Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/28/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, ich habe zunächst einige amtliche Mitteilungen zu verlesen. Erstens. In Kürze läuft die Amtsdauer von zwei Mitgliedern des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank aus, die vom Bundestag auf Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gewählt worden sind. Die Fraktion der CDU/CSU hat den Abgeordneten Dr. Czaja und die Fraktion der SPD Herrn Walter Haack ({0}) zur Wiederwahl vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Dr. Czaja und Herr Walter Haack gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank erneut als Mitglieder des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank gewählt. Zweitens. Für den aus dem Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Hartmann schlägt die Fraktion der CDU/CSU als seinen Nachfolger in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates den Abgeordneten Zierer vor. Sind Sie damit einverstanden? - So beschlossen. Damit ist der Abgeordnete Zierer als Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt. Drittens. Der von dem Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Benzinbleigesetzes - Drucksache 10/147 ({1}) - wurde in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. September 1983 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Verkehr sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll nunmehr der Innenausschuß federführend sein unter Beibehaltung der bisher vorgesehenen Mitberatung. Die Beteiligung des Finanzausschusses soll entfallen. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Viertens. Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Eidesleistung des Bundesministers für Wirtschaft erweitert werden. Dieser Punkt der Tagesordnung soll nach Beratung des Punktes 2 aufgerufen werden. - Ich stelle fest, daß Sie damit einverstanden sind. Die Tagesordnung ist um diesen Zusatzpunkt ergänzt. Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Die Ausweitung des Golfkrieges und die Verantwortung der Rüstungsexportländer Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schily. - Ich weise darauf hin, daß die Redezeit von fünf Minuten strikt einzuhalten ist. Schily ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! ({3}) Der amerikanische Verteidigungsminister Weinberger hat vor wenigen Tagen geäußert, im Golfkrieg zwischen Iran und Irak werde es möglicherweise bald eine der schlimmsten Infanterieschlachten seit dem Ersten Weltkrieg geben. Damit treibt einer der blutigsten und grausamsten Kriege der Gegenwart einem weiteren Höhepunkt zu. Mehr als 500 000 Tote und nahezu 1 Million Verwundete sind in diesem mörderischen Massaker zu beklagen. Viele Jugendliche und Kinder gehören zu den Opfern dieses entsetzlichen Geschehens. Der Deutsche Bundestag - und ich schließe in diese Kritik ausdrücklich meine eigene Fraktion ein ({4}) hat leider bisher wenig unternommen, um sich mit einer Mahnung zum Frieden in dieser Region Gehör zu verschaffen. Auch an die Friedensbewegung ist herbe Kritik zu richten, daß angesichts dieser schrecklichen Ereignisse nennenswerte Aktivitäten vollständig unterblieben sind. ({5}) Schily Allenfalls hat die Friedensbewegung ein paar matte Presseerklärungen zustande gebracht. Wer aber gegen künftige Kriege, von denen er selber betroffen sein könnte, protestieren will, kann die Kriege der Gegenwart nicht aus dem Blickfeld lassen. Vor allem aber trifft die Bundesregierung, die einen Staat vertritt, der mit den kriegführenden Staaten in besonderer Weise verbunden ist, eine besondere Verantwortung. Der Krieg, der dort mit unverminderter Heftigkeit anhält, kann j a überhaupt nur weitergeführt werden, weil er mit den Waffenlieferungen aus den Industrieländern gefüttert wird. Das ist - man mag dieses Wort eigentlich nicht mehr in den Mund nehmen - einer der schlimmsten Skandale der Gegenwart. ({6}) Wir meinen daher - auch wenn manchen ein Anflug von Hilflosigkeit und Ohnmacht ankommen mag, wenn er sein Augenmerk auf die dortigen Ereignisse richtet -, daß der einzige realistische Ansatzpunkt sein muß, sämtliche direkten oder indirekten Waffenexporte - diese Forderung richten wir an die Bundesregierung - aus der Bundesrepublik in das Krisengebiet zu unterbinden, ({7}) sich für ein internationales Waffenembargo gegenüber dem Iran und dem Irak einzusetzen. Ich meine auch, daß es notwendig ist, Druck auf den Iran auszuüben, der sich weigert, auf den gemeinsamen Friedensvertragsvorschlag des iranischen Nationalen Widerstandsrates, dem der Irak zugestimmt hat, einzugehen, Druck auf den Iran durch einen befristeten Öleinfuhrstopp der beteiligten Erdölimportländer auszuüben. Die Bundesregierung hat nach meiner Einschätzung längst nicht alle sich ihr bietenden politischen Möglichkeiten ausgeschöpft, um einen sofortigen Waffenstillstand und einen Friedensschluß zu erreichen. Ich denke, wir sollten diese Stunde heute morgen nutzen, um diese Forderungen gemeinsam an die Bundesregierung zu richten. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zu Beginn darauf hinweise, daß dieses Thema gestern im Auswärtigen Ausschuß gründlich und intensiv beraten wurde. Ich frage mich, was die Fraktion DIE GRÜNEN veranlaßt hat, heute morgen, also kaum einen Tag, nachdem dieses Thema gestern ausführlich beraten wurde, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema zu beantragen. ({0}) - Richtig. Dieses Thema ist außerordentlich ernst. Die Bilanz des Krieges ist grausam. Dieses Thema ist aber zu ernst, Herr Kollege Schily, als daß man versuchen sollte, hier heute vor der Öffentlichkeit innenpolitisches Kapital aus diesem Krieg zu schlagen. ({1}) Herr Kollege Schily, der Versuch wird Ihnen nicht gelingen, die Verantwortlichkeiten in bezug auf diese Auseinandersetzungen umzukehren oder gar die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung in diese Verantwortlichkeit mit einzubeziehen. ({2}) - Herr Kollege Ehmke, der Herr Kollege Schily hat wider besseres Wissen behauptet, daß die Bundesrepublik Deutschland in diesen Konflikt mit einbezogen sei. Er weiß ganz genau, daß sich die Bundesregierung in diesem Konflikt stets neutral verhalten hat und daß zu keinem Zeitpunkt dieser kriegerischen Auseinandersetzungen - ich betone: zu keinem Zeitpunkt - Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland in dieses Gebiet geleistet wurden. ({3}) Wie ist die Lage tatsächlich? Wir beklagen zutiefst die Hunderttausende von Toten, zunehmend Kinder von iranischer Seite. Die Lage ist so, daß mittlerweile Hunderte von Milliarden DM an direkten und indirekten Kriegskosten und mittelbaren Schäden zu beklagen sind. Des weiteren sind eine Bedrohung und Destabilisierung einer ökonomisch wie geostrategisch wichtigen Region gegeben. Die Bilanz dieses seit fast vier Jahren andauernden Krieges ist schrecklich, eines Krieges, der vom Irak angefangen wurde und den heute der Iran, der ihn nicht begonnen hat, nicht beenden will. Die eigentlichen Kriegsursachen, nämlich politische, ethnische, religiöse Motive weichen immer mehr irrationalen Handlungsweisen. Die Art der Kampfführung und die eingesetzten Waffen eskalieren zu unvorstellbarer Brutalität. Gestatten Sie mir noch einen wichtigen Hinweis. In dieser Region wird ein Krieg geführt, der es beiden Seiten ermöglicht, unter grausamster Mißachtung der Menschenrechte nicht nur den kriegerischen Gegner, sondern auch den politisch Andersdenkenden und den Andersgläubigen im eigenen Land zu vernichten. Dieser Krieg aber und die ihn führenden Politiker haben sich jeder Einflußnahme durch ausländische Mächte entzogen. ({4}) Der greise Ayatollah Khomeini - und hier liegt der Schlüssel dieser Auseinandersetzung - ist keiner Beeinflussung zugänglich. Wenn Sie die Bundesregierung hier auffordern, an die waffenliefernden Nationen zu appellieren, dann kann ich nur sagen, der Iran, der sich einem Friedensschluß entzieht, bekommt keine Waffen von den Vereinigten Staaten, keine Waffen von Frankreich, sondern es sind Nationen wie Syrien und Libyen, die diese Waffen liefern. Ich darf Sie, Herr Kollege Schily, bei Ihrem besonders guten Verhältnis, das Sie zum Obersten Ghaddhafi haben, fragen, ob Sie jemals versucht haben, auf die libysche Regierung einzuwirken, daß sie endlich diese Waffenlieferungen, die Unterstützung des Iran beendet, und auf eine friedliche Entwicklung hinweist. ({5}) Hier liegt der Schlüssel und nicht bei den Großmächten. Lassen Sie mich abschließend für meine Fraktion an die kriegführenden Nationen appellieren, dieses grausame Gemetzel zu beenden. Wirtschaftliche Sanktionen, die Sie hier vorgeschlagen haben, helfen uns nicht weiter. Wertvolle Fäden der Kontakte und damit auch der möglichen Einflußnahmen würden abgeschnitten. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, die EG, aber auch die Vereinigten Staaten sind bereit, bei einem Wiederaufbau dieser Nationen mitzuhelfen. Gestatten Sie mir aber noch ein abschließendes Wort. Neben den vielen zu beklagenden Toten ist die Tragik dieses Krieges, daß mutwillig ein Modell für die Entwicklung einer Region zerstört wurde. Dieser Krieg gibt uns aber auch wiederum ein Beispiel dafür, daß nicht nationale, isolierte Sicherheitsinteressen einen Frieden retten, sondern daß nur Modelle ({6}) für regionale Sicherheitsstrategien den Frieden sichern können. ({7})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Welt, in der wir leben, ist voller Konflikte, voller Krisen und voller Kriege. Der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak ist besonders gefährlich und besonders unmenschlich. Hunderttausende von Menschen sind getötet oder verwundet worden, und in grausamster Weise sind mehr als bei jedem anderen Konflikt Kinder in diesen Krieg einbezogen worden. Die Ölversorgung ist beeinträchtigt, der Schiffsverkehr im Golf ist betroffen, die Gefährlichkeit und Unmenschlichkeit dieses Konfliktes ändert überhaupt nichts an seiner Unsinnigkeit. Welche Haltung soll in dieser Situation die Bundesrepublik einnehmen? Wir haben mit beiden Staaten sowohl diplomatische als auch wirtschaftliche Beziehungen. Wir müssen sie jetzt in erster Linie nutzen, um auf beide Seiten im Interesse der Beendigung des Krieges einzuwirken. ({0}) Wir müssen uns darum bemühen, in Europa diesem Konflikt gegenüber eine möglichst einheitliche Haltung einzunehmen, um so mehr Gewicht zu bekommen, um Einfluß nehmen zu können, den Krieg zu beendigen. Wir müssen diejenigen unterstützen, die in harter Arbeit darum bemüht sind, in diesem Kriege zu vermitteln. Das gilt in diesen Tagen insbesondere für den Generalsekretär der Vereinten Nationen, ({1}) der einen ersten wesentlichen Schritt erreicht hat, nämlich, daß sich beide Seiten verpflichtet haben, auf die Bombardierung ziviler Ziele zu verzichten. ({2}) Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß beide Kriegsparteien nun zugestimmt haben, daß Beobachter der Vereinten Nationen für die Einhaltung dieser Vereinbarung tätig sein können. Dieser Krieg ist kein Bestandteil des Ost-WestKonflikts. Deshalb müssen wir erwarten, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in dieser Konfliktfrage in Kontakt miteinander sind und bleiben, um dafür Sorge zu tragen, daß das auch für die Zukunft nicht Bestandteil des Ost-West-Konflikts wird. Wir sind absolut gegen Waffenlieferungen in die beiden kriegführenden Staaten, ({3}) und zwar gleichgültig, von welcher Seite auch immer. Wir haben besonderes Verständnis für die wachsenden Sorgen der Staaten des Golfrates, also Saudi-Arabien, Kuwait, Oman, die Emirate Katar und Bahrain. Wir erwarten, daß die Bundesregierung ihre Möglichkeiten in der Europäischen Gemeinschaft nutzt, um gerade jetzt die Kontakte zwischen der Gemeinschaft und dem Golfrat zu intensivieren. Wir wollen keine Forschungen darüber anstellen, wer schuld ist an diesem Konflikt. Der eine hat begonnen, und der andere will nicht aufhören. Jetzt ist die Stunde gekommen, wo beide aufhören müssen im Interesse der Menschlichkeit. ({4}) Wir Sozialdemokraten werden streng darüber wachen, daß wir weder direkt noch indirekt in diesen Konflikt hineingezogen werden. Wir werden diejenigen unterstützen, die darum bemüht sind, in diesem grausamen Konflikt vermittelnd tätig zu werden. Wir fordern beide Seiten auf, diesen grausamen und absolut unnützen Krieg endlich einzustellen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was heute morgen zu früher Stunde über den Krieg am Golf gesagt worden ist, ist sicher dazu angetan, deutlich zu machen, daß wir alle in diesem Bundestag der gleichen Auffassung sind, daß wir alle hoffen, daß es möglich sein wird, diesen Krieg zu beenden, vor allem aber auch, daß wir hoffen, daß der Krieg nicht noch weitere Auswirkungen auf Nachbarstaaten annehmen wird. Diese Gefahr ist ja täglich gegeben. Ich habe gerade heute morgen neben den innenpolitischen Nachrichten aus der Bundesrepublik gehört, daß wieder ein Tanker der Schweiz vom Irak angegriffen worden ist. Die Befürchtungen, daß der Höhepunkt dieses Krieges noch nicht erreicht worden ist, haben meine Vorredner j a schon zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, Herr Schily, daß Ihr Appell an Friedensbewegung, Bundestag, an die internationale Öffentlichkeit, von hier aus einen entscheidenden Einfluß auf die beiden Staaten zu nehmen, leider verpuffen wird. Denn dieser Krieg dauert schon dreieinhalb Jahre. Solche Versuche sind schon unternommen worden. Auch die Vereinten Nationen haben versucht, Wirkung auszuüben, damit der Waffenexport in diese Region unterbleibt. Wie Herr Repnik zu Recht ausgeführt hat, sind es keineswegs nur uns nahestehende Industriestaaten, die Waffen dorthin geliefert haben, sondern es ist erkennbar, daß z. B. die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten sich in ihrer Unterstützung gemeinsam dem Irak etwas stärker zugewandt haben. Insofern finde ich, daß unser Appell bei unseren guten Kontakten nach West und Ost vor allem dahin gehen sollte - eine bisher leider nicht aufgegriffene Möglichkeit -, daß in einem Konflikt, der ganz eindeutig nicht ost-west-orientiert ist, sich die beiden Großmächte einmal zusammensetzen könnten, um so etwas wie ein Krisenmanagement zu betreiben. Hier ist eine große Chance vertan worden. Ich glaube, hier kann keiner den anderen verdächtigen, er führe sozusagen Böses ins Spiel. Ich halte die Absicht des Bundesaußenministers, noch im Verlauf dieses Jahres, wenn dazu die Möglichkeit gegeben ist, den Iran zu besuchen und den irakischen Außenminister hier zu empfangen, für richtig, weil ich glaube, daß Gespräche nach beiden Seiten notwendig sind. ({0}) So gering unser Einfluß auf diese Staaten ist, so gering vor allen Dingen unser Einfluß auf das ist, was Herr Repnik die irrationalen Kräfte in dieser Region genannt hat, so sehr, meine ich, sollten wir alle Register ziehen, unser Ansehen in diesem Raum auch dazu zu verwenden, mäßigend zu wirken. Ich glaube aber kaum, daß es gelingen kann - alle Erfahrungen sprechen dafür -, auf den Ayatollah Khomeini und auf die Vorstellungen seiner islamischen Revolution von uns aus ernsthaft Einfluß zu nehmen. Wir wissen, daß alle Versuche in diese Richtung gescheitert sind, daß man es sich in Teheran verbeten hat, in dieser Angelegenheit zu intervenieren. Wenn wir auch alle erkennen, daß dieser Krieg grausame Folgen hat, so darf ich doch auch noch einmal auf ein Dilemma hinweisen, in dem wir uns alle befinden. Auf der einen Seite, Herr Schily, haben Sie zu Recht gefordert: keine Waffenlieferungen in diese Region. Wir erinnern uns an die Debatten, die wir über Waffenlieferungen an Saudi-Arabien geführt haben. Auf der anderen Seite, Herr Wischnewski, wird gesagt, wir müßten die Golfstaaten unterstützen. Die Golfstaaten wünschen keine direkte Intervention der Großmächte und lehnen wohl auch die Stationierung europäischer Truppen in diesem Gebiet ab. Die Folgerung für uns muß dann sein: Wir sollten uns überlegen, wie wir diesen Staaten anderweitig helfen können. Dann sind wir genau in dem Dilemma, über das wir schon oft genug gesprochen haben: Wir müssen den gemäßigten Staaten Waffen geben - nicht unbedingt die Bundesrepublik, aber andere europäische Mächte -, damit sie sich selbst verteidigen können, oder aber die Alternative bleibt nur die Intervention der Großmächte. Ich meine, wir müssen uns bei den Auseinandersetzungen, die wir führen, einmal ehrlich über die Analyse in dieser Gegend und über die Folgerungen, die wir zu treffen haben, klarwerden. Gemeinsame Appelle an die Menschlichkeit sind zwar sehr wichtig, aber reichen vermutlich nicht aus, um in dieser Region Frieden zu schaffen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir dieser Debatte folgen - das kam auch gerade bei Ihnen, Herr Schily, sehr deutlich zum Ausdruck -, dann spüren wir alle ein hohes Maß an Hilflosigkeit und Ratlosigkeit angesichts eines der grausamsten Kriege, die überhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg irgendwo in der Welt stattgefunden haben. Ich warne vor Uberschätzungen unserer Einflußmöglichkeiten. Man muß einmal stundenlang mit Mullahs im Iran zusammengesessen haben, um zu sehen, was da für Kräfte am Werk sind, die uns mit unseren rationalen, kühlen, nüchternen Analysen überhaupt nicht erfaßbar erscheinen. Dort ist etwas explodiert, was kein Mensch mehr im Griff hat. Da sind Mahnungen und Deklamationen bei den Vereinten Nationen - oder wo auch immer - schön; dagegen ist gar nichts zu sagen. Nur liegt da nicht die Lösung. Jetzt gibt es viele Mitbürger - nicht nur in diesem Hause und nicht nur in einer Partei -, die meinen, das Problem seien Waffen. ({0}) Ja, glauben Sie denn nicht, daß die sich mit Dreschflegeln oder mit Spießen totschlagen würden, wenn sie keine Schießgewehre hätten? Das haben wir in unserer europäischen Geschichte doch auch schon erlebt, nämlich dort, wo Kriege und Konflikte religiös, ideologisch begründet waren. ({1}) - Das ist völlig richtig. Deshalb begrüßt auch niemand von uns diesen Konflikt. Niemand von uns begrüßt auch die Anhäufung von Waffen in diesen Räumen. Nur, wer glaubt, daß, wenn es keine Waffen mehr gäbe, automatisch der Friede ausbräche, der kennt nicht die Natur des Menschen und die fanatischen, ideologischen Impulse, die dahinterstecken. Deshalb müssen wir uns doch fragen - ({2}) - Moment! Ich sage genausowenig, daß die Lösung darin bestünde, möglichst viele Waffen irgendwohin zu schicken. Es gibt auch Zeitgenossen, die meinen, der Friede sei dadurch gewährleistet, daß man möglichst viele Waffen habe. Die Frage sitzt sehr viel tiefer, und mit der sollten wir uns auseinandersetzen: denn in der Explosion des Islams werden geistige Kräfte sichtbar, auf die wir keine Antwort wissen. Ich erinnere mich daran, daß der Herr Bundestagspräsident vor einigen Jahren einmal ein Seminar mit Experten veranstaltet hat, die versuchten, diese islamische Revolution, die ja nicht nur in diesem Raum explodiert ist, zu analysieren. Auch da war ein hohes Maß an Hilflosigkeit. Deshalb meine ich, was wir tun können und tun müssen, ist - und da würde ich unterstützen, was der Kollege Schäfer und auch der Kollege Repnik gesagt haben -, daß wir alle Kontakte mit den moderaten Kräften, die es in beiden Ländern gibt, sorgfältig pflegen, um die zu stärken, also nicht irgend etwas durch Blockaden abblocken und dabei bitte, meine Damen und Herren, unseren Einfluß nicht überschätzen. Innerhalb der Interparlamentarischen Union haben Parlamentarier anwesenden Iranern und Irakis massiv zugeredet; aber im Moment - ({3}) - Ich halte gar nichts vom Wirtschaftsboykott, Herr Kollege Schwenninger, aus einem ganz einfachen Grunde: Ich kann nur Einfluß haben, wenn die Türen offenbleiben. Durch diese Türen müssen wir die richtige Haltung dort hineinbringen. Danke schön. ({4})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Ausweitung des Golfkrieges und die Verantwortung der Rüstungsländer reden wir heute morgen in dieser Aktuellen Stunde. Wir beschäftigen uns mit der Ausweitung des Golfkrieges so, wie sich die Öffentlichkeit bei uns erst jetzt wieder mit dem vergessenen Krieg zwischen dem Irak und dem Iran beschäftigt. Die Überschriften in unseren Zeitungen sprechen ja auch nicht in erster Linie von dem Krieg selbst, sondern sie sprechen von der Bedrohung unserer Ölversorgung. ({0}) In den Stellungnahmen aller Europäer der unterschiedlichsten politischen Richtungen wird davon gesprochen, daß jetzt auch unsere Interessen betroffen sind. Ich sage das ohne Vorwurf an andere, auch ohne Vorwurf an die Fraktion der GRÜNEN, die jetzt diesen Antrag gestellt hat und von der Ausweitung des Golfkrieges gesprochen hat. Herr Schily, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, der Vorwurf muß uns alle treffen. ({1}) Der Irrsinn des nun schon 45 Monate tobenden Kreuzzuges zwischen dem Irak und dem Iran dauert an. Er offenbart schreckliche Menschenverachtung hüben wie drüben. Er forderte bisher Hunderttausende von Toten, Verwundeten und Krüppeln. So beginnt Andreas Kohlschütter einen Artikel in der „Zeit" vor zwei Wochen über den Golfkrieg. Der Artikel trägt die Überschrift „Kein Grund zur Panik". Haben wir wirklich keinen Grund zur Panik? ({2}) Vielleicht brauchen wir nicht um unsere Ölversorgung zu fürchten, weil genügend Quellen sonstwo sprudeln; das mag so sein. Aber erfaßt uns nicht alle Mitleid, Schrecken, wenn wir im Fernsehen die Bilder von den Menschen sehen, die dort sterben? In allen, die zu meiner Generation gehören, müssen Erinnerungen an ihre Kindheit wach werden. Aber man muß j a einen Krieg nicht selbst miterlebt haben, um die Bilder in unserem Fernsehen von den toten Menschen, seien sie nun 14, 16, 18 oder 20 Jahre alt, als bedrückend zu empfinden. Ob sich diejenigen, die aus Europa oder von sonstwoher Waffen während des Krieges an die Länder verkaufen, diese Bilder im Fernsehen angesehen haben? - Wohl kaum. Sie könnten sonst die Waffen nicht verkaufen. Herr Kollege Petersen, vielleicht denken Sie über das nach, was Sie eben über Waffenlieferungen gesagt haben. ({3}) Ich glaube nicht an das, was über die Kampfbereitschaft der jungen Iraner und Iraker gesagt wird. Ich glaube nicht an das, was über die Opferbereitschaft der Mütter berichtet wird. Die Mütter im Iran, die Mütter im Irak, sie trauern genauso um ihre gefallenen Söhne, wie die Mütter bei uns es im letzten Krieg getan haben, ({4}) auch wenn damals in den Todesanzeigen oft von der „stolzen Trauer" gesprochen worden ist. Auch in diesem Krieg gibt es nur Trauer. Es ist über die Zahl der Toten gesprochen worden. Wir kennen sie nicht genau, aber es sind Hunderttausende. Es liegen nur Schätzungen vor, aber wie groß die Zahl auch immer sein mag, es sind schon zu viele gestorben, und deshalb muß der Krieg ein Ende finden. Vielleicht könnten wir alle dafür sorgen, daß die Kriegführenden die Waffen nicht mehr bezahlen können, dann nämlich, wenn sie ihr 01 nicht mehr bei uns verkaufen können. ({5}) Vielleicht wird das Öl bei uns dann ein bißchen knapper, Herr Kollege Klein, vielleicht auch ein bißchen teurer, aber das wäre ein niedriger Preis für einen Frieden. ({6})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der irakisch-iranische Krieg tobt seit fast vier Jahren, und niemand wird sich den schrecklichen Bildern, von denen hier die Rede war, entziehen können, dem schrecklichen Leid, das dieser Krieg über zwei Völker gebracht hat, und der Aussichtslosigkeit, die hinter dem Krieg steckt. Niemand wird die tiefen Ursachen dieses Krieges übersehen wollen, bei dem es j a nicht um die Verlegung einer Grenze in die eine oder die andere Richtung geht; hier ist eine tiefgebende, auch religiös motivierte Entwicklung gegeben, die in Europa auf wenig Verständnis stoßen mag, für die es aber auch in der europäischen Geschichte Beispiele gegeben hat. Ich denke, daß der Wert dessen, was heute hier im Deutschen Bundestag gesagt worden ist, darin besteht, daß alle Redner zuallererst über die Menschen gesprochen haben und nicht über wirtschaftliche Interessen. ({0}) In der Tat, hier liegt unsere Verantwortung. Vielleicht wird uns beim Blick auf diesen Krieg und auf andere Kriege, die in anderen Teilen der Welt - in Kambodscha, in Afghanistan - noch toben, ({1}) deutlich, was in Europa durch eine verantwortliche Friedenspolitik für diesen Kontinent gewonnen ist. ({2}) Diese Sicherung des Friedens in Europa gibt uns die Aufgabe, nicht nur an uns in Europa zu denken, sondern unsere Verantwortung für die Völker in anderen Teilen der Welt zu erkennen. Europa ist in seiner Geschichte oft Ausgangspunkt von Konflikten nicht nur auf dem eigenen Kontinent gewesen, sondern auch von Konflikten, die, von europäischen Gegensätzen ausgehend, in andere Teile der Welt getragen wurden. Heute hat Europa die Verantwortung, Initiativen des Friedens zu ergreifen. Wir können feststellen, daß die erste Aufgabe sein muß, eine Ausweitung dieses Konflikts, eine Internationalisierung dieses Konflikts zu verhindern. Darauf sind die Bemühungen der Bundesregierung, unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft und auch der Teilnehmer an den Beratungen beim Weltwirtschaftsgipfel in London gerichtet gewesen. In der Tat, es ist dies nicht ein Krieg, der seine Ursache im Ost-West-Gegensatz hat. Das ist auch der Grund dafür, daß West und Ost in allen Gesprächen, die wir führen, gemeinsam nach Lösungen für diesen Konflikt suchen. Die Bundesregierung hat, wie es ihrer Rüstungsexportpolitik seit eh und je entspricht, dafür Sorge getragen, daß aus unserem Lande in die kriegführenden Länder keine Waffen exportiert werden. Das muß hier klar und eindeutig festgestellt werden. ({3}) Das ändert nichts daran, daß dieser Krieg mit den zur Verfügung stehenden, mit den von anderen Ländern gelieferten Waffen geführt wird und daß diejenigen, die Waffen liefern, diese Waffen den beiden kriegführenden Staaten aus ganz unterschiedlichen Richtungen und aus ganz unterschiedlichen Motiven zur Verfügung stellen. Nur, meine Damen und Herren, die Sie hier für eine Einstellung der Wirtschaftsbeziehungen plädieren, etwa des Exports von zivilen Gütern oder des Imports von 01 - wir importieren nur einen geringen Anteil unserer Energieversorgung -, ({4}) Ihnen möchte ich sagen: Wer Länder, die sich in einer solchen Lage befinden wir der Irak oder der Iran, auch noch zusätzlich politisch und wirtschaftlich in die Isolierung treibt, der beraubt sich des letzten Mittels der politischen Einflußnahme auf die Begrenzung des Krieges und auf seine schließliche Überwindung. ({5}) Aus diesem Grunde wird die Bundesregierung wie in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren auch in Zukunft an ihrer Politik der strikten Neutralität in diesem Kriege, aber der aktiven Einflußnahme auf die Beteiligten festhalten, einer aktiven Einflußnahme, die sich zuerst gegen die Ausweitung des Krieges richtet und die zugleich darauf gerichtet ist, diesen Krieg zu überwinden. Das verbietet Parteinahme in der einen oder anderen Richtung, es verbietet aber auch, sich der Mittel der politischen Einflußnahme durch Verkürzung und Beschränkung der Beziehungen zu den beiden kriegsbeteiligten Ländern zu berauben. Deshalb unser akBundesminister Genscher tives Bemühen, durch die Nutzung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Konfliktüberwindung beizutragen, deshalb unser Bemühen, Einfluß zu nehmen auf alle, die in der Gefahr sind, in den Krieg hineingezogen zu werden, deshalb unser Bemühen, auch in Kontakten mit der Sowjetunion und den anderen Staaten des Warschauer Pakts dafür zu sorgen, daß dieser ohnehin schon schlimme Krieg nicht noch zum Teil einer OstWest-Auseinandersetzung werden möge. Damit, meine Damen und Herren, werden wir unserer Verantwortung für den Frieden gerecht, aber zuallererst auch unserer Verantwortung vor den leidenden Menschen im Irak und im Iran. ({6})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Petersen hat von der Hilflosigkeit gesprochen, in der wir uns, was die Situation am Golf angeht, befinden. Dies gilt teilweise auch für die Großmächte, aber eben auch nur zum Teil. Ich möchte auf einen Aspekt aufmerksam machen, der häufig aus dem Horizont unserer Betrachtungen ausgeblendet bleibt. Ich hatte mit Kollegen der CDU und der FDP in der letzten Woche Gelegenheit, in Moskau mit der sowjetischen Seite zu sprechen. Gerade wenn wir der sowjetischen Seite vorhalten, daß sie, was ihre Rüstungen in Europa, atomar und konventionell, angeht, häufig überzieht, ist doch ein Vorwurf, den die sowjetische Seite uns gegenüber erhebt, immer wieder bedenkenswert. Sie sagt mit dem Blick auf den Golf, daß 1978, also lange vor Afghanistan, die amerikanisch-sowjetischen Gespräche über die Begrenzung der Rüstung im Indischen Ozean unterbrochen worden seien und daß diese Tatsache ihr, der Sowjetunion, sehr zu denken gegeben habe. Ich sehe da einen mittelbaren Zusammenhang mit dem, was sich am Golf abspielt, zumindest was die Einflußgrößen angeht. Wir sollten uns auch einmal in die Situation hineinversetzen, in der die Sowjetunion steht. Die amerikanische Seite, die jetzige Administration, tut dies leider weniger, wohl aber amerikanische Journalisten und Wissenschaftler, die über viele Jahre hinweg die Lage und die Entwicklung in diesem Raum verfolgt haben. Ich darf hier einmal einen der Mitherausgeber der „Washington Post" zitieren, Stephen Rosenfeld, der vor wenigen Tagen geschrieben hat: Wenn die amerikanische Öffentlichkeit einmal in den Blick nehme, daß die Amerikaner der Sowjetunion durch halbpermanente Basen beträchtlich näher seien als Mittelamerika den Vereinigten Staaten und dies außerdem eine Region betreffe, die in strategischer Hinsicht einen erheblich größeren Gewinn ausmache als etwa Mittelamerika, dann brauche man, wenn dies einmal umgekehrt so sei, wenn die Sowjetunion Machtprojektion in Mittelamerika in gleichem Umfang betreibe, nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was dann in der amerikanischen Politik los sei. Natürlich ist Kritik an den gerade in den letzten Wochen immens zunehmenden sowjetischen Waffenlieferungen an den Irak notwendig, genauso wie Kritik an den anderen Waffenlieferanten notwendig ist, zu denen j a auch Verbündete der Bundesrepublik, etwa Frankreich, gehören. Dennoch gibt es hinsichtlich des Golf-Krieges das Fazit, um noch einmal Rosenfeld zu zitieren, daß es der Sowjetunion hier weniger um einen strategischen Terraingewinn, sondern darum geht, strategische Verluste zu vermeiden. Das, was wir brauchen, ist nicht eine Internationalisierung des Konfliktes - da stimme ich dem Außenminister zu; allerdings haben wir sie schon als Internationalisierung der Rüstungslieferungen und auch als Internationalisierung von Machtprojektion -, sondern wir brauchen eine Internationalisierung von Konfliktlösungen durch Politik und Diplomatie, aber auch durch flankierende Maßnahmen der Rüstungskontrolle, zu denen auch die Wiederaufnahme amerikanisch-sowjetischer Gespräche über den Indischen Ozean gehört. Insoweit stimme ich dem Kollegen Schäfer zu: Appelle, um dort Frieden oder zumindest Waffenruhe zu stiften, reichen nicht aus. Es braucht eine Reihe von Maßnahmen, zu denen auch solche gehören, von denen ich gerade gesprochen habe. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat für die Bundesregierung erklärt: Wir halten uns an strikte Neutralität bei aktiver Einflußnahme auf die Konfliktüberwindung. Das ist eine Haltung, die von der Fraktion der CDU/CSU voll unterstützt wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat keinen, aber auch gar keinen Anlaß, in diesem Konflikt für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen. In beiden Ländern werden die Menschenrechte seit Jahr und Tag in einem unvorstellbaren Ausmaß mit Füßen getreten. Aber der Krieg - und auch das gehört zu einer nüchternen Lagebeurteilung - hat die Position von Ayatollah Khomeini im Iran und von Saddam Hussein im Irak eher gefestigt. Die Bundesrepublik Deutschland liefert an keinen der beiden Kriegsgegner Waffen. Sie hat allerdings auch mit keinem von beiden den friedlichen Wirtschaftsverkehr abgebrochen. Wir sollten in einer solchen Debatte - wer immer daran interessiert sein mag - auch durch noch so kryptische Bemerkungen und Feststellungen wie „Wir werden streng darüber wachen, daß keine Waffen geliefert werden" nicht den Anschein, den Eindruck erwekken, daß aus der Bundesrepublik Deutschland eine der beiden Seiten mit Waffen unterstützt wird. ({0}) Lassen Sie uns statt dessen - hier oder im Auswärtigen Ausschuß, in dem das zum Teil schon geschehen ist; die Bundesregierung hat dort über dieses Thema sehr umfassend berichtet - über die Klein ({1}) wirklichen Ursachen für Unrast und Revolutionsstimmung in jenem Teil der Welt, über den Jahrtausende alten Kulturantagonismus zwischen dem persischen Hochland und dem Zweistromland ernsthaft diskutieren. Die unterschiedliche Staatsauffassung von Schiiten und Sunniten, die verschiedenen strukturellen Rückstände des kolonialen Einflusses, der kulturverändernde, ja kulturzerstörende Aufprall westlicher Technik und Zivilisation in diesem Teil der Welt und schließlich die direkten und indirekten Auswirkungen des in die Ost-WestAuseinandersetzungen eingebundenen Nahostkonflikts, das sind die Themen, meine sehr verehrten Damen und Herren, über die wir sprechen sollten, wo es Ansatzpunkte für eine Beruteilung gibt. Leider gehört zu unserer heutigen Wirklichkeit beispielsweise das Phänomen, daß die internationalen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges, von denen hier heute schon mehrfach die Rede war, erst in dem Augenblick wieder auflebten, als zunächst der Irak, dann aber auch der Iran neutrale Großtanker zu bombardieren begannen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine der schrecklichsten Erscheinungen unserer Zeit, daß erst durch Mord und Zerstörung einem Problem Aufmerksamkeit zugewandt wird. ({2}) Es steht schon heute fest, daß es in diesem Krieg wie in vielen anderen Kriegen keinen Sieger, sondern nur Verlierer, Tote, Verletzte, Witwen, Waisen, Obdachlose, Flüchtlinge, Hungernde geben wird. Herr Schily, ich gestehe Ihnen ehrlich: Ich war entschlossen, mich sehr kritisch damit auseinanderzusetzen, daß Sie ein Thema, das im Auswärtigen Ausschuß so gründlich behandelt worden ist, sozusagen noch einmal agitatorisch aufzubereiten gedachten ({3}) - Herr Reents, lassen Sie mich aussprechen -, aber ich bin nach dem Verlauf dieser Debatte, wenn ich die paar polemischen Ausrutscher von Herrn Schily abrechne, ({4}) der Auffassung, daß es doch richtig war, daß wir über dieses Thema heute hier gesprochen haben. ({5})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Klein, lassen Sie uns da anknüpfen, wo Sie aufgehört haben. Welche Lehren, welche Nutzanwendungen können wir aus diesem Krieg ziehen? Es ist gewiß ein Krieg, für dessen Ausbruch wir keine Mitverantwortung tragen, wohl aber für seinen Verlauf, für seine Dauer, für seinen Blutdurst. Ich weiß gewiß, daß ein Krieg nicht nur durch Waffen verursacht wird; aber jeder Krieg braucht Waffen, um ausgetragen zu werden, und er ist um so verlustreicher, je moderner und, wie es wertneutral heißt, effektiver Waffen sind. Wir haben an diesem Krieg mitgewirkt, und mein Finger zeigt durchaus nicht in eine Richtung, sondern in mehrere Richtungen, und er zeigt auch zurück, weil wir selbst vielleicht auch nicht genug getan haben, um zu verhindern, daß diese Region in der Vergangenheit durch Waffenlieferungen von uns aufgerüstet worden ist. Wir liefern nicht mehr seit Ausbruch des Krieges, aber wir haben vorher die modernsten Waffensysteme in den Iran und in den Irak geliefert. ({0}) Die Franzosen, die Briten, die Rumänen, die Tschechen, die Koreaner, die Syrier, die Amerikaner und die Sowjets liefern noch heute. Aber das entschuldigt uns nicht. Da noch vor kurzem Exocet-Raketen aus Frankreich in den Irak gekommen sind, frage ich, woher die Zünder für diese Raketen kommen. Kommen sie aus der Bundesrepublik Deutschland, und bedarf es dazu nicht einer Genehmigung der Bundesregierung? ({1}) Wann zieht dieses Land - seine Politiker und seine Unternehmer - endlich die Konsequenzen aus dem Unheil, das mit Kriegswaffenexporten in Länder angerichtet worden ist, in denen Waffen nicht benutzt werden, um Völker zu schützen, sondern sie zu unterdrücken, nicht um Kriege zu verhindern, sondern sie zu führen und in ihnen zu siegen? Wann ziehen wir die Lehre daraus? ({2}) Wir wissen spätestens seit 1980, daß der Golf die explosivste Region der Weltpolitik ist. Das hat meine Regierung und Ihre Regierung, Kolleginnen und Kollegen auf der Rechten, nicht davon abgehalten, in eine Diskussion über Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu geraten. Aber Ihre Regierung hat beschlossen, es zu tun. Ich frage: Können Sie heute nicht Lehren aus dem schrecklichen Krieg am Golf ziehen? Ich frage Sie, Herr Außenminister: Machen Sie sich die Entscheidung über die Waffenlieferung an die Saudis wirklich schwer? Wird der Bundeskanzler zu seinem Wort stehen, das er vor dem Auswärtigen Ausschuß auf eine Frage der Kollegin Hamm-Brücher gegeben hat, uns im Auswärtigen Ausschuß zu informieren, bevor das alles in ein Entscheidungsstadium kommt? Muß das überhaupt in ein Entscheidungsstadium kommen? Noch können wir lernen. Wir können auch noch die Diskussion über eine militärische Intervention in der Golfzone durch die USA im Falle einer Schließung der Straße von Hormuz kommentieren. Noch ist Zeit zu warnen, daß man nicht militärisch reagieren muß, sondern wirtschaftlich und politisch. Das Wichtigste bei einer Schließung der Straße von Hormuz ist - um eine hysterische Reaktion der Erdöl verbrauchenden Länder zu verhindern -, die Erdölversorgung und das Preissystem zu sichern: Krisenmanagement. Präsident Reagan hat den Vorschlag gemacht, daß die Industrieländer bereit sein sollten, dazu rechtzeitig ihre strategischen Reserven auf den Markt zu werfen. Dies ist der erste vernünftige Vorschlag. Herr Minister, ich möchte wissen, wie die Bundesregierung dazu steht. Ich möchte wissen, ob Sie alle Ihre Kräfte verwenden werden, um den uns befreundeten Mächten deutlich zu machen, daß durch eine Intervention dort nichts gelöst wird, alles schlimmer wird, kein Frieden kommt, sondern nur mehr Krieg. Es muß politisch gehandelt werden. Wir sollten uns bei den guten wirtschaftlichen Beziehungen zu beiden kriegführenden Staaten noch einmal fragen: Haben wir wirklich genug für eine politische und friedliche Lösung getan? Haben wir wirklich alle Möglichkeiten auch wirtschaftlichen Einflusses in der Region ausgeschöpft? Haben wir wirklich alles getan? Verfallen wir nicht in Selbstrechtfertigung und in Selbstgerechtigkeit! Das ist ein Krieg, in dem Hunderttausende gestorben sind und noch sterben können und der uns nicht gleichgültig lassen darf. ({3})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.

Heinz Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002125, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob die Bemerkungen, die der Kollege Gansel hier am Schluß gemacht hat, genau das treffen, worüber wir uns heute morgen zu unterhalten haben. Ich glaube, es ist deutlich gemacht worden, daß es nicht die Waffen sind, die diesen Krieg vom Zaune gebrochen haben, ({0}) und wenn es nicht die Waffen wären, mit denen der Krieg jetzt geführt wird, dann wären es andere Waffen gewesen, mit denen der Krieg begonnen und fortgeführt worden wäre. ({1}) - Ich verstehe nicht, daß Sie nicht einmal in der Lage sind zuzuhören, wenn man sich hier hinstellt und versucht, einen Gedanken zu fassen. Das ist eigentlich das Mindeste, was man sich gegenseitig zugestehen könnte. Ich glaube, es sind die tiefen religiösen, psychologischen und historischen Hintergründe, die zum Konflikt in dieser Region geführt haben, daß dieser Krieg jetzt mit Waffen - stellen Sie sich vor, das ist mir sogar auch bekannt - geführt wird. Aber wir wissen, daß wir den Konflikt in dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet, nicht mit ganz konkreten Boykottmaßnahmen, Embargomaßnahmen beenden können, weil - so auch in dieser Debatte - ein Stück der Hilflosigkeit, der Ohnmächtigkeit deutlich geworden ist. In dem Zustand der Hilflosigkeit und der Ohnmächtigkeit befinden sich alle, die sich um die Beendigung dieses Konflikts bemühen. Wir dürfen eines nicht unterschätzen. Ob im Irak oder im Iran: Ich glaube nicht, daß es uns hilft, zur Lösung des Konflikts beizutragen, wenn wir hier lehrerhaft, oberlehrerhaft meinen, mit bestimmten Akzenten den Leuten sagen zu können, wie wir meinen, daß sie zu leben hätten. Das ist eine andere historisch-psychologische Welt. ({2}) - Ach, was Sie sich dauernd aufregen! Ich halte das, was Kollege Wischnewski gesagt hat, für einen hervorragenden Ansatzpunkt. Herr Wischnewski hat darauf hingewiesen, daß die Iraner jetzt zugestimmt haben, daß der Generalsekretär der UNO dorthin Beobachter entsendet, und sich der Iran zumindest im zivilen Bereich bereit erklärt, daß etwas geschieht. Das zeigt aber doch, daß wir einen Schimmer von Hoffnung haben, daß Appelle, Gespräche, Diskussionen vielleicht doch von beiden Seiten gehört werden. Wenn es auf der einen Seite keinen Schimmer von Hoffnung gäbe, dann dürfte das doch für uns kein Grund sein, so zu tun, als ob es überhaupt keine Hoffnung gäbe. Hier ist deutlich geworden, daß die Möglichkeiten des Gesprächs und insbesondere die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Beziehungen uns Brücken bieten, mit den Menschen dort zu reden. Der Krieg ist kein Mittel der Politik. Er war es eigentlich nie. In unserer Zeit ist er überhaupt kein Mittel der Politik. Der Krieg zerstört, anstatt aufzubauen. Aber beide Regierungen, beide Staaten beweisen doch durch ihr Interesse an wirtschaftlichen Beziehungen, daß sie die sozialen und menschlichen Lebensbedingungen der Menschen in ihrer Region verbessern wollen. Hier, so glaube ich, ist ein Ansatzpunkt. Die Ressourcen, die den beiden Ländern zur Verfügung stehen, wären viel besser angewandt, um die Lebenbedingungen der Menschen in dieser Region zu verbessern und zu gestalten, anstatt sie in einem Krieg zu vertun. Sie haben nun einmal das Glück, daß sie Rohstoffe haben. Es ist nicht unsere Theorie, daß die Staaten dort die Bedingungen der Menschen verbessern wollen, sondern das beweisen die Wünsche des Iran und des Irak zur Verbesserung der Infrastruktur in Städten und Dörfern. Hier liegt unsere Möglichkeit, liegt unsere Chance, in Gesprächen mit den Regierungen beider Länder und mit befreundeten Staaten, die dort vielleicht ein noch offeneres Ohr finden, als dies bei uns der Fall ist - ich weise darauf hin, daß der Ministerpräsident der Türkei in beiden Ländern gewesen ist, im Iran und im Irak als Nachbarländer -, zum Frieden beizutragen und die Freunde, die wir haben, mit einzusetzen, mit den Menschen dort zu reden: Macht Schluß mit dem Krieg und nützt die Mittel, die ihr habt, zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in eueren Ländern! ({3})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat Herr Abgeordneter Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch Zeit für ein paar kurze Anmerkungen. Die erste Anmerkung zu Herrn Repnik. Herr Repnik, innenpolitisches Kapital schlagen aus diesem Krieg in der Golfregion diejenigen, die wie Sie hier den Eindruck erwecken, als ob man angesichts solcher Kriege und angesichts der Verwicklung der hochindustrialisierten Staaten in solche Kriege zur Tagesordnung übergehen könne ({0}) und als ob das Wichtigste nur sei, daß der Handel weiter floriert und daß die Menschen hier über solche Entwicklungen nicht beunruhigt werden und nicht darüber nachdenken, wo denn die tatsächlichen Verbindungen zwischen Rüstungsexport und solchen Kriegen in der Dritten Welt liegen. ({1}) Eine zweite Anmerkung, und zwar zu Herrn Schwarz und Herrn Petersen. Herr Schwarz sprach von tiefen religiösen und psychologischen Gründen, die dieser Krieg habe. Und Herr Petersen hat - nach dem Motto: so sind die Neger halt - darauf hingewiesen, daß sie sich dort, auch wenn sie Dreschflegel hätten, umbringen würden. ({2}) Ich habe vorhin in einem Zwischenruf bewußt gesagt, daß das ein vornehmer Rassismus ist, der hier von Herrn Petersen gepredigt wurde. ({3}) Das ist genau die Haltung, die von den Verantwortlichkeiten ablenkt und so tut, als ob es nur an der Natur der Menschen in der Dritten Welt liege, wenn es zu solchen Kriegen kommt. ({4}) Wenn man von historischen Gründen redet, Herr Schwarz, dann muß man sie eben darlegen. Herr Gansel hat ja schon Beispiele dafür gebracht. ({5}) Wer hat denn das Schah-Regime seinerzeit so aufgerüstet? Wer ist denn dafür verantwortlich, daß es im Iran heute ein solches Khomeini-Regime gibt? Das kann es nur geben, weil es dort vorher das Schah-Regime mit all seinen Verbindungen von seiten auch der Bundesrepublik gegeben hat. Wer über die historischen Gründe im Irak und sonstwo in dieser Region spricht, der muß auch davon sprechen, welche Hinterlassenschaften die ehemaligen Kolonialmächte in dieser Region zu verantworten haben. Die sind mit dafür verantwortlich, daß es zu solchen Situationen kommt. ({6}) Eine dritte Anmerkung. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI hat davon gesprochen, daß es insgesamt 40 Staaten gebe, die auf die eine oder auf die andere Seite - und manche sogar auf beide Seiten - Rüstungsexport betrieben. Man kann sich nicht herausreden, wie es der Bundesaußenminister mal wieder getan hat, der sich, wenn er einmal ein bißchen konkret werden soll, immer nur hinstellt und im Blick auf die Sowjetunion sagt, wir müßten aufpassen, daß die das nicht zum Ost-West- - -

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Noch einen Satz, Herr Kollege.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hiernach habe ich noch eine Minute.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Nein, das ist falsch eingestellt. Das ist ein technischer Fehler. Ich bitte um Entschuldigung für den technischen Fehler.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigung, es liegt ein technischer Fehler in der Zeitangabe vor. Ich darf nur noch einen Schlußsatz sagen. Ich möchte nur auf folgendes zur Frage des Rüstungsexports hinweisen. Es ist nicht einmal in diesem Haus, auch nicht im Auswärtigen Ausschuß, bekannt, was denn beispielsweise aus Rüstungskoproduktionen von seiten der Bundesrepublik und Frankreichs und der Bundesrepublik und Großbritanniens mit in diese Region hineinfließt. Die Bundesrepublik ist Täter und Wiederholungstäter im Rüstungsexport. Sie gehört deswegen auch zum Kreis der ersten Verdächtigen, an diesem Krieg mitzuwirken. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, das war schon der dritte Satz. Es tut mir leid. Die Regeln sind streng. - Das Wort hat der Abgeordnete Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, ich fand es sehr gut, daß wir unter dem Stichwort Verantwortung der Rüstungsländer hier heute morgen über diesen Konflikt am Golf gesprochen haben. Auch ich möchte sagen, daß ich angesichts der Dramatik des Konfliktes dort unten kein Verständnis für die Meinung des Kollegen Repnik entwickeln kann, dieses Thema sei politisch nicht aktuell und nicht wert, in einer Aktuellen Stunde diskutiert zu werden. ({0}) Was Herr Schily gesagt hat, verdient unser aller Aufmerksamkeit. Ich finde, das kann eigentlich jeder in diesem Hause unterstützen. Auch ich habe nur wenige Sekunden Zeit, und ich möchte Sie deswegen - ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren, ich bitte - verzeihen Sie, Herr Stobbe, ich rechne das natürlich Ihrer Redezeit hinzu - um Ruhe auf allen Seiten des Hauses. Ich darf auf die Geschäftslage hinweisen. Wir werden noch einen Redner in der Aktuellen Stunde hören und dann vor der folgenden Abstimmung einen Umgang mit Beiträgen von bis zu fünf Minuten Dauer für die Begründung haben. Dann werden wir zu dem anderen Punkt der Tagesordnung kommen. Ich bitte Sie fortzufahren, Herr Kollege Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesaußenminister, Präsident Reagan hat kurz vor dem Londoner Gipfel den Vorschlag gemacht, im Falle einer Ausweitung des Konfliktes am Golf die strategischen Ölreserven freizugeben - als einen Beitrag dazu, Hektik zu vermeiden. Ich hätte es wirklich für vernünftig gehalten, wenn Sie sich zu diesem Vorschlag hier vor dem Hohen Hause geäußert hätten bzw. noch äußerten; denn das ist tatsächlich der politischste Ansatz, den ich bisher gehört habe, um im Falle eines Falles zu einer vernünftigen und ruhigen Handhabung zu kommen. ({0}) Dann ein Wort an Sie, Herr Bundeskanzler: Sie haben versprochen, daß Sie den Auswärtigen Ausschuß über das informieren wollten, was Ihre Regierung an Waffenlieferungen an Saudi-Arabien plant, die die SPD bekanntlich ablehnt. Ich möchte Sie ausdrücklich fragen, ob Sie bei dieser Zusage bleiben und wie Sie das angesichts der bevorstehenden Sommerpause eigentlich machen wollen; denn wir möchten nach der Sommerpause nicht überrascht werden. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich nutze die uns verbleibende Redezeit nur zu wenigen Bemerkungen. ({0}) Wir haben eine ziemlich vernünftige Debatte zu dieser Frage heute früh führen können. Es kann natürlich nicht so gehen, Herr Reents, daß wir bis zu einem bestimmten Punkt, von dem Sie glauben, es sei der Schluß, vernünftig und fair miteinander umgehen und Sie dann am Ende ans Rednerpult treten und aus diesem Bundestag ein Agitationsforum machen. ({1}) Ihre billigen Unterstellungen und Verdächtigungen der Bundesrepublik Deutschland weise ich hiermit schärfstens zurück. ({2}) Herr Reents, mit dieser Masche werden Sie - glauben Sie mir das - nicht lange durchhalten. Die Medien werden recht früh von den Grünen und ihren Mätzchen gelangweilt sein. Die jungen Leute werden Ihnen keine Glaubwürdigkeit mehr zutrauen. ({3})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren! Ich bitte, Platz zu nehmen. ({0}) Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den gestern zurückgestellten Tagesordnungspunkt 2 auf: Fortsetzung der Beratung des Dritten Immissionsschutzberichts der Bundesregierung hier: Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN ({1}) - Drucksache 10/1587 Zu diesem Entschließungsantrag liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1683 vor. Ich gehe davon aus, daß damit die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1683 und der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/1670 zurückgezogen sind. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall. Es ist interfraktionell eine Runde mit längstens bis zu fünf Minuten Redezeit verabredet. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Umweltschutz ist und bleibt ein zentrales Thema unserer Politik. Regierungserklärung und Stellungnahmen der CDU/CSU-Fraktion haben dies in der Vergangenheit sehr deutlich gemacht. Die von uns getroffenen Entscheidungen bewähren sich und beginnen zu greifen. Die beschlossenen Maßnahmen wie die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Technische Anleitung Luft mögen als Beispiele dafür genannt werden und waren die ersten Schritte auf diesem Wege. In dem Entschließungsantrag der CDU/CSUFraktion vom 9. Januar 1983 wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß wir den Emissionsminderungsmaßnahmen zur Reinhaltung der Luft eine besondere Priorität beimessen. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um insbesondere auch bei den sogenannten Altanlagen noch schneller und weitgehender zu einer Minderung der Emissionen zu kommen. Dies kann in einigen Fällen zu Schwierigkeiten führen. Ein weiteres ist deutlich geworden, nämlich daß in den letzten Jahren die Umweltbelastung und damit auch die Schäden zugenommen haben. Es kann deshalb nicht beim Beklagen und Beschreiben des Zustandes bleiben. Wir sind zum Handeln aufgerufen. Jeder, der in den letzten Monaten unsere Politik verfolgt hat, weiß, daß wir dazu bereit sind. Der Verlauf der multilateralen Umweltkonferenz in München macht deutlich, daß wir große Anstrengungen unternehmen, um international im Hinblick auf unsere Umweltschutzpolitik zu einer großen Übereinstimmung zu kommen. Deshalb ist es wichtig, auch im nationalen Bereich an der Glaubwürdigkeit und Konsequenz unserer Politik keine Zweifel aufkommen zu lassen. Ich habe bereits am 8. Juni 1984 erklärt, daß es auch in bezug auf das Kraftwerk Buschhaus vor 1988 möglich sein muß, eine Senkung der Schadstoffemissionen zu erreichen. ({0}) Diesem Ziel trägt unser heutiger Antrag Rechnung. Wir fordern die Bundesregierung auf, daß erstens das Kraftwerk Buschhaus nicht ohne Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb genommen wird, und zwar mit dem bestmöglichen Wirkungsgrad - bestmöglich, das heißt auch Optimierung zwischen Grenzwert und zeitlicher Realisierung. Wir fordern zweitens, daß bereits vor 1988, spätestens bei Inbetriebnahme des Kraftwerkes Buschhaus, die bisherige Schwefeldioxidgesamtemission deutlich reduziert wird. Auch dies ist eine Konsequenz unseres Entschließungsantrages. Es heißt dort: Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand sollen im Umweltschutz beispielhaft vorangehen. Dem wird durch unsere Forderung Rechnung getragen. Wir fordern drittens, daß nach dem Stand der Technik die NOx-Emissionen spätestens ab 1988 mit dem Ziel verringert werden, auf höchstens 200 mg/m3 NOx im Abgas zu kommen. Viertens im Hinblick auf die Sicherung der Arbeitsplätze im Kraftwerk ist die Beschäftigung der Arbeitnehmer während der Durchführung der Maßnahmen sicherzustellen. Wir verkennen nicht, daß unser Antrag zu finanziellen Schwierigkeiten führen kann. Wir bitten deshalb die Bundesregierung, alle Möglichkeiten finanzieller Unterstützung - auch auf EG-Ebene - zu nutzen, damit im Hinblick auf eine Verbesserung des Umweltschutzes und der modernen Technologie ein weiterer Schritt nach vorn getan werden kann. Wir begrüßen die Absicht der niedersächsischen Landesregierung, für das Kraftwerk Offleben II eine Rauchgasentschwefelung einbauen zu lassen und das Kraftwerk Offleben I zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens mit Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus, in die Kaltreserve zu übernehmen. Mit unserem Antrag - das sollte allen Beteiligten klar sein - wird den Erfordernissen Erhaltung der Arbeitsplätze insbesondere im Bergbaubereich, Verbesserung der Umweltsituation sowie Erprobung neuer Entschwefelungstechnologien für die Salzkohle Rechnung getragen. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Hauff.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Buschhaus ist ein Testfall für die Glaubwürdigkeit der Umweltpolitik in unserem Land. ({0}) Es macht keinen Sinn, das Kraftwerk Buschhaus in Betrieb zu nehmen und dafür andere Kraftwerke in Offleben stillzulegen oder zu reduzieren, obwohl das neue Kraftwerk im Schnitt doppelt soviel Schwefelschadstoffe produziert wie das alte. In nüchternen Zahlen ausgedrückt: Pro Megawatt elektrische Leistung produziert Buschhaus 420 Tonnen Schwefeldioxid und Offleben 188 Tonnen. Mehr Dreck und weniger Strom - das kann nicht der Leitsatz der Energiepolitik sein. ({1}) Das Problem ist auch lösbar. Die Entschwefelung ist möglich. Sie kostet Zeit und Geld; das ist richtig. Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie ihren Beitrag aus gesamtstaatlicher Verantwortung leistet, um dieses Umweltproblem zu lösen und die Beschäftigung der Arbeitnehmer zu sichern. Wir betonen die Notwendigkeit, beide Seiten zu sehen. Arbeit und Umwelt müssen gesichert werden. Dies bleibt das Grundprinzip unserer Umweltpolitik. ({2}) Deswegen sind wir Sozialdemokraten auch dafür eingetreten, die Bundesregierung aufzufordern, wie es wörtlich im gemeinsamen Antrag heißt, „daß auch während der Durchführung der Maßnahmen zum Schutz der Umwelt die Beschäftigung der Arbeitnehmer bei BKB sichergestellt wird". ({3}) Buschhaus ohne Entschwefelung produziert weit über 100 000 Tonnen Schwefeldioxid im Jahr. Buschhaus mit Entschwefelung produziert nur noch 6 000 Tonnen Schwefeldioxid; das sind 4 % der ursprünglichen Schadstoffmenge. Meine Damen und Herren, diese Maßnahme macht die Kohle umweltfreundlich, diese Maßnahme macht die Kohle populär. Das ist praktische Kohlevorrangpolitik, und das wollen wir Sozialdemokraten, weil wir wissen: Nur so ist die Zustimmung zu einer Energiepolitik für die Kohle zu erhalten. ({4}) Auch im Interesse der Menschen in Berlin muß Buschhaus entschwefelt werden. Berlin ist die Stadt in Mitteleuropa mit den meisten Smogalarmen. Diese Stadt verträgt keine weiteren Belastungen. Im Gegenteil, es muß zu Entlastungen kommen. Dazu sind Verhandlungen mit der DDR notwendig. Wir werden solche Verhandlungen nicht mit Aussicht auf Erfolg führen können, wenn wir nicht bei unseren eigenen Kraftwerken mit gutem Beispiel vorangehen. ({5}) Dies gilt natürlich auch für die überfälligen Verhandlungen mit der CSSR, um vor allem im oberfränkischen Raum die Luft zu verbessern und das Waldsterben zu stoppen. Die Luftverschmutzung hat verheerende Folgen. Bauwerke und Denkmäler unserer Kultur werden zerstört. Die Wälder sterben. Die Gesundheit der Menschen, vor allem der kleinen Kinder wird gefährdet. Diese Alarmsignale sind unüberhörbar. Deswegen muß gehandelt werden. Die Zeit drängt. Auch hier gilt der Satz von Carlo Schmid, daß PoliDr. Hauff tik darin bestehen muß, das Notwendige möglich zu machen. ({6}) Dies gilt eben auch für das Kraftwerk Buschhaus. Wir Sozialdemokraten stimmen der Entschließung geschlossen zu. ({7})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag entspricht Anträgen, die die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag und im Abgeordnetenhaus in Berlin gestellt hat. Der Prozeß der Emissionsminderung kann und muß beschleunigt werden. Nach dem Stand der Technik kann das Kraftwerk Buschhaus mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage ausgestattet werden. Ich verweise auf einen Brief, den der Bundesinnenminister am 18. November 1983 an den Senator für Stadtentwicklung in Berlin gerichtet hat. Ich mache mir das zu eigen, was Herr Zimmermann schreibt: Auch ich betrachte diesen Kraftwerksneubau als einen besonderen Problemfall. Mein Haus hat bereits im Jahre 1977 sowie in weiterem Schriftwechsel gegenüber dem niedersächsischen Sozialminister die Auffassung vertreten, daß nach dem Stand der Technik der Einbau einer Entschwefelungseinrichtung gefordert werden kann. Leider ist sie damals nicht gefordert worden. Jetzt muß dies nachgeholt werden. Ich bin der Meinung, daß gerade die öffentlichen Hände und die Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hände hier beispielgebend sein müssen. ({0}) Unbestreitbar mögliche und notwendige Umweltschutzmaßnahmen dürfen nicht zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Wir können es nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß ein nagelneues Kraftwerk mit Emissionswerten in Betrieb geht, die diejenigen der ältesten Altanlagen noch überschreiten. ({1}) Wie wollen wir, meine Damen und Herren, auf internationale Konferenzen gehen - wir haben ja gerade eine internationale Konferenz hinter uns -, wenn wir selbst zu Hause nicht das tun, was wir tun können? Insofern hat Buschhaus eine Symbol- und eine Signalwirkung. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, daß Buschhaus erst dann in Betrieb geht, wenn die Nachrüstung erfolgt ist. Wir sind uns über die Problematik im klaren, die damit entsteht. Wir wollen alles tun für die Erhaltung der Arbeitsplätze. Wir sind der Meinung, daß auch öffentliche Mittel bereitgestellt werden müssen, sei es vom Bund, sei es von der EG. Wir begrüßen die Feststellung der Bundesregierung, daß der Einbau der Rauchgasentschwefelung nach dem neuesten Stand der Technik nicht an finanziellen Schwierigkeiten scheitern darf, meine Damen und Herren. ({2}) Die Luftreinhaltepolitik hat Priorität in der Umweltpolitik der Bundesregierung. Dies ist ein wichtiger Schritt. Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß die Konferenz in München stattgefunden hat. Ich möchte sagen, sie war ein Erfolg; sie war schon deshalb ein Erfolg, weil Ost und West an einem Tisch gesessen haben. Es ist ein Schritt nach vorn gemacht worden. Wir würden uns nicht sehen lassen können, meine Damen und Herren, wenn wir heute nicht gemeinsam das beschließen und das tun, was wir zu Hause tun müssen, um international endlich einen Durchbruch zu erzielen. ({3})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke ({0}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Die Fraktion der GRÜNEN hat als einzige Fraktion am 8. Juni einen Entschließungsantrag eingebracht, der die zur Zeit bestmögliche Entgiftung des Kraftwerks Buschhaus zum Ziele hatte. Ich stelle fest, daß unser Anliegen erfreulicherweise auch bei den anderen Fraktionen Zustimmung fand, so daß sich alle Parteien dieses Hauses auf einen gemeinsamen Antrag einigen konnten. Ich kann jedoch nicht verhehlen, daß uns die Zustimmung zu dem gemeinsamen Antrag, der zwangsläufig Kompromisse enthalten muß, nicht leichtgefallen ist. Ich will die Schwierigkeiten ganz kurz erklären. Erstens. Ziel unserer Vorstellungen ist es, die SO2-Emission des fertigen Kraftwerks Buschhaus auf Werte abzusenken, die deutlich unter 400 mg/m3 liegen. Dies kann man durch entsprechende Entschwefelungsmaßnahmen erreichen, durch Vorentschwefelung der Kohle oder durch Verbrennung schwefelärmerer Kohle. Lassen wir die beiden letzteren Möglichkeiten einmal beiseite, obwohl sie durchaus interessante Aspekte bieten. Wir haben uns im Antrag auf die Entschwefelung der Rauchgase konzentriert und gemeinsam den bestmöglichen Wirkungsgrad dafür gefordert. Dies bedeutet, daß nach den derzeitigen Kenntnissen, besonders nach dem sogenannten Rentz-Gutachten, bei der Salzbraunkohle Schwefeldioxidemissionswerte um oder sogar unter 250 mg/m3 eingehalten werden müssen und auch können. Die Angabe dieses Wertes wäre uns GRÜNEN eigentlich lieber gewesen. Zweitens. Je nach Wahl des Entschwefelungsverfahrens ist mit Folgeproblemen zu rechnen. Verfahren der nassen Rauchgaswäsche benötigen beträchtliche Mengen Kalk, dessen Förderung auch mit ökologischen Beeinträchtigungen verbunden ist. Denken Sie nur an die zahlreichen Kalksteinbrüche, die man dann zusätzlich in der Landschaft anlegen müßte. Dr. Ehmke ({0}) Zudem sind die Endprodukte, meistens Gips, oft stark mit Schwermetallen und anderen Schadstoffen verunreinigt. Der Absatz solcher Produkte, etwa auf dem Baustoffmarkt oder als Düngemittel, ist deshalb sehr erschwert, äußerst problematisch und vollkommen ungesichert. Es müßten deshalb nicht unerhebliche Deponieflächen für die Ablagerung der Endprodukte vorgesehen werden. Daher wäre es aus unserer Sicht ökonomisch und ökologisch sinnvoller, solche Verfahren für Rauchgasentschwefelung voranzutreiben, deren Endprodukte als Rohstoffe verkauft werden können und deshalb keine Deponieflächen benötigen. Eines der im Rentz-Gutachten untersuchten Verfahren entspricht diesen Bedingungen. Bei diesem Verfahren entsteht Elementarschwefel, der z. B. in der chemischen Industrie als Rohstoff Verwendung finden kann. Dasselbe Verfahren hätte auch den Vorzug, daß es Schwefeldioxidemissionswerte von unter 250 mg pro m3 erreicht. Die Braunschweigischen Kohlebauwerke als Betreiber von Buschhaus sollten deshalb keine Verzögerungstaktik betreiben, indem sie noch einmal neue Gutachten in Auftrag geben - wie sie es derzeit tun -, sondern das erwähnte Verfahren einsetzen. Die BKB müssen sich, wie viele Kraftwerksbetreiber, sagen lassen, daß die Kenntnisse ausreichen, um sofort ans Werk zu gehen, damit die Wälder noch eine gewisse Chance des Überlebens haben, damit die Gesundheitsgefährdung durch Luftschadstoffe nicht noch weiter zunimmt. Drittens. Wenn wir an die Gesamtemission im Raum Helmstedt denken, also Buschhaus plus Offleben I und II, dann haben wir auch Bauchweh bei der Antragsformulierung zu Offleben II. DIE GRÜNEN begrüßen ausdrücklich nicht die bisherige Haltung der niedersächsischen Landesregierung, die Fristen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung voll auszuschöpfen. Wir treten im Sinne der in der Begründung richtig erwähnten beispielgebenden Rolle der öffentlichen Hände im Umweltschutz dafür ein, daß Offleben II sofort entschwefelt und sofort, zumindest durch feuerungstechnische Maßnahmen, eine Verminderung der Stickoxide herbeigeführt wird. ({1}) Ich könnte noch einige weitere Probleme nennen, die wir mit dem Antrag haben. Ich muß mir das jetzt aber ersparen. Eine Feststellung sei mir noch zum Schluß gestattet. Die Tatsache, daß es nach zähem Ringen zu einem gemeinsamen Antrag in Sachen Buschhaus gekommen ist, zeigt meines Erachtens, daß nicht nur die technische Machbarkeit und die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Vorschläge anerkannt wird, die die Bürgerinitiativen vor Ort, die Umweltbewegung und die GRÜNEN in mühevoller und oft behinderter Arbeit zusammengetragen haben. Der Antrag zeigt außerdem, daß erstmalig auch der politische Wille bei allen vier Fraktionen vorhanden ist, Parteitagsbeschlüsse und programmatische Aussagen wenigstens ein kleines Stück weit in die Tat umzusetzen. Zunächst einmal ist das nur ein Signal. DIE GRÜNEN werden genau aufpassen, wie das Signal in Hannover ankommt. Nehmen Sie die Begründung des Antrags ernst. Denken Sie an die vielen Kraftwerke im Besitz der öffentlichen Hände, wo schnelles Handeln wie im Fall Buschhaus möglich wäre. Lassen Sie diesem Signal jetzt Taten folgen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 10/1683 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen und, wenn ich recht gesehen habe, bei 1 Gegenstimme ist der Antrag angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Eidesleistung des Bundesministers für Wirtschaft Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 27. Juni 1984 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister Dr. Otto Graf Lambsdorff aus seinem Amt entlassen und Dr. Martin Bangemann zum Bundesminister für Wirtschaft ernannt hat. Nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid. Ich bitte Sie, Herr Bundesminister für Wirtschaft, zur Eidesleistung heranzutreten. ({0}) Herr Bundesminister, ich lese Ihnen die Eidesformel vor und bitte, den Eid mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen. Der Eid lautet: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Ich frage Sie, Herr Bundesminister: Sind Sie bereit, den Eid zu leisten?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Damit haben Sie den Eid geleistet, den das Grundgesetz vorsieht. Ich wünsche Ihnen Segen und Erfolg für unser Volk. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte zugleich dem scheidenden Bundesminister für Wirtschaft Otto Graf Lambsdorff den Dank des Deutschen Bundestages für seine Arbeit aussprechen. ({1}) Präsident Dr. Barzel Meine Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 und 28 auf: 27. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen des Weltwirtschaftsgipfels in London und zum EG-Gipfel in Fontainebleau 28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({2}) zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommmission der Europäischen Gemeinschaften - Die zukünftige Finanzierung der Gemeinschaft Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Die zukünftige Finanzierung der Gemeinschaft: Vorschlag für einen Beschluß über die eigenen Mittel - Drucksachen 10/358 Nr. 48, 10/329, 10/1583 Berichterstatter: Abgeordnete Hoffmann ({3}) Borchert Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart, die Tagesordnungspunkte 27 und 28 in verbundener Beratung zu behandeln und die Beratung auf vier Stunden zu begrenzen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte erlauben Sie mir, daß ich zu Beginn meiner Ausführungen ein Wort des Dankes an den ausscheidenden Bundesminister Otto Graf Lambsdorff richte. ({0}) Sie, Graf Lambsdorff, haben der Bundesregierung sieben Jahre als Bundesminister für Wirtschaft angehört. Sie haben dieses Amt mit großem persönlichen Einsatz, mit außerordentlicher Sachkunde und mit dem Engagement Ihrer ganzen Persönlichkeit geführt. Jeder von uns weiß - und das kann man ganz wörtlich so sagen -, daß Sie eine starke, eine kämpferische Persönlichkeit sind. Auf den verschiedensten Seiten des Hauses haben wir das in großen Parlamentsdebatten, auch und vor allem in leidenschaftlichen Sachdebatten miteinander erlebt. Mut, Leidenschaft und ein hohes Pflichtbewußtsein haben Ihre Amtsführung ausgezeichnet. Sie haben sich im In- und Ausland als eine Persönlichkeit mit großer fachlicher Kompetenz für unser Land und für Sie persönlich Ansehen erworben. Ich darf Ihnen für Ihren Dienst namens der Bundesregierung den herzlichsten Dank aussprechen. ({1}) Und, Graf Lambsdorff, ich will auch persönlich aus den 21 Jahren unserer Zusammenarbeit in der von mir geführten Bundesregierung hinzufügen - ({2}) - 21 Monaten! ({3}) Herr Kollege Vogel, nachdem Sie den lieben Gott in die Debatte eingeführt haben, will ich Konrad Adenauer zitieren. Der hätte in diesem Augenblick gesagt, es ist dem lieben Gott überlassen, ob es so sein wird, und nicht Ihnen. ({4}) Ich will es wiederholen: In den 21 Monaten unserer Zusammenarbeit habe ich Sie, Graf Lambsdorff, als einen fairen Kollegen und als einen charaktervollen Mann erlebt. Ich spreche Ihnen noch einmal namens der Bundesregierung - und ich darf das auch persönlich, auch in meinem Namen sagen - den herzlichen Dank für Ihre Arbeit aus. ({5}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor zwei Tagen ist in Fontainebleau das zweite Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft in diesem Jahr erfolgreich zu Ende gegangen. ({6}) Ich kann das Ergebnis kurz und eindeutig zusammenfassen: Diese Zusammenkunft von Fontainebleau hat Europa einen deutlichen und entscheidenden Schritt nach vorn gebracht. ({7}) Das ist das Verdienst aller Beteiligten, es ist aber auch und vor allem das Verdienst des persönlichen Einsatzes der französischen Präsidentschaft unter Leitung des französischen Präsidenten François Mitterrand. Der Ausgangspunkt dieser Beratungen war - das darf ich hier noch einmal in Erinnerung rufen - das Treffen des Europäischen Rates in Stuttgart vor jetzt einem Jahr. Dort hatten wir uns - trotz gleichzeitiger großer nationaler Belastungen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Neuorientierung der Wirtschaftspolitik - die klare Aufgabe gestellt, auch in Europa die eingetretene Stagnation zu überwinden und der Weiterentwicklung der Gemeinschaft neue Impulse zu geben. Es ging in Stuttgart um die wachsenden Agrarüberschüsse, um die fehlende Ausgabendisziplin, um das Ungleichgewicht des Gemeinschaftshaushalts einschließlich des britischen Beitragsproblems und nicht zuletzt um die Bemessungsgrenze für die Eigeneinnahmen der Gemeinschaft in Verbindung mit dem zum 1. Januar 1986 erstrebten Beitritt von Spanien und Portugal. Ich erwähne diese wenigen Punkte, um die wichtigsten Probleme noch einmal in Ihre Erinnerung zu rufen. Mit dem Verknüpfen all dieser Fragen haben wir in Stuttgart für jedermann klargemacht, daß Europa kein Selbstbedienungsladen für bestimmte Einzelinteressen ist, sondern ein Gemeinschaftsunternehmen, zu dem jeder seinen eigenen Beitrag leisten muß. ({8}) Meine Damen und Herren, heute, sechs Monate nach dem Fehlschlag von Athen und drei Monate nach dem wichtigen Teilergebnis von Brüssel, können wir feststellen, daß dieses Konzept, daß der Weg von Stuttgart richtig war. Mit dem Erfolg der Tagung in Fontainebleau hat sich erwiesen, daß unsere Strategie für einen neuen Anlauf zur Belebung der Gemeinschaft den Kern des Problems getroffen hat. Meine Damen und Herren, neben vielen anderen bedeutsamen Fragen konnten in diesen Tagen zwei wichtige Fragen endgültig geklärt werden: Nach jahrelangen Auseinandersetzungen konnte die Frage des britischen Beitrags bzw. der Kompensation für die zu hohe Beitragsleistung Großbritanniens in einer fairen Weise gelöst werden. Nicht zuletzt die deutschen Vorschläge haben dazu beigetragen, in dieser schwierigen Frage einen tragfähigen Kompromiß zu erzielen. An zweiter Stelle ging es darum, um Verständnis für unsere nationalen agrarpolitischen Ausgleichsmaßnahmen zu werben. Ich habe gegenüber unseren Partnern in Fontainebleau mit Nachdruck unterstrichen, daß unsere Hilfsmaßnahmen ausschließlich im Zusammenhang mit den drastischen Einkommensminderungen der deutschen Landwirte infolge der Brüsseler Agrarentscheidungen gesehen werden müssen. Dies ist nach langen und schwierigen Diskussionen in Fontainebleau auch auf eine positive Resonanz gestoßen. Alle Partner haben praktische Solidarität gezeigt, und dafür bin ich ganz besonders dankbar. ({9}) Ohne diese praktische Solidarität wäre es nicht möglich gewesen, in einer in jeder Weise einwandfreien Form das den deutschen Bauern gegebene Wort einzulösen. Ich bin dankbar, daß dies möglich war, und ich will auch hier in einer besonderen Weise den persönlichen Einsatz des Leiters der Konferenz, des französischen Präsidenten, würdigen. Gerade angesichts dieser so erfreulichen Bilanz von Fontainebleau möchte ich aber betonen, daß wir damit keineswegs am Ende eines Weges stehen. Ganz im Gegenteil, wir haben die entscheidenden Voraussetzungen dafür geschaffen, neue Initiativen für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft und für die politische Gestaltung Europas auf den Weg zu bringen. Dabei haben wir nicht nur das Ziel der politischen Union Europas vor Augen, an dem wir selbstverständlich festhalten. Es geht jetzt darum, auf allen Ebenen der Politik gemeinsame Vorstellungen zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Dazu gehören so verschiedene Gebiete wie die sicherheitspolitische Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Integration Europas. Gemeint ist die zügige Vollendung des europäischen Binnenmarktes ebenso wie die Rückkehr zu Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Auf der Tagesordnung stehen gemeinsame Anstrengungen für Forschung und Weltraumtechnik und mit einer besonderen Priorität - ich bin heute in der glücklichen Lage zu sagen, nicht nur für uns, für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für die anderen Partner in der EG - das konkrete Durchsetzen von mehr Umweltschutz in Europa. Hier, das will ich besonders betonen, hat sich auch im Psychologischen gegenüber Stuttgart in diesem Jahr im Rat Entscheidendes verändert, und zwar zum Guten. ({10}) Damit, meine Damen und Herren, sind wir bereits bei dem, was ich das Europa der Bürger nennen möchte. Ich denke dabei an die Reduzierung und den Abbau der Kontrollen im Personengrenzverkehr. Dies wird zuerst zwischen Deutschland und Frankreich verwirklicht werden. Entsprechende Absprachen mit den Beneluxländern werden bald folgen. Welchen Stellenwert der Präsident der französischen Republik und ich dieser Frage beimessen, können Sie daraus ersehen, daß wir im Blick auf die in nächster Zukunft zu treffenden Entscheidungen persönliche Beauftragte benannt haben, um eine zügige Umsetzung dieser klaren politischen Weisung zu ermöglichen. Das läßt auch unsere Entschiedenheit erkennen, dieses wichtige, vor allem für die Bürger Europas wichtige Vorhaben nicht in bürokratischen Hemmnissen und Angstlichkeiten untergehen zu lassen. ({11}) Die Prüfung derartiger neuer Aktionsfelder sowie die Erarbeitung konkreter politischer Empfehlungen für zukünftige gemeinsame Politik in Europa wird die Aufgabe einer neuen Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des nächsten Ratspräsidenten, des irischen Ministerpräsidenten FitzGerald, sein. Ich gehe davon aus, daß dieser Auftrag von Fontainebleau zu ähnlich zukunftweisenden Vorschlägen führen wird, wie dies in den Gründerjahren, die zugleich Krisenjahre der Gemeinschaft waren, dem sogenannten Spaak-Komitee gelungen ist. Die Rede des französischen Präsidenten in Straßburg sowie das kürzlich vorgelegte Memorandum der britischen Regierung haben bereits wertvolle Orientierungspunkte gegeben. Meine Damen und Herren, die Fülle der Einzelthemen darf uns nicht den Blick für das große Ziel verstellen. Es geht um neue Perspektiven für die Politik der Gemeinschaft. Und wenn es eine neue Perspektive sein soll und muß, heißt das: auf allen denkbaren Ebenen. Wichtig ist dabei, daß wir nicht wirklichkeitsferne Gedankengebäude diskutieren, sondern pragmatisch-praktische Ansätze, die die Gemeinschaft auch erlebbar für die Bürger in Europa weiterbringen, so daß Europa tatsächlich erfahrene Wirklichkeit wird. Nur so - und ich finde, das ist auch eine Lehre aus der Wahlbeteiligung am 17. Juni bei den Europawahlen - kann das EngageBundeskanzler Dr. Kohl ment und das Interesse in Europa für Europa wachsen. ({12}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir alle wissen: Die Weiterentwicklung der Gemeinschaft ist auf die Gesamtheit aller zehn und demnächst aller zwölf Mitgliedstaaten ausgerichtet. Dies schließt aber überhaupt nicht aus, daß sich einzelne Partner bei einzelnen Punkten nicht gleich beteiligen wollen, daß sie aus Gründen, die in ihren nationalen Überlegungen liegen, nicht in jedem Fall sofort mitmachen können. Aber das kann nicht bedeuten, daß die Gemeinschaft damit aufhört, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Im Gegenteil: Wir wollen, daß diejenigen, die weitergehen wollen, dies auch im Interesse der Gemeinschaft tun können. Aber das bedeutet auch, meine Damen und Herren, daß damit, um es einmal so zu formulieren, kein neues Zwei-Klassen-System entsteht. Jeder Partner in der Gemeinschaft kann sich jederzeit an jeder Initiative beteiligen. Die Entwicklung muß offenbleiben; es darf keine Privilegien geben. Nur so kann die notwendige Dynamik erhalten werden, die wir für die freiheitliche Gestaltung der Zukunft Europas so dringend brauchen. Für heute, meine Damen und Herren, gilt, daß es diese Perspektive für gemeinsame zukünftige Politik in Europa wieder gibt. Dies ist für mich persönlich das herausragende, das ermutigende Ergebnis von Fontainebleau. ({13}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft wird darüber hinaus ganz wesentlich von weltwirtschaftlichen Faktoren mitbestimmt. Um diese zentralen Fragen der internationalen Wirtschaftspolitik ging es beim jüngsten Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer in London. Anders als dies früher üblich war, habe ich den Deutschen Bundestag bereits vor diesem Treffen über die anstehenden Themen sowie über die Haltung der Bundesregierung informiert. Wir hatten hier im Hohen Haus darüber eine intensive Aussprache, wobei wir in den Grundpositionen, die für den Weltwirtschaftsgipfel bedeutsam waren, eine, wie ich meine, erfreuliche Übereinstimmung zwischen der Regierungskoalition und der Fraktion der SPD feststellen konnten. ({14}) - Ich kann ja keine Feststellung treffen, die auf Sie nicht zutrifft, meine Damen und Herren. Ich kann nur feststellen: Das ist halt so; das werden wir für eine gewisse Zeit ertragen müssen. ({15}) Meine Damen und Herren, diese Positionen hat die Bundesregierung in London mit Entschiedenheit vertreten. Das Ergebnis unserer Bemühungen läßt sich dabei nicht nur im Schlußdokument der Konferenz nachlesen. Für wichtiger halte ich es - und das will ich auch betonen -, daß wir unsere Haltung nicht nur auf der Konferenz selbst, sondern auch in einer ganzen Fülle von bilateralen Gesprächen und Kontakten deutlich machen konnten. Denn nur wenn wir die führenden Pesönlichkeiten in unseren Partnerländern - jenseits aller schriftlichen Kompromißformeln - von der Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen tatsächlich überzeugen, haben wir wirklich eine Chance, auch in der Sache selbst weiterzukommen. Lassen Sie mich dies an einem sehr wichtigen Thema konkretisieren: dem Problem des anhaltend hohen internationalen Zinsniveaus. Ich habe Präsident Reagan im bilateralen Gespräch mehrmals dargelegt, daß ich in der Zinsfrage eine gefährliche, risikobehaftete Entwicklung für die Zukunft der Weltwirtschaft sehe, und zwar nicht nur für die Industrieländer, sondern vor allem auch für die zum Teil hochverschuldeten Entwicklungsländer. Für sie bedeutet ein zusätzlicher Prozentpunkt bei den Zinsen eine Mehrbelastung von rund 8 Milliarden Dollar pro Jahr. Ich habe in meinen Gesprächen unterstrichen, daß der Zusammenhang zwischen der Höhe des Zinsniveaus und der außergewöhnlichen Dimension des amerikanischen Haushaltsdefizits von niemandem übersehen werden kann. ({16}) Zinssenkungen sind praktisch ausgeschlossen, solange die Kreditnachfrage der amerikanischen Wirtschaft steigt, das Haushaltsdefizit wächst, und dies beides vor dem Hintergrund zusätzlicher Finanzrisiken im Gefolge internationaler Verschuldung. Eine grundlegende Änderung dieser Situation wird nur erreichbar sein, wenn die amerikanische Haushaltspolitik deutliche Zeichen in Richtung eines Konsolidierungskonzeptes setzt. Der amerikanische Präsident hat zugesagt, daß der bereits angekündigte erste Schritt zur Verringerung der Haushaltslücke noch in diesem Herbst, d. h. vor den Präsidentschaftswahlen, verwirklicht wird. Ferner hat der Präsident erklärt, daß nach der Wahl weitere konkrete Schritte mit dem Ziel folgen werden, eine Lösung des amerikanischen Haushaltsproblems herbeizuführen. Ich habe diese Zusage des Präsidenten mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Sie muß auch im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Kommuniqués gesehen werden. Dort heißt es: „Maßnahmen zur Verringerung von Inflation und Zinssätzen, zur Begrenzung des Geldmengenwachstums und, falls erforderlich, zur Senkung der Haushaltsdefizite fortzusetzen und, wo nötig, zu verstärken." Meine Damen und Herren, ich füge hinzu, daß unsere Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung, zusammen mit der Politik der Bundesbank, in dieser Hinsicht sehr wohl Ergebnisse vorweisen können. Nicht von ungefähr liegt das amerikanische Zinsniveau heute um 5 Prozentpunkte höher als bei uns. Dies zeigt, daß glaubwürdige Politik auch hier mehr bewirkt als das Wunschdenken vom politischen Abkoppeln, wovon in der Vergangenheit so häufig die Rede war. ({17}) Ein zweites wichtiges Thema war in London der Kampf gegen den Protektionismus. Dabei hat sich erfreulicherweise gezeigt, daß der Widerstand gegen protektionistischen Druck im nationalen Bereich auch bei unseren Partnern zugenommen hat. Wir waren uns alle einig, daß das gegenwärtige laufende GATT-Programm zur Handelsliberalisierung beschleunigt verwirklicht werden soll. Was ich für besonders wichtig halte: Wir waren uns auch einig über die Notwendigkeit einer neuen weiterführenden GATT-Verhandlungsrunde. Wir werden dazu die anderen GATT-Partner, insbesondere die Entwicklungsländer, konsultieren, damit bald eine Entscheidung getroffen werden kann. Wir werden unsererseits versuchen, das Menschenmögliche zu tun, um einen konstruktiven und engagierten Beitrag zu leisten. Meine Damen und Herren, vielleicht das wichtigste Thema dieses Weltwirtschaftsgipfels war die besorgniserregende Verschuldung vieler Entwicklungsländer, die durch die hohen internationalen Zinssätze noch verschärft wird. Um dieses Problem unter Kontrolle zu bringen oder zu halten - man kann es so und so formulieren -, haben wir eine breite Palette von Maßnahmen erörtert. Besonders wichtig erscheint mir dabei, daß die betroffenen Länder selbst geeignete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Wirtschaftslage ergreifen, daß derartige Anstrengungen durch eine Umstellung auf ein langfristiges Schuldenkonzept honoriert werden, daß der Mittelzustrom in die betroffenen Länder, einschließlich der öffentlichen Entwicklungshilfe und der Mittel internationaler Finanzinstitutionen, nicht abreißt, sondern, wenn möglich, erweitert wird und daß die Entwicklungsländer selbst durch eine günstige Entwicklung der Weltwirtschaft, durch einen expandierenden Welthandel und durch eine stärkere Marktöffnung innerhalb der Industrieländer die Möglichkeit erhalten, ihre Probleme Schritt für Schritt selbst wieder in die Hand zu bekommen. Die relativ moderate Resolution der gerade beendeten Konferenz von Cartagena zeigt, daß die hochverschuldeten Länder Lateinamerikas dieses Signal von London durchaus verstanden haben. Ich werde Anfang Juli anläßlich eines Besuchs in Argentinien und Mexiko die Chance haben, die Probleme vor Ort zu diskutieren. Dies scheint mir geboten, um in dieser gegenwärtig wohl schwierigsten Frage der internationalen Wirtschaftspolitik Fortschritte möglich zu machen, im Interesse der betroffenen Länder und der dort lebenden Menschen und auch im Interesse der Kreditgeber. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich die Bilanz des Londoner Treffens zusammenfasse, so möchte ich feststellen: Seit der letzten Zusammenkunft in Williamsburg hat sich die Lage der Weltwirtschaft spürbar gebessert. ({18}) Es gibt in der Weltwirtschaft wieder eine Perspektive für dauerhaftes Wirtschaftswachstum bei einem deutlich niedrigeren Preisanstieg. Wir in der Bundesrepublik Deutschland müssen allerdings dafür Sorge tragen, daß wir unsere Chance nicht wegen hausgemachter Schwierigkeiten verpassen. ({19}) Die Arbeitslosigkeit, die schlimmste Heimsuchung unserer Gesellschaft, konnte in Europa und in der Bundesrepublik anders als in den USA noch nicht spürbar abgebaut werden. Hohe Zinsen, große Haushaltsdefizite, starre Regelungen in Wirtschaft und Gesellschaft haben sich als schwierigste Hindernisse erwiesen. Mit mehr Marktwirtschaft, mit mehr Anreiz für Risikobereitschaft und persönliches Engagement und mit mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit können jedoch Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und damit natürlich für mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Die weitere Entwicklung des internationalen Zinsniveaus wird maßgeblich davon abhängen, ob die Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung von allen Partnern fortgesetzt werden. Selbstverständlich werden wir als Bundesregierung alles tun, um auch auf diesem Feld mit gutem Beispiel voranzugehen. Zur Entschärfung der internationalen Verschuldungslage müssen die Entwicklungschancen der betroffenen Entwicklungsländer durch eine langfristige Strategie verbessert werden, ohne daß das internationale Finanzsystem zugleich überfordert wird. Diese Frage, meine Damen und Herren, wird in den nächsten Monaten das besondere Engagement aller Beteiligten erfordern. Dies gilt im übrigen auch für eine uns ganz besonders bedrückende Frage, nämlich für die internationale Dimension des Umweltproblems. Auf meinen Vorschlag hin sind die zuständigen Minister beauftragt worden, konkrete Bereiche für eine fortgesetzte Zusammenarbeit zu bestimmen. Die Arbeitsgruppe Technologie wird noch bis zum Jahresende Ansatzpunkte für die Intensivierung der Umweltforschung festlegen. In diesem Zusammenhang ist die Internationale Umweltschutzkonferenz in München, die gestern erfolgreich zu Ende gegangen ist, von allen Teilnehmern des Londoner Gipfels ausdrücklich begrüßt worden. ({20}) Meine Damen und Herren, ich darf hinzufügen, daß wir auch in unseren Gesprächen in Fontainebleau am Montag dieser Woche vereinbart haben, daß die EG-Kommission beauftragt wird, die Ergebnisse der Münchener Umweltschutzkonferenz sofort zu überprüfen und einen ersten Überprüfungsbericht möglichst schon im Dezember, wenn wir in Irland zusammentreffen, mit dem Ziel vorzulegen, das, was in München vereinbart und angeregt wurBundeskanzler Dr. Kohl de, schnellstmöglich im Bereich der Europäischen Gemeinschaft durchzusetzen. ({21}) Das, meine Damen und Herren - ich nehme gerne den Zwischenruf des Kollegen Dregger auf -, ist in der Tat ein großer Fortschritt. Es ist sicher wahr, daß gegenwärtig in Fragen des Umweltschutzes die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft eine Art Pilotfunktion übernommen hat. Nur: Das ist auf die Dauer kein vorteilhafter Zustand. Wir können im Umweltschutz in der Bundesrepublik nur das Menschenmögliche erreichen, wenn wir zugleich mit unseren Nachbarn in engster Weise kooperieren. ({22}) Das gilt nicht nur für die Europäische Gemeinschaft, das gilt genauso für das Gespräch mit der DDR. Einer der Kollegen der SPD, der hier in der vorhergehenden Debatte gesprochen hat, hat auch das Problem der CSSR angesprochen. Ich darf beiläufig diese Antwort geben: Ich habe mich in diesen Tagen noch einmal in einem Schreiben an Präsident Husák gewandt und ihn auf die katastrophale Entwicklung in einem Teil Bayerns, im Frankenwald, hingewiesen und auch - ich wiederhole dies öffentlich - meine Bereitschaft erklärt, in bilateralen Gesprächen über konkrete Hilfen - ich will es nicht näher ausführen - zu sprechen. ({23}) Ich hoffe auf eine positive Reaktion aus der CSSR. Meine Damen und Herren, mit diesen Ergebnissen hat das Londoner Treffen wichtige Anstöße für die Lösung dringender internationaler Fragen gegeben. Die Verhandlungen und Gespräche darüber werden natürlich in den nächsten Wochen fortgesetzt. Lassen Sie mich jedoch noch eines hinzufügen: Unser Einfluß, der Einfluß der Bundesrepublik, das Gewicht unserer Stimme in dieser internationalen wirtschaftlichen Diskussion wird weniger von Ratschlägen abhängen, die wir anderen geben, als davon, welche Ergebnisse wir zu Hause in eigener Verantwortung zustande bringen. ({24}) Die Streikentwicklung bei uns in der Bundesrepublik und die damit verbundenen Reaktionen unserer ausländischen Freunde haben mich dies gerade in London spüren lassen. Erfolg oder Mißerfolg der eigenen Wirtschaftspolitik bestimmen weitgehend den Einfluß der Bundesrepublik auf internationale Entscheidungen. Dort kann nämlich niemand dem anderen seinen Willen aufzwingen, sondern jeder muß seine Partner letztlich überzeugen. Und nichts, meine Damen und Herren, ist überzeugender als der eigene Erfolg. In London war auch das Ost-West-Verhältnis ein wichtiges Thema. Die Bundesregierung sieht hier, wie Sie wissen, auch weiterhin die Chance zu einer positiven Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen. Wir sind überzeugt, daß der beiderseitige Wille, Dialog und Zusammenarbeit zu intensivieren, zur Verbesserung des belasteten Verhältnisses beitragen kann. Beide Seiten sind hier gefordert. Beide müssen sich dieser Aufgabe stellen. Beide müssen sich bewegen und aufeinander zugehen. Wie die Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung zu den Ost-West-Beziehungen und zur Rüstungskontrolle in London festgestellt haben, gibt es wichtige Bereiche gemeinsamen Interesses: die Erhaltung des Friedens, die Stärkung von Vertrauen und Sicherheit, die Verringerung der Gefahr von Überraschungsangriffen oder der versehentlichen Auslösung eines Krieges, die Verbesserung der Methoden der Krisenbewältigung und die Verhinderung der Ausbreitung von Kernwaffen. Die Erkenntnis wächst, daß sich das umfassende Geflecht der West-Ost-Beziehungen eben nicht auf die Raketenfrage reduzieren läßt. Wir sind bereit, auf der Basis der Gegenseitigkeit die Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts auszubauen. Ich stelle fest, daß im bilateralen Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland Fortschritte möglich sind. Dies betrifft insbesondere die wirtschaftlichen und die wissenschaftlich-technologischen Beziehungen und vor allem das eben bereits erwähnte Feld des Umweltschutzes. Wir werten es als ein gutes Zeichen, daß die Sowjetunion und die übrigen Warschauer-Pakt-Staaten zu der internationalen Umweltschutzkonferenz nach München gekommen sind und daß sie mit ihrem Kommen, mit ihren Stellungnahmen letztendlich zu einem erfolgreichen Abschluß beigetragen haben. ({25}) Ich habe vor wenigen Tagen bei meinem kurzen Besuch in Ungarn in den Gesprächen mit der dortigen politischen Führung, insbesondere mit Herrn Kadar, bei aller Verschiedenheit grundsätzlicher Standpunkte, die niemand leugnen will und kann, in wichtigen Fragen eine größtmögliche Übereinstimmung festgestellt. Die Gesprächsatmosphäre war herzlich. Beide Regierungen haben die Chance und die Notwendigkeit erkannt, die guten bilateralen Beziehungen im Rahmen des West-Ost-Verhältnisses aktiv zu nutzen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr erwarte ich den Besuch des DDRStaatsratsvorsitzenden Honecker in der Bundesrepublik Deutschland. Auch der Staatsratsvorsitzende der Volksrepublik Bulgarien wird im September zu Gesprächen nach Bonn kommen. Der Außenminister der CSSR wird in wenigen Tagen erwartet. Generalsekretär Tschernenko hat meine Einladung zum Besuch der Bundesrepublik Deutschland angenommen. Trotz all dieser vielfältigen Kontakte ist nicht zu übersehen, daß das entscheidende amerikanisch-sowjetische Verhältnis weiterhin schwierig ist und daß vor allem in den Kernfragen der nuklearen Rüstungskontrolle gegenwärtig keine Fortschritte festzustellen sind. Präsident Reagan ist am 4. Juni 1984 in einer zu Recht viel beachteten Rede vor dem irischen Parlament ausführlich auf die Ost-West-Beziehungen eingegangen. Er hat den Willen der Vereinigten Staaten zum Dialog und zur Wiederaufnahme der nuklearen Rüstungskontrollverhandlungen unterstrichen und die Bereitschaft erklärt, über die Forderung der Sowjetunion nach einer Gewaltverzichtserklärung zu sprechen. Die Vereinigten Staaten haben ferner die Wiederaufnahme der Kernwaffenkontrollgespräche an jedem beliebigen Ort, zu jedem beliebigen Zeitpunkt und ohne jede Vorbedingung angeboten. Dieses sehr konkrete Angebot hat auch seinen Niederschlag in dem Schlußdokument des Londoner Gipfels sowie in der Washingtoner Erklärung der NATO-Außenminister vom Mai dieses Jahres gefunden. Wir, die Bundesregierung, stehen ohne jede Einschränkung zu diesen Erklärungen. Wir wünschen nachdrücklich eine allgemeine Verbesserung der West-Ost-Beziehungen. Ich appelliere daher auch heute und von dieser Stelle aus an die Führung der Sowjetunion und an die Führungen der anderen Staaten des Warschauer Paktes, diese Zeichen des guten Willens nicht als bloße Worte abzutun, sondern als ernsthaftes Angebot aufzugreifen. ({26}) Die Sowjetunion sagt, Worte zählten nicht, sondern Taten. Ich bin der Auffassung, daß Taten mit ernstgemeinten Absichten und ganz konkreten Angeboten beginnen. Die Antworten aus Moskau steht aus. Ich hoffe, sie wird bald und in einer befriedigenden Form gegeben. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, setzt ihre Politik des Dialogs und der langfristig angelegten Zusammenarbeit auch mit der DDR fort. Beide Staaten in Deutschland tragen eine große Verantwortung für den Frieden in Europa und die Menschen im geteilten Deutschland. Wir meinen es ganz ernst, wenn wir von einer Verantwortungsgemeinschaft für Deutschland, für Europa und den Frieden in der Welt sprechen. Die Regierung der DDR hat mit der Offenhaltung des Grenzübergangs Staaken für den Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin bis Ende 1987 signalisiert, daß die Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland weitergehen. Die Bundesregierung bewertet dieses Signal außerordentlich positiv. Die Entscheidung der DDR trägt einem wichtigen Wunsch und Anliegen der Bundesregierung und vor allem auch Berlins Rechnung. Ich gehe davon aus, daß die Bauarbeiten zur verkehrstechnischen Anbindung des Grenzübergangs Heiligensee bis Ende 1987 abgeschlossen sein werden. Ich begrüße auch, daß uns die DDR erneut hat wissen lassen, daß sie den Abbau der Selbstschußanlagen an der innerdeutschen Grenze konsequent und beschleunigt fortsetzen und zu Ende bringen will. Wir nehmen von dieser Entscheidung mit Befriedigung Kenntnis; wir nehmen vor allem Kenntnis davon, daß damit ein Teil dieser unmenschlichen Anlagen endgültig abgebaut wird. Aber, meine Damen und Herren - auch das gehört zur Wahrheit -, die Grenze bleibt danach ebenso undurchlässig wie zuvor. Die Bundesregierung und, ich denke, wir alle werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, die Grenze für die Menschen in Deutschland durch mehr Freizügigkeit im Reiseverkehr durchlässiger zu machen. ({27}) Die Vorgänge in und bei unserer Ständigen Vertretung beleuchten schlaglichtartig, daß die Härte der Teilung Deutschlands unsere Landsleute in der DDR ganz besonders trifft, weil ihnen eben Freizügigkeit vorenthalten wird. Hier ist unsere Solidarität gefordert, aber auch Augenmaß und, wenn ich das so sagen darf, Fingerspitzengefühl auf allen Seiten. Ich appelliere an die Führung der DDR, dafür zu sorgen, daß hieraus nicht eine Belastung der Beziehungen und Nachteile für die betroffenen Menschen erwachsen. ({28}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erwarten von allen Teilnehmern der KSZE, daß sie im Geiste der Schlußakte von Helsinki handeln und die auf den Folgekonferenzen von Madrid und anderswo eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen zur Zusammenführung von Familien und in anderen Übersiedlungsangelegenheiten selbstverständlich beharrlich fortsetzen. Nach Abschluß wichtiger internationaler Konferenzen und im Vorfeld weiterer Verhandlungen über die in London und Fontainebleau erörterten Wirtschaftsfragen stellt sich für uns in der Bundesrepublik natürlich die Frage nach den Chancen und Perspektiven unserer eigenen Wirtschaftsentwicklung. Es ist gänzlich unbestritten, daß die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland bis zum Frühjahr dieses Jahres günstige Perspektiven aufwies. Die führenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute haben festgestellt, daß aus der konjunkturellen Erholung ein sich selbst tragender Aufschwung geworden ist mit einer Wachstumsperspektive für 1984 von real mehr als 3 % und erstmals wieder auch mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. ({29}) Meine Damen und Herren, diese Aufwärtsentwicklung ist zunächst von der zunehmenden Diskussion über Arbeitskampfmaßnahmen und dann von Streik und Aussperrung unterbrochen worden. ({30}) Alle Wirtschaftsindikatoren signalisieren jedoch, daß die Zurückhaltung sowohl der Verbraucher als auch der Investoren frühestens bei Beendigung des Tarifkonfliktes wieder einer größeren Zuversicht Platz machen kann und, wie ich denke, auch Platz machen wird. Bildlich gesprochen gilt für diesen Augenblick: Die deutsche Wirtschaft hält den Atem an. - Der volkswirtschaftliche Schaden, den Streik und Aussperrung verursachen, ist unübersehbar, aber - und dies möchte ich nachdrücklich hinzufügen - er ist keineswegs irreparabel. Wenn der Tarifkonflikt in der Metallindustrie - hoffentlich noch in dieser Woche - beendet wird, haben wie eine gute Aussicht, wieder Anschluß an die Aufwärtsentwicklung der letzten eineinhalb Jahre zu gewinnen. Den verdienstvollen Beitrag, den die Schlichter Georg Leber und Bernd Rüthers in dieser Situation geleistet haben, möchte ich hier ausdrücklich dankbar würdigen. ({31}) Ich appelliere auch gerade in dieser Stunde an die Tarifpartner in der Druckindustrie, den Weg der Vernunft zu beschreiten, um Kompromisse zu ermöglichen. ({32}) - Wenn Sie mich kennen würden, wüßten Sie, daß ich immer für Kompromisse bin, aber nicht für faule Kompromisse. Das ist der entscheidende Unterschied. ({33}) Neben den Tarifauseinandersetzungen, die gegenwärtig im Mittelpunkt des Interesses stehen, dürfen jedoch andere wichtige Faktoren nicht in Vergessenheit geraten, die die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik ebenfalls maßgeblich mitbestimmen werden. Ich meine die ökonomischen Bedeutung und Spielregeln, das wirtschaftliche Klima, das politische, soziale und gesellschaftspolitische Umfeld, das, was man verkürzt mit „Rahmenbedingungen" bezeichnet. Wenn diese Arbeitskämpfe hinter uns liegen - und ich hoffe, daß die Arbeit am kommenden Montag, vor allem in der Metallindustrie, wieder aufgenommen werden kann -, dann werden diese Wachstumsfaktoren darüber entscheiden, inwieweit es für die Verringerung der Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren überhaupt eine realistische Perspektive gibt. Meine Damen und Herren, über eines darf keine Illusion bestehen: Arbeitszeitverkürzungen - ganz gleich, ob es Lebensarbeitszeit, Jahresarbeitszeit oder Wochenarbeitszeit betrifft - können allenfalls einen bescheidenen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten. Alle seriösen Untersuchungen und Erfahrungen zeigen deutlich, daß es eine gefährliche Selbsttäuschung wäre, von einer solchen Defensivstrategie einen nachhaltigen Beschäftigungsimpuls zu erwarten. ({34}) Welche Bedeutung demgegenüber günstige wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen haben, zeigt sich am Beispiel der Vereinigten Staaten. Ich hatte erst kürzlich in einem langen Gespräch mit der Spitze des amerikanischen FordManagement einen Eindruck gewinnen können, wie sehr diese Repräsentanten eines Weltunternehmens über Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung im Dreieck USA-Europa-Japan nachdenken. Für noch wichtiger halte ich es, daß die vorrangige Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit ganz offensichtlich auch von den amerikanischen Gewerkschaften anerkannt wird. Darauf läßt nicht zuletzt auch ihre Lohnpolitik der letzten Jahre schließen. Interessanter als die Entwicklung der amerikanischen Durchschnittslöhne ist übrigens die Lohnstruktur in den Vereinigten Staaten. Eine Nivellierungstendenz hat es dort nie gegeben. Was dies zum Beispiel für den Erhalt von amerikanischen Arbeitsplätzen bedeutet, kann auch uns Anlaß zum Nachdenken geben. Das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen von Wirtschaft und Gewerkschaften in den USA ist in der westlichen Welt einmalig. Innerhalb der letzten 15 Jahre sind dort mehr als 20 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden: eine Steigerung von über 25%. Auch in Japan ist ein spürbarer Anstieg der Beschäftigung erreicht worden. Bei uns in Europa - das war ein großes Thema jetzt in Fontainebleau - ist die Bilanz der Arbeitsplatzentwicklung negativ. Dieser Tatbestand ist eine entscheidende Herausforderung an uns alle. Wir müssen jetzt und in diesen Jahren die notwendige Antwort finden. Die Bundesregierung weiß um die Schwierigkeit der Aufgabe, tragfähige und dauerhafte Wachstumsbedingungen zu schaffen. Wir unterschätzen die Probleme nicht, zumal wie wir alle wissen, es hier keineswegs nur um ökonomische Daten, sondern vielmehr in erster Linie um psychologische Grundeinstellungen geht. Gerade hier sehe ich die entscheidende politische Herausforderung für den Rest der 80er Jahre: daß wir wieder begreifen, daß wir uns mehr mit unserer Zukunft und weniger mit unserer Freizeit beschäftigen müssen. ({35}) Daß wir diese Grundorientierung in konkrete Politik umsetzen, zeigen die in der vergangenen Woche von den Koalitionsparteien und -fraktionen beschlossenen Eckwerte für die Steuerreform. Wir haben mit dieser Entscheidung auf den Tag das gegebene Wort eingelöst. In einer Situation, in der wir die schwierige Aufgabe haben, den total überschuldeten Staatshaushalt zu konsolidieren, haben die Koalitionsparteien und die Bundesregierung durch ein Höchstmaß an Haushaltsdisziplin erreicht, schon eineinhalb Jahre nach Amtsantritt dieser Regierung die größte Steuerreform in der Geschichte unseres Landes zu beschließen. ({36}) - Ich denke, über die Richtigkeit dieses Satzes werden wir heute noch genug Gelegenheit zur Diskussion haben, und ich freue mich auf diese Diskussion. Dieser Abbau von Steuerbelastungen, und zwar ohne Kompensation - hier unterscheiden wir uns wesentlich von früheren Entscheidungen -, ({37}) in Höhe von 20,2 Milliarden DM verwirklicht zwei entscheidende Grundsätze unserer Politik. Leistung soll sich wieder lohnen; und wir tun etwas für jene, die ehrlich sind, sich aber bisher für ihre Leistung eher bestraft als anerkannt fühlten. ({38}) Der zweite Punkt ist nicht weniger wichtig. Wir wollen Familien mit Kindern auch materiell wieder stärker fördern. Ich habe in der Regierungserklärung nach der letzten Wahl gesagt, wer Kinder hat, soll weniger Steuern zahlen. Wir sorgen für einen gerechten Familienlastenausgleich, ({39}) durch den diejenigen finanziell wieder bessergestellt werden, die Kinder haben und großziehen. Beide Elemente zusammen lassen erkennen, worum es uns geht: um mehr soziale Gerechtigkeit, um mehr Freiheit, um mehr Marktwirtschaft - soziale Gerechtigkeit nicht als unbezahlbares Versprechen, sondern als Grundelement einer Politik, die solide und auf Dauer angelegt ist. ({40}) Meine Damen und Herren, noch ein wichtiger Punkt: Die Haushaltskonsolidierung geht weiter. Trotz beachtlicher Fortschritte haben wir unser Ziel noch nicht erreicht. Das Bundeskabinett wird die Eckwerte der Reform, was die Steuern und die Haushaltsgestaltung betrifft, noch vor der Sommerpause festlegen. Der Gesetzentwurf selbst wird im November verabschiedet und damit sehr rechtzeitig Bundesrat und Bundestag zur Beratung 1985 so zugehen, daß der Gesetzentwurf - das ist mein Wunsch und auch meine Bitte an das Parlament - bis zur Sommerpause 1985 beschlossen werden kann. Das heißt im Klartext: Die Familienentlastung und der erste Teil der Tarifreform können zum 1. Januar 1986 in Kraft treten, die noch verbleibenden Tarifentlastungen in Höhe von über 9 Milliarden DM zum 1. Januar 1988. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Der Weltwirtschaftsgipfel hat Perspektiven aufgezeigt, wie die schwierigen Fragen der internationalen Wirtschaftspolitik einer Lösung nähergebracht werden können. Niemand verkennt, daß hier noch ein steiniger Weg vor uns liegt. In den Ost-West-Beziehungen hat der Westen seine Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft nachdrücklich unterstrichen. Wir erwarten eine konstruktive Antwort der Sowjetunion. Das Treffen in Fontainebleau hat einen bedeutsamen Durchbruch zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft gebracht. Damit wurden zugleich Perspektiven für eine engere politische Zusammenarbeit in Europa eröffnet. Auf der Berliner Wirtschaftskonferenz in der vergangenen Woche hat der Grundtenor aller Beiträge deutlich gemacht: Das wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Klima in der Bundesrepublik hat sich ganz offensichtlich spürbar zum Positiven hin verändert. Das gilt nicht nur für Berlin. ({41}) Das gilt selbstverständlich für die Bundesrepublik. ({42}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir, die Koalition der Mitte von FDP, CSU und CDU, haben nach beträchtlichen Anstrengungen zur Gesundung der Staatsfinanzen die angekündigte große Steuerreform beschlossen. ({43}) Unsere Entscheidung verbessert die Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar nicht nur für eine kurze Frist, sondern auf Dauer. Zwei weitere Beschlüsse stehen in diesen Tagen auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts: die Finanzentscheidung für das umweltfreundliche Auto und die Neuordnung der Wohnungsbauförderung. Beide Entscheidungen - dessen bin ich sicher - werden zusätzliche wirtschaftliche Impulse auslösen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, diese Feststellungen lassen erkennen, daß gegenwärtig günstige Ausgangsbedingungen für die politische und wirtschaftliche Zukunft bestehen, national wie international, wenn wir auf unserem Weg mit Entschiedenheit und Vernunft vorangehen. Ich appelliere an alle, die guten Willens sind, diese Chancen nicht zu verspielen und ihren Beitrag für die Zukunft unseres Landes zu leisten. ({44})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Fontainebleau-Teil des Berichts des Herrn Bundeskanzlers hat einige erfreuliche Punkte enthalten. Gleichwohl besteht deswegen kein Anlaß zu europäischer Zufriedenheit. Seit den erfolgreichen Verhandlungen über den Beitritt Englands zur EG in der Ara PompidouBrandt-Heath hat es nun insgesamt dreimal weitere schwierige, langandauernde Verhandlungsrunden über den britischen Finanzbeitrag gegeben. Die jetzige Runde ist nach vier Gipfeln - zweimal in Brüssel, einmal in Stuttgart, einmal in Athen - nun durch bemerkenswerte Anstrengungen des französischen Präsidenten in Fontainebleau Gott sei Dank zum Abschluß gekommen. Allerdings kann man nicht sagen: Ende gut, alles gut; denn weder ist alles gut, was dort beschlossen wurde - z. B. ist nicht gut die milliardenschwere Verlagerung von EG-Agrarproblemen aus dem EG-Agrarhaushalt auf den deutschen Bundeshaushalt, ({0}) Schmidt ({1}) die das direkte Gegenteil des von dieser Bundesregierung einst angekündigten Abbaus von Subventionshaushalten und ein Verstoß gegen Geist und Recht der Europäischen Gemeinschaft ist -, ({2}) noch ist das schon das definitive Ende jener Verhandlungen. Vielmehr handelt es sich bloß um eine unbestimmt befristete Zwischenlösung; denn spätestens wenn die jetzt beschlossene Abführung von 1,4 % der Mehrwertsteuer erneut angehoben werden muß, wird man erneut verhandeln. In Fontainebleau ist schon öffentlich davon geredet worden, daß ab 31. Dezember 1987 1,6 % erhoben werden sollen. Dann gilt das alles nicht mehr, was jetzt mit England verabredet worden ist. ({3}) - Ich zitiere die veröffentlichten Beschlüsse, Herr Kollege. - In dreieinhalb Jahren wird die ganze Sache also zum fünften Male aufgerollt werden. Das hat sich übrigens auch ergeben aus den gestrigen widersprüchlichen nachträglichen Erklärungen zweier der dort beteiligten Regierungschefs. Es handelt sich also tatsächlich nur darum, daß die für den Herbst dieses Jahres drohende teilweise Zahlungsunfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft vorerst abgewendet worden ist. Nur darum handelt es sich. Aber das ist immerhin etwas. Es ist keineswegs ein Fortschritt. Es hat lediglich einen weiteren Rückschritt abgewendet. ({4}) Ich habe heute keineswegs die Absicht zu irgendwelcher Polemik und will gewiß auch niemanden provozieren. Aber es muß klar gesagt werden: Europa braucht nicht nur den Verzicht auf Rückschläge, sondern es braucht dringend den echten Fortschritt, ({5}) z. B. den Fortschritt zu einer großen gemeinsamen Anstrengung zur Schaffung von Arbeitsplätzen. ({6}) Denn gegenwärtig, Herr Bundeskanzler, steigt die Arbeitslosigkeit, saisonbereinigt, in ganz Europa immer noch trotz Hochkonjunktur in den Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade eben hat die Europäische Kommission in Brüssel für die ganze Europäische Gemeinschaft für 1984 und für 1985 gleich mit den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit angekündigt. Europa braucht z. B. den Fortschritt in Richtung auf kontinuierliche Modernisierung der Produktionsstrukturen in diesem Kontinent, der Strukturen alter, nicht mehr weltweit wettbewerbsfähiger Industrien hin zu modernen, umweltfreundlichen industriellen Produktionstrukturen, vor allem zu modernen, weltweit wettbewerbsfähigen Dienstleistungsproduktionen. Auf diesem Felde sind die Vereinigten Staaten von Amerika uns in Europa weit voraus. In Amerika entfallen von insgesamt 100 Arbeitsplätzen vier auf die Landwirtschaft - bei uns in Deutschland fünfeinhalb -, 28 auf die Industrie - bei uns in Deutschland 43 -, aber fast 70 Arbeitsplätze entfallen in Amerika auf Dienstleistungen aller Art. Bei uns sind es nur etwa 50. Natürlich können diese ganzen fehlenden Arbeitsplätze nicht ohne Wachstum wiederhergestellt oder neu geschaffen werden; aber das Wachstum muß vor allem im Dienstleistungsangebot an die Welt liegen. Dazu gehören dann hohe Investitionen, ungehemmt durch die heute noch nie dagewesenen Realzinssätze in der Welt, auch bei uns. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich gerühmt, unsere Zinsen lägen niedriger als in USA. Das ist wahr; das war allerdings schon seit vielen Jahren so, und das muß auch so bleiben. ({7}) Und dazu gehört ein freier Weltmarkt. Aber gerade, was diese Kardinalprobleme unserer europäischen Arbeitslosigkeit angeht - höhere Investitionen, niedrigere Zinssätze, freier Weltmarkt -, hat dazu die Europäische Gemeinschaft gegenwärtig weder das Konzept noch die Kraft. Sie hat auch auf dem Londoner Gipfel der sieben großen industriellen Demokratien die Interessen Europas nicht wirklich voranbringen können. Nun sind Gipfeltreffen immer nützlich, auch wenn nichts beschlossen würde, weil man dort zuhören muß und nicht bloß für das Fernsehen reden kann. Noch nützlicher wären sie natürlich dann, wenn sie uns tatsächlich voranbrächten. Wenn uns nun der Herr Bundeskanzler auch manche liebenswerten Randdetails mitgeteilt hat, eines war in London wie schon vorher, 1983 in Williamsburg, wie schon 1982 in Versailles, sehr klar zu erkennen, nämlich Europa verliert mangels eigener Einigkeit immer mehr sowohl an wirtschaftspolitischem als auch an strategisch-politischem Gewicht in der Welt. ({8}) Dies konnten Sie gestern und vorgestern und können Sie heute nach Fontainebleau in der ganzen internationalen Presse nachlesen; das reicht vom „Wallstreet Journal" bis zur „Prawda": das gleiche Urteil. Übrigens auch die Bundesrepublik Deutschland verliert zunehmend an internationalem Gewicht. Unter diesem doppelten Gesichtspunkt der Wirtschaftspolitik und des strategisch-politischen Gewichts möchte ich heute morgen die Lage Europas behandeln und auch für meine Person einige neue Vorschläge dazu einbringen. Ich will dem aber einen sehr positiv gemeinten Satz voranstellen, weil ich einen deutlichen Lichtblick erkennen kann. Ich begrüße nachdrücklich das gute persönliche Einvernehmen zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten. ({9}) Hier wird an die Tradition der beiden vorangegangenen Staatslenker angeknüpft, und hier könnte auch ein Schlüssel gefunden werden. Zunächst aber ein Wort zur wirtschaftlichen Lage Europas und der Welt. Seit Anfang des Jahres 1983 - der Bundeskanzler hat darüber Ausführungen Schmidt ({10}) gemacht - hat ein ungeheures, die Sparquote des amerikanischen Volkes hoch überforderndes deficit spending die Wirtschaft der Vereinigten Staaten aus der tiefsten Rezession seit 40 Jahren in einen hohen Aufschwung geführt. Ein jährliches Haushaltsdefizit in der Größenordnung von 200 Milliarden Dollar - das sind über 500 Milliarden DM - hat zu einer Riesennachfrage nach Gütern geführt und zusätzlich also dadurch den Export aus Ostasien oder aus Europa - auch aus Deutschland - in die USA gesteigert. Die Hälfte der statistischen Erholung der europäischen Volkswirtschaften hat hier ihre Ursache. Zugleich aber haben das damit ausgelöste Handelsdefizit der Vereinigten Staaten, das in diesem Jahr 140 Milliarden Dollar betragen wird, und das Leistungsbilanzdefizit der USA, das dieses Jahr 80 Milliarden Dollar betragen wird, durch ausländische Kreditaufnahme in dieser Höhe finanziert werden müssen. Dazu war es und bleibt es nötig, daß die USA den ausländischen - auch den deutschen - Sparern und Kreditgebern einen sehr hohen Zins anbieten. Die Zinsen in den USA sind seit Jahresbeginn jeden Monat erneut gestiegen, und da nützen uns die Versicherungen, die Herr Kohl sich in London hat geben lassen, gegenwärtig überhaupt nichts. ({11}) Dieser allmonatliche Zinsanstieg in den Vereinigten Staaten von Amerika hat gefährliche Folgen. Der reale Zinsfuß in der ganzen Welt, kurzfristig wie langfristig, hat sich weitgehend dem Trend des Dollarzinses angepaßt. Der Zinsfuß ist zu hoch für produktive Investitionen, für reale Investitionen, denn Anlagen am Geldmarkt bringen höhere Gewinne als Investitionen in der Industrie. Dies verhindert höhere Beschäftigung in den investitionsgüter-orientierten Volkswirtschaften, zu denen wir in Europa ja gehören. Der Zins ist auch - der Bundeskanzler hat das mit Recht angedeutet - für die verschuldeten Entwicklungsländer zu hoch, die ihre Kredite j a ursprünglich zu sehr viel niedrigeren Zinsen kontrahiert hatten, aufgenommen hatten, für die die Zinsen jetzt aber jeden Tag heraufgesetzt werden. Die heutige unverschuldete Unfähigkeit dieser Länder, einen vollen Zinsendienst zu leisten, zwingt sie zu einer Austerity-Politik, die an soziale und politische Destabilisierung heranführen kann. ({12}) Aber zugleich kann diese Situation eben auch zur Gefährdung der die Kredite gegeben habenden Geschäftsbanken der westlichen Welt führen. Diese Gefährdung wird nicht durch Absichtserklärungen auf dem Londoner Gipfel aufgehoben, weil sich ja die Geschäftsbanken, zu sehr hohen Zinsen refinanzieren müssen und dies ebenfalls täglich. Weil die Vereinigten Staaten viel höhere Zinsen zahlen als wir, legen viele Leute ihr Geld in Dollars an. Dadurch wird die Nachfrage nach Dollars und wird auch der Wechselkurs des Dollar weit über dessen tatsächliche Kaufkraft gesteigert. Japanische und europäische Waren sind deshalb in den USA künstlich verbilligt - deswegen verkaufen wir gegenwärtig so viel dahin -, aber amerikanische Waren sind in der ganzen Welt künstlich verteuert. Die ist einer der Gründe für immer neue Maßnahmen zum Schutze der amerikanischen Industrie und ihrer Arbeitsplätze. Ich schätze, daß heute eine Hälfte des ganzen Welthandels unter dem verzerrenden, starken Einfluß entweder von Protektionismus oder von Subventionen zugunsten der nationalen Industrien steht. Das reicht von der Milch bis zum Stahl und von den Textilien bis zu den Autos und zur Elektronik. ({13}) - Einverstanden. Jeder weiß, daß dies so nicht andauern darf, zumal ab 1985 die Vereinigten Staaten von Amerika auf diese Weise zu einem Nettoschuldnerstaat werden, der seinerseits seine Schulden nur bedienen kann, wenn er Handelsüberschüsse erzielt, nicht Handelsdefizite von 140 Milliarden Dollar im Jahr. ({14}) Aus all diesen Gründen ist eine schnelle und weitreichende Rückführung der alljährlichen und allmonatlichen Haushaltsdefizite in dieser wichtigsten Volkswirtschaft der Welt notwendig. Es wird aber gegenwärtig und bis zur Sommerpause nur ein symbolischer Schritt geschehen. Die europäischen Regierungen haben sich mit ihrer Forderung nach Defizitsenkung und mit ihrer Forderung nach Zinssenkung in den USA in London abermals auch deshalb nicht durchsetzen können, weil sie auch ansonsten in London nicht einheitlich auftreten konnten. Natürlich ist dies alles, was ich sage, keine Kritik an dem stabilen und zuverlässigen geldpolitischen Kurs der amerikanischen Notenbank, ganz im Gegenteil. Es gibt übrigens in den Vereinigten Staaten von Amerika auch durchaus lobenswerte Beispiele, an denen wir Europäer uns orientieren sollten, zum einen eine sehr hohe unternehmerische Leistung. Viele Unternehmen sind mit völlig neuen Produkten und Dienstleistungen an den Markt gekommen, Millionen neuer Arbeitsplätze sind von Unternehmen geschaffen worden, die erst im Laufe der allerletzten Jahre für neue Produktionen neu gegründet worden sind; ein gutes Beispiel für uns in Europa, in Deutschland genauso wie in Frankreich und anderswo. Und zum anderen: eine sehr hohe Mobilität der Arbeitnehmer, von einem Beschäftigungsort zum anderen, von einer Branche in eine andere, von einem alten Arbeitsplatz in einen völlig anderen, neuen Arbeitsplatz mit völlig anderen Anforderungen. Aus diesen beiden Beispielen können die europäischen Unternehmer und die europäischen Arbeitnehmer manches lernen. ({15}) Schmidt ({16}) Mit Haß und mit Bitterkeit geführte Arbeitskämpfe helfen dabei wenig. ({17}) - Aber für die, die hier klatschen, sei gesagt: Natürlich muß auch einmal gestreikt werden, meine Damen und Herren. Eine Demokratie - wenn ich das der Christlich Demokratischen Union sagen darf - ohne jeden Streik ist vermutlich gar keine Demokratie. ({18}) Sie müssen sich ins Bewußtsein heben, daß es sich bei den mit einem Streik verbundenen Schäden in Wirklichkeit um Betriebskosten einer freiheitlich verfaßten demokratischen Gesellschaftsordnung handelt. ({19}) Aber wenn dies gesagt ist, dann muß man hinzufügen dürfen: Eine Regierung durfte nicht und darf auch in Zukunft nie, Herr Bundeskanzler, mit all ihrer staatlichen Einflußmacht sich für die eine Seite eines Arbeitskampfes in die Bresche werfen, ({20}) nachdem sie unmittelbar vorher der anderen Seite schon empfindlich und einseitig die Sozialleistungen gekürzt hatte, und dann noch hoffen, daß der Sozialdemokrat Georg Leber ihr die Kastanien aus dem Feuer holt. ({21}) Die Sozialdemokraten geben ihrem Freunde Leber recht: Seine Vorschläge anzunehmen verlangt Mut von beiden Seiten; aber sie abzulehnen erforderte noch unendlich viel mehr Mut - denn was käme wohl danach? Übrigens, auch das an die rechte Seite des Hauses gesagt - ({22}) - Die Mitte; also, wenn Sie Rechts und Mitte verschieben wollen, das hat Graf Lambsdorff auch schon einmal gemacht, - ich habe nichts dagegen. ({23}) Es gibt in den USA - das wollte ich Ihnen sagen - natürlich auch eine Wirtschaftsstrukturpolitik. Der neue Wirtschaftsminister, der soeben eingeschworen wurde, sollte die Mahnung unseres scheidenden Bundespräsidenten Carstens ernst nehmen. Herr Carstens hat dazu aufgerufen, die wirtschaftliche Erneuerung des Ruhrgebiets für eine Reihe von Jahren zu einer nationalen Aufgabe zu machen. ({24}) Das gilt jedoch nicht nur für die Ruhr. Ähnliches gilt doch für eine Hälfte Belgiens, für Nordfrankreich, für wichtige Teile Hollands, für Mittelengland ganz genauso. Die ganze Europäische Gemeinschaft muß begreifen, daß die strukturelle Erneuerung der Gebiete der alten Schornsteinindustrie mit ihren steigenden Arbeitslosenzahlen unendlich viel wichtiger wäre als die Reglementierung von Preisen für Hühner- und Schweinefutter. ({25}) Graf Lambsdorff hat gegenüber solchen Problemen immer die Marktwirtschaft hochgehalten, und er hat sich als Marktgraf wacker geschlagen. In den letzten dreieinhalb Jahren, Graf Lambsdorff, habe ich Ihnen allerdings in zunehmendem Maße nicht mehr folgen können. Aber ich will auch sagen, daß ich heute genausowenig Anlaß sehe wie damals, an dem Brief zu zweifeln, den Sie als Bundesminister mir als Kanzler im Frühjahr 1982 geschrieben haben. Ich denke jedoch auch, daß Sie nicht erst bei Anklageerhebung und Einleitung des Verfahrens, sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt Ihren Abschied hätten nehmen sollen. ({26}) Ich will mit drei Sätzen die Betrachtung der wirtschaftlichen Lage Europas zusammenfassen, wie sie sich aus dem Bericht des Bundeskanzlers zu London und zu Fontainebleau ergibt. Trotz schließ-licher Einigung über den britischen Haushaltsbeitrag ist es bei den Schwächen der EG geblieben. Die Europäische Gemeinschaft hat nicht genug Eigengewicht, um die USA zu einer gemeinverträglichen Haushalts-, Wechselkurs- und Zinspolitik zu drängen. Eine gemeinsame Initiative der Staaten der EG zur Beseitigung oder zur Verringerung der Arbeitslosigkeit ist nicht erkennbar. Dies letztere haben die Wähler - mit zwei kleinen Ausnahmen - bei den europäischen Wahlen am vorletzten Wochenende genauso gesehen. Sie sind - erstens - nur in sehr geringer Zahl zur Wahlurne gegangen, weil sie von Europa gegenwärtig keine Hilfe in ihren wirtschaftlichen Sorgen erwarten. Und zweitens: Sie haben, soweit sie gewählt haben, die eigenen Regierungen und Regierungsparteien bestraft und die jeweiligen äußersten Oppositionsparteien belohnt, z. B. die Rechtsradikalen in Frankreich, die Kommunisten in Italien oder die GRÜNEN hier in Deutschland. ({27}) - Ich habe nur gesagt: die äußersten Oppositionsparteien. ({28}) Ich will ein Wort zur strategischen Lage Europas hinzufügen, die in London und auch in Fontainebleau ebenfalls behandelt worden ist; der Bundeskanzler hat darüber Ausführungen gemacht. Die sieht nun allerdings keineswegs besser aus. In diesem Frühjahr haben zwei führende Amerikaner, der Republikaner Henry Kissinger und der Demokrat Senator Samuel Nunn, uns Europäern angedroht: Entweder ihr Europäer tut mehr für eure konventionelle Verteidigung, oder wir Amerikaner werden unsere Truppen aus Europa in erheblichem Schmidt ({29}) Maße abziehen. Beide Personen haben große Autorität, und beide sind unbezweifelbar Freunde und überzeugte Anhänger des Bündnisses zwischen Nordamerika und Europa. ({30}) Gleichwohl haben beide in einigen wichtigen Punkten unrecht. Zum einen: Wer seine eigenen Freunde und Alliierten unter Nötigung setzt, gefährdet das gegenseitige Vertrauen. ({31}) Zum anderen: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht die verteidigungspolitischen Wohltäter Europas, und wir Europäer sind nicht die Wohlfahrtsempfänger. Vielmehr bedürfen die USA als Seemacht des europäischen Kontinents auf der Gegenseite des Atlantiks genauso, wie wir Europäer des strategischen Rückhalts durch die USA bedürfen. Und drittens - für mich gegenwärtig am wichtigsten -: Eine Verringerung der Truppen in Europa führt zwangsläufig zu einer weiteren Absenkung der sogenannten nuklearen Schwelle. Sie würde im Verteidigungsfalle früher überschritten als heute beabsichtigt; das genaue Gegenteil, die Anhebung der nuklearen Schwelle, ist aber das, was notwendig ist. Präsident Reagan hat diesen Antrag im Senat in der vorigen Woche abwehren können, aber er hat selbst wiederholt höhere Verteidigungsausgaben der Europäer verlangt. Geldausgeben an sich ist nach meinem Urteil noch keine Sicherheitsstrategie; das will ich deutlich sagen. ({32}) Wenn von Verteidigung die Rede ist, stehen für mich an erster Stelle vielmehr die Soldaten, die Männer in Uniform; sodann zählt ihre Motivation; an dritter Stelle zählt ihre militärische Ausbildung, ihre Fähigkeit zum Entschluß und zu dessen Verwirklichung. Und dann erst, an vierter Stelle, zählen Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe, Waffen und Gerät; das heißt: Es geht nicht ohne Haushalt. Vor allem aber macht das Ganze nur im Rahmen einer Gesamtstrategie Sinn, zu der auch die Rüstungskontrollpolitik gehört, die den Frieden bewahren hilft und die nicht etwa androht, das zu zerstören, was wir gemeinsam verteidigen wollen. ({33}) Deshalb haben jene Amerikaner und alle anderen recht, welche die nukleare Schwelle anheben wollen, damit nicht bei der Verteidigung das zerstört wird, was wir verteidigen wollen. Eine weitere Zuspitzung des gegenwärtigen zweiten Kalten Krieges zwischen Moskau und Washington ist durchaus denkbar. Damit wird dann auch eine weitere einseitige Konzentration auf nuklearstrategische Waffensysteme und auch ein weiteres Ausbleiben von Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträgen durchaus denkbar; man kann das nicht ausschließen. Hier werden nun europäische Sicherheitsinteressen, strategische Interessen unmittelbar berührt. Insbesondere werden auch deutsche, holländische usw. Besorgnisse noch zunehmen, sofern es z. B. militärstrategisch dabei bliebe, daß das deutsche Territorium nicht nur als das zentrale Gefechtsfeld angesehen wird, sondern sich auch das Schicksal Deutschlands und des westlichen Teils Mitteleuropas in zunehmendem Maße als abhängig von Entscheidungen darstellt, die zwischen Moskau und Washington fallen, und sofern es dabei bliebe, daß durch die offizielle Militärstrategie eines relativ frühen westlichen Erstgebrauchs von nuklearen Waffen - early first use - dem deutschen Volke die Vorstellung zunehmend bewußt wird, es habe nur zu wählen zwischen entweder dem Verzicht auf wirksame Verteidigung oder der nuklearen Zerstörung des eigenen Landes. Deshalb hatte Präsident Mitterrand recht, als er vor vier Wochen in Straßburg sagte: Die Zeit ist allmählich vorbei, da Europa nur dazu bestimmt war, von anderen geteilt und zerschnitten zu werden, da er - ich zitiere wörtlich - von der „notwendigen Pflege jener zerbrechlichen Bindungen" sprach, die den Dialog zwischen dem Osten und dem Westen Europas aufrecht erhält, und da er ganz offen von der Notwendigkeit gemeinsamer Verteidigung der Europäer sprach, ohne die dabei noch zu überwindenden Schwierigkeiten zu verschweigen. Europa ist immer noch kein eigenständiger Pfeiler der Allianz geworden, den Präsident Kennedy einst gewollt hat. Europa verfügt auch auf dem Felde der Sicherheit nicht über ein für seine eigenen Interessen ausreichendes Gewicht innerhalb unseres Bündnisses mit den Vereinigten Staaten und mit Kanada. Man kann die wirtschaftliche und die strategische Situation Europas, die ich skizziert habe, durchaus so zusammenfassen, wie das vor ein paar Tagen Flora Lewis in der „Herold Tribune" getan hat. Ich zitiere: „Europa hat keine Kraft mehr." „Europe has run out of steam", hat sie geschrieben. Weiter heißt es: „Die Paralyse Europas könnte Washington in Versuchung führen, allein zu handeln." Natürlich widerrät diese bedeutende Kolumnistin, einer solchen Versuchung nachzugeben, das ist klar. Man kann, wenn man etwas weniger dramatisch formulieren will, zitieren, was vor vier Wochen der Bundespräsident Carstens und König Juan Carlos in Aachen nacheinander gesagt haben. Der erstere sagte: „Das Bild der Europäischen Gemeinschaft hat Risse, die Gemeinschaft befindet sich in einer Krise." Der spanische König fügte hinzu: „Müdigkeit, Mutlosigkeit und Skepsis haben sich breitgemacht." So ist es in der Tat. So ist es am allerdeutlichsten übrigens in England. Mit Ausnahme der sozialdemokratisch-liberalen Allianz ist im übrigen für große Teile der politischen Kräfte Englands nach wir vor der Kanal breiter als der Atlantik. Dies hat sich seit dem Beitritt Großbritanniens immer wieder gezeigt. Es muß wohl leider auch für den Rest der 80er Jahre davon ausgegangen werden. Ich fürchte, daß konkrete Integrationsfortschritte entweder am Beharrungsvermögen Englands scheitern könnten oder aber daß sie nur unter anfänglicher Nicht-Beteiligung Englands stattfinden, wie das z. B. beim EuropäiSchmidt ({34}) schen Währungssystem schon einmal geschehen ist. In dieser Lage Europas muß man bei Robert Schuman und bei Jean Monnet, bei Adenauer und de Gaulle wieder anknüpfen. So wie die Begründung der europäischen Integration historisch nur durch die französische Initiative zum Schumanplan möglich war, so wie alle Fortschritte seit der Messina-Konferenz Mitte der 50er Jahre nur durch enges Zusammenwirken von Paris und Bonn zustande gebracht werden konnten, so bedarf die Eigenständigkeit Europas, von der in Paris heute so viel die Rede ist, heute erneut französischer Initiative und sodann französischdeutschen Zusammenwirkens. ({35}) Die Straßburger Rede des Staatspräsidenten vom 24. Mai bietet hierfür fruchtbare Ausgangspunkte. Das gilt z. B. für die Vorschläge hinsichtlich der Elektronik, des Weltraums, des Verkehrswesens, der Kultur. Aber ich will auch hinzufügen: Für die Funktionstüchtigkeit der Europäischen Gemeinschaft ist besonders dringlich die endliche Herstellung des gemeinsamen Binnenmarktes und der Ausbau des Europäischen Währungssystems einschließlich des Ausbaus des ECU zu einer internationalen Reservewährung. ({36}) Der Bundeskanzler empfindet sich als einen politischen Enkel von Konrad Adenauer. Wenn dem so ist, so sollte er den gleichen Weitblick aufbringen wie jener und entschlossen auf alle Vorschläge Mitterrands, die dieser in Straßburg gemacht hat, zugehen. Ich spreche zunächst von einer gemeinsamen deutsch-französischen wirtschaftspolitischen Initiative. Sie sollte als erstes Kapitel einen positiven Aktionsplan enthalten, für die Herstellung eines wirklichen gemeinsamen Binnenmarktes für alle Mitgliedsländer plus die beiden, die ab 1. Januar 1986 dazukommen. Sie sollte im zweiten Kapitel die zweite Stufe des Europäischen Währungssystems herstellen. Hier muß nun unsere Bundesbank endlich ihren Widerstand aufgeben, der sie bisher nach dem Motto handeln ließ, der Starke sei am mächtigsten allein. Wir haben der Bundesregierung Kohl/Genscher die größten Devisenreserven aller Staaten der Welt hinterlassen, größer als der USA, größer als der Sowjetunion, größer als Japan. ({37}) Wir haben sie nicht vorgefunden, als wir anfingen. Diese Devisenreserven müssen nun allerdings zum Nutzen der Gemeinschaft und zum Nutzen Frankreichs auch verfügbar gemacht werden. ({38}) Manche der hier anwesenden älteren Kollegen haben vielleicht vor knapp 20 Jahren gemeinsam mit mir von Alex Möller, der nicht mehr diesem Hause angehört, gelernt, daß Außenwährungspolitik zugleich auch immer Außenpolitik ist. ({39}) Das Endziel muß, wenn das Schuldenproblem in Südamerika, wenn das Haushaltsproblem in Nordamerika in Griff ist, darin gesucht werden, ein Dreieckssystem relativ stabiler Wechselkurse zwischen dem europäischen ECU, dem amerikanischen Dollar und dem japanischen Yen herzustellen. Nur der Ausbau des Europäischen Währungssystems erlaubte der Europäischen Gemeinschaft eine stärkere Unabhängigkeit von den USA und notfalls auch die Ausübung von Druck auf die amerikanische Haushalts- und Kredit- und Zinspolitik. Im dritten Kapitel eines gemeinsamen deutschfranzösischen Projektes müßte von Arbeitsplatzbeschaffung und Modernisierung die Rede sein, eben nicht nur auf militärischem Felde, sondern insbesondere auf den vier Feldern, die Mitterrand in Straßburg angegeben hat: Elektronikforschung, Erforschung und Nutzung des Weltraums, Verkehrswesen - z. B. ein Programm für die Ausrüstung der Hauptstrecken in Europa mit Hochgeschwindigkeitsverkehr wie etwa heute zwischen Paris und Lyon - und die von ihm genannte ganze Skala der kulturellen Zusammenarbeit. Ich unterstreiche einen Punkt, den der Bundeskanzler genannt hat: Es müssen als fünftes die gemeinsame Entwicklung und wirtschaftliche Nutzung umweltfreundlicher Technologie dazukommen. Im vierten Kapitel braucht die Europäische Gemeinschaft für die Beeinflussung der Weltmärkte und des Verhaltens des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank etc. ein gemeinsames europäisches Konzept zur Entschärfung des Schuldenproblems der Entwicklungsländer. ({40}) Ich schließe das fünfte Kapitel gleich an: Europa braucht ein gemeinsames Programm zur besseren Entwicklungshilfe für die am wenigsten entfalteten Entwicklungsländer, die sogenannten LLDCs, die so arm sind, daß sie gar nicht kreditwürdig waren, um im westlichen Bankensystem überhaupt einen Kredit zu bekommen. Öffentliche Entwicklungshilfe nützt unserer europäischen Industrie und unserer Beschäftigung weit mehr als immer neue Subventionen für landwirtschaftliche Überschußprodukte. ({41}) Ich füge einige Gedanken für eine gemeinsame französisch-deutsche Sicherheitsinitiative hinzu; ich sage hier mit Absicht „französisch-deutsch" in dieser Reihenfolge. Im ersten Kapitel - anders als in den USA und in England - haben Franzosen und Deutsche die Wehrpflicht beibehalten. Sie verfügen deshalb in hoher Zahl über militärisch ausgebildete Personal5602 Schmidt ({42}) reserven. Deutschland könnte heute nach Mobilisierung innerhalb einer Woche die stehenden konventionellen Streitkräfte der Bundeswehr auf das Zweieinhalbfache bringen. Jedenfalls beim Heer könnten wir es nach Mobilisierung von 12 auf 18 Divisionen bringen. Frankreich könnte nach Mobilisierung seine stehenden konventionellen Streitkräfte fast auf die gleiche Zahl von Divisionen steigern und könnte nach Mobilisierung etwa 12 Divisionen für die gemeinsame Verteidigung Europas vorsehen. 30 französische und deutsche Divisionen zusammen reichen auf der Basis gemeinsamer operativer Pläne - solche Pläne gibt es ja doch seit 1969; damals war ich Verteidigungsminister und kenne daher die Materie - zur Verteidigung des westlichen Teils von Mitteleuropa und zur Abschreckung jedweden Angriffs aus, zumal wenn dann die holländischen und die belgischen Wehrpflichtverbände hinzugerechnet werden, außerdem jene amerikanischen und englischen Verbände aus Berufssoldaten, die ja wohl auch in späterer Zeit, wenn auch verringert, auf dem Kontinent verbleiben werden. Im zweiten Kapitel muß man feststellen, daß für diese zusätzlichen Mobilmachungsdivisionen in Frankreich wie in Deutschland gegenwärtig viele Fahrzeuge, konventionelle Waffen, auch moderne konventionelle Waffen zur Bekämpfung der gegnerischen Luftwaffe und zu allermeist konventionelle fehlen. Das alles gilt für Frankreich in noch höherem Maße als für uns. Die Bereitstellung des fehlenden Materials würde vielleicht drei oder vier oder fünf Jahre dauern. Vor allem würde sie zusätzliche Finanzmittel erfordern. ({43}) Das führt zu dem dritten Kapitel. Die nötigen Finanzmittel wären auf deutscher Seite zu einem erheblichen Teil zu erwirtschaften durch Verzicht auf jedwede taktisch-nukleare Doppelbewaffnung unseres Heeres und auf weitestgehenden Abbau der nuklearen Doppelrolle der deutschen Luftwaffe. ({44}) Auch auf französischer Seite wäre eine gewisse Schwergewichtsverlagerung der Haushaltsaufwendungen von den nuklearen zu den konventionellen Ausstattungen wohl möglich und nötig. Im übrigen ist von deutscher Seite eine umfangreiche Mitfinanzierung für gemeinsame Waffenentwicklungen konventioneller Art und Produktion vorzusehen. Natürlich kann bei alledem nach meiner Einsicht und meiner festen Überzeugung auf die Nordatlantische Allianz mit den Vereinigten Staaten, auf die amerikanische Aufklärungskapazität, auf die nuklearstrategische Abschreckung durch die USA wirklich nicht verzichtet werden. Wohl aber kann dann unter der Voraussetzung gemeinsamer Verfügbarkeit von 30 französischen und deutschen Divisionen im Mobilmachungsfall tatsächlich die Präsenz amerikanischer Heeresverbände in Europa wesentlich verringert werden. Und in Klammern und leise füge ich hinzu: Und Europa könnte dann auch nicht mehr mit der Drohung amerikanischer Abzüge behelligt werden. ({45}) Das vorgestellte Konzept würde sich selbstverständlich im Rahmen des Nordatlantischen Vertrages bewegen, zugleich im Rahmen des WEU-Vertrages. Es bedürfte keines neuen völkerrechtlichen Vertragsinstruments; es bedürfte nur gemeinsamer Beschlüsse in Ausführungen des Elysee-Vertrages. Die Benelux-Länder und Großbritannien könnten zur Beteiligung eingeladen werden. Zugleich könnten sie einige ihrer Truppen auf ihren heimatlichen Boden zurückverlegen. Ich sage noch einmal: Dies geht alles selbstverständlich nicht ohne den Rückhalt durch die Vereinigten Staaten von Amerika, auch nicht ohne den Rückhalt durch Großbritannien. Der ist unentbehrlich. Wenn sich Paris und Bonn zu solchen Reformen entschließen sollten, 35 Jahre nach Gründung der NATO, so würde - das zeigen die Meinungsumfragen in Frankreich wie in Deutschland - die öffentliche Meinung Frankreichs wohl zu zwei Dritteln positiv reagieren und die öffentliche Meinung der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich zu drei Vierteln positiv reagieren. Die Aufnahme in Amerika wäre zunächst teilweise auch kritisch zu erwarten. Letztlich würde aber die amerikanische Regierung sehen, daß hier tatsächlich etwas Durchgreifendes zur Stärkung der konventionellen Verteidigung Europas geschieht, wie es die USA immer wieder verlangt haben, und daß hier tatsächlich die sogenannte nukleare Schwelle angehoben und damit ein nuklearer Krieg in Europa unwahrscheinlicher gemacht wird. Die Aufnahme in England wäre vermutlich abwartend und zögerlich. Man würde sich dort vermutlich zunächst distanziert geben. Im Falle des Erfolges der französisch-deutschen Initiative würde man vielleicht später beitreten wollen. Die Aufnahme in der Sowjetunion wäre vermutlich zunächst propagandistisch-kritisch zu erwarten: angebliche Aufrüstung Westeuropas, Vergleich mit den Heeren Hitlers oder Napoleons. Tatsächlich aber würde die sowjetische Führung die Anhebung der Nuklearschwelle innerlich begrüßen. Und sie würde auch wissen, daß 30 mobilisierte Divisionen der Franzosen und der Deutschen zusammen zum Angriff auf die sowjetischen Truppenmassen viel zu schwach wären, weil sie gegenüber sowjetischer Mobilisierung zahlenmäßig weit unterlegen wären. Von einer Bedrohung der Sowjetunion könnte ernsthaft nicht die Rede sein. Bei alledem muß die rüstungspolitische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland wie bisher bei Noratlas, Transall, AlphaJet, Hot, Milan, Roland und wie das alles heißt und die technologische Zusammenarbeit in der Luft- und Raumfahrt wie bei Airbus, Ariane und Symphonie weitergehen. Das ist alles bisher recht erfolgreich gewesen und müßte verbreitert werden. Mir scheint: Die Zeit ist reif für einen französisch-deutschen gemeinsamen Ansatz auf dem Schmidt ({46}) Felde der Verteidigung. Und der würde dann zugleich der politischen Eigenständigkeit Europas dienen. Wenn die EG auf wirtschaftlichem Gebiet wirklich nicht vorankäme, so würde jedenfalls von der sicherheitspolitischen Seite her ein neuer Führungsanstoß möglich sein. Beides zusammen wäre um so besser. Europa würde dann endlich wieder an politischem Gewicht zunehmen. An dieser Stelle - gegen Schluß - möchte ich eine kleine Abschweifung versuchen. Ich möchte versuchen, mich in die Lage des französischen Staatspräsidenten hineinzudenken. ({47}) Seine Presse in Paris interpretiert die Friedensbewegung und die Grünen in Deutschland - weitgehend wohl zu Unrecht - als tendenziell neutralistisch, als tendenziell integrationsfeindlich. Aber diese Bewegungen begegnen in Frankreich zunehmender Besorgnis. ({48}) Der Präsident weiß zugleich, daß die bisherige französische Nuklearstrategie die Deutschen hinsichtlich ihrer Verteidigung in ausschließlicher Abhängigkeit von den USA beläßt. Er könnte also zu dem Schluß kommen, daß ein französisch-deutscher Ansatz zu gemeinsamer Verteidigung auch deutsches Selbstvertrauen festigen und den die Franzosen beunruhigenden, bei uns angeblich beobachteten Tendenzen einen wichtigen Teil des Wachstumsbodens entziehen kann. Er könnte deshalb zu dem Entschluß gelangen, daß die Aufgabenstellung der autonomen französischen Force de frappe durch einseitige Erklärung seinerseits auch auf den Schutz Deutschlands erstreckt wird. Er würde uns Deutschen kein Mitspracherecht einräumen wollen, ausdrücklich nicht sondern lediglich insofern, als etwa deutsches Territorium als Abschußbasis oder als Zielgebiet in Frage käme; er gäbe Deutschen ausdrücklich weder einen Finger am Abzugshahn noch am Sicherungsbügel. Er könnte aber sagen: Ich erkenne an, daß wir Franzosen für die Sicherheit Deutschlands mit verantwortlich sind; denn umgekehrt haben ja die Deutschen längst schon Verantwortung auch für die Verteidigung Frankreichs an der Elbe übernommen. ({49}) Wenn aber Frankreich seine autonome Nuklearmacht auch auf die Abschreckung zugunsten Deutschlands erstrecken sollte, so müßte Deutschland dann allerdings für die anderen Teile des Programms seine Kapital- und Finanzkraft einbringen. Beide Seiten würden ihre soldatischen Fähigkeiten, Frankreich würde seine große geschichtliche Militärtradition in die gemeinsame Verteidigung einbringen. Am Schluß ein Wort zur französischen Führung Europas. Frankreich ist zwar nicht wirtschaftlich und finanziell der Bundesrepublik Deutschland überlegen, wohl aber fünffach in anderer Beziehung. Frankreich ist erstens eine autonome nukleare Macht. Frankreich ist zweitens Inhaber eines ständigen Sitzes mit Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Frankreich ist drittens Schutzmacht für Berlin. Wir Deutschen hingegen sind Garantieempfänger hinsichtlich Berlins. Frankreich trägt viertens als Potsdamer Siegermacht Verantwortung für Deutschland als Ganzes. Fünftens ist Frankreich ungeteilt, und es ist sich seiner historischen Identität gewiß. Deutschland hingegen leidet an der Teilung, es leidet an der Scham über Hitler und Auschwitz, und es gibt viele Ungewißheiten. Eine Weltrolle Frankreichs an der Spitze eines französisch-deutschen Tandems ist möglich, jedenfalls würde ein solches Tandem de facto zugleich zur politischen Führung der Europäischen Gemeinschaft führen, auch wenn wir dabei keineswegs - ich stimme mit dem Bundeskanzler überein - von einem Europa à deux vitesses reden sollten. Deutschland und Frankreich wollen beide in Frieden mit dem russischen Nachbarn leben. Wir wollen uns beide vor dem Nachbarn sicher fühlen. Aber auf der Grundlage dieser Sicherheit wollen wir beide mit diesem Nachbarn zusammenarbeiten, auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung zumal, aber auch auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Deswegen wollten wir zu keiner Zeit Kreuzzüge gegen diesen Nachbarn führen. Wir wissen, daß dieser Nachbar zahlreich und mächtig ist, daß er sehr nahe ist und daß er unser Nachbar bleiben wird. Einer der größten Europäer dieses Jahrhunderts, Winston Churchill, hat in seiner berühmten Zürcher Universitätsrede 1946 gesagt: Der erste Schritt bei der Neubildung der europäischen Familie muß sein: Zusammengehen zwischen Frankreich und Deutschland. Nur so kann Frankreich die moralische Führung in Europa erlangen. Es gibt kein Wiedererstehen Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ohne ein geistig großes Deutschland. Herr Bundeskanzler, Sie haben vielfach Anspruch auf geistig-moralische Führung erhoben. Nach meiner Staatsauffassung ginge dies weit über die Aufgabe einer demokratischen Regierung hinaus. ({50}) Wohl aber wird politische Führung von Ihnen erwartet. Zur politischen Führung unseres Landes in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gehört es, die in Straßburg ausgestreckte Hand des französischen Präsidenten zu ergreifen. Sie beide können sich dabei auch auf Winston Churchill berufen, der dann - ich zitiere ihn nochmals - „von der Rettung des einfachen Mannes in Europa" sprach, der „Rettung vor Krieg und Tyrannei," und der dazu wörtlich gesagt hat: Bei diesem so dringend notwendigen Werk müssen Frankreich und Deutschland zusammen die Führung übernehmen. ({51})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hauser ({0}).

Hansheinz Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000833, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir haben Ihren Bericht über den europäischen Gipfel von Fontainebleau entgegengenommen. Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich Sie zunächst zu dem dort erreichten großen Erfolg herzlich beglückwünschen. ({0}) Dieser Erfolg ist die Frucht einer beharrlichen Kraftanstrengung, die über ein Jahr währte, die sich durch zwischenzeitliche Mißerfolge nicht entmutigen ließ und die dank der hervorragenden deutsch-französischen Zusammenarbeit jetzt in einen allgemeinen Konsens einmündete. Herr Kollege Schmidt, niemand sagt nach diesem Ergebnis: Ende gut, alles gut. Wir wissen sehr wohl, daß auf der Basis des jetzt Erreichten intensiv weitergearbeitet werden muß, um zu den Ergebnissen zu kommen, die wir gemeinsam anstreben wollen. Aber die unter Ihrem Vorsitz, Herr Bundeskanzler, vor einem Jahr in Stuttgart eingeleiteten Lösungen zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft konnten jetzt durch die Einfügung des Schlußsteins „Rückerstattungsanspruch Großbritanniens" in Beschlüsse umgesetzt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Hauser, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? Ich bitte die Abgeordnetenkollegen auf der Linken, entweder ihre Gespräche draußen zu führen oder zuzuhören. - Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter.

Hansheinz Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000833, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die Bundesrepublik und Frankreich von der Auffassung durchdrungen wären, daß nur die Zusammenführung Europas den Wohlstand der europäischen Völker sichert. Auf den von Konrad Adenauer, Robert Schuman, Alcide de Gasperi und de Gaulle gelegten Fundamenten haben Sie, Herr Bundeskanzler, in der Tradition des europäischen Einigungswillens einen entscheidenden Beitrag zum Durchbruch in Fontainebleau geleistet. Uns allen ist dadurch eine schwere Enttäuschung erspart geblieben. Europa kann wieder Hoffnung schöpfen. Meine Damen und Herren, ich möchte hier gerade wegen der letzten Ausführungen des Kollegen Schmidt sagen: Die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist von uns und in unserer Politik nicht erst heute erkannt worden; sie war die Grundlage der Außenpolitik von Konrad Adenauer und ist von uns ununterbrochen kontinuierlich fortgeführt worden. ({0}) Von daher brauchen wir im Hinblick auf die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft keinen Nachhilfeunterricht. ({1}) In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 ist dazu gesagt: Die deutsch-französische Freundschaft ist tragender Pfeiler eines enger zusammenwachsenden Europas. Dem damals verkündeten Ziel, die Bundesregierung trete trotz aller Schwierigkeiten und Probleme dafür ein, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft einander anzunähern, sind wir kontinuierlich nähergekommen. Herr Bundeskanzler, Sie haben vor einem Jahr zur europäischen Einigung erklärt, daß wir bei diesem zentralen Punkt deutscher Zukunft in historischen Zeiträumen denken müssen. Die Beschlüsse von Stuttgart und Fontainebleau sind - darüber freuen wir uns - etwas schneller zustande gekommen. Jedoch bestätigen die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden waren, die Richtigkeit Ihrer vorsichtigen Einschätzung der europäischen Gesamtsituation. Die Beschlüsse von Fontainebleau enthalten endlich die Lösung der Beitragsrückerstattung an Großbritannien. Im Rahmen eines mehrjährigen Mechanismus zur Dämpfung des Ungleichgewichts des EG-Haushalts erhält Großbritannien einen Haushaltsausgleich. Dieser Korrekturmechanismus ist Teil des Beschlusses über die neuen EG-Eigenmittel und gilt so lange, wie die Regelung über den Mehrwertsteueranteil von 1,4 % reicht. Die Bundesrepublik trägt zum britischen Haushaltsausgleich nur zwei Drittel ihres regulären Ausgleichsanteils bei. 1984 sparen wir damit 120 Millionen ECU und in den Folgejahren entsprechend mehr. Das neue System ist zweifelsohne ein beträchtlicher Fortschritt. Es beendet das jährliche Gerangel um den Haushaltsausgleich Großbritanniens. Die EG kann sich jetzt stärker auf die Sacharbeit konzentrieren. Für Großbritannien ist das Ergebnis durchaus respektabel. Die Bundesrepublik wird finanziell weniger belastet, als wir alle selbst befürchtet haben. Die Frage der Beitragsobergrenze bleibt aber auch weiterhin von elementarem Interesse für die Gemeinschaft. Sie ist das entscheidende Mittel, um eine sparsame und effektive Ausgabenpolitik der EG zu gewährleisten und die nationalen Haushalte vor einer Überforderung zu bewahren. Deswegen ist es besonders bedeutsam, daß die jetzt gefundene Regelung kein Präjudiz für die nachfolgende Zeit darstellt. Jeder Mitgliedstaat kann zu gegebener Zeit in den Genuß einer Korrekturmaßnahme gelangen. Voraussetzung hierfür ist, daß er, gemessen an seinem relativen Wohlstand, eine zu große Haushaltslast trägt. Diese Vereinbarung bildet auch gleichzeitig die Grundlage für die angekündigte Hilfe für die deutschen Bauern. Das der Landwirtschaft gegebene Wort, meine Damen und Herren, ist nach diesen Ergebnissen von Fontainebleau und den gestrigen Beschlüssen hier in diesem Hohen Hause eingelöst worden. Dies ist der Inhalt des Beschlusses der Regierungschefs, den deutschen Beitrag zu billigen. Die EG-Kommission ist vom Europäischen Rat beauftragt worden, Vorschläge mit dem Ziel der ErHauser ({2}) mächtigung an die Bundesrepublik vorzulegen, die Vorsteuerpauschale von 3 % auf 5 % ab 1. Juli 1984 bis 31. Dezember 1988 anzuheben. Besonders erfreulich ist auch die Absprache zum Abbau der Grenzkontrollen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik, da uns alle die bisherigen Zwischenergebnisse nicht befriedigen konnten. Die beiden persönlichen Beauftragten sollen den Abbau koordinieren und beschleunigen. Wir wünschen den Beauftragten Erfolg auch beim Kampf gegen die eigenen Bürokratien, beim Kampf für den Abbau überflüssiger Grenzbarrieren, der von allen Bürgern gewünscht wird. ({3}) Das Problembewußtsein in Sachen Umweltschutz beginnt erfreulicherweise jetzt auch bei unseren Partnerländern zu wachsen. Das war ja leider nicht immer so. Der Bundesregierung ist beizupflichten, daß die beschleunigte Einführung von bleifreiem Benzin ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Umwelt ist. Das ist ein wichtiger Einstieg für die Bewältigung weiterer drängender Umweltprobleme. Mit dem in Fontainebleau erzielten Ergebnis kann die Bundesrepublik zufrieden sein. Heute zeigt sich, daß es richtig war, für Stuttgart ein Paket zu schnüren und dieses Paket zusammenzuhalten. Jetzt ist der Schutt weg und der Weg frei für einen neuen Anlauf in Europa. Das ist der von uns begrüßte Kern dieser Entscheidungen. Es muß auch nicht der ganze Zug still stehen, wenn nicht alle alles zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam durchführen können. Auch darüber sollten wir weiter nachdenken. Der Europäische Rat hat bestätigt, daß die Verhandlungen über den Beitritt Spaniens und Portugals spätestens am 30. September 1984 abgeschlossen sein sollen. Mit diesem Beschluß wird unterstrichen, daß es allen Beteiligten um die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft ernst ist. Dieser Fortschritt sollte uns mit Befriedigung erfüllen, auch wenn, wie wir alle wissen, noch einige schwierige Probleme zu lösen sind: im Bereich der Fischerei, der Weinmarktordnung und des Ausgleichs zwischen landwirtschaftlichem und gewerblichem Bereich. Wir begrüßen es, daß die in Fontainebleau gefaßten Beschlüsse bürgernah sind, daß das Europa der Bürger jetzt Gestalt annimmt. Die Einführung des europäischen Passes bis spätestens Januar 1985, die Einführung eines Einheitsdokuments im Warenverkehr, die Gleichwertigkeit der Hochschuldiplome, die Prägung der europäischen Münze, die Einsetzung europäischer Entwicklungshilfe oder auch die Bildung von Europamannschaften im Sport - das alles sind sinnvolle Maßnahmen, um jedem Bürger deutlich zu machen, daß Europa real existiert und für jeden praktische Vorteile bringt. Eine der Erkenntnisse aus der Europawahl war doch wohl, daß wir in dieser Hinsicht in den zurückliegenden Jahren zuwenig getan haben und daß unsere Bürger gar nicht wußten, für was sie denn an die Wahlurne gerufen wurden. Das soll jetzt anders werden. Es ist notwendig, daß das anders wird. ({4}) Der für diese Aufgaben gebildete Ad-hoc-Ausschuß aus Vertretern der Staats- und Regierungschefs kann sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben große Verdienste erwerben und sicher auch noch einige eigene Ideen produzieren. Damit ist der Weiterentwicklung Europas ein festes Ziel gesetzt. Das wird der angestrebten politischen Union Europas auch einen starken Auftrieb geben. Wir haben vor drei Wochen in diesem Hohen Haus über diese Fragen gesprochen. Ich möchte nur sagen: Wenn wir wollen - auch hier gibt es keine Meinungsverschiedenheit zu dem, was Herr Kollege Schmidt dazu gesagt hat -, daß Europa international wirtschaftlich, strategisch und politisch mehr Gewicht bekommt, dann müssen wir diesen eingeschlagenen und in Fontainebleau beschlossenen Weg jetzt konsequent beschreiten. ({5}) Der Gipfel von London ist für die Bundesrepublik ermutigend. Es besteht nunmehr volle Übereinstimmung über die gemeinsamen Ziele, u. a. den wirtschaftlichen Aufschwung zu stärken, die Inflation zu bekämpfen und die Arbeitsmarktsituation zu verbessern, die Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu fördern. London hat erneut die Position von Williamsburg bestätigt, daß an der Kontrolle des Geldmengenwachstums festgehalten werden soll und die Haushaltsdefizite weiter reduziert werden sollen. Die unbefriedigende Arbeitsmarktlage in den meisten Gipfel-Ländern hat zu klaren Aussagen über die zu treffenden Maßnahmen geführt, so daß die wirtschaftspolitische Erklärung des Londoner Gipfels eine klare Bestätigung der Richtigkeit des Kurses auch der deutschen Wirtschaftspolitik beinhalten konnte. Es geht dabei um die Lösung des Beschäftigungsproblems durch eine Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte. Das, was in den nationalen Wirtschaftspolitiken geschieht, hat Wirkungen auf die internationale Entwicklung. Wir können dies nicht voneinander abkoppeln. Darum müssen wir auch hier in der Bundesrepublik in unserer Wirtschaftspolitik einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, daß mit marktwirtschaftlichen Konzepten - und nicht dirigistisch - diese internationalen Probleme gelöst werden. ({6}) Begrüßenswert sind neue Elemente, die die bisherige Strategie gegenüber den Schuldnerländern ergänzen, nämlich u. a. die Berücksichtigung politischer, sozialer Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern, eine Stärkung der Rolle der Weltbank, wobei insbesondere die mittel- und langfristige Entwicklung stärker im Mittelpunkt stehen soll. Der Auftrag an die Finanzminister, die Arbeit zur Verbesserung des internationalen Währungssystems bis zum ersten Halbjahr 1985 abzuschließen, ist auch unter dem Gesichtspunkt der internationa5606 Hauser ({7}) len Verschuldungskrise von großer Bedeutung. Positiv zu bewerten ist die Übereinkunft der fünf Schlüsselwährungsländer, die multilaterale Überwachung der Währungspolitik fortzusetzen und die Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung durch weniger Inflation und mehr Wachstum weiter anzustreben. Die Einbeziehung des Umweltschutzes in die zukünftigen Arbeiten ist ebenso positiv hervorzuheben wie die beschlossene beschleunigte Durchführung des laufenden GATT-Arbeitsprogramms, um vorhandene Handelshemmnisse abzubauen und dem protektionistischen Druck zu begegnen. Die CDU/CSU-Fraktion kann den beteiligten Regierungschefs bestätigen, daß sie mit diesem Übereinkommen eine angemessene Antwort auf die anstehenden wirtschaftspolitischen Probleme gefunden haben. Die Bundesrepublik kann mit dem Ergebnis des Londoner Gipfels zufrieden sein. ({8}) Dem Interventionismus wurde in London eine deutliche Absage erteilt. Aber, meine Damen und Herren, ich füge hinzu, jetzt kommt es auch darauf an, daß die in London gefaßten Beschlüsse realistisch in politische Taten umgesetzt werden und daß es nicht nur bei diesen Beschlüssen bleibt. Ich meine, die Bundesregierung sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Zielperspektiven, die dort gefunden wurden, in ihren politischen Bemühungen immer wieder weiter verfolgen. Die Bundesregierung ist mit vier Schwerpunktzielen angetreten: eine dauerhafte Belebung, die Sanierung der öffentlichen Finanzen, die Sicherung der Renten und der Abbau der Arbeitslosigkeit. Das sind die Kernpunkte der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983. Heute, nach gut einem Jahr, können wir feststellen, daß wir sichtbar ein gutes Stück in der angegebenen Richtung vorangekommen sind. Die wirtschaftliche Lage hat sich gegenüber 1982 grundlegend gewandelt. Der Pessimismus ist verflogen und der Absturz gestoppt. Es geht wieder voran. In allen öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden ist man mit Erfolg dabei, die Finanzkrisen zu meistern und die Überschuldung zurückzuführen. Das hat entscheidend neues Vertrauen in die Politik geschaffen. Der Arbeitsmarkt ist unverändert unsere Hauptsorge. Aber auch hier ist eine Besserung unübersehbar. Die Produktionsbelebung hat sich zunächst in einem drastischen Abbau der Zahl der Kurzarbeiter und in der Leistung von Mehrarbeit durch Überstunden niedergeschlagen. Die Zahl der Kurzarbeiter, die im Mai des Vorjahres bei 639 000 lag, ging in diesem Jahr auf 338 088 zurück, also um mehr als eine Viertelmillion. Stellen wir den Quartalsvergleich an, wird die Entwicklung noch deutlicher. Im ersten Quartal 1983 gab es 1 121 000 Kurzarbeiter. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurde die Zahl fast halbiert auf 609 000. Auch die Zahl der offenen Stellen hat zugenommen, aber erst dann, wenn die in den Betrieben vorhandenen personellen Reserven erschöpft sind, wird die Konjunkturbelebung auch die Zahl der Arbeitslosen verringern. Meine Damen und Herren, dies zeigt auf der anderen Seite - ich meine, das sollte man hier auch einmal sagen -, daß die Unternehmen in schlechten Zeiten mehr Menschen halten, als für die zu erledigende Arbeit erforderlich ist. Damit erfüllen sie auch eine wichtige soziale Funktion, was einmal anerkannt werden sollte. ({9}) Meine Damen und Herren, am Beginn der neuen Koalition standen wichtige Grundsatzentscheidungen. Wir können uns an ihnen messen lassen. Wir wollten, daß der Bürger wieder mehr von seiner eigenen Leistung hat, daß er mehr Freiheit hat und weniger vom Staat gegängelt wird, daß die Staatsquote langfristig zurückgeführt wird und daß vor allem die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Eine prosperierende Volkswirtschaft ist das A und O für den einzelnen, für den Staat und für all die schönen Pläne, die es natürlich nach wie vor in diesem Hohen Hause gibt. Als wir im Herbst 1982 die Regierungsverantwortung übernahmen, befand sich die Bundesrepublik Deutschland in ihrer schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Bilanz war bestürzend: Das Bruttosozialprodukt ging zurück, die staatlichen Finanzen waren überschuldet und steckten in einer tiefen Krise, und den sozialen Sicherungssystemen ging es nicht anders. Es ist nicht verwunderlich, daß sich am Ende Ihrer Regierung, Herr Kollege Schmidt, ein tiefer Pessismismus breitmachte, denn die Zeichen des Niedergangs waren unübersehbar. Von den vier Zielen des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes waren alle vier verfehlt. Damit war der Stab über eine Politik gebrochen; sie scheiterte an Ihren eigenen Fehlern. Meine Damen und Herren, heute, nach nur eineinhalb Jahren, haben wir Anlaß zu Optimismus. Dies wurde dadurch möglich, daß die Ausgaben drastisch beschnitten wurden, d. h. daß endlich gespart wird. Das Wachstum der Bundesausgaben liegt unterhalb des Wachstums des realen Bruttosozialprodukts. 1985 werden die Bundesausgaben nur noch um 1,5% wachsen. Dies ist eine gewaltige Leistung, die vor zwei Jahren kaum ein Mensch für möglich gehalten hätte. Wir verdanken diese Leistung vor allem der Gradlinigkeit, der Überzeugungskraft und dem Durchsetzungsvermögen des Bundesfinanzministers, der sich von einer breiten Grundwelle der Zustimmung der Koalition getragen fühlen kann. ({10}) Für diese große Leistung, die eine der entscheidenden Voraussetzungen für die wirtschaftliche Belebung und für neuen Mut in unserem Lande ist, die einen ungeheuren Einsatz erfordert, darf ich Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, im Namen der CDU/ CSU-Fraktion Dank und Anerkennung sagen. ({11}) Aber ich füge gleich hinzu: Wir sind mit diesen Bemühungen noch längst nicht über den Berg, sonHauser ({12}) dern müssen auf dieser Linie auch in Zukunft fortfahren. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die neuesten Konjunkturzahlen einen deutlichen Dämpfer erkennen lassen. Trotz einer erfreulichen Grundtendenz stellen sie eine unübersehbare, deutliche Warnung dar. Die Kurven über Aufträge und Produktion zeigen seit Ende 1982 eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung, die im März dieses Jahres dann leider abrupt abbricht. Der konjunkturelle Aufschwung kam 1983 in Gang, und er hat sich im Verlaufe des Jahres immer mehr verbreitert. Auch 1984 setzte er sich zunächst verstärkt fort. Wichtige Antriebskräfte gingen vom sehr lebhaften Exportgeschäft und von der Nachfrage der inländischen Unternehmen nach Ausrüstungsgütern aus. Auch der private Verbrauch expandierte in den ersten Monaten des Jahres 1984 beträchtlich. Das war für manche überraschend. Dies führte im ersten Quartal zu einer Produktionssteigerung gegenüber 1983 um real 3,5 %. Zwar mag dann die Lageraufstockung etwas nachgelassen haben, und auch die Nachfrage nach Bauleistungen zeigt jetzt Schwächetendenzen; entscheidend jedoch für das Abknicken der Auftriebskurve und für eine rasch um sich greifende äußerst vorsichtige Haltung der Produzenten und Verbraucher ist die ungeklärte Tarifauseinandersetzung mit ihrer großen Tragweite. Wir können nur hoffen, ({13}) daß es so schnell wie möglich zu einem Ende des Arbeitskampfes kommt, der so überflüssig wie ein Kropf ist. Ich möchte dazu, weil auch der Kollege Schmidt dazu einige Bemerkungen gemacht hat, nur folgendes sagen. Wie das in den Betrieben inzwischen empfunden wird, geht aus einem Artikel des Betriebsratsvorsitzenden der BMW-Werke in München hervor, der geschrieben hat: Wir haben geschaffen, gesichert, einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht. Und was hat die IG Metall getan, um Millionen Arbeitslose zu verhindern? Jetzt hat sie auch noch Ar- beitsplätze kaputtgemacht. 35 Jahre Arbeit im Betriebsrat sind zerstört. Dies sagt der Betriebsratsvorsitzende der BMW-Werke am 20. Juni 1984 im „Münchner Anzeigenblatt". ({14}) Wenn in einer solchen Situation die Bundesregierung auf die verheerenden Folgen dieses Streiks aufmerksam macht, dann tut sie ihre Pflicht gegenüber diesem Staat und unserer Volkswirtschaft. ({15}) Je schneller der Arbeitsfriede wieder einkehrt, um so mehr besteht noch die Chance, wenigstens einen Teil der Produktion nachzuholen, für den noch nicht annulierte Aufträge bestehen. Je länger aber der Arbeitskampf andauert, um so geringer wird diese Chance. Mit der Entscheidung zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft ist die Entscheidung über die Wirtschaftsordnung und damit über wesentliche Bereiche des menschlichen Lebens gefallen. Unser Ziel ist es, wieder in Ordnungen zu denken. Dies ist eine zentrale Frage unserer Politik. Der Erfolg einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung für Wohlstand und Freiheit hängt davon ab, daß die millionenfachen Einzelentscheidungen der privaten Haushalte, der Unternehmen und des Staates im freien Wettbewerb auf dem Markt in optimaler Weise koordiniert werden. ({16}) - Ja, ja. - Der freie Leistungswettbewerb ist der Garant dafür, daß dieses System funktioniert. Ohne freie Wirtschaft ist eine freiheitliche Ordnung nicht möglich und umgekehrt. Deswegen ist für uns die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft eine Kernfrage der Politik. Wir werden in der Koalition mit der Bundesregierung unbeirrt diesen Weg gehen, bei noch so vielen Unkenrufen und Schwarzmalereien, die von der linken Seite kommen. Wir lassen uns nicht darin beirren, daß wir für den Bürger dieses Staates eine solide, auf der Grundlage der Freiheit gesicherte Ordnung schaffen wollen. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Freundinnen und Freunde! Der Europäische Rat, die EG-Staats- und Regierungschefs, hat auf seiner Tagung am 25. und 26. Juni dieses Jahres das angebliche Europa der Bürger angekündigt, und heute hat der Bundeskanzler Kohl es mit seinen pathetischen Worten noch einmal bestätigt, mitten in einer Europäischen Gemeinschaft der Arbeitslosen. Er wurde dabei in makabrer Weise von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt unterstützt, der mit seinen neuen europäischen Sicherheitsvisionen das Zerrbild eines deutsch-französisch beherrschten waffenstarrenden Westeuropas gezeichnet hat. ({0}) Die GRÜNEN lehnen nicht nur nicht die Vision von Helmut Kohl ab, die GRÜNEN lehnen auch die Vision von Helmut Schmidt eines solchen waffenstarrenden Europas ab. ({1}) So entsteht ein Europa mit gemeinsamer Fahne, mit europäischer Nationalhymne unter französischer geistiger Führung, mit einheitlichen Lehrbüchern, mit denen die Schüler der zehn Mitgliedstaaten endlich dieselbe Geschichte über Stark gegen Schwach, Reich gegen Arm und Mann gegen Frau lernen können. So entstehen auch europäische Fernseh- und Rundfunkprogramme - den Schluß5608 folgerungen des Europäischen Rates können Sie das entnehmen; bitte, lesen Sie das einmal -, die uns in unserer verkabelten Schwarz-Schilling-Gesellschaft alle beglücken sollen. Der Europäische Rat hat sogar an die Bildung von Europamannschaften im Sport gedacht, wie Herr Kohl auch an die Feuerwehr denkt, und an die Prägung einer europäischen Münze. Ehe ich es vergesse: Die Regierungschefs, die an den Grenzübergängen selbst nie Schlange stehen, entbürokratisieren den europäischen Warenverkehr, und sogar die Freimengen für Kaffee, Alkohol und Tabak, die ein sterblicher Tourist, ein Bürger Europas, über die Grenzen tragen darf, werden aufgestockt. Ja, und über die deutsch-französische Grenze kann der EG-Bürger schon in einigen Tagen fahren, indem er den Beamten ein freundliches Lächeln, aber nicht mehr den Ausweis zeigt. Und wir alle, Herr Kohl, Herr Zimmermann und Herr Engelhard, sogar die Demonstranten, die GRÜNEN und die gesamte europäische Ökologie- und Friedensbewegung, die sich in Kalkar und in Malville gegen deutsche und französische Schnelle-Brüter-Projekte wehrt und für ein selbstverwaltetes Europa einsetzt, werden ebenso bald europäische Pässe vorzeigen. So haben Sie auch etwas Gutes für die europäische Ökologiebewegung getan, die dann von Grenzbeamten an den Grenzen nicht mehr gestoppt wird. Dieser neue, kleine europäische Paß - ich darf darauf hinweisen - ist bordeauxrot, kleinformatig und dem sowjetischen Reisedokument von weitem nicht unähnlich. Vielleicht sollten Sie das nicht vergessen, Herr Kohl: Er sieht dem sowjetischen Reisedokument sehr ähnlich. Man las gestern in der „Süddeutschen Zeitung", daß während des Europäischen Rates im Ballsaal des Schlosses Fontainebleau viel gelächelt wurde. Die Regierungschefs gaben sich verbindlich, es wurde nicht gestritten, und Helmut Kohl war Europasieger, obwohl man von einer dauerhaften Heilung der kranken EG nicht sprechen kann. Der EG droht, wie Helmut Schmidt das schon vorher ausgeführt hat, weiterhin der Tod durch finanzielle Auszehrung im kommenden Herbst, wenn es keine anderen Lösungen gibt. Zum Kollaps kommt es vorerst nicht, aber auch Helmut Schmidt hat betont, daß es durch die Zahlungen doch noch zum Kollaps kommen könnte. Man wurstelt notfalls eben weiter - trotz der großen Zahl der Wähler, die bei den zweiten Direktwahlen zum Europäischen Parlament ihren Unmut über den gegenwärtigen desolaten Zustand der Gemeinschaft durch Stimmenthaltung oder durch deutliche Bevorzugung von Parteien wie der Partei der GRÜNEN kundgetan haben. In dem Abschlußdokument des Europäischen Rates wird erklärt: Der Europäische Rat hält es für unerläßlich, daß die Gemeinschaft die Erwartungen der Völker Europas erfüllt, indem sie Maßnahmen trifft, durch die ihre eigene Identität gegenüber den europäischen Bürgern und der Welt gestärkt und gefördert wird und durch die sie an Prestige gewinnt. Ich möchte Sie fragen, Herr Kohl, was Sie mit diesem Europa denn sonst noch anbieten wollen, was Sie denn sonst noch vorhaben - außer Bildung von Europamannschaften, Einführung von Symbolen „für die Existenz der Gemeinschaft, insbesondere einer Fahne und einer Hymne". Können das die Erwartungen der Bürger sein? Vielleicht kommen wir der Sache etwas näher, wenn wir uns die Forderungen eines großen Freundes von Helmut Schmidt, Giscard d'Estaing, anhören, der vor einigen Wochen einen Rat der Europäischen Hauptquartiere und eine europäische Truppe der „grünen Helme" gefordert hat; damit waren wohl nicht die GRÜNEN gemeint. Diese europäische Truppe der „grünen Helme" ist der Anfang der Militarisierung Europas. Oder wie wär's mit dem neuesten Vorschlag Ihres Kollegen, des CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer, der sich im „General-Anzeiger" vor drei Tagen dafür eingesetzt hat, daß die Bundesrepublik langfristig ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen über den Einsatz der in Westeuropa stationierten Atomwaffen erhält? So ist erstmals ein Mitglied der Bonner Regierungskoalition im Widerspruch zu der seit vielen Jahren gelten offiziellen Bonner Politik, auf den Besitz von und die Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu verzichten. Herr Todenhöfer und auch Herr Dregger plädieren auf subtilste - aber auch auf nicht so sehr subtile - Art und Weise für das Konzept einer gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und letzten Endes Atomstreitmacht. Herr Todenhöfer fordert sogar - ich zitiere -, „daß diese Atomstreitmacht unter das Kommando eines europäischen nuklearen Verteidigungrates gestellt" werden soll. Dazu, Herr Kohl, wie Sie sich zu dieser Äußerung Ihres Kollegen Todenhöfer stellen, hätte ich gern etwas gehört. In diesen europäischen Verteidigungsrat sollen nach seinem Konzept auch alle Nichtnuklearstaaten, auch die Bundesrepublik, einbezogen werden. Natürlich werden wir Bürger Europas erst einmal ein bißchen beruhigt. So sagen Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner und auch Sie, Herr Kohl, am 24. Juni, daß man an eine gemeinsame europäische Atomstreitmacht noch nicht denke; auf absehbare Zeit sei sie noch nicht aktuell. Doch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Ehmke wie auch heute Helmut Schmidt unterstreichen tagtäglich den Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit im gesamten - ich betone: im gesamten - militärischen Bereich mit Frankreich, d. h. atomar und konventionell. ({2}) Helmut Schmidt betont die geistige Führungsrolle Frankreichs, einem Land, das heute im Pazifik überall mit menschenverachtenden Atomversuchen die Menschen im Pazifik umbringt. Mit dieser FühFrau Kelly rungsrolle sind wir nicht einverstanden, und wir werden diesem etwas anderes entgegensetzen. ({3}) Wir werden es auch nicht mitmachen, daß wir es unter dem Anspruch dieser Führung bald mit einer europäischen Force de frappe zu tun haben werden. So bahnen sich stillschweigende Übereinkünfte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik an, die allerdings die Barrieren zwischen SPD und CDU und CSU, wenn es um EG-Militarisierung geht, unterlaufen. Herr Matthöfer, Sie machen gerade sehr viele Zwischenrufe, ich bitte Sie, einmal die Aussagen von Karsten Voigt mit denen von Franz Josef Strauß zu vergleichen. Dann werden Sie sehen, daß wir eine große Koalition der großen Parteien für dieses militarisierte Europa haben. ({4}) Ein Beispiel: Im August 1983 begrüßte die SPD den Vorschlag von Franz Josef Strauß über das Vetorecht bei Atomwaffen, und der SPD-Abrüstungsexperte, Ihr Kollege Karsten Voigt, begrüßte die Anregungen von Herrn Strauß über die gemeinsamen europäischen Interessen. ({5}) Horst Ehmke spricht von der Selbstbehauptung Europas und auch der Zusammenarbeit auf dem Rüstungssektor und Franz Josef Strauß von der europäischen Verteidigungsmacht. Außenminister Genscher möchte den geplanten Ausbau der WEU zum zweiten Pfeiler der NATO werden lassen, und so sprach auch heute Helmut Schmidt. Diese Forderungen sind nicht weit voneinander entfernt. ({6}) Es ist also eine große Koalition für die Supermacht Europa, die die GRÜNEN in keiner Weise jemals mittragen werden, auch nicht im Jahre 1987. ({7}) Ich glaube nicht, daß wir in einem Europa viel mit einer solchen französischen Atommacht gemeinsam haben, wie ich sie vorher beschrieben habe. Gerade selber von den Pazifikinseln zurückkommend, kann ich Ihnen sagen: Sie sollten sich einmal anschauen, was diese arrogante Atommacht dort in den letzten 10 bis 15 Jahren bis jetzt alles betrieben hat. Doch andere Kräfte in diesem Europa von oben haben weit mehr mit Frankreich gemeinsam, wenn ich bedenke, daß die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke, auch wir, die westdeutschen Stromkunden, mit 11')/0 an dem größten Brüter in Malville beteiligt sind. Nach Aussagen der Bundesregierung gibt es keine vertraglichen Regelungen, durch deren Festlegung eine Kontrolle des gesamten Brennstoffkreislaufes, d. h. eine Kontrolle der vorgegebenen zivilen Nutzung durch Euratom, erfolgen könnte. Ich war lange genug bei der EG, um Ihnen sagen zu können, daß die Euratom, die Europäische Atomgemeinschaft, ein integraler Teil der EG ist, die primär auf die Förderung der Atomtechnologie ausgerichtet und kein rühmlicher Überwachungsgarant für die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ist. Nur neun von 224 Artikeln des Euratom-Vertrages sind der Kontrolle gewidmet. Dieser Vertrag enthält nicht einmal eine Klausel, die eine militärische Nutzung der Atomenergie ausdrücklich untersagt. Damit kann sie eines Tages sogar an einer europäischen Atomstreitmacht mitwirken. Folgerichtig hat Euratom und die EG die Lieferung von Nuklearanlagen an Südafrika oder Brasilien durch EG-Länder niemals behindert, obwohl das Streben der Abnehmerländer nach Nuklearbewaffnung bekannt ist und dadurch unterstützt wird. Ich zitiere jetzt aus einem Europaparlament-Dokument vom 24. Mai 1984, wo zu lesen ist, daß das Europaparlament auffordert - ich zitiere -, „die europäischen Staaten dazu zu bewegen, die Produktion von Atomstrom auszubauen und an die Stelle des Erdöls treten zu lassen, um die Abhängigkeit Europas von Drittländern zu verringern". Ferner fordert dieses Parlament, die Entwicklung der Schnellen Reaktoren in Europa zu fördern und das gesamte in Natururan enthaltene Energiepotential optimal zu nutzen, dadurch die Uranreserven der Gemeinschaft 70mal besser auszunutzen; und sie plädieren für den vermehrten Einsatz von Atomstrom für die Heizung, Industrie und Haushalt. Davon sagen Sie auch kein Wort, Herr Kohl, wie es in dieser Europäischen Gemeinschaft aussieht, die nun erst recht den vermehrten Einsatz von Atomstrom fordert, da wir nun eine Schnelle-Brüter-Generation bekommen. Ist das europäische Umweltpolitik? Ich glaube, es war schon an der Zeit, daß die GRÜNEN in dieses Europaparlament einziehen. ({8}) In diesem Europa der Bürger, mit Hymne und Fahnen, beschäftigen z. B. auch die Probleme der nuklearen Entsorgung die Euratom-Behörden in Brüssel und Luxemburg wenig. Angesichts der sich immer höher auftürmenden Atommüllberge, für die unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und der Ökologie keine Lösung in Sicht ist, meint die EG nach dem Grundsatz handeln zu müssen: Nach uns die Sintflut! Die Europäische Gemeinschaft wurde als Zivilmacht gegründet und hätte von dieser friedlichen Ausgangslage her zu einem schöpferischen und gerechten Friedensfaktor werden können. Sie hätte sich auch ohne weiteres als ökologische Gemeinschaft der selbstbestimmten Regionen von unten entwickeln können. Doch es ist ganz anders gekommen. Frantz Fanon schrieb vor einigen Jahren: Mit Energie und Zynismus und Gewalt hat Europa die Führung übernommen ... Europa hat jede Demut, jede Bescheidenheit zurückgewiesen, aber auch jede Fürsorge und jede Zärtlichkeit. Seht, wie es heute zwischen der atomaren und der geistigen Auflösung hin- und her-schwankt. Die Beiträge von heute morgen waren ein Beitrag zu dieser „geistigen und atomaren Auflösung". Er hatte nicht so Unrecht, wenn er sagte, daß die EG - so wie sie heute aussieht - nicht zuletzt ein Versuch der europäischen Länder geworden ist, ({9}) den Verlust ihrer Kolonien durch neokoloniale Beziehungen mit der Dritten Welt auszugleichen. ({10}) Dies geschieht durch Ausbeutung der Rohstoffe und der billigen Arbeitskräfte, Benutzung der einheimischen Eliten als Brückenkopf für kapitalistische Vorstellungen und Spaltung der Entwicklungsländer untereinander, um organisierte Selbsthilfeaktionen nicht aufkommen zu lassen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. Die EG leistet ihre Entwicklungshilfe in einer Weise, daß bei weitem der größte Teil des gewährten Geldes in die EG-Länder in EG-Unternehmen zurückfließt, wodurch die Macht der europäischen Konzerne vergrößert wird, wodurch wiederum das Supermachtsdenken Europas verstärkt wird. So ist hinter unserem Rücken der beste Weg aufgetan worden - obwohl Sie das nicht sagen, Herr Kohl -, daß aus diesem Europa der Bürger ein europäisches Supermachtsdenken kommt, mit europäischen Supermachtsgelüsten, die wir hier ein für allemal ablehnen und auch nicht zusammen mit der SPD mittragen werden. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Herr Matthöfer, ich pflege meine Reden immer mit „Liebe Kolleginnen und Kollegen" zu beginnen, weil ich es auch so meine. ({1}) - Herr Kollege Matthöfer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({2}) Ich wollte am Anfang meiner Rede sagen, daß die Europawahl, aber auch vorausgegangene Landtagswahlen doch einiges in der Parteienlandschaft verändert haben. ({3}) Das heißt: Man muß sich anläßlich einer Debatte über Europa und Weltpolitik, wie sie von Helmut Schmidt eingeführt worden ist, intensiv mit der Bedeutung einer Koalition zwischen SPD und der grünen Partei und damit beschäftigen, welche Politik eine solche Koalition auf einem Weltwirtschaftsgipfel oder auf einem EG-Gipfel machen würde. Es war sehr interessant zu hören, daß Helmut Schmidt z. B. als Vertreter einer kleineren und schwindenden Richtung in der SPD einer deutschfranzösischen Kooperation eine ganz besondere Rolle einräumt, während z. B. die Sprecherin der GRÜNEN nur an der Stelle von ihrer eigenen Fraktion mit Beifall bedacht wird, wo sie die Arroganz der französischen Regierung hinsichtlich einer eigenen Verteidigungskonzeption kritisiert. Das heißt: Grüne Politik an diesem Punkt ist ohne Rücksicht auf eigene nationale Vorstellungen, die übrigens von einer großen Mehrheit der französischen Parteien so gesehen werden, auch von Sozialisten, auch von Kommunisten, auch von Konservativen, auch von Liberalen. Diese nationale Identität der französischen Politik wird von der Sprecherin der GRÜNEN nicht akzeptiert, sondern wird angegriffen. Anders Helmut Schmidt, der den Franzosen eine ganz besondere Rolle einräumt und der - darauf möchte ich auch in freier Rede eingehen - hier die Kernthese vorgetragen hat, daß die Rolle der Europäer gegenüber den Japanern und gegenüber den Amerikanern nur gehalten werden kann, wenn wir auf wirtschaftspolitischem Gebiet wieder mehr Stabilität und mehr Wettbewerbsfähigkeit schaffen. Daher, so meine ich, sollte Helmut Schmidt - wobei die Zwischenrufe unterschiedliche Qualität verraten - nicht nur in die „Herald Tribune", sondern auch in die „Bergedorfer Zeitung" oder in die „Stuttgarter Nachrichten" schauen und berücksichtigen, welche Rolle im Moment der Arbeitskampf spielt, welche Rolle dieser Arbeitskampf für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft spielt ({4}) und welche Rolle diese Diskussion über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in London gespielt hat, nämlich eine sehr negative Rolle, was die psychologische Stärke der Bundesrepublik auf wirtschaftlichem Gebiet angeht. ({5}) So schmücken sich heute Sozialdemokraten mit einem verehrten Kollegen, Georg Leber, der weder bei Parteitagen noch bei Vorstandswahlen in seiner Fraktion eine Mehrheit hätte. ({6}) - Ich sehe, daß Sie das erregt. ({7}) - Ich kann weder feststellen, daß Georg Leber bei den letzten Fraktionsvorstandswahlen eine Rolle gespielt hätte, noch kann ich feststellen, daß er bei den Wahlen ins Parteipräsidium eine Rolle gespielt hätte. Ähnliches gilt für Helmut Schmidt. Deshalb sehe ich zwischen der Politik von Helmut Schmidt und der vernünftigen Rolle von Georg Leber bei der Schlichtung schwieriger sozialer Konflikte mit Teilen meiner Fraktion und der CDU/CSU oft größere Gemeinsamkeiten als mit dem, was auf den letzten Parteitagen der SPD eine Rolle gespielt hat. ({8}) Ich meine, Helmut Schmidt sollte neben seinen hochangesehenen, nicht gerade billigen Reden in Houston, Dallas, Washington oder New York ab und zu eine Rede vor seinen Freunden halten und vor Gewerkschaftsfunktionären in Stuttgart, Bonn oder Düsseldorf. ({9}) Ich glaube, Helmut Schmidt müßte an dieser Stelle, was in diesem Arbeitskampf auch von IG Druck und Papier und von IG Metall vorgebracht wird, eigentlich sagen - wie auch in früheren Zeiten -: Genossen, laßt die Tassen bitte im Schrank! - Deshalb hält Helmut Schmidt nur noch internationale und keine nationalen Reden vor Gewerkschaftsmitgliedern mehr. ({10}) Weil das so ist, hat sich die soziale Situation in der Bundesrepublik sehr stark verschärft, was ich persönlich auch als Generalsekretär der Freien Demokraten und als Abgeordneter des Deutschen Bundestages sehr schlecht finde. ({11}) - Das mit dem Gesetz gegen Aussperrung müssen Sie einmal mit Ihrem „Koalitionspartner" SPD klären. Da gab es gestern keine Übereinstimmung. Wir jedenfalls reden über vernünftige Regeln eines Arbeitskampfs und halten es für unerträglich, daß in diesem Arbeitskampf eine kleine Gruppe von Funktionären oder Abteilungsangehörigen über einen Streik entscheiden kann, der für Hunderttausende von Arbeitnehmern und mittelständischen Zulieferanten verheerende Konsequenzen hat. Das ist unser Beitrag in dieser Streikdiskussion. ({12}) Ihr Beitrag ist, daß sich die GRÜNE Partei und die SPD nicht einigen können. Die GRÜNEN überholen an dieser Stelle links die SPD in ihrer Position zur Aussperrung. Ich habe in der letzten Diskussion im Bundestag gesagt: Was mich bei den GRÜNEN besonders verwundert und auch verwundet, ist, daß diese Partei, die in ihrem Grundsatz Ideen verfolgt, die ich als Liberaler teile, nämlich die kleinen Einheiten und die Autonomie des einzelnen zu steigern, in dieser Auseinandersetzung auf der Seite der Funktionäre und der großen Organisation steht und nicht die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers und des kleinen und mittleren Zulieferanten sieht. Das ist das Problem. ({13}) - Ich würde mich jetzt gerne dem zuwenden, was Helmut Schmidt gesagt hat, weil die Tragik der GRÜNEN in dieser Debatte auch darin liegt, daß sie zu dem Problem der 12 Millionen Arbeitslosen in der Europäischen Gemeinschaft kein Wort gesagt haben, sondern ausschließlich etwas zu einer militärischen Auseinandersetzung, zu ihrem Haß gegenüber der französischen Identität in der Verteidigungspolitik. Das war Ihr Hauptbeitrag. ({14}) Ich meine, daß der Vorschlag von Helmut Schmidt, mehr für die Erneuerung der alten Industrieregionen zu tun, ein sehr wichtiger Vorschlag für die europäische Politik ist. Wir haben in der nationalen Wirtschaftspolitik zusammen mit unserem Koalitionspartner eine ganze Reihe von wichtigen Beschlüssen gefaßt, die die Chance bieten, daß die Bundesrepublik zunächst einmal ein Modell zur Erneuerung alter Industrieregionen wird. Zu Recht hat Helmut Schmidt angesprochen, daß die Erneuerung des Ruhrgebietes inzwischen keine Landesaufgabe mehr sein kann, sondern eine nationale Aufgabe werden muß. ({15}) Das beginnt aber nicht bei einer Fortführung der alten sozialdemokratischen Politik, in Nordrhein-Westfalen und in Bonn immer höhere Subventionen für alte Industrien zu fordern, ({16}) sondern damit, daß man sich in Bonn für eine sehr vernünftige, mittelstandsorientierte, innovative Strukturpolitik einsetzt, ({17}) weil sonst die Söhne der Kumpel im Ruhrgebiet keine Arbeitsplatzchance mehr hätten. ({18}) Wir müssen heute hier in Bonn die Weichen stellen, damit es neue Industrien, kleine Industrien, neue Technologien und damit neue Ausbildungs- und Ar5612 beitsplätze in Nordrhein-Westfalen und im Saargebiet gibt, meine Damen und Herren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgordneter Haussmann, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Wolfram?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlich gerne.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Haussmann, würden Sie mir an Stelle Ihrer Allgemeinplätze, so wie wir es eigentlich von Ihnen gewohnt sind, konkret sagen, wie Sie mit uns gemeinsam als Ersatz für den Verlust von 4 000 Arbeitsplätzen durch eine Zechenstillegung in kurzer Zeit neue Arbeitsplätze schaffen wollen? ({0})

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Konkret möchte ich erstens in Nordrhein-Westfalen dafür sorgen, daß sich die Strukturpolitik auch neuen Industriezweigen zuwendet. ({0}) Zweitens möchte ich erreichen, daß die Sozialdemokraten in Bonn einer Politik der Steuersenkung und der Stärkung der Kaufkraft auch kleiner und mittlerer Einkommen von Arbeitnehmern zustimmen und nicht sagen, sie wollten neue staatliche Milliardenprogramme. ({1}) Drittens bin ich der Meinung, daß die Sozialdemokraten in Bonn ihre Regierung in Nordrhein-Westfalen unterstützen, ja ihr Beine machen sollten, damit sie endlich, ähnlich wie in Baden-Württemberg oder in Bayern, ({2}) eine moderne mittelstandsorientierte Technologiepolitik macht. ({3}) Dann hätten übermorgen die Kinder dieser Kumpel, um die es meinem Freund und Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß geht, Arbeitsplätze, und zwar nicht nur durch die Fortführung einer alten Industriepolitik. ({4}) Meine Damen und Herren, Helmut Schmidt hat gesagt, die Bundesrepublik Deutschland werde nur Einfluß gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika haben, wenn sie wieder wettbewerbsfähiger werde. Das unterstützen wir in vollem Umfange. Nur bei ganz konkreten Themen, die hier eine Rolle spielen, müssen wir leider mit Mehrheiten entscheiden, weil wir die frühere Gemeinsamkeit mit Sozialdemokraten wie Matthöfer, Lahnstein oder Helmut Schmidt heute nicht mehr haben. Ich selber war Beobachter des letzten Parteitages der SPD, wo es um ihre Wirtschaftspolitik ging, des Parteitages in München. Damals kam die entscheidende Weichenstellung, die Graf Lambsdorff dazu gebracht hat, seinen Brief an den Bundeskanzler zu schreiben, der hier eine Rolle gespielt hat. Damals gab es eine Debatte über Wirtschaftspolitik der Zukunft, an der sich die aktiven Minister der Sozialdemokraten bereits nicht mehr beteiligt haben. Weder Herr Matthöfer noch Helmut Schmidt haben dies getan, weil man damals auf diesem für uns, für die Freien Demokraten entscheidenden Bundesparteitag ({5}) einen Kompromiß zwischen einer gemäßigten Außen- und Verteidigungspolitik und einer kollektiven Wirtschaftspolitik gemacht hat. Das war damals der Kompromiß in München. Dies war die entscheidende historische Weichenstellung für die Freien Demokraten, in ihrem Brief an den Kanzler zu schreiben, daß wir glauben, daß unsere marktwirtschaftliche, dem Staat gegenüber, was die Wirtschaft angeht, skeptische Politik gemeinsam mit den Sozialdemokraten nicht weiter verfolgt werden kann. Das ist die Wahrheit. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Roth, ich habe nur noch wenige Minuten Redezeit, und ich will die Debatte j a beleben, indem ich kurz rede. Ich bin nachher gern bereit, dies zu vertiefen. Jetzt habe ich dafür keine Zeit mehr. Seitdem hat die FDP zusammen mit der CDU/ CSU ein Konzept für eine Erneuerung der Marktwirtschaft, der Steuerpolitik, der Haushaltskonsolidierung vorgelegt. Dazu gibt es bis heute keine klare Alternative in der Opposition. Sie haben bis heute noch nicht geklärt, meine Damen und Herren, wie Sie zu der Steuersenkung für Arbeitnehmer stehen. ({0}) Es gibt bei Ihnen eine große Mehrheit, die sagt: Wir wollen keine Steuersenkung für Arbeitnehmer. Wir wollen die Milliarden für staatliche Ausgabenprogramme behalten. Das sehe ich doch richtig, Herr Matthöfer? ({1}) - Um Gottes willen! Herr Matthöfer, darauf fällt mir wirklich keine Antwort ein, weil es in der Tat anders war. Ein weiterer Punkt. Die Sozialdemokraten unterstützen bei diesem Arbeitskampf uneingeschränkt die Forderung der Gewerkschaften nach der 35Dr. Haussmann Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Das bedeutet eine Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Deshalb ist das nicht einlösbar, was Helmut Schmidt möchte, nämlich ein stärkeres deutsches und europäisches Gewicht gegenüber Amerikanern und Japanern. ({3}) Dieser Zusammenhang muß hier sehr klar herausgearbeitet werden. Demgegenüber hat Graf Lambsdorff in seiner Wirtschaftspolitik, für die ich ihm auch an dieser Stelle für die gesamte Fraktion der Freien Demokraten ganz herzlich danke, ({4}) in zwei Bereichen Marksteine gesetzt, im Hinblick auf die es weder von der Fraktion DIE GRÜNEN noch von den Sozialdemokraten eine verbindliche Auskunft gibt. Graf Lambsdorff hat dafür gesorgt, daß die Erhardsche Politik der Stärkung der Marktkräfte fortgesetzt wurde. Für uns, die Koalition der Mitte, ist der Titel „Marktgraf" ein guter Titel, ein Ehrentitel. Für viele Sozialdemokraten und für die meisten GRÜNEN ist dieser Titel aber ein Schimpfwort geworden. Dieser Titel, mit dem jemand bezeichnet wird, der sich in einer offenen Gesellschaft für die Kräfte des Marktes einsetzt, ist für viele Sozialdemokraten und für viele grüne Politiker ein Schimpfwort geworden. ({5}) - Des weiteren, lieber Herr Roth, hat Graf Lambsdorff die internationale Wirtschaftspolitik und die Anerkennung der Bundesrepublik auf internationalen Handelskonferenzen in einem Maße verstärkt, wie es bisher keinem seiner Vorgänger gelungen ist. ({6}) Auch das sollte hier einmal herausgestellt werden. ({7}) Die Verengung der Sozialdemokraten und der GRÜNEN ist schon tragisch, die heute in dieser Debatte bisher mit keinem Wort auf diese internationalen Verdienste eingegangen sind, ({8}) die in den USA, in Tokio und überall anerkannt sind. ({9}) Meine Damen und Herren, deshalb halten wir es für richtig, daß mit Martin Bangemann ein Politiker Wirtschaftsminister wird, der große europäische und internationale Erfahrungen hat. ({10}) Ich glaube, es war höchste Zeit, daß der Austausch zwischen nationalen deutschen Parlamentariern und europäischen Parlamentariern keine Einbahnstraße ist und bleibt, ({11}) und daß die Freien Demokraten nicht, wie die Sozialdemokraten, ({12}) ältere, von ihnen nicht mehr voll unterstützte Parlamentarier oder Exminister nach Europa ins Exil schicken, wo sie nie mehr zurückkommen, ({13}) sondern daß umgekehrt jemand, der in Europa - bitte, erkundigen Sie sich mal - ({14}) - Ich bitte Sie herzlich, erkundigen Sie sich doch mal bei Ihren sozialdemokratischen und sozialistischen Kollegen im Europäischen Parlament über die Anerkennung von Martin Bangemann als Fraktionschef der liberalen Fraktion. Tun Sie mir doch den Gefallen! ({15}) Sie werden sehen, daß Ihre internationalen Kollegen zumindest bereit sind, die europäischen Verdienste von Martin Bangemann anzuerkennen, wozu Sie nicht fähig sind. Aber das ist nicht mein, sondern an dieser Stelle Ihr Problem. Ich fasse zusammen: Die FDP-Fraktion dankt an dieser Stelle dem Bundeskanzler und dem Außenminister, die einen großen Erfolg in Europa erreicht haben, weil sie nämlich diese lang andauernden finanziellen Auseinandersetzungen mittelfristig nicht nur für ein Jahr gelöst haben und weil damit der Weg für die anderen wichtigen europäischen Fragen frei wird. Das war der Durchbruch in Fontainebleau.Wir haben auch ein ordentliches Verhältnis zu anderen Berufsständen. Ich kann mich nur über diese Bauernschelte der Sozialdemokraten, auch der GRÜNEN, wundern. Hier ist einem Berufsstand in Europa geholfen worden, der Hilfe verdient. Ich bedanke mich. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind vor allem zwei große Themen, die mit der Regie5614 rungserklärung des Bundeskanzlers zur Diskussion gestellt sind: Die Bilanz der EG-Politik in Verbindung mit dem Gipfel von Fontainebleau und die Lage der Weltwirtschaft, des Weltwährungssystems, der Standort der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit dem Wirtschaftsgipfel in London. Ich möchte vor allem auf den zweiten Themenkreis eingehen, weil er in der bisherigen Debatte nur gestreift wurde. Erlauben Sie mir aber zunächst einige Anmerkungen zu der Wertung dessen, was in Fontainebleau erreicht wurde, und was noch an großen Aufgaben vor uns liegt. Ich finde, daß die Bewertung dieses Europäischen Rates - in der in manchen Punkten sicher bedenkenswerten Rede des Kollegen Helmut Schmidt - zu negativ war. ({0}) Es entspricht nicht der Tatsache, daß die Beschlüsse des Europäischen Rates nur zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschaft geführt haben; das wäre in der Tat zuwenig. Es entspricht aber auch nicht der Einschätzung, die die führenden Kommentatoren der Bundesrepublik Deutschland und der anderen europäischen Staaten bei allen Variationen im Urteil abgegeben haben. Nein! Wer den Beschlußtext des Europäischen Rates sorgfältig liest, muß sagen: Hier ist bedeutend mehr erzielt worden. Es gibt keine vergleichbare Konferenz der Europäischen Gemeinschaft seit den 60er Jahren, die so entscheidende Fortschritte gebracht hat, angesichts einer schweren, lange verschleppten Krise, wie diese Sitzung des Europäischen Rates. ({1}) - Ich habe nicht gesagt, daß es wunderbar ist. Ich habe gesagt: Das ist ein wesentlicher Fortschritt und in entscheidenden Punkten ein Durchbruch. Freuen Sie sich doch einmal über Erfolge der deutschen Politik, anstelle nur in Häme und Negativismus - von der Seite der GRÜNEN - hier zu verharren. ({2}) Meine Damen und Herren, eine lange schwelende Krise in der Frage der besonderen finanziellen Forderung Großbritanniens ist bereinigt, nicht nur für ein, zwei Jahre, sondern für die kommende Zeit, mit einer eindeutigen Regelung, die in der Tat - das trifft zu - einmal in der Zukunft, wenn das Thema einer weiteren Übertragung von Einnahmen an die EG nach 1986 ansteht, überprüft oder bestätigt werden muß. Das ist doch ein stabiles Element für eine lange vor uns liegende Zeit. Das ist es ja, was seit den ausgehenden 70er Jahren - der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat es selbst schmerzlich erfahren, auch auf gescheiterten Konferenzen, an denen er teilnahm - die Gemeinschaft so schwer belastet hat. Diese ist ein Kompromiß. Der finanziellen Leistung der Bundesrepublik ist durch eine Sonderregelung, die der Bundeskanzler erreicht hat, Rechnung getragen: ein verminderter deutscher Beitrag hierfür. Ich will hier ganz offen sagen, nicht nur als Mitglied der Regierung: Zu Recht ist neben der besonderen Leistung des französischen Präsidenten Mitterrand auch das persönliche Engagement des Bundeskanzlers in der deutschen und internationalen Presse in nachdrücklicher Weise hervorgehoben worden. ({3}) Unser Ziel bleibt es, dieses Ausgleichssystem zu einem kommunitären Ausgleichssystem weiterzuentwickeln. Es gibt in den Beschlüssen des Europäischen Rates auch Festlegungen auf neue Schwerpunkte der Politik, nicht nur Absichtserklärungen, sondern konkrete Beschlüsse, Schwerpunkte, die wir alle bejahen: Förderung der Wissenschaft, Entwicklung einer gemeinsamen Umweltschutzpolitik, Ausbau des Binnenmarktes, auch konkrete Festlegungen auf die Verstärkung von Strukturprogrammen; dieser Punkt ist j a von Herrn Schmidt besonders - auch für die aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation der Bundesrepublik - hervorgehoben worden. Sie werden mir, Herr Kollege Schmidt, die Bemerkung nicht verübeln: Als Sie das forderten, fiel mir ein, daß in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit unter dem Vorzeichen der Finanzkrise, die so schlimm war, weil man keine Reserven hatte, weil man nicht rechtzeitig konsolidiert hatte, weil die klassischen Instrumente, die in der Verfassung verankert sind, wie regionale Wirtschaftsförderung, Städtebau, Gemeinschaftsaufgabe Agrarpolitik, Hochschulbau, empfindlich zusammengestrichen worden sind. Wir haben sie nach dem Regierungswechsel finanziell gestärkt, weil wir nicht nur gekürzt haben, sondern eine aktive Politik zur Wirtschaftsbelebung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Haushalt eingeleitet haben. Ich möchte daran doch hier erinnern. ({4}) Dann möchte ich noch einige Bemerkungen zu Ihren sehr kritischen Aussagen über die sogenannten Agrarsubventionen hier anführen. Man muß ja auch einmal im Deutschen Bundestag - wie es gestern schon geschah, aber doch mit leider etwas geringer Beachtung - an die Ausgangssituation erinnern. Die Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft für die gemeinsamen Marktordnungen, also Interventionen, haben sich von 1977 von 6,38 Milliarden ECU - 1 ECU ist, wie nicht alle wissen, 2,25 DM - auf voraussichtlich 18,674 Milliarden ECU im Jahre 1984 erhöht. Das ist eine Steigerung von 173 %, mit jährlichen Steigerungsraten von bis zu 30 %. Der Strukturfehler in den ausgehenden 70er Jahren, Herr Kollege Schmidt, ist doch gewesen, daß man nicht rechtzeitig Beschlüsse für die Eingrenzung von Überschußproduktion gefaßt hat, sondern sie noch erweitert hat. ({5}) Da kann man auch nicht nachträglich die damals zuständigen Landwirtschaftsminister kritisieren. Das war doch ein Grundproblem der nationalen europäischen Politik. Ich will hier noch einmal den Kritikern über dieses Haus hinaus - damit es sich die Kollegen der sozialdemokratischen Partei nicht weiterhin so leicht machen wie in den letzten Tagen - ein paar Einzeldaten in Erinnerung rufen. In diesen sieben Jahren betrug der Kostenzuwachs bei der Milch, wo auch massive Überschüsse entstanden, 98,7 %, aber bei den Überschußprodukten des Mittelmeerraums, die damals aufgenommen wurden - das war der Fehler -, sehr viel mehr: beim Olivenöl 388 %, beim Wein sage und schreibe 1 053 %, ({6}) bei Obst und Gemüse 648 % und beim Tabak 288%. Insofern war es nicht nur eine agrar-, sondern eine finanzpolitische Wende, als im März dieses Jahres zum erstenmal in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft die unabweisbaren Beschlüsse für die Eingrenzung der Förderung von Überschußprodukten gefaßt wurden. ({7}) Ich kann das - ich muß das auch an die Adresse einiger unserer publizistischen Kritiker sagen -, was wir uns in den letzten Wochen vorgenommen und gestern an nationalen Ausgleichsmaßnahmen beschlossen haben, nicht abgelöst sehen von dieser dramatischen Entwicklung seit 1977 und der Entscheidung vom März, im Interesse der Europäischen Gemeinschaft, der Steuerzahler und, wie ich glaube, mittelfristig auch der Bauern, diese Trendwende herbeizuführen. Was Sie uns nun an Kosten vorrechnen und vor allen Dingen dem Bundesminister der Finanzen vorhalten, der angeblich zu großzügig gewesen sei, ist nichts weiter, Herr Kollege Vogel, ({8}) als eine Konsequenz aus dieser einschneidenden Veränderung der europäischen Agrarpolitik. ({9}) - Seien Sie mal ganz friedlich. Ich habe Ihnen die ECU vorgehalten, - ({10}) - Ich habe Ihnen die 12 Milliarden ECU - das sind 30 Milliarden DM - vorgehalten, die während Ihrer Amtszeit - auch während Sie Mitglied der Bundesregierung waren - im wesentlichen für Überschußprodukte zusätzlich ausgegeben wurden, ({11}) ohne daß Sie damals im Interesse der europäischen Verbraucher und Bauern dagegen etwas getan hätten, Herr Kollege Vogel. ({12}) Demgegenüber spielen auch finanziell, Herr Kollege Vogel, die jetzt für eine befristete Zeit beschlossenen nationalen Ausgleichsmaßnahmen eine wesentlich geringere Rolle. Sie kennen die Zahlen, Sie kennen diesen Zusammenhang. ({13}) - Sie sollten, anstatt pausenlos gereizte Zwischenrufe zu machen, die nur Ihr schlechtes Gewissen offenbaren, einmal in sich gehen und Ihre eigenen Äußerungen der letzten Tage kritisch überprüfen. ({14}) Hier ist ein Zusammenhang, der gesehen werden muß; denn das Versäumen rechtzeitigen Handelns - man hätte es j a bei der Milch Ende der 70er Jahre machen können, als wir in die Überschüsse hineinwuchsen - hat jetzt im März zu einer Art Notbremsung geführt, ({15}) weil in der Tat - Herr Kollege Schmidt hat recht - die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit der EG bestand. Es war eine Notbremsung mit einschneidenden Einkommensverlusten insbesondere für die deutschen Landwirte, weil wir zusätzlich kurzfristig den Grenzausgleich massiv abbauen mußten, um überhaupt eine europäische Einigung zu erzielen. Das rechtfertigt die Entscheidung. Ich kann mich nur über Sie wundern, Herr Kollege Vogel. Sie sind zwar erst 1972 aus München nach Bonn gekommen, aber Sie wissen doch auf Grund der Kontinuität Ihrer Vorgänger, daß die Regierung Brandt im Jahr 1970 bei wesentlich geringeren Veränderungen - damals auf Grund einer Aufwertung - ein gewaltiges Ausgleichsprogramm für die deutschen Landwirte beschlossen hat. Wenn Sie das noch einmal nachlesen, werden Sie feststellen, daß das in der ersten Regierungserklärung von Willy Brandt am 28. Oktober 1969 angekündigte Ausgleichsprogramm - da steht im Protokoll: großer Beifall bei den Regierungsfraktionen - mit der Vorsteuerpauschale eine Steuervergünstigung von rund 10 Milliarden DM und mit weiteren Ausgaben über den Haushalt noch einmal von 4 bis 5 Milliarden DM gebracht hat. Wenn man das damals als Sozialdemokratische Partei bei kleineren Einkommensverlusten für nötig hielt, ist es unredlich, wenn Sie heute in hemmungsloser Weise gegen die Landwirte und die heutige Koalition polemisieren. Das ist unredlich. ({16}) - Wenn man damals unter Willy Brandt die Vorsteuerpauschale als wesentliches Ausgleichselement beschlossen hat, kann man heute nicht sagen, das sei nur etwas für die Großgrundbesitzer. Es ist doch absurd, auf dem Hintergrund der eigenen Vergangenheit so etwas zu behaupten. Meine Damen und Herren, ich möchte zum zweiten Hauptthema übergehen, zur Situation der Weltwirtschaft und der internationalen Währungsprobleme. Auf dem Londoner Gipfel ist zu Recht fest5616 gestellt worden: nach Jahren der Rezession und Stagnation spüren wir heute in den meisten Industrieländern Zeichen der Belebung, eines erneuten Wachstums und auch verstärkter internationaler Zusammenarbeit. Aber es gibt unter dem Vorzeichen eines beginnenden Aufschwungs nach wie vor - ich teile hier das, was auch einige von Ihnen, auch der Kollege Helmut Schmidt, gesagt haben - große Risiken. Es gibt dunkle Schatten und im internationalen Vergleich sehr große Unterschiede. Bei den Industrieländern kann man das Bild sehr kurz so zeichnen: Die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan haben die bisher größten Erfolge in der Überwindung der Krise, der Konjunktureinbrüche erzielt. Sie sind gleichsam die Vorreiter. Das Wort von der „Lokomotive" übernehmen wir nicht mehr gern nach bestimmten Erfahrungen der ausgehenden 70er Jahre. Sie sind die Vorreiter, und es ist unbestreitbar, daß in Westeuropa die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien in dieser Entwicklung zu Wachstum und Stärkung der Wirtschaftskraft auch eine gewisse Vorreiterposition übernommen haben. Dabei ist es interessant, daß das vier Staaten mit marktwirtschaftlicher Orientierung sind - ich will das nur einmal mit einem Satz hier anfügen -, die den Weg aus der Krise am schnellsten gefunden haben. Manche andere unserer Partner sind noch nicht so eindeutig auf einem Wachstumspfad. Aber man kann in der Diskussion - und dies ist ermutigend - in Westeuropa und auch mit Nordamerika und mit Japan heute doch erkennen, daß die Aufgaben deutlicher gesehen werden und daß es eine gewisse Konvergenz der Politik auch von Industrieländern mit unterschiedlicher politischer Orientierung der Regierungen gibt. Ich begrüße es, daß auch der Herr Kollege Helmut Schmidt die hervorragende Zusammenarbeit des Bundeskanzlers und des französischen Präsidenten als einen Gewinn für Europa anerkannt hat. Ich füge hinzu, es ist ja bemerkenswert, daß in Frankreich eine sozialistische Regierung - ja sogar mit einem kommunistischen Koalitionspartner - in entscheidenden Teilen der Analyse der Wirtschafts-, der Finanz- und der Arbeitsmarktpolitik und der Konsequenzen eine nicht identische, aber eine vergleichbare Politik verfolgt wie die christlich-demokratisch-liberale Koalition in der Bundesrepublik Deutschland. ({17}) - Noch einen Kurswechsel in der Politik, Herr Kollege Matthöfer. Die begannen einmal mit einem ganz anderen Programm; sie haben dann nach 18 Monaten diesen Kurswechsel vollzogen. Das ist ein Ausdruck von Mut. Man kann den verantwortlichen Persönlichkeiten auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Frankreich nur großen Respekt aussprechen, trotz innenpolitischer Rückschläge, wie es bei der Europawahl gewesen ist. Die Koalition kann immerhin sagen - ich behaupte nicht, daß das ein sehr schönes Ergebnis war -, wir liegen noch bei über 50%. Die französische Mehrheit bei den Europawahlen hat ein Ergebnis von 33 % erzielt; ich meine die dortigen Regierungsparteien. Ich sage das nicht etwa aus irgendwelchen parteipolitischen Gründen. Ich sage: Respekt vor einer Regierung, einem Präsidenten, einem Ministerpräsidenten, einem Wirtschafts- und Finanzminister, die trotz dieser innenpolitischen Bedrängnis den Kurs der Gesundung ihrer Wirtschaft auch unter harten Einschränkungen und Entscheidungen fortsetzen; denn wir haben Interesse am Erfolg Frankreichs, kein Land mehr als wir, ({18}) unabhängig von politischen Mehrheiten. Ich finde das bemerkenswert. Dabei ist es manchmal ganz interessant, die Einzelentscheidung zu studieren: Als wir Steuern für Unternehmensinvestitionen senkten - dabei die Steuern für das Betriebsvermögen um 25% -, wurde das heftig als Umverteilung von unten nach oben kritisiert. Die französische sozialistisch-kommunistische Koalition hat die Besteuerung des Betriebsvermögens abgeschafft, meine Damen und Herren, um private Investitionen zu fördern. Ich sage das nur mal für die noch zu vertiefenden Kontakte, Herr Roth, und die bessere Vorbereitung der Kritik im eigenen Land. ({19}) Die Konvergenz in den meisten Industrieländern kann man in folgenden Punkten zusammenfassen. Die vorrangige Aufgabe ist die Bekämpfung der Inflation und die Förderung der Geldwertstabilität; denn dies ist die Voraussetzung für soziale Politik. Eine Politik, die Inflation treiben läßt, versündigt sich gegen die sozialen Grunderfordernisse und verhindert die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit. ({20}) Meine Damen und Herren, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland bisher im Jahresverlauf eine Inflationsrate von etwa 1,5%. Wir haben im statistisch üblichen Vergleich zum Vorjahresmonat 2,5 %, vielleicht 2,6 %, aber mit fallender Tendenz. Ich bewerte dies als einen der ganz großen Erfolge der Politik dieser Bundesregierung in guter Partnerschaft mit der Bundesbank. Ein weiterer Punkt der Konvergenz ist, daß alles getan werden muß, um die geschwächte Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften zu stärken. Ich stimme dem Kollegen Helmut Schmidt in dem zu, was er über die gefährliche Differenz gegenüber der Situation in Amerika zum Nachteil Europas gesagt hat. Wir sind davon überzeugt - und wir nicht allein, sondern zusammen mit unseren westeuropäischen Partnern -, daß hier - neben allem, was man zusätzlich oder auch abweichend sagen kann - entscheidende Voraussetzungen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit liegen. Das ist ja der tiefere Sinn einer Politik der Konsolidierung, der Gesundung der Staatsfinanzen, denn ohne diese Politik sind die anderen Bedingungen nicht zu erreichen. Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, daß diese Politik weitergeführt wird. Wir werden am 3. Juli durch die Beschlüse des Kabinetts zum Bundeshaushalt 1985 und zur mittelfristigen Finanzplanung dies konkretisieren. Meine Damen und Herren, wir brauchen kein Sommertheater, wir machen das, bevor wir in die Sommerpause gehen, und überreichen es dem Deutschen Bundestag. ({21}) - Ja, gut, Sie können natürlich von einigen Frühjahrsturbulenzen reden, Herr Kollege Vogel, aber der Ertrag ist am 17. Juni nicht in ihre Scheuern gegangen. ({22}) Sie haben Grund, das Wahlergebnis genauso kritisch zu betrachten wie wir. ({23}) Diese Grundsätze gelten für uns, und sie gelten - mit allen Variationen in Europa - heute für Frankreich, für Belgien, für die Niederlande, sie gelten mit einem - so will ich einmal sagen - Sonderweg auch für Italien - da sind Unterschiede unverkennbar -, sie gelten für Dänemark, sie gelten für Spanien. Bei allen Differenzierungen im policy mix gibt es eine gemeinsame Grundrichtung. Für mich ist - ich sage das nach den Erfahrungen von knapp zwei Jahren - diese auch menschlich vertrauensvolle Zusammenarbeit eine der positiven Wirkungen der Europäischen Gemeinschaft auch über sie hinaus in andere Länder. Das ist gleichsam ein Ertrag, der mir in der öffentlichen Darstellung und in der Wertung gelegentlich zu kurz kommt. Deswegen darf ich dies hier einmal erwähnen. Ich weiß übrigens, Herr Matthöfer, daß meine Vorgänger es gar nicht anders empfunden haben, was die persönliche vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kollegen in der EG und über sie hinaus bedeutet. Aber wir stehen bei der Lösung dieser gewaltigen Probleme bei uns in den Industrieländern und vor allem in der Weltwirtschaft noch am Anfang. In der Weltwirtschaft - das war j a ein Hauptthema in London - ist es so, daß die internationale Verschuldung, auf die der Herr Kollege Schmidt hier kurz, in Vorträgen außerhalb des Hauses ausführlicher eingegangen ist, ({24}) eine der großen Sorgen und ein Schatten nicht nur dieses Jahres, sondern sicher für ein Jahrzehnt sein wird. Von 1977 bis 1983 hat sich die Verschuldung der Entwicklungsländer und Schwellenländer von 329 Milliarden US-Dollar auf sage und schreibe 812 Milliarden US-Dollar erhöht. Auf 25 Länder entfallen 80% dieser gigantischen Summe, auf Lateinamerika - mit der stärksten regionalen Konzentration - über 350 Milliarden Dollar. Dies ist zu einer schweren Last geworden. 1977 betrug für diese Länder die Schuldendienstquote - Zinsen und Tilgung - rund 15% ihrer Exporterlöse. 1984 sind es rund 30 %, und es gibt eine Reihe von Ländern, bei denen es 50 oder 60 % geworden sind. ({25}) - Genau über diesen Punkt will ich reden! Wir haben nach der ersten Ölversorgungskrise und nach der Konzentration der Einnahmen bei den OPEC-Ländern diesen Prozeß der Zurückführung der Mittel an die kredithungrigen und kreditbedürftigen Länder, das sogenannte Recycling durch Banken, über viele Jahre hinweg - nicht nur seitens der damals politisch Verantwortlichen, sondern auch in der veröffentlichten Meinung - gepriesen. Für mich ist das ein Beispiel dafür, daß in so entscheidenden Fragen bei allem hohen Sachverstand die internationale Öffentlichkeit, Politik und Publizistik doch ganz erschreckende Fehleinschätzungen begangen hat. Man hat die tieferliegenden Probleme nicht rechtzeitig erkannt. Erst im Sommer 1982 auf der Tagung des Weltwährungsfonds in Ottawa - die Bundesregierung war damals durch Herrn Lahnstein vertreten - ist diese Krise durch die akuten Zahlungsschwierigkeiten Mexikos offenbar geworden. Sie begleitet uns seitdem, und sie wird uns bzw. unsere Nachfolger sicher noch mindestens ein Jahrzehnt begleiten. Das ist auch in London ein zentrales Thema in der wirtschafts- und währungspolitischen Diskussion gewesen. Wir sind uns sicher darin einig - ich stimme hier dem Kollegen Schmidt zu -, das ist nicht mehr eine Fachfrage für Experten, es ist eine der großen weltpolitischen Herausforderungen, Gefahren und Probleme unserer Zeit. Die aktuelle Bilanz seit Ottawa vor gut zwei Jahren kann man so zusammenfassen: Wichtige Entscheidungen sind getroffen, die Krise ist aber nicht gemeistert. Sie wird uns - ich sagte es - noch lange begleiten. Zeitweise dramatische Zuspitzungen sind möglich, auch in einzelnen Ländern. Die meisten von Ihnen wissen, mit welcher Spannung und auch Sorge viele Beteiligte gegenwärtig nach Argentinien schauen, weil hier zum ersten Male ein Land nicht bereit ist, die notwendigen Anpassungsvereinbarungen mit dem Währungsfonds zu treffen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ja, gerne an dieser Stelle.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Stoltenberg, meinen Sie, wenn Sie über die internationale Verschuldungskrise sprechen, daß Sie hier nach wie vor tabuisieren können, daß diese Verschuldungskrise ganz besonders zusammenhängt mit der Militärpolitik der USA, deren nationaler Haushalt das eben nicht mehr verkraften kann, was dort an Geldern aufgebracht werden muß?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ich glaube nicht, daß man eine kausale Verknüpfung der Verschuldenskrise, wie ich sie eben kurz in wenigen Strichen in ihrer Ursache beschrieben habe, und der Militärpolitik der USA herstellen kann. Ich glaube allerdings, daß es ein Problem gibt, auf das ich noch kurz eingehen möchte: Verbindungen zwischen der Zinsentwicklung, dem Haushaltsdefizit der USA - da kann man, wenn man will, die Rüstungsausgaben einbeziehen - und gewissen akuten Problemen der Schuldenländer. Aber ein Verhältnis der Kausalität zwischen Militärpolitik der USA und Verschuldenskrise ist sicher nicht gegeben, verehrte Frau Kollegin. ({0}) Sie haben - ich darf auf den Punkt noch eingehen - in der aktuellen Debatte unterschiedliche, teilweise recht entgegengesetzte Bewertungen. Ich habe mit Interesse, Herr Kollege Schmidt, die Berichte über die Bankenkonferenz, die Konferenz der größten westlichen Banken, in Philadelphia gelesen, bei der Sie am ersten Tag gesprochen haben und am zweiten Tag der Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds, de Larosière. Da sind doch deutliche Unterschiede in der Einschätzung und teilweise auch in den Folgerungen erkennbar geworden, die ja auch möglich sind. Denn einige der von mir beispielhaft vorgetragenen Zahlen sind Anlaß zu tiefer Beunruhigung und möglicherweise auch zu pessimistischen Folgerungen. Auf der anderen Seite hat der Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds, den ich für eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der internationalen Politik halte, von der Verantwortung des Amtes her und von der Art her, wie er es ausführt, auch Anfang Juni gesagt - ({1}) - Ich halte ihn für eine der bedeutendsten Persönlichkeiten. Erlauben Sie mir dieses Urteil über einen Mann, den Sie wahrscheinlich gar nicht kennen, Frau Kollegin, und über den Sie trotzdem reden. ({2}) Er hat in Philadelphia auch gesagt: „Trotz aller großen Sorgen ist das Schuldenproblem heute mit größerer Zuversicht als noch vor einem Jahr zu betrachten." Er hat von teilweise dramatischen Anpassungserfolgen wichtiger Entwicklungsländer gesprochen. In der Tat, mit wenigen Zahlen kann man dafür Beispiele finden. Die lateinamerikanischen Entwicklungsländer, soweit sie Anpassungsprogramme mit dem Währungsfonds vereinbart haben, hatten 1981 eine Handelsbilanz von minus 7 Milliarden Dollar, sie hatten 1983 einen Handelsüberschuß von 24 Milliarden Dollar. Das Leistungsbilanzdefizit ist in derselben Zeit von 41 Milliarden Dollar auf 11 Milliarden Dollar in diesen Ländern zurückgegangen. Allerdings, die Gesamtzahlen für die Entwicklungsländer sind nach wie vor zutiefst beunruhigend. Alle Entwicklungsländer außerhalb der ölproduzierenden Länder hatten 1981 ein Defizit, ein Fehlbetrag in ihrer Leistungsbilanz von sage und schreibe 110 Milliarden Dollar. Und wenn er sich 1983 auf 56 Milliarden Dollar halbiert hat, dann zeigt alleine diese dramatische Größenordnung, welche gewaltigen Aufgaben noch vor ihnen und vor uns liegen. Hier kommt der Punkt, der mit der Zwischenfrage angedeutet wurde. Ich teile Ihre Sorge, Herr Kollege Schmidt - der Bundeskanzler hat es in der Regierungserklärung für uns alle klargemacht -, daß ein neuer Anstieg der amerikanischen Zinsen die Lösung dieser Probleme außerordentlich erschwert. Ein 1 %iger Anstieg der amerikanischen Zinsen bedeutet eine steigende Zinslast für die Entwicklungsländer von 3,5 bis 4 Milliarden Dollar. Deswegen muß man angesichts der Verantwortung der Banken in Zusammenarbeit mit dem Währungsfonds, den Regierungen und den Notenbanken neue Formen der Umschuldung finden. Unbeachtet von der Öffentlichkeit haben die verantwortlichen Beamten der Regierungen der Industrieländer im sogenannten Pariser Club in den letzten zwölf Monaten 21 Umschuldungsvereinbarungen getroffen. Das macht keine Schlagzeilen; ich bin übrigens ganz zufrieden, daß es keine Schlagzeilen macht. Aber diese bedeutende Leistung, in einem Jahr 21 Umschuldungsvereinbarungen mit den betroffenen Schwellen- und Entwicklungsländern getroffen zu haben, kann im Deutschen Bundestag doch einmal erwähnt werden, ({3}) weil hier auch Beamte des Bundesfinanzministeriums und der Notenbank - und das sind gar nicht die sogenannten Spitzenleute; da fahren, wie Sie wissen, Herr Matthöfer, Ministerialräte hin und verhandeln mit einer großen Verantwortung - einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet zu haben. Ich halte es für eine der wichtigsten Feststellungen in dem Londoner Kommuniqué, daß Einvernehmen besteht, hier neue Maßstäbe zu entwickeln. Das können wir natürlich nur zusammen mit den Banken tun. Aber eigene Anpassungsleistungen von Schuldnerländern - und es gibt hier ja auch ermutigende Erfolge - müssen auch im Verhalten der Gläubiger stärker honoriert werden. Daß es diese Erfolge gibt, zeigt die Entwicklung in Mexiko, das auf einem guten Wege ist, dessen Krise die allgemeine Krise offenbar machte. Dieses Land hat eine Stabilisierungspolitik eingeschlagen mit einem Zwischenerfolg, der nachhaltige Förderung verdient. Nun will ich für die Bundesregierung hier sagen: Wir haben in den letzten 15 Monaten in den internationalen Organisationen drei entscheidende Verbesserungen mitgestaltet: Im Januar 1983 haben wir uns in der Zehner-Gruppe der Industriestaaten in Paris darauf verständigt, die allgemeine Kreditvereinbarung auf fast 18 Milliarden Dollar zu erhöhen, fast eine Verdreifachung vorzunehmen. Das ist das, was dem Währungsfonds sozusagen als Reserve zur Verfügung steht. Im Februar 1983 wurden die Mittel des Währungsfonds in Washington durch eine Entscheidung, an deren Zustandekommen wir wesentlichen Anteil hatten, um fast 50% erhöht, d. h. auf 94 Milliarden Dollar. Im September 1983 haben wir uns in Washington mit den Entwicklungsländern über die Neuregelung des sogenannten erweiterten Zugangs geeinigt, die Möglichkeit für Entwicklungsländer, Ziehungen über die regulären Grenzen hinaus vorzunehmen. Die internationale Presse hat den Beitrag der Bundesregierung und der Bundesbank zu diesen notwendigen und sehr bedeutenden Entscheidungen gewürdigt. Ich sage hier nun ein paar Sätze, Herr Kollege Schmidt, zu Ihren dezenten, kritischen Ausführungen zur Bundesbank. Sie haben gesagt, die Devisenreserven der Bundesbank müßten verfügbar gemacht werden. Ich möchte erwähnen, daß das zu einem erheblichen Teil geschehen ist. Denn wenn der Währungsfonds, wie ich soeben beschrieben habe, seine Mittel um mehr als 50% aufstocken konnte - wer steht denn für diese Mittel ein? Niemand anders - von einem begrenzten Eigenkapital, das er hat, abgesehen - als die Notenbanken der großen Industrieländer! Wenn ich mich richtig erinnere, ist es doch so, daß die Bundesbank etwa ein Drittel ihrer hohen Devisenreserven, die sie heute hat - ich würde sagen, das ist mehr ein Ergebnis ihrer, nämlich der Bundesbank, erfolgreichen Politik als ein Ergebnis der Politik früherer Bundesregierungen oder der jetzigen Bundesregierung; so würde ich das einmal werten -, für den Fall der äußersten Ausschöpfung, also der Rechtsverpflichtungen, die sie eingegangen ist, bereits für die notwendige internationale Gemeinschaftsaktion des Währungsfonds eingesetzt hat. Ein weiterer Teil steht, wie Sie als einer der Väter des Europäischen Währungssystems wissen, für das EWS zur Verfügung. Und wir haben j a auch im Mai des letzten Jahres, um der französischen Regierung bei ihrer Umstellungspolitik auf Stabilität mögliche Unterstützung zu geben, hier zusätzlich einen Beistandskredit gegeben. Nein, die Bundesbank leistet auch zur Bewältigung der internationalen Schuldenprobleme einen bedeutenden, wachsenden Beitrag, und das möchte ich hier dankbar hervorheben. Zum letzten Teil dieses Kapitels möchte ich sagen: Es ist kein Szenario zur Beherrschung der Schuldenkrise denkbar, es ist keine positive Entwicklung erkennbar, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen erreicht werden können. Ich will fünf nennen. Die erste ist eine nachhaltige Zunahme des Welthandels. Positiv ist, daß der Welthandel in diesem Jahr gegenüber der Zeit der Rezession deutlich ansteigt, aber er muß weiter wachsen. Zweitens. Die Öffnung der Märkte für die Entwicklungsländer und bessere Preise für ihre Produkte. Ihre Lage hat sich doch so verschlechtert - jede Statistik macht das klar -, weil mit der Rezession in den Industrieländern oder auch nur der Stagnation, d. h. dem Nicht-Vorhandensein von Wachstum, bei ihnen diese gewaltigen Preiseinbrüche bis zu 15 % in den Jahren 1981/82 erfolgt sind. Stagnation, Rezession in den Industrieländern trifft uns, schafft vor allem auf dem Arbeitsmarkt gewaltige Probleme. Sie trifft die Entwicklungsländer, die armen Länder noch härter als uns und unsere Bürger. Dieser Zusammenhang muß deutlich werden, und daraus ergeben sich Konsequenzen. Drittens. Dies - Öffnung der Märkte für die Entwicklungsländer und bessere Preise für ihre Produkte - erfordert Bekämpfung des Protektionismus, ({4}) vor allem aber eine anhaltende Wachstumsperiode in den Industrieländern. Alle Szenarien für die Beherrschung dieses gewaltigen Schuldenproblems zu noch erträglichen Bedingungen für die verschuldeten Länder - hier gibt es sozialen und politischen Sprengstoff - gehen von dieser Prämisse aus, daß es uns gelingt, in den Industrieländern wieder in eine mehrjährige anhaltende Wachstumsperiode zu kommen. Viertens. Unvermeidbar sind Anpassungsprogramme in den verschuldeten Ländern. Ich hebe hier die hervorragende Rolle des Währungsfonds hervor, weil es leider bei einigen, zumindest bei den GRÜNEN in diesem Hause, aber auch bei einigen Randgruppen der SPD, im Gegensatz zu dem, was Herr Lahnstein, Herr Matthöfer und andere in früheren Jahren vertreten haben, üblich wird, den Internationalen Währungsfonds mit der neomarxistischen Sprache der Linken und GRÜNEN als Instrument der internationalen Ausbeutung oder Unterdrückung zu diffamieren, was ich als ganz unerhört empfinde, meine Damen und Herren. Das ist eine grobe Verzeichnung. ({5}) Das hat übrigens mit der Einschätzung der beiden kommunistischen Mitgliedsregierungen, die wir im Währungsfonds haben - wie Sie wissen, gehören die Volksrepublik China und Ungarn dem Währungsfonds an - überhaupt nichts zu tun. Aber das intellektuelle Bewußtsein, das Erkennen der Probleme aus schmerzlichen eigenen Rückschlägen ist mittlerweile bei manchen kommunistischen Funktionären in einigen Ländern schon stärker als bei den Neomarxisten in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Das muß man auch sagen. ({6}) - Ich weiß nicht, ob Sie sich angesprochen fühlen. Sie können sich angesprochen fühlen, mir soll das recht sein. ({7}) Das fünfte ist eine verstärkte Hilfe der Industrieländer über multinationale und nationale Entwicklungshilfe. Ich will als letztes sagen: Man muß doch endlich erkennen - die hier genannten Beispiele, eine Fülle statistischer Daten aus den letzten Jahren beweisen dies -, ({8}) daß es nicht möglich ist, ja zur Entwicklungshilfe und zur Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu sagen und zugleich Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Industrieländern zu verketzern und zu verteufeln. ({9}) Wer das tut, kann noch so viele Reden halten oder sich an fragwürdigen militanten und revolutionären Bewegungen, die Bürgerkrieg erzeugen, in bestimmten Ländern Lateinamerikas berauschen. ({10}) Er versündigt sich an den notleidenden Menschen der Dritten Welt. Das ist die schlichte Wahrheit. ({11}) Er hat die elementaren weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht begriffen. Hier ist klar, daß die Industrieländer vieles tun müssen, mehr auch für Entwicklungshilfe, mehr auch im Engagement für die Lösung der Schuldenprobleme - ich habe einige Entscheidungen dieser Regierung hier genannt -, als wir heute tun, daß es aber keine Alternative zu einer Politik gibt, die unsere wirtschaftliche Krise endgültig überwindet und die uns wieder zu einem aufnahmefähigen und leistungsfähigen Markt auch für die Produkte der Länder der Dritten Welt zu tragfähigen Bedingungen, zu vernünftigen Preisen macht. ({12}) - Ich will es Ihnen sagen. Ich kann jetzt hier keine Produktliste vorlegen, aber ich rechne damit, daß in Verbindung mit der beginnenden Erholung in den Industrieländern die Exporte aus den Entwicklungsländern mengenmäßig zum ersten Mal seit 1980 wieder deutlich ansteigen, und zwar zu besseren Preisen. ({13}) - Die Redezeit erlaubt es nicht, jetzt einzelne Produkte zu erörtern. Ich tue das gern einmal in einem anderen Zusammenhang. ({14}) Dazu gehört eine Modernisierung unserer Volkswirtschaft, Wachstum unter strengeren ökologischen Rahmenbedingungen, größere Anstrengungen in Verbindung damit und für die Beschäftigungspolitik, aber - was mir fast noch wichtiger ist - eine Überwindung des modischen Europessimismus; das ist, wie ich glaube, ein dringendes Erfordernis unserer Zeit. ({15}) Daß wir dies in der Bundesrepublik und in den westlichen Industrieländern schaffen, ist nicht nur für uns eine Schicksalsfrage, sondern auch für die Dritte Welt, meine Damen und Herren. Ich sage das auch zu vielem, was Erhard Eppler und Oskar Lafontaine als die neuen prägenden Kräfte der SPD hier an Verwirrung erzeugen. ({16}) - Ich glaube schon, ein bißchen Ahnung von den Dingen zu haben, über die ich rede, Herr Vogel. ({17}) - Nein, ich sage das auch zu anderen, die hier sind. ({18}) - Erlauben Sie mir doch einmal eine kritische Randbemerkung bei einer im wesentlichen sachlichen Analyse. ({19}) - Machen Sie die Unterschiede zu Herrn Eppler und zu Herrn Lafontaine ein bißchen deutlicher, Herr Vogel; dann will ich dem gerne Rechnung tragen. ({20}) Ich will wieder zur Sache kommen. Uns hilft weder die systematische Erzeugung und Verbreitung von Angsten ({21}) das ist ja eine der schlimmen Erfahrungen der letzten Jahre bei vielen Themen der deutschen und internationalen Politik, die wir mit den sogenannten neuen Kräften machen, den neuen Protestbewegungen und Kräften bis in dieses Haus - noch die Flucht in die Utopie. Wir werden die uns gestellten Aufgaben auch nicht durch rein defensive Strategien meistern. ({22}) Das ist ein prinzipieller Einwand gegen den Versuch zu sagen - ({23}) - Es geht hier nicht um Oberlehrertum, sondern um die ernsthafte Erörterung von Grundfragen, an der Sie sich zur Zeit durch systematische Zwischenrufe, die keiner verstehen kann, weil Sie alle durcheinander reden, beteiligen. Das ist die Bemerkung, die ich dann schon an Ihre Adresse machen möchte, meine Damen und Herren. ({24}) Es geht darum, daß wir dies auch nicht durch rein defensive Strategien erreichen. Ich sage hier zur Kritik an der Bundesregierung in Verbindung mit den Tarifverhandlungen folgendes: Sie können doch nicht übersehen, daß eine große Zahl von Gewerkschaften innerhalb und außerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes das von uns gegen Sie verabschiedete Vorruhestandsgesetz angenommen hat und zu einem Eckpunkt mit den Arbeitgebern zum Gegenstand von Tarifvereinbarungen gemacht hat, die wir alle - jedenfalls wir von der Koalition - nur anerkennen und begrüßen können. ({25}) Wir können doch gar nicht übersehen, daß zwischen dieser Politik der soeben erwähnten Gewerkschaften - es sind mittlerweile acht bedeutende Gewerkschaften ({26}) und dem Kurs der IG Metall und der IG Druck und Papier ein fundamentaler Gegensatz besteht, der auch durch verbale Solidaritätsbekundungen oder die Ansprachen des Herrn Breit, meines Landsmanns, die wir nun fast jeden zweiten Abend im Deutschen Fernsehen in ermüdender Länge und Wiederholung in der „Tagesschau" und in anderen Berichten aus Bonn verfolgen können, nicht überdeckt werden kann. ({27}) Es ist ja phantastisch, wie da die Sendezeiten verteilt werden; ich muß das hier doch einmal sagen. ({28}) Dieser tiefe Riß geht quer durch den Deutschen Gewerkschaftsbund und, wie Sie wissen, Herr Kollege Vogel, auch durch die Sozialdemokratische Partei. Wie immer nun der Kompromiß in der Frage der Wochenarbeitszeit aussieht, er muß gefunden werden. Ich will in aller Klarheit sagen: Rein defensive Strategien durch eine permanente Verkürzung der Arbeitszeit für alle ohne Ansehen der beruflichen Belastung, des Alters und der Lebensumstände werden die hier genannten Voraussetzungen und Herausforderungen für die Bundesrepublik Deutschland nicht meistern - davon bin ich zutiefst überzeugt -, auch nicht in der Arbeitsmarktpolitik. ({29}) Wir müssen die Wirklichkeit begreifen und erkennen, und wir müssen über Grenzen der Parteien und sozialen Gruppen hinweg alles tun, um die uns gestellten Aufgaben zu meistern. Schönen Dank. ({30})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, möchte ich mitteilen, daß der Ältestenrat nach Ende dieser Debatte zusammentritt, die, wie jeder erkennen kann, noch eine Weile weiterlaufen wird. Der nächste Redner ist der Herr Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Finanzminister hat uns angekündigt, es gebe kein Sommertheater. Das habe ich wohl verstanden. Wer permanentes Theater macht, kann kein Sondertheater im Sommer machen. ({0}) Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff ist, soweit ich sehe, jetzt nicht da. Sie werden mir trotzdem erlauben, daß ich an diesem Morgen ein paar Worte an ihn richte. Ich bitte die Kollegen der FDP, das zu übermitteln. Er hat nahezu sieben Jahre das Wirtschaftsressort geführt. Sie wissen, wir alle haben mit ihm viel gestritten, bis zum Herbst 1982 vor allem hinter verschlossenen Türen, seither meist im Plenarsaal. Wir meinen, sein Rücktritt ist sicher zu spät erfolgt, aber wir sollten diese Frage im Moment beiseite lassen. Den Respekt vor dem politischen und persönlichen Engagement von Graf Lambsdorff möchte ich ihm jedenfalls nicht versagen. ({1}) Auch wenn ich die wirtschaftspolitische Bilanz negativ bewerte - 2 Millionen Arbeitslose jetzt, nach sieben Jahren Amtszeit -, ({2}) wünsche ich ihm trotzdem auch ganz persönlich alles Gute für die Zukunft. ({3}) Minister Bangemann weist keine wirtschaftspolitischen Erfahrungen auf. Warum er Wirtschaftsminister wurde, hat Umstände, die nur aus der verheerenden Lage der FDP zu erklären sind. Er wurde Wirtschaftsminister, weil er seine Ausgangsposition für die Kandidatur zum Parteivorsitz verbessern wollte. Das ist nun wahrlich eine kärgliche Rechtfertigung für dieses Amt. Im übrigen, meine Kollegen von der CDU/CSU, ist Ihnen offenbar entgangen - oder Sie wollen es verdrängen; Strauß und Waigel tun es wohl nicht -, daß hier Parteiinteresse vor Sachinteresse gestanden hat. ({4}) Meine Damen und Herren, angesichts von mehr als 2 Millionen Arbeitslosen einen Minister zu haben, der keinerlei wirtschaftspolitische Erfahrung hat, ist nun wirklich eine schlechte Voraussetzung. Aber Sie, Herr Minister Bangemann, haben ({5}) natürlich wie jeder andere die Schonfrist der Opposition für einen neuen Minister. Wir werden diese Schonfrist vielleicht sogar verlängern müssen. Meine Damen und Herren, eine Nachlese zur Londoner Veranstaltung, die immer noch respektvoll Weltwirtschaftsgipfel genannt wird, ist auch heute noch unerläßlich. Ich möchte dazu ganz kurz das Institut der Deutschen Wirtschaft zitieren, das uns nun wahrhaft nicht nahesteht: Strahlende Politiker und frustrierte Journalisten, dies ist das Fazit des 10. Gipfeltreffens der Regierungschefs der sieben mächtigsten Länder der westlichen Welt. Und es fährt fort: Keines der Abschlußkommuniqués kam über unverbindliche Absichtserklärungen hinaus. Wie unverbindlich das Ganze war, zeigte sich wenige Tage später: Erstens. Zwei Tage nach dem Gipfel beschließt die amerikanische Kommission für internationalen Handel, daß die Klagen der amerikanischen Stahlindustrie gegen ausländische Lieferanten berechtigt seien und daß deshalb ein zusätzlicher Protektionismus für US-Stahlprodukte notwendig sei. Zweitens. Vor neun Tagen hat der Vermittlungsausschuß des amerikanischen Kongresses vorgeschlagen, die Abschreibungsgrenzen für Geschäftswagen so zu erhöhen, daß Protektionismus gegen deutsche Automobile stattfindet. Drittens. Am letzten Wochenende haben die Mitglieder von Repräsentantenhaus und Senat in den USA beschlossen, die 30 %ige Quellensteuer auf ausländische Zinserträge aufzuheben. Das ist nichts anderes als eine indirekte Förderungsmaßnahme zum Anziehen von ausländischem Kapital, anders ausgedrückt: zur Erhöhung der Zinsen in Europa. Das sind Maßnahmen nach dem Gipfel. Wenn man also vom Gipfel zurückkommt und sich an Hand der Kommuniqués preist, müßte man sich doch auch einmal selbstkritisch als Regierung fragen, was die Gespräche und Diskussionen hinter verschlossenen Türen eigentlich noch für einen Wert haben, wenn anschließend exakt das Gegenteil dessen, was vereinbart wurde, gemacht wird. Ich frage mich auch, wie wenig in London eigentlich bewußt geworden ist, welche Massenarbeitslosigkeit in Europa herrscht. Überhaupt wird das gesamte Thema einer aktiven Beschäftigungspolitik in den westlichen Industriestaaten systematisch verdrängt. Es wird auch verdrängt, welche negativen Rückwirkungen Entwicklungen der US-Wirtschaft auf unsere Volkswirtschaft haben. Sicherlich, es wird immer wieder angesprochen, aber Konsequenzen bleiben aus. Ich bin deshalb Helmut Schmidt dankbar, daß er endlich einmal Konsequenzen für die europäische Politik auf den verschiedensten Ebenen aus dieser Situation der US-Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gezogen hat. Berndt von Staden, der früher Staatssekretär war, aber auch in Ihrer Regierungszeit noch tätig war, einer der besten Kenner der USSzene, hat vor kurzem gesagt - ich jedenfalls nehme das ganz ernst -, daß der europäische Stellenwert in dem amerikanischen Weltbild zwangsläufig zurückgehe. Wenn das wahr ist, müssen sich die Europäer darauf konzentrieren und sich daran erinnern, daß die EG beispielsweise mehr als 300 Millionen Menschen umfaßt, d. h. von der Bevölkerungszahl her ein größeres Potential als die USA hat. Das gilt ebenso für das Marktpotential. Ich glaube, auch für die Technologie gilt, daß wir uns nicht zu schämen brauchen und daß wir mit Förde-rungs- und Aktivierungsmaßnahmen auch hier Rückstände aufholen können. Ich bin deshalb davon überzeugt, daß die beiden Alternativen lauten: entweder europäische Kooperation, selbstverständlich auch Unternehmenskooperation, zur Erlangung technologischer Spitzenpositionen und als Gegenleistung dafür ein gemeinsamer, ein einheitlicher EG-Binnenmarkt oder eben nationale europäische Alleingänge zur Erringung technologischer Spitzenpositionen und als Strafe dafür eben kein Binnenmarkt, kein Zusammenwachsen Europas. Ich empfinde es so, daß die Nagelprobe für Europa nicht der Gipfel war, sondern sie im nächsten Herbst kommen wird, wenn sich erneut Rezessionstendenzen durchsetzen. Und die deuten sich schon in allen europäischen Ländern an. ({6}) - Ja, was habe ich letztes Jahr behauptet? Daß in Europa Mitte des Jahres 1984 mehr Menschen als vor einem Jahr arbeitslos sein würden. Zur Zeit beträgt die Arbeitslosenquote in der Europäischen Gemeinschaft 11,4%, und damals waren es 10,4 %, also eine um einen Prozentpunkt höhere Arbeitslosenquote in einer Phase, die Sie Aufschwung nennen. ({7}) Auch um folgendes wird sich die Bundesregierung einmal kümmern müssen: Während wir bei der Arbeitslosigkeit früher zum Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft immer einen großen Abstand hatten - in den meisten Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt war die Arbeitslosigkeit in Deutschland etwa halb so hoch wie auf europäischer Ebene -, ({8}) hat inzwischen die Arbeitslosenquote bei uns die durchschnittliche Arbeitslosenquote in der EG nahezu erreicht. Auch dazu müßten wir meines Erachtens deutsche und vor allem europäische Antworten finden. Meine Damen und Herren, wir beschwören in diesem Hause immer, daß es in Amerika mit der Überexpansion der Haushalte und den hohen Zinsen auf Dauer gar nicht gutgehen kann. Wir zeigen immer wieder auf den Widerspruch zwischen expansiver Fiskalpolitik und kontraktiver Hochzinspolitik. Daß hier ein Widerspruch entsteht, ist völlig klar. Welche Frage stellt sich dadurch aber eigentRoth lieh für unsere Wirtschaftspolitik? Wenn dieser Widerspruch eklatant wird, wenn er aufbricht, wenn die Expansion in Amerika nicht mehr weitergeht, wenn das, was bisher aus Amerika gewissermaßen zieht, was bei uns Exportkräfte entfaltet hat, ausfällt - dies beschwören wir doch gemeinsam, auch der Bundeskanzler in seiner Kritik an Reagans Wirtschaftspolitik -, wenn also diese Exportchance nicht mehr besteht, was passiert dann mit Europa? Das ist doch die Frage, die in den nächsten zwölf Monaten vor uns steht. Sie ist unausweichlich. Dazu habe ich vom Bundesfinanzminister nichts gehört. Dazu wurde keine Antwort gegeben. Er hat weiterhin gesagt: Wir müssen konsolidieren, wir müssen einschränken. - Woher aber soll denn Nachfrage kommen, wie sollen sich Beschäftigungschancen ergeben, wenn die expansive Wirkung der US-Wirtschaft ausläuft? Wir als Sozialdemokraten sind seit langem für einen europäischen Beschäftigungspakt. Das bedeutet nicht Expansion in einem Lande, sondern kooperative beschäftigungspolitische Maßnahmen in ganz Europa, ein Abstimmen der expansiven Politik, so daß auch Zahlungsbilanzprobleme, wie sie Frankreich bekommen hat, ausbleiben. Mir wäre eigentlich wohler, wenn auf dem EG-Gipfel diese Seite der Medaille besprochen worden wäre: Was tun wir im nächsten Winter, wenn die Beschäftigungssituation sich rapide verschlechtert? Gipfel, die immer nur die Löcher der Vergangenheit stopfen, weisen für die europäischen Arbeitnehmer keinen Weg. Deshalb ist die Enttäuschung, wie auch im Wahlergebnis und in der Wahlbeteiligung deutlich wurde, bei den Arbeitnehmern in Europa eklatant. Gipfel der genannten Art bieten nach meiner Überzeugung auch binnenwirtschaftlich für die Zukunft nichts Neues. Die Einkommensteuerreform 1988 mit ihrem entscheidenden expansiven Teil, der Tarifreform, kommt als eine Gegenmaßnahme zum Konjunkturverfall viel zu spät. Das hat übrigens das Wirtschaftsministerium in der ganzen Diskussion der vergangenen Monate nicht anders gesehen. Man merkt seit Monaten, daß die Konjunktur zusammenbricht. Jetzt wird, statt zu handeln, etwas anderes versucht. Man versucht, eine Art ökonomische Dolchstoßlegende gegen die Gewerkschaften zu formulieren. ({9}) Der Arbeitskampf soll das große Alibi für den ausgebliebenen Aufschwung werden. Dies liegt aus zwei Gründen völlig neben der Wahrheit. ({10}) Erstens. Gestern hat die Deutsche Bundesbank - wahrlich kein Institut zur Förderung gewerkschaftlicher Interessen - festgestellt, daß der Produktionsausfall auf Grund des Arbeitskampfes 3 Milliarden DM beträgt. Ein Teil - auch das wurde deutlich - wird durch Mehrproduktion noch aufgefangen. Aber selbst wenn man annimmt, daß die vollen 3 Milliarden DM ausfallen, so wird das Sozialprodukt im Jahre 1984 nur um 0,2 % weniger wachsen, als es ohne Arbeitskampf gewachsen wäre. Das sagt die Bundesbank. ({11}) Das ergibt sich, wenn man ihre Zahlen durchrechnet. Das bedeutet aber, daß der Streik und die Aussperrung für den Konjunktur- und Wachstumsverlauf nicht entscheidend waren. In Wahrheit ist es doch so: Schon im März und April konnte jeder, der vorurteilslos die Konjunktur beobachtete, die Wirtschaftsabschwächung erkennen. Einen Arbeitskampf gab es damals noch nicht. Zweitens. Dieser Punkt ist mir noch wichtiger: Die Bundesregierung kann sich den Arbeitskampf nicht als Alibi suchen, weil sie selbst für die Länge, für die Dauer und die Härte dieses Arbeitskampfes mitverantwortlich ist. ({12}) Sozialdemokratische Wirtschaftsminister wie Karl Schiller und Helmut Schmidt haben stets gewußt und sich auch dazu bekannt, daß die Sicherung des sozialen Friedens eine politische Aufgabe ist. Die Regierung Kohl hat sich indessen vor dieser Aufgabe nicht nur ständig gedrückt. Nein, sie hat den Arbeitskampf sogar angeheizt und verlängert. Von Anfang an hat diese Regierung einseitig Partei ergriffen, die Gewerkschaft in die Ecke gestellt und die Arbeitgeber in ihrer Starrheit gestärkt. Übrigens, daß sich der Finanzminister heute in einer hochsensiblen Phase noch einmal gegen IG Metall und IG Druck und Papier in so polemischer Weise äußert, ist ein Beispiel dafür, wie wenig diese Bundesregierung vom sozialen Frieden begriffen hat. ({13}) Der Bundeskanzler hat sein Wort gegen die Wochenarbeitszeitverkürzung - „dumm, töricht und absurd" - noch vor Verhandlungsbeginn gesagt. Diese einseitige Parteinahme hat zur Verhärtung der Tabufront geführt und hat letztlich über lange Monate zur Kompromißunfähigkeit der Tarifpartner beigetragen. Dieser Arbeitskampf kann also nicht als Alibi für wirtschaftspolitische Mißerfolge der Regierung dienen. ({14}) Das Ausbleiben eines wirtschaftlichen Aufschwungs ist ebenso Folge von Fehlentscheidungen dieser Regierung wie die Dauer und die Härte des Arbeitskampfes selbst. Heute ist Georg Leber gedankt worden. Ich will mich da anschließen. Aber eines will ich hinzufügen. Georg Leber hätte es einfacher gehabt, wenn nicht die ständigen Einmischungen aus der Politik gewesen wären, die zur Härte des Arbeitskampfes erheblich beigetragen haben. ({15}) Ich hätte für richtig befunden, wenn ein CDU-Bundeskanzler Herrn Biedenkopf nicht einfach unter den Tisch hätte fallen lassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will das gerade abschließen, Herr Hinsken. Ich stehe gleich bereit. Er hat in der Tat einen ersten Versuch gemacht, die Fronten aufzulockern. Damals schienen die Arbeitgeber noch in der Lage zu sein - so glaubten sie selbst -, diesen Kampf mit einem völligen Sieg zu beenden. Um so bedeutender ist der Vermittlungserfolg von Georg Leber, und wir hoffen in dieser Stunde, daß die zur Abstimmung gerufenen Gewerkschafter sehen, daß dieser Kompromiß tragfähig ist und daß er weiterführt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Hinsken, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch verschiedene Betriebsräte so denken wie der Kanzler, und daß zum Beispiel der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von BMW München, Golder, feststellt, daß es sinnlos ist, diesen Arbeitskampf zu führen, daß er befürchtet, daß allein aus seinem Betrieb kommend in den nächsten Monaten 10 000 Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes ihre Gewerkschaftsbücher zurückgeben werden, weil dieser Streik nach seiner Meinung als sinnlos gedeutet werden würde?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In dem Teil, wo Sie sagen, daß Streik und Aussperrung bei ein bißchen Kompromißwillen auf beiden Seiten, vor allem auf seiten der Arbeitgeber, überflüssig gewesen wären und daß es insofern unsinnig war, sind wir an Ihrer Seite. ({0}) Daß aber Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung der Tarifvertragsverhandlungen gehört, ist die andere Frage, und da sind wir entschieden dabei; denn wir wissen, daß bei Weglaufen der Produktivität gegenüber dem Produktionswachstum ohne Wochenarbeitszeitverkürzung die Massenarbeitslosigkeit nicht wirksam bekämpft werden kann. Darum ging es in dieser Frage. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß ein paar Bemerkungen zu den EG-Finanzbeschlüssen machen. Sie haben gesagt, daß die Beschlüsse finanziell erfolgreich gewesen seien. Nun rechnen wir spitz: Sie haben bei den EG-Agrarbeschlüssen für drei Jahre Einsparungen von 4,5 Milliarden DM erzielt. Sie haben gestern durch ein Gesetz Mehrausgaben im Agrarbereich von 10 Milliarden DM in drei Jahren beschlossen. Ich halte das für einen völligen Kurswechsel in der Finanzpolitik und jedenfalls unvereinbar mit Ihren bisherigen Behauptungen über Konsolidierung. ({2}) Es ist ja erstaunlich! Der Herr Bundesfinanzminister hatte immer gesagt: 3 % Vorsteuerpauschale zum 1. Januar 1985. Dann wurde er ein paarmal auf Versammlungen in Schleswig-Holstein ausgepfiffen, und plötzlich wurde das verdoppelt. Plötzlich wurden 10 Milliarden DM auf drei Jahre oder 22 Milliarden DM bis 1991 beschlossen. Hier wurde in der Tat einem Verband kurzfristig völlig Recht gegeben. Nach meiner Überzeugung haben Sie die Unschuld in der Subventionspolitik verloren. Wir hatten zwischen 1979 und 1982 29 Milliarden DM Steuersubventionen im Bundesetat. Seit Ihren Entscheidungen haben wir jetzt 36,3 Milliarden DM pro Jahr. Sie haben innerhalb von zwei Jahren die Subventionen um 23 % gesteigert. Herr Stoltenberg, Sie haben Ihre eigenen Ankündigungen und Vorhaben in der Finanzpolitik Lügen gestraft. Sie sollten das hier auch zugeben. Sie sollten vor allem für die Zukunft erkennen, daß Sie einen Damm brechen ließen, in der EG- und in der nationalen Finanzpolitik. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es ist immer ein etwas abrupter Abbruch, wenn plötzlich die Redezeit zu Ende ist. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sind sehr freundliche Äußerungen, die man da mitbekommt, bevor man zum Pult geht. ({0}) - „Es bleibt uns nichts erspart", ist gesagt worden. Ich habe es schon gehört. Das ist wohl das kollegiale Verhalten in diesem Hause hier. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stoltenberg hat von sehr tiefgreifenden Beschlüssen gesprochen, die in Fontainebleau gefaßt worden wären, und hat sich auch auf den Londoner Gipfel bezogen. Ich möchte jetzt versuchen, einige Anmerkungen zu der Verschuldungskrise zu machen, die uns in nächster Zeit in diesem Hause sicherlich immer stärker beschäftigen wird, und insbesondere zur IWF-Politik. Herr Stoltenberg hat gesagt, wir bräuchten, um die Dritte-Welt-Länder wirklich in eine bessere wirtschaftliche Position zu versetzen, eine nachhaltige Zunahme des Welthandels. Er verschweigt dabei, daß das bis jetzt immer geheißen hat: Ausbau der Monokulturen in diesen Ländern, z. B. Anbau von cash crops, mit einer ungeheuren Zunahme von Hunger in diesen Ländern. Das ist bisher so gewesen. Zweitens hat er gesagt, wir bräuchten die Öffnung der Märkte für die Entwicklungsländer und bessere Preiskonditionen. Hier möchte ich dann wirklich einmal wissen, wie er bei einem ganz harDeutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode Frau Beck-Oberdorf ten marktwirtschaftlichen Konkurrenzsystem sichern will, daß Firmen wie Eduscho nicht mehr zu absoluten Niedrigstpreisen auf dem Weltmarkt Kaffeebohnen kaufen werden und damit weiterhin die Dritte-Welt-Länder über ganz schlechte terms of trade in noch tiefere Armut hineintreiben werden. ({1}) Drittens spricht er von der Notwendigkeit, Protektionismus zu bekämpfen und das Wachstum in den Entwicklungsländern zu fördern. Dazu muß er aber sagen, wie die IWF-Auflagen, die genau dieses Ziel verfolgen, im Augenblick aussehen. Die IWF-Auflagen fordern in der Regel eine Stagnation der Löhne bei gleichzeitigen Importrestriktionen. Das führt in diesen Ländern, da sie Rohstoffe importieren müssen, um überhaupt produzieren zu können, zu einer geringeren Auslastung der Produktionskapazitäten. Auf diese Weise haben solche Anpassungsprogramme insgesamt zu einer Verarmung der Bevölkerung in den Dritte-Welt-Ländern geführt. ({2}) Die Hungerrevolten, die wir jetzt überall erleben konnten, z. B. in Marokko, die Aufstände in anderen Ländern, die Demonstrationen in Honduras usw. sind genau eine Folge dieser IWF-Politik gewesen, einer IWF-Politik, die nämlich nicht zugunsten dieser Dritte-Welt-Länder ausgeht, sondern die sich auch wieder, wie eh und je, als eine Politik zur Verbesserung der Lage der Industrienationen in dieser Welt entpuppt. ({3}) Als Letztes. Wenn Sie sagen, daß wohl jedem einleuchten müsse, daß ohne Wachstum hier den Entwicklungsländern keine Chance für eine Verbesserung ihrer Situation gegeben werden könne, dann möchte ich Sie einmal fragen, Herr Stoltenberg, wie Sie dann erklären, daß sich in den ganzen 50er und 60er Jahren, wo die Industrienationen Wachstumsraten hatten, von denen man heute nur noch träumen kann - oder zumindest Sie träumen würden, wir j a nicht -, ({4}) trotzdem die Schere zwischen den reichen und den armen Ländern weiterhin so geöffnet hat. Erklären Sie mir bitte einmal diesen Widerspruch. Diese Argumente - das sind jetzt keine neomarxistischen Klamotten, wie Sie immer so gerne sagen, wenn Sie es sich einfach machen wollen - nehmen Sie bitte einmal auf und widerlegen sie. Ich glaube, das dürfte Ihnen schwerfallen. ({5}) - Wenn es Ihnen nicht so wichtig ist, wenn Sie etwas Besseres zu tun haben, dann allerdings schminken Sie sich auch die moralinsauren Tränen für die Dritte Welt ab. ({6}) Dieses Modell jedenfalls wird die Dritte Welt weiterhin in die Verarmung treiben. Dabei sind wir dann auch bei der EG-Politik; denn die Politik der EG, wie sie sich in Fontainebleau gezeigt hat, hat auch etwas zu tun mit der Politik, die sich gegen die Dritte Welt richtet, wobei ich nach wie vor behaupte, daß in Fontainebleau nicht viel anderes gemacht worden ist, als das Tauziehen um die bitter notwendigsten Finanzvereinbarungen zu Ende zu bringen. In Fontainebleau ist kein finanzpolitisches Konzept zustande gebracht worden, das wirklich in die Zukunft weist. Das weiß jeder. Noch einige Anmerkungen: In Fontainebleau hat es kein finanzpolitisches Konzept gegeben, und auch die Gipfeltreffen dieser Art in nächster Zeit werden immer wieder von dem Versuch bestimmt sein, die Defizite in der EG mühsam zu decken. Wir wissen jetzt, daß es keine Konzeption für die 5 Milliarden DM Defizit gibt, die anstehen, daß also das neue Tauziehen bevorsteht. Ich finde es auch einigermaßen zynisch, wenn Sie sich damit brüsten, Sie seien endlich in eine Strukturpolitik für die Landwirtschaft eingestiegen, und damit die zusätzlichen Ausgaben rechtfertigen, die den Bundeshaushalt belasten werden. Diese Strukturpolitik bedeutet nichts anderes - das ist mit Zahlen belegbar, das ist gestern in der Debatte auch ausreichend klargemacht worden - als eine knallharte Gesundschrumpfungspolitik zu Lasten der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe und zugunsten der großen landwirtschaftlichen Betriebe, der industriell produzierenden Agrarwirte. Das ist allerdings ein zynisches Gesundschrumpfungsprogramm. Dafür wollen wir aus dem Haushalt keine einzige Mark bereitstellen. Weshalb sind Sie trotzdem bereit, aus unserem Haushalt weiterhin soviel in diesen bodenlosen EGHaushalt hineinzustecken, obwohl Sie sich eigentlich einen Namen als Sparapostel machen wollten? Das gilt ja auch immer dann, wenn es hier um soziale Absicherungen geht. Ist es tatsächlich noch die Idee, die in diesem Hause z. B. vor 27 Jahren bei einer der ersten Europadebatten von einem Ihrer Kollegen, Dr. Furler von der CDU/CSU - damals ging es um die Unterzeichnung der Römischen Verträge -, dargelegt worden ist? Er sagte: Die Verträge geben eine große europäische Möglichkeit. Ich bin sogar überzeugt, sie geben im Augenblick und auf lange Zeit hinaus die einzige Möglichkeit, zu einem neuen Europa vorwärtszuschreiten, zu einem Europa, dem der Geist des gemeinschaftlichen Denkens und Handelns innewohnt, einem Europa, das Solidarität und die Kraft besitzt, die sich aus dem Zusammenwirken benachbarter und befreundeter Völker notwendigerweise entwickeln wird. Sie kennen unsere Ablehnung von Europa; nicht deshalb, weil wir Nationalisten wären, sondern weil wir sagen, daß das, was sich inzwischen aus dieser Idee entwickelt hat, nichts mehr übriggelassen hat von den Gedanken der Solidarität oder des gemeinschaftlichen Handelns im Sinne von anderen. Vielmehr ist diese Idee ganz knallhart einem wirtschaftspolitischen Großmachtinteresse geopfert worden, das da heißt: Wir müssen mit der EG in eine neue Industriestrukturpolitik einsteigen. Diese neue Industriestrukturpolitik ist fast besser als von Ihnen noch von Herrn Dr. Ehmke für die SPD beschrieben worden. Er hat es nämlich ganz offen und unverfroren als ökonomisches Wettrüsten bezeichnet, das ansteht zwischen Japan, den Vereinigten Staaten und dem in diesem Sinne zu schaffenden Europa. Somit ist dieses Modell Europa, das vielleicht tatsächlich einmal - bei einigen zumindest - die Idee der Solidarität in sich getragen hat, geschrumpft zu einem Traum von einer industriellen Großmacht, die eben diese Konkurrenzfähigkeit mit Japan und den USA sichert, die die Basis für exportorientierte Industrien erweitert und die - das ist wohl die neue Zukunftsaufgabe - Innovationen in Richtung der neuen Technologien fördert. Es unterscheiden sich hier die Sozialdemokraten tatsächlich um keinen Deut von der reaktionären Politik von Frau Thatcher, und es unterscheiden sich - und das ist das Interessante - die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von französischen Sozialisten und Kommunisten tatsächlich nicht von denen von Frau Thatcher, weil sie alle gleichen Paradigmen folgen, nämlich der Wachstumsideologie kapitalistischer Industriegesellschaften. ({7}) Herr Ehmke hat in diesem Aufsatz eine Politik beschworen, die an den Herausforderungen der Konkurrenz teilnehmen soll. Er ruft sogar auf zu einer konzertierten Aktion von Unternehmern, Gewerkschaften und Regierungen für diese gemeinsame große Anstrengung. Er fordert sogar das Ende der Subventionen für alte Industrien wie Kohle, Stahl, Werften und Textil und will statt dessen Investitionshilfen im Bereich moderner Technologien zur Schaffung leistungsfähiger Unternehmenseinheiten. Die Bauern sollen - das wird dort explizit ausgedrückt - sich demgemäß stärker marktwirtschaftlichen Gesetzen unterwerfen. Das heißt schlichtweg Bauernlegen. Das erst, meine Damen und Herren, erklärt, warum der Bürger hier für Europa so begeistert sein soll. Das erklärt auch, warum Herr Stoltenberg bereit ist, die Staatsfinanzen in diese EG hineinzubuttern. Denn diese Staatsfinanzen von hier werden geopfert für diese exportorientierte Industriepolitik eines gemeinsamen Europas. Das heißt, daß diese Steuergelder, die hier in die Europapolitik gehen, eigentlich eine versteckte Form von Exportsubventionen sind. Der Steuerzahler soll deswegen begeisterter Europabürger sein. Man gibt ihm als Trostpflästerchen eine Europahymne, damit es mal was fürs Herze gibt. Man gibt ihm eine europäische Fußballmannschaft, wenn das hier in Deutschland nicht mehr so klappt mit dem Fußball. ({8}) Man verdeckt damit, daß er hier teilhaben soll an einer ganz egozentrisch an den Interessen dieser Industrienationen orientierten Unterstützung und deswegen auch Finanzierung der EG. Dieses Europa lehnen wir ab, meine Damen und Herren. Wir sind keine Nationalisten. Ich möchte das noch einmal betonen. Aber dieses Großmacht-Europa wirtschaftlicher Art - über den militärpolitischen Aspekt hat Frau Kelly heute morgen gesprochen - wollen wir nicht. Wir wollen, wenn es noch jemals einen Pfennig in die EG gibt, damit ein Europa der Solidarität und nicht eines der Ausbeutung aufbauen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 28. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/1583. Wünscht der Herr Berichterstatter hierzu noch das Wort? - Nein. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, dann darf ich Ihnen mitteilen, daß jetzt der Ältestenrat mit seiner Sitzung beginnt. Ich darf Ihnen weiter mitteilen, daß die Fragestunde, wie vorgesehen, um 14 Uhr beginnt. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksachen 10/1656, 10/1682 Wir haben zuerst die Dringliche Frage des Abgeordneten Bahr auf Drucksache 10/1682 zu behandeln: Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige tatsächliche, politische und rechtliche Situation der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR, die insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, daß die Ständige Vertretung vorläufig Besuche nicht zuläßt, und was unternimmt die Bundesregierung, um auf die sich schnell zuspitzende Lage sofortigen Einfluß zu nehmen? Sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung. Bitte schön.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Bahr, mit Rücksicht auf die jüngste Entwicklung und die Vorgänge in und um unsere Ständige Vertretung können vorübergehend in der Ständigen Vertretung aus technischen Gründen keine Besucher empfangen werden. Die Ständige Vertretung arbeitet weiter. Anliegen können schriftlich oder telefonisch an sie herangetragen werden. Die Bundesregierung bedauert zutiefst die Vorgänge, die sich in den letzten Tagen ereignet haben. Sie beleuchten schlaglichtartig, daß die Härten der Teilung Deutschlands die Menschen in der DDR besonders treffen, weil ihnen die Freizügigkeit vorenthalten wird. Diese kann aber auch nicht auf dem Wege über die Ständige Vertretung erzwungen werden. Die Bundesregierung erwartet von der DDR, daß sie die auf Grund des Protokolls über die Errichtung der Ständigen Vertretung und auf Grund der KSZE-Schlußakte übernommenen Verpflichtungen einhält. Die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck um eine vernünftige Lösung der Fälle in der Ständigen Vertretung. Sie steht in ständigem Kontakt mit der Regierung der DDR.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich daraus entnehmen, daß die Bundesregierung die Stellungnahme der CDU aus früheren Zeiten, daß die Bundesregierung nichts unternehmen darf, was die Flucht von Deutschen aus der DDR in die Bundesrepublik erschweren kann, nicht mehr teilt?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Bahr, ich würde mich lieber auf das beziehen, was alle Kollegen im Innerdeutschen Ausschuß gestern einmütig zum Ausdruck gebracht haben, indem sie Kooperation angeboten haben. Ich habe dort namens der Bundesregierung gesagt, daß wir diese Kooperation gerne annehmen und daß wir auch, soweit das bis zur Stunde geht, die Opposition vertrauensvoll informieren und auch zu Rate ziehen wollen. Wenn es also jemanden gibt, der eine bessere Lösung sieht, als wir sie derzeit anstreben, stehen wir sehr gern zur Verfügung. Aber ich halte wenig davon, sich in dieser Situation darüber auseinanderzusetzen, was in einem hypothetischen Fall vor zehn Jahren gewesen wäre. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, so sehr ich verstehen kann, daß Sie auf die Kooperation der Opposition zählen, worauf Sie j a auch in der Tat - anders als die frühere Regierung - zählen können, ({0}) möchte ich Sie doch bitten, auf meine Frage einzugehen. Sie haben den Teil der Frage, was die Bundesregierung unternimmt, nicht beantwortet. Wir haben ja gehört, daß die Situation in der Ständigen Vertretung das Problem bereits seit zwei Monaten geschaffen hat.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Bahr, ich will diesen Teil gern, soweit es im Moment geht, beantworten, ohne laufende Bemühungen zu stören; das ist die Grenze, über die ich an dieser Stelle nicht hinausgehen kann. Wir bemühen uns nicht erst seit gestern oder heute, sondern genauso lange, wie dieses Problem besteht, und ich verrate kein Geheimnis - aber vielleicht überrascht es Sie doch -, wenn ich Ihnen sage, daß diese Bemühungen im Innerdeutschen Ministerium vor sich gehen. Wir haben den beamteten Staatssekretär, der dort eine etablierte Gesprächsschiene hat; Sie wissen, zu wem auf der anderen Seite. Dies wird derzeit mit einer besonderen Intensität betrieben, ohne daß ich augenblicklich über die Ergebnisse etwas sagen könnte. Ich habe also die Hoffnung, daß sich das erfüllt, was ich Ihnen gesagt habe: daß dies ein vorübergehender Zustand sein muß, weil einfach die Aufnahmekapazität erschöpft ist. Im übrigen ist dies - um zu Ihrer vorigen Frage noch einen Satz hinzuzufügen - kein Weg, um aus der DDR zu fliehen, und deswegen erledigt sich, glaube ich, die Frage von selber.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß es geradezu unklug wäre, Überlegungen kurz-, mittel- und langfristiger Natur, die die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem derzeitigen Zustand in Verbindung mit der Ständigen Vertretung anstellt, und Aktionen, die sie zu unternehmen gedenkt, hier vor der Öffentlichkeit in einem Zeitpunkt auszubreiten, wo dies zu allerletzt denen nützen würde, denen wir helfen wollen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Werner, ich bin in einer zwiespältigen Situation. Als Parlamentarier würde ich natürlich sagen: Es ist selbstverständlich das gute Recht jedes Kollegen, jede nur denkbare Frage an die Bundesregierung zu richten. In der anderen Funktion neige ich Ihrer Auffassung zu.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Schulze ({0}).

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß die Verantwortung für die beklagenswerte Situation in der Ständigen Vertretung und um die Ständige Vertretung in Ost-Berlin nicht bei der BundesregieSchulze ({0}) rung, sondern ausschließlich bei der DDR selber liegt?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Selbstverständlich, Herr Kollege. Ich kann Ihre Frage bejahen. Allerdings ist dies im Ergebnis auch eine Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Lösung liegt aber ganz entscheidend bei der DDR.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung Überlegungen an, dieses Problem nicht nur aktuell zu begreifen, sondern grundsätzlich zu lösen, und steht sie in Verhandlungen mit der DDR, die einer dauerhaften Regelung bei derartigen Vorkommnissen entgegenkommen würden?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Hiller, ich kann beide Fragen bejahen; denn es hätte wenig Zweck, wenn wir ein aktuelles Problem lösen und nach 14 Tagen vor demselben Problem mit anderen Personen stehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die derzeitigen Probleme in der Ständigen Vertretung gar nicht entstanden wären, wenn die Verträge, die zum Protokoll für die Errichtung der Ständigen Vertretung geführt haben, nicht bei der Verhandlung mit so vielen Zweideutigkeiten gespickt worden wären? Dr. Hennig, Parl. Staatsekretär: Herr Kollege Reddemann, dies ist selbstverständlich richtig. Ich würde aber gerne noch hinzufügen, daß es auch daran liegt, daß die DDR intern nicht mehr Freizügigkeit gewährt, als sie dies derzeit tut. Wenn sie das täte, würde sich das Problem zumindest wesentlich entschärft stellen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Heimann.

Prof. Gerhard Heimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000845, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, aus einer Agenturmeldung entnehme ich, daß Frau Minister Breuel erklärt hat: „Man muß deutlich machen, daß mit Ausnahme von wirklichen Asylfällen die Ständige Vertretung in Ost-Berlin nicht ein Lager für diejenigen sein darf, die damit ihre Ausreise erzwingen wollen." Ich frage Sie: Teilen Sie diese Auffassung?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Heimann, ich würde es gerne mit meinen Worten so ausdrücken: Es gibt ein paar Eckpunkte in dieser Auseinandersetzung. Ein solcher Eckpunkt ist ganz gewiß der, daß niemand über die Ständige Vertretung seine Ausreise erzwingen kann. Ein anderer ist genausogut der, daß wir niemanden mit Gewalt vor die Tür setzen können. Zwischen diesen beiden Punkten einen Weg zu suchen ist kein ganz leichtes Unterfangen, aber wir sind dabei, und wir sind zuversichtlich, daß wir das Problem auch über kurz oder lang lösen können; ich hoffe, über kurz. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß das Risiko, daß sich Deutsche aus Ost-Berlin und aus der DDR in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland flüchten und versuchen, auf diese Weise herauszukommen, vom ersten Tag der Errichtung dieser Ständigen Vertretung an bestanden hat und daß es damals von der Bundesregierung mit der Errichtung dieser Ständigen Vertretung auch ganz bewußt in Kauf genommen worden ist?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Jäger, da sich seitdem an den Rechtsgrundlagen nichts geändert hat, muß man diese Frage sicher bejahen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Hauck.

Rudolf Hauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist von der DDR gegenüber der Bundesregierung auch die Auffassung vertreten worden, die die niedersächsische Wirtschaftsministerin Frau Breuel aus ihrem Gespräch mit Günter Mittag referiert und derzufolge die Lösung des Flüchtlingsproblems in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten sei?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege, die Situation in der Ständigen Vertretung und um die Ständige Vertretung stellt gewiß eine Gefahr für die zukünftige politische Entwicklung zwischen beiden Staaten dar. Deswegen sind beide Seiten um eine vernünftige Lösung bemüht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, darzulegen, was an der Situation, wie sie sich jetzt darstellt, gegenüber der früherer Jahre neu ist und worin Ihre Erkenntnis- und Ihre Meinungsänderung gegenüber früheren Jahren begründet liegen? ({0})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege, ich könnte dies in der Tat im Detail tun. Aber ich glaube, es wäre im Moment nicht sonderlich zweckmäßig und hilfreich, die Debatte in dieser Weise zu führen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm ({0}).

Wilfried Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie bereit, auch von dieser Stelle aus an die Behörden der DDR zu appellieren, das einzig Vernünftige zu tun, um diese Problematik im einzelnen zu lösen, nämlich sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, die Reisebedingungen innerhalb der beiden Teile in Deutschland so zu ändern, daß solche Fälle überhaupt nicht auftreten können? ({0})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Böhm, ich habe dies in meiner ersten Antwort bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, daß ich gesagt habe, dieses Problem stelle sich in so dramatischer Form, weil Freizügigkeit derzeit eben nicht in ausreichendem Umfang gewährt wird. Ich bin gerne bereit, das noch einmal zu unterstreichen. Ich meine, daß sich die Bundesregierung in der Tat auf allen ihr zur Verfügung stehenden Wegen und mit allen Mitteln bemühen muß, eine vernünftige Lösung dieser Situation zu erreichen. Ich bitte allerdings um Verständnis, wenn ich dies hier nicht im einzelnen skizzieren kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Büchler ({0}).

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie die Frage bejaht haben, daß die jetzige Situation auf Zweideutigkeiten im Grundlagenvertrag beruhe: Was sind die Zweideutigkeiten?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Büchler, es gibt in Mitteleuropa nicht das Institut des diplomatischen Asyls. Dies ist in anderen Kontinenten anders geregelt, beispielsweise in Lateinamerika. ({0}) Man hätte beispielsweise daran denken können, für solche Fälle auch juristisch Vorsorge zu treffen. Ich weiß, daß dies ein schwieriges Unterfangen ist, aber dies ist zweifelsohne nicht geschehen, und es ist, glaube ich, bewußt nicht geschehen. ({1}) Wir könnten ja Zeitzeugen danach befragen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hat die augenblickliche Situation Auswirkungen auf die, wie ich meine, ständigen Bemühungen der Bundesregierung, politische Gefangene aus der DDR freizukaufen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Frau Kollegin Reetz, auch wenn wir die entsprechenden Haushaltstitel - und das werden Sie besonders gut verstehen - derzeit nicht als geheime, sondern als öffentliche Titel behandeln, werde ich bei diesen Themen in der Beantwortung besonders zurückhaltend. Ich bitte Sie um Nachsicht, daß ich das hier durchhalten möchte. Daß dieses Gesamtkapitel allerdings politische Auswirkungen hat, läßt sich überhaupt nicht bestreiten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nutzt die Bundesregierung jede Gelegenheit, die DDR-Regierung an ihre Verpflichtungen aus der KSZE-Schlußakte und vor allem auch an ihre Verpflichtungen, die jetzt in Madrid festgeschrieben worden sind, zu erinnern?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Ich will die Frage gern benutzen, um das noch einmal zu zitieren, Herr Kollege Hupka. In Madrid hat man auch den Zugang von Besuchern zu den Missionen behandelt und in dem Schlußdokument von Madrid gemeinsam beschlossen, daß der Zugang zu den Missionen unter gebührender Berücksichtigung der erforderlichen Sicherheitsbedürfnisse dieser Missionen - ich glaube, das, was dort im Moment geschieht, steht nicht im Zusammenhang mit den Sicherheitsbedürfnissen dieser Mission gewährleistet werden muß. Daran möchte ich gerne noch einmal erinnern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da die Ständige Vertretung von uns und nicht von der DDR geschlossen worden ist: Reicht Ihre Phantasie aus, sich vorzustellen, was wohl passiert wäre, wenn das zu unserer Regierungszeit geschehen wäre, und wie Sie dann wohl gefragt hätten, und können Sie nicht glücklich sein, daß Sie hier in diesem Hause im Augenblick eine sehr verantwortungsbewußte Opposition haben? ({0})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Lutz, ich wäre glücklich, wenn ich alle Unterstellungen, die Ihre Frage gleichzeitig beinhaltet, vollinhaltlich übernehmen könnte. Da ich dies im Moment nicht ganz übersehen kann, beschränke ich mich auf die Antwort, daß unsere Vertretung nicht geschlossen ist, sondern daß sie weiterarbeitet, daß auch Besucher die Möglichkeit haben, anzurufen oder Briefe zu schreiben, daß sie sich aber allein aus dem sehr bedrückenden Grunde, daß die Aufnahmekapazität der Ständigen Vertretung wirklich erschöpft war, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, derzeit nicht hineinbegeben können. Aber wir hoffen, daß dies ein sehr vorübergehender Zustand sein möge.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, angesichts der Fragen von Herrn Hupka und Herrn Reddemann und nachdem Sie bei den KSZE-Verhandlungen damals als CDU/CSU-Opposition und bei den Verträgen und Abkommen mit der DDR als CDU/CSU-Opposition erheblichen Widerstand geleistet haben, frage ich, ({0}) ob es nicht so ist, daß man, wenn man Verträge und Abkommen abschließen will, immer davon ausgehen muß, daß das auch beide Seiten unterzeichnen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Becker, ich brauche Sie sicher nicht daran zu erinnern, daß die Einlassungen der damaligen Opposition zu den Verträgen mit der DDR unterschiedlich waren. Beim Verkehrsvertrag gab es eine Zustimmung, bei anderen gab es eine Ablehnung - dies muß man sich jeweils genau anschauen -, und bei der KSZE-Schlußakte hing die Einlassung der Opposition im wesentlichen mit der Frage zusammen, in welcher Form Berlin einbezogen wird oder ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beantwortung der Dringlichkeitsfrage. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Hennig für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung. Für die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher wurde um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Fragen des Abgeordneten Klein ({0}) auf: Kann mir die Bundesregierung den qualitativen Unterschied zwischen einem Anhänger der Todesstrafe und einem Befürworter der Wiedereinführung der Todesstrafe erklären ({1})?

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Herr Kollege,.in der Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Klein ({0}) und der Fraktion der SPD zu den Initiativen der Bundesregierung zur Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe hat die Bundesregierung zu Frage 5 b - nicht 3 b - ausgeführt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß sich Dr. Jaeger in einem Interview im März 1979 als „Anhänger der Todesstrafe" bezeichnet hat. Dr. Jaeger hat damit seine persönliche Ansicht bestätigt, ohne sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe auszusprechen. Es liegt ein klarer Unterschied darin, ob sich jemand zu einer von früher her bekannten persönlichen Auffassung äußert oder ob er die Wiedereinführung der Todesstrafe und damit eine Änderung des Grundgesetzes befürwortet. In diesem Sinne hat sich Herr Dr. Jaeger nicht geäußert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, gestatten Sie mir, meinen Eindruck nach dieser rabulistischen Antwort wiederzugeben, nämlich daß die Bundesregierung -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, Sie müssen fragen!

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja: Gestatten Sie mir, meinen Eindruck wiederzugeben und ihn von Ihnen geteilt zu bekommen, nämlich daß sich ein erheblicher Teil des Parlaments durch diese dümmliche Antwort der Bundesregierung letztlich verarscht oder veralbert fühlt? ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Klein, gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß dies noch keine Frage im Sinne unserer Fragestunden war. ({0})

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Herr Präsident, da ich gefragt worden bin, ob ich dem Kollegen gestatten würde, einen Eindruck wiederzugeben, kann ich sagen, daß ich meinerseits keine Bedenken dagegen habe, daß er einen Eindruck wiedergibt; aber ich füge gern hinzu, daß der Eindruck falsch ist. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob nicht ein Anhänger der Todesstrafe dann, wenn er Politiker ist, automatisch auch zum Befürworter der Todesstrafe werden muß? ({0})

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Herr Kollege, diese Auffassung kann ich nicht teilen. Art. 102 des Grundgesetzes bestimmt klar und deutlich: „Die Todestrafe ist abgeschafft." - An dieser Entscheidung des Verfassungsgebers will niemand rütteln, und niemand will sie zum Thema machen. Das gilt auch für den verehrten Kollegen Dr. Richard Jaeger. Im übrigen, Herr Kollege, dürfen wir nicht übersehen, daß eine Reihe von Staaten mit demokratisch-rechtsstaatlicher Grundordnung, darunter auch zahlreiche mit uns befreundete und verbündete Länder, die Todesstrafe - wenn auch nur sehr restriktiv - praktizieren. Ich will Ihnen nur einige nennen: Belgien, Griechenland, Irland, Kanada, Israel, Japan. Das ist eine unvollständige Liste. Aber das ändert nichts an meiner Feststellung, Art. 102 des Grundgesetzes bestimme klar und deutlich: „Die Todesstrafe ist abgeschafft." Ich sage es Ihnen noch einmal: An dieser Entscheidung des Verfassungsgebers will niemand rütteln, und niemand will es zum Thema machen. Ich sage es noch einmal: Unser verehrter früherer Kollege Dr. Richard Jaeger will es ebenfalls nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Klein ({0}) auf: Wäre möglicherweise Dr. Richard Jaeger von der Bundesregierung nicht zum Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen benannt worden, wenn er sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen hätte, statt sich nur als Anhänger der Todesstrafe zu bekennen?

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Herr Präsident! Herr Kollege, wie in der Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion bereits dargelegt wurde, ist Herr Dr. Jaeger zum Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Menschenrechtskommission ernannt worden, weil er der Bundesregierung und, so denke ich, Ihnen allen als engagierter Verfechter der Menschenrechte bekannt ist und weil er als früherer Bundesminister der Justiz eine besondere Sachkenntnis und Erfahrung auf dem Gebiete des Menschenrechtsschutzes besitzt. Im übrigen, Herr Kollege, gestatten Sie mir noch eine persönliche Zusatzbemerkung. Sie haben eine völlig hypothetische Frage gestellt, eine irreale Frage. Die Grammatik bezeichnet solche Fragen irrealis plusquamperfecti; das ist die Unwirklichkeit des vollständig abgeschlossenen Vorgangs. Ich vermag, wenn Sie diese kollegiale Bemerkung gestatten, keinen Sinn in Ihrer Frage zu erkennen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Klein ({0}).

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich gestatte Ihnen natürlich fast alles. - Aber können Sie mir nicht zustimmen, daß die rabulistische Art, in der die Antwort der Bundesregierung gegeben worden ist, solche Fragen, wie sie von mir gestellt worden sind, nachgerade provoziert?

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Herr Kollege, ich kann dem nicht zustimmen. Natürlich kann und will ich Sie nicht daran hindern, meine Antworten, die sehr klar waren, als rabulistisch zu bezeichnen. Das ist eine Wertungsfrage; da sind Sie natürlich vollkommen frei. Aber Ihre Freiheit und ihre Aufrichtigkeit garantieren nicht die Richtigkeit Ihres Urteils.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Ihrer Logik und der Logik der Antwort der Bundesregierung folgend frage ich Sie, ob ein Staatsbürger, der sich als Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, aber nicht die Abschaffung derselben fordert, nicht in den Schuldienst oder in den Polizeidienst eingestellt werden müßte.

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Herr Kollege, ich nehme an, Sie haben sich versprochen. Ich kenne in diesem Hause niemanden, der die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlangt; Sie meinten wohl die Abschaffung der Todesstrafe? Ich kann Ihre Frage nicht verstehen. ({0}) - Ich bitte herzlich darum, sie noch einmal zu wiederholen.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, der Logik der Antwort, die Sie jetzt gaben, und der Antwort, die die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD gegeben hat, folgend frage ich Sie: Müßte nicht eigentlich auch jemand, der Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, aber nicht die Abschaffung dieser Grundordnung fordert, dann auch in den öffentlichen Dienst eingestellt werden, was gegenwärtig nicht der Fall ist?

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Nein, ich kann diese Logik nicht mitvollziehen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnten Sie mir zustimmen, wenn ich dem Herrn Kollegen Klein, der ja aus Hessen stammt, empfehlen würde, .. .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Um die Ecke wollen wir hier eigentlich nicht fragen, Herr Reddemann. Sie müssen deutlich fragen.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... seine besondere Aktivität in Sachen Todesstrafe dadurch zu beweisen, daß er dafür sorgt, daß der immer noch vorhandene Passus über die Todesstrafe aus der hessischen Landesverfassung getilgt wird?

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Ich denke, Sie haben recht, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lambinus.

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist es nicht ausgesprochen kontraproduktiv, einen erklärten Anhänger der Todesstrafe in ein internationales Gremium zu entsenden, welches sich die Aufgabe gestellt hat, die weltweite Achtung der Todesstrafe zu erreichen?

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Nein, Herr Kollege, diese Auffassung teile ich aus den Ihnen schon genannten Gründen nicht. Auch habe ich Ihnen etliche demokratische Staaten genannt, die die Todesstrafe beibehalten. ({0}) Im übrigen ist dem, was ich gesagt habe, nichts hinzuzufügen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm ({0}).

Wilfried Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie nach Ihren Darlegungen bereit sein, auf die hessische Landesregierung einzuwirken, den Artikel über die Todesstrafe aus der hessischen Verfassung zu streichen?

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Ich vermute, das werden die Kollegen aus Hessen selber besorgen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, würden Sie mit mir übereinstimmen, wenn ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Lambinus als Veralberung eines fragenden Bundestagsabgeordneten durch einen Vertreter der Bundesregierung bezeichnen würde? ({0})

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Herr Kollege, dem kann ich nicht zustimmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie mir bitte die höhere Weisheit erklären, die darin liegt, daß jemand von der Einstellung in den öffentlichen Dienst ausgeschlossen wird, weil er nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung bejaht, und ein Befürworter der Wiedereinführung der Todesstrafe in einem Gremium vertreten ist, das die Achtung dieser Strafe fordert?

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Frau Kollegin, ich vermag nicht zu erkennen, was an Arroganz in meiner Antwort gesteckt haben soll. Ich habe eine klare Frage so beantwortet, wie es meiner Überzeugung entspricht. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Rose auf: Welche Gründe haben das Auswärtige Amt veranlaßt, den Film „Die weiße Rose" nun doch für die Aufführung in den Goethe-Instituten freizugeben?

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Herr Kollege Rose, nach Auffassung des Auswärtigen Amts stellt der Film „Die weiße Rose" eine künstlerisch eindrucksvolle Würdigung des Münchener Widerstands gegen den Nationalsozialismus dar. Gerade im Jahr der 40. Wiederkehr des Aufstands gegen Hitler vom 20. Juli 1944 ist er geeignet, das Bild Deutschlands und der Deutschen im Ausland historisch richtig darzustellen. Das Auswärtige Amt hatte jedoch zu prüfen, ob wegen der Aussagen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Urteilen des Volksgerichtshofs im Nachspann des Films - ausschließlich darum ging es - Bedenken gegen seine Verwendung im Rahmen unserer auswärtigen Kulturpolitik bestehen. Der Bundesgerichtshof selbst hat jedoch gegen diese Darstellung seiner einschlägigen Rechtsprechung keine rechtlichen Schritte unternommen. Nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände - Sie wissen, verehrter Herr Kollege, daß politische Entscheidungen in hohem Maße das Ergebnis der Abwägung konkurrierender Güter und Gesichtspunkte sind und daß niemand für sein Ergebnis den Anspruch moralischer Überlegenheit erheben kann - hat das Auswärtige Amt dem Goethe-Institut und Inter Nationes mitgeteilt, daß der Film im Rahmen der Kulturarbeit im Ausland gezeigt werden kann. Das Goethe-Institut hat seinerseits auf Wunsch des Auswärtigen Amts seine Bereitschaft erklärt, eine Stellungnahme des Bundesgerichtshofs zum Nachspann bei Filmaufführungen im Ausland zu verbreiten, falls der Bundesgerichtshof dies wünscht. Dem Auswärtigen Amt ist nicht bekannt, ob der Bundesgerichtshof eine solche Absicht hat. Das Auswärtige Amt wäre selbstverständlich bereit, für die Verbreitung einer Gegendarstellung des Bundesgerichtshofs zum Nachspann bei Filmaufführungen in seinem Verantwortungsbereich Sorge zu tragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, geht aus Ihrer Antwort hervor, daß ein politischer Reifeprozeß stattgefunden hat, daß man also im letzten Jahr noch nicht die abgewogenen Erkenntnisse hatte, sondern sie erst in diesem Jahr bekommen hat?

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Ich möchte sagen, daß sich die Frage jetzt neu gestellt hat; und zwar ist sie unter dem Gesichtspunkt, ob der Bundesgerichtshof selber etwas tut, neu überprüft worden. Das Auswärtige Amt ist jedenfalls der Meinung, daß das Anliegen des Bundesgerichtshofs ausreichend beachtet worden ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung von sich aus darauf drängen, daß ein Nachspann des Bundesgerichtshofs bei diesen Sendungen im Ausland möglich ist?

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Da der Bundesgerichtshof selber die interessierte Seite ist, wartet die Bundesregierung ab, wie sich der Bundesgerichtshof hier entscheiden wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist dem Auswärtigen Amt bekannt, daß im Verwaltungsrat des GoetheInstituts diese Frage diskutiert worden ist und daß sich die Mehrheit seiner Mitglieder dafür ausgesprochen hat, daß ein Kunstwerk ein Kunstwerk ist, auch mit einem politischen Nachspann, und daß man das in einem demokratischen Staat zu respektieren hat?

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Herr Kollege, genau deshalb hat das Auswärtige Amt die Entscheidung gefällt, die ich genannt habe.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, denken Sie im Auswärtigen Amt daran, in Zukunft Zensur auszuüben?

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Nein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatsminister, ich bin von der Kollegin darauf aufmerksam gemacht worden, daß Sie den Begriff der Arroganz gegenüber jemandem abgewehrt haben, der ihn gar nicht angewandt hat. Das wollte ich hier gern korrekt darstellen.

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Vielen Dank.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 29 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf: Was ist der Bundesregierung über den derzeitigen Aufenthalt und über den Gesundheitszustand des Ehepaares Sacharow - Bonner bekannt, und hat es seit der letzten Antwort ({1}) der Bundesregierung auf meine dringliche Anfrage Hinweise dafür gegeben, daß die sowjetischen Behörden endlich auf die berechtigten Forderungen Sacharows eingehen werden?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung ist über den derzeitigen Aufenthalt und über den Gesundheitszustand des Ehepaares Sacharow/Bonner nichts Sicheres bekannt. Ebenso liegen noch immer keine Hinweise darauf vor, daß die sowjetischen Behörden auf die Forderungen Andrej Sacharows eingehen werden. Sie kennen, Herr Kollege, die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. Ich selber habe sie vor wenigen Wochen hier aus Anlaß der Verabschiedung einer gemeinsamen Sacharow-Resolution aller Fraktionen des Deutschen Bundestages dargelegt. Auch der Bundesminister des Auswärtigen hat bald danach in einer Fragestunde unseren Standpunkt bekräftigt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es keine authentischen und verläßlichen Lebenszeichen des Ehepaares Bonner/Sacharow gibt und daß auch das Telegramm, von dem in der Presse die Rede war, das er angeblich an seine Angehörigen im Westen geschickt hat, nach Auffassung der Bundesregierung nicht zweifelsfrei als echt angesehen werden kann?

Not found (Gast)

Ja, Herr Kollege. Sie spielen auf die heutige Pressemeldung an, wonach die Familie Sacharows ein Telegramm erhalten hat, das mit den Namen des nach Gorki verbannten Nobelpreisträgers und dessen Frau Jelena Bonner unterzeichnet sei. Sie wissen auch, daß Sacharows Stieftochter, Tatjana Jankelewitsch, der Nachrichtenagentur Reuters erklärt hat, sie habe Zweifel an der Echtheit des Telegrammes. Wir haben keine Veranlassung, an der Berechtigung dieser Zweifel unsererseits zu zweifeln.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung nach der Antwort, die mir auf meine Frage von vor 14 Tagen der Bundesminister Genscher gegeben hat, bereits etwas unternommen oder wird sie noch etwas unternehmen, um der Sowjetunion auch ganz offiziell mitzuteilen, daß das Verhalten der sowjetischen Behörden gegenüber dem Ehepaar Sacharow/Bonner, je länger dieses Verhalten in dieser Weise andauert, zu einer immer schwereren Belastung auch des deutsch-sowjetischen Verhältnisses führen muß?

Not found (Gast)

Ja, Herr Kollege. Entsprechend der Ihnen gegebenen Zusage des Bundesministers des Auswärtigen hat sich die Bundesregierung in Ihrem Sinne bereits bei der Sowjetunion eingesetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, gibt es nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten, François Mitterrand, neue Informationen über den Gesundheitszustand der Familie Sacharow?

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Nein, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 30 des Abgeordneten Würtz auf: Sieht die Bundesregierung in den geschäftlichen Aktivitäten des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Möllemann, einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Ministergesetzes ({0}), und welche Folgerungen zieht sie gegebenenfalls daraus?

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Herr Kollege Würtz, ich darf einleitend darauf hinweisen, daß das Landgericht Bonn auf Antrag von Staatsminister Möllemann gestern durch eine einstweilige Verfügung dem „Spiegel" unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500 000 DM untersagt hat, ({0}) folgende Behauptung aufzustellen, auf rechtzuerhalten und zu verbreiten - ich zitiere -: Der Antragsteller habe sein Amt als Staatsminister und seine privaten Geschäfte miteinander verquickt, und zwar in der Weise, daß er dem ehemaligen Mitgesellschafter der TFK GmbH, Herrn Teves, angeboten habe, ihm lukrative Geschäfte, insbesondere in Saudi-Ara5634 bien, zu vermitteln, falls dieser im Gegenzug bereit sei, die Anteile des Antragstellers bei der TFK GmbH samt der von dem Antragsteller zu tragenden Verluste zu übernehmen; Gewinne aus diesen Geschäften sollten zunächst auf die Verlustanteile des Antragstellers verrechnet und im übrigen geteilt werden. Herr Kollege, ich darf wiederholen: Das Landgericht Bonn hat auf Antrag von Staatsminister Möllemann dem „Spiegel" gestern durch eine einstweilige Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt, die zitierte Behauptung aufzustellen, aufrechtzuerhalten und zu verbreiten. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen Hinweis, nämlich den, daß es gegen ein Gericht in rechtsprechender Funktion keine Einzelweisungen der Exekutive und natürlich auch keinen Eingriff durch die Legislative geben kann. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Nun zu Ihrer Frage. Den ersten Teil beantwortet die Bundesregierung mit der Feststellung, daß Staatsminister Möllemann am 20. Dezember 1982 gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen schriftlich erklärt hat, er habe nach seiner Berufung zum Staatsminister im Auswärtigen Amt mit Wirkung vom 1. Oktober 1982 seine Firmenbeteiligungen aufgegeben. Eine Beantwortung des zweiten Teiles Ihrer Frage entfällt damit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Würtz.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, muß ich Ihre Anwort so verstehen, daß Herr Staatsminister Möllemann alle wirtschaftlichen Betätigungen nach dem 1. Oktober 1982 eingestellt und seine Firmenbeteiligungen aufgegeben hat? Wenn das so ist: Gab es bei der Beurkundung der Anteilsübertragung an die TFK-Verlagsgesellschaft irgendeinen Vorbehalt?

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Herr Staatsminister Möllemann hat erklärt, was er tue, tue er nicht auf eigene Rechnung, sondern nur im Interesse der deutschen Wirtschaft, ohne hieraus persönlich einen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage des Herren Abgeordneten Würtz.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat Herr Staatsminister Möllemann nach dem 1. Oktober 1982 für seinen Partner Teves den Geschäftskontakt zu dem saudischen Scheich Salman Hethlain und dessen Firme „Hazar S. A." in Genf hergestellt; wenn ja: Wie wird diese Handlung bewertet?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann nur auf das hinweisen, was der Kollege Staatsminister Möllemann zu dieser Frage selbst gesagt hat. Anderes habe ich nicht hinzuzufügen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordnten Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, was für eine Auffassung haben Sie dazu, daß ein Abgeordnetenkollege in seiner Anfrage Behauptungen der Zeitschrift „Der Spiegel" derart formuliert, als handele es sich hierbei um Tatsachen?

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Herr Kollege, das in Ihrer Frage steckende Befremden teile ich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein ({0}).

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob sich Ihr Kollege Möllemann gegen die Behauptung des „Spiegels" nicht nur in Form von einstweiligen Verfügungen des Landgerichts Bonn, die ja relativ rasch zu bekommen sind, wehrt, sondern den „Spiegel" auch verklagt; wenn ja: zu welchem Zeitpunkt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich verstehe den Sinn Ihrer Frage nicht. Die Tatsachen sind bekannt. Die Ausführungen des Kollegen Möllemann zu dem, was der „Spiegel" ihm vorwirft, sind bekannt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihren vorherigen Ausführungen zu entnehmen, daß die Behauptungen des „Spiegel" im Gegensatz zu der Verpflichtung des Staatsministers stehen, von seinen wirtschaftlichen Interessen Abstand zu nehmen? Mit anderen Worten: Es kann nur eins von beidem stimmen. Ist dies das, was Sie sagen wollten?

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Herr Kollege, ich sagte schon, Herr Staatsminister Möllemann habe zu diesen Vorwürfen selbst Stellung genommen. Darauf verweise ich erneut. Maßgeblich für die Beurteilung einer Pflichtverletzung ist das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre. Danach dürfen Staatsminister neben ihrem Amt kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und auch nicht den Leitungsgremien eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Ich vermag nicht zu erkennen, auf welchen dieser Tatbestände Ihre Frage zielt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, würden Sie, weil Sie meinem Kollegen Würtz geantwortet haben, Herr Möllemann hätte Ausführungen gemacht über seine Arbeiten oder Nichtarbeiten für seinen Partner mit der Firma „Hazar S.A.", diese Ausführungen wiederholen?

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Frau Kollegin, gestatten Sie einen kleinen Augenblick der Nachprüfung in meinen Unterlagen. Sie werden verstehen, daß ich ein so umfangreiches Dossier nicht auswendig beherrsche. Bitte noch einmal das Stichwort.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschäftsbeziehungen für seinen Partner Teves mit der Firma „Hazar SA." in Genf.

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Frau Kollegin, Staatsminister Möllemann hat erklärt, er habe sich bereits am 1. Oktober 1982 mit allen damaligen Gesellschaftern der TFK GmbH, München, verbindlich geeinigt, daß er mit sofortiger Wirkung aus der Gesellschaft ausscheidet und seine Anteile auf Herrn Teves überträgt. Die Bestätigung des Ausscheidens von Staatsminister Möllemann dokumentiert, wie er erklärt hat, nur die am 1. Oktober 1982 getroffene mündliche Vereinbarung. Die Bundesregierung vermag bei diesem Sachverhalt keine Pflichtverletzung gegen Recht und Gesetz zu erkennen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Herterich.

Günter Herterich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000887, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, welche Angaben Ihr Kollege Möllemann gegenüber dem Bundestagspräsidenten über sein privatwirtschaftliches Engagement gemacht hat und ob diese Angaben den Vorschriften gemäß vollständig und wahr sind? ({0})

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Ich kann Ihnen diese Frage, die eine Tatsachenfrage und an das Präsidium des Deutschen Bundestages zu richten ist, nicht beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Diese Frage muß auch hier im Hause an die richtige Adresse gestellt werden. Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da eine einstweilige Verfügung j a noch nichts darüber aussagt, ob die inkriminierten Erklärungen richtig oder falsch sind, und da Herr Möllemann selbst erklärt hat, er wolle alle gebotenen rechtlichen Mittel anwenden, frage ich Sie, welche anderen rechtlichen Mittel ihm noch zur Verfügung stehen.

Not found (Gast)

Herr Kollege, sehen Sie es bitte nicht als eine Mißachtung der Stellung eines Abgeordneten an, wenn ich Sie bitte, diese Frage an Herrn Möllemann selbst zu richten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 31 des Abgeordneten Dr. Hupka: Welche Möglichkeiten und Gelegenheiten hat die Bundesregierung genutzt, um bei der Sowjetunion, Bulgarien und der Tschechoslowakei gegen die Verletzung der KSZESchlußakte durch die auf Sendungen der Deutschen Welle angesetzten Störsender zu protestieren, und wie lautete die Antwort?

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Die Bundesregierung hat sowohl im multilateralen wie auch im bilateralen Bereich die sich bietenden Möglichkeiten und Gelegenheiten genutzt, um gegen die Störungen von Sendungen nach Osteuropa zu protestieren. Sie hat sich im Rahmen der UNESCO immer wieder für das Prinzip des freien und grenzüberschreitenden Informationsflusses eingesetzt, mit dem Ergebnis, daß dieses Prinzip in der UNESCO-Mediendeklaration von 1978 verankert wurde. Auf der Grundlage dieser Deklaration wurde die Störpraxis des Ostens auf der UNESCO-Generalversammlung am 22. 10. 1982 in Belgrad erneut verurteilt. Die östlichen Rundfunkstörungen stehen auch im Widerspruch zum internationalen Fernmeldevertrag. Zum Abschluß des ersten Teils der internationalen Kurzwellen-Planungskonferenz, die im Januar/Februar dieses Jahres in Genf stattfand, wurde unter aktiver Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland eine Resolution vorbereitet und verabschiedet, die alle Länder zur Vermeidung schädlicher Funkstörungen und damit indirekt auch zur Einstellung des „Jamming" aufruft. Die Beendigung gezielter Rundfunkstörungen stellt eine wichtige Voraussetzung für die Verabschiedung und Anwendung eines internationalen Wellenplans dar. Eine Fortsetzung des „Jamming" würde den erfolgreichen Ausgang des zweiten Teils der Internationalen Kurzwellen-Planungskonferenz gefährden. Dies wurde von der Bundesrepublik Deutschland zusammen mit anderen Delegationen westlicher Staaten der sowjetischen Seite am Rande der Konferenz deutlich gemacht. Wichtigste Berufungsgrundlage bei den Protesten der Bundesregierung gegen Rundfunkstörungen des Ostens sind die Inhalte des Korbs III Unterkapitel „Information" der KSZE-Schlußakte von Helsinki. Sie bestimmen u. a.: Die Teilnehmerstaaten ... setzen sich zum Ziel, die freie und umfassendere Verbreitung von Informationen aller Art zu erleichtern, [die Teilnehmerstaaten] stellen die Ausdehnung bei der Verbreitung von Information durch Rundfunksendungen fest und drücken die Hoffnung auf Fortsetzung dieses Prozesses aus, so daß das dem Interesse an gegenseitiger Verständigung zwischen den Völkern und den von der Konferenz festgelegten Zielen entspricht. Im Rahmen des Madrider KSZE-Folgetreffens hat die Bundesregierung das Thema der Rundfunkstörungen mehrfach angesprochen. Zusammen mit einer Reihe westlicher Partner hat sie am 9. November 1982 offiziell einen Vorschlag eingebracht, demzufolge sich die Teilnehmer in dem abschließenden Dokument verpflichten sollten, den Empfang von gesendeter Information aus jedem anderen Teilnehmerstaat nicht zu stören. Auf Grund des im KSZE-Prozeß geltenden Konsensprinzips führte der Widerstand der östlichen Teilnehmerstaaten zum Scheitern dieses Vorschlags. Die Störungen von Sendungen der Deutschen Welle waren bei bilateralen Konsultationen der Bundesrepublik Deutschland mit Staaten des Warschauer Pakts in den letzten Jahren bis in die jüngste Zeit immer wieder Gegenstand des Meinungsaustausches. Die bisher festgestellte geringe Flexi5636 bilität der östlichen Seite läßt große Hoffnungen auf eine baldige Behebung der Störungen jedoch nicht angebracht erscheinen. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch bei dem bevorstehenden Besuch des tschechoslowakischen Außenministers Chnoupek am 12. und 13. Juli 1984 die Frage der Störungen von Sendungen der Deutschen Welle erneut aufzunehmen. Anläßlich des Besuchs des bulgarischen Außenministers Mladenoff hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen am 11. Mai 1984 die Störungen der bulgarischsprachigen Sendungen der Deutschen Welle angesprochen. Außenminister Mladenoff erwiderte, daß er sich auf Grund des aggressiven und polemischen Charakters der Sendungen - das waren seine Worte - derzeit nicht in der Lage sehe, eine Einstellung der Störungen zu befürworten. Auf eine entsprechende Anregung des Herrn Bundesministers, Beispiele inkriminierter Sendungen zu nennen, sagte Außenminister Mladenoff die Überlassung von Rückübersetzungen solcher Sendungen zu. Die Bundesregierung ist selbstverständlich nicht bereit, sich auf eine Zensur der Sendungen durch Bulgarien einzulassen. Sie sieht jedoch in dem sachbezogenen Dialog mit der bulgarischen Seite beispielsweise eine Chance, die Einstellung der Störungen zu erreichen. Skepsis ist jedoch auch in diesem Falle weiterhin angebracht, um so mehr, als die bulgarischsprachigen Sendungen mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht nur von Bulgarien selbst, sondern auch von der Sowjetunion gestört werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben die Sendungen in die Sowjetunion ausgeklammert, die gestört werden. Wie kommt es, daß die Sendungen der ,,Voice of America" und von BBC in Richtung Tschechoslowakei und in Richtung Bulgarien nicht mehr gestört werden? Ist das vielleicht auf die Proteste und die Intensität der Proteste der beiden Länder Großbritannien und Vereinigte Staaten von Amerika zurückzuführen?

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Ich halte das für durchaus möglich, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie auch noch auf den Teil meiner Frage Auskunft geben, der die Sowjetunion betrifft, da es ja auch Gespräche zwischen dem Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und dem sowjetischen Außenminister gegeben hat, warum die Sendungen in Richtung Sowjetunion der Deutschen Welle und die Sendungen in Pashtu und Dari, die nach Afghanistan gehen, gestört werden, wobei anzunehmen ist, daß die letzteren Sendungen durch die Sowjetunion gestört werden?

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Der Bundesminister des Auswärtigen hat mir gesagt, er habe das Themain seiner Gesamtheit bei seinem letzten Besuch in Moskau angesprochen. Eine Information zu Ihrem speziellen Punkt habe ich nicht bekommen. Ich werde aber dieser Ihrer Frage gerne nachgehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 32 des Abgeordneten Dr. Hupka. Ist der Bundesregierung bekannt, daß bezüglich der Ausreise der Deutschen aus Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße aus der Familienzusammenführung mehr und mehr eine Familienzerreißung geworden ist, indem immer weniger Ausreiseanträge genehmigt werden und immer mehr Besucher sich um die Ausreise der zurückgehaltenen Familienmitglieder bemühen müssen, und was gedenkt sie dagegen zu tun? Ich habe ein bißchen die Hoffnung, daß die Antwort ein bißchen kürzer sein könnte, Herr Dr. Mertes.

Not found (Gast)

Herr Präsident, ich werde das versuchen. Doch möchte ich auch vollständig antworten. Unter Bezugnahme auf die früheren Hinweise und Klarstellungen der Bundesregierung zu Rechts- und Bezeichnungsfragen kann ich Ihnen heute, sehr verehrter Herr Kollege Hupka, sagen: Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Zahl der genehmigten Ausreisen im Wege der Aussiedlung und Familienzusammenführung trotz über 142 000 registrierter offener Ausreisewünsche so abgenommen hat, daß sie mit 265 im Mai 1984 nur noch 25 % der Zahl der Aussiedler aus dem Hoheitsbereich der Volksrepublik Polen betrug, in den fünf Monaten von Januar bis Mai 1984 1 833 gleich 33,5 % und 1983 11 570 gleich 60,5 %. Die entsprechenden Prozentsätze für die im Wege von Besuchs- oder Touristenreisen in das Bundesgebiet gelangten und ohne polnische Genehmigung hier verbliebenen Aussiedler betrugen 75 %, 66,5 %, 39,5 %. Diese sogenannten Illegalen-Fälle führen sehr oft zu Familientrennungen, da die polnischen Behörden für zurückgebliebene Angehörige nur selten Ausreisegenehmigungen in zumutbarer Zeit erteilen. Die polnischen Behörden vertreten die Auffassung, daß ein von ihnen so genanntes illegales Verbleiben im Ausland nicht vorrangig zum Nachzug von Familienangehörigen führen soll. Aus diesem Grunde lehnt auch das polnische Außenministerium die Entgegennahme von diesbezüglichen Interventionsnotizen unserer Botschaft ab. Selbst Ehegatten und minderjährige Kinder sogenannter Illegaler - ausgenommen auf Rot-KreuzEbene relativ schnell lösbare reine Kinderfälle - müssen deshalb derzeit mit einer Wartezeit von zweieinhalb bis drei Jahren rechnen. Die Verringerung der Zahl der Ausreisegenehmigungen für Aussiedler und Störungen des Ausreiseverfahrens auch nach Aufhebung des Kriegsrechts in Polen veranlaßten die Bundesregierung schon im August und Dezember 1983, die polnische Seite - übrigens auch auf Ministerebene - zu ersuchen, entsprechend der Offenhalteklausel im Ausreiseprotokoll vom Oktober 1975 und dem Briefwechsel vom März 1976 die Aussiedlung und Familienzusammenführung nach den Kriterien der InformaStaatsminister Dr. Mertes tion vom Dezember 1970 störungsfrei fortzusetzen und in sogenannten Illegalen-Fällen wohlwollender zu entscheiden. Trotz gewisser Zusagen erfolgte keine Anpassung der Praxis der polnischen Behörden. Sie wurde inzwischen angemahnt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, worauf führen Sie das gegenwärtig so restriktive und inhumane Verhalten der polnischen Regierung zurück, was zur Folge hat, daß Besucher, die hier bleiben - wie Sie es auch ausgedrückt haben -, über drei Jahre lang warten müssen, bis ihre Familienangehörigen, die gewaltsam zurückgehalten worden sind, nachkommen können?

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Herr Kollege, ich mache mir selbst auch meine Gedanken, möchte hier aber keine Spekulationen über die möglichen Motive der polnischen Regierung vortragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Hupka, eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, nachdem Sie bereits von Schritten der Bundesregierung im vorigen Jahr gesprochen haben: Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der Zahlen, die Sie gerade für Mai dargelegt haben, zu tun? Die Mehrzahl derer, die in Friedland registriert werden, sind nicht Aussiedler, sondern Besucher, die hier bleiben, weil sie bisher keine Ausreisegenehmigung erhalten haben.

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Herr Kollege, die Bundesregierung wird bei allen sich bietenden Gelegenheiten, vor allem auch bei hochrangigen Begegnungen, dieses Thema immer wieder als ein vorrangiges Thema der deutsch-polnischen Beziehungen behandeln. Ich möchte mich jetzt aber nicht auf Einzelheiten der Aktionen der Bundesregierung festlegen, sondern noch einmal das eben Gesagte betonnen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es korrekt ist, den Teil Osteuropas mit Hoheitsgebiet der Volksrepublik Polen - so wie Sie es korrekterweise gemacht haben - auf Grund der vertraglichen und der geschichtlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg zu bezeichnen, nicht hingegen korrekt, immer wieder von Ostdeutschland zu sprechen, wie es der Kollege Hupka tut? ({0})

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Herr Kollege, ich möchte den Herrn Präsidenten fragen, ob er meine Meinung teilt, daß diese Frage nicht mehr im Zusammenhang mit der eingereichten Frage steht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Man könnte das aus der Formulierung der Frage entnehmen. Mein Problem ist, daß es eine Dreiecksfrage ist. Die mögen wir nicht so gerne. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es sich bei den Besuchern, die auch ohne offizielle Genehmigung hier bleiben, keineswegs um illegale Aufenthaltsnehmer handelt, sondern daß sie ein Menschenrecht nach Art. 12 eines auch von der Volksrepublik Polen unterschriebenen internationalen Vertrages wahrnehmen, und daß demzufolge die polnischen Behörden nicht berechtigt sind, unter Hinweis auf diese angebliche Illegalität die Anwendung der Schlußakte von Helsinki und der Beschlüsse in dem Schlußdokument von Madrid zu verweigern?

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Herr Kollege, meine Antwort auf Ihre Frage liegt in der Tatsache, daß ich immer von sogenannten Illegalen gesprochen habe. Es kommt aber jetzt darauf an, für diese Menschen und ihre Familien effektiv etwas zu tun, so daß wir auch den Gesichtspunkten des Vertragspartners Rechnung tragen müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wenn ich Ihre Darlegungen richtig verstanden habe, bestehen Rechtsverpflichtungen der Volksrepublik Polen zur Genehmigung von weiteren Ausreisen. Sind Sie nicht der Auffassung, daß man angesichts der Nichteinhaltung der Rechtsverpflichtungen auch ernsthaft prüfen muß, wieweit neue weitgehende Vergünstigungen gewährt werden können, bevor die Rechtsverpflichtungen einigermaßen eingehalten werden?

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Herr Kollege Dr. Czaj a, ich möchte hier das bekräftigen, was von seiten der Bundesregierung immer wieder gesagt worden ist: die wirtschaftlichen Beziehungen zur Volksrepublik Polen und zu anderen Staaten des Warschauer Paktes sind ein wichtiges Thema; aber die Bundesregierung bringt sie nicht in einen direkten Bedingungszusammenhang mit dem Themenbereich, mit dem wir uns jetzt befassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, könnten Sie uns die rechtliche Verpflichtung nennen, die die polnische Regierung gegenüber der Bundesrepublik in der Frage der Familienzusammenführung eingegangen ist und die heute verletzt wird?

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Herr Kollege, ich habe die drei entscheidenden Texte soeben genannt. Es ist erstens die Information - das ist die offizielle Bezeichnung dieses Textes - vom Dezember 1970, dann die Offenhalteklausel im Ausreiseprotokoll vom Oktober 1975, um die in diesem Hohen Hause sehr gerungen worden ist, dann der Briefwechsel vom März 1976, in dem die Bundesregierung ihre Erwartungen klar zum Ausdruck gebracht hat, und zwar nach Absprache mit der polnischen Regierung. In diesen drei Texten sehe ich die Verpflichtungen; ganz abgesehen von den Verpflichtungen, die sich aus den allgemeinen Texten der internationalen Menschenrechtspakte ergeben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatsminister, nach meinem Eindruck war die Frage, ob die verletzt worden sind. Wenn Sie jetzt die drei aufgezählt haben, haben Sie damit zum Ausdruck bringen wollen, daß die drei verletzt worden sind? Ich erlaube mir, hier einzugreifen, weil es sonst ein erhebliches Mißverständnis werden könnte.

Not found (Gast)

Die Bundesregierung ist der Auffassung, Herr Präsident, daß das polnische Verhalten diesen Texten nicht entspricht; deshalb habe ich sie eingangs genannt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung. Zur Frage 64 der Abgeordneten Frau Dr. MartinyGlotz ist schriftliche Beantwortung erbeten worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dann kommen wir zur Frage 65 der Abgeordneten Frau Blunck: Wann und in welcher Weise haben die zuständigen französischen Stellen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zugesichert, daß französische Behörden keine Bescheinigungen mehr ausstellen werden, die ein Verbringen von Meeresschildkröten und -produkten, die vor dem 1. Januar 1984 in andere EG-Staaten gelangt oder vor dem 1. Januar 1984 innerhalb des EG-Gebietes der Natur entnommen worden sind, in die Bundesrepublik Deutschland ermöglichen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin Blunck, der Leiter der französischen WA-Durchführungsbehörde hat dem zuständigen Beamten meines Ministeriums am 15. Januar 1984 zugesagt, daß keine der - nach EG-Recht vorgeschriebenen - Bescheinigungen für die Verbringung von Meeresschildkröten-Exemplaren mit Herkunft aus Réunion in die Bundesrepublik Deutschland zu kommerziellen Zwecken ausgestellt wurden und werden. Diese Zusage hat er mit Fernschreiben vom 21. März 1984 bestätigt. Am 25. Juni 1984 ist dem zuständigen Beamten meines Hauses noch einmal zugesichert worden, daß auch bis heute keine derartigen Bescheinigungen von einer französischen Behörde ausgestellt worden sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Erklärung hat die Bundesregierung dann dafür, daß trotz der französischen Zusicherung, keine Bescheinigung mehr auszustellen, weiterhin gerade aus Frankreich mehrere Schildkrötenprodukte in die Bundesrepublik importiert werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, wir als Regierung müssen uns an das halten, was die Regierung in Frankreich uns bestätigt. Wenn illegal Produkte zu uns hereinkommen, liegt es außerhalb unserer Möglichkeiten, Ihre Frage nach den Tatsachen hier entsprechend zu behandeln.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe jetzt die Frage: Machen Sie dann die Augen vor den Produkten zu, die aus Frankreich herüberkommen und sich hier in der Bundesrepublik befinden, und sagen Sie dann, wir haben - völlig egal, was hier gehandelt wird und wie es hereinkommt - keine offizielle Bestätigung dafür, und deswegen interessiert uns das nicht, oder wie darf ich Ihre Antwort eigentlich verstehen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Sie dürfen sie so verstehen, daß, weil keine Bescheinigungen ausgestellt worden sind, auf dem rechtmäßigen Weg nichts hereingekommen ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß angesichts der Tatsache, daß solche Produkte nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus Italien und den Niederlanden seit dem 1. Januar 1984 eingeführt worden sind, die Bundesregierung dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages nicht ausreichend nachgekommen ist, sich bei der EG-Kommission dafür einzusetzen, daß ab 1. Januar 1984 auch kein anderer EG-Mitgliedstaat mehr Einfuhrgenehmigungen für Meeresschildkröten und daraus gewonnene Produkte zu kommerziellen Zwecken erteilt?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, die Bundesregierung ist nicht dieser Auffassung. Wir sind der Auffassung, daß das, was im Rahmen der EG beschlossen worden ist, de facto einen Einfuhrstopp darstellt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 66 der Abgeordneten Frau Blunck auf: Welche Informationen hat die Bundesregierung über die auf der französischen Karibik-Insel La Réunion bestehende wilde Ranch für Meeresschildkröten, und ist ihr bekannt, daß von dort wöchentlich ein Großraum-Jet mit Meeresschildkrötenprodukten in Frankreich eintrifft?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Der Bundesregierung ist die Existenz einer Schildkrötenranch in dem französischen überseeischen Departement Réunion bekannt. Über die Menge der von dort regelmäßig in das französische Hauptland verbrachten Meeresschildkröten liegen der Bundesregierung derzeit keine Informationen vor. Ich weise jedoch darauf hin, daß eine legale Verbringung solcher Exemplare in die Bundesrepublik Deutschland nicht möglich ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung diese Informationen, die ihr ja jetzt offensichtlich noch fehlen, besorgen, weil es ja eine Tatsache ist, daß die Produkte hier bei uns gehandelt werden? Meiner Ansicht nach können Sie auf Grund der Tatsache, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen einstimmigen Beschluß gefaßt hat, darüber nicht so einfach hinwegsehen.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, daß wir über nichts hinwegsehen, beweist die Tatsache, daß wir mit Frankreich, zuletzt am 25. Juni, in Kontakt getreten sind, um diese Dinge abzuklären.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, was gedenken Sie dagegen zu tun, daß diese Produkte, die auf dieser wilden Ranch gezogen worden sind, hier in der Bundesrepublik verkauft werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich habe Ihnen geantwortet, daß uns Derartiges nicht bekannt ist, daß uns keine derartigen Informationen vorliegen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Dr. Hartenstein zu einer Zusatzfrage.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, welches die Ergebnisse dieser von Ihnen genannten Kontakte vom 25. Juni 1984 waren, und zwar auch im Hinblick auf die Verantwortung der Bundesrepublik für die Einhaltung des Washingtoner Artenschutzabkommens zum Schutz von gefährdeten Arten?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich habe bereits gesagt, daß Frankreich keine Bescheinigungen ausgestellt hat, weder in bezug auf Meeresschildkröten noch in bezug auf Produkte, und folglich können auf diesem Wege legal keine Erzeugnisse hereingekommen sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Ehmke ({0}) zu einer Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, festzustellen, woher die Schildkrötensuppen aus französischer Produktion stammen, die in den Geschäften seit Januar 1984 von jedermann käuflich zu erwerben sind?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wir können uns lediglich auf das beziehen, was uns bei Rückfragen die französische Regierung mitteilt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.

Christa Reetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte fragen: Haben die Zöllner z. B. in Kehl Anweisung, solche Sendungen, wenn sie kommen, zu beschlagnahmen, und was würden Sie tun, wenn wir Ihnen hier eine ganze Handtasche voll dieser Dosen auf den Tisch stellen würden?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich hoffe, beschlagnahmen. ({0})

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Die Zöllner haben Anweisung und sind informiert. Auf der anderen Seite ist aber klar, daß die Tatsache hier nicht verschwiegen werden kann daß Schildkrötensuppen auch aus deutschen Beständen noch hergestellt und gehandelt worden sind, bis die große deutsche Suppenherstellerfirma erklärt hat, sie werde das nicht mehr tun. Schildkrötenfleisch konnte über Jahre hinweg tiefgefroren eingelagert werden. Ich habe vor diesem Hohen Hause schon einmal erklärt, von welchem Zeitpunkt an praktisch kein Fleisch mehr eingeführt worden ist. Aber daß natürlich Bestände vorhanden waren, kann nicht geleugnet werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 67 des Abgeordneten Dr. Weng: Welche Vorkehrungen beabsichtigt die Bundesregierung zu treffen, um bei dem geplanten Wegfall der Grenzkontrollen zu den EG-Nachbarstaaten - namentlich zu Frankreich - dafür Sorge zu tragen, daß der Importstop für Meeresschildkröten und -produkte auch wirksam eingehalten wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Weng, der Wegfall von Grenzkontrollen ist - zumindest vorerst - nur für den Personenverkehr der Bundesrepublik Deutschland mit den unmittelbar benachbarten EG-Staaten angekündigt worden. Das Washingtoner Artenschutzübereinkommen und die Durchführungsvorschriften konzentrieren sich jedoch auf Verbote des kommerziellen Handels mit vom Aussterben bedrohten Arten, auf strenge Einfuhrvorschriften für den Handel mit geschützten Arten sowie auf die Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs. In diesem Bereich würde sich also nichts ändern. Selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt Erleichterungen auch für den Warenverkehr an den Grenzübergangsstellen mit anderen Gemeinschaftsländern eingeführt werden sollen, so wird dadurch eine Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs nicht entfallen, sondern allenfalls von den Grenzübergangsstellen an die Zollstellen im Land verlagert. Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß nach den EG-Vorschriften selbst, und zwar gemäß Art. 29 der EG-Verordnung Nr. 3418 der Kommis5640 sion, beim innergemeinschaftlichen Transport - gleichgültig zu welchem Zweck - in jedem Fall eine Bescheinigung über den rechtmäßigen Erwerb vorzulegen ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die augenblicklichen Vorkehrungen als genügend angesehen werden können, wenn die Praxis doch zeigt, daß ein verhältnismäßig schwunghafter illegaler Handel mit solchen Produkten stattfindet. Meinen Sie nicht, daß ein tatsächliches Handelsverbot besser geeignet wäre, der Beschlußlage dieses Parlaments gerecht zu werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wenn Sie hier die Aussage machen, daß ein schwunghafter illegaler Handel stattfindet, dann bitte ich, uns auch darauf hinzuweisen, Namen zu nennen, Daten zu nennen, damit den Gerichten dann diese illegalen Tätigkeiten vorgeführt werden können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung in jedem ihr vorgelegten Fall eine Strafverfolgung veranlassen würde?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Natürlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage von Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei den von ihr immer wieder beteuerten strengen Grenzkontrollen auch schon einmal die Qualität der Bescheinigungen dahin ge- prüft, ob es sich nicht um Falsifikate handelt?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Falls solche ausgestellt würden, wäre das reiner Betrug. ({0}) - Entschuldigen Sie! Ich glaube, wir alle haben schon davon gehört, daß selbst Falschgeld hergestellt wird, das nicht ohne weiteres erkannt wird. Ich hoffe nicht, daß wir schon derartige Praktiken im Verkehr zwischen den Ländern haben, insbesondere zwischen befreundeten Staaten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir erläutern, was die Bundesregierung konkret unternommen hat seit November 1983, um dem Petitum dieses Parlaments nachzukommen, daß „auf eine Verschärfung der Kontrollen durch die Zollbehörden" hingewirkt werden solle, um eine Umgehung des Washingtoner-Artenschutzübereinkommens zu verhindern? Habe ich mich richtig verständlich gemacht dahin gehend, daß mir daran liegt, daß die Bundesregierung die Beschlüsse dieses Parlaments ernst zu nehmen und umzusetzen hat?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dieser Frage und der, die ich eben zu beantworten hatte. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie dürfen für die Bundesregierung antworten, wie Sie wollen. Wir kommen zur Frage 68 des Abgeordneten Dr. Weng: Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der Gesamtnovellierung des Artenschutzgesetzes die illegale Einfuhr von Tieren und Pflanzen der weltweit vom Aussterben bedrohten Arten unter Strafandrohung zu stellen, und wann ist mit dieser Novellierung zu rechnen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird in seinem Entwurf zur Gesamtnovellierung des Bundesnaturschutzrechts vorschlagen, daß künftig schwere Verstöße gegen die Vorschriften zur Durchführung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens als Straftaten geahndet werden. Der BML bemüht sich, den Entwurf der Bundesregierung in der von den Gesetzgebungsorganen des Bundes genannten Frist, also bis zum 30. September 1984, vorzulegen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für genügend, hier nur bei schweren Verstößen eine Strafandrohung vorzusehen, die empfindlich genug ist, damit der Verkehr tatsächlich unterlassen wird, oder meinen Sie nicht, daß auch leichteren Verstößen in einem solchen Fall mit einer entsprechenden Strafandrohung begegnet werden müßte?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich bin der Meinung, daß eine abgestufte Strafandrohung notwendig sein wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß dem Abkommen besser Rechnung getragen wird, wenn es auch auf den Handel ausgedehnt wird und wenn nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Produkte aus diesen Tieren und Pflanzen von ihm erfaßt werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Diese Frage ist zu prüfen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage von Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie etwas über das Strafmaß sagen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, Sie werden das erfahren, wenn der Gesetzentwurf vorliegt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, wir Vizepräsident Westphal haben noch vier Fragen zum selben Thema, den Meereschildkröten.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Präsident, Sie sehen, wie ich mich bemühe, kurz zu antworten. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das gestehe ich Ihnen gerne zu. Ich sah nur den Pegel Ihrer Erregtheit steigen und wollte ihn unter Wasser drücken. Herr Staatssekretär, jetzt ist die Frage 69 von Frau Dr. Hartenstein aufgerufen: Warum hat die Bundesregierung bis heute nichts unternommen, um den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 10. November 1983, der eindeutig einen Importstopp für Meeresschildkrötenprodukte zum Ziel hatte, umzusetzen? ({0})

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin Hartenstein, die Bundesregierung verweist hinsichtlich dieser Frage auf ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN vom 16. Januar 1984. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß auch mit einem speziellen Importstopp für Meeresschildkröten und -produkte kein wirksamerer Schutz als der nach der seit dem 1. Januar dieses Jahres bestehenden Rechtslage hätte erreicht werden können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es wird von seiten der Bundesregierung immer wieder gesagt, daß Art. 15 der EG-Verordnung einen nationalen Importstopp nicht zulasse. Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Aussage unter Juristen durchaus strittig ist, und ist die Bundesregierung bereit, auf dem Hintergrund der tatsächlich bestehenden Sachlage ein Gutachten von neutralen Sachverständigen anfertigen zu lassen, um diese Frage zu klären, zumal sich dies ja nicht nur auf den Handel und die Einfuhr von Meeresschildkröten, sondern auch auf den Handel mit anderen gefährdeten Arten bezieht?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich die Gegenfrage stellen: Was ist unter Juristen nicht strittig? Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, wo werden wir prüfen, ob wir Ihrem Wunsche entsprechen können, ein Gutachten in dem von Ihnen angesprochenen Sinne erstellen zu lassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage von Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf Sie, auch wenn Sie das als überflüssig erachten sollten, daran erinnern, daß die Bundesregierung unter Punkt 3 des Beschlusses dieses Hauses vom November 1983 aufgefordert worden ist, sich für den Fall, daß kein gemeinschaftliches Einfuhrverbot ergeht oder aber Art. 15 der EG-Verordnung eben nicht ausreicht, um ein reales Einfuhrverbot sicherzustellen, auf EG-Ebene dafür einzusetzen, daß eben dieser Art. 15 geändert wird, um ein nationales Einfuhrverbot zulässig zu machen. Was ist in dieser Richtung von seiten der Bundesregierung seither geschehen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, hier sind die Rechte auf die EG übergegangen. Deshalb mußten wir damals das Gesetz sehr schnell ändern, und zwar zum 1. Januar 1984, und jetzt ändern wir noch das Artenschutzkapitel im Naturschutzrecht. Ich glaube, wir können schon jetzt sagen, daß wir alles getan haben, um in der Bundesrepublik Deutschland de facto einen Einfuhrstopp zu haben, auch wenn dauernd so getan wird, als ob das nicht wahr sei. Was die Strittigkeit der von Ihnen angesprochenen Aussage betrifft, so werden wir die Frage prüfen - ich habe das schon zugesagt -, ob wir hier noch ein Gutachten zu erstellen haben oder nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe noch eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wieso sich Ihre Meinung, die Sie im Ausschuß im Oktober vergangenen Jahres vertreten haben, gegenüber der, die Sie jetzt in Ihrer Antwort auf die Frage von Frau Dr. Hartenstein wiedergegeben haben, so geändert hat? Denn im Ausschuß haben Sie als Vertreter der Bundesregierung sehr wohl gesagt, daß Sie die Möglichkeiten eines nationalen Verbots, eines nationalen Importstopps dahin gehend prüfen wollten, auf die EG in diesem Sinne einzuwirken. Die Diskrepanz zwischen Ihrer damaligen und Ihrer jetzigen Meinung möchte ich bitte als Ausschußmitglied jetzt einmal von Ihnen erklärt haben. ({0})

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, die Antwort bekommen Sie. Ein Staatssekretär vertritt eine politische Auffassung in einem Ausschuß. Ich bin nun kein Jurist. Unser Haus hat Juristen, und auf der anderen Seite stehen Juristen, die andere Auffassungen zu diesem Gesamtkomplex haben. Unsere Juristen sind nach reiflicher Überlegung und Prüfung zu der Auffassung gelangt, die ich Ihnen hier vorgetragen habe. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 70 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf: Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß trotz der immer wieder beteuerten Einhaltung des Einfuhrverbotes nach wie vor Meeresschildkröten und -produkte in die Bundesrepublik Deutschland gelangen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, die Bundesregierung verweist auf die Antwort, die sie auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN in der Bundestagsdrucksache 10/904 vom 16. Januar 1984 gegeben hat. Danach sind seit dem 1. Januar 1984 keinerlei Meeresschildkröten oder -produkte zu kommerziellen Zwecken legal in die Bundesrepublik Deutschland gelangt. An diesem Sachstand hat sich bis heute, bis zum 25. Juni 1984, nichts geändert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Her Staatssekretär, wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, daß es nicht nur Vertretern von Tierschutzverbänden, internationalen Korrespondenten, Fernsehredakteuren usw., sondern auch ganz normalen Bürgern, die in Geschäften einkaufen, seither mehrfach passiert ist, daß sie Waren wie beispielsweise Handtaschen aus Schildkrötenleder, Schildkrötenöl, vor allen Dingen aber Schildkrötensuppen angeboten bekommen, übrigens mit Datumsstempel, womit wir den klaren Beweis haben, daß diese Waren importiert und übrigens hier auch legal verkauft werden können und daß die Bundesregierung ganz offensichtlich seit dem Datum der Beantwortung der Kleinen Anfrage der GRÜNEN keine Veranlassung gesehen hat, sich über den wahren Sachverhalt zu informieren? ({0})

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich habe hier schon die Tatsache der Altbestände deutlich gemacht. Aber wenn Sie mir einen Laden nennen, wo entgegen der Aussage, die ich hier gemacht habe, daß bis zum Datum des 25. Juni 1984 nichts legal über die Grenze gekommen ist, so etwas geschehen ist, schicke ich einen Beamten und lasse das beschlagnahmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würde ich Ihrem Verlangen Genüge tun, wenn ich in der nächsten Fragestunde die entsprechende Menge von Dosen aus dem nächsten Supermarkt hier präsentiere?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Nein. Sie müssen uns Roß und Reiter nennen, und es dürfen keine Altbestände sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre nun wiederholt geäußerte Meinung, daß es keine illegale Einfuhr gibt, dahin gehend verstehen, daß, wenn ein Staatssekretär die Augen davor verschließt, daß solche Produkte hier in der Bundesrepublik vorhanden sind, diese auch nicht vorhanden sein können?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich habe hier mehrmals bei den verschiedenen Fragen erklärt, daß nach unseren Recherchen über die Grenzzollstellen bis zum 25. Juni 1984 keine legalen Einfuhren getätigt worden sind, und ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Ehmke ({0}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß seit dem 1. Januar 1984 keine legalen Importe mehr erfolgen, und Sie baten uns, Roß und Reiter zu nennen. Deshalb meine Frage: Wie erklären Sie sich, daß im Januar 1984 ein größerer Posten von italienischen Handtaschen aus Schildkrötenleder in die Bundesrepublik importiert und von der Firma Kaufhof zum Kauf angeboten wurde? Sind Sie bereit, dieser Sache nachzugehen und mir das Ergebnis Ihrer Untersuchung mitzuteilen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich bin bereit, der Sache nachzugehen. Sie sagen: Nach dem 1. Januar 1984 ist vom Kaufhof eine größere Menge von Handtaschen aus Italien aus Schildkrötenleder eingeführt worden. Sie kriegen Bescheid; wir werden der Sache nachgehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) ist zurückgezogen worden. Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({1}) auf: Wann und in welcher Weise wurden die Zollstellen angewiesen, beim innergemeinschaftlichen grenzüberschreitenden Verkehr hinsichtlich des Verbringens von Meeresschildkröten und -produkten strenge Kontrollen durchzuführen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Ehmke, den Zollstellen ist bekannt, daß alle Meeresschildkröten in Anhang 1 des Washingtoner Artenschutzübereinkommens aufgeführt sind. Die Zollstellen sind eingehend über die artenschutzrechlichen Vorschriften und insbesondere die Besonderheiten bei den Meeresschildkröten unterrichtet. Sie sind zu den Zollvorschriften - Verbote und Beschränkungen - vom 1. Januar 1984, ergänzend mit Erlaß vom Bundesfinanzminister vom 18. Januar 1984 angewiesen worden, sich umgehend mit den zuständigen Bundesämtern in Verbindung zu setzen, falls im innergemeinschaftlichen Warenverkehr z. B. Meeresschildkröten oder daraus gewonnene Produkte, die mit einer Vorerwerbs- oder Zuchtbescheinigung versehen sind, in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden sollen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie mir konkrete statistische Angaben machen oder vielleicht auch nachreichen, die belegen, in wie vielen Fällen Schildkröten oder Schildkrötenprodukte von den Zolldienststellen an den Grenzen festgestellt, konfisziert oder durchgelassen worden sind?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Jawohl, das bekommen Sie schriftlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Vizepräsident Westphal Dann kommt die letzte Zusatzfrage von Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte die Frage beantworten, welche Ausbildung oder zusätzliche Weisung die Zollbeamten bekommen, um diese Bescheinigungen daraufhin zu überprüfen, ob sie echt sind, ob sie falsch sind, ob das überhaupt legal ist?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich bin da überfragt, denn das betrifft ja nicht nur solche Bescheinigungen wie in diesem Fall, sondern Bescheinigungen insgesamt, bis hin zu Falschgeld. Ich nehme an, daß wir hier in der Verwaltung nicht schlechter sind als in allen übrigen Ländern der Welt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, ich bewundere Ihre Leistung, aber die letzte Frage hätte ich lieber beantwortet gesehen, denn ich fürchte, beim nächsten Mal wird der Finanzminister, der für den Zoll zuständig ist, wegen der Meeresschildkröten befragt. Frage 73 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 74 des Abgeordneten Verheugen auf: Welche ökologischen Auswirkungen ({0}) erwartet die Bundesregierung im bayerischen Grenzland auf Grund der Verringerung der Milchproduktion?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Verheugen, die Garantiemengenregelung führt im Durchschnitt zu einer Verringerung der Milchproduktion von 7,6 % gegenüber 1983 in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Produktionsrückführung wird keine Betriebsstillegungen zur Folge haben, zumal die Kürzungssätze auch nach der Gesamtanlieferung gestaffelt sind und kleinen Betrieben, wie sie vor allem auch im bayerischen Grenzland vorkommen, der Ausgleich für kleine Milcherzeuger gewährt wird. Auf Betriebsstillegung beruhende ökologische Auswirkungen der Garantiemengenregelung sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwarten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das bedeutet also, Herr Staatssekretär, daß Aussagen, wie sie beispielsweise der oberfränkische Bauernverband getroffen hat, daß auf Grund dieser neuen Regelungen mit etwa tausend Betriebsstillegungen zu rechnen ist, falsch sind?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, mir sind diese Aussagen nicht bekannt, aber ich nehme sie sehr ernst, wenn Sie sie hier vortragen. Ich werde mit dem oberfränkischen Bauernverband in Kontakt treten, inwieweit die Zahlen, die er in der Presse dargelegt hat, realistisch sind. Man darf nicht vergessen, daß die Diskussion über diese Fragen in den letzten Wochen sehr hektisch gewesen ist, zumal bezüglich der Härteregelungen ja noch nicht alles unter Dach und Fach ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage? ({0}) Aber Frau Abgeordnete Blunck hat eine Zusatzfrage.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie ist Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Verheugen dahin gehend zu verstehen, daß es eine Mitteilung aus dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gibt, die 14 Tage alt ist, in der Bundesminister Kiechle davon ausgeht, daß Betriebsstillegungen erfolgt sind? Wie erklären Sie sich den Unterschied?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich bin von Herrn Verheugen in dem Zusammenhang nach konkreten Auswirkungen der Verringerung der Milchproduktion im bayerischen Grenzland gefragt worden. Diesbezüglich sind wir global der Auffassung - das habe ich hier gesagt -, daß grundsätzlich keine Betriebsstillegungen stattzufinden brauchen. Daß aber in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt jährlich ungefähr 2 % bis 2,5 % Betriebsstillegungen stattfinden, das ist eine Tatsache, die sich auf Grund des Generationenwechsels ergibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß das gestern beschlossene Gesetz, das 5 % mehr Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft vorsieht, die Frage von Herrn Verheugen unnötig macht und daß es sehr gut wäre, wenn die SPD einem solchen Gesetz zugestimmt hätte?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich kann keine Fraktion hier im Deutschen Bundestag dazu verpflichten - das kann keiner von uns - so oder anders zu stimmen, aber ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß diese 5 % Mehrwertsteuer einkommensmäßig die Gesamtsituation wiederherstellt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage von Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, wie viele landwirtschaftliche Betriebe die Aufgabe der Milchproduktion bzw. -stillegungen bereits angemeldet und Antrag auf Bezug der Milchrente gestellt haben und wie sich diese Anmeldungen auf die verschiedenen Gebiete verteilen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, Sie werden verstehen, daß das eine ganz andere Frage ist, die Sie jetzt stellen. Ich bin gerne bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen. Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann sind es ungefähr 21 000 Fälle und ungefähr 1 Million Tonnen Milch, die angemeldet worden sind. Aber wie sich das auf die einzelnen Gebiete der Bundesrepublik Deutschland verteilt, bekommen Sie im einzelnen noch mitgeteilt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Verheugen auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der Forstwirtschaft in den vom Waldsterben besonders betroffenen Gebieten Ostbayerns ({0})?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Lage der Forstwirtschaft im ostbayerischen Raum ist unabhängig von den Waldschäden u. a. geprägt durch die Grenzlage, die Ferne großer Absatzmärkte und eine besondere Forstschutzsituation infolge wiederholt auftretender Schneebruchschäden sowie eine erhöhte Borkenkäferdisposition. Der ostbayerische Raum ist Hauptgebiet der Schneebruchschäden der vergangenen Jahre. Infolgedessen war der Holzmarkt überaus angespannt. Aufgearbeitete Schwachhölzer konnten nur äußerst schleppend abgesetzt werden. Inzwischen hat sich der Absatz von Stammholz verbessert. Hierzu hat u. a. der Rückgang der Zufuhren aus der CSSR und der DDR im ersten Vierteljahr 1984 dank der von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen beigetragen. Wegen der diesjährigen Witterungslage blieben hohe marktgefährdende Schadholzmengen infolge Borkenkäferbefalls noch aus. Es bleibt jedoch die Tatsache, daß in Ostbayern der Anfall an Kalamitätsholz auf Grund der neuartigen Waldschäden erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegen dürfte. In diesem Jahr wird erwartet, daß dieser Mehranfall durch Einschränkungen beim normalen Holzeinschlag ausgeglichen werden kann. Wie sich die Waldschäden weiter entwickeln werden, läßt sich kaum abschätzen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Waldschäden auf die Forstbetriebe sind im Augenblick regional nicht zu quantifizieren, wenn auch grobe Schätzungen für das ganze Bundesgebiet vorliegen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat die Bundesregierung Gespräche mit der Regierung der Tschechoslowakei geführt mit dem Ziel, die aus der Tschechoslowakei in den bayerischen Grenzraum verbrachten Holzmengen zu reduzieren?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ja. Ich darf Ihnen nur zwei Zahlen nennen. Der Import an Rohholz, insbesondere Stammholz, aus der CSSR im ersten Quartal 1984 betrug 77 000 Kubikmeter gegenüber 128 000 Kubikmeter im ersten Quartal 1983. Mit der DDR haben wir die gleichen Gespräche geführt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfragen? - Nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 76 des Abgeordneten Stiegler auf: Wie haben sich die Waldschäden in Ostbayern ({0}) in den letzten fünf Jahren entwickelt, und welchen Trend erwartet ({1}) die Bundesregierung für die nächsten Monate und Jahre?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Stiegler, für den genannten Raum wie auch für das gesamte Bundesgebiet liegen aussagefähige Erhebungen der neuartigen Waldschäden nur für 1982 und 1983 vor. Die erste auf Initiative des Bundeslandwirtschaftsministeriums durchgeführte Erhebung im Jahre 1982 ergab, daß in Ostbayern etwa 20 bis 30 % der Waldflächen geschädigt waren. Die Erhebung 1983 brachte erheblich höhere Schadflächenanteile, und zwar im Bereich Frankenwald, Fichtelgebirge und Steinwald mit 77 %, im Oberpfälzer Wald mit 41 %, im Bayerischen Wald mit 52 %. Bei der Bewertung der Zunahme der Schadflächen ist zu berücksichtigen, daß 1983 ein verbessertes Erhebungsverfahren zum Einsatz kam und auch der trockene Sommer die Schadensentwicklung ungünstig beeinflußt hat. Dennoch bleibt festzustellen, daß die Schäden in Ostbayern innerhalb eines Jahres sehr erheblich zugenommen haben. Gesicherte Aussagen über die weitere Waldschadensentwicklung können gegenwärtig noch nicht getroffen werden. Die für den Herbst 1984 vom BML geplante dritte Waldschadenserhebung wird näheren Aufschluß geben. Nach den bisher vorliegenden Informationen ist zu befürchten, daß in den Hochlagen Ostbayerns oberhalb von 800 m die Schäden weiterhin zunehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben die ganze Zeit von „neuartigen Waldschäden" gesprochen. Ich möchte einmal wissen, was daran neuartig ist, warum Sie plötzlich zu dem Sprachgebrauch „neuartige Waldschäden" kommen.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, Sie können „neuartige Waldschäden" oder „Waldsterben" sagen; das ist das gleiche. Fachlich gesehen benutzen wir den Ausdruck „neuartige Waldschäden" deshalb, weil noch nicht alle Gründe für das - wenn Sie so wollen - Waldsterben aufgeklärt sind. Die Bundesregierung und die Bundesländer haben insgesamt 50 Millionen DM in der Zwischenzeit bereitgestellt, um die Forschung voranzutreiben, damit über das - wenn Sie so wollen - Waldsterben endgültige Klarheit geschaffen wird. Dann können wir den Begriff ändern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es liegen verschiedene Gesetzentwürfe zur Novellierung des Forstschadensausgleichsgesetzes Dr. Ehmke ({0}) vor. Mir ist aufgefallen, daß im Gesetzentwurf des Bundesrats der Begriff „immissionsgeschädigte Wälder" verwendet wird. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird aber plötzlich von Schäden unbekannter Ursache gesprochen. Können Sie mir einen vernünftigen Grund für diese Umformulierung nennen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

In der Sache bleibt das dasselbe. „Immissionsgeschädigt" auf jeden Fall, da sind wir uns einig. Die Begriffe „neuartige Waldschäden", „Waldsterben" und „immissionsgeschädigt" treffen alle denselben Tatbestand, über den wir noch nicht hundertprozentig Bescheid wissen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die Frage 99 des Abgeordneten Dr. Lammert ist zurückgezogen. Ich danke Herrn Staatssekretär Gallus für die Beantwortung der Fragen und den anderen Staatssekretären für die Anwesenheit, die nicht genutzt werden konnte. Ich rufe Punkt 29 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stifung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" - Drucksache 10/1369 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) - Drucksache 10/1603 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Schmidt ({1}) Werner b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/1605 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Dr. Diederich ({3}) Verheyen ({4}) ({5}) Zu diesem Punkt der Tagesordnung liegen Ihnen ein Entschließungsantrag auf der Drucksache 10/1665 und zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/1687 und 10/1688 vor. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für die Aussprache eine Runde vereinbart. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Männle.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vor Eintritt in meine Rede im Auftrag des Berichterstatters Werner kurz sagen, daß sich in der Drucksache 10/1603 ein kleiner Druckfehler eingeschlichen hat. Auf der Seite 9, linke Spalte, zweitletzter Abschnitt, letzte Zeile, fehlt das Wörtchen „nicht". Es muß heißen: ... zur Errichtung der Stiftung nicht schon jetzt zu tun. Dies wollte ich berichtigen. Meine Damen und Herren, die Diskussion um die Errichtung einer Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" kann nicht losgelöst von einer allgemeinen Beurteilung des § 218 des Strafgesetzbuches gesehen werden. Von der jeweiligen grundsätzlichen Position zur Abtreibung hängt es ab, ob die Errichtung dieser Stiftung befürwortet oder abgelehnt wird. Wie es unsere Verfassung bestimmt und im Urteil aus dem Jahre 1975 ausdrücklich festgehalten ist, genießt grundsätzlich der Lebensschutz der Leibesfrucht für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Wer abtreibt, handelt unrecht. Unser Grundgesetz gebietet diese rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruches. Es gebietet aber auch umfassende Maßnahmen für das ungeborene Leben, in denen sich der Staat schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen hat. Die vom Gesetz seit 1976 zugelassene Straffreiheit in begrenztem Maße und die von der Krankenkasse vorgenommene Finanzierung mögen manche Kreise dazu verführen, anzunehmen, beim Schwangerschaftsabbruch handle es sich um den gleichen sozialen Vorgang wie etwa den Gang zum Arzt zwecks Heilung einer Krankheit oder gar um eine rechtlich irrelevante Alternative zur Empfängnisverhütung. - Ich muß sagen: Dem ist nicht so. Wir Frauen von der CDU/CSU haben, seitdem wir den Gruppenantrag einiger unserer Fraktionskollegen auf Streichung der Finanzierung von Abtreibungen aufgrund sozialer Indikationen durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht mitunterzeichnet haben, neben zum Teil diffamierender Kritik aus den eigenen Reihen, auch Beifall von der falschen Seite bekommen. Dies haben wir nicht gewollt und empfinden es als mißlich, denn wir haben unsere ablehnende Haltung gegenüber Abtreibungen nie geändert. Wir sind grundsätzlich gegen jede Abtreibung aus sozialer Notlage. Dies möchten wir noch einmal klar zum Ausdruck bringen. Was aber wollen wir als CDU/CSU? Wir wollen helfen, nicht strafen. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß die Gesellschaft - letztlich heißt das: vielleicht wir alle - Frauen im Konfliktsituationen keine andere Alternative anzubieten vermag als abzutreiben. Mit der Errichtung der Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" soll werdenden Müttern in Not durch schnelle, durch unbürokratische finanzielle Hilfe die Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtert werden. Aus Bayern wissen wir, die wir schon seit längerer Zeit Erfahrungen mit einer entsprechenden Landesstiftung haben, daß auf diesem Wege Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden können. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich gerade an dieser Stelle, da ich die bayerische Stiftung erwähnt habe, und auch von diesem Platze aus einen Dank ausspreche. Er gilt der verstorbenen Kuratoriumsvorsitzenden der bayerischen Stiftung, der so jäh mitten aus dem Leben gerissenen Frau Marianne Strauß. Sie war es, die sich für die Hilfen für Frauen in Notsituationen einsetzte, die junge Familien spontan und unkonventionell unterstützte, die vom Schutz des Lebens und des ungeborenen Lebens nicht nur redete, sondern ganz massiv aktiv handelte. Ich meine, sie gab damit ein Beispiel für uns alle. Die neu zu errichtende Bundesstiftung ermöglicht es, direkt und kurzfristig Hilfe zu leisten, und zwar zugeschnitten auf die jeweils individuelle Notlage, in der sich die Frau befindet oder in die sie durch die Geburt kommen kann. Die in Not geratene Schwangere erhält also - über mögliche Rechtsansprüche hinausgehend - unbürokratische Hilfen, die sonst schwer möglich wären, ohne daß sie weitere Stellen aufsuchen muß. Die von der Stiftung bereitgestellte Zuwendung ist also nicht als Ersatz für bisherige Leistungen anzusehen, sondern stellt eine Ergänzung sowie eine bessere Ausstattung der vorhandenen Einrichtungen dar. Die Bundesstiftung vergibt keine Almosen, obwohl dies von Kritikern der Stiftung häufig herabsetzend so behauptet wird. Ich meine, es sind durchaus echte Hilfen. Oder glauben Sie etwa nicht, daß eine Familie, deren Wohnverhältnisse unzumutbar geworden sind, die Möglichkeit, eine Kaution für eine neue Wohnung zu erhalten, als eine Hilfe ansieht? Ist es denn keine echte Hilfe, daß ein junges Mädchen kurzfristig an einem anderen Ort leben kann, wenn seine Eltern in der Konfliktsituation leider versagen? Für mich ist es äußerst befremdend, wenn eine ablehnende Haltung gerade von Beratern in anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen eingenommen wird, die sich doch vom Gesetz her zum Anwalt des ungeborenen Lebens machen sollen. Unter dem vermeindlichen Vorwand, die Frau nicht zu beeinflussen, sondern sie zu befähigen, eine Entscheidung zu treffen, beziehen viele Berater selbst keine Position. Sie informieren, aber sie motivieren die werdende Mutter nicht zur Annahme des Kindes. Ich halte ein derartiges Beratungskonzept für untragbar. ({0}) Nach meiner Auffassung haben die Beratungsstellen die Verpflichtung, der werdenden Mutter Mut zuzusprechen, das Kind auszutragen, und sie mit Rat und Hilfe zu unterstützen. Mein Dank gilt allen in den Beratungsstellen und in den Verbänden, die dies leisten, die nach diesem Konzept arbeiten. ({1}) Meine Damen und Herren, wir wissen aber auch alle, daß diese Hilfen durch die Bundesstiftung keine langfristigen Maßnahmen darstellen können. Eine entscheidende Senkung der Abbruchszahlen kann nur erwartet werden, wenn es gelingt, die Lebensbedingungen der Familien und Alleinerziehenden insgesamt so zu verbessern, daß die Geburt eines Kindes nicht zu unzumutbaren Belastungen führt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher die Entscheidung der Bundesregierung, die in diesen Tagen gefallen ist, den Familienlastenausgleich 1986 erheblich zu verbessern und bereits ab demselben Jahr ein Erziehungsgeld Müttern oder Vätern zukommen zu lassen, die sich der Erziehung ihrer Kinder widmen. ({2}) Wir lösen damit das Versprechen an die Wähler ein, die Wende auch in der Familienpolitik einzuleiten, sobald es die Haushaltslage zuläßt. Weitere Schritte müssen natürlich folgen. Ich denke insbesondere an die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Altersversorgung. Ich freue mich auch, daß das von den Frauen der CDU/CSU initiierte Konzept zum Schutz des ungeborenen Lebens und zur Verbesserung der Situation der Familien inzwischen Koalitionsantrag ist und in dieser Woche eingebracht wurde. Dies ist meines Erachtens ein ganz großer Schritt vorwärts zu einem Gesamtkonzept, in dem die Stiftung ein Mosaikstein ist, der durch vielfältige Maßnahmen ergänzt wird. Meine Damen und Herren, seit der Reform des § 218 im Jahre 1976 ist mehr und mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein entrückt, daß, wer einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, unrecht tut. Diejenigen, die Abtreibung so plakativ propagieren und denen jedes Mittel der Beeinflussung in dieser Richtung recht ist, verkennen, daß sie mit ihrem Reklamieren, als ob es ein für die Frau einklagbares Recht auf Abtreibung gebe, auf diese Weise Schwangerschaftskonflikte individualisieren und dies zu lösen ausschließlich der einzelnen Frau überlassen. Daß sich aber eine Frau ein Kind nicht auszutragen in der Lage sieht, diese Entscheidung ist immer auch das Produkt ihrer Umwelt, ihres Partners, ihrer Eltern, ihrer Freunde, ihrer Nachbarn. Wer glauben machen will, daß das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit uneingeschränkt besteht, nach dem so furchtbaren Motto „Mein Bauch gehört mir", der steht nicht auf dem Boden unserer Verfassung und stellt sich außerhalb sittlicher Normen, ohne die kein Gemeinwesen leben kann. ({3}) Sich ein klares und deutliches Urteil zu erlauben bedeutet jedoch nicht, jemanden zu verurteilen. Wer nach bestem Wissen und Gewissen für sich entscheidet, ein Kind nicht austragen zu können, darf nicht aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. ({4}) Nur, die Mutter, der Vater und alle an dieser Entscheidung Beteiligten werden wissen, daß sie damit Schuld auf sich geladen haben, von der sie keine menschliche Instanz freisprechen kann. Wir haben uns seinerzeit mit Mehrheit dafür entschieden, daß mit den Mitteln der Strafe dieser schwere Konflikt nicht zu lösen ist. Strafe kann niemals Selbstzweck sein. Aber eines wird immer bleiben und durch nichts hinwegzudiskutieren sein: Mit der schweren Hypothek eines Schwangerschaftsabbruchs wird am meisten die Schwangere selbst belastet. Doch daraus einseitig nur ihr einen Vorwurf zu machen, ist pharisäerhaft. ({5}) Ganz besonders der Vater und der Arzt müssen in die Auseinandersetzung einbezogen werden. ({6}) Aber letztlich auch wir sind mitverantwortich, daß Frauen, die sich in Schwangerschaftskonflikten befinden, nicht nein zu ihrem Kind sagen. Jedes aus sozialer Not abgetriebene Kind ist eine Bankrotterklärung des Staates und der Gesellschaft; ({7}) jener Wohlfahrtsgesellschaft, in der wir uns recht behäbig eingerichtet haben und zu vergessen scheinen, daß jeder einzelne von uns Verantwortung für das Gemeinwesen trägt, Verantwortung auch für dieses werdende Leben. Lassen Sie mich dies noch ergänzen. Wir tragen auch für geborenes Leben Verantwortung. ({8}) Wir dürfen auch nicht jene verurteilen, die ihr Ja zum Kind gesprochen haben, z. B. ohne daß sie verheiratet sind. ({9}) Leider gibt es auch hier noch sehr viel Intoleranz. Wir dürfen auch nicht Familien als „asozial" ansehen, die sich für mehrere Kinder entscheiden. ({10}) Auch hier ist ein Einstellungswandel notwendig. Ich hoffe, daß er sich langsam fortsetzt. Meine Damen und Herren, unbeschadet erforderlicher Maßnahmen zur materiellen Hilfe für verheiratete wie für unverheiratete Frauen mit dem Ziel der Erhaltung ungeborenen Lebens und der Erleichterung der Annahme des Kindes in Schwangerschaftskonfliktsituationen liegt eine herausragende Aufgabe aber auch darin, die Bereicherung und Sinngebung der persönlichen Lebensgestaltung durch Kinder wieder verstärkt in den Vordergrund der allgemeinen Wertvorstellungen und des allgemeinen Bewußtseins zu rücken. Auch wir sind aufgerufen, unseren Beitrag dazu zu leisten. Ich würde mir wünschen, daß diese Stiftung so stark in Anspruch genommen wird, daß der Druck wächst, noch mehr für die werdende Mutter, für Familien und damit zum Schutz des Lebens zu tun. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Herren und Damen! Frau Professor Männle, ich bin Ihnen sehr dankbar, weil im Gegensatz zu der ersten Debatte, die wir zu diesem Thema geführt haben, aus Ihrem Beitrag, auch wenn wir uns über viele Wege nicht einig sind, eines deutlich geworden ist, nämlich das Verständnis für die betroffenen Frauen. In der ersten Debatte habe ich bedauerlicherweise den Eindruck gehabt, als ob hier von einigen Kollegen Frauen, die sich in der Notlage eines Schwangerschaftsabbruchs befinden, abseits gestellt werden sollen, als ob man diesen Frauen lockere Motive unterstellt. ({0}) - Schauen Sie sich die Zwischenrufe an. Hier wird es ganz deutlich. Ich bin froh, daß wir heute diese Rede von Ihnen gehört haben. ({1}) Unsere Bedenken gegen den vorgeschlagenen Gesetzentwurf zur Errichtung der Stiftung Mutter und Kind konnten in den Ausschußberatungen allerdings leider nicht ausgeräumt werden. Sie wurden teilweise sogar noch verstärkt. In der schwierigen Situation, heute hier erläutern zu müssen, warum wir finanzielle Leistungen ablehnen, betone ich hier wie vor vier Wochen auch: Auch wir wollen keine Schwangerschaftsabbrüche; auch wir sind uns mit Ihnen in dem Ziel einig; auch wir bejahen Hilfen für werdende Mütter, aber Hilfen, die diesen Namen verdienen, und das heißt an erster Stelle: Hilfen, die verläßlich sind. Wie sieht es mit der Verläßlichkeit dieser Hilfen aus? Erstens. Es besteht - wir haben das mehrfach gesagt - kein Rechtsanspruch auf sie. Sie sind für die betroffenen Frauen und Familien nicht kalkulierbar. Zweitens. Es hängt von Zufälligkeiten ab, ob eine Frau solche Hilfe überhaupt bekommt. Bei kirchlichen Beratungsstellen kann man annehmen: j a, bei kommunalen Beratungsstellen: in jedem Fall nein - das ist vom Gesetz so ausgeschlossen; das hat nichts mit dem Willen der Kommune zu tun - und bei Beratungsstellen der Träger freier Wohlfahrtspflege: je nach dem. Drittens. Es hängt von der Jahreszeit ab, ob Hilfen aus Stiftungsmitteln gewährt werden können. Der noch gefüllte Stiftungstopf am Jahresanfang, in der ersten Jahreshälfte, und die zunehmende Ebbe in den Kassen der Stiftung in der zweiten Jahreshälfte werden zwangsläufig dazu führen, daß völlig identische Notlagen sogar bei der gleichen Beratungsstelle unterschiedlich behandelt werden müssen, dies um so mehr, als Herr Minister Geißler in den Beratungen klargestellt hat - das begrüßten wir, dafür sind wir dankbar -, daß werdende Mütter auch dann Stiftungsmittel bekommen werden, wenn sie nicht die Absicht haben, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Frau Schmidt ({2}) Das heißt aber auf der anderen Seite, daß jede schwangere Frau in einer Notlage solche Mittel bekommen kann, sofern sie sich an eine Beratungsstelle wendet. Was das angesichts der sehr begrenzten finanziellen Ausstattung dieser Stiftung bedeutet, kann sich wohl jeder vorstellen. Die Mittel werden nach kürzester Zeit erschöpft sein. ({3}) - Schauen Sie sich das an. Unserer Einschätzung nach ist es so. Hilfen sollten nicht nur verläßlich, sie sollten auch gerecht sein. Wie sieht es nun mit der Gerechtigkeit dieser Stiftung aus? Herr Dr. Geißler hat mehrfach darauf hingewiesen, daß es ein bewährtes Rezept der Sozialpolitik sei, gesetzliche Ansprüche mit freiwilligen Leistungen, z. B. der Kommunen, zu kombinieren. Das ist mit Einschränkungen sicher richtig. Der wesentliche Unterschied solcher freiwilligen Leistungen der Kommunen und der der Stiftung besteht allerdings darin, daß die Freiwilligkeit von Leistungen der Kommunen ihre Grenzen in der Gleichbehandlung gleicher Tatbestände findet. Bei der Stiftung bedeutet Freiwilligkeit angesichts der begrenzten Ausstattung mit Mitteln, angesichts der ungleichen Behandlung durch die Beratungsstellen reine Willkür. ({4}) Zweitens. Daß eine Notlage vorliegt, setzt nach der dazugehörigen Verordnung voraus, daß das Einkommen die vierfache Höhe des Regelsatzes der Sozialhilfe nicht überschreiten wird. Wenn wir uns das praktisch anschauen, heißt das z. B.: Der schwangeren Sozialhilfeempfängerin in einer materiellen Notsituation, die sich mit Putzen ein paar Mark dazuverdienen will, wird die Sozialhilfe um diesen Betrag gekürzt. Die schwangere Sozialhilfeempfängerin, die sich an eine Beratungsstelle wendet, kann ein Mehrfaches dazubekommen, ohne daß Sozialhilfe gekürzt wird. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das ist nicht etwas, was ich ändern will. Aber wie mache ich der Betroffenen klar, daß ihr das wieder genommen wird, noch dazu vor dem Hintergrund der Sozialhilfekürzungen für Schwangere? Hilfe soll verläßlich, gerecht und wirksam sein. Wie steht es nun mit der Wirksamkeit dieser Stiftung? Die Stiftung soll Frauen in materiellen Notlagen helfen. Nicht etwa in sozialen Notlagen, Frau Professor Männle, wie das auch Herr Dr. Geißler fälschlicherweise oft gleichgesetzt hat. Eine materielle Notlage ist etwas anderes als eine soziale Notlage. Nun muß man, um wirksam helfen zu können, als erstes wohl die Ursachen der materiellen Notlagen festzustellen versuchen. Da kann ich Ihnen nochmals nicht ersparen, auf all das hinzuweisen, was Sie an den Familien und vor allem an den Frauen gespart haben. Ihre Familien- und Sozialpolitik ist die Ursache für eine Vielzahl von Notlagen, die jetzt entstehen. ({5}) Sie haben doch die materielle Lage der Sozialhilfeempfängerinnen, die noch nie eine rosige war, zur Notlage werden lassen durch Kürzungen und Streichungen, durch verspätete und unzureichende Anpassungen. ({6}) Sie und niemand anders haben doch durch Kürzungen beim Wohngeld - auch hier waren die Behinderten und alleinstehende Frauen mit Kindern die am stärksten Betroffenen - finanzielle Engpässe zur Notsituation verschärft. Sie haben die erwerbsunfähige Rentenbezieherin durch Streichung des Kindergeldzuschusses in der Renten- und Unfallversicherung doch erst zum Notfall werden lassen. Sie haben doch durch den BAföG-Kahlschlag und die Kürzung des Mutterschaftsurlaubsgeldes, durch die Veränderungen in der Erwerbsfähigkeitsrente, durch die gravierenden Einschnitte für Behinderte das Vertrauen der betroffenen Frauen empfindlich gestört und die Finanzkraft der Familien geschwächt. All diese Frauen und Familien wurden durch Ihre Politik der Umverteilung von unten nach oben in finanziell schwierige und manchmal ausweglose Situationen gebracht. ({7}) - Doch, das glaube ich, und das weiß ich auch. Annähernd 3 Milliarden DM haben Sie so eingesammelt. Und nun stellen Sie sich hin und sprechen von Ihren 50 Millionen DM jährlich als von einem kleinen, aber wichtigen familienpolitischen Baustein. ({8}) Herr Dr. Geißler oder Frau Karwatzki, Sie kommen mir vor wie einer, der einem Erdbebenopfer als erste Hilfe eine Topfpflanze bringt. Dieses familienpolitische Beben haben aber nicht Naturgewalten, nicht die sozialliberale Koalition, nicht dunkle Mächte verursacht, sondern alleine Ihre Regierung. ({9}) Wirksame Hilfen müssen die Ursachen von Not beseitigen. Das heißt, die Familien- und Sozialpolitik muß wieder in den Stand vor Ihrer Kürzungsorgie versetzt werden. ({10}) Deshalb können die Hilfen der Stiftung nicht wirksam sein. Sei können nicht wirksam sein vor dem Hintergrund der materiellen Probleme, die Familien und Frauen in Not haben und die in dem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe j a auch ganz richtig dargestellt sind: überhöhte Verschuldung, Wohnungsprobleme, zu hohe Mieten, Angst, den Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu verlieren. ({11}) Nun sagen Sie: Gemach, gemach, liebe Frau Schmidt, wir wollen ja das Haus um die Topfpflanze herum wiederaufbauen. Abgesehen davon, daß man Frau Schmidt ({12}) sich über den Sinngehalt dieser Reihenfolge trefflich streiten kann: Schauen wir uns doch das Haus an, das Sie zu bauen gedenken! Einiges ist ja inzwischen schon ein bißchen deutlicher erkennbar, als es noch bei den Ausschußberatungen war. Erstens, die von mir gerade aufgezeigten Kürzungen bleiben bestehen. Zweitens, statt dessen sollen Familien durch Einführung von Kinderfreibeträgen und einen Kindergeldausgleich dort, wo keine Steuern bezahlt werden, entlastet werden. 5 bis 6 Milliarden DM sollen die Familien auf diesem Weg erhalten. Drittens, zusätzlich soll ein Erziehungsgeld eingeführt werden. Na, prima, könnte man sagen, 3 Milliarden DM gestrichen, 5 Milliarden, zwar ein bißchen sehr spät, zurückgegeben, bleibt unter dem Strich irgendwann einmal ein positiver Saldo. Nur, das Ganze hat ein Häkchen bzw. einen ganz ausgewachsenen Haken. Die Frauen und Familien in Notsituationen haben von diesen Maßnahmen überhaupt nichts. So werden für die Sozialhilfeempfängerinnen die Kürzungen bleiben, ohne daß sie eine müde Mark aus diesem Lastenausgleich zurückbekommen werden. So werden die Kürzungen für Familien mit Kindern in Ausbildung mit geringem Einkommen bleiben, und der Kindergeldausgleich wird nur einen Bruchteil dessen auffangen können. Es ist natürlich die Frage: Wer bekommt denn dann diese 5 Milliarden DM? Vor allem die, denen nichts gestrichen wurde, denn Leistung soll sich ja wieder lohnen. Das heißt auf gut deutsch, Mütter in Not werden auf unzureichende, freiwillige Almosen ohne Rechtsanspruch angewiesen bleiben, und der erste wichtige Baustein bleibt für diese Personengruppen auch gleichzeitig der letzte. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geißler!

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, aber eine kurze.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, würden Sie bitte konkret sagen, was in der Sozialhilfe zu Lasten von Familien und Kindern gekürzt worden ist, welche Leistungen gekürzt worden sind; aber bitte konkret. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schneller, meine Zeit läuft mir weg. ({0})

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie eine Antwort geben auf die Frage, ob Sie es ebenfalls als eine Kürzung ansehen, daß dieser Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung ({0}) die Regelsätze ab 1. Juli dieses Jahres wieder an die Lebenshaltungskosten - im Gegensatz zu früher, wo dies nicht der Fall gewesen ist - anpaßt? ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Machen Sie Ihre Zwischenfragen kürzer. Ich habe im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister Geißler, keine unbegrenzte Redezeit. Deswegen bitte ich um eine bißchen kürzere Fragestellung. Erster Punkt: Mehrbedarfsregelungen für Schwangere sind im Vermittlungsausschuß gestrichen worden. Zweiter Punkt: daß die Sozialhilfeansätze jetzt endlich wieder angepaßt worden sind! Das ist eine verspätete Anpassung, und darauf habe ich auch hingewiesen. ({0}) Ich komme zurück. Sie sagen ja dann, es bleibt j a noch etwas, und zwar angeblich für die Sozialhilfeempfängerin, nämlich das Erziehungsgeld als schützendes Dach. Ich sage Ihnen, Herr Dr. Geißler, wenn es stimmt, was über die Ausgestaltung dieses Erziehungsgeldes zu lesen ist, daß nämlich der wesentliche Punkt - die Arbeitsplatzgarantie - noch völlig ungesichert ist, dann reißen Sie das bißchen, was Sie mit Ihrer Stiftung aufzubauen versuchen, wieder ein. Sie sollten mal überdenken, was die von Ihnen eingesetzte Arbeitsgruppe über die Gründe von Schwangerschaftsabbrüchen schreibt. Das Erziehungsgeld wird die Situation der Frauen verschärfen, wenn die Voraussetzung, nämlich eine Arbeitsplatzgarantie, nicht gesichert ist. Das wäre eine eindeutige Verschlechterung gegenüber der heutigen Situation für alle berufstätigen Frauen. ({1}) Das sind vor der Geburt des ersten Kindes bis zu 90 % und vor der Geburt des zweiten Kindes immer noch wesentlich mehr als die Hälfte. Die Tatsache, daß das Erziehungsgeld fünf Monate ohne Einkommensanrechnung gezahlt werden soll, zeigt, daß es sich auch hier nicht um Frauen in Notlagen handelt, sondern darum, daß man hier Leistungen mit der Gießkanne geben will. Die Leidtragenden werden wieder diejenigen sein, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Rechnen Sie sich doch bitte einmal aus, wie die Situation der Familie der nicht berufstätigen schwangeren Ministergattin durch Kinderfreibeträge und Erziehungsgeld verbessert und die der alleinstehenden Verkäuferin verschlechtert wird! Meine Damen und Herren, Hilfe soll verläßlich, gerecht, wirksam und unbürokratisch sein. Unsere Bedenken, daß ehrenamtliche Beraterinnen und Hilfesuchende mit zusätzlicher Bürokratie belastet werden, wurden nicht ausgeräumt. Hilfe soll natürlich auch juristisch einwandfrei sein. Hier, Herr Dr. Geißler, wird es ja nun interessant. Sie haben im Ausschuß erklärt, alle Fragen des Datenschutzes seien zur Zufriedenheit geklärt. Was Sie dem Ausschuß damit erklärt haben, ist schlicht und einfach unwahr. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz wurde zu spät eingeschaltet, Frau Schmidt ({2}) seine Bedenken sind nicht ausgeräumt. Er hat konkrete Vorschläge gemacht, wie die Mängel behoben werden können, Vorschläge, die sicherstellen sollen, daß den Betroffenen ein vergleichbarer Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Wiedergabe ihrer persönlichen Daten gewährleistet wird wie bei staatlichen Sozialleistungen. Dies ist nur durch Gesetz sicherzustellen, nicht durch nachträgliche Richtlinien. Das schreibt Ihnen auch der Bundesbeauftragte. Meine Herren, meine Damen, die Hilfen der Stiftung „Mutter und Kind" sind nicht verläßlich, sie sind ungerecht, nicht wirksam genug, bürokratisch und juristisch nicht einwandfrei. ({3}) Wir können diesem Gesetz deshalb nicht zustimmen. Wir bitten um Zustimmung zu unserer Entschließung und um weiteres gemeinsames Nachdenken, damit werdenden Müttern in Not wirksam geholfen werden kann. ({4}) Nachdem wir davon ausgehen müssen, daß diesem Gesetz mehrheitlich zugestimmt wird, bitten wir Sie, wenigstens die Belange des Datenschutzes zu berücksichtigen und in zweiter Lesung unseren Änderungsanträgen, die mit dem Beauftragten für Datenschutz abgestimmt sind, zuzustimmen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer. ({0})

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! So schnell, wie wir es uns vorgestellt hatten, wurde dieses Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind" verwirklicht. Wir hoffen dabei auch auf einen schnellen Durchgang im Bundesrat und hoffen, daß den Frauen in Not dann genauso schnell geholfen werden kann. Die Grundprinzipien, die dazu geführt haben, daß dieses Gesetz geschaffen wurde, habe ich bereits in der ersten Lesung vorgetragen. Es waren die flankierenden Maßnahmen zu § 218, das Bekenntnis zu der derzeit gültigen Fassung des § 218, die Verantwortung, die nicht abgenommen werden kann, die unmittelbar mit der Freiheit, die wir nach § 218 geben, zusammenhängt, die Gewissensnöte und das Wissen, daß hier Gegebenheiten bestehen, die sich menschlichem Richterspruch entziehen. Dies alles, was ich in der ersten Lesung angesprochen habe, gilt nach wie vor. Aber dieses Gesetz ist auch für diejenigen gemacht, die Abtreibung als unerträglich empfinden, die für die Austragung des Kindes und gegen die Abtreibung werben wollen, für diejenigen also, die in der Lage sein wollen, Hilfe anzubieten. Diese Stiftung ist auch für die gedacht, denen die jetzige Fassung des § 218 nicht gefällt. Meine Damen und Herren, der Staat kann nur dann inneren Frieden haben, wenn alle Bürger das Gefühl haben, daß ihren Vorstellungen Genüge getan wird. Wir wollen damit deutlich machen, daß wir dabei helfen wollen, daß nicht aus materieller Not abgetrieben wird. Den Gegnern der Stiftung - die befürworten ja auch die jetzige Fassung des § 218 - rufe ich das in Erinnerung, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: daß wir Wert auf die Vergaberichtlinien und auf die Kontrolle, wie das Geld vergeben wird, legen, damit nicht Druck auf die freie Entscheidung der Frau, die in Not ist, ausgeübt wird. Aber selbst wenn die Vergabe der Mittel nicht immer allen Vorstellungen entsprechen mag, frage ich: Wo ist das zu schützende Rechtsgut, das durch diese Stiftung beschädigt werden könnte? Hier wird nichts beschädigt, und deswegen können wir Freien Demokraten diesem Gesetz zustimmen. Eine Kritik an dieser Stiftung wäre aus zwei Gründen verständlich, einmal wenn zu viel Steuergelder auf Kosten einer bestimmten Gruppe in eine einseitige Richtung fließen würden. Das ist nicht der Fall. Es fließen weder Gelder einseitig, noch fließt zu viel Geld in eine Richtung. Das ist etwas, was meine Vorrednerin gerade zugegeben hat. Ein Grund wäre auch, wenn Druck auf die Entscheidungen der Frauen ausgeübt würde. Das ist eben auch nicht der Fall. Niemand braucht zu diesen Stiftungen zu gehen. Unter Druck steht allerdings jede Frau, jedoch weniger von außen als von innen, und diesen moralischen Druck kann ein Gesetz, kann auch diese Stiftung nicht abnehmen. Dies soll wohl auch nicht Aufgabe eines Gesetzgebers sein. Nun wird - und das habe ich schon angedeutet - von den Gegnern gesagt, das Stiftungskapital sei viel zu gering. Ich sage Ihnen aber, im sozialen Bereich werden wir immer in einer Situation leben, wo mehr Wünsche und mehr Bedürfnisse vorhanden sind, als erfüllbar sind. Diese Kluft wird eher breiter als schmaler, weil technisch immer mehr Wünsche vorstellbar sind, als erfüllt werden können. Tun wir doch lieber das, was wir tun können, wozu wir die Mittel haben. Das ist seriöser, als wenn wir etwas versprechen oder in Aussicht stellen, was wir dann nicht verwirklichen können. Auch von diesem Gesichtspunkt aus, meine ich, kann man diesem Gesetzentwurf ohne weiteres zustimmen. Es wird weiter kritisiert, daß kein Rechtsanspruch hesteht. Das ist richtig. Aber wir wollten nicht den Dschungel einer neuen Bürokratie einrichten. ({0}) Wir glauben, daß wir den Stiftungen mehr Freiraum lassen sollen, um schnell und unbürokratisch helfen zu können. Die Beispiele, die Sie, Frau Schmidt, angeführt haben, ziehen nicht so recht. Sie haben das Beispiel Sozialhilfe angeführt, das Beispiel von der Putzfrau. Das ist zwar richtig, aber das ist nicht ein Problem Eimer ({1}) der Stiftung, sondern es ist ein Problem der Sozialhilfe. ({2}) - Das zieht ja wohl nicht. Das Prinzip der Subsidiarität ist von Ihnen nie angegriffen worden, nie bezweifelt worden. Ich habe hier im Plenum von diesem Pult aus schon öfter darauf hingewiesen, daß mir dieses Prinzip nicht sonderlich gut gefällt, weil es das Prinzip der Eigenleistung nicht entsprechend berücksichtigt, wie das Frau Schmidt vorhin dargestellt hat. Aber wie gesagt, das ist nicht ein Problem der Stiftung, sondern es ist ein Problem der Sozialhilfe. Ich habe nichts dagegen, wenn wir uns überlegen, wie wir die Sozialhilfe so gestalten, daß Eigenleistungen z. B. dieser Putzfrau nicht bestraft werden, sondern belohnt werden. Das ist ein Stück Leistungsprinzip, wie wir Liberale es uns vorstellen, und es ist genau das Gegenteil des Prinzips der Ellenbogengesellschaft, das uns oft unterstellt wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin?

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eimer, wenn Sie mit uns darin übereinstimmen, daß der Frau, um die es geht, die Systematik ziemlich egal ist und daß sie Hilfe braucht: Meinen Sie nicht, daß es dann falsch ist irgendwann irgendwelche Änderungen vorzunehmen? Meinen Sie nicht daß man vielmehr nachdenken muß, bevor man eine neue Regelung trifft, die den Zustand undurchsichtiger macht, ihn bürokratisiert und verschlechtert?

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, zunächst einmal wird durch dieses Gesetz einer Frau kein Schaden zugefügt, sondern es wird einer Frau geholfen. ({0}) Das ist genau das, was notwendig ist. Es wird unbürokratisch geholfen. ({1}) Der zweite Punkt, die Sozialhilfe, die Sie immer wieder ansprechen: Da bin ich der Meinung, wir sollten uns wirklich überlegen, wie wir bessere Lösungen schaffen. Das hängt aber nicht mit diesem Gesetz zusammen. Weiter das Beispiel von der Topfpflanze. Ich meine, Frau Kollegin, wenn einer Frau unbürokratisch, in kurzer Zeit geholfen werden kann, ({2}) dann sollte man diese Hilfe nicht so leichtfertig durch den Begriff „Topfpflanze" abwerten. Etwas Weiteres verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie ein vorgesehenes Erziehungsgeld eine Verschlechterung für die Frauen bedeuten soll. ({3}) Wenn Sie sich die Gelder ansehen, die verteilt werden sollen, dann kann man weiß Gott nicht von einer Verschlechterung, sondern nur von einer ganz kräftigen Verbesserung dieser Situation sprechen. ({4}) Ich darf zusammenfassen: Wir sind für diese Stiftung, weil Hilfe für Frauen in Not geschaffen wird; wir sind dafür, weil diese Hilfe unbürokratisch möglich ist; wir sind dafür, weil diese Stiftung ein Teil der versprochenen flankierenden Maßnahmen zum § 218 ist; wir sind auch dafür, weil § 218 durch diese Stiftung in keiner Weise angetastet wird. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Geißler. ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf über die Einrichtung der Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" muß ganz sicher, wie ich dies schon bei der letzten Debatte gesagt habe, im Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept der familienpolitischen Maßnahmen gesehen werden, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode verwirklichen wird. Es ist ganz sicher so, daß die Bundesstiftung für sich genommen nicht ausreichend wäre, um das Ziel zu erreichen, das wir uns auch mit dieser Stiftung gesetzt haben, nämlich dafür zu sorgen, daß in einem reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland niemand deswegen in eine soziale Notlage geraten darf, weil ein Kind geboren wird. Dies muß am Anfang gesagt werden. Ich kann und will Ihnen auch mitteilen - das ist zum Teil ja auch schon in der Presse veröffentlicht worden -, daß der Bundesfinanzminister und ich dem Bundeskabinett in der nächsten Woche einen Vorschlag über die Ausgestaltung unserer familienpolitischen Konzeption machen werden, der sowohl den Bundeshaushalt 1985 als auch die mittelfristige Finanzplanung berührt. Darüber wird im Kabinett in der nächsten Woche grundsätzlich beschlossen werden. Im Mittelpunkt dieses Vorschlags wird die Einführung eines Erziehungsgeldes in Höhe von DM 600 monatlich für die ersten zwölf Monate im Leben eines Kindes stehen. Damit erreichen wir eine entscheidende Verbesserung der Hilfe für junge Familien; von denen wir ja wissen, daß sie gerade dann, wenn beide Elternteile vorher gearbeitet haben, in eine wirtschaftlich schwierige Situation geraten, wenn ein Kind auf die Welt kommt und wenn sich ein Elternteil - entweder der Vater oder die Mutter - dafür entscheidet, beim Kind zu bleiben, was wir ja auch unter ärztlichen Gesichtspunkten, unter psychologischen Gesichtspunkten für unbedingt notwendig halten. Dieses Erziehungsgeld wird insgesamt ein Finanzvolumen von ungefähr 2,5 Milliarden DM beinhalten. Wir wollen weiter Kinderfreibeträge in der Größenordnung von 2 400 DM pro Kind und Jahr einführen. Wir wollen eine steuerliche Entlastung ab 1. Januar 1985 bis zur Höhe von 4 000 DM für das erste Kind für alleinstehende Erzieher, zuzüglich 2 000 DM für jedes weitere Kind. Wir schlagen einen Kindergeldzuschlag von mindestens 44 DM pro Kind und Monat für Familien mit einem geringen Einkommen vor. Und wir wollen ab 1. Januar 1985 das Kindergeld für die Eltern wieder einführen, deren Kinder arbeitslos sind oder keinen Ausbildungsplatz haben - eine Leistung, die im Jahre 1981 leider gestrichen worden ist. ({0}) Dies ist insgesamt eine entscheidende Verbesserung für unsere Familien in der Größenordnung von mehr als 8 Milliarden DM. Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir mit Fug und Recht sagen, daß diese Bundesstiftung „Mutter und Kind" eine sinnvolle Ergänzung eines umfassenden Konzepts einer neuen Familienpolitik ist, die für unsere Familien in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem jetzigen Zustand eine entscheidende Verbesserung bringen, die Wahlfreiheit der Frauen verbessern ({1}) und gleichzeitig dafür sorgen wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß auch die Familie in unserer Gesellschaft wieder einen höheren Rang beigemessen bekommt; denn dies hängt auch davon ab, welche Entscheidungen der Staat zugunsten der Familien zu treffen bereit ist. ({2}) Deswegen fallen alle Anwürfe gegen die Bundesstiftung, die da lauten, „es werden 50 Millionen DM gegeben, und ihr habt vorher 320 Millionen DM beim Mutterschaftsgeld gestrichen", in sich zusammen, weil das Gesamtvolumen der Verbesserung des Familienlastenausgleichs, über 8 Milliarden DM, natürlich ein Vielfaches von dem beträgt, was bei diesen 320 Millionen DM gestrichen worden ist. ({3}) Um jetzt noch einmal zu Ihnen zu kommen, Frau Schmidt. Sie haben gesagt, die Mehrbedarfszuschläge für schwangere Frauen seien von der neuen Bundesregierung gekürzt worden. ({4}) - Ich habe es ja wohl so verstehen dürfen. Das haben Sie an unsere Adresse gesagt. Die Mehrbedarfszuschläge für schwangere Frauen sind im Jahre 1981 beim Haushaltsstrukturgesetz mit den Stimmen der sozialdemokratischen Partei gekürzt worden. Dies ist die Wahrheit. ({5}) Deswegen war meine Zwischenfrage völlig berechtigt. ({6}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich versuche hier lediglich eine Information zu geben, ({7}) die ja wohl nicht bestritten werden kann. Diese Kürzungen sind auch von der sozialdemokratischen Partei mit beschlossen worden, ({8})\ und im Gegensatz zu den Kürzungen, die Sie mit beschlossen haben, hat diese Bundesregierung und hat die Mehrheit von CDU/CSU und FDP beschlossen, ({9}) daß am 1. Juli dieses Jahres die Regelsätze in der Sozialhilfe wieder an die Steigerung der Lebenshaltungskosten angeglichen werden. Wir haben damit ebenfalls einen entscheidenden Schritt dafür getan, daß wir für die Hilfebedürftigen wieder mehr soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland verwirklichen können. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Bitte schön.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, können Sie Ihre Information um den Sachverhalt ergänzen: daß die Streichung dieser Beträge auf Forderung der von der CDU/CSU gestellten Bundesratsmehrheit im Vermittlungsausschuß zustande gekommen ist und daß man das Ergebnis im Vermittlungsausschuß hier im Hause entweder nur ganz annehmen oder ganz ablehnen kann, so daß das, dem wir hier bei diesem betreffenden Haushaltsstrukturgesetz zustimmen mußten, nicht der Initiative der sozialdemokratischen Partei, sondern leider der Initiative der von Ihnen geführten Bundesländer entsprang? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Verehrter Herr Kollege, es ist völlig klar, daß diese und andere Streichungen im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag beschlossen worden sind. ({0}) Ich habe mich nur dagegen gewehrt, daß hier von diesem Pult aus der Eindruck erweckt wird, als ob die Kürzung der Mehrbedarfszuschläge für schwangere Frauen das Ergebnis der Politik dieser Fraktion sei, ({1}) und dies ist einfach falsch, nachgewiesenermaßen falsch. Diese Beschlüsse haben Sie als Sozialdemokraten mit gefaßt. ({2}) Dies ist die Wahrheit, und das wollte ich hier zum Ausdruck bringen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist natürlich bei dieser Debatte auch die Frage aufgeworfen worden, ob finanzielle Hilfen für schwangere Frauen in Not ein geeignetes Instrument seien, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik Deutschland zu senken. Es ist ganz sicher richtig, daß es Konfliktsituationen gibt, die Frauen in eine Notlage bringen, die nicht allein materiell begründet sind. Es ist von den Vorrednern und den Vorrednerinnen zu Recht darauf hingewiesen worden, daß natürlich das gesellschaftliche Klima eine große Rolle spielt: die Nachbarschaft, die Eltern, der Ehemann und vieles andere mehr. Ich möchte hier zum Ausdruck bringen: Der Deutsche Bundestag sollte sich insgesamt energisch dagegen wehren, daß viele werdende Mütter auch heute noch von ihrer Umgebung, vom Vater des Kindes, aber auch von den Eltern und Geschwistern, von Freunden und Arbeitskollegen unter Druck gesetzt werden. Dagegen sollten wir uns wehren und deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir eine solche Haltung mißbilligen. ({4}) Wir sind der Auffassung, daß die Beratungsstellen eine Aufgabe darin sehen müssen, den Frauen, die schwanger geworden sind, die Furcht vor Diskriminierung zu nehmen. Die Beratungsstellen können dies aber allein nicht leisten, sondern sie sind darauf angewiesen, daß die Gesellschaft insgesamt - aber vor allem auch die nähere Umgebung einer Frau, die schwanger geworden ist - die Einstellung gegenüber dem werdenden Leben ändert. Aber es kann auch keine Frage sein, daß finanzielle Belastungen oder Schwierigkeiten, die mit einer besseren sozialen Situation überwunden werden können, eine entscheidende Rolle spielen. Der Bericht der Kommission zur Auswertung der Erfahrungen mit dem reformierten § 218 StGB, der von der damaligen Bundesregierung im Jahre 1980 vorgelegt worden ist, sagt wörtlich: Durchgängig wurden in allen angeführten Untersuchungen ... finanzielle Probleme am häufigsten genannt. Nur 24 % der Frauen bzw. 22% gaben an, daß dieses Motiv für ihre Entscheidung keine Bedeutung hatte. Diese Tatsachen lassen sich einfach nicht wegdiskutieren. Es ist deswegen eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft, eine soziale Situation herbeizuführen, die dafür sorgt - ich muß es noch einmal wiederholen -, daß deswegen, weil ein Kind auf die Welt kommt, soziale Probleme nicht entstehen. Solche sozialen Notlagen mögen in Peru oder in Bolivien nicht zu verhindern sein; es ist aber unerträglich, wenn in der Bundesrepublik Deutschland eine soziale Notlage eintritt, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Ich glaube sagen zu können, daß auf Grund des Gesamtkonzepts, das ich gerade vorgetragen habe, insbesondere durch die Einführung des Erziehungsgeldes, genau diese soziale Notlage in der Zukunft verhindert werden kann. Nun geht es bei der Bundesstiftung in der Tat nicht darum, einen zusätzlichen gesetzlichen Anspruch zu installieren, sondern wir haben ganz bewußt einen anderen Weg gewählt. Es ist auch von Frau Schmidt wieder der Vorwurf erhoben worden, die Bundesstiftung gewährleiste keine Rechtsansprüche. Dies ist richtig, aber ich weise darauf hin, daß wir in der gesamten Sozialpolitik immer die Kombination von gesetzlichen Ansprüchen und freiwilligen Leistungen gehabt haben. Durch die freiwillige Leistung der Bundesstiftung wird nicht ein einziger gesetzlicher Anspruch, der bisher vorhanden war, verkleinert, vermindert oder gar abgeschafft, sondern die gesetzlichen Ansprüche bleiben voll bestehen. Daß wir hier eine freiwillige Leistung haben, hat im Gegenteil einen großen Vorteil, und zwar deswegen, weil nur auf diese Weise schnell und unbürokratisch geholfen werden kann, was ja mit dieser Stiftung erreicht werden soll. ({5}) Wer nur gesetzliche Ansprüche in der Sozialpolitik realisieren will, meine sehr verehrten Damen und Herren, der wird bewirken, daß wir in konkreten Situationen, die sich eben in Paragraphen nicht fassen lassen, nicht in der Lage sind, zu helfen. ({6}) Wer sich die Hände durch Paragraphen bindet, ist sehr oft gehindert zu helfen. ({7}) Deswegen haben wir ja gerade das Instrument der freiwilligen Leistungen auch auf der kommunalen Ebene. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grunde - ich möchte dies klar sagen - können wir nicht verhindern, es sei denn, wir gingen hier nach egalitären Strickmustern vor, daß die Leistung z. B. in Hamburg etwas niedriger oder etwas höher ist als in einem ähnlichen Fall in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen. ({9}) Dies können und wollen wir auch nicht verhindern, wenn wir unbürokratisch und schnell helfen wollen. ({10}) Gerade dann, wenn eine Frau kommt, muß die Beratungsstelle auch eine Hilfszusage geben können. Dann muß man, um es einmal auf deutsch zu sagen, auch fünf gerade sein lassen können. Dann müssen wir in Kauf nehmen, daß es in Hamburg um ein paar hundert Mark anders aussieht als in BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen. Mir kommt es nicht so sehr darauf an, daß wir in einer egalitären Paragraphenreiterei überall in der Bundesrepublik Deutschland alles gleichbehandeln, sondern darauf, daß schnell und unbürokratisch geholfen werden kann. Das ist es, was notwendig ist. ({11}) Das ist im übrigen bei anderen freiwilligen sozialen Leistungen ebenso. Das weiß jeder, der mit Sozialpolitik zu tun hat und in Gemeinden oder Ländern Verantwortung für die Sozialpolitik getragen hat. Auch dies muß gesagt werden: Es gibt für die Mittel aus der Bundesstiftung keine bestimmten Höchstbeträge. Was notwendig und möglich ist, muß vielmehr in jedem Einzelfall entschieden werden. Ich möchte noch einen weiteren Gesichtspunkt anführen. Die Weitergabe der Mittel über anerkannte Beratungsstellen nach § 218 b StGB verändert auch nicht, wie es manche sagen und auch heute wieder vorgetragen worden ist, die Situation der Beratung. Wenn sie sie verändert, dann zum Besseren. Für diese Beratung schreibt nämlich das Gesetzbuch zwingend vor, daß die Frauen - ich zitiere wörtlich - „dort", nämlich in den Beratungsstellen, „über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder beraten" werden, „insbesondere über solche Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern". Die Mittel der Stiftung verändern die Beratungssituation also nicht zum Negativen, sondern zum Positiven. Die Stiftung stellt für die Beratung zusätzliche Hilfen zur Verfügung. Für eine Erschwerung der Beratungssituation kann das nur jemand halten, der den Gesetzestext nicht kennt oder nicht erst nimmt oder eben aus ideologischen Gründen auf diesem Weg den Frauen in Not nicht helfen will. ({12}) Es ist auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz klar, daß hier keine unnötige bürokratische Erschwerung eintritt. Ganz im Gegenteil, wir haben gerade deswegen, weil es sich um eine freiwillige Leistung handelt, den unbürokratischen Weg in dieser Form gewählt. Zusammenfassend stelle ich noch einmal die Voraussetzungen dar. Wer sich wegen einer Notlage an eine anerkannte Beratungsstelle nach § 218b StGB wendet, um eine Hilfe aus Mitteln der Bundesstiftung zu erhalten, braucht keine zusätzlichen Schwierigkeiten und Diskriminierungen zu befürchten. Auch die Datenschutzvorschriften werden eingehalten. ({13}) Voraussetzungen für die Erlangung der Mittel der Bundesstiftung sind erstens eine bestehende Schwangerschaft, zweitens die wirtschaftliche Notlage und drittens die Beratung durch eine anerkannte Beratungsstelle. Dies sind die drei Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Ich glaube, daß dies im Zusammenhang mit den anderen familienpolitischen Leistungen eine wirksame Hilfe ist, mit dem Ziel, schwangeren Frauen in Not zu helfen. Die Bundesstiftung ergänzt die jetzt schon vorhandenen Hilfen in den Ländern, in den Gemeinden und bei den kirchlichen Trägern. Ich hoffe, daß sie für viele Gruppen und Einrichtungen in Staat und Gesellschaft Anlaß sein wird, auch ihrerseits die Anstrengungen um einen verbesserten Schutz des ungeborenen Lebens in unserem Land zu verstärken. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schmidt ({0})? - Der Herr Minister hat seine Rede beendet. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe ich zum eigentlichen Thema unserer heutigen Aussprache komme, möchte ich einige Bemerkungen zu den Begleitumständen unserer letzten Debatte über dieses Thema machen. Sie werden sich sicherlich daran erinnern, daß während meines Debattenbeitrags im Verlauf der Sitzung am 24. Mai sich gewisse Turbulenzen ereigneten, - um mich zurückhaltend auszudrücken. Aus den Reihen der CDU/CSU kamen, wie im Protokoll der Sitzung nachzulesen ist, Zwischenrufe wie: „Nazitöne!", „das hat bisher nur Goebbels gesagt!" und „SS-Methoden!". Mich haben diese Äußerungen damals dermaßen schockiert, daß ich zu einer spontanen Reaktion nicht imstande war. In der Zwischenzeit habe ich das Protokoll noch einmal durchgelesen und einige Überlegungen dazu angestellt. ({0}) Ich finde Ihre Äußerungen, meine Herren Kollegen von der CDU/CSU, unglaublich. Ich finde kein adäquates Wort, Ihre Zurufe zu qualifizieren. Ich bin schlicht sprachlos, wie leichtfertig Sie mit derartigen Äußerungen um sich werfen. ({1}) Ich verstehe nicht, wie Sie angesichts der faschistischen Vergangenheit dieses Landes zu Ihren Qualifizierungen kommen, und völlig unabhängig davon, wie scharf oder auch polemisch eine hier geäußerte Redewendung sein mag oder empfunden wird ({2}) - dies sind Geschmacks- und Stilfragen, über die Beurteilungen bekanntlich weit auseinandergehen -, sind Ihre eben erwähnten Zwischenrufe absolut unerträglich. Wer weiß, was SS-Methoden sind und welche unvorstellbaren Verbrechen während der Nazi-Diktatur in Deutschland und anderen Teilen der Welt verübt wurden, der kann meines Erachtens solche Zwischenrufe nicht machen und, was meine Person betrifft, auch nicht dulden. Ich empfinde eine Äußerung wie „SS-Methoden" als Reaktion auf meine Rede als eine nicht hinnehmbare Verharmlosung von Nazi-Verbrechen und Verhöhnung ihrer Opfer und bin unter keinen Umständen bereit, mich mit derartigen Äußerungen einfach abzufinden. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Herr Kroll-Schlüter, es ist schon etwas spät geworden. ({0}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Martin Kuschorke, Mitarbeiter am Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung in Berlin, hat in einem Aufsatz mit dem Titel „Wie teuer ist Lebensmut?" sehr gut beschrieben, welche Gründe eine Frau veranlassen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Er meint, es fehlt den Frauen letzten Endes an Lebenskraft, ein Leben mit Kind und Familie zu beginnen. Diese mangelnde Lebenskraft soll nun mit 3 000 DM eingehaucht werden. Er weist weiter darauf hin, daß durch das vorgesehene Gebärprämiensystem die Beratungsgespräche in die Ecke von Mißtrauen gedrängt werden, wo es nicht mehr möglich ist, Schwierigkeiten und Zweifel offen vorzutragen. Wenn tatsächlich angenommen wird, daß durch finanzielle Zuwendungen, zu dem von dieser beschämend geringen Art, die Frauen beeinflußt werden könnten, verschließt die Augen vor den wirklichen Problemen von Frauen. Wenn eine hinterlistige Beeinflussung der Frauen erfolgen soll, damit sie nicht die Entscheidung treffen können, die ihnen wirklich entspricht, ist das eine verantwortungslose Maßnahme. Daß disziplinierend in die Entscheidung von Frauen eingegriffen werden soll, belegen die Äußerungen von Herrn Geißler, der sich eine Reduzierung der Abbrüche um 20 000 vorstellt. Seitdem 1980 eine interministerielle Arbeitsgruppe ihren Bericht über die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik vorgelegt hat, geistert das Schreckgespenst von den aussterbenden Deutschen herum. Es wird die Horrormeldung verbreitet, der Rentenversicherungsbeitrag würde im Jahre 2035 auf 35 % anwachsen, oder die Rentnerinnen und Rentner würden nur die Hälfte ihrer bisherigen Bezüge erhalten. Verschwiegen wird bei dieser Milchbubi-Rechnung die Tatsache - mal angenommen, der Geburtenrückgang bleibt in dieser Kontinuität und die soziale Versicherung bleibt, wie sie ist, was auch nicht so sicher ist -, daß dem Mehraufwand bei der Rente Minderausgaben wegen niedrigeren Bedarfs für die schulische und vorschulische Bildung, für Hochschulen, für Arbeitslosengeld, für Wohnungsbau, um nur einiges zu nennen, gegenüberstehen würden. Auch die Rekrutenausbildung würde sich mangels Masse um 33 % vermindern. Das bedeutete immerhin 1,1 Milliarden DM für bessere Zwecke. Alles in allem: Den Mehrausgaben stünden Minderausgaben gegenüber, die sie aufheben würden. Aber nicht nur Herr Geißler sorgt sich. Auch Herr Wörner bangt um seinen Bedarf von 225 000 Männern pro Jahr. Und aus dem Ernährungsministerium dringt Sorge um das Einkommen der Bauern, weil die für 2030 angenommenen 38 Millionen, die dann hier nur noch leben würden, nicht so viel verschlingen könnten wie die 60 Millionen heute. Offenbar stellt man sich vor, daß die Zahl der produzierenden Bauern konstant bleibt, was weder der EG-Politik noch der erkennbaren Zeugungsfreudigkeit des Landmannes entspricht. ({1}) Wenn in einem der am dichtesten besiedelten Länder wie dem unseren die Geburtenzahlen sinken, warum geht dann nicht ein Aufatmen durch den Raum, wo doch damit unsere auf das höchste überstrapazierten Lebensgrundlagen entlastet würden? Ich denke, es besteht für uns kein Grund, mit einem bevölkerungspolitischen Auftrag zu Bette zu gehen. Wenn Sie allerdings das bevölkerungspolitische Kalkül leugnen und die Stiftung eine Maßnahme im Rahmen von Sozialpolitik sein soll - auch wenn es eine Ergänzungsmaßnahme ist, so handelt es sich letztlich um Sozialpolitik -, so bleibt es doch nur Almosenpolitik, auf jeden Fall bis 1986, denn erst dann sollen doch die vollmundig angekündigten Veränderungen im steuerlichen Bereich wirksam werden und das Erziehungsgeld eingeführt werden. Zu den angekündigten Maßnahmen im sozialen Bereich will ich nur kurz folgendes sagen. Die vorgeschlagenen 44 DM Kindergeld für die Bezieher unterer Einkommen stehen in krassem Mißverhältnis zu der Tatsache, daß das Kindergeld seit 1975 nicht erhöht wurde. Dieser Betrag bedeutet also nicht einmal einen Ausgleich der Inflationsrate und macht beileibe keinen Mut, Kinder großziehen zu wollen. Meine Damen und Herren, ich halte es für eine unzulässige Verknüpfung, wenn eine Almosen5656 gabe von 3 000 DM mit dem Schutz des ungeborenen Lebens in Verbindung gebracht wird. ({2}) Ich habe schon einmal gesagt: Am besten schützen Sie die Ungeborenen, indem Sie die Lebenden schützen und die Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen sichern. ({3}) In Hamburg stieß die Giftküche Boehringer über Jahre hinweg Dioxine aus. Hamburgs Müllplätze sind voll von diesem Teufelszeug. Hamburg hat die höchste Mißbildungsrate der Bundesrepublik und die höchste Rate an schweren Mißbildungen; letztere Rate ist in Hamburg doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Die Giftküchen brodeln aber nicht nur in Hamburg. Wenn wir den Anstieb von Mißbildungen wie Spina bifida und schwersten Formen von Zyklopie erkennen, müssen wir uns dann nicht fragen, ob der Schutz des ungeborenen Lebens nicht längst versagt hat? ({4}) Wenn trotz jahrelanger Mahnungen und durchführbarer Gegenmaßnahmen Schwefeldioxid und Stickoxide die Luft verpesten, wenn Gutachten den Zusammenhang von erhöhter Luftbelastung und Pseudokrupp erkennen lassen und diese Gutachten leichtfertig beiseite gelegt werden, wenn Gifte weiterhin den Boden verpesten, wenn in zehn Jahren Trinkwasser gepumpt wird, das wir heute vergiften, wie ernst wird dann der Schutz des Lebens und der Schutz kommender Generationen genommen? Ich bin wütend und traurig über den geballten Unverstand der herrschenden Politik. Der derzeitigen und auch der vorangegangenen Bundesregierung sowie den in den Ländern und Kommunen zuständigen Politikern werfe ich vor, daß sie für eine Umweltpolitik die Verantwortung tragen, die Erkrankungen und Tod von Menschen zur Folge hat, und damit, um mich zurückhaltend auszudrücken, grob fahrlässig handelten bzw. handeln. Herrn Geißlers süffisante Almosenpolitik kann keine Sozialpolitik ersetzen. Wer Almosen verteilt, wirkt nie überzeugend, auch wenn er sich sehr anstrengt. Ich möchte mit einem Zitat von Kurt Tucholsky schließen, das zeigt, daß schon immer mit gespaltener Zunge geredet wurde. Es lautet: Die Leibesfrucht spricht: Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte, Richter. Ich soll neun Monate schlummern; ich soll es mir gutgehen lassen. - Sie wünschen mir alles Gute, sie behüten mich. Gnade Gott, wenn meine Eltern mir etwas antun, dann sind sie alle da. Wer mich anrührt, wird bestraft. Meine Mutter fliegt ins Gefängnis, mein Vater hintenach, der Arzt, der es getan hat, muß aufhören, Arzt zu sein. Die Hebamme, die geholfen hat, wird eingesperrt. - Ich bin eine kostbare Sache. Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte und Richter. Neun Monate lang. Wenn aber diese neun Monate vorbei sind, dann muß ich sehen, wie ich weiterkomme. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Paragraphen sind mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 4 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/1687 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer dem § 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 4 ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe § 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/1688 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 5 ist angenommen. Ich rufe die §§ 6 bis 14, Einleitung und Überschrift, in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieses ist in der zweiten Lesung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN angenommen. Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1665 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, damit ist dieser Tagesordnungspunkt beraten. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 30: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) als 1. Untersuchungsausschuß nach Artikel 45a Abs. 2 des Grundgesetzs zu den Anträgen - der Fraktion der SPD und des Anschlußantrages der Fraktion DIE GRÜNEN vom 20. Januar 1984 zur Untersuchung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung Dr. Wörner, General Dr. Kießling zu entlassen - der Fraktion der CDU/CSU und des Anschlußantrages der Fraktion der FDP vom 20. Januar 1984 zur Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Zurruhesetzung des Generals a. D. Dr. Kießling - Drucksache 10/1604 Berichterstatter: Abgeordnete Francke ({1}) Hauser ({2}) Dr. Klejdzinski Vogt ({3}) Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer.

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen liegt der Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses vor, und ich darf mich zunächst einmal bedanken, bedanken vor allen Dingen bei den Mitarbeitern aller Fraktionen, den Herren Witting und Mann von der Opposition und den Herren von Stechow und Bregenzer aus unseren Reihen, die zusammen mit Mitarbeitern des Ausschußsekretariats, den Herren Aufenanger und Gohla eine vorzügliche Arbeit zusammen mit uns geleistet haben. ({0}) Dieser Dank gilt natürlich auch den Stenographen aus allen Bundesländern, die mitgearbeitet haben, ebenso der Hausinspektion, alles natürlich mit einem Dank an unsere beiden Vorsitzenden verbunden, die uns zügig geführt haben, und einem Dankeschön an die Presse, deren Berichterstattung wir in weiten Teilen fast für den Bericht hätten übernehmen können. Ich glaube, daß wir mit diesem Bericht alle zusammen einen Beitrag zur politischen Kultur unseres Landes und auch dieses Parlaments geleistet haben. Das sieht man nicht zuletzt daran, daß wir in dieser schwierigen Materie einen fast übereinstimmenden Untersuchungsbericht vorgelegt haben, einen gemeinsamen Sachverhalt, eine gemeinsame Bewertung, gemeinsame Schlußfolgerungen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen, daß das Klima im Untersuchungsausschuß vorzüglich war. Wir haben das von unserer Seite bewußt so als Alternative zu den letzten Jahren, wo Sie verantwortlich waren, gestaltet. Wir können Ihnen Ihre Rechte, die nach dem Grundgesetz und nach den IPA-Regeln verbrieft waren und verbrieft sind, nicht bestreiten. Wir mußten früher ständig zum Geschäftsordnungsausschuß laufen. Wir haben uns von Anfang an darauf eingestellt, daß wir dieses Problem gemeinsam miteinander behandeln konnten. Wir wissen eines in diesem Zusammenhang: Dieser Untersuchungsausschuß, Herr Kollege Jahn, ist kein gerichtsähnliches Verfahren. Er ist ein parlamentarisches Instrument. Wir wissen eines: daß wir in diesem Untersuchungsverfahren natürlich nicht das politisch gewünschte Ergebnis gegen politische Mehrheiten durchsetzen können. Aber eines war uns allen klar: Wir haben in diesem Hause und in diesem Lande gemeinsam mehr zu verlieren, als uns manchmal bewußt ist. In diesem Ziele, glaube ich, haben wir uns alle über die Fraktionsgrenzen hinweg gefunden. Eines muß man in diesem Zusammenhang auch einmal sagen, weil es von anderen, von der Presse festgestellt worden ist. Wir haben hier ein parteiübergreifendes gemeinsames Untersuchungsziel in weiten Teilen gehabt. Ich glaube, das ehrt uns. Es ist gar keine Frage, daß man in bestimmten Fragen des Regierungshandelns anderer Auffassung war. Eines muß hier festgestellt werden: Die Aufforderung des Bundeskanzlers, alles auf den Tisch zu legen, ist doch in diesem Ausschuß nahtlos erfüllt worden. ({1}) Und das unterscheidet sich, Herr Kollege Jungmann, von Ihrem Verhalten in vorherigen Untersuchungsausschüssen. Es ist natürlich einiges im Streit geblieben. Das wollen wir gar nicht bestreiten. Zum Beispiel beklagen Sie, daß Herr General a. D. Dr. Kießling nicht früher rehabilitiert worden sei. Wenn man es vom Ergebnis aufzäumt - das muß man doch einmal sagen -, sind wir tief unglücklich über diese Geschichte. Vom Ergebnis her hätte sie gar nicht stattfinden dürfen. Aber eines müssen Sie sich doch fragen lassen, wenn Sie meinen, es wäre Ende Januar zu spät gewesen: Am 18. Januar dieses Jahres hatten Sie durch das Angebot des Bundesministers der Verteidigung die Gelegenheit, die Zeugen aus der Kölner Polizei im Verteidigungsausschuß zu hören. Sie haben das alles verhindert. Wenn wir sie hätten hören können, wäre uns sehr schnell klar geworden, was wir dann erst nach mehreren Monaten im Untersuchungsausschuß mitgeteilt bekommen haben: daß die innere Verfassung des MAD, hohe Offiziere, hohe Beamte, exakt eine Verfälschung der Aussagen der Kölner Polizei vorgenommen hat mit dem Ergebnis, daß sich eine bemerkenswerte Täuschungslawine in Gang gesetzt hat, deren Opfer viele geworden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beim Kollegen Jahn natürlich immer.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir einmal helfen, Ihrer Logik auf die Spur zu kommen, Herr Kollege Wimmer? Wenn Sie also meinen, der Ausschuß hätte das erkennen können und es sei an den Sozialdemokraten gescheitert, ({0}) daß die Leute von der Kölner Polizei nicht gehört worden sind: Aber der Herr Wörner hat es schon erkennen können, der Herr Bundeskanzler hat es erkennen können. Wozu brauchten die eigentlich noch die Hilfe des Ausschusses, um aus eigener Erkenntnis die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen?

Hermann Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jahn, die Antwort ist Ihnen doch bekannt: weil in diesem Hause Ihr Sachwissen auch erforderlich ist. ({0}) Wenn ich mir überlege, wie subtil Sie und wir alle gefragt haben: Glauben Sie nicht, wir wären fündig geworden? Aber Sie müssen doch, wenn Sie anderen Vorwürfe machen, sich selbst fragen, warum haben Sie das mit Brachialgewalt am 18. Januar verhindert? Wenn Sie es nicht getan hätten, hätten wir alle eine Chance mehr gehabt. Bevor Sie anderen etwas vorwerfen, müssen Sie sich das selbst fragen lassen. ({1}) Nur um einmal die Dimension klarzumachen: Was ist gewesen? Die Leute der Kölner Polizei hatten eine Zeugenaussage: daß jemand glaubte, einen bestimmten Herrn erkennen zu können, den er dort vor zwölf Jahren gesehen habe. ({2}) Im MAD wurde daraus, daß er seit zwölf Jahren in bestimmten Kölner Lokalen verkehre. Ich will damit nur einmal die Dimensionen aufzeigen, ({3}) die deutlich machen, warum es nötig gewesen wäre, das zu unternehmen. Sie haben das verhindert. Wenn Sie im nachhinein sagen, daß Bestimmtes hätte unterbleiben sollen, und wenn Sie im Verlauf des Untersuchungsverfahrens bei aller Fairneß, die Sie an den Tag gelegt haben, den Versuch unternommen haben, so eine Art gequältes Gewissen herauszustilisieren, dann will ich Ihnen nur vorhalten: Ihre Vertreter wurden am 9. Dezember 1983 durch den Bundesminister von seiner Absicht unterrichtet. Sie haben natürlich nichts unternommen, weil Sie genauso auf Herrn Dr. Wörner vertraut haben wie Herr Dr. Wörner natürlich auch auf die militärische und zivile Führungsspitze seines Hauses, als man ihm sagte, Bestimmtes unternehmen zu müssen. Dann ein Weiteres: Von Ihnen ist immer wieder vorgetragen worden, Herr Dr. Wörner habe Ehrenrühriges gegen General a. D. Dr. Kießling vorgetragen. ({4}) Ich will Ihnen nur eines sagen: Führende Vertreter Ihrer Fraktion haben sich vor die Fernsehkamera gestellt und üble Geschichten wiedergegeben, damit es auch alle hören konnten. ({5}) Wer also im Glashaus sitzt, muß wissen, daß er nicht mit Steinen werfen darf. Und Sie sitzen in einem großen Glashaus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, von dem Doktor immer.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wimmer, darf ich Ihre heutigen Ausführungen dahin gehend verstehen, daß Sie heute versuchen, all das zurückzunehmen, was Sie damals in der Aktuellen Stunde in irgendeiner Form als Anklage erhoben haben?

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Klejdzinski, ich kenne ja Ihre Reden; sie sind inzwischen ja schon verteilt worden. Deshalb lassen Sie doch dem Kollegen Jungmann diesen Gag, damit er das sagen kann. ({0}) Niemand will bestreiten - Sie lesen ja alle diesen Untersuchungsausschußbericht -, daß Fehler gemacht worden sind. Ich meine, einiges ist für uns alle unverständlich. Die römische Kurie würde nie einen Kardinal zwischen Weihnachten und Neujahr ins Kloster schicken, ohne die Stadt und den Weltkreis oder zumindest „dpa" zu unterrichten. Das ist natürlich etwas, was wir sehen müssen. Aber zu den Fehlern, die gemacht worden sind, haben sich der Bundeskanzler und Bundesminister Dr. Wörner selber geäußert. Es ist nicht meine Aufgabe, darauf noch anderthalbe zu setzen. ({1}) - Hätten Sie immer Konsequenzen gezogen, hätten Sie schon 1970 die Regierung verlassen. Wir haben eines mit Nachdruck festgestellt, Herr Kollege. Herr Dr. Wörner hat sich in jeder Phase des Verfahrens pflichtgemäß und rechtmäßig verhalten. Aber es ist doch unbestritten, daß das für uns alle keine strahlende Angelegenheit gewesen ist. Wir müssen in diesem Lande doch feststellen: Es gibt mit Sicherheit auch einmal einen Unterschied zwischen allgemeiner Gerechtigkeit und formellem Recht. Wenn beides nicht in Kongruenz gebracht Wimmer ({2}) werden kann, ist das formelle Recht im Grunde notleidend. Aber derjenige, der nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, hat in dieser Republik auch einen Anspruch darauf, daß man ihm insoweit Gerechtigkeit widerfahren läßt. Herr Dr. Wörner hat mit Sicherheit diesen Anspruch. ({3}) Was ist denn geschehen? Als sich das Fehlerhafte des Handelns herausgestellt hat, hat diese Regierung gehandelt. Das ist doch ein großer Unterschied zu Ihnen. Erinnern Sie sich doch einmal an „Tornado". Ihre Regierung hat doch in ähnlichen Fällen die Wahrheit immer förmlich über das Knie gelegt. Das war doch Ihr Regierungsverhalten. Bei uns ist das eben anders. Es wird korrigiert. ({4}) Wenn wir uns fragen, wer für dieses Verhalten verantwortlich war, müssen wir natürlich auch feststellen: Die von Ihnen übernommene Struktur und das innere Verhalten des MAD haben den Grund für das gelegt, was wir erkennen mußten. ({5}) Als der Bundesminister der Verteidigung nach seinem Amtsantritt vier Abteilungsleiter in den einstweiligen Ruhestand geschickt hat, waren Sie es doch, die aufgeheult haben. Sie haben Herrn Dr. Wörner ja schon förmlich mit Ihrem Kollegen Ehmke verglichen. Wenn man nun das Ergebnis sieht, muß man doch sagen, daß nicht genug getan worden ist, daß noch zusätzlich etwas hätte getan werden müssen. Deswegen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Welches ist die Fehlerursache gewesen? Heute ist man förmlich versucht, ein Hohelied auf den Stabsfeldwebel Idel zu singen; denn er hat mit Sicherheit eine souveräne Position eingenommen. Für andere gilt das nicht, wie etwa für den von Ihnen übernommenen ehemaligen Amtschef Schmähling. War es fair, den Amtsnachfolger ins Messer laufen zu lassen? Das muß hier doch alles einmal gefragt werden. Und ein zentraler Punkt kommt hinzu. ({6}) - Herr Kollege Jahn, ich möchte gerade diesen Satz zu Ende bringen. Ein zentraler Punkt kommt hinzu. Wir haben gemeinsam im Untersuchungsverfahren festgestellt, daß überzogene Bedrohungsängste und nicht vorhandenes Wissen über die rechtlichen Grundlagen des MAD ein zentraler Punkt gewesen sind. - Herr Kollege Jahn, Sie stehen so schön da; deswegen sage ich es Ihnen ganz persönlich: das ist das traurige Ergebnis von 13 Jahren sozialdemokratischer Regierungspolitik, daß das Rechtsbewußtsein in einem zentralen Dienst dieses Landes nicht so war, daß wir alle uns, ohne rot im Gesicht zu werden, mit dieser Frage auseinandersetzen können. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn ({0})?

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wimmer, haben Sie gar kein Gefühl für die Peinlichkeit, die darin liegt, daß Sie versuchen, hier alle Verantwortung auf den MAD, auf dessen Soldaten und Beamte zu schieben und dadurch den Eindruck zu erwecken, daß derjenige, der zu prüfen und zu entscheiden hatte, nämlich der Bundesminister der Verteidigung Dr. Manfred Wörner, scheinbar gar nichts mehr mit der Sache zu tun hat?

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jahn, im Gegensatz zu Ihren Kollegen habe ich meine Ausführungen nicht verteilt. Sie können ja noch zuhören. Vielleicht kommen Sie am Ende der Ausführungen zu anderen Ergebnissen. ({0}) Ich muß mich natürlich fragen: Hätte man nicht unter Umständen auch gerade dem MAD ein besonderes Augenmerk widmen können? Da kann ich natürlich darauf verweisen: Was haben wir denn als Ihr Erbe angetreten? Eine desolate Bundeswehrplanung, einen Abmarsch Ihrer Partei aus einer Gemeinsamen Sicherheitspolitik. ({1}) Eines muß man in diesem Zusammenhang doch sagen. Minister Dr. Wörner hat in jedem Fall die Sicherheitspolitik dieses Landes und auch die Bundeswehrplanung auf eine solide Basis gestellt. Und wenn man schon fragt, ob es unterschiedliche Prioritäten geben soll, dann kann ich in diesem Zusammenhang nur eines feststellen: er hat die richtigen Prioritäten gewählt; es ist an einer Stelle geplatzt, wo wir es vielleicht so schnell nicht erwartet hätten. Deswegen kann man ihm doch nicht vorwerfen, daß er korrekt und richtig in der Prioritätenverteilung gehandelt hat. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie die Zwischenfrage?

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, nicht mehr.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, ist in Ordnung.

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie mich fragen, ob es nicht noch andere Fehler gegeben hat, sage ich: mit Sicherheit. ({0}) - Ihre mit Sicherheit nicht. - Im November des vergangenen Jahres hat der Staatssekretär Dr. Hiehle eine Revision des Verfahrens in Sachen Dr. Kießling angestrebt, weil er vielleicht das Gefühl hatte, daß vorher nicht alles richtig gelaufen war. Wenn er das aber getan hat, warum hat er dann nicht das Verfahren in Sachen Sicherheitsüberprüfung so penibel kontrolliert, daß mit Sicherheit dem Bundesminister der Verteidigung im Dezember eine korrekte, überprüfte Grundlage für seine Ent5660 Wimmer ({1}) Scheidung vorgelegen hätte? Das sind natürlich Dinge, die uns betroffen machen. Man kann da nur hoffen und wünschen, daß die neue Führungsspitze des BMVg in diesen Dingen ein besonderes feeling, ein besonderes Gefühl entwickelt. ({2}) - Ja, wir haben neue Staatssekretäre bekommen; sonst müßte man Ihnen anraten, vielleicht mal zur Lehre einen benachbarten Gemeinderat aufzusuchen. Ich will in diesem Zusammenhang auf folgendes hinweisen. Neben den gesetzgeberischen und administrativen Konsequenzen, die zu ziehen sind, muß man einmal an folgendes erinnern. Der Vorgänger von Dr. Wörner hat sein Amt im Grunde verlassen in einem totalen Mißtrauen seinem Amt gegenüber. Über die Ehmke-Kommission hat er versucht, im Grunde einen administrativen Ministerstrang zu etablieren. Totales Mißtrauen im Amt! Das hat Herr Dr. Wörner, obwohl Sie dieses Amt so verlassen hatten, nicht getan und im Grunde kritisches Vertrauen als Führungsprinzip an die Stelle gesetzt. ({3}) Wir haben insgesamt erlebt, daß diesem kritischen Vertrauen nicht entsprochen worden ist, und wir - diese Regierung - haben gehandelt. ({4}) - Wir haben in 28 Einzelpunkten der HöcherlKommission die administrativen Konsequenzen gezogen. ({5}) Wenn ich mir das vor Augen halte, weiß ich, daß wir uns hier zentral anders verhalten haben, als das früher bei Ihnen immer der Fall war. 13 Jahre haben Sie uns und diesem Lande doch auch in diesen Fragen Sand in die Augen gestreut. Wir tun das nicht. Sie sollten darüber nicht betrübt sein. ({6}) Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang auch noch eines sagen. Wir werden natürlich bei der weiteren Konsequenz eines bedenken: Ist das, was im Zusammenhang mit dem MAD gesetzgeberisch geschehen soll, in den Einzelpunkten so, wie es vorgeschlagen wird, wirklich adäquat? Da ergibt sich natürlich die parlamentarische Verantwortlichkeit. Wir müssen eines sagen. Dieses Land insgesamt - ich darf dabei den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hirsch zitieren - braucht in diesen Diensten die Besten, die es hat; mit Sicherheit. Sie müssen sich aber auch - das sollten wir alle bedenken - in diesem auf rechtsstaatliche Prinzipien gegründeten Land in der Rechtsstaatlichkeit wie die Fische im Wasser bewegen können. Das ist eine größere Voraussetzung als nur eine längere Stehzeit. ({7}) - Oder auch kürzere Stehzeit. - Das ist mit Sicherheit eine größere Konsequenz, als uns lieb ist, die wir alle ziehen müssen. Deswegen kann ich im Grunde, nachdem ich vieles auch zu Ihrem Verhalten gesagt habe - Sie werden zu unserem ja auch etwas sagen - nur an Sie appellieren, die gemeinsam eingenommene Haltung der letzten Monate, bei der wir an der Sache orientiert waren, auch in der Frage beizubehalten: Was geschieht mit der Spitzenorganisation und dem MAD weiter? Denn wir sind in diesem Lande zu mehr verpflichtet, als nur des eigenen kurzlebigen Vorteils willen das eine oder andere zu unterdrücken; ({8}) im Gegensatz zu Ihnen. Ich bedanke mich. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Dank des Hauses an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat bereits Herr Wimmer ausgesprochen, dem möchte ich nichts hinzufügen, sondern ihn nur unterstreichen. Es ist die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gewesen, die am 20. Januar dieses Jahres die Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß beantragt hat. Wir haben damals diesen Antrag nicht leichten Herzens oder der Effekte willen gestellt. Richtig ist, daß eine Reihe von ernst zu nehmenden Kollegen hier in diesem Haus auch noch bis zur Zeugenvernehmung Zweifel hatten und sich auch in diesem Sinne äußerten. Doch wir Sozialdemokraten haben uns bereits damals eine andere parlamentarische Behandlung der Angelegenheit vorstellen können. Wir fühlen uns heute durch das vorliegende Ergebnis dahin gehend bestätigt, daß der Untersuchungsausschuß notwendig war. Ich muß leider daran erinnern, daß der Minister Wörner, als er am 18. Januar dieses Jahres im Verteidigungsausschuß war, uns die rückhaltlose Aufklärung zusagte, sie uns letztlich aber verweigert hat. Wir wissen heute: Der Bundesminister Wörner hat dieses Parlament mit einer falschen und höchst lückenhaften Darstellung hinters Licht führen wollen. Gemeinsame Erfahrung aller Mitglieder dieses Ausschusses ist nicht nur die Erkenntnis über die katastrophale Arbeit des MAD, sondern auch, wie ich hinzufügen möchte, die menschlich bedrükkende Art, in der der Verteidigungsminister Wörner einen der drei ranghöchsten Bundeswehrgeneräle in Pension geschickt hat und gleichzeitig so naiv war, anzunehmen, dies könnte ohne Nachfragen der Öffentlichkeit und des Parlaments geschehen. Unsere gemeinsamen Erfahrungen in diesem Untersuchungsausschuß haben maßgeblich dazu beigetragen, daß wir in einem beachtlichen Umfang zu gemeinsamen Feststellungen gekommen sind, und davon wird dieser Bericht geprägt. Wir sind erstens mit den Regierungsfraktionen gemeinsam zu einer Darstellung a) der Geschehnisse gekommen, die im Jahre 1983 zur vorzeitigen Pensionierung des Gene- rais Kießling geführt haben, und b) derer, die im Januar dieses Jahres zu seiner Wiederernennung und Rehabilitation geführt haben. Zweitens sind wir - dies ist auch wiederum beachtenswert - auch zu einer gemeinsamen Bewertung der Tätigkeit des Militärischen Abschirmdienstes gelangt. Ich kann heute feststellen: Der ganze Untersuchungsausschuß hat in vollem Umfang das bestätigt, was der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Dr. Hans Jochen Vogel, bereits Mitte Januar ausgeführt hat. Er hat damals gesagt, daß die angeblichen Erkenntnisse über General Kießling - ich darf zitieren - „in vorschriftswidriger Weise beschafft, mangelhaft bewertet, fehlerhaft dargestellt worden sind und sie in der Substanz völlig unzureichend sind". Im gemeinsamen Bericht des Untersuchungsausschusses heißt es jetzt - ich zitiere wiederum - über die vorzeitige Pensionierung des Generals Kießling, daß sie auf falschen Angaben beruhte, die in vorschriftswidriger Weise gewonnen wurden, fehlerhaft bearbeitet, mangelhaft bewertet und unrichtig dargestellt worden sind. Daß Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, sich nun der Beurteilung des Oppositionsführers angeschlossen haben, nehmen wir Sozialdemokraten mit Befriedigung, ja, mit Genugtuung zur Kenntnis. Sicherlich hätten wir es begrüßt, wenn dieser Lernprozeß bei Ihnen ein bißchen früher eingetreten wäre. Es wäre doch besser, wenn Sie daraus frühzeitig die gebotenen Konsequenzen gezogen hätten. Lernprozesse brauchen nun einmal Zeit, und wir geben nicht auf. Es gibt nach dem Ergebnis der Untersuchung für mich keinen Zweifel - dies sage ich mit aller Deutlichkeit -: Die Hauptlast der Verantwortung für die Versäumnisse trägt die politische Führung. ({0}) Herr Minister, eigentlich müßte es Ihnen bei solch einer Bemerkung in den Ohren klingen. Genau diese Formulierung haben Sie nämlich selbst einmal gewählt, als Sie den damaligen Bundesverteidigungsminister Leber auf seine Verantwortung im Fall Lutze/Wiegel hingewiesen haben. Lassen Sie mich aus dem Bericht, soweit es unsere Schlußfolgerungen betrifft, einen Punkt herausgreifen: Das Bundesministerium der Verteidigung hat eine Überprüfung sämtlicher Sicherheitsüberprüfungen des MAD vorzunehmen, die im zweiten Halbjahr 1983 zur Ablehnung, zum Entzug oder zu einer Einschränkung eines erteilten Sicherheitsbescheids geführt haben. Diese Forderung beruht wiederum auf einer gemeinsamen Feststellung des Untersuchungsausschusses, nämlich daß der MAD bei der Sicherheitsüberprüfung des Generals Kießling fortgesetzt und schwer gegen die dafür bestehenden Dienstvorschriften verstoßen hat. Wegen der Häufung der festgestellten Verstöße halten wir es sogar für ausgeschlossen, daß es sich lediglich um einen Einzelfall handelt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es lediglich die Spitze eines Eisberges ist. Ich mache keinen Hehl daraus: Wir Sozialdemokraten haben eine viel weitergehende Überprüfung dieser Tätigkeit des MAD verlangt. Im Interesse der Gemeinsamkeiten, im Interesse der Erstellung eines gemeinsamen Abschlußberichts haben wir dort unsere Position zurückgenommen. Wir Sozialdemokraten werden aber dafür sorgen, daß diese Überprüfungen im Bundesministerium der Verteidigung ernstgenommen werden und daß sie mit dem gebotenen Nachdruck durchgeführt werden und in einem überschaubaren Zeitraum erledigt werden. Ich hoffe, daß die traurigen Erfahrungen im Untersuchungsausschuß uns alle ausreichend sensibilisiert haben. Wir sind nämlich der Meinung, wir haben die Verantwortung für diejenigen Menschen, die möglicherweise zu Unrecht in die Mühlen des Militärischen Abschirmdienstes geraten sind. Ich hoffe, Sie, Herr Minister, empfinden das in der gleichen Art und Weise wie wir. Wir kommen mit den Regierungsparteien auch zu gemeinsamen Schlußfolgerungen für den Militärischen Abschirmdienst. Wir Sozialdemokraten würdigen dabei das hohe Maß an Gemeinsamkeiten in dieser Aufgabenstellung. Es dient der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Bundeswehr, und es dient letztlich dazu, die Rechte unserer Soldaten vor unzulässigem und willkürlichem Handeln zu bewahren, zu schützen und zu sichern. Ich erinnere mich sehr gut daran: Wie versteinert saßen die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion auf ihren Stühlen, als der General Kießling vor dem Untersuchungsausschuß mit großem Ernst, aber mit viel Bitterkeit deutlich gemacht hat, wie tief ihn der Bundesminister Dr. Wörner in seiner Ehre und in seiner Würde verletzt hat. Wir wollen den Schaden, der der Bundesrepublik Deutschland, der Bundeswehr und auch dem General Kießling zugefügt worden ist, heute bewußt begrenzen. Um die Rolle, die Dr. Wörner hier gespielt hat, umfassend zu würdigen, möchte ich folgendes in Erinnerung rufen. Herr Wörner hat 13 Jahre lang, seit 1969, das Amt des Bundesministers der Verteidigung angestrebt. Er hat diese Zeit als Mitglied des Verteidigungsausschusses und dessen langjähriger Vorsitzender in der ihm eigenen Art und Weise genutzt. Wie kein anderer vor ihm hat er das Innenleben der Bundeswehr und des Bundesministeriums der Verteidigung gekannt. In vielen Reden in diesem Hohen Hause in all den Jahren hat er den Eindruck zu erwecken vermocht, als sei kein anderer als er alleine prädestiniert, die Aufgaben des Bundesministers der Verteidigung Deutschlands zu erfüllen. Nach nicht einmal 16 Monaten nach der von Genscher und Lambsdorff in wortbrüchiger Weise inszenierten Wende hat der Verteidigungsminister Dr. Wörner nachgewiesen: Nichts ist vergänglicher als Glitter, all sein Handeln ist nur Show, nichts als heiße Luft. Noch nicht einmal eine wichtige Personalangelegenheit unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt zu lösen ist er imstande. Das sagen nicht nur wir Sozialdemokraten, nein, das sagen auch Generäle, das sagt beispielsweise auch General a. D. Schmückle. ({1}) In der Zeit der sozialliberalen Koalition haben Sie, Herr Wörner, keine Gelegenheit ausgelassen, um unsere drei sozialdemokratischen Verteidigungsminister in unverwechselbaren Anspruch zu nehmen, garniert mit den höchsten moralischen Wendungen, und auf ihre Pflicht gegenüber der Bundeswehr und den Soldaten hinzuweisen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wörner, hat jedoch kein sozialdemokratischer Verteidigungsminister, weder Helmut Schmidt noch Georg Leber, noch Hans Apel, seine Sorgfalts- und Fürsorgepflichten jemals in der Art und Weise verletzt, wie Sie es getan haben. ({2}) Keiner wäre auch nur auf den Gedanken gekommen, einen Soldaten der Bundeswehr oder gar einen General so durch den Dreck zu ziehen, wie Sie das mit General Dr. Kießling getan haben. ({3}) Sie, Herr Wörner, werden nun heute von Ihren leeren Reden aus Ihrer glorreichen Oppositionszeit erbarmungslos eingeholt. Geradezu höhnisch haben Sie sich gegenüber unserem damaligen Minister Leber im Zusammenhang mit dem Spionagefall Lutze/Wiegel darüber verbreitet, jeder habe sich auf den anderen verlassen: der Verteidigungsminister auf den Staatssekretär, der Staatssekretär auf den Generalinspekteur und dieser auf den MAD. Sie haben damals hinzugefügt - Herr Wörner, hören Sie bitte zu -, Sie haben damals erklärt: Ich habe wirklich den Eindruck, daß die Wörter „Dienstaufsicht" und „Kontrolle" zu den Fremdwörtern im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehört haben. ({4}) Das ist der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abträglich. Nun, wenn Sie nicht als Vertreter derjenigen gelten, die sagen: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?", dann muß ich Ihnen vorhalten: Konsequenzen haben Sie aus derlei Einsichten nicht gezogen. ({5}) Sie haben vielmehr sämtliche Grundsätze der Dienstaufsicht, der Kontrolle und der sorgfältigen Personalführung sowie die Prinzipien der Inneren Führung dauernd und nachhaltig verletzt. ({6}) Nur zu dem, was man von einem Menschen erwartet, der derartig versagt hat, nämlich den Hut zu nehmen, sind Sie nicht fähig. Als Bundesminister sind Sie nämlich für die Tätigkeit des MAD politisch verantwortlich. Sie aber haben sich in der ganzen Zeit, in der die Angelegenheit des Generals Kießling in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, immer darauf berufen, Sie hätten sich auf Ihren Staatssekretär, den Stellvertreter des Generalinspekteurs und auf den MAD verlassen. Mit den Fehlern anderer können Sie doch Ihre eigene Schlampigkeit und Schludrigkeit nicht rechtfertigen; so kann man hier doch nicht antreten. Wissen Sie eigentlich, was das heißt, Herr Minister? Sie, Herr Minister, leugnen damit Ihre eigene, die politische Verantwortung. Bei Ihren Entscheidungen müssen Sie sich gefälligst ein eigenes Bild machen, wenn Sie sorgfältig handeln wollen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, haben den Versuch unternommen, den früheren Staatssekretär Dr. Hiehle für die ganze Affäre verantwortlich zu machen. ({7}) Wir als Parlament sind gut beraten, wenn wir die politische Verantwortung dort belassen, wo sie ist, nämlich bei dem parlamentarisch verantwortlichen Bundeskanzler und seinen Ministern. Daß Sie als Bundesminister eine eigenständige Amtspflicht haben, wozu auch die Pflicht gehört, sorgfältig zu handeln, müßte eigentlich selbstverständlich sein. Ihren früheren Reden kann man auch entnehmen, daß diese Selbstverständlichkeit Ihnen bekannt ist; zumindest haben Sie die Forderung an andere gestellt. Oder gilt wirklich auch hier: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Was Ihnen - wie übrigens der gesamten Regierung - fehlt, Herr Wörner, ist die Fähigkeit, Ihre in flotten Reden verkündeten hohen Ansprüche auch nur ansatzweise in die Tat umzusetzen. Es kann nur Kopfschütteln hervorrufen, daß Sie die Entscheidung, einen der ranghöchsten Generäle der Bundeswehr vorzeitig in Pension zu schicken, auf der Grundlage eines gerade eineinhalb Schreibmaschinenseiten umfassenden Berichts des MAD getroffen haben. Sie haben keinerlei weitere Unterlagen angefordert. Sie haben das Ehrenwort des Generals Dr. Kießling vom Tisch gewischt und eine mit ihm schon getroffene Absprache über eine spätere Verabschiedung mit militärischen Ehren bewußt gebrochen. Wir Sozialdemokraten halten es nach unserem Verständnis auch für völlig unerträglich, daß ein Personalratsmitglied sein Amt dazu mißbraucht, statt seinen gesetzlichen Aufgaben nachzugehen, Gerüchte über einen Bediensteten der Bundeswehr in ehrabschneiderischer Weise zu verbreiten. Daran ist grotesk, daß Sie diese Gerüchte ungeprüft zu Ihrer Entscheidungsgrundlage gemacht haben. Fragen Sie doch einen Ihrer Kollegen auf der Regierungsbank, ob sonst noch jemand seine Entscheidungen derart schlampig vorbereitet, obwohl wir auch ansonsten die Sachkompetenz dort nicht als erfreulich feststellen können! Sollte einer Ihrer Ministerkollegen diese Frage mit Ja beantworten, dann sollte er mit Ihnen gleichzeitig seinen Hut nehmen, und zwar möglichst unauffällig, um das deutsche Volk nicht mit der beklommenen Erkenntnis zu erschrecken, wer hier tätig war. ({8}) Nach den Bestimmungen unseres Grundgesetzes ist der Bundesminister in Friedenszeiten Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Wenn ein Bundesminister für sein Amt Autorität und Vertrauen braucht, dann ist es der Bundesminister der Verteidigung. ({9}) Er ist mehr als jeder andere auf Autorität angewiesen. Diese Autorität, Herr Wörner, haben Sie durch Ihr Handeln verspielt. Wenn Sie noch eine Spur von Anständigkeit, Verwirklichung von moralischen Ansprüchen auch auf Ihre eigene Person beziehen, dann ist es der beste Dienst, den Sie der Bundeswehr und dem Bündnis erweisen könnten, Ihren Hut zu nehmen. Danke. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bedauerlichen und belastenden Vorfälle um die vorzeitige Entlassung des Generals Dr. Kießling haben uns alle, Herr Dr. Klejdzinski, wenn auch auf Antrag der SPD-Fraktion, trotz aller eher mäßigen Erfahrungen mit früheren Untersuchungsausschüssen veranlaßt, gemeinsam mit allen Fraktionen dieses Hauses einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, um erst aufzuklären und dann zu beurteilen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Die zunächst auf Grund einer scheinbar lückenlosen Beweiskette von Zeugen und Indizien als zwingend erscheinende Notwendigkeit zu raschem Handeln hatte schon im Vorfeld immer mehr an Schlüssigkeit verloren, und die vermeintlich richtige Reaktion erwies sich als Irrtum. In einer solchen Situation besteht für den Rechtsstaat die elementare Verpflichtung, den Irrtum einzugestehen, ihn nicht nur ertragen zu können, sondern den dadurch angerichteten Schaden zu beseitigen oder, wo es geht, ihn wiedergutzumachen. Am 8. Februar 1984, meine sehr verehrten Kollegen, als wir uns hier das letzte Mal mit diesem Thema im Plenum beschäftigt haben, war die Entscheidung, General Dr. Kießling vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen, revidiert. ({0}) Dr. Kießling war rehabilitiert; aber Rehabilitierung ist schneller gesagt als getan. ({1}) Ehre und Ansehen in einer Öffentlichkeit vollständig wiederherzustellen, in der die erste Meldung Schlagzeilen macht, die zweite aber kaum mehr beachtet wird, ist fast unmöglich. Wir haben uns von meiner Fraktion her weder an Indiskretionen noch an Vorverurteilungen, gegenüber wem auch immer, beteiligt. Wäre diese Haltung durchgehend bei allen Mitgliedern der Fraktionen dieses Hauses und der Beteiligten auf der Hardthöhe durchgehalten worden, dann hätte die Rehabilitierung des Generals Dr. Kießling den angerichteten persönlichen Schaden wenigstens annähernd wiedergutmachen können. ({2}) So ist ein nicht unerheblicher Rest geblieben, der - ich bedaure dies zutiefst - mit allen politischen und rechtlichen Mitteln, die dafür zu Gebote stehen, nicht zu beseitigen, ({3}) sondern nur noch durch die persönliche Kraft des Betroffenen zu überwinden ist. Diese persönliche Kraft - ich bitte, das nicht als pathetisch zu empfinden - wünsche ich Herrn Dr. Kießling von dieser Stelle aus von ganzem Herzen. ({4}) Meine Damen und Herren, an dieser Stelle wäre vielleicht noch einmal der Dank fällig, den der Kollege Wimmer ausgesprochen hat und der vom Kollegen Klejdzinski unterstrichen wurde, für die Leistung unserer Mitarbeiter, Vorsitzenden usw., aber auch für das Klima, in dem dieser Ausschuß gearbeitet hat, ein Klima, von dem ich allerdings in Ihrer Rede, Herr Dr. Klejdzinski, die Sie soeben gehalten haben, wenig wiedergefunden habe. ({5}) Der Untersuchungsausschuß hat sich nach der Konstituierung überraschend schnell den sachlichen Prüfungen der Arbeit von MAD und ASBw gewidmet, nicht durch Mehrheitsbeschluß, um abzulenken oder Verantwortlichkeiten zu verschieben, auch nicht, Herr Dr. Klejdzinski, mit dem Versuch, die Verantwortung allein auf den Staatssekretär Dr. Hiehle zu legen. Vielmehr ergab sich diese Konzentration auf MAD und ASBw zwangsläufig aus den ersten Untersuchungen, die eklatante Mängel bei der Information und Vorbereitung der Entscheidungsgrundlagen für den Minister in der Frage aufzeigten, ob General Dr. Kießling nach den geltenden Bestimmungen ein Sicherheitsrisiko darstelle. Bei seinen Untersuchungen ging der Ausschuß von zwei zentralen Leitsätzen aus, die zwar nicht expressis verbis ins Protokoll geschrieben worden sind, die aber dennoch das gesamte Verfahren begleiteten. Erstens. Die Frage, ob ein Sicherheitsrisiko bestanden hat oder nicht, muß ex ante dem Erkenntnisstand und den Beurteilungsmöglichkeiten in jener damaligen Lage - das ist im übrigen wohl unbestrittene Rechtssprechung - entnommen werden. Zweitens. Der Grundgedanke, der für das gesamte Recht gilt - denn wir müssen doch wohl von der Einheit der Rechtsordnung ausgehen -, ist das Prinzip der Güterabwägung, eine besondere Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit. Während der Detailarbeit des Ausschusses sind diese Leitsätze nicht in Frage gestellt gewesen. Die einmütig verabschiedeten Teile der Beweisauf5664 nahme des Untersuchungsausschusses weisen das eindeutig aus. Herr Dr. Klejdzinski, Sie haben eine - wie ich meine, die zentrale - Feststellung des Berichts nur teilweise zitiert. Ich möchte es deswegen an dieser Stelle noch einmal vollständig tun. Es heißt dort: Aufgrund der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß steht fest, daß die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung vom 8. Dezember 1983, beim Bundespräsidenten zu beantragen, General Dr. Kießling zum 31. Dezember 1983 gemäß § 50 des Soldatengesetzes in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, - hier setzt Ihr Zitat erst ein auf falschen Angaben und Informationen basierte, die in - vorschriftswidriger Weise gewonnen, - ich betone es noch einmal -- fehlerhaft bearbeitet, - mangelhaft bewertet und - unrichtig dargestellt worden sind. Wir sollten uns dies als das Ergebnis unserer Untersuchungen noch einmal vor Augen führen. ({6}) In Ihrer Würdigung der Ergebnisse im Bericht, aber auch heute in Ihrer Rede, Herr Kollege Dr. Klejdzinski, versucht die SPD-Fraktion jedoch, wie ich meine, aus taktischem Kalkül, die bereits vor Beginn des Ausschusses vorgenommene Verurteilung des Bundesverteidigungsministers allein im nachhinein zu rechtfertigen, als ob es die Arbeit des Untersuchungsausschusses überhaupt nicht gegeben hätte. Hier hat die SPD-Mitglieder des Ausschusses jetzt wohl wieder der oppositionelle Fraktionszwang eingeholt. ({7}) Bei der fairen und sachlichen Arbeit im Ausschuß - ich sage es hier noch einmal ausdrücklich - sind wir auf dasselbe Phänomen hinsichtlich des MAD und des ASBw gestoßen, das wir bei ähnlichen Anlässen bei anderen Nachrichtendiensten oder anderen Behörden vorgefunden haben: auf eigentümliche Wesenszüge der Bürokratie. ({8}) - Lassen Sie mich doch auch einmal reden; Ihre Fraktion hat zur Darstellung ihrer Meinung mehr Redezeit als ich. Wir haben feststellen müssen, daß sich Bürokratie in einer ungesteuerten Eigendynamik entwikkelt, in einem System der Verantwortlichkeiten für kleinste Zuständigkeitsbereiche, einem System, das fast zwangsläufig dazu führt, daß mangelnde Klarheit, Nachlässigkeiten, Fehlinterpretationen und Fehler bei der Bearbeitung zu einem Ergebnis kumulieren können, wie es hier dem Minister als Entscheidungsgrundlage vorgelegt worden ist. Eine Gesamtsicht ist dem jeweiligen Sachbearbeiter in der Organisation durch die Organisation selbst verstellt, das Durchschauen des Ergebnisses der Arbeit aller beteiligten Instanzen am Ende des Vorgangs schon gar nicht mehr möglich. Die jeweils folgende Bearbeitung muß sich zwangsläufig auf die Zuverlässigkeit der Arbeit im vorangegangenen Bereich stützen. Jede der mit demselben Vorgang befaßten Personen ist darauf angewiesen. Am Ende der Bearbeitung aber wird das Ergebnis als geprüft und stichhaltig unterstellt und verwandt, und zwar in jeder Instanz des Verfahrens. Je mehr Einzelzuständigkeiten ein Vorgang durchlaufen muß, desto größer wird die Gefahr, daß zunächst harmlose Belanglosigkeiten zu eklatanten Fehlern werden. Das ist nicht einmal den beteiligten Personen vorzuwerfen. Vielmehr ist es ein fast zwangsläufiges Ergebnis einer solchen Organisationsstruktur. Wenn, wie wir bei den Untersuchungen des Ausschusses selber festgestellt haben, zu viele Instanzen durchlaufen werden müssen - die HöcherlKommission kommt bei ihren Recherchen auf Vorgänge, die durch sage und schreibe 18 zuständige Stellen laufen mußten -, ({9}) dann ist angesichts der regelmäßig dürftigen Informationslage bei solchen Vorgängen schon eher mit falschen als mit richtigen Ergebnissen zu rechnen. ({10}) - Ich komme j a darauf. Seien Sie bitte nicht so ungeduldig, verehrter Herr Kollege! Die FDP hat aus dieser Erkenntnis Schlußfolgerungen gezogen, die sowohl von unserem Koalitionspartner wie schließlich auch von der SPDFraktion mitgetragen worden sind. Wir haben Konsequenzen daraus gezogen, daß sich gerade bei der Arbeit der Geheimdienste, von der der Betroffene, wenn überhaupt, erst nach negativem Abschluß Kenntnis erhält und sich dann der Übermacht eines ganzen Apparates gegenübersieht, die Forderung nach Schutz dieses einzelnen vor Übergriffen grundsätzlich stellt. Die Forderungen der FDP-Fraktion für die Zukunft verlangen daher ein MAD-Gesetz, das die Aufgaben, Zuständigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit des MAD mit anderen Behörden klar definiert. Wir verlangen Regelungen und Begrenzungen der Amtshilfe, eine parlamentarische Kontrolle des MAD, die sich nicht auf das bisher praktizierte Verfahren mit der Parlamentarischen Kontrollkommission beschränkt, sondern die eine Prüfung durch den Wehrbeauftragten vorsieht, um dem einzelnen, der allein einer ganzen Maschinerie gegenübersteht, den notwendigen Schutz seiner Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten. Wir fordern die Neufassung der Sicherheitsrichtlinien dahin gehend, daß sie nicht Minderheiten diskriminieren oder gar durch die Kodifizierung selbst potentielle Erpreßbarkeit schaffen. ({11}) - Herr Kollege, wie ich meine Rede anlege, ist wohl meine Sache, genauso wie Sie reden können, wie Sie wollen. In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, daß eine Änderung der Richtlinien allein natürlich zur Lösung des damit angesprochenen Problems nicht ausreichend ist. Hier müssen auch für die anderen einschlägigen Rechtsbereiche Konsequenzen gezogen werden, um eine Diffamierung von Minderheiten in Zukunft zu verhindern. ({12}) Der Abschirmdienst soll nicht Nebengleis der Verwendung im Truppendienst sein. Gerade ein solcher Dienst im hochsensiblen Sicherheitsbereich braucht qualifiziertes, bewährtes Personal, das auf Grund seines jeweiligen bisherigen beruflichen Werdegangs ausgeprägtes rechtsstaatliches Bewußtsein erwarten läßt. Organisation, Dienst- und Informationswege müssen klar gestrafft sein. Wir haben daher eine unmittelbare Zuordnung der Führung des MAD zur politischen Leitung der Hardthöhe vorgeschlagen. Und schließlich sollen nach unserem Vorschlag durch eine entsprechende Änderung des § 88 der Wehrdisziplinarordnung die Rechte des einzelnen vor Übergriffen der prüfenden Behörde geschützt werden. - Lassen Sie mich diesen Teil im Augenblick auf diese wenigen Bemerkungen beschränken. Aber gestatten Sie mir noch ein Wort zu dem Minderheiten-Bericht der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer möchte, meine Damen und Herren, eigentlich nicht der Forderung zustimmen: MAD abschaffen? Wer möchte eigentlich nicht noch viel weitergehenden Forderungen zustimmen? Aber die Welt, in der diese Forderungen erfüllt werden können, muß wohl erst noch geschaffen werden. Diese Welt, in der wir gemeinsam leben, ist leider darauf angewiesen, dem Rechnung zu tragen, was es auf ihr gibt. ({13}) Und Sie ist nicht - ich betone das nachdrücklich -, leider nicht jene Welt, auch durch Ihr Mitwirken noch nicht, verehrte Frau Kollegin, die nur friedliches Miteinander zum Wohl aller kennt, sondern vielmehr eine Welt, die immer noch darauf angewiesen ist, daß für den Schutz unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung gesorgt wird. Der Minderheiten-Bericht der GRÜNEN ist die schriftliche Abmeldung aus der Verantwortung zum Erhalt unserer, zugegeben mit Mängeln behafteten und doch schützens- und verteidigungswerten freiheitlichen Gesellschaftsordnung. ({14}) Noch ein Wort zum Verteidigungsminister. Walter Henkels, einer der Seniorjournalisten in Bonn, hat in seinem Buch „Bonner Köpfe" 1981 über Dr. Wörner ({15}) - 1981, j a, ja, Sie haben richtig gehört - u. a. geschrieben - ich zitiere wörtlich - es klingt etwas gespreizt, aber er sagt es treffend -: Politik liegt bei mir zwischen Leidenschaft und Hobby. Und zögernd, aber freimütig: Vielleicht werde ich mal ein Staatsmann. Noch bin ich es nicht. Und weiter sagt Walter Henkels: Der Beobachter denkt und möchte es ihm gerne sagen; denn Wörner ist eine sympathische Figur: ({16}) Hoffentlich macht er nicht mal eine Bauchlandung. ({17}) Offensichtlich waren die Bedenken, die Walter Henkels 1981 väterlich, fürsorglich formulierte, nicht unbegründet, wenn auch vielleicht in einem anderen Sinne, als Walter Henkels es gemeint hatte. Das Amt, das Manfred Wörner schon damals anstrebte, war zu keiner Zeit - und das gilt auch für die sozialdemokratischen Vorgänger in diesem Amt - ein leichtes Amt. ({18}) Die Erfüllung der Aufgaben des Bundesverteidigungsministers ist nicht leichter geworden, im Gegenteil. ({19}) Die Zukunft verlangt die Lösung schwieriger Probleme, von denen ich hier beispielhaft nur die Personal- und Strukturprobleme nennen will. Die Lösung dieser Probleme bedarf der Solidarität des ganzen Hauses. Für die FDP-Fraktion, Herr Bundesverteidigungsminister, kann ich Ihnen diese Solidarität für die zukünftige wie für die bisherige Zusammenarbeit zusichern. ({20}) Für die unterlaufenen Fehler, auch die in seinem Verantwortungsbereich, hat der Verteidigungsminister die politische Verantwortung übernommen und darauf mit einem Rücktrittsgesuch reagiert, ({21}) das vom Bundeskanzler nicht angenommen, aber mit den Worten kommentiert worden ist: General Dr. Kießling hat bittere Wochen durchmachen müssen. Aber auch für Manfred Wörner war dies eine Zeit, an die er sicherlich noch lange in seinem Leben zurückdenken wird. Für uns bleiben am heutigen Tage die Konsequenzen wichtig, die treffend in der „Zeit" vom 15. Juni 1984 formuliert wurden: Nahezu alles ist beim Abschirmdienst zur Korrektur empfohlen, seine Organisation und Personalpolitik, Vorschriften und Kontrollmechanismen. Über so eindeutige Ergebnisse und Urteile wird niemand hinweggehen können. Das ist der Auftrag aus dem Ergebnis des Untersuchungsausschusses. Als Konsequenz aus dem parallel erarbeiteten Gutachten der Höcherl-Kommission hat der Verteidigungsminister mit Maßnahmen in seinem Bereich begonnen. Die parlamentarischen Aufgaben, meine Kolleginnen und Kollegen, müssen wir erfüllen. Ich danke Ihnen. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogt ({0}).

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere natürlich Herr Ronneburger! Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie einen Teil unseres Minderheitenberichtes hier bekanntgemacht haben. Sie schulden uns natürlich noch den Vortrag unserer Begründung. Ich werde dies, wenn ich noch Zeit habe, gern nachholen. Zunächst einmal möchte ich Sie aber fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie von folgendem Zitat halten: Als Mensch war er bei seinen Offizierskameraden nicht sonderlich beliebt. Steif, schweigsam ... und beinahe unnatürlich korrekt; ... seine übertriebene Korrektheit im Dienst war höheren Ortes bereits unangenehm aufgefallen. Diese Charaktereigenschaften ließen ihn im Augenblick, als der Verdacht auf ihn fiel, sogleich in einem ungünstigen Licht erscheinen ... Seine Schuld wurde augenblicklich als sicher angenommen. Da sich weder ein Motiv noch materielle Beweise fanden, schlossen die mit der Untersuchung beauftragten Offiziere ... diese Lücke, indem sie geeignetes Belastungsmaterial konstruierten und fabrizierten ... ({0}) Das Dossier, das sie zusammentrugen, ... war so überzeugend, daß die Mitglieder des Generalstabes keinen Augenblick an der Schuld ... - j a, von wem? zweifelten. Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat der US-amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman. Sie hat hier mit wenigen Strichen dargestellt, was der Auslöser eines dramatischen Ringens am Ende des letzten Jahrhunderts in Frankreich, bekanntgeworden als die Dreyfus-Affäre, war. Aus der SPD-Fraktion habe ich den Namen eben schon mehrfach gehört. Literarisch verewigt wurde diese Affäre durch das „J'accuse" von Emile Zola. Ich möchte den Vergleich zwischen dem klassischen und epochalen Fall Dreyfus und der zeitgenössischen Affäre Wörner/Kießling nicht zu weit treiben, obwohl es auffällige Berührungspunkte gibt. In beiden Fällen handeln Machtapparate gegen einen einzelnen aus ihrer Mitte. In beiden Fällen versteifen sich Macht- und Staatsräson bedenkenlos darauf, einen uniformierten Bürger um elementare Rechte zu bringen. In beiden Fällen wird beiläufig eine Minderheit in Verruf gebracht. In der Französischen Republik - als der Fall zwischen 1897 und 1899 schwelte - waren das die jüdischen Mitbürger, denn Dreyfus war Jude; in der Bundesrepublik Deutschland von 1984 waren es die gleichgeschlechtlich liebenden Mitmenschen. In beiden Fällen bilden übersteigerte Feindbilder und Sicherheitsneurosen von sogenannten Frontstaaten den Nährboden für behördliche Aktionen, die geeignet sind, das Individuum zu zerbrechen. In beiden Fällen aber werden auch Gegenkräfte mobilisiert, die, gegen erhebliche Widerstände kämpfend, in quälenden Verfahren zur Rehabilitierung des Geschädigten beitragen. Dreyfus wurde der Orden der Ehrenlegion gegeben, Kießling bekam immerhin seinen Zapfenstreich. Und dennoch: Trotz all dieser Berührungspunkte und Parallelen gibt es einen Unterschied in der politischen Kultur der beiden Vorgänge. In dem Ringen um den Fall Dreyfus standen sich wie der Dreyfus-Gegner Graf de Vogüe später formuliert hat, die edelsten Geister mit einer für beide Seiten gleichermaßen geltenden Aufrichtigkeit und Größe der Emotionen gegenüber. In der Affäre Wörner versus Kießling des Jahres 1983/84 haben wir es demgegenüber mit einem Schmierenstück zu tun, das in seiner teutonischen Dumpfheit kaum zu übertreffen ist. Deshalb habe ich meinen Beitrag auch so genannt: „J'accuse" als teutonische Farce 1984. Hier paaren sich Voyeurismus, Geltungsdrang, Geschwätzigkeit und Karrieresucht sogenannter Untergebener mit dem verbissenen Machterhaltungstrieb des Mannes an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Lassen Sie mich den Vergleich mit dem Satz eines Klassikers aus dem 19. Jahrhundert beenden, nämlich mit dem berühmten Satz aus „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte" aus dem Jahr 1869, der an eine Bemerkung Hegels anknüft, daß alle weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Aber dann sagt der Autor: „Er hat vergessen hinzuzufügen, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce ..." ({1}) Wir hatten es mit der Farce zu tun, ({2}) und es ist uns schwergefallen, ihr beizuwohnen. Die 95 Stunden im Untersuchungsausschuß, weitere zwölf Stunden im Interfraktionellen Gremium, ungezählte Stunden des Aktenstudiums - all dies war Zeit, die für dringlichere Aufgaben fehlte. Man bedenke, daß diese Affäre und der Untersuchungsausschuß das erste größere Ereignis im Verteidigungsbereich nach dem Herbst 1982, nach der Raketenstationierung war, nach einer militärischen Maßnahme, die in ganz elementarem Sinne die ÜberleVogt ({3}) benssicherheit der Menschen erschüttert hat. Die leidenschaftliche Diskussion um diese Schicksalsfrage der Gattung Mensch ({4}) - Herr Kollege, auch Ihre Schicksalsfrage -, die mit dazu beigetragen hat, daß DIE GRÜNEN als neue Kraft in den Bundestag gekommen sind, wurde abgelöst von einer ganz anderen Debatte um Sicherheit, von der Frage nämlich, ob und inwieweit ein möglicherweise zu gleichgeschlechtlicher Liebe neigender General die Sicherheit der Verteidigung durch Bundeswehr und NATO gefährde. Monatelang ist die Öffentlichkeit in monströser Weise von den Fragen nach Krieg und Frieden abgelenkt worden, die im Herbst und im Vorherbst 1983 aufgeworfen worden waren. ({5}) Man stelle sich einmal vor, der Verteidigungsausschuß oder der Unterausschuß des Deutschen Bundestages für Abrüstung und Rüstungskontrolle hätten sich mit gleicher Akribie und ähnlichem apparativen Aufwand mit der Untersuchung der Risiken und Folgen der neuen Rüstungsrunde befaßt! ({6}) Vielleicht hätten wir dann von diesem Hause aus Hinweise zu rettenden Auswegen geben können. Das Hearing des Verteidigungsausschusses über Alternative Verteidigungsstrategien, das bei gutem Willen in diesem Sinne hätte verstanden werden können, konnte vom Verteidigungsausschuß bisher nicht ausgewertet werden - das macht zur Zeit freundlicherweise der Wissenschaftliche Dienst -; denn der Verteidigungsausschuß war als Untersuchungsausschuß vollauf mit der Affäre Wörner/ Kießling beschäftigt. Als Untersuchungsausschuß waren wir auch gefordert, die Würde und die Ehre eines Generals zu retten, der durch eine kranke Hierarchie in Bedrängnis gebracht worden ist. Wir werden noch zu klären haben - und ich hoffe, die Journalisten, die geholfen haben, den General zu rehabilitieren, verlieren nicht ihren Spürsinn -, inwieweit die Existenzfragen des Herbst 1983 mit dem Bürgerrechtsfall Dr. Kießling verwoben sind. Im „Spiegel" dieser Woche wird für die bevorstehenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren folgendes in Aussicht gestellt: Dabei können die Ermittler dann erfahren, daß der General Kießling nicht nur Schlampereien beim MAD, sondern auch einer Intrige zwischen der NATO-Führung in Brüssel und der Spitze des Bonner Verteidigungsministeriums zum Opfer fiel. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang Fragen stellen, die der Untersuchungsausschuß nicht klären konnte, die seine NATO- und Bundeswehrtreue Mehrheit aber auch nicht klären wollte: Erstens. Welche militärpolitischen Meinungsunterschiede waren es, die dazu führten, daß sich das Verhältnis zwischen den Generälen Rogers und Kießling schon kurz nach Dienstantritt von Dr. Kießling so wenig konstruktiv gestaltete? Zweitens. Ist es richtig, daß General Dr. Kießling gegenüber der Anlage des Manövers „Reforger '82", in dem erstmals das integrierte konventionelle, chemische und atomare Gefechtsfeld nach Air Land Battle erprobt wurde, erhebliche Bedenken geäußert hat? Drittens. Welche Ergebnisse hatte die von General Dr. Kießling geleitete NATO-interne Arbeitsgruppe zur weiteren konventionellen Aufrüstung in den 90er Jahren, und ist es richtig, daß diese Ergebnisse jedenfalls zum Teil den Auffassungen von General Rogers widersprachen? Viertens. Wenn es richtig ist, daß der CIA in dem schäbigen Spiel nicht mitgemischt hat, hat nicht etwa an seiner Stelle der NATO-eigene Geheimdienst CI kräftig mit dazu beigetragen, eine Gerüchteküche aufzubauen, in der der Fall Kießling angerührt worden ist? Hätte der Untersuchungsausschuß seine parlamentarische Kontrollfunktion wirklich umfassend und politisch in Angriff genommen, dann hätte er diesen Fragen nachgehen müssen. ({7}) Aber dieser Untersuchungsausschuß - ich bedaure das sagen zu müssen - war in wesentlichen Bereichen ein Tabuisierungsausschuß. Damit hat er Anteil an der Farce, von der schon die Rede war.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gern.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Vogt, würden Sie mir nicht beipflichten, daß die Beweisbeschlüsse des Untersuchungsausschusses weitestgehend gemeinsam und einstimmig gefaßt worden sind und daß Sie für Ihre Fraktion in den eben angeschnittenen Fragen niemals einen Antrag für den Beweisbeschluß gestellt haben und daß darüber hinaus ausdrücklich festgestellt worden ist, daß der NATOBereich in die Untersuchung nicht einbezogen wird?

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Biehle, das ist genau der Grund, den ich kritisiere. Ich muß Ihnen als Vorsitzendem natürlich das Kompliment machen, daß Sie geradezu eifersüchtig darüber gewacht haben, daß diese Begrenzungen, die ich hier kritisiere, eingehalten worden sind. ({0}) - Seien Sie so nett, da ich nur begrenzt Zeit habe, daß ich hier weiterfahren kann. Nehmen Sie doch zur Kenntnis - es war unser erster Untersuchungsausschuß -, daß wir im Laufe der Zeit einiges dazugelernt haben, vielleicht auch selbstkritisch. Vogt ({1}) Bedenken Sie folgendes: Auslöser der Affäre und der Untersuchung war die Verdächtigung eines bei der NATO beschäftigten Bundeswehrgenerals, er folge einer Neigung zur gleichgeschlechtlichen Sexualität und sei deshalb ein Sicherheitsrisiko. Es wird dann ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingesetzt, der zunächst einmal beschließt, alles, was auch nur im entferntesten mit NATO zu tun hat - wie es heißt: mit Rücksicht auf das Bündnis -, aus der Untersuchung herauszuhalten. Dann wird unter Rücksichtnahme auf das, wie es heißt, Rehabilitierungsinteresse des Generals verfügt, den ganzen Komplex der gleichgeschlechtlichen Liebe möglichst auszuklammern. Das gibt natürlich keinen Sinn, wenn man dem Ehrenwort des Generals glaubt, er habe eine solche sexuelle Orientierung nie gehabt. Die Ausklammerung dieses Bereichs kann doch nur schädlich sein für das Rehabilitierungsinteresse des Generals, wie sie auch gefährlich ist für die ganze diskriminierte Minderheit gleichgeschlechtlich Liebender, denen eine Tabuisierung nicht recht sein kann, weil sie die weit verbreitete Verkrampfung in bezug auf unterschiedliche sexuelle Orientierungen verstärkt. ({2}) Doch damit nicht genug. Bei der ersten Ungereimtheit von Aussagen aus dem Bereich der Bundeswehrführung wird auch noch - wie es hieß und wie auch leider der Kollege Erwin Horn von der SPD sagte - verfügt, diesen Widerspruch nicht aufzuklären. Plötzlich werden die Spielregeln von CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam neu definiert. Auf Seite 12 der Drucksache liest sich das so: Der Untersuchungsausschuß entschied sich in seiner Sitzung am 15. März 1984 mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP, daß grundsätzlich Beweise durch den Untersuchungsausschuß nur dann zu erheben sind, wenn sie von einem Viertel der Ausschußmitglieder beantragt werden. Der Ausschuß stützte diese Auffassung auf die Regelung .. . und die IPA-Regeln. Veranlassung für diese Entscheidung war ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN vom 14. März 1984 auf nochmalige Einvernahme von Zeugen. Dieser Antrag wurde aus den oben angegebenen Gründen als unzulässig zurückgewiesen. Ich meine: eine phantastische Verdrängungsleistung der Sachverhaltskonstrukteure. Kompliment! Denn die beiden Zeugen waren keine Geringeren als der Generalinspekteur der Bundeswehr, Altenburg, und Dr. Kießling selbst. Der Zeuge Altenburg hatte auf meine Frage im Ausschuß seine frühere Äußerung bekräftigt, wonach Dr. Kießling ihm gegenüber am 15. September 1983 sinngemäß erklärt habe: Ich habe einmal in einer persönlich schwierigen Lage etwas zugegeben und werde diesen Fehler nie wieder machen. Die Weitergabe dieser angeblichen Äußerung an den Minister war objektiv geeignet, bei ihm, dem Minister, Zweifel an der Richtigkeit der sogenannten MAD-Ermittlungen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Sie kann somit eine ähnliche Wirkung gehabt haben wie die Einfügung des Zusatzes „Landeskriminalamt" in dem Abschlußbericht des MAD, wofür dann der General Behrendt gefeuert worden ist. General Dr. Kießling hat bei seiner Vernehmung bekundet, für ihn sei eine solche Äußerung „unvorstellbar". Nun, meine Damen und Herren, dieser Widerspruch blieb also aus Gründen der Staatsraison im Untersuchungsausschuß unaufgeklärt. Und das führt dazu, daß Zweifel an den Aussagen beider Zeugen bestehenbleiben - was, nebenbei bemerkt, ein unfreundlicher Akt gegenüber dem Hauptgeschädigten war, zu dessen rückstandsfreier Rehabilitierung wir doch eigentlich beitragen wollten. ({3}) Bei aller Anerkennung, die den Journalisten und den Medien insgesamt im übrigen gebührt, haben die Medien auch an diesem Punkt ihrer kritischen Funktion nicht Genüge getan; denn der Vorgang wurde bis heute nicht inhaltlich, sondern allenfalls äußerlich gewürdigt, und zwar, nachdem ich daraufhin drei Sitzungen unter Protest fernblieb. Es wurde aber nicht transportiert, wogegen ich mit dieser Protestaktion demonstrieren wollte. Ich will offenlassen, ob auch die Medien ein Faktor sind, die Staatsräson gegenüber der Bundeswehr hochzuhalten, oder ob es lediglich daran liegt, daß solche Gesten der Verweigerung aus gewaltfreiem Geist hierzulande nicht verstanden werden. Das ist auch sehr schwierig, manchmal auch bei uns in der Fraktion. Denken wir alle diese Beschränkungen streng zu Ende - also NATO-Bezüge bleiben außen vor, Homosexualität wird ausgeklammert, Widersprüche bei der Bundeswehrführung werden aus Staatsräson ausgespart -, dann führt das zu einer Reduzierung des Untersuchungsgegenstandes auf Null. Die Hartnäckigkeit, mit der im Verlauf des Untersuchungsprozesses von den anderen Fraktionen das Problem der gleichgeschlechtlichen Liebe ausgeklammert wurde, obwohl es als Tatbestandsmerkmal in den Sicherheitsrichtlinien betrachtet wird, forderte den GRÜNEN im Interesse dieser gesellschaftlichen Minderheit ab, hier gegenzusteuern ({4}) und wenigstens auf eine Anpassung der Sicherheitsrichtlinien an das im Zivilleben bereits erreichte Toleranzniveau zu drängen, obwohl es damit j a auch nicht so berühmt ist. ({5}) Nach den Sicherheitsbestimmungen der Bundesregierung vom 15. Februar 1971 gehört zu den sogenannten Sicherheitsrisiken, die in der Person des Betroffenen liegen, auch die sogenannte „abnorme Veranlagung auf sexuellem Gebiet". Die Auswertung der Antworten auf meine Fragen im Untersuchungsausschuß hat ergeben, daß die Maßstäbe im MAD und bei den Führungspersönlichkeiten der Bundeswehr mehr als schwankend sind, was die Ausfüllung dieses Tatbestandsmerkmals angeht. Auch die Höcherl-Kommission hat das in allgemeiner Form bestätigt, indem sie ausführt: „Von den Vogt ({6}) MAD-Gruppen werden unterschiedliche Maßstäbe für Erteilung bzw. Versagung von Sicherheitsbescheiden angewendet." Für die, die das nicht wissen: Das ist ruinös für die Karriere eines solchen Soldaten. Es hat sich gezeigt, daß ein Teil der Amtsträger im MAD und der Bundeswehr dazu neigt, jede homosexuelle Orientierung von vornherein unter das Tatbestandsmerkmal „abnorme Veranlagung auf sexuellem Gebiet" zu subsumieren. Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand. Weil diese mißbräuchliche Auslegung vorherrscht, fordern wir, daß dieses Merkmal in den Sicherheitsrichtlinien gestrichen wird. ({7}) Ich meine auch, von der Führung der Bundeswehr ist nicht zu erwarten - der Generalinspekteur Altenburg hat sich leider für unzuständig erklärt, als er gefragt worden ist -, daß hier Abhilfe geschaffen wird. Die Bundeswehr muß ihrem Informationsauftrag dahin gehend nachkommen, daß die gleichgeschlechtliche Liebe unter Erwachsenen seit einigen Jahren nicht mehr strafbar ist und also auch nicht als Sanktion gegen aufstiegsorientierte Soldaten benutzt werden kann. Ich komme aber noch zum ärgerlichsten und abschließenden Teil.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Verehrter Herr Kollege, Sie kommen zum letzten Satz.

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme tatsächlich zum letzten Takt. Ich kann es auch kurz zusammenfassen, und ich darf Sie bitten, das im Bericht genauer nachzulesen. Herr Wörner, von einem bestimmten Punkt an sind Sie nicht mehr Teil der Lösung des Problems gewesen, sondern Teil des Problems geworden. An den Bundeskanzler möchte ich appellieren: Lassen Sie nicht zu, daß der Minderheit, von der ich gesprochen habe, das Leben vergällt wird! Und lassen Sie es nicht zu, Herr Bundeskanzler, daß dieser Bundesverteidigungsminister noch schlimmeren Schaden anrichtet! Entlassen Sie diesen Bundesverteidigungsminister! ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung zu dem Thema Untersuchungsausschüsse generell und insbesondere zu dem Verteidigungsausschuß hinsichtlich seiner verfassungsrechtlich vorgesehenen Möglichkeit, als Untersuchungsausschuß tätig zu werden. Nicht ohne Grund haben in den 70er Jahren alle Fraktionen dieses Hauses in einer Enquete-Kommission „Verfassungsreform" intensiv über die Reform des Instituts der Untersuchungsausschüsse nachgedacht. Die anzuwendenden Verfahrensnormen bzw. mehr oder weniger verbindlichen Regelungen zeigen immer wieder, daß wir für Untersuchungsausschüsse eine klarere Verfahrensgrundlage brauchen. Das hat sich auch in diesem Untersuchungsausschuß immer wieder gezeigt. Seine Mitglieder traten in den Rollen als Staatsanwalt, Verteidiger und Richter auf, jeweils in einer Person. In früheren Untersuchungsausschüssen kamen sie sogar als Zeugen in Betracht. Das ist meines Erachtens kein gutes Verfahren und führt nicht immer zu objektiven Ergebnissen. Es war auch so, daß sich Zeugen - und wir hatten nur Zeugen in diesem Untersuchungsausschuß - oft als Angeklagte fühlen mußten, ohne daß sie die Rechte hatten, die Angeklagte haben. Die Möglichkeit, daß sich der Verteidigungsausschuß auf Grund unserer Verfassung als Untersuchungsausschuß konstituiert, wurde 1956 in der Wehrverfassung eingeführt. Diese Regelung wurde damals als Kern der parlamentarischen Kontrolle über die Armee bezeichnet. Es mag damals sicherlich mitgespielt haben, daß man mit früheren Armeen in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht hat und daß es ein verbreitetes Mißtrauen gegen Militär gab. Subjektiv verständlich! Aber, meine Damen und Herren, heute nach nahezu 20 Jahren eigener Tradition und eines gewonnenen Selbstverständnisses dieser Armee, dieser Bundeswehr, glaube ich, müssen wir hier umdenken. Zumindest darf nicht der Eindruck entstehen, daß der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß kraft Grundgesetzes sozusagen das konstitutionalisierte Mißtrauen gegen unsere Bundeswehr ist und so verstanden wird. ({0}) - Warten Sie nur! - Dieses Instrument muß daher sehr behutsam angewendet werden. Es darf nicht der Drohknüppel gegen die Bundeswehr sein. Es ist besonders dann behutsam zu gebrauchen, wenn nicht Sachfragen, sondern Personen im Vordergrund stehen; dies um so mehr weil, wie gesagt, die Rolle von Zeugen leicht in die von Angeklagten hinüberwechselt, ohne daß ihre Rechte als Angeklagte gewahrt sind. Besonders mißlich wird es dann, wenn die Untersuchung im Zusammenhang mit Personen steht, gegen die sich die Untersuchung nicht richtet, die aber gleichsam als Wurfgeschoß gegen die Bundesregierung oder einen Minister benutzt werden sollen. In dieser Rolle mußte sich meines Erachtens in diesem Untersuchungsausschuß leider manchmal General a. D. Dr. Kießling sehen. Ich wage sehr zu bezweifeln, ob wir dem General in der Form der Untersuchung, aber auch in den Reden, die heute schon gehalten worden sind, einen guten Dienst erwiesen haben; denn manches Persönliche wurde unnötig hinterfragt und hat auch im Untersuchungsbericht ebenso wie in den Reden soeben Niederschlag gefunden, obwohl wir es anders vereinbart hatten. In einem solchen Untersuchungsausschuß ist der Vorsitzende in einer besonders schwierigen Lage, wenn er darauf achten muß, daß die vagen Verfahrensregeln und die Beweisthemen eingehalten werden, wenn er die Ordnung des Verfahrens gewährleisten soll. Er ist ja schließlich auch Angehöriger einer Fraktion. Um so bewundernswerter ist es, daß die Vorsitzenden dieses Ausschusses, die Herren Biehle und Kolbow, in jeder Lage die Ruhe behalten und hier sachgerecht gehandelt haben. Dafür möchte ich den beiden Herren ganz besonders danken und den Dank auch anderen aussprechen. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, die oft langatmigen, oft neben der Sache liegenden Zeugenvernehmungen mit sich ständig wiederholenden Fragen ließen oft Zweifel aufkommen, was man eigentlich beabsichtigte. In bestimmten Fällen - und ich sage dies mit aller Deutlichkeit - war auch die Art der Vernehmung der Zeugen ihrer Stellung als Offiziere und Beamte nicht angemessen, selbst wenn man berücksichtigt, daß manche Zeugen die Bereitschaft zu umfassender und klarer Aussage vermissen ließen. ({2}) - Wir vernehmen auch andere Bürger. Jeder hat das Recht. ({3}) Natürlich für Sie als Opposition ist es immer eine gewisse Verführung - für uns war es in früheren Zeiten sicherlich auch eine Verführung -, die Befragungen möglichst umfassend anzulegen, Zeugen zu verunsichern. Herr Kollege Jahn, ich mache Ihnen hier ein Kompliment. Sie waren da besonders gut. Ich habe Sie manchmal bewundert, wie Sie durch die kalte Küche manche Fragen gestellt haben, die Zeugen verunsichert haben. ({4}) ({5}) Aber das kann nicht die Aufgabe einer Untersuchung sein, die objektive Ergebnisse zutage fördern soll, sondern Ihr Ziel war es ja nur, die Zeugen unglaubwürdig zu machen, um womöglich dem Minister etwas am Zeuge flicken zu können. ({6}) - Wenn die Frage nicht zu lang ist, gerne, Herr Kollege Jahn.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Jahn zu einer Zwischenfrage, bitte sehr!

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wittmann, sind Sie eigentlich sicher, daß Sie Ihre Rede mit dem Kollegen Wimmer abgestimmt haben? Das, was Sie eben über den Untersuchungsausschuß gesagt haben, steht genau im Gegensatz zu dem, was Herr Wimmer vorhin gesagt hat.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, nicht ganz. ({0}) Herr Kollege Jahn, man kann verschiedene Akzente setzen. Herr Kollege Wimmer hat das global gemeint; ich bin in einige Einzelheiten hineingegangen, wobei ich Ihnen bei einer globalen Betrachtung zugeben muß, daß wir fair miteinander umgegangen sind. Das muß ich Ihnen bescheinigen, aber auf diese Punkte sollte man doch hingewiesen haben. Noch eine Gefahr hat dieser Untersuchungsausschuß, der sich aus dem Verteidigungsausschuß bildet, mit sich gebracht. Ich glaube, wir sind in den letzten Wochen dieser Gefahr nur knapp entgangen, manchmal vielleicht sogar erlegen: Wir mußten wegen der Identität der Mitglieder viele wichtige Sachfragen im eigentlichen Verteidigungsausschuß zurückstellen oder konnten sie nur kurz behandeln. Ich hoffe, wir können dies nachholen. Wir sollten überlegen, ob wir bei künftigen Untersuchungsausschüssen, die sich aus dem Verteidigungsausschuß bilden, nicht doch dazu übergehen sollten, einen Unterausschuß zu bilden, was nach unserer Geschäftsordnung durchaus möglich ist, damit der ordentliche Verteidigungsausschuß weiterarbeiten kann. Meine Damen und Herren, ich wende mich jetzt eigentlich nur an die SPD, weil die Ausführungen und Schlußfolgerungen der Fraktion DIE GRÜNEN so weit gehen, daß man sie manchmal nicht nachvollziehen kann, ({1}) und mit dem Thema nichts zu tun haben. ({2}) Der von der SPD mitgetragene gemeinsame Bericht - das ist der größte Teil - und die eigenen Begründungen der SPD tragen ihre Schlußfolgerungen und Würdigungen der gegenüber Bundesminister Wörner erhobenen Vorwürfe nicht. Die SPD hat sich auch in viele Widersprüche verwickelt. Ich möchte hier nicht auf die haltlosen Angriffe eingehen, die Herr Klejdzinski hier vorgetragen hat. Herr Klejdzinki, ich fürchte, das, was Sie hier vortragen, ist nicht einmal Ihre Meinung. Sie haben eben in Ihrer impulsiven Weise wieder einmal den starken Mann spielen wollen. Nur so kann ich das verstehen. Ernst nehmen kann ich das, was Sie in dieser Form gegen den Minister gesagt haben, nicht. Wenn Sie den Rücktritt des Ministers fordern, wie ihn auch in der schon an die Presse verteilten Rede Herr Kollege Jungmann fordert, muß ich einmal dem Herrn Kollegen Jungmann sagen - wo ist er denn? aha, hier vorn, er hat seine Hand vor dem Bart, und nur am Bart erkenne ich ihn -: ({3}) Herr Kollege Jungmann, Sie widersprechen sich, denn Sie fordern einerseits den Rücktritt des MiniDr. Wittmann sters, und andererseits ermuntern Sie den Minister in Ihrer verteilten Rede - Sie werden es jetzt wahrscheinlich nicht mehr sagen, weil ich das schon wiedergebe -, mit der Reform des MAD weiterzumachen. Das ist ein Widerspruch; das muß ich feststellen. Dann behauptet die SPD in ihrem Teil des Untersuchungsberichts, die Vereinbarungen zwischen dem General und dem Verteidigungsminister - ich zitiere - seien „recht vage" geblieben. Andererseits wirft man dem Minister einen Bruch der Vereinbarungen vor. Was ist nun richtig? Wenn es keine oder nur ganz vage Vereinbarungen gibt, kann es keinen Bruch der Vereinbarungen geben. Dem Minister kann man nicht Fehlverhalten schon am 8. Dezember vorwerfen, will man ihm nicht hellseherische Fähigkeiten zubilligen. Meine Damen und Herren, gerade beim Militär, gerade in der Verteidigung gelten Meldegrundsätze, von denen einer lautet: Eine Meldung muß stimmen. Auf dieses Postulat muß sich jeder, der mit Militär zu tun hat, zunächst einmal verlassen können, denn sonst können wir beim Militär zusperren. Danach hat auch der Minister handeln dürfen. ({4}) - Er wird nicht zurücktreten. Herr Pfuhl, Sie können es ja gar nicht beurteilen. Sie waren nie im Ausschuß, obwohl Sie auf dem Papier - das mußten wir erst nachfragen - als Stellvertreter standen. Sie können hier also gar nicht mitreden. Den Bericht haben Sie mit Sicherheit auch nicht gelesen, wie ich Sie kenne. Meine Damen und Herren, dem Minister macht man den Vorwurf, er habe bis Dezember '83 selbst keine Ermittlungshandlungen vorgenommen. Man macht ihm dann anderserseits zum Vorwurf, daß er im Rahmen des Disziplinarverfahrens selbst in die Ermittlungen eingetreten ist und Mitte Januar einige Zeugen angehört hat. Dies waren im übrigen Anhörungen auf Anraten von Fachleuten, die unter anderem aus der Kriminalpolizei gekommen sind. Was ist nun richtig, meine Damen und Herren? Man kann nicht das eine und das andere sagen. Das geht nicht. Im übrigen hat der Minister selbst eingeräumt, daß die Anhörung des einen oder anderen Zeugen, im nachhinein betrachtet, vielleicht hätte unterbleiben können. Die Opposition wirft dem Minister vor, nicht genügend ermittelt zu haben, ({5}) und übt auch Kritik am Umfang der Ermittlungen im Januar 1984. Entweder oder, entweder zuwenig oder zuviel. Im übrigen muß man wissen, daß die Ermittlungen, die der Minister angeordnet hat, nicht in Details gingen, Überprüfen von Reisetätigkeit, sondern es gab eine allgemeine Ermittlungsanordnung, und die Detailermittlungen wurden dann von den jeweils Ermittelnden selbst durchgeführt oder angeordnet. Im übrigen hat die Ermittlungstätigkeit im Zusammenhang mit der Reisetätigkeit gerade ergeben, daß ein Zeuge unglaubwürdig ist. Die Opposition macht dem Verteidigungsminister und dem Bundeskanzler einerseits den Vorwurf, nicht genügend ermittelt zu haben, stößt sich aber daran, daß bis zur Rehabilitierung des Generals Zeit ins Land gegangen sei. Es lag doch gerade im Interesse des Generals, die Vorwürfe zu widerlegen. Wenn man bedenkt, daß am 27. Januar 1984 der letzte Ermittlungsbericht eingegangen ist und die Rehabilitierung am 1. Februar erfolgte, dann ist diese Zeitspanne durchaus angemessen. Meine Damen und Herren, man kann dem Bundeskanzler, der von Ihnen auch angegriffen wird, nicht abfordern, von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, wenn er - ({6}) - Hören Sie doch mal mit Ihrem Geschrei auf; es ist kaum verständlich. ({7}) - Moment, lassen Sie mich doch ausreden! Im Dezember konnte er von seiner Richtlinienkompetenz nicht Gebrauch machen, weil er nicht wußte, was hinter diesen Berichten steckte. Als er im Januar die Ergebnisse hatte, hat er rechtzeitig von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. ({8}) Meine Damen und Herren, man wird feststellen müssen, daß die zur Entscheidung berufenen Personen in einem ständigen Wechselbad von Informationen und in einem Dilemma zwischen Rechtslage, Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Generals, Forderung nach Diskretion und Notwendigkeit der Aufklärung waren. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Ablauf zu beurteilen, und unter diesen Gesichtspunkten hat der Minister nach meinem Dafürhalten, nach dem Dafürhalten unserer Fraktion, in jeder Lage rechtmäßig und pflichtmäßig gehandelt, was ihm übrigens auch der General bescheinigt. Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden, und ich möchte es wiederholen: Dieser Minister hat den Apparat des MAD und die Hardthöhe im wesentlichen von seinen der SPD angehörenden Vorgängern übernommen. Das ist erst eindreiviertel Jahre her. Sie hätten 13 Jahre Anlaß und Gelegenheit gehabt, im Bereich des MAD strukturelle und personelle Änderungen vorzunehmen. Es ist nichts geschehen, obwohl Sie dazu Anlaß gehabt hätten. Damit trägt die SPD ein großes Stück Mitverantwortung an den Ereignissen von September 1983 bis Januar 1984. Der Minister hat nicht nur in der speziellen Sache selbst unverzüglich gehandelt, sondern auch die Konsequenzen gezogen, indem er auf Grund der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und der Empfehlungen der Kommission zur Überprüfung des MAD 14 wesentliche Maßnahmen getroffen oder in die Wege geleitet hat, und das unverzüglich. Das wichtigste - neben allen rechtlichen und sonstigen Maßnahmen, die sind nicht so wichtig ({9}) ist, daß die Auswahl, Ausbildung und Führung des Personals des MAD verbessert werden müssen. Bei der Auswahl des Personals muß es vor allem darauf ankommen, daß Intelligenz und Charakter die Persönlichkeiten bestimmen. Ob ein MAD-Gesetz alle Probleme lösen könnte, mag füglich bezweifelt werden. Ein solches Gesetz wird letztlich vom Parlament beschlossen. Aber dieses Parlament sollte darauf achten, sich durch ein solches Gesetz nicht ein Alibi zu schaffen und dann später die Kontrolle nicht mehr so auszuüben, wie sie in manchen Punkten vielleicht erforderlich wäre. Auch kann ein MAD-Gesetz die Effizienz des MAD beinträchtigen, was wir auch alle nicht wollen. ({10}) Andererseits muß ich die - nicht hier in diesem Hause - wiederholt geäußerte Meinung zurückweisen, der MAD habe insgesamt bisher illegal gewirkt. Das ist nicht richtig. Der MAD war an ein Bündel von Erlassen, Richtlinien gebunden und hat sich vor allem an die allgemeinen Gesetze zu halten. Eine solche Auslassung, der MAD habe illegal gewirkt, muß ich als eine Beleidigung der Soldaten und Beamten zurückweisen. ({11}) Wir sollten auch darüber nachdenken - es wurde hier schon angedeutet -, daß man vielleicht durch ein sogenanntes Zusammenarbeitsgesetz die Effizienz aller Dienste verbessern könnte und den vom Verfassungsgericht im Volkszählungsurteil festgelegten Richtlinien Rechnung tragen könnte. Dabei sollte man aber nicht übersehen, daß der MAD eine Art Werkschutz der Bundeswehr ist, also wesentlich andere Funktionen als der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst hat. Auch die Kommission zur Überprüfung des MAD hat dies im wesentlichen erkannt und deshalb keine Ausweitung des Zuständigkeitsbereiches gefordert. Wie Herr Kollege Ronneburger möchte auch ich sagen, daß wir uns in Zukunft weit mehr als bisher um die Strukturen im Verteidigungsbereich kümmern sollten. Ich denke hier z. B. an die Organisation des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Untersuchungsausschuß hat auch zutage gebracht, daß vielfältige Zuständigkeiten im Ministerium wirksames Handeln beeinträchtigen können. Wenn die SPD jetzt den erst eindreiviertel Jahre im Amt befindlichen Verteidigungsminister für alles und jedes verantwortlich machen will - Herr Klejdzinski hat das ja getan -, dann muß sie sich vorhalten lassen - ich habe es schon gesagt -, daß sie 13 Jahre lang wesentliche Probleme unserer Bundeswehr, des Bundesministeriums der Verteidigung und unserer Sicherheitspolitik nicht erkannt, nicht angegangen ist und schon gar nicht gelöst hat. Dieser Bundesminister hat sie vorgefunden und ist an ihre Lösung herangegangen. Die Bundesregierung und mit ihr der Bundesverteidigungsminister haben viel getan, um die Bundeswehr aus dem Tief herauszuholen, in das sie in den Zeiten der SPD-geführten Regierungen geraten war, ({12}) um dem Nachlassen der Wehrbereitschaft entgegenzuwirken. ({13}) - Sind Sie betrunken, Herr Kollege? Sie wirken so. ({14}) Die Sorge um den Soldaten ist in den Mittelpunkt getreten. Schwerpunkte wurden gebildet. Das Fehl an Zeit- und Berufssoldaten wurde noch 1982 von der SPD-Regierung durch Kürzung der Veranlagungsstärke um 8 000 vergrößert. Dieser Fehler wurde sofort nach dem Regierungswechsel korrigiert. Im Jahre 1983 wurde die Veranlagungsstärke um 3 000 erhöht, 1984 und 1985 jeweils um 4 500. Dies wird Ausbildung, Erziehung und Dienstgestaltung effektiver machen, dazu beitragen, daß die Bundeswehr ihren Auftrag besser erfüllen kann, und die Personalprobleme der Bundeswehr in den 90er Jahren bewältigen helfen. Das Problem des Verwendungsstaus ist seit Jahren bekannt. Verteidigungsminister Wörner hat endlich etwas getan. Bereits 1982 und noch einmal 1983 wurden für Zeit- und Berufssoldaten zusätzliche Planstellen bereitgestellt. Dies gestattet etwa 3 500 Personalbewegungen und Beförderungen bis 1985. Neue Vorschläge sind in Kürze zu erwarten. 1983/84 sind auch Stellen zur Realisierung der Heeresstruktur geschaffen worden. Die Nutzung des Reservistenpotentials wurde verstärkt. 1983/84 ist die Veranlagungstärke für Wehrübende drastisch erhöht und damit der Ausbildungsstand der Reservisten verbessert worden. ({15}) Unter Verteidigungsminister Wörner sind die neuen Spitzendienstgrade für Unteroffiziere endlich eingeführt worden. Aber auch Ungereimtheiten aus der Zeit der SPD-geführten Regierung wurden abgestellt. Verschuldete Ausfallzeiten müssen nun nachgedient werden, so daß niemand mehr auf Kosten der Allgemeinheit weniger dienen kann. ({16}) Zeit- und Berufssoldaten, die auf eigenen Antrag ausscheiden, müssen angemessenen Ersatz der Ausbildungskosten leisten. ({17}) - Sie haben j a auch nicht immer zum Thema gesprochen. Ich will Ihnen nur erwidern, Herr Klejdzinski, weil Sie gesagt haben, dieser Minister habe nichts getan. Darauf will ich Ihnen nur erwidern. Als Beitrag zur Beseitigung des Lehrstellenmangels stellt die Bundeswehr fast 700 Ausbildungsplätze zur Verfügung. An den Bundeswehrhochschulen wurde der Lehrbetrieb reformiert. ({18}) - Gröhlen Sie doch nicht immer so und pöbeln Sie nicht so! Die Ausgaben für Truppenübungen sind in den letzten Haushalten um mehr als 10 % erhöht worden, so daß der Ausbildungserfolg, die Fähigkeit zur Auftragserfüllung und die Motivation der Truppe gesteigert worden sind. Von entscheidender Bedeutung ist die Leistung, daß das internationale Vertrauen in die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederhergestellt worden ist. ({19}) Damit ist auch ein wesentlicher Beitrag zur Festigung des Atlantischen Bündnisses geleistet worden. Vor allem ist auch das Verhältnis zu Frankreich in verteidigungspolitischer Beziehung wesentlich verbessert worden. Meine Damen und Herren, CDU und CSU werden den Minister auf diesem eingeschlagenen Weg einer realen Sicherheitpolitik und einer auftragsbezogenen Bundeswehrpolitik weiterhin unterstützen und ermutigen. Sie werden auch nicht zulassen, daß die SPD mit Hochspielen z. B. der Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses davon ablenkt, ({20}) daß sie sich im Grunde in den Fragen der Sicherheitspolitik in die 50er Jahre zurückbewegt - wie es ja der Parteitag von Essen gezeigt hat -, und daß bedauerliche Ereignisse wie das zu Untersuchende dazu mißbraucht werden, um unsere Verteidigungspolitik nach Möglichkeit zu lähmen. ({21}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit bei den Kollegen der CDU/CSU und der FDP. ({22})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wittmann, als ich Sie gehört habe, habe ich mir vorgestellt, der Kollege Biehle als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses hätte hier gesessen. Wenn er hier gesessen hätte, hätte er Ihnen mehrfach das Wort entzogen wegen Vorbeigehens am Thema. Das haben Ihre Ausführungen ja ganz deutlich gemacht. ({0}) - Moment, bleiben Sie doch einmal ganz ruhig, Herr Kollege. Sie müssen nicht immer so nervös sein. Wir kommen schon zur Sache. Herr Kollege Wittmann, ich werde mich aus Ihrer Sicht jetzt in einige Widersprüche verwickeln, aber nicht in dem Teil der Rede, den Sie schon gelesen haben, sondern in einem anderen Teil, in dem ich Ihnen jetzt antworte. Erstens stimme ich Ihnen zu, daß man überlegen sollte, endlich straffere Regeln für die Führung von Untersuchungsausschüssen einzuführen. Einen zweiten Punkt halte ich für überlegenswert: Sie haben gefragt, ob es unbedingt notwendig ist, daß der Verteidigungsausschuß - wenn er weiter das Recht behält, sich als Untersuchungsausschuß zu konstitutieren - als Untersuchungsausschuß mit 27 Abgeordneten, in seiner vollen Größe, diese Untersuchungen führt. Wir werden das eingehend prüfen und würden uns freuen, wenn wir gemeinsame Initiativen ergreifen könnten. Wir haben gemeinsam viele Dinge festgestellt. Nur eins muß ich Ihnen noch sagen, Herr Kollege Wittmann: Ich war zu der Zeit, als der Untersuchungsausschuß lief - Sie werden gemerkt haben, daß ich mein Redemanuskript noch gar nicht benutzt habe -, im bayerischen Kommunalwahlkampf. Bei meiner Veranstaltung traten dann auch Parteifreunde Ihrer Partei auf und behaupteten doch, daß die SPD-Mitglieder im MAD dem Herrn Wörner ein Bein stellen wollten. Wissen Sie, was ich ihnen geantwortet habe: Das waren die CDU-Mitglieder, die noch nicht gemerkt haben, daß die SPD gar nicht mehr an der Regierung ist. ({1}) Wenn Sie sich einmal den Mann, der dazu beigetragen hat, daß wir diesen Untersuchungsausschuß gehabt haben, ansehen und untersuchen, welche Verbindung er zum Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs, Kurt Würzbach, vielleicht auch zu ihm selbst hat, und dann einmal prüfen, welches Parteibuch er hat, werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis kommen, als Sie es heute vor diesem Hohen Hause ausgebreitet haben. ({2}) Wir haben also vieles gemeinsam festgestellt. Gemeinsam haben wir auch festgestellt, daß wir eine gesetzliche Regelung brauchen. Die Frage ist nur: Muß es ein MAD-Gesetz sein oder kann es ein Gesetz sein, das alle Dienste - so wie Sie es ja auch angesprochen haben - umfaßt? Dies wird zu prü5674 fen sein. Damit werden wir uns in den Fraktionen zu beschäftigen haben, um zu prüfen, zu welchem Ergebnis wir kommen. Das darf nur nicht so sein, daß diese Prüfungszeit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag - das gebe ich Ihnen zu; der MAD hat ja auch schon zu Ihrer Regierungszeit vor 1969 bestanden - ausgedehnt wird und alles in einem Sommerloch verschwindet. Wir wissen, daß die Errungenschaften des bürgerlichen Rechtsstaates dazu geführt haben, daß Eingriffe des Staates in die Freiheit des Bürgers nur auf Grund gesetzlicher Regelungen erfolgen dürfen. Da diese Erkenntnisse schon älter sind als die Bundesrepublik Deutschland, haben sie ihre Aufnahme in unserer Verfassung gefunden. Wir sollten nicht zögern, diese Erkenntnisse auch im Bereich der Nachrichtendienste durchzusetzen und ihnen Geltung zu verschaffen. Wir Sozialdemokraten halten es ebenfalls für erforderlich, daß Sie, Herr Minister Wörner - jetzt komme ich zu dem Teil, den der Kollege Wittmann, der gerade rausgeht, vorhin angesprochen hat -, ({3}) die Tätigkeit des MAD auf die realen Sicherheitsprobleme der Bundeswehr begrenzen. Ich fordere ihn dazu auf, weil ich ihn am Schluß nicht zum Rücktritt auffordere, da ich nämlich weiß, daß das keinen Zweck hat. Die Minister haben nämlich fast alle Pattex am Hintern und kleben auf ihren Stühlen, ohne daß sie dabei ihrer politischen Verantwortung gerecht werden. Deshalb lohnt es sich gar nicht, Sie zum Rücktritt aufzufordern. ({4}) Lesen Sie einmal nach, was Sie haben. Da steht nämlich etwas anderes drin. Darauf werde ich nachher zurückkommen. Herr Wörner, Sie werden ja noch länger im Amt bleiben, wenn Herr Strauß nicht doch noch irgendwann eine Kabinettsumbildung im größeren Stil durchsetzt. Tun Sie das, was Sie jetzt wieder einmal großspurig angekündigt haben! Wir werden vom Verteidigungsausschuß her darauf achten, daß diese Dinge auch tatsächlich in die Realität umgesetzt werden. Im MAD darf auch nicht länger - da stimme ich dem Kollegen Vogt von den GRÜNEN zu - die Zwangsvorstellung kultiviert werden, die Sicherheit der Bundeswehr und der Bundesrepublik sei auf das höchste bedroht. Der für jeden freiheitlich gesonnenen Bürger unerträgliche Zustand in Gestalt der sogenannten Zersetzungskartei hat auch schon zu unserer Zeit bestanden; das gebe ich auch zu. Das ist ein ganz schlimmes Wort. ({5}) - Ich habe auch gar nichts gesagt. Bleiben Sie ruhig, Herr Kollege Stavenhagen! Sie haben ja gehört, was der Kollege Wimmer gesagt hat: Nicht immer vorher rufen, sondern abwarten! Wir kommen also zur Zersetzungskartei. Stellen Sie also ab, daß diese Zersetzungskartei weiter betrieben wird, daß dort zahlreiche Bürger, die nur ihr Grundrecht zur freien Meinungsäußerung und ihr Grundrecht zur Demonstration wahrgenommen haben, registriert werden. Denn es schafft nur Mißtrauen in der Bevölkerung und führt nicht dazu, Vertrauen in den MAD und in die Dienste zu erwekken, wenn derartige Karteien geführt werden. Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt aus den gemeinsamen Schlußfolgerungen, nämlich die Sicherheitsrichtlinien, herausgreifen. Sie müssen geändert werden. Es kann nicht länger hingenommen werden, daß in diesen Richtlinien eine abnorme Veranlagung auf sexuellem Gebiet als Sicherheitsrisiko beschrieben wird. ({6}) - Ich gestehe doch auch Ihnen zu, daß Sie einmal schlauer werden. Das war damals 1971; heute haben wir 1984. Wir sind nicht auf dem Stand von 1971, sondern auf dem von 1984, Herr Kollege. ({7}) Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß ein straf- oder disziplinarrechtliches bedeutungsloses sexuelles Verhalten eines Bürgers auch keine anderweitigen rechtlichen und tatsächlichen Nachteile mit sich bringen darf. Das sexuelle Verhalten eines Bürgers ist als Anknüpfungspunkt zur Beurteilung eines Sicherheitsrisikos ungeeignet. Daher muß ein solcher Anknüpfungspunkt abgelehnt werden. Den Versuch, den, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, hier leider heute auch wieder der Kollege Vogt gemacht hat, das gesellschaftliche Problem der Homosexualität oder der, wie Sie es genannt haben, gleichgeschlechtlichen Liebe zur zentralen Frage des Untersuchungsausschusses zu machen, haben wir, so wichtig dieses Problem auch sein mag, für völlig verfehlt gehalten. Die Öffentlichkeit hätte über den Untersuchungsausschuß zu Recht ein vernichtendes Urteil gefällt, wenn er der Frage der Homosexualität sein Hauptaugenmerk gewidmet hätte und damit zwangsläufig die schweren Fehler des Bundesministers Dr. Wörner sowie die von ihm vorgenommenen und zu verantwortenden Verletzungen der Grundrechte des Herrn Kießling in den Hintergrund getreten wären.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogt ({0})?

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur noch sieben Minuten Zeit und muß noch so viel sagen. Ich bitte um Entschuldigung. ({0}) - Ich weiß ja nicht, ob Sie lesen können. - Ich gestatte keine Zwischenfrage. Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, haben den Zeitaufwand kritisiert. Sie haben es heute noch einmal getan, Herr Kollege Vogt. Da sind wir Sozialdemokraten ganz anderer Auffassung. Es ist gut, daß die schweren Fehler des MAD aufgedeckt worden sind. Denn nur so können überhaupt die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß solche und andere Fehler in Zukunft möglichst vermieden werden. Es ist gut, wenn die Bürger wissen, daß sich die Regierung nicht alles erlauben darf und daß nicht ungestraft und unkontrolliert ein ganzer Machtapparat gegen einen Bürger in Gang gesetzt wird, ohne daß das Parlament davon Kenntnis nimmt und dies kontrolliert. Es ist gut, wenn die Soldaten der Bundeswehr wissen, daß es eine parlamentarische Kontrolle auch zu ihrem Schutz gibt. Es ging hier nicht nur um die Ehre, um die Grundrechte und Menschenrechte des Herrn Kießling, sondern auch darum, den Soldaten in der Bundeswehr und der Öffentlichkeit zu zeigen, daß dieses Parlament ihre Rechte gegenüber der Administration wahrnimmt. Die Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß hat sich aus unserer Sicht gelohnt. Damit Sie nicht zu kurz kommen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, komme ich nun zu Ihnen. Wir haben gemeinsam Schlußfolgerungen gezogen. Diese gemeinsamen Schlußfolgerungen und all das, was wir gemeinsam gemacht haben, dürfen aber doch nicht vernebeln, welche Verantwortung der Bundesminister der Verteidigung dabei gehabt hat. Politische Verantwortung ist unteilbar. Sie kann nicht, wie es die Kollegen Ronneburger, Wimmer und Wittmann versucht haben, scheibchenweise auf andere aufgeteilt werden. Entweder ist der politische Kopf im Verteidigungsministerium oder nicht; wenn er es ist, muß er auch die politische Verantwortung tragen. ({1}) Der Bundeskanzler hat gemeint, Herr Wörner verdiene Anerkennung dafür, daß er seine Fehler zugegeben habe. Wer im Untersuchungsausschuß dabei war, weiß, daß er diese Einsicht nicht gezeigt hat. Bisher vermisse ich eigentlich, daß auch einmal jemand von der Regierung hier oben zu dem Stellung nimmt, was der Untersuchungsausschuß festgestellt hat. Wenn das geschähe, würde sicherlich deutlich werden, daß der Bundesminister der Verteidigung dann einsichtig war, wenn es ihm genutzt hat, sein Amt zu behalten. Wenn es aber darum ging, sich in der Öffentlichkeit in Pose zu stellen, hat er immer gesagt, er habe nicht anders handeln können und habe rechtmäßig und richtig gehandelt. Dies wagen wir zu bezweifeln. Für uns Sozialdemokraten sind Sie, Herr Wörner, aus zwei schwerwiegenden Gründen als Bundesminister der Verteidigung untragbar geworden: erstens, weil Sie im Januar Ihren ganzen Apparat in Bewegung gesetzt und Ermittlungen angestellt haben, und zwar nicht, um Entlastendes zu finden, sondern, wie wir das auch gemeinsam festgestellt haben, nur Belastendes; denn wenn Sie Entlastendes hätten finden wollen ({2}) - das können Sie doch nachher richtigstellen; auch Herr Franke kommt noch, auch seine Rede ist schon verteilt -, ({3}) Herr Dr. Wörner, dann hätten Sie dem Ministerialrat Dr. Fritz folgen müssen, der Sie am 14. Januar 1984 vor bestimmten Unterstellungen des MAD gewarnt hatte. Sie haben dies nicht getan. Sie haben weiter ermittelt. Und Sie haben weiter Negatives ermittelt. Wenn ich mir vorstelle, wie die Vernehmung des Schriftstellers Ziegler aus der Schweiz stattgefunden hat, dann wird mir heute vor Peinlichkeit noch übel. Und der Staatssekretär im Bundeskanzleramt hat dabeigesessen und wohlwollend alles mitangehört. ({4}) Ich will gar nicht darauf eingehen, was das alles gekostet hat. Der Bericht des Rechnungshofes liegt Ihnen doch vor. ({5}) Gucken Sie einmal nach. Das hat mindestens den Wehrsold für eine Kompanie in einem ganzen Jahr gekostet. Allein die Anhörung des Herrn Ziegler hat den Wehrsold für einen Wehrpflichtigen für ein ganzes Jahr gekostet. Andernfalls hätten Sie vielleicht die Wehrsolderhöhung, die nachher noch drankommt, ein paar Tage vorziehen können. ({6}) Die Veranstaltung mit Herrn Ziegler war peinlich, geschmacklos und nicht mehr notwendig. Die Veranstaltung fand statt, als hier am 20. Januar die Aktuelle Stunde stattfand und alle Kollegen meiner Fraktion und Herr Kollege Bastian Sie aufgefordert hatten, endlich die Vorwürfe zurückzunehmen. Sie haben diese Vorwürfe nicht zurückgenommen, sondern Ihre Fraktionskollegen vielmehr angehalten, noch neue Vorwürfe in die Debatte einzubringen, obwohl Sie gewußt haben, Herr Dr. Wörner, daß wir, nachdem die PKK, der Verteidigungsausschuß getagt hatten, die Zeugen von der Polizei gar nicht mehr brauchten. ({7}) Weil sich am Ende herausgestellt hatte, daß der Minister eben nicht alles auf den Tisch gelegt hatte, haben Sie, der Kollege Franke, der Kollege Hauser, der Kollege Wimmer und wer noch alles, schlimme Vorwürfe aufgestellt. ({8}) Ich weiß nicht - der Kollege Klejdzinski hatte schon danach gefragt; Sie werden es nachher sicher ausführen -, ob Sie sich schon entschuldigt haben. ({9}) - Ich wollte Sie wieder überraschen. Ich habe Ihnen im Verteidigungsausschuß doch schon immer gesagt: Ich bin immer für eine Überraschung gut. Sie glauben mir das ja nicht. ({10}) Und die Schweine aus dem Dorf treiben, wie Sie das gestern gesagt haben - das tun wir auch nicht. Wir machen vielmehr die Schuld am Minister fest; denn er trägt die politische Verantwortung in diesem Bereich und hat noch nicht einmal den Schneid, das zuzugeben. ({11}) Herr Kollege Ronneburger, nun komme ich auf Sie und Ihre Rede. Ich will gar nicht alles das, was ich zur ,,Spiegel"-Affäre 1962 aufgeschrieben habe, sagen; aber daran sollten Sie sich als Freier Demokrat einmal erinnern und auch daran, welche Purzelbäume - und Wenden - Sie geschlagen haben. 12. Januar: Unterrichtung der Obleute, 18. Januar: Verteidigungsausschuß, 20. Januar: hier und dann Untersuchungsausschuß. Da müßten Sie als Liberaler doch eigentlich blaugelb anlaufen. Aber das können Sie nicht; deswegen tun Sie es auch nicht. Trotz allem Brimboriums, das Sie gemacht haben, haben Sie dem Verteidigungsminister heute wieder einen Persilschein ausgestellt. Bei allem, was hier abgelaufen ist, Herr Wörner, hätten Sie, wenn Sie Schneid gehabt hätten, Ihr Amt zur Verfügung stellen müssen. Durch Ihren tatsächlichen Rücktritt hätten Sie beweisen können, daß Sie es mit Ihren vorgeschobenen Rücktrittsangeboten ernst meinen. „Ein Mann von Ehre" - so sagt der Publizist Johannes Gross - „hätte den Rücktritt nicht angeboten, sondern ihn erklärt." Damit hätten Sie den Weg freimachen können für einen neuen Anfang mit einem unbeteiligten Nachfolger im Amt des Bundesministers der Verteidigung, im Interesse der Bundeswehr, ihrer Soldaten und im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. ({12}) Aber dazu sind Sie ja nicht in der Lage. Schönen Dank, meine Damen und Herren. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Bastian.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wohl niemand im Hause, der den Bericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß in der Verleumdungskampagne gegen General Dr. Kießling gelesen hat, ({0}) wird ihn ohne ein Gefühl tiefer Beklommenheit wieder aus der Hand gelegt haben. Das Horrorszenario, das hier in dürren Worten beschrieben wird, ist ein Skandal, wie er an der Spitze einer Armee, die mit dem Anspruch angetreten ist, in zeitgemäßer Menschenführung wegweisend zu sein und die Würde jedes Soldaten zu achten, nicht hätte vorkommen dürfen. ({1}) Es ist freilich nicht ein Skandal des Bürgers in Uniform Dr. Kießling und auch nicht ein Skandal der Bundeswehr schlechthin, deren Soldaten fassungslos zur Kenntnis nehmen mußten, welcher Sumpf aus Tratsch, Klatsch und gezielter Verleumdung, aus skrupelloser Vorverurteilung und banaler Unfähigkeit im Bundesministerium der Verteidigung, aber auch im deutschen Anteil beim höchsten alliierten Oberkommando SHAPE und im Amt für die Sicherheit der Bundeswehr herangefault war. ({2}) Es handelt sich vielmehr um einen Skandal der Bundeswehrführung und zuallererst des Bundesverteidigungsministers selbst, eines Ministers, der noch wenige Wochen zuvor in makaberer Selbstgerechtigkeit gemeint hatte, die Bundeswehr aus den Schlagzeilen herausgebracht zu haben, und der nun selbst bösere Schlagzeilen lieferte, als sie jemals zuvor über den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt geschrieben worden waren. Dazu kam es, weil er nicht in der Lage gewesen war, den Hintertreppencharakter ebenso dürftiger wie dümmlicher Vorwürfe gegen einen der ranghöchsten Generale der Bundeswehr zu erkennen, und sich deshalb leichtfertig vorschnell ein Urteil gegen den Verleumdeten anstatt gegen die Verleumder im eigenen Haus und bei SHAPE bildete. ({3}) Die Folge waren immer neue Fehlentscheidungen, an deren unrühmlichem Ende der Minister selbst Ansehen und Vertrauen verspielt hatte. ({4}) - Das hat eine ganz andere Qualität, Herr Biehle. Aber das verstehen Sie nicht; das ist mir vollkommen klar. Darüber rede ich mit Ihnen auch gar nicht. Wenn die Regierungsparteien dem verantwortlichen Minister im vorliegenden Untersuchungsbericht trotzdem bescheinigen, pflichtgemäß gehandelt zu haben, muß man fragen, welche Art von Pflicht da denn wohl gemeint sein mag. Gewiß nicht die Pflicht, das Recht und die Würde unterstellter Soldaten zu achten, wie sie jedem Vorgesetzten auferlegt ist, und sicherlich auch nicht die Pflicht zur zeitgemäßen Menschenführung auf der Grundlage des anspruchsvollen Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform oder die Pflicht zur Fürsorge für Untergebene. Beide Pflichten werden vom jüngsten Gruppenführer gefordert und müßten natürlich auch vom höchsten Dienstherren in vorbildhafter Weise ernstgenommen werden. Tatsächlich sind sie jedoch gegenüber General Dr. Kießling vom amtierenden Verteidigungsminister in unbegreiflicher und nicht zu rechtfertigender Weise mißachtet worden. Nicht pflichtgemäß, wie die Regierungsparteien meinen, sondern pflichtwidrig, wie die Opposition es im Untersuchungsbericht feststellt, hat Dr. Wörner deshalb gehandelt, als er sich fahrlässig Anschuldigungen gegen den General zu eigen machte, von denen der später ermittelnde Wehrdisziplinaranwalt dem Untersuchungsbericht zufolge sagte, daß sie sich insgesamt ohne großen Untersuchungsaufwand hätten widerlegen lassen. Pflichtwidrig hat der Minister auch gehandelt, als er bedenkenlos jede scheinbar belastende Aussage noch so zwielichtiger Zeugen aufgriff und sich nicht einmal scheute, die obskursten Belastungszeugen höchstpersönlich in das Ministerium zu laden und dort selbst zu befragen, als das überfällige Eingeständnis, falsch gehandelt zu haben, doch schon längst die einzig mögliche und auch einzig anständige Konsequenz gewesen wäre. Pflichtwidrig hat der Minister auch gehandelt, als er veranlaßte, daß bei der fieberhaften Suche nach einem vermuteten Belastungszeugen das Dateninformationssystem der Bundeswehr in datenschutzrechtlich bedenklicher Weise zur Ermittlung aller Wehrpflichtigen gleichen Namens mißbraucht worden ist. Auch mit der Wahrheitspflicht, Grundpfeiler des Soldatengesetzes, haben es der Minister und seine engsten Mitarbeiter nicht allzu genau genommen; denn obwohl schon am 14. Januar 1984 feststand, daß die gegen den General erhobenen Vorwürfe unhaltbar waren, wurden sie vom Verteidigungsminister, vom Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach und vom Pressesprecher Oberst Reinhard noch nach diesem Zeitpunkt bis weit in den Januar hinein öffentlich ganz unverfroren wiederholt. ({5}) Das alles war kein Glanzstück an Urteilsfähigkeit und Führungskunst, schon eher eine Schmierenkomödie peinlichster Art. Wäre ähnliches von einem Hauptmann im Truppendienst zu verantworten, brauchte er sich kaum noch Hoffnung zu machen, den weiterführenden Verwendungslehrgang jemals besuchen und bestehen zu können. ({6}) Einem Bundesminister der Verteidigung soll freilich aus einem solchen Fehlverhalten kein Nachteil erwachsen. Und das, obwohl im Endergebnis festzustellen ist, daß die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung, General Dr. Kießling zum 31. Dezember 1983 zur schlichten Entlassung vorzuschlagen, rechtswidrig war; rechtswidrig aus all den von der Opposition im Untersuchungsbericht dargelegten Gründen, die hier nicht wiederholt zu werden brauchen, und rechtswidrig auch, weil alle jene zu Grunde liegenden Scheinerkenntnisse, die den General angeblich zum Sicherheitsrisiko stempelten, haargenau dieselben waren, die drei Monate vorher eine Vereinbarung, den General im beiderseitigem Einverständnis zum 31. März 1984 mit allen Ehren zu verabschieden, nicht unmöglich gemacht hatten. ({7}) - Es stimmt, Herr Ronneburger; es waren inhaltlich und qualitativ dieselben. ({8}) Lesen Sie den Untersuchungsbericht; ich habe ihn gelesen. Mit seinem pflichtwidrigen Handeln hat der Minister allerdings nicht nur dem von seinem Ermittlungseifer betroffenen General und dem Ansehen der Bundeswehr, sondern auch - und das darf nicht verschwiegen und vergessen werden - unserer Gesellschaft schwer geschadet, indem er mit der unzulässigen Gleichsetzung von homosexuell und sicherheitsbedenklich, ja kriminell, die schwelenden Vorurteile gegen Homosexualität zum Nachteil einer schutzbedürftigen Minderheit in der Bevölkerung neu belebt und damit das Leben vieler Mitbürger unnötig erschwert hat. ({9}) Es ist schwer vorstellbar, daß ein Minister, der Ansehen und Vertrauen mit einer so schweren Hypothek belastet hat, ohne Schaden für die ihm anvertrauten Aufgaben im Amt verbleiben kann. Die unvermeidliche Erosion seiner Autorität muß vielmehr von Übel sein. Der Bundeskanzler war deshalb schlecht beraten, als er das Rücktrittsangebot des Bundesministers der Verteidigung, wenn es ein solches gegeben hat, nicht annahm. ({10}) Er hat damit weder seiner Regierung, noch der Bundeswehr, noch Dr. Wörner selbst einen Gefallen getan. Sie, Herr Dr. Wörner, haben es allerdings in der Hand, diesen Schaden einzugrenzen, indem Sie in der Erkenntnis, durch eigenes Verschulden untragbar geworden zu sein, dem Beispiel Ihres Kollegen Graf Lambsdorff folgen und Ihr Amt zur Verfügung stellen. ({11}) Die notwendige Wiederherstellung des verlorengegangenen Vertrauens in eine untadelige Amtsführung an der Spitze des Verteidigungsministeriums läßt Ihnen keine andere Wahl. Es würde Sie ehren, wenn Sie wenigstens dies zu erkennen vermöchten. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wenn wir in dem Ausschuß politisch Bilanz ziehen, dann haben wir einen Verteidigungsminister, der sein Amt mit großen Erwartungen angetreten hat und der nach 16 Monaten im Ansehen der Bundeswehr auf den totalen Nullpunkt gekommen ist; ({0}) dann haben wir einen Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Herrn Professor Schreckenberger. Der Untersuchungsausschuß hat bestätigt, ihm sind Akten zuwider, er mag sie nicht lesen und überhaupt nicht prüfen; dann haben wir einen Bundeskanzler, der seinem Verteidigungsminister zwar Aufträge erteilt, ihre Durchführung aber noch nicht einmal überprüft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, neuerdings reden Sie von der Regierungspartei ja so gerne von chaotischen Verhältnissen und vom Chaos, das ausbrechen würde, wenn Sie, meine Herren, nicht mehr regierten. Ich sage Ihnen: Kein Minister in der dreizehnjährigen Epoche der sozialliberalen Koalition hat ein solches Chaos angerichtet wie dieser Verteidigungsminister. Wenn Franz Josef Strauß sagt, daß in dieser Regierung nicht das organisierte Chaos, sondern das chaotische Chaos herrscht, dann weiß er, worüber er spricht. ({1}) Wenn die Regierung und die sie tragenden Fraktionen allerdings der Vorstellung huldigen sollten, mit dem heutigen Tage sei die Sache endgültig zu den Akten gelegt, dann kann ich Ihnen versichern: Daraus wird nichts. Sie, Herr Minister, wenn Sie sich im Augenblick auch nicht dort auf die Regierungsbank begeben haben, wo sie eigentlich hingehören - denn wir sprechen nicht zu dem Abgeordneten Wörner, sondern wir sprechen zu dem Minister Wörner; ({2}) eine gleiche Stillosigkeit hätte Georg Leber nie begangen; als wir hier im Parlament die Angelegenheit Krupinski/Franke diskutierten -, ({3}) Sie, Herr Minister, werden tagtäglich von dieser Affäre eingeholt. Es ist ja nicht nur der MAD, dessen Struktur sicher tiefgreifende Änderung bedarf; auch bei einer Vielzahl von künftigen Personalentscheidungen - eine sehr sensible Angelegenheit, gerade im Bereich der Bundeswehr - werden wir die Nachwehen dieses Falles verspüren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Horn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg?

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde das gern machen. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Zeit läuft mir hier wirklich davon; haben Sie Verständnis dafür, daß ich das im Zusammenhang darstelle. Ich bin sonst immer wieder bereit, zu Fragen auch Auskunft zu geben. Lassen Sie mich hier auf drei Aspekte hinweisen. Erstens. Einige Soldaten und Beamte haben durch ihr Handeln im Zusammenhang mit der Angelegenheit des Generals Kießling ihre Dienstpflicht nachhaltig und schwerwiegend verletzt. ({0}) Disziplinarverfahren wären eigentlich am Platze. Wie das mit der Tatsache in Einklang gebracht werden soll, daß Sie, Herr Minister, für Ihre eigenen Amtspflichtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind, wird Ihr Geheimnis dabei bleiben. ({1}) Oder soll nun wieder das alte Sprichwort Geltung haben, daß man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt? ({2}) Einige deutsche Offiziere, z. B. im NATO-Hauptquartier, haben eifrig und beflissen - ({3}) - Sie haben die Namen gesagt, Herr Kollege Jungmann. Ich möchte sie deshalb nicht benennen, weil die abstoßende Art und Weise, in der hier über einen Kameraden gesprochen wird, geradezu widerlich ist. ({4}) Sie haben an der Verbreitung der Gerüchte über General Kießling mitgewirkt. Diese Soldaten haben ihre Pflicht zur Kameradschaft verletzt. Die breite Öffentlichkeit und auch wir Sozialdemokraten können keinerlei Verständnis dafür aufbringen, wenn Beamte und Soldaten, von denen ich hier rede, für ihre Pflichtverletzungen demnächst sogar mit Beförderungen belohnt werden, während der kleine Stabsfeldwebel mit allen möglichen Verfahren überzogen wird. ({5}) Der zweite Aspekt hat seine Wurzeln im Soldatengesetz. Das verpflichtet jeden Vorgesetzten, in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben, also Vorbild zu sein. Wie wollen Sie eigentlich, Herr Minister Wörner, von den Unteroffizieren und Offizieren der Bundeswehr glaubhaft diese gesetzliche Pflicht einfordern, wo Sie doch selbst über Wochen hinweg in aller Öffentlichkeit das schiere Gegenteil von dem vorgeführt haben, was vorbildliche Haltung und Pflichterfüllung gebieten? ({6}) Das Soldatengesetz verpflichtet außerdem jeden Vorgesetzten, für seine Untergebenen zu sorgen. Wie wollen Sie eigentlich, Herr Minister, von denjenigen, die in der Bundeswehr militärische Vorgesetzte sind, die Erfüllung ihrer Vorgesetzten- und Fürsorgepflicht gegenüber ihren Untergebenen verlangen, wo Sie doch über Wochen hinweg - und das noch mit abstoßenden Mitteln - damit beschäftigt waren, nur Nachteiliges und Belastendes im Blick auf General Kießling zu beschaffen? ({7}) - Sie wissen ganz genau, daß das stimmt. Das Soldatengesetz sagt weiter: „Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen." ({8}) Dann sagen Sie doch bitte einmal, wie der Minister Wörner von den Soldaten unserer Bundeswehr Kameradschaft verlangen will, wo er doch über Wochen hinweg mit der Würde und der Ehre des Generals Schindluder getrieben und auch seine Rechte gröblich mißachtet hat. ({9}) Wie wollen Sie denn eigentlich von den Soldaten der Bundeswehr verlangen, daß sie sich in Not untereinander beistehen, wo dieser Minister dem in schwere seelische Not geratenen General Kießling nicht nur nicht beigestanden, sondern ihn durch sein eigenes Handeln an den Rand einer persönlichen Katastrophe getrieben hat? ({10}) Drittens weise ich darauf hin, daß auch die Grundsätze der Inneren Führung - sie sind Inhalt einer Zentralen Dienstvorschrift - verbindlich sind. Wie wollen Sie eigentlich, Herr Minister, diese Grundsätze glaubwürdig vertreten und ihnen mit Nachdruck Geltungskraft verleihen, wo Sie doch im Falle des Generals Kießling wesentliche Grundsätze der Inneren Führung mißachtet und mit Füßen getreten haben? Ein Grundsatz der Inneren Führung lautet: Die Ausübung der Disziplinargewalt erfordert große Sorgfalt und hohes Verantwortungsgefühl. Wie wollen Sie von denjenigen, die in der Bundeswehr als Vorgesetzte Disziplinargewalt ausüben, die Verwirklichung dieses Grundsatzes verlangen, wo sie doch selbst bei der Ausübung Ihrer Disziplinargewalt, etwa bei Ihrer Zeugenanhörung, jede Sorgfalt und jedes Verantwortungsgefühl vermissen ließen? Das alles zeigt: Dr. Manfred Wörner hat alle die Grundsätze mißachtet, die in der Bundeswehr für das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sowie den Soldaten untereinander nicht nur selbstverständlich sein sollten, sondern gesetzlich vorgeschrieben sind. Deswegen ist Herr Dr. Wörner als Bundesminister der Verteidigung auch untragbar. ({11}) Sie sind, Herr Dr. Wörner, selbst wenn Sie das wollten, gar nicht mehr imstande, die Ihnen vom Grundgesetz verliehene besondere Stellung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr auszuüben, weil jeder Soldat mit dem Finger auf Sie zeigen und fragen kann: Und wie hast du in entsprechender Situation gehandelt? ({12}) Die für Sie niederschmetternde Bemerkung Ihres Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger, daß im Krisenfall der Oberbefehl ohnehin auf den Kanzler übergehe, kann für uns und unsere Soldaten kein Trost sein. Diese Bemerkung ist allenfalls ein deutliches Symptom für die Einschätzung der Qualitäten des Herrn Dr. Wörner durch seine Fraktion. ({13}) Ich sehe nicht, wie Sie als angeschlagener Minister im Kabinett im Widerstreit mit Interessen anderer Ressorts die Entscheidungen durchsetzen wollen, die für die Streitkräfte notwendig sind, etwa gegenüber dem Finanzminister. Da regiert ja, wie wir wissen, inzwischen auch der Außenminister hinein, der seit Jahren bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen kräftig mauert und jetzt den Umfang der Bundeswehr bestimmen will. Dem Verteidigungsminister ist doch politisch längst das Rückgrat gebrochen worden. Er ist nur noch ein Jo-Jo in der Hand des Kanzlers. ({14}) Das sind die Personalprobleme der Bundeswehr, die er ohne jede Perspektive und ohne jedes Konzept vor sich herschiebt. Ich sage Ihnen, die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den vielfältigen Maßnahmen werden Sie nur dann erlangen, wenn Sie an die unumgängliche Strukturveränderung der Bundeswehr herangehen. Wir - das Parlament - und die Bürger draußen, insbesondere aber die Soldaten, müssen wissen, wohin die Reise geht. Auch im westlichen Bündnis können Sie, Herr Dr. Wörner, die Interessen der Bundesrepublik gar nicht mehr nachhaltig zur Geltung bringen. Schuld daran ist allerdings die gesamte ,,Wende"-Regierung, weil - wie es Helmut Schmidt vor einem halben Jahr vorausgesagt hat - die Bundesregierung den Spielraum deutscher Politik inzwischen vergeben hat. Da wird der Bundesaußenminister in Washington unter „ferner liefen" behandelt, und der Verteidigungsminister Wörner ist nur noch ein Ob5680 jekt in einem Konzert, das andere zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland dirigieren. ({15}) Sprachlos haben Sie es doch hinnehmen müssen, Herr Minister, daß Sie bei der NATO-Tagung im April in der Türkei von Verteidigungsminister Weinberger in der Frage der Weltraumrüstung der USA schlicht desavouiert worden sind. Das Gerangel bei der NATO-Frühjahrstagung um den finanziellen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland hat doch das ganze Dilemma deutlich gemacht. Die Bundesregierung redet - nur noch verbal - von Rüstungskontrolle und Abrüstung. Eine aktive Sicherheitspolitik, die diesem Ziel dient, ist jedoch nicht vorhanden. ({16}) Die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen erfolgt heute ausschließlich in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung läßt der Raketenstationierung in unserem Land freien Lauf. Für die Neuaufnahme von Verhandlungen setzt sie sich nur noch mit Worten ein. ({17}) Die Amerikaner fühlen sich getäuscht von diesem Verteidigungsminister mit großen Versprechungen von Santa Barbara bis nach München, die er nicht einzuhalten imstande ist. ({18}) Das ist ja auch kein Wunder. Der Bundeskanzler ist hauptsächlich mit dem Zustand seiner Regierung befaßt, der Außenminister mit dem Zustand seiner Partei und der Verteidigungsminister mit den Folgen seiner Affäre. ({19}) Ihnen, Herr Minister Wörner, haftet das Markenzeichen an „nur bedingt handlungsfähig". Ein solcher Minister kann die Probleme der Bundeswehr nicht lösen, und man kann ihm auch die Fragen der militärischen Sicherheit nicht anvertrauen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({20})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke ({0}). ({1})

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn, die Maßlosigkeit und das Pathetische Ihres Vortrags stehen in deutlichem Gegensatz zum Wahrheitsgehalt Ihrer Ausführungen; ich komme darauf aber noch zurück. ({0}) Lassen Sie mich zu Beginn eine positive Feststellung zum Gesamtkomplex machen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann?

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, gestatte ich nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gilt das für die Gesamtzeit Ihrer Ausführungen'?

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist richtig, Herr Präsident. Einsetzung, Verlauf und Ergebnis des Untersuchungsausschusses, vor allen Dingen aber die zügige und vollständige Rehabilitierung von Herrn General Dr. Kießling, sind ein erneuter nachhaltiger Beweis für die Fähigkeit des demokratischen Rechtsstaates, mit aufgetretenen Problemen offen im Rahmen bestehender Gesetze und Vorschriften fertigzuwerden. ({0}) Hier sind Fehler, Schwächen und Versäumnisse sachlicher wie menschlicher Art ohne Ansehen der Person und des Amtes öffentlich untersucht und bewertet worden. Daß die beiden Hauptbetroffenen, General Dr. Kießling und Bundesminister Dr. Wörner, unabhängig von den sachlichen Notwendigkeiten, sich am Ende menschlich verständigen konnten, ehrt beide. ({1}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine zusätzliche Bemerkung machen. In der Öffentlichkeit sind gelegentlich Parallelen zu historischen Ereignissen gezogen worden. Ich weise diese mit Nachdruck zurück, und zwar vor allem aus zwei Gründen: Erstens. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat braucht sich nicht mit den Verhältnissen einer Diktatur in einen Topf werfen zu lassen. Zweitens. Moralisch-politischer Ansatz, Ablauf der Ereignisse und Folgen der Fritsch-Affäre zeigen in keinem einzigen Punkt Vergleichsmöglichkeiten zu dem hier in Rede stehenden Vorfall. Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit, wir, die Betroffenen fragen: Wie konnte dies alles geschehen? Ich will versuchen, die wesentlichsten Abläufe nachzuzeichnen und eine kurze Bewertung vorzunehnen. Am Anfang stand das Gerücht. ({2}) Wie ein Krebsgeschwür wucherte es seit Jahren, mal als Frage „Trifft es zu?", mal als halbe Feststellung, mal auch nur als bissige, ironische Bernerkung unter „Kameraden". Lassen Sie mich hier eine Feststellung treffen, die sich im Bericht nicht wiederfindet, die aber notwendig ist: Alle, die sich an diesem Gerücht in irgendeiner Weise beteiligt haben, sind schuldig geworden. Es wäre nach meiner Auffassung selbstverFrancke ({3}) ständliche Pflicht, vor allen Dingen Kameradschaftspflicht, gewesen, dem Gerücht entgegenzutreten, es totzutreten, ({4}) und dies im Sinne des Betroffenen wie auch im Sinne der doch bekannten und zu Recht bestehenden Sicherheitsvorschriften. Nachdem nun durch die bekannten Abläufe die Angelegenheit aktenkundig wurde, hätte man erwarten dürfen, ja, erwarten müssen, daß unabhängig vom Dienstgrad des Beschuldigten die Verantwortlichen auch verantwortlich gehandelt hätten. ({5}) Aber nichts dergleichen ist geschehen. ({6}) - Mit Ihren lautstarken Artikulierungen würde ich bedächtiger sein. Sie sollten erst hören, was ich zu sagen habe. Da erhält der Amtschef des ASBw, Admiral Schmähling, die Meldung und läßt sie unbearbeitet liegen, j a, er hält es noch nicht einmal für nötig, unverzüglich von dem aufgetauchten Verdacht an die für die Fachaufsicht zuständigen Vorgesetzten bzw. an den Minister Meldung zu machen. ({7}) Admiral Schmähling hat schuldhaft - ich wiederhole es: schuldhaft - ein frühes Handeln unterlassen. ({8}) Hätte er pflichtgemäß und überlegt gehandelt, hätte wahrscheinlich alles Weitere einen für alle Beteiligten besseren Verlauf genommen. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der Kollege Biehle, hat in anderem Zusammenhang einmal gesagt: Wir haben den Übergang vom Morast in den abgrundtiefen Sumpf erlebt. ({9}) Meine Damen und Herren, diese Feststellung kann man getrost auf das gesamte Verfahren der Informationsgewinnung und der Informationsbearbeitung des MAD anwenden. ({10}) Es war erschütternd, nachvollziehen zu müssen, mit welcher Inkompetenz, Fahrlässigkeit, Wichtigtuerei, Intriganz und Unfähigkeit ({11}) gearbeitet worden ist. Da sagt ein Regierungsdirektor zu dem mit den Ermittlungen beauftragten Stabsfeldwebel „Schreiben Sie mal", obwohl er selbst gar nicht ermittelt hat. ({12}) Im Protokoll der Vernehmung liest sich dies wie folgt: Daraufhin habe ich - der Stabsfeldwebel - ihm - dem Regierungsdirektor - gesagt, ich habe hier eine Erkenntnis von einer Person, die ich nicht kenne, die wiederum einem Kommissar etwas berichtet hat, der wiederum einem Hauptkommissar etwas berichtet hat, der wiederum mich jetzt angerufen hat. Ich halte dies nicht für rund. Was sollen wir machen? Sollen wir weitere Ermittlungen vornehmen? Die Antwort des Regierungsdirektors: Nein, das reicht. Daraufhin habe ich - sagt der Stabsfeldwebel - ihn gefragt, wie ich dies formulieren solle, weil ich es j a nicht selbst ermittelt habe, weil ich nicht tätig geworden bin. - Daraufhin kam eben der schlimme erste Satz der Meldung zustande, wonach gesagt wurde, ich sollte schreiben: Durch geeignete Erkenntnisse wurde bekannt ... ({13}) Ich habe dann darauf hingewiesen, daß wir selbst nicht tätig geworden sind und wir auch nicht festgestellt haben, ob zu dem Zeitpunkt, der j a nicht bekannt war, der General überhaupt in Köln hätte sein können oder an welchem Ort er gesehen worden ist. Ich habe darauf verwiesen, daß dies nicht durch uns ermittelt worden ist. Ich habe gefragt, wie ich dies jetzt schildern sollte. Normalerweise ist es ja so üblich, daß eine Sache rund ist und daß man sagt: Okay, so ist die Sache. Er aber - der Regierungsdirektor - sagte zu mir: Ja, das können wir noch später machen. - So weit das Zitat aus dem Protokoll. Trotz weiterer Einwände des Stabsfeldwebels bestand der Regierungsdirektor darauf, daß der Stabsfeldwebel einen Bericht schreibe. Laut Aussage des Stabsfeldwebels lautete die Weisung sogar: „Sie müssen einen Bericht schreiben, das ist eilig." Meine Damen und Herren, sind die Schuldigen allein im unteren und mittleren Bereich der Hierarchie zu suchen nach dem Motto: „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen"? Nein, eindeutig nein. Der Vortrag des Amtschefs des ASBw, General Behrendt, am 14. September 1983 bei Minister Dr. Wörner ist so, wie er gehalten worden ist, nicht zu rechtfertigen. Ich sage dies nicht aus der Rückschau. General Behrendt hätte klar sein müssen, daß er nicht, wie geschehen, einen unzureichend ermittelten Sachverhalt als eindeutiges Ermittlungsergebnis hätte darstellen dürfen. Dies ist aber geschehen und, was erschwerend hinzukommt, obwohl, wie die Ermittlungen eindeutig ergeben haben, Dr. Wörner nachhaltig gefragt hat, ob nicht eine Verwechselung oder eine Intrige oder schlicht Ermittlungsfehler vorliegen könnten. Alle diese Fragen wurden fahrlässig vernachlässigt. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Francke, es bleibt dabei, daß Sie keine Zwischenfragen zulassen?

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte mich jetzt kurz den Ereignissen vom November/Dezember 83 zuwenden. Der Vorschlag von Staatssekretär Dr. Hiehle, die Sicherheitsüberprüfung fortzusetzen, entsprach formal den seit 1972 bestehenden Sicherheitsbestimmungen. Es müssen jedoch erhebliche Zweifel angemeldet werden, ob dies ein sachgerechter Vorschlag vor. Jedenfalls ist die weitere Behandlung der Angelegenheit nachhaltig zu beanstanden. Wir wissen heute, daß die Fortsetzung der Sicherheitsüberprüfung lediglich darin bestand, den alten Bericht aus dem August/September im wesentlichen neu zu formulieren und um die zweifelhaften, völlig unzureichenden „Ermittlungsergebnisse" der Kölner Kriminalpolizei anzureichern - mit einem wesentlichen Unterschied: aus „Kölner Kriminalpolizei" wurde schlicht „LKA", Landeskriminalamt. Der oberflächliche Beobachter mag dies übersehen. Wir konnten leider auch nicht mit letzter Sicherheit klären, wer diese Veränderung vorgenommen hat. Aber für den weiteren Gang der Ereignisse, für die Bewertung durch alle damit dann beschäftigten Personen war dies von entscheidender Bedeutung. „LKA", Landeskriminalamt, gab der ganzen „Ermittlung" die verstärkende höhere Wirkung. Ich kehre zu den Ereignissen des August/September 83 zurück. Dabei darf ich zunächst in Ihr Gedächtnis zurückrufen: General Dr. Kießling hatte bereits vor den Gesprächen am 15./19. September mehrfach Dr. Wörner um Ablösung von seinem Posten in Brüssel gebeten, und zwar aus gesundheitlichen Gründen, und unabhängig von den dienstlichen Verbindungen der Herren Dr. Wörner und Dr. Kießling waren sie miteinander gut bekannt. Bei seinem Amtsantritt hat Dr. Wörner unter anderem geschworen, „Gerechtigkeit gegen jedermann" zu üben. ({0}) Dr. Wörner hat im Untersuchungsausschuß und mehrfach an anderer Stelle überzeugend dargelegt, daß er trotz bestehender Zweifel und seiner persönlichen Betroffenheit den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland den eindeutigen Vorrang geben mußte: Im Zweifel für die Sicherheit. ({1}) Er hat nach unserer festen Überzeugung richtig gehandelt, und aus seinem damaligen Verhalten ist ihm kein Vorwurf zu machen. Daher war auch aus diesem Zusammenhang die Absprache vom 19. September eine angemessene und sachgerechte Lösung. Sie berücksichtigte die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik, und sie berücksichtigte umfassend die persönlichen Interessen von General Dr. Kießling. Ich sage dies mit aller Klarheit, weil natürlich Dr. Kießling wissen mußte, daß mit dieser von ihm getroffenen Vereinbarung andererseits auch ein Widerspruch zwischen seinem natürlichen Aufklärungsersuchen und dem gleichzeitig in seinem Interesse vereinbarten Ermittlungsstopp begründet wurde. Wesentliches Ziel der Vereinbarung war, Aufsehen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Für das menschlich richtige Verhalten von Dr. Wörner muß darüber hinaus festgehalten werden, daß er Herrn General Dr. Kießling und dessen Vertrauensperson immer seine Bereitschaft zum Gespräch bekundet haben. General Dr. Kießling hat sich jedoch, wie wir wissen, als Gesprächspartner mehrfach General Altenburg gesucht. Dies ist in keiner Weise zu beanstanden. Aber umgekehrt kann - das sage ich an die Adresse der SPD - dem Bundesminister nicht angelastet werden, daß er von sich aus nicht das Gespräch gesucht hätte. ({2}) Warum hielt die Vereinbarung vom 19. September nicht? Ich habe bereits unsere Kritik an der Entscheidung von Staatssekretär Dr. Hiehle zur Fortsetzung der Sicherheitsüberprüfung, dem Ergebnis und seinen Folgen dargestellt; ich will mich nicht wiederholen. Es darf aber auch nicht verkannt werden, daß das Verhalten von General Dr. Kießling ebenfalls dazu beigetragen hat, daß die Vereinbarung brüchig wurde. Die Vereinbarung hatte zum Inhalt - ich zitiere aus dem Bericht -: Bundesminister Dr. Wörner und General Dr. Kießling kamen endgültig überein, es bei dem früher vereinbarten Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand zum 31. März 1984 zu belassen. General Dr. Kießling sollte nach Beginn eines ab 3. Oktober 1983 ohnehin vorgesehenen Krankenhausaufenthaltes seinen Dienst nicht wieder aufnehmen und sich so verhalten, daß durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit an seinem Krankheitszustand kein Zweifel entstehen könnte. Tatsächlich aber hat das Auftreten von Dr. Kießling in der Öffentlichkeit die Gefahr herbeigeführt, daß der Krankheitszustand in Brüssel angezweifelt wurde. Dem Bundesminister wurden entsprechende Recherchen der Presse bereits Ende Oktober berichtet. Nicht umsonst hat doch General Altenburg General Kießling an diesen Teil der Vereinbarung fernmündlich nachdrücklich erinnern müssen. Wenden wir uns nun dem Datum vom 8. Dezember 1983 zu: Durch den Bericht des ASBw vom 8. Dezember 1983 sind der Bundesminister und ein Teil seiner Berater getäuscht worden. Er ist von den für die Dienst- und Fachaufsicht zuständigen Vorgesetzten falsch beraten worden. ({3}) Trotz seiner erneuten Nachfragen und Zweifel konnte er nach unserer festen Überzeugung weder die Täuschung erkennen noch - folglich - den entsprechenden falschen Ratschlägen entgegentreten. Es bleibt in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß die gesamte militärische und zivile Spitze des BMVg ein sofortiges Handeln des Ministers einmütig forderte und befürwortete. Nach unserem Erkenntnisstand mußte der Minister wie geschehen handeln. Er hatte dafür drei Francke ({4}) Handlungsmöglichkeiten, drei Konzepte: erstens den Entzug der Sicherheitsbescheide, zweitens eine vorläufige Dienstenthebung und drittens das Vorziehen der Zurruhesetzung. ({5}) Von diesen drei Möglichkeiten hat er sich bekanntermaßen für die letzte Möglichkeit, das Vorziehen der Zurruhesetzung, entschieden. Damit, meine Damen und Herren, hat der Minister - trotz der für ihn subjektiv verschärften Sachlage - erneut die Maßnahme ergriffen, die sowohl für das Ansehen General Dr. Kießlings als auch für das Wohl der Bundesrepublik die beste war. Die Entscheidung des Ministers, General Dr. Kießling nach § 50 Soldatengesetz vorzeitig zu entlassen, war rechtmäßig. Dies ist der Kern der Feststellung des Untersuchungsausschusses. Die SPD-Fraktion verkennt nach meiner Auffassung bei ihrer rechtlichen Beurteilung, daß zwar die daraufhin im Dezember vom Bundespräsidenten getroffene Entscheidung aufgehoben werden mußte, weil sie auf falschen Tatsachen beruhte; für die Beurteilung der Entscheidung des Bundesministers, einen Antrag nach § 50 Soldatengesetz zu stellen, kann jedoch nur auf die subjektive Lage des Bundesministers abgestellt werden. Ich möchte mich vor einigen Schlußbemerkungen dem Januar/Februar 1984 zuwenden. Durch das Verhalten von Staatssekretär Dr. Hiehle anläßlich des Gesprächs am 13. Dezember 1983 in München wurde die Situation verschlechtert. Ich bedaure diese Feststellung um so mehr, als ich Staatssekretär Dr. Hiehle stets als einen untadeligen, korrekten Beamten kennen- und schätzengelernt habe. Einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion, meine Damen und Herren, und auch im Untersuchungsausschuß haben die disziplinaren Vorermittlungen eingenommen; hier sollte auch nichts beschönigt werden. So notwendig sie waren - denn Dr. Kießling hatte das Verfahren selbst beantragt -, so wäre ein Weniger besser gewesen. Oder anders gesagt: Auch hier waren die Ratschläge, die gegeben wurden, keine guten Ratschläge; ({6}) nicht jedem Ratschlag hätte gefolgt werden sollen. Dabei verkenne ich durchaus nicht, daß Zeitdruck und die öffentliche Diskussion starke Einflüsse ausgeübt haben. Die Unterstützung der Einleitungsbehörde durch weitere Stellen des BMVg ist rechtlich im übrigen nicht zu beanstanden; sie war sogar im Endergebnis hilfreich, zumal die Tätigkeit der ermittelnden Beamten und Soldaten koordiniert war. Nur so konnten im übrigen die Ermittlungen innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen werden. Herr Jungmann und Herr Horn, Sie haben hier die Unwahrheit gesagt. ({7}) Die Ermittlungen wurden sachgerecht durchgeführt und wurden nach belastenden und entlastenden Beweisen ausgerichtet. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Francke, einen Augenblick. Ich bitte, Herr Abgeordneter Jungmann, nicht permanent dazwischenzureden. ({0})

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies ist keine Bewertung, Herr Horn und Herr Jungmann, sondern es ist das, was Sie selber mit uns gemeinsam im Untersuchungsbericht festgestellt haben. Ziel der Bemühungen des Bundesministers war es, keinen Freispruch zweiter Klasse zu erreichen. Deshalb wurde auch das Ermittlungsverfahren zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgeschlossen; schneller ging es nicht. Dies ist unsere objektive Feststellung. Damit komme ich zum letzten Punkt. Die SPDFraktion behauptet, die Rehabilitierung hätte früher erfolgen können. Dem muß ich widersprechen. Die Rehabilitierung durch den Bundeskanzler und den Bundesminister wurde zum frühestmöglichen Zeitpunkt und im größtmöglichen Umfang vorgenommen. Insbesondere auch der Bundeskanzler hat unter Berücksichtigung seiner sonstigen Amtsgeschäfte, der Reise nach Luxemburg und dem Besuch in Israel, schnell und umsichtig gehandelt. Ich will darauf verzichten, mich mit einem Teil des weiteren Umfeldes in dieser Affäre zu beschäftigen. Nur dies sei noch gesagt: ({0}) Ich habe die Hoffnung, daß alle Beteiligten in Zukunft die Lehre beherrschen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Unüberlegte Reden haben in allen Phasen des Geschehens nicht geholfen, eher verletzt und geschadet, und ich bedaure, feststellen zu müssen, daß ich diesen Satz auch auf die Ausführungen des Kollegen Horn beziehe. ({1}) Welches sind die Schlußfolgerungen? Erstens. Die Forderung nach dem Rücktritt von Bundesminister Dr. Wörner ist nicht gerechtfertigt, ({2}) seine im September bzw. Dezember getroffenen Entscheidungen waren rechtmäßig, und Dr. Wörner genießt das uneingeschränkte persönliche und politische Vertrauen der CDU/CSU-Fraktion. ({3}) Zweitens. Die Tätigkeit des MAD ist für die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik unerläßlich. Der vorgelegte Bericht zeigt schlimme Mängel auf. Es wäre jedoch ein Fehler, diesen Be5684 Francke ({4}) richt zum generellen Maßstab der Beurteilung der Arbeit des MAD zu machen. Drittens. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß der Bundesminister der Verteidigung auf der Basis des Berichts der Höcherl-Kommission umgehend alle notwendigen Maßnahmen ergreift, und wir begrüßen es daher sehr, daß erste Entscheidungen getroffen sind. Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein abschließendes Wort an General Dr. Kießling richten. Ich übernehme zu diesem Zweck den Schlußsatz aus dem Schreiben von Dr. Wörner an Dr. Kießling vom 1. Februar 1984. Ich zitiere: Ich habe zu keinem Zeitpunkt Ihre Ehre in Frage gestellt. Ich bedaure, daß es über meine damalige Entscheidung zu öffentlichen Erörterungen gekommen ist und daß Sie schwere Kränkungen erfahren haben. ({5}) Dies habe ich nicht gewollt. Ich wünsche Ihnen, daß Sie über diese schweren Wochen bald hinwegkommen. ({6}) Ich bedanke mich. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat deutlich gemacht, daß in der Personalangelegenheit des Generals Dr. Kießling Angehörige des MAD, aber auch der Bundesverteidigungsminister versagt haben. Versagt hat aber noch ein weiterer politischer Verantwortlicher, versagt haben Sie, Herr Bundeskanzler. ({0}) Dabei denke ich nicht in erster Linie an die Sorglosigkeit, mit der Sie die Ruhestandsversetzung des Generals Dr. Kießling trotz der mahnenden Stimmen aus dem Bundeskanzleramt im Dezember 1983 gebilligt haben. Ich denke auch nicht in erster Linie daran, daß die Rehabilitierung des Generals von Ihnen im Januar 1984 grundlos um mindestens eine Woche verzögert wurde. Nein, Ihr Versagen - ich wähle jetzt die Ihnen auf Grund Ihrer Sitzwahl angemessene Anrede -, Herr Abgeordneter Kohl, besteht vor allem darin, daß Sie Herrn Wörner im Amt beließen, obwohl er sich jedenfalls durch sein Verhalten im Januar 1984 nach allen politischen Maßstäben und allen soldatischen Grundsätzen für das Amt des Bundesverteidigungsministers und als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr ein für allemal disqualifiziert hat. ({1}) Ich bedauere, Herr Kollege Wörner, hinzufügen zu müssen, daß Sie sich heute auch disqualifiziert haben durch die Mißachtung, die Sie über weite Strecken dieser Debatte dem Deutschen Bundestag, dem Parlament durch Ihr Verhalten haben zuteil werden lassen. ({2}) Es wird Ihr Geheimnis bleiben, wie Sie jungen Soldaten die Hochachtung vor diesem Parlament vermitteln wollen, wenn Sie sich so verhalten, wie Sie dies bei vielen Rednern in dieser Debatte getan haben. ({3}) Herr Bundeskanzler, Herr Wörner hatte doch selbst zumindest einen Augenblick lang das richtige Gespür, als er Ihnen am 30. Januar 1984 schriftlich seinen Rücktritt angeboten hat. Damals stand ihm wohl einen Moment lang vor Augen, daß der untadelige Demokrat Georg Leber im Februar 1978 zurücktrat, weil er für Fehler seiner Mitarbeiter einstand, von denen er persönlich gar nichts wußte. ({4}) Sie, Herr Kollege Wörner - das würde Sie ehren -, hielten wohl selbst zunächst den Gedanken, im Amt zu bleiben, obwohl Sie nicht nur fremdes Fehlverhalten, sondern schwerwiegende Fehler in dieser Sache zu vertreten hatten, für unerträglich, ({5}) Fehler - das stelle ich mit Anerkennung fest -, die im Untersuchungsbericht im Hinblick auf Ihren Umgang mit Ihrem Schweizer Gewährsmann sogar von Ihren eigenen Parteifreunden einstimmig auf Seite 51 des Berichts festgestellt worden sind, einstimmig! ({6}) - Ich finde es bemerkenswert, daß Sie all diese Umstände ebenso erheitern wie den Bundeskanzler; ich kann nichts Heiteres an der Auseinandersetzung, die wir hier führen, finden. ({7}) Vielleicht, Herr Kollege Wörner, haben Sie in dem Augenblick, in dem Sie Ihr Rücktrittsangebot schriftlich dem Bundeskanzler überreichten, der es dann zerriß, auch einen Augenblick an die schneidende Schärfe gedacht, mit der Sie damals Georg Leber zum Rücktritt gedrängt haben, oder daran, in welch' peinliche Situation der Herr Bundespräsident durch Sie in dieser Sache gebracht worden ist. ({8}) Um so mehr, Herr Bundeskanzler, die Frage an Sie: Warum haben Sie den Rücktritt nicht angenommen? ({9}) Sie muten auf Grund der Entscheidung, die Sie zu vertreten haben, der Bundeswehr, der deutschen Öffentlichkeit und unseren Verbündeten als Verteidigungsminister einen Mann zu, der seit dieser Affäre ständig dem ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorbehalt begegnet, er sei kritischen Situationen nicht gewachsen, einen Mann, der selber nicht das getan hat, was er von anderen verlangt, nämlich mit der vollen eigenen Person für Fehler einzustehen und geradezustehen. ({10}) Herr Bundeskanzler, Sie halten einen Mann im Amt, der bewiesen hat, daß ihm die rücksichtslose Verfolgung eigener politischer Interessen, daß ihm die Selbstverteidigung wichtiger ist als die Wahrung der Rechte derer, die seiner Fürsorge anvertraut sind. Ich spreche nur vom Januar, davon, was er im Januar noch in die Wege geleitet hat. ({11}) Sie halten einen Mann im Amt, den seit jenen Vorgängen eine Atmosphäre der Verlegenheit, ja der Peinlichkeit umgibt, die in Neustadt bei Marburg bei dem Zapfenstreich anläßlich der Verabschiedung von General Dr. Kießling geradezu körperlich zu spüren war. Und die unverändert andauert, wenn dieser Minister mit der Truppe, mit den Soldaten, mit den Bürgern zusammentrifft. ({12}) Herr Bundeskanzler, Sie halten einen Mann im Amt, der in seinem Amt an Vertrauen und Autorität mehr eingebüßt hat, als gerade dieses Amt verträgt und der diese Einbuße auch nicht dadurch wettmachen kann, daß er seit kurzem in der Öffentlichkeit wieder mit der überzogenen Forschheit auftritt, die er schon früher fälschlicherweise für soldatisch hielt und die doch nur eine tiefe Unsicherheit verbirgt und überspielen soll. ({13}) Herr Bundeskanzler, Sie haben doch selber hier im Deutschen Bundestag am 26. Januar 1978 als Sprecher der damaligen Opposition den Rücktritt eines Verteidigungsministers gefordert und dabei Maßstäbe entwickelt, denen wir auch heute noch unverändert zustimmen können. Ich zitiere Sie wörtlich: Wenn ein Bundesminister - so sagte der damalige Abgeordnete Kohl für sein Amt Autorität und Vertrauen braucht, dann ist es der Bundesminister der Verteidigung. Er ist mehr als jeder andere auf Autorität angewiesen, - wie wahr und Autorität ist immer die Autorität des Amtes und die Autorität der Person. Ich würde sogar sagen: in erster Linie die Autorität der Person, der Glaubwürdigkeit. ({14}) Dann Trug der Abgeordnete Kohl den damaligen Bundeskanzler, und ich frage heute Sie: Haben Sie einmal überlegt ..., was ein Kompanieführer von 28, 29 Jahren, der in allen Bereichen der gleichen Pflicht unterliegt wie auch Sie, denken soll, wenn er dieses Ihr Beispiel sieht? Dann haben Sie an den damaligen Bundeskanzler die Frage gestellt: Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie mit einem solchen Verteidigungsminister draußen und innen in der Bundesrepublik um Vertrauen werben? Ich richte diese Frage heute an Sie. Und ich frage weiter: Warum handeln Sie jetzt in der Verantwortung des Bundeskanzlers nicht nach Ihren eigenen Grundsätzen? Sie tun das doch nur deshalb, weil es damals um den Sozialdemokraten Georg Leber ging und weil es heute um den Christdemokraten Manfred Wörner geht. Das ist doch der ganze Unterschied. ({15}) Auch das, Herr Bundeskanzler, haben Sie selber gesagt, nicht heute; heute schweigen Sie oder verfolgen die Debatte mit übertünchtem Lächeln. Damals, am 26. Januar 1978, haben Sie gesagt - wiederum zitiere ich Sie wörtlich -: Es geht doch längst nicht mehr um den Bundesminister ... Es geht um die schwierige Arithmetik der Koalition. Es geht um den Erhalt der Macht. Sie haben sich selbst die Antwort gegeben, Herr Bundeskanzler. ({16}) So bleibt nur die Erkenntnis, daß Sie Ihre eigenen Prinzipien, daß Sie Ihre eigene Glaubwürdigkeit, daß Sie die Glaubwürdigkeit des Staates, der Ihnen anvertraut ist, weil Sie für ihn Verantwortung tragen, daß Sie all das mit Füßen treten und leicht beseite räumen, wenn Ihnen das aus tagespolitischen Rücksichten opportun erscheint. Das ist ein schlimmes Beispiel, das Sie da geben. Dabei sind Sie doch gerade als Oppositionsführer nicht müde geworden, die Bedeutung des persönlichen Beispiels hervorzuheben. Auch das ist ein Wort aus Ihrem Mund: Geistig-politische Führung erfordert mehr als Appelle und Reden: auch das ganz persönliche Beispiel. Wie wahr, Herr Bundeskanzler! ({17}) Welches Beispiel haben Sie denn in dieser Sache gegeben? Ich kann nur sagen: Ein überaus betrübliches. - Das wird auch dadurch nicht besser, daß Sie gerade in diesem Zusammenhang Ihre Lebensfreude betont haben, daß Sie ausgerechnet nach all dem, was hier einem Bürger in Uniform angetan worden ist, nach einer an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Pressekonferenz am 11. Februar 1984 Ihren Zuhörern versicherten, daß Sie das Leben liebten und sich und Ihrem Kabinett auch durch diese Vorgänge die Lebensfreude nicht vergällen ließen. Das mögen Sie subjektiv so sehen, Herr Bundeskanzler. ({18}) Ob es geschmackvoll ist, dies gerade bei dieser Gelegenheit mitzuteilen, ist schon eine andere Frage. Außerdem: Die Erhaltung und Steigerung Ihrer Lebensfreude ist eine Sache, die Erfüllung Ihrer Pflichten eine andere. ({19}) Unserem Volk, Herr Bundeskanzler, schulden Sie die Erfüllung Ihrer Pflichten als Kanzler auch dann, wenn das Ihre Lebensfreude mindert. ({20}) Gerade Sie, Herr Bundeskanzler, wollten doch den preußischen Tugenden wieder zum Durchbruch verhelfen. Sie wollten doch die Politik geistig und moralisch erneuern. Die deutschen Sozialdemokraten sind weiß Gott nicht die Fürsprecher der preußischen Monarchie. Aber glauben Sie im Ernst, daß im alten Preußen ein Minister, der sich so verhalten hätte wie Herr Wörner, auch nur einen Tag länger im Amt hätte bleiben können? ({21}) „Geistig-moralische Erneuerung!" Ich meine, es ist hoch an der Zeit, daß Sie diese anspruchsvolle Vokabel aus Ihrem Sprachschatz tilgen, daß Sie mit der geistig-moralischen Erneuerung erst einmal bei Ihrer eigenen Politik beginnen. ({22}) Es gibt ja nicht nur den Fall Wörner. Sie sind ja auch der erste Bundeskanzler der Republik seit 1949, dessen Kabinett bis gestern ein Minister angehörte, gegen den schon vor Monaten Anklage wegen Bestechlichkeit erhoben worden ist. ({23}) Er ist der erste Bundeskanzler, der mit Ihrer Billigung, vielleicht sogar auf Ihre Veranlassung weiter amtierte, als ob nichts geschehen wäre, obwohl jeder kleine Beamte im gleichen Fall bis zur Klärung der Vorwürfe sofort und noch am gleichen Tage suspendiert wird. ({24}) Es ist ein Minister - auch das ist ohne Beispiel -, dessen Zugehörigkeit zum Kabinett nicht die politische Entscheidung des Kanzlers, sondern das Strafgericht durch die Ankündigung einer Entscheidung beendet hat. Wissen Sie eigentlich, Herr Bundeskanzler, was Sie da der Öffentlichkeit und auch dem Betroffenen selbst zugemutet haben? Einem Mann, der übrigens - das darf ich in diese Richtung sagen - von seinen Parteifreunden in den letzten Tagen schlimmer behandelt worden ist als von seinen politischen Gegnern, ({25}) dem ich unbeschadet der Frage von Schuld oder Unschuld, über die allein die Gerichte zu befinden haben, und unbeschadet aller Gegensätze, die es weiß Gott zwischen Graf Lambsdorff und uns gab, an dieser Stelle wegen seines Engagements, seiner Argumentationskraft und seiner Sachkunde auch bei dieser Gelegenheit meinen Respekt erweise. ({26}) So kommt eines zum anderen. Weil Sie, Herr Bundeskanzler, nicht die Kraft hatten, Graf Lambsdorff zur rechten Zeit zu entlassen, konnten Sie Herrn Wörner nicht entlassen. Weil Sie Herrn Wörner nicht entlassen haben, können Sie sich von den Herren Schwarz-Schilling und Engelhard nicht trennen, obwohl beide nicht nur nach unserer Meinung eine Belastung dieses Kabinetts sind. ({27}) Weil das so ist, werden Sie wohl auch an Herrn Möllemann festhalten. Diese Voraussage sei gestattet. Mit all dem schwächen Sie Ihre Regierungsfähigkeit. Das ist in erster Linie Ihr Problem. Sie fügen damit aber auch den Interessen unseres Volkes Schaden zu. Das ist auch unser Problem. Es ist auch unsere Aufgabe als Opposition, von unserem Volk Schaden abzuwenden. Wir sind dieser Aufgabe im Falle Wörner mit dem auf unseren Antrag eingesetzten Untersuchungsausschuß und seiner Hilfe - ich benütze die Gelegenheit, dem Ausschuß für seine korrekte und sorgfältige Arbeit zu danken - gerecht geworden, soweit das in unserer Macht stand, mit einem Ausschuß, den Sie, nach unserem Antrag tagelang noch für überflüssig und unnötig erklärt haben. Alles andere Herr Bundeskanzler, liegt in Ihrer Verantwortung. Im Namen der sozialdemokratischen Opposition fordere ich Sie auf, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Sonst geht es nicht nur um den Bundesverteidigungsminister. Sonst verkommen die Institutionen unseres Staates. ({28}) Sonst verfällt nicht nur Ihre Koalition, sondern unsere parlamentarische Demokratie. Dieser Verfall, dieser Fäulnisprozeß ergreift dann auch das Rechts- und Verantwortungsbewußtsein der Menschen. Lamentieren Sie nicht bei jeder Gelegenheit über vermeintliche oder wirkliche Exzesse anderer. Sorgen Sie dafür, Herr Bundeskanzler, daß das Reden und das Handeln des deutschen Bundeskanzlers wieder übereinstimmen. ({29})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, nach diesem politischen Rundumschlag nehmen Sie doch wohl nicht im Ernst an, daß man auf das eingeht, was Sie vorgetragen haben als eine Plichtübung der Opposition. ({0}) Sie haben nur ein bißchen mehr Stimme aufgelegt. Das war eine Schaufensterrede, die, wie ich glaube, der guten Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht gerecht wird. ({1}) Sie haben im übrigen doch versucht, die Debatte vom Februar wiederaufleben zu lassen. Schon Anfang Februar ist hier erklärt worden, daß Fehler gemacht worden sind. Das ist eingestanden worden. Sie haben versucht, das wieder nach vorne zu schieben. Inzwischen haben wir unser Versprechen wahrgemacht und haben im Untersuchungsausschuß schonungslos aufgeklärt. Sie haben noch gar nicht zur Kenntnis genommen, was die deutsche Öffentlichkeit längst weiß: daß sich der Verteidigungsminister seit Monaten wieder seiner Arbeit zugewandt hat, Herr Dr. Vogel. Sie versuchen, weiter in der Vergangenheit herumzukramen. Im übrigen - eine letzte Bemerkung -: Sie haben in den letzten Monaten Fragen an uns, Fragen an den Verteidigungsminster richten können. Das war Ihr gutes Recht. Diese Zeit ist jetzt vorbei. In Zukunft richten wir wieder Fragen an Sie, z. B.: Wie stehen Sie zum Bündnis? ({2}) Wie wollen Sie nach den Beschlüssen Ihres Bundesparteitages Frieden und Sicherheit unseres Landes gewährleisten? ({3}) Im übrigen: Seien Sie sicher, daß Sie keinen Keil zwischen unsere Fraktion und die Bundesregierung treiben können. Die Bundesregierung, der Verteidigungsminister haben die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für ihre wichtige und schwierige Aufgabe. Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 10/1604 - ({1}) - Ich bin in der Abstimmung. Sie sollen doch verstehen, worüber Sie abzustimmen haben. ({2}) Das kann man doch nur, wenn Sie aufmerksam zuhören. Ich wiederhole diesen Satz: Wer der Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 10/1604 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Keine. Enthaltungen? - Keine. ({3}) Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Beratung der Sammelübersicht 35 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/1556 - b) Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/1557 Es liegen Ihnen zu diesem Tagesordnungspunkt Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, und zwar zur Sammelübersicht 35 auf Drucksache 10/1667 und zur Sammelübersicht 36 auf Drucksache 10/1668. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für die Aussprache zwei Beiträge bis zu je fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuter. Ich bitte die Damen und Herren, die den Beratungen weiterhin zu folgen wünschen, Platz zu nehmen. Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Reuter, bis wir soweit durchgedrungen sind. - Danke, ich glaube es geht jetzt. Herr Abgeordneter Reuter, bitte schön.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses hat die SPD-Fraktion Änderungsanträge vorgelegt. Ich möchte einen davon begründen und sagen, daß wir uns uneingeschränkt zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst bekennen, daß aber die seitherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts aus meiner Sicht im Einzelfall als verfehlt anzusehen sind. Die politische Treuepflicht, aus dem frühen 19. Jahrhundert, ist ein Begriff, der einer Überprüfung bedarf. Verfassungstreuepflicht gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes. Aber eine Fülle von Einzelfragen sind nach meiner Meinung nicht eindeutig genug geklärt. Die hier vorliegende Petition hat uns Veranlassung gegeben, einen Antrag einzubringen. Es handelt sich um einen Zollobersekretär aus Hamburg, einen untadeligen Beamten, der seine Wehrpflicht erfüllt und einige Wehrübungen absolviert hat und der auch gute Benotungen hat. Er hat in seinem dienstlichen Bereich keinerlei Veranlassung zur Kritik gegeben. Aber er hat 1978 und 1982 zweimal für die DKP in Hamburg kandidiert. Er bekennt sich in seinen Vernehmungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ich stelle fest, die Verfassungsmäßigkeit der DKP ist noch nie von dem dafür zuständigen Verfassungsgericht über5688 prüft worden. Hier gibt es einige Merkwürdigkeiten, die mir aufgefallen sind. So zum Beispiel die Tatsache, daß ich eine ganze Reihe von Postbeamten kenne, die schon einmal für die NPD kandidiert haben, ohne daß sie in ihrem dienstlichen Bereich irgendeiner disziplinarrechtlichen Verfolgung unterzogen wurden. Für die Bürger ist unverständlich, daß eine Partei bei Wahlen zugelassen wird, aber diejenigen, die dafür kandidieren, mit der unbarmherzigen Härte eines Disziplinarverfahrens überzogen werden mit dem Ziel ihrer Entlassung. Hier gibt es eine Menge Ungereimtheiten. Ich frage: Wer stellt eigentlich fest, welche Partei verfassungsmäßig handelt und verfassungsmäßig ist? Doch mit Sicherheit nicht Parteivorsitzende, wie Herr Wallmann aus Hessen, von dem in einem Zeitungsartikel berichtet wird: „Der SPD und ihrem Landesvorsitzenden Holger Börner warf Wallmann vor, mit dieser Politik Schleusen der Infiltration von ,grünen` Verfassungsgegnern in den Regierungsapparat geöffnet zu haben." Ich bin in Sorge, ob nicht vielleicht heute die GRÜNEN, morgen Sozialdemokraten mit Disziplinarmaßnahmen überzogen werden. ({0}) Ich frage: Wo liegt die Verhältnismäßigkeit, ob man Lokomotivführer, Briefträger, Zollobersekretäre mit gleichen Maßstäben messen muß wie Richter, Staatsanwälte oder andere Berufe? Wer schadet eigentlich unserer Demokratie mehr, 100 Briefträger, die einmal für die DKP kandidiert haben, oder ein Staat, der sich bei den Berufsverboten so verhält, wie wir das in dieser Petition erleben? ({1}) Wenn in Frankreich ein Verkehrsminister Kommunist sein darf, dann müßten wir es in unserem Staat doch auch ertragen, wenn ein Zolloberinspektor oder ein anderer Beamter, der dort arbeitet, in Hamburg ein oder zweimal für die DKP kandidiert hat. ({2}) Ich meine, unsere Demokratie ist so gefestigt, daß wir das ertragen können. Darum bringen wir diesen Änderungsantrag ein. Wir fordern die Bundesregierung auf, dieser Petition zum Durchbruch zu verhelfen, damit Gerechtigkeit praktiziert und nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der streitigen Petition geht es um ein Disziplinarverfahren, das nach dem Willen des Petenten eingestellt werden soll, von dem wir aber meinen, daß es rechtsstaatlich und fair durchgeführt werden soll; denn der Petent ist Beamter und aktiv für die Ziele einer unzweideutig verfassungsfeindlichen Partei eingetreten. Wenn bei einem solchen klaren Sachverhalt, so wie die SPD-Fraktion das jetzt verlangt, nicht mal mehr ein Verfahren durchgeführt werden kann, in dem die Verfassungstreue des Beamten geprüft werden darf, dann allerdings verlassen Sie die rechtsstaatlich gesetzten Pfeiler und Eckwerte, die das Bundesverwaltungsgericht in vielen Entscheidungen dazu gesetzt hat, die das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat und die von den von Ihnen geführten Regierungen jahrelang praktiziert worden sind. ({0}) Einträchtig wollen - das ist der eigentliche Tatbestand, um den es hier geht - GRÜNE und SPDFraktion Verfassungsfeinden den Weg in den öffentlichen Dienst ebnen. Das ist im Grunde genommen der Tatbestand. Der rechtliche Tatbestand aber heißt, daß, wer sich aktiv für eine verfassungsfeindliche Partei engagiert, gleich, ob wie im vorliegenden Fall DKP oder - zu dieser Grundsatzfrage hätten Sie eigentlich etwas sagen müssen - NPD, ({1}) kann nicht Beamter sein. Den Beamten obliegt nach § 52 des Beamtengesetzes gegenüber Staat und Verfassung eine besondere politische Treuepflicht, an der festgehalten werden muß. Herr Kollege Reuter, wenn Sie die Frage stellen, wer stellt denn die Verfassungsfeindlichkeit fest: Bundesverwaltungsgericht, Bundesverfassungsgericht haben die Verfassungsfeindlichkeit der DKP wie auch der NPD incidenter in vielen Urteilen dieser Art zu Recht festgestellt. Meine Damen und Herren, wenn die SPD einwendet - Sie haben das schon im Ausschuß getan -, es sei widersprüchlich, daß einerseits die DKP zu Wahlen zugelassen sei, andererseits ihre Kandidaten aus dem Beamtenverhältnis entlassen würden, dann möchte ich Sie fragen, wie Sie es eigentlich mit der NPD halten. Dann müßten Sie konsequenterweise - wenn Sie NPDMitglieder, die sich aktiv beteiligen und Wahlkampf für die NPD betreiben, nicht im öffentlichen Dienst haben wollen - nach Ihrer Logik die Verfassungsfeindlichkeit der NPD durch einen Verbotsantrag feststellen lassen. ({2}) Wir sind gegen einen solchen Verbotsantrag. Wir sind der Meinung, daß solche verfassungsfeindlichen Parteien nicht verboten werden sollten, damit sie nicht in den Untergrund verdrängt werden und damit sich DKP und NPD bei jeder Wahl eine klare Abfuhr vom Volke holen, meine Damen und Herren. ({3}) Wenn Sie sagen: Wir wollen Mitglieder einer Partei, die zu einer Wahl zugelassen sind, auch im Beamtendienst zulassen, dann haben Sie die Möglichkeit, über Ihre Landesregierung nach § 43 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes oder aber auch hier als Fraktion über den Bundestag den Versuch zu unternehmen, ein Verfahren mit dem Ziel des Verbots dieser Parteien einzuleiten. Sie tun dies nicht. Ich begrüße das. Aber dann können Sie auch nicht ernsthaft Ihre Argumentation aufrechterhalten, Sie wollten bei aktiven Mitgliedern verfassungsfeindlicher Parteien, die nicht verboten seien, ernsthaft die Auffassung vertreten, diese könnten im öffentlichen Dienst vertreten sein. Sie unterscheiden zwischen Verfassungsfeinden, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes zwiespältig. Sie unterscheiden: NPD-Mitglieder - davon darf ich doch wohl ausgehen - sollen aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden, DKP-Mitglieder aber nicht. Wir bleiben dabei: Verfassungsfeinde, gleich, ob DKP oder NPD, ob linksradikal oder rechtsradikal, haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Wir sind für ein faires rechtsstaatlich durchzuführendes Verfahren, auch im vorliegenden Fall. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krizsan

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dieser Petition, die wir hier verhandeln - Herr Reuter hat darauf schon hingewiesen -, geht es um ein Berufsverbot, also um einen sehr dunklen Fleck auf dem geflickten Hemd unserer Demokratie. ({0}) „Berufsverbot" ist ein deutsches Wort, das bisher in keine andere Sprache übersetzt wurde und doch in den Sprachschatz vieler Nachbarländer übernommen wurde. Berufsverbote gibt es merkwürdigerweise, Herr Dr. Göhner, nur bei uns. ({1}) Dieses Wort kennzeichnet die üble Methode, mit der Androhung eines Berufsverbotes politische Gesinnung abzutöten, Herr Kollege. Das ist nämlich der einzige Zweck und das einzige Ziel dieser Maßnahmen. Was wirft der Bundesfinanzminister, Dr. Stoltenberg, nun dem Petenten Uwe Scheer, seit mehr als zwanzig Jahren im Zolldienst tätig, an dienstlichen - das muß ich betonen - Verfehlungen vor, die eine Entfernung aus dem Staatsdienst rechtfertigen könnten? ({2}) - Er untersteht dem Finanzminister, logischerweise. ({3}) Nichts wird diesem Zollsekretär vorgeworfen. Der Petent ist sogar wegen seines Einsatzes bei der Flutkatastrophe 1962 mit einer Verdienstmedaille geehrt, sein dienstliches Verhalten nie mißbilligt worden. Der einzige Vorwurf besteht darin, daß er zweimal für eine zugelassene Partei zu Wahlen für die Bezirksversammlung Hamburg-Wandsbek kandidiert hat. Sicher, er hat sich für die Deutsche Kommunistische Partei um ein Mandat beworben. Diese Partei ist zugegebenermaßen nicht jedermanns oder jederfraus Sache. ({4}) - Herr Kollege, sie ist nicht vom Bundesverfassungsgericht für staats- und verfassungswidrig erklärt worden ({5}) - ich würde nicht so laut brüllen; dann können Sie nämlich nicht zuhören - und folglich eine legale Partei wie die im Bundestag vertretenen auch. Solange eine Partei als legal anerkannt ist, darf sie und dürfen ihre Mitglieder keine Beschränkungen in der politischen Tätigkeit erfahren. ({6}) Das ist der Tenor unserer Verfassung. Wie schwach muß ein Staat sein, der einige wenige Kommunisten im Staatsdienst nicht ertragen kann, sondern sie durch jahrelange Überprüfungen und Verhöre fertigmacht und ihnen ihre Lebensgrundlage entzieht? ({7}) Es stände der Finanzverwaltung und dem Finanzminister, Herr Kollege, wenn er sich denn als überzeugter Demokrat versteht, gut an, diese Praktiken einzustellen und den Petenten Uwe Scheer an seinem Arbeitsplatz zu belassen. Wir GRÜNEN meinen, daß diese Petition wirklich zur verstärkten Berücksichtigung dem Finanzminister überwiesen werden sollte. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krizsan, mit einigen polemischen Allgemeinheiten ist es nicht getan, und, Herr Kollege Reuter, Nüchternheit tut auch in diesem Falle wohl. Der Petitionsausschuß hatte sich mit einer Petition zu befassen, in der der Petent - es wurde gesagt: ein Zollobersekretär - die Einstellung oder zumindest die Aussetzung des ihm angelasteten Disziplinarverfahrens wegen des Verdachts der Verletzung der ihm als Beamten obliegenden Treuepflicht durch seinen aktiven Einsatz für die DKP verlangt. Es handelt sich also um ein laufendes Disziplinarverfahren. Nach Auffassung des Bundesfinanzministers, dem der Petitionsausschuß mit seiner Mehrheit gefolgt ist, besteht kein Anlaß, in den gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensablauf einzugreifen. Dieser Auffassung sind wir weiterhin. Der Ausschuß hat sich mit dieser Petition besonders sorgfältig befaßt, was u. a. auch dadurch zum Ausdruck kam, daß Staatssekretär Kroppenstedt vom Bundesinnenministerium gegenüber dem Petitionsausschuß in bezug auf alle Seiten, auch in bezug auf die NPD, sehr klar Stellung genommen hat. Das Disziplinarverfahren wurde ausgelöst durch die unbestrittenen Aktivitäten des Petenten für die DKP. Das Bundesverwaltungsgericht hat u. a. in seiner Entscheidung vom 29. Oktober 1981 festgestellt, daß die Ziele der Deutschen Kommunistischen Partei mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Das Gericht hat weiter ausgeführt, daß im Disziplinarverfahren zu überprüfen ist, ob eine nicht verbotene politische Partei eine Organisation ist, die mit der freiheitlichdemokratischen Grundordnung unvereinbare Ziele verfolgt, von denen sich ein Beamter distanzieren muß. Das Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes steht dem - so das Gericht - nicht entgegen. ({0}) Nach den dem Petitionsausschuß vorliegenden Unterlagen hat sich die Oberfinanzdirektion in Hamburg mit der Einleitung des Verfahrens an die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts wie auch des Bundesverfassungsgerichts gehalten. Weder der Deutsche Bundestag noch der Petitionsausschuß haben daher derzeit Anlaß, in dieses Verfahren einzugreifen, das sich zudem erst im Stadium der Untersuchung befindet, in dem geklärt werden soll, ob eine Verletzung der Treuepflicht vorliegt. Meines Erachtens hätte es dieser hier geführten Kurzdebatte nicht bedurft. Nein, sie wird dem Anliegen, das hier lautstark vertreten wird, nicht gerecht. Es bedarf gründlicherer Überlegung. Die Aussprache bietet mir Gelegenheit, noch einmal kurz die grundsätzliche Position meiner Partei in diesem Bereich zu erläutern. ({1}) Wir bejahen die besondere politische Pflicht des Beamten gegenüber dem Staat und der Verfassung. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht - letzteres insbesondere in seinem Grundsatzbeschluß vom 20. Mai 1975 - haben in einer Vielzahl von Entscheidungen die verfassungsrechtlich vorgegebene Pflicht der Verfassungstreue bestätigt. Extremisten gehören nicht in den öffentlichen Dienst. ({2}) Aber dieses Ziel darf nur mit strikt rechtsstaatlichen Mitteln erreicht werden. Hierüber besteht, so höre ich, weiterhin Konsens. 1979 wurde die Regelanfrage bei der Einstellung von Beamten für den Bund abgeschafft. Disziplinarverfahren müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Für diesen Abwägungsprozeß gibt es keine Kataloge und keine Regelvermutungen. Liberale Innenminister haben Grundsätze für eine Einstellung von Bewerbern im öffentlichen Dienst erarbeitet. Von Berufsverboten zu sprechen ist völlig abwegig. Sie werden dem Maßstab gerecht, den die Liberalen an die Einstellungspraxis im öffentlichen Dienst anlegen; denn einerseits muß sichergestellt werden, daß kein Verfassungsfeind im öffentlichen Dienst täig werden kann, andererseits darf aber der Schutz des freiheitlichen Staates nicht zu einer Gefährdung dieser Freiheitlichkeit umgekehrt werden. ({3}) Daß es hierbei, Herr Krizsan und Herr Reuter, Probleme und Fragen gibt, die zu klären und zu besprechen wären, ist unbestritten. Ich finde prinzipiell, daß die Methode der Besprechung einer Petition hier dem Problem nicht gerecht wird. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion legt zur Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses zwei weitere Änderungsanträge vor, Anträge, die von Bürgern gestellt werden und die die Wiederherstellung der früheren, von sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialministern geschaffenen Freifahrtregelung für Schwerbehinderte fordern. Wir haben den Regierungsfraktionen im Petitionsausschuß einen Kompromiß angeboten, diese Petitionen der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen. Sie sind bedauerlicherweise nicht darauf eingegangen. Sie fordern zwar in dem einen Fall, die Petition der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen, aber nur dahin gehend, daß die 120 DM Selbstbeteiligung, die Sie für die Freifahrtberechtigung eingeführt haben, in vier Teilzahlungsbeträgen sollen bezahlt werden können. Dies ist jedoch gar nicht das Anliegen der Petentin; sie fordert vielmehr eine Wiederherstellung des alten Rechts. Dies will ich hier zur Klarstellung ganz eindeutig sagen, denn ein Außenstehender könnte hier von Ihrem Votum getäuscht werden. Ich will feststellen, daß Sie mit Ihrem Votum in keiner Weise auf das Begehren der Petentin eingehen. Bei der anderen Petition wird die Wiedereinbeziehung des Schienenverkehrs in die unentgeltliche Beförderung - und hier speziell für die Gehörlosen - gefordert. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie die Briefe, die an uns, an den Petitionsausschuß, gerichtet wurden und gerichtet werden, lesen, wenn Sie den Behinderten helfen wollen, wenn Sie es nicht nur bei schönen Sonntagsreden belassen wollen, dann stimmen Sie mit uns und schließen sich unserem Votum an. An Geld kann es in diesem Bundeshaushalt ja nicht fehlen. Gestern hat die Mehrheit des Bundestages ein 22Milliarden-Subventionspaket auf die nationale Reise geschickt. Die Belastungen des Bundeshaushalts durch die Wiederherstellung des alten Rechts der unentgeltlichen Beförderung - einmal als Kriterium die 80% MdE - und die Wiedereinführung der unentgeltlichen Beförderung im Schienenverkehr im Umkreis von 50 km vom Wohnort, wie wir Sozialdemokraten es auch während der Beratungen zum Bundeshaushalt 1984 in Anträgen gefordert haben, belaufen sich schätzungsweise auf 80 Millionen DM pro Jahr. Sie könnten also anstelle des gestern von Ihnen verabschiedeten 22-MilliardenDM-Agrarsubventionspakets - ({0}) - Auf diese paar kommt es j a nun wirklich auch nicht mehr an. ({1}) - Hören Sie mal, „so haben Sie immer gerechnet"? Es gibt doch wohl kein Sozialgesetz, Herr Kollege Jagoda, dem Sie in der Opposition nicht zugestimmt haben. Sie sollten sich doch einmal zu Ihrer eigenen Politik bekennen. Das gleiche gilt auch für die Steuergesetzgebung. Ich will hier nur feststellen, daß dieses nationale Agrarsubventionspaket dazu reichen würde, beispielsweise die kostenlose Freifahrtregelung, so wie sie bisher bestanden hat und wie wir sie fordern, 300 Jahre lang zu finanzieren. Dies muß man sich einmal vor Augen halten. Das heißt, es kann ja gar nicht am Geld liegen wie Sie der Öffentlichkeit immer erzählen. Dies möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz eindeutig mit dem Hinweis auf die finanziellen Größenordnungen vor Augen führen. Wir fordern Sie deshalb auf, den Schwächsten der Gesellschaft zu helfen und dem Begehren dieser Petitionen letzten Endes Rechnung zu tragen. Ich glaube, das sind wir uns schuldig, wenn wir uns - bzw. Sie sich - nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, daß Sie zwar an Sonntagen für die Behinderten reden, aber an Werktagen nicht entsprechend handeln. ({2}) Meine Damen und Herren Kollegen von den Regierungsfraktionen, ich frage Sie: Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie wichtig es beispielsweise für Gehörlose ist, daß sie miteinander kommunizieren können? Diese Menschen sind auf die Freifahrtregelung im Schienenverkehr angewiesen. Mit der Herausnahme des Schienenverkehrs benachteiligen Sie ganz eindeutig die Behinderten, die in den Ballungsräumen wohnen, und Sie haben mit Ihrer Regelung das Finalitätsprinzip der Behindertengesetzgebung, das wir 1974 gemeinsam geschaffen haben, in einem wichtigen Punkt grundlos zum Nachteil der Behinderten durchbrochen. Dies muß man ganz deutlich sagen. Ich möchte deshalb an Sie appellieren: Stimmen Sie den Änderungsanträgen, die wir vorgelegt haben, zu, diese Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen! ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jagoda.

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal im Namen meiner Fraktion bei den Petenten für die Petitionen bedanken, die sie eingereicht haben, und möchte ihnen sagen, daß wir sehr großes Verständnis für die Argumente haben, die dort vorgetragen worden sind. ({0}) Ich glaube auch, daß wir im Rahmen unserer Petitionsarbeit sehr deutlich machen können, ({1}) daß wir diese Petitionen sehr eingehend beraten haben und mit hochwertigen Voten versehen haben. ({2}) Für meine Fraktion kann ich sagen, daß wir es uns bei der Sanierung des Staatshaushalts nicht leichtgemacht haben, Einschnitte in das soziale Netz vorzunehmen. Den Kolleginnen und Kollegen der SPD möchte ich an dieser Stelle das in Erinnerung rufen, was ihr damaliger Bundeskanzler ihnen in der bekannten Juni-Sitzung zugerufen hat: daß, wer diesen Staatshaushalt in Ordnung bringen will, noch viel tiefer einschneiden muß, als Sie es damals bereits gemacht hatten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auf zwei Punkte in den Peitionen eingehen, erstens auf die Beförderung im Schienenverkehr und zweitens auf die Frage des Zuschusses von 120 DM im Jahr. Der Grundgedanke war seit 1943 - seitdem gibt es diese Regelung -, daß man Schwerbehinderten, die tatsächlich erheblich in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigt sind, einen Nachteilsausgleich gewähren sollte. Sie haben aber 1979 alle Schwerbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % gleichgestellt. Das hat zu dem Ergebnis geführt, daß 3,3 Millionen Behinderte berechtigt gewesen sind, in einem Umkreis von 50 km kostenlos zu fahren. Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, daß man in der Drucksache, die Ihre Regierung damals vorgelegt hat, davon ausgegangen ist, daß nur 45% der Schwerbehinderten diese Freifahrt in Anspruch nehmen können. Darauf war Ihr Finanzgebäude aufgebaut. ({3}) Deswegen ist es heute nicht mehr zu bezahlen, und deswegen haben wir leider diese Einschnitte vornehmen müssen. Bei der Eisenbahnbenutzung war an den Nahverkehr gedacht. Es geht nämlich um die Frage, ob derjenige, der gehbehindert ist und eine Strecke von 2 km nicht zu Fuß bewältigen kann, das Nahverkehrsmittel in Anspruch nehmen kann. Das war die Ausgangsposition. Die haben wir für diejenigen wiederhergestellt, die wirklich gehbehindert sind. So war es vorher gewesen. Für diejenigen, die vor 1979 berechtigt waren, kostenlos befördert zu werden, haben wir den Rechtszustand beibehalten. Der zweite Punkt, den der Herr Kollege Kirschner hier angesprochen hat, betrifft die Zahlung eines Beitrages von 120 DM im Jahr. Hier hat z. B. das Land Berlin einen Weg aufgezeigt für seine Behinderten, daß man diesen Betrag auch teilweise bezahlen kann. Wir wollen mit diesem Votum erreichen, daß es den anderen Ländern ebenfalls ermöglicht wird, den Gehbehinderten entgegenzukommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir mußten diese Opfer fordern, weil das Ergebnis Ihrer Politik so negativ gewesen ist. ({4}) Ihre beißende Kritik an dieser Regierung ist für mich unverständlich. Wäre diese Regierung nicht so erfolgreich gewesen, hätten wir den Anweisungen Ihres früheren Bundeskanzlers folgen und noch tiefer einschneiden müssen. Daß wir nicht noch tiefer einschneiden müssen, liegt an dem Erfolg dieser Regierung. Das muß man heute einmal sagen. Die die Opfer getragen haben, können heute auch sehen, daß die Erfolge bereits jetzt eingetreten sind. Wir können in naher Zukunft über eine Steuerentlastung reden. Wir können in naher Zukunft darüber reden, daß wir die Familie besserstellen können. Diese Opfer sind leider erforderlich gewesen, um die Staatsfinanzen wieder solide zu machen. Ich kann Ihnen sagen, wenn die Staatsfinanzen in Ordnung sind, werden wir weiter gestaltend tätig werden. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, nicht weil wir kein Herz für die Behinderten haben, sondern weil die Staatsfinanzen dies einfach nicht ermöglichen. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Das Hauptanliegen dieser Regierung waren die Gesellschaft mit menschlichem Gesicht und die Haushaltskonsolidierung. Man muß leider feststellen, daß die Gesellschaft mit menschlichem Gesicht der Haushaltskonsolidierung zum Opfer gefallen ist. Herr Blüm hat erklärt, daß es eine Notwendigkeit zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gebe, und die zwinge ihn zu sinnvollen Einschränkungen. Diese sogenannten sinnvollen Einschränkungen haben leider nur die kleinen Leute getroffen, die man sowieso schon an den Rand unserer Leistungsgesellschaft gedrängt hat, und dazu gehören auch die Behinderten. Das hat zu einer Flut von Petitionen geführt, die wir als GRÜNE nachhaltig unterstützen, vor allen Dingen Petitionen zur Wertmarkenregelung des Haushaltsbegleitgesetzes 1984. Die Wertmarkenregelung verdient den Namen „Wert" überhaupt nicht, denn durch die sogenannte Wertmarke werden Zustände herbeigeführt, die zu einem Leistungsabbau führen. Vorher waren die Leistungen kostenlos, und jetzt muß man für diese verringerten Leistungen auch noch 120 Mark im Jahr bezahlen. Das ist gerade für arme Leute wie Heimbewohner mit einem Taschengeld von nur 100 DM im Monat fast unerschwinglich. Dagegen wenden sich die Petenten zu Recht. Ich möchte jetzt einige lesenswerte Stellungnahmen des Ministers für Arbeit und Soziales zu den berechtigten Anliegen der Petenten hier vorlesen und kommentieren, und zwar möchte ich drei Punkte herausgreifen, erstens die spezielle Problematik der Gehörlosen, denen man die freie Fahrt mit dem Argument gestrichen hat, wesentliche Störungen der Orientierungsfähigkeit könnten bei diesem Personenkreis nicht angenommen werden. Das ist richtig, die Gehörlosen haben zwei Beine, mit denen sie laufen können, aber sie müssen sehr weite Strecken bewältigen, wenn sie sich wirklich verständigen wollen. Die können nur Taubstummensprache verstehen, und dazu müssen sie weite Strecken zurücklegen, damit sie sich mit Leidensgenossen treffen können. Das kostet viel Geld, was die Leute in der Regel nicht haben. Der zweite Punkt betrifft die Bitte der Petenten, wieder beides zuzulassen, Steuerermäßigung für Kraftfahrzeuge und kostenlose Beförderung. Dazu meint der Minister lapidar: „Die Petenten können zwischen beiden Vergünstigungen wählen." Sehr schön, aber das geht an der Realität vorbei. Durch zunehmende Streckenstillegungen ist der Behinderte geradezu zur Kombination Auto/öffentlicher Nahverkehr verdammt. Dasselbe gilt für den Wegfall der kostenlosen Benutzung von Nahverkehrszügen. Dazu meint der Minister: „Der Eisenbahnverkehr dient typischerweise nicht dem örtlichen Nahverkehr." Dabei läßt er außer acht, daß es auf dem Land keine S-Bahn gibt und die Reisen mit Bussen halbe Tagesreisen sind, allein wenn man zur Kreisverwaltung fahren will, schon für Gesunde. Wie soll da der Behinderte noch zu seinem Kreistag fahren? Aber wahrscheinlich meint die Regierung, der hat das nicht nötig. Der Minister meint zu dieser strukturellen Benachteiligung - ich zitiere wieder -: Es ist jedoch nicht Aufgabe des Schwerbehindertengesetzes, solche Nachteile auszugleichen. Diese Nachteile sind nicht behinderungsbedingt, sondern beruhen auf verkehrlichen Gegebenheiten am Wohnsitz. Hier stellt der Minister also klipp und klar fest, daß diese Benachteiligung Produkt der Verkehrspolitik ist. Wer macht denn eigentlich die Verkehrspolitik? Schon Gesunde müssen halbe Weltreisen unternehmen, um zur Kreisverwaltung zu kommen, aber der Behinderte wird durch diese Bedingungen geradezu an seinen Wohnort festgenagelt. Den Behinderten - das muß hier klipp und klar gesagt werden - entstehen Nachteile dadurch, daß unsere Gesellschaft nur auf gesunde und leistungsfähige Personen ausgerichtet ist; dementsprechend ist auch die Infrastruktur. Diese Nachteile müssen durch das Behindertengesetz und Vergünstigungen so lange ausgeglichen werden, bis die Behinderungen und Nachteile beseitigt sind. Wenn nicht einmal mehr der Petitionsausschuß diese Dinge klar beim Namen nennen kann - und das bedeutet, diese berechtigten Anliegen der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen -, wer soll es denn sonst in diesem Parlament tun? Anderenfalls werden die Petenten - die Übersetzung des Wortes „Petent" ist ja „Bittsteller" - wirklich zu armen Bittstellern herabgewürdigt, degradiert; dem sollten wir vorbeugen. Wir werden den Antrag der SPD hier unterstützen. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen. ({0})

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Ich kann Ihnen das leider nicht ersparen. - Verehrte Frau Kollegin Nickels, bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen. ({0}) Niemand kann bestreiten, daß dann, wenn Vergünstigungen durch gesetzliche Maßnahmen eingeschränkt werden, Probleme und Härten entstehen, die nicht leichthin übergangen werden können. Niemand hat das im Petitionsausschuß getan und tut das hier. Es sollte aber ebenso ein Gebot der Vernunft sein, solche Auswirkungen sorgfältig zu untersuchen und zu prüfen und nicht durch Schnellschüsse zu reagieren, wo gründliche Abwägungen notwendig sind. ({1}) - Oh doch! Die Anträge des Petitionsausschusses, die verschiedenen Petitionen von Behinderten der Bundesregierung zur Erwägung - und da gilt nicht, Herr Kirschner, da könnte ein Außenstehender etwas falsch verstehen; das ist ernst gemeint - bzw. als Material und den Fraktionen zur Kenntnis zu überweisen, entsprechen dieser Notwendigkeit. Ich meine, Ihr Antrag auf unmittelbare Berücksichtigung kann nicht als seriös angesehen werden. Das wird auch schon dadurch deutlich - ich wiederhole mich jetzt zum fünften Male -, daß eine solche Fünf-Minuten-Debatte den Anliegen der Petenten nicht gerecht wird. ({2}) Ebensowenig wird sie den Erörterungen im zuständigen Bundestagsausschuß gerecht. Wir, der Petitionsausschuß, sind nicht der Ausschuß der für alle Probleme den Stein der Weisen ständig vor sich herträgt. ({3}) Ich habe bereits bei der Aussprache über den Jahresbericht des Petitionsausschusses diese meine Zweifel über die Methode und nicht, Herr Kastning, der Sie sich da hinten empören, über den Inhalt geäußert. Wir müssen uns zwar damit beschäftigen, aber die Art und Weise, hier in FünfMinuten-Debatten etwas zu besprechen, von dem ich annehme, verehrter Herr Kollege Kastning, daß Sie das nicht so genau gelesen haben, halte ich nicht für seriös. ({4}) Meine Damen und Herren, die notwendige Konsolidierung der Haushalte machte eben Einschnitte notwendig; wir haben sie bedauert. ({5}) - Nein, bei fünf Minuten nicht, Herr Kastning, das geht nicht. - Aber neben diesen haushaltspolitischen Überlegungen hat ja auch eine Rolle gespielt, daß die bisherige Fiktion, jeder Behinderte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 80 % sei gehbehindert, in der Bevölkerung - machen wir uns doch nichts vor - zunehmend auf Kritik gestoßen ist. Ich liebe den Begriff der Akzeptanz wahrhaftig nicht, aber daß hier Irritationen waren, kann überhaupt niemand bestreiten. Diese Gesichtspunkte sind in den Beratungen des zuständigen Bundestagsausschusses - lesen Sie es nach; Herr Jaunich wird es ja wissen - zumindest von seiten der Regierungskoalition diskutiert worden; nicht einvernehmlich, das ist ganz klar. Dabei ist auch erkannt worden, daß die jetzige Regelung Probleme für Personengruppen - sie sind genannt worden - wie Gehörlose mit sich bringt; das ist alles völlig klar. Man muß sicher auch einräumen, daß die Selbstbeteiligung in Höhe von 120 DM für die Bezieher niedriger Einkommen nicht unerhebliche Probleme schafft. Deshalb ist j a immer wieder der Gedanke erörtert worden, ob in diesem Bereich nicht Teilzahlungen sinnvoll und notwendig sind. Aber es stehen natürlich auch Bedenken dagegen: im Hinblick auf die Praxis der Bundesländer, im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in diesem Lande, in dem es keine Besser- und Schlechterstellungen geben sollte. Das alles muß doch gründlich überlegt werden. Ich halte einen Zeitpunkt so kurz nach Verabschiedung des Gesetzes - man mag dazu stehen, wie man will - nicht für einen geeigenten Zeitpunkt, die gesamte parlamentarische Debatte durch den Berücksichtigungsantrag des Petitionsausschusses sozusagen außer Kraft zu setzen. Ich halte es also für zu früh, gesetzgeberische Maßnahmen in Aussicht zu stellen; aber man wird - das sage ich für meine Fraktion ausdrücklich - zusichern, daß die Auswirkungen dieser Maßnahmen sorgfältig zu beobachten sind; denn nach Auffassung unserer Partei und meiner Freunde kommt es darauf an, daß die vorhandenen knappen Mittel wirklich auf die Schwerstbehinderten und Bedürftigsten konzentriert werden, und wir werden diese Dinge, entsprechend den Beschlüssen des Petitionsausschusses, sehr sorgfältig überprüfen. Vielen Dank. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zunächst die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/1667 und 10/1668 auf. Sind Sie damit einverstanden, daß über diese Änderungsanträge gemeinsam abgestimmt wird? - Das ist der Fall. Wer den Änderungsanträgen auf den Drucksachen 10/1667 und 10/1668 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/1556 und 10/1557 ab. Wer den Beschlußempfehlungen, die in den Sammelübersichten 35 und 36 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes - Drucksache 10/1475 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 10/1592 - Berichterstatter: Abgeordnete Bernrath Dr. Olderog b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/1593 Berichterstatter: Abgeordnete Kühbacher Gerster ({2}) Frau Seiler-Albring ({3}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer über Wehrsold redet, redet auch über Wehrpflicht, und wer über Wehrpflicht redet, redet auch über Freiheit; denn Freiheit, meine Damen und Herren, wird es nur dort und nur so lange geben, wie sie verteidigt wird. Wehrpflicht und Freiheit sind, so gesehen, zwei Seiten derselben Medaille. Unser Staat garantiert die Freiheit des einzelnen Bürgers. Er wird dies nur können, wenn seine Bürger dies auch wollen und wenn sie bereit sind, diese große Aufgabe für ihn, für den Staat, zu erfüllen. Verteidigung wird so zur Bürgerpflicht. Nur wer unseren freiheitlich verfaßten Staat bejaht, wer unsere freie Gesellschaft schätzt, weil er seine eigene Freiheit liebt, wird auch bereit sein, diese Wertordnung zu verteidigen. Nur er wird bereit sein, auch dafür zu kämpfen. Das aber ist es, was die in unserer Verfassung begründete Wehrpflicht von allen Bürgern fordert, nämlich - so heißt es im Soldatengesetz und im Wehrpflichtgesetz - die Bereitschaft, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. ({0}) Das ist eine starke Forderung, die, wie Sie sehr wohl erkannt haben, aufs Ganze geht. „Tapfer zu verteidigen", dazu genügt es eben nicht, sich etwa nur vor eine Kaserne zu setzen, sondern das bedeutet, notfalls sein Leben für Recht und Freiheit des Nächsten einzusetzen. Das ist auch eine Forderung, die alle angeht. Lassen wir uns nicht von der Tatsache täuschen, daß heute nicht alle dienen und daß nicht einmal alle gebraucht werden, unabhängig von den verschiedenen Gründen, die zu dieser Praxis geführt haben. Wir müssen diese Gründe übrigens immer wieder nachprüfen, ihre Berechtigung abwägen, zumal sie den Kerngedanken verwässern, um den es geht, daß es nämlich eine allgemeine Pflicht ist, eine Pflicht für alle Bürger, dem Staat für die Erfüllung dieser seiner erstrangigen Aufgabe, nämlich Schutz des Rechts und der Freiheit des Volkes, zu dienen. Meine Damen und Herren, es ist keine blasse Theorie, die ich hier vortrage. Wenn auch nicht alle Armeen im westlichen Verteidigungsbündnis Wehrpflichtarmeen sind, so steht doch in der besonderen Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland außer Frage, daß wir nur mit Hilfe des Instruments der Wehrpflicht einen ausreichenden Beitrag an den Streitkräften stellen können, die uns seit 35 Jahren im Bündnis Freiheit und Frieden erhalten. ({1}) Wehrpflicht ist das Instrument, mit dessen Hilfe wir die beiden entscheidenden Eckdaten unserer Sicherheitspolitik erreichen können; nur mit deren Hilfe können wir sie erreichen. Ohne sie können wir die Bundesrepublik Deutschland in ihrer besonderen geographischen Lage nicht verteidigen. Das ist zum einen eine ausreichende präsente FriedensBerger Streitkraft und zum anderen der Aufwuchs des notwendigen Verteidigungsumfanges im Falle einer Krise. Anders ausgedrückt: Die allgemeine Wehrpflicht ist in der gegebenen Lage der Garant unserer äußeren Sicherheit. Wehrpflicht sichert die Freiheit des einzelnen und die politische Handlungsfreiheit des Staates. Gestatten Sie mir noch einen Hinweis allgemeiner Natur. Die allgemeine Wehrpflicht ist ein konstituierendes Element für Geist und inneres Gefüge der Armee. Die stetige Personalauffüllung unserer Bundeswehr mit jungen Wehrpflichtigen ist ein wichtiger Beitrag dazu, daß die Soldaten Bürger in Uniform sind. Meine Damen und Herren, mir war es wichtig, diese grundsätzlichen Betrachtungen meinen Ausführungen zu den anstehenden Änderungen des Wehrsoldgesetzes voranzustellen. Sie waren auch der Grund dafür, daß meine Fraktion bereit gewesen ist, trotz der Notwendigkeit der Haushaltssanierung, von der wir soeben auch gehört haben, und abweichend von der mit dem Haushaltsgesetz 1984 verabschiedeten mittelfristigen Finanzplanung die nächste Wehrsolderhöhung um sechs Monate vorzuziehen. Wären wir nur der bisherigen Übung gefolgt, den Wehrsold alle dreieinhalb bis vier Jahre zu erhöhen, dann hätten wir auch der mittelfristigen Finanzplanung folgen können. Genau das hatte sie nämlich vorgesehen. Aber spätestens seitdem feststand, daß diese Wehrsolderhöhung zum 1. Oktober 1984 aus Mitteln des laufenden Haushaltes finanziert werden könnte, haben die Verteidigungspolitiker meiner Fraktion nicht geruht, bis sie die Zustimmung der Gesamtfraktion zu dieser demonstrativen Geste an unsere Grundwehrdienstleistenden erlangen konnten. Insofern ist diese Wehrsolderhöhung 1984 auch ein echtes Initiativgesetz, das von den Koalitionsfraktionen eingebracht wurde und das inzwischen auch von der Opposition mitgetragen wird. Gewiß, es hat auch eine Initiative der Opposition in die gleiche Richtung gegeben, sogar eine weitergehende als die unsrige, die aber, wie wir glauben, nicht zu finanzieren war. Sie hätte den Haushalt 1984 um zusätzlich etwa 150 Millionen DM belastet, die dessen Rahmen gesprengt hätten. Es mag sein, daß die Opposition glaubt, solche Zusammenhänge vernachlässigen zu können, ({2}) es mag auch sein, daß diese Initiative der Opposition, von der ich gesprochen habe, es uns leichter gemacht hat, unser Begehren in der Fraktion durchzusetzen. Eines gestehe ich der Opposition allerdings nicht zu, und zwar den Vorwurf, daß ein den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessener Wehrsold bei der Union keinen hohen Stellenwert hätte. ({3}) Das hat folgende Gründe: Erstens. Wir erhöhen, wie gesagt, den Wehrsold jetzt sechs Monate früher, als ursprünglich vorgesehen und als es dem langfristigen Zyklus entspräche. Zweitens tun wir dies auch früher, als es in Ihrer Regierungsverantwortung geschehen ist. ({4}) Sie haben sich sogar einmal vier Jahre Zeit gelassen, und das zu einer Zeit, in der die Inflationsrate besonders hoch gewesen ist. Drittens tun wir das in einer Zeit, in der die Inflationsrate nur noch halb so hoch ist wie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung. Viertens legen wir in unserem Gesetzentwurf auch besonderes Gewicht auf eine angemessene Erhöhung des Weihnachtsgeldes. Fünftens schließlich handelt es sich bei dieser Wehrsolderhöhung unter dem Strich nicht nur um einen Inflationsausgleich, sondern um einen - wenn auch geringfügigen - realen Zuwachs, während Sie in der letzten Erhöhung nicht einmal die Inflationsrate ausgleichen konnten und dabei auch noch das Kunststück fertiggebracht haben, durch die damalige Streichung der Sparprämie den Wehrpflichtigen das wieder aus der Tasche zu ziehen, was Sie ihnen mit der Wehrsolderhöhung gerade gegeben hatten. Diesen Trick der doppelten Tasche wird es bei der Union nicht geben. ({5}) Keine Sorge, meine Damen und Herren, die Grundwehrdienstleistenden wissen, daß ihr Dienst bei dieser Bundesregierung und der Koalition der Mitte die gebührende Anerkennung findet. Das Vorziehen der Wehrsolderhöhung um 6 Monate zeigt, daß für uns der Mensch wirklich im Mittelpunkt steht. ({6}) Eine Armee besteht aus Menschen, die Waffen tragen, und nicht etwa aus Maschinen und ihren Bedienern. Das werden wir übrigens im Laufe des Jahres auch noch durch weitere Initiativen von Regierung und Koalition verdeutlichen. Zum Schluß noch zwei Anmerkungen. Erstens. Bei den Vorbereitungen dieser Gesetzesinitiative hat es auch in unseren eigenen Reihen die Überlegung gegeben, ob es angemessen wäre, den Wehrsold zu erhöhen, wo doch die Beamten eine Nullrunde hätten. Ich stelle dazu fest, daß es eine Koppelung zwischen Beamtengehältern und Wehrsold bisher nicht gegeben hat. Das war bisher nicht der Wille des Gesetzgebers, und der soll es auch in Zukunft nicht sein. Dann sollten wir diese Koppelung auch nicht etwa im Negativen herstellen. Zweitens und letztens. Diese Wehrsolderhöhung ist auch ein kleiner Beitrag zu etwas mehr Wehrgerechtigkeit. Sie verringert nämlich den Abstand der materiellen Ausstattung zwischen denen, die dienen, und denen, die nicht dienen. Dabei dürfen wir es aber nicht bewenden lassen. Wir alle wissen, daß wir darüber nachdenken müssen, ob heute noch gesetzlich begründete Wehrdienstausnahmen für die Zukunft zugelassen werden können. Wir dürfen uns auch nicht darüber hinwegtrösten, daß etwa in Bälde alle Jahrgänge voll ausgeschöpft werden, um überhaupt genügend Wehrdienstleistende in unserer Armee zu haben. Wir müssen einen Beitrag dazu leisten, daß es nicht so ist, daß 60 % dienen, während 40 % nicht dienen, und daß diejenigen, die für ihr Vaterland dienen, dafür auch noch materiell bestraft werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Abgeordneter Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ausführungen des Kollegen Berger hier mit Interesse zur Kenntnis genommen. Nur muß man einmal fragen, was das alles mit dem Wehrsold zu tun hatte, was er hier lang und breit dargestellt hat. Ich werde darauf aber gleich noch zurückkommen. Ich fange einmal damit an, Herr Kollege Berger, das zu zitieren, was vor rund vier Jahren der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Verteidigung, der Kollege Willi Weiskirch, dem ich auch von dieser Stelle beste Genesungswünsche übermitteln möchte, im Pressedienst seiner Partei geschrieben hat. Er sagte dort: Die Ankündigung einer Wehrsolderhöhung für die Bundeswehrsoldaten durch den Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium von Bülow kann nur Kopfschütteln und Befremden hervorrufen; denn die vom Verteidigungsminister für den 1. Oktober 1981 oder 1. Juli 1981 vorgesehene Erhöhung ist, wie von Bülow richtig sagt, überfällig. Allerdings hätte sie nach Ansicht der CDU/CSU längst vorgenommen werden müssen und wird, wenn man den Inflationsverlust einrechnet, im nächsten Jahr nur noch ein Tropfen auf einen heißen Stein sein. ({0}) In Anlehnung an diese Aussage, Herr Kollege Berger, stelle ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest, daß die damalige Äußerung der CDU/CSU auf die heutige Situation genau zutrifft. ({1}) Ihre Aussage von damals holt Sie heute wieder ein; so schnell geht das manchmal. Nun komme ich auf die Begründung des heutigen Antrags der Koalitionsfraktionen auf Wehrsolderhöhung zu sprechen. In dieser Begründung heißt es: Im Hinblick auf die zwischenzeitlich eingetretene Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse sollen der Wehrsold, die besondere Zuwendung und das Entlassungsgeld mit Wirkung vom 1. Oktober erhöht werden. Vergleichen Sie das einmal mit dem, was der Kollege Berger hier alles ausgeführt hat! Von dem, was Sie hier an inhaltlichen Begründungen ausgeführt haben, bleibt nichts. Und das alles noch im Zeichen des Aufschwungs! Herr Kollege Berger, Sie und auch die anderen Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß müssen doch sehen, daß es im Grunde ein beschämender Vorgang ist, daß die Regierungskoalition vor wenigen Wochen den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Änderung des Wehrsoldgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1984 abgelehnt hat, ebenso den im Ausschuß angebotenen Kompromiß, ab 1. Juli die Erhöhung vorzunehmen. Kein Wort davon, daß hier gemeinsames Bemühen im Vordergrund stand. Daß Sie sich in Ihren Parteien nicht haben durchsetzen können, dürfen Sie doch nicht einer anderen Fraktion anlasten. Dafür tragen doch Sie politisch Verantwortung. ({2}) - Herr Kollege Berger, es wäre doch einmal interessant gewesen, die Begründung für die Ablehnung unseres Antrages zu hören. Was hat sich eigentlich zwischen dem Zeitpunkt unseres Antrages und dem der Behandlung Ihres Antrages geändert? Welche wirtschaftliche Veränderung ist denn tatsächlich eingetreten? Sie finden und Sie haben keine plausible Begründung, um das hier in aller Schlichtheit festzustellen. Daß die Koalitionsfraktionen dazu gebracht werden konnten, ihre Absicht aufzugeben, erst ab nächstem Jahr den Wehrsold zu erhöhen, Herr Kollege Berger, liegt doch sicherlich daran, daß die starken Proteste der Wehrpflichtigen, die sich schon als Prügelknaben in Uniform fühlen mußten, die ständigen Mahnungen des Wehrbeauftragten, die nachhaltigen Forderungen des Deutschen Bundeswehrverbandes und der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion dazu beigetragen haben, die Regierungskoalition weichzuklopfen. Das ist der Tatbestand. Und ich füge hinzu: Dieser gemeinsame Erfolg läßt auch für die Zukunft hoffen, daß das gemeinsame Wirken der von mir hier Genannten dafür sorgen wird, daß die sozialen Verhältnisse der Soldaten in Ordnung bleiben. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf, der von Ihnen eingebracht worden ist, zu. Wir haben keine Berührungsängste, etwas mit Ihnen gemeinsam zu tun. Wir wären dankbar, wenn Sie auch bei anderer Gelegenheit ein wenig mehr auf Zusammenarbeit und Kooperation Wert legten. Wir stimmen zu, weil wir mithelfen wollen, die soziale Situation der Wehrpflichtigen und, was hier verschwiegen worden ist, der Zivildienstleistenden, die doch nach demselben Gesetz bezahlt werden, ein wenig zu verbessern. Wir halten aber grundsätzlich an unserer Auffassung fest, daß der 1. Januar der richtige Termin für die Erhöhung gewesen wäre. Die CDU/CSU wird sich wirklich fragen lassen müssen, ob es nicht besser gewesen wäre - und dies insbesondere im Hinblick auf die Erhöhung -, das im Verteidigungsausschuß gemeinsam zu tragen. Vor allen Dingen wird sie sich fragen lassen müssen, welches Verhältnis sie tatsächlich zur Wehrgerechtigkeit hat. Ich glaube, die Zivildienstleistenden und Wehrpflichtigen haben die Debatte sehr genau verfolgt und erkannt, wer im Parlament ihre Interessen wahrgenommen hat und wer nicht, wer erst zu einer politischen Entscheidung gedrückt werden mußte. Nun zu der Frage der Wehrpflicht, die Sie, Herr Kollege Berger, hier noch angesprochen haben. Ich stelle in aller Deutlichkeit fest: Gerade unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern ist diese Bundeswehr zu dem geworden, was sie heute ist, nämlich einer der schlagkräftigsten Armeen, die in dieser Welt existieren. Und das ist teilweise gegen den Widerstand der damaligen Opposition durchgeführt worden. ({3}) - Ich lade Sie ein, mit mir einmal durch die Bundeswehr zu fahren. ({4}) Wir können das an jedem Ort der Bundesrepublik durchführen. Und dann werden wir das feststellen können. ({5}) - Herr Kollege Würzbach, auch wir beide könnten selbstverständlich - Sie als zuständiger Staatssekretär sollten das Angebot vielleicht einmal annehmen - gemeinsam einen Truppenbesuch machen. Dann werden wir die Soldaten fragen können. Wir sollten sie dann fragen, ob sie sich in dieser Zeit in der Bundeswehr wohlgefühlt haben oder ob das eine so untragbare Last war, die erst durch die Übernahme der Regierung durch Sie erleichtert werden konnte. ({6}) Ich sage hier deutlich, damit Sie das auch einmal registrieren: Die Bundeswehr ist keine Einrichtung der Parteien, schon gar nicht der CDU/CSU, sondern eine Einrichtung dieses Staates. Wir lassen uns hier auch von niemandem ein Bonbon auf die Backe drücken, wie das teilweise von dem Kollegen Berger wieder versucht worden ist. Sie sollten diese Versuche langsam aufgeben. Die Gemeinsamkeiten, die hier immer wieder angesprochen werden, sind größer, als Sie sie teilweise hier in den Diskussionsbeiträgen darstellen. Nun noch eine kurze Bemerkung: Hier wird immer die Koalition der Mitte angesprochen. ({7}) - Nein, das ärgert mich überhaupt nicht. Ich sage nur: Dies ist nicht eine Koalition der Mitte. Diese Koalition hat vielmehr an bestimmten Stellen Unwuchten. Diese Unwuchten äußern sich darin, daß Sie immer ganz bestimmten Personengruppen ganz bestimmte Dinge auflasten. Das war auch in diesem Fall bei den Wehrpflichtigen so. Man kann nicht dauernd Wehrgerechtigkeit im Munde führen und dann, wenn man politisch gefordert ist, nicht ja sagen. Der Wehrbeauftragte hat seit 1982 darauf hingewiesen, wie die soziale Situation der Wehrpflichtigen ist. Es hätte Ihnen gut angestanden, dem SPD-Entwurf vor einigen Wochen hier im Hause zuzustimmen. ({8}) - Nein, Kollege Berger. Wir hätten gemeinsam etwas tun können, wenn Sie es gewollt hätten. Ich wiederhole noch einmal: Wir haben keine Berührungsängste gegenüber Ihnen. Wir haben keine Bedenken, diesen Gesetzentwurf zu übernehmen und mit zu tragen. Ich appelliere an Sie aber, hier nicht nur Worte in den Raum zu stellen, sondern künftig auch unter Beweis zu stellen, was Sie unter Kooperation in sozialen Fragen verstehen. ({9})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berührungsängste haben auch die Grünen nicht, aber ich muß schon sagen ({0}) - ist das erheblich, Herr Würzbach?; Sie werden das sicher besser wissen -, ({1}) daß es mir nach den markigen Sprüchen von Herrn Berger und auch nach Herrn Heistermanns Begeisterung über die Schlagkraft der Bundeswehr ganz besonders schwerfällt, hier zu einem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, den wir trotz schwerwiegender Bedenken im Endeffekt zusammen mit Ihnen verabschieden wollen, dem wir also zustimmen werden. Wir wollen allerdings aus ganz anderen Gründen als denen zustimmen, die Herr Berger hier vorgetragen hat. Wir wollen nicht deshalb zustimmen, um zu einer Effektivierung, Verbesserung und Harmonisierung der Armee beizutragen. Einen solchen Beitrag werden Sie von uns nicht bekommen und vermutlich auch nicht erwarten. Sie werden ihn jedenfalls so lange von uns nicht bekommen, so lange diese Armee nichts anderes als ein Glied in der Kette eines gigantischen Militärapparates ist, der mit modernster Waffentechnik unsere Zukunft nicht schützt, sondern eben eher bedroht. Ginge es um eine solche Begründung, wie sie von Herrn Berger vorgetragen wurde, so würden wir diese Erhöhung ebenso kritisieren und bekämpfen wie die ständige Aufblähung des Rüstungshaushalts, die wir in der Vergangenheit bekämpft haben und die wir in der Zukunft ebenso bekämpfen werden. Wenn wir diesem Gesetzentwurf dennoch zustimmen werden, so liegt das daran, daß bei dieser Frage auch ganz andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. In allererster Linie gilt dies für den Gesichtspunkt, daß es um Zigtausende von Wehr5698 pflichtigen und Zivildienstleistenden geht. Das sind Zigtausende von Menschen, die auch während der Zeit, in der sie ihren Militärdienst oder ihren Zivildienst ableisten bzw. ableisten müssen, ein Recht darauf haben, ein Leben nach ihren zivilen Bedürfnissen, wie ich es einmal nennen möchte, zu führen. ({2}) - Herr Würzbach, ich habe nur noch sieben Minuten Redezeit. Ich werde nicht fertig, wenn ich Ihnen jetzt die gebührende Aufmerksamkeit widme. ({3}) Das sind Bedürfnisse, die ja nun nicht einfach beim Eintritt in die Bundeswehr oder in den Zivildienst beim Wachhäuschen oder sonstwo abgegeben werden. In der Tat - soweit ist der Begründung des Regierungsentwurfs zuzustimmen - hat sich die wirtschaftliche Situation seit der letzten Wehrsolderhöhung im Jahre 1981 derart rapide verschlechtert, daß nicht einmal mehr elementare Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Wir vermögen nicht einzusehen, warum gerade Wehrund Ersatzdienstleistende, deren soziale Rechte ohnehin weitgehend eingeschränkt sind, die Opfer einer wirtschaftlichen Entwicklung sein sollen, die die herrschende Wirtschaftspolitik und damit auch diese Bundesregierung zu verantworten hat. Es erscheint uns in diesem Zusammenhang als merkwürdiger Kontrast, daß Milliarden für Kriegsgerät und neue Waffensysteme verpulvert werden, daß aber die Wehrdienstleistenden in ihrer sozialen und materiellen Situation am Ende der Skala stehen. Dieser Widersinn wird verschärft, wenn wir bedenken, daß es nicht nur um die Prioritätensetzung bei staatlichen Militärausgaben geht, die diese soziale Benachteiligung zur Folge hat, sondern daß es zu einem nicht unerheblichen Teil gerade die staatlichen Ausgaben für Rüstungsgüter sind, die zur Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage beigetragen haben, sei es durch Beschleunigung inflationärer Prozesse, sei es durch den Umstand, daß staatliche Mittel zur Ankurbelung einer wirtschaftlichen Entwicklung in sinnvollen Bereichen fehlen. Die Fraktion der GRÜNEN kann sich von daher aus prinzipiellen, sozialen Erwägungen heraus einer Erhöhung des Wehrsoldes trotz aller grundsätzlichen Bedenken nicht verschließen. Ich will allerdings an dieser Stelle gleich dazusagen, daß die von Ihnen gewünschte Anhebung des Wehrsoldes eigentlich völlig unzureichend ist, um hier in der Sache auch nur die dringendsten sozialen Probleme, die Sie ja in Ihrer Begründung selbst nicht leugnen, ein Stückweit zu lösen. Wir hätten es darüber hinaus für sinnvoller gehalten, wenn eine Staffelung bei der Anhebung der Sätze vorgenommen worden wäre, wenn die unteren Mannschaftsdienstgrade und die einfachen Soldaten stärker begünstigt, also in den unteren Tagessatzbereichen stärkere Anhebungen vorgesehen worden wären mit dem Ziel, die am stärksten Benachteiligten in eine bessere Lage zu bringen und hier einen sozialen Ausgleich in Gang zu setzen. ({4}) - Es kann doch wohl kein Zweifel daran bestehen, Herr Bötsch, daß diejenigen, die außer ihrem Wehrsold keine weiteren Einkünfte haben, eine Anpassung an die wirtschaftliche Verschlechterung, der sie ausgesetzt sind, sehr viel nötiger haben als beispielsweise ein Offizier, der neben seinem Wehrsold noch ein stattliches Gehalt bezieht. ({5}) Wir sehen in dem vorliegenden Gesetzentwurf einen verspäteten und ungenügenden Beitrag zur Behebung einer sozialen Situation, die unbedingt verbessert werden muß. Dies haben auch die Interessensvertretungsorganisationen der Wehr- und Zivildienstleistenden in der Vergangenheit immer wieder gefordert. Daß sich die Koalitionsparteien heute mit ihrer Initiative zum Fürsprecher dieser Interessen machen, das hat wohl in erster Linie mit dem erheblichen Druck zu tun, der unter anderem auch von dieser Seite entstanden ist. Der vorliegende Entwurf der Koalitionsparteien muß deshalb auch als Versuch angesehen werden, stärkere Unruhe in der Truppe zu vermeiden und einen gewissen sozialen Zündsatz herauszunehmen. Wir haben den Eindruck, daß sich an dieser Stelle der Kreis zu den grundsätzlichen militärpolitischen Vorstellungen der Regierung schließt. Mit einem Stückchen sozialen Frieden wollen Sie zur Verbesserung und Effektivierung der Rolle dieser Armee beitragen. Die Rolle dieser Armee besteht allerdings vor allen Dingen darin, daß sie mitzuwirken hat bei der Organisierung und Verbreitung von militärischen Gefahr-potentialen. ({6}) - Ach Herr Berger, glauben Sie im Ernst, daß uns Ihre markigen Sprüche vorhin hier weitergebracht hätten? ({7}) Ich komme zum Schluß: Wenn wir also dennoch einer Wehrsolderhöhung zustimmen, dann tun wir das nicht zuletzt auch deshalb, weil wir anerkennen, daß es sich bei Wehr- und Zivildienstleistenden um eine Gruppe handelt, die durch die allgemeine Wehrpflicht und nicht aus eigenem Antrieb - im Unterschied etwa zu den Berufssoldaten - zur Bundeswehr und zur Erfüllung der Aufgaben, die sie dort wahrnehmen müssen, gekommen sind. Aus der von Staats wegen vorgenommenen Rekrutierung darf den Betroffenen nicht auch noch ein materieller Nachteil erwachsen. Deshalb fühlen auch wir uns gefordert, unter Zurückstellung der Bedenken, die ich vorhin genannt habe, einer längst überfälligen und im übrigen unzureichenden sozialen Maßnahme zur Verbesserung der EinkommensKleinert situation von Wehrdienst- und Zivildienstleistenden unsere Zustimmung zu geben. ({8})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die ganze Latte an Änderungswünschen des Vorredners gehört hat, muß sich eigentlich wundern, warum er diese Änderungen nicht beantragt hat, als in den Ausschußsitzungen dazu Gelegenheit gewesen wäre. Im Unterschied zu der Opposition, die das Wünschenswerte fordern kann, ohne die Realisierung vorweisen zu müssen, sind wir als Regierungsfraktion aufgefordert, seriöse Vorschläge zu machen, die dann, meine Damen und Herren, auch die Mehrheit dieses Hauses finden können. Meine Fraktion freut sich, dem vorgelegten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Erhöhung des Wehrsolds, der besonderen Zuwendungen und des Entlassungsgeldes vorbehaltlos zustimmen zu können. Schließlich sind die entsprechenden Sätze zuletzt mit Wirkung vom 1. Juli 1981 erhöht worden. Seither haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse deutlich verändert. Dies ändert nichts daran, daß wir im Zeittakt günstig aussehen. Ich erinnere daran, daß die letzte Erhöhung von Januar 1978 bis zum Juli 1981, also dreieinhalb Jahre, gebraucht hatte, während vorher sogar vier Jahre - zwischen 1974 und 1978 - verstrichen sind, ehe erhöht wurde. Dazu - wie Herr Kollege Berger vorhin ausgeführt hat - ist hier häufig nicht einmal um den Wertverlust des Geldes erhöht worden. Natürlich gab es gerade bei uns die Abwägung zwischen dem Erfordernis solider Haushaltsführung, das starke Zurückhaltung bei den öffentlichen Personalausgaben bedeuten muß, und dem Wunsch, der begründeten Forderung der Soldaten nachzukommen. In der notwendigen Abwägung haben wir uns dazu entschlossen, diesem Wunsch, der ja auch von allen Verbänden der Betroffenen getragen wurde, zu entsprechen und diesen Gesetzentwurf zum 1. Oktober des Jahres entsprechend der Vorlage auf Drucksache 10/1475 in Kraft zu setzen. Meine Damen und Herren, wir sind uns der Tatsache bewußt, daß es keine alltägliche Entscheidung ist, dies im laufenden Haushaltsjahr zu ändern. Gerade deshalb sind wir dem Verteidigungsminister dankbar, daß sein Haus trotz der auch dort engen Haushaltslage, die sich aus den zahlreichen dringend notwendigen Beschaffungsmaßnahmen ergibt, die Mittel für die noch im Jahre 1984 geplante Änderung aus dem laufenden Etat zur Verfügung stellt. Dieses war ja, wie Sie wissen, die Grundlage der Zustimmung zumindest des Haushaltsausschusses zu der Vorlage. Im Beschluß der Koalitionsfraktionen findet zusätzlich das Engagement unserer Parteien Niederschlag. Ich will hier gerne auf den von den Jungen Liberalen angeregten Beschluß des FDP-Bundesparteitages verweisen, die Anhebung des Wehrsoldes zu ermöglichen. Diese Unterstützung hat es den verantwortlichen Abgeordneten erleichtert, die Sachentscheidung so zu treffen, wie wir es hier heute vor haben. Die Entscheidung betrifft ja insbesondere die Gruppe junger Menschen, deren Einsatz für unsere Freiheit und Rechtsordnung nicht nur Verbalcharakter hat, sondern sich durch tatsächliche Opfer an Zeit, persönlichem Vorankommen und Komfort dokumentiert. ({0}) Die Wehrdienstleistenden ebenso wie die Zivildienstleistenden in unserem Lande sollen sich durch diese deutliche Geste in ihrer Einsatzfreude bestärkt fühlen. Wir, die Öffentlichkeit der Bundesrepublik, sind auf ihre Leistungsbereitschaft angewiesen. - Danke schön. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Wehrpflichtigen erhalten mit diesem Beschluß des Parlaments eine wohlverdiente materielle Entschädigung für das Opfer, das sie im Dienste der Allgemeinheit bringen. Das ist auch der Grund, warum das Bundesministerium der Verteidigung, ich selbst und die Bundesregierung dazu beigetragen haben, daß das in diesem Jahr noch möglich wurde. Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß jeder von uns den Wehrpflichtigen gerne noch mehr - und sicher auch früher - gegeben hätte. Verdient hätten sie es. Andererseits habe ich bei vielen Diskussionen draußen in der Truppe und im Gespräch mit den jungen Leuten festgestellt, daß sie sehr wohl ein Verständnis dafür haben, daß und warum die Haushaltsenge nicht jede Erfüllung aller Forderungen zuläßt. Ich möchte zum Charakter des Wehrsolds eine Bemerkung machen, damit kein Mißverständnis aufkommen kann. Wehrsold ist kein Gehalt. Ich sage das den Wehrpflichtigen genauso, wie ich es hier sage. Mit der Wehrpflicht erfüllen sie nicht nur eine staatsbürgerliche Pflicht, sondern sie tun diesen Wehrdienst im Grunde genommen auch sich selbst zuliebe und im Vertrauen darauf, daß andere nach ihnen mit ihrem Dienst dann ihre Freiheit und ihren Frieden schützen. ({0}) Von daher müssen sie sich mit einer Entschädigung zufriedengeben und haben keinen Anspruch auf etwa ein Gehalt. Ich will ein anderes sagen: Die Wehrpflichtigen tun ihre Pflicht gut. Wir haben im Augenblick eine Generation von Wehrpflichtigen in der Bundeswehr, die willig sind, die wenn sie vernünftig geführt und vernünftig gefordert werden, ihre Wehrpflicht gut, in einigen Fällen sogar sehr gut erfüllen. Von daher möchte ich auch als Bundesminister der Verteidigung von dieser Stelle aus meinen Dank den Wehrpflichtigen aussprechen. ({1}) - Ich würde mir diese Zwischenrufe schenken, wie überhaupt das einzige, was ich zu dem Beitrag von Herrn Fischer sagen möchte, - ({2}) - War es nicht der Herr Fischer? Entschuldigen Sie bitte, es ist manchmal etwas schwierig, Sie auseinanderzuhalten. ({3}) Herr Abgeordneter, ich bitte um Vergebung. ({4}) Das einzige, was ich zum Abgeordneten Kleinert - ist das jetzt der richtige Name? - sagen möchte, ist: Ihre markigen Reden von dieser Stelle aus sind nur deswegen möglich, weil die Wehrpflichtigen der Bundeswehr ihren Dienst in der Bundeswehr erfüllen. ({5}) Materielle Anerkennung - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - ist wichtig. Wichtiger allerdings ist die ideelle Anerkennung des Dienstes der Wehrpflichtigen. Dazu nur ganz wenige Bemerkungen: Wir alle haben dafür zu sorgen, daß nicht derjenige als der Dumme gilt, der seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt. ({6}) Das zweite: Wir alle respektieren das Recht auf Wehrdienstverweigerung. Gleichwohl darf es keine falsche Glorifizierung der Wehrdienstverweigerung geben. ({7}) Das Recht der Wehrdienstverweigerer ist nur so lange geschützt, als die Mehrheit der jungen Staatsbürger ihre Uniform anzieht und ihren Wehrdienst leistet. ({8}) Drittens. Viele von den Sprüchen würden sich erübrigen, wenn man von seiten aller Parteien - auch in diesem Bundestag - entschiedener jenen entgegentreten würde, die beispielsweise im Heilbronner Aufruf die Bundeswehr außerhalb der Legalität stellen und zur Wehrdienstverweigerung auffordern. Das ist schon schlimm genug. Schlimmer allerdings ist es, wenn sich darunter eine ganze Reihe von Mitgliedern der SPD findet, ohne daß daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen werden. Ich kann nur sagen, Sie schulden es den Wehrpflichtigen - nicht uns und nicht mir -, draußen in ihren Parteigliederungen dafür einzutreten, daß sie auch dort den nötigen Respekt für ihren Dienst in der Bundeswehr erhalten. ({9}) Nicht die paar Pfennige, lieber Herr Horn, die wir ihnen hier geben, ist das Entscheidende. Entscheidend ist, daß sie wissen, daß die Vertreter in diesem Parlament - auch Herr Horn - draußen zu ihnen stehen ({10}) und dafür sorgen, daß ihre Parteien geschlossen zu ihnen stehen. ({11})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich der Abgeordneten Frau Nickels das Wort.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren, auch ich werde dem Gesetz zustimmen, aber aus ganz anderen Gründen als z. B. Herr Berger. Ich habe viele Gründe dafür, aber ein Grund ist auch der, daß man das Leben als W 15er eigentlich nur im Suff oder, wie mein Kollege Roland Vogt früher, während Ableistung seines Wehrdienstes sagte, durch das Lesen geistig hochstehender Literatur ertragen kann. Und Bier und Bücher werden ja bekanntlich immer teurer. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 bis 35 auf: Vizepräsident Wurbs 33. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle - Drucksache 10/1298 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß 34. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten - Drucksache 10/1573 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschus ({1}) Verteidigungsausschuß 35. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Nichtaufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen - Drucksache 10/1624 ({2}) Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Verteidigungsausschuß Ich komme ferner zu der jetzt zu verlesenden Zusatzvereinbarung. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden um den Zusatzpunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik - Drucksache 10/1674 - und den Zusatzpunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN Aufhebung der Herstellung von weitreichenden Raketen und strategischen Bombern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 10/1685 Sind Sie damit einverstanden? Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann rufe ich auch diese beiden Zusatzpunkte auf. Meine Damen und Herren, für die Tagesordnungspunkte 33 bis 35 und die Zusatzpunkte 4 und 5 ist eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. Sind Sie mit der Regelung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat dem Deutschen Bundestag zwei Entschließungsanträge vorgelegt, in denen die Bundesregierung zu Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle aufgefordert wird. Es handelt sich dabei zum einen um die Aufforderung zu Initiativen, die die Bundesregierung von sich aus im deutschen Interesse ergreifen soll, damit der Abrüstungsprozeß wieder in Gang kommt. Zum anderen handelt es sich um Initiativen, die international bereits angelaufen sind, die von unserer Seite aus unterstützt werden sollen, um Initiativen, an denen sich bereits zahlreiche Regierungschefs in tiefer Sorge über die uferlosen Gefahren des Wettrüstens beteiligen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung mit unseren Anträgen auf, initiativ zu werden, damit es zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen auf der Grundlage eines realistischen Verhandlungsansatzes kommt. Wir sehen diesen Ansatz in einer Zusammenfassung der bisherigen Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen und sogenannte strategische Systeme. Nach unserer Auffassung sind die Verhandlungen über eurostrategische Systeme auch deshalb gescheitert, weil das damit verbundene künstliche Herausschneiden des Verhandlungsgegenstandes aus dem untrennbaren Zusammenhang der atomaren Raketenpotentiale in Ost und West die Situation keineswegs erleichtert, sondern offenkundig erschwert hat. So ist die Frage der Berücksichtigung der britischen und der französischen Atomwaffen nur bei verbundenen Verhandlungen zu klären. Wir wissen, daß gegenwärtig weder die USA noch die Sowjetunion zu solchen verbundenen Verhandlungen bereit sind. Wir wissen aber auch, daß die Eurogroup der NATO-Verteidigungsminister im Dezember 1983 in dem Vorschlag verbundener Verhandlungen, den wir bereits lange zuvor gemacht hatten, eine realistische Möglichkeit gesehen hat und daß viele Kundige innerhalb der Bundesregierung uns inoffiziell recht geben. Offiziell hält sich aber die Bundesregierung bisher bedeckt. Deshalb sollte der Bundestag in dieser Frage die Bundesregierung zu einer klaren Position veranlassen, denn die Zeit für vernünftige Lösungen drängt. Es muß alles politisch Mögliche versucht werden, um durch geeignete Initiativen das weitere Zupflastern Deutschlands, und zwar beider Teile Deutschlands, mit atomaren Mittelstreckenraketen einerseits und mit atomaren Kurzstreckenraketen andererseits zu beenden. ({0}) Wir erwarten deshalb auch, daß die Bundesregierung die Initiative unterstützt, die Pierre Trudeau als kanadischer Ministerpräsident für eine Konferenz aller fünf Atomwaffenstaaten ergriffen hatte. Helmut Schmidt hat sich am 21. November 1983 hier im Bundestag voll hinter diesen Vorschlag gestellt. Das Zustandekommen eines solchen Treffens ist eine Pflicht der Atomwaffenstaaten gegenüber der übrigen Welt. Trotzdem gab es bisher keine Zusammenkunft dieser Art, die klären sollte, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Schritten die Welt vom Alptraum atomarer Vernichtungsgefahren seitens der Atommachtpotentiale befreit werden könnte. Wir wissen, daß wiederum auch manche in den Regierungsparteien eine solche Konferenz für notwendig oder zumindest für sinnvoll halten. Wenn der Premierminister unseres NATO-Partners Kanada monatelang durch die Welt reist, um für dieses Begehren Unterstützung zu finden, ist auch in diesem Fall das Abwarten, Schweigen und Zaudern der Bundesregierung unverständlich. ({1}) Wir fordern die Bundesregierung deshalb auch auf, daß sie die Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten unterstützt, die der schwedische Ministerpräsident Palme, Papandreou, Frau Gandhi, der tansanische Ministerpräsident Nyerere, der mexikanische Präsident de la Madrid und der argentische Präsident Alfonsin ergriffen haben. Es geht hier um ein Einfrieren der Atomrüstung und um Schritte zu atomarer Abrüstung, ausgehend von der Einschätzung, daß die bisherigen Verhandlungen keine Abrüstung, sondern nur geregelte Aufrüstung gebracht haben. Sozialisten, Liberale und Konservative aus allen demokratischen Ländern haben sich dieser Initiative bereits angeschlossen. Republikanische Senatoren aus Washington und namhafte CDU-Mitglieder wie der stellvertretende DGB-Vorsitzende Fehrenbach stimmen damit überein. Papst Johannes Paul II. unterstützt diese Initiative ebenso wie der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Philip Potter. Sie alle haben die Befürchtung, daß die Welt demnächst verbrennen könnte. Nur die Bundesregierung schweigt wiederum und hält sich in scheinbar lähmender Sorglosigkeit zurück, obwohl auf dem Boden unseres Landes die weltweit größte Ansammlung von Atomwaffen lagert. Die SPD unterstützt mit Nachdruck diese weltweite Initiative. ({2}) Wir hoffen und wünschen, daß sich der gesamte Deutsche Bundestag ihr anschließt. Es werden in ihr eigene Anstöße der nichtatomaren Staaten gefordert, die Atommächte an den Verhandlungstisch zu bringen. Je mehr sich an diesem Begehren aktiv beteiligen, desto weniger werden sich die Atommächte dem verschließen können. Einen solchen Anstoß regen wir selbst in unserem Antrag an, der die Bundesregierung auffordert, die Initiative zu einer Konferenz aller Nichtatomwaffenstaaten zu ergreifen. Wie naheliegend und realistisch dieser Vorschlag ist, zeigt das Beispiel aus dem Jahre 68, in dem es bereits einmal eine solche Konferenz gab. Willy Brandt, Außenminister der Großen Koalition, gab seinerzeit dieser Konferenz wesentliche Impulse und hatte maßgeblichen Anteil an ihrem Zustandekommen. Sie bewirkte, daß sich inzwischen mehr als 100 Staaten dem atomaren Nichtverbreitungsvertrag anschlossen in der Erwartung, daß ihr völkerrechtlicher Verzicht auf Atomwaffen ergänzt wird durch die Einlösung der völkerrechtlichen Verpflichtung der Atomwaffenstaaten auf atomare Abrüstung. Dieser Verpflichtung wurde sträflich zuwidergehandelt. Im nächsten Jahr findet die dritte Überprüfungskonferenz statt, die vielleicht entscheidend für das Weiterleben dieses Vertragswerkes ist. Eine zweite Konferenz der Nichtatomwaffenstaaten ist mindestens so wichtig wie die erste. Alle von uns eingebrachten Vorschläge ergänzen einander. Eine Konferenz der Nichtatomwaffenstaaten könnte ein konkretes Resultat der VierKontinente-Abrüstungsinitiative sein, die Fünfmächtekonferenz der Atomwaffenstaaten ein weiterer konkreter Schritt in dieser Richtung. Beim Ost-West-Gegensatz stehen wir auf der Seite des Westens, aber bei dem politischen Gegensatz zwischen den Staaten mit und denen ohne Atomwaffen müssen wir auf der Seite der Nichtatomwaffenstaaten stehen. Dies gebieten uns alle diesbezüglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und die politische und militärische Lage unseres Landes. ({3}) Wir sind der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland bei allen diesen Initiativen dabeisein sollte. Jeder denkbare und mögliche Weg muß von uns genutzt werden, einen aktiven Beitrag zur Beendigung des Rüstungswettlaufs zu leisten. ({4}) Es ist besser, eine Initiative zuviel als eine zuwenig zu versuchen. Die Abrüstungsverhandlungen sind zum völligen Stillstand gekommen, aber das Rüstungsrennen beschleunigt sich immer mehr. Eine politische Bewegung, ein Aufstand der Vernunft ist deshalb nötig, um Druck zu machen, denn sonst passiert nichts, zuwenig, oder es passiert zu spät. Deshalb sind alle in Unruhe: die Gewerkschaften, die Kirchen, die ältere wie die jüngere Generation. Wir wollen bei dieser Sache keine billige parteipolitische Kontroverse, sondern eine einhellige Willensbekundung des Parlaments. Wir wollen abrüstungsdiplomatische Bemühungen nicht ersetzen, wie sie etwa auch im Antrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck kommen, aber wir sind der Meinung, diese Initiativen können nur wieder in Gang kommen, in Gang gesetzt werden mit einer Unterstützung der Weltöffentlichkeit. Nur dann sind wahrscheinlich die Voraussetzungen in absehbarer Zeit zu schaffen, daß die Abrüstungsdiplomatie rasch und zügig konkrete Vereinbarungen ausarbeiten kann. Das ist der Stellenwert unserer Vorschläge, wirkungsvolle politische Anstöße zu geben. Wir bitten deshalb nicht um eine kleinliche parteiliche Kontroverse mit den entsprechenden Eitelkeiten angesichts der Probleme und Gefahren, um die es geht. Lassen Sie uns gemeinsam - wir sind dazu bereit - Initiativen, die wir eingebracht haben, vielleicht auch mit einigen Anregungen von anderer Seite in den Ausschüssen beraten, um dann vielleicht eine gemeinsame Chance zur Lösung der Fragen zu suchen, die viele hoffnungslos machen! Vielen Dank. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Darf ich fragen, ob weiterhin das Wort zur Begründung gewünscht wird? - Das Vizepräsident Wurbs ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD kann wahrlich meisterlich sein, wenn es um den Versuch geht, die Öffentlichkeit zu verwirren, ({0}) den Geist zu vernebeln, ({1}) Sachverhalte zu verdrehen und dahinter die eigenen wahren Gedanken und Absichten zu verbergen. ({2}) Ihre Anträge sind teilweise Etikettenschwindel und daher überflüssig, weil zahlreiche Forderungen seit vielen Jahren unbestrittener Bestandteil unserer deutschen Rüstungskontrollpolitik sind. ({3}) Andere Empfehlungen sind überholt, weil die Außenminister der Atlantischen Allianz mit ihrer Washingtoner Erklärung über die Ost-West-Beziehungen vom 31. Mai erneut ein deutliches Signal ihrer Bereitschaft zur Verständigung und zum Ausgleich mit den Staaten des Ostens gesetzt haben. Allerdings haben sie sich dabei im Gegensatz zu Ihrer - der der SPD - spätestens in Afghanistan zusammengebrochenen Entspannungseuphorie erfreulicherweise an realistischer Entspannungspolitik und gleichzeitiger Beibehaltung einer notwendigen Verteidigungsfähigkeit orientiert. Schließlich aber enthält ein weiterer Teil Ihrer Initiative keine neuen, konstruktiven Vorschläge zur Friedenssicherung, sondern würde bei Realisierung zu einer Gefährdung unserer Sicherheit und Freiheit führen. Ich empfehle Ihnen deshalb: Verzichten Sie auf Ihre Anträge, kehren Sie zu einer Politik zurück, die uns Frieden und Freiheit bisher erfolgreich gesichert hat. ({4}) Schließen Sie sich also, Herr Kollege Ehmke, dem Antrag auf Drucksache 10/1674 an, den CDU/CSU und FDP zur Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik eingebracht haben. Für uns bleibt es bei den bewährten Zielen der Bundesregierung, einerseits Frieden in Freiheit durch ausreichende Verteidigungsfähigkeit zu sichern, ({5}) andererseits alle ihre Bemühungen fortzusetzen, über Abrüstung in Ost und West und durch gegenseitige Rüstungskontrolle zu einem Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau zu gelangen. So setzen wir uns mit der Bundesregierung dafür ein, daß die Kernwaffenstaaten Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages erfüllen und konkrete nukleare Abrüstungsmaßnahmen vereinbaren, daß die einseitig von den Sowjets abgebrochenen Verhandlungen über nukleare Rüstungskontrolle wiederaufgenommen werden und ein weltweites Verbot der chemischen Waffen erzielt wird. ({6}) Die Forderung der SPD dagegen, die Stationierung von atomaren Mittel- und Kurzstreckenraketen vor Wiederaufnahme der Verhandlungen über atomare Abrüstung zu stoppen, würde die massive Überlegenheit der Sowjets in Europa anerkennen und zementieren. Die UdSSR hätte damit ihr politisches Ziel erreicht und keinen zwingenden Grund, an den Verhandlungstisch für Verhandlungen über Kontrolle und Abrüstung zurückzukehren. Dies beweist nicht zuletzt die Tatsache, daß die Sowjets auf den bereits vollzogenen oder noch geplanten Abzug von 2 400 Nuklearsprengköpfen aus Westeuropa mit einer drastischen Aufrüstung durch SS-20 und sonstige Raketen geantwortet und sich eine Überlegenheit von 1 100 : 40 Flugkörpern gesichert haben. Das Interesse der Sowjets an wirklichen Abrüstungsgesprächen würde bei Übernahme der politischen Zielvorstellungen der SPD um so geringer sein, als die Sozialdemokraten bei ihrem wortbrüchigen Nein zum NATO-Doppelbeschluß bleiben, ({7}) unsere einseitige Aufgabe der nuklearen Abschrekkung fordern und zusätzliche Mittel für eine konventionelle Stärkung ablehnen. Worüber sollten die Sowjets eigentlich noch ernsthaft verhandeln wollen, wenn Sie obendrein bereit sind, das alliierte Konzept der Vorneverteidigung aufzugeben, und statt dessen den Einsatz von Reservisten-Jägerkompanien planen? Dann bricht die Glaubwürdigkeit unserer Verteidigungsbereitschaft in sich zusammen. Ihre hintersinnige Europawahl-Forderung nach einer autonomen Sicherheitspolitik Europas - läuft dies nicht alles auf eine faktische Aufkündigung unserer Mitgliedschaft in der NATO hinaus? ({8}) Wollen Sie Westeuropa von den Vereinigten Staaten wirklich abkoppeln ({9}) und damit dem SS-20-Ziel der Sowjets zum Erfolg verhelfen, ({10}) die Staaten Westeuropas durch die UdSSR politisch erpreßbar und uns darüber hinaus - mit Ihren sicherheitspolitischen Konzepten - militärisch wehrlos zu machen? Sagen Sie uns endlich, was Sie wirklich im Schilde führen! Warum übernehmen Sie eigentlich sowjetische Forderungen - schon in der NATO-Debatte und auch jetzt mit Ihrer Initiative - ohne jedweden Vorbehalt? ({11}) Denn was anderes als rein sowjetische Vorschläge stellen Ihre Vorschläge dar - ich weiß, daß Ihnen das unangenehm ist, weil es die Wahrheit ist -, ({12}) z. B. die britischen und französischen Nuklearwaffen einzubeziehen ({13}) und einen sofortigen beiderseitigen Stationierungsstopp vor die Wiederaufnahme der Verhandlungen zu schalten? Ist Ihr Verhalten schon der Erfolg der sowjetischen SS 20-Bedrohungspolitik, oder wollen Sie sich aus der Solidarität unseres Bündnisses lösen, nur um neue rote und grüne Wählerschichten gewinnen zu können? Beides wäre schlimm und verwerflich genug. ({14}) Ich kann Ihnen - ruhig Blut! - jedenfalls an einem Beispiel darstellen, welchen Eindruck Ihr Verhalten bei unseren Verbündeten erweckt. ({15}) Bei einem deutsch-amerikanischen Parlamentariertreffen vor einigen Wochen in Salzburg äußerte im Anschluß an die Darstellung der SPD-Verteidigungspolitik, an der auch Ihr Kollege von Bülow mitwirkte, ein amerikanischer Politiker zwar ironisch, aber doch vor ernstem Hintergrund sinngemäß: Ich glaubte bisher, daß die Gefahr für die Freiheit von der Sowjetunion ausgeht; nunmehr glaube ich allerdings, daß uns aus eigenen Verbündetenreihen noch größere Gefahren zuwachsen. ({16}) Lassen Sie mich hier wegen des Zusammenhangs auch gleich kurz auf Ihren Antrag zur Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten eingehen. Wir respektieren und begrüßen den aufrichtigen Wunsch der sechs Staaten - ich wundere mich, daß Sie Argentinien in ihrem schriftlichen Antrag, nicht in der Begründung, außen vorgelassen haben -, Kernwaffen zu kontrollieren und zu reduzieren. ({17}) Wir sehen darin das gemeinsame Bestreben, den Ausbruch eines Nuklearkrieges zu verhindern. Allerdings verbleiben wir aus den soeben dargestellten Sachgründen bei unserer Auffassung, daß Abrüstung den Vorrang vor dem Bestreben haben muß, die bestehenden Potentiale lediglich auf dem heutigen Stand einzufrieren. ({18}) Verhandlungen über ein überprüfbares Einfrieren unterliegen eben denselben Problemen hinsichtlich der dafür nötigen Kontrollmaßnahmen wie die Abrüstungsverhandlungen selbst. Ein bloßes Einfrieren würde deshalb zu einer erheblichen Verzögerung der dringend erforderlichen Reduzierungsmaßnahmen führen. Darüber hinaus würden bestehende Ungleichgewichte festgeschrieben und gerade damit die Chancen umfassender Abrüstungsmaßnahmen gefährdet. Nur dann, wenn Abrüstung Vorrang vor bloßem Einfrieren hat, würde dem auch von uns so dringend vorgebrachten Anliegen Rechnung getragen, einen eskalierenden Rüstungswettlauf zu verhindern und endlich zu konkreten Abrüstungsmaßnahmen zu kommen. Wir fordern deshalb die Sowjetunion auf, endlich an alle Verhandlungstische zurückzukehren und sich mit den konstruktiven Vorschlägen des Westens auseinanderzusetzen. ({19}) In diesem Zusammenhang sei ergänzend erwähnt, daß wir ausdrücklich das engagierte Eintreten der Bundesregierung für ein Zustandekommen der Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa begrüßen. Angesichts der im Jahre 1985 stattfindenden 3. Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen heben wir die Bedeutung einer möglichst universalen Geltung dieses Vertrages hervor und unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bestreben, weitere Staaten zum Beitritt zu ermutigen. Gleichzeitig weisen wir auf die Tragweite des Art. VI dieses Vertrages hin, der die Kernwaffenstaaten verpflichtet, in redlicher Absicht Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung zu führen. Die Fortsetzung der sowjetischen Weigerung, zu den Genfer INF- und START-Verhandlungen zurückzukehren, wäre mit dieser Verpflichtung unvereinbar. In Übereinstimmung mit Ihnen fordern wir die Bundesregierung auf, sich weiter für ein umf assen-des Verbot der Kernwaffenversuche einzusetzen. Allerdings ist angesichts der großen militärischen Bedeutung eines solchen Teststopps, der einer Partei wichtige militärische Vorteile bringen würde, falls unentdeckte Umgehungen nicht ausgeschlossen werden können, eine zuverlässige Verifikationsregelung unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen eines Verbotsabkommens. Was das Thema der chemischen Waffen angeht, so unterstützen wir mit unseren Anträgen nachhaltig das Engagement der Bundesregierung im Genfer Abrüstungsausschuß für ein weltweites nachprüfbares Verbot aller chemischen Waffen. Wir begrüßen den kürzlich von den Vereinigten Staaten eingebrachten Vertragsentwurf als einen konkreten und realistischen Beitrag zur Abschaffung einer gesamten Waffenkategorie. Wer das Ziel einer weltweit nachprüfbaren Abrüstung chemischer Waffen erreichen will, darf diesen Vorschlag nicht ablehnen, sondern muß sich in den Verhandlungen konstruktiv mit ihm auseinandersetzen. ({20}) Wir fordern deshalb die Sowjetunion zur Überprüfung ihrer ablehnenden Haltung auf und erwarten von ihr die Bereitschaft zur Zulassung von internationalen Inspektionen vor Ort sowie insbesondere auch die Bereitschaft zu deren Ausweitung auf Lager und Produktionsstätten. Die hilfsweise von der SPD geforderte C-waffenfreie Zone übersieht, daß selbst die Satellitenstaaten der UdSSR - einschließlich der „DDR" - chemische Kampfstoffe produzieren und die Sowjets jedwede Form der Kontrolle von Produktion und Lagerung ablehnen. Dies wiegt um so schwerer, als die Sowjets allem Anschein nach entsprechende Stoffe völkerrechtswidrig in Afghanistan eingesetzt und auf die vielfältigen Angebote des Westens zur Vernichtung aller C-Waffen bisher mit einem konstanten Nein geantwortet haben.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin, glaube ich, in der Zeit. - Bitte.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wilz, würden Sie es wie ich als einen Mangel empfinden, daß weder der sowjetische noch der amerikanische Botschafter Ihren Ausführungen folgen kann?

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissen Sie, ich halte beide für geistig in der Lage, meinen Ausführungen zu folgen. Sie werden dies auch rechtzeitig tun. Wir befürchten, daß eine chemiewaffenfreie Zone vom Atlantik bis zum Ural die Sicherheit nicht erhöht: Eine verläßliche Überprüfung der Vertragseinhaltung in einer solchen Zone würde die Probleme erheblich vergrößern, die in der Frage einer weltweiten Verifikationsregelung bestehen. Ein getarntes Einführen chemischer Kampfstoffe in eine solche Zone wäre kaum zu verhindern. Statt dessen erinnern wir an die vom Deutschen Bundestag einstimmig gefaßte Entschließung vom 3. Dezember 1982. CDU/CSU und FDP unterstützen nachhaltig die Bemühungen der Bundesregierung, einen Rüstungswettlauf im Weltraum zu verhindern. Wir bedauern, daß die Sowjets auch auf diesem Gebiet seit vielen Jahren durch Forschung, Entwicklung und Produktion bis hin zu Satellitenkillern vorgeprescht sind und die Vereinigten Staaten in Zugzwang gesetzt haben. Wir fordern die UdSSR nachdrücklich auf, in der Genfer Abrüstungskonferenz endlich an einer Arbeitsgruppe teilzunehmen, die die Möglichkeiten für eine weitere Begrenzung militärischer Aktivitäten im Weltraum untersuchen soll. Was die Frage der weltraumgestützen Anti-Raketen-Verteidigung betrifft, begrüßen wir die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, im Interesse der Sicherheit aller Staaten mit der Sowjetunion die Auswirkungen von Raketen-Abwehrsystemen zu erörtern. Man sollte meines Erachtens bei dieser Problemstellung trotz mancher Zweifel nicht ganz von der Hand weisen, daß der Aufbau solcher Systeme Nuklearwaffen völlig überflüssig machen und einem potentiellen Angreifer vor Augen führen könnte, daß jede Form eines Raketenangriffs von vornherein sinnlos würde. Auch sollte beachtet werden, daß es sich um für einen Angriff völlig ungeeignete Defensivwaffen handeln könnte, die nicht gegen Menschen gerichtet sind. Wir fordern die Sowjetunion mit allem Ernst und Nachdruck auf, endlich einzusehen, daß der Westen niemals angreifen wird, daß deshalb ihre militärische Überlegenheit und ständige Auf- und Vorrüstung unnötig, zutiefst mißtrauensbildend und für die gesamte Welt sicherheitsgefährdend sind. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aber rufe ich auf: Sehen Sie den Realitäten ins Auge! Ordnen Sie Ursachen und Wirkungen richtig ein! ({0}) Sorgen Sie mit dafür, daß in unserem Volk die Tatsachen richtig eingeschätzt werden! Kehren Sie endlich zurück zu einer gemeinsamen Basis unserer Sicherheitspolitik! Ich bedanke mich, Herr Kollege Ehmke. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die scharfsinnigen wie nüchternen und kühlen Ausführungen meines Kollegen Vorredners machen es mir leicht, mich ausschließlich auf die in den Anträgen der GRÜNEN angesprochenen Rüstungskontrollen der WEU zu beschränken. Mit Eintritt in die WEU hat sich die Bundesrepublik Deutschland vor über 30 Jahren zu bestimmten Rüstungskontrollen und -beschränkungen verpflichtet. Die meisten Verpflichtungen sind von 1958 bis 1980 bei zehn Gelegenheiten vom WEU-Ministerrat aufgehoben worden. Geblieben ist das Verbot zur Herstellung von ABC-Waffen. Seine Abschaffung wäre auch nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag möglich. In den letzten vier Jahren hat die Beratende Versammlung der WEU mehrfach empfohlen, die verbliebenen Beschränkungen im Bereich der Produktion konventioneller Waffen aufzuheben. Dabei spielen Interessen an einer stärkeren Rüstungskooperation eine Rolle. Aber gewiß ist in diesen Empfehlungen der WEUParlamentarier auch zum Ausdruck gekommen, daß die Bundesrepublik im westlichen Bündnis zunehmend Vertrauen gefunden und aus der Sicht ihrer Verbündeten den Anspruch auf Gleichbehandlung erworben hat. Aus diesen letzten Gründen haben die SPD-Mitglieder in der WEU-Versammlung bei den Abstimmungen über die Empfehlung entweder nicht teilgenommen oder sich der Stimme enthalten. ({0}) Diese Haltung schien uns der Verantwortung vor unserer Geschichte gerecht zu werden. Ich halte es für müßig, darüber zu streiten, ob diese Rüstungsverbote eine Diskriminierung der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Tatsache ist, daß sie die Folgen des vom Deutschen Reich begonnenen und verlorenen Zweiten Weltkriegs sind. Zu Recht hat der Bundesaußenminister in seiner Rede vor der WEU, die übrigens im großen und ganzen ganz ordentlich war, darauf hingewiesen, daß der Beitritt der Bundesrepublik zur WEU z. B. die Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Erlangung der Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland ermöglichte. Damals betrachtete man die Rüstungskontrollen als Gegenleistung oder als historische Lehren aus einer militaristischen Vergangenheit, die in das Verbrechen des Zweiten Weltkrieges geführt hatte. Der Zusammenhang zwischen diesem Verbrechen und seinen Folgen ist zu schwer und zu schwierig, als daß man sich mit seiner Benennung als Diskriminierung freisprechen könnte. Vor der WEU-Versammlung hat der Außenminister die Rüstungskontrollen als „Diskriminierung" bezeichnet. Ich zitiere aus seiner Rede: Deshalb ist die Aufhebung dieser Bestimmungen eigentlich mehr als nur eine Selbstverständlichkeit. Es ist eine Notwendigkeit für unsere Zusammenarbeit. Ob man etwas darf und ob man es tut, sind zwei verschiedene Dinge. Aber dürfen wollen wir schon. Ob wir es tun, ist eine ganz andere Frage. Einfluß auf die Waffenexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland wird das überhaupt nicht haben. ({1}) Meine Frage an die Regierungsvertreter ist, ob sie es wollen dürfen und ob sie es tun werden. Ich meine, die Produktion von Raketen größerer Reichweite und von strategischen Bombern in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe dem Außenminister der Bundesrepublik diese Frage vor der internationalen Versammlung in der französischen Hauptstadt nicht gestellt. Aber ich stelle sie hier vor dem Deutschen Bundestag, und ich kann eine klare und faire Antwort erwarten: Geht es für die Bundesregierung nur um die Aufhebung dessen, was sie als Diskriminierung versteht, oder geht es um eine neue Runde in der Aufrüstung durch konventionelle Waffen? Sind Presseberichte in der taz zutreffend, daß die Firma MBB mit einem französischen Rüstungsunternehmen ({2}) einen Lenkflugkörper LKF 90 ANS produzieren will, der eine Reichweite von 200 km haben soll? Ist es richtig, daß dieselbe Firma in einer deutschbritisch-amerikanischen Gemeinschaftsproduktion eine Rakete größerer Reichweite mit der Bezeichnung LR-SOM herstellen will? ({3}) Ist die Bundesregierung darüber informiert? Wird sie die nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erforderlichen Genehmigungen erteilen? Und hat dies alles bei ihren Bemühungen, sogenannte Diskriminierungen aufzuheben, eine Rolle gespielt? So frage ich die Regierungsbank. Eine Bundesregierung, die mit Saudi-Arabien eine verteidigungspolitische Zusammenarbeit vereinbart und Waffen in die explosivste Region der Weltpolitik liefern will, ({4}) steht schon in dem allgemeinen Verdacht, der Produktion von Raketen und strategischen Bombern gegenüber auch aus Exportgründen aufgeschlossen zu sein. ({5}) Es gibt aber auch einen konkreten Anlaß, danach zu fragen. Die Bundesregierung weiß, daß in der Vergangenheit zwischen Vorstandsmitgliedern der Dynamit Nobel AG und ägyptischen Offizieren über die Entwicklung einer Langstreckenrakete, Typenbezeichnung LORM, verhandelt worden ist. Und der Kollege Feldmann von der FDP hat dazu zwei Fragen an die Bundesregierung gerichtet, die mit vagen Formulierungen beantwortet worden sind. Ich wiederhole diese Fragen und frage zusätzlich: Ist die Bundesregierung bereit, klipp und klar zu erklären, daß sie die Produktion dieser Langstrekkenraketen nicht genehmigen wird und daß sie auch die Genehmigung für den Verkauf von Konstruktionsplänen nicht erteilen wird? ({6}) Auf Ihrem Essener Parteitag hat die SPD eine neue Militärstrategie des Bündnisses vorgeschlagen. ({7}) die wirksamer zur Kriegsverhütung beitragen kann als die zur Zeit geltende. ({8}) Wir haben gefordert, die konventionelle Rüstung schrittweise auf eine Defensivstruktur im Sinne einer strukturellen Nichtangriffsfähigkeit umzustellen. Eine solche Umrüstung würde die Warschauer Vertragsorganisation bei einem konventionellen Angriff mit einem untragbaren Risiko belasten und dadurch abschrecken. Sie würde aber auch den Staaten Sicherheit gewähren, die uns aus ihrer Perspektive als den möglichen Angreifer betrachten. ({9}) Für eine solche neue und zur bisherigen alternative Strategie können weiterreichende Abstandswaffen durchaus notwendig sein, deren Produktion der Bundesrepublik bisher durch die WEU-Bestimmungen verboten war. Andererseits war der BunGansel desrepublik auch bisher die Produktion bestimmter Waffen erlaubt, die durchaus auf der Basis einer Offensivstrategie als Offensivwaffen einzustufen gewesen wären. Ich will damit deutlich machen, daß ein großer Teil der WEU-Kontrollbestimmungen durch die Strategie-Diskussion und die waffentechnologische Entwicklung obsolet geworden ist. Ich will aber zugleich und in aller Eindringlichkeit für die SPD-Fraktion erklären: Erstens. Konventionelle Abstandswaffen mit einer Reichweite über 70 km sind für uns eine Alternative zu den nuklearen Gefechtswaffen und nuklearen Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite und möglicherweise auch zu bestimmten Kriegsschiffstypen. Im Unterschied zum WEU-Vertrag, der sich auf „Flugkörper großer Reichweite und Lenkflugkörper" bezieht, spricht der zweite Antrag der GRÜNEN - Drucksache 10/1685 - von „weiterreichenden Raketen". Diese Differenzierung ist sinnvoll. Sie eröffnet Möglichkeiten, die unseren Überlegungen entsprechen. Zweitens. Die Bundesregierung wird aber auf unseren Widerstand stoßen, wenn sie nicht alternativ, sondern zusätzlich zu atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen jetzt auch noch mit weiterreichenden konventionellen Waffen aufrüsten will. ({10}) Drittens. Wir lehnen Produktion und Besitz von strategischen Raketen und strategischen Bombern ab, die die Sowjetunion erreichen können. Viertens. Wir lehnen jede Strategie und Bewaffnung ab, die von den anderen osteuropäischen Staaten als Gefahr eines begrenzten konventionellen Angriffskrieges empfunden werden kann. Fünftens. Wir lehnen jede Entwicklung und Produktion von weiterreichenden Waffen auch zu Zwecken des Kriegswaffenexportes ab. Wir werden nach der Sommerpause die Konsequenzen aus der undurchsichtigen Haltung der Bundesregierung ziehen und durch Novellierungsanträge zum Kriegswaffenkontrollgesetz Klarheit schaffen. Die Bundesregierung kann schon jetzt einen Beitrag dazu leisten und die Bundesrepublik vor internationalen Mißverständnissen und Verdächtigungen schützen, indem sie hier verpflichtend erklärt, daß sie von den durch die Änderung des WEU-Protokolls eröffneten Möglichkeiten zur Produktion weiterreichender Raketen und strategischer Bomber keinen Gebrauch machen werde. Meine Damen und Herren, nachdem Willy Brandt im vergangenen Jahr ein Wort Kennedys aufgenommen und von der Stärkung der europäischen Säule gesprochen hat, hat diese Vokabel auch Eingang in den Sprachgebrauch der Bundesregierung gefunden. Wir haben damit die Stärkung der politischen Kraft Westeuropas gemeint, ein selbstbewußteres Auftreten innerhalb der NATO gegenüber unserem amerikanischen Verbündeten, aber auch gegenüber der Sowjetunion. Das war die Erfahrung aus dem deprimierenden Ausgang der Genfer Mittelstreckenraketenverhandlungen, bei denen die Supermächte über das Schicksal Europas verhandelten, ohne daß die europäischen Staaten in Ost und West die Kraft und den Willen hatten, daran mitzuwirken. Wenn die Bundesregierung jetzt meint, die politische Konsequenz bestünde in mehr Gremienbürokratie, mehr Rüstungskooperation und konventioneller Aufrüstung - und das alles unter der Überschrift „Revitalisierung der WEU" -, so ist das nicht unsere Meinung. ({11}) Wir stehen einer Belebung und Stärkung der WEU grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber. Sie kann ein Beitrag zur Selbstbehauptung Europas sein. Wir verlangen dafür aber ein politisches und kein bloß militärisches Konzept. ({12}) Sollte die WEU zum institutionellen Instrument der Umsetzung des Rogers-Planes werden, so würde sie damit nicht belebt, sondern mißhandelt werden. Wir werden auch nicht dulden, daß dieses unter dem Mantel eines konservativen Antiamerikanismus geschieht, und zwar nach dem Motto: Rüsten, wie Rogers es sagt, aber mit westeuropäischen Waffen und mit dem Ziel der militärischen und politischen Desintegration der NATO. Nach der Debatte von heute morgen füge ich, ebenfalls als persönliche Bemerkung, ({13}) hinzu: auch nicht unter französischem Atomschirm. ({14}) Meine Damen und Herren, wir halten es für notwendig, daß über die Bedeutung der WEU für eine europäische Friedensordnung eine breite Diskussion beginnt. Die beiden Anträge der GRÜNEN können dafür ein Anlaß sein. Wir beantragen deshalb Überweisung an die Ausschüsse. Bestehen die GRÜNEN auf einer Abstimmung, so werden wir folgendermaßen verfahren. ({15}) Der Antrag auf Drucksache 10/1624 kann nur abgelehnt werden, weil er ein Verfahren vorschlägt, das so nicht Sinn hat. Was die GRÜNEN wollen, würde eine neue völkerrechtliche vertragliche Verpflichtung bedeuten. Das entspricht auch nicht dem, was ich eben im einzelnen vorgetragen habe. Was den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1685 betrifft, so können wir ihm auf der Grundlage meiner Erklärung zustimmen. Ich halte es aber für besser wenn wir beide Anträge gründlich in den Ausschüssen beraten. Ich habe gerade gesehen, daß von der FDP eine Erklärung gekommen ist, in der die Abgeordneten Hirsch und Feldmann fordern, daß die Bundesre5708 gierung sich verpflichtet, keine strategischen Bomber zu produzieren. ({16}) Ich weiß nicht, ob das nur eine Erklärung für die letzten Liberalen in der FDP oder eine Erklärung für eine ganze Koalitionsfraktion ist. Diese Erklärung ist ein Ansatz. Ich muß den Kollegen Feldmann allerdings fragen, ob es ein Zufall ist, daß die strategischen Raketen dabei nicht erwähnt worden sind. Von seiten der Union fehlt eine solche Erklärung ganz. Wenn Sie vorhin einen allgemeinen Antrag zur Rüstungskontrolle eingebracht haben, so könnte es hier konkret werden. Wenn all das stimmt, was der Bundesaußenminister und andere öffentlich über die Konsequenzen der Aufhebung der WEU-Bestimmung erklärt haben, müßten Sie eigentlich auch in der Lage sein, dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen. Daß er gerade von den GRÜNEN gekommen ist, sollte kein Anlaß sein, nein zu sagen, wenn es - das möchte ich zu später Stunde noch einmal ganz ernst sagen ({17}) darum geht, ein Stückchen von unserer Geschichte wirklich zu bewältigen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({18})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gansel, wenn ich das richtig verstanden habe, ist der erste Antrag der Fraktion der GRÜNEN durch den zweiten Antrag in Drucksache 10/1624 mit dem Zusatz „neu" überholt. Zu der Presseerklärung der Abgeordneten Feldmann und Hirsch werde ich nachher noch Stellung nehmen. Wir sind ja heute nacht hier wieder in kleiner, vertrauter Runde. Es ist uns aber doch sehr bewußt, daß wir die Fragen der Sicherung des Friedens hier ausführlich diskutieren müssen und daß diese Fragen wie kaum ein anderes Thema in der Öffentlichkeit breit, offen und kontrovers diskutiert werden. Unsere Bürger haben dabei nicht nur die eigene Sicherheit im Auge, sondern sie haben ein hohes Maß von Sensibilität für die Sicherheitsbedürfnisse anderer Staaten entwickelt. Die Art und Weise, wie diese Diskussion geführt wird, ist ein eindrucksvoller Beweis, wie tief der Friedenswille in unserer Bevölkerung verwurzelt ist. Auch die Sowjetunion sollte daher an diesem Friedensengagement erkennen, daß von unserer demokratischen Gesellschaft keine Bedrohung für sie ausgeht. ({0}) Sie hat daher allen Grund, das übertriebene Sicherheitsbedürfnis, das eine Ursache des Wettrüstens ist, abzubauen. Ein Staat, dessen Bürger so glaubwürdig ihren Friedenswillen bekunden, kann nicht als Bedrohung empfunden werden. ({1}) Die breite öffentliche Diskussion dieses Themas sollte aber auch für uns im Parlament ein Beispiel sein, die zentralen Fragen der Friedenssicherung immer wieder vorurteilsfrei und offen zu diskutieren. Niemand, Herr Kollege Scheer, will die totale Konfrontation und kleinliches Parteigeplänkel in dieser Frage. Meine Damen und Herren von der SPD, der Antrag der Koalition liegt auf der Linie der Entspannungspolitik, die wir Liberale zusammen mit Ihnen in den letzten Jahren praktiziert haben. Unser Antrag zeigt, daß die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung auch in dieser Regierung mit der gleichen Intensität fortgeführt werden. Die SPD-Fraktion, Herr Kollege Ehmke, fordert in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, die USA zu Verhandlungen über die Weltraumwaffen zu drängen. Ich glaube, diese Aufforderung ist nicht notwendig. Der Bundesverteidigungsminister hat gegenüber den US-Plänen nicht nur in Cesme deutlich seine Bedenken angemeldet, und auch der Vorstoß des Bundesaußenministers in Washington, der sofort danach erfolgte, zeigt, daß es dieser Aufforderung durch die Opposition nicht bedarf. ({2}) Für meine Fraktion habe ich diese Pläne sehr entschieden abgelehnt und tue dies auch heute. Abgesehen von den irrsinnigen Kosten eines Antiraketensystems besteht auch die Gefahr, daß sich auf der Grundlage der Weltraumrüstung innerhalb der NATO Zonen unterschiedlicher Sicherheit entwikkeln. Mein Koalitionskollege Wilz hat schon darauf hingewiesen, daß wir in unserem Antrag die Sowjetunion auffordern, ihren Widerstand gegen die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe in der Genfer Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen aufzugeben, die Möglichkeiten der Rüstungskontrolle im Weltraum prüfen soll. Wo verhandelt wird, ist zweitrangig. Hauptsache, es wird verhandelt, und zwar mit dem intensiven Willen, bald zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Ich glaube aber, daß in multilateralen Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen größere Chancen liegen können; denn schließlich ist j a von der Rüstung im Weltall die Sicherheit vieler Staaten bedroht. Ich fühle mich in dieser Frage durch eine in die gleiche Richtung zielende heutige Aufforderung der neutralen Staaten bestätigt. Herr Kollege Scheer, Ihre Feststellung ist leider nicht ganz unrichtig. Der Abrüstungsdialog zwischen Ost und West ist auf vielen Gebieten zum Stillstand gekommen. Aber von totalem Stillstand kann wirklich nicht die Rede sein. Wir haben nach wie vor die MBFR-Verhandlungen, zugegeben: mit bisher mäßigem Erfolg. Bei den Genfer Gesprächen über ein C-Waffen-Abkommen - das werden Sie bestätigen - sind erste Annäherungen erzielt worDr. Feldmann den, und ein Abkommen scheint mir durchaus möglich zu sein. Die KVAE ist ein weiteres wichtiges Forum für den Prozeß der Entspannung. Meine Damen und Herren von der Opposition, auch diese Bundesregierung läßt nichts unversucht, das Zustandekommen von Vereinbarungen zu fördern und Gesprächsfäden dort, wo sie abgerissen sind, wieder aufzugreifen. Herr Kollege Wilz, Sie haben bereits die Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten begrüßt. Diese Initiative stellt auch eine interessante neue Variante im Nord-Süd-Dialog dar. Ihre Forderung nach einem Stopp für atomare Tests und Freeze sind mir nicht ganz unverständlich. Denn niemand kann bestreiten, daß die Atomwaffenarsenale auf beiden Seiten bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Meines Erachtens aber kann Freeze nur dann sinnvoll sein, wenn von vornherein ein Zeitlimit gesetzt wird, so daß keine Hoffnungen geweckt werden, durch Freeze einseitige Überlegenheit festigen zu können. Freeze, meine Damen und Herren, gibt es nur global. Lassen Sie mich zur Forderung nach einem Abkommen über einen Stopp für atomare Tests noch einiges sagen. Immer neue Runden des Wettrüstens sind auch eine Folge davon, daß die Forschung und Entwicklung neuer Waffensysteme praktisch kein Thema der Rüstungskontrolle ist. Auch bei einigen geltenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen ist das Verbot der Forschung ausgeklammert worden. Das gilt sowohl für das B-Waffen-Übereinkommen wie auch für den ABM-Vertrag. Ohne diese Unterlassung wäre unsere heutige Diskussion über ein mögliches Wettrüsten im All vielleicht überflüssig. Es scheint ein geradezu zwanghafter Drang zu bestehen, den technologischen Fortschritt auch waffentechnisch umzusetzen. Das Ergebnis sind nicht nur intelligente Waffen, sondern auch Waffensysteme, die das System der gegenseitigen Abschreckung destabilisieren. Deshalb ist die Forderung nach einem Abkommen über einen Stopp für atomare Tests vernünftig. Erst durch fortgesetzte unterirdische Atombombenversuche wird eine Weiterentwicklung und Verfeinerung dieser Waffen möglich. Noch ein Wort zum Teststoppabkommen, das auch die unterirdischen Versuche umfaßt. Es muß überprüfbar sein. Es darf nicht sein, daß eine Macht heimlich weiterforscht und experimentiert und daraus einseitige Vorteile zieht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch die seismologische Forschung Fortschritte gemacht hat. Die Seismologen sind heute in der Lage, unterirdische Atomwaffentests von Erdbeben zu unterscheiden. Es sollte daher zumindest in absehbarer Zeit möglich sein, die Einhaltung eines umfassenden Testverbotes durch ein globales Netz seismologischer Stationen unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu überprüfen. Jetzt ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Gansel. Es freut mich, daß Sie anerkannt haben, daß unser Außenminister vor der WEU eine ordentliche Rede gehalten hat. Ich nehme an, das wußten Sie schon vorher: Wir haben weiterhin einen guten Außenminister. ({3}) Die seit gestern aufgehobenen Rüstungsbeschränkungen der WEU hatten den Sinn, das Wiedererstarken einer deutschen Militärmacht nach dem Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Diese Beschränkungen waren Relikt geworden; denn von unserer Politik geht keine Bedrohung für andere Länder aus. Es ist in diesem Zusammenhang sicher erwähnenswert, daß die Bundesrepublik bereits freiwillig auf Besitz und Produktion von A-, B- und C-Waffen verzichtet hat. Ich begrüße sehr, daß die Bundesregierung heute auf meine Anfrage erklärt hat - jetzt, Herr Kollege Gansel und meine Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN, darf ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten -, sie beabsichtige nicht die Herstellung von Raketen und Bombern für strategische Zwecke. ({4}) - Ich freue mich über Ihren Beifall. - Damit dürfte Ihre Frage, Herr Kollege Gansel, und auch Ihr Antrag, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, gegenstandslos sein. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, doch, ja, sehr gern, Herr Kollege Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Feldmann, haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Bundesregierung Ihnen nicht diese Antwort gegeben hat, als Sie nach den Absichten der Dynamit Nobel AG gefragt haben, zusammen mit der ägyptischen Regierung eine Langstreckenrakete zu konstruieren?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Gansel, Sie haben meine Presseerklärung bereits zitiert. Diese Erklärung war heute vormittag abgegeben worden. Die Antwort der Bundesregierung habe ich erst vor vier Stunden erhalten. Es ist ein rein zeitlicher Verzug, der diese Angelegenheit erklärt.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kelly?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Lassen Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen mehr zu?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich komme sonst mit meiner Zeit nicht mehr hin, Herr Präsident. Ich bitte, keine weiteren Zwischenfragen mehr zu stellen. Ich denke, dieser Verzicht, Herr Kollege Ehmke und Herr Kollege Gansel, ist ein überzeugender und vorbildlicher Beitrag zur Vertrauensbildung. Darüber sind wir uns doch sicher einig. ({0}) Ich darf zum Schluß noch feststellen, daß die FDP-Fraktion das engagierte Eintreten der Bundesregierung für das Zustandekommen der KVAE in Stockholm begrüßt. Diese Konferenz ist ein sichtbares Ergebnis der Entspannungspolitik in Europa. Aber noch ein Wort zum Gewaltverzicht, der in diesem Zusammenhang erörtert wird. Was soll ein Gewaltverzicht, der nicht mehr beinhaltet als das, was bereits in der UN-Charta festgeschrieben ist? Lassen Sie mich dazu wiederholen, was der Bundeskanzler im Juli 1983 in Moskau und der Bundesaußenminister zu Beginn der KVAE in Stockholm in diesem Jahr hierzu erklärt haben: Eine erneute verbindliche Bekräftigung des Gewaltverbots kann zu einer Verbesserung der internationalen Lage beitragen, wenn dadurch die Gewaltanwendung konkret verhindert wird, Gewaltanwendung dort, wo sie andauert, beendet wird. Ich möchte mit diesen Worten schließen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu den Anträgen der SPD und der CDU/CSU nur insoweit etwas sagen - die Anträge werden ja alle an die Ausschüsse überwiesen und dort behandelt; insofern brauchen wir das hier nicht so ausführlich debattieren -, als ich darauf aufmerksam machen will: Der NATO-Solidaritätsresolution der CDU/CSU-Fraktion werden wir selbstverständlich nicht zustimmen. Das ist Ihnen klar. Dem SPD-Antrag „Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten" stehen wir positiv gegenüber. Auch das ist bekannt, nicht zuletzt auf Grund der Mitarbeit von Mitgliedern unserer Fraktion. Den anderen Antrag können wir leider nur ablehnen, obwohl er positive Elemente beinhaltet wie das Teststoppabkommen und ähnliches mehr. Gleichzeitig enthält er aber doch eine Festlegung auf die geltende NATO-Doktrin. Daß wir das nicht mitvollziehen, ist Ihnen auch bekannt. Ich will aber jetzt zu unseren beiden Anträgen etwas sagen, die wirklich mit Konsequenzen verbunden sind. Da die anderen Anträge eigentlich nur dazu dienen, sich noch einmal so ein bißchen zu bestätigen, aber keine unmittelbaren Konsequenzen haben, will ich mich nur mit dieser WEU-Sache befassen. Herr Staatsminister Möllemann hat am 8. Juni dieses Jahres in Beantwortung einer schriftlichen Frage von mir ausgeführt - ich zitiere: Eine Beseitigung dieser anachronistischen Verbote - gemeint sind diese Rüstungsbeschränkungen in der WEU - ist aus der Sicht der Bundesregierung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer aktiven deutschen Mitwirkung bei den Bemühungen um eine Belebung der WEU als europäischen Pfeiler des Nordatlantischen Bündnisses. ({0}) Das heißt mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat den WEU-Staaten gesagt: erteilt uns die Erlaubnis, künftig weitreichende Raketen und strategische Bomber produzieren zu dürfen, dann arbeiten wir mit euch sicherheitspolitisch auch enger zusammen. Wenn man das noch kürzer ausdrückt, würde man das als politische Erpressung bezeichnen, obwohl man in diesem Punkt etwas vorsichtig sein muß mit dem Begriff der politischen Erpressung; denn es ist nicht so, daß sich alle anderen WEU-Staaten dazu haben erpressen lassen müssen. Es gibt ein wohlweisliches Interesse auch anderer WEU-Staaten daran, daß die Bundesrepublik das Recht auf Herstellung strategischer Bomber und weitreichender Raketen erhält. Staatsminister Möllemann hat in seiner Antwort weiter gesagt, die geplante Aufhebung der WEURüstungsbeschränkung stünde in keinem Zusammenhang mit konkreten Rüstungsvorhaben. Und wörtlich: „Die Bundesregierung beabsichtigt nicht die Produktion von strategischen Bombern und Raketen." Das ist das, was Herr Feldmann eben auch noch einmal aus einer Antwort wiederholt hat, die Herr Möllemann ihm heute offensichtlich auch noch einmal gegeben hat. Ich muß allerdings sagen, daß ich diese Änderung nicht unbedingt ernst nehme; ({1}) denn sein Amtskollege Staatsminister Mertes hat auf eine entsprechende gleiche Frage von mir im Auswärtigen Ausschuß geantwortet, daß er per futurum keine Versicherung geben könne, ob denn nicht in der Bundesrepublik doch weitreichende Raketen und strategische Bomber produziert würden. Wer von Ihnen vor sechs Tagen, am 22. Juni, die FAZ gelesen hat, der konnte dort zitiert finden, daß sich auch der Bundesaußenminister, Herr Genscher, dahin gehend geäußert hat, daß die Frage der Herstellung von diesen Raketen und Bombern nicht mit dieser Aufhebungsgeschichte zusammenhänge, daß es aber eine andere Frage sei, ob die Bundesrepublik diese Waffensysteme auch produzieren wolle. So steht es zumindest in der FAZ vom 22. Juni dieses Jahres. Ich denke, es ist wenig glaubhaft, daß man uns diesen Antrag auf Anhebung der WEU-Rüstungsbeschränkung quasi nur als eine Art juristische Selbstbefriedigung der Bundesregierung und der Bundesrepublik verkaufen möchte und so tun will, als ob das nun überhaupt keine Konsequenzen habe. Konsequenzen und Überlegungen praktischer Art hat es auch schon bislang in diesem Bereich gegeben. Dazu werde ich gleich etwas sagen. Ich möchte vorweg eins zu dem Gerede von der Diskriminierung sagen. Das Gerede von der Beseitigung von Diskriminierungen im Rüstungsbereich, denen die Bundesrepublik unterliegt, ist nach unserer Auffassung erstens absolut unerträglich in einer derart überrüsteten Welt, wie wir sie haben. ({2}) Es ist zweitens absolut absurd, hier von Aufhebung von Diskriminierungen zu sprechen, wenn man weiß - Herr Gansel hat dazu etwas ausgeführt -, daß diese WEU-Festlegung damals aus der Überlegung heraus erfolgt ist, daß man ein Wiedererstarken eines militärisch großmächtigen Deutschland damit verhindern wollte. Das beinhaltet drittens eine ganz gefährliche Logik, denn wenn man davon spricht, dann ist es zumindest immanent logisch, daß man auch irgendwann einmal davon anfangen könnte zu sprechen, daß es eine Diskriminierung sei, daß sich die Bundesrepublik auf einen Nichtbesitz und eine Nichtmitverfügung über Atomwaffen eingelassen habe. Da könnte logischerweise genau das gleiche Argument gelten. Wer die Meinungen von Herrn Mertes und Herrn Dregger vor einigen Wochen in der „Zeit" dazu gelesen hat, wer das gelesen hat, was Herr Todenhöfer neulich noch dazu gesagt hat, der weiß: In der CDU/CSU sind einige wieder dabei, den Griff zur Atomwaffe auszubauen. ({3}) Die wollen das, das weiß man. Wir müssen gewärtig sein, daß die Logik auch darauf angewandt wird. Ich will folgendes zu den Konsequenzen sagen. Dieser Beschluß wird Konsequenzen haben. In gewisser Weise wird er auch eine Entwicklung legalisieren, die längst angefangen hat. Erstens. Dieses Beispiel hat Norbert Gansel schon angesprochen. Ich will es aber trotzdem der Vollständigkeit halber erwähnen, zumal Sie sich sehr darüber empört haben, daß sich Norbert Gansel dabei auf die „taz", auf die „tageszeitung" bezogen hat. ({4}) Es gibt bereits seit Mai 1984 ein Memorandum of Understanding zwischen der französischen und der Bundesregierung über die Entwicklung eines Seezielflugkörpers ANS für die 90er Jahre. Ich zitiere jetzt nicht die „tageszeitung", sondern die Zeitschrift „Aviation Week and Space Technology" - die werden Sie für Ihre Kreise vielleicht als seriöser ansehen als die „tageszeitung". Die schrieb zu diesem ANS-Projekt in ihrer Ausgabe vom 21. Mai dieses Jahres: „Development work is under way." Beteiligt hieran sind Messerschmitt Bölckow Blohm und Aérospetiale aus Frankreich. Dieser Seezielflugkörper soll eine Reichweite von 200 km haben. Unter anderem deswegen hat die Bundesregierung die WEU-Rüstungsbeschränkung aufheben lassen, denn diese haben nur eine maximale Reichweite von 70 km für maritime Lenkflugkörper in deutscher Herstellung erlaubt. Wir haben Informationen erhalten, ({5}) daß für die Beschaffung dieser Rakete ANS mit 200 km Reichweite ab Mitte der 90er Jahre bereits rund 2,8 Milliarden DM vorausberechnet sind. ({6}) Zweitens. Es gibt bereits ein Memorandum of Understanding zwischen der US-amerikanischen, der britischen und der Bundesregierung über eine gemeinsame Konzeptphase einer Abstandsrakete für den Tornado, die nach den Vorstellungen des Bundesverteidigungsministeriums eine Reichweite von 40 bis 120 km haben soll, also auch oberhalb der bislang gegoltenen Reichweitengrenze für deutsche Produktion liegt. Nach amerikanischer Vorstellung sollte dies weitaus mehr sein. Das kann man in der Mai-Ausgabe der „Wehrtechnik" dieses Jahres nachlesen. Für die Produktion haben ebenfalls zwei Konsortien, das eine mit Beteiligung von MBB, das andere mit Beteiligung von Dornier, ihr Interesse angemeldet, und in der bereits erwähnten Ausgabe von „Aviation Week and Space Technology" wurde unter anderem der CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Rühe - da sitzt er - mit dem Satz zitiert: We must have Long Range Stand off Missile or change all of our operational plans for the Tornado. Auf deutsch, damit es auch der Bundeskanzler anschließend im Protokoll lesen kann: Wir müssen diese weitreichenden Abstandsraketen haben oder unsere gesamten operationellen Konzepte für den Tornado ändern. Sie wollen sie haben. Wir haben zu diesem Projekt die Information erhalten - das sage ich auch hier im Anhang -, daß für die Beschaffung von 500 dieser Abstandsraketen in den 90er Jahren rund 1,5 Milliarden DM bereits vorausberechnet worden sind. Hinzuzufügen ist im übrigen, daß diese Waffe für die offensive Luftangriffsführung geeignet ist, wie sie sich aus dem Air/Land-Battle-Konzept ergibt. Drittens. Die deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, DFVLR, arbeitet im baden-württembergischen Lampoldshausen an der Entwicklung von eigenen Marsch-Flugkörpern großer Transportleistung in Zusammenarbeit mit den Rüstungsfirmen MBB und Rheinmetall. Das Bundesverteidigungsministerium unterstützt die Forschungsarbeit der DFVLR in diesem Haushaltsjahr mit 56,7 Millionen DM. Zusätzlich erhält die DFVLR noch 4,4 Millionen DM aus baden-württembergischen Landesmitteln. Ein viertes und letztes Beispiel in dieser Serie: Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch noch einmal an die ominöse Gesellschaft OTRAG, die nach verschiedenen Informationen in den 70er Jahren auf einem riesigen Gelände in Zaire, so groß wie das Gebiet der DDR, Mittelstreckenraketen und Cruise missiles entwickelte und erprobte, die nach eigenen Angaben eine Reichweite bis zu 1 000 Kilometer haben sollten. Ein Korrespondent der The New York Times behauptete damals, daß die Rü5712 stungsfirmen MBB und Dornier etwas mit dieser OTRAG zu tun hätten. Sicher ist zumindest, daß die OTRAG als Abschreibungsgesellschaft umgeleitete Steuergelder in erheblichem Umfang kassiert hat und daß die mit der OTRAG verquickte Stuttgarter Firma Technologie-Fosschung zumindest in den Jahren 1972 bis 1974 14,6 Millionen DM aus dem Bundesforschungsministerium für Raketenstudien erhielt. Auch diese schon vor Jahren getätigten Raketenentwicklungen können jetzt durch die Aufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen eine ungeahnte Wiederbelebung erhalten und brauchen sich dann vor allen Dingen nicht mehr in Zaire zu verstecken, sondern können zukünftig auch hier in der Bundesrepublik stattfinden. Jetzt möchte ich an dieser Stelle - ich muß mich hier wohl sowieso kürzer fassen - doch ein paar Worte zu Herrn Gansels Ausführungen sagen. Ich begrüße es ja sehr, daß die SPD unseren zweiten Antrag, womit zumindest eine verpflichtende Erklärung der Bundesregierung eingefordert wird, befürworten will. ({7}) - Ich sage an dieser Stelle gleich: Wir wollen es abstimmen lassen. ({8}) - Benehmen Sie sich hier doch nicht immer wie ein Sack voll Knallerbsen! Gehen Sie dann heraus in eine Kneipe oder ins Restaurant oder in Ihre Wohnung und führen sich da so auf. „Kommunistische Infiltration", was soll denn das? ({9}) Herr Gansel hat ausgeführt, daß weiterreichende Abstandswaffen durchaus sinnvoll wären, die auch unter die bisherigen Rüstungsbeschränkungen fallen, und er hat gesagt, daß konventionelle Abstandswaffen oberhalb von 70 Kilometer für die SPD eine Alternative zu atomaren Waffen wären. Da würde mich jetzt denn doch interessieren, ob die SPD bei all der Kritik, die Norbert Gansel vorgetragen hat - Erwähnung des ANS-Projektes vorhin - sich nicht darauf bezieht; denn dieses ANS-Projekt hat eine Reichweite von 200 Kilometern. Und ich denke, daß die SPD dann wirklich klar Farbe bekennen muß und deutlich sagen sollte, ob sie auch gegen diese ANS ist. Lehnt ihr auch diese Abstandsraketen ab? Seid ihr gegen die Raketen für die Tornados, die in diesen Bereich gehen? Was heißt das überhaupt für die SPD, zu sagen, man müsse in dem Bereich wohl über 70 Kilometer hinausgehen, d. h. natürlich schon, die bisherigen Beschränkungen aufzuheben? Ich kann in gewisser Weise verstehen, daß das für eine Partei, die noch am 21. Juli - oder war es Juni, ihr wißt es genauer - 1980 in der Regierung in der WEU die Aufhebung beantragt und durchgesetzt hat, daß zukünftig Schiffe beliebiger Tonnage gebaut werden dürfen, die durchgesetzt hat, daß die Bundesmarine jetzt auch nördlich des 61. Breitengrades operieren darf, schwer ist, wenn ihr dazu jetzt eine andere Haltung einnehmen müßt. Das kann ich verstehen. ({10}) Ich denke aber schon, daß, wenn es nach außen hin ein bißchen glaubwürdiger sein soll, die SPD sich dann nicht in der Weise, wie Norbert Gansel das gemacht hat, hier hinstellen kann und erst große Reden gegen ANS und gegen diese Beschlüsse hält, und dann im Nachschub sagt: Im Grunde genommen wollen aber auch wir weiterreichende Raketen und weiterreichende Abstandswaffen, weil wir das als Alternative zur atomaren Rüstung wollen, ({11}) wobei jeder weiß, Herr Ehmke - Sie können das sagen, solange Sie wollen -: Die atomare Rüstung wird mit der jetzigen US-Regierung und auch mit einer sie möglicherweise ablösenden Regierung und mit der politischen Konstellation hier sowieso nicht geändert. ({12}) Das heißt, Sie schaffen lediglich die Ersatzstücke, die auch diese Regierung, diese Koalition und die USA im Zusammenhang mit dem Rogers-Plan, im Zusammenhang mit dem Air/Land-Battle-Konzept gefordert haben. Das ist die Widersprüchlichkeit: Zwei Seelen ruhen, ach, in meiner Brust, ({13}) die bei der SPD vorhanden ist. Dem können wir uns natürlich nicht anschließen. Ich denke, daß sich die SPD da noch ein bißchen durchringen muß. ({14}) Ich will jetzt, weil meine Zeit abgelaufen ist, zum Schluß folgendes zur Frage der „Diskriminierung" sagen. ({15}) Ich glaube, man sollte da wirklich aufhören. Wenn Sie jetzt mit ziemlichem psychologischen Geschick von der Europäisierung der Sicherheitspolitik sprechen, steckt dahinter nämlich im Grunde genommen nichts weiter als ein weiterer Boom in der Rüstungsproduktion, ein weiterer Boom in der Rüstungskooperation. Dahinter steckt auch - ich wende mich vor allen Dingen an die rechte Seite des Hauses -, ({16}) Westeuropa über die WEU stärker in eine weltweite, militärisch abgesicherte Krisenpolitik, Eindämmungspolitik und Gendarmpolitik an der Seite der USA einzubetten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Sie ist schon überschritten.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich darf einen Schlußsatz sagen, Frau Präsidentin. Mein Schlußsatz gegen das Gerede von der Beseitigung der Diskriminierung: Wir brauchen wirklich in diesem Land keine Emanzipation hin zu mehr Rüstung, sondern wir brauchen eine Emanzipation weg von der Rüstung. Deswegen ist das ganze Gerede von der Aufhebung der Diskriminierung Unfug. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle nicht die sicherheitspolitischen Diskussionen die im Grundsatz schon gelegentlich ausgetragen worden sind, erst recht nicht um diese Uhrzeit, noch einmal aufrollen, sondern versuchen, auf die konkret zur Beratung anstehenden Punkte einzugehen. Ich würde ganz gerne vor allen Dingen auf das eingehen, was die Kollegen Scheer und Gansel an Fragen an die Bundesregierung gerichtet haben. Zunächst zum Thema der INF-Verhandlungen, der Verhandlungen über die landgestützten Mittelstreckenraketen. ({0}) - Sie müssen aufpassen, daß Ihr Kollege Reents sich nicht gleich zu Ihnen umdreht und auch an Sie die Adresse mit dem Sack voll Knallerbsen richtet. Ich finde schon, daß Sie die Erwartungen, die Sie im Blick auf das Verhalten Ihrer parlamentarischen Kollegen richten, gelegentlich ebenfalls erfüllen sollten. Ich finde das schon in Ordnung. ({1}) Der erste Punkt, der anzusprechen ist, sind die INF-Verhandlungen, die Frage, wie man diese wieder in Gang bekommen kann. Herr Scheer, Sie wissen so gut wie wir, daß die Forderung der Sowjetunion bislang lautet, zunächst den in Kraft gesetzten Doppelbeschluß außer Kraft zu setzen und die bereits aufgestellten landgestützten Mittelstreckensysteme abzubauen, bevor man bereit sei, mit Verhandlungen zu beginnen. Ich habe aus Ihren Ausführungen nicht entnommen, daß Sie dieser Forderung zustimmen. Es wäre gut, wenn wir uns weiterhin darin einig bleiben könnten, daß wir diese Position der Sowjetunion zurückweisen. Sie haben dann angeregt, man solle eine Veränderung der Verhandlungsstruktur vornehmen. Sollte der Westen eine solche veränderte Verhandlungsstruktur vorschlagen? Wir meinen, daß dabei zweierlei zu bedenken ist: Zunächst, daß die bisherigen Verhandlungen zu einer weitgehenden Klärung des Verhandlungsstoffes geführt haben. Verhandlungstechnisch wäre ein INF-Abkommen in wenigen Monaten auszuhandeln. Jede Änderung der Verhandlungsstruktur könnte das bislang in dieser Hinsicht Erreichte ganz oder teilweise wieder zunichte machen. Sodann gilt aber auch hier, daß jeder ernsthafte sowjetische Vorschlag gründlich geprüft wird. Gerade der Gedanke der Verschmelzung von INF und START ist allerdings von der sowjetischen Seite bislang als indiskutabel zur Seite geschoben worden. Übrigens würde die Lösung des Problems der Drittstaatensysteme durch diese Verschmelzung keineswegs erleichtert. Der Gedanke eine FünferKonferenz, der von Premierminister Trudeau in die internationale Diskussion eingeführt worden ist, hat bei den Atommächten selbst bisher keinen großen Widerhall gefunden. Wir von seiten der Bundesregierung schließen allerdings nicht aus, daß diese Idee auf längere Sicht Bedeutung erlangen könnte. Im Bereich der strategischen Waffen liegt es nach Auffassung der Bundesregierung im Interesse aller Beteiligten, daß sich die USA und die Sowjetunion, solange ein START-Abkommen nicht ausgehandelt ist, an gewisse Obergrenzen für strategische Systeme halten. Eine solche Regelung sollte daher auch für die Zeit nach Ablauf des SALT II-Abkommens gefunden werden. Aus dem, was ich bisher ausgeführt habe, wird klar, daß die Bundesregierung den Wunsch der Staats- und Regierungschefs von Argentinien, Griechenland, Indien, Mexiko, Schweden und Tansania teilt, die nukleare Rüstung unter Kontrolle zu bringen und zur Verringerung der Gefahr eines Nuklearkrieges beizutragen. Nach Auffassung der Bundesregierung sind jedoch einschneidende Reduzierungen der Waffen einem bloßen Einfrieren des jetzigen Bestandes vorzuziehen. ({2}) - Ja, ob das funktioniert, Herr Ehmke, wissen wir eben beide nicht. Das Einfrieren würde einen unausgewogenen, ungleichen Zustand festschreiben, der erhebliche Risiken für die Stabilität in sich birgt. Diese Beurteilung hatten wir ja bis vor einiger Zeit noch gemeinsam. ({3}) - Nein, der Kollege Feldmann hat nicht das Gegenteil gesagt. Es macht auch wenig Sinn, Herr Kollege Ehmke, daß Sie glauben, sich nach Bedarf einzelne Äußerungen von FDP-Kollegen herauspicken zu können, und dann versuchen, diese in einen Gegensatz zueinander zu bringen. ({4}) - Nein, er hat eben nicht gesagt, daß Unausgewogenheit nicht Gefahr für die Stabilität bedeute. Das hat er nun ausdrücklich nicht gesagt; ich habe ihm genau zugehört. - Ich meine, daß auf dem Weg über ausgewogene Reduzierungen ein stabiles Gleichgewicht geschaffen werden kann. Wenn ich den letzten Aufsatz des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu diesem Thema richtig verstanden habe, teilt er diese Meinung nach wie vor. Zweitens. Es ist notwendig, die strategische Stabilität auch dadurch zu fördern, daß die bestehenden Regelungen über Rüstungskontrolle im Weltraum weiterentwickelt und ausgebaut werden. Wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ein vollständiges Verbot von Antisatellitensystemen zu erreichen. Die Sowjetunion, die bis jetzt als einzige Macht über ein einsatzfähiges Antisatellitensystem verfügt, sollte ein solches Verbot durch die Bereitschaft zum nachprüfbaren Abbau dieser Systeme erleichtern. Es ist noch nicht abzusehen, zu welchem Ergebnis die sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion laufenden Forschungsarbeiten über Raketenabwehrsysteme neuer Art führen werden. Es dürfte sich daher als schwierig erweisen, Rüstungskontrollverhandlungen über diese Systeme schon jetzt einzuleiten. Dennoch erscheint es uns notwendig und wichtig, solche Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion auf Regierungsebene zu führen mit dem Ziel, mögliche künftige Entwicklungen in stabilitätsorientierte Bahnen zu lenken. Wir hoffen, daß die Sowjetunion auf das entsprechende Angebot der amerikanischen Regierung bald eingeht. Drittens. Art. 6 des Nichtverbreitungsvertrages verpflichtet alle Vertragsparteien zu ernsthaften Verhandlungen über nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle. Es kann nicht die Rede davon sein, die hier in erster Linie angesprochenen Kernwaffenstaaten des Vertrages seien dieser Verpflichtung bisher überhaupt nicht nachgekommen, auch wenn ihre Verhandlungen erst teilweise zu Ergebnissen geführt haben. Wir werden daher weiterhin darauf drängen, daß der Nichtverbreitungsvertrag auch im Hinblick auf Art. 6 voll erfüllt wird. Wir fordern die Sowjetunion auf, wieder an den Verhandlungstisch über die nuklearen Waffen, also zu den INF- und den START-Verhandlungen, zurückzukehren. Wir werden dies insbesondere auch auf der stattfindenden 3. Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrages tun, die ja allen beteiligten Staaten eine gute Gelegenheit zu einem umfassenden Dialog über alle Fragen der Nichtverbreitung bieten wird. Im übrigen werden wir uns weiter nachdrücklich für einen verläßlich überprüfbaren umfassenden Atomteststopp einsetzen. Viertens. Die Bundesregierung mißt den Verhandlungen über ein weltweites, umfassendes und verläßliches verifizierbares Verbot chemischer Waffen hohe Priorität bei. Dieses Ziel würde durch eine parallele europäisch-regionale Initiative unterlaufen. Die Verhandlungsschwierigkeiten wären im übrigen ebenso groß, in der Verifikationsfrage möglicherweise sogar größer. ({5}) Angesichts des Einsatzes chemischer Waffen im Iran und des entsprechenden Verdachts in anderen Staaten der Dritten Welt wäre es im übrigen gefährlich, diesen Staaten ihre Mitverantwortung für ein Ergebnis praktisch abzunehmen. Fünftens. Die Bundesregierung mißt der Stabilisierung im konventionellen Bereich in Europa größte Bedeutung zu. Diesem Ziel dienen die laufenden Verhandlungen in Stockholm und Wien; in beiden Verhandlungen hat der Westen unter aktiver Beteiligung der Bundesregierung in diesem Jahr wichtige Initiativen eingebracht. Ich komme nun zu den Anträgen der GRÜNEN, betreffend die Nichtaufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen. Der erste Antrag ist insofern überholt, als die Bundesregierung bereits das Verfahren zur Aufhebung der noch im WEU-Vertrag verbliebenen Rüstungsbeschränkungen für konventionelle Waffen eingeleitet und am 15. Juni 1984 einen entsprechenden Antrag beim Ständigen Rat der WEU gestellt hat. Der Rat hat den Antrag gestern, am 27. Juni 1984, einstimmig angenommen. Nachdem ich in den letzten Wochen je nach Bedarf gelegentlich hohe Anerkennung für die niederländische Regierung, dann wieder gelegentlich für die französische Regierung gehört habe, möchte ich nur erwähnen, daß diese, jedenfalls in diesem Fall, auch zugestimmt haben. Die Gründe, die die Bundesregierung veranlaßt haben, den Antrag zu stellen, sind folgende. Die Bundesregierung hat keineswegs die Absicht, einen, wie es die Fraktion der GRÜNEN darstellt - Herr Reents, Sie haben das auch noch einmal unterstrichen -, neuen Rüstungswettlauf zu beginnen. Es geht vielmehr um die Beseitigung der letzten, nur die Bundesrepublik Deutschland diskriminierenden Herstellungsverbote des WEU-Vertrages, die, aus ihrer Entstehungsgeschichte verständlich, aber seit langer Zeit überholt und anachronistisch sind. ({6}) Ich entsinne mich auch einer anderen Diskussion als der, die der Kollege hier angesprochen hat. Wenn ich das richtig gelesen habe, war auch in der früheren Bundesregierung diese Auffassung nicht streitig. Das ist hier also keine neue Position der jetzigen Bundesregierung. ({7}) - Nein, Frau Gottwald, daß muß Sie nicht überzeugen, aber man wird sich gelegentlich auch noch an die größere Oppositionsfraktion wenden dürfen. Die militärische Integration in die NATO und das Vertrauen, das sich in den letzten Jahrzehnten unter den Freunden und Verbündeten Westeuropas entwickelt hat, sind zukunftsweisend. Die militärische Integration läßt einseitige Diskriminierungen eines einzelnen Partnerstaates nicht zu und gibt gleichzeitig so detaillierten Einblick in die militärischen Potentiale aller Verbündeten, daß auf Mißtrauen gegründete, an der Vergangenheit orientierte Bestimmungen nicht mehr gerechtfertigt sind. Ein geeintes Europa läßt sich nicht auf Mißtrauen und Diskriminierungen gründen. ({8}) Die von über 30 Jahren aufgestellte Liste der ausschließlich die Bundesrepublik Deutschland betreffenden Herstellungsbeschränkungen für konventioStaatsminister Möllemann nelle Waffen wurde deshalb bereits in der Vergangenheit mehrfach revidiert und verkürzt. Übriggeblieben war lediglich das Verbot, Flugkörper größerer Reichweite sowie Lenkflugkörper und Bombenflugzeuge für strategische Zwecke herzustellen. 1982 und 1983 hatte die WEU-Versammlung dem WEU-Rat eine Empfehlung vorgelegt, in der u. a. die Beseitigung dieser Verbote gefordert wird. Die WEU-Versammlung, also die Parlamentarier, hatten dies empfohlen. Dem wird jetzt Rechnung getragen. Zu dem Antrag der GRÜNEN vom 28. Juni 1984, die Bundesregierung aufzufordern, eine verpflichtende Erklärung abzugeben, daß eine nach der Aufhebung der Rüstungsbeschränkungen in der WEU völkerrechtlich möglich gewordene Herstellung von weitreichenden Raketen und strategischen Bombern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und ebenso eine Kooperation bundesdeutscher Rüstungsbetriebe mit ausländischen Rüstungsbetrieben für solche Herstellungen nicht zugelassen werden, möchte ich ebenfalls Stellung nehmen: Ich wiederhole das, was wir in mehreren Antworten auf Fragen von Kollegen gesagt haben. Die Aufhebung der Herstellungsverbote durch den WEURat steht in keinem Zusammenhang mit konkreten Rüstungsvorhaben. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Produktion strategischer Bomber und weitreichender Raketen in Auftrag zu geben. Sie haben hier angesprochen, der Kollege Mertes habe in einer Antwort auf eine Frage im Ausschuß erklärt, er könne dies nicht für alle Zeiten ausschließen. Ich habe mich gerade vergewissert, daß er erklärt hat, er könne das z. B. nicht für alle denkbaren Bundesregierungen ausschließen. Ich finde es doch sympathisch, wenn der Kollege Mertes darüber nachdenkt, ob es vielleicht in 20, 30 Jahren auch einmal wieder eine andere Bundesregierung geben kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kelly?

Not found (Gast)

Ja, sicher. - Bitte.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister Möllemann, ich möchte Sie jetzt ganz klar fragen, ob Sie in bezug auf den Antrag der GRÜNEN auf der Drucksache 10/1685, den Sie gerade zitiert haben, eine Antwort mit einem klaren Ja oder Nein geben können, denn Sie haben mir gerade vor zwei Tagen im Auswärtigen Ausschuß recht zynisch die Antwort gegeben, es sei ja klar, daß die Bundesregierung nicht solche Aufträge erteile, also z. B. die Rüstungsindustrie. Was Sie hier sagen, ist eine Augenwischerei. Ich möchte hier eine klare Antwort hören.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Verzeihen Sie, keine Kommentare, meine Dame! ({0})

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wenn Sie den Beratungen im Ausschuß regelmäßiger folgen würden und sich weniger mit neuseeländischen Kollegen unterhalten würden, dann wüßten Sie, daß die Bundesregierung diese Aussage klar und eindeutig gemacht hat. ({0}) Ich wiederhole die Aussage: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Produktion strategischer Bomber und weitreichender Raketen in Auftrag zu geben. Der Rüstungsbedarf der Bundeswehr ergibt sich nicht aus dem, was wir produzieren können und dürfen, sondern aus dem, was die Bundesrepublik Deutschland benötigt, um ihre Sicherheit ausreichend zu gewährleisten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) und des Herrn Abgeordneten Reents?

Not found (Gast)

Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie doch noch eine Zwischenfrage zulassen wollen?

Not found (Gast)

Ja, das würde ich dann sagen. Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, daß die WEU das Ziel einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Europäer im Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses, über das allgemeine Einigkeit besteht, nur dann wirksam erfüllen kann, wenn diese Zusammenarbeit auf der Gleichberechtigung aller Mitgliedstaaten beruht. Die Aufhebung der Herstellungsverbote ist demnach ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer aktiven deutschen Mitwirkung bei den Bemühungen um eine Belebung der WEU. Bei der Belebung der WEU geht es wirklich nicht darum, wie Sie gesagt haben, Herr Kollege Reents, durch die Militarisierung Europas eine aggressive Politik zu betreiben, sondern es geht darum, etwas zu tun, was in diesem Parlament immer wieder von allen Fraktionen - manchmal sogar, glaube ich, von der Ihren - gefordert worden ist, nämlich eine stärkere europäische Zusammenarbeit auf dem Feld der Sicherheit und der Verteidigung zu betreiben ({0}) - ja, Sicherheit schließt auch Rüstungskontrolle und Abrüstung ein -, die es möglich macht, die Interessen Europas gegenüber Dritten wirksamer zur Geltung zu bringen. Ich unterstreiche ferner: Der Beschluß vom 27. Juni 1984 berührt nicht den im WEU-Vertrag ebenfalls enthaltenen Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von A-, B- und CWaffen. Die Bundesregierung hält an diesem Verzicht fest und leistet damit einen besonders wichti5716 gen und beispielhaften Beitrag zu Frieden, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nun, Herr Kollege Gansel, noch zu zwei Punkten, auf die Sie mich ebenfalls konkret angesprochen haben, erstens betreffend die Anfragen, die der Kollege Feldmann bezüglich der Raketenlieferungen an Ägypten an die Bundesregierung gerichtet hat. Herr Kollege Feldmann hat keine unzutreffenden oder vernebelnden Antworten bekommen, sondern er hat von seiten der Bundesregierung die Antwort bekommen, daß ihr keine Anträge auf Genehmigung solcher Exporte vorliegen. Er hat dementsprechend eine klare Antwort bekommen. Zweitens haben Sie nach dem französischen ANS-Projekt gefragt. Hier gibt es in der Tat Studien über ein System zur Bekämpfung von Seezielen mit einer Rakete, die eine Reichweite von etwa 120 bis 150 km hat und möglicherweise als Kormoran-Nachfolger betrachtet werden könnte, allerdings eine höhere Reichweite hätte. Über die Produktion dieses Systems ist bisher nicht entschieden. Aber es gibt keinen Zweifel, daß dies nicht unter die Kategorie strategischer Systeme fällt, wenn eine Entscheidung etwa so getroffen würde. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage zu dem Zusatzpunkt 5. Da gibt es aber noch Meldungen zur Geschäftsordnung. Deshalb lasse ich erst über die Anträge abstimmen, deren Überweisung unstrittig ist. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 33 bis 35 auf den Drucksachen 10/1298, 10/1573 und 10/1624 - ({0}) - Gut. Wenn es so ist, dann verzeihen Sie bitte. Das war hier nicht klar. Dann lasse ich erst zur Geschäftsordnung sprechen. Das Wort zur Geschäftsordnung hat zuerst Herr Abgeordneter Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier liegen Anträge der Koalition, der SPD und der GRÜNEN zu einem im wesentlichen gleichen Sachverhalt vor. Wir sind deshalb der Auffassung, daß all diese Anträge, wie es schon in der Tagesordnung ausgedruckt ist, zu überweisen sind. Nur so ist eine sachgemäße und dem Parlament würdige Behandlung gewährleistet. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte für unsere beiden Anträge - sowohl für Antrag Drucksache 10/1624 als auch für Antrag Drucksache 10/1685 - Sofortabstimmung beantragen und das wie folgt kurz begründen. Antrag Drucksache 10/1624 - Nichtaufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen - ist nicht etwa hinfällig, sondern wir beantragen die Wiederinkraftsetzung des vorherigen Vertragszustands. Zur Begründung möchte ich folgendes an Daten in Erinnerung rufen. Ich habe mich am 13. Juni in einem Telefongespräch mit dem leitenden Beamten der Abteilung 200 des Auswärtigen Amts, Herrn Dr. Schilling, erkundigt, wie der Stand des Aufhebungsantrags der Bundesregierung sei. Man hat mir am 13. Juni gesagt, er sei in der Ausarbeitung. Wir haben daraufhin zwei Tage später, am 15. Juni, unseren Antrag gedruckt vorgelegt, diesen Antrag nicht zu stellen. Noch am selben Tag, als wir unseren Antrag gestellt hatten, hat die Bundesregierung ihren Aufhebungsantrag der WEU zugeleitet. ({0}) Am 20. Juni hat Herr Genscher vor der WEU-Versammlung in Paris noch erklärt, daß sich der Rat der ständigen Vertreter damit in Kürze befassen wird. Gestern hat er sich damit befaßt und kam zur Aufhebung. ({1}) Heute findet die Bundestagsdebatte statt. Das ist meine Begründung, weshalb wir um sofortige Abstimmung bitten. Der Zeitplan macht es offensichtlich: Die Bundesregierung hat gewußt, daß wir dazu eine Parlamentsdebatte vor der Sommerpause wollten. Sie hat aber nichts Eiligeres zu tun gehabt, als dieser Parlamentsdebatte und der Entscheidung vorzugreifen in der Sicherheit, daß die Koalitionsmehrheit sowieso jeden Schritt der Regierung akzeptieren wird, den die Regierung kommandiert. ({2}) Die Regierung hat im Vorgriff auf diese Parlamentssitzung diesen Beschluß herbeigeführt. Weil das so ist, sind wir der Meinung, daß sich der Bundestag ohne Verzug sein Recht heute wiedererobern muß, darüber zu bestimmen, ob diese Rüstungsbeschränkungen aufgehoben werden sollen oder nicht. Deswegen beantragen wir sofortige Abstimmung. ({3}) Zu unserem zweiten Antrag: Davon ausgehend, daß diese Regelungen momentan nun einmal aufgehoben sind, wollen wir diese verbindliche Erklärung. Wenn es so ist, wie Herr Möllemann hier erklärt hat, daß das entgegen anderslautenden Äußerungen, die wir hier zitiert haben, die Wiedergabe des Standpunktes der Bundesregierung sei, steht doch nichts im Wege, daß heute der gesamte Bundestag sagt: Wir fordern die Bundesregierung auf, auf diese Herstellung zu verzichten und daß die Bundesregierung das akzeptiert. Das heißt, es geht darum, daß der Bundestag angesichts dieser von der Bundesregierung geschaffenen Situation hier und heute entscheidet, ob in der Bundesrepublik strategische Bomber und weitreichende Raketen gebaut werden dürfen. Wir wollen hier und heute wissen, wer in diesem Hause das will und wer es nicht will. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Gansel das Wort.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Ich möchte vorwegschicken, die Tatsache, daß die Bundesregierung heute im WEU-Ministerrat die Aufhebung der Rüstungskontrollbeschränkungen herbeigeführt hat, obwohl sie wußte, daß der Bundestag heute darüber debattieren und entscheiden will, halten wir Sozialdemokraten für einen schlechten Stil. So geht man nicht mit einem Parlament um, auch nicht mit der kleinen Oppositionsfraktion. ({0}) Nun zur Sache: Wir akzeptieren den Vorschlag zur Überweisung unserer Anträge und schlagen vor, auch beide Anträge der GRÜNEN in die Ausschüsse zu überweisen, und zwar aus folgenden Gründen - ich bitte jetzt, noch einmal genau hinzuhören -: ({1}) Der Minister Möllemann ({2}) - der Staatsminister Möllemann; da liegt die Assoziation zu Staatsmann natürlich näher, aber das muß ja nicht sein - hat gesagt, die Bundesregierung beabsichtige nicht, die Produktion von strategischen Raketen und Bombern in Auftrag zu geben. Das läßt sehr viel offen, ({3}) u. a. die Frage, ob man nicht die Rüstungsindustrie für sich und ohne Auftrag arbeiten lassen will. Auf der anderen Seite deckt sich das, was die Bundesregierung durch ihren Vertreter erklärt hat, im Wortlaut mit dem, was die GRÜNEN beantragt haben. Und nun meine ich: Wenn das auch die Meinung der Union ist, sollten wir wirklich im Ausschuß die Chance nutzen, das zu klären, um vielleicht zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. ({4}) Zu dem Vorschlag der GRÜNEN, jetzt sofort abzustimmen, möchte ich in Anbetracht der Ausführungen von Herrn Reents sagen: Herr Reents, wir stimmen dem Wortlaut Ihres Antrages zu. Wenn Sie damit etwas anderes meinen, weil Sie fluselig formuliert haben, so ist das Ihr Fehler, und Sie dürfen das nicht mit Unterstellungen gegen die SPD beantworten. ({5}) Bei den Juristen gibt es den Satz: Gesetze sind klüger als ihre Verfasser. Jedes Mitglied einer gesetzgebenden Versammlung kann das nachvollziehen. Das gilt übertragen auch für die Verfasser von Anträgen. Wir halten uns an den Wortlaut des Antrages der GRÜNEN. Wir finden ihn akzeptabel, und wir meinen, daß wir, wenn Sie, Herr Minister, zu dem Wortlaut Ihrer Erklärung stehen, über den Ausschuß später im Plenum zu einer gemeinsamen verbindlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland kommen könnten, nicht nur weiterreichende Raketen und strategische Bomber nicht selber zu produzieren, sondern auch, nicht zu erlauben, daß sie in diesem Lande produziert werden und wieder Unglück über die Welt bringen. - Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich lasse getrennt abstimmen. Wer den vorgeschlagenen Überweisungen des Antrags der Fraktion der SPD - Drucksache 10/1298 -, des Antrags der Fraktion der SPD - Drucksache 10/1573 - und des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP - Drucksache 10/1674 - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist so beschlossen. Wir müssen uns nun noch mit dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1624 ({0}) sowie dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1685 - Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung - befassen. Der Überweisungsantrag geht vor. Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen der GRÜNEN ist die Überweisung so beschlossen. Die Überweisungsvorschläge entnehmen Sie bitte der Tagesordnung. Da der Überweisungsvorschlag zu Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung noch nicht ausgedruckt ist, möchte ich hier nachtragen, daß die Vorlage dem Auswärtigen Ausschuß - federführend - und dem Verteidigungsausschuß - mitberatend - überwiesen wurde. Ich rufe jetzt Punkt 36 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerbereinigungsgesetzes 1985 - Drucksache 10/1636 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Finanzen ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Vizepräsident Frau Renger Dazu liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Gattermann zur Geschäftsordnung vor.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben einvernehmlich auf die Debatte über den jetzt aufgerufenen Tagesordnungspunkt verzichtet, und zwar im Sinne eines Beitrags zur Humanisierung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedinungen für Abgeordnete im Zeitalter der 35-Stunden-Woche. Wir haben das alle aus Überzeugung und gerne getan. Ich habe mich jetzt hier zu Wort gemeldet, um zum Ausdruck zu bringen, daß solche Akte der Einsicht und der Vernunft eigentlich schon unseren Ältestenrat bewegen sollten, wenn er die Tagesordnung zusammenstellt, damit gewisse Arbeitsleistungen von den Kolleginnen und Kollegen nicht unnötig erbracht werden. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Interfraktionell ist vereinbart, über diesen Punkt keine Aussprache zu führen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1636 federführend an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe jetzt Punkt 37 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1984 ({0}) - Drucksache 10/1313 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß Auch hierzu wird das Wort nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1313 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Punkt 38 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen - Drucksache 10/1162 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - Drucksache 10/1658 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({2}) ({3}) Hierzu liegen Ihnen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/1666 und 10/1669 vor. Im Ältestenrat wurde eine Debatte mit Beiträgen bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ist das so beschlossen, oder wollen Sie darüber gar nicht debattieren? - Debatte wird gewünscht. Es hätte auch anders sein können; es ist schließlich schon 20 Minuten vor elf. - Dann ist so beschlossen, wie im Ältestenrat vereinbart. In der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Müller ({4}) das Wort.

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz soll gewährleisten, daß die allgemeinen Sozialversicherungswahlen im Jahre 1986 mit einem verbesserten Wahlrecht und einem vereinfachten Wahlverfahren durchgeführt werden können. Der Gesetzgeber unterstreicht mit der heutigen Beschlußfassung die Bedeutung, die er der sozialen Sicherung und den Sozialversicherungswahlen beimißt. Ich möchte in dieser Debatte gleich zu Beginn ein eindeutiges Bekenntnis zum gegliederten System der Sozialversicherung ablegen. ({0}) Dieses System wird seit Jahrzehnten von der Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Versicherten in der Selbstverwaltung getragen und hat sich bestens bewährt. Wir lehnen daher auch alle Versuche, hier eine Systemänderung vorzunehmen, wie dies von den GRÜNEN bei der ersten Lesung gefordert worden ist, mit Entschiedenheit ab. ({1}) Die Sozialversicherungswahlen folgen aus dem Prinzip der sozialen Selbstverwaltung. ({2}) Sie sind für mich auch ein sichtbares Zeichen, daß die christlich-sozialen Prinzipien der Subsidiarität und der Solidarität in unsere Sozialpolitik fest verankert sind. ({3}) Die rund 1 300 Krankenkassen, Rentenversicherungsträger und Berufsgenossenschaften können im Rahmen ihrer Selbstverwaltung eigenverantwortlich handeln. Daß wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern müssen, darauf haben die Bundeswahl-beauftragten in ihrem Schlußbericht über die allgemeinen Wahlen in der Sozialversicherung in den Jahren 1974 und 1980 nachdrücklich hingewiesen. Wir haben zahlreiche wertvolle Vorschläge aus diesen Berichten in den Beratungen des Arbeits- und Sozialausschusses aufgegriffen und einige gewichtige Dinge in die Gesetzesmaterie aufgenommen. Die gravierendsten Mängel des derzeit noch gültigen Gesetzes sind bereits bei der ersten Lesung angesprochen worden. Staatssekretär Wolfgang Vogt hat einige überzeugende Beispiele für die NotMüller ({4}) wendigkeit von Gesetzesänderungen genannt. Ich verzichte aus Zeitgründen auf die Wiederholung dieser Mängel. Meine Damen und Herren, es liegen also zwingende Gründe vor, das bisherige Recht für die Sozialversicherungswahlen zu verbessern, und ich bin überzeugt davon, daß uns dies mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes gelingt. Das neue Gesetz konkretisiert, was unter dem Begriff der Arbeitnehmervereinigungen zu verstehen ist. Damit entsprechen wir auch einem am 14. Juni 1984 ergangenen Urteil des Bundessozialgerichtes. Das Gesetz stellt erstens klar, welche Anforderungen zukünftig an eine Gruppierung gestellt werden, damit sie als Arbeitnehmervereinigung anerkannt wird und Vorschlagslisten einreichen kann. Die sozial- und berufspolitische Tätigkeit der Arbeitnehmervereinigungen darf sich nicht mehr nur auf die Einreichung von Vorschlagslisten zu Wahlen beschränken. Vielmehr müssen die Arbeitnehmervereinigungen auch als ihre eigenständige Aufgabe ansehen, sich für die Verwirklichung sozial- oder berufspolitischer Ziele der Versicherten einzusetzen. Damit wird den reinen Wahlvereinen ein Riegel vorgeschoben. Die Möglichkeit zur Einreichung freier Listen bleibt jedem unbenommen. Mit der Gesetzesänderung wird auch ein zweiter Mißstand beseitigt: „Der Name und die Kurzbezeichnung einer Arbeitnehmervereinigung dürfen nicht mehr geeignet sein, einen Irrtum über Art, Umfang und Zwecksetzung der Vereinigung herbeizuführen." In der Vergangenheit haben ja einige Wahlvereine unter einem sehr anspruchsvollen Namen ihre Listen eingereicht, hatten in Wirklichkeit keine Mitglieder hinter sich und hatten auch keinerlei Tätigkeit im Sinne sozial- oder berufspolitischer Ziele ausgeübt. Zudem dürfen nur noch Arbeitnehmer in einer Arbeitnehmervereinigung maßgebenden Einfluß haben. Es wird drittens mit den Gesetzesänderungen erreicht, daß eine Arbeitnehmervereinigung dann nicht vorschlagsberechtigt ist, wenn der Anteil der Bediensteten des Versicherungsträgers mehr als 25 % beträgt oder in der ihnen auf andere Weise ein nicht unerheblicher Einfluß eingeräumt ist; eine ganz entscheidende Änderung. Lassen Sie mich auch den vierten Punkt ansprechen, der das Vorschlagsrecht der Arbeitnehmervereinigungen nachhaltig berührt. Die Arbeitnehmervereinigung muß zukünftig von Beginn des Kalenderjahres an, das dem Jahr der Wahlausschreibung vorangeht, ständig eine Anzahl von beitragszahlenden Mitgliedern haben, die, so sagt der heute zur Beschlußfassung vorliegende Gesetzentwurf, mindestens der Hälfte der nach § 48 Abs. 2 geforderten Unterschriftenzahl entspricht. Das tatsächliche Beitragsaufkommen muß die Arbeitnehmervereinigung in die Lage versetzen, ihre Vereinstätigkeit nachhaltig auszuüben und den Vereinszweck zu verfolgen. Es hat im Ausschuß über die Frage der Unterschriftenzahl zwischen Vertretern der Koalitionsparteien und der Opposition eine kontroverse Diskussion gegeben. Die Sozialdemokraten haben den Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP zum Regierungsentwurf zum Anlaß genommen, das gesamte Gesetz abzulehnen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe diese Ihre Haltung im Ausschuß nicht verstehen können, weil wir uns in den Zielen einig sind. Meiner Fraktion - ich glaube, ich kann das auch für die Kollegen der FDP sagen - kam es darauf an, durch eine Absenkung der geforderten Unterschriftenzahl den Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften und den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen zu erhalten. Das Argument der Sozialdemokraten, damit würde der Schutz des Wählers vor reinen Wahlvereinen ausgehöhlt, halte ich keineswegs für stichhaltig. Die hohen Anforderungen an die Satzung der Arbeitnehmervereinigung sowie die in § 48 a Abs. 3 formulierte Regelung, wonach der Anteil der Bediensteten des Versicherungsträgers nicht mehr als 25 betragen kann, zerstreuen diese Sorge. Man muß den vorliegenden Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, in seiner Gesamtheit sehen. Dann kann ich nur sagen: Die im derzeitigen Wahlverfahren aufgetretenen Mängel werden durch das neue Gesetz beseitigt. ({5}) Wir verbessern damit nachhaltig das Wahlrecht für die Sozialversicherungswahlen. Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf sieht noch zwei weitere Änderungen vor, die ich herausstellen möchte. Erstens. Arbeitslos gewordene Versicherte können bei den Sozialversicherungswahlen weiterhin mitwirken. Ihre Wählbarkeit bleibt trotz des Verlustes der Gruppenzugehörigkeit erhalten. Zweitens. Wir sind einem dringenden Wunsch der Stadtstaaten nachgekommen und wollen ihnen die Möglichkeit geben, ihre staatliche und kommunale Unfallversicherung durch eine selbständige Unfallkasse durchführen zu lassen. Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf sieht für die kommenden Sozialversicherungswahlen Übergangsregelungen vor. Mit diesen Übergangsregelungen wurde eine Lösung gefunden, die dem Grundgedanken des Vertrauensschutzes Rechnung trägt. Den kleineren Arbeitnehmervereinigungen, die bisher in der Vertreterversammlung vertreten waren, wird damit eine Hilfestellung gegeben. Wir wollen verhindern, daß sich bei den nächsten Wahlen kleinere Arbeitnehmervereinigungen vor der Tür der sozialen Selbstverwaltung wiederfinden, die bisher gute Arbeit im Sinne der Versicherten geleistet haben und sich auf die neuen Bestimmungen nicht in so kurzer Zeit umstellen konnten. Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, der mit dem Gesetzentwurf geändert werden soll. Wir sind für die generelle Einführung der Briefwahl, weil die Wahlräume bei den letzten Sozialversicherungswahlen kaum noch benutzt wurden. Die neue Regelung hat drei Vorteile. Erstens erleichtern wir die Organisation der Sozialversicherungs5720 Müller ({6}) wahlen. Zweitens sparen wir Kosten, da nunmehr keine Wahlräume mehr benötigt werden. Drittens erhoffen wir uns von dieser neuen Regelung eine höhere Wahlbeteiligung. Meine Damen und Herren, es gibt noch einen letzten Punkt, der umstritten war, nämlich die Frage: Sollen wir einer klarstellenden Regelung im Aufsichtsrecht nach § 89 zustimmen? Die Mehrheit des Ausschusses hält eine solche klarstellende Regelung nicht für erforderlich. Damit hätten wir nur eine unnötige Bürokratie entfacht und eine unnötige Perfektion erreicht. Es ist heute schon selbstverständlich, daß die gerichtliche Anordnung einer sofortigen Vollziehung von der Aufsichtsbehörde vollzogen werden kann. Aus diesem Grunde haben sich fast alle Verbände gegen eine Änderung ausgesprochen. ({7}) Im übrigen, so meinen wir, sollte eine eventuell notwendige Änderung der gerichtlichen Befugnisse einer Neuregelung des Prozeßrechts überlassen bleiben. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt mit seinen im Ausschuß beschlossenen Änderungen die Sozialversicherungswahlen auf eine bessere Grundlage und sorgt damit für mehr Rechtssicherheit. Ich bitte Sie im Namen der CDU/CSU-Fraktion um Ihre Zustimmung. - Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich um zehn vor elf eine sozialpolitische Debatte führe. Das wäre in höchstem Maße - - Ich verkneife mir das, was ich jetzt sagen wollte, weil das sicherlich nicht ganz parlamentarisch wäre. Das kann eigentlich nur höherer Einsicht entsprechen. ({0}) Um so mehr, Herr Kollege Blüm, bedauere ich, daß sich Herr Müller ({1}) von seinem Manuskript nicht hat trennen können um diese Zeit. Denn dieses hölzerne Bekenntnis zum gegliederten System, das in Wahrheit ein zergliedertes System ist, können wir eigentlich nicht ganz glauben. Aber gut. Darüber können wir heute keine Grundsatzdebatte führen. Auf jeden Fall soll der zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung offenkundige Mängel im Wahlrecht für die Sozialversicherungswahlen beseitigen. Die abschließende Beratung sollte heute für uns auch Gelegenheit zu einer Bewertung des Rangs sein, den die Sozialversicherungswahlen im Bewußtsein der Öffentlichkeit haben. Ich glaube, hier liegt ein wichtiges Problem. Aber wir haben dazu keine Zeit, was ich außerordentlich bedaure. Ich komme damit zu der Begründung unserer beiden Anträge. Mit Sorge beobachten wir, wie sich seit geraumer Zeit in einigen Bereichen die Tendenz entwickelt, daß sich die Beschäftigten der Versicherungsträger selbst über von ihnen initiierte Listen ihre Interessenvertreter in die Selbstverwaltungsorgane wählen lassen. Das wird natürlich erleichtert durch die veränderte Fassung der Regierungsvorlage. Die Regierungsvorlage war vernünftig, und die wollen wir wiederherstellen. Es geht nur darum, diese Regierung in diesem Punkte zu unterstützen, d. h. die ehemalige Fassung des Regierungsentwurfs wiederherzustellen. ({2}) - In diesem und auch noch in einem zweiten. Ich komme noch dazu. Was meinen Sie, wie kooperativ wir sein können, wenn wir wollen. ({3}) - Aber, bitte, das muß sich doch wirklich auf die Punkte beschränken, die sich aus der sozialdemokratischen Sicht lohnen. ({4}) Wir können ja nicht jeden Unsinn der Regierung mitmachen. Das geht nun wirklich nicht. Wir wollen in diesem Punkte des erhöhten Quorums für die sogenannten freien Arbeitnehmerlisten die Regierungsvorlage wiederherstellen, weil wir glauben, daß freie Arbeitnehmerlisten mit einem Unterschriftenquorum von 1 000 Unterschriften einfach nicht die Gewähr dafür bieten können, daß es später in den Selbstverwaltungsorganen auch eine qualifizierte Arbeit gibt. Stellen Sie sich einmal vor, was das bei der Bundesversicherungsanstalt, die ja eine zentrale Anstalt ist mit Millionen Versicherten, für die Selbstverwaltung in diesem Zweig der Sozialversicherung bedeutet. ({5}) Es ist mir völlig klar, daß Sie das auf Betreiben oder auf Druck der FDP gemacht haben; denn wir waren uns bei der Vorbereitung des Gesetzes ja alle einig. Sie sind da erpreßbar. Das bedaure ich außerordentlich. ({6}) Das soll natürlich auch ganz bewußt ein Schlag gegen die Gewerkschaften sein. ({7}) Herr George, das kann Sie vielleicht auch erfreuen. Mich kann das nicht erfreuen. Aber wie immer das auch sein soll: Ich bitte Sie, mit uns dafür zu sorgen, daß eine solche Praxis unterbunden wird, weil sie nicht vertretbar ist. Deshalb bitte ich, unseren Antrag anzunehmen und dieGlombig sen Überlegungen der Koalition einen Riegel vorzuschieben. ({8}) Angesichts der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit möchte ich mich den weiteren Details des Gesetzentwurfs nicht näher widmen, zumal nach ausgiebigen Beratungen im Ausschuß in vielen Fragen, eigentlich in fast allen Fragen Einvernehmen erzielt werden konnte. Lassen Sie mich gleich zu unserem zweiten Änderungsantrag kommen. Ich möchte ihn kurz begründen. Auch hier ist unser Anliegen, den ursprünglichen Regierungsentwurf wiederherzustellen und die Änderungen, die die Koalition an diesem Regierungsentwurf vorgenommen hat, rückgängig zu machen. Wir befinden uns hier voll auf der Linie der Bundesregierung. Es geht dabei um die Frage, inwieweit Anordnungen der Aufsichtsbehörden, Herr Dr. George, gegenüber den Sozialversicherungsträgern auch mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens durchgesetzt werden können. Daß dies notwendig ist, hat ein Vorgang der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse gezeigt, gegen die jetzt ein Verfahren erfolgreich beim Bundessozialgericht abgeschlossen werden konnte, weil dort Manipulationen bei der Wahl zu den Selbstverwaltungsorganen dieser Kasse stattgefunden haben. Dies hätten wir längst erledigt haben können, wenn es eine solche Möglichkeit gegeben hätte. Die im Sozialgesetzbuch festgelegten Bestimmungen des Wahlrechts kennen hierzu leider bisher keine konkrete Aussage. Deshalb unser Antrag, den ursprünglichen Wortlaut des Gesetzentwurfs der Regierung wiederherzustellen. Die Kontroversen, die wir hier geführt haben, haben wir im Interesse der Bundesregierung und einer vernünftigen Durchführung der Sozialversicherungswahlen geführt. Herr Kollege Müller ({9}), ich hoffe, Sie sind Arbeitnehmervertreter. Ich habe mal gehört, Sie seien ein solcher. ({10}) - Ja, wenn es so ist - ({11}) Sie sind es nicht alle. Selbst bei Ihnen habe ich inzwischen Zweifel, Herr Kollege Blüm, ob Sie ein solcher sind. ({12}) Aber ich bin guten Mutes, daß Sie hier für unseren Antrag stimmen werden, denn das ist Ihr Antrag, der Antrag der Regierung, Sie sitzen hier auf den Abgeordnetenbänken. Wir erwarten, daß Sie für diesen Antrag der SPD-Fraktion zur Wiederherstellung des Regierungsentwurfs stimmen werden. - Schönen Dank. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zehn Minuten zu reden ist keine Pflicht, wollte ich nur mal sagen. Jetzt kommt die Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein zu dieser Stunde relativ wohlgefülltes Haus könnte einen tatsächlich noch verführen, eine wirkliche sozialpolitische Debatte zu beginnen. Aber ich will mich doch an die gute Übung halten, die der Kollege Glombig gerade angefangen hat. Ich glaube, ich brauche weiter nicht zu betonen, daß wir Freien Demokraten selbstverständlich für die gewachsene Gliederung unseres Sozialversicherungssystems sind. Herr Kollege Glombig, wir halten dieses durchaus nicht für eine Zergliederung, sondern für eine sehr sinnvolle Veranstaltung, ({0}) die dazu führt, daß Wettbewerb und Vielfalt vorherrschen. Wettbewerb und Vielfalt sind eigentlich die besten Garanten dafür, daß die beste Leistung für den Versicherten erbracht werden kann. Bisher sind uns noch keine rein staatlich gelenkten Systeme bekanntgeworden, die das besser könnten als ein solches gegliedertes System. Ich brauche auch, glaube ich, nicht mehr zu betonen, daß wir für Selbstverwaltung sind, daß wir die Rechte der Versicherten stärken wollen, daß wir auch im Bereich der Sozialversicherung der Meinung sind, daß weniger Staat mehr für die Versicherten bedeutet. Herr Kollege Glombig, die Änderungen, die jetzt vorgelegt werden mit der Neuordnung des Rechts der Sozialversicherungswahlen basieren weitgehend auf den Erfahrungen, die Sie selber als Wahlleiter der letzten Sozialversicherungswahlen gemacht haben und die wir ausgewertet haben. Auf dieser Grundlage verstehe ich ja auch das Kooperationsangebot, das Sie uns gemacht haben. In der Tat stimmt ja wohl auch die SPD den meisten der vorgelegten Änderungen zu, wobei eigentlich nur eines umstritten ist, und das ist die Frage des Quorums, das erfüllt sein muß, wenn ein Arbeitnehmerverein zur Sozialversicherungswahl antreten will. Daß die Sozialdemokraten mit diesem Quorum einige Probleme haben, ist wohl gut zu verstehen, denn Sozialdemokraten sind immer mehr für die Stärkung von Großorganisationen, von Massenorganisationen. ({1}) Daß sich hier die Liberalen auf die Seite kleinerer Organisationen schlagen, ist genauso verständlich, genauso selbstverständlich, wie die Haltung der Sozialdemokraten selbstverständlich ist. ({2}) Herr Kollege Glombig, Sie haben hier eben mit Nachruck die Regierungsvorlage verteidigt und haben beklagt, daß die Koalitionsfraktionen im Ausschuß Änderungsanträge zur Regierungsvorlage vorgelegt haben. Diese Änderungsanträge zeigen aber doch gerade, daß die Fraktionen gegenüber der Regierung durchaus ihren eigenen Standpunkt vertreten und auch durchsetzen können - im Ge5722 gensatz zu dem, was von dieser Stelle aus, aber auch im Ausschuß vielfach behauptet worden ist. Die Freien Demokrakten tragen nun die Änderungsanträge der Sozialdemokraten selbstverständlich nicht mit. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch anmerken, daß wir es begrüßen, daß wir eine Neuregelung des § 89 nicht vorgenommen haben; denn wir wollten verhindern, daß zusätzlicher staatlicher Einfluß auf die Selbstverwaltungsorgane ausgeübt werden kann. Wir sind sicher - wir haben es auch gehört -, daß eine Mehrheit weit über die Koalitionsparteien hinaus für den Verzicht auf diese Änderung vorhanden ist, und wir sind sicher, daß die Sozialversicherungsträger dem auch gern zustimmen werden. Die Voraussetzungen für notwendigen Wettbewerb auch bei den zukünftigen Sozialversicherungswahlen sind mit den vorgelegten Änderungen verbessert worden. Uns kam es darauf an, einen Beitrag zur Erhaltung von Pluralismus und Wahlfreiheit für die Versicherten zu leisten. Ich denke, wir haben das mit den vorgelegten Änderungen erreicht. Wir würden es begrüßen, wenn diese Gesetzesvorlage eine breite Zustimmung im Hause finden würde. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgordnete Potthast.

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Guten Abend! ({0}) Oder aber auch: gute Nacht, Demokratie. ({1}) So möchte Mann - und auch Frau - sagen, wenn er - und sie - sich einmal vergegenwärtigen, wie in diesem Lande Gesetze unter den großen Organisationen und Institutionen ausgekungelt werden. Auf der Strecke bleiben in erster Linie der kleine Mann und die kleine Frau. Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist der beste Beweis dafür, sieht er doch angeblich eine Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vor; ({2}) daß diese angeblichen Verbesserungen in Wirklichkeit eine Einschränkung demokratischer Rechte darstellen, scheint die Kungelpartner und die etablierten Parteien nicht zu stören. ({3}) In trauter Brüderlichkeit - Frauen sind ja immer noch aus den Entscheidungsgremien ausgeschlossen, natürlich abgesehen von den GRÜNEN ({4}) beschließen die großen Organisationen, kleinen Arbeitnehmervereinigungen, die nicht den großen Organisationen angehören, die Teilnahme an der Selbstverwaltung der Sozialversicherung zu erschweren. ({5}) Begründet wird diese Einschränkung demokratischer Rechte in Form von Verschärfungen der Verfahrensbestimmungen zur Aufstellung von Wahllisten damit, daß in der Vergangenheit durch diese sogenannten sonstigen Arbeitnehmervereinigungen unlauterer Wettbewerb und Etikettenschwindel betrieben worden seien.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dazu reicht, glaube ich, die Zeit nicht. ({0}) Außerdem willst du mich nur ärgern! ({1}) Ich habe bereits in meinem Debattenbeitrag vom 5. April darauf hingewiesen, ({2}) daß ich bezweifle, ({3}) - seien Sie ruhig und hören Sie jetzt wieder zu! - daß Auswüchse von arbeitnehmerfeindlichen Arbeitnehmervereinigungen nach dem Motto der alten Tradition des Machiavellismus „Der Zweck heiligt die Mittel" ({4}) mit der Holzhammermethode über den Verwaltungsweg beseitigt werden können. Wenn in die bisherige Praxis der Sozialversicherungswahlen mehr Demokratie einziehen soll, muß dafür gesorgt werden, daß die Versicherten über ihre Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten ordentlich informiert werden. ({5}) Nur wenn deutlich wird, welche Interessen sich hinter bestimmten Listen verstecken, kann einem Mißbrauch vorgebeugt werden. „Aufklärung statt Demokratieabbau" heißt hier die Devise, die wir GRÜNEN empfehlen. Ich möchte auf einzelne Kritikpunkte dieses Gesetzentwurfs unsererseits nicht noch einmal eingehen, sondern hier die Gelegenheit nutzen, einige grundsätzliche Einschätzungen der sogenannten Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen aus grüner Sicht abzugeben. Die GRÜNEN sind ja bekanntlich die Partei, die sich am vehementesten für Selbstverwaltung, Selbstbestimmung und Dezentralisierung einsetzt. Die derzeit praktizierte Art der Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen wird dagegen von uns eher skeptisch betrachtet. Dafür haben wir auch gute Gründe. Unsere Hauptkritik richtet sich erstens gegen das Prinzip einer in unseren Augen scheinheiligen Sozialpartnerschaft von Lohnabhängigen und Arbeitgebern und zweitens gegen das Prinzip einer Sozialversicherung, ({6}) das soziale Leistungen an die Erwerbsarbeit kettet und in der Sozialpolitik den Arbeitgebern einen unangemessenen bedeutenden Platz einräumt. ({7}) - Nein, nicht totschlagen, rausschmeißen. Zum ersten. Diese Sozialpartnerschaft, die Interessengegensätze verschleiern hilft, findet ihre Lobby hier genau im Plenum und powert in einer Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung jetzt ein Gesetz durch auf Kosten der Möglichkeit der Aufstellung von kleinen Listen. Eine echte Sozialpartnerschaft wird uns hier auf höchster Funktionärs- und Stellvertreterebene vorgeführt. Staunend stehen wir wieder einmal vor dieser Ausgeburt an echter Brüderlichkeit. Wenn diese Art der Sozialpartnerschaft allerdings solche Auswirkungen zeigt, daß sich bei der Frage nach der Finanzierung von Präventionsmaßnahmen zunehmend betriebswirtschaftliche Kalküle in den Vordergrund schleichen, dann ist allerhöchste Eisenbahn für eine Umstrukturierung dieser Selbstverwaltungsgremien geboten. ({8}) Denn Gesundheit stellt für uns eine Aufgabe dar, zu der mehr als nur Krankenreparatur gehört. Wir GRÜNEN fordern entsprechend nun als längst überfälligen Schritt den Hinauswurf der Arbeitgeber aus den Gremien der Sozialversicherung. Sie haben dort nichts zu suchen, denn ihre Beitragsanteile sind nichts anderes als vorenthaltene Lohnanteile. Das muß auch der Bevölkerung genau so gesagt werden, selbst wenn die etablierten Parteien noch so sehr zetern. ({9}) - Das macht nichts, wir schicken denen das Protokoll. Zum zweiten geht es um die derzeitige Organisierung der Sozialversicherung selbst. Ständig hört man in Veranstaltungen und liest in Hochglanzbroschüren, daß sich das gegliederte System der Sozialversicherungen bewährt habe. Wir teilen diese Meinung in vielen Punkten nicht. Wer sich nur ein bißchen in der Sozialpolitik auskennt, weiß, wie chaotisch dieses zergliederte System in Wirklichkeit ist. Vor allem im Bereich der Behindertenpolitik, in der Rehabilitation und bei den Hilfen für psychisch Kranke und Behinderte ist der sozialpolitische Alltag geprägt von Streitigkeiten mit und zwischen diversen Kostenträgern. Leidtragende sind in aller Regel die Betroffenen. Der Hintergrund ist klar: Weil die Sozialversicherungen beitragsbezogen sind, vom Prinzip her also auf die Erwerbsarbeit zentriert sind, werden erstens alle Menschen, die nicht regelmäßig in Erwerbsverhältnissen stehen, benachteiligt, und das sind, wie Sie vorhin schon sehr richtig gesagt haben, Frauen und Behinderte und psychisch Kranke, und zweitens steht immer die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit im Vordergrund. Im Rehabilitationsrecht führt das zu dem Skandal, daß der Grundsatz „Rehabilitation vor Rente" für gerade die benachteiligten Gruppen des Arbeitsmarktes, also für ältere Arbeitnehmer, für Frauen, kaum noch gilt. Dieser Erwerbsarbeitszentrismus der Sozialversicherung, dieses zergliederte Chaos, das in dieser Form im übrigen international einzigartig dasteht, verhindert eine ganzheitliche Sozialpolitik. Es verstärkt die Ausgrenzung Behinderter und psychisch Kranker, die Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft und ein Krankheitswesen, daß unfähig ist, eine ordentliche Gesundheitssicherung, eine ordentliche Gesundheitsvorsorge zu betreiben. Wir GRÜNEN wissen, daß wir noch die einzigen sind, die sich an die Heilige Kuh des Sozialversicherungschaos herantrauen. Wir erarbeiten derzeit eine Reihe von Konzepten, die für eine Regionalisierung der sozialen Finanzen und für eine Universalisierung der sozialen Leistungen sorgen sollen. Aus diesem Grunde halten wir beispielsweise nichts von der Einführung einer vierten Säule der Sozialversicherung, der Pflegeversicherung, wie sie derzeit in den Kreisen der Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege, der SPD oder der ÖTV diskutiert wird. Wir halten nichts davon, das Chaos in der Sozialpolitik durch ein weiteres System noch zu erweitern, und werden daher im Herbst dieses Jahres ein Bundes-Pflegegesetz als Bundesleistungsgesetz in den Bundestag einbringen. Pflegehilfen sollen unabhängig von der Rolle im Erwerbsleben, selbstbestimmend und in dezentraler Verantwortung angeboten werden. Wir GRÜNEN lehnen aus all diesen Gründen den vorliegenden Gesetzesentwurf ab, weil er nämlich einen Schritt zurück in die Bismarksche Ära der Sozialpolitik ist, aus der wir langsam herauskommen wollten. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Jetzt kommt der Herr Staatssekretär Höpfinger. Bitte sehr, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich dem Kollegen Glombig zuwenden. Ich glaube, Herr Kollege Glombig, Sie haben gefragt, ob Norbert Blüm der richtige Arbeitnehmervertreter sei. Darauf kann ich nur sagen: Wer Norbert Blüm in seiner Haltung und in seiner Arbeit kennt, der weiß, daß er der hervorragendste Arbeitnehmervertreter ist, den es gibt. ({0}) Und weil er Sozialpolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik in einer Zusammenschau sieht, ist er auch der beste Mann am richtigen Platz. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler? - Keine Zwischenfragen.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt aber einige Anmerkungen zum Gesetzentwurf. Das erste, was ich sagen darf, ist: Im Ausschuß wurde diese Vorlage sehr zügig beraten. Dafür danke ich allen Beteiligten. Ziel des Gesetzes ist es, das Wahlrecht für die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen in der Sozialversicherung zu verbessern, die Selbstverwaltung zu stärken, den Versicherten mehr Mitwirkungsmöglichkeiten zu gewährleisten und den Versicherten als Wähler bei den Sozialwahlen mehr Klarheit und Durchblick über die Organisationen und Programme zu ermöglichen, die zur Wahl stehen. Es gab Mängel in der Vergangenheit, die mit diesem Gesetz behoben werden sollen. Sie wurden bereits angesprochen, ich brauche nicht näher darauf einzugehen. Der Gesetzentwurf trifft Vorsorge, daß künftig nur noch solche Gewerkschaften und Arbeitnehmervereinigungen Vorschlagslisten einreichen können, die in der Lage sind, durch ihre Vertreter eine vernünftige und wirksame Sozialpolitik in den Selbstverwaltungsorganen zu betreiben. ({0}) Das stellt Anforderungen an die einzelnen Vereinigungen, und dies mit Recht. Der Bürger muß sich auf seine Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen verlassen können, und die Organisationen, die sich zur Wahl stellen, müssen an ihren Mitgliedern Sozialarbeit betreiben. Das war ein Grundgedanke bei dieser Gesetzesvorlage. Das Gesetz bringt mehr Klarheit, hindert aber niemanden an einer Wahlbeteiligung. Es bleibt jedem unbenommen, unter seinem Namen mit anderen Versicherten eine eigene Liste einzureichen. Hier besteht eine Meinungsverschiedenheit zwischen Regierungsparteien und der SPD. Kontrovers ist, welche Mitgliederzahl eine Arbeitnehmervereinigung haben muß, damit sie Gewähr für Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der sozial- oder berufspolitischen Zielsetzung und Zwecksetzung bietet. Wir meinen, daß die Größe einer Arbeitnehmervereinigung für sich allein noch nichts aussagt über die Qualität der Arbeit. Der Geist weht schließlich, wo er will. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Das kann ich nicht verneinen, Herr Kollege.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das habe ich mir gedacht. - Herr Staatssekretär Höpfinger, die Logik Ihrer Ausführungen müßte doch eigentlich zur Folge haben, daß Sie unseren Anträgen zustimmen.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Ich kann Ihnen schon sagen, warum wir nicht zustimmen werden. ({0}) Das ist nicht erforderlich; in den Ausschüssen wurde sehr klar gesagt, warum weder dem ersten Antrag zugestimmt zu werden braucht, was also das Quorum anlangt, - ({1}) Wir sind nämlich der Meinung, daß kleinere Organisationen die Möglichkeit haben sollten, daß sie auch mit der Hälfte des Unterschriftenquorums - ({2}) - Doch, doch, die stimmen trotzdem. - Der zweite Antrag braucht deshalb nicht angenommen zu werden. Wir sind der Meinung, daß diese Passage nicht herein muß, weil praktisch durch die jetzigen Überlegungen schon sichergestellt ist, daß Ausführungsbestimmungen auch befolgt und durchgeführt werden. ({3}) Im übrigen braucht man das nicht in ein Gesetz hineinzuschreiben, deshalb blieb es auch weg. Kleinere Arbeitnehmervereinigungen leisten bei einem engagierten Mitgliedereinsatz genauso wirkungsvolle Arbeit in der gesamten Selbstverwaltung. Die Regierungsfraktionen wollen, daß auch die kleineren Arbeitnehmervereinigungen in der Selbstverwaltung eine Chance haben. Die ergänzenden Regelungen kommen allen Arbeitnehmervereinigungen zugute, die eine gesunde Basis für die Tätigkeit der Organmitglieder in den Selbstverwaltungsorganen der Versicherungsträger bieten. Die Voraussetzungen des neuen § 48 a des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs müssen im Zusammenhang gesehen werden. - Das ist also praktisch noch einmal ein Hinweis auf Ihre Anfrage, Kollege Glombig. - Sie stellen sicher, daß nur solche Gewerkschaften und sonstige Arbeitnehmervereinigungen sich an den Wahlen beteiligen können, die als Organisation in der Lage sind, eine sozial- oder berufspolitische Zwecksetzung tatsächlich und nachdrücklich zu verfolgen. Dazu gehört Ehrlichkeit des Namens der Vereinigung - man muß wissen, um wen es sich handelt -, Anforderung einer soliden finanziellen Grundlage und eine bestimmte Mitgliederzahl - und zwar beitragzahlende Mitglieder - und als Anlaufzeit eine gewisse Zeit des Bestehens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nenne einige weitere Punkte des Gesetzentwurfs: Abschaffung der Wahlräume, allgemeine Einführung der Briefwahl. Da könnte man sagen: Einmal sparen Sie Kosten, zum anderen aber - da treffen wir uns, Kollege Glombig - muß die Wahl zu den Selbstverwaltungsorganen viel tiefer in das Bewußtsein der Bevölkerung eindringen. Ich glaube, daß das eine Regelung wäre, um auch die Wahlbeteiligung zu steigern, also zur Beteiligung an der Wahl zu ermuntern. Zustimmung dürfte auch die Regelung über die Haftungsbegrenzung der Organmitglieder finden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Anbetracht der Zeit möchte ich mich gleich dem Schluß zuwenden. ({4}) Ich möchte ein Wort zur Bedeutung der Selbstverwaltung sagen. Weit über 90 % unserer Bevölkerung sind von den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung erfaßt und damit mittelbar von jeder Neuregelung betroffen. Schauen wir uns einmal das Finanzvolumen an, das in der Selbstverwaltung im Jahr bewältigt wird! Wenn wir nur die beiden Bereiche gesetzliche Krankenversicherung und Rentenversicherung nehmen, dann sind das 275 Milliarden DM in einem Jahr. Vergleichen wir das einmal mit dem Bundeshaushalt! Mit diesem Hinweis will ich die Bedeutung der Selbstverwaltung hervorheben und allen danken, die sich für die Mitarbeit in den Selbstverwaltungsgremien zur Verfügung stellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe auf die Art. 01 und 1 Nr. 01 bis Nr. 3 in der Ausschußfassung. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/1666 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung ist angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 5 bis Nr. 11 c in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Die Fraktion der SPD beantragt auf Drucksache 10/1669 die Einfügung einer Nr. 12 in Art. 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit größerer Mehrheit abgelehnt. Meine Damen und Herren, ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit großer Mehrheit gegen einige Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen angenommen. Meine Damen und Herren, im übrigen hat der Deutsche Bundestag den Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf Drucksache 10/1264 zur Kenntnis genommen. Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. Juni 1984, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.