er damit etwas anderes erzeugen als Verdrossenheit gegen sich selbst?
Und gibt es bei den Bürgern wirklich so wenig Gemeinsinn, wie man oft hören kann? Ist es wahr, was in Magazinen zu lesen ist, Gemeinsinn und Selbstlosigkeit lösten hierzulande nur hämische Mitbürgerglossen aus? Ich deute die Zeichen ganz anders. Es gibt viele - zumeist im stillen erbrachte - soziale Dienste aller Art in der Nachbarschaft. Junge und Alte sind daran beteiligt.
Und wenn junge Menschen eine Alternativkultur aufbauen, dann folgen sie damit zunächst einmal dem Wunsch jeder neuen Generation, nämlich dem, daß sie ihre Welt selbst in die Hand nehmen wollen und nicht einfach Museumswärter einer Welt ihrer Vorfahren sein wollen. Darüber hinaus aber suchen sie Aufgaben, die ihnen das Leben lohnend machen, die ihnen Gemeinschaft bringen, die sie spüren lassen, daß sie menschlich gebraucht werden. Mit unserem Staat werden sie sich um so eher identifizieren, je mehr er ihnen nicht nur das notwendige und willkommene soziale Netz bietet, sondern auch ein soziales Band, das sie vermissen.
Der Bürger - so sagte mir einer von ihnen - wird versorgt, er wird entsorgt, er kann unbesorgt sein. Aber kann er auch genügend mitsorgen, miterleben, mitarbeiten? Solche Fragen ernst nehmen, das halte ich für unsere Aufgabe. Sie mögen kritisch gesagt und gefragt sein, aber sie sind positiv zu verstehen. Manche Bürgerbewegung nimmt - vielleicht unbewußt - für einen Staat Stellung, der persönliche Verantwortung und mitmenschliche Verbindung nicht überflüssig macht, sondern ermutigt. Auch das gehört zur Gemeinwohlaufgabe des Staates.
Herr Bundespräsident Carstens und ich haben uns über unsere Ansprachen nicht verständigt, aber es ist doch kein Zufall, daß wir beide mit einem ganz ähnlichen Gedanken abschließen. Und so lassen Sie auch mich an den Anfang unserer Verfassung anknüpfen. Diese Verfassung beginnt, wie wir wissen, für das deutsche Volk mit den Worten: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ..."
Für die Berufung auf Gott gab es in der deutschen Verfassungsgeschichte keine feste Tradition. Der Parlamentarische Rat fand den Mut zu diesen Worten im Hinblick auf das Unheil des Nationalsozialismus und auf den Wahn, daß ein Volk oder der Mensch selbstmächtig, selbstherrlich, Herrenvolk, Herrenmensch sei.
Die Verantwortung vor Gott ist nicht dazu da, nachgeprüft zu werden. Vielen mag sie vielleicht nichts bedeuten. Wer weiß, ob sie heute Eingang fände, falls wir eine neue Verfassung zu schreiben hätten.
Die Verweltlichung aller Lebensverhältnisse ist fortgeschritten. Eindeutig klar bleibt nur das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Pluralität weltanschaulicher Auffassungen, zur Neutralität gegenüber der Vielfalt religiöser oder areligiöser Leitlinien.
Dennoch ist es nicht müßig, an das Verfassungsbekenntnis zur Verantwortung vor Gott zu erinnern. Der Verweltlichung und Säkularisierung stehen neue, teilweise heftige religiöse Zuwendungen und Ausschläge gegenüber. Aufklärung, Rationalität, naturwissenschaftliche Forschung - sie alle schaffen nicht nur tiefere Einsicht in die Komplexität, sie bringen auch von neuem die Erkenntnis hervor, daß nicht alles erklärbar ist.
Wir begegnen der Erfahrung, daß der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist, daß er nicht alles deuten, nicht allem und nicht sich selbst den letzten Sinn geben kann. Wenn er aber in einer Welt leben soll, die ihm diese Erfahrung bestreiten und alles weltlich erklären will, dann reagiert er darauf oft mit einer Flucht; zuletzt flieht er in Sekten und in den Fanatismus. Dies ist nicht auf den christlich geprägten Teil der Welt beschränkt; wir finden es im Abendland und im Morgenland.
Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker
Was folgt für uns daraus? Ganz gewiß kein politischer Auftrag zu religiöser Verkündigung. Aber es geht uns alle etwas an, was die Wirklichkeit der Religion in der Gesellschaft bedeutet.
Jacob Burckhardt hat darauf hingewiesen, daß die Religion im neutralen Staat den Unterschied zwischen heilig und profan verdeutliche: Das Heilige, so sagt er, ist die Ehrfurcht vor Gott, die in die Welt vordringt, in die Ehrfurcht vor dem Menschen, vor seiner Einmaligkeit, seiner Würde, seiner unsterblichen Seele.
Dazu mag jeder seine eigenen Auffassungen haben. Schaden aber bringt es niemandem, sich immer wieder von neuem den Unterschied zwischen dem Letzten und dem Vorletzten klarzumachen, zwischen unserer Verantwortung und unseren Grenzen. Weder Naturwissenschaftler noch Geistes- und Sozialwissenschaftler können alles erklären, erst recht nicht wir Politiker.
Die Verfassung erinnert an die Verantwortung vor Gott. Sie überläßt jedem sein Gottesbild und sein Weltbild. Aber uns allen legt sie ein Menschenbild ans Herz, das uns entscheidend helfen kann. Gerade dort, wo uns unter den oft ausweglos erscheinenden Spannungen im Leben und in der Welt die Verzweiflung anfällt, gerade dort kann sie uns tiefe Zuversicht geben.
Es geht nicht um große Taten, die wir uns vornehmen, es geht um die Pflichten und Freuden eines jeden Tages. Der weise alte Berliner Moses Mendelssohn schrieb:
Auf dem dunklen Pfad, auf dem der Mensch hier auf Erden gehen muß, gibt es gerade soviel Licht, wie er braucht, um den nächsten Schritt zu tun.
Dieses Licht sucht der Mensch, und ich meine, er kann es finden.
Davon wollen wir uns leiten lassen im täglichen Leben und in unserer Arbeit. Was ich mit meinen Kräften dazu beitragen kann, soll geschehen. Jeder, der mithilft, ist willkommen.
({35})
Ich danke Ihnen, Herr Bundespräsident, und spreche Ihnen noch einmal die besten Wünsche aus.
Das Wort hat der Präsident des Bundesrates, Herr Ministerpräsident Strauß.
Meine Herren Präsidenten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 35. Jahrestag unserer Verfassung, dem 23. Mai dieses Jahres, ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland zum achten Male gewählt worden. Mit dieser Wahl und der heutigen Eidesleistung des Bundespräsidenten vollzieht sich zum fünften Mal ein Wechsel in diesem Amt. Die Art und Weise, in der das geschieht, ist Ausdruck dafür, daß unser junger Staat 35 Jahre nach Verabschiedung seiner Verfassung feste Form nach innen und ehrengeachtete Anerkennung nach außen gefunden hat.
Die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung und die heutige Eidesleistung des Bundespräsidenten vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates unterstreichen aber auch ein Zweites: Demokratie und Föderalismus stehen als tragende Säulen unserer Staatsordnung nebeneinander.
Sie, sehr geehrter Herr Professor Carstens, haben während Ihrer Amtszeit immer wieder auf die Bedeutung dieser Grundelemente unserer staatlichen Ordnung, des demokratischen Rechtsstaates, der parlamentarischen Demokratie, der föderativen Verfassung, hingewiesen. Sie haben auch ungezählte Male auf den verpflichtenden Charakter der anderen Elemente unseres freiheitlichen, sozialen Rechtsstaates aufmerksam gemacht. Eines Ihrer Hauptanliegen war es dabei, Verbindungslinien zu den historisch-kulturellen Fundamenten unseres Staates und den Wegbereitern unserer Grundordnung zu ziehen. Sie haben sich immer zur deutschen Geschichte mit ihren hellen und ihren dunklen Seiten bekannt.
Sie haben als Bundespräsident durch Ihre Person und Ihre Tätigkeit zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Kulturstaat ist, der auf eine reiche Tradition aufbauen kann. In Ihnen haben Musik, bildende Künste, Dichtung, Wissenschaft einen überzeugten und überzeugenden Förderer gefunden. Sie haben eine damit verbundene andere Grundlinie überzeugend zum Ausdruck gebracht, nämlich das Bekenntnis zur Idee der Freiheit und das Gedenken an die vielen Frauen und Männer, die im Kampf um Freiheit in Deutschland ihre persönliche Freiheit, ihre Gesundheit, ihr Leben gewagt und in unzähligen Fällen geopfert haben.
Sie waren ein engagierter und überzeugender Vertreter des demokratischen Grundkonsensus, ohne den ein demokratisches Gemeinschaftswesen auf die Dauer nicht bestehen kann. Sie konnten sich dabei auf Erfahrungen stützen, die Sie als Politiker aus unterschiedlichen Aufgaben selbst gewonnen hatten: als Bevollmächtigter Bremens auf der Seite der Länder, in herausragenden Ämtern des Bundes bis zum höchsten Amte, das dieser Bund zu verleihen hat. Die, mit Respekt gesagt, „Lehrjahre" - sit venia verbo - wurden, nachdem Sie 1979 in das höchste Amt dieses Staates gewählt worden waren, im wahrsten Sinne des Wortes zu „Wanderjahren" für unser demokratisches und föderatives Gemeinwesen.
({0})
Gerade dabei haben Ihr unmittelbarer Kontakt und Ihre Nähe zu den Bürgern, wie ich sie selbst mehrmals erleben durfte, gerade zu jungen Menschen, wesentlich dazu beigetragen, daß Sie breite Zustimmung und Resonanz in der Bevölkerung gefunden haben.
Für dieses Wirken spreche ich Ihnen, sehr geehrter Herr Professor Carstens, den Dank des Bundesrates und aller Länder aus.
Auch Ihnen, sehr verehrte Frau Dr. Carstens, die Sie die verantwortungsvolle Arbeit Ihres Gatten in
Präsident Dr. h. c. Strauß
liebenswürdiger Art und Weise mitgetragen und unterstützt haben, möchte ich ein ganz besonders herzliches Wort des Dankes sagen, auch für Ihr soziales Engagement, mit dem Sie sich in besonderer Weise die Herzen vieler Mitbürger erobert haben, gerade derer, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.
({1})
Das Grundgesetz möchte - aus gutem Grund und historischer Erfahrung der Weimarer Zeit, daß das Amt des Bundespräsidenten im Interesse aller Bürger ausgleichen, vermitteln - weniger machtvoll gestalten - soll. Politische Macht im eigentlichen Sinne steht dem Präsidenten dabei unmittelbar kaum zu Gebote. Er ist auf die Wirkung des Wortes, die prägende Kraft seiner Persönlichkeit verwiesen. Ich betrachte es als eine auch für mich glückliche Stunde, heute erlebt zu haben, wie zwei Bundespräsidenten von dieser prägenden Kraft des Wortes und von der überzeugenden Kraft ihrer Persönlichkeit ausstrahlend Gebrauch gemacht haben.
({2})
Die Verantwortung und Verpflichtung zum gesamtstaatlichen Konsensus ist auch den in der Tagespolitik tätigen Frauen und Männern, aber nicht nur ihnen, sie ist allen Bürgern auferlegt. Die im Grundgesetz vorgesehene gegenseitige Kontrolle und Machtverteilung in unserem Staate können die ihnen zugedachten positiven Wirkungen nur entfalten, wenn in grundsätzlichen Angelegenheiten Einvernehmen erzielt werden kann und der demokratische Grundkonsensus nicht in Frage gestellt wird.
Um nicht mißverstanden zu werden: Wenn ich von Konsensus spreche, meine ich damit weder konturenlose Konformität noch romantisches Harmoniestreben. Mit derartigen Eigenschaften wäre für einen demokratischen Staat, gerade für den föderativen, nichts gewonnen; sie wären schädlich. Demokratie lebt vom Widerspruch, lebt von der Auseinandersetzung, lebt von der Diskussion, lebt von der politischen Alternative.
Was jedoch not tut, das ist die Rückbesinnung und Verständigung auf die gemeinsamen Grundwerte, auf Ziele und Aufgaben einer geschichtlich fundierten, ethisch vertretbaren und zukunftsorientierten Politik. Die Einsicht wächst, daß mehr denn je auch Antworten grundsätzlicher Natur gefordert sind, Antworten, die die ethischen Grundlagen menschlicher Existenz gebührend berücksichtigen, wie wir eben in beiden Reden gehört haben.
Unsere Gesellschaft steht aller Wahrscheinlichkeit nach vor grundlegenden politischen Weichenstellungen, vielleicht vor einem neuen Abschnitt deutscher, europäischer und weltpolitischer Geschichte. Sind die Entscheidungen erst einmal getroffen, können sie entweder gar nicht mehr oder nur noch unter größten Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden. Deshalb dürfen Weichenstellungen auch immer nur so erfolgen, daß die Mehrheit der nächsten Wahl noch Korrekturen vornehmen kann, die dann nach demokratischem Grundsatz vorgenommen werden müssen und vornehmbar sind. Es müssen auch mögliche Folgewirkungen neuer Techniken erkannt und bei politischen Entscheidungen bedacht werden. Nur so können die Fortschritte der Technik für den Menschen verantwortungsvoll nutzbar gemacht werden. Verantwortung ist damit einer der Schlüsselbegriffe für die Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen.
Ich möchte aus der Fülle der Stichworte nur eines herausgreifen: die synthetische Biologie oder auch Gen- und Biotechnik, bei der nicht neues Leben geschaffen wird - nur Gott schafft neues Leben -, bei der aber Leben beeinflußt werden kann. Die Grenzen, die bei der Beeinflussung einzuhalten sind, müssen nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von der politischen Verantwortung her gezogen werden.
({3})
Gerade deshalb sollten wir lernen, vor Entscheidungen, die wir heute für spätere Generationen treffen, wieder mehr aufeinander zuzugehen. Nur wenn wir uns dieser gemeinsamen Verantwortung stellen und ihr nicht aus falsch verstandener Furcht oder opportunistischer Haltung ausweichen, können wir hoffen, daß unsere Entscheidungen von den Bürgern, gerade auch von den jungen Bürgern, mitgetragen werden. Nur so wird es uns gelingen, verlorengegangenes politisches Kapital zurückzugewinnen, Politikverdrossenheit abzubauen und das Vertrauen in unsere staatliche Ordnung zu festigen, - das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, die die beste Symbiose ist zwischen Recht und Freiheitsanspruch des einzelnen sowie dem Machtgestaltungsanspruch der Gemeinschaft und ihrer staatlichen Ordnung.
Die föderative Grundstruktur unseres Staatswesens kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Selbstverwaltung, Subsidiarität und Eigenverantwortung der Länder sind als Grundlagen politischer Konsensbildung zu stärken. Konsens und Vielfalt sind keine Gegensätze, sie bedingen und ermöglichen sich gegenseitig. Nur aus der Vielfalt kann der Konsens entstehen, und nur im Konsensus kann sich Vielfalt ohne Schaden für die Allgemeinheit entwickeln.
Wir müssen der Kraft der Vielfalt durch die Stärkung mittlerer und unterer politischer Ebenen soviel Raum wie möglich geben. Es muß uns gelingen, den zuweilen bei jungen Leuten aus enttäuschtem Mitwirkungsverlangen begonnenen Rückzug in die Privatsphäre oder in die Aussteigermentalität zu stoppen. Gerade diese jungen Menschen müssen wieder die Gewißheit erlangen, daß ihre gestalterische Kreativität und ihr Engagement auch im gesellschaftlichen und politischen Bereich gefragt sind und gefördert werden - daß sie gebraucht werden.
({4})
Hier liegt auch eine der wichtigen Funktionen unserer föderativen Ordnung. Anstöße und Anregungen der Bürger, der Kommunen, der Landesparlamente aufnehmen, in die politische Entscheidungsfindung, in das Gesamtnetz der Information
Präsident Dr. h. c. Strauß
und Entscheidungstechnik einbinden, das ist die Aufgabe, der wir uns verstärkt widmen müssen.
Auch der Bundesrat ist hier gefordert. Er kann durch die Erfahrungen, die die Länder vor Ort sammeln, vermittelnd und anregend auf die bundesstaatliche Politik einwirken und damit einen positiven Beitrag zur Konsensbildung leisten und damit Sie, Herr Bundespräsident, auch in Ihrer Arbeit unterstützen.
Demokratie und Föderalismus, verkörpert durch Bundestag und Bundesrat, brauchen die gegenseitige Verzahnung bei der Bewältigung der großen Aufgaben, die wir gemeinsam zu lösen haben. Der von möglichst vielen getragene Konsensus als staatspolitische Grundhaltung ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des inneren Friedens, und der innere Friede ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung des äußeren Friedens. Daraus erwächst uns die Kraft, mit der wir uns den neuen Aufgaben zuversichtlich stellen können.
Sie, Herr Bundespräsident von Weizsäcker, bestärken auf Grund Ihres bisherigen politischen Wirkens in besonderer Weise diese Hoffnung, nicht zuletzt durch die Rede, die wir eben von Ihnen vernommen haben. Sie haben durch Ihren persönlichen Einsatz viel für gesellschaftlichen Ausgleich und politischen Konsensus - in Berlin, aber auch-weit darüber hinaus - bewirkt. Sie haben das Bewahren von Bewährtem, dessen friedliche Weiterentwicklung, Liberalität und Toleranz gegenüber dem anderen als Richtpunkt Ihres Handelns bezeichnet.
Im Namen des Bundesrates, dem Sie noch vor kurzem angehörten, wünsche ich Ihnen und Ihrer verehrten Frau für die neue Aufgabe Glück und Gottes Segen. Wir alle wünschen Ihnen, Herr Bundespräsident, die Kraft für eine erfolgreiche Präsidentschaft zum Wohle Deutschlands, unseres Vaterlandes.
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Wir danken alle noch einmal dem scheidenden Bundespräsidenten Carstens und seiner Frau Veronika für ihre Arbeit. Unsere besten Wünsche geleiten sie in die Zukunft.
Herr Bundespräsident, Gottes Segen für Ihre Arbeit, auch für Sie, Frau von Weizsäcker!
Ich grüße Sie alle. Ich wünsche uns allen ein paar Tage der Erholung und möchte mit guten Wünschen auch für die, die uns wählten, und für die, die, wie es das Grundgesetz sagt, hier nicht mitwirken dürfen, mit den besten Wünschen für sie alle und für Deutschland diese Sitzung schließen.
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