Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/8/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe nun diesen Zusatzpunkt auf: Aktuelle Stunde Situation im NATO-Bündnis nach der Entscheidung der niederländischen Regierung zur Nachrüstung Ich eröffne die Aussprache. Wer ist, bitte, der erste Redner? ({0}) - Das Wort hat der Abgeordnete Vogt. Bitte.

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein besonderer Gruß gilt in diesem Augenblick der holländischen Friedensbewegung. Denn sie hat für die erste gute Nachricht seit dem 23. November 1983 gesorgt, als sich in diesem Hause eine Mehrheit von Parlamentariern gegen die Mehrheit des deutschen Volkes gestellt und die Stationierung neuer, erstschlagsgeneigter Atomwaffen in der Bundesrepublik beschlossen hat. Die Entscheidung der holländischen Regierung ist janusköpfig. Tatsache ist einerseits, daß das Kabinett in Den Haag der Stationierung von Marschflugkörpern in den Niederlanden nach langem Zögern zugestimmt hat. Richtig ist andererseits aber auch, daß Holland aus dem zeitlichen Stationierungsschema der NATO ausgestiegen ist und daß es zugleich der Sowjetunion ein Signal gegeben hat. Durch Zugeständnisse in der Rüstungskontrolle kann die Sowjetunion unter Umständen die Nichtstationierung der 48 Marschflugkörper in den Niederlanden erreichen. Ich möchte an dieser Stelle an die Sowjetunion appellieren, dieses Signal ernst zu nehmen und nach eigener Wahl eine Antwort zu setzen, ({0}) sei es, daß sie die sogenannten Gegenmaßnahmen stoppt, sei es, daß sie eine angemessene Zahl in Europa bereits stationierter SS 20 abbaut und verschrottet. Es kommt in der aktuellen, verfahrenen Situation nicht auf rechthaberisches Aufrechnen von Raketen, sondern auf Zeichen des guten Willens an. Eine Konzession der Sowjetunion an ein Land wie die Niederlande würde im Westen mehr Bewegungsspielraum für die Kräfte schaffen, die auf Abrüstung drängen. Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, angesichts der souveränen Entscheidung der holländischen Regierung wollen wir nicht beckmesserisch sein. Wir teilen zwar die Kritik der holländischen Friedensbewegung. Sie besagt, daß die Entscheidung der Regierung nicht weitgehend genug sei und der gleichen Logik folge wie der unselige NATO-„Doppelbeschluß", da die eventuelle Stationierung vom sowjetischen Verhalten abhängig gemacht wird. Wir bedauern auch, daß sich die holländische Regierung nicht dem Vorschlag des italienischen Ministerpräsidenten Craxi auf Wiederaufnahme der Verhandlungen über Mittelstrekkenraketen und Stationierungsstopp in Ost und West während der Verhandlungen angeschlossen hat. Wir hoffen aber gleichwohl, daß die holländische Entscheidung die erste Etappe auf dem Wege der Nichtstationierung ist. Unsere Bundesregierung fordern wir auf, die souveräne Entscheidung der holländischen Regierung zu respektieren und sich jeglichen Versuchs zu enthalten, auf die holländische Regierung Druck auszuüben. Wir haben gesehen, meine Damen und Herren, daß in unserem Nachbarland der Respekt der Regierung vor dem Willen der wirklichen Mehrheit im Volk ausgeprägter vorhanden ist als bei unserer Regierung. ({1}) Das holländische Beispiel zeigt, daß es auch innerhalb der NATO Spielraum für souveräne Entscheidungen gibt. Die deutsche Bundesregierung kann sich nun nicht mehr hinter NATO-Zwängen verschanzen, wenn sie gegen den Willen der Mehr5428 Vogt ({2}) heit unseres Volkes an der Stationierungsentscheidung festhält. ({3}) Das holländische Beispiel enthält für uns, die Friedensbewegung, die Botschaft, daß noch nicht alle Würfel gefallen sind. Die Stationierung der Cruise Missiles hat hierzulande noch nicht begonnen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie ihre allzu willfährige Entscheidung, der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles zuzustimmen, noch einmal überdächte. Der Friedensbewegung in der Bundesrepublik und weltweit gibt der Erfolg unserer Freunde in Holland neuen Auftrieb. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, daß am 17. Juni in einigen Wahlkreisen Gelegenheit besteht, in der Nähe der Wahllokale die eigene Meinung zur Stationierung zum Ausdruck zu bringen. Die Teilnehmer an der selbst organisierten Volksbefragung sind zugleich Vorkämpfer einer stärker im Volke verankerten Demokratie. Durch Verweigerungsaktionen bis hin zum Kriegssteuerboykott werden wir weiterhin Widerstand gegen die Stationierung üben, bis auch unsere Regierung einsieht - und das, Herr Klein, ist immer aktuell -, ({4}) daß sie nicht dauerhaft den Willen der Mehrheit unseres Volkes mißachten kann. Liebe Freundinnen und Freunde, man sagt, es ginge um eine holländische Krankheit. Wir sehen das anders. Laßt uns für gesunde holländische Verhältnisse auch in diesem unserem Lande sorgen! Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer. ({0})

Dr. Jürgen Todenhöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002333, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Wenn ich eben den Zuruf aus den Reihen der Opposition höre „aufrüstungspolitischer Sprecher", dann muß ich sagen: Es gibt hier einen sogenannten abrüstungspolitischen Sprecher der SPD, aber der entwickelt sich immer mehr zum Sprecher für westliche Abrüstung und sowjetische Aufrüstung. Das ist Egon Bahr, wie Sie wissen. ({0}) - Ich mußte das doch einmal zurückgeben. Ich brauche mir ja nicht jeden Zwischenruf gefallen zu lassen. Meine Damen und Herren, wir verbergen nicht eine gewisse Enttäuschung über die niederländische Entscheidung, obwohl wir die schwierige innenpolitische Lage Hollands kennen und auch einzuschätzen wissen. Aber wir wissen, daß Sicherheit und Frieden nur zu bewahren sind, wenn die NATO in allen entscheidenden Lebensfragen geschlossen bleibt. Die niederländische Entscheidung hat die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses zumindest in einem Teilbereich nicht erleichtert. Ich will das ganz offen sagen. ({1}) Aber ich will ebenso offen vor bewußten Mißinterpretationen der niederländischen Entscheidung durch die SPD und durch die GRÜNEN warnen. Die Niederlande stehen, anders als die SPD und die GRÜNEN, positiv zum NATO-Doppelbeschluß. ({2}) Sie halten, anders als die SPD und die GRÜNEN, die gegenwärtige Überlegenheit der Sowjetunion im Bereich der Mittelstreckenraketen für untragbar. ({3}) Wir lassen uns, Herr Ehmke, das NATO-Bündnis von der SPD und den GRÜNEN nicht auseinanderdividieren. Die holländische Sicherheitspolitik ist uns um vieles lieber als die zunehmend antiamerikanische Sicherheitspolitik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. ({4}) Ich will unsere Abrüstungsposition noch einmal verdeutlichen: Erstens. Wir treten für die weltweite Abschaffung aller nuklearen Mittelstreckenraketen größerer Reichweite ein, sowohl im Osten wie auch im Westen. ({5}) - Da müßten Sie doch Beifall klatschen, Herr Vogt, anstatt zu lästern. - Wir wollen in dieser Kategorie der Waffen ein weltweites Gleichgewicht von Null zu Null. Die Sowjetunion kann morgen bereits den Abbau aller aufgestellten Pershing II und aller aufgestellten bodengestützten Marschflugkörper haben, wenn sie heute weltweit ihre SS 20 verschrottet. ({6}) Aber, meine Damen und Herren, wenn die Sowjetunion an einem Abbau der nuklearen Mittelstrekkenraketen interessiert ist, muß sie doch erst einmal an den Verhandlungstisch zurückkehren, und zwar ohne Vorbedingungen. ({7}) Wir haben doch auch ohne Vorbedingungen verhandelt, als die Sowjets ihre SS 20 aufgestellt haben. ({8}) Zweitens. Wir sind, anders als die SPD und die GRÜNEN, nicht bereit, uns vor sowjetischer ErDr. Todenhöfer pressung zu beugen. Wir wollen mit der Sowjetunion in Frieden leben, aber wir sind nicht bereit, dafür die Sicherheit unseres Landes aufs Spiel zu setzen oder eine Verringerung der Sicherheit unseres Landes in Kauf zu nehmen. Wir spielen, anders als die GRÜNEN und die SPD, nicht Russisch Roulett mit dem Frieden und der Freiheit unseres Landes. ({9}) - Mit Sicherheit sind wir besser als Sie, Herr Ehmke, mit Sicherheit zuverlässiger, glaubwürdiger und berechenbarer für unsere Freunde als Sie, Herr Ehmke, und als Ihre sozialdemokratischen Freunde. ({10}) Wir werden daher drittens am Zeitplan des NATO-Doppelbeschlusses festhalten. Nur so kann der Sowjetunion klargemacht werden, daß sich ihre ständige Vorrüstung heute nicht lohnt ({11}) und auch in Zukunft nicht lohnen wird. Wir treten energisch und mit Leidenschaft für Abrüstung ein, aber es muß Abrüstung auf beiden Seiten sein. Ich höre Herrn Bahr nach mir schon sagen: Holland, du hast es besser. ({12}) Aber, lieber Herr Bahr, erst umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Bundesrepublik Deutschland hat es besser, weil sie eine Regierung hat, ({13}) die in schwieriger Zeit - anders als Ihre Partei, Herr Bahr - nicht umgefallen ist, sondern eine schwierige Frage gegen den Rat der SPD ({14}) richtig entschieden hat und die nun mit kühlem Kopf an dieser richtigen Entscheidung festhält. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Rede meines Vorredners nicht eingehen. Es lohnt nicht. ({0}) Ich möchte feststellen: Ein halbes Jahr nach Beginn der Stationierung ist folgendes klar. Erstens. Das Raketenthema läßt uns auch weiterhin nicht los. ({1}) Zweitens. Die amerikanische Administration und die Bundesregierung haben sich hinsichtlich der Folgen des Stationierungsbeginns geirrt. ({2}) Der Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle hat allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages rechtzeitig die Berichte über seine Gespräche in Washington und Moskau im September und Oktober vergangenen Jahres zugehen lassen. Die Lektüre lohnt auch heute noch, selbst für Sie, Kollege Todenhöfer. Nur ein kurzes Zitat des Direktors der amerikanischen Rüstungskontrollbehörde: Der planmäßige Stationierungsbeginn könne den Verhandlungen helfen. Es ist festzustellen, daß die von unseren Moskauer Gesprächspartnern erläuterten Stationierungsfolgen wie angekündigt eingetreten sind: auf beiden Seiten neue Raketen, wachsende Gefährdung, wachsende Bedrohung ({3}) und keine Aussicht auf Verhandlungen in diesem Jahr. Nachdem das Bündnis durch den Beginn der Stationierung seine Stärke bewiesen habe, nicht zuletzt durch die deutsche Entscheidung, habe die Bundesrepublik gewissermaßen ein Anrecht auf eine westliche Verhandlungsinitiative; so der Bundeskanzler vor seiner Amerikareise. ({4}) Das Ergebnis seiner Bemühungen war Null, ebenso das des Außenministers. Das Beharren auf der Maximalposition ist aussichtslos, in Washington wie in Moskau. Was tut in dieser Lage die Bundesregierung? ({5}) Sie wiederholt, daß man keinen Preis für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zahlen dürfe. Aber mit dieser Position zahlen wir einen hohen Preis: die Verschlechterung der Lage in beiden deutschen Staaten. ({6}) Warum schließt sich die Bundesregierung nicht unserer Forderung an, zunächst einen Stopp weiterer Stationierung zu vereinbaren, ({7}) wenigstens eine Verlangsamung zu vereinbaren, und zwar als Basis dafür, auf beiden Seiten das wegzubringen, was seit Dezember vergangenen Jahres stationiert wurde, ({8}) als Basis auch dafür, eine radikale Reduktion der SS 20 herbeizuführen? Warum unterstützt die Bundesregierung nicht die Initiative der sechs Staats- und Regierungschefs oder die entsprechenden Forderungen Rumäniens, Italiens, der Volksrepublik China und Indiens? ({9}) Statt dessen hat die Bundesregierung auf die niederländische Regierung gedrückt, dem Stationierungsbeginn zuzustimmen, übrigens ebenso erfolglos. ({10}) Die niederländische Regierung ist dafür zu beglückwünschen, daß sie nach sorgfältiger Definition der niederländischen Interessen jedem Druck widerstanden und den Stationierungsbeginn verschoben hat. Die niederländische Entscheidung zerstört, wie wir sehen, das Bündnis nicht; sie eröffnet vielmehr dem Bündnis eine Chance, zu einem Stationierungsstopp zu kommen, die Raketenentwicklung wieder zu kontrollieren ({11}) und den abgerissenen Dialogfaden wieder zu knüpfen. ({12}) - Ich rede über unsere Interessen; Sie können über Ihre reden! ({13}) Das Bündnis sollte den von den Niederlanden geschaffenen Zeitgewinn nutzen. Die Bundesregierung wird zu verantworten haben, wenn sie die Chance der niederländischen Option ungenutzt läßt. ({14}) Entsprechendes ist auch der Sowjetunion zu sagen. ({15}) - Ja, Sie müssen mit Ihren Zwischenrufen etwas vorsichtiger sein. - Eine konstruktive Reaktion auf die niederländische Entscheidung aus Moskau könnte einen neuen Anknüpfungspunkt schaffen. Bei einer negativen Reaktion und neuen SS-20-Stationierungen hätte die Sowjetunion die weitere Zuspitzung der Lage durch die angekündigte niederländische Konsequenz mit zu verantworten. In dem scheinbar unaufhaltsamen Ablauf immer weiterer Stationierungen auf beiden Seiten hat die niederländische Entscheidung eine neue Lage geschaffen. Ob sie konstruktiv genutzt wird - auch im Osten -, ist aber im Deutschen Bundestag zunächst eine Frage an die Bundesregierung, ihre Verantwortung für die Vertretung deutscher Interessen, an der wir sie messen werden. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Frage beantworten will, die mit diesem Thema gestellt ist, muß sich wohl zunächst noch einmal darüber klar werden, daß wir es hier vornehmlich mit einer politischen und nicht mit einer rüstungspolitischen Frage zu tun haben. In diesem Zusammenhang, Kollege Bahr, ist es interessant, daß Sie sich in Ihren Ausführungen eben als Prophet betätigt und bereits vorhergesagt haben, daß auch alle weiteren Bemühungen, die in dem Doppelbeschluß der NATO angelegt sind, scheitern werden. Sie haben eine ganz andere Formulierung gebraucht, die mich doch sehr stutzig gemacht hat. Sie haben nämlich gesagt, die Holländer hätten keinem Druck nachgegeben. Heißt das eigentlich, daß derjenige keinem Druck nachgibt, der sich nicht an getroffene Vereinbarungen hält, oder ist es nicht vielmehr so, daß die Grundsubstanz der NATO nur erhalten werden kann, wenn die Partner dieses Bündnisses tatsächlich bereit sind, sich an das zu halten, was sie gemeinsam vereinbart haben? ({0}) - Es ist doch keine Frage, daß die Holländer eine Verschiebung des Termins vorgenommen haben. Herr Kollege Horn, machen wir uns doch nichts vor! ({1}) Aber auf der anderen Seite bin ich überhaupt nicht bereit, den Vorgang zu dramatisieren, der in dieser Verschiebung mit den Vorbehalten liegt, die die holländische Regierung hierzu gemacht hat und die ja in ihrer Grundsubstanz im Grunde genommen dann doch wieder der Intention des NATO-Doppelbeschlusses entsprechen. Machen wir keinen Fehler, indem wir versuchen, zu sagen, nach dieser Entscheidung der niederländischen Regierung sei eine völlig neue und veränderte Situation des Bündnisses eingetreten! Nur möchte ich jedem, der über diese Frage nachdenkt, gerne in die Erinnerung zurückrufen: Es geht hier nicht um Nachrüstung gegen eine Waffe von rein militärischer Bedeutung. An dem Termin der NachRonneburger rüstung haben wir gewiß nicht - das sage ich vor allem auch an die Adresse der Fraktion der GRÜNEN - leichten Herzens und leichtfertig festgehalten. Das möge uns niemand unterstellen. Das war eine schwierige Entscheidung, aber es war eine notwendige Entscheidung. ({2}) Die SS 20-Stationierung, Herr Kollege, war eine Maßnahme, mit einer politischen Zielsetzung, eine Maßnahme, die auf eine Destabilisierung des NATO-Bündnisses zielte, auf eine Abkoppelung Europas von den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Doppelbeschluß war eine politische Antwort. Wer auch immer, Herr Kollege Bahr, ihn kritisiert und voraussagt, er werde auch in Zukunft keinen Erfolg haben, der möge doch noch einmal daran denken, daß dieser Doppelbeschluß das erste Mal - aber wirklich das erste Mal - in der gesamten Nachkriegszeit eine Entscheidung war, die eine Rüstung auf der einen Seite nicht automatisch mit einer Rüstung auf der anderen Seite beantwortete. Vielmehr wurde sechseinhalb Jahre nach Beginn der Stationierung der SS 20 erstmals mit der Nachrüstung begonnen. Diese Komponente sollten wir nun weiß Gott nicht zerreden. Wir sollten uns davor hüten, uns heute hier hinzustellen und zu sagen: Alle diese Bemühungen werden auch in Zukunft scheitern, sie seien praktisch schon gescheitert. Sie haben zwar eingeschränkt: keine Verhandlungsaussichten in diesem Jahr, und damit haben Sie, Herr Kollege Bahr, zumindest klargemacht, daß Sie einen Verhandlungsbeginn - zu welchem Zeitpunkt auch immer - nicht ausschließen. Aber ich sage Ihnen: Wenn die Entscheidung der niederländischen Regierung als eine Aufweichung einer geschlossenen Haltung der NATO interpretiert werden könnte, dann hätten wir eine andere Situation in der NATO, dann hätten wir eine andere Situation auch aus dem Blickwinkel von Moskau. Ich kann Ihnen nur sagen: So schwer vielen von uns die Entscheidung gefallen ist, die wir am 22. November des vorigen Jahres getroffen haben, so sage ich noch heute, sie war richtig, sie war notwendig, und sie war das, was wir zur Sicherung des Friedens und nicht etwa, wie es von Ihnen immer gesagt wird, zum Unsichermachen des Friedens brauchen. Wir werden an dieser Entscheidung aus guten und wohlüberlegten Gründen festhalten. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entscheidung, den Doppelbeschluß zu verwirklichen und mit der Stationierung zu beginnen, war richtig, und sie bleibt richtig. ({0}) Die Sicherheit unseres Landes und die Sicherheit seiner Bürger wurden damit verbessert, die Bedrohung durch die SS 20 in Schach gehalten. Zweitens. Das Bündnis hat mit dieser Entscheidung seine Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. ({1}) Drittens. Wir haben der Sowjetunion und der ganzen Welt nachgewiesen, daß wir imstande sind, unsere eigenen Lebensinteressen und unsere Freiheit zu schützen und zu verteidigen. ({2}) Schließlich: Wir haben der Sowjetunion gezeigt, daß wir Druck, Drohung und Erpressung nicht weichen werden, sondern daß es nur einen Weg gibt, der langfristig zu mehr Sicherheit auch für die Sowjetunion führt, ({3}) und das ist der des Verhandelns, des beiderseitigen Abrüstens, des Respekts vor den Sicherheitsinteressen der anderen und des wechselseitigen Entgegenkommens. Das ist der einzige Weg zu einem sicheren Frieden in dieser Welt. ({4}) Einseitige Abrüstung - es wird Zeit, daß Sie diese Lektion lernen ({5}) und Wehrlosigkeit der westlichen Staaten führen nicht zum Frieden, sondern zum Krieg. ({6}) Schon heute ist klar, daß viele der Befürchtungen und Ängste der Gegner der Nachrüstung nicht eingetroffen sind. ({7}) Erstens. Die Kriegsgefahr hat sich sichtbar nicht erhöht. Zweitens. Die Verhandlungen zwischen Ost und West über Rüstungskontrolle sind nicht zum Erliegen gekommen. ({8}) In Wien und in Stockholm wird zwischen den beiden Blöcken über Fragen der Rüstungskontrolle und der Vertrauensbildung verhandelt. ({9}) Drittens. Auch wenn Sie es nicht zur Kenntnis nehmen: Die innere Stabilität der Stationierungsländer ist nicht erschüttert. ({10}) Gott sei Dank ist es nicht so, wie Sie einleitend gesagt haben; die Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik Deutschland hat inzwischen mit Sicherheit begriffen, daß unsere Entscheidung im Interesse der Bürger der Bundesrepublik Deutschland richtig und konsequent war. ({11}) Schließlich ist der Bündniszusammenhalt nicht in Gefahr. Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundesregierung die Entscheidung der niederländischen Regierung bedauert, und zwar aus zwei Gründen. Der Aufschub der Stationierung um eineinhalb Jahre muß Zweifel an der Entschlossenheit und an der Geschlossenheit des westlichen Bündnisses wecken. ({12}) Wir sehen darin ein falsches Signal in Richtung Moskau, denn eine solche Entscheidung muß all jenen Kräften in der politischen Führung der UdSSR Auftrieb geben, die nicht auf Verhandlung, sondern auf Druck, Drohung und auf den Versuch setzen, den Westen durch Einschüchterung zu bewegen, seine Verteidigungsfähigkeit aufzugeben. Das heißt: Es wird genau das Gegenteil dessen eintreten, was sicher beabsichtigt ist. Die Sowjetunion wird dadurch eben nicht zur Rückkehr an den Verhandlungstisch bewogen, ({13}) sondern die Sowjetunion wird ihren Versuch fortsetzen - bei Ihnen, Herr Ehmke, natürlich mit Erfolg -, den Westen von seiner Entschlossenheit abzubringen und zwischen die Staaten des Bündnisses einen Keil zu treiben. ({14}) Im übrigen zweifeln wir nicht daran, daß die anderen Stationierungsländer so wie wir an ihren Bündnisverpflichtungen festhalten werden. Wir werden uns jedenfalls nicht beirren lassen. ({15}) Im übrigen sind wir der Auffassung, daß die niederländische Regierung, wenn diese eineinhalb Jahre abgelaufen sind, ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen wird. ({16}) Deswegen, Herr Ronneburger, gebe ich Ihnen ausdrücklich recht: Es ist kein Anlaß, dies zu dramatisieren. Jetzt noch ein Wort an die Adresse der Sowjetunion. ({17}) Im Unterschied zu Ihnen, Herr Ehmke, auf dessen Haltung die Sowjetunion in gewisser Weise ja rechnen kann, nimmt die Sowjetunion die Worte und die Entscheidungen derer ernst, von denen sie weiß, daß sie ihre eigenen Interessen, die Sicherheitsinteressen des deutschen Volkes, und nicht das vermutete Interesse der Sowjetunion zur Richtschnur ihrer Entscheidungen machen. ({18}) Die Sowjetunion muß wissen, daß es einen Weg, aber nur einen Weg gibt, uns von der weiteren Stationierung abzubringen. Dieser Weg ist der Abbau ihrer SS 20. ({19}) Wir, der Westen, die Bundesregierung, halten an unserem Angebot fest, jede der neuen Waffen zu vernichten, abzuziehen, wenn die Sowjetunion das gleiche tut. Herr Bahr, ich weiß nicht, wie Sie hier von Maximalpositionen reden können. Wenn es eine Maximalposition gibt, dann ist es die der Sowjetunion, die seit Jahren stationiert und ihre Stationierung ununterbrochen ohne Rücksicht auf sie und die Niederländer fortführen wird. ({20}) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir hatten einen sechsjährigen einseitigen Stopp, während die Sowjetunion aufgerüstet hat. ({21}) Und was war das Ergebnis? Hat sich die Sowjetunion beeindrucken lassen? Nein, und deswegen gibt es nur ein Mittel, sie zu beeindrucken, d. h. die Entscheidung zur Sicherung der eigenen Verteidigung konsequent durchzusetzen. ({22}) Darum wird es kein Moratorium mit unserer Zustimmung geben. Wir fordern die Sowjetunion auf, die unterbrochenen INF-Verhandlungen wieder aufzunehmen und zu gleichgewichtiger Abrüstung bereit zu sein. Wir - ich wiederhole das - sind dazu bereit. Die Sowjetunion täte dem Frieden der ganzen Menschheit, aber auch ihren eigenen Interessen den besten Dienst, wenn sie so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückkehren würde. ({23})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was Minister Wörner soeben gesagt hat, ist eine Verhohnepiepelung der gesamten internationalen Lage, mit der wir es zu tun haben. Es ist keineswegs so, Herr Minister, ({0}) daß wir es mit harmlosen Entwicklungen zu tun haben, insbesondere nach der Stationierungsentscheidung. ({1}) Es ist zwar so, daß in Stockholm verhandelt wird ({2}) das haben wir auch hervorgehoben; das haben wir auch mit bewirken helfen -, aber diesem einen Schritt vor stehen viele, viele Schritte zurück entgegen. Damit haben wir es bei der Rüstungsentwicklung konkret zu tun. In Stockholm wird über Vertrauensbildung verhandelt. Es wird darüber verhandelt, daß man über vertrauensbildende Maßnahmen möglicherweise schon nach zwei Wochen, statt erst nach drei Wochen irgendwelche Vorbereitungen - Manöver usw. - erkennen kann. Gleichzeitig reduzieren sich auf dem nuklearen Sektor die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten - zwischen Ost und West. ({3}) Wir haben es mit der weiteren Mittelstreckenraketenrüstung zu tun. Keine neue Verhandlungsperspektive deutet sich an. Wir haben es mit Rüstungsschritten in der DDR und der CSSR zu tun, ({4}) die natürlich auch eine Antwort auf die westliche Stationierung sind, ({5}) weil die Chancen nicht genutzt wurden, die Kurzstreckenraketen in der DDR und in der CSSR durch ein Ergebnis bei den Genfer Verhandlungen zu reduzieren. ({6}) - Auch Ihre vielen Zwischenrufe können davon nicht ablenken. Das ist die Situation. ({7}) Sie sind beklommener, als Sie zugeben. Und nun behalten Sie mal die Nerven, Sie werden sie bei der miserablen Verhandlungspolitik, die Sie betreiben, nötig haben. ({8}) Sie haben keine Antwort auf die Vorschläge, ({9}) die wir machen, um jetzt wirklich diesen Verhandlungsprozeß wieder in Gang zu setzen. Wir werden uns hier noch darüber unterhalten. Herr Wörner, das Bündnis ist sehr wohl in sich zersplittert. Es gibt die holländische Entscheidung. ({10}) Es gibt die Entscheidung Dänemarks, ({11}) die man ja auch nicht vergessen darf. Sie steht im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluß. In Italien hat die Regierung darauf hingewirkt, daß ein Veto-Recht indirekter Art gegenüber einem Einsatz besteht. ({12}) In Großbritannien gibt es Regelungen besonderer Art. Nachdem auch in Belgien noch nicht endgültig entschieden ist, steht die Bundesrepublik politisch in dieser Frage in einer singulären Situation. Und das ist genau das, was immer vermieden werden sollte. ({13}) Das muß man hier mit bedenken. Das alles sind Antworten. ({14}) - Ich wollte nicht so laut reden, ich war dazu durch einige unqualifizierte Zwischenrufe gezwungen, die nicht aufhörten! ({15}) Ich will hier hervorheben, daß die holländische Entscheidung wie auch die zunehmend wachsenden Bedenken bei anderen Folgen davon sind, daß der NATO-Doppelbeschluß denaturiert worden ist. ({16}) Er ist in den nach 1979 folgenden vier Jahren nicht mehr das gewesen, was die Autoren beabsichtigt hatten. Er ist umfunktioniert worden ({17}) von einem Rüstungskontrollbeschluß zu einem Aufrüstungsbeschluß. ({18}) Und es zeigt sich von daher zunehmend die zentrale Frage, die auch schon 1979 bestand, ({19}) daß Westeuropa letztlich für solche Waffensysteme zu klein ist ({20}) und daß es - das will ich Ihnen noch sagen, Herr Klein - eine Irreführung der Öffentlichkeit ist, ({21}) wenn ständig, wie auch zuletzt von Minister Wörner, unterstellt wird, als wären landgestützte Mittelstreckenraketen in Westeuropa die einzige denkbare Möglichkeit, um zu einem Verhandlungsausgleich oder zu einem Sicherheitsausgleich mit der Sowjetunion zu kommen. ({22}) Es zeigt sich zunehmend, durch die weitere Entwicklung in besonderer Weise, daß dies der politisch denkbar schlechteste Weg war. ({23}) Und darauf müssen politische Antworten gefunden werden, die von seiten der Bundesregierung leider vermißt werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wartet ab, und die Entwicklung schlittert weiter dahin. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Staatsminister Möllemann. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der 6Punkte-Beschluß der niederländischen Regierung vom 1. Juni 1984 zur Stationierung von Cruise Missiles enthält folgende politische Kernaussagen. Erstens. Wenn es zu einem sowjetisch-amerikanischen INF-Rüstungskontrollabkommen bis 1. November 1985 kommt, werden die Niederlande den auf sie entfallenden Anteil akzeptieren und 1986 mit der Aufstellung beginnen. Oder, zweitens, wenn es bis zum 1. November 1985 nicht zu einem solchen Abkommen kommt, wird die niederländische Regierung einen Vertrag mit den USA über die Stationierung von 48 Cruise Missiles abschließen, falls dann die Zahl sowjetischer SS 20 den am 1. Juni 1984 erreichten Stand überschreitet. Dies bedeutet aus unserer Sicht für das Bündnis folgendes. Erstens. Der niederländische Kabinettsbeschluß führt zu einem erneuten Aufschub der endgültigen Stationierungsentscheidung. ({0}) Der von der niederländischen Regierung beabsichtigte Aufschub des vorgesehenen Stationierungsbeginns um etwa eineinhalb Jahre und die darin zum Ausdruck gebrachten Bedingungen für die im Doppelbeschluß vorgesehene volle Stationierung bedeuten de facto ein Moratorium. Zweitens. Es könnte der Eindruck entstehen, daß die Niederlande bereit sind, die derzeit bestehende Bedrohung durch das sowjetische Mittelstreckenpotential hinzunehmen. Das Ziel des Doppelbeschlusses war und ist es aber gerade, diese Bedrohung zu neutralisieren. Drittens. Der niederländische Kabinettsbeschluß könnte von der Sowjetunion als ein falsches Signal verstanden werden und der sowjetischen Führung Anlaß zu Mißverständnissen über die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses geben. Niemand hier im Haus sollte der Sowjetunion nahelegen, daraus den Schluß zu ziehen, es sei für sie erfolgversprechender, statt eine Lösung am Verhandlungstisch zu suchen, ihre Einflußnahme auf die westliche Öffentlichkeit fortzusetzen und zu verstärken mit dem Ziel, Keile in das Bündnis zu treiben und die plangemäße Druchführung des Doppelbeschlusses zu unterlaufen. ({1}) Aus den vorgenannten Gründen wiederhole ich das Bedauern der Bundesregierung darüber, daß die niederländische Regierung sich nicht hat entscheiden können, zu einer vollen und zeitgerechten Durchführung des Doppelbeschlusses beizutragen. ({2}) Dieser Beschluß wird derzeit im übrigen im Bündnis, wie festgelegt, durchgeführt. Es laufen entsprechend den getroffenen Vereinbarungen die Stationierungsvorbereitungen und -maßnahmen in Italien, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland. Das sage ich, damit hier kein falscher Eindruck entsteht. ({3}) Die Bunderegierung ist allerdings davon überzeugt, daß die niederländische Regierung alles in ihren Kräften Stehende tun wird, um schließlich ihrer Rolle im Bündnis gerecht zu werden. Es gibt also keinen Anlaß für eine Dramatisierung. Ich möchte hier nur den - ich weiß gar nicht, aus welchen Motiven - erweckten Eindruck zurückweisen, die Bundesregierung übe auf die Niederlande Druck aus. Ich kann mir auch ein System, ein Instrumentarium, wie man das tun könnte, nicht vorstellen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es nützt uns j a im übrigen nichts, wenn wir uns aus dem westlichen Bündnis nach Bedarf Leute herauspicken - wir wissen j a, daß unser Bündnis sich dadurch auszeichnet, daß sich in ihm die Meinungsvielfalt auch in den Parlamenten so artikuliert wie hier doch auch -, die die eine oder andere Meinung unterstützen. Ich entsinne mich, meine geschätzten Kollegen von der SPD, noch sehr genau jenes Tages, an dem hier am Pult François Mitterrand - ({5}) - Meine mehr oder weniger geschätzten Kollegen - das ist in Ordnung. Herr Conradi, Sie haben mit Recht für sich in Anspruch genommen, daß Sie unter die Rubrik „weniger" gehören. ({6}) - Das verbindet uns beide. Meine Kollegen von der SPD, ich entsinne mich noch genau des Tages, an dem hier François Mitterrand, der Staatspräsident Frankreichs - ich glaube, er ist Sozialist, nicht? -, gestanden hat und Sie bei jedem seiner Worte und seiner Sätze tiefer in Ihre Sitze heruntergerutscht sind, weil Herr Mitterrand klarer als jeder andere die Notwendigkeit des Doppelbeschlusses begründet hat. Dieser Beschluß wird deswegen nicht richtiger oder falscher, weil der eine oder andere von außen so argumentiert. Wir haben alle Argumente in der Sache hier j a in vielen Debatten ausführlich ausgetauscht. Ich denke, wir sollten als deutsches Parlament das Selbstbewußtsein haben, unsere Argumente hier auch dann aufrechtzuerhalten, wenn der eine oder andere Partner gelegentlich eine andere Meinung hat. Das halte ich für einen völlig normalen Vorgang. Meine Kolleginnen und Kollegen - geschätzte und weniger geschätzte -, was hat sich denn seit dem Beschluß getan? Herr Scheer, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen: In Stockholm hat die Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung begonnen. Die Tatsache, daß dort 35 Signatarstaaten der KSZE-Schlußakte, vertreten durch ihre Außenminister, den Versuch wiederbelebt haben, Sicherheit nicht nur durch Verteidigung, sondern auch durch Zusammenarbeit zu bewerkstelligen, ist vernünftig und ein positives Zeichen in einer schwierigen Zeit. Die Gespräche über die Begrenzung und ausgewogene Reduzierung von Truppen und Rüstungen sind in Wien wieder aufgenommen worden. Es ist gut, daß diese Verhandlungen wiederaufgenommen worden sind. Wir wünschen uns mit allen hier im Hause, daß die bisher nicht erreichten Ergebnisse endlich erzielt werden können. ({7}) In Genf werden weiterhin die Verhandlungen über die Reduzierung und den Abbau von chemischen Waffen fortgesetzt. Wir wünschen uns nachdrücklich ein Ergebnis, das den vollständigen Abbau dieser Waffen weltweit zustande bringt. ({8}) - Dafür tun wir einiges. Weiter gibt es Gespräche zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Möglichkeiten, den Ausbruch eines Krieges wegen technischer Pannen oder politischer Mißverständnisse unwahrscheinlicher zu machen. Wir begrüßen solche Gespräche als vernünftig. Ausgeklammert, meine Damen und Herren, bleibt bisher aus dem Prozeß des Dialogs der Nuklearbereich. Deswegen ist es vernünftig, daß wir an die Sowjetunion appellieren, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir sind bereit, der Westen ist bereit, egal an welchem Platz, zu welcher Zeit und ohne jede Vorbedingung diese Verhandlungen wieder aufzunehmen. Es kommt auch nicht darauf an, ob diese getrennt oder zusammen geführt werden. Das ist nicht entscheidend, sondern wir sind bereit, auf das Ziel hin zu verhandeln, einen ungefähren Gleichstand auf möglichst niedriger Ebene zu erreichen. Nun haben Sie von der Einstellung der Bevölkerung gesprochen. Ich habe hier die letzte Ausgabe der „Zeit", ({9}) die in einer sehr umfassenden Analyse folgendes festgestellt hat. Während im vergangenen Oktober 38 % der Bundesbürger erklärten, sie beunruhige am meisten die Existenz der Atomwaffen, erklären dies im April dieses Jahres noch 15%. ({10}) Während im letzten Oktober 28 % der Bundesbürger erklärten, sie beunruhige eine mögliche Kriegsgefahr, erklären dies heute noch 14%. Ich will damit sagén, daß diese Bundesregierung ({11}) - oh nein, Herr Ehmke, in diesen Umfragen ist auch diese Aussage ziemlich präzise - für die Fortführung der von der Regierung Schmidt/Genscher praktizierten Politik, für den West-Ost-Dialog, gestützt auf klare Beschlüsse des westlichen Bündnisses, offenkundig die Zustimmung der Bevölkerung hat. ({12}) Ich möchte Ihnen abschließend sagen: Es ist nun wirklich allmählich peinlich, wie Ihre Partei ver5436 sucht, sich in einem Tempo aus ihrer eigenen sicherheitspolitischen Geschichte davonzuschleichen, das Sie selbst nicht mehr nachvollziehen können. ({13}) Meine Damen und Herren, sehen Sie einmal folgendes. Helmut Schmidt, den Sie auf Ihrem Parteitag in Ehren verabschiedet haben, erhielt auf seinem eigenen Parteitag für seine sicherheitspolitische Position noch 3%. Ich frage mich, wenn ich Kollegen, wie Karl Nagel, Erwin Horn, Frau Renger und andere hier im Plenum sehe, ({14}) die mit uns gemeinsam diese Politik formuliert haben: Wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn heute Oskar Lafontaine, bis vor kurzem eine Minderheit in Ihrer Partei, in dieser Partei in der Sicherheitspolitik den Ton angibt? ({15}) Sie haben Grund, darüber nachzudenken, wohin Ihr Weg eigentlich geht. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die tragenden Gründe liest, die die niederländische Regierung zu ihrer Entscheidung veranlaßt haben, der verspürt die politische Enttäuschung über die zerrütteten amerikanisch-sowjetischen Beziehungen. Diese Entscheidung stellt eine direkte Kritik an der ergebnislosen Verhandlungsführung zwischen den beiden Supermächten dar. In ihr manifestiert sich der Wille eines kleineren NATO-Landes, einen eigenen Beitrag zu leisten, um die verblockten Ost-West-Beziehungen aufzubrechen, und eine solche Entscheidung sollte man nicht als ein falsches Signal an die Adresse Moskaus bezeichnen. Eine solche Entscheidung muß man begrüßen, weil damit etwas zum praktischen Interessenausgleich zwischen Ost und West im politischen Sinne getan werden soll. ({0}) Demgegenüber hören wir jetzt sich häufende Appelle der westlichen Regierungen an die Adresse der Sowjetunion, sie möge doch an den Tisch der INF-Verhandlungen zurückkehren. Wir haben einen solchen Appell soeben erneut von Staatsminister Möllemann gehört. Meine Damen und Herren, diese Appelle spiegeln eine Hilflosigkeit wider, die praktischen Fragen des Interessenausgleichs zwischen Ost und West wieder in Gang zu bringen, eine Hilflosigkeit, die mich tief besorgt macht. Hatte uns nicht diese Bundesregierung, hatte uns nicht Washington versprochen, daß erst die Stationierung, erst die Demonstration der politischen Einigkeit und Festigkeit des Bündnisses, erst die Entwicklung einer Position der Stärke in Moskau die entscheidende Wirkung erzielen würde, die jene Konzessionen aus dem Kreml herauspressen würde, die angeblich in den Genfer Verhandlungen nicht zu erreichen waren? Stationierung ist politisch besser als der politische Kompromiß, der im Herbst vergangenen Jahres in Genf zu haben gewesen wäre - das hat uns diese Bundesregierung gesagt, das hat uns auch Washington gesagt. Aber was hat die niederländische Regierung denn vorgefunden, als sie acht Monate nach der deutschen Entscheidung die ihrige zu treffen hatte? ({1}) Sie hat erstens ein amerikanisch-sowjetisches Verhältnis vorgefunden, das sich in keiner Weise mehr an jenen Prinzipien ausrichtet, welche die ersten Männer der beiden Supermächte 1972 als verbindlich für das Verhältnis der beiden Staaten untereinander und zueinander festgelegt hatten. Sie hat zweitens eine Sowjetunion vorgefunden, die nach der Stationierung eben nicht konzessionsbereiter, sondern rüstungswilliger und, wie sich leider gezeigt hat, auch rüstungsfähiger wurde. Die niederländische Regierung hat drittens vorgefunden eine im Kern blockierte Rüstungskontrolle in allen zentralen Fragen, nicht nur bei INF, sondern eben auch bei START. Viertens hat die niederländische Regierung ein Voranschreiten des Wettrüstens auf beiden Seiten und keineswegs größere Chancen für Abrüstung vorgefunden. Meine Damen und Herren, aus dieser Analyse ergibt sich doch nur eine einzige Sache - und wir werden nicht müde werden, Ihnen das von diesem Podium aus zu sagen -: Politisch ist das Gegenteil von dem eingetreten, was Sie mit der durchgepaukten Stationierung angeblich erreichen wollten. ({2}) Das Jammern über die Lage is jetzt natürlich groß. Der Ruf nach Rückkehr an den Verhandlungstisch hört sich schon fast wie ein Flehen an, ({3}) und Ihre Entspannungsbeteuerungen - Herr Staatsminister Möllemann, nehmen Sie es mir nicht übel - hören sich mehr und mehr wie das Pfeifen im Walde an, ich könnte auch sagen: wie Gesundbeterei. Diese Bundesregierung hält sich einiges darauf zugute, daß sie den Hinweis auf den Harmel-Bericht und die in ihm enthaltene Grundformel, wonach unsere Sicherheit ein Produkt aus Verteidigung und Entspannung ist, in das Washingtoner Kommuniqué der NATO mit hineinbekommen hat. Wir begrüßen das durchaus. Wir lasten es der Bundesregierung auch nicht an, daß die Détente, daß die Entspannung aus der praktischen amerikanischen Außenpolitik verschwunden ist. Anlasten müssen wir Ihnen allerdings, daß Sie den sich daraus ergebenden Konflikt innerhalb unseres Bündnisses, zwischen uns und der westlichen FührungsStobbe macht, kaschieren, statt ihn im Bündnis offen und ehrlich auszudiskutieren. ({4}) Ich finde, daß die Koalition in Den Haag mutiger war als die Bundesregierung in Bonn; denn die Entscheidung in Den Haag läßt den Willen zur Eigenständigkeit und zur Selbstbehauptung erkennen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich den Satz noch sprechen?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, leider nein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Huyn. ({0})

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Lieber Herr Ehmke, ob Sie das je begreifen, weiß ich nicht. Aber ich werde es gern versuchen. Jedenfalls kann ich nach dem, was wir hier von Herrn Stobbe und Herrn Bahr gehört haben, nur sagen: Erstens. Hier ist heute nicht der Platz, Ersatzgefechte für von Ihnen verlorene Schlachten zu führen, die bereits vorbei sind. ({0}) Zweitens. Herr Bahr und Herr Stobbe, haben Sie doch etwas mehr Geduld! Haben Sie in der Außenpolitik doch etwas mehr langen Atem! Wer hat denn gesagt, daß die Sowjetunion von heute auf morgen an den Verhandlungstisch zurückkehren wird? In Moskau wird - das weiß Herr Bahr besser als manch ein anderer hier - eine sehr langfristige Politik und politische Strategie betrieben. Herr Bahr hat hier heute wieder einmal die Position vertreten, einseitig gegenüber Moskau nachzugeben. ({1}) - Doch! ({2}) - Herr Bahr, ich kann Ihnen mit Ihren Worten nur sagen: Eine einseitige westliche Abrüstung ist eine „Perversion des Denkens". ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, die Debatte heute morgen ist ein erneutes Beispiel, wie die GRÜNEN mit dem Institut der Aktuellen Stunde Mißbrauch betreiben. ({4}) Denn wir haben es mit dem Sachverhalt zu tun, daß die Regierung der Niederlande dem niederländischen Parlament einen Kabinettsbeschluß zugeleitet hat. Dazu liegt eine Reihe von Äußerungen in der Presse vor. Das niederländische Parlament wird erst am kommenden Dienstag über diesen Kabinettsbeschluß diskutieren. Bevor die Niederlande dies selbst tun können, brechen Sie hier im Deutschen Parlament eine Debatte vom Zaun ({5}) und setzen damit einen Markstein in der Verwilderung der parlamentarischen Sitten. Das muß hier doch einmal festgestellt werden, meine Damen und Herren. ({6}) Zweitens. Die Sowjetunion sollte sich nicht zu dem Fehlschluß verleiten lassen, es könne gelingen, die Atlantische Allianz auseinanderzudividieren. Drittens. Auch mit Ihren übrigen propagandistischen Attacken gegen den NATO-Doppelbeschluß hat die Sowjetunion bisher nur Niederlagen erlitten. Zur Durchsetzung ihrer Ziele arbeitet die sowjetische Führung, wie wir ja wissen, auf allen Ebenen. Eine ganz wichtige Rolle spielt hierbei die Manipulation der sogenannten Friedensbewegung im Westen durch die Sowjets ({7}) und insbesondere auch durch die SED. - Sie haben recht; genau das ist es. - Neben der Bundesrepublik Deutschland sind die Niederlande bevorzugtes Ziel kommunistischer Infiltration. ({8}) Im Jahre 1982 stellten die NATO und der niederländische Nachrichtendienst dar, wie sich Moskau bemüht, auch die kirchliche Friedensbewegung insbesondere in Holland, die Gewerkschaften und die nichtkommunistischen Parteien für das Ziel einzuspannen, ({9}) Westeuropa gegenüber der sowjetischen Rüstungsübermacht wehrlos zu machen. Schon die Kampagne gegen die amerikanische Neutronenwaffe ging seinerzeit auf die Initiative Moskaus nicht zuletzt von der kommunistischen Partei der Niederlande aus. Und zwar war es der niederländische Parlamentsabgeordnete Wolff, Mitglied des Exekutivkomitees der niederländischen KP, der zusammen mit Botschafter Romanov die angeblich so unabhängige Initiative „Stop de Neutronenbom" manipuliert hat. Meine Herren, es sind doch dieselben Drahtzieher im Hintergrund, die hinter dem internationalen Terrorismus stehen, ({10}) die z. B. über Bulgarien das Papstattentat manipuliert haben, wie das Claire Sterling sehr deutlich herausgebracht hat und wie Sie es alle in wenigen Tagen in der Presse bestätigt finden können. ({11}) Meine Damen und Herren, hier in der Bundesrepublik Deutschland sind alle diese Gruppen mit ihren Manipulierungsversuchen gescheitert. Wir können nur hoffen, daß auch in den Niederlanden die kommunistische Wühlarbeit ohne Erfolg bleibt. Wir haben Vertrauen zu unseren Freunden in den Niederlanden. ({12}) Seit dreißig Jahren sind wir mit ihnen auch in unserer Sicherheitspolitik verbunden. Sie werden weiter ein geachtetes Mitglied der Allianz bleiben. Ich danke Ihnen. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht darauf antworten, was zuletzt Graf Huyn hier ausgeführt hat. ({0}) Aber ich muß sagen: Ich halte es für außerordentlich bedauerlich, in welcher Weise die Schwesterpartei von Graf Huyn hier Zensuren verpaßt bekam, ({1}) als wäre das ein Haufen von Debilen, die sich in der Politik nicht auskennen würden. ({2}) - Lieber Herr Kollege Klein, Ihre Galle ersetzt noch lange nicht die grauen Zellen. Sie sollten einmal den Kopf zum Denken benutzen und nicht nur die Drüsen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Beschluß der niederländischen Regierung hat das Bündnis nicht gefährdet. Aber ich habe am 22. November von dieser Stelle aus gesagt, daß die Stationierung die Konsistenz des Bündnisses sehr gefährden würde, weil ersichtlich war, daß die Verhandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft waren. ({4}) Zweitens. Sicher, Graf Huyn, wird irgendwann auch wieder einmal über dieses Thema verhandelt. Nur ist doch vorauszusehen, daß dann unter sich verschlechternden Bedingungen gegenüber dem Ansatzpunkt verhandelt wird, den wir bis zum vorigen Jahr hatten. ({5}) Hierzulande hat die Bundesregierung ohne Ausschöpfung aller Verhandlungschancen und gegen unseren Willen das Festhalten an einem starren Nachrüstungsfahrplan durchgesetzt. ({6}) Das von uns wie von anderen Europäern ({7}) mit dem Doppelbeschluß verbundene Ziel, die Aufrüstung zu bremsen und die gegen uns gerichtete Bedrohung abzubauen, wurde durch die Koalition der Wende faktisch auf den Kopf gestellt. ({8}) Dr. Wörner hatte doch bereits am 4. Februar 1981 angekündigt: Für uns muß Vorrang haben die Verwirklichung des sogenannten Nachrüstungsbeschlusses, also die Modernisierung der Mittelstrekkenwaffe. ({9}) Die solcherart begonnene Raketenstationierung war nicht nur ohne demokratischen Konsensus innerhalb unserer Gesellschaft, ({10}) sie hat auch zur Erosion des Bündnisses geführt. Und das macht Ihnen auch heute Kopfschmerzen. ({11}) - Ihr Versuch, Herr Kollege Klein, zusammen mit anderen Rechtskonservativen die deutsche Sozialdemokratie durch böswillige Unterstellungen, ({12}) durch Verwischung der Grenzlinien zwischen der Stationierungsfrage und der Allianzfrage zu isolieren, ({13}) ist doch inzwischen gescheitert. Gleichwohl haben Sie erreicht, ({14}) wovor ich Sie am 22. November von dieser Stelle aus gewarnt habe. Sie haben nämlich die Christlichen Demokraten in Holland und in Belgien und die dänischen Konservativen an den Rand des Nordatlantischen Bündnisses gedrängt. ({15}) Sie haben die sicherheitspolitischen Gemeinsamkeiten in unserem Land, aber auch bei den Bündnispartnern auf dem Kontinent aufgekündigt. ({16}) Keiner von denen, die im Bündnis Verantwortung tragen, konnte doch daran glauben, daß wir fünf Jahre einfach durchstationieren. ({17}) Wohin hat denn das alles geführt? Vom Nordkap bis Sizilien regt sich Widerstand dagegen, daß der Verhandlungsteil des früheren Doppelbeschlusses weiter verkommt, daß die politische Doppelstrategie der NATO ohne aktive Entspannungspolitik verkrüppelt, daß die Regierung Reagan ihre Verbündeten informiert, statt zu konsultieren, ({18}) daß schließlich eine wahnwitzige Rhetorik von neuen Militärstrategien bis zum „Krieg der Sterne" das Blut der Europäer in Wallung hält. ({19}) Das norwegische Parlament hat sich für ein Moratorium und für eine kernwaffenfreie Zone ausgesprochen. Der Präsident des Storting, ein Konservativer, hat dies als einen Akt nationaler Solidarität bezeichnet. Das ist der Unterschied zwischen norwegischen, dänischen und holländischen Konservativen einerseits und den deutschen Konservativen auf der anderen Seite. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Ganz. ({0}) - Nicht anwesend? ({1}) - Was sein muß, muß sein, Herr Kollege. - Sie haben das Wort.

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die ganze Zeit hier gesessen. Man hatte mir nur eine andere Reihenfolge signalisiert. ({0}) Ich bitte, das zu entschuldigen. ({1}) Die Art und Weise, wie die GRÜNEN das Thema Nachrüstung sozusagen noch einmal durch die Hintertür hier aufs Tapet bringen, ist nicht erstaunlich, denn für die GRÜNEN typisch. ({2}) Ich finde es respektlos, anmaßend und unkollegial zugleich gegenüber dem Parlament eines befreundeten Nachbarstaates, eine Auseinandersetzung über die Absichtserklärung dessen Regierung zu beantragen, bevor dessen Parlament selbst Gelegenheit zur Stellungnahme und Entscheidung gegeben worden ist. ({3}) Das ist Ihr Demokratie- und Parlamentsverständnis, unseres nicht. Sie wollten mit dieser Aktuellen Stunde doch sicher nicht Ihre Sorgen um den Bestand des Bündnisses und seine Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit zum Ausdruck bringen. ({4}) Das, was Sie wollten, ist klar: Es geht Ihnen nach wie vor darum, das Bündnis hier wie dort madig zu machen. Sie möchten diesen Beschluß der niederländischen Regierung als Blasebalg benutzen, ({5}) um das nur noch glimmende Feuer der Protestbewegung wieder anzufachen ({6}) mit dem Wunsch, damit eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, so wie es die sowjetische Nachrichtenagentur TASS schon vor dem Beschluß des niederländischen Kabinetts wünschend prognostiziert hat. ({7}) Wir, meine Damen und Herren, nehmen den Beschluß des niederländischen Kabinetts als das, was er ist, als das Bemühen der holländischen Regierung, eine Regierungskrise, die bei einem klaren Ja oder bei einem definitiven Nein zur Stationierung unvermeidlich gewesen wäre und damit wahrscheinlich ein endgültiges Nein zur Stationierung zur Folge hätte, abzuwenden. Wir dramatisieren diese Entscheidung nicht. Denn diese Entwicklung in Holland war vorhersehbar. Und schon deshalb wird dieser Beschluß, sollte das holländische Parlament ihn bestätigen, die Probleme der NATO nicht vergrößern. Wir unterschät5440 Ganz ({8}) zen aber auch seine politischen Auswirkungen nicht. Denn es wäre verhängnisvoll, würde Moskau ihn als Ermunterung für weiteres Überrüsten ({9}) oder gar als Konzessionsbereitschaft des Westens verstehen, die Basis einer sicheren Verteidigungspolitik zu verlassen. ({10}) Vor allem aber möchte ich vor dem Versuch warnen, auch hier Geschichtsklitterei zu betreiben. Der Versuch, so wie der „Spiegel" und andere schon vor der Absichtserklärung der niederländischen Regierung bemüht waren, den Freiheitskampf der Niederländer von 1565 bis 1609 gegen das spanische Großreich - Schiller zitierend: „Dieses schöne Beispiel bürgerlicher Stärke, wo noch das ganze übrige Europa unter einem traurigen Geistesdruck seufzte" ({11}) in einen Kontext mit dieser von der holländischen Regierung getroffenen Entscheidung zu bringen und als große historische Tat eines kleinen Volkes hochzustilisieren, ist ebenso untauglich, wie man bei uns im vorigen Jahr versucht hat, der Jugend einzureden, der Unabhängigkeitskampf Mahatma Gandhis gegen die Briten sei ein Beweis für den Erfolg gewaltloser Verteidigung. ({12}) Hier wie dort hinkt der Vergleich nicht nur, sondern er ist auch unzulässig. Erstens. Gandhi sah sich nicht einer totalitären, menschenrechts- und menschenverachtenden Hegemonialmacht gegenüber. ({13}) Zweitens. Stünden die Holländer vor der Frage, sich von einem ihnen aufoktroyierten Joch in Form von Raketen befreien zu müssen - niemand würde ihr Parlament daran hindern, nein zu sagen oder das Bündnis gar aufzukündigen. Wie so etwas im Warschauer Pakt geregelt wird, verschweigen die Protestbewegten bei uns allzu gerne. Vielleicht beantragen Sie einmal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn man die Bilanz der Abrüstungspolitik der Bundesregierung für die vergangenen Monate ({0}) zieht, dann muß man feststellen, daß sie aus einer Kette von Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen besteht. ({1}) Wenn man das Versprechen von Bundeskanzler Kohl, ({2}) Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen, mit dem praktischen Ergebnis seiner Politik, die nämlich zu immer mehr Aufrüstung geführt hat, vergleicht, ({3}) dann muß man nüchtern feststellen, daß dieser Bundeskanzler eine abrüstungspolitische Null-Lösung ist. ({4}) Wenn der Herr Bundesverteidigungsminister ({5}) in der Sache hier ausdrückt, daß er die holländische Entscheidung für Käse hält, ({6}) dann muß man sagen, daß die Abrüstungspolitik der Bundesregierung die Löcher im holländischen Käse darstellt. ({7}) Es ist eine bösartige Unterstellung, zu vermuten und zu unterstellen, daß die Holländer in ihrer Entscheidung beeinflußt worden seien durch sowjetischen Druck. ({8}) Wenn Manfred Wörner die holländische Entscheidung kritisiert, so muß man gleichzeitig feststellen, daß die „Literaturnaja Gaseta" die Entscheidung der holländischen Regierung, .. . ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Sekunde! - Ich bitte doch, die Gespräche im Plenarsaal und mit der Regierung hier etwas zurückzustellen.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... die darin besteht, die Stationierung zu verschieben, bezeichnet hat als einen in Wirklichkeit wichtigen Schritt zur Stationierung amerikanischer Raketen. Das heißt, diese Entscheidung der holländischen Regierung wird sowohl von der Sowjetunion als auch vom deutschen Voigt ({0}) Bundesverteidigungsminister kritisiert. Dann schließe ich daraus, da muß doch wohl an dieser Enscheidung etwas Wahres dran sein. ({1}) Nach Auffassung von uns Sozialdemokraten ist ein Moratorium ein erster sinnvoller notwendiger Schritt, um zu mehr Abrüstung zu gelangen. ({2}) Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Fortsetzung der Stationierung, also eine weitere Aufrüstung, ein wichtiger Schritt, eine Politik, um zur Abrüstung zu gelangen. Dies kann nicht überzeugend sein. Wer erst Aufrüstung fortsetzen will, kann nicht anschließend zur Abrüstung gelangen. ({3}) Deshalb ist der erste Schritt zur Abrüstung, wenn man mit einem Stopp der Rüstung beginnt. ({4}) Es ist auch völlig absurd, die Friedensbewegung wieder einmal als von Kommunisten gesteuert auszugeben. ({5}) Ich habe vor mir eine Aufforderung einer deutschen Koordinierungsgruppe, die die Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten, die von der CDU wieder einmal diffamiert worden ist, unterstützt. Da sind als Unterzeichner Sozialdemokraten, ({6}) Leute aus der christlichen Friedensbewegung, GRÜNE und christliche Gewerkschafter aus dem DGB-Bundesvorstand und- aus der Deutschen Postgewerkschaft. Kein einziger Kommunist ist dabei. Werden Sie auch diese Leute wieder einmal als von Moskau gesteuert diffamieren? Ich glaube, Sie müssen in wachsendem Maße erkennen, daß die Friedensbewegung sich gegen Rüstung in Ost und West wendet, und daß Sie durch die Diffamierung, sie sei von Moskau gesteuert, in Wirklichkeit Ihre eigene Aufrüstungspolitik zu verschleiern versuchen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Vogt ({0}). ({1})

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Ich habe leider nur noch zwei Minuten. Ich bitte zu berücksichtigen, daß ich mich hier kurzfassen muß. Ich frage den Kollegen Graf Huyn: Ist es eine Verwilderung der politischen Sitten, wenn Sie mal aus ernstem Anlaß früher aufstehen müssen? Oder ist es eine Verwilderung, wenn hier obskure und auch unwürdige Verschwörungstheorien aufgestellt werden? Graf Huyn, es ist offensichtlich die Unfähigkeit, sich eine vom Volk beeinflußte Entscheidung vorstellen zu können und zu respektieren. ({0}) Es ist auch die Unfähigkeit, sich eine christlich motivierte Schwesterpartei vorzustellen, wie die Christlich Demokratische Partei in Holland, die aus christlicher Verantwortung zum Teil wenigstens nein sagt zur Stationierung. ({1}) Herr Möllemann, Sie haben hier gesagt, es gebe keinen Druck, und sie könnten sich das nicht vorstellen, wie Druck ausgeübt würde. Da möchte ich Ihnen entgegenhalten, was der doch sehr gut informierte Christoph Bertram berichtet. Er sagt nämlich: Allerdings haben auch manche europäischen Verbündeten die Niederlande gedrängt. Auf der April-Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe im türkischen Cesme waren es vor allem der deutsche und der englische Verteidigungsminister, Wörner und Heseltine, die ihren überraschten Kollegen de Ruiter ins Gebet nahmen. Nicht nur Holländer meinen, daß dies eher ungeschickt war. ({2}) - Ich denke doch nicht, daß Herr Wörner mit ihm gebetet hat. Sie haben Druck auf ihn ausgeübt, und eine der Begründungen dafür, daß wir diese Aktuelle Stunde gefordert haben, war die Sorge, daß nun, nachdem die Entscheidung gefallen ist, ({3}) von dieser Bundesregierung unziemlicher Druck auf die holländische Regierung ausgeübt wird. ({4}) Ich komme zum Schluß. Herr Möllemann meint, es gebe j a Verhandlungsrunden. Herr Mölleman, interessanterweise gibt es keine Verhandlungsrunde, wo über die todgefährlichen Atomwaffen diskutiert wird. Das ist doch die entscheidende Frage! Da vergleichen wir die Situation der Menschheit mit der Situation von ganz bestimmten Tierarten, die, in eine schwierige Situation gekommen, sich an die Wand stellen und ihre Nägel und ihr Fell putzen. Die Konferenz in Sockholm hat allenfalls diesen Charakter einer solchen putzigen Veranstaltung, nicht aber den Charakter eines Forums, wo ernsthaft über den Abbau der wirklich gefährlichen Waf5442 Vogt ({5}) fen, der allergefährlichsten Waffen, nämlich der Atomwaffen, gesprochen wird. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Dem Herrn Abgeordneten Ehmke erteile ich einen Ordnungsruf für den Zuruf „Schmierfink"! ({0}) Meine Damen und Herren, bevor wir in unseren Beratungen fortfahren, habe ich mitzuteilen, daß der Abgeordnete Offergeld mit Wirkung vom 1. Juni 1984 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um folgende Zusatzpunkte erweitert werden: Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages auf den Drucksachen 10/1563, 10/1564, 10/1565, 10/1566 und 10/1567 sowie zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung auf Drucksache 10/1474. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieser Tagesordnungspunkte gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich rufe jetzt die soeben genannten Zusatzpunkte betreffend Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/1563 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/1564 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/1565 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/1566 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/1567 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Dazu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf den eben genannten Drucksachen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist es so beschlossen. ({7}) Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung - Drucksache 10/1474 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({8}) - Drucksache 10/1577 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Enders b) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/1580 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Zutt, Verheyen ({10}) Schmitz ({11}) ({12}) Vizepräsident Frau Renger Auf Drucksache 10/1584 liegt Ihnen zu diesem Zusatzpunkt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Ich bitte Sie, einen Moment zu warten, weil jetzt ein Wechsel eintritt. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Michels.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre einer Altersgruppe an, die nach dem Kriege, auf dem Lande wohnend, erlebt hat, wie sich Nahrungsmittelmangel auswirkt, einer Altersgruppe, in deren Erinnerung sich bis heute die Bilder um eine Schnitte Brot bettelnder Menschen festgesetzt haben. Während dieser Zeit stand die Sorge um die Ernährungssicherung der Bevölkerung unseres Landes im Mittelpunkt aller Überlegungen. Wenn wir noch weiter zurückdenken, wird uns bewußt, daß die Landwirtschaft immer gegen Mangel hat anproduzieren müssen. ({0}) Wer hätte es sich vor 30 Jahren vorstellen können, daß unsere Sorgen heute in die umgekehrte Richtung gehen und daß wir uns der Frage zuwenden müssen, wie wir mit den Überschüssen fertig werden sollen? Andererseits: Welch eine Genugtuung für uns alle, zu wissen, daß unser Tisch durch das Können und den Fleiß unserer Bauern kostengünstig, reichlich und gesund gedeckt ist. ({1}) Gleichzeitig ist dieser Tatbestand aber überschattet von der Sorge um die Verwertung und Finanzierung der eben genannten Überschüsse. Die Leistung unserer Bauern und aller in dem der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich Tätigen wird im realen Kontrast noch deutlicher. In Polen steht für zirka 30 Millionen Menschen eine Fläche von 18 Millionen ha für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung. Bis auf den heutigen Tag fehlt es allzuoft am Nötigsten. Wir verfügen mit zirka 60 Millionen Einwohnern über 12 Millionen ha landwirtschaftliche Nutzfläche, und besorgt fragen wir uns: Wohin mit der Überproduktion? Ich habe diese Betrachtung bewußt vorweggeschickt, um deutlich zu machen, wie nahe Segen und Sorgen beieinander angesiedelt sind. Wir sollten uns hüten, in diesem Bereich Parallelen zur übrigen Wirtschaft zu ziehen. Damit würden wir weder den existentiellen Bedürfnissen unserer Bevölkerung noch den Notwendigkeiten der in der Landwirtschaft tätigen Menschen gerecht. So wird sich auch unsere Agrarpolitik stets an dieser Linie orientieren müssen. In der EG-Agrarpolitik stehen wir vor einer Kurskorrektur. Die durch Überschußproduktion gefüllten Läger sind unfinanzierbar geworden. Ein Absatz dieser Waren auf den Märkten der Welt, also außerhalb der EG, ist kaum möglich, ganz zu schweigen von einem Absatz zu kostendeckenden Preisen. Also muß die Produktion schrittweise an die Grenze des Bedarfs herangeführt werden oder aber das gesamte EG-Markt- und -Preissystem bricht zusammen. Ich spreche niemandem den ernsthaften Willen ab, sich mit seinen Vorschlägen an diesem Ziel zu orientieren. Ich habe aber den Eindruck, daß einige mit allzu flotten und oberflächlichen Sprüchen nur ein Ziel im Auge haben, nämlich sich aus dieser schwierigen Situation heraus ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Produktion, die nicht mehr, wie schon gesagt, finanzierbar ist, hat die Kommission in Brüssel zur Regulierung des Milchmarktes die Einführung des sogenannten Garantiemengenmodells auf der Basis der Produktionsmenge 1981 plus 1 beschlossen. Jeder Eingeweihte weiß, daß ein solcher Beschluß nur einstimmig geändert werden kann. Am 31. März dieses Jahres hat sich der Agrarministerrat mit einigen Korrekturen auf diesen Vorschlag geeinigt. Meine Damen und Herren, weil der gemeinsame Agrarmarkt nicht scheitern durfte, der uns die Hälfte unserer Exportarbeitsplätze sichert, blieb unserem Minister Kiechle keine andere Chance, als diesem Kompromiß so, wie er nun vorliegt, zuzustimmen. ({2}) - Ich komme gleich noch zu Ihnen. Wenn ich mir unter dieser Perspektive die Aussagen der SPD und der GRÜNEN ansehe, der Minister habe in Brüssel schlecht verhandelt - Sie haben es gerade noch einmal verdeutlicht -, ({3}) so muß ich sagen: Eine solche Unterstellung ist nur geeignet, in ihr Ihren parteipolitischen Egoismus zu erkennen. ({4}) Die Hauptverantwortung für die festgefahrene Situation innerhalb der EG-Politik hat nicht die gegenwärtige Regierung zu tragen; also sollte auch niemand versuchen, aus der Opposition heraus in diese Richtung hinein gezielt Vorwürfe auszusprechen. Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Milchproduktion, bezogen - wie eben gesagt - auf 1983, um 7,6 % zurückfahren. Ferner brauchen wir zur Bedienung der Härtefälle ca. 4 % der gesamten Milchmenge, also rund 1 Million t Milch. ({5}) Es träfe die Landwirtschaft zu hart, wenn auch diese Menge noch aus der laufenden Produktion herausgenommen würde. Andererseits können wir diejenigen nicht im Regen stehenlassen, die im Vertrauen auf die bisherige Praxis in die Milchproduktion investiert haben oder aus anderen, in der Natur des landwirtschaftlichen Umfelds liegenden Gründen keine entsprechende Milchproduktionsmenge des Jahres 1983 nachzuweisen in der Lage sind. ({6}) Um diese Härtefälle entsprechend bedienen zu können, empfiehlt die Bundesregierung, 1 Million t Milch aus der Produktion herauszukaufen. Die Modalitäten sind bekannt: Für 1 000 kg Milchaufgabe gibt es 1 000 DM in zehn Jahresraten. Nach meinem Wissen hat die Landwirtschaft die Ankündigung dieses Vorhabens nicht nur begrüßt, sondern - bezogen auf die Ergebnisse in einigen Kreisen - wird die Landwirtschaft weit mehr als 1 Million t für dieses Vorhaben anbieten. Ich bitte das Parlament, die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen. In den landwirtschaftlichen Fachzeitschriften ist veröffentlicht worden, daß alle bis zum 15. Juni in Frankfurt eingehenden Anträge gleichwertig behandelt werden sollen. Ich darf die Bundesregierung fragen: Was wird geschehen, wenn die während der genannten Zeit eingegangenen Anträge die heute zur Diskussion stehende Menge von 1 Million t übersteigen? Ich habe eben einen Entschließungsantrag der GRÜNEN auf den Tisch bekommen. ({7}) Er bezieht sich auf eine Regionalisierung der Milchabgabe. Meine Damen und Herren, das ist in dieser Aktion so nicht möglich; denn die Bundesregierung kann nur bundesweit aufkaufen und muß entsprechend den Kriterien, die sie für die Härtefallregelung zugrunde legt, hier allen entgegenkommen. Eine Vorabschätzung hat ergeben, daß ungefähr 2 % der Milchmenge notwendig sind, um die noch bis Oktober genehmigten und dann geförderten Betriebe mit einer entsprechenden Milchmenge zu versorgen. Ca. 2% sind notwendig für alle sonstigen in die Härtefallregelung hineingehörenden Einzelfälle. Schon aus dem Grunde muß hier bundesweit vorgegangen werden. Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag weiter, daß kleine Marktmolkereien keine Reduzierung ihrer Kontingente erfahren dürfen. Ich weiß nicht, wie das vom Bund aus geregelt werden kann. Auch wir wollen, daß alles einigermaßen ausgeglichen weiterläuft. Aus diesem Grunde darf ich von dieser Stelle aus die Länderparlamente und -regierungen bitten, auch ihrerseits eine ähnliche Aktion vorzubereiten und zu starten. Die Länder würden dadurch dazu beitragen, daß das Angebot an die Landwirtschaft, die Milchproduktion aufzugeben, in vollem Umfang realisierbar wäre. Dann lese ich in Ihrem Entschließungsantrag weiter, Betriebe in benachteiligten Gebieten machten von dieser Milchrente besonders stark Gebrauch. Hierzu will ich zwei Anmerkungen machen. Einmal unterliegt es der Entscheidungsfreiheit jedes Betriebsinhabers, ob er dieses Angebot annimmt oder nicht. ({8}) - Dann dürfen Sie andererseits nicht sagen, diese Milchrente sei sehr hoch. Zum anderen stimmt es nicht, daß gerade in diesen Gebieten außergewöhnlich viele Betriebe hiervon Gebrauch machen. Wir haben Erkundigungen eingezogen; danach sieht es bis heute so aus, daß gerade in Ackerbaugebieten, also in solchen Gebieten, wo für viele Landwirte gewisse Alternativen vorhanden sind, die Zahl der Anmeldungen besonders hoch ist. Wenn die Länder eine derartige Aktion starten würden, wie, soweit ich gehört habe, das Saarland es vorhat, dann könnte man sich dieser Angelegenheit auf Länderebene viel intensiver annehmen, denn aus der Sicht des Bundes ist dies detailliert so nicht möglich. Die Länder, die sich aus dieser Verantwortung ausklinken, werden sich in Zukunft schwertun - berufsbezogen gesprochen -, den landwirtschaftlichen Boden zu bestellen. Die Garantiemengenregelung, die mit Sicherheit niemand bejubelt, wird immer wieder in Frage gestellt. Ich darf noch einmal festhalten: Die Milchmenge muß in diesem Jahr um 7,6% zurückgeführt werden. Dazu gibt es - ich glaube, das ist in diesem Haus wohl unstreitig - nur drei Möglichkeiten. Erstens das Prinzip der freien Marktwirtschaft nach der bekannten Regel: Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Das würde dazu führen, daß nur diejenigen Milchproduzenten übrigbleiben, die auf besonders günstigen Standorten produzieren. Das kann nicht unser Ziel sein. Zweitens die gestaffelte Mitverantwortungsabgabe. Auch im Rahmen dieses Modells müßte die produzierte Milchmenge um den soeben genannten Satz zurückgedrängt werden. Die Funktionsweise sieht wie folgt aus: Durch erhebliche Preissenkungen abgestufter Art würden Landwirte ohne jede Hilfe aus der Produktion herausgedrängt. ({9}) Die Verfechter dieses Modells unterlassen es tunlichst, der Landwirtschaft den zweiten Teil ihres Modells zu erläutern. Wer diese Regelung anwenden will, der muß wissen, daß fast 80 % aller Milch bei uns in Betrieben mit weniger als 30 Kühen produziert wird. Genau hier müßte auch der Löwenanteil der Milchrückführung durch Preissenkung erMichels reicht werden. Da hiervon reine Familienbetriebe betroffen sind, halten wir diesen Weg für absolut falsch. Drittens bleibt dann die Garantiemengenregelung. Sie schreibt die bisherige Produktionsmenge für eine gewisse Zeit fest, läßt also für die Zeit, in der die Milchmenge unverändert bleibt, Wachstum nicht zu, verhindert aber Preissenkungen. Die Garantiemengenregelung kann jedoch über mehrere Jahre nur dann beibehalten werden, wenn die Kostensteigerungen über kurzfristige dementsprechende Preisanhebungen aufgefangen werden. In dieser festgefahrenen Situation bleibt uns keine andere Regelung als die zuletzt genannte übrig. Meine Damen und Herren, nicht ohne Grund haben die Bauern auf ihre Sorgen aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten durch die Vorbereitung und Absicherung finanzwirksamer Beschlüsse alles nur Mögliche getan, um die Bauern nicht auf rauher See alleine zu lassen. ({10}) Ein landwirtschaftliches Fachblatt hat z. B. die vorbereitete Erhöhung der Vorsteuerpauschale als den landwirtschaftsfreundlichsten Beschluß seit 30 Jahren bezeichnet. ({11}) Unser Minister Kiechle soll wissen, daß wir während dieser schwierigen Zeit der Änderung der EG-Agrarpolitik der Hinführung auf ein Maß, welches finanziell tragbar ist, voll und ganz auf seiner Seite sind. ({12}) Meine Damen und Herren, wann hat sich ein Bundeskanzler so für die Landwirtschaft eingesetzt, wie es unser Bundeskanzler Dr. Kohl tut? ({13}) - Sagen Sie mir auch nur eine Stelle, die anders ist, die das in Frage stellt. Ohne sein Eintreten wären so umfassende Hilfen in dieser Zeit überhaupt nicht möglich gewesen. ({14}) Ich spreche der Bundesregierung namens der Koalition für diese hervorragende Arbeit während der letzten Wochen und Monate unseren herzlichen Dank aus. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Michels, bei meiner Wertschätzung Ihrer Person fällt es mir schwer, Ihnen zu sagen, daß dies ein vergeblicher Versuch war, die Stimmung um 180 Grad herumzuinterpretieren und so zu tun, als ob das, was Sie in den letzten Monaten und Wochen seitens der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen inszeniert haben, bauernfreundlich gewesen sei. ({0}) Fragen Sie doch einmal die Bauern selber. Wer Frankfurt und die Bauernproteste erlebt hat, der weiß doch, was ist. Und es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden - ich weiß, Herr Michels, daß Sie sich bemüht haben, daß Beste daraus zu machen -, wenn ein wenig von Ihrer differenzierten Haltung angeklungen wäre. Es darf doch nicht wahr sein, daß Sie sich einfach ergeben und sagen: Wenn wir dann untergehen, dann wir Bauern alle mit. Nein, meine Damen und Herren, die Stimmung ist anders: Bei dieser Koalition und dieser Regierung scheint das totale Chaos ausgebrochen zu sein. ({1}) Sie legen uns Gesetzentwürfe vor, knallen uns kurzfristig fragwürdige Änderungsanträge auf den Tisch, verwickeln sich bei den Begründungen fortwährend in Widersprüche, und wenn Sie nicht mehr weiterwissen, dann vertagen Sie selber. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. ({2}) Leidtragende sind vor allem die betroffenen Bauern. Skandalös, meine Damen und Herren, ist auch der parlamentarische Stil, mit dem Sie hier vorgehen. ({3}) Alles ist mit heißer Nadel zusammengenäht. Eine klare agrarpolitische Linie ist nicht zu erkennen. Das gilt sowohl für das Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, d. h. die vorgesehene Erhöhung der Vorsteuerpauschale, als auch für das Gesetz, das wir hier heute beraten. Sie haben diesen Gesetzentwurf über die Milchrente dem Deutschen Bundestag am 22. Mai zugeleitet. Drei Tage später hatten wir hier die erste Lesung. An demselben Tag hat Bundesminister Kiechle bereits im „Bundesanzeiger" die Einzelheiten bekanntgegeben. ({4}) Sie werden dieses Vorgehen, Herr Kollege - das will ich Ihnen zugute halten -, rechtlich geprüft haben. ({5}) Aber ein Vertreter des Rechnungshofes hat gestern im Haushaltsausschuß seine Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens angemeldet. Soll etwa die Antragsfrist enden, bevor die Bekanntgabe des Gesetzes erfolgt ist? Hier werden Sie noch antworten müssen. Ich kann und will die rechtlichen Aspekte hier nicht ausloten; eines aber bleibt - und das wiegt schwer, meine Freunde -: Es ist ein miserabler parlamentarischer Stil, den Sie uns hier bieten. ({6}) Es ist eine Mißachtung des Parlaments, heute über ein Gesetz in zweiter und dritter Lesung zu beraten, dessen Auswirkungen längst bekanntgemacht sind. Hier kann doch nur noch eine Scheindiskussion geführt werden. Sie können nichts mehr ändern, und Sie wollen auch nichts mehr ändern. Meine Damen und Herren von der Regierung und von der Koalition, es sollte Sie deshalb nicht überraschen, daß wir einem solchen Verfahren nicht zustimmen können. Die Milchrente, über die wir hier reden, ist ein Kind der von Ihnen gewollten Milchkontingentierung. Diese Milchkontingentierung ist ein Existenzvernichtungsprogramm. Was denn sonst? Sie würgt doch die freie bäuerliche Landwirtschaft ab und zwingt sie in ein Korsett der Planwirtschaft mit hohem bürokratischen Aufwand. Es ist doch nicht so, wie Sie es hier dargestellt haben, Herr Michels. ({7}) So, wie dargestellt, ist es doch nicht wahr. Da sagt ein Minister: Ich will das kleinere Übel. - So haben Sie es dargestellt. Der Minister sagt weiterhin: Das hat Modellcharakter. - Das klingt ganz anders. Vorher sagte er aber: Dies kann es nur mit Preiserhöhungen geben. - Was ist aber von Ihnen nun erreicht worden: gewissermaßen ein Einzelkorsett ohne Perspektive mit gewaltiger Preissenkung, nichts anderes! ({8}) In Wirklichkeit ist das, was Sie jetzt vorlegen, nichts anderes als das soziale Feigenblatt für eine Maßnahme, die in den nächsten Jahren unzählige bäuerliche Existenzen vernichten wird. Wenn die in ihrer Existenz bedrohten Betriebe sich empören und den CSU-Honoratioren - wie z. B. in Passau geschehen - von den erbosten Bauern die Parteibücher vor die Füße geworfen werden, beginnt die hohe Zeit der nationalen Ausgleichsmaßnahmen. Alles mit heißer Nadel gestrickt! Sowohl der Prozentsatz als auch der Termin wird bei der Vorsteuerpauschale laufend geändert. Bei der Milchrente ist es nicht anders. ({9}) - Sie werden noch erleben, was das für eine Stimmung ist. Ich erlebe in den Bauernversammlungen draußen täglich, was da angerichtet worden ist. Seien wir doch ehrlich: Sie wissen es doch auch. Ich habe es Ihnen in der ersten Lesung gesagt. Draußen herrschen nicht nur Unzufriedenheit und Zorn. Es herrscht auch Resignation. Meine Freunde, es ist viel schlimmer, wenn Leute resignieren, viel schlimmer, als wenn Proteste kommen und der Unmut der Bauern Ihnen doch in der Wirklichkeit ins Gesicht schlägt. Sie können unseren Bauern immer neue Nachverbesserungsprogramme versprechen, besonders vor dem 17. Juni. Das miserable Ergebnis von Brüssel werden Sie damit aber nicht korrigieren. Darum hält auch die Unzufriedenheit an. Darum erleben Sie auch täglich neue Proteste. Die Vorsteuerpauschale ist so, wie Sie sie vorschlagen, in erster Linie keine Hilfe für unsere bäuerlichen Familienbetriebe. Es handelt sich vielmehr um ein Bereicherungsprogramm für die großen und umsatzstarken Betriebe, ({10}) die Sie, Herr Eigen, mit diesen Maßnahmen in nie dagewesener Weise unterstützen wollen. Sie lehnen die von uns geforderte Beschränkung auf Klein- und Mittelbetriebe ab ({11}) oder vertagen die Entscheidung. Das sind die Fakten, wie sie im Ausschuß erkennbar wurden. ({12}) Sie wollen dann auch selber - das ist Ihnen dann ebenfalls eingefallen - eine Bestandsobergrenze von 300 Vieheinheiten in das Umsatzsteuergesetz hineinschreiben. Das hört sich gut an. Wir könnten also zufrieden sein. Aber sagen Sie einmal: W ollen Sie uns eigentlich für dumm verkaufen, ({13}) daß Sie es so in das Gesetz schreiben? Wie ist denn die Wirkung? Meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, ich frage Sie: Woher nehmen Sie eigentlich die Stirn, den Bauern dieses zu verkaufen? Sind die Bauern wirklich so dumm, wie Sie sie scheinbar einschätzen? Ich sage: Nein! Sie werden das noch erleben. Sie setzen sodann auch die Ausschüsse unter Druck, damit nicht auffällt, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf versteckt haben. Auch in den Reihen der Koalition - das weiß ich sehr wohl - mehren sich die Stimmen derer, die nur noch verständnislos mit dem Kopf schütteln können. ({14}) Die von uns geforderte Anhörung soll Klarheit darüber schaffen, wohin die Mittel eigentlich fließen. Diese Anhörung findet nicht nur außerhalb des Parlaments breite Zustimmung. Auch in Ihren Reihen findet sie mittlerweile Zustimmung. ({15}) Der Skandal Ihres Vorhabens liegt im neuen Umrechnungsschlüssel versteckt. ({16}) Nach Ihren Vorschlägen sollen die Vieheinheitenschlüssel für Schweine mit 1,5 und für Geflügel mit 2,5 multipliziert werden. ({17}) Damit erhalten Betriebe mit Jahresproduktionen von 3 800 Schweinen, von 41 000 Legehennen, von 580 000 Jungmasthühnern die erhöhte Umsatzsteuerpauschale. ({18}) Das wissen Sie alles. Darunter sind eine Reihe von Betrieben mit über 1 Million DM Umsatz, die intensiv - ({19}) - Ja, es tut weh, daß wir entdecken, was Sie dort hineinschreiben. Ohne Begrenzung wäre es besser als mit Ihrer Begrenzung. Das ist doch die Wahrheit. ({20}) Sagen Sie mir doch mal das Ergebnis Ihrer Abstimmungen im Bauernverband oder in Ihren Ausschüssen, ob alle damit einverstanden sind. Weshalb schweigen denn jetzt diejenigen, die mit mir dieser Meinung sind? Ich stehe da nicht allein. ({21})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Oostergetelo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, wollen Sie hier vor dem Hohen Hause wenigstens zugeben, daß dieses Problem noch in der Diskussion und noch nicht entschieden ist? ({0})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das ist ein Zeugnis dafür, wie das in der Regierung aussieht. Gestern ist uns dieser Entwurf von den Koalitionsfraktionen so, wie ich das hier schildere, mit der Anforderung Ihres Staatssekretärskollegen vorgelegt worden, das heute noch zu verabschieden. Das war die Forderung von Herrn Susset gestern im Ausschuß. Wenn Sie nicht unterrichtet sind, tut mir das leid. Es spricht allerdings für Sie, daß Sie nicht dieser Meinung sind. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Frage, Herr Abgeordneter?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Michels, bitte sehr.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, erkennen Sie denn an, daß sich die Koalition bemüht, auf diesem Sektor überhaupt nach vorn zu kommen, während Sie dieses Problem 13 Jahre lang überhaupt haben schleifen lassen? ({0})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein lieber Kollege Michels, wir haben in der letzten Ausschußsitzung - ({0}) Die Begrenzung ist bisher von niemandem durchgesetzt worden, damit das klar ist. Es gab dort keine Initiativen. Wir haben in der letzten Ausschußsitzung diese 300 Vieheinheiten ohne diesen Trick, den Sie anwenden, gefordert, und Sie haben mit zugestimmt, als man über die Vertagung abgestimmt hat, damit dieser Trick kommt. ({1}) - Ich weiß, das tut weh; aber ich muß Ihnen sagen, was dieser Trick bedeutet. Betriebe im oberen Bereich können zwischen 50 000 DM und 80 000 DM Staatshilfen für diese Zeit bekommen. ({2}) Es sind 50 000 bis 80 000 DM, weil das nur am Umsatz festgemacht ist. Dies kann ich belegen; dies sind Zahlen der Finanzverwaltung. ({3}) Es ist geradezu unglaublich, meine Freunde. Ich muß das sagen, und das kann nur bereinigend wirken, damit wir endlich wissen, was hier gemacht wird. ({4}) Wenn Sie dieses mit Ihrer Mehrheit im Parlament durchboxen, dann wird Ihnen das noch leid tun. Eine derart ungerechte Umverteilung, die große und einkommensstarke Betriebe einseitig begunstigt, wird Ihnen noch um die Ohren geschlagen werden. In den Augen der Öffentlichkeit - das ist schlimm - wird die Landwirtschaft zu einem Subventionssumpf, ein Vorwurf, der die vielen Hunderttausende kleine und mittlere Betriebe, die um ihre Existenz kämpfen, in völlig ungerechtfertigter Weise mit treffen muß. ({5}) Sie verschleudern nicht nur unsinnig Geld, sondern Sie machen damit den Ruf der Landwirtschaft kaputt. Ich rate Ihnen deshalb: Lassen Sie die Finger von diesem Ihren Plan! Lassen Sie uns nach der Anhörung ein vernünftiges Programm ausarbeiten, mit dem vor allem den klein- und mittelbäuerlichen Betrieben geholfen wird! ({6}) Bundesminister Kiechle sagte, er wolle die gewerbliche industrielle Produktion von jeglicher Förderung ausschließen. Jetzt aber legt die Koalition einen Gesetzentwurf vor, der angeblich eine Be5448 grenzung auf 300 Vieheinheiten bringt, aber durch einen Umrechnungsschlüssel so manipuliert, daß große Teile der gewerblichen Produktion zusätzlich in den Genuß der Vorsteuerpauschale kommen sollen. Mit solchen Tricks soll den Bauern Sand in die Augen gestreut werden. Auch dem nicht Sachkundigen soll das hier gesagt werden. Wer so etwas tut, beteiligt sich aktiv am Bauernlegen, ({7}) weil er quasi industrielle Produktion, die bäuerliche Betriebe und die Umwelt gefährdet, auch noch unterstützt. Das gilt auch für den CDU-Abgeordneten Heereman. ({8}) Es geht um Millionenbeträge. Stellen Sie sich folgendes vor! Wie haben nach der Größenordnung dieser zusätzlichen Subvention gefragt. Antwort des Staatssekretärs: Das können wir nicht sagen; das ist nicht bekannt. ({9}) Dies kann doch nicht wahr sein. Sie könnten diese Millionen sinnvoller einsetzen, z. B. durch gezielte Einkommensübertragung oder durch gezielte Maßnahmen im sozialen Bereich. Die Milchrente ist - ich wiederhole es - nur ein soziales Feigenblatt Ihres 3-Milliarden-DM-Ausgleichsprogramms. Die Milchrente ist doch geboren worden, um die sogenannten Härtefälle der Milchkontingentierung bedienen zu können, die Sie vor allem denjenigen Milcherzeugern geben wollen, die ihre Bestände in den letzten Jahren erheblich aufgestockt haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Oostergetelo, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stockhausen?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird mir das auf die Redezeit angerechnet?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Aber selbstverständlich. Oostergetelo ({0}): Dann geht es nicht mehr. Die Regierung hat uns im Ausschuß einige Zahlen genannt, die aufzeigen, wohin das geht. Es steht zu befürchten, daß auf diese Art durch die Milchrente herausgekaufte Milchmengen von benachteiligten Gebieten abwandern. Dort, wo wir aus sozialen und ökologischen Gründen Milchviehhaltung brauchen, wird sie aufgegeben. Es reicht nicht aus, wenn Sie in ihrer Bekanntmachung sagen, daß bei der Bewilligung der Anträge die regionale Ausgewogenheit der Verteilung der Milchproduktion berücksichtigt werden kann. Nein, meine Damen und Herren von der Regierung, dies muß berücksichtigt werden, damit die Milch in den Regionen bleibt, in denen es keine Alternative gibt, in denen man auf die Milcherzeugung angewiesen ist. Aber ich muß zur Ehrenrettung sagen: In diesem Punkt ist auch der Antrag der GRÜNEN überholt, weil unser Vorsitzender Dr. Schmidt-Gellersen gestern im Ausschuß gesagt hat - im Einvernehmen mit allen Parteien -, daß darauf hingewiesen werden soll, man möge nach allen Möglichkeiten suchen, die eine regionale Verteilung gewährleisten. Wir haben das im Bericht auf Seite 5 im ersten Absatz eindeutig formuliert. Ich kann das aus Zeitgründen jetzt nicht vorlesen. Wir fordern Sie auf, die Milchkontingentierung in unserem Land doch nicht zur tödlichen Doktrin werden zu lassen. Es kann überhaupt nicht übersehen werden, was dabei herauskommt. Eines ist sicher: Ich kann dem Minister Kiechle nicht unterstellen, daß er je geglaubt hat, wie schlimm die Auswirkungen sein werden. ({1}) Die Milchkontingentierung schafft Unfrieden in der Landwirtschaft. Sie bringt Mißtrauen und hat Handlungsweisen zur Folge, mit denen kaum einer gerechnet hat. ({2}) - Vielleicht wissen Sie, Herr Kollege Michels, daß inzwischen Empfehlungen von Beratern herausgegeben werden, die sagen, man sollte lieber die Kontingente über Verpachtung verkaufen. Was denken Sie, was dort existieren wird! Es werden phantastische Pachtpreise bezahlt. ({3}) - Sie wissen, daß wir die gestaffelte Mitverantwortungsabgabe haben. Was die Bauernverbände wollen, wissen Sie doch. Fragen Sie doch nicht nach bekannten Fakten! In manchen Regionen wird der gesamte Pachtmarkt durcheinandergeraten. Dies sind alles die Folgen, und zwar in einer Situation, in der die Einkommen drastisch zurückgehen. All das sind Folgen der Milchkontingentierung, die in den nächsten Jahren noch schlimmere Blüten treibt. ({4}) Die Lage vieler Milcherzeuger ist hoffnungslos. Viele kleine und mittlere Betriebe sehen keine Zukunftschance mehr. Es ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Jahren ein rasanter Strukturwandel einsetzen wird, daß Tausende von Betrieben aus Resignation aufgeben werden. Die jetzt für die Milchrente vorgesehenen Mittel von 100 Millionen DM, also 1 Milliarde DM in zehn Jahren werden voraussichtlich nicht reichen. Auch hier wird die Regierung wieder nachbessern müssen. Auch hier wird sie neue Millionensummen bereitstellen müssen. Herr Staatssekretär, wer sagt Ihnen eigentlich, daß Sie mit 4 % die Härteregelung vollständig bedienen können? Sie wissen doch selber, daß das nicht stimmt. Haben nicht auch jene Betriebe, die durch höhere Gewalt in der Referenzperiode VerluOostergetelo ste haben, laut EG-Regelung einen Anspruch auf Härteausgleich? Da ist das Wort „Härteausgleich" richtig angewandt. Diese werden im vorliegenden Gesetzentwurf einfach übergangen. Ich fordere Sie auf, Herr Bundesminister, den durch Krankheit, Tod und andere Katastrophen geschädigten Betrieben das ihnen zustehende Recht nicht vorzuenthalten. Es steht ihnen ja zu. ({5}) Ich fasse zusammen. Weil Sie mit der Milchkontingentierung ein Existenzvernichtungsprogramm eingeführt haben, weil die Milchrente nur ein Anhängsel dieses Programms ist und weil das parlamentarische Verfahren, das Sie auch hier gewählt haben, nicht akzeptiert werden kann, können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf so nicht zustimmen. ({6}) Für meine Fraktion möchte ich aber sagen, ({7}) daß wir trotzdem mit Enthaltung stimmen werden, und zwar aus folgenden Gründen. ({8}) - Hören Sie doch zu, Herr Seiters. Lassen Sie sich doch einmal die Sachen des Bauernverbandes aus dem Emsland sagen. Sagen Sie doch nicht dem Bauernverband dort die Unterstützung zu, während Sie hier fürs Gegenteil stimmen! Unsere Enthaltung ist ein Protest gegenüber der jetzigen Bundesregierung und ihrer Politik. Deshalb können wir nicht ja sagen. Aber sie ist ein Ja zu den Hilfen für die betroffenen Familien, wie sie durch die Härtefallregelung - wenn Sie ihnen etwas geben wollen - erfaßt werden. ({9}) Diese Familien wollen auch wir nicht im Regen stehen lassen. Wir wollen nicht, daß sie in Hoffnungslosigkeit alleingelassen werden. Deshalb weichen wir von dem eigentlich notwendigen Nein ab. ({10}) Denn das hätte Ihre Politik bewirkt. Damit das klar ist: Wir werden draußen im Lande sagen, wer die Härtefälle sind und daß sie einen Rechtsanspruch haben. Nur so ist die Milchrente dann voll zu vertreten. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Oostergetelo, ich hatte zunächst den Eindruck, daß Sie schon 14 Tage weiter waren. In bewährter Manier haben Sie wieder zwei Gesetzentwürfe durcheinandergeworfen. Aber zuletzt haben Sie ja die Katze aus dem Sack gelassen. Wenn es nämlich ums Geld geht, wenn es ums Konkrete geht, ist die SPD sehr schnell verschwunden. Dann sind Sie nicht bereit. ({0}) Ich muß Ihnen einmal ganz deutlich sagen: Ihr Vortrag war zwar hervorragend, aber das Thema war verfehlt. Da kann man nur sagen: ungenügend. Sie haben hier eine blumige Rede gehalten. Aber Agrarpolitik findet in Ihrer Fraktion doch nicht mehr statt. Das muß man einmal ganz deutlich sagen. ({1}) Es sind doch dieser Bundeskanzler und dieser Bundesfinanzminister - da haben wir Erfahrung -, die bereit sind, durch Ausgleichsmaßnahmen den deutschen Landwirten die schweren Probleme, die da sind, die von niemandem bestritten werden können, durch wirkliche Hilfe abzumildern. Das wäre mit Ihnen nie möglich gewesen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es tut mir wirklich leid. Ich bin schon auf Großzügigkeit angewiesen. Ich habe wirklich sehr wenig Zeit. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist genau 14 Tage her, daß wir an dieser Stelle unseren Gesetzentwurf zur Milchrente an den Agrarausschuß überwiesen haben. Heute soll er hier verabschiedet werden. ({1}) Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben. ({2}) In diesen Tagen und Wochen gibt es in unseren Reihen nur noch ein Thema: die Agrarpolitik. Diejenigen, die die miserable Einkommenssituation der Bauern nicht konkret vor Augen haben, schütteln oft verständnislos den Kopf, wenn wir hier über die notwendigen nationalen Ausgleichsmaßnahmen für unsere Bauern reden. Für die FDP-Fraktion begrüße ich es, daß die Bundesregierung bereit ist, die negativen Auswirkungen der Brüsseler Agrarpreisentscheidungen, an denen sie mitgewirkt hat, abzumildern. Der Bundeskanzler hat diese Ausgleichsmaßnahmen am vergangenen Mittwoch in seiner Regierungserklärung noch einmal eindeutig verteidigt. Er weiß genau, daß er in einer nicht leichten Situation ist. Die Eröffnungsveranstaltung der DLG in Frankfurt hat ihm demonstrativ den Unmut der Bauern über die derzeitige Agrarpolitik vor Augen geführt. Die FDP sieht den Weg, den Landwirtschaftsminister Kiechle in der europäischen Agrarpolitik mit der Quotenregelung eingeschlagen hat, sehr kritisch. Ich meine, wir dürfen uns nicht vorbehaltlos dem süßen Gift der Kontingentierung hingeben. ({3}) Wir müssen das uns jetzt verordnete Garantiemengenmodell sehr bald überprüfen und gegebenenfalls revidieren. ({4}) Worum es geht, ist eine Existenzsicherung unserer bäuerlichen Familienbetriebe, ohne dabei ein volkswirtschaftlich tragbares Produktionsvolumen aus den Augen zu verlieren. Bei dem heute zu verabschiedenden Gesetz über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt handelt es sich weder um einen Ausverkauf der Landwirtschaft, noch um ein Lotteriespiel, in dem jeder wie beim Roulett sein Los zieht oder nicht zieht. Ich halte das Prinzip der Freiwilligkeit immerhin für die noch gerechteste Lösung: auf der einen Seite die unternehmerische Freiheit nicht über alle Maßen zu strapazieren, auf der anderen Seite die Überschüsse, die wir volkswirtschaftlich einfach nicht länger verkraften können, zu begrenzen. Sie können mir glauben, daß es für mich als Liberalen nicht leicht ist, den Schritt weg vom freien Markt zu gehen. Ich weiß aber auch, daß der Schutzmantel, den wir, nicht anders als andere Staaten der Welt, über die Landwirtschaft legen, gerechtfertigt ist: zum einen durch ihren Nutzen für die Allgemeinheit, aber auch, weil wir politisch den bäuerlichen Familienbetrieb wollen. Ich komme am Ende meines Beitrags darauf zurück. Der finanzielle Anreiz, der in dem Gesetz niedergelegt ist, scheint hoch genug, um vier Prozent der Produktionsmasse in die milchviehhaltenden Betriebe umzudirigieren, die unter die Härteregelung fallen. Leider wissen wir bis heute nicht, wie viele Landwirte Härtefälle anmelden. Wir können aber auch damit rechnen, daß die, die eine Milchrente beziehen wollen, mehr als 1 Million t Milch anbieten. Die Frist läuft Ende September aus. Sorge macht mir die Abgrenzung der Härtefälle. Täglich eingehende Telefonanrufe beweisen mir, daß hierüber bei den Landwirten große Unruhe und Unsicherheit herrschen. Deshalb müssen wir sicher mit einer ganzen Reihe von Prozessen rechnen, und zwar von Landwirten, die vor Gericht ihre Ansprüche durchsetzen wollen. Die sogenannte Milchrente ist auch ein sinnvolles soziales Angebot, weil sie auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht. Gestern mittag lagen im Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft über 4 200 Anträge vor, die seit Beginn der Aktion, d. h. seit dem 1. Juli, dort eingegangen sind. Legt man den Durchschnittswert von rund 49 000 kg je Betrieb zugrunde, so können bereits heute über 200 000 t Milch aus dem Markt genommen werden. In der Aufgabebereitschaft vieler Milcherzeuger liegt eine große Chance, eine Strukturverbesserung des Milchmarkts herbeizuführen. Allerdings muß ich auch feststellen, daß besonders die offizielle Beratung diesen Landwirten immer mehr sagt, hier sehr vorsichtig zu sein und die Milch über die Verpachtung an die Berufskollegen weiterzugeben. Hier muß man einfach vor allem für den norddeutschen Raum feststellen, daß besonders kapitalkräftige, finanzkräftige Betriebe mit Durchschnitts-Kuhzahlen von 80 und mehr ganz bewußt jetzt diese Flächen pachten und diesen Landwirten sagen: Ich zahle nicht 10, sondern 12 Pfennige Milchrente und zusätzlich den dort herrschenden Pachtpreis. Das ist sicher eine Entwicklung, der wir, weil wir - Herr Kollege Michels hat es gesagt - begrenzen und kein weiteres Wachstum in Massenbeständen wollen, unsere Aufmerksamkeit widmen und über die wir sicher noch mal reden müssen. Auch einige Bundesländer diskutieren darüber, zusätzliche Landeszuschüsse zu geben, um die Aufgabewilligkeit der Landwirte zu fördern. Hier müssen wir auch das Problem der Regionalisierung sehen. Eines muß man allerdings auch sagen, Herr Kollege Oostergetelo: Die Aussage, dort, wo es keine Alternativen gibt, werde die Milchviehhaltung aufgegeben, stimmt so nicht. Landwirte, die keine Alternative haben, können und werden diese Milchrente nicht in Anspruch nehmen. Schon vor 14 Tagen habe ich von dieser Stelle aus Herrn Bundesminister Kiechle gebeten, bei den Landwirtschaftsministern der EG-Länder vorstellig zu werden, um EG-weit Überschußmilch herauszukaufen. Ich sage aber noch einmal ganz deutlich: Diese Aktion darf nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt bleiben. Sondern in der gesamten EG müssen wir von der Überschußmilch, die uns mit Kosten von ca. 54 Pfennigen pro Liter belastet, wegkommen. Nur so können wir wieder den nötigen Handlungsspielraum gewinnen, um in der Milchpolitik die Kontingentierung zu überwinden und der Marktwirtschaft wieder mehr Chancen zu öffnen. Ich muß das hier leider noch mal sagen. Sie kennen alle meine Haltung. Ich habe für die Fraktion der FDP immer wieder gesagt, daß die differenzierte Mitverantwortung das bessere Modell gewesen wäre. Wir hätten sofort Geld gehabt, um Überschußmengen herauszukaufen, um den Milchmarkt wieder in Ordnung zu bringen, und zwar Geld von den Verursachern dieser Überschüsse. Das wäre auch ein Stück Solidarität innerhalb der Milcherzeuger, innerhalb des Berufsstands gewesen, von dem Sie, Herr Präsident Heereman, so oft reden. ({5}) Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir die differenzierte Mitverantwortungsabgabe EG-weit eingeführt hätten und wenn wir bei Betrieben, die 60 Kühe und mehr haben - davon kann man doch wohl existieren -, bei der 61. Kuh angefangen hätten, hätten wir heute schon 9 Millionen Tonnen Milch heraus. Dieses Modell, das jetzt läuft, hat ein Volumen von knapp 5 Millionen Tonnen. Das muß man dabei auch einmal sehen. ({6}) Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die von mir genannte Chance zur Strukturverbesserung über die Milchrente der milchproduzierenden Betriebe in der Bundesrepublik, die bei einer Bestandsgröße von durchschnittlich 14 Kühen langfristig notwendig ist - das muß man einmal sehen -, nicht mit einer Abkehr vom bäuerlichen Familienbetrieb zu verwechseln. Sie wissen, daß die FDP Agrarfabriken nicht will. Auf der anderen Seite ist uns aber auch klar, daß wir in der Bundesrepublik heute Betriebe mit Durchschnittsflächen, mit Durchschnittskuhbeständen usw. haben, die weit unter denen der anderen EG-Staaten liegen. Allerdings müssen wir mit unseren bäuerlichen Familienbetrieben in der EG wettbewerbsfähig bleiben. Ich möchte zum Schluß kommen und noch ganz kurz auf die aktuelle Diskussion um Obergrenzen bei der von der FDP-Fraktion einmütig unterstützten und notwendigen 5 %igen Anhebung der Vorsteuerpauschale zu sprechen kommen. Ich habe mich von Anfang an ohne Wenn und Aber mit meiner Fraktion für die Obergrenze von 300 Vieheinheiten ausgesprochen. Diese Obergrenze bewirkt, daß landwirtschaftliche Betriebe mit Massenviehhaltung genauso wie gewerbliche Veredelungsbetriebe nicht in den Vorteil der 5 %igen Anhebung der Vorsteuerpauschale kommen. ({7}) - Ein Satz noch. - Dies hieße, einen ersten Einstieg in eine konkrete Politik zum Wohle des bäuerlichen Familienbetriebes zu gestalten, wie es in den Reden vieler Politiker draußen immer wieder gefordert wird. Ich bin nach wie vor sehr skeptisch - und meine Kollegen aus der CDU/CSU wissen das aus den zurückliegenden Gesprächen -, ob der uns von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf mit den Obergrenzen und der Änderung des Umrechnungsschlüssels sinnvoll ist. Ich begrüße es daher sehr, daß der Finanzausschuß am 15. Juni eine Anhörung von Sachverständigen dazu durchführt. Ich hoffe, daß wir alle dort Argumente und Erkenntnisse gewinnen, die es uns ermöglichen, ein Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes zu verabschieden, das unseren bäuerlichen Betrieben für die Zukunft wieder Hoffnung gibt. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ernährungsausschuß erleben wir derzeit einen rasanten Verfall parlamentarischer Sitten und Gebräuche, ({0}) unter dem alle Kolleginnen und Kollegen - ich denke, auch Sie - erheblich zu leiden haben. ({1}) Das Rechtsbewußtsein, das dahintersteht, würde mein Kollege Otto Schily „verbeult und verhunzt" nennen. Die Verordnungen, die Sie uns auf den Tisch legen, sind in Eile geschrieben, werden durchgehetzt und zeigen grobe Ungenauigkeiten. Bei dem Gesetz, das wir jetzt beraten, stimmte nicht einmal die Überschrift, wie der Vorsitzende richtig feststellte. Mit Hetze soll dieses Gesetz auch durchgeführt werden. Herr Jan Oostergetelo hat schon darauf hingewiesen, daß das Gesetz, noch bevor wir es im Ausschuß beraten haben, schon im Bundesanzeiger veröffentlicht worden ist. Das ist das Gesetz, das wir heute beschließen wollen. Es wird schon bei den Bauern verteilt, ({2}) bevor überhaupt eine parlamentarische Debatte einsetzen kann. ({3}) Ich möchte einmal wissen, wofür Sie dann dieses Parlament noch brauchen, wenn das hier Stil wird. ({4}) Wenn das hier Stil wird, dann kann die Bürokratie des Ministeriums in Zukunft gleich die Gesetze machen, und Sie können die Diäten für die Abgeordneten einsparen. ({5}) Meine Damen und Herren, diese Hetze hat aber Methode. Ich komme nun auf den Inhalt dieses Gesetzes, das hier vorliegt. Beabsichtigt wird u. a. in diesem Blatt, aber vor allen Dingen in den Interpretationen der Kammern, daß sich möglichst viele Bauern anmelden, um die Milchrente zu beantragen. Dazu wird gesagt, daß nur Anträge, die zwischen dem 1. Juni - der ist schon lange gewesen - und dem 15. Juni gestellt werden, gleichbehandelt werden. ({6}) Das heißt: Wenn wir dieses Gesetz heute beschließen, hätten die Bauern nach der öffentlichen Interpretation rechtmäßig nur noch eine Woche Zeit, um einen Antrag auf Milchrente zu stellen. ({7}) Sie können zwar auch danach noch Anträge stellen, doch bekommen sie dann, wenn die Gelder schon ausgeschöpft sein sollten, eben nichts mehr. ({8}) Was soll damit erreicht werden? Es soll damit erreicht werden, daß die Bauern eine ungeheuer schwerwiegende Entscheidung in großer Hetze durchführen, daß die Familien nicht in Ruhe beraten können, wie denn ihre Zukunftsaussichten sind, sondern daß sie unter diesem Druck „jetzt oder nie können wir das Geld kriegen" eine Entscheidung fällen, die die Aufgabe der Milchproduktion für diesen Betrieb für die gesamte Zukunft beinhaltet. Ich habe schon darauf hingewiesen, wie gefährlich das ist, nicht nur, daß aus Gebieten, die die Milchproduktion dringend brauchen und keine Alternativen haben, die Milch herausgeholt wird, sondern daß auch Existenzneugründungen unmöglich sind und außerdem der Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung damit jede Grundlage entzogen wird und Sie damit auf Zukunft eine sichere Garantie haben, daß Ihre Art von Agrarproduktion fortbestehen wird. Wer soll sich entscheiden, diese Milchrente in Anspruch zu nehmen? Sie hatten in der Vorgeschichte immer gesagt, dieses sei nur für die Betriebe, wo schon klar sei, daß der junge Bauer die Produktion nicht übernehmen wolle, weil der Betrieb zu klein sei, und damit der ältere Betriebsinhaber, der Landwirt ab 55 Jahren aus der schweren Arbeit aussteigen könne. Diese „55 Jahre" sind sang- und klanglos aus der Verordnung verschwunden. Die Milchrente wird jetzt für alle angeboten. Was heißt das? Nun kann sie auch ein junger Landwirt in Anspruch nehmen, dem - so richtig heiß gemacht von der betriebswirtschaftlichen Beratung - die Finger jucken nach dem Geld, das er dann z. B. in die Schweineproduktion investiert, wo wir dann das nächste Problem haben werden, was Sie ganz genau wissen. ({9}) Das entsteht unter diesem Zeitdruck, und das heißt, daß Sie damit voreilige und unkluge Entscheidungen provozieren. Herr Minister Kiechle hatte wiederholt an diesem Pult und auch in der Öffentlichkeit gesagt - er hat ja in der letzten Zeit sehr viel Möglichkeiten, das über das Fernsehen darzustellen -, eine regionale Umverteilung würde mit diesem Gesetz nicht stattfinden und mit der Kontingentierung auch nicht. Er hat gesagt, die Bundesregierung habe Wort gehalten, die kleinen Bauern würden nicht geschädigt. Herr Staatssekretär von Geldern hat gestern im Ausschuß gesagt, natürlich könne er nicht sicherstellen, daß die aufgekauften Quoten auch in den Regionen blieben, aus denen sie kämen. ({10}) Natürlich könne er nicht sagen, daß nicht mehr Härtefälle in Schleswig-Holstein entstehen als anderswo, d. h. daß in diese Gegend dann die Milch kommt, die notwendig in den südlichen Regionen und in den benachbarten Gebieten bleiben muß. Was hat das für Konsequenzen für die Molkereien? Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, von dem wir dringend hoffen, daß Sie ihn wenigstens im Interesse der Arbeitsplätze im ländlichen Raum gerade in diesen Molkereien unterstützen würden. Diese kleinen Molkereien sind ganz sicher existenzbedroht. Ihnen wird schon durch die Reduzierung der Quote die Milchmenge weggenommen, die sie brauchen, denn diese produzieren für den Markt, und jetzt werden ihnen zusätzlich Quoten weggenommen, die aus bestimmten Regionen ausgekauft werden, um dann in die großen Zentren von Südmilch und Westmilch zu kommen. Ich weiß gar nicht, was für eine Vorstellung vom ländlichen Raum Sie haben, die Sie so mutig macht, über ein solches Gesetz überhaupt abstimmen zu können. Ich bitte Sie deshalb dringend - Sie wissen, daß wir die Milchrente von Grund auf ablehnen -, wenigstens die schlimmsten Konsequenzen, nämlich die Umschichtung der Milchmengen aus den Regionen, wo sie hingehören, in die Regionen, wo es Schwerpunkte industrieller Agrarproduktion gibt, durch Unterstützung unseres Antrages zu verhindern. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Handlos. ({0})

Franz Handlos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000799, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich deswegen zu Wort gemeldet, weil ich den Eindruck habe, daß die Anliegen und Sorgen der kleinen Landwirte in der gesamten Bundesrepublik und insbesondere in den Mittelgebirgslandschaften und bei uns wiederum besonders in Ostbayern hier völlig vergessen werden. Ich darf nur einleitend sagen: Auf dreifache Art und Weise wird die deutsche Landwirtschaft durch die Brüsseler Agrarbeschlüsse geschädigt, ({0}) durch den Abbau des deutschen Währungsausgleichs, durch die Milchmarktgarantiemengenregelung und durch die EG-Agrarpreisfestsetzung 1984/85. Hinzu kommt, in vielen Bereichen der Bundesrepublik wird für die Landwirtschaft das Waldsterben zu einer weiteren Katastrophe auch finanzieller Art. Das sollte man bei dem Gesamtpaket nicht vergessen. Ich habe in den vergangenen Wochen ausgiebig mit Landwirten diskutiert. Als besonders ungerecht wird dabei der 4 %ige Basisabzug ohne Rücksicht auf die Produktionsmenge empfunden. ({1}) Statt dessen wäre, meine Herren auf der Regierungsbank, eine flächenbezogene Kontingentierung notwendig und gerecht. ({2}) Die Anhebung der Vorsteuerpauschale von 8 auf 13 % wirkt sich bei den Kleinlandwirten kaum aus. ({3}) Es profitieren davon nur die Großagrarier, ({4}) und der volkstümliche Ausdruck „sie müssen in das Gras beißen" trifft für die Kleinlandwirte im übertragenen Sinne zu: Sie werden zum Teil ihre überschuldeten landwirtschaftlichen Anwesen verkaufen müssen, weil die Milch die einzige Einnahmequelle darstellt. Meine Damen und Herren, bei den Kleinlandwirten herrscht überall Existenzangst. Bitte glauben Sie mir das! Ich darf Ihnen nur die Überschriften von ein paar Artikeln aus der „Passauer Neuen Presse" aus den letzten Tagen zeigen: ({5}) 500 Bauern zeigten die Fäuste und rechneten mit den Politikern ab. ({6}) Erbitterte Proteste der Bauern, nackte Existenzangst kommt auf, scharfe Kritik an der CSU! In einem anderen Artikel heißt es: Landwirte revoltieren wie zu Zeiten der Bauernaufstände. Meine Damen und Herren, all das, was sich draußen zur Zeit an Existenzangst zeigt, sollte man hier bitte nicht vergessen. Unabhängig davon gibt es in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen, die ungeklärt sind: Erstens. Es wird von der Milchrente gesprochen. Die Milchrente wird mit einer Mark je Kilogramm verkauft. Durch die Verzögerung der Auszahlung auf zehn Jahre bedeutet dies abgezinst unter Berücksichtigung der Inflationsrate nur noch 75 Pfennig Ertrag je Kilogramm. Sie müssen dies auf zehn Jahre berechnen! Ich sage noch einmal: Der abgezinste Betrag ist der entscheidende Betrag. Zweitens. Durch den Abbau des Grenzausgleichs verschieben sich die Verhältnisse im Angebotsbereich bereits jetzt gegenüber Frankreich nach Italien um etwa drei Prozentpunkte. Mit Wegfall des positiven Grenzausgleichs ist eine weitere Verschlechterung der deutschen Ausgangsposition zu erkennen. ({7}) Milcherzeuger, die Milch von gepachteten Flächen produziert haben und die Milchrente beanspruchen, werden gegenüber dem Verpächter womöglich regreßpflichtig. Auch das ist noch nicht abgeklärt. Drittens. Für die Abwicklung der Superabgabe ist die Finanzverwaltung zuständig. Bis heute wissen weder die Landwirte noch die landwirtschaftlichen Verwaltungsbehörden etwas über die Zuständigkeiten im Bereich der Härtefälle. Bescheinigt das zuständige Amt für Landwirtschaft die dem Milcherzeuger zustehende Referenzmenge, oder bedarf diese Bescheinigung des Amtes für Landwirtschaft der Billigung des Hauptzollamtes? Oder inwieweit können Molkereien überhaupt verbindliche Referenzmengen ausgeben, wenn diese Referenzmengen praktisch einem Rechtsakt gleichzusetzen sind? Viertens. Die dem Milcherzeuger zuzuweisende Referenzmenge stellt ein Liefer- und damit Einkommensgarantierecht dar. Eine Übertragbarkeit zwischen Erzeugern im gegenseitigen Einvernehmen bei Nichterreichen durch den einen und Überschreiten durch den anderen ist nicht rechtsverbindlich geklärt. Auch dies, meine Herren auf der Regierungsbank, müssen Sie - wenn ich das sagen darf - noch klären. Fünftens. Ab-Hof-Verkaufsmengen unterliegen nach der derzeitigen Verordnungslage voll der Superabgabe, wenn nicht für das Vorjahr ein entsprechender Referenzmengennachweis möglich ist. Da der Nachweis einer Referenzmenge in diesem Falle auch einen Einkommensnachweis darstellt, ergibt sich für viele wahrscheinlich die Notwendigkeit zur Berichtigung der Steuererklärungen. Sechstens. Bisher wurde lautstark betont, daß die Quoten nicht handelbar sind. Auch das muß geregelt werden. Da die Quote auf den derzeitigen Produktionsflächen gegeben ist, wird bei einer Zupacht von Flächen die Wertigkeit dieser Pachtflächen mit der Größenordnung des darauf liegenden Quotenrechts wachsen, d. h. Grünflächen mit Lieferquoten werden teurer, und zwar im Pachtbereich wie im Kaufbereich, so daß sich selbst bei Nichthandelbarkeit der offiziellen Quote ein entsprechender Wert errechnet. Meine Damen und Herren, ich muß schließen, weil meine Zeit zu Ende ist. Alles in allem kann ich nur noch einmal sagen: Wenn dieser Gesetzentwurf verabschiedet ist, kommen erst die praktischen Schwierigkeiten, weil viele Punkte, die noch geklärt werden müssen, nicht berücksichtigt worden sind. Sie werden sehen, Sie werden damit draußen noch große Schwierigkeiten haben, weil die Eile der Beratung einfach zu groß war. Die Konsequenzen werden Sie tragen müssen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor 14 Tagen hat der Kollege Oostergetelo bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs für die SPD-Fraktion angekündigt, daß er das, was er damals nicht getan habe, bei der Beratung im Ausschuß nachholen werde, nämlich eine qualifizierte Stellungnahme abzugeben. Das ist nicht geschehen. Statt dessen haben wir heute von ihm folgendes gehört: Zunächst einmal hat er über ein anderes Gesetz geredet, das hier erst in 14 Tagen zur Beratung anstehen wird. ({0}) Dann hat er noch einmal die Beschlüsse der europäischen Gremien kritisiert, was niemandem, vor allen Dingen nicht den Landwirten, weiterhilft. Wir müssen jetzt mit dem fertig werden - das ist das Bemühen der Bundesregierung - und ein flankierendes Programm entwickeln, das uns hilft, diese unvermeidlichen Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft für unsere Landwirtschaft erträglich zu machen. Es hat also keinen Sinn, rückwärts gewandt heute über diese Entscheidungen zu lamentieren. Schließlich, Herr Kollege Oostergetelo, haben Sie kritisiert, daß eine frühzeitige Bekanntmachung im Blick auf das jetzt zu verabschiedende Gesetz erfolgt ist mit dem Ziel, die Anträge bereits entgegennehmen zu können, um sicherzustellen, daß mit der Prämienregelung sofort begonnen werden kann. Ich kann nur sagen: Wenn man einerseits beklagt, daß es in der Landwirtschaft viele Fragen gibt, daß in der letzten Zeit Unsicherheit entstanden ist, und wenn man darauf hinweist, daß die Landwirte ein Recht darauf haben, endlich genau zu wissen, woran sie sind, dann kann man auf der anderen Seite nicht die Vorziehung dieser Bekanntmachung kritisieren und sagen, man hätte das noch weiter hinauszögern sollen. ({1}) Ich finde es richtig, daß die Aktion jetzt läuft und daß die Landwirte jetzt genau wissen, woran sie sind. Wir sehen ja auch an den bisherigen Ergebnissen, daß gerade dieses Programm der Prämienregelung bei der Milch angenommen wird. Ich halte das für sehr wichtig. Lassen Sie mich zur Umsatzsteuerfrage nur eine Bemerkung machen - das wird hier noch zu debattieren sein -, weil das angesprochen worden ist. Erstens. Ich bin davon überzeugt, daß eine solche umfangreiche nationale Ausgleichsmaßnahme für Opfer, die uns die europäische Agrarpolitik notwendigerweise zumuten muß, überhaupt nur mit dieser Regierung durchzuführen gewesen ist. ({2}) Zweitens. Ich glaube, es ist ein guter Schritt, wenn erstmalig - das ist ja in den vergangenen Jahren oft diskutiert, aber eben nie angepackt worden - eine zusätzliche Obergrenze festgelegt wird, damit der kleine und mittlere Bereich, nicht aber der Bereich gewerblicher und großer Agrarstrukturen gefördert wird. Erstmalig ist dieser Ansatz vorhanden, und das finde ich außerordentlich wichtig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Bitte.

Rudolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001565, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gehört es zur Politik der Unterstützung bäuerlicher Familienbetriebe, wenn Sie plötzlich auch gewerbliche Betriebe mit landwirtschaftlicher Produktion in den Genuß dieser Pauschale kommen lassen?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Müller, ich betone noch einmal: Das ist der erste Einstieg überhaupt, eine solche Grenze einzuführen. Das ist früher nie geschehen. In all den Jahren, in denen Sie verantwortlich an Entscheidungen mitgewirkt haben, ist das nicht geschehen. ({0}) Jetzt machen wir diesen Schritt. Das zweite ist - ganz präzise auf Ihre Frage; wir werden das j a noch erörtern und entscheiden müssen -: Täuschen Sie sich nicht. Es gibt eine ganze Reihe echt bäuerlicher Familienbetriebe, die in der Vergangenheit auf Grund falscher und verfehlter Abgrenzungskriterien, ohne daß sie das zu verantworten hätten, per Definition gewerblich geworden sind und dennoch bäuerliche Familienbetriebe geblieben sind. Das sollten Sie nicht übersehen. ({1}) Ich will diese Debatte jetzt nicht weiterführen, weil wir sie in den zuständigen Gremien weiterzuführen haben. Wir sprechen heute über das Gesetz zur Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, es besteht der Wunsch des Herrn Abgeordneten Oostergetelo, noch eine Zwischenfrage zu stellen.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Darauf möchte ich jetzt eigentlich verzichten, weil ich zu dem Thema, das wir heute zu beraten haben, etwas sagen möchte. Ich habe meine Erklärung zu dem anderen, von Ihnen eingeführten Thema abgegeben. ({0}) Ich möchte jetzt zu diesem Gesetz etwas sagen. Es kommt darauf an, daß wir mit diesem Gesetz der Landwirtschaft insgesamt ein faires Angebot machen, sich mit der Garantiemengenregelung bei der Milch einrichten zu können. Dieses Angebot besteht aus mehreren Maßnahmen. Erstens. Es ist eine differenzierte Abzugsregelung zur Durchführung der Garantiemengenregelung vorgesehen. Wir beginnen mit 2 %, und wir enden mit 12,5%. Es gibt andere Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft, die undifferenziert alle Betriebe in gleicher Weise belasten. Ich glaube, gerade bei der entstandenen Diskussion über kleine und große Betriebe ist es wichtig, daß wir auf diese Differenzierung verweisen können. Zweitens. Wir werden die Härtefälle regeln, und zwar alle die Fälle, die aus nicht zu vertretenden Gründen im Referenzjahr ein unvergleichliches, ein besonders negatives Betriebsergebnis gehabt haben, und die Fälle, die noch aufstocken müssen, weil sie bereits investiert haben und sonst diese InvestiParl. Staatssekretär Dr. von Geldern tionen die Betriebe ruinieren würden, wenn sie nicht aufstocken können. Wir werden diese Härtefälle bedienen, ohne dies den anderen Betrieben anzulasten. Ich glaube, es ist richtig, den aufgabewilligen Betrieben dieses Angebot zu machen, und zwar auch solchen, bei denen der Betriebsleiter ein bestimmtes Alter nicht erreicht hat, Frau Kollegin Vollmer, weil es für die Bereitschaft, jetzt die Milchproduktion einzustellen, ganz unterschiedliche Motive geben kann. Diese Betriebe erhalten pro Jahr je 1 000 kg nicht mehr vermarkteter Milch 100 DM, und zwar zehn Jahre lang. Das ist ein außerordentlich faires Angebot. Es zeigt sich, daß dies offenbar auch angenommen wird. Daß daneben andere Möglichkeiten bestehen, auf die Garantiemengensituation jetzt zu reagieren, z. B. durch die Verpachtung von Flächen einschließlich der Garantiemengen, erweitert den Spielraum der Betriebe und ist im Zusammenhang mit der durch dieses Gesetz geschaffenen Grundlage für die Zahlung von Vergütungen eine Erweiterung der Chancen des einzelnen Betriebsinhabers, sich auf die veränderte Situation einzustellen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte abschließend zum Grundsätzlichen hier noch folgendes sagen. Herr Kollege Bredehorn, Sie haben heute noch einmal vorgetragen, daß Ihrer Meinung nach unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten die Garantiemengenregelung zu bedauern sei. Ich will nicht nur darauf verweisen, daß dies die einzige in der ganzen Gemeinschaft konsensfähige Lösung war. Ich will auch inhaltlich gern noch eine Bemerkung dazu machen. ({1}) Unter dem Gesichtspunkt marktwirtschaftlicher Prinzipien müssen wir konzedieren, daß angesichts der bestehenden Marktordnungen mit festgesetzten Preisen ohnehin bereits längst eine Veränderung von marktwirtschaftlich freien Kräften eingetreten ist. Wenn jetzt eine Ergänzung durch eine Begrenzung festgesetzter Preise auf bestimmte Mengen erfolgt, so ist das in meinen Augen kein neuer Sündenfall gegen marktwirtschaftliche Grundsätze, sondern, ganz im Gegenteil, eine logische und notwendige Begrenzung. ({2}) Aus diesem Grunde glaube ich, daß der jetzt mit den Begleitmaßnahmen, insbesondere auch mit dieser Prämienregelung, beschrittene Weg es den betroffenen Landwirten erleichtert, mit der Situation fertig zu werden, weil sie betrieblich darauf reagieren und sich darauf einstellen können. Eine gesteigerte Mitverantwortungsabgabe wie auch Preissenkungen wären dagegen die Forderung an die Landwirtschaft, mehr Leistung für weniger Geld zu erbringen. Das Gesamtpaket der Maßnahmen einschließlich des wichtigen Schritts, der hier heute getan wird, bietet der Landwirtschaft die Möglichkeit, auf eine aus zwingenden Gründen der europäischen agrarpolitischen Situation notwendig gewordene grundsätzliche Kurskorrektur in jedem Einzelfall anders und begründet mit Hilfe auch dieser Zahlung aus dem Bundeshaushalt zu reagieren und sich darauf einstellen zu können. Ich glaube, daß das eine gute Sache ist. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen und einigen NeinStimmen ist diese Vorschrift angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen und einigen Gegenstimmen ist dieses Gesetz angenommen. Es ist noch über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1584 abzustimmen. Von seiten der SPD wird eine Abstimmung über die einzelnen Absätze gewünscht. ({0}) Es wird so verfahren. Ich lese die drei Absätze vor - sie sind ganz kurz -: Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür zu sorgen, daß - duch die Durchführung der Maßnahmen zur Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung keine überregionale Umschichtung von Lieferkontingenten erfolgt, .. . Wer diesem Absatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Dieser Absatz ist also abgelehnt. Ich komme zum zweiten Absatz: - die durch die Aufgabe des Betriebszweiges Milchviehhaltung frei werdenden Lieferkontigente innerhalb ihrer Region durch die Landesbehörden verteilt werden, .. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Dieser Absatz ist bei einigen Enthaltungen abgelehnt. Ich komme zum dritten und letzten Absatz: - kleine Marktmolkereien keine Reduzie5456 Vizepräsident Stücklen rung ihrer Kontingente durch den Aufkauf von Quoten aus ihrem Einzugsgebiet erleiden. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen mit großer Mehrheit angenommnen. ({1}) - Entschuldigung, abgelehnt. Das wäre noch ein Erfolgserlebnis für heute. ({2}) Ich rufe die Punkte 38 bis 51 der Tagesordnung auf: 38. Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff 2,4,5-T ({3}) - Drucksache 10/529 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) - Drucksache 10/1399 Berichterstatter: Abgeordneter Hornung ({5}) 39. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 10/22 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({6}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß 40. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 10/900 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({7}) Innenausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 41. Erste Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Antretter, Bernrath, Frau Blunck, Buckpesch, Catenhusen, Daubertshäuser, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Duve, Egert, Dr. Ehmke ({8}), Dr. Emmerlich, Fischer ({9}), Fischer ({10}), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Immer ({11}), Jansen, Kiehm, Kißlinger, Klein ({12}), Dr. Klejdzinski, Dr. Kübler, Lambinus, Lennartz, Lohmann ({13}), Frau Dr. Martiny-Glotz, Menzel, Müller ({14}), Müller ({15}), Müntefering, Dr. Nöbel, Oostergetelo, Dr. Penner, Reuter, Roth, Schäfer ({16}), Frau Schmedt ({17}), Frau Schmidt ({18}), Schmidt ({19}), Dr. Schmude, Schreiner, Schröder ({20}), Schröer ({21}), Dr. Schwenk ({22}), Stahl ({23}), Stiegler, Tietjen, Toetemeyer, Wartenberg ({24}), Dr. Wernitz, Dr. de With, Wolfram ({25}), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 10/1502 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({26}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 42. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes - Drucksache 10/1052 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({27}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 43. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waschmittelgesetzes - Drucksache 10/1434 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({28}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit 44. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Altölgesetzes - Drucksache 10/1435 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({29}) Innenausschuß 45. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes - Drucksache 10/1444 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({30}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß 46. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den jüngsten Dioxinskandalen - Drucksache 10/1205 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({31}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie 47. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung des Entwurfs einer Vizepräsident Stücklen Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 10/1291 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({32}) Ausschuß für Wirtschaft 48. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Verordnung über die Abbaubarkeit anionischer und nichtionischer grenzflächenaktiver Stoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln - Drucksache 10/1436 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({33}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit 49. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({34}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates vom 9. September 1983 betreffend die Aufstellung von Noteinsatzplänen zur Bekämpfung der Ölverschmutzung des Meeres durch Unfälle - Drucksachen 10/546 Nr. 18, 10/1242 Berichterstatter: Abgeordnete Tietjen Dr. Olderog 50. Beratung des Fünften Berichts der Bundesregierung über die Tätigkeit des Rückstellfonds nach dem Altölgesetz, insbesondere über die Möglichkeiten einer Ermäßigung der laufenden Zuschüsse und der Ausgleichsabgabe - Drucksache 10/1229 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({35}) Innenausschuß Haushaltsausschuß 51. Beratung des Dritten Immissionsschutzberichts der Bundesregierung - Drucksache 10/1354 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({36}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 38 bis 51 eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung oder Berichterstattung gewünscht? - Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, die Umweltpolitik der Bundesregierung zu Beginn dieser Debatte darzustellen. Sie ist auch in den letzten drei Monaten seit unserer letzten Debatte ein gutes Stück vorangekommen. ({0}): Siehe Oberharz!) Schwerpunkt ist das wichtige Aktionsprogramm „Rettet den Wald" und Initiativen, die sich der Deutsche Bundestag zu eigen gemacht hat. Der Dritte Immissionsschutzbericht, der heute zur Beratung ansteht, bestätigt die Richtigkeit unseres Vorgehens. Wir bauen die Luftverunreinigungen Schritt für Schritt ab. ({1}) Das ist die Antwort der Bundesregierung auf die besorgniserregende Zunahme der Waldschäden und unser Konzept zum Schutz und zur Vorsorge für die menschliche Gesundheit. ({2}) Der Immissionsschutzbericht stellt erneut die hohe Belastung unserer Luft mit Stickoxiden fest, die direkt oder in Form von Umwandlungsprodukten zu den wichtigsten Ursachen der Waldschäden gezählt werden. Maßgebende Quelle der Luftverunreinigungen sind die Kraftfahrzeuge, die deswegen im Mittelpunkt unserer Anstrengungen stehen müssen. ({3}): Deswegen muß man die weiterhin auch schön schnell fahren lassen!) - Wenn es nach Ihren Vorstellungen ginge, dann wäre die deutsche Automobilindustrie morgen geschlossen, und wir hätten drei Millionen Arbeitslose. ({4}) Das muß Ihnen klar sein bei Ihren vollkommen irreversiblen und irren Forderungen, die Sie täglich verbreiten. ({5}) - Herr Schily, auch wenn Sie noch so brüllen, es ändert an der Richtigkeit meiner Feststellung überhaupt nichts. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich bitte, bei Beginn dieser Aussprache, die vier Stunden dauern wird - jede Fraktion hat ausreichend Gelegenheit, zu Wort zu kommen -, ({0}) den Redner, ganz gleich, wer es ist, nicht durch permanente Zwischenrufe an den Ausführungen zu hindern. Das geht nicht. ({1})

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Ja, der wehrt sich schon. Da haben Sie recht. Der hat da gar keine Probleme. Meine Damen und Herren, wir haben entschieden, mit Wirkung ab 1986 die in den USA geltenden, am Stand der Katalysatortechnik orientierten Abgasgrenzwerte sowie die dort angewandten Testverfahren zu übernehmen - als einziges, als erstes Land in Europa, als Marktführer, als Pilotprojektant. Sie sehen die Reaktionen im Osten, Süden, Westen. Zu diesem Zweck wird die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung novelliert werden. Die Arbeiten an dem Entwurf dieses umfangreichen Regelwerks sind so weit vorangekommen, daß noch im Sommer die Verabschiedung durch die Bundesregierung erfolgen kann. Den Herstellern sind die Werte seit langem bekannt. Eine Reihe von Herstellern hat auch schon begonnen, sich auf die künftigen Anforderungen einzustellen und einzelne Modelle jetzt schon in umweltfreundlicher Version vorzustellen. Wenn jemand in der Automobilindustrie heute noch glauben sollte - es gibt noch solche -, er könne es sich leisten, weiter zu mauern, der wird den Anschluß verlieren und zusehen müssen, wie andere erfolgreich die große Chance nutzen, beim umweltfreundlichen Auto an der Spitze des Fortschritts zu stehen. ({0}) Wir haben im vergangenen Jahr die Einführung bleifreien Benzins für 1986 beschlossen. Inzwischen liegen die Qualitätsdaten für den bleifreien Kraftstoff fest. Die Daten der neuen DIN-Norm werden in die zu novellierende Benzinqualitätsangabenverordnung übernommen werden, die in Kürze vorgelegt werden wird. Auch das war eine Sache von Monaten; denn der Kraftstoff muß auf die Innovationen bei den Motoren eingestellt werden. Und da macht ein Punkt Unterschied in der Oktanzahl bei der restlosen Ausnutzung des Kraftstoffes für die Motorenbauer bereits eine Menge aus. ({1}) Damit ist nun aber auch die Voraussetzung gegeben, daß die Mineralölwirtschaft bereits im laufenden Jahr bleifreies Normalbenzin in verstärktem Umfang anbieten kann; denn die auf den Markt kommenden Katalysatorfahrzeuge sind darauf angewiesen. Die Autobahntankstellen müssen mit Zapfsäulen für bleifreien Kraftstoff ausgerüstet werden. Das wird noch im Jahre 1984 beginnen und muß im Jahre 1986 beendet sein. Eine Reihe von mittelständischen Unternehmen in allen Teilen der Bundesrepublik zieht bei diesem Programm bereits mit. Die Ausdehnung des Angebots bleifreien Benzins wird durch Nachfrage gefördert. Deshalb mein Appell: Wer heute schon bleifrei fahren kann, sollte es tun. Er leistet damit seinen Beitrag zur weiteren Absenkung der Bleibelastung der Luft und hilft mit, daß frühzeitig ein flächendeckendes Netz von solchen Tankstellen entsteht. Wir treten dafür ein, daß im Sinn des freien Reiseverkehrs auch in den anderen europäischen Staaten, in West und Ost, bleifreies Benzin angeboten wird. Ich freue mich, daß unsere Appelle in der Schweiz, in Österreich, in Italien, aber jetzt auch bei der DDR und in Ungarn Erfolg gehabt haben. Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, das umweltfreundliche Auto von oben zu verordnen. Wir brauchen eine ausreichende Nachfrage. Die Bundesregierung muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich der Bürger so schnell wie möglich für das umweltfreundliche Auto entscheidet. Aus diesem Grund müssen flankierende Maßnahmen vorgesehen werden, durch die die Mehrkosten für die Verbraucher soweit wie möglich ausgeglichen werden. Ich denke dabei an die Schaffung eines wirksamen Kaufanreizes, an die mehrjährige Freistellung von der Kraftfahrzeugsteuer sowie einen Ausgleich bei der Mineralölsteuer, der Preisgleichheit von bleifreiem und bleihaltigem Benzin bewirkt. ({2}) Wir haben die Lehren der Vereinigten Staaten vor uns, wo die Umstellung nach zehn Jahren noch nicht gelungen ist und Katalysatormotoren mit verbleitem Benzin, das die Katalysatoren vernichtet, gefahren werden, weil dort das verbleite Benzin billiger ist als das bleifreie. Wir haben die japanischen Erfahrungen vor uns, wo in acht Jahren bei 31 Millionen Kraftfahrzeugen 30 200 000 auf bleifreies Benzin und Katalysator umgestellt werden konnten und nur noch 800 000 Fahrzeuge mit verbleitem Benzin fahren. An diesen beiden Marken will sich die Bundesregierung orientieren und ihren europäischen Nachbarn und Partnern klarmachen, daß das der einzige richtige, vernünftige und mögliche Weg ist. ({3}) Wenn manchmal geschrieben wird, der Innenminister habe sich Illusionen gemacht und scheitere nun: Der Innenminister hat sich, was den europäischen Zug betrifft, niemals Illusionen gemacht. Er weiß, wie langsam der fährt und daß es hier immer auf den langsamsten Partner ankommt. Aus diesem Grunde haben wir nicht gesagt, in Europa gebe es ab 1986 diese Regelungen, sondern wir haben gesagt: Wir als das wichtigste und bedeutendste Durchgangs- und Reiseland übernehmen die Pilotfunktion. Heute können wir feststellen, daß wir Resonanz gefunden haben, sowohl innerhalb, aber auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Meine Treffen mit dem Umweltminister Osterreichs, mit dem Umweltminister der Schweiz und mit dem schwedischen Umweltminister in der letzten Woche werden zu einer weiteren Konferenz Dänemarks, Finnlands, Norwegens, Schwedens, der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz im Sommer dieses Jahres führen, damit wir auch von außen einen Druck auf die Europäische Gemeinschaft und die zögernden Partner ausüben können. Das alles - das kann doch niemand bestreiten - wäre vor einem oder zwei Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Wir haben uns ja wirklich nach allen unseren Kräften bemüht, voranzuBundesminister Dr. Zimmermann kommen, um Partner und Freunde zu finden, und das ist uns auch gelungen. ({4}) Die EG-Kommission hat am 16. Mai ihre Vorschläge an den EG-Rat vorgelegt und dabei die Pilotfunktion der Bundesrepublik Deutschland anerkannt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke ({0})?

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Ich möchte im Zusammenhang reden. Wir haben vier Stunden Debatte. Jeder kann sich zu Wort melden. Es ist Zeit genug. ({0}) - Wer mich kennt, Herr Hauff, weiß, daß das Wort „feige" vielleicht auf andere zutrifft, aber ganz sicher nicht auf mich. ({1}) Wir machen Tempo, auch in der Europäischen Gemeinschaft. Wenn wir diese Pilotfunktion nicht übernommen hätten, dann hätte es in Europa überhaupt noch keinen Beschluß gegeben: Null. Das ist doch jedem klar, der die Dinge dort kennt. Immerhin haben wir erreicht: Ab 1986 kann bleifreies Benzin verwendet werden, ab 1989 muß es angeboten werden. Der übrige Fahrplan ist natürlich von unerträglicher Länge. Die Frist bis 1995 kann überhaupt nicht in Frage kommen. Aus diesem Grunde müssen wir uns mit allen Kräften bei unseren europäischen Partnern dafür einsetzen, daß diese Fristen verkürzt werden. ({2}) - Ich habe leider keine Befehlsgewalt über die Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Sie stehen nicht stramm, wenn man zu ihnen sagt, sie sollen dieses oder jenes tun. ({3}) Aber wir haben zahlreiche bilaterale Gespräche geführt. Ich nannte eine ganze Reihe davon. Wir haben mit dem französischen Präsidenten Mitterrand vor kurzem sehr ausführlich gesprochen. Ein wichtiges Zwischenergebnis war die europäisch-kanadische Konferenz in Ottawa über den sauren Regen. Die Teilnehmer haben sich geeinigt, die Schwefeldioxidemissionen bis 1993/95 um insgesamt 30 % zu senken und die Stickstoffoxidemissionen ebenfalls nach dem Stand der Technik zu vermindern. Auf der Grundlage dieser Verhandlungsergebnisse und Gespräche gehen wir gut vorbereitet in die Münchner Konferenz Ende Juni, eine multilaterale Konferenz, für die wir bis jetzt Anmeldungen von 28 Staaten haben. Wir werden dort sicher ein gutes Stück vorankommen, nicht zuletzt auch bei den Kraftfahrzeugen. Besonders positiv bewerte ich, daß die Sowjetunion die Einladung angenommen hat. Ich halte es für ganz wesentlich, daß wir gerade mit unseren Nachbarn im Osten in der Luftreinhaltung übereinstimmen. Die DDR hat schon auf der Münchner Vorkonferenz Anfang Mai gezeigt, daß sie in einem außerordentlichen Maße konstruktiv mitarbeitet. Nun haben auch Ungarn und - was besonders für den Freistaat Bayern wichtig ist - die Tschechoslowakei ihre ausdrückliche Teilnahme an der Konferenz bekundet und ihre Delegationen benannt. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß bei den Luftverunreinigungen die grenzüberschreitenden, die weiträumigen Luftverunreinigungen das Hauptproblem für die Bundesrepublik sind. Wir versprechen uns von der Münchner Konferenz eine offene Diskussion und Lösungsmöglichkeiten auf diesem für uns alle so wichtigen Gebiet. Meine Damen und Herren, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen. Sie hat die Sanierung der Altanlagen auf breiter Front in Gang gesetzt. Ich habe darüber bereits im Februar berichtet. Ich habe damals gesagt, daß wir mit der geltenden Verordnung auch die Verminderung der Stickstoffoxidemissionen durchsetzen werden. In der Zwischenzeit hat die Sonder-Umweltministerkonferenz im April entsprechend meinen Vorschlägen eine einheitliche Vollzugspraxis beschlossen, die den Stand der Technik ausschöpft. ({4}) - Wir waren in Japan. Wir wissen, was die Japaner können und was nicht. Wir werden bei den Stickstoffoxidemissionen die Verminderung auf ein Drittel bewirken. Wir streben jetzt mit Nachdruck danach, daß diese unsere Anforderung auch für die EG festgeschrieben wird. Ein Richtlinienentwurf der sich weitgehend an unsere Vorstellungen anlehnt, liegt in Brüssel vor. Eine Orientierungsdebatte darüber wird unmittelbar nach der multilateralen Münchener Konferenz am 28. Juni in Luxemburg stattfinden. ({5}) Mit den Arbeiten an der Novelle der Emissionsvorschrift TA Luft, an der Novelle der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen sind wir ebenfalls gut vorangekommen. Die geänderte vierte Bundes-Immissionsschutzverordnung wird in Kürze dem Bundeskabinett vorliegen. Sie sieht eine Anpassung des Katalogs der genehmigungsbedürftigen Anlagen an die technische Entwicklung und eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens vor. Die Novelle der TA Luft wird zur Zeit intensiv - -({6}) - Warten Sie es doch ab. Ich rede noch länger, und all die Fragen werden im Laufe meiner Ausführungen beantwortet. Die Novelle der TA Luft wird zur Zeit intensiv mit der Industrie und den Ländern beraten. ({7}) - Ich kann noch viel länger reden, wenn Sie es gern länger hören wollen. Wie Sie wollen! Ich erwarte von der Neufassung eine deutliche Verminderung der Emissionen von Luftschadstoffen in der gesamten Industrie, auch bei den kleineren Feuerungsanlagen. Zentrales Anliegen ist die Verminderung bei den Altanlagenemissionen, ({8}) und dem trägt die Großfeuerungsanlagen-Verordnung bereits Rechnung, aber nicht ganz. Aus diesem Grund erfolgt die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Nach dem Gesetzentwurf wird die Eingriffsschwelle bei der Durchsetzung von nachträglichen Anordnungen auf das verfassungsrechtlich gebotene Maß, nämlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zurückgeführt. ({9}) Sie werden an den Reaktionen der Industrie sehen, wie ungnädig das, was wir da vorhaben, dort aufgenommen wird. ({10}) Ich weiß, daß meine Initiative nicht nur Freude auslöst - hier werden große Interessen berührt -, aber ich habe Verständnis, daß die Gegenargumente gebracht werden. Weniger Verständnis habe ich manchmal für die Form, in der diese Gegenargumente vorgebracht werden. Ich erinnere mich an die Reaktionen im Oktober 1982, als wir mit diesem Programm begannen, an die Reaktionen im Herbst 1983, als man mir sagte, das erfüllen wir alles, und ich weiß die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie gut genug einzuschätzen, um ihr zuzutrauen, daß sie mit dem, was im Interesse der Menschen und der Umwelt gemacht werden muß, auch technisch fertig wird. Davon bin ich fest überzeugt. ({11}) Aus diesem Grunde sollte man seine Energie nicht darauf verschwenden, immer wieder die wirtschaftliche Unvertretbarkeit von Umweltschutzmaßnahmen herauszustellen, sondern sich auf die Suche nach ökologisch und ökonomisch vernünftigen Maßnahmen konzentrieren. ({12}) Die Frage, wie Altanlagen noch schneller dem Stand der Technik angepaßt werden können, ist auch Gegenstand meines Berichts über den Einsatz marktwirtschaftlich orientierter Instrumente in der Luftreinhaltung. Die Einführung einer entsprechenden Kompensationsregelung strebe ich bereits bei der laufenden Novellierung der TA Luft an. Zertifikatmodelle lehnt die Bundesregierung dagegen ab. Sie hätten erhebliche praktische Mängel und ökologische Risiken zur Folge. Tatsächlich werden diese Modelle auch nirgendwo praktiziert. Ein Handel mit Verschmutzungsrechten ist für unser Land abzulehnen. Es gibt hier im übrigen Mißverständnisse. Im politischen Raum werden häufig Zertifikationsmodelle gefordert, wo Kompensationsregelungen, wie wir sie wollen, gemeint sind. ({13}) Marktwirtschaftliche Lösungen gibt es auch im Umweltschutz. Wir setzen in Zusammenarbeit mit den Ländern die Prüfung der dafür möglichen Instrumente fort. Unser Bestreben ist es, wo immer möglich, nur die umweltpolitischen Ziele vorzugeben, den Weg dorthin der Wirtschaft selbst zu überlassen. So haben wir freiwillige Selbstverpflichtungen wie bei der Asbestindustrie oder wie bei der Lackindustrie. Wir begrüßen diese freiwilligen Selbstverpflichtungen, die unter unserer Kontrolle und unserem Patronat stattgefunden haben und denen wir nicht die Zustimmung gegeben hätten, wenn es diese raschen Schritte nicht möglich gemacht hätten, daß uns damit gesetzliche Regelungen erspart geblieben sind. ({14}) - Ich weiß, daß Sie natürlich den Gesetzesknüppel um jeden Preis bevorzugen würden, auch wenn es zu freiwilligen Lösungen kommt. Das ist der Unterschied zwischen der SPD und der Union. ({15}) Im Gewässerschutz wollen und müssen wir noch mehr tun, nicht zuletzt im Hinblick auf die Qualität und langfristige Sicherung unseres Trinkwassers. Hier ist schon mit der Festlegung der Mindestanforderungen, was das Einleiten von Abwässern betrifft, begonnen worden. In enger Zusammenarbeit mit den Ländern und den Betroffenen wird ein Gesetzeswerk noch in diesem Jahr erstellt und dem Parlament zugeleitet. In diesem Zusammenhang steht auch die vorgesehene Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes. Folgende Verbesserungen und Ergänzungen sind notwendig: Einführung des Standes der Technik für problematische Stoffe, Einbeziehung der Indirekteinleiter, verstärkter Schutz des Grundwassers. Der Entwurf wird noch im Sommer vorgelegt werden. Er basiert auf weitgehender Übereinstimmung mit den Ländern. Einen Gleichklang mit den Ländern gibt es ebenfalls bei der notwendigen Novellierung des Abwasserabgabengesetzes. Verbesserungen insbesondere für den Vollzug werden von allen Seiten für notwendig gehalten. Intensive Gespräche auf der Basis des Erfahrungsberichts haben aber gezeigt, daß es durchaus unterschiedliche Vorstellungen gibt, die noch einer eingehenden Prüfung bedürfen. Meine Haltung ist unverändert. Ich strebe eine Verbesserung der Abwasserabgabe an. Alles, was diesem Ziel dienen kann, muß in die Prüfung einbezogen werden. Wir prüfen weiterhin intensiv alle Möglichkeiten, wie Wasch- und Reinigungsmittel noch umweltverträglicher gemacht werden können. Wenn wir Ersatzstoffe für bestimmte Inhaltsstoffe von WaschBundesminister Dr. Zimmermann mitteln zulassen, dann muß deren Umweltverträglichkeit gesichert sein. Man kann nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen. Diese Verantwortung vermisse ich bei manchen, die sich besonders umweltfreundlich gebärden. Ich halte es für eine Täuschung der Öffentlichkeit, wenn lautstark ein totales Verbot von Phosphaten in Waschmitteln gefordert wird, ohne daß umweltfreundliche Alternativen aufgezeigt und erprobt sind. ({16}) - Nein. Es ist damit begonnen worden; aber sie sind noch nicht erprobt. Im Mittelpunkt unserer internationalen Gewässerschutzpolitik steht die Internationale Nordseeschutzkonferenz, zu der ich die Anrainerstaaten für Ende Oktober nach Bremen eingeladen habe. ({17}) Ziel der Konferenz ist es, einen internationalen Konsens über Grundsätze zur Umweltpolitik für die Nordsee und über konkrete Umweltschutzmaßnahmen zu erreichen. Wir wollen insbesondere die Verringerung der Schadstofftransporte über Binnen-und Küstengewässer, die Einstellung der Verklappung und Verbrennung von Abfällen auf See und die Verhinderung von Ölverschmutzungen. ({18}) - Das wird auf der Konferenz festgelegt werden. Ich habe nicht die Absicht, anderen Staaten Daten und Termine vorzuschreiben. Vielleicht würden Sie das tun, Herr Duve, ich nicht. ({19}) Die Entsalzung der Werra auf DDR-Gebiet steht weiter auf der Tagesordnung. Wir erwarten in Kürze den Abschluß der Gespräche mit den WeserAnliegerländern in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung ist bereit, für Sanierungsmaßnahmen 50% der auf die Bundesrepublik zukommenden Kosten zu übernehmen, kann jedoch ihre Verhandlungen mit der DDR erst dann beginnen, wenn die vier beteiligten Bundesländer ihren 50-%-Anteil untereinander ausgehandelt haben. Ich hoffe, daß das jetzt endlich geschieht. Wir haben ein ganzes Jahr mit dieser Länderabstimmung verbracht. In der Abfallwirtschaft ist es nach wie vor ein brennendes Problem, die grenzüberschreitende Beseitigung gefährlicher Abfälle in den Griff zu bekommen. Die dritte Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz befindet sich bereits in der parlamentarischen Beratung. Ich erwarte, daß auf der nächsten Tagung des Umweltministerrats am 28. Juni in Luxemburg auch die EG-Richtlinie verabschiedet wird. Damit wären die entscheidenden Maßnahmen ergriffen, um dem Sonderabfalltourismus für die Zukunft einen Riegel vorzuschieben. Im März 1984 habe ich eine weitere Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vorgelegt. Damit sollen die Vermeidung und die Verwertung von Abfällen gefördert werden. Diese Aufgaben sollen auch rechtlich den Vorrang vor der Beseitigung eingeräumt bekommen. Weitere Ziele der Novelle sind die Verringerung des Verpackungsabfalls und eine neue Abgrenzung zum Altölgesetz. Auch ist vorgesehen, daß alte Beseitigungsanlagen, die eine Gefahr für die Umwelt bedeuten, in die Überwachung nach dem Abfallrecht einbezogen werden. Damit tragen wir den jüngst in verschiedenen Bundesländern aufgetretenen Problemen der Altablagerungen Rechnung. Der Entwurf entspricht unseren allgemeinen politischen Zielsetzungen, in der Abfallwirtschaft der Vermeidung und der Verwertung den Vorrang vor der bloßen Beseitigung einzuräumen. Und er entspricht voll und ganz dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Februar 1984. ({20}) Meine Damen und Herren, die öffentliche Diskussion über diesen Entwurf ist in vollem Gang. Die Widerstände sind zahlreich. Ich lese mit Erstaunen, daß die von uns formulierten Anforderungen von der Wirtschaft angeblich längst freiwillig und eigenverantwortlich erfüllt werden. Wenn dem wirklich so wäre, wie konnte es dann zu den Problemen im Zusammenhang mit der PCB-Entsorgung, mit schwermetallhaltigen Stoffen oder mit den Skandalen der jüngsten Zeit bei der Altölentsorgung überhaupt kommen? Nein, etwas mehr Redlichkeit in der. Argumentation wäre wünschenswert. Das gilt auch für den Bürokratievorwurf, den ich in diesem Zusammenhang immer wieder höre. Der Abbau von zuviel Bürokratie, Vermeidung von überflüssigen Vorschriften und Verfahren, ist gerade mir und dem Bundesinnenministerium ein besonderes Anliegen. Aber die berechtigte Forderung nach Entbürokratisierung darf nicht dazu mißbraucht werden, einen unbestritten vorhandenen Regelungsbedarf in der Abfallwirtschaft in Frage zu stellen. ({21}) - Danke für das Kompliment. ({22}) - Ich höre fast alles, Komplimente und das Gegenteil. Ein Wort zur Verpackungsproblematik. Der Marktanteil von Mehrwegverpackungen ist entgegen den Zusagen, die die Wirtschaft gemacht hat, nicht stabilisiert worden, sondern im letzten Jahr um 1% gesunken. Dabei besteht wohl kein Zweifel: Das Mehrwegsystem ist zeitgemäß und funktionsfähig. Das gilt auch für den Discountbereich. Davon habe ich mich erst kürzlich beim Besuch einer großen Discountkette selbst überzeugen können. Die Konsequenz der nicht befriedigenden Entwicklung im Verpackungsbereich muß eine Erweiterung des § 14 des Abfallbeseitigungsgesetzes sein, die der Bundesregierung die Mengenbegrenzung von Verpackungsabfall ermöglicht. Diese politische Konsequenz war für alle Beteiligten absehbar. Niemand darf sich wundern, wenn sie jetzt kommt. Ich bin entschlossen, ein weiteres Absinken des Anteils der Mehrwegverpackungen zu verhindern. ({23}) Meine heutigen Ausführungen können die Arbeit der Bundesregierung nur in Ausschnitten darstellen. An vielen anderen Vorhaben geht die Arbeit planmäßig voran. Das gilt für den Bodenschutz, wo wir die Konzeption noch im Sommer dieses Jahres vorlegen werden. ({24}) Zum Lärmschutz verweise ich vor allem auf die bevorstehende Novellierung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Ohne internationale Zusammenarbeit, ganz besonders ohne unsere Nachbarn in Europa ist Umweltschutz wirksam nicht zu betreiben. Ich will hier, eine Woche vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Europäische Umweltpolitik ist ein Gebot ökologischer und ökonomischer Vernunft. ({25}) Was wir im Umweltschutz gemeinsam fertigbringen, ist zugleich ein wichtiger Baustein für ein gemeinsames Europa. Wir wollen durch unsere nationale Umweltpolitik und durch unsere Arbeit in Brüssel dazu beitragen, daß wir zu einer europäischen Gesamtkonzeption für den Umweltschutz kommen. Umweltschutz braucht die Zusammenarbeit in Europa. Umweltschutz braucht aber auch die Zusammenarbeit bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Das gilt insbesondere für die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesländern, zwischen Bundesregierung und Parlament. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für die Umwelt und für die Menschen in diesem Land. Deswegen bin ich der Auffassung, daß wir unsere Kraft nicht mit ausufernden Anfragen und unrealistischen Anträgen verschwenden sollten. Wir brauchen Zeit und Kraft für produktive Arbeit. Unsere Ziele sind ja doch vielfach die gleichen. Wir alle wollen das umweltfreundliche Auto, und zwar nicht in 15 Jahren, sondern möglichst unverzüglich. Die Bundesregierung braucht dafür die Unterstützung aller Fraktionen des Bundestages für ihre Umweltpolitik. Sie braucht die Unterstützung aller Bundesländer. Sie braucht die Unterstützung der europäischen Länder. Deswegen appelliere ich an Sie: Nutzen Sie den Einfluß Ihrer Parteien in Europa auf die Ihnen befreundeten Parteien für einen wirksamen Umweltschutz. ({26}) Die Bundesregierung braucht ebenfalls die Mitarbeit der Wirtschaft. Und die Wirtschaft weiß längst, daß Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sind und daß ohne Umweltschutz ein dicht besiedelter Industriestaat im Herzen Europas nicht mehr lebensfähig ist. Ich appelliere an die Wirtschaft. Diese Einsicht sollte sie auch im Tagesgeschäft nicht vergessen. Investitionen im Umweltschutz sind Investitionen für die Zukunft. Was die Wirtschaft heute freiwillig leistet, ist in jedem Fall billiger, als wenn sie morgen unter dem Druck des Staates umstellen muß. ({27}) Wir brauchen nicht zuletzt die Mitarbeit der Bevölkerung. Wie hoch das Umweltbewußtsein in Deutschland ist, haben jüngste Meinungsumfragen eindrucksvoll bewiesen. Mehr als 70% der Bevölkerung halten den Umweltschutz vor vielen anderen wichtigen Aufgaben für vorrangig. Deswegen mein Appell an jeden einzelnen Bürger: Jeder muß sein Engagement für unsere Umwelt durch umweltfreundliches Handeln im eigenen Lebensbereich beweisen. Die Entscheidungen der Menschen, ihr Verhalten im Straßenverkehr und beim Autokauf, bei Garten- und Hausarbeit, in der Freizeit und beim Hobby, alles ist wichtig für unsere Umwelt. Wir alle gestalten unsere Umwelt und unsere Zukunft mit. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam so handeln, daß wir unserer Verantwortung für das Leben der Menschen in diesem Land und der Zukunft dieses Landes gerecht werden. ({28})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die Umweltdebatte in drei Blöcke strukturiert sein soll: Luft, Wasser und Grundgesetz. Ich bitte also, die Vereinbarung im Ältestenrat nach Möglichkeit - ich weiß, daß es Überschneidungen gibt - einzuhalten. ({0}) Darüber hinaus besteht eine Vereinbarung, daß die Debattenbeiträge nicht länger als zehn Minuten dauern sollen. Sie sind aufgeteilt in je zwei Beiträge zu 10 Minuten, also zusammen 20 Minuten, für die CDU/CSU und 20 Minuten für die SPD und je 10 Minuten für die FDP und die GRÜNEN. Wenn wir diesen Plan einhalten und die Themen einigermaßen geordnet abhandeln, kommen wir, glaube ich, mit der vorgesehenen Zeit zurecht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte klarstellen: Ich spreche zum Staatsziel Umweltschutz und bin hierfür von meiner Fraktion benannt und beauftragt worden; ({0}) dies gehört unseres Erachtens ({1}) an den Anfang dieser Debatte und nicht an das Ende des heutigen Tages. ({2}) Es ist schon ein bemerkenswertes Schauspiel, das uns in diesen Tagen und Wochen von Vertretern der Regierungsparteien zum Thema Staatsziel -Umweltschutz geliefert wird. Seit einem Dreivierteljahr liegt der Bericht der von den Bundesministern des Innern und der Justiz im Herbst 1981 berufenen Sachverständigenkommission vor. Die Kommission hat nach eingehenden und gründlichen Beratungen dem Gesetzgeber u. a. empfohlen, den Schutz der Umwelt als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Von der Bundesregierung haben wir bis heute außer kontroversen Einzelstandpunkten weder einen Gesetzentwurf gesehen, noch eine eindeutige Meinungsäußerung vernommen. Und soeben hat der Herr Bundesminister des Innern, obwohl wir heute die Erste Lesung von zwei Gesetzentwürfen dieser Art haben, es für richtig gehalten, hierzu nicht einen Satz zu sagen. Meine Damen und Herren, dies grenzt an einen Skandal. ({3}) Vom Bundesjustizminister war Ende April zu hören, daß er sich für eine Aufnahme des Staatsziels Umweltschutz ins Grundgesetz ausspreche. Heute ist der Bundesjustizminister nicht einmal anwesend. Mit Nachdruck hat dafür auch der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Herr Barschel, votiert. Die Innenpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnten laut ddp-Meldung von Ende April den Vorschlag der Sachverständigenkommission ab, um dann im Rahmen einer eilig einberufenen Sachverständigenanhörung Ende Mai vorwiegend ablehnend eingestimmte Staats- und Verfassungsrechtler zu Wort kommen zu lassen. ({4}) Nach einem Bericht der FAZ über dieses Hearing vom 29. Mai 1984 sprach einer der Sachverständigen in diesem Zusammenhang sogar von Verfassungsgeschwätz und äußerte merkwürdigerweise im selben Atemzug die Befürchtung, die persönlichen Freiheitsrechte drohten hierdurch unzumutbar eingeschränkt zu werden. Nachdem sich die CSU unter dem Druck der bayrischen Sozialdemokraten dazu entschlossen hat, weitgehende Umweltschutzbestimmungen in die bayrische Landesverfassung aufzunehmen, wird zur Zeit mit großem werblichen Aufwand auf Großflächenplakaten der CSU in ganz Bayern um die Zustimmung der Wähler für die Ergänzung der Landesverfassung in dem am 17. Juni anstehenden Volksentscheid geworben. Zur gleichen Zeit hört man von dem sonst so wortstarken, wenn auch in Umweltfragen tatenschwachen prominenten CSU-Mitglied und Bundesinnenminister Zimmermann kein Sterbenswörtchen darüber, ob er nun für die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz ist oder nicht. ({5}) Der entgegen seiner sonstigen Gewohnheit in dieser Frage so schweigsame Bundesinnenminister möge dem Parlament und den Bürgern doch endlich einmal verdeutlichen, weshalb der Umweltschutz in Bayern aus seiner Sicht Verfassungsrang genießen soll, während auf Bundesebene von ihm bislang kein entsprechendes Regelungsbedürfnis gesehen wird. Der sattsam bekannte Hinweis, Landesverfassungen hätten einen anderen Funktionswert als das Grundgesetz, meine Damen und Herren, zieht hier nicht. Ein wirksamer Umweltschutz ist mit Sicherheit kein spezifisches Anliegen einzelner Bundesländer und somit auch kein spezifisch bayrisches Anliegen. Auch wir wissen, daß man bei Verfassungsergänzungen, insbesondere wenn es um die Aufnahme eines neuen Staatszieles nach 35 Jahren Grundgesetz geht, sehr behutsam vorgehen sollte. Wir wissen aber auch - und hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit der Bürger unseres Landes -, daß die Erhaltung und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von existentieller Bedeutung für unser Land sind. Wirksamer Umweltschutz ist auch nicht nur eine zeitlich befristete Aufgabe; ihm kommt elementare und langfristige Gemeinwohlbedeutung zu. Diese und die kommenden Generationen sind schon für ihre biologisch-physische Existenz auf eine weitgehend intakte Umwelt, auf genießbares Wasser, nutzbaren Boden, saubere Luft, eine intakte Pflanzen- und Tierwelt, auf einen funktionierenden Naturhaushalt und ein stabiles Klima ebenso angewiesen wie auf die nachhaltige Nutzbarkeit erneuerbarer und den sparsamen Gebrauch nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen. Unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind bedroht. Luftverschmutzung, Schadstoffe im Wasser und in den Nahrungsmitteln, Schädigungen des Bodens, Waldsterben und das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten zeigen uns dies täglich aufs neue. Zielgerichtetes staatliches Handeln in der Gegenwart und in der Zukunft ist eine entscheidende Voraussetzung wirksamen Umweltschutzes. Das Grundgesetz kann bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht zum Schweigen verurteilt sein, nachdem deutlich geworden ist, daß unsere Verfassung hinsichtlich der Erhaltung der Umwelt erhebliche Schutzlücken aufweist, die über eine Interpretation des Grundgesetzes nicht geschlossen werden können. Die wachsenden Belastungen der Umwelt, durch die moderne zivilisatorische Entwicklung unseres Industriestaates bedingt, haben zu neuen, grundlegenden Problemen geführt, denen sich der Staat stellen muß. Deshalb beantragen wir mit unserem Gesetzentwurf, die natürlichen Lebensgrundlagen mit Verfassungsrang unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen. ({6}) Mit der von uns vorgeschlagenen Staatszielbestimmung wird dem Gesetzgeber eine normative Richtlinie nicht nur dahin gehend erteilt, zum Schutz der Unweit überhaupt tätig zu werden, sondern der Gesetzgeber wird hierdurch auch verpflichtet, dem Umweltschutz bei der Ausgestaltung der Gesetze angemessene Berücksichtigung zukommen zu lassen. Daneben stellen diese Bestimmungen einen grundgesetzlichen Handlungsauftrag sowie eine Abwägungs- und Auslegungshilfe für die Verwaltung auf staatlicher und kommunaler Ebene dar. Nicht zuletzt ist diese Staatszielbestimmung auch von erheblichem Gewicht bei der richterlichen Rechtsanwendung - eine normative Vorgabe und Richtschnur für die Auslegung und Fortbildung des Rechts. Die Aufnahme des Umweltschutzes als Grundrecht in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes lehnen wir deshalb ab, weil Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen dadurch weitgehend den Gerichten überantwortet werden würden und die politisch verantwortlichen Gesetzgebungsorgane somit die Möglichkeit hätten, sich ihrer primären Verantwortung zu entziehen. Wir appellieren insbesondere an die noch zögernden Mitglieder des Hauses, mit uns zusammen durch die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in das Grundgesetz den Menschen in unserem Lande ein nachhaltiges Zeichen dafür zu geben, daß dieser Bundestag entschlossen ist, die Menschen vor den immer bedrohlicher werdenden Umweltgefahren zu schützen und unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Insbesondere an Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, wird es liegen, jetzt endlich Flagge zu zeigen und Ihrem über Jahre hinweg geforderten und unterstützten Anliegen endlich zum Erfolg zu verhelfen. Bitte, bedenken Sie hierbei auch, daß die meisten Menschen in unserem Lande Umweltgefahren und Umweltbeeinträchtigungen ihr Leben lang hilflos ausgesetzt sind. Nur wenige können sich auf Grund ihrer größeren finanziellen Möglichkeiten diesen Gefahren wenigstens teilweise entziehen. Je geschlossener dieses Parlament die für uns dringend gebotene Ergänzung unserer Verfassung mit dem Ziel der Sicherung und Erhaltung unserer Lebensgrundlagen vornimmt, desto größer und nachhaltiger wird der Impuls sein, der auf gesetzgebende Organe und alle Verantwortlichen ausstrahlt. Lassen Sie uns nach gründlichen Vorarbeiten dieses wichtige Anliegen zügig und entschlossen beraten und alsbald zu einem positiven Abschluß bringen. Ich danke Ihnen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich die SPD-Fraktion an die Absprache über den Ablauf der Debatte nicht hält, möchte ich mich hier auch auf den Punkt konzentrieren, den Herr Bachmaier angesprochen hat, nämlich die Änderung der Verfassung, wie SPD und GRÜNE sie vorgeschlagen haben. Ich möchte aus der Vielzahl der Argumente, die in den letzten Jahren in der Sachverständigendiskussion, in der Öffentlichkeit vorgebracht worden sind, zwei herausgreifen, die nach unserer Überzeugung besonderes Gewicht haben und gegen Ihre Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes sprechen. Das erste ist ein verfassungspolitisches Argument. Die Verfassung ist kein Gesetz wie jedes andere, das man mehr oder weniger beliebig nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ändern kann. Die Verfassung ist die auf Dauer angelegte Gesamtheit der Regeln über die Leitung des Staates, über die Bildung der obersten Staatsorgane, über die grundlegenden Staatseinrichtungen und über die Stellung der Bürger im Staat. Deshalb steht jede Verfassungsänderung in erhöhtem Maß unter dem Gebot des Nachweises der Notwendigkeit einer Rechtsänderung. Wer eine Verfassung ändert, obgleich das nicht zwingend notwendig ist, der mindert den Geltungsanspruch der Verfassung als ein auf Dauer angelegtes Grundgesetz des Staates. Wir sind davon überzeugt, daß es keine Notwendigkeit für eine Änderung der Verfassung in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise gibt. Das Grundgesetz - und das ist der erste Grund - hindert niemanden daran, im Interesse des Umweltschutzes das zu tun, was wir zur Erhaltung einer gesunden Umwelt für erforderlich halten. ({0}) - Einen Augenblick. Wenn man sich die Programme, wenn man sich die Anträge, wenn man sich die Initiativen aller hier vertretenen Fraktionen ansieht, dann stellt man fest, daß der weit überwiegende Teil der Vorschläge auf dem Boden des geltenden Rechts, auf dem Boden der geltenden Vorschriften des Grundgesetzes verwirklicht werden kann. ({1}) Eine Änderung des Grundgesetzes ist nicht erforderlich. Nun gibt es einige Forderungen, vor allen Dingen der GRÜNEN, die mit dem geltenden Verfassungsrecht nicht vereinbar sind. Aber diese Forderungen sind auch dann nicht durchzusetzen, wenn das Grundgesetz so geändert wird, wie Sie das wollen. ({2}) Sie stoßen sich z. B. immer noch an der Eigentumsgarantie des Art. 14, die auch durch Ihre Verfassungsänderung nicht außer Kraft gesetzt wird. Das zweite. Wir brauchen auch keine Staatszielbestimmung, um den Umweltschutz überhaupt zu einem anerkannten Staatsziel zu machen. Der Umweltschutz ist von allen politischen Parteien und Fraktionen selbstverständlich als hochrangiges politisches Staatsziel anerkannt. Das sind auch nicht nur fromme Worte, sondern dieses Ziel ist in einer Vielzahl von Gesetzen und Bestimmungen als geltendes Recht konkretisiert worden. Gerade diese Bundesregierung hat durch ihre Politik bewiesen, daß sie den Umweltschutz als Staatsziel außerordentlich ernst nimmt. ({3}) Ich erinnere hier nur an einige wenige Maßnahmen, die in etwas mehr als einem Jahr von dieser Bundesregierung verwirklicht worden sind: im Februar 1983 die Novelle zur TA Luft mit einer deutlichen Reduzierung der Immissionswerte, mit der erstmaligen Festsetzung von Immissionswerten für eine Reihe von Schadstoffen und mit einer drastischen Verminderung der Emission krebserregender Stoffe; wenige Monate später, im Juni 1983, die Großfeuerungsanlagenverordnung, die bis 1988 den Jahresausstoß an Schwefeldioxid um 1 Million t und bis 1993 um 1,6 Millionen t reduziert und damit gegenüber 1980 halbiert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten de With?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit und mit Rücksicht auf die Kollegen tue ich das jetzt nicht. ({0}) Weiter nenne ich den Beschluß des Bundeskabinetts von Oktober 1983, ab 1. Januar 1986 nur noch abgasarme Autos mit Katalysatortechnik zuzulassen; wiederum nur wenige Monate später, nämlich im April 1984, ({1}) der auf Grund der Großfeuerungsanlagenverordnung gefaßte Beschluß der Umweltminister, sowohl für neue Anlagen als auch für Altanlagen mit unbegrenzter Laufzeit die Emissionswerte für Stickoxide weiter drastisch abzusenken. Meine Damen und Herren, allein diese vier Maßnahmen bringen für den Umweltschutz, für die Verbesserung der Umwelt in der Bundesrepublik, tausendmal mehr als noch so wohlklingende neue Formeln im Grundgesetz, wie Sie sie verlangen. ({2}) - Nun, warten Sie doch einmal ab! Es geht ja noch weiter! Meine Damen und Herren, eine Grundgesetzänderung ist aber nicht nur nicht notwendig, sie ist nicht nur überflüssig, sondern würde auch zu äußerst fragwürdigen Ergebnissen führen. ({3}) Lassen Sie mich dafür einige Gründe nennen. Der Umweltschutz ist - jedenfalls für uns - nicht das einzige Staatsziel und nicht das einzige Ziel der Politik. ({4}) Daneben stehen politische Ziele wie z. B. die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, die Sicherung des Wirtschaftswachstums, die Sicherung und der Ausbau eines funktionsfähigen Verkehrssystems, der Wohnungsbau und anderes mehr. Diese Staatsziele können - das weiß jeder, der sich damit beschäftigt hat - mit dem Staatsziel Umweltschutz in Konflikt geraten. ({5}) Dann ist es Aufgabe der Politik, diese Ziele zu gewichten, sie gegeneinander abzuwägen und schließlich den Zielkonflikt zu entscheiden. Das ist Aufgabe der Bundespolitik, das ist Aufgabe der Landespolitik, und das ist nicht zuletzt Aufgabe der Kommunalpolitik, z. B. bei jeder Aufstellung eines Bebauungsplans oder eines Flächennutzungsplans, für die das Bundesbaugesetz die Abwägung zwischen verschiedenen Staatszielen ausdrücklich vorschreibt. Wenn Sie nun eines dieser Ziele, nämlich den Umweltschutz, im Grundgesetz festschreiben, wenn sie ihm Verfassungsrang verleihen, erhöhen Sie dessen Gewicht gegenüber den anderen Staatszielen so stark, daß die Gefahr besteht, daß es bei der Abwägung im Konfliktfall alle anderen Ziele totschlägt. ({6}) Auch als Kommunalpolitiker, der das seit 15 Jahren in einer Großstadt betreibt, frage ich mich: Wie soll eine Gemeinde, wie soll eine Stadt in Zukunft noch ein Gewerbegebiet auf der grünen Wiese errichten können? Wie soll in Zukunft noch eine neue Straße oder eine Bahntrasse gebaut werden können? Wie wollen Sie noch einen Hafen in der Flußaue errichten? Wie wollen Sie noch einen lärmverursachenden Kinderspielplatz in einem Wohngebiet bauen, meine Damen und Herren? ({7}) Wir haben doch heute schon die Forderung, Kinderspielplätze nur noch mit Lärmschutzwällen zu errichten! ({8}) Wie wollen Sie das alles noch erreichen, wenn der Umweltschutz als Staatsziel mit Verfassungsrang ein erheblich stärkeres Gewicht erhält als alle anderen Staatsziele? ({9}) - Es tut Ihnen offenbar weh, wenn hier Sachargumente gebracht werden. Aber damit müssen Sie sich nun einmal abfinden, daß wir uns nicht nur auf Polemik beschränken. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Vor allem: Welcher Plan dieser Art wird vor dem Verwaltungsgericht in Zukunft noch Bestand haben? Damit komme ich zum letzten Punkt, den ich nennen will. Jede neue Bestimmung, die wir in die Verfassung schreiben, ist für die Gerichte ein neuer Prüfungsmaßstab. Jeder neue Prüfungsmaßstab bedeutet für die Gerichte eine neue Prüfungszuständigkeit. Und jede neue Prüfungszuständigkeit der unabhängigen und keinem Wähler verantwortlichen Gerichte führt zu einem Verlust autonomer politischer Entscheidungszuständigkeit der demokratisch gewählten und den Bürgern verantwortlichen Parlamente. ({10}) Dieses Argument sollten sich diejenigen einmal überlegen, die doch sonst soviel von Basisdemokratie und Mitentscheidung der Bürger reden. Wenn das Grundgesetz in Ihrem Sinne geändert wird, dann nehmen Sie den Parlamenten und damit den Wählern Zuständigkeiten und übertragen politische Zuständigkeiten auf nicht verantwortliche Gerichte. ({11}) Ich meine, Sie sollten sich Ihre Anträge auch unter diesen Gesichtspunkten noch einmal überlegen. Ich kann Ihnen jedenfalls versichern: ({12}) Die CDU/CSU wird alles Vertretbare tun, um eine Verbesserung der Umwelt zu erreichen. Das heißt, sie wird ihre erfolgreiche Umweltpolitik konsequent fortsetzen, die sie seit der Regierungsübernahme betrieben hat. Eine Änderung des Grundgesetzes ist dafür nicht erforderlich und wird deshalb auch von uns - gleich, in welcher Form - nicht getragen. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blens, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Offenheit, mit der Sie gesprochen haben. Sie machen damit endlich einer Farce ein Ende, die die Diskussion der ganzen letzten Zeit bestimmt hat. Wenn ich einmal kurz zurückblicken darf: Es ist schon erstaunlich gewesen, wie sich die Debatte über die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz entwickelt hat. Im Februar dieses Jahres hatte unsere Fraktion als erste einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, der überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde; von keinem von Ihnen. Dann aber folgte in schöner Regelmäßigkeit Monat für Monat - auch in der Presse - eine Ankündigung von Ihrer Seite, Sie würden den Umweltschutz jetzt im Grundgesetz verankern. ({0}) - Das hörte man aus Bayern, das hörte man aus Baden-Württemberg, das hörte man aus SchleswigHolstein. Darüber hat es Gespräche zwischen Herrn Strauß und Herrn Kohl gegeben. Vor allen Dingen hat Minister Engelhard, der sich ja in diesen Monaten wahrlich nicht durch liberale Gesetzgebung hervorgetan hat, immer wieder angekündigt, daß eine Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz erfolgen würde. ({1}) So ist es ja auch auf dem FDP-Parteitag wiederum beschlossen worden. DIE GRÜNEN kamen sich dabei allmählich wie der Hase und der Igel vor. Wir hatten einen Gesetzentwurf vorgelegt, und Sie sagten immer: Wir sind schon da, das machen wir; natürlich nicht so radikal wie DIE GRÜNEN, aber doch ruhig, überlegt und mit Konsequenzen. Plötzlich, Anfang letzter Woche, springen Sie von der Regierungskoalition rückwärts über den Zaun. Und Herr Zimmermann ist inzwischen so weit verstummt, daß er zu dem Thema überhaupt nichts mehr sagen kann. ({2}) Auf Ihrem Hearing zu dem Thema sagte Ihr Rechtsexperte Leisner, man solle das Grundgesetz doch nicht mit „Verfassungsgeschwätz" - Verfassungsgeschwätz! - belasten. Oder Herr Benda sagte, man solle die Verfassung doch nicht mit „bloßen Programmsätzen ohne normativen Gehalt" belasten. Herr Badura wußte zu erwähnen, Umweltschutz müsse beständig mit den Zielen der Wirtschaftspolitik in Einklang gebracht werden. Wir haben ja eben auch gehört, daß da eigentlich der Hase begraben liegt. Herr Leisner meinte, es gebe innerhalb des Grundgesetzes überhaupt gar keine Schutzlücken, also sei eine solche Verankerung auch gar nicht weiter notwendig. ({3}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich bin wirklich froh über diese Ehrlichkeit, weil den Monaten bloßen Geschwätzes von Ihrer Seite über die Ernsthaftigkeit Ihrer Bemühungen um den Umweltschutz jetzt endlich klare Worte folgen. ({4}) - Ich komme noch darauf, was wir wollen. Sie halten doch den Umweltschutz für Geschwätz, für unsinnig, für lästig, ({5}) für ein notwendiges rhetorisches Zugeständnis an einen Zeitgeist, den Sie möglichst schnell hinter sich lassen möchten. ({6}) Ihre Anhörung hat das präzise auf den Punkt gebracht: Umweltschutz ist für Sie ein Bereich, der außerhalb der Sphäre liegt, in der ernsthafte Männer ernsthaft Politik machen. ({7}) Wie merkwürdig nur, daß Ihre Angst und Ihre Sorge Sie trotzdem eingeholt haben, daß hinter dieser Umweltschutzbewegung doch mehr Ursachen stehen und sich in ihr doch mehr Macht befindet, als Sie zugeben mögen. Sie haben Angst - Ihr Experte Leisner hat es deutlich ausgedrückt -, die Umweltschutzrechte könnten Gefahren für die „persönliche Freiheit" und vor allen Dingen für das Recht auf „persönliches Eigentum" bedeuten. Eben haben wir es noch einmal gehört: Eine konsequente Umweltschutzgesetzgebung hätte wirtschaftliche Konsequenzen. Gerade weil Sie es so mit dem Eigentum haben, will ich Ihnen folgendes sagen. Ihre Sätze muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Derzeit haben wir ja eine Situation, in der das Eigentum in großem Umfang angegriffen wird. Beispielsweise wird das Eigentum der Bauern und Waldbesitzer durch den sauren Regen angegriffen. Eigentum und persönliche Freiheit werden durch die unglaublichen Schädigungen angegriffen, die ein Konzern wie Boehringer in Hamburg verursacht, wo Mißbildungen von Kindern - ich hoffe, Sie haben diese Bilder einmal gesehen - verursacht werden, die grauenhaft sind. Um dieses schutzbedürftige ungeborene Leben sollten Sie sich wirklich einmal kümmern. ({8}) Meine Damen und Herren, für Ihre Empörung über mögliche Eingriffe in das Eigentum anderer könnte ich Ihnen sehr viele sehr noble Adressen nennen, von denen eine solche Schädigung des Eigentums vieler Menschen ausgeht. Aber ich brauche Ihnen diese Adressen j a nicht zu nennen; die sind Ihnen bestens bekannt. Wir wissen das aus der Spendenaffäre. ({9}) In der Tat: Wir wollen - unser Antrag beweist das - eine Verankerung des Umweltschutzes in der Verfassung, die rechtliche Konsequenzen hat. Genau dieses ist unsere Absicht. Sie haben gefragt, woher wir die Begründung nehmen. Lesen Sie unseren Antrag; ich will es aber hier auch noch einmal wiederholen. Wir meinen, daß wir derzeit eine andere Situation haben als zu dem Zeitpunkt, als das Grundgesetz in seiner jetzigen Form geschrieben wurde. Wir meinen: Als man damals in Art. 2 des Grundgesetzes formulierte, daß die Person und die persönliche Unversehrtheit zu schützen sind, ging man von Schädigungen aus, die mit äußeren Einwirkungen zu tun hatten, mit brutaler Unterdrükkung. Das war aus geschichtlichen Erfahrungen gespeist, die man hinter sich hatte, nämlich Erfahrungen mit dem Faschismus, mit brutaler Gewalt und auch mit politischer Tyrannei. Wir meinen, daß heute Verletzungen von Persönlichkeit und persönlicher Integrität stattfinden, die ungeheure Ausmaße haben, die nicht einfach äußerlich sichtbar sind, die deshalb auch durch diese Formulierung des Art. 2 nicht erfaßt werden. Wir meinen aber, daß diese Schädigungen von Persönlichkeit und persönlicher Unversehrtheit so weitreichend sind, daß sie die gesamte Zukunft der Menschen betreffen. Deshalb muß es ein ganz vorrangiges und mit rechtlichen Konsequenzen versehenes Grundrecht der Menschen sein, eine gesunde Umwelt für sich und ihre Kinder zu haben. ({10}) Nun zum Vorschlag, der von der SPD vorliegt und von dem die FDP immer gesagt hat, sie unterstütze ihn. ({11}) Ich will zunächst einmal zur FDP kommen. Sie haben in Ihrer Rede angekündigt - es liegt noch nicht vor -, Sie wollten die Staatszielbestimmung ändern. ({12}) Ich möchte Sie daran erinnern, daß Sie schon in Ihren Freiburger Thesen von 1971 von etwas anderem gesprochen haben, nämlich von einem Grundrecht. Ich wundere mich, daß einer liberalen Partei eine Staatszielbestimmung reichen kann, da Sie doch in Ihren Wurzeln, in den Wurzeln eines wirklich revolutionären Liberalismus, ganz andere - radikalere - Forderungen hatten. Damals nahmen Sie nämlich eine staatskritischere Position ein. Sie haben gesagt, man müsse den einzelnen Bürger mit Rechten ausstatten, damit er sich gegen Staatswillkür auch wehren kann, er könne sich niemals darauf verlassen, daß der Staat diese seine Rechte durchsetzt. ({13}) Es ist nur eine Staatszielbestimmung, das ist eine Art von Staatsvertrauen, die mich bei den Liberalen ausgesprochen, wundert. Wir meinen, daß dieser Staat die Umwelt eben nicht schützt. Das ist durch viele Beweise zu belegen. Er hat es in der Vergangenheit nicht getan, er hat durch seine eigene Praxis sogar sehr oft Umweltzerstörung initiiert oder zumindest abgesegnet. ({14}) Deshalb brauchen wir - ergänzend zu dieser Staatszielbestimmung - ein Grundrecht, das den einzelnen in die Lage versetzt, sich in radikaler Art und Weise wehren zu können. ({15}) Das Besondere an der Grundrechtsbestimmung ist ja, daß derjenige, der in dieses Menschenrecht eingreift, eine gesetzliche Grundlage braucht. Das heißt: Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir im Augenblick haben. Ich will noch auf den Vorschlag der SPD zu sprechen kommen. Ich habe zwar nicht mehr sehr viel Zeit, möchte aber sagen, daß mir Ihre Begründung zeigt, daß Sie in dieser Frage einfach zu unverbindlich vorgehen. Ich verstehe Ihre Schwierigkeiten, denn anders als die FDP sehen Sie natürlich auch Konsequenzen z. B. für einzelne der von Ihnen geleiteten Länderregierungen. Ich denke aber, daß auch Sie Vorstellungen davon haben müßten, daß man - wenn man die augenblickliche Situation richtig beurteilt - ein doppelt wirkendes Instrument braucht, um eine Konfliktlösung zwischen den Interessen der Ökonomie - die sehr stark sind; sie werden von dieser Regierung sehr nachhaltig vertreten - und den Interessen der Ökologie zu schaffen. Sie müßten aber auch wissen, daß man von dem Institut, das sich zum Sachwalter ökonomischer Interessen macht, nämlich dieser Regierung und damit dem Staat, nicht gleichzeitig erwarten kann, daß es diese Rechte ohne Kontrolle von der Basis und durch den einzelnen Bürger auch einlöst. Deswegen brauchen wir beides: das Grundrecht und gleichzeitig das Staatsziel, aber in der Definition, wie wir sie vorgenommen haben. Das Besondere - über Ihren Vorschlag hinausgehend - ist, daß wir sagen: Auch die Verantwortung für die Zukunft muß ein Staatsziel sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Dr. Vollmer, nun ist Ihre Redezeit aber abgelaufen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre ein Novum in der Rechtsetzung, aber eine Notwendigkeit, wenn man unsere Umweltsituation betrachtet. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme Frau Vollmer zu, wenn sie zum Ausdruck bringt, daß die „Zukunft" bisher kein Maßstab für unsere politischen Entscheidungen ist. Wir haben die Zukunft noch nicht konsequent zum Maßstab politischer Entscheidungen gemacht. Aber ich weise die Kritik an der Politik dieser Bundesregierung und früherer Bundesregierungen, die Sie hier geäußert haben, entschieden zurück. Sie haben zum Tag der Umwelt eine Pressemitteilung herausgegeben. Dort heißt es, die Bundesregierung sei der größte Feind einer qualifizierten Umweltpolitik. Diese Feststellung ist falsch. ({0}) Ebenso falsch ist die Feststellung, die staatliche Umweltpolitik der letzten 13 Jahre habe weitgehend versagt. Ich wehre mich gegen diese Selbstgerechtigkeit, die bei Ihnen zum Ausdruck kommt. Ich wehre mich auch dagegen, daß Sie nicht im geringsten den Versuch unternehmen, das zu würdigen, was in den Jahren seit 1969, 1970, 1971 hier von allen Fraktionen getan worden ist. ({1}) Es ist einfach nicht richtig, daß wir keine Erfolge erzielt haben. Wir haben in wichtigen Bereichen erhebliche Schadstoffreduzierungen vorgenommen, und zwar im Bereich des Wassers wie auch im Bereich der Luft. Das müssen Sie einfach anerkennen, und Sie dürfen nicht so tun, als sei der Umweltschutz erst entdeckt worden, als Sie hier in dieses Haus eingezogen sind. ({2}) Die Wirkung der Luftschadstoffe hat sich verstärkt. Aber die Luftschadstoffe selbst sind zurückgegangen. Lesen Sie den Immissionsschutzbericht, der hier vorliegt. ({3}) - Gucken Sie ihn sich genau an. Es sind erhebliche Investitionen getätigt worden. Es sind erhebliche Anstrengungen von der Wissenschaft unternommen worden. Wir sollten nicht so tun, als sei das, was wir heute kennen, vor zehn oder fünfzehn Jahren bekannt gewesen, meine Damen und Herren. Auch die Wissenschaft mußte doch erst einen Fortschritt machen. Wir haben überhaupt erst im letzten Jahr erfahren, daß die Stickoxide eine schädliche Wirkung auf den Wald haben. Und jahrelang haben Sie eine Kernenergiediskussion geführt - seien Sie mal selbstkritisch - und keine Walddiskussion. ({4}) Meine Damen und Herren, meine Partei und ich selber geben gerne zu, daß es Versäumnisse gegeben hat. Ich gebe gerne zu, daß es Widerstände gegeben hat, in meiner Partei, auch außerhalb meiner Partei. Ich gebe zu, daß wir gespenstische Debatten über den Umweltschutz als Arbeitsplatzkiller und Wachstumsverhinderer geführt haben. ({5}) Das ist eine Phase gewesen, die ich bedaure. Es gibt Versäumnisse, aber nicht so, daß Sie hier antreten und sagen könnten, es sei nichts geschehen, und die klassischen Parteien hätten vor diesem Ziel versagt. Sie haben, generell jedenfalls, nicht versagt, wenn es auch Versäumnisse im einzelnen gegeben hat. ({6}) Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Wir haben immer versucht, Umweltschutzpolitik in ein Gesamtprogramm für Wirtschaft und Gesellschaft einzuordnen. Für uns war und ist das ein marktwirtschaftliches Programm. Ich vermisse bei Ihnen eine tragfähige Grundlage für die Einordnung der Umweltschutzpolitik in ein Programm für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind offenbar viel zu heterogen, um das zu leisten. ({7}) Sie können Umweltpolitik doch nicht losgelöst von den anderen Politiken betreiben. ({8}) - Sie können doch gleich reden. Wenn Sie hier einen Antrag nach dem anderen vorlegen und das Haus mit Gesetzesvorschlägen und Entschließungen füllen, muß ich Ihnen dennoch, obwohl ich Ihnen gerne zugebe, daß manche Initiative davon interessant ist, im ganzen deutlich sagen, daß das Handlungshektik ist. ({9}) Sie setzen überhaupt keine Prioritäten mehr. Sie machen keine berechenbare Politik möglich. ({10}) Auch ich kann hier alles hereinbringen, was irgendwo in der Wissenschaft, in einem Universitätsinstitut zu einem Thema diskutiert wird. Sie schießen das hier hinein. Ich will Ihnen einmal sagen: Es ist sehr leicht, alles aufeinanderzuhäufen. Aber Sie sehen jetzt in Hessen selber, wo Sie sich unterstützend an einer Regierung beteiligen, daß es Grenzen gibt, die seriöserweise eingehalten werden müssen. ({11}) - Daß Sie sich ärgern, sehe ich. Ich mußte es Ihnen aber einmal sagen. Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in das Grundgesetz ist eine alte FDP-Forderung, und zwar aus dem Jahre 1971. ({12}) Sie haben das eben zitiert. Das ist richtig. - Wir waren der Meinung, daß wir im Grundgesetz dem veränderten Umweltbewußtsein und der Notwendigkeit des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen Rechnung tragen sollten. Wir haben diese Forderung mehrfach wiederholt. Ich erinnere mich, daß wir das in der Koalition mit der SPD in den Koalitionsverhandlungen des Jahres 1980 getan haben. Wir konnten uns damals aber noch nicht, Herr Kollege Schmude, auf ein Ergebnis einigen. Wir haben eine Kommission unter Leitung des Professors Denninger eingesetzt. Wir haben nun das Ergebnis der Arbeit dieser Kommission. Ich kann sagen, daß meine Fraktion den Schlußfolgerungen in bezug auf den Umweltschutz, in bezug auf die Aufnahme einer Staatszielbestimmung, um damit für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu sorgen, zustimmt. ({13}) - Jetzt muß ich Ihnen etwas sagen, was Sie an die Zeit gemeinsamer Regierung erinnern wird. Es war nie üblich und ist auch jetzt nicht üblich, daß Koalitionsfraktionen mit unterschiedlichen Anträgen in dieses Haus gehen. Das haben wir damals nicht gemacht, und das machen wir auch heute nicht. Das heißt, wir versuchen uns zu einigen. Und wenn eine Einigung nicht herstellbar ist, entspricht es dem guten Brauch zwischen Koalitionspartnern, nicht mit getrennten Anträgen hier hineinzugehen. ({14}) Das haben wir viele Jahre praktiziert, und das sollten Sie, Herr Duve, jetzt nicht vergessen. ({15}) Der Feststellung von Herrn Benda, es sei eine selbstverständliche Verpflichtung des Staates, sich um Umweltschutz zu bemühen, und es bedürfe im Hinblick auf das geltende Verfassungsrecht keiner ausdrücklichen Aussage im Grundgesetz, widerspreche ich. Ich möchte folgende Zitate der Denninger-Kommission dieser Feststellung entgegensetzen. Die Kommission sagt: ... sollte prüfen, ob unter den heutigen und für die nähere Zukunft voraussehbaren Gegebenheiten und Entwicklungen Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes empfehlenswert sind ... Die Kommission hat diese Änderungen der Verfassung für wünschenswert, nicht für zwingend geboten angesehen ... Staatszielbestimmungen sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter sachlich umschriebener Aufgaben vorschreiben ... Dennoch muß es als wünschenswert betrachtet werden, daß in der Verfassung eine ausdrückliche und impulsgebende Zielbestimmung für die gesellschaftlichen und politischen Grundfragen unserer Zeit aufgenommen wird ... Es ist ebenso angebracht, die generationenübergreifende Schutzaufgabe des Staates für die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen in grundsätzlicher Weise durch eine Verfassungsnorm anzuerkennen und einzuschärfen ... Die Staatszielbestimmung „Umweltschutz" zielt auf die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ab, die die Voraussetzung für alles gesellschaftliche Leben bilden. Die Plazierung der Staatszielbestimmung in Art. 20 Abs. 1 GG entspricht dem Dignitätsrahmen dieser Vorschrift. Sie hebt ein Aufgabenfeld hervor, in dem der Bundesrepublik Deutschland nach allen Anzeichen in den kommenden Jahrzehnten große Herausforderungen erwachsen, die denen der überkommenen Staatsziele des Art. 20 Abs. 1 GG nicht nachstehen. Das ist auch unsere Meinung. Die FDP schließt sich diesem Vorschlag also an. Wir möchten den Umweltschutz als Staatszielbestimmung verankern. In Art. 20 des Grundgesetzes sollte der Satz eingefügt werden: Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. In Art. 28 des Grundgesetzes muß eingefügt werden: Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen der Verantwortung des Staates für die natürliche Umwelt entsprechen. Professor Kloepfer hat in der CDU-Anhörung bezweifelt, ob eine Impulswirkung für die Belange des Umweltschutzes heute noch notwendig sei, da das Umweltbewußtsein bereits groß sei. Meine Damen und Herren, meine Fraktion und ich halten diese Impulswirkung, die ja darin besteht, daß der Umweltschutz eine relative Priorität erhält, bei den Entscheidungen von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung für notwendig. ({16}) Die Dringlichkeit und die Bedeutung der Aufgaben und das Bewußtsein der Menschen sollten sich im Grundgesetz wiederfinden. Dies trägt, so meinen wir, zum Rechtsfrieden bei. ({17}) Wir haben mit Interesse gesehen, daß die CDU/ CSU-Umweltminister auf ihrer Konferenz im März in Stuttgart die Bundesregierung gebeten haben, auf die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung hinzuwirken. Wir haben aber - ich sage es noch einmal - auf einen eigenen Antrag verzichtet, da es in einer Koalition nicht üblich ist, ohne Zustimmung des Koalitionspartners Anträge vorzulegen. Wir hoffen, daß unsere Gespräche mit der CDU/CSU-Fraktion - und wir führen sehr gute Gespräche in Sachen Umweltschutz - dazu führen, daß sie diesem Vorhaben eines Tages zustimmt. Meine Damen und Herren, eines möchte ich aber mit Deutlichkeit sagen. Derjenige, der Bedenken hat, verdient unseren Respekt, und er darf nicht abqualifziert und so hingestellt werden, als sei es ihm mit dem Umweltschutz weniger ernst als demjenigen, der diese Staatszielbestimmung vertritt. ({18}) Man kann hier nämlich in der Tat rechtlich unterschiedlicher Meinung sein. ({19}) Ich wehre mich dagegen, daß wir eine solche Frontstellung aufbauen. Frau Vollmer, wenn Sie das realisieren, was Sie vorgeschlagen haben, dann mißtrauen Sie damit praktisch dem Parlament. Sie verlagern die wichtigen Entscheidungen auf einzelne Gerichte und nehmen die Rechte vom Parlament weg. Deshalb können wir Ihrem Vorschlag nicht zustimmen. ({20}) Es geht uns, glaube ich, in diesem Hause nicht um das Ziel - hier sollten wir keine falschen Fronten aufbauen -, es geht um die Methode, und hier sind wir seit langem der Meinung, daß das Grundgesetz ergänzt werden sollte. Vielen Dank. ({21})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Luftreinhaltepolitik dieser Bundesregierung steckt in einer tiefen Sackgasse. ({0}) Darüber kann auch das, was Sie so forsch, so wortreich und so selbstzufrieden vorgetragen haben, Herr Minister, nicht hinwegtäuschen. ({1}) Was wohl eine umweltpolitische Leistungsbilanz hätte sein sollen, geriet eher zu einem Dokument der Hilflosigkeit. Das, was bis jetzt im Bereich der Luftreinhaltung geschehen ist, reicht eindeutig nicht aus, weder zum Schutz der Wälder noch zum Schutz der Gesundheit. Mittlerweile sind im Nordschwarzwald zwei von drei Bäumen krank. Was die Luftverschmutzung nicht schafft, vollendet der Borkenkäfer, der über die geschwächten Bestände herfällt und sie mit zunehmender Geschwindigkeit zugrunde richtet. Bäche und Seen erleiden im Gefolge der Schneeschmelze zur Zeit einen Säureschub, der dem Wasser stellenweise Essigqualität verleiht. Ein Weiteres kommt hinzu. Die Erkenntnis bricht sich mehr und mehr Bahn, daß das, was den Bäumen schadet, auch den Menschen schadet, insbesondere den Kindern. ({2}) In Ballungsgebieten - so haben die Mediziner festgestellt - liegt die Zahl der Atemwegserkrankungen doppelt so hoch wie in ländlichen Gebieten. Es häufen sich Augenentzündungen, Herz-KreislaufErkrankungen, Hautallergien, und die Krebsrate steigt in belasteten Gebieten im Vergleich zu weniger belasteten erschreckend an. Nicht von ungefähr tritt der berüchtigte Erstickungshusten, der Pseudokrupp, bei Kleinkindern immer dann besonders zahlreich auf, wenn die SO2-Konzentration in der Luft über 200 Mikrogramm pro Kubikmeter ansteigt. Noch heute liegt in der TA Luft der Kurzzeitwert aber bei 400 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Frage, ob die Werte der TA Luft auf Kinder zugeschnitten sind, muß also klar mit Nein beantwortet werden; sie schützen weder Bäume noch Kinder. Deshalb haben wir schon im Notprogramm der SPD-Fraktion vom April 1983 gefordert, daß die SO2-Grenzwerte der TA Luft abgesenkt werden müssen. ({3}) Diese Forderung besteht unverändert weiter. Bisher ist nichts geschehen; auch heute habe ich nichts davon gehört, Herr Minister. ({4}) Wir befinden uns in einer Notsituation, meine Damen und Herren. Die Mehrheit unserer Bevölkerung hat dies begriffen; aber der Dritte Immissionsschutzbericht der Bundesregierung läßt Zweifel daran aufkommen, ob die Bundesregierung den Bewußtseinsstand der Bevölkerung teilt. ({5}) Zwar sprechen Sie von einer „Herausforderung ersten Ranges", aber wie sieht denn die Praxis aus? Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird im besten Fall ab 1993 spürbare Wirkungen zeitigen. ({6}) - Nein, 1993. Das ist zu spät. Warum sind Sie nicht bereit, flankierende Maßnahmen zu ergreifen? Dazu gehört das von uns seit langem geforderte Schadstoffabgabengesetz, das den Umrüstungsprozeß bei Altanlagen beschleunigen würde. Es ist kaum jemandem begreiflich zu machen, daß die niedersächsische Landesregierung dem Kraftwerk Buschhaus eine Betriebsgenehmigung erteilt hat, obwohl dort stündlich 18 Tonnen Schwefeldioxid in die Luft gejagt werden. Eine Emissionsabgabe könnte in diesem Fall vermutlich Wunder wirken. ({7}) Das Kapital Autoabgase ist ein besonders fatales Beispiel dafür, welches Mißverhältnisse in der Umweltpolitik dieser Regierung zwischen Reden und Handeln besteht. Mit Kabinettsbeschluß vom 21. Juli 1983 wurde uns die „bleifreie Zukunft" verkündet. ({8}) Bald feiern wir das Jubiläumsjahr dieser Ankündigung, Herr Minister Zimmermann; aber inzwischen treten Sie hartnäckig, jedoch zielbewußt auf der Stelle. Der Termin 1. Januar 1986 rückt näher, an Beteuerungen, man werde ihn einhalten, fehlt es nicht. Ob Sie Ihre wohlmeinenden Absichten aber einmal oder zweimal pro Woche verkünden, macht keinen Unterschied; das rettet keinen einzigen Baum. ({9}) Wir fordern Sie deshalb auf: Legen Sie doch endlich die Entwürfe zur Änderung des Benzin-BleiGesetzes, zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes, zur Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung, die neuen Vorschriften über wirksamere und häufigere Abgaskontrollen auf den Tisch! Im übrigen fragen wir Sie nicht allein. Ihre eigenen Regierungsfraktionen haben Sie in dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/870 aufgefordert, „spätestens Anfang 1984 dem Deutschen Bundestag die Entwürfe notwendiger oder förderlicher Gesetzes- oder Verordnungsänderungen zuzuleiten, mit denen sichergestellt wird, daß ab 1. Januar 1986 ... die Schadstoffemissionen um 90 % reduziert werden". Heute schreiben wir den 8. Juni 1984! Wenn es möglich war, Herr Minister, das Amnestiegesetz in eineinhalb Wochen zusammenzubasteln, dann ist nicht einzusehen, warum man für die Vorlagen zur Abgasentgiftung eineinhalb Jahre brauchen soll. ({10}) Es zeigt sich eine weitere Konsequenz: Die Autokäufer stehen unschlüssig beiseite. Die Wirtschaft verhält sich abwartend. Die Ingenieure in den Konstruktionsbüros der Automobilindustrie haben sich, statt mit Hochdruck an den neuen Abgassystemen und Motorkonzepten zu arbeiten, längst wieder anderen Aufgaben zugewandt. Japan hat uns in der Tat vorexerziert, wie man mit klaren Zielvorgaben in relativ kurzer Zeit Erfolge erzielt. 1975 wurde bleifreies Benzin eingeführt und die Katalysatorausrüstung vorgeschrieben. Ende 1983 waren nur noch 10% aller Pkws auf bleihaltiges Benzin angewiesen. Aber erst müssen diese klaren Zielvorgaben her! Nun sagen Sie natürlich: Wir sind aber Mitglied der EG. Gewiß - und wir wollen es auch bleiben. Wir erwarten aber, daß die Bundesregierung den nötigen Krafteinsatz und auch das erforderliche Verhandlungsgeschick aufbringt, um den Abgashahn in der EG schneller zuzudrehen, als sich dies die EG-Kommission ausgedacht hat. ({11}) Abgasentgiftung ab 1995. Das ist nicht einmal eine Minimallösung, sondern eine Nichtlösung. Sie würden den sicheren Tod für unsere Wälder bedeuten. Sie würde aber auch bedeuten, daß es sich Europa leistet, gegenüber den USA und Japan 20 Jahre hinterherzuhinken. Meine Fraktion hat Sie, Herr Minister, ebenfalls schon vor einem Jahr aufgefordert, für den Fall, daß eine Gemeinschaftsinitiative scheitern sollte, unter Nutzung des Gesundheitsvorbehalts des EWG-Vertrages eine nationale Regelung vorzulegen. ({12}) Wir fordern Sie heute erneut auf: Wagen Sie den nationalen Alleingang! Machen Sie von Art. 36 Ge5472 brauch, der den Mitgliedstaaten nationale Regelungen ausdrücklich dann gestattet, wenn es - ich zitiere - „zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen ... gerechtfertigt" ist. Auch der Schutz des nationalen Kulturguts wird in diesem Artikel genannt. Es scheint, daß dieses wichtige Instrument bis jetzt unbeachtet geblieben ist. Machen Sie Gebrauch davon! Unsere Unterstützung wird Ihnen sicher sein. Eine komplexe Bedrohung, meine Damen und Herren, erfordert auch eine komplexe Antwort. Das Vertrauen auf die „Dynamik marktwirtschaftlicher Mechanismen" - siehe den Dritten Immissionsschutzbericht - führt sicher nicht zum Ziel, schon gar nicht die Vergabe von „Verschmutzungsrechten". Es wäre sinnvoller, in der Verkehrspolitik die Weichen neu zu stellen. Wir brauchen nicht 3000 km neue Autobahnen. Wir brauchen aber einen besseren Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Ebenso sinnvoll wäre es, eine konsequente Energieeinsparungspolitik zu betreiben. Jede Tonne Kohle oder 01, die durch bessere Wärmedämmung von Gebäuden eingespart wird, führt gleichzeitig zu einer Schadstoffentlastung unserer Luft und fördert damit die Überlebenschancen des Waldes. Es ist und bleibt ein Kardinalfehler, daß das Energieeinsparungsprogramm der alten Bundesregierung, das von 1978 bis 1982 erfolgreich gelaufen ist, von Ihrer Regierung nicht fortgesetzt wurde. Meine Damen und Herren, wir müssen auch bei uns selber anfangen, z. B. bei der Drosselung der Geschwindigkeit unserer eigenen Kraftfahrzeuge. Auch der Bundestag kann bei sich selber anfangen, z. B. dadurch, daß er die Verwaltung beauftragt, zu veranlassen, daß der Fahrdienst künftig nur noch katalysatorbetriebene Wagen anschafft und Tankstellen mit bleifreiem Benzin einrichtet. Parole: Die Bonner Luft muß sauberer werden! Es ist so oft von der Vorbildwirkung des Parlaments die Rede. Hier ergibt sich eine Chance dazu. Danke schön. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hartenstein, Ihre Ausführungen verleiten mich, Ihnen etwas zu sagen, was Sie vor wenigen Monaten bei der Diskussion des Zweiten Bundesimmissionsschutzberichts ausgeführt haben. Dort haben Sie beklagt, daß gewisse Werte nicht erreicht würden. Sie hätten von den heutigen Werten damals nur geträumt. Ich sage das deshalb, weil ich meine, daß wir uns mehr um Gemeinsamkeiten bemühen sollten, statt hier destruktiv zu argumentieren. Dazu gehört auch, daß Sie auf Japan hingewiesen haben. Wir waren gemeinsam in Japan. Sie wissen sehr genau, daß Japan für die Einführung des bleifreien Benzins und der Katalysatoren nahezu zehn Jahre gebraucht hat. Und hier fordern Sie, daß wir die Dinge gestern tun, damit sie morgen für uns alle erreichbar sind. Das ist unlauter. So können wir keine Umweltpolitik betreiben. Das ist verbaler Staub, den Sie bei Bedarf unter jeden Teppich kehren können. ({0}) Meine Damen und Herren, Umweltschutz bleibt für die CDU/CSU-Fraktion ein zentrales Thema unserer Politik. Wir setzen uns nachdrücklich für eine konsequente Fortsetzung der begonnenen Maßnahmen zum Schutz unserer Umwelt ein. Unsere Politik hat sich bewährt. Die getroffenen Entscheidungen beginnen zu greifen. Der Entschließungsantrag von CDU und CSU geht davon aus, daß Schadstoffemissionen in der Luft mit besonderer Dringlichkeit abzubauen sind. Der Dritte Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, den wir sehr positiv bewerten, zeigt, daß es zu einer Stagnation der Schadstoffemissionen gekommen ist, allerdings auf einem sehr hohen Niveau. Dafür stehen 3,0 Millionen Tonnen Schwefeldioxid, 3,1 Millionen Tonnen Stickoxide und 1,6 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffe. Dies muß Ausgangspunkt unseres Handelns sein. Der Weg zu einer Reduzierung der Schadstoffbelastung in der Luft ist gekennzeichnet durch ein großes Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört unter anderem der Erlaß der Verordnung über Großfeuerungsanlagen vom 22. Juni 1983 und die Novellierung der Technischen Anleitung Luft, Teil II, vom 1. März 1983. Die ersten Erfolge zeichnen sich deutlich ab. Die Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung sind dabei, Rauchgasentschwefelungsanlagen zu planen, zu bauen, oder haben solche Anlagen bereits in Betrieb genommen. Damit wird auch die Menge an Schwefeldioxid drastisch gesenkt. Bis zum Jahre 1988, Frau Kollegin Hartenstein, kann damit der Jahresausstoß um etwa 1,0 Millionen Tonnen und bis zum Jahre 1993 um 1,6 Millionen Tonnen gesenkt werden. ({1}) Das entspricht der Hälfte der Schwefeldioxidemissionen des Jahres 1980. - Sie haben völlig recht. Wir sind jetzt dabei. Dankenswerterweise hat Bundesinnenminister Zimmermann bereits mit den Ländern gesprochen, einen Stufenplan zu realisieren, der weit unter diesen Mengen liegt. Nur wird es da Probleme bei der Entstickung geben. Das wissen Sie auch. Die Maßnahmen, die ich eben erwähnt habe, müssen durch folgende Regelungen ergänzt werden: Erstens, die Novellierung der Technischen Anleitung Luft, Teil III, zweitens, die Novellierung der 4. Bundesemissionsschutzverordnung, drittens, die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, viertens, die Kraftfahrzeugabgasentgiftung. Die beschlossenen und in Vorbereitung befindlichen Verordnungen enthalten nach dem Stand der Technik realisierbare Grenzwerte und vernünftige Übergangsfristen, die zumutbar sind und den Betreibern solcher Anlagen mittel- und langfristig die Sicherheit geben, notwendige Investitionsmaßnahmen durchführen zu können. Um eine kontrollierte Herabsetzung der Schadstoffbelastung zu erreichen, ist der konsequente Vollzug der Verordnung erforderlich. ({2}) Wir werden deshalb geeignete Instrumente schaffen, um Vollzugsdefizite abbauen zu können. Dies erreichen wir nicht durch Abgabendiskussionen, Frau Kollegin; dies erreichen wir nicht durch die Diskussion über Grenzwertveränderungen. Um die Übergangsfristen bzw. die Umrüstungen von Altanlagen auf Werte, die dem neuesten technischen Stand entsprechen, realisieren und durchsetzen zu können, ist die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unerläßlich. Im Vordergrund steht dabei die Anpassung der genehmigungsbedürftigen Anlagen an die technische Entwicklung. ({3}) Auch wenn damit die Eingriffsschwelle auf das verfassungsrechtliche Maß zurückgeführt wird, bedeutet das nicht, daß damit die Verläßlichkeit unserer Umweltpolitik ohne erkennbares Bedürfnis in Frage gestellt wird. Nein, wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten nach dem Vorsorge- und Verursacherprinzip in Abwägung der Belange von Ökologie und Ökonomie, aber im Interesse unserer Umwelt, zu besseren Ergebnissen kommen und handlungsfähig bleiben. Der Bundesrat hat zur Novellierung des BundesImmissionsschutzgesetzes am 18. Mai 1984 einen Gesetzentwurf beschlossen. Auf dieser Basis werden wir sicherlich eine Einigung erreichen. In diesem Zusammenhang darf ich den Kollegen der FDP für den breiten Konsens danken, den wir im Bereich unserer Umweltpolitik gefunden haben. ({4}) - Ich halte dies für wichtig. Ich habe das gesagt, denn ich meine, daß das nicht immer selbstverständlich zu sein scheint. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür. Zusätzlich zur Vorgabe ökologischer Rahmenbedingungen müssen die begonnenen Förderungsmaßnahmen fortgesetzt werden. Ich denke dabei an die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien für Entstickungsanlagen. Vorrangig aber ist die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente. Gedacht ist vor allem an Kompensationsmöglichkeiten in jeweils begrenzten Regionen, und dies mit dem Ziel, nicht nur unserer Wirtschaft mehr Handlungsspielraum zu geben, sondern damit auch eine weitere Reduzierung der Emissions- und Immissionsbelastung über die gesetzliche Norm hinaus möglich zu machen. Dieses Prinzip muß auch gelten, um möglichst rasch umweltfreundliche Kraftfahrzeuge in nennenswertem Umfang am Markt durchzusetzen. Mit unseren Forderungen im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen über die Gewährung von insgesamt kostenneutralen Benutzungsvorteilen für den Betrieb umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge und für die Verwendung des bleifreien Kraftstoffs sind wir ein gutes Stück weitergekommen. Wir begrüßen ausdrücklich die Ausführungen des Bundesinnenministers Zimmermann zu diesen Punkten, z. B. Kraftfahrzeugsteuerbefreiung, Sicherstellung der Preisgleichheit zwischen verbleitem und unverbleitem Benzin. Dies wird dazu beitragen, Fahrzeuge an den Markt zu bringen und die Übergangszeiten zu verkürzen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, noch vor der Sommerpause entsprechende Beschlüsse zu fassen. Der Bundesinnenminister hat dies soeben bekräftigt. ({5}) Unsere Absichten, die vorgesehene nationale Regelung zur Grundlage europäischer Initiativen zu machen, sind nur zum Teil erfolgreich gewesen. Aber wir werden darauf drängen - und hierzu hat der Bundesinnenminister heute ein deutliches Wort gesagt -, daß es nicht erst in zehn Jahren zur generellen Einführung des umweltfreundlichen Kraftfahrzeugs kommen darf. ({6}) Wir leisten Schrittmacherdienste, um unsere europäischen Nachbarn zu bewegen, ihrerseits die dringlich gebotenen Maßnahmen zum Schutz unserer gemeinsamen Umwelt einzuleiten. Nur durch eine grenzüberschreitende, europäische Umweltpolitik wird es uns gelingen, die derzeitigen ökologischen Probleme zu bewältigen. Die vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung und vor allem des Bundesinnenministers, auf internationaler Ebene Verständnis zu wecken und zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen, wird von uns begrüßt und nachdrücklich unterstützt. Die Vorkonferenz für die multilaterale Umweltkonferenz in München war ein positives Zeichen und ein weiterer Schritt nach vorn. Ein Wort zum Antrag der GRÜNEN in bezug auf Dioxinskandale. ({7}) Gerade weil es in der jüngsten Zeit vielfältige Diskussionen um die Dioxine gegeben hat, hat die Bevölkerung Anspruch auf eine sachgerechte Information. Aus Ihren Anträgen müssen wir leider den Schluß ziehen, daß es Ihnen weniger um die Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts geht, sondern um eine Verunsicherung der Bevölkerung. ({8}) - Ich komme darauf, warum; ich begründe das, Frau Vollmer. Ich weiß doch, daß Sie das nicht hören können. Ihnen ist jedes Mittel recht. Sie führen in Ihrer Begründung zu dem genannten Antrag z. B. aus, daß über ein bestimmtes Produkt ca. 2 t SevesoGifte mitproduziert würden. Ich weiß wohl, daß das der Plural ist. Aber Sie, Herr Ehmke, wissen genau, daß damit das TCDD gemeint ist. Denn das ist das einzige 2,3,7,8-TCDD, das als Seveso-Gift bezeichnet wird. Und damit treiben Sie Schindluder, wenn Sie diesen Begriff falsch verwenden. ({9}) Obwohl nachgewiesenermaßen in diesem Produkt, nämlich Witophen, das Seveso-Gift - auch nicht der Plural -, nämlich TCDD, weder in der Abluft noch bei Verbrennungsversuchen nachgewiesen wurde, taucht es in Ihrem Antrag auf. Gleiches für Ihre Behauptung, in dem speziellen Betrieb seien Erbgutschäden festgestellt worden. Sie wissen sehr wohl, daß sowohl Werksleitung als auch Betriebsrat als auch kochqualifizierte FachLeute auf dem Gebiet der Zytogenetik hier eindeutig widersprochen haben. Lesen Sie es in den Stellungnahmen der lokalen Zeitungen. ({10}) Solche Argumtentationen lassen sich aus Ihren Anträgen beliebig fortsetzen. Die Problematik um die Dioxine ist viel zu wichtig, als daß sie nur zum Aufpolieren des politischen Images verwendet werden darf. ({11}) Wir haben am 12. April die Bundesregierung gebeten, den Sachstandsbericht Dioxine fortzuschreiben. ({12}) Die Bundesregierung hat den entsprechenden Auftrag vergeben und zugesichert, daß ein solcher Bericht nach der Sommerpause vorgelegt wird. - Fortzuschreiben: Natürlich, der alte ist ein Jahr alt; den haben Sie nicht einmal gelesen. Sonst könnten Sie solche Anträge nicht formulieren. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuallererst möchte ich zum wiederholten Male darauf hinweisen, daß wir hier wieder unter unzumutbaren Bedingungen diskutieren. ({0}) Unzumutbar ist für mich, daß zahlreiche wichtige umweltpolitische Vorlagen hier in einer unverhältnismäßig kurzen Zeit - zumal für die kleinen Fraktionen -, in zehn Minuten, mehr schlecht als recht heruntergehaspelt werden müssen. ({1}) Wir meinen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich dieser Themen nicht beachtet wird. ({2}) Das zeigt uns den wahren Stellenwert, den der Umweltschutz in diesem Parlament hat. ({3}) Herr Baum, ich möchte einen Satz zu Ihrer Bemerkung sagen. Ich gebe zwar gerne zu, daß in der Umweltpolitik versucht worden ist, etwas zu erreichen, aber für uns zählen nicht die Bemühungen an sich, sondern für uns zählt, was unterm Strich dabei herauskommt. ({4}) - Dann schauen Sie sich doch einmal die Ergebnisse Ihrer Umweltpolitik an. Wenn man das an Ihren eigenen Zielen mißt, die Sie z. B. 1972 aufgestellt haben, dann muß man doch ganz klar erkennen, daß diese Ziele nicht erreicht worden sind. Wir haben eine steigende Tendenz beim Waldsterben, wir haben eine steigende Tendenz bei den Gebäudeschäden, bei der Versauerung der Gewässer, bei den Gesundheitsschäden. Alles das können Sie doch nicht wegdiskutieren. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt wegen der Kürze der Zeit gleich in die Materie einsteigen. Zunächst zum Bundes-Immissionsschutzgesetz: Der verhängnisvolle § 17 Abs. 2 wurde von den zuständigen Genehmigungsbehörden immer als Grund vorgeschoben - unter Hinweis auf eine angebliche wirtschaftliche Unvertretbarkeit -, auf nachträgliche Anordnungen zu verzichten. Die von den GRÜNEN vorgeschlagene Fassung des § 17 Bundes-Immissionsschutzgesetz reduziert zum einen den Ermessensspielraum der Genehmigungsbehörden bei der Erteilung nachträglicher Anordnungen, so daß die Behörden zukünftig zum Handeln verpflichtet sind, um den Schutz der Bevölkerung in der Nähe von Kraftwerken und Industriefeuerungen sicherzustellen. Zum anderen sieht der Gesetzentwurf vor, die bisherige Ausnahmeregelung der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit drastisch abzubauen. Nachträgliche Anordnungen sollen nur noch dann nicht erteilt werden, wenn ihnen der Stand der Technik oder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entgegensteht. ({5}) Daneben sieht der Gesetzentwurf der GRÜNEN auch vor, die Abwärmenutzung zur Pflicht der Anlagenbetreiber zu machen, um durch eine rationelle Energieverwendung eine weitere Emissionsminderung zu erreichen. Insbesondere muß gewährleistet sein, daß Kraftwerke zukünftig nur noch in der Größe und an dem Standort gebaut werden, wo eine effektive Wärmenutzung möglich ist. ({6}) Dr. Ehmke ({7}) Zwar sieht das Bundes-Immissionsschutzgesetz vor, daß Feuerungsanlagen so zu betreiben sind, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird. Doch war hiervon in der Vergangenheit in der Praxis nichts festzustellen. Denn von den zuständigen Genehmigungsbehörden wurde so gut wie nie versucht, die Betreiber von Altanlagen durch den Erlaß von nachträglichen Anordnungen zum Einbau von Umweltschutzanlagen zu zwingen. Der Regierungsentwurf einer Novelle zur Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes muß in der vorliegenden Fassung als völlig unzureichend angesehen werden. Er steht einer notwendigen, verschärften Genehmigungspraxis aller emissionsrelevanten Anlagen in weiten Teilen diametral entgegen. Die GRÜNEN im Bundestag lehnen - gemeinsam mit den Umweltschutzverbänden - alle in dem vorliegenden Entwurf vorgeschlagenen Abstufungen, Ausklammerungen und Ausnahmeregelungen ab, da sie nur den einen Sinn erfüllen: der Industrie Erleichterungen auf Kosten des Umweltschutzes zu verschaffen. ({8}) Insgesamt stellt der vorliegende Entwurf der Bundesregierung den Versuch dar, die immissionsrechtlichen Bestimmungen - abseits der großen Medienöffentlichkeit - zugunsten der Industrie aufzulockern, während sich Bundesinnenminister Zimmermann in den Medien gleichzeitig als vorgeblicher „Waldretter" feiern läßt. ({9}) Ich komme jetzt zum Altölgesetz: Mehrere Umweltskandale der letzten Monate, bei denen PCBhaltige Öle dem Altöl einfach beigemischt worden sind, um so einer sachgemäßen Entsorgung dieser Ole zu entgehen, beweisen eklatante Mängel auch im Altölgesetz. Zwar sieht das Altölgesetz eine getrennte Beseitigung von synthetischen Olen und Mineralien vor, doch ist diese gesetzliche Bestimmung faktisch nicht kontrollierbar. Umweltskandale wie bei Pintsch in Hanau oder der Firma GEVA im Saarland beweisen, daß skrupellose Giftmüllhändler PCB-haltige Öle dem Altöl einfach beimischen, um so eine ordnungsgemäße Entsorgung zu umgehen und Kosten zu sparen. Der von den GRÜNEN vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, daß synthetische Ole wie PCB oder PCT zukünftig nicht mehr dem Altöl-, sondern dem Abfallbeseitigungsgesetz unterliegen. Durch einen neuen § 14 a wird zudem die Voraussetzung geschaffen, die Kontrolle der Beseitigung persistenter Chlorkohlenwasserstoffe effektiver als in der Vergangenheit zu gestalten. Da davon ausgegangen werden muß, daß in nahezu allen in der Bundesrepublik in Betrieb befindlichen Altölaufbereitungsanlagen Ölgemische verarbeitet werden, die mit PCBs versucht sind, muß hier schnellstmöglich durch eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen, wie es die GRÜNEN in ihrer Gesetzesinitiative vorschlagen, Abhilfe geschaffen werden. ({10}) Nun zu der Sache mit dem Dioxin, Herr Kollege Schmidbauer. Einen nicht zu vernachlässigenden Faktor der Umweltgefährdung durch Dioxine und chlorierte Kohlenwasserstoffe stellen die Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen in der Bundesrepublik dar. Wurden vor einigen Monaten erste Fälle bekannt, daß in Hausmüllverbrennungsanlagen Sondermüll verbrannt wurde, wie es z. B. in Neunkirchen an der Saar geschah, so zeigte sich nach ersten Messungen von Schlacke und Flugaschen aus Müllverbrennungsanlagen bald deutlich, daß zahlreiche Müllverbrennungsanlagen erhebliche Mengen an Dioxinen emittieren. Weitere Dioxinmessungen in Müllverbrennungsanlagen während der letzten Monate führten zu dem Ergebnis, daß selbst in modernen, mit Rauchgasentschwefelungsanlagen oder mit Filteranlagen ausgerüsteten Müllverbrennungsanlagen die Emission von Dioxinen keinesfalls auszuschließen ist. Einen Höhepunkt erreichte die Diskussion um das Umweltgift Dioxin vor einigen Tagen, als durch die Fernsehsendung „Monitor" aufsehenerregende und erschreckende Zusammenhänge zwischen der Dioxinbelastung und der Gesundheitsgefährdung aufgedeckt wurden. Die Ärzte stellten im Osten Hamburgs eine Häufung einer extrem seltenen Mißbildung, der sogenannten Holoprosencephalie fest. Diese schreckliche Mißbildung, die den Schäden in Vietnam durch Agent Orange ähnelt, tritt unter gewöhnlichen Bedingungen nur bei einem Kind pro 35 000 Geburten auf. Im Osten Hamburgs wurde das 14fache des statistisch zu erwartenden Wertes festgestellt. Dabei ist eindeutig festzustellen, daß diese Mißbildungen ausgerechnet in einem eng begrenzten Sektor in der Abwindfahne der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße und der Sondermüllverbrennungsanlage der AVG Hamburg liegen. Spätestens nach der Feststellung dieses erschreckenden Ergebnisses muß eine sofortige und radikale Umorientierung in der Abfallwirtschaft einsetzen. ({11}) Alle Müllverbrennungsanlagen, in deren Abgas Dioxine festgestellt wurden, sind zumindest vorläufig stillzulegen. Der Neubau von Müllverbrennungsanlagen muß unterbleiben, da diese selbst bei optimalen Umweltschutzmaßnahmen zumindest mittel- und langfristig ein unkalkulierbares Risiko für Mensch und Umwelt darstellen. Durch Vorsortierung von Müll und Müllvermeidung sowie Wertstofferfassung kann die Müllverbrennung ohnehin überflüssig gemacht werden. Daneben werden auch bei den Sondermülldeponien weiterhin alle Fehler gemacht, die man nur machen kann. In Billigheim bei Heilbronn zum Beispiel ist im Januar die angeblich modernste Sondermülldeponie Europas in Betrieb gegangen, wo dioxinhaltige Filterstäube in wilder Mischung mit anderen Chemikalien, Lösungsmitteln usw. gela5476 Dr. Ehmke ({12}) gert werden und nocht nicht einmal eine Sickerwasserbehandlungsanlage installiert ist. Hier zeigt sich, daß man aus den Skandalen von Gerolsheim und Georgswerder nichts, aber auch gar nichts gelernt hat und daß es höchste Zeit ist, daß die Bundesregierung endlich eine wirksame Technische Anleitung Abfall erläßt. Jetzt kommen wir zu dem Fall, der von dem Kollegen Schmidbauer angesprochen worden ist. Unlängst brachte die Union den Namen der Flick-Firma Dynamit Nobel, Rheinfelden, in Zusammenhang mit einer angeblichen Spendenaffäre um den ehemaligen Bundesminister Offergeld ins Gespräch. Dieses Rheinfelder Werk verdient es jedoch aus ganz anderen Gründen, hier genannt zu werden, denn es ist die einzige deutsche Produktionsstätte des Pilzgiftes Pentachlorphenol, einer der berüchtigsten Dioxin-Chemikalien. In jedem Kilogramm dieses Giftes, Herr Kollege Schmidbauer, finden sich laut Herstellerangabe - ich habe hier die Broschüre, die das belegt; schauen Sie einmal her, da sehen Sie die Broschüre, in der die Zahlen angegeben sind, die wir auch in unserem Antrag stehen haben - etwa ein Gramm Dioxine und Furane als Verunreinigungen. ({13}) - Herr Kollege Schmidbauer, das eigentliche Seveso-Gift - wenn Sie das beschränken auf 2,3,7,8-TCDD - findet man nicht in dieser Substanz, da haben Sie recht, aber statt dessen mindest sechs andere Ultragifte, die gast genauso giftig sind wie das 2,3,7,8-TCDD.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich kann leider keine Zwischenfragen zulassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es sind auch nur noch 30 Sekunden.

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt insgesamt 210 Substanzen, die zu der Dioxin- und Furangruppe gezählt werden. Diese Substanzen sind nur geringfügig weniger giftig als das von Ihnen genannte Gift. Deshalb muß die Dynamit Nobel in Rheinfelden wirklich als die größte Dioxinschleuder der Nation bezeichnet werden. Was die Erbgutschäden anlangt, Herr Kollege Schmidbauer: Die amerikanische Umweltbehörde EPA hat Pentachlorphenol für erbgutschädigend erklärt, weil es Chromosomenschäden verursacht. An dieser Tatsache können Sie doch nicht so ohne weiteres vorbeigehen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich glaube, daß angesichts der jüngsten erschreckenden Bilder mißgebildeter Neugeborener von Hamburg-Bergedorf und in freier Anlehnung an ein geflügeltes Wort des Parlamentarischen Staatssekretärs Schulte die Dioxinpolitik und überhaupt die ganze Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung wohl nur mit dem Wort „Industrie gesund, Wald und Mensch tot" umschrieben werden kann. Ich danke Ihnen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! meine Damen und Herren! Der vorliegende Dritte Immissionsschutzbericht ist sicherlich eine Fleißarbeit der Beamten des Innenministeriums. Trotzdem muß bei seiner Durchsicht die politische Frage gestellt werden: Was steht an Konkretem in diesem Bericht? Ich nehme den Sektor Luftreinhaltung heraus: Gewiß schlägt jedem, der in der Umweltpolitik tätig ist, und auch jedem Bürger das Herz höher, wenn er dort liest, daß die Luftreinhaltung Vorrang in der Umweltpolitik der Bundesregierung habe und daß der Schutz der Umwelt nach der Sicherung des Friedens die wichtigste Aufgabe unserer Zeit sei. Es wird dort auf die neue Großfeuerungsanlagen-Verordnung, deren Erlaß sich in den nächsten Tagen jährt, hingewiesen. Aber, Herr Innenminister, die Regierung sagt nicht, was diese Verordnung bisher bewirkt hat und mit welchen Veränderungen wir bis 1988 bzw. 1993 verbindlich rechnen können. Herr Schmidbauer, es heißt dort nur - die Zahlen haben Sie j a genannt -, es wird erwartet, daß der Jahresausstoß an SO2 bei Stromerzeugung bis dahin um 1 bis 1,6 Millionen t reduziert wird. Diese Zahlen kennen wir ja; sie sind, verehrter Herr Schmidbauer, wesentlich älter als die Verordnung selbst. Deshalb ist die Frage nicht unberechtigt: Was hat der Innenminister denn ein Jahr lang getan, um diese Verordnung zur Entfaltung zu bringen? Haben ihm die Betreiber von Großfeuerungsanlagen nichts Konkretes über ihre Absichten gesagt? Werden die Betreiber ihre Absichten bis zum Ablauf der Frist am 30. Juni erklären? Werden sie erklären, ob, wie und wann sie die Altanlagen umrüsten oder ob sie auch die größten Dreckschleudern bis zum letztmöglichen Zeitpunkt betreiben werden. In § 36 der Verordnung, die eine für den Innenminister nicht sehr rühmliche Geschichte hat, heißt es wörtlich, daß die vorbereitenden Maßnahmen zur Einhaltung der Anforderungen bei Altanlagen unverzüglich eingeleitet werden müssen. Ist dies geschehen? Dazu steht im Bericht leider kein Wort, Herr Innenminister Zimmermann. Wir Sozialdemokraten vermissen eine abgewogene Aussage zu den Kosten und zu den Technologien, die eingesetzt werden sollen. Die genannte Zahl von 10 Milliarden DM für die Nachrüstung - ich glaube, sie steht auf Seite 25 - ist doch eine unverbindliche, veraltete Schätzung. Herr Innenminister, allein für das Land Nordrhein-Westfalen Stahl ({0}) rechnet die Landesregierung mit 6 Milliarden DM für die Rauchgasentschwefelung und mit weiteren 2 Milliarden DM an Investitionskosten für die Entstickung. Wir alle wissen, daß durch die erforderlichen Umrüstungen der Kraftwerke ein zusätzlicher Druck von der Kostenseite auf die Steinkohle und die Braunkohle ausgeübt wird. Wir haben aber genügend Technologien, die kurz- und mittelfristig der Steinkohle und der Braunkohle den umweltfreundlichen Einsatz zur Stromerzeugung erlauben, wenn die Verstromung zu - auch im Verhältnis zu anderen Energieträgern - wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen ermöglicht wird. Die Umweltminister des Bundes und der Länder, also auch der Bundesinnenminister, haben in einem Beschluß am 5. April dieses Jahres eine Minderung der Stickstoffoxidemission aus Großfeuerungsanlagen gefordert. Dort heißt es wörtlich: Darüber hinaus hält die Umweltministerkonferenz bundesweit abgestimmte und getragene flankierende Maßnahmen zur Sicherung des Steinkohlenabsatzes für notwendig, um die sichere Energieversorgung durch heimische Primärenergieträger zu gewährleisten. Auch die FDP-Fraktion fordert, durch geeignete Auffang- und Förderungsmaßnahmen sollten dabei unbillige wirtschaftliche und soziale Härten vermieden werden. In Bremen sagt Herr Haussmann zusätzlich: Im Bereich des Umweltschutzes muß mehr für die Verhütung der Belastung am Beginn des Prozesses getan werden. Herr Späth hat gestern oder heute in Japan vom sterbenden Ruhrgebiet gesprochen. ({1}) Er ist aber hier im Lande nicht bereit, im Bundesrat die Kosten für den Steinkohlenbergbau als heimischen Energieträger nun wirklich als nationale Aufgabe anzuerkennen. ({2}) Bisher ist auf dem Gebiet der Luftreinhaltungsmaßnahmen an verbindlichen Entscheidungen - ohne bissig zu werden - insgesamt fast Fehlanzeige zu vermerken. Konkrete Vorschläge zur vertretbaren Lösung des Gesamtproblems liegen aber von den Sozialdemokraten vor. Erstens. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im Bundesrat den Entwuf eines Waldpfennig-Gesetzes vorgelegt. Seit über einem halben Jahr schmort dieser Entwurf im Bundesrat ohne Aussicht auf Zustimmung. Auch der Bundesinnenminister hat den Waldpfennig abgelehnt. Statt dessen hat er im Bundesrat am 3. Februar dieses Jahres die Verbesserung der finanziellen Flankierung des Umweltschutzes angekündigt. Da war vom Kohlepfennig, von Investitionszulagen, von der Gemeinschaftsförderung „Regionale Wirtschaftsstruktur" die Rede. Die Verbesserungen von Sonderabschreibungen und eine Erleichterung bei der Vermögensteuer sollten nachhaltig geprüft werden. Herr Innenminister, von den Ergebnissen dieser Prüfung haben wir bisher nichts gehört. Zweitens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Schaffung eines Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen, das durch Abgaben auf den Energieverbrauch finanziert werden soll. Damit sollen Investitionen im Umweltbereich - auch im Bereich der Luftreinhaltung - in einer Größenordnung von fast 28 Milliarden DM im Jahr mit Zinszuschüssen oder Allgemeinzuschüssen über einen Zeitraum von zehn Jahren zusätzlich gefördert werden. Damit könnten auch das von der SPD eingebrachte Notprogramm und die von Ihnen, meine Damen und Herren der Koalition, vorgetragenen Vorschläge im Bereich des Umweltschutzes, zur Bekämpfung des Waldsterbens insgesamt zügig erfüllt werden. ({3}) Diese sicherlich nicht populären, aber sinnvollen und finanziell gesicherten Vorschläge von Sozialdemokraten lehnen Sie rundweg ab, d. h. die Regierungsparteien im Bundestag und Ihre Freunde im Bundesrat ebenfalls. Verehrter Herr Innenminister, meine Damen und Herren, ({4}) bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung kommt es doch jetzt vor allem darauf an, daß die Belastungsspitzen möglichst schnell abgebaut werden, um das Waldsterben aufzuhalten. Deshalb brauchen wir dringend flankierende Maßnahmen zur Beschleunigung des Vollzuges der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Wir fordern den Innenminister deshalb auf, zur Verminderung der Stickoxide eine Sofortmaßnahme einzuleiten. Es ist Ihnen wohl bekannt, Herr Minister Zimmermann, daß alleine durch die Primärmaßnahmen, also durch die Verbesserung der Feuerungstechnik an Kesseln im Kraftwerksbereich bei Schmelzfeuerung und bei Trockenaschekesseln die NOX-Abgaben an die Umwelt abgesehen vom Kraftfahrzeugbereich um rund 50 % reduziert werden können. Das heißt in Zahlen: ein Weniger an NOX-Ausstoß von etwa 350 000 bis 400 000 Tonnen pro Jahr. Diese Maßnahme kann ohne größere Investitionskosten binnen eines Zeitraums von sechs Monaten bis gut zwei Jahren bei der betriebsüblichen Jahresrevision der Kraftwerke durchgeführt werden. Natürlich muß die Nachrüstung mit Sekundärmaßnahmen auch in SO2- und im NOx-Bereich mit den neuen Werten von 400 bzw. 200 mg parallel abgestimmt und gezielt weiter durchgeführt werden. Der Innenminister muß hier aber handeln und den Betreibern deutlich machen, welchen Weg er in welcher Zeit beschreiten will. Die Wirtschaft will endlich Sicherheit und Klarstellung für die Planungen, für die zu planenden Investitionen. Herr Bundesinnenminister, am Geld können diese Maßnahmen doch wirklich nicht scheitern, wenn man bedenkt, daß der Bundeslandwirtschafts5478 Stahl ({5}) minister binnen weniger Tage dem Finanzminister rund 3 Milliarden DM aus der Tasche gezogen hat. ({6}) Wir fragen deshalb: Ist der Innenminister nicht in der Lage, einen Bruchteil dieser Summe für ein Bundesprogramm zur beschleunigten Umrüstung von Altanlagen loszueisen, um sein politisches Hauptziel - Sie sagen ja in dem Bericht: Luftreinhaltung an erster Stelle - zu erreichen? Hier besteht Handlungsbedarf. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Sätze zum internationalen Bereich sagen. Herr Zimmermann, Sie haben sich ja gerühmt, daß dies alles in Ordnung geht. Jetzt erkennen Sie selbst, daß Sie eigentlich zu große Worte gebraucht haben, bezogen auf den internationalen Bereich. Uns als Sozialdemokraten drängt sich der Verdacht auf, daß Sie international als Innenminister auch nicht geschickter handeln als im eigenen Land, wo kraftvollen Ankündigungen keine Taten folgen. Ich möchte in dieser Debatte schnell noch einen Punkt ansprechen, der zeigt, wie unabgestimmt die Bundesregierung Umweltpolitik betreibt. Dem Deutschen Bundestag liegt seit einigen Tagen zur Unterrichtung das Programm „Umweltforschung und Umwelttechnologie" vor. Darin sind - dies soll anerkannt werden - im Bereich Wasserwirtschaft, Klima und Abfallwirtschaft als Forschungsziele befriedigende Darstellungen erfolgt. Aber im Bereich der Luftreinhaltung sind wenige Maßnahmen zur Erforschung aufgezählt. Es ist fast mager. Dies gilt im besonderen für den Energiebereich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluß. So sind z. B. diese Zahlen, Herr Bundesinnenminister, die für diesen Bereich in Ihrem Haushalt stehen, in diesem Programm nicht vorhanden. Das heißt, daß jedes Ressort der Bundesregierung eine eigene Umweltpolitik betreibt. Das Durcheinander an unverbindlichen Aussagen und Ankündigungen ist groß. Wir Sozialdemokraten fordern die Bundesregierung auf, vor allem den Innenminister, weniger Reden im Lande zu halten, sondern mehr zu handeln. Schönen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat erneut der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier um die konsequente Durchsetzung des Vorsorgeprinzips in Sachen Luftreinhaltung. Wir haben allen Anlaß, Schadstoffe an der Quelle zu bekämpfen und überall den Stand der Technik einzusetzen. Meine Partei hat am Wochenende auf ihrem Parteitag in Münster einen Beschluß gefaßt, der das Kraftwerk Buschhaus betrifft: Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag und die der FDP angehörenden Minister der Bundesregierung werden aufgefordert, sich mit allem Nachdruck dafür einzusetzen, daß das mit extrem schwefelhaltiger Salzkohle befeuerte Kraftwerk Buschhaus nicht ohne Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb genommen wird. ({0}) Es ist richtig, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von mir am 15. Juni ausführt, daß die Lösung dieses Problems nach dem neuesten Stand der Technik in erster Linie Sache des Landes Niedersachsen und der Braunschweigischen Kohlebergbau AG ist. Deshalb ist der Vorwurf von Herrn Hasselmann, ich sei für die Genehmigung, die während meiner Amtszeit erteilt worden ist, mitverantwortlich, haltlos. Wir erwarten, daß die Bundesregierung finanzielle Hilfen für den Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage nach dem neuesten Stand der Technik leistet. Diese Vorsorgemaßnahme darf auch im Interesse von West-Berlin und der DDR nicht an finanziellen Schwierigkeiten scheitern. ({1}) Wir wollen eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Der Umweltbeauftragte der FDP, Herr Menke-Glückert, und ich selbst haben schon vor einem Jahr vorgeschlagen, das Bundes-Immissionsschutzgesetz so schnell wie möglich zu verbessern. Nun liegen eine ganze Reihe von Vorschlägen aus dem Bundesrat und von der Bundesregierung auf dem Tisch. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit darf nicht länger vorrangiges Kriterium für die Anpassung von Altanlagen sein. ({2}) - Der Graf Lambsdorff stimmt dem ausdrücklich zu. Wir haben das in der Fraktion mit ihm sehr eingehend beraten, und der Parteitag der FDP hat das mit großer Mehrheit bestätigt, wie auch eine Reihe anderer Umweltmaßnahmen für diese Legislaturperiode, von der schon erwähnten Staatszielbestimmung über die Gewässersanierung und Energiepolitik bis zum Bodenschutz und Pflanzenschutz. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß die Zusammenarbeit mit den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion - den Kollegen Laufs, Schmidbauer und Fellner - in all diesen Fragen sehr gut ist. Ich bin überzeugt, daß wir zu fruchtbaren Ergebnissen kommen werden, auch beim Bundes-Immissionsschutzgesetz. Wir unterstützen die Politik des Bundesinnenministers zur Reduzierung von Autoabgasen und Verkehrslärm, wie er sie am 1. Juni 1984 beim Zentralverband des Kraftfahrzeuggewerbes erläutert und auch heute noch einmal hier dargestellt hat. Wir erwarten, daß der Bundesinnenminister sein persönliches Gewicht einbringt, um am 28. Juni die in der Europäischen Gemeinschaft aufgetretenen Hindernisse zu überwinden. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie der betroffenen Wirtschaft möglichst bald konkrete Vorgaben in bezug auf Werte und Meßmethoden, in bezug auf finanzielle Erleichterungen für die Käufer umweltfreundlicher Autos und in bezug auf die notwendige Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung macht. Wir gehen davon aus, daß in der dazu vorgesehenen Kabinettssitzung am 3. Juli nicht nur Absichtserklärungen beschlossen werden. Wir gehen also davon aus, daß gemäß Kabinettsbeschluß vom November des letzten Jahres ab 1. Januar 1986 das schadstoffarme Auto in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wird. Wir fordern den Bundesinnenminister auf, dafür alle rechtlichen und politischen Voraussetzungen zu schaffen. Die Vorschläge der EG-Kommission lehnen wir ab. Wir schlagen vor, ab 1. Januar 1985 die abgasarmen Autos von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien und eine Übergangszeit, mindestens für 1985, Kaufanreize für diese Fahrzeuge vorzusehen, auch wenn auf Dauer, meine Damen und Herren, anzustreben ist, daß das umweltfreundliche Produkt eben um seiner selber willen gekauft wird. Es kann sich also nur um eine Übergangsregelung handeln. Die Mineralölsteuer für verbleites Benzin ist schrittweise zu erhöhen. Zu den Auswirkungen von Geschwindigkeitsbegrenzungen erwarten wir eine Stellungnahme der Bundesregierung, sobald alle notwendigen Basisdaten vorliegen. Insbesondere fehlen heute noch repräsentative Daten über die tatsächlichen Fahrabläufe und die damit verbundenen Emissionen auf Autobahnen und Landstraßen. Unser Vorschlag, jährliche Abgaskontrollen durchzuführen, muß nun endlich realisiert werden. Wir hoffen, daß nun auch die Sozialdemokraten ihren Widerstand dagegen aufgeben. ({3}) Ich erinnere mich da an sehr heftige Angriffe in einer Pressenotiz von Ihnen. Ich glaube, Herr Kollege Lennartz hat heftig polemisiert. ({4}) - Er kann das j a heute richtigstellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke ({0})? ({1})

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, meine Redezeit ist zu kurz. Ich begrüße es, daß der Bundesinnenminister das Thema Verkehrslärm jetzt wieder aufnimmt. Lärmschutz am Auto ist ebenso wichtig wie die Abgasreduzierung. Die Energiepolitik muß ihren Beitrag zur Entlastung der Umwelt noch nachdrücklicher leisten. Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie die Rahmenbedingungen so setzt, daß die marktwirtschaftlichen Kräfte zur Erreichung optimaler Ziele nachhaltig freigesetzt werden. Die FDP fordert die Bundesregierung - vor allen Dingen den Bundeswirtschaftsminister - auf, Investitionshemmnisse abzubauen, die Entbürokratisierung voranzutreiben und den Gebietsschutz zu überprüfen. Es soll auch in Verhandlungen mit den Ländern geprüft werden, ob Ergänzungen des energiewirtschaftlichen Instrumentariums notwendig sind. Wir möchten auch gerne wissen, ob die vereinbarten kooperativen Lösungen - insbesondere über die stromwirtschaftliche Zusammenarbeit - die gewünschten Ergebnisse gebracht haben oder ob weitere Schritte erforderlich sind. Das, was ich Ihnen hier vortrage, ist alles einvernehmlich in meiner Partei, in meiner Fraktion, auch mit dem Bundeswirtschaftsminister, beschlossen worden. Die zuständigen Gebietskörperschaften fordern wir auf, im Rahmen des geltenden Planungs-, Raumordnungs- und Baurechts die Ziele einer umweltfreundlichen Energieversorgung verstärkt in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen und von den Möglichkeiten der Kraft-Wärme-Koppelung und der Abwärmenutzung sowie der Nutzung neuer Technologien im Interesse des Umweltschutzes Gebrauch zu machen. Wir werden ja ohnehin sehen, so hoffe ich, daß die neuen Technologien zur Lösung einer ganzen Reihe von Umweltproblemen beitragen werden. Überhaupt, meine ich, daß das Umweltthema für die Entwicklung neuer Produkte wichtig ist. Ich bin überzeugt, daß künftig das umweltfreundliche Produkt einen Vorteil auf dem Markt haben wird, und ich setze darauf, daß insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen die notwendige Flexibilität haben, um diese Einsicht in die Tat umzusetzen. Der Abschlußbericht der Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie" ist für uns eine wichtige Grundlage zukünftiger Politik. Die Vorschläge zum Arten- und Biotopschutz nehmen wir auf. Wir möchten die Bundesregierung ermutigen, die Arbeiten an ihrem Bodenschutzkonzept fortzusetzen und ein Artikelgesetz vorzusehen, in dem unter anderem die volle Einbeziehung der Landwirtschaft in die bestehende Umweltgesetzgebung zu berücksichtigen ist. Wir fordern nach wie vor die Revision der Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz, die Festlegung von Vorrangfunktion für Bodeninanspruchnahme unter besonderer Berücksichtigung der bisher völlig unzureichenden Vorrangflächen für Naturschutz und Wasserhaushalt. Meine Damen und Herren, ich stimme dem Bundesinnenminister zu, wenn er jetzt eine härtere Gangart in Sachen Verpackung ankündigt. Es ist in der Tat nicht mehr hinzunehmen, daß die Einwegflasche, das Einwegbehältnis immer stärker auf den Markt drängen. Sie haben, Herr Zimmermann, unsere Unterstützung bei dieser schärferen Gangart. Machen Sie von den gesetzlichen Ermächtigungen jetzt Gebrauch! Eine Abschlußbemerkung: Während wir hier debattieren, findet der Weltwirtschaftsgipfel in Lon5480 don statt. Die Staatsmänner der westlichen Welt unterhalten sich über die Wirtschaftslage. Sie unterhalten sich über die Lage der Dritten Welt, über Zinsen, über Entschuldung der Dritten Welt, Verschuldung. Ich bin der Meinung, daß sie sich auch über Versteppung unterhalten sollten, über die globalen Umweltgefährdungen, die ein Teil der Entwicklung dieses Planeten sind, auch eine Folge der Wirtschaftsentwicklung, eine Folge der Überbevölkerung. Ich habe seit langem bedauert, daß diese herausragenden Treffen bedeutender Staatsmänner nicht zum Anlaß genommen werden, diese wichtigen Fragen globaler Umweltzerstörung und Umweltgefährdung zu behandeln. Ich wünschte mir, daß dies künftig so geschieht, daß den Wünschen und Belangen auch unserer Bevölkerung Rechnung getragen wird, wie das im übrigen auf dem Europagipfel in Stuttgart auf die Initiative des Bundeskanzlers Kohl hin geschehen ist. Umweltschutz muß nun zu einem weltweiten Thema werden. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, kann ich davon ausgehen, daß der Themenblock Luft nun abgeschlossen ist? - Dann hat der Abgeordnete Müller [Düsseldorf] das Wort.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden bei der Abstimmung auf Buschhaus zurückkommen. Ich möchte jetzt zu einem Thema überleiten, das meines Erachtens in der Öffentlichkeit nicht die Beachtung findet, die ihm eigentlich gebührt. Ich meine das Thema Wasser. Ich glaube, daß die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit für und der, wie hinzuzufügen ist, noch größere Handlungsbedarf im Hinblick auf das Waldsterben unseren Blick auf andere wichtige und zentrale Umweltbereiche nicht verstellen darf; denn auch Gewässer und Böden sind durch den leichtfertigen Umgang mit den Umweltgütern und, noch stärker, durch den industriellen Raubbau betroffen. Man muß sehen, daß das Waldsterben ein beängstigender Indikator dafür ist, daß durch die Luftverunreinigungen ein hochkomplexes biologisches System gefährdet ist, d. h. daß es nicht nur um Schäden beim Wald geht, sondern daß die Schäden sehr viel weitergehend sind. Wir müssen alle Bereiche der Umweltpolitik gerade aus der Erkenntnis heraus, wie sehr der Wald geschädigt ist, sehen und Vorsorge treffen. Um noch einmal auf die Diskussion von vorhin zurückzukommen: Es nützt uns letztendlich nichts - das haben wir gerade beim Thema Wald gesehen -, wenn wir in einzelnen Teilbereichen, wie beispielsweise beim Schwefeldioxid oder beim Feinstaub, die Belastungen zurückfahren, aber das System nicht insgesamt begreifen, d. h. die Kombinationswirkungen nicht sehen; denn gerade im Zusammenhang mit dem Waldsterben haben wir erlebt, daß, obwohl die Belastung durch Schwefeldioxid und Feinstaub zurückgegangen ist, das Waldsterben dennoch rasant zugenommen hat. Wir müssen also feststellen: Wir sind mit unseren umweltpolitischen Erkenntnissen noch gar nicht so weit, das System insgesamt begreifen zu können. Das bedeutet aber umgekehrt, daß die Vorsorge viel weiter gehen muß, daß wir eine viel konsequentere Politik machen müssen, als wir das tun. ({0}) Meines Erachtens gibt es alarmierende Hinweise auch im Hinblick auf das Wasser. Ich will fünf Beispiele nennen. Das erste Beispiel: Die Luftverunreinigung bedeutet auch schon heute ein erhebliches Gefahrenpotential für das Grundwasser. Wir sehen, daß insbesondere die Kraftwerksasche mit ihrem hohen Anteil schwefelhaltiger Verbindungen negative Auswirkungen auf das Grundwasser hat, und zwar mit einer sich beschleunigenden Geschwindigkeit. Wir sehen als zweiten Punkt, daß die Lagerung von jährlich 7 Millionen Tonnen ausgekohlter Asche allein im rheinischen Braunkohlerevier eine Art Zeitbombe ist. Schon heute erreicht - um den Indikator zu nennen - der Sulfatgehalt vielfach das Vierfache des erlaubten Wertes. Ein dritter Bereich: Besonders besorgniserregend ist der hohe Nitratgehalt im Grundwasser. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, daß wir hier auch gesundheitliche Gefährdungen - vor allem Gehirnschäden bei Kleinkindern - erwarten müssen, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt werden kann. Wir sehen aber auch, daß das schon erhebliche Konsequenzen für die Trinkwasserversorgung hat. Beispielsweise gilt das alte Rezept nicht mehr, daß wir Brunnen einfach tiefer bohren, um dann an sauberes Grundwasser heranzukommen; denn der Boden ist tiefgehend verseucht. Ein viertes Beispiel - es ist vorhin schon einmal angesprochen worden - ist das Absinken des pH-Wertes, also die zunehmende Versäuerung unserer Gewässer durch Schwefel- und Salpetersäure, oft zudem noch angereichert durch Schwermetalle und andere Schadstoffe. Wir werden sehen - und zwar mit einer zunehmenden Deutlichkeit -, daß das Puffervermögen unserer Böden und die Fähigkeit zur Neutralisierung von Säuren immer mehr überfordert werden. Das letzte Beispiel ist die Trinkwasseraufbereitung. Es ist zwar richtig - das wird dann immer als positives Beispiel herausgestellt -, daß der Sauerstoffgehalt in den Flüssen zunimmt. Dieses ist aber nur ein Indikator für biologisch abbaubare Stoffe. Wir müssen jedoch gleichzeitig sehen - und das ist das viel Problematischere -, daß die sogenannten schwer abbaubaren Stoffe, also insbesondere Schwermetallverbindungen und halogenierte Kohlenwasserstoffe, zunehmen, und daß sich neue Krankheiten und neue gefährliche Entwicklungen ergeben. Meines Erachtens machen diese Beispiele deutlich, daß wir dem Schutz des Wassers in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Ich glaube zum einen, daß weitgehende Korrekturen an Müller ({1}) der Quelle, also bei der Verursachung von Schadstoffen, notwendig sind, und zum anderen, daß die maßlose Verschwendung von wertvollem Grundwasser gestoppt werden muß. Sicherlich - und das ist wohl unbestritten - haben wir heute global gesehen noch kein Mengenproblem, auch wenn in einzelnen Teilbereichen schon regionale Vesorgungsengpässe auftreten. Aber ich will daran erinnern, daß beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Rheinwasserwerke noch im letzten Jahr davor gewarnt hat, daß wir, wenn die Entwicklung so weitergeht, bei Niedrigwasser des Rheines in eine Situation kommen können, wo die Trinkwasserversorgung zumindest am Niederrhein ernsthaft gefährdet ist. Auch das sind Punkte, die uns mehr zu denken geben sollten, als das bisher der Fall war. Wir müssen nach Auffassung der SPD gerade in der Wasserpolitik das Versorgeprinzip mehr in den Mittelpunkt stellen. Wir erleben beim Waldsterben, daß die jahrelangen Belastungen der natürlichen Umwelt nur Wechsel auf eine Zukunft sind, die ganz schnell platzen können. Wir müssen deshalb aus dem Beispiel Waldsterben lernen. Wir können eben nicht warten, bis Grundwasser erst einmal total abgesenkt oder verseucht ist ({2}) oder bis Oberflächengewässer nur noch betonierte Abwasserkanäle sind oder bis die letzten Feuchtgebiete vernichtet sind. Dann ist es zu spät, und dann nützen auch keine Korrekturen mehr. ({3}) Weil wir der Auffassung sind, daß neben dem Vollzugsdefizit in der Wasserpolitik, das mit Recht beklagt wird, das Vorsorgeprinzip im Wasserrecht zu kurz kommt, werden wir in der nächsten Zeit eine Reihe von Vorschlägen einbringen. Das sind vor allem folgende Punkte: Erstens. Verschärfung der Anforderungen an Abwassereinleitungen einschließlich einer Einbeziehung der Indirekt-Einleiter. Wir haben vorhin gehört, daß das Abwasserabgabengesetz erweitert werden soll. Wir können das nur begrüßen. Nur müssen wir darauf hinweisen, daß gerade das Abwasserabgabengesetz - ein Gesetz, das sich nach Ansicht aller Fachleute bewährt hat -, hier im Bundestag nicht so einfach hat durchgesetzt werden können, sondern auch auf den erheblichen Widerstand von Politikern getroffen ist. So sind wir einmal gespannt, was jetzt kommt. Nach den Erfahrungen sind wir nicht so optimistisch. Wir sind der Auffassung, daß bei einer Novellierung vor allem die biologisch nicht abbaubaren Stoffe in die Schadstoffparameter einbezogen werden müssen und daß es darauf ankommt, vor allem dazu beizutragen, daß die Schadstoffe an der Quelle gar nicht erst entstehen. Ein zweiter Bereich ist der Schutz des Grundwassers. Dem dienen Verbote und wirksame Beschränkungen, und in dem Zusammenhang muß man schon sagen, daß es ein umweltpolitischer Skandal ist, daß wir in vielen Bereichen Ersatzstoffe haben, daß aber dennoch die umweltschädlichen Stoffe weiter, insbesondere bei Lösungsstoffen, bei Lacken und ähnlichem, verwandt werden. Hier wird leichtfertiger Umgang mit der Gesundheit von Menschen getrieben. ({4}) Ein dritter Bereich: Wertvolles Wasser darf nicht weiter verschwendet werden, es muß vorrangig der öffentlichen Wasserversorgung vorbehalten bleiben. Sie wissen, daß von verschiedenen Seiten eine Grundwasserabgabe gefordert wird, und es ist richtig, daß man sagt, Grundwasser darf nicht als kostbares Gut gratis bleiben. Wir wollen aber auch gleichzeitig eine intelligentere Nutzung von Wasser. Das „Zukunftskonzept Wasser" der Stadt Saarbrükken ist ein beachtenswerter Vorschlag. Auch ein vierter Bereich ist wichtig: Wir müssen die Bedeutung von Gewässern und Feuchtgebieten wieder stärken, und das bedeutet, daß wir, wo immer es möglich ist, die ökologische Funktion von Gewässern durch einen naturnahen Gewässerbau wieder herstellen müssen. ({5}) Meine Damen und Herren, bis zum 19. Jahrhundert war das Wasser Quelle oft schwerer, vielfach sogar tödlicher Krankheiten. Heute droht das Wasser vor allem durch die industrielle Verseuchung erneut zu einem Träger von Krankheiten zu werden, insbesondere von Krebs. Dies müssen wir durch einen wirksamen Schutz des Wassers und vor allem durch eine Beseitigung der Ursachen für die Fehlentwicklungen verhindern. Danke schön. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich doch noch ein Wort zum Kraftwerk Buschhaus sage. Es ist der politische Wille der CDU/CSU, den Betrieb des neuen Kraftwerks, das übrigens nicht unter dieser Bundesregierung genehmigt und errichtet worden ist, nicht zu einer zusätzlichen Umweltbelastung werden zu lassen. 1988 wird eine moderne Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb gehen. Bis dahin wird sichergestellt werden, daß die Gesamtemissionen durch Kompensation mit anderen Kraftwerken nicht über den gegenwärtigen Stand ansteigen. Darüber hinaus wird auch auf unserer Seite mit großem Nachdruck untersucht, ob es Möglichkeiten und Wege geben kann, schon vor 1988 den Gesamtausstoß an Schwefel deutlich zu reduzieren. ({0}) Hierbei geht es aber um äußerst komplizierte juristische und technische Fragen. Das Grundgesetz weist, was den Umweltschutz angeht, keine Lücke auf. Unser Verfassungsrecht hindert uns überhaupt nicht daran, progressive Umweltpolitik zu gestalten. Ein neuer Verfassungsartikel würde weder dem Waldsterben noch der Gewäs5482 serverschmutzung Einhalt gebieten. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, Güter abzuwägen und mit Augenmaß eine Umweltschutzmaßnahme nach der anderen durchzusetzen. So ist der vorbeugende und pflegende Schutz des Wasserhaushalts neben der Luftreinhaltung ein Schwerpunkt unserer praktischen Umweltvorsorgepolitik. Unsere Politik der drastischen Rückführung von Schadgasemissionen und damit der erheblichen Verminderung des Lufteintrags von Schadstoffen in die freie Fläche bedeutet im übrigen auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum vorsorglichen Grundwasserschutz. Verstärkte Aufmerksamkeit müssen wir den drohenden Gefahren aus alten Abfalldeponien und allen Flächen zuwenden, auf denen mit grundwassergefährdenden Stoffen umgegangen wurde und wird. Hier liegen Aufgaben, die wir nur mit intensiver Forschung und Entwicklung und nur gemeinsam mit den Ländern und Kommunen bewältigen können. Auch von dieser Stelle sollten einmal die bis heute erbrachten außerordentlichen Leistungen der Länder und Gemeinden bei der Kanalisation und Klärung häuslicher und industrieller Abwässer gewürdigt werden. ({1}) Neun von zehn Einwohnern sind heute an Kläranlagen angeschlossen. Allein in einem Jahrzehnt sind dafür 50 Milliarden DM investiert worden. Die Wassergesetze, auf deren Grundlage moderner Gewässerschutz heute betrieben wird, sind teilweise schon in den 50er und 60er Jahren geschaffen worden. Dazu mußte man wahrhaftig nicht auf die GRÜNEN warten. ({2}) Auch die zukünftige Weiterentwicklung wird nicht von den GRÜNEN abhängen. Ihre Anregungen sind zwar selbstverständlich willkommen, aber sie müssen auch kritisch geprüft werden. Wir sind im Grundsatz ja einig. Wir brauchen härtere Gewässerschutznormen. Die bisher zugelassenen Spielräume für Grundwasserbelastung und Gewässerverschmutzung können nicht mehr toleriert werden. Die Schwierigkeit bei der praktischen Normierung besteht aber darin, daß es eine außerordentlich große Zahl naturfremder, problematischer Stoffe gibt, die in herkömmlichen Verfahren biologisch nicht abbaubar sind. Für diese, in der Regel aus Industrie und Gewerbe in Fließgewässer eingeleiteten besonders kritischen Abwässer müssen strenge Anforderungen gestellt werden. Die sogenannten IndirektEinleiter dieser Schadstoffe - es handelt sich hier um etwa die Hälfte der Gesamtbelastung - sind für kommunale Kläranlagen und schließlich auch für die Fließgewässer ebenfalls ein schweres Problem. Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß das Wasserhaushaltsgesetz verbesserungsbedürftig ist, um den Stand der Technik zur Rückhaltung wassergefährdender Stoffe nutzen zu können. Die dadurch erzielbare Verschärfung der Mindestanforderungen an das Einleiten - der Stand der Technik setzt engere Grenzen als die bisher angewandten, allgemein anerkannten Regeln der Technik - muß sich in den Abwasserverwaltungsvorschriften niederschlagen. Die über 30 bereits erlassenen Vorschriften nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes sind zu überprüfen. Eine Fülle neuer allgemeiner Verwaltungsvorschriften für problematische Stoffe und bestimmte Produktionsbereiche sind ergänzend erforderlich. Wir anerkennen dabei ausdrücklich die Arbeit der über 50 Arbeitsgruppen von Vertretern der Behörden, der Wissenschaften, der verschiedenen Industriezweige, welche die Grundlagenmaterialien schaffen und zusammentragen. Schnelle Fortschritte bei der weiteren Verbesserung und Neuformulierung dieser Mindestanforderungen sind ohne enge Kooperation mit den betroffenen Kreisen nicht möglich. Meine Damen und Herren, im vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Waschmittelgesetzes fordern die GRÜNEN die Senkung des Phosphateintrags in bundesdeutsche Fließgewässer um ein Viertel, d. h. sie fordern ein totales Verbot phosphathaltiger Wasch- und Reinigungsmittel ab 1. Januar 1986. ({3}) Nun ist es ja so, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, daß der Ersatz der Phosphate durch umweltfreundliche Stoffe seit eh und je von den Umweltpolitikern - auch der CDU/CSU - angestrebt wird. Das ist überhaupt nicht neu. Die Phosphathöchstmengenverordnung von 1980 bewirkte inzwischen eine Verminderung der Phosphatgehalte in Waschmitteln auf etwa die Hälfte der hohen Werte von 1975. Eine ganze Reihe von Ersatzstoffen - wie die Komplexbildner Zitrat und Nitrilotriacetat, das NTA - und Ionentauscher wie das Zeolith A sind entwickelt und erprobt worden. Große Studienkommissionen haben sich in jahrelanger Arbeit mit der Umweltverträglichkeit dieser neuen Stoffe befaßt. Das Ergebnis ist leider, daß es keine rundum umweltfreundlichen Waschmittel gibt. Es gibt nur weitere stufenweise Verbesserungen. Für das zunächst vielversprechende NTA sind Überwachungs- und Sonderprogramme aufgelegt worden. Es kann noch nicht unbegrenzt zugelassen werden. Oder wollen Sie es ohne Rücksicht auf die möglichen negativen Folgen einfach so zulassen? Meine Damen und Herren, es ist einfach unredlich, wenn durch den Gesetzentwurf der GRÜNEN der Eindruck erweckt wird, als könne man mit einem Federstrich zum 1. Januar 1986 alle umweltbelastenden Wasch- und Reinigungsmittel verbieten und durch absolut unschädliche Produkte ersetzen. So einfach kann man sich Umweltpolitik nun wirklich nicht machen. ({4}) Sie sollten sich zuvor einmal fragen, wie verheerend sich das ersatzlose Verbot der meisten Wasch- und Reinigungsmittel für unsere Lebensumwelt und vor allem auch für unsere Hygiene - lieber Herr Kollege von den GRÜNEN - auswirken würde. ({5}) Dies gilt auch für den Antrag der GRÜNEN zur Änderung der Tensidverordnung. Papier ist bekanntlich geduldig. Sie von den GRÜNEN erheben die Forderung - wie es da heißt -, daß künftig alle anionischen, nichtionischen und kationischen Tenside zu 95 % zu biotisch natürlich häufig vorkommenden Metaboliten abbaubar sein müssen, die wiederum vollständig in biologischen Kläranlagen zu verstoffwechseln sind. Dies ist wieder so ein typischer Antrag aus der riesigen Flut von extrem technischen Vorlagen der GRÜNEN, die draußen kein Mensch mehr verstehen kann. Und dabei sind es doch Sie, die immer von Basisnähe reden. Damit greifen Sie immer nur punktuelle, höchst komplexe physikalisch-chemische Probleme auf, die in ihrer Zusammenhanglosigkeit unpolitisch sind. Die Folge Ihrer Forderung wäre zum Beispiel, daß Hochleistungsflaschenspülmaschinen nicht mehr betrieben werden könnten. Wollen Sie zur Einwegflasche zurück? Wollen Sie gänzliche Rechtsunsicherheit, weil die Metabolite nicht definiert sind und keine Verfahren existieren, die Einhaltung Ihrer Forderungen zu kontrollieren? ({6}) Mit diesen hektischen Schnellschüssen dienen Sie dem Umweltschutz nicht. Wer eine Liebens- und lebenswerte Umwelt schaffen und erhalten will, ({7}) braucht neben einem geschärften Sachverstand vor allem auch Augenmaß und einen langen Atem. ({8}) Diese Voraussetzungen finde ich bei dieser Bundesregierung und bei dieser Koalition. ({9}) Deshalb wird sie auch weiterhin erfolgreich sein. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es möglich wäre, würde ich Ihnen gerne zu Beginn einige Bilder zeigen von einem kleinen Dorf im Hochsauerland. Sie fragen: Was hat dies mit dem heutigen Thema zu tun? Dieses Dorf mit 1 000jähriger Geschichte liegt in einem malerischen Tal, bietet 400 Menschen eine Heimat, und am Eingang des Dorfes können Sie lesen: „Talsperrenbau ist Mord". Ich empfehle Ihnen allen: Wenn es Ihre Zeit zuläßt, fahren Sie ins Hochsauerland, in die Nähe von Winterberg, ins Tal der Neger, einem Nebenfluß der Ruhr. Hier plante der Ruhrtalsperrenverband mit Unterstützung des Regierungspräsidenten Arnsberg den Bau einer Talsperre und wollte das ganze Tal dort unter Wasser setzen. Das Talsperrenwasser würde gebraucht - so die Begründungen der Betreiber -, um die Wasserqualität der Ruhr aufzufrischen. Sie wissen sicherlich, daß aus der Ruhr ca. 3 Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt werden. Die Alternative zum Negertalsperrenprojekt - das hätte im übrigen die nordrhein-westfälischen Bürger mehr als eine halbe Milliarde D-Mark gekostet, Herr Gerstein -, nämlich eine Verbesserung der Abwasserreinigung, wurde nicht ins Auge gefaßt. ({0}) Das Negertalsperrenprojekt konnte vor einigen Tagen von der örtlichen Bürgerinitiative gestoppt werden. Das Oberverwaltungsgericht in Münster entschied, daß die wasserwirtschaftliche Notwendigkeit für eine Verdünnungstalsperre nicht mit dem Gesetzesauftrag des Ruhrtalsperrenvereins übereinstimmt. Wir sind froh über dieses Urteil und beglückwünschen die Betroffenen, die ihre Heimat verteidigen konnten. ({1}) Gleichzeitig fordern wir alle Abgeorneten aus Nordrhein-Westfalen auf, Herr Kollege Müller aus Düsseldorf, sich gegen jede weitere Talsperrenplanung einzusetzen und dahingehend auf die Landesregierung einzuwirken. ({2}) Wir begrüßen es aber auch, daß der Widerstand gegen die Verdünnungsphilosophen in unserem Lande wächst. Es dürfte sich vielleicht herumgesprochen haben, vielleicht auch irgendwann einmal bei Ihnen: Die Wasserqualität läßt sich auch durch verbesserte Abwasserreinigung heraufsetzen. ({3}) In der Bundesrepublik werden Abwasser nach den „allgemein anerkannten Regeln der Technik" - so der Fachjargon - gereinigt. Dies heißt, daß Abwässer nicht mit den Mitteln gereinigt werden, die auf Grund einer fortgeschrittenen Technik zur Verfügung stehen, sondern so, wie es sich halt eingebürgert hat, wie es die Masse der Kläranlagen macht. ({4}) - Sie wissen das doch genau! Warum werden Sie dabei so erregt? - Dabei würden wirkungsvollere Techniken zur Verbesserung der Abwasserreinigung sofort verfügbar sein. ({5}) - Wissen Sie, Herr Kollege: Wer gute Argumente hat, der hört ruhig zu und erwidert dann sachlich, nicht so wie Sie! ({6}) Dr. Ehmke ({7}) Der Einsatz dieser Techniken könnte Arbeitsplätze schaffen. Lediglich der politische Wille dazu fehlt. Die Negertalsperre war beileibe keine Einzelmaßnahme. Am Neckar, am Rhein, an der Weser - um nur einige Beispiele zu nennen - werden ähnliche Projekte geplant oder gebaut. Die Verdünnungsphilosophie mag vielleicht einigen Landesregierungen im Moment bequemer anmuten. Auf Dauer wird sie spätestens in den Küstengewässern katastrophale Folgen haben. Wir GRÜNE wollen juristische und politische Wege aufzeigen, wie wir noch rechtzeitig eine sich abzeichnende Wasserkrise verhindern können. Unser Novellierungsvorschlag zum § 7 a Wasserhaushaltsgesetz, der Novellierungsantrag zum Waschmittelgesetz und zur Tensidverordnung und unsere Vorstellungen zur Novellierung des Abwasserabgabengesetzes sind Teil eines gewässerpolitischen Maßnahmenbündels, mit dem wir Sie als Opposition in den nächsten Monaten fortgesetzt konfrontieren werden. Viele von Ihnen denken vielleicht im Moment: Die übertreiben wie immer, diese GRÜNEN. Haben Sie dies nicht auch schon vor zehn Jahren gesagt, als einige Wissenschaftler vor dem sich abzeichnenden Waldsterben gewarnt haben? Als erste prinzipielle Anstrengung für den Gewässerschutz schlagen wir die Novellierung des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes vor. Nach unseren Vorstellungen soll das Abwasser kommunaler Kläranlagen mit den besten zur Verfügung stehenden Techniken gereinigt werden. Besonders gefährliche Stoffe, wie sie besonders von großen chemischen Betrieben in die Gewässer geleitet werden, sollen nach dem Stand der Technik gereinigt werden. In diesem Zusammenhang fordern wir, daß auch IndirektEinleiter, also Betriebe, die nicht direkt in die Gewässer, sondern in das öffentliche Kanalnetz entwässern, verstärkte Anstrengungen zur Abwasserreinigung und Abwasservermeidung unternehmen. Ich muß hier anmerken, daß ja auch der Bundesinnenminister vorhin davon gesprochen hat. Dies würden wir begrüßen. Es ist eine Binsenweisheit, daß jede Vermeidung von Abwasserbelastungen mit schädlichen Stoffen günstiger ist als die nachträgliche Entfernung dieser Stoffe in teuren Kläranlagen. ({8}) Aus diesem Grund haben wir parallel einen Novellierungsantrag zum Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vorgelegt. Ursachen für schädliche Abwasserbelastungen sind sowohl im privaten als auch im industriellen Bereich zu suchen. Gerade in den letzten Jahren haben es die Produzenten von Wasch- und Reinigungsmitteln in erschreckender Weise verstanden, über werbewirksam hervorgerufene Ängste eine Chemisierung der privaten Haushalte vorzunehmen. Wir haben eine simple Forderung: Alles das, was im Sinne unseres Novellierungsantrags zum § 7 a Wasserhaushaltsgesetz als für die Gewässergüte kritischer Stoff einzustufen ist, darf auch nicht in Reinigungsmitteln und Waschmitteln des täglichen Gebrauchs enthalten sein. Und dies ist möglich. Den größten Brocken bilden hier sicher die Textilwaschmittel, also all die Ingredienzien, die am Waschtag aus der Waschmaschine ins Abwasser gepumpt werden. ({9}) Wie konzeptionslos die etablierte Gewässerschutzpolitik ist, zeigt gerade die Geschichte der Textilwaschmittel der letzten 20 Jahre. Ursprünglich wusch man mit Seife. Moderne Tenside - synthetisiert auf Erdölbasis - ersetzten in den 60er Jahren nach und nach die natürliche Seife. Die Waschwirkung war - zugegeben - besser. Negative Folgeerscheinungen - sie erinnern sich vielleicht - waren Anfang der 70er Jahre Schaumberge und Fischsterben. Der Gesetzgeber trat angesichts dieser sichtbaren Gewässerverschmutzung in Aktion und verbot die harten Tenside. Negative Folgeerscheinung: Die chemische Industrie ließ sich was Neues einfallen. Phosphate gelangten vermehrt in die Waschmittel. Ende der 70er Jahre - vielleicht erinnern Sie sich auch daran -: Seen und Gewässer färbten sich giftgrün, zum Teil sogar blutrot. Der Grund war Überdüngung durch Phosphat. Sogar den küstennahen Meeren geht mittlerweile in periodischen Abständen die Luft aus. Der Gesetzgeber trat angesichts dieser sichtbaren Gewässerverschmutzung wieder in Aktion. Er verbot die Hälfte der damals zulässigen Phosphat-zugaben. Zum 1. Januar 1984 war diese Verordnung einzuhalten. Folgewirkung: Zum 1. Januar 1984 wurden neue Stoffe, deren ökologische Auswirkungen, wir heute nur erahnen können, als Phosphatersatz in die Waschmittel eingeführt. Was Ende der 80er Jahre Stoffe wie Nitrilotriazetat - kurz NTA - oder auch die ohne Wissen der Behörden eingeführten Phosphonate anrichten, das dürfen Sie dann in der nächsten Legislaturperiode behandeln. Meine Damen und Herren, Sie kennen sicher das Märchen vom Hasen und vom Igel: „Ich bin schon da!" Wir haben den Eindruck, daß der Gesetzgeber - wie der Hase im Märchen - den Waschmittelproduzenten hinterherläuft. Klare Konzepte und politische Zielvorgaben fehlen vollständig. Wir wollen mit unserem Novellierungsantrag zum Waschmittelgesetz hier einen Anfang machen. Es geht hier, Herr Kollege Laufs, in erster Linie um technische Vorgaben an die Industrie und nicht um puren Aktionismus. Jetzt zur Tensidverordnung: Da synthetische Tenside in nicht unbedenklichen Mengen nach wie vor in die bundesdeutschen Gewässer gelangen, erscheint es notwendig, die Anforderungen an der Abbaubarkeit dieser Stoffe in kommunalen Kläranlagen zu verschärfen. Des weiteren werden von den gegenwärtig geltenden Vorschriften kationische Tenside nicht erfaßt. Durch Verschiebungen am Markt haben aber gerade diese Tenside - in Form der Weichspüler und Weichspülkonzentrate - in Dr. Ehmke ({10}) den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Daher sollten auch diese Stoffe in die geltenden Abbaubarkeitsvorschriften integriert werden. Meine Damen und Herren, was hilft es, wenn heute Tenside vermarktet bzw. entwickelt werden, die zwar nicht mehr Gewässer zum Schäumen bringen, aber den Klärschlamm kommunaler Kläranlagen für die landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar machen? Wie bedeutsam die Novellierung der Tensidverordnung ist, legen hochaktuelle Forschungsergebnisse aus Österreich nahe. Gynäkologen fanden in der Eibläschenflüssigkeit erhöhte Gehalte an kationischen Tensiden. Kationische Tenside sind die Wirksubstanzen in eben den erwähnten Weichspülern, die vom geltenden Recht wiederum überhaupt nicht erfaßt werden. Eines sollte zum Schluß meiner Ausführungen klar geworden sein, meine Damen und Herren: Versäumnisse in der Gewässerschutzpolitik und konzeptionsloser Aktionismus führen zur Naturzerstörung und menschenfeindlicher Politik - ich habe das am Beispiel der Negertalsperre ausgeführt - und haben eine schlechte Trinkwasserqualität zur Folge. ({11}) Auch in einem anderen Tal, im Naafbachtal, wehrt sich eine Bürgerinitiative gegen die Zerstörung ihrer Heimat. Das Naafbachtal liegt in der Nähe von Lohmar bei Siegburg. Vielleicht sehen Sie sich auch dieses Gebiet einmal an. Der Träger dieses Projekts, der Aggerverband, will 60 Millionen Kubikmeter Trinkwasser nach Flutung des Tals an Städte am Rhein wie Bonn und Köln liefern, damit es ein Ende mit dem minderwertigen Trinkwasser hat. Nun haben wir die Bundesregierung gefragt, wie sie zu den Planungen des Aggerverbandes steht. Der Aggerverband geht in seinem Gutachten „Bewertung der maßgebenden Alternativen für den Perspektivplan Wasserversorgung des Aggerverbandes" davon aus, daß auf Grund veränderten Verbraucherverhaltens bei 80 000 mit Rheinuferfiltrat versorgten Bürgern durch Mineralwasserkauf ein gesamtwirtschaftlicher Nettoverlust von 60 Millionen DM entsteht. - Das heißt: Kauf von Wasser in Flaschen. - Die Bundesregierung sah sich nicht in der Lage, diese wissenschaftlichen Berechnungen zu überprüfen, weil ihr angeblich das Gutachten fehlte. Hiermit möchte ich Ihnen dieses Gutachten übergeben, Herr Minister, und Sie auffordern, unsere Anfrage vom 2. Mai 1984 - diesmal sachkundig - zu beantworten. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe soeben gesehen, daß sich die Fraktion DIE GRÜNEN um 100 % verstärkt hat. Ich hoffe, daß wir künftig nicht mehr Reden darüber hören müssen, daß allein die Präsenz im Plenum zum Ausdruck bringe, wie ernst man ein Thema nehme. ({0}) Ich kann für alle unsere Kollegen, die hier sind, wie selbstverständlich auch für alle, die nicht da sind, sagen, daß wir umweltpolitische Themen sehr ernst nehmen. Ich sage das ausdrücklich für diejenigen, die jetzt im Büro noch arbeiten müssen. Nun zur Auseinandersetzung mit den Themen, um die es geht. Den Kollegen der SPD möchte ich nur sagen: Es blieb Ihnen im Grunde genommen nur dankbare Zustimmung zu dem, was Innenminister Zimmermann, was diese Regierung in der Zwischenzeit an erfolgreicher Arbeit geleistet hat. ({1}) Wir sind selbstverständlich auch dazu bereit, uns über all die Themen zu unterhalten, die heute hier eingebracht worden sind; wir haben j a heute in erster Linie erste Lesungen. Selbstverständlich ist auch das Thema „Umweltschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz?" nicht ausdiskutiert. Aber ich warne davor, es so zu machen: Ich habe vorhin draußen in einer dpa-Meldung die großartige Nachricht gelesen, daß jetzt auch Nordrhein-Westfalen eine Vorschrift über den Umweltschutz in die Landesverfassung aufnehmen will. Der Kommentar dazu, der gelautet hat „Was die Bayern können, können wir auch", hat mich doch etwas betroffen gemacht. Denn zunächst bin ich davon überzeugt, daß nicht alle das können, was wir Bayern können. Dann meine ich natürlich, daß die Verfassung mehr wert sein sollte, als sich nach solchen Wettbewerbskriterien im Ländervergleich zu orientieren. ({2}) Ich möchte an die Adresse der SPD-Kollegen auch die kleine Bitte richten, in dieser Phase unserer umweltpolitischen Diskussionen nicht mit überzogenen, teilweise abwegigen Forderungen zu kommen, nur um überhaupt noch etwas umweltpolitisches Land zu erblicken. Ich gestehe ein, daß es schwer ist, jetzt noch mehr zu tun, aber ich glaube, es wäre richtig, jetzt mit uns zielgerichtet an den Themen zu arbeiten, um die es hier geht. Letztlich muß man dann natürlich schon die Frage an Sie richten, warum all das, was unter der früheren Regierung ja offenbar vorbereitet war, in vielfältiger Hinsicht, nicht zum Zuge gekommen ist. Das ist sicherlich eine Frage, die man an den früheren Bundeskanzler Schmidt richten müßte. Ich weiß jedenfalls keinen anderen Adressaten. ({3}) Nun ein Wort zu den Kollegen von den GRÜNEN. Ich habe den Eindruck, daß Sie versuchen, mit der Erarbeitung von immer neuen und immer umfangreicheren Berichten und Darstellungen den Eindruck zu erwecken, als würden Sie in der Umwelt5486 politik etwas bewegen. Das Ganze wird dann besonders makaber, wenn man weiß, daß Ihnen j a sehr viel von dem, so ziemlich alles von dem, was Sie auf den Tisch legen, von Bundesbehörden zugearbeitet wird. Wenn man weiß, daß Sie Fragen stellen, die von der Regierung dann unter Zuhilfenahme derselben Leute beantwortet werden müssen, dann möchte ich Sie schon bitten, doch die Probleme zunächst einmal zusammen mit uns sauber zu analysieren und zielbewußt der Reihe nach anzugehen. ({4}) Wir dürfen miteinander nicht irgendwelchen Utopien nachjagen, sondern müssen mit dem Nächstliegenden beginnen. Wir müssen schließlich auch Schwerpunkte setzen und uns nicht verzetteln. Herr Kollege Ehmke, ich habe wirklich manchmal den Eindruck, daß wir einige umweltpolitische Diplomhektiker im Parlament haben. Was gefordert ist, sind umweltpolitische Strategen, die zielgerichtet ein Thema nach dem anderen, jeweils das nächstliegende, angehen. ({5}) Herr Kollege Ehmke, weil Sie vorhin so begeisternd über Ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gesprochen haben - Sie haben da j a auch angezogen, was Sie alles mutig mit der Industrie anfangen wollen und wie dringend das ist, daß Sie jetzt mit einem entsprechenden Antrag kommen -: Ich habe gestern - manchmal erhält man ja hilfreiche Hinweise von verschiedenen Seiten - einen Hinweis von seiten der Industrie bekommen, daß all das, was im Immissionsschutzrecht, speziell § 17 Abs. 2 geschieht, nicht besonders gut sei. Und jetzt zitiere ich wörtlich, Herr Kollege Ehmke, aus dieser Stellungnahme des Verbandes der Chemischen Industrie. Da heißt es im letzten Absatz: Der Gesetzentwurf der GRÜNEN hebt sich von den Entwürfen anderer Verfasser positiv dadurch ab, daß bei der grundgesetzlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Gesichtspunkt der Kosten ein besonderer Rang eingeräumt wird. ({6}) Das ist eine Stellungnahme von seiten der Industrie. Ich meine, ganz offen gesagt, diese Stellungnahme gereicht keiner der beiden Seiten zur Ehre. Es muß aber erlaubt sein, auch diese hier einmal anzubringen, damit Sie ungefähr wissen, wie schnell gutgemeinte Gesetzesinitiativen plötzlich auf der falschen Seite Beifall erheischen können. Sie müssen etwas aufpassen. ({7}) - Ich habe es zitiert, ich kann es auch belegen. Nun zu ein paar Stichworten, die heute zur Diskussion stehen. ({8}) Von den Kollegen der GRÜNEN ist ein Antrag zur Änderung des Altölgesetzes eingebracht worden. Wir sind uns darüber einig, daß bei der Beseitigung PCB-haltiger Öle Mißstände auftreten und beseitigt werden müssen. ({9}) Wir sind der Meinung, daß das am besten im Rahmen der Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes geschieht. Sie wissen, daß die vierte Novellierung in Vorbereitung ist und daß in dieser Novellierung auch Aussagen gemacht und Vorstellungen dargelegt sind zur Beseitigung PCB-haltiger Öle. Ich meine, daß es zweckmäßig ist, daß wir das dort beraten. Im übrigen gehe ich auch davon aus, daß dieser Entwurf in Bälde eingebracht wird und daß wir uns dann auch - das möchte ich hinzufügen - über weitere Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem Abfallbeseitigungsgesetz unterhalten können. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich die Thematik Einweg/Mehrweg. Ich habe immer dem zugestimmt, was der Bundesinnenminister bisher versucht hat, nämlich auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen mit der Industrie klarzukommen. Wenn diese Vereinbarungen nicht eingehalten werden, bin auch ich - so unangenehm für mich persönlich das Wort „Abgabe" klingt und als so unangenehm ich das empfinde - bereit, zu sagen, wenn nichts anderes hilft, muß zumindest die Drohung mit einer Abgabe kommen. ({10}) Das bedeutet eine Ermächtigung an die Regierung, an den Bundesinnenminister, durch Verordnung eine entsprechende Abgabe festzulegen. Zu den Problemen der Gewässerreinhaltung ist ja schon Verschiedenes gesagt worden. Auch hier hilft nur eine konsequente Vorsorgepolitik. Ich muß sagen, vielleicht ist hier auch noch mehr Kreativität gefordert. Ich bin erschrocken, als ich mir einmal angesehen habe, wie eigentlich das Trinkwasser, das aus unseren öffentlichen Wasserversorgungseinrichtungen an die privaten Haushalte geliefert wird, verbraucht wird. Da liest man folgende Zahlen: 31 % für die Toilettenspülung, 31 % für Baden und Duschen, 3% für Kochen und Trinken. ({11}) - Herr Kollege Ehmke, jetzt lassen Sie mich doch einmal - ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Lassen Sie sich bitte nicht stören. Ihre Redezeit ist gleich zu Ende.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke für den etwas verwirrenden Hinweis, bin aber der Meinung, daß wir üblicherweise nicht Wasser trinken. Es gibt ja anderes. Ich will nur sagen, daß auch hier, nicht nur bei der Vorsorgepolitik, noch mehr Anstrengungen gefordert sind; vielleicht sind auch unsere Bürger gefordert, und vielleicht müssen wir alle da mehr Kreativität aufbringen. Noch ein Wort zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes. Wir haben einen Bundesratsgesetzentwurf vorliegen, der vorsieht, daß der Widerspruch und die Klage gegen Abgabebescheide keine aufschiebende Wirkung haben sollen. Ich bin bereit, darüber zu diskutieren. Wir werden das beraten. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß wir das in die Beratung des Abwasserabgabengesetzes insgesamt einbinden müssen. Wir haben ja den Bericht vorliegen und wissen alle miteinander, daß hier verschiedene Dinge verbessert werden müssen ({0}) und daß es Probleme beim Vollzug gibt. Er muß einfacher und effektiver gestaltet werden; Stichwort: mehr Gewässerschutz, weniger bürokratischer Aufwand. Erforderlich ist eine Harmonisierung von Abgabe- und Ordnungsrecht zur Erleichterung des Vollzugs. Erforderlich ist eine Neuregelung der Erfassung von verschmutztem Niederschlagswasser. Erforderlich ist eine Festsetzung von Schwellenwerten als Grenzen der Abgabenerhebung, und erforderlich ist schließlich eine Erweiterung der Parameter um weitere problematische Stoffe. Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Stichwort geben - ich hätte das gerne ausführlicher gemacht, kann das aber nicht mehr tun -, nämlich das Stichwort „nachwachsende Rohstoffe". Ich bedaure eigentlich, daß wir darüber nicht schon mehr diskutieren konnten. Wir haben heute die Situation, daß wir einerseits die landwirtschaftliche Produktionsfläche zumindest in Mitteleuropa gar nicht mehr für die Produktion von Nahrungsmitteln ausschöpfen können; andererseits verbrauchen wir Rohstoffe, die nicht mehr nachwachsen, die in Jahrmillionen gewachsen sind und die unersetzbar sind. Ich halte es für natürlich und begrüße es, daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht die Forschung wirklich deutlich verstärkt; wir müssen versuchen, zur Energienutzung nachwachsende Rohstoffe einzusetzen. Vielleicht können wir damit gleichzeitig unserer Landwirtschaft eine Perspektive dafür bieten, wie wir unseren Grund und Boden sinnvoll nutzen können. Danke schön, Frau Präsidentin. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Haus leidet nicht gerade an Überfüllung. Das werden wir heute abend im Fernsehen sehen. ({0}) Da wir alle wissen, daß das teilweise gar nicht anders geht, da wir wissen, wie belastet wir sind, und sehen, daß auch die Fraktion DIE GRÜNEN von der Auszehrung nicht verschont geblieben ist, ({1}) sollte uns das dazu befähigen, in Zukunft mit moralischen Vorwürfen in diesem Zusammenhang etwas sparsamer zu sein. ({2}) Mich stört an dieser ganzen Debatte, die wir nun schon seit Stunden führen, eines: daß Umweltschutz so dargestellt wird wie ein Kampf der Fraktionen untereinander. Das ist einfach falsch; denn solange in diesem Hause über Umweltschutz debattiert wird - und das geschieht seit über 15 Jahren -, gehen die Fronten in dieser Frage quer durch alle Fraktionen. Wir haben die Widerstände in den eigenen Fraktionen gehabt: Sie, Sie auch, die CDU brauche ich nur an die heftigen Kämpfe zu erinnern, die wir im Zusammenhang mit allem, was die Wasserreinhaltung angeht, haben führen müssen. Aber Umweltschutz war ja vor 15 Jahren nicht einmal populär. Ich erinnere daran, daß, als das Detergentiengesetz beraten wurde, der Eindruck entstand, alle Waschmaschinen gingen kaputt. Beim Benzinbleigesetz stürmten die Autofahrer und nicht nur die Mineralölindustrie. Als Reinhold Maier mit der Wasserreinhaltung anfing, wurde er verlacht. Als Willy Brandt vom blauen Himmel über der Ruhr sprach, lachten sich die Leute kaputt, weil sie dachten, wenn die Schlote rauchten, sei das ein Zeichen von strotzender Gesundheit. Lärmbekämpfung war etwas für nervenschwache Zeitgenossen. Alles das ist vorbei. Ich finde, man muß einmal betonen, daß sich die Einstellung zum Umweltschutz nicht nur in diesem Hause, sondern in der Öffentlichkeit drastisch geändert hat. ({3}) Ich denke an meine erste Rede zum Umweltschutz, die ich 1972 hier gehalten habe. Damals war es eine pure Ketzerei, zu sagen: Wenn es keine größeren freiwilligen Leistungen der beteiligten Wirtschaft im Bereich des Umweltschutzes gibt, wird der Staat zu immer mehr Interventionen in den Ablauf von Produktionsweisen, von Produkten und Gütern gezwungen sein und damit im Endergebnis den Kern freier Wirtschaft vernichten müssen. Das war eine pure Ketzerei. Die Entwicklung zeigt, daß die Warnung durchaus berechtigt war. Wir haben also seit 15 Jahren eine konsequente Umweltschutzpolitik betrieben. Wir sollten und müssen mit dieser Politik gemeinsam fortfahren. Umweltschutz hat sich gewandelt von dem Ziel der Abwehr zu einer Verstärkung der Vorbeugung, zu dem Ziel, Belastungen gar nicht erst eintreten zu lassen, Umweltschutz vielmehr an der Quelle zu be5488 treiben. Das gilt für die beiden Bereiche, über die wir im Augenblick sprechen, Abfallwirtschaft und Wasserreinhaltung, natürlich in besonderem Maße. Ich will nicht in dieses Matadorenrennen der chemischen oder technischen Sachverständigen eintreten. Es reicht, wenn man ein paar Zahlen nennt. In der Bundesrepublik werden jährlich 90 Millionen Tonnen Abfälle erzeugt. Das ist etwa ein Volumen, das dem Großglocknermassiv entspricht. Davon sind fast 10% problematische oder gefährliche Sondermülle. Wir haben 1975 50 000 meist wilde Deponien gehabt. Die Folgen spüren wir heute noch bei den unbewältigten Problemen der Altlast. 1980 gibt es 530 Zentralanlagen der öffentlichen Abfallbeseitigung. In der Europäischen Gemeinschaft werden jährlich 20 Millionen Tonnen toxische oder gefährliche Abfälle erzeugt. Die Beseitigungskapazität liegt bei maximal 7 bis 10 Millionen Tonnen, also bei knapp der Hälfte der erzeugten Sondermülle. Wir müssen in der Bundesrepublik in der Tat die Abfallbeseitigungsgesetzgebung fortführen. Wir müssen - ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im Innenausschuß - wirksame Regelungen des Exports und Imports und des Transits gefährlicher Abfälle beschließen, die Folge aus dem Dioxin-„Tourismus". Ich hoffe, daß wir das im Innenausschuß vor der Sommerpause erledigen können. Außerdem steht die vierte Novelle an: Verwertungs- und Beseitigungsgebote, eine Technische Anleitung Abfall, die Möglichkeit produktbezogener Regelungen zur Verringerung und zur Verwertung von Abfall. Wir müssen uns Klarheit verschaffen über die Dioxine. Das ist mehrfach gesagt worden. Wir erwarten dazu einen Bericht der Bundesregierung nach der Sommerpause. Es wird in der Tat Zeit, hier sowohl aus Hysterien herauszukommen als auch entschlossen das zu tun, was notwendig ist, um zu verhindern, daß die Bundesrepublik weiter mit schwer abbaubaren Toxinen belastet wird. Wir müssen uns einmal ernsthaft fragen und uns das auch im einzelnen darstellen lassen, wie es eigentlich kommt, daß die 1982 getroffenen Vereinbarungen mit der Industrie, insbesondere der Getränke- und Verpackungsindustrie, über die Reduzierung der Einwegpackungen nicht erfüllt worden sind. Nichts davon ist erfüllt worden. Wenn der Innenminister dazu nun gesetzliche Regelungen ankündigt, hat er unsere volle Unterstützung. Bei der Wasserreinhaltung muß man daran erinnern, daß das Abwasserabgabengesetz, das System der Abwasserabgabe, am Anfang außerordentlich umstritten war, daß auch die Länder alles getan haben, um eine wirksame Abwasserabgabe zu minimieren, sie soweit wie möglich hinauszuschieben. Jeder von uns kennt diese Diskussionen. Es hat sich bewährt. Es ist ein enormes Investitionsvolumen ausgelöst worden: im öffentlichen Bereich in den letzten zehn Jahren fast 50 Milliarden DM für Wasserreinhaltung, im industriellen Bereich 800 Millionen DM pro Jahr. 80 % der Einwohner sind an eine Kanalisation angeschlossen. Bei 75 % werden die Abwässer vollbiologisch geklärt. Es gibt kein anderes europäisches oder außereuropäisches Land, das vergleichbare Zahlen aufweist. Trotzdem muß auch das fortgeführt werden. Das wurde hier schon ausgeführt, auch von Herrn Müller. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Problem der IndirektEinleiter, die nicht zufriedenstellende Regelung der kommunalen Gebühren, die keine Rücksicht nehmen auf den verschiedenen Verschmutzungsgrad der eingeleiteten Abwässer. Es müssen neue Parameter her hinsichtlich der Giftigkeit einzelner Abwässer; Stichwort: Schwermetalle und anderes. Wir müssen das Wasserhaushaltsgesetz verschärfen, um sicherzustellen, daß die Wasserreinhaltung nach dem jeweiligen Stand der Technik erfolgt. Wir müssen Besitzstände abbauen. Wir müssen die Phosphate in den Waschmitteln abschaffen - das hat Herr Laufs schon dargestellt -, und wir müssen einen vorbeugenden Grundwasserschutz gegen eine zunehmende Belastung mit Mineralölen, Nitraten, mit Pflanzenschutzmitteln betreiben. Hier ist auch das Problem der Versauerung anzuführen. Hier droht der zukünftigen Trinkwasserversorgung ein schwerer Eingriff. Ich glaube, daß der vorbeugende Grundwasserschutz eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Bereich ist, der wir uns gegenübersehen. Die Geduld der Natur ist nicht unendlich, und unsere Zeit ist begrenzt. Es wird Zeit, sich im Interesse der Gemeinschaft über Interessen und Interessentenpolitik hinwegzusetzen und nicht der Verlokkung anheimzufallen, eine europäische Umweltschutzpolitik nach dem System des langsamsten Schiffes zu betreiben. Es ist auch nötig, dafür Zeichen zu setzen. Das ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für uns - ich komme auf das zurück, was Herr Baum vorhin gesagt hat -, an dem Ziel, den Umweltschutz als ein Staatsziel in der Verfassung festzuschreiben, unbeirrt festzuhalten. Wir müssen das zusammen mit vielen anderen tun: mit den Umweltschutzministern, die Ihrer Partei angehören, mit den Ländern, mit einem großen Teil dieses Hauses. Auf diese Weise können wir deutlich machen, daß der Umweltschutz ein verpflichtendes Handlungsziel für staatliches Handeln, ein Abwägungsmaßstab für die Verwaltung und für die Rechtsprechung sein muß. Dafür brauchen wir das. Ich wäre froh, wenn sich das ganze Haus in diesem Bewußtsein zusammenfinden könnte. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde beklagt - ich glaube, vom Kollegen Laufs -, daß in mancher Aktion des Umweltschutzes zuviel Sprunghaftigkeit und zuviel Hektik zu finden sei. Das spiegelt aber nur wider, was an Aufregung auch in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Insofern haben wir hier in der Tat ein Abbild der Gesellschaft vor uns. Ich würde ihm widersprechen, wenn er sagt, die Politik der Bundesregierung sei mit dem Begriff Politik des langen Atems zu charakterisieren. Ich glaube, er verwechselt den genannten Begriff mit dem Begriff Zögern und Zaudern. ({0}) Dabei erhebe ich gar nicht den Vorwurf, daß nicht intensiv und sachverständig an einer Vielzahl von Problemen gearbeitet würde. Aber ich habe den Eindruck, diese Regierung kann sich nicht über den Einsatz wirklich greifender Instrumente verständigen. Ich will den Versuch machen, das an Hand einiger Aussagen des Innenministers auch deutlich zu machen. Wir haben ja vor wenigen Tagen den Tag der Umwelt gefeiert. Er stand unter dem Motto: Schützt Ufer und Küsten. Das hängt also mit dem Gewässerschutz zusammen. Der Innenminister hat sich appellierend an die Bevölkerung gewandt und gesagt: Umweltschutz fängt bei jedem einzelnen an. Entscheidend ist, daß alle Mitbürger nach ihren Kräften und Möglichkeiten mithelfen. - So gut, so richtig. Es gibt ja in der Tat eine Fülle von Maßnahmen, die durchaus bewußt genutzt werden. Aber dann hat er etwas gesagt, was er nach meiner Meinung hätte unterlassen sollen, denn es gibt Anlaß zu Mißverständnissen; wenn es sich aber um ein Programm der Regierung handeln sollte, dann muß dem deutlich widersprochen werden. Er sagt: Nicht Gesetze, nicht die Entwicklung neuer umweltfreundlicher Verfahren und Produkte, auch nicht neue planerische Maßnahmen können die Bedrohung unserer Umwelt wesentlich mindern. - Meine Damen und Herren, wenn ein Minister das sagt, dann habe ich den Eindruck, er hat die Kiste, in der er seine Instrumente hat, zugenagelt. Er beschränkt sich jetzt in der Tat darauf, hier zu appellieren. ({1}) Ich muß ihn ernstlich fragen, wie er mit dieser Feststellung den Landwirten eigentlich klarmachen will, daß sie einen Beitrag dazu zu leisten haben, die Belastung des Grundwassers mit Nitraten zu reduzieren. Ich weiß auch nicht, wie er mit dieser Philosophie in der Industrie dafür werben will, daß schädliche Abwässer stärker gereinigt werden. ({2}) Ich frage mich auch, wie er beispielsweise in seinen sicherlich nicht leichten Verhandlungen mit Ländern und Gemeinden einen Beitrag dazu leisten will, daß wasserwirtschaftliche Planung betrieben wird, um die Grundwasserbestände zu schützen. Einem Minister, der sich weigert, vorhandene Mittel einzusetzen, kann man den Vorwurf, daß er zögert und zaudert, nicht ersparen. ({3}) Meine Damen und Herren, auch das läßt sich wieder belegen. Wir haben vor etwa zwölf Monaten den Erfahrungsbericht über die Wirkungsweise des Abwasserabgabengesetzes bekommen. In diesem Bericht sagt der Innenminister deutlich, welche Notwendigkeiten zur Änderung des Gesetzes er sieht: Erweiterung der Schadparameter, Änderung der Höchstwertregelung, Erhöhung der Abgabesätze, verursachergerechte Abwälzung der Abgabe. Ein Jahr ist verflossen: Offenbar wird in diesem Haus Prüfung sehr groß und Handeln sehr klein geschrieben, denn anders ist das ja wohl nicht zu begreifen. ({4}) Ich will den Versuch machen, in drei Punkten deutlich zu machen, wo Sozialdemokraten die Schwerpunkte der Aktivitäten im Gewässerschutz sehen. Erstens. Die Anforderungen an Abwassereinleitungen müssen sich bei nichtabbaubaren Schadstoffen am Stand der Technik und nicht an den allgemein anerkannten Regeln der Technik orientieren. ({5}) Insofern muß das bestehende Wasserhaushaltsgesetz geändert werden. Es hemmt und verzögert technische Möglichkeiten der Reinhaltung. Zweitens. Wenn das Abwasserabgabengesetz seine Funktion beim Gewässerschutz nicht völlig verlieren will, müssen wir zu einer deutlichen Erhöhung der Abgaben kommen, damit ein vernünftiger ökonomischer Anreiz geschaffen wird oder zumindest erhalten bleibt; im Augenblick wird er abgebaut. ({6}) Die Teile, die ökologische Ungereimtheiten enthalten - beispielsweise ist die jetzige Regelung über die Halbierung der Abgabe völlig für die Katz' -, ({7}) müssen eliminiert werden. Wir müssen Regelungen zur Stärkung des Verursacherprinzips treffen, die es z. B. den Gemeinden ohne Komplikationen ermöglichen, industrielle Einleiter nach dem Schadstoffanteil zu belasten. Ich bin mir nicht sicher, ob der Weg, der hier von den GRÜNEN vorgeschlagen wird, der zweckmäßige ist. Wir werden im Innenausschuß darüber streiten müssen, ob es hierzu nicht noch etwas Besseres gibt. Ein dritter Punkt: Nicht alle notwendigen Maßnahmen werden auf den Verursacher zurückgeführt werden können. Deshalb können wir nicht allein das Verursacherprinzip im Auge haben. Es bleibt eben, wenn wir tatsächlich etwas bewegen wollen, ein Teil der Last für die öffentlichen Hände. Hier glauben wir, daß wir mit unserem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ein Angebot gemacht haben, das das Gemeinlastprinzip auch finanzierbar macht. ({8}) Wir hoffen sehr darauf, daß Sie mit uns gemeinsam eine derartige Entwicklung tragen können. Nun will ich noch ein Wort aufnehmen, das der Herr Innenminister heute morgen gebraucht hat. Er hat es für richtig gehalten, den Bundestag vor unrealistischen Anträgen und Anfragen zu warnen. Ich halte es schon für ein fragwürdiges Unterfangen, sozusagen Zensuren zu erteilen, qualifizieren zu wollen, was realistisch oder nicht realistisch ist. ({9}) Und ich kann an einem Beispiel zeigen, wie schnell sich Situationen ändern. Herr Innenminister, eine heute für normal und glaubwürdig gehaltene Beschreibung der Schäden in unseren Wäldern wäre vor drei oder vier Jahren von Ihnen noch mit der Argumentation „Horrorgemälde" und „unrealistisch" abgetan worden. ({10}) Offenbar gibt es auch im Bayerischen so etwas wie ein Generationsproblem. Der ältere Bayer setzt auf Realismus. Er setzt auf das, was an Umweltmangel ist, was - im Beamtenton - verwaltet werden muß. Der jüngere Kollege Fellner spricht von Kreativität, um Vorsorgepolitik im Umweltschutz überhaupt zu ermöglichen. Vielleicht ist diese Kreativität, nach der gerufen wird, das einzige Realistische zur Bewältigung unserer Lage. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Duve hat vor einigen Jahren von dieser Stelle aus aufgefordert, die parlamentarische Behandlung des Nordsee-Gutachtens nicht in einem Ritual erstarren zu lassen. Er hatte sicher gute Gründe dafür, dem Plenum so ins Gewissen zu reden. Und er mag deshalb mit mir zusammen darüber froh sein, daß die jetzige Regierung die rituelle Erstarrung durchbrochen hat und dort handelt und mit Taten vorangeht, wo andere nur geredet haben. ({0}) Das, was inzwischen eingeleitet und begonnen wurde, um die Probleme der Nordsee zu lösen, ist sicher noch nicht genug, aber es ist sicher richtiger, nicht nur Umweltschutz in Form von Pressemitteilungen, nicht nur Umweltschutz mit markigen Worten zu machen, sondern die als richtig erkannten Wege konsequent zu beschreiten. Das Thema Umweltschutz verlockt immer wieder, daraus politisch und ideologisch Kapital schlagen zu wollen. Das zeigt zum Teil auch die heutige Debatte. Aber die Probleme gerade der Nordsee sind viel zu ernst, als daß sie zu solchen Spielchen herangezogen werden dürften. Wir müssen uns dafür hüten, nur Emotionen zu wecken und die öffentliche Meinung hochzupeitschen. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß die Themen und Probleme sachlich und fachlich fundiert diskutiert, Ursachen festgestellt und eingegrenzt werden, um dann zu effektiven, zielgerichteten Lösungen zu kommen. Es hilft uns bei der Lösung der Probleme überhaupt nicht weiter, wenn hier, wie kürzlich von der Frau Kollegin Blunck, von der „Kloake Nordsee" gesprochen wird, in der man nicht mehr baden kann, an deren Stränden man bei jedem Schritt in Ölklumpen tritt. ({1}) Das kann und darf nicht die Art sein, Probleme der Nordsee beschreiben, zu analysieren und lösen zu wollen. Am 1. Juli 1983 ist ein Forschungsprojekt angelaufen, finanziert vom Umweltbundesamt, getragen von der Vogelwarte Helgoland, vom DHI und vom Verein Jordsand, das Aussagen über die Anzahl der Ölopfer bei den Seevögeln und, was wichtig ist, über die Herkunft dieses Öls erbringen soll. Die Zahlen, die Dr. Vank und seine Mitarbeiter inzwischen gesammelt haben, sind für denjenigen, der sich mit der Materie beschäftigt, erschreckend genug. Es bedarf also nicht zusätzlicher Horrormeldungen. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, daß es sich bei dem weitaus größten Anteil der Ölverschmutzungen um Schwerölrückstände aus der Schiffahrt handelt. Nur wenn man weiß, woher die Verschmutzungen kommen, ist man in der Lage, diese gezielt einzudämmen und gezielte Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Diese willkürlichen Verschmutzungen der Nordsee von den Schiffen aus können aber nur unterbunden werden, wenn die Kette - angefangen von einer Entsorgungspflicht bei genügenden Entsorgungskapazitäten in den Häfen über eine funktionstüchtige sichtunabhängige Überwachung der Nordsee bis hin zur Möglichkeit, empfindliche Strafen gegen Ölsünder auszusprechen - keine Lücke aufweist. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie wirklich helfen wollen, dann sorgen Sie dafür, daß Ihre Genossen, die zur Zeit in unseren großen Seehäfen zum Teil noch das Ruder in der Hand halten, ihre Pflicht auf diesem Gebiet tun. ({2}) Herr Jansen, wenn Sie den Vorschlag machen, die Entsorgung im Nordostseekanal vorzunehmen und dort Entsorgungskapazitäten zur Verfügung zu stellen, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie von der Schiffahrt und ihren Problemen wohl etwas wenig Ahnung haben. Sie haben sicherlich auch nicht gewußt, daß gerade die Kommunen, gerade die Städte, gerade die Hafenstädte und die Länder aufgefordert und verantwortlich dafür sind, die Entsorgungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Das Modell, die Kosten der Entsorgung mit in die Hafengebühren einzubeziehen, ist meines Erachtens trotz aller Bedenken der entsprechenden Wirtschaftssenatoren doch noch eine Überlegung wert. Die ebenso notwendige Luftüberwachung der Nordsee muß so aufgebaut werden, daß eine abschreckende Wirkung gewährleistet ist. Sie muß lückenlos, wetter- und sichtunabhängig sein, und Carstensen ({3}) notwendigerweise hat sie abgestimmt mit anderen Anrainerstaaten zu erfolgen. Wir begrüßen ausdrücklich die Bereitschaft unserer Bundeswehr, ihre Maschinen und ihr Know-how für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen. ({4}) Eventuelle Verstöße gegen die Verschmutzungsverbote müssen für die Täter riskant, insbesondere aber auch wirtschaftlich unrentabel sein. Im November letzten Jahres wurde der peruanische Frachter „Ilo" beim Ablassen von 01 auf der Nordsee erwischt. Das Amtsgericht Hamburg hat den Kapitän des Schiffes, wohl weil es keine andere rechtliche Möglichkeit hatte, zu 240 Tagessätzen à 8 DM - das sind 1 920 DM - verurteilt. Eine ordnungsgemäße Entsorgung des Schiffes hätte Kosten von ungefähr 30 000 DM verursacht. Solche Strafen reichen natürlich nicht aus. Im Gegenteil, sie verführen die Schiffsführer noch dazu, gegen das Gesetz zu verstoßen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, die Möglichkeiten zu schaffen, empfindlich und den gesparten Kosten angemessen zu bestrafen. Es ist zu überlegen, ob nicht auch Schiffseigner oder Reeder in die Bestrafung mit einbezogen werden sollten. Ein leider immer größer werdendes Problem, das parallel zur gerade angesprochenen Entsorgung der Schiffe gelöst werden kann und muß, sind die festen Abfallstoffe in und an der Nordsee: Plastik, Flaschen, Verpackungen, Tauwerk und Netzreste. Das Amt für Land- und Wasserwirtschaft in Husum, zuständig für die Treibselabfuhr von den Deichen in Nordfriesland, rechnet allein für die Beseitigung des unverrottbaren Mülls mit Kosten in einer Größenordnung von 100 000 DM jährlich. Die Gemeinde Westerland gibt jährlich ca. 250 000 DM für die Beseitigung des Mülls an ihrem 7 km langen Strand aus. Die angesprochene Meeresverschmutzung durch den Schiffsbetrieb wird ein Themenschwerpunkt auf der im Herbst in Bremen stattfindenden internationalen Nordseeschutzkonferenz sein. Es gilt, dort für eine Weiterentwicklung des MARPOL-Abkommens zu sorgen, aber auch für das beschleunigte Inkrafttreten der Anlagen 3 bis 5 dieses Abkommens. Gerade weil der Schutz der Nordsee ein internationales Problem ist und weil jeder Erfolg und auch unsere Anstrengungen abhängig davon sind, wie die anderen Nordseeanrainerstaaten in ihren Bemühungen mitziehen, begrüßen wir ausdrücklich die Anstrengungen der jetzigen Bundesregierung zur Vorbereitung dieser Nordseeschutzkonferenz. ({5}) Ich möchte Ihnen, Herr Innenminister, dafür recht herzlich danken. ({6}) Die Notwendigkeit, zu internationalen Absprachen und Regelungen zu kommen, wird besonders auch bei den heute noch erfolgenden Verklappungen in der Nordsee deutlich. Von uns aus werden die Einbringungen dieser Abfälle laufend verringert, und wir sind bei diesen Anstrengungen vorausgegangen und inzwischen den anderen Staaten weit voraus. Mir wäre es recht, wenn schon morgen die Verklappungen insgesamt eingestellt würden. ({7}) Aber der Nordsee ist überhaupt nicht damit geholfen, wenn von uns einseitig Verklappungsverbote ausgesprochen werden, aber durch die Verlagerung von Produktionen in andere Länder der Gesamteintrag durch die verstärkten Verklappungen von dort aus gleichbleiben. Allerdings sollte auch die Frage geklärt werden, ob das Verklappungsgebiet nicht aus dem Verwirbelungsgebiet um Helgoland in den Atlantik verlegt werden kann. Intensive Anstrengungen sind ebenfalls erforderlich, die derzeit erfolgende größte Verschmutzung, nämlich vom Land aus durch die Flüsse, wirksam einzudämmen. Hier gilt es, nicht nur zu internationalen Ergebnissen zu kommen, auch die nationalen Verursacher werden sich im Sinne einer strikten Durchführung des Vorsorgeprinzips auf eine Festsetzung von strengen Emissionswerten einstellen müssen. Auch hier ist die Opposition gefordert, z. B. ihren Parteifreunden in Hamburg mal auf die Füße zu treten, daß der Dreck aus Hamburg in Hamburg bleibt, woanders deponiert wird und nicht in die Nordsee kommt. ({8}) Die Nordsee, meine Damen und Herren, braucht ein umfassendes internationales Schutzkonzept, das nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch konsequent und in aller Strenge angewendet wird. Diese Bundesregierung wird dort handeln, wo andere bisher nur geredet haben. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jansen.

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr gehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zur Nordsee komme, ein paar grundsätzliche Betrachtungen zur heutigen Debatte machen. Mit unserer heutigen Tagesordnung geben wir im Grunde zu, daß wir am Thema Umweltschutz einerseits noch grundsätzlich debattieren, sprich Verfassungsdebatte, andererseits Gesetzeslücken und Vollzugsdefizite beklagen und gleichzeitig Notprogramme beschließen und Katastropheneinsatzpläne ordnen. Dies zeigt das breite Spektrum dessen, was in Wirklichkeit politisch noch erledigt werden muß. Umweltschutz und der Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie haben wir uns inzwischen in alle Parteiprogramme geschrieben. Doch auf dem Weg vom Wollen zum Können liegen die Stolpersteine mit den Namen Sachzwang, Bequemlichkeit, Einzelinteressen und Inkonsequenz, und man beruft sich auf nicht ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse. Ich sage Ihnen offen: Mich interessiert der Streit der Gelehrten wenig, ob die Elbe, der Rhein, die Nordsee oder der Bodensee heute etwas weniger als vor fünf Jahren belastet sind und ob die Fische in diesen Gewässern gar nicht oder schon fast wieder genießbar sind. Nicht wegzuleugnende Tatsache ist doch, daß es viel zu viele und viel zu gefährliche Schadstoffeinleitungen in die Gewässer gibt, als daß wir die Politik der sanften Ermahnung, der Verzögerung und der milden Strafen unbeeindruckt fortsetzen können. Ganz gleich, ob der Wald nun um 30, 40 oder 60% unrettbar verloren ist, er braucht keine Groschen von wohlmeinenden Stiftungen, er braucht klare Gesetze für bessere Luft, wenn er auf Dauer erhalten werden soll, ({0}) und er braucht Förderprogramme für Investitionen, die dem Umweltschutz dienen. Nur aus dieser Klammerwirkung werden wir Erfolge haben, nicht aus allgemeinen Beschönigungen. ({1}) Ein blauer Himmel über der Ruhr, wie wir Sozialdemokraten schon 1960 auf Wahlplakaten forderten, ({2}) und die deutsche Waldidylle, die die Union jetzt in der Europawahl plakatiert, beide Parolen sind ohne Wert, wenn wir uns hier nicht zusammenfinden, um wirklich zu handeln. Weil ich meine, daß es im Umweltschutz gemeinsames Handeln geben muß, will ich noch einmal versuchen, eine Einigung zur Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel im Grundgesetz herzustellen. Ich war überrascht über das Nein der CDU/CSU-Fraktion heute vor dem Plenum. Wenn ich mir ansehe, was in Ihrer Partei und an der Basis debattiert wird, was Landesverbände Ihrer Partei tun, was Regierungen in den Ländern tun, wo Sie die Mehrheit haben, ({3}) dann ist das doch sehr interessant, was Sie hier praktizieren. Ich will das mal auf den Punkt bringen: Sie zeigen sich in dieser Frage nicht als Volkspartei, nicht als Fraktion, die die Debatte in der eigenen Partei vertritt, sondern als Fraktion, die immer wieder Industrieinteressen vertritt. Genau das ist der Punkt, um den es bei der Grundgesetzfrage geht. ({4}) Herr Dr. Laufs, bei Ihrer Anhörung hat Professor Leisner aus Erlangen vor folgendem gewarnt: der Staat könne sich mit dem Verfassungsauftrag im Rücken im Namen des Umweltschutzes dann vor allem zu eigentumsbeschränkenden Eingriffen ermächtigt fühlen. Bitte, begreifen Sie ohne ideologische Qualen: Das muß er, weil es seine Pflicht ist, unser aller Eigentum an sauberer Luft, sauberem Wasser und gesunder Pflanzenwelt vor dem unrechtmäßigen Eingriff jener Industriefirmen zu schützen, die Produktionssteigerungen und Gewinne zum Anlaß nehmen, sich an fremden Dingen zu bereichern. ({5}) Gerade im Umweltschutzbereich muß der Eigentumsbegriff neu überdacht und gegen jene geschützt werden, die an ihren Werkstoren Verbotsschilder zum Schutze ihres Eigentums anbringen und hinter der Fabrik Säuren, Dreck und Müll in die Luft, in die Flüsse und die Meere leiten. Dies ist unsere Aufgabe auf Grund unserer gemeinsamen Verpflichtung, für die Interessen der ganzen Bevölkerung einzutreten. ({6}) Ich bin fest davon überzeugt, daß die große Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik uns alle hier daran messen wird, ob wir bereit sind, den Umweltschutz endlich als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. ({7}) Wer dazu nicht bereit ist, wird zu Recht als Sprücheklopfer in Sachen Umweltpolitik hingestellt. ({8}) Da ich bei diesem Begriff bin, möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Dr. Zimmermann, besonders warnen, gegen dieses Vorhaben zu sein. ({9}) Ein Umweltminister, der gegen die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in die Verfassung ist, der ab 1. Januar 1986 neue Kraftfahrzeuge nur noch mit Katalysatoren zulassen wollte und dann feststellen mußte, daß er sich nicht genau genug über die europäische Rechtslage informiert hat, ({10}) und dem dann vielleicht noch eine Nordsee-ShowKonferenz statt einer Nordseeschutzkonferenz ins Haus steht, kann sich nach all den Vorschußlorbeeren, die er sich selber gegeben hat, nicht mehr als glaubwürdiger Umweltminister in die Öffentlichkeit begeben. ({11}) Deshalb lassen Sie mich in Sachen Nordseeschutzkonferenz folgendes sagen und als Empfehlung mit auf den Weg geben. Reden Sie dort, Herr Minister, nicht über Konvention und Langzeitpläne! Verlangen Sie schnell wirksame gemeinsame Sachprogramme! Machen Sie diese Forderung zum Test für Europa! Beenden Sie zuallererst und noch in diesem Jahr die Dünnsäureverklappung in der Nordsee - bei uns und mit den anderen! ({12}) Vereinbaren Sie sich mit festen Zeitpunkten, die noch in den 80er Jahren liegen müssen, über die Beendigung der Verbrennung hochgiftiger Stoffe auf der Nordsee und die Beendigung des Eintrags künstlich erzeugter Radioaktivität. Ich sage Ihnen voraus, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, daß die ansteigende Radioaktivität eines Tages für das Leben in der Nordsee größere Dimensionen erreichen wird als die derzeitige Dioxin-Problematik. Sie stehen dann wieder zu spät vor diesem Problem. ({13}) Einigen Sie sich, Herr Minister, mit anderen Staaten über einen konsequenten, nachprüfbaren Stufenplan zur Verringerung des Schmutzeintrags in der Nordsee aus den Flüssen - da sind wir uns einig - und aus der Luft. Es sind Hunderttausende von Tonnen Schmutz, die über Lufteintrag die Meere beeinträchtigen. Setzen Sie schnell durch, daß spätestens zum 1. Januar 1986, in allen Nordseehäfen eine Entsorgungspflicht für jedes Schiff sowohl für die Chemie- und Öltanks als auch - ({14}) - Herr Carstensen, wir sind uns doch wohl einig, daß das nicht eine Frage ist - siehe Brunsbüttel -, wo eine Firma, eine Stadt oder eine kommunale Behörde in irgendeinem Hafen allein irgend etwas tun kann. In allen Nordseehäfen muß es gleichzeitig geschehen. Die Entsorgungspflicht muß gleichzeitig in allen Nordseehäfen eintreten. Nur dann haben wir Wirkung. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN Carstensen ({15}) - Das hat nichts mit anfangen zu tun. Ein Hafen wird seine Lage, auch seine Konkurrenzlage, nur im Griff behalten, wenn er zu den gleichen Bedingungen arbeiten kann wie alle anderen Häfen in seiner Nähe. ({16}) Wenn Sie den Nord-Ostsee-Kanal ansprechen: Wir sollten es lassen, uns gegenseitig von Ahnung oder Nichtahnung etwa zu bescheinigen. Ich sage Ihnen: 60 000 Schiffe, die durch den Nord-OstseeKanal fahren und dort Liegezeiten haben, können in diesen Zeiten entsorgt werden ({17}) - in den Schleusen -, zumindest solange, wie das in den Häfen nicht passiert, und auf jeden Fall in den Bereichen, wo das zusätzlich möglich ist. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Redezeit ist gleich abgelaufen. Herr Minister Zimmermann, meine sehr geehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, der Zustand der Nordsee verträgt keine jahrelangen Diskussionen und Ratifizierungsprozesse mehr. Lassen Sie uns endlich handeln, international, aber auch durch nationale Maßnahmen. Wenn die Regierung ernst macht, hat sie dabei unsere Unterstützung, gegen jedermann, den wir treffen müssen, gegen Eigennutz, für den Erhalt der Lebenswelt unserer Kinder. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht auf die klassenkämpferischen Parolen eingehen, Herr Jansen, sondern die Ergebnisse unserer Anhörung, an der ich teilgenommen habe, hier in die Beratung einbringen. Es hat sich herausgestellt, daß den Forderungen nach Aufnahme des Umweltschutzes als Grundrecht oder als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz unsere Fraktion mit größter Zurückhaltung und Skepsis begegnet, was allerdings nicht heißen soll, daß wir uns einer intensiven Beratung in den Ausschüssen verschließen. In dieser unserer Haltung sind wir durch die Anhörung bestärkt worden, die unsere Fraktion am 28. Mai durchgeführt hat. Ich möchte mich im folgenden ausschließlich mit den verfassungsrechtlichen Problemen auseinandersetzen und dazu feststellen: Erstens. Ein Grundrecht auf Umweltschutz wird von uns abgelehnt. Damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Zahl der Vertreter von Lehre und Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland. Auch die von uns gehörten Sachverständigen und erstklassige Verfassungsrechtler in der Bundesrepublik haben sich insgesamt gegen ein Grundrecht auf Umweltschutz ausgesprochen. Hier verweise ich besonders auf Professor Kloepfer, der schon 1978 feststellte, daß von einer Neueinführung eines Umweltgrundrechts abzuraten sei, weil insgesamt die Nachteile die Vorteile übersteigen. Besonders schwierig ist dabei die Frage, wie man neben einem Umweltgrundrecht auch eine verfassungsrechtliche Umweltpflicht Pri5494 vater gegenüber dem Staat begründen und durchsetzen kann. Ähnlich ablehnend äußerte sich auch Professor Benda schon 1981. Zweitens. Es stellt sich die Frage, ob die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz im Hinblick auf dessen Struktur und Systematik überhaupt ratsam ist. Welche Staatszielbestimmungen kennt das Grundgesetz bisher im Wortlaut? Die Verfasser des Grundgesetzes haben aus wohlerwogenen Gründen unterlassen, Listen möglicher Staatsziele in die Verfassung aufzunehmen. Wenn ich es richtig sehe, kann hier nur auf die Sozialstaatsklausel in Art. 20 des Grundgesetzes und auf das Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 109 des Grundgesetzes verwiesen werden. Wesentlicher Sinn der Sozialstaatsklausel ist es, die Pflicht des Staates zum Ausgleich der Interessen und Meinungen, zur Wahrung des Gemeinwohls und die sich hieraus ergebenden rechtlichen Befugnisse festzustellen, nicht aber, bestimmte inhaltliche Zielsetzungen verfassungsrechtlich festzuschreiben. Drittens. Wenn man diese Aussage zur Grundlage seiner Überlegungen nimmt, muß man gegen die vorgeschlagene Einführung einer Staatszielbestimmung Umweltschutz, insbesondere in den Art. 20 und 28 des Grundgesetzes, Bedenken vortragen. Der Antrag der SPD-Fraktion greift zwar den Vorschlag der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge", den Umweltschutz als Staatszielbestimmung in Art. 20 des Grundgesetzes einzufügen, nicht auf, sondern schlägt einen eigenen Art. 20 a vor. Aber unser Bemühen, die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten abzuklopfen, veranlaßt mich, auf die besondere Bedeutung des Art. 20 des Grundgesetzes hinzuweisen. Denn aus Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes ergibt sich, daß Art. 20 des Grundgesetzes zu den wenigen unabänderlichen Grundentscheidungen der Verfassung gehört. Bedenken kommen aber auch daher, daß die staatsgestaltende Grundnorm des Art. 20 des Grundgesetzes zwar geeignet ist, die umfassende Leitvorstellung der sozialen Gerechtigkeit auszudrücken, daß sie aber nicht dafür geeignet ist, einzelne Aufgabenbereiche aus der rechtspolitischen Verantwortung des Gesetzgebers aufzunehmen. Viertens. Andere Vorschläge laufen darauf hinaus, einen Art. 37 a in das Grundgesetz einzufügen, mit dem Inhalt, daß die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Gleichzeitig wird dabei auf notwendige Bindungen und Pflichten hingewiesen, die durch Gesetz zu bestimmen sind. Dabei sollen auch der Ausgleich der betroffenen öffentlichen und privaten Belange geordnet und die staatlichen und kommunalen Aufgaben gesetzlich geregelt werden. Auch dagegen wurden in unserer Anhörung erhebliche Bedenken laut. Sie lassen sich darin zusammenfassen, daß es für die selbstverständliche, auch aus den Art. 1, 2 und 14 des Grundgesetzes abzuleitende Verpflichtung des Staates, sich um Umweltschutz zu bemühen, keiner ausdrücklichen Aussage im Grundgesetz bedarf. Es sei, so sagen die Sachverständigen, vielmehr zu fordern, daß der mögliche Zielkonflikt des Umweltschutzes mit anderen Staatspflichten nicht verfassungsrechtlich vorentschieden, sondern politisch ausgetragen werde. ({0}) Fünftens. Wenn man überhaupt eine Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz in Erwägung ziehen wolle, dann könnte, so einige unserer Sachverständigen, ein entsprechender Passus in Art. 109 des Grundgesetzes eingefügt werden. Und wenn überhaupt, dann müßte die Aussage so kurz als möglich sein, z. B. „Der Staat schützt die Umwelt". Es stellt sich nun natürlich die Frage, ob die Aufnahme eines solchen Programmsatzes wirklich weiterhilft. Das Grundgesetz hat bisher, wie ich schon sagte, auf solche Scheinnormen verzichtet und ist damit in einer anderen Lage als die Weimarer Verfassung. Selbst die schon mehrfach erwähnte Sachverständigenkommission ist zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Einbringung von den verschiedensten politischen Wunschvorstellungen und von Programm-Deklarationen ohne juristisch faßbaren begrifflichen Inhalt im Widerspruch zur Grundstruktur der Verfassung stünde. Sechstens. Eine besondere Schwierigkeit sehe ich darin, wie man das zu schützende Gut „Umwelt" auch nur einigermaßen rechtlich faßbar abgrenzen könnte. Die allgemeine Begrifflichkeit ist im Umweltrecht noch nicht so weit entwickelt, daß hier heute schon Klarheit herrscht. Ich könnte mir aber durchaus denken, daß man eines Tages zu einem eindeutig geklärten Begriff „Umwelt" und „Umweltschutz" kommt. Das wird am Ende einer Entwicklung sein, die eingeleitet ist durch die Vielzahl von gesetzlichen Regelungen im Bereich des Umweltschutzes. Vielleicht sollten die zuständigen Ausschüsse des Bundestages erst einmal die vorhandenen Gesetze aufarbeiten. Sie sollten erkunden, wo noch gravierende Schutzlücken sein könnten, wobei auch die bisherige Rechtsprechung heranzuziehen wäre, um dann, nach Jahren, vielleicht die Begrifflichkeit „Umweltschutz" abzuklären. Vielleicht kann man sich dann auch nochmals mit dieser Frage nach einer Staatszielbestimmung befassen. Siebentens. Wir sind auch vor einer Reihe von Unwägbarkeiten und Gefahren gewarnt worden. Ich will nur einige Punkte nennen, weil sie mir für die kommende Diskussion wichtig erscheinen: a) Es besteht die Gefahr einer großen und doch wenig bestimmten Kompetenzverlagerung auf den Staat. Im Namen des Umweltschutzes könnte sich der Staat zu allen möglichen Eingriffen legitimiert fühlen, wobei er besonders zu das Eigentum beschränkenden Maßnahmen kommen kann. b) Es wird befürchtet, daß das sowieso schon starke Anspruchsdenken noch weiter verstärkt wird. Das kann zu mehr Staatsaufgaben führen und damit auch zu einer Einengung der finanzpolitischen Bewegungsfreiheit von Regierung und Parlament. c) Man kann auch darüber nachdenken, ob eine einseitige Festlegung auf einen „Höchstwert Umweltschutz" gerechtfertigt ist, wenn nicht gleichzeitig andere wichtige Güter zu Staatszielen erhoben werden, etwa der Schutz der Intimsphäre oder der wirtschaftlichen Freiheit. Meine Damen und Herren, unser Bestreben ist es, in geduldiger Kleinarbeit die rechtlichen Probleme des Umweltschutzes zu regeln. Wichtig ist es jedoch, daß der Bürger den Umweltschutz auch als seine alltägliche Aufgabe sieht und entsprechend handelt. Nur, wir müssen schon vorangehen. ({1}) Nach unserer jetzigen Auffassung brauchen wir dazu keine Änderung unserer Verfassung. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat in der heutigen Umweltdebatte - wie in jeder anderen Debatte auch - große und kleine Worte gegeben. Es hat Stimmen gegeben, die schnelles Handeln fordern, und Stimmen, die Handeln gar nicht für erforderlich halten. Den letzteren möchte ich helfen, auf den Bonner Boden der Tatsachen zurückzukommen. Ich sage Ihnen zum Ende der Debatte: Während wir heute über Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit umweltpolitischen Handelns, über die mögliche Rolle der Verfassung im Umweltschutz geredet haben und leider auch ungeheuerliche und zynische Verharmlosungen über uns haben ergehen lassen müssen ({0}) - Sie haben schon nicht mehr die Sensibilität, darauf zu hören -, ({1}) sind in der Bundesrepublik Deutschland in diesen vier Stunden der Debatte 1 400 Tonnen Schwefeldioxide, 1 400 Tonnen Stickoxide, 3 800 Tonnen Kohlenmonoxid ausgestoßen worden und haben sich über Luft, Wasser, Boden und Menschen gelegt, ({2}) ganz zu schweigen von den 4 200 Kubikmetern Abwässern und 230 000 Tonnen Abfällen mit allen ihren unabwägbaren Risiken - wohlgemerkt, meine Damen und Herren, dies in dieser vierstündigen Debatte. Das, meine Damen und Herren, ist die umweltpolitische Wirklichkeit in der Bundesrepublik, das ist die Realität, meine Damen und Herren von der Abwieglerfront. ({3}) Und hier liegt ein sehr großes Problem, nämlich daß sich Mitglieder dieses Parlaments - ungeachtet aller Katastrophenmeldungen - nach wie vor an einer ungeheuerlichen Verharmlosungsstrategie beteiligen. ({4}) Beispiel Dioxin, 27. Januar 1984, Aktuelle Stunde: Der Kollege Boroffka von der CDU/CSU-Fraktion - ich sehe ihn nicht mehr; wahrscheinlich haben Sie ihn schon aus dem Verkehr gezogen ({5}) erklärt, er habe sich vor 30 Jahren mit irgendeinem Zeug die Hände gewaschen und halte sich heute noch für gesund. Eine Beschäftigung des Parlaments mit dem Hamburger Dioxin-Skandal hält er für überflüssig. 14. März 1984, Innenausschuß: Kollege Boroffka meint, es könne nicht für alle giftigen Substanzen ein eigenes Gesetz geschaffen werden. ({6}) Also, Umkehrschluß: Die Beschäftigung des Gesetzgebers mit der schleichenden Vergiftung der Menschen ist für ihn überflüssig. ({7}) Ich fordere Sie, meine Damen und Herren, Sie, Herr Kollege Boroffka, und mit Ihnen alle, die soeben auch wieder geklatscht, auf die Pulte geklopft haben, auf: Sagen Sie es den Eltern der mißgebildeten Kinder in Hamburg ins Gesicht, daß Sie sich als gewählter Vertreter dieses Volkes dafür nicht zuständig fühlen. ({8}) Sagen Sie es, meine Damen und Herren, den für ihr Leben lang entstellten und verkrüppelten Dioxinopfern ins Gesicht, daß Sie sich nicht zuständig fühlen. Oder legen Sie Ihre Mandate nieder und bringen Sie nicht unsere gesamte Zunft mit Ihrem Zynismus in Verruf. ({9}) Meine Damen und Herren, die Menschen haben genug von Ihrem Zynismus und von Ihrer eiskalten Politikverweigerung. ({10}) Sie können heute beweisen, ob es Ihnen mit Ihrer Verantwortung für die Menschen, die Sie hier vertreten, ernst ist. Stimmen Sie dem Verbot des Pflanzenbehandlungsmittels 2,4,5-T zu! Verbieten Sie die Herstellung und die Anwendung dieses Dioxinmittels - und dies, meine Damen und Herren, ab sofort! Dioxin ist in der Flugasche von Müllverbrennungsanlagen, im Boden, im Wasser, in der Luft und sogar in der Muttermilch. ({11}) Lamentieren Sie hier nicht, wie Sie es heute wieder tun, sondern verbieten Sie es! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Oder können Sie, meine Damen und Herren, dem Verbot von 2,4,5-T vielleicht deshalb nicht zustimmen, weil neben der für die Zulassung von Pflanzenbehandlungsmitteln zuständigen Biologischen Bundesanstalt noch eine - man höre gut zu - „Gemeinschaft der Freunde und Förderer" dieser Anstalt existiert? Zu diesem Freundeskreis sollen dem Vernehmen nach sowohl pharmazeutische Unternehmen als auch Hersteller von Pflanzenbehandlungsmitteln gehören. Legen Sie einmal die Mitgliedsliste offen, Herr Innenminister, damit das Parlament weiß, welche Freunde, Gönner und Förderer staatliche Genehmigungsbehörden haben! ({12}) Da ich weiß, daß Sie es nicht von sich aus tun werden, werde ich eine entsprechende Anfrage in diesem Parlament einbringen, damit wir wissen, wer sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt. ({13}) Ich finde es hochinteressant, zu wissen, ob sich hier wieder einmal ein Stück Wende oder ein Stück mehr Bananenrepublik breitmacht. Tatsache ist, die Zulassung von 2,4,5-T gilt noch bis Oktober 1985, weil die Bundesregierung nicht weiß, ob sie das Zeug für gefährlich hält oder nicht. ({14}) Bis dahin soll das Gutachten diese Frage klären. Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie damit für eine Sache und gegen Menschen und Natur entscheiden? Ist der Bundesregierung bewußt, daß sie die Rechtsstaatlichkeit über das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit stellt, wenn sie das Anwendungsverbot für 2,4,5-T als „nicht vereinbar mit der Rechtssicherheit" bezeichnet? Das ist so nachzulesen beim zuständigen Staatssekretär. Warum entscheiden Sie sich nicht für die Natur, für die gefährdeten Menschen, für giftfreie Muttermilch und gesunde Babys? Warum verbieten Sie 2,4,5-T nicht, wenn Sie dessen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht kennen? Warum wird es nicht verboten? Alternative Pflanzenbehandlungsmittel sind doch vorhanden. Bezeichnend ist - das sage ich auch zu den GRÜNEN -, daß wir als einzige Fraktion den Export von Clophen in Länder der Dritten Welt untersagen wollen. Ich halte es für zynisch, daß der Stoff bei uns von 1985 an nicht mehr zugelassen werden soll, aber die Dritte Welt mit unserem Ballast weiter umgehen soll und dann die Schwierigkeiten haben wird, die wir zur Zeit haben. Ich komme zum nächsten Punkt: Staatszielbestimmung. Ich sage offen: ich halte nichts von den Auseinandersetzungen der Verfassungsrechtler darüber - wie eben hier zu hören war -, wo denn der Umweltschutz im Grundgesetz besser aufgehoben wäre, und auch nichts davon, daß das zum Thema einer politischen Auseinandersetzung gemacht wird. Ich stehe voll hinter dem Antrag meiner Fraktion. Ob Staatszielbestimmung oder Grundrecht, gemeinsam ist den vorliegenden Anträgen doch der Wille, den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen durch eine Verankerung in der Verfassung zu einer nationalen Verpflichtung zu erklären. Die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz darf keine Differenz zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit bewirken. Männer und Frauen sind nach Art. 3 des Grundgesetzes seit 35 Jahren gleichberechtigt, leider Gottes oft nur auf dem Papier. Die Gefahr ist groß, daß es dem Umweltschutz im Grundgesetz nicht besser gehen wird. Die Erwartungen sind hochgeschraubt, so daß eventuell nachher die Enttäuschung groß ist. Daß eine Aufnahme in die Verfassung nicht automatisch Besserung nach sich zieht, zeigt uns der Freistaat Bayern. Während die Aufnahme des Staatszieles Umweltschutz in die Landesverfassung kurz bevorsteht, wird 2,4,5-T im Bayerischen Wald gegen Borkenkäfer eingesetzt. So hat die verfassungsmäßige Verankerung natürlich nur eine Alibifunktion. Das wollen wir nicht. Ein Verfassungspunkt ist kein Ersatz für praktisches Handeln. Für uns ist das die Selbstverpflichtung dieses Parlaments. Darauf kommt es an. ({15}) Praktisches Handeln erwarten wir von Ihnen, meine Damen und Herren, z. B. von Herrn Baum. Herr Baum, von Ihnen erwarten wir dies heute auch in der Form der Zustimmung zum Verbot von 2,4,5-T. Was, Herr Baum, hat ein dioxingeschädigtes Kind von Ihren Freiburger Thesen oder von Ihren blumigen Parteitagsbeschlüssen, wenn Sie ankündigen, theoretisieren oder ganz schick liberal sind, aber das Giftspritzen einfach nicht verbieten wollen? Herr langjähriger Staatssekretär Baum, bereits im August 1973 haben die Japaner Grenzwerte für Stickoxide aus stationären Quellen festgelegt, zu einem Zeitpunkt also, Herr Baum, wo Sie bereits acht Monate Parlamentarischer Staatssekretär waren. Und da stellen Sie sich hier hin, allen Ernstes und ohne rot zu werden, ({16}) und behaupten, erst im letzten Jahr von der Gefährlichkeit der Stickoxide erfahren zu haben! So tief, Herr Baum, kann gar kein Wasser sein, daß Sie nicht wegtauchen können. Das muß man Ihnen einmal sagen. Sie, Herr Baum, haben zwölf Jahre lang an herausragender Stelle im Bundesinnenministerium gesessen, und jetzt soll es danach gehen: „Ach, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß." ({17}) Lieber Herr Baum, Umweltpolitik haben Sie in dieser neuen Regierungskoalition noch nicht bewegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch? - Keine. ({0})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben nur schicke Presseerklärungen herausgegeben. Was Ihren Amtsnachfolger angeht, will ich gar nicht werten, dies hat bereits ein Kabinettskollege getan. Ich brauche ihn nur zu zitieren. Wie formulierte Herr Minister Engelhard? Er bezeichnete Minister Zimmermann als Ankündigungsminister. Sie haben die Antwort schon in Ihrer eigenen Koalition gegeben. ({0}) Es ist auch nicht so, meine Damen und Herren, daß diese Regierung handlungsfähig ist. Schließlich hat sie es doch geschafft, innerhalb von 24 Stunden ein Amnestiegesetz bis kurz vor den Druchbruch zu bringen; schließlich haben Sie es doch geschafft, binnen Stunden Milliardensubventionen für die Landwirtschaft locker zu machen. Einfache, vorbeugende, für die Volksgesundheit unverzichtbare Beschlüsse wie das Verbot von 2,4,5-T werden jedoch jahrelang hinausgezögert. ({1}) Wie lange wird diese Koalition noch ankündigen, ohne zu handeln? Wie viele Debatten wird dieses Parlament noch sehen, ehe Sie endlich handeln? ({2}) Wie viele Umweltskandale brauchen wir eigentlich noch, bevor Sie anfangen zu handeln? Schönen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu den Tagesordnungspunkten 39 bis 48, 50 und 51 schlägt der Ältestenrat Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Überweisung ist so beschlossen. Zu Tagesordnungspunkt 51 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Ehmke ({0}).

Dr. Wolfgang Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000441, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Entschließungsantrag zur bevorstehenden Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus bei Helmstedt vorgelegt. Ich möchte diesen Antrag auf Drucksache 10/1587 kurz begründen. Der Hauptgrund für diesen Antrag ist der Zeitfaktor. In den nächsten Wochen soll dieses Kraftwerk ans Netz gehen, und wir haben praktisch nur noch in dieser und der nächsten Sitzungswoche Gelegenheit, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, bevor wir in die Sommerpause gehen. Deswegen muß hier schnell gehandelt werden; deswegen dieser Antrag. Man muß sehen, daß die Gesamtemission im Raum Helmstedt zu einer starken Belastung in der DDR führt. Ich glaube, daß sich die Bundesregierung in ihrem Bemühen, die Nachbarstaaten zu vermehrten Luftreinhaltemaßnahmen anzuhalten, unglaubwürdig macht, wenn sie nicht dafür sorgt, daß die Emissionen aus dem gesamten Raum Helmstedt drastisch vermindert werden. ({0}) Die Schwefeldioxidemission des Kraftwerks Buschhaus wird über 10 000 mg pro m3 betragen. Dies widerspricht den Lobreden auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, wo als Grenzwert 400 mg vorgesehen sind. Es widerspricht auch dem Geist des Bundesimmissionsschutzgesetzes, wenn die genehmigten Emissionen mehr als das 25fache dessen betragen, was nach der Großfeuerungsanlagen-Verordnung möglich ist. Die Gesamtschwefeldioxidemission im Raum Helmstedt soll zwar bis 1988 gleichbleiben, wobei im Probebetrieb sicher höhere Werte erreicht werden, aber auch dies widerspricht der Vorstellung von einer vorsorgenden Luftreinhaltepolitik, denn Neuanlagen sollten doch möglichst dazu dienen, die Situation zu verbessern, nicht aber sie so zu lassen, wie sie gerade ist. Dr. Ehmke ({1}) Wir haben in unserem Antrag auf den Grenzwert von 250 mg pro m3 verzichtet, obwohl dieser Grenzwert nach dem Gutachten von Professor Renz in Karlsruhe möglich gewesen wäre. Dort ist sogar ein noch niedrigerer Wert vorgesehen. Wir haben dies in der Erwartung getan, daß alle Fraktionen an einer Verbesserung der Lufthygiene im Raum Helmstedt interessiert sind und deshalb diesen Antrag mittragen können. Abschließend möchte ich darauf verweisen, daß sich sowohl das Berliner Abgeordnetenhaus als auch der Parteitag der FDP in Münster klar und deutlich für die Nichtinbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus ohne Entschwefelung ausgesprochen haben. Dies begrüßen wir. Ich meine, daß wir den Bürgern in unserem Lande und in der DDR nur bei Annahme unseres Entschließungsantrages vermitteln können, daß das Immissionsschutzgesetz überhaupt das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht. Ich appelliere deshalb an Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Nach der vorherigen Rede des Herrn Bundesinnenministers können Sie jetzt zeigen, daß das keine Sonntagsrede war und daß Sie ihren Worten auch Taten folgen lassen. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, gemäß § 28 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ehmke, wir können und werden Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. ({0}) - Es ist wie üblich bei Ihnen! Warten Sie doch, bis die Erklärung kommt, und sagen Sie dann etwas, nicht gleich zuerst. Wir können deshalb nicht zustimmen, weil einige Punkte dieses Antrags so nicht übernommen werden können. Sie fordern Sozialpläne, sie fordern die Übernahme von Verlusten und ähnliche Dinge. Ich will Ihnen aber unsere Meinung zu diesem Komplex sagen. Wir sind der Meinung, daß eine Senkung der Schadstoffemissionen im Raum Helmstedt vor 1988 möglich sein muß. Das gilt auch und insbesondere für die Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus mit seiner heutigen technischen Ausstattung. Eine zeitlich befristete Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus ohne Rauchgasentschwefelungsanlage mag zwar nach gegebener Rechtslage rechtlich zulässig sein; der Prozeß der Emissionsminderung muß jedoch beschleunigt werden. Unbestreitbar notwendige und mögliche Umweltschutzmaßnahmen sollten soweit wie möglich nicht erst zum spätesten - wenn vielleicht auch rechtlich zulässigen - Zeitpunkt durchgeführt werden. Luftreinhaltung ist ein Schwerpunkt unserer Politik. Das habe ich vorhin ausgeführt. Dem werden wir Rechnung tragen, und dem muß auch im Raum Helmstedt Rechnung getragen werden. Der Bundesinnenminister hat gestern - Sie bringen Ihren Entschließungsantrag heute ein - Gespräche mit dem Ministerpräsidenten Albrecht mit dem Ziel geführt, eine Fördermaßnahme im Zuge des Altanlagensanierungsprogramms aufzunehmen. Das hat den entscheidenden Vorteil, daß wir neue Technologien entwickeln, daß wir eine Verbesserung erreichen werden. Wir wollen diese Gespräche abwarten. ({1}) - Das ist nicht die Politik des „als ob", das ist die einzig realistische Politik. Was hätten Sie denn von der Annahme eines Entschließungsantrags, den Sie sozusagen aus der Hüfte schießen und nicht realisieren können? ({2}) - Wir werden handeln; Sie formulieren Entschließungsanträge. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort zur Begründung eines Antrags gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Hauff.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat eines klargemacht: Alle Fraktionen in diesem Bundestag stimmen darin überein, daß unsere Luft sauberer werden muß. ({0}) Ich denke, alle stimmen auch darin überein, daß Buschhaus - Frau Kollegin, damit bin ich beim Thema - der Testfall ist, ob den Worten auch Taten folgen. Im Zusammenhang mit Buschhaus muß allerdings angemerkt werden, daß das Verhalten der niedersächsischen Landesregierung als der zuständigen Genehmigungsbehörde unverantwortlich ist. ({1}) Der Herr Bundesinnenminister hat heute in seiner Rede das Wort Buschhaus nicht einmal in den Mund genommen. Es blieb unerwähnt. Im Interesse Berlins, im Interesse der Menschen in Berlin, im Interesse einer sauberen Luft, aber auch im Interesse einer guten Nachbarschaft mit der DDR muß ein klarer Stufenplan zur Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerke Buschhaus und Offleben erarbeitet werden. ({2}) Dabei geht es nicht um irgendeine Entschwefelung, sondern wir sagen klar und deutlich - ich denke, das sollte in einer Entschließung zum Ausdruck kommen -, daß dort das technisch beste Verfahren eingesetzt werden müßte. Es ist klar, daß dies nur geht, wenn sich der Bund als Eigentümer finanziell mitverantwortlich zeigt. Wer aber bei Buschhaus Verbesserungen will, der muß die Gemeinsamkeit suchen - auch im Bundestag. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat keinerlei Anstrengung gemacht, in dieser Frage rechtzeitig zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen. ({3}) - Sie haben gestern einen solchen Antrag angekündigt. Ich halte eine solche gemeinsame Auffassung aller Fraktionen für möglich. Jedenfalls, Herr Kollege Ehmke, halte ich es angesichts der Wichtigkeit dieses Themas für unumgänglich, einen sehr ernsthaften Versuch zu machen, zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen. Deswegen beantragen wir, den Antrag entsprechend § 88 Abs. 2 Satz 2 unserer Geschäftsordnung zu behandeln. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme diesem Antrag des Kollegen Hauff im Namen meiner Fraktion zu. Wir sind überrascht worden, Herr Kollege Ehmke. Sie hatten Kontakt mit uns, auch mit der CDU/ CSU-Fraktion, aufgenommen. Wir haben in Aussicht gestellt, daß wir über einen Antrag miteinander reden könnten. Statt dessen haben Sie uns jetzt den Antrag vorgelegt mit einer Reihe von Forderungen, die wir in dieser Weise nicht übernehmen können. Ich kann nur wiederholen: Meine Fraktion ist der Meinung - bestätigt durch einen Parteitag -, daß mit allem Nachdruck dafür gesorgt werden muß, daß das mit extrem schwefelhaltiger Salzkohle befeuerte Kraftwerk Buschhaus nicht ohne Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb genommen wird. Insofern stimmen wir mit Ihnen überein. Aber wir sind überrascht von den anderen Punkten dieses Antrags. Über dieses Thema möchten wir uns in der nächsten Sitzungswoche noch einmal unterhalten ({0}) mit dem Ziel, zu einer übereinstimmenden Meinung zu gelangen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, möchte Ihre Fraktion das noch einmal beantragen? - Das ist nicht erforderlich. Der Antrag auf Verschiebung der Abstimmung ist gebührend unterstützt. Damit ist diese Verschiebung beschlossen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Pflanzenbehandlungsmitteln mit dem Wirkstoff 2,4,5-T auf Drucksache 10/529. Es handelt sich um den Tagesordnungspunkt 38. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen des SPD-Gesetzentwurfs zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung. Meine Damen und Herren, wir haben noch - entsprechend Tagesordnungspunkt 49 - über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/1242 abzustimmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Stimmabgabe für die Beschlußempfehlung hat ausgereicht. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer Beratungen angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Juni 1984, 13 Uhr ein. Ich wünsche allen ein paar frohe Pfingsttage. Die Sitzung ist geschlossen.