Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 10/1452 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen stünde uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Voss zur Verfügung.
Die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Grünbeck soll aber auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich bereits abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Schlatter auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Absage von Delegationsreisen, die im Rahmen des Vertrages über den deutschdeutschen Jugendaustausch verabredet waren, durch die DDR, und wie bewertet sie die dafür gegebene Begründung, dab Aktivitäten westdeutscher Geheimdienste und der Verfassungsschutzbericht 1983 den Jugendaustausch beeinträchtigen?
Herr Kollege Schlatter, die Bundesregierung bedauert die durch das DDR-Reisebüro Jugendtourist erfolgten Absagen von Tourismusreisen Jugendlicher aus der DDR, die im Rahmen des zwischen den Jugendverbänden - dem Deutschen Bundesjugendring und der FDJ - vereinbarten Jugendaustausch verabredet waren. Von einer Beeinträchtigung des Jugendaustauschs unter der Verantwortung der Bundesregierung kann nicht gesprochen werden.
Zusatzfrage, bitte.
Würden Sie die Tatsache, daß diese Aktivitäten im Verfassungsschutzbericht 1983 unter der Überschrift „SED-Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland" zusammengefaßt
worden sind, nicht als einen Beleg dafür ansehen, daß es von unserer Seite aus sehr wohl eine Beeinträchtigung dieses deutsch-deutschen Jugendaustausches gegeben hat?
Herr Kollege Schlatter, ich kann Ihnen nicht zustimmen. Wenn Sie den Verfassungsschutzbericht 1983 einmal zur Hand nehmen, dann werden Sie sehen, daß dort lediglich drei Sätze zu diesem Thema zitiert worden sind, nämlich daß die FDJ ihre Bemühungen, auch den innerdeutschen Jugendaustausch für ihre politische Agitation auszunutzen, fortgesetzt hat. Dies ist sicher ein unbestreitbarer Sachverhalt. Es wird dann hinzugefügt, daß Touristengruppen aus der DDR, die in das Bundesgebiet reisten, von besonders geschulten FDJ-Funktionären angeführt worden sind. Ich weiß nicht, ob Sie das in Zweifel stellen wollen. In dem dritten Satz heißt es, daß bei den Teilnehmern es sich nahezu ausnahmslos um FDJ-Mitglieder handelte. Angesichts des Organisationsgrades der Jugend in der DDR überhaupt in der FDJ sollte auch dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Daß dies dort so registriert worden ist, kann meines Erachtens nicht der wirkliche Grund für diese Absagen sein.
Im übrigen, Herr Kollege Schlatter, ist es inzwischen so, daß keineswegs nur dieser Grund angeführt wird; es werden auch andere Gründe, wenn Sie so wollen, nachgeschoben. Es wird uns zunehmend schwerer, diese Gründe auszuräumen, selbst wenn das bei dem Grund Nr. 1, über den wir hier heute morgen reden, möglich sein sollte. Es wird dort beispielsweise auch angeführt, daß Politiker in der Bundesrepublik Deutschland vom Offenhalten der deutschen Frage sprechen. Ich gehe davon aus, daß auch Sie der Resolution des Bundestages vom 10. Februar zugestimmt haben, in der selbige Formulierung steht. Ich glaube, wir hätten viel zu tun, um alle diese Vorbedingungen zu erfüllen. Wir meinen deshalb, daß man nicht Vorbedingungen stellen sollte, sondern daß man das durchführen sollte, was zwischen den Jugendverbänden verabredet ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Wenn Sie von weiteren Gründen sprechen, darf ich mich bei Ihnen informieren, ob Sie denn auch die Angaben geprüft haben, die als weitere Gründe für die Absage ins Feld geführt worden sind, z. B. die Angaben, die im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" am 30. April veröffentlicht worden sind: Befragungen von Teilnehmern der Gruppenreise des Bundes der deutschen Pfadfinder oder Ausfragungen über Ergebnisse von Reisen in die DDR und umgekehrt bei der Zentrale des Bundesjugendringes, und wenn Sie geprüft haben, was war das Ergebnis Ihrer Überprüfung?
Herr Kollege Schlatter, dies gehört nicht zu den nachgeschobenen Gründen, die ich im Auge hatte, sondern dies bezieht sich ja unmittelbar auf den ersten Sachverhalt, nämlich den Verfassungsschutzbericht. Dazu kann ich nur sagen - wenn Sie danach noch einmal fragen wollen -, daß die DDR-Teilnehmer des Jugendaustausches in der Bundesrepublik Deutschland von Angehörigen des Bundesamtes für Verfassungsschutz weder observiert noch befragt worden sind.
Weitere Zusatzfrage. Frau Abgeordnete Terborg.
Herr Staatssekretär, sind auch Sie der Meinung, daß durch die Äußerungen in dem Verfassungsschutzbericht politischer Schaden an dem Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten entstanden ist und somit das Vorgehen des Innenministeriums in eklatantem Widerspruch zur deutschlandpolitischen Position der Bundesregierung steht?
Ich kann dies nicht so sehen, Frau Kollegin Terborg. Denn der Sachverhalt ist j a wirklich der, daß hier eine Formulierung aus dem Jahr 1982 so gut wie wörtlich wiederholt worden ist. Daß dadurch Schaden angerichtet worden sein soll, kann ich nicht nachempfinden. Im übrigen: Wenn Sie der Meinung sein sollten, daß dies so ist, wäre es vielleicht hilfreich, es bei dem bewenden zu lassen, was der Kollege Spranger uns in einer vertraulichen Sitzung des innerdeutschen Ausschusses dazu gesagt hat, und nicht die Frage öffentlich zu einer Prestigefrage für die eine oder die andere Seite zu machen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie hoch ist die Zahl der abgesagten Reisen, und werten Sie diese Reisen der FDJ-Gruppen als subversiv?
Herr Kollege Böhm, nach den Angaben des Deutschen Bundesjugendrings und der abwickelnden Reisebüros werden für 1984 insgesamt 66 DDR-Gruppen mit durchschnittlich 30 Teilnehmern pro Reise erwartet. Davon sind von der DDR 14 Gruppen bis einschließlich Mitte Juli dieses Jahres abgesagt worden. 1983 betrug im übrigen die Gesamtzahl der Gruppen aus der DDR 38 mit 1 220 Teilnehmern. Sosehr wir diese
14 Absagen - es sind 14 zuviel in unseren Augen -beklagen, kann man dennoch die Hoffnung haben, daß wir die Zahl von 1983 noch übertreffen können.
Um auf den zweiten Teil Ihrer Frage einzugehen: Wir betrachten diese Gruppenreisen selbstverständlich nicht als subversiv.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Löffler.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die entsprechende Passage im Verfassungsschutzbericht zwar unter dem Gesichtspunkt eines Verwaltungsbeamten durchaus korrekt ist, aber politisch im höchsten Maß ungeschickt ist und daß die Bundesregierung in allererster Linie dafür zu sorgen hat, daß die Politik gut ist und daß nicht die mitunter etwas abwegigen Maßstäbe eines Verwaltungsbeamten in der Politik voll zum Tragen kommen, und daß in Zukunft die Bundesregierung darauf achten soll, daß solche schädlichen Passagen nicht mehr in ihren Dokumenten auftauchen?
Herr Kollege Löffler, es ist im Grunde nicht meines Amtes, diese Frage zu beantworten, weil sie nicht unser Ressort betrifft. Wir sind an der Abfassung des Verfassungsschutzberichts 1983 ebensowenig beteiligt wie in Zukunft an dem Bericht 1984. Aber ich bin sicher, daß auch der zuständige Verwaltungsbeamte im Bundesinnenministerium die Diskussion, die wir z. B. heute morgen führen, im Auge haben und berücksichtigen wird, wenn er für 1984 formuliert.
Im übrigen habe ich Ihnen hier nicht meine persönliche Meinung mitzuteilen, sondern die Meinung der Bundesregierung, was ich bisher versucht habe.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Schlatter auf:
Was wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortung tun, um die Bedingungen für den deutsch-deutschen Jugendaustausch zu verbessern und Aktionen zu unterbinden, die den weiteren Ausbau des Jugendaustausches gefährden können?
Herr Kollege Schlatter, die Bundesregierung unterstützt den innerdeutschen Jugendaustausch u. a. durch Verbesserung der finanziellen Bedingungen. Sie befindet sich mit den Jugendverbänden der Bundesrepublik Deutschland in voller Übereinstimmung, daß der innerdeutsche Jugendaustausch erweitert und ausgebaut werden sollte. Daher ist die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortung bemüht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, eine mögliche Beeinträchtigung des Jugendaustauschs abzuwenden.
Zusatzfrage? Bitte.
Sie haben in Ihrer Beantwortung einer Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß der Bundesinnenminister das Ergebnis der Fragen und Antworten von heute morgen im Auge haben wird. Darf ich in diesem Zusammenhang erwarten, daß der Bundesinnenminister dann auch die Pläne für neue Melderichtlinien aufgeben wird, durch die der Bundesgrenzschutz verpflichtet werden soll, DDR-Reisende auszufragen und über die Ergebnisse dieser Ausfragung dem Verfassungsschutz zu berichten?
Herr Kollege Schlatter, auch über diesen Sachverhalt ist im innerdeutschen Ausschuß bereits gesprochen worden. Ich kann es nur als besonders wenig sachgerecht empfinden, wenn von seiten der FDJ jetzt eine möglicherweise geplante Änderung möglicher neuer Richtlinien als Grund in die Debatte eingeführt wird. Ich kann nur darauf hinweisen, daß die derzeit in Kraft befindlichen Richtlinien aus dem Jahre 1981 stammen, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen damals an der Abfassung dieser Richtlinien beteiligt war und daß derzeit nichts anderes geschehen ist, als daß ein Bericht der zuständigen Behörden an die Bundesländer geschickt worden ist, die zu den bisherigen Erfahrungen Stellung genommen haben.
Ob etwas und was gegebenenfalls daraus wird, sollte man in Ruhe abwarten, und zwar sowohl auf unserer Seite als auch auf der anderen Seite.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung künftig darauf achten wird, und zwar sowohl was den Verfassungsschutzbericht als auch andere Maßnahmen angeht, daß den verantwortlichen Stellen der DDR keine Anlässe für Einschränkungen oder Absagen von Reisen von DDR-Jugendgruppen in die Bundesrepublik von seiten der Bundesregierung geliefert werden?
Herr Kollege Schlatter, das kann ich Ihnen deshalb nicht versprechen, weil die andere Seite in diesem Zusammenhang sehr erfinderisch ist und z. B. jetzt Entscheidungen eines Oberlandesgerichts aus dem Jahre 1983 in den sogenannten Blauhemdenprozessen heranzieht. Hierauf hat die Bundesregierung natürlich keinen Einfluß. Sie hält es auch für wenig sachgerecht, Dinge, die bei der Abrede über diesen Jugendaustausch bekannt waren, jetzt plötzlich nachträglich in die Debatte einzuführen.
Was uns betrifft, werden wir selbstverständlich beachten, daß wir den Jugendaustausch für eine besonders wichtige Sache halten und daß wir ihn als eine empfindliche Sache ansehen, über die auch in der Öffentlichkeit nicht allzuviel diskutiert werden sollte. Das Wichtige ist, daß er läuft.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, liegen eigentlich bei uns Erkenntnisse darüber vor, ob Reisegruppen, die aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR fahren, dort von den Sicherheitsbehörden observiert werden?
Herr Kollege, nach den mir vorliegenden Informationen kann die Bundesregierung eine sogenannte Bespitzelung unserer Reisegruppen nicht bestätigen. Eine mögliche Verschlechterung des Klimas im innerdeutschen Jugendaustausch hat unseres Erachtens zuerst die Seite zu verantworten, die ohne vorherige Klärung mit ihren Gesprächs- und Vertragspartnern Absagen vorgenommen hat.
Im übrigen ist festzustellen, daß in umgekehrter Reiserichtung - und danach fragen Sie - keine Absagen erfolgt sind. Die Jugendreisen in Richtung DDR verlaufen ganz reibungslos.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Terborg.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die mittlerweile eingetretene Gefährdung des Jugendaustauschs abzuwenden, den Schaden zu begrenzen, und wie gedenken Sie das zu tun?
Frau Kollegin Terborg, eine konkrete Gefährdung dieses Jugendaustauschs ist selbst von der DDR bisher nicht vorgetragen worden. Wir wären selbstverständlich bereit, jedem konkreten Gefährdungstatbestand sorgfältig nachzugehen. Aber solche Tatbestände sind bisher nicht vorgetragen worden. Ich kann Ihre Frage daher theoretisch mit Ja beantworten, aber praktisch ist dies selbst von der DDR bisher nicht behauptet worden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Frau Reetz auf:
Wie hoch ist der Quecksilbergehalt der Kleinstbatterien, die auf Schmucktelegrammen der Deutschen Bundespost installiert sind, um musikalische Grüße auszusenden, und wie viele solcher Telegrammformulare wurden bereits verwandt?
Herr Präsident, wenn die Frau Kollegin Reetz einverstanden ist, bitte ich um die Erlaubnis, wegen des Sachzusammenhangs zugleich die Frage 5 mit zu beantworten.
Die Fragestellerin ist damit einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 5 der Abgeordneten Frau Reetz auf:
Wie hoch ist das dafür verbrauchte Quecksilber?
Frau Kollegin Reetz, die in den Telegrammschmuckblättern der Deutschen Bundespost enthaltenen Batterien zählen zu den quecksilberarmen Batterien. Der Quecksilbergehalt beträgt 0,8 % Gewicht. Das Gesamtgewicht der Batterie beträgt etwa 1 g. Bis zum 31. Januar 1984 wurden 200 787 tönende Schmuckblätter verkauft. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Die verkauften Batterien enthalten mithin eine Quecksilbermenge von etwa 1,6 kg.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, befindet sich auf diesen Schmucktelegrammen ein Aufdruck mit der Anweisung, daß diese Papiere zumindest vor Kindern sicherzustellen sind und daß auch im Hinblick auf die Müllverwertung besondere Sorgfalt walten muß?
Frau Kollegin Reetz, meines Wissens nicht. Ich will das aber gern noch einmal überprüfen.
Werden Sie sich dafür einsetzen, daß wenigstens das in Zukunft erfolgt?
Frau Kollegin Reetz, ich will auch diese Frage gerne prüfen. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Frage, die mit der Gefährdung zusammenhängt, schon einmal Gegenstand der Fragestunde war. Damals hat meines Wissens der Kollege Bindig danach gefragt. Die Bundesregierung hat damals geantwortet, daß sie wegen des geringen Quecksilbergehalts eigentlich keinen Gefährdungszustand sieht. Aber ich gehe Ihrer Frage sehr gerne noch einmal nach.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung. der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichtes Münster ({1}) zum Bundesausbildungsförderungsgesetz?
Frau Kollegin Schmidt, in den genannten Beschlüssen hat das OVG Münster entschieden, daß Schüler mit eigenem Haushalt, die verheiratet sind oder mit mindestens einem Kind zusammenleben oder elternunabhängig gefördert werden, auch nach der Neueingrenzung der Schülerförderung einen unveränderten Förderungsanspruch haben. Es handelt sich um Beschlüsse im summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung, dem ein Verfahren in der Hauptsache folgen wird.
Die Bundesregierung wird in diesem Verfahren an ihrem gegenteiligen Rechtsstandpunkt festhalten. Nach Auffassung der Bundesregierung kommt es bei der Schülerförderung allein auf die Nichterreichbarkeit einer Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus an. Das gilt auch für den oben genannten Personenkreis.
Demgegenüber führt die Auslegung des Gerichts im Ergebnis dazu, daß unverheiratete Schüler nur bei notwendiger auswärtiger Unterbringung gefördert würden, während verheiratete Schüler generell Förderung erhielten. Das entspricht nach Auffassung der Bundesregierung nicht dem Willen des Gesetzgebers. Mit einer solchen Ausweitung des Förderungsbereichs hat sich der Deutsche Bundestag nämlich am 13. April 1984 anläßlich der Beratung der achten Novelle zum BAföG beschäftigt und sich der in der Empfehlung des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft vom 28. März 1984 enthaltenen Auffassung angeschlossen, daß eine entsprechende Ausweitung des Förderungsbereiches nicht durch Gesetzesauslegung, sondern nur durch Gesetzesänderung zu realisieren wäre. Eine solche Gesetzesänderung hat der Bundestag wegen der hohen Mehrkosten von 30 bis 40 Millionen DM pro Jahr ausdrücklich abgelehnt.
Die Beschlüsse des OVG Münster vom 27. März und 17. April 1984 sind zu einem Zeitpunkt ergangen, zu dem das Gericht von diesen Beratungen des Bundestages noch keine Kenntnis haben konnte. Im Verfahren der Hauptsache wird die Bundesregierung Wert darauf legen, daß das Gericht davon unterrichtet wird.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß dieses Urteil im wesentlichen - nicht in allen Punkten - die Rechtsauffassung des Bundesrates bestätigt und daß auch in der von Ihnen angesprochenen Debatte von der SPD klargestellt worden ist, daß die Gesetzesänderung darauf zielte, diese Klarstellung im Gesetz endlich herbeizuführen?
Der Verlauf der Gesetzesberatungen im Bundestag hat eben zu einem anderen Ergebnis geführt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie weiter bestätigen, daß sich die Beschlußbegründung in diesem Fall im wesentlichen auch auf den Kommentar von Rohde-Blanke bezieht und daß Blanke der zuständige Unterabteilungsleiter in Ihrem Ministerium ist?
Die Begründung, die das Oberverwaltungsgericht Münster gegeben hat, wird in der Tat auch Gegenstand der Darlegungen im Hauptverfahren sein müssen, auf welche die Bundesregierung Wert legt. Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, daß es inzwischen Gerichtsbeschlüsse gibt, die die andere Auffassung, nämlich die Auffassung der Bundesregierung, stützen; beispielsweise drei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Schleswig vom August und November 1983 sowie vom März 1984.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 7 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung in allen anderen anhängigen Rechtsstreitigkeiten, z. B. in der Frage der Benachteiligung von Schülern, die Wehr- und Zivildienst geleistet haben, auch bei Unterliegen in Vorinstanzen bis in die letzte Instanz zu gehen?
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz sieht nach der Änderung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 eine Förderung von Schülern, die bei ihren Eltern wohnen, nicht vor. Es enthält auch keine Sonderregelung für Schüler, die Wehr- oder Zivildienst geleistet haben. Mir ist nicht bekannt, daß hierzu ein Rechtsstreit anhängig ist.
Die mit der Durchführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes beauftragte Verwaltung ist wie jede andere an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden. Dementsprechend müssen vom Gesetz nicht gedeckte Ansprüche notfalls auch durch Ausschöpfung des Rechtswegs abgewehrt werden. Entschieden trete ich aber dem durch die Frage vermittelten Eindruck entgegen, als ob die Bundesregierung unabhängig von diesem Grundsatz Prozesse bis in die letzte Instanz treibe.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, was haben jetzt diese anhängigen Rechtsstreitigkeiten für Konsequenzen für die Schüler? Trifft es zu, daß jetzt die Schüler, auch die, die bereits abgelehnt wurden, neue Anträge stellen müssen, um in dem Verfahren drinzubleiben? - Soll ich wiederholen?
Diese Frage verstehe ich nicht; denn die Rechtslage hat sich ja nicht verändert.
({0})
Sie wollen die erste Frage wiederholen, weil sie akustisch nicht voll angekommen ist? - Bitte.
Ich will so fragen: Welche Konsequenzen gibt es für Schüler in Rechtsverfahren, die im Moment anhängig sind und die in einer ersten Instanz abschlägig entschieden worden sind? Trifft es zu, daß diese, um im Verfahren drinzubleiben, neue Anträge stellen müssen?
Frau Kollegin, es gibt keine abgeschlossenen Rechtsverfahren, sondern es gibt lediglich Beschlüsse in einem summarischen Verfahren. Diesen summarischen Verfahren wird sich das Hauptverfahren anschließen. Am Ende dieses Hauptverfahrens wird man dann sehen müssen, zu welchem Ergebnis die Gerichte kommen. Je nachdem, zu welchem Ergebnis die Gerichte kommen, wird das natürlich auch Auswirkungen für
vergleichbare und ähnliche Fälle haben. Aber das wird man sicherlich im einzelnen auch im zuständigen Ausschuß des Bundestages dann besprechen müssen, wenn wir ein abgeschlossenes Verfahren vorliegen haben.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, es gibt eine ganze Reihe von Schülern, die nicht in ein Rechtsverfahren eingetreten sind und für die gleicher Sachverhalt vorliegt. Bedeutet das, daß diesen Schülern, damit sie bei abgeschlossenem Rechtsverfahren eventuell doch noch in den Genuß von BAföG kommen, zu raten ist, jetzt neue Anträge zu stellen, und klärt die Bundesregierung diese Leute darüber auf?
Daß diese Verfahren laufen, ist in der Presse breit dargestellt worden. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß es hierzu keine abgeschlossene Rechtsprechung gibt, sondern daß die Gerichte in einer sehr unterschiedlichen Weise entschieden haben. Ich bin überzeugt, daß sich der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung durchsetzen wird, und kann deswegen eine Empfehlung wie Sie sie anraten, nicht geben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Frau Abgeordneten Simonis auf. - Sie ist nicht im Saal. Es wird, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, verfahren.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
In wie vielen Fällen ist nach § 16 Kriegswaffenkontrollgesetz Anklage gegen die Verantwortlichen deutscher Unternehmen erhoben worden?
Herr Kollege Hauchler, auch Anklagen werden im Justizbereich nicht nach der Art des verletzten Gesetzes erfaßt, so daß die Zahl der Anklagen wegen Verdachts von Straftaten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz nicht mitgeteilt werden kann.
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
In wie vielen Fällen ist es auf Grund des § 16 Kriegswaffenkontrollgesetz zu Verurteilungen gekommen?
Wegen Verstoßes gegen das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen sind ausweislich der Strafverfolgungsstatistik in den Jahren 1978 bis einschließlich 1982 insgesamt 227 Personen rechtskräftig verurteilt worden. Die Zahlen für 1983 liegen mir noch nicht vor.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klose.
Herr Staatssekretär, wie viele von diesen Verurteilungen waren aus der Sicht der Bundesregierung unangemessen?
Herr Kollege, die Bundesregierung kann die Verurteilungen in den einzelnen Verfahren nicht darauf prüfen, ob sie unangemessen sind. Das ist Sache der Gerichte.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bohl.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob es im Zusammenhang mit Verfahren nach § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes auch Einstellungen nach §§ 153 und 153 a StPO gegeben hat?
Ja, Herr Kollege Bohl, es ist der Bundesregierung bekannt. Es wird regelmäßig darüber berichtet. Es sind insgesamt 53 Verfahren.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Hiller ({0}) auf:
In wie vielen Fällen ist den Strafverfolgungsbehörden durch die geltende Fassung des § 16 Kriegswaffenkontrollgesetz unmöglich gemacht worden, „zu angemessenen Ergebnissen - u. a. auch der rechtlichen Möglichkeit der Verfahrenseinstellung - zu kommen"?
Herr Kollege, der Bundesregierung ist eine Zahlenangabe zu der gestellten Frage nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bohl, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie ist es möglich, daß es überhaupt zu Einstellungen kommt, da doch die Mindeststrafe ein Jahr ist und es sich damit nicht um ein Vergehen, sondern um ein Verbrechen handelt?
Herr Kollege Bohl, die Staatsanwaltschaften suchen ganz offensichtlich bei solchen echten Bagatellverfahren nach Möglichkeiten, die Frage der subjektiv nachweisbaren Schuld so zu beurteilen, daß man zu einer Einstellung kommen kann, oder die Frage, wer wirklich verantwortlich ist, so zu sehen, daß man strafrechtlich nicht zu einer Anklage schreiten muß. Dabei ist z. B. zu beachten, daß für den Transport eines bestimmten Gegenstandes, der der Genehmigung unterliegt, eine Genehmigung für ein bestimmtes Transportunternehmen erteilt wird, wobei es schon ein Verbrechen wäre, wenn ein anderes Unternehmen den Transport durchführte. Ich muß also sagen, hier sind Unangemessenheiten im Gange und vorhanden, die die Gesetzgebung auslöst, die man in dieser Form nicht auf den betroffenen Bürger abwälzen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klose.
Herr Staatssekretär, wenn Sie nicht wissen, ob und in wie vielen Fällen die Strafverfolgungsbehörden auf der Grundlage des § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes zu unangemessenen Ergebnissen gekommen sind, wie kann dann die Bundesregierung in den Gesetzentwurf hineinschreiben, daß die Gesetzesänderung zur Ermöglichung angemessener Ergebnisse erforderlich sei?
Herr Kollege, ich habe soeben in der Zusatzfrage schon darauf hingewiesen, welche Wege die Strafverfolgungsbehörden gehen müssen, um nicht zu Verurteilungen für Dinge zu kommen, die eigentlich kein vernünftiger Mensch als ein strafbares Handeln ansieht.
({0})
- Ich habe das nicht verstanden.
Das sollten Sie auch gar nicht verstehen, weil die Fragemöglichkeit schon erschöpft war.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Hiller ({0}) auf:
An welchen Kriterien orientiert sich die Bundesregierung bei der strafgesetzlichen Einstufung von Straftaten als Verbrechen oder Vergehen?
Durch die Festlegung des Strafrahmens, der Teil der zu beschließenden Strafvorschriften ist, gibt der Gesetzgeber - das ist im wesentlichen zunächst der Bundestag - eine generelle Vorbewertung des für den einzelnen Tatbestand typischen Handlungsunrechts. Der vom Gesetzgeber durch eine Androhung von Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber zum Ausdruck gebrachte Schweregrad der Tat nach Unrecht und Schuld entscheidet über die Einordnung der Straftat als Verbrechen, § 12 des Strafgesetzbuches.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 der Frau Abgeordneten Dr. Vollmer auf:
Auf welcher bundesrechtlichen Grundlage und nach welchen Kriterien erfolgt die Verlegung von Gefangenen aus dem Normalvollzug einer Justizvollzugsanstalt in den Hochsicherheitstrakt?
Frau Kollegin Vollmer, der Vollzug der Freiheitsstrafe ist in dem am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz geregelt. Als bundesgesetzliche Grundlagen für eine Verlegung in eine andere Anstalt kommen § 8 und § 85 des Strafvollzugsgesetzes in Betracht. Gesetzliche Grundlagen für Einschränkungen aus Gründen der Sicherheit bieten § 88 und § 4 Abs. 2 Satz 2 des Strafvollzugsgesetzes. Nach welchen Kriterien die für den Strafvollzug zuständigen Stellen der Länder im Einzelfall die Verlegung eines Gefangenen vornehmen, kann allgemein nicht gesagt werden.
Eine Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, Sie wissen sicher, welcher Tatbestand meiner Frage zugrunde liegt, nämlich daß in der Justizvollzugsanstalt Brackwede bei Bielefeld normale Gefangene in den Hochsicherheitstrakt verlegt worden sind und mit einem Hungerstreik dagegen protestiert haben. Hat die Bundesregierung selber zumindest eine Meinung zu der Frage der Rechtmäßigkeit der Verlegung von Gefangenen aus dem normalen Strafvollzug in den Hochsicherheitstrakt?
Frau Kollegin, Fragen der Verlegung von Gefangenen sind ausschließlich Sache der zuständigen Vollzugsorgane. Wenn Sie die Anstalt und den Vorgang, die Ihrer Frage zugrunde liegen, in der Frage konkret angegeben hätten, dann hätten wir in der Kürze der Zeit versuchen können, wenigstens mit Fernschreiben oder Telefon etwas Näheres zu erfahren.
Zusatzfrage.
Dann frage ich Sie allgemein, ob Sie es mit dem Ziel, das auch die Bundesregierung mit dem Strafvollzug verfolgt, nämlich der Resozialisierung, für vereinbar halten, daß Gefangene aus dem normalen Strafvollzug in einen Hochsicherheitstrakt verlegt werden.
Frau Kollegin, die Bundesregierung geht davon aus, daß sich die Justiz in ihren verschiedensten Organen, auch im Strafvollzug, genau an das Gesetz hält. Daß es bei der Anwendung des Rechts möglicherweise Fehler gibt, kann niemand ausschließen. Genau deswegen gibt es die Rechtsmittel und auch für jeden Gefangenen die Möglichkeit, das Gericht anzurufen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer auf:
Bei wem liegt die Kompetenz bzw. Kontrollmöglichkeit für eine solch extreme Verschärfung der Haftbedingungen von Gefangenen im Normalvollzug?
Maßnahmen im Vollzug der Freiheitsstrafe werden gemäß § 156 Abs. 2 Satz 2 des Strafvollzugsgesetzes von dem zuständigen Anstaltsleiter angeordnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 109 des Strafvollzugsgesetzes kann gegen Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Strafvollzug die Entscheidung des Strafvollstreckungsgerichts beantragt werden. Der Gefangene hat außerdem das Recht der Dienstaufsichtsbeschwerde und das Recht, sich an Volksvertretungen oder an die Europäische Kommission für Menschenrechte zu wenden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bestehen im Rahmen der Überlegungen der Bundesregierung zum Strafvollzug Konzepte, die in den
Strafmaßnahmen bestimmte Stufen vorsehen, und gibt es im Rahmen eines solchen Stufenkonzepts als besonders verschärfte Haftbedingung auch die Verlegung in einen Hochsicherheitstrakt, z. B. bei unbotmäßigem Verhalten?
Frau Kollegin, das Gesetz schreibt für jeden einzelnen Gefangenen, für jede einzeln zu vollstreckende Strafe einen Strafvollstreckungsplan vor. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, wonach die Strafvollstreckungsbehörden und die Gerichte die gesetzlichen Aufträge nicht wahrnähmen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann möchte ich Sie fragen: Könnte es vielleicht sein, daß die Bundesregierung zu viele Hochsicherheitstrakte gebaut hat und damit jetzt Belegungsprobleme entstehen, auch wegen des hohen Personalbesatzes gerade dieser Teile der Einrichtungen, und stillschweigend billigt, daß Anstalten Gefangene, bei denen sie im Alltag bestimmte Probleme sehen, in den Hochsicherheitstrakt verlegen, um diesen auszulasten?
Frau Kollegin, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Gefängnisse überbelegt sind. Wo die einzelne Sicherheitseinrichtung liegt und um welche Zelle es geht, ist für die Frage, wie der Vollzug durchgeführt wird, völlig gleichgültig.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Nickels.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, daß der Gefangene auch die Möglichkeit hat, sich an die Volksvertretungen zu wenden. Ich bin für meine Fraktion Mitglied des Petitionsausschusses. An mich wenden sich immer sehr viele Strafgefangene, u. a. aus Bielefeld. Ich habe an Sie die Frage, ob Sie sich hier trotz der Länderzuständigkeit erkundigen können und uns Bescheid geben können, wie Sie die Lage dort beurteilen.
Frau Kollegin, die Bundesregierung wird sich hüten, sich in einer konkreten Rechtsfrage an die Stelle eines Gerichts zu setzen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Gefangene aus dem Normalvollzug in Hochsicherheitstrakte verlegt worden sind?
Frau Kollegin, ich kann darauf nur sagen: Woher soll die Bundesregierung so etwas erfahren. Sie müßte erst sämtliche
Strafanstalten in der Bundesrepublik abfragen. Jede Verlegung ändert die Verhältnisse.
({0})
Keine weitere Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung zur Verfügung.
Die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Gansel sowie die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Steger sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Büchler ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Somit wird diese Frage wie auch die Frage 17 des Abgeordneten Büchler ({1}) entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Rapp ({2}) auf:
Wie begründet die Bundesregierung die von ihr geäußerte Erwartung, die EG-Kommission werde ihre Genehmigungspraxis zu nationalen Beihilfeprogrammen für die Textil- und Bekleidungsindustrie auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 20. März 1984 Lindern, obwohl in diesem Urteil die Kommissionsentscheidung aus dem Jahr 1983 zur Verlängerung des Unterstützungsprogramms der belgischen Regierung ({3}) lediglich aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben wurde?
({4})
- Der Abgeordnete eilt in den Saal. Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Rapp, zur Klarstellung möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß sich die Klage der Bundesregierung und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20. März 1984 auf die Genehmigung des Claes-Planes 1982 durch die Kommission und nicht auf die Genehmigung der Verlängerung für 1983 bezogen.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Auffassung der Bundesregierung bestätigt, daß die EG-Kommission bei ihrer Entscheidung vom 18. November 1981 über den sogenannten Claes-Plan gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Nach seiner Meinung hätte sich die Kommission durch förmliche Konsultationen der Beteiligten, also z. B. auch der deutschen Textil-
und Bekleidungsindustrie, über alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte umfassend unterrichten müssen.
Aus dem Prozeßverlauf, nicht zuletzt aus den Fragen an die Kommission, wird deutlich, daß sich der Europäische Gerichtshof auch mit den Sachproblemen befaßt hat.
Die EG-Kommission hat den Entscheidungsgründen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in
vergleichbaren Fällen künftig Rechnung zu tragen. Für die Beteiligten ist damit die Gewähr gegeben, daß sich die Kommission mit allen vorgetragenen Fakten und Argumenten auseinandersetzen muß. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß dieser Umstand nicht ohne Einfluß auf die Genehmigungspraxis bleiben wird.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie das ergangene Urteil nicht nur als Urteil über Verfahrensfragen, sondern auch als Urteil in der Sache selbst betrachten'?
Der Europäische Gerichtshof hat sich, Herr Rapp - so habe ich es formuliert -, im Zusammenhang mit diesem Urteil auch mit Sachproblemen befaßt. Er hat ihnen bei der Urteilsfindung also ebenfalls Rechnung getragen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob die Kommission vor dem Urteil vom 20. März 1984 bereits mit der belgischen Regierung über eine weitere Verlängerung des Unterstützungsprogramms und auch mit der niederländischen und französischen Regierung wegen entsprechender weitergehender Beihilfeprogramme verhandelt hat, und hat das Urteil auf diese Verhandlungen erkennbar Auswirkungen gehabt?
Herr Rapp, ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob uns bekanntgeworden ist, daß solche Gespräche stattgefunden haben. Aber normalerweise müssen diese Gespräche deshalb stattfinden, weil bei solchen Entscheidungen mit dem jeweiligen Land gesprochen werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, rechnet die Bundesregierung auf Grund des soeben zitierten Urteils damit, daß die in Belgien gezahlten Beihilfen zurückgefordert werden müssen oder zumindest zurückgefordert werden können?
Herr Stiegler, wir wissen nicht, wie die Kommission in dieser Frage endgültig entscheiden wird. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich wegen dieses Vorganges an die Kommission gewandt, einen Brief geschrieben und darauf hingewiesen, daß von seiten der Kommission entsprechende Konsequenzen aus dem Urteil gezogen werden müssen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Rapp ({0}) auf:
Vizepräsident Stücklen
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in ihrer Klage gegen die Genehmigung des Claes-Planes über das vorliegende Urteil zu den der EG-Kommission unterlaufenen Verfahrensmängeln hinaus noch zu einem Urteil in der Sache zu kommen, und betreibt sie dies?
Herr Rapp, zunächst muß die EG-Kommission entscheiden, wel- che Schlußfolgerungen sie aus der Tatsache zieht, daß ihre Genehmigung nichtig ist. Die Bundesregierung hat die Kommission nach dem Urteil - ich erwähnte das soeben - dazu aufgefordert. Sie verkennt nicht die schwierigen rechtlichen Fragen, die die Kommission zu prüfen hat, zumal der angefochtene Beihilfeplan durch Verträge zwischen den belgischen Stellen und den betreffenden Unternehmen bereits durchgeführt ist. Die Bundesregierung möchte der Haltung nicht vorgreifen, die sie im gegebenen Zeitpunkt einnehmen wird. Sie wird die prozessualen Möglichkeiten, ein Urteil in der Sache zu erwirken, sorgfältig prüfen. Sie muß ein erneutes gerichtliches Vorgehen aber auch gegen die Aussichten eines weiteren politischen Dialogs mit der EG-Kommission und den anderen Mitgliedstaaten abwägen, um zu einer Eindämmung sektoraler Beihilfen zu kommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, mit welchen Zeiträumen rechnen Sie? Bis wann wird es möglich sein, zu wissen, ob ein solches Urteil noch ergehen kann?
Herr Rapp, was für ein Urteil?
Ein Urteil eventuell noch zur Sache. Die Frage war ja darauf gerichtet.
Ja, und ich habe darauf hingewiesen, daß dies davon abhängig gemacht wird, wie die Kommission entscheiden wird. Zunächst einmal geht es darum, daß die Kommission entscheiden muß, welche Schlußfolgerungen sie zieht. Erst dann, wenn wir wissen, wie sich die Kommission verhält, ist es möglich, unsererseits zu entscheiden, wie wir weiter verfahren wollen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wie lange darf denn dieses dauern, bis sich die Kommission entscheidet, insbesondere unter der Perspektive, daß unsere Industrie in den Grenzbereichen erhebliche Nachteile hat?
Die Kommission hat inzwischen weitere Entscheidungen in Beihilfefragen getroffen. Wir sind der Meinung, daß diese Entscheidungen, die andere Länder, aber auch Belgien betreffen, daß das Vorgehen der Kommission erkennen läßt, daß das Urteil des Europäischen Gerichtshofs Wirkungen zeigt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ich komme zurück auf die Frage 17, die der Kollege Büchler stellen wollte.
Herr Abgeordneter Stiegler, so deutlich würde ich das nicht sagen.
Ich wollte ihm nur helfen, damit er seine Unterlagen leichter findet.
({0})
In welchem Umfang ist es denn bisher gelungen, Marktöffnungsklauseln durchzusetzen, und mit welchen Industriestaaten ist es nicht gelungen, so etwas auf Gegenseitigkeit durchzusetzen?
Herr Stiegler, diese Frage bezog sich auf einen ganz anderen Tatbestand.
({0})
Es ging um das Welttextilabkommen. In diesem Zusammenhang ist die Frage gestellt worden. Die Antwort hätte gelautet: Besondere Vereinbarungen der EG mit Industrieländern über Marktöffnung im Textilhandel auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bestehen nicht, zumal es mit diesen Ländern keine Selbstbeschränkungsabkommen gibt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Klose auf:
In wie vielen Fällen haben Unternehmen, die Kriegswaffen produzieren und exportieren, seit der mit Gesetz vom 31. Mai 1978 beschlossenen Strafverschärfung für Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz die erforderlichen Genehmigungen nicht oder verspätet eingeholt?
Herr Kollege Klose, wegen des Sachzusammenhangs möchte ich Sie bitten, beide Fragen gemeinsam beantworten zu können.
Es wäre mir lieber, es würde getrennt.
Der Fragesteller ist nicht einverstanden.
Gut, ich beantworte getrennt.
Im Rahmen der vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft nach § 14 des Kriegswaffenkontrollgesetzes durchgeführten Überprüfungen sowie der Kontrolle der halbjährlichen Meldungen über den Bestand an Kriegswaffen wurde festgestellt, daß Unternehmen, die Kriegswaffen produzieren und exportieren, in 33 Fällen seit 1978 genehmigungsbedürftige Handlungen vorgenommen haben, ohne daß sie überhaupt eine Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz eingeholt hatten. In 20 weiteren Fällen war zwar jeweils eine Genehmigung erteilt, die aber nicht die betreffende Handlung abdeckte.
Von den 53 bekanntgewordenen Verstößen entfielen nur zwei Fälle auf Ausfuhren von Kriegswaffen.
Dabei wurde in einem Falle die Beförderung durchgeführt, bevor die beantragte Genehmigung zugegangen war; im zweiten Fall wurden im Rahmen des Tornado-Gemeinschaftsprogramms 16 statt der genannten 15 Teile nach Großbritannien zugeliefert.
Zusatzfrage, bitte.
Gehört zu den Firmen, die die erforderlichen Genehmigungen nicht eingeholt haben ober die über den Genehmigungsrahmen hinausgegangen sind, auch die Firma Rheinmetall?
Ich kann Ihnen aus rechtlichen Gründen auf diese Frage keine Antwort geben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, gibt es nachträgliche Genehmigungen, wenn man Verstöße festgestellt hat?
Darauf werde ich antworten, wenn ich zu der Frage von Frau Simonis komme. - Ich sehe, Frau Simonis ist nicht im Saal. Dann kann ich Ihnen schon jetzt sagen, daß solche nachträglichen Genehmigungen nicht erteilt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen zur Frage 23 des Herrn Abgeordneten Klose:
In wie vielen Fällen hätten nach Ansicht der Bundesregierung die Unternehmen mit der Erteilung der Genehmigungen, die nicht oder verspätet eingeholt worden sind, rechnen können?
Herr Klose, in allen diesen 53 Fällen, die ich angesprochen habe, hätten die Unternehmen damit rechnen können, daß die erforderlichen Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt worden wären.
Nach welchen Kriterien beurteilen Sie das?
Weil es sich in allen Fällen um Bagatellfälle handelt und Vorgänge zugrunde liegen, die, weil es Bagatellfälle sind, auf jeden Fall zu einer Genehmigung geführt hätten.
Noch eine Zusatzfrage.
Wissen Sie, ob in diesen Fällen, die Sie als Bagatellfälle bezeichnen, Verfahren nach § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes eingeleitet worden sind, und wissen Sie, in wie vielen dieser Fälle es zu unangemessenen Ergebnissen der Strafverfolgungsbehörden gekommen ist?
Soweit der Bundesregierung hierzu Informationen vorliegen, sind die Verfahren in den genannten Fällen durchweg eingestellt worden, und zwar in der Regel nach § 153 der Straßprozeßordnung. Diese Einstellungspraxis deutet darauf hin, daß Gericht und Staatsanwaltschaft in derartigen Bagatellfällen von fahrlässigem Verhalten ausgegangen sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zur Frage 24 der Frau Abgeordneten Simonis. - Frau Simonis ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Ich mache darauf aufmerksam, daß zur Zeit alle Fraktionen Fraktionssitzungen haben und daß es deshalb vorkommen kann, daß der eine oder andere Abgeordnete nicht hier ist.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Bohl auf:
Sind Presseberichte zutreffend, wonach die Bundesregierung plant, die Mindeststrafe für Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz von einem Jahr auf sechs Monate herabzusetzen?
Herr Bohl, es trifft zu, daß der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes parallel eine Herabsetzung des unteren Strafrahmens für Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie für Verstöße gegen § 52 a des Waffengesetzes vorsieht.
Die Zielrichtung dieser vorgeschlagenen Gesetzesänderung hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Otto Schily ({0}) näher dargelegt. Auf die schriftliche Antwort wird in vollem Umfange verwiesen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der dort gegebenen Begründung, die ja sehr einleuchtend ist, Presseberichte und -kommentare, nach denen es sich hier um eine Amnestie für große Waffenhändler handeln soll?
Herr Bohl, auch dazu ist in der Antwort an Herrn Schily eine Stellungnahme abgegeben worden. Auch zu dieser Zusatzfrage verweise ich auf die Antwort, die ich soeben genannt habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts des großen Regelungsbedarfs - es sind ja 53 Fälle von Staatssekretär Erhard genannt worden - frage ich Sie: Wie schnell gedenkt die Bundesregierung zu einer Realisierung des Gesetzgebungsvorhabens zu kommen?
Herr Bohl, die 53 Fälle bezogen sich auf die Verfahren, die eingestellt worden sind. Dazu habe ich eben Ausführungen gemacht und im einzelnen Stellung genommen.
Herr Präsident, die Frage ist nicht beantwortet! Es ist vielleicht ein Mißverständnis.
Herr Abgeordneter, es ist nun einmal leider so, daß auch der Präsident die Bundesregierung nicht zwingen kann, die Antwort zu geben, die Sie erwarten. Das gilt auch, wenn Sie der Meinung sind, daß eine Frage überhaupt nicht beantwortet worden ist oder daß die Antwort danebenliegt. Das ist nun einmal das Recht der Bundesregierung.
Es steht Ihnen aber frei, diese Frage in einer Aktuellen Stunde - mit der entsprechenden Unterstützung aus der Fraktion oder aus den Fraktionen - weiter zu behandeln oder bei der nächsten Fragestunde erneut Fragen zu stellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Klose. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn bei Strafverfahren nach § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes Einstellungen nach § 153 der Strafprozeßordnung vorgenommen worden sind und die Bundesregierung sicherlich nicht behaupten will, daß die Strafverfolgungsbehörden, indem sie so gehandelt haben, rechtswidrig gehandelt hätten, frage ich Sie: Warum beabsichtigt dann die Bundesregierung, da die Einstellungsmöglichkeit gegeben ist, § 16 des Kriegswaffenkontrollgesetzes zu ändern?
Herr Klose, ich verweise wieder auf die Antwort, die gegeben worden ist. Ich kann sie gern noch einmal vortragen. Diese Antwort ist auf eine entsprechende Frage von Herrn Schily gegeben worden. Wir haben darin dazu Stellung genommen. - Wir wollen eine gesicherte rechtliche Grundlage haben. Darum geht es. Jetzt wird wegen Fahrlässigkeit eingestellt. Dies ist ein Weg, der eine ausreichende gesetzliche Grundlage finden sollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfuhl.
Herr Staatssekretär, halten Sie diese vorgesehene Maßnahme optisch gesehen im Hinblick darauf für gut, daß die Bundesregierung die Verringerung der Kriegsgefahr in der Welt allgemein durch Verminderung von Kriegswaffenausfuhren unterstützen möchte?
Die Herabsetzung der Mindeststrafe hat praktisch keine Auswirkungen, weder auf schwebende Verfahren noch auf künftige Verfahren, was das Strafmaß anlangt; denn es wird nur der untere, nicht der obere Strafrahmen geändert. Die Gerichte können also nach wie vor innerhalb der jetzt bestehenden Obergrenzen von fünf bzw. zehn Jahren eine als schuldangemessen erkannte Strafe verhängen. Sie wären darüber hinaus auch jetzt nicht gehindert, Strafen unter einem Jahr zu verhängen, wenn sie einen minder schweren Fall annähmen. Einzige unmittelbare Auswirkung der Herabsetzung der Mindeststrafe auf anhängige Verfahren wäre demnach, daß im Falle der Verurteilung nicht wegen eines Verbrechens, sondern wegen eines Vergehens zu verurteilen wäre.
Weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich mehrfach auf die Beantwortung der Fragen der GRÜNEN bezogen. Auch ich habe das gelesen. Ich habe das nicht begriffen, als ich das las. Insofern bitte ich, daß Sie mir jetzt erläutern, was dort eigentlich drinsteht. Und wenn Sie dies nicht können, wäre ich Ihnen natürlich dankbar, wenn Sie es anschließend schriftlich machten. Darüber wäre ich Ihnen auch nicht böse. Aber mindestens würde ich jetzt gern einmal hören, was da drinsteht.
({0})
Ich habe soeben einen Teil der Antwort vorgetragen. Ich fahre fort: Allerdings eröffnet die mit der Herabsetzung der Mindeststrafe auf sechs Monate verbundene Einstufung der Grundtatbestände als Vergehen den Strafverfolgungsbehörden wieder wie nach dem Rechtszustand vor 1978 die Möglichkeit, in Bagatellfällen Verfahren nach § 153 der Strafprozeßordnung einzustellen. Die Wiedereröffnung dieser Möglichkeit ist gerade das Ziel der angestrebten Gesetzesänderung.
({0})
Mir scheint, daß hier noch Bedarf für Fragen gegeben ist. Aber die Geschäftsordnung gibt mir nicht die Möglichkeit. Sonst müßte ich gravierend dagegen verstoßen. Deshalb gibt es doch die Aktuelle Stunde. Wir werden sowieso im Anschluß eine haben, nur zu einem anderen Punkt.
Wir kommen zur Frage 26 des Herrn Abgeordneten Austermann. - Er ist nicht im Saal. Dann wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Uldall auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung für alle Anbieter bei öffentlichen Ausschreibungen die Chancengleichheit gewährleistet, wenn einige der Anbieter gleichzeitig an Unterstützungs-Gesellschaften beteiligt sind, die über die Auswahl des Anbieters mitentscheiden?
Herr Uldall, nach den nationalen und internationalen Vergabebestimmungen sind öffentliche Aufträge im Wettbewerb zu vergeben. Die Zuschlagsentscheidung trifft allein der Auftraggeber.
Speziell für den Fall der Einschaltung von Sachverständigen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmen z. B. die nationalen Vergabevorschriften ausdrücklich - ich verweise auf § 7 der Verdingungsordnung für Bauleistungen ({0}), § 6 der novellierten Verdingungsordnung für Leistungen
- ausgenommen Bauleistungen - ({1})
- den Wettbewerbsgrundsätzen entsprechend inhaltlich, daß Sachverständige lediglich zur Klärung rein fachlicher Fragen bei der Vorbereitung von
Auftragsvergaben mitwirken können und daß sie weder unmittelbar noch mittelbar an der betreffenden Vergabe beteiligt sein dürfen. Eine auch nur mittelbare Mitentscheidung von Sachverständigen oder gar von Anbietern bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist somit vergaberechtlich ausgeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß an sogenannten Unterstützungsgesellschaften Anbieter z. B. von Rüstungsmaterial beteiligt sind und daß die Gesellschafter später dann auch ein entsprechendes Angebot mit unterbreiten, so daß hier ein Widerspruch zu den eben von Ihnen zitierten Bestimmungen vorliegen dürfte?
Wenn dies so wäre, Herr Uldall, wäre dies ein Verstoß gegen das Gesetz. Der Sachverständige kann lediglich zur Klärung rein fachlicher Fragen herangezogen werden. An der Entscheidung über die Vergabe kann er sich nicht beteiligen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß die von Ihnen eben zitierte Bestimmung formal dadurch eingehalten wird, daß der Anbieter durch eine Tochtergesellschaft ein entsprechendes fachliches Gutachten abgibt?
Herr Uldall, ich kann das hier nicht feststellen. Dafür müßte ich solch einen Fall vorliegen haben, und dieser Fall müßte geprüft werden.
Keine Zusatzfragen mehr.
Wir kommen zur Frage 29 des Herrn Abgeordneten Schemken. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird wie in der Geschäftsordnung vorgesehen verfahren.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Die Frage 32 der Frau Abgeordneten Dr. MartinyGlotz wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Löffler auf:
Trifft es zu, daß trotz der Proteste der Bevölkerung weiterhin Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte vernichtet werden?
Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworte?
({0})
Dann rufe ich auch noch die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Löffler auf:
Wenn ja, um welche Mengen handelt es sich, und welche Kosten entstehen durch diese Vernichtungsmaßnahmen?
Gallus, Pari. Staatssekretär: Es trifft nicht zu, daß in der Europäischen Gemeinschaft von Amts wegen Lebensmittel aus marktpolitischen Gründen vernichtet werden. Leider wird in Pressemeldungen häufig die Intervention - das sind der staatliche Ankauf und die Lagerung von Agrarprodukten - unrichtigerweise als Vernichtung von Lebensmitteln dargestellt.
Besondere Probleme stellen sich im Bereich Obst und Gemüse bei anormal großen Ernten, wenn der Markt nicht mehr in der Lage ist, die Überangebote aufzunehmen. In solchen Fällen werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um einen Verderb zu vermeiden. Ich nenne z. B. kostenlose Abgabe in frischer oder verarbeiteter Form an Alters-, Waisen-
und Kinderheime, Schulen, Justizvollzugsanstalten sowie Destillation und Verfütterung.
Die kostenlose Verteilung der überschüssigen Ware hat jedoch ihre Grenzen vor allem in der beschränkten Zahl möglicher Empfänger, der leichten Verderblichkeit dieser Erzeugnisse, insbesondere in den mediterranen Gebieten, sowie fehlender freier Verarbeitungs-, Transport- und Lagerkapazitäten in Zeiten von Überangeboten.
Im Wirtschaftsjahr 1981/82 - neuere Daten liegen noch nicht vor - wurden 744 000 t Obst und 68 000 t Gemüse - das sind 3,27 % der Gesamtproduktion interventionsfähiger Obst- und Gemüseerzeugnisse - aus dem Markt genommen. Davon wurden 6,1 % an Wohltätigkeitseinrichtungen, Schulen usw. verteilt, 15,5 % zu Alkohol verarbeitet, 19,6 % zu Futterzwecken verwendet, und 58,8 % wurden unbrauchbar, bevor sie einer Verwendung zugeführt werden konnten. 98 % der Marktrücknahmen entfielen auf Italien, Griechenland und Frankreich, lediglich 0,05 % auf die Bundesrepublik Deutschland.
Die Kosten für die Marktrücknahmen in der EG im Bereich Obst und Gemüse einschließlich der Kosten für die Verarbeitung und Verteilung beliefen sich im Wirtschaftsjahr 1981/82 auf 138,9 Millionen ECU, also rund 330 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den eben von Ihnen dargelegten Sachverhalt in der Öffentlichkeit einmal eindeutig darzustellen, damit nach vielen, vielen Jahren die doch sehr schmerzhaften Diskussionen über die Vernichtung von Lebensmitteln in der Europäischen Gemeinschaft endlich aufhören?
Herr Kollege, ich habe das hiermit getan, indem ich Ihre Fragen beantwortet habe. Ich nehme an, daß das in den Medien dann auch eine entsprechende Würdigung findet.
Keine Zusatzfragen mehr.
Dann rufe ich die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Pfuhl auf:
Hält die Bundesregierung an der von Bundesminister Kiechle vertretenen Einschätzung fest, daß die diesjährigen Brüsseler Agrarbeschlüsse ({0}) für die deutsche Landwirtschaft eine „Null-Preisrunde" bedeuten, und wie schätzt sie die voraussichtliche Entwicklung der Erzeugerpreise im laufenden Jahr bei Milch und Getreide ein?
Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte?
({0})
Dann rufe ich auch Frage 34 des Herrn Abgeordneten Pfuhl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Berechnungen des Deutschen Bauernverbandes und des Genossenschaftsverbandes ({0}), wonach im laufenden Jahr mit einem Rückgang der Auszahlungspreise bei Milch von durchschnittlich 3,7 Pfennig je Kilogramm ({1}) zu rechnen ist und der Preisrückgang sich bei Berücksichtigung des vorgesehenen Mehrwertsteuerausgleichs ab Januar 1985 durch den Abbau des Währungsausgleichs auf 5,2 Pfennig je Kilogramm ({2}) erhöhen wird?
Angesichts der äußerst kritischen Markt- und Haushaltssituation war zu Beginn des Jahres 1984 abzusehen, daß Anhebungen der Marktordnungspreise bei den wichtigsten Agrarprodukten in nennenswertem Umfang nicht in Betracht kommen konnten. Bundesminister Kiechle hat sich daher für eine generelle Null-preisrunde ausgesprochen, die im Ergebnis schließlich auch erreicht wurde. Diese Tatsache wird nicht dadurch geändert, daß es bei einigen Agrarerzeugnissen zu geringfügigen Preissenkungen, bei anderen hingegen zu kleineren Preiserhöhungen gekommen ist. Von dieser Agrarpreisfestsetzung ist die Problematik des Abbaues des deutschen Währungsausgleiches sowie der sonstigen flankierenden Maßnahmen der EG-Kommission strikt zu trennen.
Die durch den Abbauschritt zum 1. Januar 1985 eintretende Senkung der Marktordnungspreise in D-Mark wird durch die beabsichtigte Mehrwertsteuerregelung zugunsten der Landwirtschaft ausgeglichen. Was die übrigen flankierenden Maßnahmen, die die EG-Kommission autonom im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffen hat, anbelangt, so hat sich die Bundesregierung energisch gegen solche Maßnahmen gewandt, die preissenkende Auswirkungen haben könnten.
Im laufenden Wirtschaftsjahr werden sich Preisrückgänge bei Milch und Getreide nicht vermeiden lassen. Genaue Preisprognosen sind nicht möglich: Zum einen liegen keine zuverlässigen Angaben über die Ernten vor, zum anderen benötigen Maßnahmen wie die Umbewertung des Fett-Eiweiß-Verhältnisses bei Milch ihre Zeit, bis sie sich voll auf den Milchpreis ausgewirkt haben. Zunächst ist die Senkung des Butterpreises vom Markt angenommen worden, während die Erhöhung des Interventionspreises für Magermilchpulver wie jede Preiserhöhung längere Zeit braucht, um sich durchzusetzen.
Die Bundesregierung ist bemüht, die von Preissenkungen ausgehenden Auswirkungen auf das Einkommen der Landwirtschaft weitgehend aufzufangen. Sie hat dazu ein Existenzsicherungsprogramm für die Landwirtschaft mit verschiedenen Maßnahmen in Milliardenhöhe beschlossen. Diese Maßnahmen, die ich hier nicht im einzelnen aufzählen möchte, sind so angelegt, daß die Verbraucher in den Genuß von günstigeren Lebensmittelpreisen kommen können. Dies ist auch bei den Butterpreisen bereits geschehen.
Die flankierenden Maßnahmen der EG-Agrarpreisbeschlüsse bei unverändertem Milchpreis dürften allein nicht Auswirkungen in der von Ihnen genannten Höhe auf den durchchnittlichen Milchpreis haben. Die Richtigkeit von Vorausberechnungen von Preiswirkungen ist allerdings schwer beweisbar. Auch bei stark gestützten Produkten bleiben Markteinflüsse erhalten. Nicht alle Preisveränderungen können den Brüsseler Beschlüssen angelastet werden. So braucht - wie schon erwähnt - die Anhebung des Stützungspreises für Magermilchpulver längere Zeit, um sich am Markt auszuwirken.
Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Ich weiß, daß die Frage nicht erschöpfend beantwortet werden konnte, da Sie nicht die Möglichkeit haben, weitere Zusatzfragen zu stellen. Entweder Sie setzen sich mit Herrn Parlamentarischen Staatssekretär in Verbindung, damit Sie eine schriftliche Ergänzung bekommen, oder Sie stellen die Frage bei der nächsten Fragestunde noch einmal.
Die Fragen 39, 40, 46 bis 57, 60, 61 65, 80, 81 und 94 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Die heutige Tagesordnung wird gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung um den Punkt „Einspruch des Abgeordneten Dr. Emmerlich gegen den am 24. Mai 1984 erteilten Ordnungsruf" erweitert. Da der Einspruch soeben erst verteilt worden ist, erfolgt die Abstimmung nach Beendigung der Aktuellen Stunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Lage im Arbeitskampf
Meine Damen und Herren, die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU haben gemäß Nr. I. 1. c) der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Lage im Arbeitskampf" verlangt. Das Verlangen ist ausreichend unterstützt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich bei den verschiedensten Debatten in den vergangenen Wochen mehrfach mit den tarifpolitischen Auseinandersetzungen beschäftigt. Bei der heutigen Aktuellen Stunde zum Thema „Lage im Arbeitskampf" geht es unseres Erachtens
nicht nur um den gewaltigen wirtschaftlichen Schaden, der mit dem Arbeitskampf angerichtet wird; es geht auch nicht nur darum, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dem zumindest teilweise, wenn nicht sogar überwiegend politisch motivierten Streik der IG Druck und der IG Metall fassungslos gegenübersteht. Wir meinen, heute geht es auch darum, einem gezielten Anschlag auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung die verdiente Antwort zu erteilen.
({0})
({1})
„Wehret den Anfängen!" muß unsere Antwort lauten.
({2})
Worum geht es? Unter dem Beifall der Delegierten, vielleicht auch, gnädige Frau, unter Ihrem Beifall, hat auf dem Bundesparteitag der SPD der Vorsitzende der IG Druck und Papier, Herr Ferlemann, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Freiheit der Presse gezielt zu unterminieren versucht. Wie will man es eigentlich anders nennen, wenn bedauert wird, man habe den SPD-Parteitag bei der Wahl des Streiktermins übersehen, aber man werde jetzt jedenfalls dafür sorgen, daß wohlwollende Zeitungen erscheinen könnten?
({3})
Einer einzigen Agenturmeldung von gestern zufolge - mehr habe ich in den Zeitungen nicht gelesen, auch heute nicht - hat Herr Ferlemann diese Äußerung angeblich zurückgenommen. Wenn er das getan hat, dann nur unter dem Druck einer nahezu geschlossen gegen ihn stehenden öffentlichen Meinung, einschließlich der von ihm zitierten Zeitung.
({4})
Und dann hat er nur etwas getan, was in einer freiheitlichen Demokratie eigentlich selbstverständlich ist.
({5})
Trotz dieser formalen Zurücknahme der gebrauchten Formulierungen ist der Vorfall nicht aus der Welt geschafft. Herr Ferlemann kann sich vielleicht jetzt davonstehlen. Aber Sie, meine Damen und Herren, die Sie ihm auf dem SPD-Parteitag Beifall geklatscht haben, haben bisher keine hinreichende Erklärung für Ihr Verhalten und für diesen einmaligen Vorgang gegeben.
({6})
Wenn sich Herr Ferlemann auf den spontanen Charakter seiner Ausführungen beruft, dann stellt dies doch keine Entschuldigung dar. Und ein Mißverständnis war es schon gar nicht. Denn an der Äußerung war nichts, aber auch gar nichts mißverständlich. Sie war eindeutig.
Ich kann nur sagen: Es war der Versuch, ein Grundrecht auszuschalten. Das Interessante daran ist, daß man versucht hat, das Grundrecht der Koalitionsfreiheit zu mißbrauchen, um ein anderes Grundrecht, nämlich das Grundrecht der Meinungsäußerung und der Pressefreiheit außer Kraft zu setzen.
({7})
Willfährige Berichterstattung wird belohnt, kritische wird bestraft. Ein Aufschrei hätte durch Ihren Parteitag gehen müssen, nicht ein Beifallssturm, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD.
({8})
Herr Dr. Vogel, hier wäre ein dankbarer Gegenstand für Ihre Entrüstung in Sachen Rechtsstaat gewesen, nicht an anderen Punkten.
Durch den Beifall wird der Skandal der IG Druck zum Skandal der SPD. Dies ist der Sachverhalt, der uns in diesem Haus bewegt.
({9})
Das Grundgesetz ist erst 35 Jahre alt. Wir haben dieses Tages vorgestern gedacht. Wehret den Anfängen!
Ich bedanke mich.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich hat der SPD-Parteitag die Rede des Gewerkschaftsvorsitzenden Ferlemann mit großer Aufmerksamkeit entgegengenommen, und er hat natürlich und selbstverständlich auch alle die Darlegungen, die mit der Solidarität der Streikenden verbunden sind, begrüßt und sich solidarisch erklärt. Das ist für die SPD ganz selbstverständlich.
({0})
Herr Ferlemann hat seine Aussage relativiert. Dennoch meine ich, es gehört zu unserer Meinungsäußerungsfreiheit, daß auch Gewerkschaftsvorsitzende unter dem Druck des Streik- und Aussperrungsgeschehens
({1})
ihre Meinung in aller Klarheit sagen. Das müssen Sie ertragen können.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht neu, daß die Koalition aus CDU/CSU und FDP das Rad der Geschichte zurückdreht. Wir haben in den letzten 20 Monaten viele Beispiele der sozialen Demontage erlebt. Einen besonders dreisten VerUrbaniak
such hat jedoch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit mit seiner Entscheidung unternommen.
({3})
Mit rechtlich nicht haltbarer Begründung setzt er sich über die Rechtsentwicklung der letzten 15 Jahre einfach hinweg.
({4})
Die Sehnsucht der selbsternannten Enkel Adenauers hat offensichtlich auch ihn gepackt. Seine Entscheidung, allen mittelbar betroffenen Metallern außerhalb des Kampfgebiets nichts zu zahlen, stellt den Kompromiß von 1969 - sehen Sie einmal die Protokolle von damals durch - geradezu auf den Kopf.
Die Frage, wie sich Arbeitskämpfe auf die Zahlung von Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld auswirken, gehörte bei den Beratungen des Arbeitsförderungsgesetzes zu den umstrittensten Punkten. Da die alten Positionen von damals heute wieder aufpoliert werden, lohnt es sich, die damalige Situation etwas näher darzustellen.
Es war seinerzeit der Bundesrat, der eine uneingeschränkte Zahlung an mittelbar betroffene Arbeitnehmer wollte. Er stützte sich dabei auf ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation.
Außerdem wollte der Bundesrat vermeiden, daß die Kommunen als Träger der Sozialhilfe mit den mittelbaren Folgen eines Arbeitskampfes belastet würden. Dieser Auffassung waren auch Gewerkschaften und Sozialdemokraten. Das gilt für uns auch heute so, meine Damen und Herren.
Die Bundesregierung - damals mit dem Arbeitsminister Katzer ({5})
wollte eine andere Regelung. Sie wollte die Zahlung von Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld an mittelbar betroffene Arbeitnehmer ausschließen. Eine solche Zahlung würde - so der Originalton - die Bereitschaft von Arbeitslosen zur Solidarität stärken und Schwerpunktstreiks fördern.
In den Ausschußberatungen einigte man sich dann schließlich auf die heutige Fassung. Wie der Ausschuß diese Regelung verstanden wissen wollte, kann jeder im Bericht nachlesen. Präsident Franke hätte diesen Bericht vor seinem Schnellschuß vom letzten Freitag zur Hand nehmen sollen. Dann wäre ihm sicherlich aufgefallen, daß seine Entscheidung mit dem Willen des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen ist.
({6})
Denn im Ausschußbericht heißt es wörtlich:
Der Ausschuß teilt nicht die Auffassung der Bundesregierung, daß die Gewährung von Arbeitslosengeld an Arbeitnehmer, die durch einen Streik, an dem sie nicht beteiligt sind, arbeitslos geworden sind, im allgemeinen bereits
den Arbeitskampf zugunsten der Arbeitnehmer beeinflussen würde und daher als Verletzung der Neutralitätspflicht anzusehen wäre.
Weiter ist erwähnt:
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld soll in allen Fällen ruhen, in denen die Gewährung dieser Leistung den Arbeitskampf beeinflussen könnte. Dabei
- so sagt der Ausschuß ausdrücklich; Kollege Müller, Sie waren Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
wird es sich um Ausnahmefälle handeln.
Jetzt ist das auf den Kopf gestellt worden, meine Damen und Herren!
({8})
Der Präsident hätte also durch einen einfachen Blick in die Gesetzesgeschichte feststellen können, daß die Verweigerung von Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld an mittelbar betroffene Arbeitnehmer die Ausnahme sein muß. Seine Entscheidung macht die Ausnahme dagegen - ich erwähnte es schon - zur Regel und stellt das gesetzliche Gebot auf den Kopf.
({9})
Herr Kollege - Urbaniak ({0}): Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Nein, Sie kommen nicht zum Schluß. Sie haben Ihre Redezeit um 50 Sekunden überzogen. Ich muß Sie bitten, Ihre Rede zu beenden. Dies ist bei der Aktuellen Stunde strenges Recht. Es tut mir leid.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung weist darauf hin, daß anhaltende und umfangreiche Streiks den wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland spürbar beeinträchtigen. Das ist richtig. Deshalb gilt es, den Arbeitskampf in der Metallindustrie und im Druckgewerbe möglichst bald zu beenden. Deshalb ist es notwendig, daß von seiten der Politiker, aber auch der Tarifpartner kein Öl ins Feuer gegossen wird. Mäßigung und Zurückhaltung auf allen Seiten sind erforderlich.
Wer wie wir funktionsfähige und tüchtige Gewerkschaften bejaht, den müssen die Ausführungen des Vorsitzenden der IG Druck und Papier, Erwin Ferlemann, auf dem SPD-Parteitag aufs tiefste erschrecken.
({0})
Nun habe ich geglaubt, daß mit der Zurücknahme dieses Anschlages auf die Presse- und Informationsfreiheit der Fall erledigt wäre. Nur, der Kollege Urbaniak verteidigt das noch. Deswegen, Herr Kollege Vogel, gehe ich davon aus, daß Sie von diesem
Cronenberg ({1})
Platze aus klar erklären, welches Verhältnis sie zur Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit haben.
({2})
Herrn Ferlemann möchte ich auffordern, die Anordnung, Arbeitswilligen durch Streikposten die Arbeit unmöglich zu machen, zurückzunehmen. Suspekte Urabstimmungen und die Behinderung Arbeitswilliger sind auch Rechtsstaatsverletzungen, die diesem Staat nicht dienen.
({3})
Sie fördern weder die Glaubwürdigkeit noch dienen sie dem Anliegen, das mit dem Streik durchgesetzt werden soll.
Arbeitskämpfe vollziehen sich bei uns nach bestimmten Spielregeln. Maßgeblich sind in erster Linie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Parität, der Waffengleichheit für beide Tarifvertragsparteien.
({4})
Die Rechtsprechung, Kollege Urbaniak, hat, auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen, die Rechtmäßigkeit der Aussperrung zur Abwehr von Schwerpunktstreiks wiederholt festgestellt. Deshalb ist auch das in der hessischen Verfassung noch vorhandene Aussperrungsverbot obsolet.
({5})
Wer das ändern möchte - und das scheinen ja einige zu wollen -, will künftig Tarifauseinandersetzungen im voraus entscheiden. Arbeitgebern bleibt dann nur die Alternative, ihren Laden zuzumachen und schon von vornherein den Gewerkschaften gegenüber klein beizugeben, zu kapitulieren.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat nach Recht und Gesetz entschieden.
({6})
Er ist seiner Neutralitätspflicht nachgekommen.
({7})
Wer jetzt den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit als „Filialleiter der Metall-Arbeitgeber" bezeichnet,
({8})
der läßt erkennen, daß er für die schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe der Bundesanstalt und ihres Präsidenten keinen Sensus hat.
({9})
Selbstverständlich gilt das Neutralitätsgebot auch für die Bundesanstalt. Es ist nicht verletzt worden. Wer durch Schwerpunktstreiks auch in anderen Regionen mangels Arbeitsmaterials Arbeitseinstellungen herbeiführt, der muß auch die Konsequenzen tragen. Er kann nicht verlangen, daß sein Vorgehen von der Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert wird.
({10})
Juristische Formulierungskunst kann manches vernebeln, aber nicht die Tatsache, daß die IG Metall die Einführung der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich überall verlangt, im ganzen Lande, und nicht nur in einigen Tarifregionen. Sie hat das nachdrücklich immer wieder erklärt. Die Konsequenzen einer generellen Einführung der 35Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich habe ich von dieser Stelle aus wiederholt dargelegt.
Im schwedischen Rundfunk ist kürzlich deutlich gemacht worden, daß die 35-Stunden-Woche hier der schwedischen Metallindustrie und ihren Beschäftigten ungeheuer dienen würde. Ich will das nicht noch vertiefen, weil die Zeit zu kurz ist.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen - das ist meine ernsthafte Bitte an die Tarifvertragsparteien, und hier verdient die „Bild"-Zeitung Zustimmung, wenn sie schreibt -: „Einigt euch endlich. Vereinbart einen Abschluß, der unsere Wettbewerbsfähigkeit erhält und damit auch unsere Arbeitsplätze sichert." Das ist meine Aufforderung an die Tarifvertragsparteien heute morgen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, so ist er heute morgen erbracht worden: Wer auch immer von der Rechtskoalition zum Arbeitskampf in der Metall-
und Druckindustrie spricht, wiegelt auf und versucht, den Gewerkschaften die Schuld zuzuschieben. Das ist „absurd, töricht und dumm" - um Worte des Kanzlers aufzugreifen; hier würden sie tatsächlich passen.
({0})
Der Arbeitskampf gefährdet den Aufschwung - aber wie kann man etwas gefährden, was gar nicht da ist?
({1})
Die konservative Regierung versucht hier massiv ihre verfehlte Politik zu vertuschen.
({2})
Metaller und Drucker kämpfen um ihre Arbeitsplätze. Der Streik konnte nicht vermieden werden, weil sich die Arbeitgeber absolut stur gezeigt haben. Die Gewerkschaften waren kompromißbereit.
({3})
Aber die Arbeitgeber haben ihren Tabukatalog nicht aufgegeben, gestützt auf die Meinung der Bundesregierung.
({4})
Wochenlang wurde umsonst verhandelt. Diese völlig einseitige Tarifparteinahme für die Arbeitgeber ist ja nichts Neues. Die Arbeitgeber wurden ermuntert, alle Kompromißvorschläge abzulehnen. Sie haben Umfragen bestellt, die weismachen wollten, die
Arbeitnehmer wollten die 35-Stunden-Woche überhaupt nicht. Die Kollegen und Kolleginnen haben Sie belehrt. Die Streikfront steht. Ohne den Einstieg in die 35-Stunden-Woche gibt es keinen Kompromiß.
({5})
Arbeitgeber in der Metallindustrie sperren aus. Man kann das nicht achselzuckend abhaken und dann zur Tagesordnung übergehen. Für uns ist klar: Aussperrung ist unsozial; dafür gibt es keine Legitimation.
({6})
Wir werden sie mit allen Mitteln bekämpfen. Auch die sogenannte kalte Aussperrung ist hier mit anzugreifen. Insbesondere die Leistungsverweigerung gegenüber den mittelbar vom Arbeitskampf Betroffenen durch die Bundesanstalt für Arbeit ist eine massive Unterstützung der Arbeitgeber.
Uns so war es ja auch gemeint. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, erst wenige Wochen im Amt, hat sich schon zu einem Instrument der Bundesregierung und der Arbeitgeber gemacht.
({7})
Von Neutralitätsgebot ist hier keine Rede. Meine Herren und Damen, Juristerei hin und her: Hier wurde politisch entschieden.
({8})
Es klingt wie ein Hohn, wenn Minister Blüm erzählt, dies sei eine souveräne Entscheidung. Lachen kann man darüber nicht.
({9})
Mit dieser Entscheidung wurde unmittelbar - ganz. direkt - in den Arbeitskampf eingegriffen. Der Bundesminister setzt ja auch seine Verweigerung der Politik von Arbeitnehmerinteressen konsequent fort. Das geht bis zum Verzicht auf Tarifansprüche. Beifall erhalten Sie, Herr Blüm, von der falschen Seite, nämlich nur von den Arbeitgebern. Macht Sie dies nicht wenigstens ein bißchen nachdenklich?
({10})
Diese Einmischung in die bewährte Tarifautonomie kann man nicht erst jetzt beobachten, sondern schon längere Zeit.
({11})
Einige Beispiele: Nötigung der Arbeitnehmer von Arbed Saarstahl, auf ihr ihnen tariflich zustehendes Weihnachtsgeld zu verzichten, Möglichkeiten nach dem Vorruhestandsgesetz, Tarife zu unterlaufen. Auch das in Vorbereitung befindliche, so großspurig bezeichnete ,,Beschäftigungsförderungsgesetz" läßt erkennen, daß der Weg, Eingriffe in Tarifansprüche vorzunehmen, ständig fortgesetzt wird. All das gehört zur Wende. Erst kam der Sozialabbau, jetzt
geht es um den Abbau von Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaftsrechten.
({12})
Nicht der Streik gefährdet den sozialen Frieden, sondern die Rechtskoalition gefährdet den sozialen Frieden.
({13})
Anderthalb Jahre Wende-Politik haben den Staat in einem Maße umgekrempelt, wie wir uns das überhaupt nicht vorstellen konnten.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister für Wirtschaft. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ausführungen der Vorrednerin haben noch einmal deutlich gemacht, was jedermann dem Verlauf des SPD-Parteitags in Essen entnehmen konnte: den totalen politischen und wirtschaftspolitischen Realitätsverlust der SPD.
({0})
Wer sich hierherstellt und behauptet, der Aufschwung könne nicht gefährdet werden, weil es ihn nicht gebe,
({1})
der macht die Augen nicht auf, der liest keine Zeitung, der will nichts verstehen oder der kann nichts verstehen - wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem.
({2})
Meine Damen und Herren, wir hoffen sehr darauf, daß die jetzt geführten Gespräche zur Einigung führen. Denn niemand ist daran interessiert, einen langanhaltenden Arbeitskampf, einen sich verhärtenden Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland zu erleben. Er wird letztlich j a auch von allen bezahlt. Er wird bezahlt mit Verlust an wirtschaftlichem Wachstum; er wird bezahlt durch Zurückhaltung der Verbraucher; er wird bezahlt durch Rückgang der Steuereinnahmen des Staates. Deswegen haben alle vernünftigen Menschen im Lande ein Interesse daran, diesen Arbeitskampf nicht anzuheizen, sondern dazu beizutragen, daß man sich einigt und zu vernünftigen Ergebnissen kommt.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesminister für Arbeit wird zur Rechtsfrage der Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit noch Stellung nehmen, und zwar nicht, Frau Steinhauer, unter dem Begriff „Juristerei hin oder her", sondern unter der Frage, was Rechtens ist oder rechtens entschieden worden ist. Es ist rechtens entschieden worden.
({4})
In der Sache muß ich Ihnen sagen: Es wäre geradezu ein groteskes Ergebnis, wenn die Mehrheit der Bevölkerung, die die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ablehnt, in ihrer Eigenschaft als Beitrags- und Steuerzahler dazu herhalten müßte, die Kosten dieses Streiks zu finanzieren. Was soll denn das bedeuten?
({5})
Ich habe bei der vorigen Debatte zu dieser Frage - damals noch in Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten - gesagt, und ich wiederhole es heute: Ich fühle mich nicht sehr wohl bei einer Bundestagsdebatte auf dem Höhepunkt und in der Mitte einer Tarifauseinandersetzung. Aber ich begrüße die Gelegenheit, hier zu den unglaublichen Äußerungen des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Druck und Zensur auf dem Bundesparteitag .der SPD in Essen Stellung nehmen zu können.
({6})
Dies geschah alles unter dem Beifall des sozialdemokratischen Parteitages.
({7})
Und gestern sagte Herr Ferlemann, er habe in der Hitze des Gefechtes gesprochen. Ich führe eine Auseinandersetzung mit ihm über einen Diskussionsbeitrag hier im Deutschen Bundestag an die Adresse dieser Gewerkschaft.
({8})
Da ist Herr Ferlemann nicht bereit zuzugestehen, daß man in der Hitze der Diskussion eine klare und deutliche Äußerung macht.
({9})
Es ist schlimm genug, was Herr Ferlemann gesagt hat, noch schlimmer ist es, daß der SPD-Bundesparteitag dem zugestimmt, ihm Beifall gezollt hat,
({10})
aber am allerschlimmsten ist es, daß der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei die Kritiker dieses Vorganges auch noch mit flapsigen Bemerkungen bedenkt und Herrn Ferlemann in Schutz genommen hat.
({11})
Dies ist ein unglaublicher Angriff auf die Meinungs- und Redefreiheit in unserem Lande.
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Herr Vogel, ich fordere Sie auf, hier heraufzukommen und sich zu distanzieren.
({13})
Das ist Pressefreiheit nach sozialdemokratischem Verständnis: Freiheit für die eigene Meinung, keine Freiheit für die Meinung der anderen. So haben wir nicht gewettet, so wird in der Bundesrepublik Deutschland nicht gespielt werden.
({14})
Es ist müßig, hier noch viele Worte über Herrn Ferlemann zu verlieren. Die Nürnberger Beschlüsse seines Gewerkschaftstages, sein Interview in der kommunistischen Zeitung „Kürbiskern", sein Auftreten in Saarbrücken beim Verband Deutscher Schriftsteller, dies alles genügt. Wir wissen, die Herren Ferlemann und Hensche wollen eine andere Republik, aber wir wollen diese Republik.
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Diese andere Republik sieht so aus wie der Einsatz von Gewaltmaßnahmen vor dem Druckhaus in Stuttgart. Das ist die Republik, die diese Herren wollen, und das ist nicht unsere Republik. Wir wollen Meinungsfreiheit.
({16})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien werden sich an das halten, was Herr Kollege Bötsch vorhin gesagt hat: Wehret den Anfängen hier und jederzeit! Herr Vogel, kommen Sie hier herauf, und distanzieren Sie sich! Das wollen wir hören.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff, in einem stimme ich Ihnen zu: Wir alle haben ein Interesse daran, daß der Arbeitskampf bald beendet wird und es zu einem vernünftigen Kompromiß kommt. Wir Sozialdemokraten haben nicht jedes Wort eines Gewerkschaftsvorsitzenden zu verteidigen, aber, Graf Lambsdorff, Ihre Republik, die Sie im Augenblick ansteuern, wollen wir Sozialdemokraten mit Nachdruck verhindern.
({0})
Was Sie uns hier heute vorführen, ist ein Ablenkungsmanöver von dem, was Sie in diesem Arbeitskampf einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer eingebracht haben.
({1})
Ich fordere den Bundesarbeitsminister auf, sich die Rechtsauffassung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit noch einmal sorgfältig durch den Kopf gehen zu lassen.
Sie geben einen historischen Kompromiß auf, Herr Bundesarbeitsminister. Wenn Sie die Geschichte dieser Neutralitätsanordnung verfolgen, dann stellen Sie fest: im Jahre 1978 hat der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit eine Anweisung an die Landesarbeitsämter herausgegeben, zu prüfen, ob im Einzelfall Arbeitslosengeld
Frau Fuchs ({2})
gezahlt werden kann, weil es nicht nur darauf ankommt, welche Kernforderung erhoben wird, sondern weil Art und Umfang der gesamten Forderungen eine Rolle spielen.
Graf Lambsdorff, Sie können ja Recht verbiegen,
({3})
aber wir werden darauf aufmerksam machen, daß der jetzige Präsident der Bundesanstalt rechtlich falsch entschieden hat. Darum geht es in dieser Auseinandersetzung.
({4})
Folgendes ist hochinteressant. Jahrelang war diese Neutralitätsanordnung unumstritten. Es wurde Arbeitslosengeld gezahlt. Es kann doch nicht angehen, daß eine rechtliche Übereinkunft, seit Jahren durch Gesetz, Anordnung und Rechtsprechung zum Gemeingut geworden, durch eine politische Entscheidung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit aufgehoben wird.
({5})
Herr Minister Blüm, ich fordere Sie noch einmal auf: Machen Sie von Ihrer Rechtsaufsicht Gebrauch, und nehmen Sie diese rechtlich falsche Entscheidung zurück!
({6})
In dieser kurzen Debatte zum Schluß noch einmal zu Graf Lambsdorff. Sie sprechen von Aufschwung. Ich finde das ja fabelhaft. Wer will den Aufschwung denn nicht? Aber ich sage Ihnen: Uns Sozialdemokraten kann jeder Aufschwung gestohlen bleiben, der am Arbeitsmarkt vorbeigeht, der neue Not und Armut schafft und der die Chancengleichheit der Arbeitnehmer in dieser dramatischen Weise beeinträchtigt.
({7})
Ich habe schon einmal gesagt: Mit Ihren Argumenten suchen Sie einen Sündenbock für Ihre falsche Wirtschaftspolitik.
({8})
Das werden wir nach draußen verdeutlichen. ({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Weirich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, Sie haben eine große Chance versäumt, die Chance, sich von dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft
Druck und Papier, Ferlemann, hier ganz deutlich zu distanzieren.
({0})
Wer sich zur Pressezensur bekennt und damit gleichzeitig sagt, das Ganze sei damit letztlich ein politischer Streik, der hat ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie, der will politisch unbequeme Zeitungen und Zeitschriften mundtot machen und zerstört die Presse- und Informationsfreiheit, die allen Deutschen in diesem Land zusteht.
({1})
Dies ist auch ein Fall für den Deutschen Presserat, der in diesen Tagen Gott sei Dank wiederbelebt worden ist.
Daß es der Vorsitzende der SPD, Herr Brandt, der einstmals angetreten war, mehr Demokratie zu wagen,
({2})
und der gesagt hat: „Ihr werdet uns an unserer Toleranz erkennen", abgelehnt hat, sich von Herrn Ferlemann zu distanzieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine ganz schlimme Angelegenheit. Ich kann nur sagen: Herr Vogel, wenn Sie hier heute nicht das Wort nehmen und sich davon nicht klar absetzen, dann hat sich die SPD als Partei der Intoleranz und der ideologischen Verklemmungen zu erkennen gegeben.
({3})
Meine Damen und Herren, hier geht es nicht darum, händereibend hinter diesem Streik zu stehen, sondern letztlich darum, alles zu tun, um diese Auseinandersetzungen zu vermeiden und den Aufschwung fortzusetzen. Sie haben doch für die Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik der Zukunft einen verantwortungsvollen Beitrag zu leisten. Aber dem kommen Sie nicht nach. Was Sie hier geboten haben, Frau Fuchs, war letztlich eine Argumentation, die Abschwung auf zwei Beinen deutlich gemacht hat.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch folgendes sagen. Was uns alle angeht und nicht nur eine Frage dieses Streiks ist, ist, daß Mitglieder dieser Gewerkschaft dafür gesorgt haben, daß unbequeme Kommentare und Betrachtungen unterblieben sind, daß in einigen Zeitungen weiße Flecken erschienen sind. Dagegen sollten wir uns alle wehren. Denn weiße Flekken sind immer Schandflecken für die Pressefreiheit.
({5})
Ich füge hinzu: Wie ist es um die Basisdemokratie einer Gewerkschaft bestellt, die bei Urabstimmungen letztlich überhaupt keine Rücksicht auf die
Haltung der Arbeitnehmer nimmt, der es egal ist, ob bei Abstimmungen die 75-Prozent-Marke erreicht wird? Mit Basisdemokratie, mit gewerkschaftlichen Forderungen, mit dem Gefühl, Anwalt der Arbeitnehmer zu sein, hat das letztlich nichts mehr zu tun.
({6})
Das ist nicht nur eine Frage, die die Gewerkschaft angeht, sondern das ist auch eine Frage, die letztlich alle Bürger angeht.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit einem Appell schließen: Wir sollten alles tun - und das ist die erklärte Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Union -, damit es möglichst schnell zu einer Einigung kommt, damit der wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt werden kann. Daran sollten Sie sich, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, beteiligen, statt diesen Streik händereibend anzuheizen.
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Dies ist eine unverantwortliche Position.
({9})
Wir sollten weiter alles tun, damit eine Radikalisierung in dieser Tarifauseinandersetzung vermieden wird.
({10})
Wir sollten alles tun, damit in dieser schwierigen Situation - und natürlich bekennt sich diese Partei zum Streikrecht ({11})
das Recht gewahrt, die Menschenwürde gesichert und Rechtsbrüche verhindert werden. Dies ist ein Auftrag, der an uns alle ergeht, vor allem an Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei. Ich würde mich freuen, Herr Vogel, wenn Sie hier das Wort ergreifen und die Position Ihrer Partei endlich einmal klarstellen würden.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zu diesem Problem zeigt - wie in der Vergangenheit -, daß von den Regierungsparteien und von
der Regierung der große Rundumschlag gegen die Gewerkschaften geführt wird.
({0})
Ich möchte zunächst auf Sie, Herr Minister Lambsdorff, eingehen, der Sie sich hier zum Thema Aussperrung geäußert haben: Hier sitzt ein Kollege unter uns, der Kollege Werner Nagel, Betriebsratsvorsitzender von MWM in Mannheim.
({1})
- Ja, Sie müssen einmal zuhören. - Der Betriebsratsvorsitzende hat bei seinem Vorstand beantragt, daß die Aussperrung ausgesetzt wird. Der Vorstand des Unternehmens hat es beim Metallarbeitgeberverband versucht, doch der Metallarbeitgeberverband von Baden-Württemberg hat dies abgelehnt und verlangt, daß die Aussperrung erfolgt.
({2})
Der Betriebsrat hat sich hier im Sinne des Konjunkturaufschwungs ausgesprochen und sich wesentlich staatstragender verhalten, als der Arbeitgeberverband dies tut.
({3})
Seit Mittwoch sind die Kollegen in diesem Betrieb ausgesperrt. Dazu müßte Minister Lambsdorff einmal ein Wort sagen. Ich glaube, das ist wichtig.
Der Kollege Cronenberg hat gesagt, daß die Aussperrung Waffengleichheit schaffe. Damit soll doch letzten Endes nichts anderes erreicht werden, als die Gewerkschaften in die Knie zu zwingen.
({4})
Meine Damen und Herren, hier werden doch Legenden gestrickt! Den Gewerkschaften wird die Schuld am Streik zugeschoben, hier wird die organisierte Arbeitnehmerschaft an den Pranger gestellt. Kein Wort davon, welch verantwortungsvolle Haltung die Gewerkschaften - im Gegensatz zu den Unternehmer-Ideologen - an den Tag legen. Denn die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit ist ein Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit - und nichts anderes.
({5})
Meine Damen und Herren, die Entscheidung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, den von Kampfmaßnahmen mittelbar betroffenen Arbeitnehmern außerhalb des Arbeitskampfgebietes weder Arbeitslosengeld noch Kurzarbeitergeld zu zahlen, ist eine krasse Fehlentscheidung, und zwar am Gesetz vorbei. Das kann nur als Rechtsbruch bezeichnet werden.
({6})
Ich darf darauf hinweisen, daß die Präsidenten der Landesarbeitsämter 1978 angewiesen worden sind, in einer ähnlichen Situation, wie wir sie heute haben, entsprechendes Geld zu zahlen.
({7})
Ich darf darauf hinweisen, was der Vorsitzende der IG Metall, der Kollege Hans Mayr, zu diesem Punkt sagte - und dem ist voll und ganz zuzustimmen -:
({8})
Dieser Erlaß ist völlig unsinnig im Grunde genommen, denn er zwingt die Gewerkschaften, in der Zukunft dann völlig unterschiedliche Forderungen zu stellen, nur um diesem Erlaß gerecht zu werden. Das ist etwas ganz Absurdes, was sich hier abspielt.
Und er sagt weiter zu Recht:
Durch diese Entscheidung bekommt dieser Streik große gesellschaftspolitische Dimensionen, denn was sich hier abgespielt hat, ist etwas, was wir in der Nachkriegszeit überhaupt noch nicht erlebt haben, nämlich einseitige Parteinahmen für die Interessen der Arbeitgeber.
Das ist genau der Punkt, worum es hier geht. Hier wird die Waffengleichheit im Arbeitskampf ganz entscheidend verletzt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich feststellen, Arbeitszeitverkürzungen, worum es jetzt geht, sind notwendig, um Arbeitsplätze zu sichern, um Massenarbeitslosigkeit stückweise abzubauen. Die Bundesregierung ist nicht vermittlungsfähig und die Tarifparteien müssen den Konflikt selbst lösen. Die Schützenhilfe der Bundesregierung zugunsten der Arbeitgeber hat immer wieder neue Fehleinschätzungen produziert, und Sie haben mit dazu beigetragen. Wenn Sie, Herr Bundesarbeitsminister Blüm, sagen: „Wir zahlen kein Kurzarbeitergeld auf Krankenschein", dann ist das eine zusätzliche Verschärfung. Sie sind mit Brandstifter, indem Sie hier Öl ins Feuer gießen. Lassen Sie sich das sagen. Wir werden als Sozialdemokraten an der Seite der Gewerkschaften stehen.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen beginnen mit einer ausdrücklichen Aufforderung an den Oppositionsführer, zum Fall Ferlemann hier Stellung zu nehmen.
({0})
Herr Vogel, Sie sind gestern als Wächter des Rechtsstaates aufgetreten. Die Meinungsfreiheit ist das elementare Freiheitsrecht. Wenn Sie heute kneifen,
({1})
dann leisten Sie einen Offenbarungseid Ihrer Freiheitsgesinnung.
({2})
Ich wiederhole: Schlimm ist, was Ferlemann gesagt hat. Schlimmer ist der Beifall der SPD auf dem Parteitag. Am schlimmsten ist, daß der parlamentarische Oppositionsführer nichts zu diesem Falle sagt. Deshalb meine Bitte, Herr Vogel: Stellen Sie klar, daß dies nicht die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei ist; Sie würden sonst Ihre besten Traditionen verraten.
({3})
Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.
({4})
- Rosa Luxemburg! - Das hat nichts mit Arbeitgebern zu tun, das hat mit den demokratischen Grundrechten zu tun.
({5})
Wir haben nicht die Inquisition abgeschafft, das Mittelalter überwunden, wir haben nicht die Zensur verboten, um sie durch die Gewerkschaft von Herrn Ferlemann wieder einführen zu lassen.
({6})
Die Gewerkschaften haben eine große Freiheitstradition. Im Emanzipationskampf um Meinungsfreiheit haben sie große Verdienste. Sie würden ihre eigene Tradition beschädigen, wenn sie sich mit solchen Aussagen identifizierten.
({7})
- Das ist die Sache.
({8})
Die Entscheidung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit ist korrekt, sie ist Rechtens. Ich habe keinen Grund, dagegen einzuschreiten.
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In Zeiten überschäumender Aggression, überschwappender Emotionen ist es gut, sich am Recht zu orientieren.
({10})
Der Staat würde Verläßlichkeit, die Bürger würden Orientierung verlieren, wenn wir Streitfragen nach Gefühlslagen entschieden.
Ich weise deshalb in aller Entschiedenheit die Angriffe des Bundesparteitages der SPD auf den Präsidenten zurück. Der Präsident ist kein „Handlanger" und die Bundesanstalt kein „willfähriges Instrument der Arbeitgeberseite".
({11})
Sie fügen der Bundesanstalt mit dieser Diffamierung schweren Schaden zu.
({12})
Die Bundesanstalt ist im Arbeitskampf zur strikten Neutralität verpflichtet. Ihre Leistungen ruhen für Arbeitnehmer auch außerhalb des bestreikten Tarifgebietes, wenn dort - und jetzt zitiere ich aus der Neutralitätsanordnung - „nach Art und Umfang die gleichen Forderungen" gestellt werden. Ist hier jemand im Saal, der behauptet, die IG Metall würde die 35-Stunden-Woche nur in Nordwürttemberg und in Hessen fordern?
({13})
Sie fordert sie im ganzen Bundesgebiet. Man würde die Entschlossenheit der IG Metall in Zweifel ziehen, wenn man sagen würde, das sei nur eine Forderung neben anderen.
({14})
Meine Damen und Herren, diese Neutralitätsanordnung, auf die sich Heinz Franke stützt, stammt aus dem Jahr 1973. Genehmigt worden ist sie von einem Arbeitsminister sozialdemokratischer Herkunft, von Walter Arendt.
({15})
Exakt diese Neutralitätsanordnung führen wir aus!
({16})
Deshalb werden Arbeitnehmer außerhalb des fachlichen Tarifbereichs, die betroffen sind, weiterhin Kurzarbeiterunterstützung und auch Arbeitslosenunterstützung erhalten.
Nürnberg würde, wenn es bei Folgen von Schwerpunktstreiks in Bereichen, in denen die Arbeitnehmer vom Ergebnis des Streiks berührt werden, finanzielle Leistungen erbrächte, zu nichts anderem als zur Streikkasse der IG Metall. Aber Nürnberg ist nicht die Verwaltungsstelle der IG Metall! Das ist eine Verwechslung.
({17})
Vom Kollegen Urbaniak bin ich aufgefordert worden, in den Akten nachzusehen. Ich bin dieser Aufforderung gerne nachgekommen. Ich lese vor, was damals die Berichterstatter, u. a. der Kollege Jaschke, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, niedergelegt haben. Ich zitiere:
Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll das
- gemeint ist die Zahlung des Arbeitslosengeldes jedoch in zwei Fällen nicht gelten. Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch im wirtschaftlichen Sinne als beteiligt angesehen werden. Die Gewährung von Arbeitslosengeld in solchen Fällen würde Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
Soweit das Zitat aus dem Bericht zum Arbeitsförderungsgesetz.
({18})
Ich stütze diese Auffassung auch auf die ausdrückliche Bestätigung des ehemaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Gerhard Müller, der sich in Gewerkschaftskreisen eines hohen Ansehens erfreut.
({19})
- Zur konkreten Frage hat heute - was Ihnen, Frau Fuchs, offenbar entgangen ist - Herr Professor Gerhard Müller, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts, noch einmal festgestellt, daß die Entscheidung von Heinz Franke „unbedingt richtig ist und allein dem Recht entspricht". Das will ich festhalten.
({20})
Aber, Frau Kollegin Fuchs, ich kann Ihnen auch noch einen Brief des ehemaligen Staatssekretärs Ehrenberg
({21})
aus dem Jahre 1971 vorlesen, als er auf Beschwerde der Arbeitgeberverbände antwortete, daß weder der Beschluß des Verwaltungsrates - nämlich zu zahlen - noch die frühere Entscheidung des Präsidenten, nicht zu zahlen, im Gegensatz zum Recht stehe; beides sei rechtens. Ich übergebe Ihnen diesen Brief gern zum weiteren Studium.
({22})
Meine Damen und Herren, ich frage Sie auch, warum im sozialistisch regierten Österreich die Folgen des BMW-Streiks bei Steyr auch nicht finanziell ausgeglichen werden, warum in Saragossa im sozialistisch regierten Spanien ebenfalls nicht Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird.
({23})
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines festhalten: Diese Entscheidung des Herrn Präsidenten steht in Übereinstimmung mit dem Recht. Die Neutralität gebietet, daß die Bundesanstalt so handelt.
Aber ich will nicht nur zur rechtlichen Seite etwas sagen, sondern auch zur gewerkschaftspolitischen, zu den Schwerpunktstreiks. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Schwerpunktstreiks sind heute etwas anderes als vor 50 Jahren. In einer dicht verflochtenen Gesellschaft haben Schwerpunktstreiks eine andere Wirkung. Sie haben eine Wirkung wie bei einer Reihe aufgestellter Dominosteine: Da brauchen Sie nur den ersten umzuwerfen, und alle fallen um.
({24})
Es kann doch nicht der Sinn der Arbeitslosenunterstützung sein, daß die Gewerkschaft 10 000 Streikende unterstützt - und wir 1 Million Arbeitnehmer, die infolge dieses Streiks ohne Arbeit sind.
Das kann doch nicht der Sinn der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit sein.
({25})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich gewerkschaftspolitisch noch etwas anderes sagen: Wenn der Schwerpunktstreik das Modell zukünftiger Auseinandersetzungen ist, dann brauchen sich die Gewerkschaften nur die Schlüsselstellungen der Wirtschaft auszusuchen und können dann mit einer Handvoll Arbeitnehmern streiken, und der Rest der Republik ist lahmgelegt. Sie brauchen dann nicht mehr alle Bediensteten im Flugverkehr, sie brauchen dann nur noch die Fluglotsen, sie brauchen dann nicht mehr alle im Verkehr Beschäftigten, sie brauchen dann nur noch die BrummiFahrer, um Europa lahmzulegen. Sie brauchen dann nur noch die Wasserwerker, um eine Stadt in Schach zu halten. Wenn das die Streiktaktik ist, werden sich die Gewerkschaften verändern.
({26})
Dann werden die privilegierten Arbeitnehmer, die an diesen Schlüsselstellungen sitzen, die Arbeitnehmer werden, die in Zukunft Arbeitskampf und Forderungen dominieren. Das führt zu einer Entsolidarisierung in der Arbeitnehmerschaft. Das führt zu einer Balkanisierung der Gewerkschaften. Das führt zu englischen Verhältnissen. Wir verlieren sozusagen die ausgleichende Kraft der Gewerkschaften.
({27})
Meine Damen und Herren, zum Streik habe ich nur einen Wunsch, den, daß dieser Arbeitskampf bald zu Ende ist.
({28})
Ich stehe hier als Sozialminister
({29})
und habe Sparmaßnahmen zu vertreten, die uns allen schwergefallen sind. Das sind Sparmaßnahmen, die wir den Behinderten zumuten mußten. Der Streik von 1 Million Arbeitnehmern über vier Wochen kostet die Bundesanstalt für Arbeit, die Krankenversicherung, die Rentenversicherung, das Finanzamt bereits so viel, wie wir in diesem Jahr den sozial Schwächeren an Sparmaßnahmen zumuten mußten.
({30})
Das Ergebnis unserer Anstrengungen zerrinnt uns unter den Händen - durch einen rücksichtslosen Arbeitskampf.
({31})
Die Einschränkung der Freifahrten für Schwerbehinderte hat dem Bund rund 100 Millionen DM Entlastung gebracht. Bereits in der ersten Streikwoche, als die Zahl der Streikenden noch relativ
gering war, hatten wir in der Renten-, Kranken-
und Arbeitslosenversicherung rund 50 Millionen DM Einnahmenausfall. In der zweiten Woche haben wir bereits doppelt so viel an Ausfall, wie durch diese Sparmaßnahme den Behinderten zugemutet werden mußte - nur damit wir die Proportionen einmal klar haben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß, wenn der Pulverrauch der Auseinandersetzung verzogen ist, eine Besinnungspause auf allen Seiten einsetzen wird. Ich will mich gerne daran beteiligen.
Ich stelle nur fest: Ideologen, die die Arbeitnehmer in diesen Kampf gehetzt haben, haben die Gewerkschaften in eine Sackgasse manövriert.
({32})
Und die SPD hat Schmiere gestanden. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie versuchen, mit Hilfe der Gewerkschaften einen Revanchekampf für Wahlniederlagen durchzuführen.
({33})
Wir hatten unseren Amtseid noch nicht geleistet, da hatte uns die Zeitung der IG-Metall bereits in die Nähe der Faschisten gebracht.
({34})
Diese Gewerkschaften gefährden die Einheitsgewerkschaft, gefährden Errungenschaften der Nachkriegszeit. Deshalb appelliere ich an die Gewerkschafter, an die gestandenen Gewerkschafter in allen Reihen, bei der SPD, bei der CDU/CSU, wo immer sie sind, sich zusammenzufinden, zusammenzustehen und sich gegen die Eroberung der Ideologen, der Theoretiker der Gewerkschaften gemeinsam zu wehren. Die Arbeiter haben es nicht verdient, daß sie in die Hände von Gesellschaftsüberwindern geraten. Dieser Arbeitszeitkampf ist von manchen zu einer Machtfrage der Gewerkschaften gemacht worden. Wäre er ein Arbeitszeitkampf geblieben, wäre er leichter zu lösen gewesen.
Ich wünsche den Arbeitnehmern, die jetzt im Streik stehen,
({35})
ich wünsche denjenigen, die keine Unterstützung erhalten, daß dieser Streik bald ein Ende findet. Deshalb sollen die Partner aufeinander zugehen und dieses schlimme Spiel beenden.
({36})
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was der Arbeitsminister diesem Hause zumutet.
({0})
Er bringt da einen Brief. Der Brief besagt, daß Herbert Ehrenberg 1972 die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes für richtig gehalten hat.
({1})
Und das genaue Gegenteil wird diesem Hause erzählt.
({2})
Die Wahrheit ist seit der Wende eine ganz besondere Wahrheit, nämlich eine Unwahrheit, um das mal deutlich zu sagen.
({3})
Herr Arbeitsminister, Sie haben zu einem flächendeckenden Brand im Tarifkonflikt beigetragen.
({4})
Nun beklagen Sie nach Art der Biedermänner die Folgen Ihres frevelhaften Treibens.
({5})
Nicht der Aufschwung wird kaputtgestreikt. Unser Gesellschaftssystem wird zuschanden geritten, wenn Sie und Ihre Entreicherer die Tugend des Kompromisses im Tarifkonflikt nicht wiederentdecken.
({6})
Sie haben vom Kanzler bis zum Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit ein schlimmes Beispiel einseitiger Parteinahme gegeben.
({7})
Sie sind, einmal aus Tollpatschigkeit - das würde ich dem Regierungschef zurechnen -, manchmal aus Berechnung - das würde ich dem Grafen zurechnen - zu Minenhunden des großen Geldes geworden, und so benehmen Sie sich auch.
({8})
In der Art tumber Toren ermutigen Sie alle, die diese Republik in einen Klassenstaat zurückverwandeln möchten. Sie haben Wind gesät, und Sie werden einen Orkan ernten.
({9})
Meine Partei hat von Anfang an zu rechenbaren Kompromissen geraten.
({10})
Solche Kompromisse sind auch heute noch möglich und notwendig dazu. Sie werden von Tag zu Tag, wie mir scheint, dringender. Deshalb meine ich: Halten Sie hier nicht vollmundige Reden, sondern tragen Sie dazu bei, daß in diesem Lande wieder Tariffriede entstehen kann.
({11})
Ihr Kanzler - das gebe ich zu - hat sich als Vermittler disqualifiziert, der Arbeitsminister ebenfalls. Auch der Wirtschaftsminister wäre nicht in der Lage, Vermittler zu sein. Er ist auch in andere
Affären verstrickt. Ich finde, das ist das schaurigste Kabinett, das diese Republik je beschert bekommen hat.
({12})
Es ist unfähig, in seiner brisanten gesellschaftspolitischen Situation zu agieren.
({13})
Sie haben ein Klima mit zu verantworten, in dem wir die ersten Schwerverletzten zu beklagen haben. Ein Mitglied dieses Hauses ist ausgesperrt. Ich sage Ihnen nur dies: Stiften Sie Friede, damit nach den Schwerverletzten in diesem Tarifkonflikt nicht auch noch Tote zu beklagen sind.
({14})
Sie beschuldigen den Vorsitzenden der Gewerkschaft, der ich angehöre, sich als Oberzensor aufzuspielen.
({15})
Wie töricht! Selbst der gehässigste Kommentar ist von den Druckern vervielfältigt worden. Sonst könnten Sie nämlich nicht daraus zitieren. Alles ist erschienen.
({16})
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Gesellschaft, die Sie meinen, macht uns frösteln. Sie wollen gedemütigte Arbeitnehmer, die konsumfroh Schulden für den Aufschwung auf sich nehmen. Ich bedaure, nein: ich fürchte Ihre Politik.
({17})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Meine Damen und Herren, nur eine kurze Klarstellung: Der Brief ist Eigentum des Bundesarbeitsministeriums. Ich möchte die SPD bitten, ihr Verhältnis zum Eigentum zu klären und mir den Brief zurückzugeben.
({0})
Ich will noch einmal klarstellen, was ich gesagt habe. Staatssekretär Ehrenberg hat damals 1971 klargestellt, daß er keinen Grund zum Einschreiten hatte, und zwar weder Grund zum Einschreiten, als der Präsident nicht zahlen wollte, noch Grund zum Einschreiten, als der Verwaltungsrat zahlen wollte.
({1})
Das habe ich festgestellt. Damit habe ich klargestellt, daß diese unsere Rechtsposition durchaus
korrekt ist und in der Tradition steht, daß dies die
souveräne Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit ist.
({2})
- Die Wahrheit mag wehtun.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Burgmann.
Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde!
({0})
Herr Blüm, Sie haben gerade über Waffengleichheit geredet. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal aktuell zitieren: In Baden-Württemberg und Hessen wird gestreikt. In Hamburg-Harburg aber schließt Daimler-Benz sein Zweigwerk und setzt die Arbeiter auf die Straße.
({1})
Kalte Aussperrung nennt man das.
Der sozialdemokratische Sozialminister Ehlers verspricht großzügige Sozialhilfe und sagt klar, daß Sozialhilfe nur bekommt, wer total entreichert ist. Er sagt weiter: „Autos müssen genauso verkauft werden wie Stereo-Anlagen."
Am gleichen Tag melden die Zeitungen: Daimler gegen Streikeinbußen gut gewappnet. - Der Konzern machte 1983 fast 1 Milliarde Gewinn. - Ich frage Sie, Herr Bundesminister: Wieviel Unternehmer müssen in diesem Arbeitskampf wohl zum Sozialamt gehen? Die Waffen sind nicht gleich verteilt in unserer Gesellschaft.
({2})
Die Unternehmer haben das Geld und das Sagen. Sie stellen ein und aus, sie bestimmen die Löhne, zumindest teilweise, die Preise ganz; sie machen die Investitionen und Rationalisierung, schaffen Arbeitsplätze und bauen sie ab oder verlagern sie ins Ausland. Streik und unter Umständen auch Betriebsbesetzungen sind die einzigen Druckmittel, die der Arbeitnehmer überhaupt hat.
({3})
Die Aussperrung soll nun auch dieses Mittel noch wirkungslos machen. Aussperrung schafft keine Waffengleichheit, sondern sie verstärkt die in unserer Gesellschaft bestehende Ungleichheit.
({4})
Die Schöpfer des Grundgesetzes haben aus der leidvollen Erfahrung der Vergangenheit bewußt das Streik- und Koalitionsrecht im Grundgesetz verankert. Es gibt im Grundgesetz aber kein Recht auf Aussperrung, und dennoch wird es von vielen Seiten als gleichberechtigtes Gegenmittel bezeichnet.
Der Präsident der Bundesanstalt hat hier eine weitere Ungleichheit aufgesattelt. Er zahlt keine Unterstützung an die mittelbar Betroffenen.
({5})
Er behauptet, die Bundesanstalt müsse sich neutral verhalten. In Wirklichkeit - das hat er selber gesagt - sollen die Gewerkschaften wieder an den Verhandlungstisch gebracht werden. Das ist ein unglaublich einseitiges Eingreifen zugunsten der Unternehmer durch die Bundesanstalt, durch Herrn Franke, und schließlich auch durch Herrn Blüm und die Bundesregierung.
Herr Blüm, Sie haben in großartiger Weise Solidarität mit ihren Kollegen in der IG Metall bewiesen, indem Sie ihnen den letzten Boden unter den Füßen wegzuziehen versuchten. Sie sollten davon nicht mit Herrn Ferlemann ablenken. Sie sollten lieber ihr Gewerkschaftsbuch mit dem Buch des Arbeitgeberverbandes eintauschen.
({6})
Meine Damen und Herren, wir können eines daraus schließen: Die Fronten in dieser Auseinandersetzung sind ganz klar. Ich kann den Kollegen draußen nur sagen: Ihr seid ganz auf eure eigene Kraft gestellt. - Wie immer dieser Kampf ausgehen wird, eines ist wichtig - das möchte ich hier besonders hervorheben -: Sie haben ihr Schicksal selber in die Hand genommen. Die Kollegen warten nicht mehr auf die Gnaden der Unternehmer oder auf die Untätigkeit des Ministers Lambsdorff. - Herr Lambsdorff, Sie haben als Wirtschaftsminister über viele Jahre Arbeitslosigkeit in Millionenhöhe zu verantworten. Sie haben gar kein Recht zu kritisieren, wenn nun die Kollegen mit ihren Möglichkeiten versuchen, selber etwas dagegen zu tun.
({7})
Dieser Streik ist kein Schaden für unsere Republik, auch wenn er ein paar Millionen DM kostet, sondern es ist ein Zeichen für autonomes selbstbewußtes demokratisches Handeln der Arbeiter draußen. Ich kann den Kollegen nur sagen: Diese Regierung vertritt euch nicht; ihr müßt eure Interessen selber vertreten,
({8})
so wie wir es in der Friedensbewegung, in der Frauenbewegung, in der Ökologiebewegung getan haben. Ich kann den Kollegen nur viel Erfolg wünschen und ihnen unsere ganze Solidarität bekunden. Wir hoffen, daß es nicht zu einem faulen Kompromiß, sondern zu einem guten Einstieg in die 35Stunden-Woche kommt.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Urbaniak hat mich in meiner Eigenschaft als damaliger Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit
Müller ({0})
zitiert, unter dessen Federführung das Arbeitsförderungsgesetz beraten worden ist. Ich möchte daher dazu Stellung nehmen.
Der Gesetzgeber hat in § 116 Arbeitsförderungsgesetz den eindeutigen Rechtsgrundsatz aufgestellt: Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden. Die Bundesanstalt für Arbeit ist bei Arbeitskämpfen zu strengster Neutralität verpflichtet. Die Entscheidung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, mittelbar vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmern der Metallindustrie außerhalb des Arbeitskampfgebiets kein Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld zu zahlen, steht im Einklang mit Sinn und Wortlaut des Arbeitsförderungsgesetzes und der dazu ergangenen Anordnungen des Verwaltungsrats.
({1})
Es handelt sich um eine Maßnahme von großer sozial- und tarifpolitischer Tragweite. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß Zehntausende von Arbeitnehmern in der Metallindustrie und ihre Familien dadurch hart betroffen werden.
Es ist das gute Recht der IG Metall, diese Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit zu kritisieren. Unerträglich ist aber, daß sie in verleumderischer Weise von einem eklatanten Rechtsbruch spricht und den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit persönlich verunglimpft.
({2})
Erkennt eigentlich die IG Metall nicht, daß sie damit dem Rechtsstaat, der auch die Gewerkschaften und ihre Tarifautonomie schützt, einen Bärendienst erweist,
({3})
Wenn sie dem obersten Chef der Arbeitsverwaltung bewußte Rechtsbeugung vorwirft?
({4})
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, rühmen sich eines besonders guten Verhältnisses zur IG Metall und zur IG Druck. Es ist Ihre Pflicht, angesichts dieser Entgleisungen mäßigend auf die dafür verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionäre einzuwirken.
({5})
Statt dessen gießen Sie Öl auf das Feuer des Tarifkampfs und applaudieren den Äußerungen eines Herrn Ferlemann von der IG Druck und Zensur.
({6})
Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben den vergeblichen Versuch gemacht, den historischen Gesetzgeber für ihre Rechtsansicht in Anspruch zu nehmen. Denn sie zitieren bewußt unvollständig aus den Gesetzesmaterialien. Als ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit muß ich ihrer den Willen des Gesetzgebers verfälschenden Interpretation des § 116 AFG entschieden widersprechen.
({7})
Der Ausschußbericht sagt nämlich klipp und klar:
Arbeitnehmer, die durch mittelbare Auswirkungen eines Streits arbeitslos geworden sind, sollen in Zukunft im allgemeinen Arbeitslosengeld erhalten. Mit Rücksicht auf die Neutralitätspflicht soll das jedoch in zwei Fällen nicht gelten: Wenn der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers abzielt, muß dieser sowohl nach einer natürlichen Betrachtungsweise als auch im wirtschaftlichen Sinn als beteiligt angesehen werden. Die Gewährung von Arbeitslosengeld in solchen Fällen würde Schwerpunktstreiks fördern und wäre daher nicht streikneutral.
({8})
Ich meine, dieser Passage ist nichts hinzuzufügen. Sie stützt in durchschlagender Weise die Rechtsansicht des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit.
({9})
Der Bundesarbeitsminister hat schon den früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts zitiert. Dieses Gesetz, so sagt Gerhard Müller, will die Neutralität des Staates in Arbeitskämpfen sicherstellen. Mittelbar betroffene Arbeitnehmer sollen dann keine Unterstützung erhalten, wenn das Kampfziel auch für sie unmittelbare Bedeutung hat. Das ist hier der Fall. Die IG Metall verlangt ja für alle Bezirke zentral - das ist das Entscheidende - die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich.
Es geht in diesem Arbeitskampf in der Tat um die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Alle übrigen unterschiedlichen Forderungen der IG Metall in den verschiedenen Tarifbezirken sind verschleierndes Beiwerk. Die völlige Identität der Forderungen im Sinn einer mathematischen Deckungsgleichheit ist nicht erforderlich.
Die CDU/CSU begrüßt es ausdrücklich, daß die umstrittene Rechtsfrage zum Gegenstand einer höchstrichterlichen Überprüfung gemacht werden soll. Es wäre dem Rechtsfrieden gewiß förderlich, wenn das Bundessozialgericht in naher Zukunft einen Schlußstrich unter diese Kontroverse ziehen würde.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Rappe.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum wollen Sie denn nicht zunächst mit mir vorlieb nehmen?
({0})
Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen über die bisherige Entwicklung und den Stand heute machen, weil ich auf einen ganz bestimmten Punkt zu sprechen kommen will.
Auf Verhandlungen und Urabstimmung hat die IG Metall, weil eine Weiterentwicklung nicht möglich war, regional mit dem Streik in Baden-Württemberg und regional mit dem Streik in Hessen reagiert. Dies ist ein normaler Ablauf der Dinge. Darauf haben die Arbeitgeber, und zwar nicht nach den Regeln der Verhältnismäßigkeit, in Nordwürttemberg/Nordbaden ausgesperrt.
({1})
Darauf haben alle Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund regional - wiederum nur in Nordwürttemberg/Nordbaden - entsprechend der Verhältnismäßigkeit mit einer Stunde Sympathiestreik und Kundgebungen geantwortet.
({2})
- Das ist nicht wahr.
Darauf, meine Damen und Herren, erfolgten die Verhaltensweise und die Anordnung der Bundesanstalt.
Herr Bundesarbeitsminister, auf diese regionale Entwicklung und Antwort des ganzen DGB in einer - ich hoffe: auch noch bei einigen von Ihnen vorhandenen - Haltung der sachlichen und notwendigen, aber in der Begrenzung richtigen Auseinandersetzung antwortet die Bundesanstalt, durchaus im Wissen um das, was dies bedeutet, mit einer in diesem Falle bundesweiten Entscheidung.
({3})
Herr Bundesarbeitsminister, in aller Ruhe: Man kann eine Frage natürlich juristisch beantworten und so oder so auslegen. Mein Kollege Müller hat als Ausschußvorsitzender ausweislich des Protokolls 1968 im Ausschuß für Arbeit die Sache anders kommentiert als heute.
({4})
Ich will Ihnen als Gewerkschaftsvorsitzender und als politischer Mensch folgendes sagen. Sie hätten als Bundesarbeitsminister auf diese ganze stufenweise - und normale - Reaktion der Gewerkschaften in dieser Auseinandersetzung mit einer klugen politischen Entscheidung antworten können. Sie haben dies nicht getan. Sie haben die Sache bewußt eskalieren lassen. Das ist die Frage, um die es geht.
({5})
Man kann in einer Auseinandersetzung sachlich bleiben und zu dämpfen versuchen. Man kann in einer Auseinandersetzung auch weiter schüren. Das ist mein Vorwurf, den ich an Sie richte, weil ich
glaube, daß der Präsident der Bundesanstalt keine Entscheidung ohne Ihre Konsultation gefällt hat.
({6})
Meine Damen und Herren, noch zwei Bemerkungen zum Schluß. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben meiner Ansicht nach heute morgen hier im Parlament eine Rede gehalten,
({7})
die gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund und allen seinen Gewerkschaften den Rubikon überschritten hat.
({8})
Das war nicht nur eine schlimme, sondern das war - wenn Sie es nachlesen, werden Sie es sehen - eine antigewerkschaftliche Rede, die jeden im Deutschen Gewerkschaftsbund, jeden Vorsitzenden in eine klare Konfrontation zu diesem Kabinett bringen muß.
({9})
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie diese reaktionäre Rede billigen und mit diesem Wirtschaftsminister im selben Kabinett bleiben, dann sind Sie für alle Gewerkschaften keine gute Adresse mehr. Das ist die Frage, um die es geht.
({10})
Diese Bundesregierung hat nicht nur mit Bemerkungen die Auseinandersetzung belastet, sondern mit dieser Rede ist die Konsensfähigkeit in dieser Republik strapaziert worden. Das ist mein Vorwurf gegen Sie.
({11})
Ich sage Ihnen: Bis heute gibt es im Deutschen Gewerkschaftsbund Konsensfähigkeit im Interesse dieser Republik, die Sie strapazieren.
Zum Schluß: Der Kollege Ferlemann, Herr Bundeswirtschaftsminister, hat seine Ausführungen auf dem Parteitag am Dienstag presseöffentlich zurückgenommen und bedauert.
({12})
Herr Kollege Rappe, führen Sie Ihren Satz bitte zu Ende. Dann muß ich Sie leider bitten, das Rednerpult zu verlassen.
Mein Kollege Ferlemann hat eine große Schwierigkeit. Er bestreikt Druckereien, keine Zeitungen. Er ist sich dieser Schwierigkeit bewußt. Er hat unsere volle Solidarität. Aber unter Ehrenleuten nimmt man eine Entschuldigung an.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei allem Respekt, Herr Kollege Rappe, vor Ihrer Integrität: Aber selbst Ihr leidenschaftlichster Beitrag kann nicht dazu führen, daß über personelle Verunglimpfungen das Kabinett oder die Regierungskoalition auseinanderdividiert werden kann. In dieser Frage ist sich diese Regierung, der Wirtschaftsminister, der Arbeitsminister und die sie tragenden Fraktionen, völlig einig. Wir stehen vor beiden.
({0})
Es tut mir furchtbar leid, daß der Herr Vogel jetzt gegangen ist.
({1})
Herr Rappe, wir sehen Sie sehr gerne. Aber wir hätten in der Frage Ferlemann lieber den Herrn Vogel gehört,
({2})
weil nach meiner Information der Herr Ferlemann nicht in einer hektischen Reaktion auf dem Parteitag in Essen geredet, sondern eine vorbereitete Rede abgelesen hat. Wenn sich ein Justizminister in Ruhe und ein parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer von diesen Ausführungen nicht distanzieren, ihnen in Essen vielmehr applaudiert haben, muß ich sagen: Sie gefährden die Pressefreiheit in diesem Lande. So ist das.
({3})
Herr Kollege Lutz, Sie haben die Kompromißfähigkeit angemahnt. Für uns Liberale -({4})
ich glaube, für uns alle in diesem Lande - gibt es in allen Fragen Kompromißfähigkeit. Aber in dieser Frage sind wir kompromißlos für die uneingeschränkte Pressefreiheit.
({5})
Ich darf Ihnen, Herr Vogel, als bayerischen Landsmann noch eines sagen: Wir Freie Demokraten haben für Pressefreiheit gestritten - ({6}) - Ja, wer denn sonst?
Ich sage Ihnen nur eines, Herr Lutz: Man kann sich nicht so, wie Sie es getan haben, hier hinstellen und sagen, wir sollten Frieden stiften. Was Sie gestiftet haben, war alles andere als Frieden. Das war Unfrieden.
({7})
Ich darf Ihnen nur noch einmal den zweiten Teil dessen vorlesen, was die Aussperrung betrifft. Wie halten Sie es denn mit dem Rechtsgrundsatz der Aussperrung? Herr Rappe, Sie haben jetzt ganz deutlich gemacht, was Sie eigentlich wollen.
({8})
Sie wollen zweierlei: Sie wollen bestimmte Regionen und damit auch bestimmte Betriebe bestreiken. Sie haben sich ja mit Ihrem Streik vorwiegend auf mittelständische Betriebe konzentriert, die Zulieferer der Autoindustrie sind. Wenn sie bestreikt werden, werden Millionen von Arbeitsplätzen gefährdet. Damit haben Sie deutlich gemacht - von Gewerkschaftsseite her verstehe ich das durchaus -, daß Sie die Streikkosten im Grunde genommen sozialisieren wollen. Ich bin nicht dafür zu haben, daß wir die Streikkosten sozialisieren und damit die Existenz tausender mittelständischer Betriebe gefährden. Sie gefährden Tausende mittelständische Unternehmen, und Sie gefährden Hunderttausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Das kann keine soziale Politik sein.
({9})
Meine Damen und Herren, wir stehen im Augenblick in einer schwierigen Situation. Wir sind nicht nur dabei, einen Aufschwung zu registrieren. Was Sie auf Ihrem SPD-Parteitag beschlossen haben, die neuen Technologien für die mittelständische Wirtschaft, das vollzieht sich schon lange. Es werden neue Erfindungen gemacht, die nicht nur in den nationalen, sondern auch in den internationalen Markt Eingang finden. Wir verzeichnen bereits Anfangserfolge auf diesem Gebiet.
Wenn Sie die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich durch Arbeitskämpfe erstreiken wollen, dann werden Sie diese Entwicklung eklatant gefährden, und Sie werden nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze schaffen.
({10})
Ich darf zum Abschluß eines sagen. Ich schließe mich dem Appell des Arbeitsministers, aber auch dem Appell des Wirtschaftsministers an - das haben Sie anscheinend überhört -, nämlich aufeinander zuzugehen - ({11})
- Entschuldigen Sie, Sie haben die Rede vom Herrn Lambsdorff in zwei Teile zu unterteilen.
({12})
Das eine ist die Ferlemann-Geschichte, nämlich die Beendigung der Veranstaltung Pressefreiheit, und das andere waren die Auswirkungen des Streiks auf den Arbeitsmarkt. Und hier lassen wir uns von Ihnen doch nicht vormachen, wie man neue Arbeitsplätze schaffen kann. Das haben Sie in ProGrünbeck
gramme hineingeschrieben, aber in der Realität noch niemals verwirklicht.
({13})
Herr Kollege, bitte nur noch ein Satz!
Wir brauchen den sozialen Frieden, weil wir diese Herausforderungen zu bestehen haben. Wir appellieren auch an Sie, die gemeinsamen Bemühungen mitzutragen, damit wir die Herausforderungen zum Wohle aller, nämlich der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, bestehen können.
({0})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt
Einspruch des Abgeordneten Dr. Emmerlich gegen den am 24. Mai 1984 erteilten Ordnungsruf
auf. Über diesen Einspruch entscheidet der Bundestag gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung ohne Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einspruch stattgeben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit. Der Einspruch ist zurückgewiesen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Freilassung von Andrej Sacharow und Jelena Bonner
- Drucksache 10/1473 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Freilassung von Andrej Sacharow und Jelena Bonner
- Drucksache 10/1495 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren bewegt das Schicksal des sowjetischen Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow und seiner Familie die Welt. Seit Jahren müssen die Demokraten im Westen mit Sorge und Ohnmacht mitansehen, wie
ein innerlich unabhängiger und unbeugsamer Mann als einzelner die Menschenrechte auf Gedankenfreiheit und Bewegungsfreiheit durchzusetzen versucht. Sacharow und seine Frau Jelena haben dies bisher mit langjähriger Verbannung, mit Isolation und äußerster Gefährdung der Gesundheit bezahlt. Wir erinnern uns an die siebzehn Tage Hungerstreik, die Andrej Sacharow vor zweieinhalb Jahren wegen der Ausreise seiner Schwiegertochter durchhielt.
Wir erleben nun in diesem Mai erneut einen Hungerstreik der Eheleute, der schon viel zu lange dauert. Wir lesen im Regierungsorgan Iswestija vom vergangenen Sonntag die Ankündigung der strafrechtlichen Verfolgung Jelena Bonners.
Dies alles fordert unser tiefstes Mitgefühl heraus. Wir wollen und können nicht hinnehmen, daß so mit Menschen umgegangen wird.
({0})
Im Westen hat sich eine Front der Solidarität mit Andrej Sacharow und Jelena Bonner gebildet. Schriftsteller, Künstler, Menschenrechtsorganisationen und Politiker in aller Welt haben an die Verantwortlichen in der Sowjetunion appelliert, um die Bedrohten zu retten. Ob es die Regierungen in Italien oder Kanada oder die Europäische Gemeinschaft sind, der schweizerische Bundesrat, das spanische Parlament, der Amerikanische Kongreß, das Europäische Parlament, alle bitten die Sowjetunion, endlich Menschlichkeit zu zeigen und zu gewähren, und es nicht zum Äußersten kommen zu lassen.
({1})
Wir danken besonders auch der Bundesregierung, die sich wiederholt für Sacharow verwendet hat, zuletzt mit dem jüngsten Appell des Bundeskanzlers an die sowjetische Regierung und mit der klaren Sprache des Bundesministers des Auswärtigen vor wenigen Tagen in Moskau. Die CDU/CSUFraktion begrüßt besonders auch die Einigkeit mit der Fraktion der SPD, die in unserem gemeinsamen Antrag heute hier zum Ausdruck kommt. Hinter der Tragödie von Gorki muß alles Trennende zurückstehen.
Im letzten Appell von Sacharow an den Westen heißt es:
Mein Hungerstreik ist unbefristet. Ich beendige ihn erst, wenn meiner Ehefrau die Reise genehmigt wird. Ihr Tod wäre auch mein Tod. Wiederum wie vor zwei Jahren bitte ich um Ihre Hilfe: Retten Sie uns!
Wir haben diesen Hilferuf gehört. Wir Deutsche sind Sacharow besonders verpflichtet, denn er hat wie kein zweiter Frieden und Menschenrecht beschworen, deren unlöslicher Zusammenhang der Kern der deutschen Teilung und des deutschen Schicksals seit dem Kriege ist. Wir vergessen auch nicht, daß es Sacharow war, der schon vor 10 Jahren mutig seine Stimme erhoben hat, als er für die Deutschen in der Sowjetunion die Möglichkeit un5112
behinderter Auswanderung verlangte und die Verfolgung ausreisewilliger Deutscher verurteilte.
({2})
Sacharow hat damals gesagt - ich zitiere wörtlich -:
Die Verteidigung des Rechts, ungehindert das eigene Land zu verlassen und wieder zurückkehren zu dürfen, sowie der freien Wahl des Aufenthaltslandes ist sozusagen der Prüfstein, das Übungsgelände, um den gesamten Stil der Entspannung zu bestimmen.
Meine Damen und Herren, heute liegt dieser Prüfstein in Sacharows Person selbst und seiner Frau. Es ist daher unsere Aufgabe im Parlament, aber auch die Aufgabe der freien Medien, an die ich besonders appelliere, alles zur Rettung der Sacha-rows zu tun und uns ihrer anzunehmen. Wir appellieren an die Verantwortlichen in der Sowjetunion: Gewähren Sie dem Ehepaar Sacharow die medizinische Hilfe, die es braucht, auch und gerade die verlangte Behandlung im Ausland! Lassen Sie Andrej Sacharow und Jelena Bonner ziehen, wohin sie wollen! Die Sowjetunion würde damit nicht nur ihren Verpflichtungen gerecht, die sie in Helsinki eingegangen ist, sie würde sich auch ein Stück Respekt und Vertrauen der freien Welt erringen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sowjetische Bürgerrechtler, Wissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow hat am 2. Mai, vor über drei Wochen, einen unbefristeten Hungerstreik mit der Forderung begonnen, seiner schwerkranken Frau, Jelena Bonner, eine Reise ins Ausland zu gestatten, um sich dort ärztlich behandeln zu lassen und Verwandte zu treffen. Er und seine Frau, die sich trotz schwerster Gesundheitsschäden dem Hungerstreik angeschlossen hat, wehren sich mit diesem letzten Mittel verzweifelt gegen die Versuche der sowjetischen Behörden, sie zu isolieren und zum Schweigen zu bringen. Und sie wehren sich gegen die Zerstörung ihrer geistigen und physischen Existenz.
Für Sacharow, der kurz nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nach Gorki verbannt wurde, ist die Situation in der Verbannung so unerträglich geworden, daß er entgegen seiner früheren Haltung heute bereit wäre, die Emigration zu wählen.
Sacharow hat das Gefühl der Verantwortung aus den Erkenntnissen, die er als Atomphysiker gewonnen hat, zum Widerstand gegen das herrschende Regime gebracht. In seinem Memorandum „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit", das 1968 in den Westen gelangte, hat Sacharow zwei Hauptthesen formuliert: Angesichts der ungeheueren Gefahr für die Menschheit durch einen thermonuklearen Krieg sei jede Handlung, die die Spaltung der Menschheit vertiefe, abzuwenden. Dazu sei unbedingte geistige Freiheit Voraussetzung, Freiheit von dem Druck der Autorität und Vorurteile. Daraus abgeleitet forderte er Beachtung der Bürgerfreiheiten und Menschenrechte und allseitige kontrollierte Abrüstung.
In zahlreichen Briefen und Memoranden setzte er sich für politische Gefangene ein, die in sowjetischen Lagern, Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken festgehalten werden. Er trat für die Abschaffung der Todesstrafe in der Sowjetunion ein und forderte die Herstellung der Öffentlichkeit auch bei politischen Prozessen. Er setzte sich für die Ausreiseanliegen der Rußlanddeutschen und der Juden ein.
Seine besondere Bedeutung lag und liegt darin, daß er mitten in der UdSSR, nicht von außen, seine Appelle formuliert und seinen Kampf für die Bürger- und Menschenrechte führt und daß er sich für die Werte einsetzt, an die er glaubt.
({0})
Dies, so wurde einmal von einem Kenner der Sowjetunion gesagt, fürchtet die sowjetische Führung am meisten: Durch seinen unerschrockenen und beharrlichen Einsatz für die Freiheitsrechte, die ihren Bürgern zu gewähren sich in der Schlußakte von Helsinki auch die Sowjetunion verpflichtet hat, ist Sacharow zu einem moralischen Symbol der Menschlichkeit geworden.
Sein jüngster Aufruf und der Hungerstreik sind der verzweifelte Ausdruck der Sorge um das Überleben seiner Frau und von ihm selbst. Aus humanitären Gründen appellieren wir an die Regierung der UdSSR, dem Ehepaar Sacharow die von ihm verlangte medizinische Hilfe zu ermöglichen und ihrem Wunsch nach baldiger Ausreise zu entsprechen.
Die SPD-Fraktion unterstützt den gemeinsamen Entschließungsantrag zur Freilassung von Andrej Sacharow und Jelena Bonner.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer gemeinsamen Entschließung protestiert der Deutsche Bundestag gegen die grausame und die einfachsten Menschenrechte mißachtende Behandlung des großen russischen Physikers Andrej Sacharow und seiner Frau Jelena Bonner. Gemeinsam appellieren wir mit allen uns zu Gebote stehendem Nachdruck an die Regierung der Sowjetunion, das Schicksal des Ehepaars zu erleichtern. Wir tun dies, meine Damen und Herren, obgleich wir uns bewußt sein müssen, daß auch dieser Appell und Protest wie ungezählte vor ihm aller Erfahrung nach wahrscheinlich ungehört verhallen wird. Dennoch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Protest und Appell mehr und etwas anderes als eine Pflichtübung.
Das tragische Schicksal dieses Mannes hat im Laufe der Jahre Symbolkraft gewonnen für den Kampf um die Wahrung der einfachsten Menschenrechte, wie sie in der Schlußakte von Helsinki für alle Unterzeichnerstaaten verbindlich geworden sind,
({0})
Symbolkraft aber auch, meine Damen und Herren, für die Standhaftigkeit und die persönliche Hingabe an die große Idee der Menschenwürde, die Glaubens- und Gewissensfreiheit mit einschließt.
Meine Damen und Herren, was anderes haben sich Sacharow und die ihm Gleichgesinnten denn eigentlich zuschulden kommen lassen als dies: gewaltfrei dafür zu kämpfen, daß die einfachsten Menschenrechte beachtet werden, und in konkreten Fällen von Verstößen und Willkür gewaltfrei dagegen zu protestieren? Was hat er sich anderes zuschulden kommen lassen, als beharrlich, j a bis zur letzten persönlichen Konsequenz für Menschlichkeit und für Menschenwürde einzustehen? Nichts anderes ist ihm „vorzuwerfen": keine Gesetzesverstöße, keine Umsturzversuche, keinerlei Gewalt.
Das kann und das muß für uns, die wir das Glück haben, in Freiheit zu leben, Vorbild und Verpflichtung zugleich sein, und das hebt auch diese Entschließung über alle Routine hinaus. Wir wollen und wir dürfen uns zwar nicht in innere Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen, aber wir müssen uns einmischen, wenn es um unsere Solidarität mit Menschen geht, die - wo auch immer - Opfer der Unmenschlichkeit werden.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, was wir im Fall Sacharow beklagen und was wir hier heute auch anklagen müssen - man kann es ja gar nicht fassen -, ist: Kann sich denn die große sowjetische Staatsmacht von einer kleinen, ohnmächtigen Gruppe von Menschen wirklich bedroht fühlen, die eben nichts anderes wollen, als daß ihre eigene Verfassung und internationale Vereinbarungen eingehalten werden? Kann sie sich wirklich so bedroht fühlen, meine Damen und Herren, daß sie - wenn schon nicht Recht - nicht doch wenigstens Gnade für Sacharow und seine Leidensgefährten walten lassen könnte?
({2})
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß Sacharows jahrelanger Kampf, sein heroischer, gewaltloser Kampf für die Menschenrechte, in dem er sein eigenes Leben zu opfern bereit ist, allen Verfolgten und Opfern von Menschenrechtsverletzungen gilt. Deshalb wollen wir, so glaube ich, mit dieser Resolution nicht nur Protest und Appell, sondern darüber hinaus auch unseren respektvollen Dank für diesen Einsatz zum Ausdruck bringen. Für beides, meine Damen und Herren, für sein persönliches Beispiel und für diese weiterwirkende
Kraft seiner Solidarität mit allen Opfern von Menschenrechtsverletzungen, für diese beiden großen Leistungen schulden wir ihm und allen Leidensgefährten hohe Achtung und unsere dankbare Reverenz.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Horacek.
Herr Präsident! Liebe Mitbürger! Da ich leider nur eine ganz kurze Redezeit habe, möchte ich mich darauf beschränken, zu begründen, warum die GRÜNEN es für notwendig halten, zur Solidarität mit Sacharow und Jelena Bonner einen eigenen Antrag vorzulegen.
Erstens. In der Frage der Menschenrechte halten wir eine gemeinsame Erklärung mit einigen, die in unserem Lande die Menschenrechte, z. B. die der ausländischen Mitbürger, mit Füßen treten, die im Fall Kießling, in der Frage der Parteispenden, in der Flick-Affäre usw. keinerlei Verantwortung für Menschenwürde und demokratische Rechte gezeigt haben, nicht für zulässig.
({0})
Zweitens. Wir sind der Meinung, daß die einäugigen Kampagnen westlicher Regierungen für die Einhaltung von Menschenrechten in Osteuropa bei gleichzeitiger Verletzung der Menschenrechte im eigenen Herrschaftsbereich der Sache der Menschenrechte wenig nutzen. Sie haben die Solidarität mit lebendigen Menschen als ideologische Waffe im kalten Krieg der Systeme mißbraucht und diskreditiert.
({1})
Diese Art der einäugigen Unterstützung hat den Menschen in Osteuropa auch nicht geholfen. Sie verkürzt deren Position einer differenzierten und auf dem Boden der eigenen Gesellschaft entstandenen Kritik an ihren jeweiligen Regierungen auf die Unterstützung westlicher Positionen und erleichterte es damit den Regierungen in den osteuropäischen Ländern, diese kritischen Positionen zu solchen von außengesteuerten Agenten des Imperialismus zu stempeln.
Drittens. Wir möchten unsere Solidarität nicht nur auf Andrej Sacharow und Jelena Bonner allein beschränken, sondern wir möchten darauf hinweisen, daß sie nur zwei von vielen namenlosen politischen Verfolgten in der Sowjetunion sind, die den Zwangsmaßnahmen des Staatsapparates ausgesetzt sind. Deshalb möchten wir, wenn wir uns für Andrej Sacharow und Jelena Bonner im gegenwärtigen Fall besonders einsetzen, in unsere Solidarität die vielen namenlosen politischen Verfolgten in Straflagern und psychiatrischen Kliniken einschließen.
({2})
Gerade die Solidarität mit den politisch Verfolgten in Osteuropa muß endlich zu einem klaren und unmißverständlichen Bekenntnis zur Allgemeingültigkeit der Menschenrechte in Ost und West kommen und sich von der Politik der Stärke lossagen, sich von den halbherzigen und matten Floskeln einer Entspannungspolitik befreien, die nur noch auf die Profite im Ost-West-Geschäft schielt und nicht mehr auf die ungeteilte Solidarität mit denen,
({3})
die für demokratische Rechte und Frieden auch in Osteuropa unabhängig von ihren Staaten eintreten wollen.
Viertens. Wir möchten besonders auf das Schicksal von Jelena Bonner hinweisen, die im Augenblick einer üblen Hetzkampagne von seiten der Sowjetunion ausgesetzt ist. Wenn die Regierungszeitung „Iswestija" schreibt, Jelena Bonner sei eine „kleine, verbitterte und habgierige Person", die bereit sei, „zu ihrem Vorteil alles zu verkaufen und zu verraten" und die „um in den Westen zu entwischen", bereit sei, „über die Leiche ihres Mannes zu gehen", dann kann dies nur noch als wirklich reaktionäre, rassistische und sexistische Kampagne begriffen werden. Frau Bonner ist eine Jüdin. Da es im Westen üblich ist, Frau Bonner und ihr eigenes Schicksal hinter dem Sprachgebrauch vom „Ehepaar Sacharow" verschwinden zu lassen, möchten wir hier noch einmal besonders unsere Solidarität mit Jelena Bonner zum Ausdruck bringen.
({4})
Wir fordern die Regierung der Sowjetunion auf, die Einschränkung der Bürgerrechte von Andrej Sacharow und Jelena Bonner aufzuheben und ihnen die Ausreise in das Ausland zu ermöglichen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Staatsminister Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sorge um das Schicksal des Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow bewegt die Bundesregierung und den ganzen Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit schon lange. Sein jüngster verzweifelter Appell und der seiner Frau Jelena Bonner in einer Lage, in der ihr Leben in Gefahr ist, verpflichtet uns jetzt besonders dringlich zur Hilfeleistung. Zu Beginn dieser Woche hat sich der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, gegenüber der sowjetischen Staats- und Parteiführung mit Nachdruck für Ehepaar Sacharow eingesetzt. Auch schon zuvor haben sich diese Bundesregierung und frühere Bundesregierungen für Andrej Sacharow mehrfach verwandt. Die Bundesregierung hat zudem maßgeblich an einer Demarche der Europäischen Gemeinschaft zugunsten des Ehepaares Sacharow mitgewirkt, die als Schreiben des französischen Außenministers Claude Cheysson im Namen der Zehn an Außenminister Andrej Gromyko gerichtet und am 19. Mai 1984 in Moskau übergeben wurde.
Namens der Bundesregierung wiederhole ich hier die in Moskau vorgetragene Bitte des Bundesaußenministers, Frau Jelena Bonner zur medizinischen Behandlung in ein Land ihrer Wahl reisen zu lassen und Andrej Sacharow die Möglichkeit zur Annahme. der ihm vorliegenden wissenschaftlichen Einladungen aus dem Ausland zu geben.
Ich appelliere mit Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, an die sowjetische Regierung, sich dieser Bitte, die von einer breiten Öffentlichkeit hier und in der ganzen friedliebenden Welt getragen wird, nicht zu entziehen.
Ein solcher Schritt würde kein erkennbares Interesse der UdSSR verletzen. Er hätte andererseits auf das Ost-West-Klima, dessen derzeitige negative Tendenz gerade die Sowjetregierung so sehr beklagt, günstige Wirkungen. An einer solchen Verbesserung sollte allen liegen, die eine echte Minderung der Spannungen erstreben wie jener politischen Spannungen, die letztlich auch die Ursachen der Rüstung sind.
Andrej Sacharow, dieser große russische Physiker, Ethiker und Kämpfer für einen gerechten Frieden, ist in dieser kritischen Situation auf unsere Hilfe und unsere Solidarität angewiesen. Er verdient sie in ganz besonderer Weise. Dieser Friedensnobelpreisträger, den der Schriftsteller Heinrich Böll einmal als eine Art Ghandi, als den friedfertigsten Menschen, den er kenne, bezeichnet hat, gehört zu den ersten namhaften Sowjetbürgern, die mutig den Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Lande aufnahmen, weil er in ihr eine wesentliche Voraussetzung jenes Friedens sieht, der diesen Namen verdient.
Die Einsicht in die Gefahren einer mit allen modernen Mitteln - gerade auch militärischer Art - ausgerüsteten Großmacht hat ihn zu einem Vorkämpfer für einen gerechten und dauerhaften Frieden gemacht, zu einer moralischen Autorität von weltweiter Geltung. Wir alle verdanken es ihm, wenn unser Bewußtsein für den unauflöslichen Zusammenhang zwischen wahrhaftem Frieden und der Wahrung der Menschenrechte schärfer geworden ist.
Sein Einsatz ist nicht nur auf die Probleme seines Landes beschränkt, er fordert nicht nur von ihm die Einhaltung der Menschenrechte, vielmehr hat er sich immer wieder für die Unterdrückten in aller Welt eingesetzt. Bis zuletzt hat er leidenschaftlich und ohne Rücksicht auf die eigene Person, ohne Angst vor Falschdarstellungen und Verleumdung für eine wirksame und glaubwürdige, das aber heißt ausgewogene und überprüfbare Abrüstung gekämpft. Daß nur so der Frieden dauerhaft erhalten und gerecht gestaltet werden kann, ist Andrej Sacharows feste Überzeugung, die wir wohl alle teilen.
Die Sowjetunion wirft ihm heute vor, das eigene Land zu verraten, wenn er vor der Gefahr einseitiStaatsminister Dr. Mertes
ger Abrüstungsvorschläge warnt. Ihm geht es nicht um die Sicherung einseitiger Machtinteressen. Sein Einsatz ist nur dann verständlich, wenn wir berücksichtigen, daß er für die Zukunft der Menschen kämpft. Eines Tages wird man auch in der Sowjetunion stolz sein auf diesen großen Sohn des russischen Volkes, auf diesen großen Kämpfer für ein menschenwürdiges und friedliches Dasein.
({0})
Es gibt Stimmen, die meinen, die sowjetische Geschichte dieser Jahrzehnte werde künftig einmal als die Ära Andrej Sacharow in das Bewußtsein der Bevölkerung eingehen. Wie dem auch sei, wir appellieren heute an die sowjetische Regierung, weil wir davon überzeugt sind, daß es weder eine moralische noch eine legale Rechtfertigung dafür gibt, Andrej Sacharow und seine Frau festzuhalten.
Die UdSSR hat die Schlußakte von Helsinki, die auch die Geltung der internationalen Menschenrechtspakte bekräftigt, mit unterzeichnet. Sie hat jüngst in Madrid diese Unterschrift erneut bekräftigt. Es widerspricht dieser Unterschrift, wenn sich die Sowjetunion nunmehr auf das Argument einer Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zurückzieht, wenn sie den Einsatz der internationalen Öffentlichkeit für Andrej Sacharow und Jelena Bonner immer noch abwehrt. Hier kämpfen zwei Menschen für ihre Überzeugungen von Frieden und Menschenrecht. Sie kämpfen heute um ihr eigenes Überleben, und sie haben uns und die übrige Welt dies deutlich genug wissen lassen.
Die Sowjetunion nimmt für sich in Anspruch, eine friedliche Politik zu führen und die Schlußakte von Helsinki sowie völkerrechtliche Verpflichtungen im humanitären und menschenrechtlichen Bereich zu erfüllen. Das Maß, an dem sie ihre Vertragstreue messen lassen muß, ist die Einhaltung eines humanitären, eines menschenrechtlichen Mindeststandards.
Bei allem Einsatz für Andrej Sacharow dürfen wir niemals vergessen, daß es viele Menschen in gleicher Bedrängnis gibt, die jedoch keinen so großen Namen haben wie er, die aber genauso unsere Anteilnahme und Hilfe benötigen.
({1})
Und als Deutsche dürfen wir dabei auch nicht vergessen, daß es viele Sowjetbürger deutscher Volkszugehörigkeit gibt, die immer noch darauf warten müssen, im Wege der Familienzusammenführung zu uns kommen zu dürfen.
({2})
Andrej Sacharow selbst hat auf die Lage und auf die Rechte dieser Menschen die Weltöffentlichkeit hingewiesen.
Der Bundesaußenminister hat sich für alle diese Menschen, für die bekannten und für die unbekannten - so hat er es in seiner offiziellen Tischrede in Moskau Anfang dieser Woche ausgedrückt -, in seinen Gesprächen mit der sowjetischen Regierung eingesetzt. Wir dürfen von der Sowjetunion Beweise dafür erwarten, daß Frieden in der sowjetischen Politik nicht nur ein taktischer Begriff ist und auf die Abwesenheit von Krieg eingeengt ist, sondern daß es Moskau ernst ist, eine friedliche Zukunft zu sichern, zu der die loyale Einhaltung der internationalen Verpflichtungen auch bezüglich der Menschenrechte gehört. Friede, das ist nicht nur Friedenserhaltung gegen jeden Krieg; Friede, das ist auch Friedensgestaltung gegen jedes Unrecht.
({3})
Gerade das ist die Botschaft Andrej Sacharows, die unsterblich bleibt und der sich die Bundesrepublik Deutschland nach den Erfahrungen mit Krieg und Unrecht auf deutschem Boden und von deutschem Boden aus unbeirrbar verpflichtet weiß.
Ich danke Ihnen.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 10/1473 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1495 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Steger, Catenhusen, Roth, Fischer ({0}), Grunenberg, Nagel, Stahl ({1}), Stockleben, Vahlberg, Vosen, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gentechnologie"
- Drucksache 10/1353 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({2}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hickel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Enquete- Kommission „Gen-Technik"
- Drucksache 10/1388 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({3}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat sind gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich bitte im Interesse des Hauses, diese Redezeiten wirklich als „bis zu" zu betrachten. Wir sind schon
Präsident Dr. Barzel
jetzt etwas über den Fahrplan. - Es gibt zu dieser Verabredung keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat sich der Abgeordnete Catenhusen gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Rede auf neue Technologien, auf Hochtechnologien, kommt, dann werden auch immer stärker die neuen Biotechniken mit dem Kernstück der Gentechnologie genannt. Technik beeinflußt in viel stärkerem Maße die wirtschaftliche, die soziale Struktur, ich denke, auch das Wertesystem unserer Gesellschaft, als politisches Handeln dies zuwege bringen könnte. Auch die neuen Biotechniken, insbesondere die Gentechnologie, werden als eine universell einsetzbare Basistechnologie einen solchen Einfluß auf unsere Gesellschaft bewirken.
({0})
Die Gentechnologie ermöglicht es, kurz gesagt, Erbinformationen aller Lebewesen, sogenannte Gene, von Tieren, Menschen, Pflanzen, Pilzen, Bakterien oder Viren zu verändern und untereinander ohne Begrenzung der Arten auszutauschen. Ich denke, daß die Aufschlüsselung der Bestandteile und auch der Funktionsweise lebender Zellen ein Erkenntnisfortschritt ist, der unumkehrbar ist.
Zu versuchen durch Nichtwissen die eigene Unschuld zu bewahren, also durch Forschungsverbote Risiken zu vermeiden, wird auch hier nicht möglich sein. - Dies an die Adresse der GRÜNEN. Es werden aber hier, vergleichbar mit den Fragen, die die Kernspaltung aufwarf, neue Fragen an die Verantwortung der Wissenschaftler, aber nicht nur an die der Wissenschaftler, sondern auch an die Verantwortung der Industrie, an die Verantwortung der Politiker und an die Verantwortung der Gesellschaft insgesamt, aufgeworfen, bis hin zu der bedrückenden Frage: Wird sich der Mensch letztendlich zum Schöpfer der Natur und seiner selbst aufschwingen können?
Die Gentechnologie befindet sich in vielen Bereichen noch im Stadium der Grundlagenforschung, doch es läßt sich heute schon absehen: Auch diese Technologie bietet Chancen für die Gesellschaft. Sie kann zur Lösung der Umweltprobleme beitragen. Damit meine ich allerdings nicht so sehr die von Bundesforschungsminister Riesenhuber geschätzte Züchtung von schadstoffresistenten Bäumen. Die Gentechnologie kann zur Krankheitsbekämpfung beitragen, etwa durch die Herstellung hochwirksamer Arzneiwirkstoffe. Sie kann uns hoffentlich einen Durchbruch bei der Bekämpfung der Krebskrankheit bringen. Wissenschaftler versprechen uns großen Nutzen für die Pflanzen- und Tierzucht. Ich warne aber vor kurzfristigen Erwartungen, die Gentechnologie könnte in wenigen Jahren einen nennenswerten Beitrag zur Lösung unserer ökonomischen Probleme leisten.
({1})
Meine Damen und Herren, es sind aber auch Risiken absehbar, die gesellschaftliches Handeln verlangen. Genetische Testverfahren an Arbeitnehmern, wie sie von großen Chemiekonzernen in den USA schon angewandt werden, können in der Hand der Arbeitgeber ein Instrument der Diskriminierung werden. Sie werfen neue Probleme für den Datenschutz auf. Es zeichnet sich heute die Möglichkeit ab, daß die Summe der Erbinformationen eines Menschen in wenigen Jahren auf Karten festgehalten werden kann. Diese Genkarten sind doch eine ganz andere Herausforderung an uns als die Idee und die Vision des gläsernen Menschen, wie sie durch die Mikroelektronik möglich wird.
Gentechnologie kann der Landwirtschaft nutzen, indem die Ertragskraft der Pflanzen gesteigert und der Einsatz von Pestiziden verringert wird. Sind wir aber so sicher, ob nicht auch die Gentechnologie den schon vorhandenen Trend zur Züchtung von Hochleistungspflanzen, den Trend zur Verarmung der Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und bei Nutztieren noch weiter verstärkt und damit die ökologische Krise dieser Art von Landwirtschaft noch wahrscheinlicher und sicherer macht? Auch die Folgen der gezielten Freisetzung genetisch veränderter Bakterien in die Umwelt sind für uns heute nicht zu überblicken.
Es zeichnet sich schon heute das bedrückende Bild ab, daß die Zeugung und die Schaffung menschlichen Lebens zu einer bloßen Frage der Technik und zum Geschäft verkommen. Kinder können doch heute schon nach Wunsch bestellt werden, indem man sich - etwa in den USA - das geeignete Erbmaterial aus kommerziellen Ei- und Samenbanken beschafft und indem man das im Reagenzglas gezeugte menschliche Leben von Ammenmüttern gegen Bezahlung austragen läßt. Presseberichte aus den letzten Wochen zeigen, daß die Leihmutter gegen Bezahlung auch bei uns in der Bundesrepublik schon Wirklichkeit geworden ist.
({2})
Nicht zuletzt wird die Gesellschaft mit der Frage konfrontiert, ob die befruchtete menschliche Eizelle selbst zum Objekt von Experimenten gemacht werden kann. Gerade hier tritt das Recht der Freiheit der Forschung in einen direkten Konflikt mit dem Grundrecht auf Menschenwürde.
Wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland an der Schwelle der industriellen Nutzung gentechnischer Verfahren. Es ist höchste Zeit, daß wir auch als Politiker Chancen und Risiken der neuen Biotechniken, insbesondere der Gentechnologie, abwägen.
({3})
Es ist höchste Zeit, zu versuchen, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu erreichen, wo der Anwendung der Gentechnologie auch Grenzen gesetzt werden müssen. Das Parlament entscheidet jährlich über die Förderung auch der Biotechnologie aus Mitteln des Forschungsministeriums oder indirekt durch Bewilligung der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der MaxPlanck-Gesellschaft.
Wir sind deshalb als Gesetzgeber in besonderer Weise gefordert, gemeinsam mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen - insbesondere den Kirchen, den Wissenschaftlern und den Gewerkschaften - diesen Diskussionsprozeß zu organisieren.
({4})
Diese Art von Diskussion, wie sie etwa der Amerikanische Kongreß seit Jahren führt, verbaut keine Chancen, die in der Technik liegen. Dieser Diskussionsprozeß muß offen sein, offen auch für die Möglichkeit, zu Anwendungsmöglichkeiten nein zu sagen, deren Schaden für die Gesellschaft größer ist als der Nutzen für einzelne.
({5})
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht in der von ihr beantragten Enquete-Kommission, die sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Gentechnologie bef assen soll, des geeignete Gremium, um gemeinsam mit Fachleuten Entscheidungen vorzubereiten. Beratergremien des einen oder anderen Ministers machen diese Arbeit nicht überflüssig. Dies ist wohl auch die Meinung des Bundesforschungsministers.
Die Einsetzung einer derartigen Enquete-Kommission ist nach § 56 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages das Recht der Minderheit im Parlament. Wir Sozialdemokraten nehmen dieses Recht mit unserem Antrag wahr, sind aber durchaus bereit, Wünsche und Anregungen anderer Fraktionen im Ausschuß zu prüfen und gegebenenfalls in den Arbeitsauftrag mit aufzunehmen.
Wir haben eine Chance, denn die Fronten in der Gesellschaft sind hinsichtlich der Bewertung der Gentechnologie noch nicht errichtet. Es geht auch nicht um ein abstraktes Ja oder Nein. Wir werden auch in der Enquete-Kommission, so denke ich, nicht um den Ausstieg oder Einstieg, nicht um das Offenhalten der Option bei der Gentechnologie diskutieren, um Begriffe der Kernenergiediskussion aufzugreifen. Wir sehen in unserem Antrag ein Angebot an das Parlament, sich gemeinsam den Fragen nach den Folgen einer neuen Technik auf unsere Gesellschaft rechtzeitig zu stellen. Ich denke, wir hätten hier erstmals die Chance, wenigstens bei dieser Technologie rechtzeitig Einfluß auf Technikentwicklung und -anwendung zu nehmen. Denn, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch Technikentwicklung spielt sich nicht im luftleeren Raum ab, auch Technikentwicklung ist ein gesellschaftlicher Prozeß. Wir sollten uns an dieser Diskussion beteiligen, anstatt wieder nur - wie bei anderen Techniken - anschließend die Reparaturarbeiten auszuführen, die durch den Einsatz neuer Technologien in unserer Gesellschaft entstanden sind.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Deutschen Bundestag liegen zwei Anträge vor, die, wenn man nur
auf die Überschrift achtet, fast identisch erscheinen.
({0})
- Das kommt ja. - Während die GRÜNEN der Kommission die Aufgabe erteilen, lediglich über eine Positivliste einige wenige Experimente der Gentechnik - so wörtlich - „ausnahmsweise und widerruflich" erlauben zu wollen, ansonsten „einen Katalog von Maßnahmen ... zur Unterbindung gentechnischer Experimente, Untersuchungs- und Produktionsverfahren auf allen Ebenen" zu erarbeiten und damit ganz eindeutig ihre negative Einstellung gegenüber der Gentechnologie dokumentieren, versteckt sich bei der SPD die etwas eingeengte Wertung beim ersten Ansehen lediglich in der Namensgebung für die Kommission: „Gesellschaftliche Folgen der Gentechnologie." Ich meine, daß das nicht ganz ausreichend ist.
({1})
- Herr Steger, ich komme noch darauf zu sprechen; Sie müssen mir nicht immer zuvorkommen.
({2})
Die weitere Formulierung des Aufgabenkatalogs „Chancen und Risiken der Gentechnologie und neuer biotechnologischer Methoden unter ökologischen, ökonomischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und Sicherheitsgesichtspunkten" läßt hoffen, daß eine nüchterne Bestandsaufnahme sowie die Erarbeitung von Zukunftsperspektiven sowohl auf Grund positiver wie aber auch sicherlich negativer Beurteilungskriterien möglich sein wird.
({3})
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diese Initiative, ergibt sich doch daraus die Möglichkeit - die Bundesregierung hat sich dieser Technologie vom ersten Tage an, an dem sie die Verantwortung hier übernommen hat, in ganz besonderem Maße angenommen und deren Bedeutung längst erkannt -,
({4})
aufbauend auf den Ergebnissen des bereits im Januar dieses Jahres von der Bundesregierung veranstalteten Hearings vor allem über die ethischen Probleme der Gentechnologie und der vom Forschungsausschuß im März dieses Jahres durchgeführten öffentlichen Anhörung über den „Stand institutionell geförderter Forschung und Projektförderung auf dem Gebiet der Bio-Technologie" die Gesamtproblematik dieser neuen Schlüsseltechnologie zu erfassen und unter Einbeziehung des Ausmaßes zukünftiger Entwicklungen und erkennbarer Folgen eventuell notwendige Maßnahmen vorzuschlagen.
Die Arbeit dieser Enquete-Kommission findet ihre Begründung in der Tatsache, daß die Gentechnologie als wesentlicher Teil der Bio-Technologie zwar eine verhältnismäßig junge Wissenschaft ist,
jedoch in der jüngsten Vergangenheit eine fast spektakuläre Entwicklung genommen hat.
Sicherlich werden die praktizierten Möglichkeiten der Gentechnik zuerst auf dem medizinischen Sektor zum Tragen kommen. Die Gentechnologie wird uns in die Lage versetzen, Stoffe herzustellen, die dem Menschen bisher nicht zugänglich gewesen sind, z. B. menschliche Hormone und Enzyme, und sie wird auf diese Weise ganz neue Therapiemöglichkeiten erschließen. Es wird langfristig möglich sein, viele heute nur symptomatisch behandelbare Krankheiten - und das sind zur Zeit noch etwa zwei Drittel aller bekannten Krankheitsbilder - einer kausalen Therapie zuzuführen. Uns werden die Prävention durch neue Impfstoffe sowie die Früherkennung und Diagnose von Krankheiten mit Hilfe monoklonaler Antikörper erleichtert werden.
Die Herstellung von Proteinen ist ein weiteres großes Anwendungsgebiet der Kombination von Gentechnik und Bio-Technologie. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung gewinnt die Herstellung von Bioproteinen z. B. in Fermenten zunehmend Bedeutung. Legt man pro Mensch einen Tagesbedarf von 70 g Protein zugrunde, wovon etwa 30 g tierischen Ursprungs sein sollten, so ergibt sich ein Proteindefizit in der Welt von 22 Millionen t pro Jahr. Das ist im Jahr 1980 errechnet worden.
Wir werden mit Hilfe der Gentechnologie auch in der Lage sein, Veränderungen an Pflanzen und vielleicht auch an Tieren vorzunehmen, die für das Überleben der Menschen auf unserer Erde von entscheidender Bedeutung sein können. Sicher warnen Kritiker vor diesem Eingriff in die natürliche Evolution. Auch Herr Catenhusen hat das eben angesprochen.
({5})
Es wird behauptet, daß hierdurch die Selbsterneuerung unserer Pflanzenwelt gefährdet würde, weil die Vielzahl der Pflanzen, die letztlich für die Sicherung auch unserer Nutzpflanzen notwendig ist, gefährdet würde. Diese Kritik ist sicher nicht ohne Basis. Das müssen wir ehrlich zugeben. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß die Saatzuchtanstalten genau das gleiche bereits seit Jahren tun - nur etwas langsamer -,
({6})
daß aber ohne diese neuen Saatzuchten bereits heute nicht nur in Afrika und vielen Teilen Asiens gehungert würde, sondern auch in Europa oder Japan, in den USA, ganz zu schweigen von Lateinamerika oder Rußland.
Im Umweltschutz sind die vielen Möglichkeiten der Biotechnologie noch keineswegs ausgeschöpft, z. B. beim biologischen Abbau schwer zersetzbarer Substanzen in Abwässern. Gentechnologisch veränderte Bakterien werden in geeigneten Anlagen in der Lage sein, verschiedene chlorierte Verbindungen z. B. PCB, die bisher als nicht abbaubar galten, biologisch bis zu 97 % in einer auswertbaren Zeit
abzubauen. Zusätzlich sind Einsatzmöglichkeiten gentechnologischer Methoden bei der Gewinnung von Rohstoffen aus Lagerstätten, die sich mit den konventionellen Bergbaumethoden nicht lohnend ausbeuten lassen, wie auch bei der Energiegewinnung denkbar.
Hinzu kommen die offensichtlichen Vorteile der Bio-Verfahren: Es gibt keinen Rohstoffmangel; die Ausgangsstoffe wachsen immer wieder nach und können nicht versiegen wie 01 und Kohle. Biomasse entsteht auf dem Wege der Foto-Synthese immer wieder neu. Im Gegensatz zur petrochemischen Technologie, die zu einer beträchtlichen Umweltbelastung führen kann, ist die Bio-Technologie grundsätzlich umweltfreundlich. Schließlich beruht die Bio-Synthese im Vergleich zur chemischen Synthese auf geringem Energiebedarf. Dank der Enzyme, die die chemischen Reaktionen der lebenden Zelle katalysieren, spielen sich solche Abläufe meistens in einem Temperaturbereich von 20 bis 50 Grad Celsius ab.
Während in den USA, in Japan und anderen Ländern der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Technologien erkannt und ihre Entwicklung gefördert wurde, hemmten bei uns künstlich erzeugte Ängste den Technologietransfer ({7})
ähnlich wie bei der Kernenergie und der Mikroelektronik.
({8})
- Hören Sie doch bitte mal zu!
Hier zeigt sich, wie schwerwiegend sich das Fehlen eines fortlaufenden Dialogs zwischen der Forschung einerseits, der Bevölkerung, den Politikern und den öffentlichen Medien andererseits auswirken kann. Unser Forschungsminister Heinz Riesenhuber geht hier einen anderen, wirkungsvolleren Weg.
({9})
Die Bundesrepublik Deutschland muß sich bewußt machen, daß die USA auf diesem Arbeitsgebiet bereits einen beachtlichen Vorsprung haben, der nicht leicht einzuholen sein wird. Die Japaner, die die Bedeutung ebenfalls erkannt haben, folgen dicht auf den Fersen.
Nur wenn es uns gelingt, diese Technologie in Deutschland fest zu verankern, werden neue industrielle Möglichkeiten und damit Arbeitsplätze geschaffen. Es wäre ein schweres Versäumnis, wenn wir die Bedeutung nicht erkennen und durch bürokratische Hemmnisse und durch Erzeugung eines Angstklimas den Aufbau verzögern oder sogar verhindern sollten.
({10})
Wäre das der Fall, so bin ich überzeugt, werden deutsche Firmen ins Ausland gehen müssen und dort sowohl Forschung als auch Produktion betreiben. Ich hoffe aber, daß es soweit nicht kommen wird.
({11})
Das eine aber ist klar: Es muß offen über Risiken und Gefahren gesprochen werden, die bei weiterem Vordringen in die Nutzbarmachung natürlicher Kräfte entstehen können, z. B. beim Eingriff in das menschliche Genom. Man wird fragen müssen, ob die Gentechnologie all das tun darf, was sie tun kann.
({12})
Man wird an ethische Grenzen stoßen, z. B. die menschlichen Keimzellen, an denen gentechnische Experimente mit der Würde des Menschen nicht vereinbar sind, wie der Bundesforschungsminister am 2. Februar dieses Jahres eindeutig erklärt hat.
Die Diskussion darüber hat sich bereits an den in vitro befruchteten menschlichen Eizellen entzündet - auch Herr Catenhusen hat das eben angeführt -, obwohl diese Vorgänge mit genetischer Veränderung überhaupt nichts zu tun haben. Diese Diskussion ist noch keineswegs beendet.
Zur Zeit können im Hinblick auf die bestehenden sorgfältig ausgearbeiteten und kontrollierten Sicherheitsbestimmungen denkbare Mißstände wirksam ausgeschlossen werden, doch muß die Verantwortung, die der einzelne Wissenschaftler in Zukunft eindeutig in verstärktem Maße zu übernehmen hat, sicherlich auf einer neu zu bedenkenden Ethik aufbauen. Hans Jonas sagt in seinem Buch vom „Prinzip Verantwortung" dazu:
Die moderne Technik hat Handlungen von so neuer Größenordnung, mit so neuartigen Objekten und so neuartigen Folgen eingeführt, daß der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann.
({13})
Hier setzt für den Wissenschaftler die Verantwortung ein, die die Konsequenz jeglicher Macht ist, doch ebenso die Verantwortung des Politikers, der die Unschuld des Nichtwissens nicht länger für sich in Anspruch nehmen kann.
Ich hoffe, daß wir gemeinsam in der Kommission mit Hilfe der Experten Wege aufzeigen können, die einerseits die Freiheit dieser faszinierenden Wissenschaft erhalten, andererseits aber das Gespür für die ethischen und rechtlichen Grenzen, die einzuhalten wir verpflichtet sind, dem Parlament vermitteln.
Den Antrag der GRÜNEN werden wir auf Grund der begrenzten Themenstellung ablehnen und ihnen nicht in eine ihrer so oft besungenen „Sackgassen" folgen.
({14})
Den Antrag der SPD jedoch unterstützen wir in der Hoffnung, durch engagierte und konstruktive
Mitarbeit die Aufgabenstellung noch anreichern zu können.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hickel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, sprechen hier heute morgen ja nicht nur über die Menschen und die Probleme der Rechtsorganisation ihrer Gesellschaft, sondern über ein größeres Ganzes, nämlich die Natur, in die sie eingebettet und von der sie ein Teil sind.
Wir müssen uns darüber klar werden, daß wir, wenn wir die Grundlagen der lebenden Natur, nämlich die Erbanlagen der Lebewesen, angreifen, zerstören und neu kombinieren, damit auch unser Menschsein und unser Menschenbild zerstören und neu kombinieren.
Deshalb wird heute eine besonders aufwendige Parlamentskommission beantragt - auch von uns -, um sich mit den Folgen einer neuen Technik hoffentlich so auseinanderzusetzen, daß diese Folgen überschaubar und gewollt bleiben, damit wir nicht am Ende alle wieder als verängstigte Zauberlehrlinge davorstehen.
({0})
Die chemische Manipulation des Erbguts in den Zellkernen von Einzellern, Pflanzen, Tieren bis hin zum Menschen ist möglich geworden. Soeben werden riesige Institute und Produktionsstätten mit zahlreichen Forschergruppen finanziert, um mit Hilfe dieser Manipulationen viel Geld zu verdienen. Der große Innovationsschub für das Wachstum unserer Wirtschaft soll ja daran hängen, wenn man unserem Forschungsminister glaubt.
Meine Damen und Herren, wissen Sie, warum in der Natur z. B. Hase und Kaninchen, Kartoffel und Tomate, Affe und Mensch getrennt voneinander vorkommen und nicht in Mischformen auftreten?
({1})
Wissen Sie, was hinter der Artenvielfalt bei den uns überkommenen Lebewesen steckt, welcher Sinn und welcher Zweck? Sie wissen es nicht. Und nicht nur Sie: Auch die Wissenschaftler wissen es nicht. Dennoch zögern sie nicht, die Überschreitung der naturgegebenen Artenschranke als „Fortschritt" zu feiern, obwohl sie nicht einmal vorhersehen können, in welche Barbarei dies ein Fortschritt ist.
({2})
Sie mischen das Erbgut von Einzellern mit dem von Menschen, das von Pflanzen mit dem von Tieren in jeder beliebigen Weise
({3})
- aber sicherlich - und wundern sich - oder
streiten es ab -, wenn daraus dann, wie ja bereits
geschehen, neuartige Krankheitserreger entstehen. Allenfalls sind diese Unfälle dann eine neue Herausforderung für wissenschaftlich-technische Kontrollmethoden.
Wer immer mit dem Begriff „Respekt vor der Schöpfung" etwas verbindet, muß hier alarmiert sein. Das seit drei Jahrhunderten bei uns geltende Wissenschafts- und Wirtschaftsideal, nämlich alles zu tun, was möglich, voraussichtlich profitbringend und nicht verboten ist, diese Art von Ethik muß in Frage gestellt werden. Das geht über die milden Worte von Herrn Jonas noch weit hinaus.
Verbote allein oder Regeln, die sich Forscher und Produzenten selber geben, können hier nicht viel nützen. Die einzige verantwortliche Haltung kann nur sein, derartige Manipulationen im großen Maßstab erst dann zuzulassen, wenn und soweit wir die Folgen überblicken, abschätzen und bewerten können. Deshalb soll ein so aufwendiges Gremium wie diese Enquete-Kommission versuchen, die Folgen für das Gleichgewicht des Lebens auf unserer Erde insgesamt und für unser Menschenbild im besonderen zu untersuchen, die diese neue Technik mit sich bringen wird.
Das heißt aber, es wäre sinnlos, die Experten für diese Kommission ausschließlich aus den Reihen derer zu bestellen, die, wenn auch vielleicht selbstkritisch, derartige Manipulationen betreiben oder daran Geld verdienen.
Es ist ferner unabdingbar, die öffentliche Förderung für diese Forschungen - sei es mit Steuergeldern, sei es mit Propaganda - einzustellen, bis eine Übereinstimmung in unserer Bevölkerung mit Hilfe dieser Enquete-Kommission hoffentlich darüber hergestellt wird, ob die Bevölkerung diese neuartigen Manipulationen der lebenden Natur und der Menschen will oder nicht.
Es gibt meines Erachtens gute Gründe, das nicht zu wollen. Ich will sie heute nur aufzählen; wir werden ja noch öfter darüber diskutieren. Die Gründe sind: Die Folgen der Anwendung der Gentechnik sind überhaupt nicht erforscht.
({4})
Man kann aber annehmen, daß sie die in der Evolution überkommenen Lebenszusammenhänge durcheinanderbringen wird. Da wiegt es dann um so schwerer, daß für die Lösung der Menschheitsprobleme Hunger und Krankheit - wie hier angesprochen wurde - diese Technik unnötig und ersetzbar ist, auch wenn das von denen, die daran verdienen wollen, geleugnet wird.
({5})
Wir GRÜNEN haben eine Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet bezüglich der Alternativen zur Gentechnik bei der Lösung landwirtschaftlicher wie auch medizinischer Probleme. Die Bundesregierung braucht mehr als ein halbes Jahr, um diese Fragen zu beantworten
({6})
ja, richtig -; ein Zeichen dafür, daß sich diese Bundesregierung und damit auch der Forschungsminister bisher anscheinend noch nicht die geringsten Gedanken gemacht haben über die Alternativen zur Gentechnik, bevor sie jetzt Millionen in solche zerstörerische Technik investieren.
({7})
Daß die Gentechnik risikoreich ist, haben die, die offene Ohren hatten zu hören - manche haben sich die Ohren aber zugehalten -, in der Ausschußanhörung am 28. März 1984 erfahren können. Gefährlich ist sie aber auch, weil sich die Investitionen, die heute hineingesteckt werden, am Ende amortisieren müssen. Wenn sich dann die Versprechungen - neue Impfstoffe, neue Hormone - als Reinfall und Illusion erweisen werden - und davon bin ich überzeugt -, gibt es am Ende nur noch zwei Wege, das hineingesteckte Geld wieder zu verdienen: man macht sogenannte Krebsarzneien, die die Verzweifelten ja immer bezahlen, auch wenn sie nicht helfen,
({8})
oder man macht Waffen, für die ebenfalls immer Geld vorhanden ist.
({9})
- Ja, so komme ich mir auch vor.
({10})
Vor allem aber werden wir eines bei diesem Gerede von der Gentherapie der sogenannten Erbkrankheiten erleben: den Zusammenbruch des christlichen und abendländischen Menschenbildes. Die Menschen werden nur noch Mängelwesen, defizitäre Objekte für Wissenschaftler sein, die es gilt zu reparieren, zu verbessern, einem einheitlichen Ideal - wessen? der Arbeitgeber vielleicht? - anzupassen. Es wird nicht mehr darum gehen, ihnen zu helfen, ihnen zur Seite zu stehen, sondern darum, sie neu zu schaffen und dabei Ruhm in der Wissenschaft zu ernten. Gott-Spielen und dabei viel Geld-Verdienen - dieses Ideal der Männer wird uns andere zu Gegenständen der Manipulation erniedrigen.
({11})
Ich denke nicht, daß die Enquete-Kommission allein dies verhindern kann. Alle, die diese Entwicklung nicht wollen, müssen sich einmischen und nach Beweisen dafür fragen, daß die Gentechnik hält, was Politiker, Industrielle und Wissenschaftler zur Zeit versprechen - was wir vorhin hörten -, daß ihre Folgen abschätzbar und wünschbar sind, daß sie unersetzlich ist. Diese Beweise werden wohl nicht erbracht werden können. Und dann, denke ich, wollen wir die neue Technik nicht. Sie ist viel zu verantwortungslos und zu riskant, um sozusagen nur probeweise eingeführt und gefördert zu werden.
Um die Freiheit der Forschung, meine Herren von der SPD, wie Sie in Ihrem Antrag meinen, geht es schon lange nicht mehr. Wissen Sie nicht, daß
neben jedem Labortisch in den genetischen Laboratorien ein patentierungssüchtiger Verwerter aus der Industrie steht, der die Ergebnisse dieser Forschung wegschleppt und anwendet, noch bevor sie ausgereift sind?
({12})
- Gucken Sie es sich an. - Wissen Sie nicht, daß junge Doktoranden aus den biologischen und medizinischen Fächern schon heute kaum eine Chance haben, ein Forschungsstipendium zu bekommen, wenn sie keine gentechnische Forschung machen wollen? Bei solchen jungen Leuten, die die Brutalisierung noch nicht durchgemacht haben, die von jahrelangen Tierversuchen in Laboratorien ausgeht, finden sich erfreulicherweise noch derartige Skrupel. Ihnen die Freiheit wiederzugeben, auch ohne Gentechnik forschen zu können, sollte eines der Ziele dieser Enquete-Kommission sein.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussionen über die Kernenergie sind noch nicht abgeschlossen, die Entwicklungen in der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnologie zeigen ihre Auswirkungen auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen - nicht zuletzt auch ein Grund für die derzeitigen Tarifauseinandersetzungen - da zeichnet sich bereits sehr deutlich und nachdrücklich eine neue Schlüsseltechnologie, die Gentechnologie, ab, deren Chancen und deren Risiken von einer anderen Kategorie sind als alles das, was wir bisher in der Öffentlichkeit diskutiert haben. Neben die Sicherheitsfragen wie in der Kernenergie, neben die Fragen der politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen komplexer Nachrichten- und Überwachungssysteme treten mit der Gentechnologie eindeutig ethisch-moralische Probleme. Es geht um Fragen, die die menschliche Existenz berühren. Es geht um zutiefst religiöse Einstellungen.
Mit der Gentechnologie erscheinen vielfältige Probleme einer Lösung zuführbar, auf eine neue Weise lösbar: Probleme der zukünftigen Sicherung der Welternährung durch die, verglichen mit den bisherigen langwierigen Züchtungsverfahren, kurzfristige Züchtung von Pflanzen, die an unterschiedliche und schwierige Klimaverhältnisse und Wachstumsbedingungen angepaßt werden können, die gleichzeitig Stickstoffbildner sind und Bedarf und Kosten von Kunstdünger senken. Dies ist sicherlich besonders wichtig für Länder der Dritten Welt. Das sind Probleme in der Medizin, z. B. durch Neukombination von Genen, um Mikroorganismen zur Produktion von Impfstoffen, Enzymen und Hormonen anzuregen, wie etwa zur Herstellung von Humaninsulin, um nur ein Beispiel zu nennen. Probleme der Ressourcenerschließung und des Umweltschutzes sind gleichermaßen in die Diskussion um den Nutzen und die Chancen der Gentechnologie einzubeziehen.
Aber verschließen wir nicht die Augen vor der Tatsache, daß damit gleichzeitig ein neues Risiko-
und Gefährdungspotential entstehen kann! Ich denke dabei nicht so sehr an Fragen der biologischen Sicherheit, sondern in erster Linie an die Möglichkeiten, in den Schöpfungsakt künstlich eingreifen zu können, an die Möglichkeiten, Erbanlagen von Lebewesen, insbesondere von Menschen, zu verändern. Es stellt sich die Frage, ob solche Eingriffe unter ethischen Aspekten aus Achtung vor der göttlichen Schöpfung, aus Achtung vor der Würde des Menschen überhaupt zulässig sind. Ich verneine diese Frage für mich, bei aller Hochachtung vor dem Vermögen menschlichen Geistes, in die Geheimnisse des Lebens immer tiefer einzudringen.
({0})
Gewiß, die wissenschaftlichen Entwicklungen stehen in vielen Bereichen noch am Anfang. Die Nutzung des Ertrages geistiger Arbeit ist noch begrenzt. Manche erwartete oder befürchtete Wirkung mag in dem Bereich der Spekulation anzusiedeln sein, mehr oder weniger Weissagung. Deswegen ist es wichtig, daß wir die Entwicklungen, die in Gang gekommen sind, auch aus der Politik heraus laufend und andauernd mit begleiten und mit verfolgen. Ich möchte nur wissen, wie und warum man eigentlich eine Förderung von wissenschaftlichen Entwicklungen einstellen kann, weil das Ergebnis von vornherein als negativ unterstellt wird.
({1})
Dies gilt es doch erst einmal zu beweisen.
Aber gerade deswegen, nämlich zur Versachlichung der Diskussion, um sich nicht im Irrtum zu bewegen, und zur frühzeitigen Berücksichtigung auch systemanalytischer Zusammenhänge müssen Sachkundige - ich betone ausdrücklich: Sachkundige - nicht nur Technokraten -, und Politiker, in einen intensiven Dialog über die Chancen und die Risiken der Gentechnologie eintreten. Ich stimme mit der Frau Kollegin Hickel in diesem Punkt überein, daß die Gentechnologie und ihre Einbindung in die öffentliche Diskussion und ihr Nahebringen an den Bürger nicht allein von Gentechnologen bewältigt werden kann.
({2})
Was dabei heute schon an Wünschen und Vorstellungen bezüglich der Sachverständigen geäußert wurde, halte ich nicht für das, was dem Schwerpunkt der Kommissionsarbeit entsprechen sollte.
Es kann bei der Kommissionsarbeit nicht darum gehen, die politische Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung in Frage zu stellen. Nein, im Gegenteil, Behinderung der freien Entfaltung wissenschaftlicher Kreativität muß um so eher zu be5122
fürchten sein, je weniger es denen, die politische und wissenschaftliche Verantwortung tragen, gelingt, rechtzeitig und glaubhaft darzustellen, daß die drängenden Fragen der Menschen aufgenommen und beantwortet werden müssen.
Meine Fraktion begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Forschungsministers und des Justizministers berufen hat,
({3})
dem Problemfeld angemessen und interdisziplinär besetzt, welche die ethischen und rechtlichen Probleme der Genmanipulation untersuchen soll, insbesondere die Probleme, welche durch die so geschaffenen Möglichkeiten zur Veränderung menschlicher Erbanlagen verursacht werden könnten.
Frau Dr. Hickel, wenn Sie hier beklagen, daß die Bundesregierung ein halbes Jahr braucht, um eine Große Anfrage mit sehr differenzierten und ins einzelne gehenden Fragen zu beantworten, mögen Sie dies vielleicht auch dem Aspekt der Bemühungen um Gründlichkeit in der Beantwortung zuschreiben,
({4})
und Sie mögen es vielleicht auch dem Umstand zuschreiben, daß sich hier sowohl die Regierung als auch das Parlament überhaupt erst noch intensiv und zutiefst mit diesen Fragen beschäftigen müssen.
({5})
Wie hätten Sie eigentlich reagiert, wenn Ihnen sozusagen ein Schuß aus der Hüfte auf den Tisch gelegt worden wäre? Dann hätten Sie ebenfalls wieder Kritik geäußert. Ich denke, daß zur Gründlichkeit der politischen Arbeit auch ein gewisser Zeitmaßstab gehört. Das sollten wir uns alle einmal hinter die Ohren schreiben, die wir hier in absolute Hektik zu verfallen drohen, womit wir den Problemlösungen keinen Dienst erweisen.
({6})
Aber, meine Damen und Herren, die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bei der Regierung kann und darf das Parlament nicht davon abhalten, sich seinerseits frühzeitig mit sachkundiger Unterstützung und unabhängig von der Exekutive politisch mit den Chancen und den Risiken der Gentechnologie umfassend auseinanderzusetzen, bevor eine beunruhigte Öffentlichkeit uns, das Parlament, auf unsere Verpflichtung hinweisen muß.
({7})
Wollten wir uns eines solchen Versäumnisses schuldig machen, würden wir die Nutzung der positiven Wirkungen zweifellos in Frage stellen.
({8})
- Das bleibt abzuwarten. Wir werden gemeinsam Gelegenheit haben, diese Dinge inhaltlich umfassend zu erarbeiten.
Nur durch die offene, vorbehaltlose Darstellung von Gefahren, nicht durch deren Verniedlichung, durch das Herunterspielen, werden wir unserer politischen Aufgabe gerecht. Nur dann, wenn wir diese Dinge offen angehen, werden wir die Herausforderungen der Zukunft meistern und die Errungenschaften menschlichen Geistes zur Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen nutzen können. Das gilt auch für die Gentechnologie.
Deshalb bejaht meine Fraktion ausdrücklich die Berufung einer Enquete-Kommission „Gentechnologie". Den Schwerpunkt der Kommissionsarbeit, wie wir ihn sehen, habe ich im Grundsätzlichen darzustellen versucht. Wir gehen davon aus, daß die Ausschußberatungen über die vorliegenden beiden Anträge so zügig und so einvernehmlich sachbezogen ablaufen, daß die Kommission noch vor der Sommerpause berufen werden kann.
({9})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 22 a und b, Drucksachen 10/1353 und 10/1388, an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge im einzelnen entnehmen Sie bitte dem ausgedruckten Text der Tagesordnung. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
- Drucksache 10/1475 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Auch zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1475 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Elften
Vizepräsident Westphal
Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
- Drucksache 10/773 -Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1})
- Drucksache 10/1485 Berichterstatter:
Abgeordnete Berger Jungmann
({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Verteidigungsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1485, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen. Ich rufe die §§ 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({3}) Wer enthält sich der Stimme? ({4})
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt, weil die Mehrheit hier gelegen hat. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 7 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung
- Drucksache 10/1474 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine Aussprache mit Beiträgen bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP bringen heute einen Gesetzentwurf ein, mit dem die gesetzlichen Grundlagen für die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung geschaffen werden. Das Ziel des Entwurfs ist es, Milchmengen aufzukaufen, um damit eine gewisse Manövriermasse für die Berücksichtigung von Härtefällen zu haben, die bei
der neuen Garantiemengenregelung entstehen. Die durch die Brüsseler Beschlüsse notwendig gewordene Einschränkung der Milchmenge kann damit für die Einzelbetriebe deutlich vermindert werden. Es kommt bei dieser Aktion vordringlich darauf an, die Bedingungen so zu gestalten, daß ein entsprechender Anreiz für die Aufgabe der Milchproduktion geschaffen wird.
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Maßnahme ist, daß für die Bedienung von Härtefällen schnell eine ausreichende Milchmenge zur Verfügung steht. Nach den derzeitigen Schätzungen werden hierzu etwa 1 Million Tonnen Milch benötigt. Näheres wird man erst dann sagen können, wenn die Anmeldeaktion läuft.
Man hat sich daher entschlossen, diese Maßnahme einigermaßen attraktiv zu gestalten. Voraussetzung für die Erlangung der Milchrente ist die endgültige Aufgabe der Milcherzeugung. Es wird eine Prämie in Höhe von 1 000 DM je 1 000 Kilogramm Milchanlieferung in zehn Jahresraten gezahlt. Das bedeutet, daß beispielsweise ein Betrieb mit zehn Kühen und einer Milchanlieferung von 50 000 Kilogramm für zehn Jahre eine Zahlung von 5 000 DM pro Jahr erhält. Eine Höchstgrenze ist zunächst bei einer Gesamtanlieferung von 150 000 Kilogramm vorgesehen.
Dies alles ist billiger, meine sehr verehrten Damen und Herren, als wenn wir die Überschußproduktion weiter hätten laufen lassen. Diese Maßnahme ist ein Teil des umfangreichen Pakets, das zur Unterstützung der bäuerlichen Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland umgehend in die Wege geleitet wird. Die Auswirkungen der notwendigen Brüsseler Entscheidungen können damit deutlich abgemildert werden.
Wir müssen immer wieder die Ausgangslage sehen: Als unser Kollege Ignaz Kiechle vor nunmehr gut einem Jahr sein Amt übernahm, hat ihn angesichts der Berge von Problemen auf dem Markt sicherlich kaum einer darum beneidet. Die Lager der Gemeinschaft quollen j a praktisch über, der Export brachte kaum mehr Entlastung. Seit Jahren stagnierte der Verbrauch innerhalb der Gemeinschaft, die Produktion jedoch ging ungebremst weiter: Lagerbestände von 900 000 Tonnen Butter am Jahresende 1983, knapp 1 Million Tonnen Magermilchpulver, 9 Millionen Tonnen Getreide, 400 000 Tonnen Rindfleisch.
Das waren die Folgen einer Agrarpolitik, deren Probleme man lange nicht erkennen wollte. Der französische Landwirtschaftsminister Rocard hat kürzlich einmal erkärt: „Wir zahlen jetzt in der Milchmarktpolitik die Zeche für Jahre der vollständigen Verantwortungslosigkeit der Kommission und der Zuständigen." Es wurde also versäumt, frühzeitig auf die veränderten Bedingungen in der Europäischen Gemeinschaft zu reagieren.
Parallel mit der Entwicklung der Produktion ist natürlich auch der Finanzbedarf gestiegen. Im Jahre 1973 betrugen die Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft für die Marktordnungen noch 4 Milliarden ECU, 1980 waren es bereits über 11
Milliarden. Das ist ein Anstieg von etwa 14 % in jedem Jahr. Nach einer gewissen Stabilisierung kam dann im Jahre 1983 eine wahre Kostenexplosion hinzu. Wir müssen dazu noch wissen, daß finanzschwache Länder auch in absehbarer Zeit keine größeren Mengen von Agrarprodukten zu den Preisen kaufen können, die die Landwirtschaft und die Nahrungsgüterindustrie in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland brauchen.
Zur Anpassung der Agrarmärkte waren schließlich drei Wege denkbar: Preissenkung, Mitverantwortungsabgabe, Garantiemengenbeschränkung. Wir haben uns beim Milchmarkt für die Garantiemengenbeschränkung entschieden. Es kommt nun darauf an, möglichst rasch Wege zu finden, die für alle gangbar sind. Die Lösung dieses Problems bleibt sicherlich nicht ohne Auswirkungen auf die Einkommenssituation der Landwirtschaft. Deshalb war es notwendig, ein nationales Programm zur Unterstützung der bäuerlichen Familienbetriebe aufzustellen. Ein Herauskaufen von einer Million Tonnen Milch ist ein wichtiger Teil dieses Pakets und ist u. a. auch erforderlich, um die notwendigen Entscheidungen, die in Brüssel gefallen sind, national abzumildern. Vor Jahren wäre es sicherlich leichter gewesen. Damals hätte man noch ohne flankierende Maßnahmen auskommen können. Wenn die SPD mit ihren Rezepten, die sie heute in der Opposition zum besten gibt, damals erfolgreich auf ihren Kanzler eingewirkt hätte, hätten wir wahrscheinlich einige Probleme weniger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage noch einmal: Was vor wenigen Wochen in Brüssel entschieden wurde, ist für die Land- und Ernährungswirtschaft alleine nicht zu verkraften. Hier muß ein Ausgleich geschaffen werden. Wir alle in der Bundesrepublik Deutschland haben Vorteile aus der Europäischen Gemeinschaft und müssen deshalb auch die Lasten gemeinsam tragen. Dieses Gesetz ist ein Beitrag zur Lastenverteilung, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um Zustimmung zur Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ich danke schön.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist keine Einzelmaßnahme. Er steht im Zusammenhang der nationalen Ausgestaltung der Garantiemengenregelung im Milchbereich. Herr Susset, es ist wohl symptomatisch für die Politik dieser Bundesregierung, daß sie sogenannte „Sachzwänge" erst selbst konstruiert, die sie dann durch Regelungen, die Existenzvernichtung bedeuten, politisch zu lösen versucht. Wer heute durch die deutschen Lande geht - und Sie wissen das genau -, wer wie ich häufig Kontakt mit Bauern und mit der Bevölkerung im ländlichen Raum hat, der hat so etwas noch nicht erlebt. Überall gibt es Protest, nicht nur bei parteilich Gebundenen. Wo man hinhört, gibt es Verärgerung, Empörung, ja, Wut. Aber was schlimmer ist, es gibt Enttäuschung und Resignation im ländlichen Raum.
Ursache ist vor allem Ihre grandiose Idee, die Idee Ihres Ministers, der Einführung einer sogenannten Milchkontingentierung, einer Quotenregelung.
({0})
Er hat sie wie kein anderer gefordert. Leider, ich sage: leider hat der Bauernverband damals noch Pate gestanden. Alle haben gewarnt, Wissenschaftler, Praktiker, die Molkereiwirtschaft und auch wir, die Opposition. Auch sein Vorgänger im Amt und auch der Koalitionspartner steht heute noch nicht eindeutig zu den Entscheidungen von Brüssel.
({1})
Vor allem unsere kleinen und mittleren Bauern fühlen sich verlassen und verraten
({2})
von einem Minister, der selbst ein kleiner Milchbauer war. Ist das denn zu verstehen? Sie fühlen sich verlassen und verraten von einer Regierung, die doch den Bauern die Wende und rosige Zeiten versprochen hat. Herr Susset, das, was Sie hier vorgetragen haben, haben Sie in Oppositionszeiten noch alles abgeleugnet. Es gab doch gar nicht die grollen Probleme, Sie verlangten doch immer mehr. Jetzt versuchen die Regierung und die Koalitionsparteien zu reparieren, was eigentlich nicht mehr zu reparieren ist.
({3})
Was der Bundeskanzler und der Bundeslandwirtschaftsminister in Brüssel verspielt haben, macht keine nationale Nachbesserung wieder gut.
({4})
Viele - das wissen Sie doch, deshalb ist das so schwer zu ertragen - unserer gemeinsamen Berufskollegen, aber auch viele von Ihnen geben das doch zu,
({5})
daß sie es nicht haben ahnen können, daß sie es nicht glauben wollen, was hier auf sie zukommt.
Alle Befürchtungen und alle Warnungen sind weit übertroffen. Die Geister, die Sie gerufen haben, werden Sie so schnell nicht mehr los, denn die Prozeßlawine wird erst ins Rollen kommen.
Den Bauern ist die Freiheit der Entscheidung fast vollständig genommen. Stellt euch das einmal vor: Planwirtschaft mit Einzelkorsett heißt das. - Aber eine Freiheit ist den Bauern geblieben: Sie können ja ihren Betrieb aufgeben. - Resignation und fehlende Zukunftsaussichten werden viele Milchproduzenten in die Hoffnungslosigkeit treiben. Der vorliegende Gesetzentwurf über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der
Milcherzeugung soll den Bauern die Entscheidung zur Aufgabe schmackhaft machen.
({6})
Mit dieser Rente soll nicht nur Milch herausgekauft werden, nein, Herr Kollege, es geht um mehr: daß hier Bauern herausgekauft werden.
({7})
Vor allen Dingen kleine und mittlere Landwirte verlieren ihre Existenz. Sie werden von der Landkarte verschwinden. Das wissen Sie doch.
Kiechle hat sich immer gegen die Einkommensübertragung gewandt. Wir haben jetzt festgestellt: Er führt sie ein, aber nicht die, die wir sozial gewollt haben. Wir haben die Direktübertragung als gezielte sozial begründete Maßnahme zur Stärkung der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe gefordert,
({8})
die von der Vergabe der nationalen und der Brüsseler Mittel nach dem Gießkannenprinzip zuwenig, nur tröpfchenweise etwas abbekommen und deshalb in Existenznot geraten sind.
Herr Kollege Oostergetelo, darf ich Sie unterbrechen. Herr Kollege Borchert möchte eine Frage stellen.
Ja.
Herr Kollege, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß mit der Milchrente Bauern herausgekauft werden. Können Sie mir sagen, welche Chance diese Betriebe, die Sie während Ihrer Regierungszeit in „weichende Betriebe" eingeteilt haben, hatten und wie diese Betriebe ohne jede finanzielle Forderung herausgedrängt wurden?
Herr Kollege, das ist ein Entlastungsangriff, den Sie hier starten, der nicht gelingen kann. Es ist wahr: Zwei Drittel aller Betriebe haben unter 20 Kühe und bekommen ein Korsett verpaßt, mit dem keine Hoffnung bleibt.
({0})
Ist das etwas anderes? Nun wollen Sie die Hoffnungslosigkeit abmildern, indem Sie zusätzlich andere herauskaufen, die vorher aufgeben müssen. Das geschieht doch zusätzlich. Ich sage doch nichts gegen diese Maßnahme. Ich sage: Sie haben Maßnahmen selber konstruiert und versuchen jetzt, sie zu bereinigen durch diese Möglichkeit, die zusätzlich einen Existenzverlust von Hunderten von Betrieben bedeutet.
({1})
Wenn kleinere und mittlere Milchbetriebe jetzt diese Möglichkeit wahrnehmen, heißt das doch nichts anderes als Existenzaufgabe. Es gibt doch für diese Betriebe keine Alternative zur Milchviehhaltung. Die Arbeitsämter werden nicht in der Lage sein, den Betroffenen Arbeitslosengeld zu zahlen oder ihnen Arbeit zu vermitteln.
({2})
Gerade die klassisch wirtschaftenden Betriebe in den benachteiligten Gebieten, die auch Milch erzeugen, werden die Produktion möglichst aufgeben und somit die kreislauforientierte Wirtschaftsform, die zur Lösung der ökologischen Probleme und Verminderung der Folgen von Monostruktur und Intensivhaltung gefördert werden müßte.
Herr Kollege Oostergetelo, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Michels?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Kollege, warum haben Sie während Ihrer Regierungszeit dieses Problem überhaupt entstehen lassen, und wie hätten Sie dieses Problem lösen wollen?
Herr Kollege, ich kenne die Reden, die hier gehalten wurden, sehr gut. Es gab keine Probleme. Der Minister selber hat noch vor ein paar Jahren gesagt, es seien die Sozialdemokraten, die von Problemen redeten. Da lägen ein paar Kilo Butter, und schon redete man vom Butterberg. - Heute reden Sie von dem Schuldenberg und von den riesigen Problemen, die Sie übernommen hätten.
Daß es Probleme gab und daß das in der heutigen Zeit unwahrscheinlich schwer war, wird von niemandem bestritten. Aber was Sie als Ergebnis herausgebracht haben, ist ein Existenzverhinderungs-, nein, ein Existenzvernichtungsprogramm.
({0})
Die Obergrenze von 15 000 DM macht dies deutlich. Betriebe mit 30 Kühen bekommen 15 000 DM.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Eine Obergrenze ist bei dieser Regelung notwendig. Ohne Obergrenze wäre dieses Programm überhaupt nicht zu verdauen.
({1})
Der Minister Kiechle hat die Milchkontingentierung als einzige wirksame Maßnahme und als Programm zur Erhaltung selbständiger Existenzen verkaufen wollen. Das Gegenteil ist richtig. Sehr viele kleine und mittlere Betriebe
({2})
haben keine Chance mehr.
Sie haben gleichzeitig Preispolitik versprochen. Das sei die Alternative, hat Herr Susset gesagt. Heute bekommen sie Quote und Preisrückgang. Herr Dregger sagte in Ihrer Fraktion, es seien 30 %
zu erwarten, und Sie reden hier so, als ob wir eine Null-Runde hätten. Nicht einmal das ist eingetreten.
Nein, meine Damen und Herren, man kann die Maßnahme, die jetzt getroffen wird, nicht isoliert sehen. Wir werden im Ausschuß qualifiziert dazu Stellung nehmen, wenn uns die Verordnung vorliegt. Hierzu sind wir selbstverständlich bereit. Wir sagen aber: Man darf sie nicht isoliert sehen. Das ist Bestandteil des Gesamtpakets. Sie haben uns das eingebrockt.
({3})
Ihr Vorschlag hinsichtlich der Steuerpauschale bringt einen zusätzlichen Nachteil für umsatzschwache Betriebe. Darüber gibt es doch keinen Zweifel.
Wir fordern Sie auf: Seien Sie endlich bereit, eine Obergrenze bei der tierischen Veredlung einzuführen!
({4})
Verlangen Sie nicht Abstimmungen und Vertagungen! Sorgen Sie dafür, Herr Kollege, daß große Betriebe und solche mit Intensivtierhaltung nicht in den Genuß der Pauschale kommen.
({5}): Das habt ihr alle mitgemacht!)
- Meine Kollegen, Sie haben im Ausschuß geschlossen die Vertagung beantragt, als wir 300 Vieheinheiten gefordert hatten. Das ist die Wahrheit. Sagen Sie es doch! Wir kennen doch Ihre Schwierigkeiten, die Sie zwischen Nord und Süd haben.
({6})
Sorgen Sie dafür, daß wenigstens in diesem Bereich die bäuerliche Struktur ihre Priorität nicht verliert!
Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie unserem Vorschlag zu, eine Grenze von mindestens 300 Vieheinheiten einzuführen.
({7})
- Mindestens nach oben. Nach unten sind wir offen. Sie kennen unseren Vorschlag. Wenn Sie meinen, die Obergrenze so hoch ansetzen zu sollen, daß das eine zusätzliche Hilfe für industrielle Produktion bedeutet, werden wir dagegen sein. Wenn Sie aber endlich mitstimmen,
({8})
könnten wir jetzt wenigstens in diesem Bereich der bäuerlichen Struktur eine Chance geben. Dies ist unser aller Pflicht.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Oostergetelo, Sie haben hier schon im Vorgriff auf unsere kommenden Verhandlungen im Ausschuß die Vieheinheitenobergrenze von 300 hier angesprochen. Sie haben gesagt, daß Sie dafür sind. Darüber werden wir uns unterhalten. Sie kennen j a unsere Position.
Sie haben aber ganz vergessen, hier zu sagen, wie denn Ihre Fraktion zu der sogenannten Milchrente steht. Ich hätte erwartet, daß Sie auch da Ihr eindeutiges Ja erklärten; aber ich nehme j a an, daß Sie das nicht ablehnen werden.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung beruht auf der EG-Ministerratsentscheidung vom 30. März 1984, in der man sich auf ein Kontingentierungsmodell im Bereich der Milchproduktion einigte. Die Drosselung der Milchüberschüsse muß sein. Darüber sind wir uns hier alle einig.
Ich habe, meine Damen und Herren, in den letzten Monaten nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich die jetzigen agrarpolitischen Entscheidungen für einen Irrweg der gemeinsamen Agrarpolitik halte und daß die jetzige Agrarpolitik im Grundansatz falsch ist.
Die nationalen Regierungen müssen nun dafür sorgen, die Brüsseler Rahmenverordnung in nationales Recht umzusetzen. Es ist nicht nur Brüssel, wohin die Landwirte ihre Blicke richten, sondern jetzt erwartet man Entscheidungen in Bonn. Ich habe bereits am 29. März in der Agrardebatte für meine Fraktion das Herauskaufen von Überschußmilchmengen aus dem Markt gefordert. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf wird also von der FDPBundestagsfraktion ausdrücklich begrüßt und voll unterstützt.
Die Bundesrepublik hat noch ein nationales Milchkontingent von jährlich 23,2 Millionen t. Das sind 7,6 % oder 2 Millionen t Milch weniger als 1983. Das bedeutet aber auch einen Einnahmerückgang von 1,4 Milliarden DM für die deutschen Landwirte. Man muß sich diese Größenordnung hier doch einmal vor Augen führen.
Wir brauchen aber noch zusätzliche Milchmengen für die sogenannten Härtefälle. Das sind aufstockende Betriebe mit Betriebsentwicklungsplan oder Betriebe, die mit ihren eigenen Mitteln ihre Kuhplätze aufgestockt haben, oder Betriebe, die, bedingt durch außergewöhnliche Umstände - Seuchen, Brand usw. -, ein höheres Kontingent benötigen. Hierzu braucht man nach - hoffentlich zutreffenden - Vorausberechnungen ca. 1 Million t Milch. Das hätte aber eine weitere Kürzung um 4 % für die Milcherzeuger und damit weitere zusätzliche Einkommenseinbußen bedeutet. Deshalb wollen wir diese Milchmengen herauskaufen.
Wir wissen alle, daß die Kontingentierung und zusätzliche Maßnahmen wie Änderung des FettEiweiß-Verhältnisses, die Verlängerung des Zahlungsziels von 60 auf 120 Tage, Verschärfung der Magermilchpulverproduktion, Erhöhung der Mitverantwortungsabgabe und anderes schon zu einem erheblichen Einkommenseinbruch bei den Landwirten führt. Deshalb steht heute vielen Bauern, wie man volkstümlich sagt, das Wasser bis zum Halse, und zwar mehr, als wir uns alle vorstellen können. Die Mutlosigkeit ist der Verzweiflung gewichen. Das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Wenn unsere Reden von der Erhaltung unseres bäuerlichen Familienbetriebes nicht zur Farce werden sollen, sind jetzt auch nationale Maßnahmen notwendig, und wir werden sie in Gang setzen.
Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir Härtefälle befriedigen, ohne zu stark die bäuerliche Solidarität zu belasten. Der finanzielle Anreiz zur freiwilligen Aufgabe der Milcherzeugung und die Verwendung der freiwerdenden Quoten zum Ausgleich von Härtefällen führt auch zu Strukturverbesserungen. Es scheint mir eine gute, weil liberale Lösung.
Der finanzielle Anreiz, wie er im Gesetz niedergelegt ist, ist sicherlich hoch genug, um 4 % der Produktionsmasse umzudirigieren. Nach ersten Informationen aus den einzelnen Bundesländern scheint es eine Flut von Antragstellern zu geben und die Zahl der aufgabewilligen Landwirte weit über 10 % zu liegen. Schon jetzt ist abzusehen, daß die Anmeldung und Vergabe der sogenannten Milchrente im Windhundverfahren zu Unfrieden zwischen denen, die sie gewährt bekommen, und denen, deren Anträge von den Ämtern abgelehnt werden müssen, führen werden. Schon jetzt läuft in meinem Büro das Telefon heiß von verunsicherten Landwirten, die nach dem Wie der Antragstellung fragen. Diese Verunsicherung muß jetzt schnellstens durch klare Verordnungen und Ausführungsbestimmungen beendet werden.
Noch größer ist aber die augenblickliche Unruhe bei den Bauern, die sich - ich habe manchmal den Eindruck: zu 80 % - als Härtefälle betrachten. Immer wieder steht dabei die Frage der persönlichen Referenzmenge im Vordergrund. Aber auch die Frage, ob extreme Witterungsverhältnisse, Krankheiten, Brand, Wehrpflicht des Sohnes usw. als Härtefälle berücksichtigt werden, wird uns immer wieder gestellt.
Immer wieder fragen junge Landwirte, ob sie ihre Ausbildung fortsetzen sollen, ob auch ihr Betrieb in der Zukunft eine Entwicklungsmöglichkeit hat. Große Sorge machen sich die Landwirte insbesondere in den Bereichen, wo es nur absolutes Grünland gibt.
Ich will Ihnen das einmal an einem Beispiel erklären. Im Landkreis Wesermarsch sind 92 % der Fläche Grünland. In diesem Bereich - ich habe das für meinen eigenen Molkereibetrieb ausgerechnet - gibt es einen Rückgang der Quote um 9,8% gleich 10 Millionen DM. Zusätzlich müssen wir mit einem Rückgang des Milchpreises um vier Pfennige rechnen; ich glaube, das ist eine Zahl, die wohl zutreffend ist. Das sind noch einmal 5,2 Millionen DM. In
diesem Bereich mit 850 Landwirten ist also ein Einnahmeausfall oder eine Mindereinnahme von über 15 Millionen DM zu verzeichnen. Das hat Bedeutung für die gesamte ländliche Region. Es liegen mir Briefe von Bauunternehmern und von den Landmaschinenhändlern vor, die sich große Sorgen machen. Es ist wirklich zu fragen, ob Bereiche, die zu über 80 % aus absolutem Grünland bestehen, nicht generell als benachteiligte Gebiete einzustufen sind. Das ist hier die Frage.
({0})
Meine Damen und Herren, ich könnte die Reihe der individuellen Begründungen noch endlos fortsetzen. Hier werden handfeste existentielle Sorgen vorgetragen. Es geht um einzelbetriebliche Schicksale und nicht zuletzt um die Glaubwürdigkeit von uns Politikern, denn wir sind es, die antworten müssen. Wir beschließen darüber, wer in welche Regelung einbezogen wird oder nicht. Ich möchte auf die Probleme der Härtefallabgrenzung noch einmal besonders hinweisen. Ich sehe hier eine Flut von Klagen auf die Gerichte zukommen.
Ein weiteres: Wenn durch diese Agrarpolitik Bauern vermehrt ihren Betrieb aufgeben müssen, dann haben wir die Pflicht, diesen Menschen im ländlichen Raum Alternativen zu bieten. Das heißt: Wir müssen die politischen Rahmendaten so setzen, daß Gewerbebetriebe und mittelständische Industrieunternehmen einen Anreiz erhalten, sich im ländlichen Raum anzusiedeln. Damit werden den Landwirten auch Alternativen angeboten, denn trotz hoher allgemeiner Arbeitslosigkeit wird sich der Landwirt zukünftig noch mehr um Erwerbsalternativen und Einkommenskombinationen bemühen müssen.
Vielfach wurde die Sorge geäußert - insbesondere von Berufskollegen aus Hessen und Baden-Württemberg -, daß aus ihren Regionen zu viele Milchmengen herausgekauft werden. Ich habe diese Sorgen sehr ernst genommen, glaube aber, daß die Befürchtungen nicht zuzutreffen brauchen. Nach mir vorliegenden Informationen werden z. B. in Niedersachsen im Bereich der Landwirtschaftskammer Weser/Ems - das ist mein Bereich - zirka 15 % der Milch zum Herauskaufen angeboten, während diese Zahl im Lande Hessen bei zirka 10% liegt. Somit erscheint es ohne weiteres möglich, die regional herausgekauften Milchmengen auch zur Abdeckung und zur Befriedigung der regionalen Härtefälle zu benutzen.
Meine Damen und Herren, der uns vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung führt zu jährlichen Ausgaben von rund 100 Millionen DM. Dieses Geld ist sinnvoll ausgegeben, denn es führt zu einer Strukturverbesserung im Bereich der Milchproduktion und gibt vielen Betrieben durch die Härtefallregelung erst eine Zukunftschance.
Die Diskussion um die Gewährung einer sogenannten Milchrente hat für mich eine wesentliche Erkenntnis gebracht: Die Anzahl der aufgabewilli5128
gen Landwirte scheint nach ersten Hochrechnungen und Übersichten eine beträchtliche Höhe zu erreichen. Die benötigte Menge von 1 Million t Milch wird erheblich überstiegen. Deshalb möchte ich hier noch einmal eindringlich an die Bundesregierung appellieren, diesen Weg weiterzugehen. Es war ja der Trugschluß der bisherigen agrarpolitischen Entscheidungen, durch die Milchkontingentierung die überschüssige Milch beseitigen zu können. Zwar wird die Milchproduktion dadurch von 104 Millionen t im Jahre 1983 auf 99 Millionen t im Jahre 1984 zurückgeführt. Am Markt sind aber nur 90 Millionen t Milch absetzbar. Da uns aber die Überschußmilch mit Kosten von zirka 54 Pfennigen je Liter belastet, ist das Herauskaufen von Milch zu einem Preis von 10 Pfennigen je Liter immer noch bedeutend billiger.
Ich möchte die Bundesregierung noch einmal auffordern und bitten, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um auf EG-Ebene zu einem Herauskaufen der Überschußmilch zu kommen. So könnten wir zum Abbau der Überschüsse, die unverantwortlich hohe Kosten verursachen, kommen. Damit bekämen wir auch wieder den nötigen Handlungsspielraum, um in der Milchpolitik die Kontingentierung zu beenden und der Marktwirtschaft wieder eine Chance zu geben.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Agrarpolitik läuft im Augenblick alles nach einer einzigen Methode, und die heißt: Aus der Hocke auf den Tisch. Dies ist nicht der erste Fall, wo wir ganz kurzfristig Gesetze auf den Tisch bekommen und die durch die parlamentarische Beratung regelrecht durchgepeitscht werden. Als Mitglied dieses Parlaments protestiere ich gegen diese Methode grundsätzlich, weil ich glaube, daß die Beratung in den Ausschüssen und, wenn man überhaupt noch Wert darauf legt, das gründliche Sich-sachkundig-Machen bei den betroffenen Bürgern, in diesem Fall bei den betroffenen Bauern, erheblich darunter leiden müssen, wenn Gesetze in einer solchen Eile durchgepeitscht werden.
({0})
Auch aus einem zweiten Grund protestiere ich dagegen. Ich habe nämlich den letzten Fall sehr gut in Erinnerung. Das letzte Mal ging es um die Erhöhung der Vorsteuerpauschale. Auch das wurde ganz eilig eingebracht - und es stellte sich hinterher als ein Gesetzentwurf heraus, mit dem ganz andere Dinge beabsichtigt waren. Dieser unschuldige Entwurf für die Erhöhung der Vorsteuerpauschale - wir hatten ihn damals abgelehnt - war nämlich der Vorwand für die sagenumwobene Sitzung des Finanzausschusses. Dieser mußte eine Sondersitzung machen, mit der Begründung, daß die Bauern nicht auf ihr Geld warten können und das Ganze
schnell durchgeführt werden muß. Und dann wurde ein zweiter Tagesordnungspunkt angesetzt, und dabei - man höre und staune - handelte es sich um den Entwurf, wo im Huckepack-Verfahren das Amnestiegesetz durchgepeitscht werden sollte.
({1})
- So ist es gewesen.
({2})
Und plötzlich kam die landwirtschaftliche Beratung ganz in die Nähe der großen Politik. Das war der Vorwand, damit jene Beratung einsetzen konnte.
Aus dieser Erfahrung bin ich in Zukunft sehr, sehr vorsichtig bei einer solchen Art der schnellen Einbringung von Gesetzen. Ich weiß noch nicht, was in diesem Fall vorliegt. Jedenfalls passe ich genau auf.
({3})
Ich wollte das damit ankündigen. Ich bitte, demnächst Gesetzentwürfe mit der gebührenden Geduld und Ausdauer zu beraten.
({4})
Nun zu dem Gesetzentwurf. Der Hintergrund dieser Gesetzgebung ist ja klar. Im Hintergrund steht die Auswirkung der Quotenregelung, und im Hintergrund steht auch der wachsende Rundumprotest vieler Bauern aus allen Teilen des Landes.
Übrigens: Hätten Sie damals bei der Erhöhung der Vorsteuerpauschale ein bißchen mehr Geduld gehabt, dann hätten Sie gleich den nächsten Beschluß, der ja jetzt kommen wird, nämlich die weitere Erhöhung um zwei Prozent, gleich mitberaten können. Wir hätten dann sogar Zeit gespart, z. B. für so wesentliche Debatten wie heute über die Energiepolitik,
({5})
die deshalb verschoben werden müssen, weil wir hier ständig über Ihre Gesetzentwürfe zu Amnestie-
und Steuerfragen debattieren müssen.
Ich komme jetzt zu dem eigentlichen Punkt des Gesetzentwurfs. Der Hintergrund sind also die Quotenregelung und die Proteste der Bauern.
Was hat diese Quotenregelung bewirkt? Sie hat bewirkt, daß für alle der wirtschaftliche Druck ausgesprochen stark wird.
({6}) - Nein! Indem die Quoten festgelegt werden,
({7})
wird allen Bauern von den ihnen zugestandenen Quoten etwas abgezogen. Aber: Man hat Härtefallregelungen vorgesehen.
Nun ist in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs eine sehr schöne Formulierung:
Aus Rechtsgründen ... müssen Erzeugern, die insbesondere aufgrund staatlicher Förderung größere Investitionen im Milchbereich vorgenommen haben und die Aufstockung ihres Milchkuhbestandes 1983 noch nicht oder nur teilweise vollzogen hatten, zusätzliche Produktionsmengen ... zugewiesen werden ...
Aus Rechtsgründen! Ihre Härtefallregelung sagt: Die Wachstumsbetriebe müssen aus Rechtsgründen Mengen bekommen. Ihre Härtefallregelung sagt z. B. nicht, daß es ebenso gute Rechtsgründe dafür gibt, daß man Bauern die Milchkuhhaltung nicht verbieten kann. Sie werden deswegen noch Prozesse bekommen.
({8})
Das sind ebenso schwerwiegende Rechtsgründe. Z. B. ist zu fragen, ob es nicht dem Grundsatz der Berufsfreiheit widerspricht, wenn heutzutage Bauern, junge Bauern, die eine Existenz neu aufbauen wollen, gar nicht mehr entscheiden können, in die Milchkuhhaltung zu gehen.
({9})
Sie haben aber vor allen Dingen - das ist es, was Sie drückt und drängt und wofür der Bauernverband nachdrücklich spricht - auf die Härtefallregelung für die Wachstumsbetriebe abgehoben. Diese aber brauchen erhebliche Mengen. Man kann in Ihrem Entwurf nachlesen, welche Menge die brauchen, nämlich immerhin 4 % der Gesamtquote, die wir im Augenblick haben. Das müssen Sie irgendwo herholen. Woher können Sie diese 4 % holen? - Kluger Gedanke: Man holt sie bei den Kleinen, bei den Nebenerwerbsbetrieben. Also muß man denen ein Korsett geben, mit dem sie nicht leben und nicht sterben können.
({10})
Vergleichen Sie das einmal mit den Schweizern, die ja auch eine Quotenregelung haben. Dort hat man gesagt: Wenn man eine Quotenregelung einführen und keine Proteste der Bauern haben will, dann muß man sie mit einer Preiserhöhung verbinden. Von der sprechen Sie ja auch. Sie wollen irgendwann auch in die aktive Preispolitik einsteigen. Aber man höre und staune: jetzt noch nicht; denn bevor die aktive Preispolitik einsetzen kann, müssen Sie noch etwas erledigen. Sie müssen nämlich 41)/0 der Betriebe, der bäuerlichen Existenzen herausdrängen.
({11})
Dazu brauchen Sie - das steht dort auch - genau diesen Gesetzentwurf, und dazu brauchen Sie die sogenannte Milchrente.
Von einem Nebenerwerbsbetrieb habe ich mitgeteilt bekommen, daß er 1981 sechs Kühe hatte. Diesen Bestand hat er 1983 auf acht Kühe aufgestockt. Dieser Betrieb wird einem Abzug von etwa 10 unterworfen.
({12})
- 9,5 %.
Wenn ein solcher Betrieb angeboten bekommt, die Milchrente in Anspruch zu nehmen, ist das für ihn deshalb attraktiv, weil er keine Alternative hat. Der Druck durch den Abzug der Quoten ist vorhanden, die Preiserhöhung steht aus. Das heißt, er hat schon jetzt einen Einkommensverlust in erheblichem Umfang. Durch die Umbewertung des FettEiweiß-Bewertungsverhältnisses hat er in Süddeutschland jetzt schon einen Preisabzug von zwei Pfennig.
({13})
Für diesen Betrieb wird der Druck außerordentlich verstärkt. Ein einziges Loch wird gelassen - wie in einem Explosionskessel -, das heißt: Aufgeben. Die Betriebe werden konsequent in diese Richtung gedrängt. Das lassen Sie sich etwas kosten, denn Sie wollen die Menge haben, aber mit dem Versprechen vor allen Dingen der Nebenerwerbsbetriebe, aber auch der Kleinbetriebe, nie wieder Milch auf ihren Hof zu holen. Die Konsequenz ist natürlich, Herr Bredehorn, daß die Milch aus den Gebieten herausgekauft wird, wohin sie eigentlich gehört, nämlich aus den benachteiligten Gebieten, die keine Alternative haben. Damit erfolgt eine Umverlagerung innerhalb der Regionen der Bundesrepublik.
({14})
Das ist äußerst gefährlich.
Wir sind auch noch aus einem ganz anderen Grund dagegen. Das Versprechen, nie wieder in die Milchproduktion einzusteigen ({15}), bedeutet, daß nun ein Betriebsinhaber auch für seinen Sohn mit entscheidet, daß dieser nie Kühe haben kann.
({16})
Das heißt, es können keine Existenzneugründungen erfolgen. Das bedeutet insbesondere, daß keine Umstellung auf ökologischen Landbau möglich ist, denn für den ökologischen Landbau ist die Milchkuhhaltung eine Bedingung, von der nicht abzugehen ist. Damit ist auch festgelegt, daß keine Möglichkeit besteht, aus diesem System der Agrarpolitik, das Sie vorschreiben, auszusteigen.
({17})
Wegen der Vision einer anderen Landwirtschaft, die wir haben, wegen des Engagements für die benachteiligten Gebiete, wegen des Engagements für die Klein- und Nebenerwerbsbetriebe stimmen wir noch nicht einmal der Überweisung Ihres Vorschlags an den Ausschuß zu.
Ich danke Ihnen.
({18})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich den heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milchproduktion. Ich bedaure, daß in den zuletzt gehörten Redebeiträgen vieles miteinander vermischt und der Versuch unternommen worden ist, die Unklarheiten und Unsicherheiten, wie sie zweifellos in der landwirtschaftlichen Bevölkerung vorhanden sind, noch zu verstärken. Aber der Kollege Oostergetelo hat immerhin angekündigt, daß er bei der Ausschußberatung eine qualifizierte Stellungnahme abgeben werde. Darauf freuen wir uns dann alle miteinander, denke ich.
({0})
Ich möchte gerne noch ein Wort zur Begründung der Milchpolitik sagen. Ich glaube, niemand bezweifelt, daß wir die Überschußsituation so nicht einfach fortschreiben konnten. Die. Kosten der gemeinsamen Agrarpolitik sind - wie Herr Kollege Susset das vorhin gesagt hat - in der letzten Zeit geradezu explosionsartig gestiegen. Der Milchmarkt alleine hat im vergangenen Jahr 12 Milliarden DM gekostet. Allen Beteiligten ist klar gewesen - und das war die Befürchtung -, daß ein Zusammenbruch dieses Milchmarktes eine Aussetzung der Intervention zur Folge hätte und damit geradezu katastrophale Folgen für die Landwirtschaft, für die Molkereien, für die ganze milchwirtschaftliche Struktur eintreten würden, wenn wir nicht handeln würden. Diese Alternative darf man nicht aus dem Auge verlieren bei den Entscheidungen, die getroffen worden sind.
Die Vorschläge, die nun in den vergangenen Wochen und Monaten erörtert wurden, daß man nämlich durch Preissenkungen, durch eine erhöhte Mitverantwortungsabgabe den Versuch hätte unternehmen können, die Milchproduktion zu steuern, sind sowohl vom Berufsstand als auch von der Bundesregierung abgelehnt worden. Letztlich hat das auch gezeigt, daß keine andere Politik als die der Mengenbegrenzung durch die Garantiemengenregelung in der Gemeinschaft konsensfähig war.
Ich halte das nicht für einen neuen, bedauerlichen Eingriff, Verstoß gegen marktwirtschaftliche Grundsätze. Nachdem wir die Marktordnungen mit festgesetzten Preisen haben, ist es, glaube ich, logisch und vernünftig, eine Preisgarantie nur für eine bestimmte Menge auszusprechen. Das ist erstens eine Maßnahme, die sofort wirkt. Wir können damit planen, und wir wissen in der Gemeinschaft, welche Kosten künftig zu bewältigen sind.
Zweitens ist es eine Maßnahme, auf die man sich einstellen kann. Der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf ist ein Teil der Reaktion auf diese Politik, sozusagen das Sich-Einstellen auf die Garantiemengen.
Bei Preissenkungen wären die Folgen unabsehbar gewesen, sowohl für die künftige Produktion als auch hinsichtlich der Möglichkeit der Betriebe, darauf zu reagieren.
({1})
Nun werden wir bei der Abzugsregelung, die auf der Grundlage der für die ganze Gemeinschaft geltenden Garantiemengenregelung auch in unserem Lande erforderlich ist, mit einem abgestuften Modell vorgehen. Dabei bemühen wir uns, möglichst gerecht zu sein. Wir beginnen bei einem Abzug von nur 2 % der 1983 erzeugten Milchmenge für die Betriebe, die seit 1981 ihre Produktion nicht gesteigert haben und insgesamt nicht mehr als 161 000 Kilo Milch produzieren. Das gilt für die ersten 60 000 Kilo. Das wird dann gestaffelt weitergeführt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt zum wiederholten Male behauptet, daß die Quotenregelung nicht mit einer Preissenkung einhergehe. Hat denn Herr Dregger in Ihrer Fraktion die Unwahrheit gesagt, wenn er dort von einem 30 %igen Einkommensrückgang gesprochen hat?
Und eine zweite Frage: Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, mir zu erklären, was ich den jungen Bauern sagen soll, die nur eine kleine oder gar keine Quote haben?
Herr Kollege Oostergetelo, ich möchte Ihnen gerne in aller Offenheit und Sachlichkeit auf Ihre Fragen antworten. Die Garantiemengenregelung bei der Milch ist die notwendige Antwort auf die Situation in der Europäischen Gemeinschaft gewesen, die diese Bundesregierung nicht herbeigeführt, aber vorgefunden hat.
({0})
Sie drohte zu einer Katastrophe für die Milcherzeuger zu werden, weil im Laufe dieses Jahres die Milchmarktordnung zusammengebrochen wäre.
({1})
Insofern ist dieser Ansatz nach wie vor völlig richtig. Er wird ja auch von den anderen Mitgliedsländern der Gemeinschaft geteilt. Das, was bei der Preisrunde dieses Jahres zusätzlich geschehen ist, was Sie ansprechen, bedaure ich mit Ihnen. Ich sage hier ganz deutlich und offen, daß es auf die Dauer nicht zusammenpaßt, eine MengenbegrenParl. Staatssekretär Dr. von Geldern
zungspolitik und gleichzeitig eine restriktive Preispolitik zu machen.
({2})
Dies müssen wir in der Zukunft ändern. Daß es in diesem Jahr eine solche Preisrunde mit zusätzlichen Maßnahmen der Kommission - wie Umwertung Fett/Eiweiß, Verlängerung der Zahlungsfristen und ähnliches - gegeben hat, ist nur damit zu erklären, daß wir in der Gemeinschaft bereits eine Finanzsituation hatten, die alle möglichen Einsparungen notwendig gemacht hat. Ich bedaure, daß es überhaupt so weit gekommen ist. Meine Damen und Herren, das muß man an dieser Stelle auch einmal sagen, vielleicht auch für die öffentliche Diskussion: Die Landwirte sind für die Überschußsituation in der Gemeinschaft nicht verantwortlich zu machen.
({3})
Der einzelne Landwirt kann auf seinem Betrieb keine europäische Agrarpolitik betreiben. Die Verantwortung für die Lage, wie sie jetzt entstanden ist und die leider auch zu solchen restriktiven Preismaßnahmen geführt hat, tragen eindeutig die Politiker, die in der Vergangenheit versäumt haben, die Marktordnungen der veränderten Situation anzupassen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe eben die Abzugsregelung bei der Milch geschildert. Der höchste Abzug beträgt 12,5% bei den größeren Betrieben. Dies kann nicht eine in jedem Einzelfall absolut gerechte Lösung sein. Sie ist aber von dem Bemühen getragen, alle Möglichkeiten, alle Gesichtspunkte für eine gerechte Lösung hier einzubringen. Wir hätten einen wesentlich höheren Abzug vornehmen müssen, weil es Härtefälle gibt, die bedient werden müssen. Das sind größere und kleinere Betriebe, Frau Kollegin Vollmer, die in der Hoffnung investiert haben, daß sich die Investition dadurch rechtfertigt, daß die Kapazität entsprechend ausgeweitet wird. Wenn wir solche Betriebe heute an ihrer früheren Kapazität festhalten, dann ist die Investition - wenn ich das einmal so formulieren darf - in den Sand gesetzt; der Betrieb wird darunter zusammenbrechen. Darum sind Härtefallregelungen dringend notwendig und aus Rechtsgründen geboten.
Es gibt andere Fälle, die ebenfalls durch ein besonders negatives Betriebsergebnis im Referenzjahr 1983 auf Grund höherer Gewalt eine Ausnahmeregelung brauchen.
Wenn wir alle diese Fälle bedienen wollen, müssen mindestens 4% der Milchproduktion - das ist ungefähr eine Million Tonnen - noch einmal zur Verfügung stehen. Das hätten wir nun so machen können, wie es in einigen Nachbarländern geschieht, wo nämlich der Abzug für alle anderen entsprechend vergrößert wird. Wenn das nicht geschieht und wir eine Sonderaktion zum Heraus-kauf von Milchmengen zur Bedienung der Härtefälle auflegen, die in diesem Gesetz vorgesehen ist, dann, glaube ich, ist das ein positiv zu wertendes
Angebot an die Landwirtschaft. Die kritischen Stimmen, die vorhin gesagt haben, dies heiße Bauern von ihren Betrieben holen, kann ich überhaupt nicht verstehen. Den Landwirten, die die Milchproduktion aufgeben wollen, wird das faire Angebot gemacht, eine Prämie dafür zu bekommen - oder aber sie machen von dem Angebot nicht Gebrauch. Ich glaube, daß dies ein gutes Angebot ist, das die Landwirtschaft auch entsprechend aufnimmt, wie das große positive Echo inzwischen zeigt.
Nun möchte ich einen Satz dazu sagen, ob man diese Aktion nicht - Herr Kollege Bredehorn hat das angesprochen - ausweiten könnte. Wir kennen noch keine genauen Zahlen, weil die Antragstellung erst am 1. Juni beginnen kann. Es scheint aber so, daß die Bereitschaft, von diesem Angebot Gebrauch zu machen, recht groß ist. Frage also: Kann man das ausweiten?
Herr Kollege Bredehorn, meine Damen und Herren, zunächst einmal dient diese Vergütungsregelung für die Aufgabe der Milchproduktion ausschließlich dem Ziel, damit die genannten Härtefälle zu bedienen, ohne den anderen Milcherzeugern einen größeren Abzug zumuten zu müssen. Wir müssen abwarten, wie sich diese Aktion jetzt in der Praxis darstellt. Ich bin überzeugt, daß, wenn sich eine darüber hinausgehende Bereitschaft einstellt, die Milchproduktion gegen eine Prämie aufzugeben, die Länder aufgerufen sind - und diesen Aufruf auch begreifen und einsteigen werden -, mit eigenen nachfolgenden Programmen Agrarstrukturpolitik zu machen, um solchen Betrieben, die bei dieser Gelegenheit die Milchproduktion aufgeben wollen, zu helfen und anderen, die aus Strukturgründen eine Ausweitung brauchen oder weil sie in einem weiteren Sinne Härtefälle sind, dann helfen zu können. Eine endgültige Aussage darüber, ob der Bund, ob die Europäische Gemeinschaft, ob die Länder und zu welchem Zeitpunkt später bei der Fortführung dieses Programms einsteigen können und werden, läßt sich heute nicht sagen; aber ich glaube, es ist richtig, wenn wir Ihren Gedanken weiter verfolgen, insbesondere auch wenn sich herausstellt, daß die Bereitschaft dafür tatsächlich vorhanden ist.
Ich glaube, die hier in diesem Gesetzentwurf angesprochene Maßnahme ergänzt die Milchpolitik in guter Weise. Lassen Sie mich dies zum Abschluß sagen: Ich bin überzeugt, daß aus der nüchternen Rückschau, wenn sich die Politik erst einmal in der Praxis eingespielt hat, alle Beteiligten, die Landwirte, vor allem aber auch die deutsche Öffentlichkeit, sagen werden: Es war richtig, diese Kurskorrektur in der Europäischen Gemeinschaft vorzunehmen; denn wir konnten weder dem Zusammenbruch der Marktordnungen und damit die Gefährdung der Gemeinschaft selbst noch die weitere Produktion von nicht mehr abzusetzenden außerordentlich teuren Überschüssen in der Landwirtschaft und in der gesamten Öffentlichkeit rechtfertigen.
Ich bedanke mich.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1474 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die verbundene Tagesordnung um den Zusatzpunkt erweitert werden: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, betreffenden Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Sie haben dazu die Drucksache 10/1425 auf dem Tisch. Berichterstatter ist der Abgeordnete Buschbom. Sind Sie damit einverstanden, daß wir das jetzt behandeln? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das auf die Tagesordnung gesetzt.
Ich rufe diesen Zusatzpunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 10/1425 Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom
Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/1425 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist interfraktionell vereinbart, es kann nicht so schwierig sein. Wer stimmt dagegen? - Keiner. Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23 bis 26 und den Zusatzpunkt 8 auf:
23. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Kein Austausch von Ballastkohle aus der Nationalen Steinkohlereserve
- Drucksache 10/1166 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Stand und Ergebnisse von Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung
- Drucksachen 9/1953, 10/358 Nr. 49, 10/1066 Berichterstatter: Abgeordneter Gerstein
25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({4}) des Rates betreffend die Gewährung finanzieller Anreize zugunsten bestimmter Investitionen im Bereich der rationellen Energienutzung
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
- Energiestrategie der Gemeinschaft: Fortschritt und Leitlinien für künftige Maßnahmen
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
- Energie und Energieforschung in der Gemeinschaft: Ein Fünf-Jahres-Programm und seine Finanzierung
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
- Vorschläge für eine ausgewogene Politik im Bereich der festen Brennstoffe
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({5}) des Rates über die
Gewährung einer finanziellen Unterstützung der Gemeinschaft zugunsten der Industrien, die feste Brennstoffe erzeugen
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Ergebnis des Konzertierungsverfahrens im Zusammenhang mit den Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für
I. eine Verordnung ({6}) zur Gewährung einer finanziellen Unterstützung für Demonstrationsvorhaben im Bereich der Nutzung alternativer Energiequellen, der Energieeinsparung und der Substitution von Kohlenwasserstoffen
II. eine Verordnung ({7}) zur Gewährung einer finanziellen Unterstützung für industrielle Pilot- und für Demonstrationsvorhaben auf dem Gebiet der Verflüssigung und Vergasung fester Brennstoffe
Vizepräsident Westphal
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Vorbedingungen für eine wirksame Energiepolitik in der Gemeinschaft
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Kohlekrise in der Gemeinschaft
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
- Die neue Regelung für Kokskohle und Koks zur Versorgung der Eisen- und Stahlindustrie der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/2087, 10/358 Nr. 53, 10/511, 10/513, 10/512, 10/515, 10/845, 9/2434, 9/2368, 10/510, 10/1070 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerstein
Wolfram ({8})
26. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Ehmke ({9}), Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verdrängung einheimischer Steinkohle durch die Atomenergie
- Drucksachen 10/1092, 10/1407 - Zusatzpunkt 8:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung
- Drucksache 10/1476 Zu Tagesordnungspunkt 26 liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1501 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 23 bis 26 sowie des Zusatzpunktes 8 und eine Aussprachedauer von drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.
({10})
- Ich merke, daß es dazu auch andere Auffassungen gibt. Der Rahmen ist im Ältestenrat gesetzt worden, aber eine Verkürzung wird ja wohl keiner übel nehmen.
({11})
- Dies ist eine Vereinbarung.
Wird das Wort zur Begründung oder zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte mich, Herr Präsident, ausdrücklich dafür bedanken, daß es der Deutsche Bundestag für richtig hält, zu einer sonst ungewöhnlichen Zeit eine ausführliche Debatte über dieses Thema „Energiepolitik" zu führen, weil er damit, auch wenn uns die drängenden Sorgen der energiepolitischen Versorgung zur Zeit nicht drükken, dennoch die Überzeugung zum Ausdruck bringt, daß es sich hier um ein wichtiges politisches Thema handelt, das nicht auf die lange Bank geschoben werden darf.
Eine Bilanz der Energiepolitik zeigt, daß, wie ich soeben sagte, die Versorgung deutlich sicherer geworden ist. Der wirtschaftliche Umgang mit Energie ist bei uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die deutsche Industrie hat den niedrigsten spezifischen Energieverbrauch in der Europäischen Gemeinschaft. Die Wirtschaft erzeugt ein seit 1973 um 17 "A) gestiegenes Bruttosozialprodukt mit weniger Primärenergie als 1973. Der Ölanteil am Primärenergieverbrauch ist von 55% zu Beginn der sogenannten Ölkrise auf etwa 40 % zurückgegangen. Unsere größte Ölbezugsquelle war vor zehn Jahren der Golf, heute ist es die Nordsee. Die im Zuge des Konjunkturaufschwungs steigenden Energieverbrauchszahlen ändern nichts an diesem Bild. Der Bonner Generalanzeiger schrieb am 26. April dieses Jahres zur Veröffentlichung der Energieverbrauchszahlen für das erste Quartal 1984:
Erfolgreicher läßt sich eine richtige Energiepolitik kaum belegen, die die Abhängigkeit von Primärenergieeinfuhren recht eindrucksvoll verringert hat.
({0})
Man muß nicht so weit gehen, wie der Generalanzeiger. Aber niemand kann ernsthaft leugnen, daß die deutsche Energiepolitik erfolgreich war und ist.
Es war vor allem richtig, daß die Bundesregierung in der Energiepolitik in erster Linie auf freie Märkte und Preise gesetzt hat. Wo stünden wir heute, wenn wir in den Zeiten der Ölpreiskrise auf die zahlreichen Propheten gehört hätten, die in Preisregulierung und Marktabschottungen die richtige Antwort sehen wollten!
({1})
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben in der Strukturberichterstattung festgestellt: „Die energiewirtschaftlichen Umstellungsprozesse sind ein beachtliches Beispiel marktwirtschaftlicher Anpassungsleistungen." Ich füge hinzu: Wir werden heute und in Zukunft von dieser erfolgreichen und ordnungspolitisch richtigen Orientierung der Energiepolitik nicht abgehen.
({2})
Es wäre für Wachstum, Wohlstand und Strukturanpassung verhängnisvoll, wenn die Märkte mit Anschluß- und Benutzungszwang, Wärmenutzungsgebot oder Energiepfennig zunehmend zementiert würden.
Der Politik wird oft - manchmal zu Recht - vorgeworfen, sie sehe nur den Tellerrand des nächsten Wahltermins. Die Energiepolitik trifft dieser Vorwurf nicht. Die Bundesregierung hat über mehrere
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Legislaturperioden hinweg eine kontinuierliche, an der Sache orientierte Politik verfolgt, angepaßt an die jeweils neuen Daten, aber in Ausrichtung, Zielen und Instrumenten auf einer klaren, für Wirtschaft und Verbraucher erkennbaren Linie. Dies wird so bleiben.
Meine Damen und Herren, die Schwerpunkte ihrer Energiepolitik hat die Bundesregierung zuletzt im Jahreswirtschaftsbericht eingehend dargelegt. Sie sind auch die Basis der Ihnen heute zur Beratung vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der GRÜNEN. Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung, optimale Nutzung aller verfügbaren Energieträger und Sicherheit der Versorgung stehen an der Spitze der Ziele. Diversifizierung des Energieangebots und breite Streuung der Bezugsquellen bedeuten in unserem von Energieimporten abhängigen Land mehr Flexibilität und damit größere Sicherheit der Versorgung.
Alle Energievorausschätzungen stimmen darin überein, daß der laufende Umstrukturierungsprozeß in den nächsten Jahren zügig weitergeht. Der spezifische Energieverbrauch wird also weiter zurückgehen. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine gerade vorgelegte Untersuchung der EG-Kommission, ebenso wie eine Energievorausschätzung von PROGNOS in Basel, deren vorläufige Endfassung meinem Haus in diesen Tagen vorgelegt wurde.
International sind wir in der IEA, der Internationalen Energieagentur, und in der Europäischen Gemeinschaft einig, daß dieser Strukturprozeß auch in Zukunft, wo dies nötig ist, durch eine konsequente Einsparpolitik flankiert werden muß. Wir haben das Einsparprogramm für neue Technologien verlängert. Die Verbraucheraufklärung werden wir fortsetzen.
Meine Damen und Herren, die strukturellen Anpassungsprozesse stellen unsere Energiewirtschaft auch in Zukunft vor gravierende Probleme. Besonders hart hat das Tempo der Anpassung die deutsche Mineralölwirtschaft getroffen. Ihr Absatz ist in den letzten Jahren um über 25 W zurückgegangen. Niemand - darin schließe ich mich ein - hat damit gerechnet, daß die Politik zur Verminderung der Ölabhängigkeit so schnell und so durchgreifend wirken würde. Unsere Ölimporte liegen in diesem Jahr bei rund 100 Millionen Tonnen, und sie werden noch weiter zurückgehen. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Tokio 1979 hatte die Bundesrepublik sich als ehrgeiziges Ziel eine Importmenge von 141 Millionen Tonnen für das Jahr 1985 vorgenommen.
Die Mineralölwirtschaft hat diesen steinigen Weg der Strukturanpassung allein und ohne staatliche Hilfen bewältigt. So wie die Dinge liegen, wird sie dies auch in Zukunft ohne Hilfen des Staates tun müssen. Aber auch die Mineralölwirtschaft hat selbstverständlich Anspruch auf faire Wettbewerbsbedingungen, und dafür werde ich mich auch in Zukunft einsetzen: bei uns und international. Deshalb bin ich gegen eine generelle, marktwidrige Ölverdrängung durch besondere administrative Instrumente wie Anschluß- und Benutzungszwang. Eine dirigistische Zementierung der Märkte steht
im Widerspruch zur Energiepolitik dieser Regierung.
Unsere Ölversorgung ist sicherer geworden, aber sie ist weiter großen politischen Risiken ausgesetzt; der Krieg zwischen Iran und Irak macht dies deutlich. Immerhin kommen rund 20 % der Ölversorgung der freien Welt durch die Straße von Hormuz. Wir begrüßen und unterstützen deshalb alle internationalen Bemühungen, die Schiffahrtswege freizuhalten. Wir dürfen die Lage aber auch nicht überdramatisieren. Auch die Golfstaaten haben - wie wir - ein Interesse an offenen Transportwegen. Solange dieses Interesse besteht, rechnen wir nicht mit einer Unterbrechung der Ölzufuhr aus dieser Region.
Meine Damen und Herren, einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherheit unserer Energieversorgung leistet die deutsche Kohle. Die zunehmenden Umweltanforderungen stellen Steinkohle und Braunkohle vor erhebliche Probleme. Auf Grund der geologischen Situation ist die Steinkohle in einer strukturell und unveränderbar schwierigen Wettbewerbssituation. Die Lage hat sich schließlich in den letzten Jahren, vor allem durch die Krise in der Stahlindustrie, verschlechtert.
Die Bundesregierung, Bergbau-Länder, Unternehmen und Gewerkschaft haben in der Kohlerunde im Oktober 1983 daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen. Die Unternehmen führen die verabredeten Anpassungsmaßnahmen durch. Gerade in diesen Wochen einer total überflüssigen und gefährlichen Tarifauseinandersetzung unterstreiche ich die Kohlepolitik als ein gutes Beispiel für eine sozial abgefederte Umstrukturierung. Die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie hat ihr Verantwortungsbewußtsein hier erneut bewiesen.
({3})
- Ich habe über die IG Bergbau und Energie kein einziges Wort gesagt, sondern ich habe von der IG Druck und Zensur gesprochen; das ist Gott sei Dank eine andere Gewerkschaft.
({4})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat durch ihren Beitrag deutlich gemacht, daß sie auch in Zukunft an der Politik zur Sicherung der deutschen Steinkohle festhält. Die aktuelle Situation der Steinkohle ist durch einen Abbau der Halden gekennzeichnet; seit August 1983 sind sie um ca. 25 % gesunken. Dies ist sowohl auf steigenden Absatz als auch auf die in der Kohlerunde beschlossenen Maßnahmen zur Förderanpassung zurückzuführen, und dies ist eine erfreuliche Entwicklung. Sie darf aber den Blick für die nach wie vor bestehenden Absatz- und Erfolgsrisiken der Kohleunternehmen nicht verstellen.
Nach langen und schwierigen Verhandlungen in Brüssel ist es uns gelungen, die Zustimmung zu einer nochmaligen Verlängerung der EG- Kokskohlenbeihilfe zu finden. Die Verhandlungen haben aber auch das schwindende Interesse der StahlinBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
dustrie in den übrigen EG-Staaten an deutschen Lieferungen deutlich gemacht. Die Kokskohle- und Kokslieferungen in andere Länder leisten keinen Beitrag zur Sicherung der heimischen Energieversorgung. Insofern gilt unverändert die Aussage der Kohlerunde, daß wir uns für Exporte längerfristig keine öffentlichen Subventionen leisten können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Aber bitte sehr.
Herr Minister, wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß der Gemeinsame Markt für Kohle und Stahl nicht mehr existiert und die Sicherung der Energieversorgung im Gemeinsamen Markt für Sie nicht mehr wichtig ist, und wollen Sie behaupten, daß alle Teilnehmer der Kokskohlenrunde Ihrer Interpretation, die meines Wissens die Position der Bundesregierung war, bezüglich der längerfristigen Kokskohlebeihilfe zugestimmt haben?
Nein, Herr Kollege Wolfram. Erstens geht es bei der Frage, wie die Kokskohleversorgung im Gemeinsamen Markt aussieht, natürlich um die Frage des Preises und der Wettbewerbsfähigkeit. Da wissen Sie, daß deutsche Kokskohle vor allem im internationalen Wettbewerb nicht zu Preisen angeboten werden kann, die ihre Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Unsere Partner, die nicht kohleerzeugende Länder in der Europäischen Gemeinschaft sind, sind seit langem auf dem Wege, nicht Gemeinschaftskohle vorzuziehen, sondern sich Kohle auf den Weltmärkten zu sehr viel niedrigeren Preisen zu kaufen, um dann eine billigere Energieversorgung herzustellen.
Zweitens. Es ist wohl richtig, daß es Nuancen und unterschiedliche Beurteilungen in der Frage gegeben hat, ob die Kokskohlebeihilfe für Exporte fortgesetzt werden soll oder nicht. Es gibt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß der Export von Kokskohle an andere Länder nicht zur Stärkung und zur Sicherung der heimischen Energieversorgung beiträgt. Es wäre auch unlogisch, sich darüber zu streiten.
Würden Sie noch eine weitere Frage zulassen?
({0})
Sicher haben wir Zeit! Drei Stunden wollen wir debattieren. - Herr Minister, wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung die Position der deutschen Kokskohle und des Kokses am europäischen Markt aufgibt, und wollen Sie behaupten, daß es am Weltmarkt genügend Kohle und Kokskohle gibt, um gegebenenfalls den gesamten Kokskohlebedarf der Gemeinschaft aus Drittländern - mit Ausnahme der Bundesrepublik - zu befriedigen?
Wenn das letztere nicht der Fall wäre, verehrter Herr Kollege, wenn es also nicht genügend Kokskohle auf den Weltmärkten zur Versorgung unserer Partnerstaaten gäbe, dann würden die bei uns kaufen und würden sogar die hier geforderten Preise bezahlen. So funktioniert der Markt normalerweise. Leider ist dem nicht so, aber in puncto Marktwirtschaft und Energiepolitik sehe ich Sie ohnehin nach den Beschlüssen des SPD-Parteitages in Essen auf verlorenem Felde fechten.
({0})
- Nein, ich habe keine Sorge darüber, Herr Wolfram, daß Sie etwa das Gefecht aufgeben könnten, nur verlieren werden Sie.
Meine Damen und Herren, der Hüttenvertrag garantiert den Absatz von Kokskohle an die deutsche Stahlindustrie. Allein in diesem Jahr beläuft sich die Kokskohlebeihilfe aus dem Bundeshaushalt - und das kennt Herr Kollege Wolfram natürlich; vor Schreck über die Höhe der Summe verläßt er den Plenarsaal, das ist mir auch völlig klar, aber wir sollten es den anderen Kollegen schon sagen - auf fast 1,5 Milliarden DM. Das bringt der Steuerzahler auf zur Unterstützung des deutschen Steinkohlebergbaus.
Der Hüttenvertrag läuft 1988 aus. Nun ist es zunächst Sache der Vertragspartner, eine Anschlußlösung zu vereinbaren. Diese Verhandlungen sind nicht einfach. Auch die öffentliche Hand wird letztlich gefordert sein. Der Zwang zur Haushaltskonsolidierung setzt hier aber Grenzen. Entscheidungen können erst getroffen werden, wenn die beiden Vertragspartner eine Lösung gefunden haben. Wir erwarten, daß sie die Bundesregierung nicht mit unrealistischen Vorstellungen konfrontieren.
Der Jahrhundertvertrag bestimmt bis in die 90er Jahre den steigenden Einsatz deutscher Kohle in der Verstromung. Hierauf geht die Antwort auf die Große Anfrage ausführlich ein. Ich kann mich auf die Kernaussagen beschränken. Die Verstromungsregelung ist ein Eckpfeiler der Kohlepolitik. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß dieser Vertrag erfüllt wird. Sie sieht sich darin durch die Zusagen der Stromwirtschaft bestätigt.
Die zentrale These der Großen Anfrage „Kernenergie verdrängt Kohle in der Verstromung" widerspricht unserer Politik. Sie wird durch die Fakten widerlegt. Beide Energieträger haben in unserer Stromerzeugung ihren Platz: die preisgünstige Kernenergie und die Braunkohle für die Grundlast, die Steinkohle prioritär in der Mittellast. Diese Mischung garantiert sicheren Strom zu günstigen Kosten, was vor allem für unsere Industrie unerläßlich ist. Wir sind uns hier mit den Kohleunternehmern und der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie einig.
Ich verkenne nicht die Risiken für die Verstromung. Besondere Probleme bereitet der Absatz an die industrielle Kraftwirtschaft wegen der verschärften Umweltvorschriften. Die Industrie steht im nationalen und internationalen Wettbewerb. Sie muß die steigenden Umweltkosten auffangen. Hier werden
wir in wenigen Wochen nach Ablauf der Erklärungsfrist der Großfeuerungsanlagen-Verordnung die Folgen besser einschätzen können. Schon jetzt fordere ich aber die zuständigen Behörden in den Ländern auf, im Einzelfall Lösungen zu suchen, die sowohl den Forderungen des Umweltschutzes als auch der Energieversorgung durch deutsche Kohle Rechnung tragen.
({1})
Seit Herbst 1983 steigt der Stromverbrauch stark an. Das Bundeswirtschaftsministerium erwartet, daß der Stromabsatz im Zuge der weiteren wirtschaftlichen Erholung weiter zunehmen wird. Dies wird den EVUs die Einhaltung der Verstromungsregelung erleichtern. Aber ich unterschätze nicht die Risiken, auch nicht die bei den langfristigen Stromzuwachsraten. Nehmen Sie die schon erwähnte PROGNOS-Prognose. Sie wird mit sehr niedrigen Stromzuwachsraten am unteren Rande der vorliegenden Prognosen liegen. Aber wie immer bei vielen unterschiedlichen Prognosen gibt es auch hier sehr große Unsicherheiten. Wir sind alle gebrannte Kinder.
Für die Haltung der Bundesregierung sind zunächst die Realitäten entscheidend. Hierzu zähle ich die Zusage der Stromwirtschaft, diesen Vertrag einzuhalten. Bundesregierung und Bergbauländer bedürfen für diese Politik auch der Unterstützung der revierfernen Länder. Diese Solidarität darf durch die deutsche Kohlepolitik nicht überfordert werden. Ich bin dankbar für die bisherige Unterstützung der Länderwirtschaftsminister. Sie haben mit überwältigender Mehrheit erklärt, diesen Vertrag nicht in Frage stellen zu wollen.
Ich meine deshalb auch, daß die Politik der Landesregierung in Düsseldorf, über den Erwerb von Aktienpaketen politisch Einfluß auf die Unternehmensentscheidungen der Ruhrkohle zu gewinnen, falsch ist. Es sollte zu denken geben, daß offensichtlich auch die IGBE skeptisch ist. Je mehr der Gesichtspunkt der Regionalisierung in die Kohlepolitik eingeführt wird, desto weniger werden die revierfernen Länder bereit sein, die Lasten der deutschen Kohle mitzutragen.
Herr Minister, sind Sie bereit, weiterhin Zwischenfragen des uns allgemein bekannten Abgeordneten Wolfram, der Sie immer fragt, zuzulassen?
Herr Präsident, selbstverständlich, auch von anderen Kollegen.
Davon gehe ich auch aus.
Herr Minister, wie kommen Sie zu der Annahme und Behauptung, die NRW-Landesregierung wolle politischen Einfluß auf die RAG ausüben? Erkennen Sie nicht an, daß das Land Nordrhein-Westfalen, das jährlich über 1 Milliarde DM an Kohlehilfen beisteuert, auch einen Anspruch darauf hätte, in den Organen des Bergbaus vertreten zu sein, ebenso wie das Saarland ja Gesellschafter bei den
Saarbergwerken ist, und wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die IG Bergbau und Energie die von Ihnen zitierte Aussage nicht gemacht hat?
({0})
Herr Wolfram, ich habe gesagt, es sollte zu denken geben, daß offensichtlich auch die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie skeptisch ist. Wenn Sie das letzte Interview des Kollegen Adolf Schmidt, des Vorsitzenden dieser Gewerkschaft, zu dieser Frage gelesen haben, dann werden Sie wohl zugeben, daß dies eine sehr zurückhaltende Bewertung seiner Aussagen ist, und dann werden Sie wohl wissen, daß er z. B. den Gedanken für interessant und unterstützenswert hält, nicht nur die Stromwirtschaft, sondern in diesem Falle auch ein großes Unternehmen des Chemiebereichs in den Gesellschafterkreis aufzunehmen.
({0})
Zweitens. Was ich vom politischen Einfluß halte - Sie fragen, warum ich meine, daß dies ein politischer Einfluß sei -: Nachdem, wenn ich mich recht entsinne, zwei Kollegen Ihrer Bundestagsfraktion geäußert haben, es wäre dringend notwendig, auf die Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand über Mehrheits- und Gesellschafterverhältnisse Einfluß zu nehmen, erlaube ich mir, darin den Versuch einer politischen Einflußnahme zu sehen. Aber - ich sage das noch einmal in allem Ernst, Herr Kollege Wolfram - der entscheidende Punkt für mich ist der: Wenn wir aus der Ruhrkohle in verstärktem Maße ein nordrhein-westfälisches Eigenproblem machen, wenn wir verstärkten nordrhein-westfälischen Einfluß über eine Veränderung der Gesellschafterverhältnisse zulassen, dann werden Sie erleben, daß die Absetzbewegungen revierferner Landesregierungen sich in der nächsten Zeit noch verstärken werden. - Da müssen Sie nicht mit den Schultern zucken, Herr Kollege Wolfram. Wir brauchen für den Verstromungsvertrag die Zustimmung des Bundesrates, und die ist von einigen Ländern schon in Frage gestellt worden.
({1})
Wer mit dieser Zustimmung spielt, der spielt mit dem Feuer, mit den Arbeitsplätzen an der Ruhr und an der Saar, um das in allem Ernst zu sagen.
({2})
- Weil dies, wie Sie ganz genau wissen, historisch gewachsene Gesellschafterverhältnisse sind. Niemand regt sich darüber auf. Das ist von Anfang an so gewesen. Aber es jetzt in einem anderen Bereich
zu verstärken, wäre in der Tat genau der gegenteilige Weg von dem, den wir brauchen, um der Kohle zu helfen.
Sie können doch auskommen, Herr Wolfram, ohne daß der Herr Jochimsen vielleicht nun auch noch im Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG Platz nimmt. Das ist doch nicht so dringlich.
({3})
- Doch, die Persönlichkeit paßt mir immer. Aber das, was damit verbunden ist, der Ärger, der daraus erwächst, paßt mir nicht.
Ich bin dafür, daß wir alles tun, was dazu beiträgt, dieses Instrument Verstromungsvertrag, ohne das die Existenz der Kohle nicht gesichert ist - und das wissen Sie wie ich, denn wir haben ihn seinerzeit in gemeinsamen Beratungen zustande gebracht -, nicht zu beschädigen und niemandem Vorwände zu liefern, der es gerne außer Kraft setzen oder einschränken würde. Und daß es die von Nord bis Süd gibt, wissen Sie ebensogut wie ich.
({4})
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle im Hinblick auf den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN kurz auf das Thema Ballastkohle in der nationalen Steinkohlenreserve eingehen. Der von uns eingebrachte Vorschlag ist kein umweltpolitischer Anschlag. Der Anteil der Ballastkohle an der Kohlereserve wurde schon in den vergangenen Jahren laufend vermindert. Wir haben dies getan, um die Zusammensetzung der Steinkohlenreserve an die Bedürfnisse und Einsatzmöglichkeiten anzupassen. Wir haben die Frage des weiteren Austausches im Zusammenhang mit Wünschen des Steinkohlenbergbaus bei der Bewertung der nationalen Steinkohlenreserve mit den Bergbauländern erörtert. Das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf hat inzwischen mitgeteilt, daß es eine neuerliche Überprüfung für notwendig halte und daher einem Austausch zur Zeit nicht zustimmen könne. Der im Haushaltsausschuß vorgelegte Antrag wird daher zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, zur Rolle der Kohle im Wärmemarkt liegt dem Wirtschaftsausschuß seit kurzem ein Bericht der Bundesregierung vor. Die Bundesregierung begrüßt die verstärkten Anstrengungen der Kohlewirtschaft, den Absatz im Wärmemarkt auszuweiten. Und hier sehe ich durchaus Chancen. Dies gilt z. B. für eine verstärkte Rolle des Stroms im Wärmemarkt. Hier hält die Bundesregierung einen wirtschaftlich sinnvollen, verstärkten Einsatz für durchaus vertretbar. Unser Land muß jede energiepolitisch und wirtschaftlich sinnvolle Option für ein zusätzliches umweltfreundliches Energieangebot nutzen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte sehr.
Herr Lambsdorff, eine Frage zum Austausch der Ballastkohle: Sie sagten sinngemäß, die Bundesregierung habe ihr Vorhaben zur Zeit zurückgestellt. Können wir davon ausgehen, daß die Möglichkeit besteht, daß zu einem späteren Zeitpunkt, in einem halben Jahr, in anderthalb Jahren, das gleiche Anliegen wieder gestellt wird?
Herr Kollege, man soll bei keiner Entscheidung, auch bei keiner politischen Entscheidung, „nie" sagen. Aber unter den gegenwärtigen Umständen wird der Antrag zurückgezogen. Das Thema ist zur Zeit nicht aktuell. Und damit ist es erledigt.
({0})
Noch eine weitere Frage, Herr Minister? - Ja, bitte.
Wie wollen Sie für den Fall, daß Sie zu einem späteren Zeitpunkt, bevor umweltfreundliche Wirbelschichtheizkraftwerke gebaut sind, dieses Anliegen wieder stellen, mit den umweltpolitischen Problemen des kurzfristigen Einsatzes der Ballastkohle fertig werden?
Ich glaube nicht, daß wir uns im Augenblick den Kopf darüber zerbrechen müssen, nachdem wir jetzt gerade den Antrag zurückziehen, wie wir mit den umweltpolitischen Problemen fertig werden. Die wären doch nur entstanden, wenn der Antrag aufrechterhalten und der Austausch vorgenommen worden wäre.
({0})
- Auch das ist richtig: und wenn sie verbrannt worden wäre.
Ich will nur eines sagen, meine Damen und Herren: Ich habe sehr viel Verständnis für die Bedenken und die Einwände, die im Zusammenhang mit diesem Vorschlag und mit dieser Diskussion vorgebracht worden sind. Das ist in Ordnung. Sie sehen auch, daß wir die Konsequenz gezogen haben, den Antrag zurückzuziehen. Aber auf eines weise ich auch hin: Die Zeiten ändern sich. Sie haben sich geändert, und sie werden sich auch wieder ändern. Sollte es zu einem Zeitpunkt kommen, an dem auf einmal wieder die nationale Steinkohlenreserve, ihre Verfügbarkeit, ihre Qualität aus Versorgungsgründen im Vordergrund stehen und nicht die auch von mir für richtig gehaltenen Umweltaspekte, dann will ich jedenfalls eines nicht hören, meine Damen und Herren: daß wir im Jahre 1984 den notwendigen Austausch zu höherwertiger Steinkohle, die die Qualität der Steinkohlenreserve, was ihren Energiegehalt anlangt, natürlich verbessert hätte, nicht vorgenommen und uns damit eines Versäumnisses schuldig gemacht hätten. So kann man dann die Diskussion nicht führen. Ich sage das gewissermaßen vorbeugend.
Meine Damen und Herren, wir brauchen uns, was den Einsatz der Kohle im Wärmemarkt anlangt,
über den Wert der Fernwärme nicht zu streiten. Wir fördern sie nachdrücklich. Allerdings möchte ich hinzufügen: Die allzu optimistischen Erwartungen im Hinblick auf die Fernwärme werden sich nicht erfüllen. Es sind wirtschaftliche Fakten, die hier die Grenzpfähle setzen. Das Fernwärmeförderprogramm von Bund und Ländern mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM läuft Ende 1985 aus. Bisher hat dieses Programm Investitionen von 3,7 Milliarden DM angestoßen. Wir werden vor Ende 1985 gemeinsam mit den Ländern Bilanz ziehen. Erst danach kann und wird über die künftige Fernwärmepolitik entschieden werden.
Einen steigenden Anteil an unserer Energiebilanz haben in den letzten Jahren Kernenergie und Gas. Diese Entwicklung ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Sicherheit und Preiswürdigkeit der Energieversorgung positiv zu werten. Beide Energieträger sind auch umweltfreundlicher als andere Energieträger,
({1})
auch wenn diese Einsicht manchem traditionellen Kernenergiegegner offensichtlich schwerfällt, wie der Zwischenruf eben belegt. Die Bundesregierung begrüßt es, daß der Ausbau der Kernenergie nach den großen Schwierigkeiten der Vergangenheit nunmehr ohne Verzögerung verläuft. Die notwendigen Schritte bei der Entsorgung werden durchgeführt. Der Vorrang der Sicherheit ist für die Bundesregierung selbstverständlich. Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie ist ein steigender Anteil dieses emissionsarmen Energieträgers an der Grundlast der Stromerzeugung unerläßlich.
Bei der Gasversorgung kommt die Diversifizierung zügig voran. Die Bezüge aus dem neuen Vertrag mit der Sowjetunion werden vertragsgemäß im Herbst aufgenommen. Die Perspektiven der längerfristigen Gasversorgung sind positiv. Dieses Bild belegt auch eine Studie über den Gasmarkt, die kürzlich von der EG-Kommission vorgelegt wurde. Die norwegische Nordsee bietet offensichtlich große Reserven vor der Tür Zentraleuropas. Auch Dänemark könnte in der Zukunft als Lieferant stärker in Frage kommen.
Diese langfristigen Versorgungsperspektiven und die gegenwärtig gute Versorgungslage bestärken die Bundesregierung in ihrer Auffassung, daß Gasproduzenten und -gesellschaften auch die für die Versorgung im nächsten Jahrzehnt notwendigen Schritte zeitgerecht einleiten werden. Dabei versteht es sich von selbst, daß nur wettbewerbsfähiges Gas Chancen am deutschen Markt hat. Die weltweite Dimension besonders der Gas- und Ölmärkte erfordert eine eng abgestimmte internationale Energiepolitik. Für sie setzen wir uns in IEA und EG mit allem Nachdruck ein.
Mit Befriedigung stelle ich fest, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft, deren Energiepolitik oft zu Unrecht gescholten wird, wichtige Fortschritte verzeichnen können. Am 22. Mai wurde im Energierat der Grundsatzbeschluß über eine verbesserte Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft an den Sozialhilfen für den Kohlebergbau gefaßt. Wir haben außerdem deutliche Fortschritte bei der Koordinierung der nationalen Energiepolitiken gemacht. Diese Beschlüsse liegen ganz auf der Linie des Antrages, der Ihnen heute zur EG-Energiepolitik vorliegt.
Ich will an dieser Stelle gerade im Zusammenhang mit der internationalen Zusammenarbeit auch sagen, daß die Bundesregierung mit großer Genugtuung von der Entscheidung der Internationalen Energie-Agentur Kenntnis genommen hat, die von allen 22 Ländern einstimmig getroffen worden ist, eine deutsche Kandidatin zum Exekutivdirektor der Internationalen Energie-Agentur zu wählen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Energiediskussion wird zunehmend unter Umweltaspekten geführt. Ich möchte ganz deutlich betonen: Es gibt keinen generellen Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Energiepolitik. Die Energiepolitik muß die Umweltaspekte berücksichtigen, und sie hat dies immer getan. Die Einsparerfolge im Energiebereich, die strukturelle Anpassung und die Diversifizierung dokumentieren dies sehr deutlich. Sicherlich gibt es Konflikte im Einzelfall. Das liegt auf der Hand. Dies gilt auch für die Ausgestaltung der Emissionsvorschriften. Was harte Umweltauflagen für den Einsatz von Kohle heißen, daß sie Kosten- und Preiserhöhungen bedeuten, ist für jedermann klar. Die Politik der Emissionsbegrenzung an der Quelle bejaht auch der Bundesminister für Wirtschaft.
({3})
Folgende drei Punkte sind mir in der aktuellen Umweltdiskussion besonders wichtig. Erstens. Unsere Wirtschaftspolitik versucht, über mehr Wachstum Arbeitsplätze zu schaffen. Wichtigste Voraussetzung ist und bleibt dabei ein gutes Investitionsklima. Dies schließt scharfe Umweltvorschriften keineswegs aus. Unerläßlich ist aber, daß die für die Investitionen maßgeblichen Umweltdaten für die Investoren klar und verläßlich sind. Dies heißt: Umweltvorschriften können streng sein, sie müssen aber eindeutig formuliert, wirtschaftlich erfüllbar und verläßlich sein. Die Ankündigung permanenter Änderungen führt zu nichts als Attentismus, der sowohl für den Umweltschutz als auch für das Wachstum schädlich ist.
Mit besonderer Sorge sehe ich in diesem Kontext Forderungen nach weitgehender Einschränkung des Bestandsschutzes im Bundes- Immissionsschutzgesetz. Natürlich: Eine Genehmigung kann kein dauerhafter Freibrief für die Wirtschaft sein, aber ein Freibrief für die Bürokratie ist genauso wenig akzeptabel. Bei manchen Forderungen drängt sich mir die Frage auf: Wer kann es verantworten, Millionen oder Milliarden für Umweltschutz zu investieren, wenn ihm die entsprechende Genehmigung jederzeit widerrufen werden kann? Dem Wald, meine Damen und Herren, wird nicht dadurch geholfen, daß der Überholungswettbewerb bei Umweltschutzforderungen immer neue Saltos
schlägt, sondern nur dadurch, daß investiert wird und daß sich neue umweltfreundliche Verfahren rasch durchsetzen. Man muß auch um der Sache willen feststellen, daß die Industrie ja bereit ist, am Umweltschutz mitzuarbeiten. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist akzeptiert. Sie bringt in den nächsten fünf Jahren allein bei der öffentlichen Kraftwirtschaft eine Schwefelverminderung von zwei Dritteln, von 1,5 Millionen t auf 0,5 Millionen t.
Zweitens. In der Umweltpolitik wird in der letzten Zeit viel von Marktwirtschaft gesprochen. Natürlich begrüße ich das. Auch in der Umweltpolitik sollten, soweit möglich, marktwirtschaftliche Elemente eingeführt werden. Leider werden unter diesen Stichworten aber auch Vorschläge gemacht, die mit Marktwirtschaft nichts zu tun haben. Ich wende mich gegen Abgaben wie Wald- oder Energiepfennig, mit denen die Opposition neue umfangreiche staatliche Ausgabenprogramme finanzieren möchte. Diese Vorschläge kommen einer Steuer gleich, und sie führen zu nichts anderem, als das umweltpolitische Verursacherprinzip außer Kraft zu setzen.
({4})
Auch zusätzliche Abgaben, die von der Industrie erhoben werden sollen, wären falsch. Gerade diejenigen, die investieren sollen, würden zusätzlich belastet.
Ich halte auch nichts von Vorschlägen, die unter dem Vorwand des Umweltschutzes den Verbrauchern und der Wirtschaft durch Anschluß- und Benutzungszwang, durch flankierende Energiebedarfsplanung oder andere Instrumente die Wahlfreiheit der Energieverwendung nehmen wollen.
Die deutsche Wirtschaft und die Verbraucher sind mit der an freien Preisen ausgerichteten Politik gut gefahren. Die Bundesregierung hat durch ihr Beispiel erreicht, daß sich diese Politik in den letzten Jahren zunehmend international durchsetzt. Wir brauchen nicht bürokratisch verwaltete, sondern flexible Energiemärkte. Dies liegt auch im Interesse des Umweltschutzes.
Das Verursacherprinzip kann nur bei einer möglichst freien Ausrichtung der Energienachfrage an Märkten und Preisen wirklich funktionieren. Wer dem Verbraucher im Wärmemarkt den Energieträger vorschreibt, der muß über kurz oder lang auch die Preise vorschreiben.
Drittens. Daß zusätzliche Umweltbelastungen für Verbraucher und Wirtschaft zusätzliche Kosten und Preiserhöhungen bedeuten, ist jedem klar. Sie sind aber auch ein zusätzlicher Standortnachteil für unsere Wirtschaft, wenn nur wir unserer Wirtschaft diese Belastungen zumuten. Auch hier müssen Wirtschafts- und Umweltpolitik an einem Strang ziehen.
Etwa 50 % der Luftbelastung in unserem Lande kommt aus dem Ausland. Es darf nicht dazu kommen, daß energieintensive Industrien wegen der Umweltbelastung in andere Länder abwandern, wir aber einen bedeutenden Teil der Luftverschmutzung dann von dort zurückimportieren. Die Bundesregierung setzt sich mit Nachdruck für internationale Regelungen ein. Hier ist vor allem die Europäische Gemeinschaft gefordert. Sie muß sich im Umweltschutz bewähren. Die jüngste Äußerung der EG-Kommission zum abgasfreien Kraftfahrzeug entspricht dem nicht.
Meine Damen und Herren, wir sind in der Energiepolitik auf gutem Wege. In den letzten Jahren wurde viel erreicht. Die Rahmenbedingungen der Energiepolitik sind marktgerecht und flexibel angelegt. Wir haben damit die Ölpreiskrisen bewältigt. Nicht neue Programme, auch keine neue Fortschreibung sind das Gebot der Stunde, sondern die konsequente Fortführung der auf Einsparung, Diversifizierung und Umweltentlastung gerichteten Politik.
Die Bundesregierung wird auch in Zukunft an der marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Energiepolitik festhalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Daß wir Sozialdemokraten uns vorhin für eine Absetzung zu dieser Stunde und für eine Vertagung und für die Beratung zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingesetzt haben, geschah ausschließlich deshalb, weil wir das Thema für viel zu wichtig halten, als daß es vor halbbesetztem oder mager besetztem Haus zu dieser Stunde behandelt werden sollte. Das ist der einzige Grund. Das Thema ist uns viel zu ernst. Wir wollen die drei Stunden Debatte.
({0})
- Ich freue mich vor allem, daß Sie als Vertreter der CSU noch anwesend sind. Vielleicht können Sie gut zuhören, etwas mitnehmen und es in Bayern verwirklichen; das wäre gut für unsere Energiepolitik.
({1})
Ich wollte das nur feststellen, um einer möglichen Legende vorzubeugen: Das ist der einzige Grund, weshalb wir eine Vertagung empfohlen haben.
({2})
Meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten sind Sicherung der künftigen Energieversorgung und Umweltschutz zwei Seiten derselben Medaille. Danach haben wir bisher gehandelt. So wird es auch in Zukunft bleiben.
({3})
Wir wissen, daß Energieeinsparungen der wirksamste Beitrag zum Umweltschutz sind. Deshalb treten wir mit Nachdruck dafür ein, daß die nach
Wolfram ({4})
wie vor vorhandenen beachtlichen Energieeinsparpotentiale Zug um Zug optimal ausgeschöpft werden.
({5})
Wer wie wir eindeutig und nachdrücklich für eine uneingeschränkte Kohlevorrangpolitik eintritt, weiß natürlich auch, daß es uns dabei um eine umweltfreundliche Nutzung, um eine umweltverträgliche Nutzung, Verbrennung und Verwertung aller fossilen Brennstoffe geht. Wir sind auch nicht einäugig. Wer wie wir Entschwefelung und wirksame Absenkung von Stickoxyden bei den Kohlekraftwerken fordert, der kann mit gutem Gewissen gleichzeitig und gleichgewichtig auch alle anderen Emittenten, vor allem die Schadstoffe aus Kraftfahrzeugen, industriellen und privaten Feuerungsanlagen, bekämpfen, national wie international.
({6})
Unsere konkreten Vorstellungen zum Bereich Umwelt und Arbeit und unsere entsprechenden Finanzierungsvorschläge liegen vor. Herr Minister, Sie wären gut beraten, diese nicht immer wieder so flapsig abzutun. Sie sollten sich damit einmal ernsthaft auseinandersetzen.
({7})
Kommen Sie doch in den Wirtschaftsausschuß und lassen Sie uns sachlich darüber reden. Das wäre der bessere Weg, als hier pauschal ein durchdachtes Programm abzuwerten, das für mehr Umweltschutz und für mehr Beschäftigung sorgt und das jedenfalls eine bessere Alternative als Ihre Spekulation auf die Kräfte des Marktes ist.
({8})
Wir haben eine verbundene Debatte. Ich will wenige Bemerkungen zu den anderen Tagesordnungspunkten - außer der Großen Anfrage - machen.
Der Antrag zur Ballastkohle hat seine Erledigung praktisch dadurch gefunden, daß die Bundesregierung, in Abstimmung auch mit Nordrhein-Westfalen, den Antrag zurückgezogen hat. Im übrigen, verehrter Herr Kollege Stratmann, Sie müssen wissen: Ballastkohle gibt es nicht nur in der Nationalen Kohlereserve, sondern sie fällt täglich an, und sie wird natürlich auch im Rahmen des normalen Absatzes mitverwertet. Hier halten Sie sich an einem Punkt fest, ohne die Gesamtproblematik zu kennen.
({9})
Aber es erübrigt sich weiter darüber zu reden. Dafür bitte ich um Verständnis - ({10})
- Herr Stratmann, ich kann lesen, und ich brauche von Ihnen Herr Oberlehrer Stratmann, keinen Nachhilfeunterricht in dieser Frage.
({11})
Den Bericht über Stand und Ergebnisse von Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung nehmen wir zur Kenntnis. Für uns ist der intelligente Umgang mit Energie, eine sparsame und rationelle Verwendung der Energie, eine selbstverständliche und ständige Aufgabe.
Zu den EG-Vorlagen verweise ich auf unsere Aussagen im Wirtschaftsausschuß, die in den Beschlüssen und Begründungen ihren Niederschlag gefunden haben.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind die einzigen, die immer und uneingeschränkt für den Kohlevorrang eingetreten sind.
({12})
- Sie können sich doch gleich dazu bekennen, Herr Kollege Gerstein, wir sind für die optimale Nutzung der heimischen Lagerstätten und für einen bestimmten Förderbeitrag zur Sicherung der zukünftigen Energieversorgung, auch aus regional- und beschäftigungspolitischen Gründen. Wer mit uns in einen Wettstreit über die Kohlevorrangpolitik eintreten will, der kann gleich hierher kommen und sein Bekenntnis zur Kohlevorrangpolitik ablegen.
Es wird der FDP nicht gefallen, wenn ich feststelle, daß sie eigentlich schon immer ein gestörtes Verhältnis zur Rolle und zum Versorgungsbeitrag der Kohle hatte. Die Einstellungen von CDU und CSU sind vielschichtig. Das beweisen vor allem die Haltungen der CDU- oder CSU- geführten Landesregierungen.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, Sie wären gut beraten, nicht die Kohlepolitik für einen möglichen Dissens in dieser Frage verantwortlich zu machen, sondern es wäre besser gewesen, wenn sie sich hier hingestellt und offen und ehrlich gesagt hätten: Es sind der bayerische Ministerpräsident und der bayerische Wirtschaftsminister Jaumann, es ist der baden-württembergische Ministerpräsident Späth, es ist Frau Breuel, die gegen die Kohlevorrangpolitik sind.
({13})
Diese Politiker gefährden den Jahrhundertvertrag. Sie gefährden den Konsens in dieser Frage und nicht diejenigen, die - wie Sie es eigentlich tun müßten, Herr Minister - für die Verwirklichung der Forderung nach der Kohlevorrangpolitik eintreten.
({14})
- Sie, Graf Lambsdorff, haben natürlich keinen Anlaß, Herrn Strauß noch weiter zu reizen. Aber Sie brauchen sich j a auch nicht täglich von der CSU vors Schienbein treten zu lassen. Sie können j a in dieser Frage auch einmal zurückschlagen. Das wäre ein Beispiel von Objektivität.
({15})
Zur Doppelstrategie der GRÜNEN will ich nicht viel sagen. Die GRÜNEN erwecken heute den Eindruck, als seien sie für die Kohle, für die Kohleverstromung und für den Kohlevorrang. Ihren Antrag vom 14. November 1983, in dem Sie die sofortige
Wolfram ({16})
Stillegung von Kraftwerksblöcken gefordert haben, ohne gleichzeitig den Ersatzneubau von umweltverträglichen und umweltfreundlichen Kohlekraftwerksblöcken zu fordern, verschweigen Sie schamhaft. Wer Ihren Antrag von heute liest, erkennt ja auch, daß Sie der Kohle nur eine Übergangschance einräumen wollen;
({17}) denn da heißt es im letzten Absatz:
Der Einsatz von Kohle soll durch Maßnahmen zur Energieeinsparung und Ausbau regenerativer Energiequellen sukzessive zurückgedrängt werden.
Das ist Ihre wahre Absicht. Sie verpacken das in Ihrem Entschließungsantrag schön. Aber auf der zweiten Seite im letzten Absatz wird Ihre eigentliche Position deutlich. Deshalb nehmen wir Ihre Bekenntnisse zur Kohlevorrangpolitik nicht ernst.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dennoch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stratmann?
Selbstverständlich.
Ich bemühe mich auch, Herr Wolfram, jetzt einmal nicht oberlehrerhaft zu sein. Das fällt mir schwer.
({0})
Das gebe ich Ihnen zu.
Herr Wolfram, Sie haben uns gerade vorgeworfen, wir hätten den Antrag auf Stillegung von besonders schlimmen Dreckschleudern gestellt, ohne gleichzeitig den Neubau von umweltfreundlichen Kohlekraftwerken zu fordern. Ist Ihnen noch im Gedächtnis, daß Sie selbst, Sie persönlich, während der Haushaltsberatungen des Wirtschaftsausschusses mit Ihrer Fraktion gegen den Antrag der GRÜNEN gestimmt haben, das Förderprogramm für die Entwicklung und den Ausbau von Kohleheizkraftwerken drastisch zu erhöhen?
Lieber Herr Kollege Stratmann, Sie versuchen jetzt,-von meiner eigentlichen Aussage abzulenken. An der Tatsache, daß Sie kurzfristig Kohlekraftwerke stillegen wollten, ohne daß Sie neue, umweltverträgliche Kohlekraftwerke gefordert haben, gibt es nichts zu rütteln. Das bleibt.
({0})
Was im übrigen die anderen Fragen anlangt: Sie hätten doch längst unseren viel weitergehenden Anträgen zustimmen können. Sie haben sich immer der Stimme enthalten. Das ist auch eine Haltung.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt, nachdem ich zur FDP, zur CDU/CSU und zu den GRÜNEN ein paar Bemerkungen gemacht habe, folgendes sagen: Verehrter Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff - Sie sitzen nicht auf der Regierungsbank -, Sie sind von der von uns gemeinsam in den 70er Jahren
konzipierten Kohlevorrangpolitik abgegangen. Sie haben eine gemeinsame Position verlassen.
Das beweist auch die Tatsache, daß Sie bis zur Stunde nicht bereit sind, dem deutschen Bergbau wirkungsvoll zu helfen, den an die Stahlindustrie verlorenen Absatz durch Förderung des Absatzes in anderen Bereichen, z. B. im Wärmemarkt, auszugleichen.
Der Bundeskanzler hat das Angebot unseres Fraktionsvorsitzenden mit dessen konkreten Vorschlägen zur Lösung der Kohlenkrise nicht angenommen. Deshalb tragen Sie die politische Verantwortung für die Stillegung von „Erin" und für die jetzige Kohlestillegungsrunde.
Sie sind auch heute eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, ob Sie nicht längst die nächste Stillegungsrunde vorbereiten. Sie wissen, daß mit der Streichung der Kokskohlenbeihilfe für Kokskohlenexport in die Länder der EG für diese 6 bis 8 Millionen t Koks kein inländischer Absatz vorhanden ist. Das heißt, daß Sie schon heute die nächste Stillegungsrunde vorprogrammieren. Es sei denn, Sie kommen noch einmal hierher und erklären das Gegenteil. Dazu fordere ich Sie auf.
({1})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten lehnen diese Salamitaktik der Bundesregierung, Zug um Zug stillzulegen, ab, auch aus regional- und beschäftigungspolitischen Gründen. Niemand kann für 20 000 verlorene Arbeitsplätze, zu denen noch einmal dieselbe Anzahl an verlorenen Arbeitsplätzen in der Bergbauzulieferindustrie und in anderen Bereichen kommt, Ersatz schaffen. Darauf sind Sie uns eine Antwort schuldig.
Liebe Frau Kollegin Hürland, Sie sollten nicht nur zu einer Bergbauzulieferindustrie gehen und sich dort fotografieren lassen, sondern Sie sollten sich auch für diese Branche und die Sicherung der dortigen Arbeitsplätze einsetzen.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hürland?
Aber gern.
Herr Kollege Wolfram, ich bedaure es außerordentlich, daß Sie in dieser Polemik mit mir reden wollen. Ich darf Sie fragen, ob Sie es für gut halten, in der Zeitung anzukündigen - wie damals geschehen -, für die Sicherstellung der Schachtanlage Erin seien durch den damaligen Bundeskanzler Schmidt und die SPD-Fraktion 120 Millionen DM vorgesehen, was nicht den Tatsachen entsprach.
({0}) Was halten Sie denn für schlimmer?
Liebe Frau Kollegin, wenn Sie sich getroffen fühlen von der Art, in der ich reagiert habe, dann entschuldige ich mich.
Wolfram ({0})
Sie sind eine von mir sehr geschätzte Kollegin, und ich wollte Sie natürlich nicht verletzen.
({1})
Aber an der Richtigkeit meiner Aussage gibt es trotzdem keinen Zweifel.
({2})
Sie haben sich bisher nicht für die Bergbauzulieferindustrie eingesetzt. Dazu fordere ich Sie erneut auf. Über Erin wollen wir nicht mehr reden. Darüber haben wir lange genug debattiert.
({3})
- Ja, sicher, es war Walter Arendt, der dafür gesorgt hat, daß die Forschungsmittel für die Mechanisierung und Automatisierung der steilen Lagerung bereitgestellt wurden. Sie haben diese Technologie mit der Stillegung ein für allemal kaputtgemacht.
({4})
Wir fordern, daß der Jahrhundertvertrag voll erfüllt wird. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir erwarten, daß Sie sich dafür einsetzen, daß der Hüttenvertrag sehr bald eine Anschlußregelung findet. Wir erwarten, daß die Importe aus Drittländern nicht weiter steigen. Wir fordern die Regierungskoalition noch einmal auf, spätestens bei den nächsten Etatberatungen mit uns für eine Aufstockung der Investionshilfen einzutreten. Dadurch wird Beschäftigung geschaffen und die Zukunft des deutschen Bergbaus gesichert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Nein. Ich bitte um Entschuldigung. Die Zeit rennt. Ich werde ohnehin Mühe haben, das einigermaßen unterzubringen, was ich vorgesehen habe. Wir können die Debatte ja jederzeit im Ausschuß fortsetzen. Ich bitte um Verständnis.
Wir bitten die Mehrheit vor allem darum, sich endlich mit uns dafür einzusetzen, daß der Kanzler nicht nur in Regierungserklärungen und der Graf nicht nur heute hier sagen, die Kohle habe Chancen auf dem Wärmemarkt. Sie müssen ihr auch helfen, damit sie verstärkt Zutritt auf dem Wärmemarkt findet.
Ein Wort noch zur Kohleveredelung: Auch da stehen wir zu dem, was wir in unserer Regierungszeit initiiert und weit vorangetrieben haben. Der Bundesforschungsminister wäre gut beraten, die Mittel für die Kohleveredelung nicht zu kürzen, sondern sehr schnell die längst überfälligen Entscheidungen zu treffen.
Wir unterstützen die Unternehmensplanungen der Saarbergwerke, des Aachener Reviers und des Ruhrbergbaus. Wir sind dafür, daß die sechs Anlagen an der Saar weiter fördern und daß das Modellvorhaben mit einem umweltverträglichen Kraftwerk weitere Beispiele findet.
Wir fordern vor allem, meine Damen und Herren von der Koalition, daß nach dem jetzigen Anpassungsprozeß Schluß gemacht wird, daß die nach wie vor gegebene Unsicherheit über die weitere Zukunft beseitigt wird. Die Bergleute müssen wissen, daß keine weiteren Stillegungen ins Haus stehen. So gesehen danken wir den Bergleuten und ihrer Gewerkschaft für ihr verantwortungsbewußtes Verhalten.
({0})
Graf Lambsdorff, Sie sollten nicht den Versuch machen, einen Keil in die Solidarität der deutschen Gewerkschaften zu treiben. Es geht nicht an, daß Sie loben, wenn es Ihnen paßt, und andererseits die deutschen Gewerkschaften, wie heute früh, massiv attackieren. Die Gewerkschaften werden sich von Ihnen nicht auseinanderdividieren lassen. Wir machen das Spiel auch nicht mit.
({1})
Zur Großen Anfrage und Antwort der Bundesregierung stelle ich fest: Die Anfrage ist sachkundig gestellt. Die Antworten der Bundesregierung sind in bestimmten Teilen gut und zu begrüßen. In anderen Teilen sind sie unbefriedigend, ausweichend oder unvollständig. Wir begrüßen das klare Bekenntnis zum Jahrhundertvertrag. Wir nehmen die angesprochene Selbstbindung zur Kenntnis. Wir werden auf ihre Einhaltung achten.
Die zentrale Frage nach den Auswirkungen des Zubaus von Kernkraftwerken bis Anfang der 90er Jahre wird leider umgangen. Darauf muß die Bundesregierung die Antwort nachliefern.
Die Antworten auf die Fragen nach den Risiken sind uns zu allgemein. Es reicht nicht aus, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie „keine absehbare Gefährdung" sehen. Wir erwarten, daß Sie sich ohne Wenn und Aber für die Erfüllung des Jahrhundertvertrags einsetzen und auch sehr früh dafür sorgen, daß er seine Anschlußregelung findet. Die findet er dann, wenn eben rechtzeitig Ersatzbauten erfolgen und wenn rechtzeitig ein zusätzliches Zubauprogramm auf den Weg gebracht wird.
Meine Damen und Herren, nach heutigen Erkenntnissen können wir damit rechnen, daß etwa 80 % der für die öffentliche Stromversorgung am Netz befindlichen Kohlekraftwerke umgerüstet und entschwefelt und die restlichen 20 % nach Ablauf der Auslaufzeit stillgelegt werden. Es wird dadurch bis 1988 eine Reduzierung der Emissionen an SO2 um zwei Drittel geben. Trotzdem meinen wir, es gebe noch zusätzliche Möglichkeiten, die restlichen Schadstoffmengen beachtlich zu reduzieren und zu minimieren.
Deshalb begrüßen wir den Vorstoß der nordrhein-westfälischen Landesregierung,
({2})
Wege zu finden, veraltete Kraftwerke und Fernheizwerke vom Netz zu nehmen oder frühzeitig umzurüsten. Wir schlagen zusätzlich vor - und bitten Sie, den Vorschlag ernst zu nehmen -, mit uns zu überlegen, ob wir nicht gleichzeitig einen Weg finden könnten, die restlichen 20 %, die länger am Netz
Wolfram ({3})
bleiben dürfen, die j a eigentlich die größeren Umweltverschmutzer sind, frühzeitiger stillzulegen, wenn damit die Verpflichtung zum Neubau von Ersatzkapazitäten verbunden ist. Wir könnten für solch einen Schritt zusätzliche Investitionshilfen geben. Das könnte über das dritte Verstromungsgesetz möglich sein. Hier müßten doch auch die Länder mitwirken können. Wenn wir in den nächsten zwei, drei Jahren diese Kapazitäten, die ansonsten noch sechs bis acht Jahre am Netz bleiben, vorzeitig stillegen und durch umweltverträgliche Kraftwerke ersetzten, dann wäre das natürlich ein großer Erfolg. Ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam den Weg zu suchen und eine Lösung zu finden.
Meine Damen und Herren, ich stelle darüber hinaus der Bundesregierung folgende Frage:
Sieht sie keine Gefährdung der Kohleverstromung Anfang der 90er Jahre oder nach 1995, wenn alle Kernkraftwerke am Netz bleiben, wenn die im Bau befindlichen Kernkraftwerke in Betrieb gehen und die geplanten gebaut werden? Das müssen Sie doch beantworten.
Wo soll, so frage ich die Bundesregierung, die Kohle verstromt werden, die bislang in Kraftwerken eingesetzt wurde, die nicht umgerüstet, sondern stillgelegt werden?
Ist es keine Gefährdung der Kohleverstromung, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Baden-Württemberg immer mehr Kernenergie aus Frankreich importiert, ja - wie das „Handelsblatt" dieser Tage mitgeteilt hat - sogar sich über das Baden-werk bemüht, sich am Bau zusätzlicher Kernkraftwerksblöcke in Frankreich finanziell zu beteiligen?
({4})
Kommen Sie doch hierher und sagen Sie klar und deutlich, was Sie von diesem Bemühen halten.
Ist es ein Stück zur Sicherung der heimischen Energieversorgung, wenn sich das Badenwerk am Bau von Kernkraftwerken in Frankreich finanziell beteiligt, obwohl die EG-Kommission bereits heute festgestellt hat, 1990 würde es in Frankreich sieben bis zehn Kernkraftwerke geben, die über den Bedarf hinaus existieren? Auf diese Frage müssen Sie eine Antwort geben.
Was sagt die Bundesregierung zu der Tatsache, daß in jüngster Zeit auch die Stromimporte aus anderen Ländern, z. B. Dänemark, erheblich steigen? Wie beabsichtigt die Bundesregierung die Ausweitung solcher Importe konkret zu verhindern?
Was sagt die Bundesregierung zu der Tatsache, daß 1983 rund 4 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten an Heizöl in Kraftwerken eingesetzt und damit 13 TWh Strom aus Heizöl erzeugt werden? Was sagt sie zu der Tatsache, daß 10 Millionen Tonnen SKE Erdgas zur Verstromung eingesetzt werden und damit rund 10 % unseres Stromverbrauchs erzeugt werden, obwohl das unseren gemeinsamen energiepolitischen Zielen widerspricht?
Was hat die Bundesregierung unternommen, um auch im Bereich der industriellen Kraftwirtschaft eine volle Absicherung des Einsatzes der vereinbarten und energiepolitisch angestrebten Steinkohle-mengen zu erreichen? Sie sehen doch dort selbst die größeren Risiken.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Die entscheidende Voraussetzung für die Durchführung und Verlängerung des Jahrhundertvertrags ist, daß eine ausreichende, dem Stand der Technik entsprechende, umweltverträgliche Steinkohlekraftwerkskapazität zur Verfügung steht.
Wir hatten 1983 rund 30 000 MW installierter Steinkohlekraftwerksleistung, die mit etwa 4 500 Stunden pro Jahr beschäftigt war. Ungefähr 6 500 MW sind im Bau. Nach einer Umfrage der Vereinigung der Deutschen Elektrizitätswirtschaft sollen allein im öffentlichen Netz etwa 7 000 Megawatt Steinkohlekraftwerksleistung auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung stillgelegt werden. Dabei sind die verschärften Entstickungsauflagen noch nicht berücksichtigt. Deshalb brauchen wir eigentlich gar nicht erst den 30. Juni abzuwarten. Wir werden das tun. Aber schon heute ist absehbar, daß mehr Steinkohlekraftwerke stillgelegt als gegenwärtig zugebaut werden. Dazu muß sich die Bundesregierung äußern. Schon heute besteht ein erheblicher zusätzlicher Neubaubedarf. Würde dieser morgen auf den Weg gebracht werden, wäre das auch ein Stück mehr Beschäftigung.
Ich will jetzt wegen der fehlenden Zeit nicht näher auf die Verstromung der niederflüchtigen Kohle eingehen, aber Ihre Antwort zu Siersdorf befriedigt uns nicht. Auch da müssen Sie konkreter werden. Wir werden im Wirtschaftsausschuß darauf zurückkommen.
Meine Damen und Herren, wir haben in dem Ihnen auf Drucksache 10/1476 vorliegenden Antrag zur Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung unsere Vorstellungen zusammengefaßt vorgelegt. Meine Kollegin Simonis und mein Kollege Lennartz werden ergänzend zu meinen Ausführungen noch Stellung nehmen. Ich bitte Sie jetzt schon um Zustimmung zu diesem Antrag.
Abschließend appelliere ich an das ganze Haus, an Bundesregierung und an Bundesrat, an private wie industrielle Energieverbraucher, sich der Tatsache bewußt zu sein, daß der augenblickliche Energieüberfluß trügerisch ist. Die äußerst gespannte Lage in der Golfregion zeigt, daß es morgen, was niemand will, eine dritte Ölkrise geben kann.
({5})
Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihre Bemerkungen dazu waren viel zu oberflächlich. Der Hinweis auf die vorhandenen Ölreserven reicht nicht aus. Möglicherweise werden wir sehr bald wieder teuer für das bezahlen, was wir nach der zweiten Ölkrise zu schnell vergessen haben.
Wir wissen, was wir an unserer heimischen Kohle haben. Wenn wir noch konsequenter als bisher Energie einsparen und wenn wir es mit der von uns stets ernstgenommenen Kohlevorrangpolitik ehrlich meinen und sie konsequent verwirklichen, dann sichern wir am besten unsere zukünftige Energieversorgung und auch die Beschäftigung im Saarland, im Aachener Revier und im Ruhrgebiet.
Wolfram ({6})
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Zeitdruck, unter dem diese Debatte steht, ist bedauerlich; aber andererseits ist es doch richtig, daß wir heute die Gelegenheit nutzen, um uns etwas eingehender mit Fragen der Energieversorgung zu befassen.
Die CDU/CSU-Fraktion, Herr Bundeswirtschaftsminister, stimmt Ihren Ausführungen zur Energiepolitik der Bundesregierung zu.
({0})
- Warten Sie doch mal ab! Wir bestärken Sie bei Ihrer Absicht, an der im Grundsatz marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Energiepolitik festzuhalten.
({1})
Dies entspricht auch dem Beschluß, den wir auf unserem Parteitag in Stuttgart gefaßt haben, in dem es heißt: „Zur Sicherung der Energieversorgung sind langfristig verläßliche Rahmenbedingungen Voraussetzung, die den Markt stärken." Der Markt hat in den letzten Jahren bei der Einsparung von Energie und ihrer rationelleren Verwendung seine Bewährungsprobe, wie wir meinen, bestanden, und ein Blick auf unsere Nachbarländer Frankreich und Italien, die in den letzten Jahren mehr auf Dirigismus gesetzt haben, zeigt, daß der Markt stärker war. Die Energieintensität in der Bundesrepublik hat sich von 1979 bis 1982 immerhin um 14 %, in Frankreich nur um 11 % und in Italien nur um 8 % vermindert.
Die Entspannung auf den Energiemärkten und das zur Zeit vorhandene Überangebot an Energie in der Bundesrepublik dürfen uns keineswegs zu falschen Schlüssen verleiten, die Energieversorgung sei auch langfristig gesichert. Wir werden auch in Zukunft alle Energieträger, einschließlich der Kernenergie, und einen sparsamen Energieeinsatz brauchen, um die Probleme zu bewältigen.
Weltweit - lassen Sie mich das hinzufügen - herrscht nach wie vor eher Mangel als Überfluß an Energie, der vor allem in den Ländern der Dritten Welt zu Hunger und Elend führt. Daher ist es so falsch, wenn die Oppositionsparteien ihre Energiepolitik fast ausschließlich unter nationalen Gesichtspunkten hier vortragen. Herr Wolfram, wer die Kernenergie, wie das aus dem uns vorliegenden Antrag von Ihrem Parteitag hervorgeht, so ablehnt, wie Sie das tun, der verstößt nach meiner Auffassung auch gegen elementare Interessen der Dritten Welt und der weltweiten Energieversorgung.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Holtz?
Nein, mit Rücksicht auf meine Kollegen und auf die geringe verbleibende Zeit bitte ich, davon abzusehen.
Sie gestatten also generell keine Zwischenfragen. Dann brauche ich nicht immer noch einmal zu frgen.
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Sie wissen genau, daß man durch Nutzung von Kernenergie 01 substituieren kann, das dann weltweit anders genutzt werden könnte.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß weltweit nach wie vor mehr Umweltschäden durch Mangel an Energie hervorgerufen werden als durch eine sichere Energieversorgung, wie sie in den Industrieländern vorherrscht.
Eine zentrale Aufgabe unserer Energiepolitik - der Wirtschaftminister hat darauf hingewiesen - ist die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Energieversorgung und Umweltschutz. Der notwendige Umweltschutz muß genauso gewährleistet werden wie eine sichere und preiswerte Energieversorgung. Es bleibt dabei: Eine sichere und preiswerte Energieversorgung ist und bleibt eine entscheidende Grundlage jeden wirtschaftlichen Handelns.
({0})
Die Verschärfung der Anforderungen an den Umweltschutz - sie sind hier oft besprochen und beraten worden -, wie sie von der Bundesregierung seit dem Regierungswechsel beschlossen worden sind, bewirken inzwischen umfangreiche und ausreichende Maßnahmen zur Verringerung von Umweltbelastungen im Bereich der Energieversorgung. Aber die Kosten werden natürlich steigen.
Wir wenden uns in diesem Zusammenhang ganz klar gegen Vorschläge der Opposition, die den Umweltschutz mit Abgaben verbessern wollen.
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Solche Abgaben wie für das Sondervermögen Arbeit und Umwelt oder wie der Waldpfennig werden am Ende mehr Umverteilung, aber nicht mehr Umweltschutz bewirken.
({2})
Die Investitionsentscheidungen - der Minister hat darauf hingewiesen - werden durch die Unsicherheit, die durch solche Vorschläge verbreitet werden, behindert und nicht gefördert.
Durch die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Energie und Umwelt ist die Verwendung der Kohle - darauf wurde heute schon hingewiesen - besonders berührt. Sie muß umweltfreundlich erfolgen. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang das auch heute wieder ausgesprochene klare Bekenntnis der Bundesregierung, zum Jahrhundertvertrag, der j a im Zusammenhang mit den entsprechenden Erklärungen der Elektrizitätswirtschaft zu sehen
ist. Diese hat klargemacht, daß sie umrüsten wird, wo immer es geht, und bereit ist, den neuen Rahmenbedingungen für den Umweltschutz zu entsprechen.
({3})
Der Jahrhundertvertrag wird auch unter neuen Umweltbedingungen Bestand haben.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN stellt erneut klar - ich kann das hier nur in einigen Sätzen streifen -, wie sehr Kohle und Kernenergie die Voraussetzung für eine sichere Stromerzeugung sind. Wir sollten uns daran erinnern - auch aus der Geschichte des Jahrhundertvertrags -, daß die Basis für diesen Vertrag natürlich immer von Anfang an eine Gemeinsamkeit, die gemeinsame Nutzung von Kohle und Kernenergie, gewesen ist, für jede Energieart in dem ihr zukommenden Bereich.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Beschlüssen sagen, die der Bundesparteitag der SPD in Essen gefaßt hat und die wir auch in dem uns vorliegenden Antrag finden, den wir im Wirtschaftsausschuß sicherlich noch beraten werden. Lassen Sie mich aus dem Antrag zwei Zitate vortragen. Dort finden wir den bemerkenswerten Satz: „Die Nutzung der Kernenergie ist nur für eine Übergangszeit zu verantworten." Außerdem finden wir dort den Satz: „Über die Versuchsanlage in Karlsruhe hinaus soll die Technologie der Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernbrennstäbe in der Bundesrepublik nicht weiter verfolgt werden." - Meine Damen und Herren, das ist der Ausstieg der Sozialdemokraten aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie.
({4})
Das Bemerkenswerte daran ist, daß sich bisher nur eine Minderheit Ihres linken Flügels für Baustopp von Kernkraftwerken und Energieversorgung ohne Kernenergie eingesetzt hatte. Mit diesem Beschluß und diesem Antrag, den Sie uns heute vorlegen, hat sich nun die Mehrheit der Bundestagsfraktion - mit Herrn Vogel an der Spitze - den Kernenergiegegnern wie von Dohnanyi, Kronawitter, Duve, Klose - es gibt da noch ein paar mehr interessante Namen - angeschlossen.
({5})
Dies zeigt, wie weit die Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN - Herr Stratmann wird darüber sicher sehr glücklich sein - in dieser Frage bereits gediehen sind.
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Man kann daran ablesen: Das rot-grüne Bündnis schreitet auch hier in Bonn ganz munter fort.
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Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß wir der Meinung sind, daß der auf diese Weise geforderte Ausstieg aus der Kernenergie verheerende Folgen für die deutsche Wirtschaft und alle Stromverbraucher haben würde. Wir stellen fest: Kernenergie ist heute ein normaler, umweltfreundlicher Bestandteil der deutschen Energieversorgung zu vertretbaren Kosten.
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Ohne neue Umweltbelastungen ist die Kernenergie in der Stromerzeugung nicht mehr zu ersetzen.
Und, Herr Wolfram: Haben Sie einmal darüber nachgedacht
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- Sie setzen sich ja immer so sehr für die Bergbauzulieferindustrie im Revier ein, wofür ich Verständnis habe und was richtig ist -, was Sie mit Ihren Beschlüssen gegen die Kernenergie in Essen
({10})
der deutschen Industrie, insbesondere der Industrie im Revier, den Anlagenbauern von Oberhausen bis Dortmund, angetan haben?
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Aber vielleicht sollte ich hier nicht Sie, sondern Ihre Kollegen ansprechen.
Herr Wolfram, lassen Sie mich an dieser Stelle noch folgendes sagen: Sie bringen hier immer eine bestimmte Bergbauzulieferfirma ins Gespräch,
({12})
die darunter leidet, daß Investitionshilfen ausbleiben. Haben Sie einmal überlegt und daran gedacht, daß der Beschluß der SPD von Essen, den Ihre Freunde tragen, auch dieses Unternehmen, das inzwischen erfreulicherweise umgerüstet hat und einen großen Teil seiner Produktion als Kernenergiezulieferer leistet, in Schwierigkeiten bringen wird?
({13})
Lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen: Die CDU/CSU-Fraktion hält an der Nutzung von Kohle und Kernenergie eindeutig fest; es gibt dazu keine Alternative.
({14})
Auf dem Stuttgarter Parteitag haben wir das bekräftigt und beschlossen:
Die Kohlepolitik ist Bestandteil der nationalen Energiepolitik. Dies gilt auch für den umweltgerechten und wettbewerbsfähigen Einsatz.
Herr Wolfram, Sie haben hier die verschiedenen süddeutschen Ministerpräsidenten zitiert, abfällige
Bemerkungen über die Energiepolitik von Herrn Späth gemacht und sie kritisiert.
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- Lieber Herr Kollege Stahl, ich habe Verständnis dafür, daß Sie das Protokoll des Bundesparteitages der CDU nicht kennen.
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Aber ich darf hier nachhelfen und Ihnen einen Satz vorlesen, den der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg zur Kohlepolitik gesagt hat:
Wir sind sehr wohl bereit, die Lasten der deutschen Kohleerzeugung solidarisch mitzutragen.
Ich weise darauf hin, weil dies im Zusammenhang mit dem Beschluß des Bundesparteitages der CDU eine große Rolle spielt.
Meine Damen und Herren, der Konsolidierungsprozeß der deutschen Steinkohle, des deutschen Steinkohlenbergbaus hat Fortschritte gemacht; darüber ist hier berichtet worden. Trotz dieser Entwicklung - hier gibt es Übereinstimmung - sind natürlich nicht alle Probleme des deutschen Steinkohlenbergbaus gelöst. Wir werden es begrüßen, wenn wir im Wirtschaftsausschuß die Gelegenheit haben, den Wärmebericht sorgfältig zu beraten, und wir werden nach Möglichkeiten suchen, wie der Zugang der Kohle zum Wärmemarkt verbessert werden kann. Wir erwarten, daß es bald zum Abschluß eines neuen Hüttenvertrages kommt.
In diesem Zusammenhang, Herr Wirtschaftsminister, bedanken wir uns für die Bemühungen um den Abschluß der Verhandlungen über die Gewährung der Kokskohlebeihilfe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für die nächsten drei Jahre. Wir wissen, daß das vorliegende gute Ergebnis nicht einfach zu erzielen war. Wir wissen natürlich auch, Herr Wolfram, um die Schwierigkeiten gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, auch in Zukunft eine Kohleversorgung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit einem möglichst großen Anteil deutscher Kohle abzudekken.
Meine Damen und Herren, wir sind daran interessiert, daß die Energieversorgung der Europäischen Gemeinschaft - ich spreche damit die zahlreichen europäischen Vorlagen zum Schluß noch einmal an, die ja auch Gegenstand der Debatte sind - möglichst unabhängig, ausreichend und preiswert erfolgen kann. Dies muß nicht auf der Basis von mehr Bürokratie und nicht auf der Basis von mehr Energiesteuern, sondern dies muß auf der Basis einer vermehrten Kooperation erfolgen. Wir sind zu einer solchen Kooperation bereit. Auch unsere nationalen Energieprobleme sind nur auf dieser europäischen Grundlage und durch gemeinsame Anstrengungen zu lösen. Ich bin sicher, daß uns dies auch gelingen wird.
Schönen Dank.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Schülerinnen und Schüler oben auf den Rängen! Mein verehrter Oberschüler, Herr Wolfram! Wer über die Zukunft der heimischen Steinkohle reden will, Herr Wolfram und auch die Kollegen von der CDU/CSU- und FDPFraktion, kann über die Atomwirtschaft nicht schweigen. In dieser Woche hat sich ein merkwürdiges Kontrastprogramm in der Bundesrepublik abgespielt. In Frankfurt zelebrierten die Atomlobbyisten ihre Jahrestagung „Kerntechnik", und zur gleichen Zeit proklamierte die „Wirtschaftswoche" - ich empfehle Ihnen die Reportserie die jetzt in der „Wirtschaftswoche" läuft - das Ende einer Illusion, das Ende der Kernkraft.
({0})
Die Argumente, die die „Wirtschaftswoche" aufgreift, sind von den Atomkraftgegnern und den GRÜNEN seit Jahren vorgetragen worden, sind nicht nur Argumente sicherheitstechnischer und umweltpolitischer Art, sondern zunehmend auch wirtschaftlicher Art, Fragen der Wirtschaftlichkeit der Atomenergie und Fragen der sozialen Folgen der Atomenergie für die durch sie verdrängten Energieträger. Insbesondere für die heimische Steinkohle hat das nämlich soziale Folgen.
Diese Argumente finden zunehmend auch in bürgerliche Medien Eingang, z. B. in die „Wirtschaftswoche", sind mittlerweile auch von einem Gericht anerkannt worden, nämlich vom Verwaltungsgericht Regensburg in der Verfügung des Baustopps am Atomkraftwerk Isar II.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, welcher Widerspruch derzeit in der Praxis besteht. Auf der einen Seite - ich greife nur ein Beispiel heraus - würde Ohu II nach den augenblicklichen Kostenberechnungen über 5 Milliarden DM kosten - eine Verdoppelung der ursprünglich angesetzten Kosten von 21/, Milliarden DM -, Kalkar/Schneller Brüter über 61/2 Milliarden DM - die Kostenspekulationen gehen dahin, daß es möglicherweise Kosten in Höhe von 9 Milliarden DM werden -, Hochtemperaturreaktor Hamm um 4 Milliarden DM. Diesen gewaltigen Milliardensummen, die in den Bau von Atomkraftwerken hineingesteckt werden, stehen Zechenstillegungen gegenüber, wie in der dritten Kohlerunde beschlossen, die Vernichtung von 20 000 Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren im Ruhrbergbau und im Saarbergbau und staatlich finanzierte Anpassungsschichten zur Förderanpassung der Steinkohle.
Diesen gewaltigen Milliardenkosten bei der Atomindustrie steht die These gegenüber, daß eine zügige und forcierte Entschwefelung und Entstikkung aller Kohlekraftwerke aus volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kostengründen nicht möglich sei. Ein frappierender Widerspruch!
Um auf die Gefahren hinzuweisen, die von dem forcierten Ausbau der Atomindustrie einerseits für den Schutz der Wälder drohen, andererseits für die Arbeitsplätze im heimischen Bergbau drohen, haStratmann
ben wir unsere Große Anfrage eingebracht und die Bundesregierung hat auf die entscheidenden Fragen zum Verdrängungswettbewerb Atomindustrie - Steinkohle die Antwort verweigert. Der Bundesregierung fiel auch auf unsere Frage, welche Energieträger denn durch den Zubau von über 10 000 Megawatt Atomenergie verdrängt werden sollen, nichts anderes ein, als immer wieder durch die ganze Beantwortung der Großen Anfrage hindurch den Jahrhundertvertrag zu beschwören. Auf der anderen Seite gibt die Bundesregierung an mehreren Stellen durch die Blume zu erkennen, daß bezüglich der Einhaltung des Jahrhundertvertrages tatsächlich Risiken bestehen.
Die Bundesregierung hält es in ihrer Beantwortung für notwendig, daß - so die altbekannte These, die sich schon in der dritten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung findet - die Atomenergie mit der Braunkohle den Grundlastbereich übernimmt und daß die Steinkohle in die Mittellast verdrängt wird - verdrängt wird, obwohl dieser Verdrängungsprozeß von ihr negiert wird.
Die Argumente für die Übernahme des Grundlastbereichs durch die Atomenergie sind: Erstens könne nur dieser forcierte Ausbau der Atomenergie den steigenden Strombedarf decken, und zweitens sei der Betrieb von Atomkraftwerken gerade wegen der geringeren Brennstoffkosten billiger.
Herr Lambsdorff selbst hat eben zugegeben, daß die im Auftrag der Bundesregierung erstellte Studie der PROGNOS AG wieder einmal die Erwartungen in bezug auf die Stromverbrauchszuwachsraten gedämpft hat, wahrscheinlich noch unter die erwarteten 2 % gedämpft hat. In den letzten Jahren haben wir alle erlebt - die Bundesregierung hat das zugegeben -, daß die ursprüngliche Erwartung, der Stromverbrauchszuwachs werde deutlich überproportional über dem Wirtschaftswachstum liegen, eine Illusion war, eine Illusion aller einschlägigen, angeblich seriösen Energiewirtschaftsforschungsinstitute.
Die Bundesregierung geht jetzt davon aus, daß Stromverbrauchszuwachs und Wirtschaftswachstum in etwa parallel verlaufen. Was sie dabei überhaupt nicht berücksichtigt, ist, mit einer Politik der Energieeinsparung Ernst zu machen. Die wird zwar auf der einen Seite - sowohl in der dritten Fortschreibung des Energieprogramms als auch in der Antwort auf die Große Anfrage - proklamiert, aber auf der anderen Seite plädiert die Bundesregierung dafür, mit Strom verstärkt in den Wärmemarkt zu gehen; sie plädiert für den Einsatz von Elektrowärmepumpen.
({1})
- Herr Gerstein, das ist eben nicht etwas sehr Wirtschaftliches, sondern eine Energieverschwendung allerhöchsten Ausmaßes.
({2})
Die Bundesregierung behauptet, daß - worauf
auch Sie sich stützen - Strom sozusagen mit einem hundertprozentigen Wirkungsgrad in der Wärmeversorgung einsetzbar sei. Was sie dabei unberücksichtigt läßt, ist, daß dieser Strom nach ihrer Position von Atomkraftwerken mit einem Wirkungsgrad von zukünftig 26 bis 29 % produziert werden soll,
({3})
wozu noch Leitungsverluste von 2 bis 4 % kommen.
({4})
Der Gesamtwirkungsgrad des Stroms im Wärmemarkt wird damit bei ca. 30 % liegen. Das ist eine ungeheure Energieverschwendung im Vergleich zu dem anderen Vorschlag, dezentral in der Bundesrepublik Kohleheizkraftwerke mit Wirbelschichtfeuerung und Nah- und Fernwärmenutzung zu bauen, wobei der Wirkungsgrad mehr als doppelt so hoch ist wie bei der Position „Strom in den Wärmemarkt".
({5})
Die Bundesregierung behauptet weiterhin, der Atomstrom sei billiger als der Steinkohlestrom, obwohl mittlerweile vom Öko-Institut Freiburg - durch die Experten Franke und Viefhues - nachgewiesen worden ist, daß alle Wirtschaftlichkeitsberechnungen für den Atomstrom die Entsorgungskosten überhaupt nicht angemessen berücksichtigen und lediglich auf den augenblicklichen Betriebskosten der Atomkraftwerke basieren.
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Die Bundesregierung berücksichtigt überhaupt nicht, was Ende der 70er Jahre vor dem Abschluß des Jahrhundertvertrages passiert ist, als der Vorsitzende der Bergbau-Forschungs-GmbH, die zum Gesamtverband Steinkohle gehört, Herr Peters, eine Wirtschaftlichkeitsstudie vorgelegt hat, nach der die Nutzung von Steinkohlestrom billiger ist als die Nutzung von Atomstrom. Daraufhin hat die Atomlobby interveniert, und in den Jahrhundertvertrag ist eine Passage eingebaut worden, durch die das öffentliche Austragen von Kontroversen zwischen Atomindustrie und Steinkohlewirtschaft untersagt wird. Just nach dieser Vereinbarung wurde diese Peters-Studie aus dem Hause der Steinkohle zurückgezogen und in die Versenkung verdrängt.
({7})
Wir gehen davon aus, daß die herrschende Energie-Politik zu einer Verdrängung der Steinkohle führt und es unmöglich macht, den Jahrhundertvertrag einzuhalten. Die umweltpolitisch unverantwortbaren Fristen bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, nach der es möglich ist, die Entschwefelung von Kohlekraftwerken jahrelang hinauszuzögern, nach der es möglich ist, alte Dreckschleudern im Wege der Restnutzungsdauer bis 1993 lau5148
fen zu lassen, veranlassen die Kraftwerksbetreiber nicht dazu, den notwendigen Zubau von Kohlekraftwerkskapazität mit Wirbelschichtfeuerung und kleinen Größen in Angriff zu nehmen. Es wäre notwendig, um die Abnahmekapazitäten des Jahrhundertvertrages nach 1990 tatsächlich zu garantieren, in den Jahren 1988 bis 1991 neue Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von ca. 11 000 MW zu bauen. Wir fordern selbstverständlich umweltfreundliche. Dies wäre notwendig. Und dem stimmen wir zu, wenn dies im Rahmen einer dezentralen Energiestruktur unter Anwendung des Wirbelschichtfeuerungsverfahrens passiert. Entsprechende Anträge haben wir im Wirtschaftsausschuß eingebracht. Und Sie „Umweltfreund" - sprich: Umweltfeind -, Herr Wolfram, haben unsere Anträge auf eine umweltfreundliche Nutzung der heimischen Steinkohle permanent abgelehnt,
({8})
genauso Ihre gesamte Fraktion im Wirtschaftsausschuß, wobei ich allerdings weiß, daß innerhalb der SPD-Fraktion, bei internen Auseinandersetzungen, die Ruhrgebietslobby der SPD eine besonders bremsende Rolle in Sachen Umweltschutz spielt.
({9})
- Das ist nicht hirnrissig, sondern das können wir Tag für Tag bei Wirtschaftsausschußsitzungen erleben.
Es wäre notwendig, von 1988 bis 1991 Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von 11 000 MW zu bauen. Es gibt heute überhaupt keine Anstalten der Kraftwerksbetreiber dazu, dies zu tun. Zur Zeit sind nur Kraftwerke mit einer Leistung von ca. 6 500 MW im Bau. Eine Verdoppelung wäre notwendig, um den Jahrhundertvertrag zu garantieren. Hieran sieht man, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen unter Ausnutzung der umweltfeindlichen Großfeuerungsanlagenverordnung den Jahrhundertvertrag boykottieren und damit der heimischen Steinkohle ein entscheidendes Bein stellen wollen.
({10})
Gleichzeitig werden auf der politischen Ebene von der CDU entscheidende Manöver gegen die Einhaltung des Jahrhundertvertrages durchgeführt, allen voran von Lothar Späth, Baden-Württemberg,
({11})
der mehrfach für die baden-württembergische Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Einhaltung des Jahrhundertvertrages in Frage gestellt hat,
({12})
der ganz genau weiß, was Faktum ist, daß nämlich eine zunehmende Menge heimischer Steinkohle bei den baden-württembergischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen aufgehaldet wird und gleichzeitig in der Größenordnung von ungefähr 1000 MW
französischer Atomstrom bezogen wird. Hier ist die Absicht ganz klar, den Jahrhundertvertrag zu boykottieren und gleichzeitig angeblich billigen Atomstrom aus Frankreich zu importieren, wobei jeder weiß - das ist wieder einmal von der „Wirtschaftswoche" bestätigt worden, einem bürgerlichen Blatt -, daß die französische Atomwirtschaft ein vollkommenes Fiasko erlebt hat. Ca. 50 % der französischen Energieversorgung werden von der Atomenergie abgedeckt, staatlich subventioniert. Die französische staatliche Energiegesellschaft ist mit umgerechnet über 62 Milliarden DM hochverschuldet.
({13})
Der französische Strom wird nach Baden-Württemberg subventioniert exportiert. Sein Preis ist in Baden-Württemberg niedriger als der, den die französischen Haushalte dafür bezahlen müßten. Das ist für die französischen Verbraucher ein Skandal, wobei wir damit allerdings nicht für den französischen Atomstrom sprechen. Das ist ein skandalöses Import- bzw. Exportunterfangen.
({14})
In Niedersachsen wird die gleiche Strategie von Ihrer Wirtschaftsministerin Breuel verfolgt. Da habe ich eine Frage an Sie. Sie haben das ebenfalls kritisch vermerkt. Breuel versucht unter Ausnutzung des Energiewirtschaftsgesetzes aus der Nazizeit - wir werden noch in diesem Jahr eine Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz vorlegen -, dieses zentralistischen Gesetzes, zu verhindern, daß die Stadtwerke Hannover ein einigermaßen umweltfreundliches Kohleheizkraftwerk bauen, um für Hannover einen Beitrag für eine dezentrale kommunale Energieversorgung zu leisten. Nach den Gutachten, die Hannover in Auftrag gegeben hat, wäre diese Steinkohlenutzung in einem Kohleheizkraftwerk billiger als die Nutzung von Atomstrom. Dies will Breuel aber aus politischen Gründen nicht und hat deswegen unter Ausnutzung des Energiewirtschaftsgesetzes den Stadtwerken Hannover untersagt, eigenen Strom zu produzieren, und sie statt dessen verpflichtet, Atomstrom vom Kernkraftwerk Grohnde zu übernehmen, das nächstes Jahr in Betrieb gehen soll.
({15})
Dabei haben die Gutachten gezeigt, daß dieser zu übernehmende Strom von Grohnde nur zu Dumpingpreisen geliefert werden kann, weil die Betreiber fürchten, ihre Überkapazitäten an Atomstrom nicht anders als durch solche fadenscheinigen politischen Manöver absetzen zu können.
({16})
Interessant ist in dem Zusammenhang, wer das Atomkraftwerk Grohnde betreibt.
({17})
Das ist über die Preussenelektra VEBA, genau der
Energiekonzern, der jetzt alles daransetzt, seinen
Einfluß durch eine Kapitalaufstockung bei der Ruhrkohle zu erhöhen. Die Strategie, die dahintersteckt, ist eindeutig. Die VEBA muß ein Interesse daran haben - da sie über Beteiligungen der Preußenelektra bzw. NWK an den Atomkraftwerken Grohnde und Brokdorf beteiligt ist -, die zu erwartenden Überkapazitäten an Atomstrom abzusetzen. Sie macht das mit politischen Manövern wie über ihren politischen Arm Breuel auf Kosten der Steinkohle, auf Kosten einer dezentralen Energiestruktur.
Wir fordern in diesem Zusammenhang die Bundesregierung mit unserem Entschließungsantrag auf, ihren Einfluß in der VEBA geltend zu machen, daß über die VEBA keine Verdrängungspolitik gegenüber der Steinkohle ausgeübt wird, daß der von der VEBA mitbetriebene Zubau an Atomkraftwerken nicht weiter fortgeführt wird.
Wir fordern insbesondere Sie, Herr Wolfram - wenn Sie Ihre Kritik an Breuel ernst gemeint haben - auf, unserem Entschließungsantrag in dieser Richtung zuzustimmen.
({18})
Wir fordern Sie ebenfalls auf - wenn Sie Ihre Kritik an Späth ernst meinen -, dem Verbot des Imports von Atomstrom zuzustimmen.
Wenn wir uns in dem Zusammenhang gegen den weiteren Zubau von Atomkraftwerken wenden und für die Nutzung der heimischen Steinkohle eintreten, meinen wir damit keineswegs, daß die heimische Steinkohle das Nonplusultra einer umweltfreundlichen Energiepolitik ist. Im Gegenteil: Vorrang bei einer umweltfreundlichen ökologischen Energiepolitik haben eindeutig Energieeinsparung und die Nutzung und Entwicklung erneuerbarer Energiequellen.
({19})
Wir sind uns dessen bewußt, daß auch langfristig die Nutzung heimischer Steinkohle notwendig ist.
Wir sind uns dessen bewußt, daß wir kurzfristig auch nicht aus der Braunkohle aussteigen können. Wir haben uns allerdings letzte Woche über die verheerenden Umweltfolgen der Braunkohle am Tagebau Hambach I informiert. Wir haben uns darüber informiert, daß dort katastrophale Grundwasserschäden ins Haus stehen, die heute schon absehbar sind, nicht nur für die Region des rheinischen Braunkohlereviers, sondern bis nach Holland hinein. Ich verstehe überhaupt nicht, wie mit einem anlaufenden Europawahlkampf, in dem auch unter Umweltgesichtspunkten die europäische Solidarität eingefordert wird, der intensive Weiterbau an Hambach I vereinbar ist, durch den das Grundwasser von Holland, das sowieso schon bedroht ist, im nächsten Jahrzehnt dadurch in größte Gefahr gerät, daß das Grundwasser von dem größten Loch der Erde - Hambach - abgesogen wird und gleichzeitig die ganze Küstenregion in Holland durch das Meerwasser, das dann in das Grundwasser hineinkommt, versalzen wird. Deswegen ist es notwendig, eine mittelfristige, über einige Jahrzehnte angelegte Strategie des Ausstiegs aus der Braunkohle zu verfolgen, die gleichzeitig durch den Aufbau einer
dezentralen Energiestruktur für das rheinische Braunkohlerevier das Arbeitsplatzproblem löst. Wir sind uns dessen bewußt, daß wir keine ökologische Politik unter Gefährdung von Arbeitsplätzen betreiben können. Wir halten es für möglich, eine alternative Energiepolitik mit dezentraler Energiestruktur zu entwickeln.
({20})
- Herr Lennartz, sind Ihnen nicht die Studien aus den USA und aus der Schweiz bekannt, die nachweisen, daß der Aufbau einer alternativen dezentralen Energiestruktur wesentlich mehr Arbeitsplätze schafft, als dies bei einer zentralistischen Energiestruktur möglich ist? Paradebeispiel einer zentralistischen Energiestruktur ist schließlich der Braunkohlentagebau und die Braunkohleverstromung.
Wir sind der Meinung, Herr Wolfram, daß in den Steinkohlerevieren ebenfalls alles getan werden muß, um die Umweltschäden des Steinkohleabbaus, der Steinkohleförderung und der Steinkohleverwendung in Kraftwerken zu reduzieren.
({21})
- Entweder wollen Sie dies nicht oder Sie haben überhaupt keine Ahnung. Nur in 2 bis 3 Steinkohlezechen wird der Bergeversatz zur Reduzierung des Bergehaldenproblems eingesetzt. Das Bergehaldenproblem ist ein Riesenproblem für die betroffenen Standorte. Nach einem Gutachten der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld wäre heute selbst unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten
({22})
- hören Sie doch zu, Herr Wolfram, wenn Sie es nicht wissen - der Einsatz von Bergeversatz in zehn von neunzehn untersuchten Zechengruben technisch möglich. Sie haben zusammen mit Herrn Rau 1981 die Zeche „Neu-Monopol" als industriepolitisches Ereignis des Jahrhunderts gefeiert. Es war von einer modernen Zeche die Rede, bei der aber weder der Bergeversatz noch Kraft-Wärme-Koppelung angewandt worden ist. Nach Meinung der SPD war dies das industriepolitische Ereignis des Jahrhunderts. In Wirklichkeit war es eine energie- und umweltpolitische Katastrophe.
({23})
Es wurden noch nicht einmal die technischen Möglichkeiten, die schon entwickelt worden sind, verwirklicht.
Wir sind ebenfalls der Meinung - da verstehe ich Ihre Haltung wiederum überhaupt nicht -, daß neue Abbautechniken entwickelt werden müssen, die auch die Förderung der Kohle in Schräglagerung noch rentabel machen. - Ich komme zum Schluß. - Wenn wir auch neue Abbautechniken fördern und entwickeln
({24})
und dafür auch mehr Haushaltsmittel bereitstellen, als vorgesehen sind - ({25})
- Diese umweltpolitischen Investitionsmaßnahmen sind von Ihnen, von den Herren Wolfram und Reuschenbach und von der ganzen Ruhrgebietsclique der SPD abgelehnt worden. - Wenn wir dies machen, können wir die verheerende Nordwanderung der Ruhrkohle erheblich verlangsamen. Dann können wir auch das verlangsamen, was Sie offensichtlich wollen, nämlich daß die Haard in Ihrem Wahlkreis durch das weitere Abteufen von Schächten beeinträchtigt wird. Wir können damit einen Beitrag zu einer umweltfreundlichen Förderung und Nutzung der Steinkohle und zu einer erhöhten Akzeptanz der heimischen Steinkohle leisten. Wenn wir diese Strategie fahren, eine Doppelstrategie,
({26})
und zwar entschieden gegen die Atomlobby und gleichzeitig entschieden für eine umweltfreundliche Förderung und Nutzung der heimischen Steinkohle und mittelfristig eine Ausstiegsstrategie aus der Braunkohle, eine Ausstiegsstrategie aus Hambach I und Bergheim, dann werden wir sowohl unseren Wäldern, unseren Gewässern als auch den heimischen Arbeitsplätzen im Bergbau einen Dienst erwiesen haben.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege. Ich habe Ihnen schon ein bißchen mehr gegeben.
Ich bedanke mich, Glück auf!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich begrüße es, das wir heute Gelegenheit haben, nach längerer Zeit einmal wieder etwas ausführlicher die Energieprobleme unseres Landes zu diskutieren. Wir behandeln dabei ja auch abschließend einige Vorlagen, die noch aus der letzten Legislaturperiode stammen. Diese Tatsache führt mich zu der Feststellung, daß die einmal als richtig erkannte und auch konsequent verfolgte Energiepolitik der sparsamen und rationellen Energieverwendung und der Diversifizierung der verschiedenen Energieangebote durch den Bundeswirtschaftsminister erfolgreich die Schwierigkeiten der Anpassung an zwei Ölkrisen gemeistert hat.
Ich darf aber auch feststellen, daß die in der Vergangenheit häufig sehr emotional geführte Debatte insbesondere um die Kernenergie in eine sachliche Diskussion umgeschlagen ist.
({0})
- Davon zeugt, Frau Kollegin, wie ich meine, nicht zuletzt auch die Große Anfrage Ihrer Fraktion.
Ich möchte behaupten, daß die vielen Debatten, die wir hier in der Vergangenheit um die Akzeptanz der Kernenergie geführt haben, auch zu einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung zu der von uns erfolgreich betriebenen Politik geführt haben.
Meine Damen und Herren, die gegenwärtige Energiediskussion ist nicht von der Sorge um eine mengenmäßig ausreichende Energieversorgung geprägt, so wie es früher der Fall war, auch wenn wir mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, daß in diesen Tagen im Persischen Golf wieder Tanker beschossen werden und wir nach wie vor labile politische Verhältnisse in den Ölregionen vorfinden.
Es geht jetzt vielmehr um die qualitative Dimension. Es geht darum, die Anteile der jeweiligen Energieträger am Primärenergieverbrauch sowie die Preise für deren Bereitstellung und damit die Kosten für die einzelnen Verbraucher zu ordnen und festzustellen.
Was die mengenmäßige Dimension angeht, so haben wir nach drei hintereinander folgenden Jahren einen absolut rückgängigen Anstieg von Primärenergie zu verzeichnen. In dem Bericht des Ifo-Instituts über den Stand und die Ergebnisse von Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung wurden die einzelnen Initiativen der Bundesregierung hinsichtlich ihrer Effizienz positiv bewertet. Die bisher tatsächlich erreichten Werte unterstreichen die Richtigkeit der ergriffenen Maßnahmen und bestätigen insbesondere die Wirksamkeit marktwirtschaftlicher Kräfte.
Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, daß durch die richtigen wirtschaftlichen Signale wie den Preis wie auch durch finanzielle Anreize für wichtige Energieeinsparmaßnahmen die vorhandenen Möglichkeiten zur Energieeinsparung im privaten, industriellen und staatlichen Bereich voll genutzt werden.
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Denn, meine Damen und Herren, mit dem zentralen energiepolitischen Ziel der rationellen und sparsamen Energieverwendung wird auch zugleich den umweltpolitischen Interessen entsprochen.
Am deutlichsten läßt sich diese Entwicklung am Anteil des Mineralöls am Primärenergieverbrauch belegen. Während dies 1973 noch 55,2 % betrug, waren es 1983 nur noch 43,5%. Dies bedeutet aber natürlich zugleich schwierige Anpassungsaufgaben für die Mineralölwirtschaft in allen Stufen. Raffineriekapazitäten sind, wie Sie wissen, bereits in erheblichem Maß abgebaut worden und müssen in den nächsten Jahren noch stillgelegt werden. Gleichzeitig sind entsprechend der unterschiedlichen Verbrauchsentwicklung bei den einzelnen Produkten mit erheblichen Investitionen Konversionsanlagen zu errichten. Dieser notwendige Strukturwandel - auch das sollte man einmal sagen - vollzieht sich ohne staatliche Hilfen.
Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht bedauerlich, aber aus Gründen der Strukturanpassung unabänderlich ist die Tatsache, daß sich die Zahl der unabhängigen Heizölhandelsbetriebe und die Zahl der Tankstellen seit Anfang der 70er Jahre halbiert haBeckmann
ben. Die FDP wird darauf achten, daß trotz des scharfen Strukturwandels eine ausgewogene Anbieterstruktur der Mineralölwirtschaft erhalten bleibt, in der sowohl eine leistungsfähige Mineralölverarbeitung als auch eine Vielzahl mittelständischer Handelsunternehmen Platz haben. Auch die mit nicht unerheblichen Kosten verbundene Einführung bleifreien Benzins, die wir nach wie vor mit allem Nachdruck fordern, darf nicht zu strukturellen Verschiebungen führen.
In welchen absoluten Zahlen die Entwicklung des deutschen Energieverbrauchs bis zum Ende dieses Jahrhunderts verlaufen wird, wird durch die Bandbreite zweier Prognosen großer Mineralölunternehmen aus dem Jahr 1983 aufgezeigt. Die eine Studie geht für das Jahr 2000 von 330 Millionen t SKE, die andere von 450 Millionen t SKE aus. Eine verantwortliche Energiepolitik darf sich auf die Prognosen, die auf Grund unterschiedlicher Prämissen gemacht werden, nicht verlassen. Entscheidend sind vielmehr Trendaussagen, die langfristig Bestand haben, wie wir sie z. B. in der dritten Fortschreibung des Energieprogramms finden, etwa daß langfristig eine deutlich ausgewogenere Struktur der Energieversorgung erreicht werden soll. Wie sie aussehen soll, wissen Sie: etwa ein Drittel Öl, ein Drittel Steinkohle und Braunkohle, ein Drittel Gas, Kernenergie, Wasser und regenerative Energiequellen.
Angesichts dieser nach wie vor gültigen Zielsetzung besteht nach Auffassung meiner Fraktion gar kein Anlaß zu neuen Programmen auf Grund sich kurzfristig verändernder Einschätzungen des künftigen Energieverbrauchs.
In der Großen Anfrage der GRÜNEN wie auch im Antrag der SPD wird mehr oder weniger deutlich unterstellt, daß auf Grund der geringeren Zuwachsraten beim Energieverbrauch, besonders beim Strom, der Beitrag der deutschen Kohle zur Energieversorgung aufgekündigt werde. Ich weise hier noch einmal nachdrücklich darauf hin, daß ca. 80% des Kohleabsatzes vertraglich abgesichert sind. Das ist bei keinem anderen Energieträger in unserem Land der Fall.
Daß ein strukturell bedingter Förderüberhang in der Größenordnung von ca. 10 Millionen t auf Grund der Stahlkrise dauerhaft abgebaut werden muß, darüber besteht volle Übereinstimmung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Gewerkschaft Bergbau und Energie. Die soziale Flanke - das haben wir im Dezember 1983 in der Kohle-Runde gesehen - ist dabei einvernehmlich abgesichert worden.
Trotz der Schwierigkeiten des Kohleabsatzes im Stahlbereich besteht kein Zweifel an dem breiten politischen und energiepolitischen Konsens, daß ein wesentliches Ziel der Kohlepolitik die Sicherung der heimischen Energieversorgung ist. Die FDPBundestagsfraktion geht davon aus, daß der 15-Jahres-Vertrag des Bergbaus und der Elektrizitätswirtschaft zur Verstromung der deutschen Kohle verwirklicht wird. Eindeutige Erklärungen in dieser Richtung haben die Bundesregierung, die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder sowie die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke abgegeben. Ebenso hat die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht 1984 deutlich gemacht, daß sie an dem differenzierten System allgemeiner und spezieller Kohlehilfen festhalten will.
Und, Herr Kollege Wolfram, wenn Sie behaupten, die FDP habe ein gebrochenes Verhältnis zur Kohle - so habe ich Sie vorhin verstanden -, muß ich Ihnen sagen: Das haben Sie zwar stramm behauptet, aber überhaupt nicht bewiesen, und deswegen ist es auch falsch.
({2})
Ich erlaube mir zur Begründung meiner Aussage, Herr Kollege Wolfram, nur den Hinweis auf den Einsatz und die Verdienste des Bundeswirtschaftsministers in der letzten Kohlerunde im Dezember 1983.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Tut mir leid; ich bin zeitlich schon so beengt. Wir können das gleich privat fortsetzen, Herr Kollege.
Als Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet möchte ich noch einige Bemerkungen zur Kohlepolitik des Landes Nordrhein-Westfalen machen. Ich bin sehr besorgt über den Drang der Landesregierung, durch eine Beteiligung an der Ruhrkohle AG Einfluß auf die Geschäftspolitik des Unternehmens gewinnen zu wollen.
({0})
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Dies ist für mich ein bedenkliches Signal zur Regionalisierung der Kohleprobleme, vor der man nicht genug warnen kann. Zwar läuft der Vertrag zwischen dem Steinkohlenbergbau und der Elektrizitätswirtschaft noch zehn Jahre, aber bereits jetzt mangelt es nicht an Klagen über die Lasten der gemeinsamen Kohlepolitik aus den revierfernen Ländern. Es wäre geradezu fatal, wenn die deutsche Kohlepolitik, statt ein Instrument der Sicherheits- und Vorsorgepolitik zu sein, künftig zu einer Angelegenheit der regionalen Beschäftigungspolitik degradiert würde.
({1})
- Sie sagen, Herr Kollege Wolfram: Es ist nicht beabsichtigt. Ich sehe aber eine große Gefahr in dem Vorgehen der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Wir alle, die wir uns mit der Energiepolitik und der Versorgung unseres Landes beschäftigen, müssen sehr auf der Hut sein.
Dagegen setzt sich die Landesregierung in anderen Bereichen über alle ordnungspolitischen, ökonomischen und rechtlichen Erwägungen hinweg. Sie will die Ermächtigung für Gemeinden und Kreise erweitern, durch Satzung den Anschluß5152
und Benutzungszwang für Einrichtungen der Fernwärmeversorgung über die geltenden Voraussetzungen hinaus zu statuieren.
({2})
Örtliche und regionale Wärmemärkte würden dann künftig durch ein Angebotsmonopol bestimmt, und der Verbraucher wäre nicht mehr in der Lage, unter alternativen Energieträgern für seine Raumheizung auszuwählen.
Dies ist schon sehr verwunderlich, meine Damen und Herren; denn in allen anderen Bereichen ziehen die Sozialdemokraten j a gegen Monopole zu Felde. Gewachsene Versorgungsstrukturen, die mit erheblichen Investitionen errichtet worden sind, werden einfach ignoriert, und der mit einem Anschluß- und Benutzungszwang verbundene Gesichtspunkt der Kosten wird nur beiläufig berücksichtigt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse einer vom Bundesforschungsminister in Auftrag gegebenen Parameterstudie hinweisen. Dort werden genügend Handlungshilfen angeführt, um den Zielen einer sicheren Energieversorgung, der Energieeinsparung und der Verringerung der Umweltbelastung unter Berücksichtigung ordnungspolitischer und ökonomischer Erwägungen Rechnung zu tragen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein paar Anmerkungen zu den technologischen Aspekten der Energieversorgung machen. Angesichts der erheblichen Kosten für Energieforschungsprogramme und nachfolgende Pilot- und Demonstrationsobjekte ist es durchaus sinnvoll, derartige Vorhaben verstärkt in internationaler Zusammenarbeit durchzuführen. Die von der Europäischen Gemeinschaft in Angriff genommenen Projekte finden die volle Unterstützung meiner Fraktion.
Was die Kohleverflüssigung betrifft, so ist durch die intensive Forschung und den Betrieb von Pilotanlagen in Deutschland ein erhebliches technisches Wissen und Know-how angesammelt worden. Die betriebs- und volkswirtschaftlichen Optimierungen scheinen mir aber noch nicht den Stand erreicht zu haben, der es ermöglichen würde, zum jetzigen Zeitpunkt eine derartige Investition mit Bundesmitteln zu unterstützen.
({3})
Hier muß noch einige Arbeit geleistet werden. Insbesondere müssen die Betroffenen an Ruhr und Saar alle Kooperationsmöglichkeiten nutzen.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine Fraktion wird die konsequente und erfolgreiche Energiepolitik dieser Bundesregierung und auch insbesondere ihres Bundeswirtschaftsministers zukünftig weiterhin nach Kräften unterstützen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Man braucht der Debatte gar nicht aufmerksam zu folgen, um zu erkennen - ({0})
- Ich stelle es auch fest. Aber Herr Stratmann begibt sich gerade wieder in den Plenarsaal. Darüber freue ich mich. Man braucht gar nicht aufmerksam zuzuhören, um festzustellen, daß einer unserer wichtigsten Energieträger, die Braunkohle, zur Zeit an drei Fronten zu kämpfen hat. Verzeihen Sie bitte diesen militärischen Ausdruck, aber, ich finde, er paßt zur gegenwärtigen Situation dieser Debatte.
({1})
Die erste Front haben Herr Späth und Herr Worms aufgebaut. Während Herr Späth in geschickter Weise das Waldsterben dazu benutzt, um die Kernenergie ins Geschäft zu bringen und seine Forderung mit mehr Stromimport aus Frankreich begründet, hat der Kandidat Worms für das Land Nordrhein-Westfalen von Anfang an die Katze aus dem Sack gelassen. In der „Welt" vom 29. April 1984 fordert er zwei zusätzliche Kernkraftwerke für Nordrhein-Westfalen. Wohlgemerkt: über die Kernkraftwerke hinaus, die bereits bis zum Jahre 1995 an das Leitungsnetz gehen sollen. Zwei zusätzliche Kernkraftwerke hat er gefordert; am 29. April 1984 in der „Welt" nachzulesen. Im vollen Bewußtsein dessen, daß heute 84 % der Braunkohle in der Grundlast eingesetzt sind, vertraute er dann noch der „Wirtschaftswoche" an:
Wir wollen die gesamte Grundlast der Stromversorgung durch Kernenergie decken, die Mittellast durch Kohle und die Spitzenlast durch alternative Energien.
Es bahnt sich j a so etwas wie eine Koalition zwischen Herrn Worms und Herrn Möllemann auf Landesebene an. Es könnte also sein, daß Herr Dr. Worms Herrn Möllemann bereits das nächste Schlagwort geliefert hat unter dem Gesichtspunkt: Spitzenlast durch alternative Energie decken, Waschtag nur noch ab Windstärke 6. Für Herrn Möllemann könnte das dann heißen: „Freier Waschtag für freie Bürger." Er könnte das dann nahtlos an seine Bierreklame anschließen, mit der er uns vor einiger Zeit überrascht hat.
({2})
- Entschuldigen Sie bitte. Man muß das hier auch einmal formulieren, was Worms unter alternativen Energien versteht. Wenn er die Braunkohle aus der Grundlast nehmen will, wo ist dann noch die Alternative?
Immer offener und unverhüllter stellt sich die CDU gegen die Kohlevorrangpolitik und gegen den Jahrhundertvertrag, und zwar unabhängig von dem, was der Herr Wirtschaftsminister eben formuliert hat.
Am Rande erwähnt - Herr Spies von Büllesheim wird heute j a noch sprechen -: Der Kollege Spies von Büllesheim soll - ich formuliere es als Behauptung - auf einem CDU-Parteitag behauptet haben, die Kohlevorrangpolitik habe j a nie für die Braunkohle gegolten, sondern nur für die Steinkohle.
({3})
- So ist es. Dann darf ich Sie einmal bitten, die Fortschreibungen durchzulesen.
({4})
- Herr Spies von Büllesheim, ich halte demzufolge für das Protokoll fest, daß Sie dazu nicht nur in Heinsberg gesprochen haben, sondern daß Sie der Auffassung sind, die Braunkohle habe niemals zur Kohlevorrangpolitik gehört.
({5})
Das ist Ihre Aussage. Das halten wir fest.
Damit wird der Weg doch noch klarer erkennbar: Sie wollen mit Herrn Dr. Worms hin zur Kernenergie. Sie insbesondere führen auch den Kampf gegen die Braunkohle.
Dann wundert es auch niemand mehr, Herr Spies von Büllesheim, daß die CDU-Ortsverbände mittlerweile reihenweise das Stillegen von Braunkohlekraftwerken fordern. Dafür wird dann der Bau eines Kernkraftwerkes gefordert.
({6})
- Ich kann Ihnen das sagen. Nehmen Sie z. B. einmal den Stadtverband, in dem Herr Dr. Worms seine politische Heimat hat. Dort ist dieser Antrag gestellt worden. Sie haben das doch damals mit übernommen.
({7})
- Entschuldigen Sie bitte. Ich kann Ihnen gerne die Presseartikel vorlesen - auch die von Herrn Spies von Büllesheim - aus dem Kreis Heinsberg. Sie müssen sich einmal etwas sachkundig machen, was vor Ort gesagt wird, wo die Herren ihre Wahlkreise haben. Es reicht nicht, zu wissen, was sie im Deutschen Bundestag sagen.
({8})
Der Kreisverband der GRÜNEN im Erftkreis - wohlgemerkt - wollte ebenfalls Braunkohlekraftwerke stillegen, verständlicherweise aber kein Kernkraftwerk bauen. Vielmehr wollten sie die stillzulegenden Braunkohlekraftwerke mit insgesamt 2 000 MW elektrischer Leistung durch Blockheizkraftwerke ersetzen. Nur, wie sollen wir das in den Griff bekommen? Mit welcher Energieart sollen
wir dann dort Energie erzeugen? Herr Stratmann, die Frage stelle ich mir.
({9})
- Dazu komme ich noch. Keine Sorge. ({10})
Damit komme ich zur zweiten Front. DIE GRÜNEN fordern auf Bundesebene den Ausstieg aus der Braunkohle. Auf Grund dessen muß man sich die Frage stellen: Wann fordern Sie eigentlich den gesamten Ausstieg aus der Stromproduktion?
({11})
- Frau Nickels, jetzt kommen wir einmal zum Punkt. Sie sagen: Ersatz der Braunkohle. Das ist Ihre Forderung. Sie wollen den Ausstieg aus der Braunkohle.
({12})
- Hier steht: Ausstieg aus der Braunkohle. So haben Sie selber in der Pressekonferenz formuliert.
({13})
Und wenn es mittelfristig erfolgen soll, müssen wir uns über den Zeitpunkt unterhalten. Sie wollen es aber. Sie wollen keine weitere Erschließung der Tagebaue. Die jetzt laufenden Erschließungen sollen gestoppt werden. Sie sagen wie Ihr Kollege Stratmann, dies wollen Sie durch Steinkohle ersetzen.
({14})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Nein; ich komme sonst mit der Zeit nicht hin.
({0})
Die gegenwärtig auf Halde liegende Steinkohlemenge von ca. 35 Millionen Tonnen, die Sie einsetzen wollen, entspricht energiemäßig nur etwa dem Jahresbedarf der Rheinischen Braunkohlenwerke und zirka einer halben Jahresförderung der Ruhrkohle. Damit ist ein längerfristiger Ersatz von Braunkohle durch Steinkohle schon von der Rohstoffmenge her überhaupt nicht möglich.
Ich komme zum zweiten Punkt. Ein solcher Ersatz ist auch wegen der gegebenen Kraftwerksstruktur technisch nur begrenzt möglich.
({1})
Sie müssen mir nämlich einmal ein Braunkohlekraftwerk zeigen, das sich mit Steinkohle feuern läßt.
Dritter Punkt. Ein Ersatz von preisgünstiger Braunkohle durch Steinkohle, wie Sie es wollen, würde zwangsläufig auch zu steigenden Stromprei5154
sen führen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß das Land Nordrhein-Westfalen nur über eine sogenannte Mischkalkulation zu einem vernünftigen Energiepreis kommt?
({2})
Wissen Sie, daß der mittelfristige Einsatz von Steinkohle als Ersatz für Braunkohle, wie es Ihre Forderung ist, den Energiepreis im Land Nordrhein-Westfalen zwischen vier und fünf Pfennige steigen ließe,
({3})
daß demzufolge die Energiewirtschaft und die nachfolgenden Industrien nicht mehr wettbewerbsfähig wären?
({4})
Sie müssen sich erst einmal über Ihre eigenen Probleme erkundigen.
({5})
Meine Herren, Zwischenfragen und Zwischenrufe sind ja gut, aber nicht eine ständige Unterbrechung des Redners. Ich bitte darum, sich etwas zurückzuhalten.
Ich komme zum nächsten Punkt. Jetzt kommt die Frau Nickels, die ja im Dunstkreis des rheinischen Braunkohlereviers wohnt. Ich hätte mir fast die Frage gestellt, Frau Nickels, in welchem Dunstkreis Ihr Antrag gestellt worden ist, diese Schnapsidee, die Sie uns hier vorgelegt haben. Frau Nickels, Sie haben den Menschen im Braunkohlerevier gesagt, wie schlecht das Wasser in den Rekultivierungsseen ist. Der Bleibtreusee, sagen Sie, sei biologisch schon lange tot. Frau Nickels, diese Aussage ist ein Beispiel dafür, daß Ihre Fraktion in Pressekonferenzen, langen Sitzungen und Schreibtischarbeit wahrscheinlich große Klasse ist, die Arbeit draußen vor Ort, hart am Einzelproblem, die wir jetzt im Vorfeld der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl und Landtagswahl durchführen, müssen Sie allerdings noch üben. Denn die Akte, die Sie zugrunde gelegt haben, ist nicht mehr auf dem neuesten Stand. Der Bleibtreusee ist seit drei Jahren wieder voll lebensfähig. Sehen Sie sich dieses herrliche Gewässer in meiner Heimat einmal an. Wenn Sie nicht wissen, wo es ist: Ich fahre Sie gerne hin. Diese Zeit opfere ich, um Sie einmal davon zu überzeugen, wie herrlich dieser See mittlerweile ist.
Nächster Punkt. Wenn Sie sich mit dem Problem des Braunkohlereviers etwas tiefergehend beschäftigt hätten, würden Sie auch nicht von der größten Trinkwasserkatastrophe sprechen, wie Sie es in Ihrem Artikel formuliert haben. Sie stützen sich bei Ihren Aussagen auf Bedenken, die der Düsseldorfer Regierungspräsident im März 1980, also vor zirka vier Jahren, geäußert hat und heute als Schnee von
gestern bezeichnet, weil das Problem durch Zugeständnisse von Rheinbraun erledigt ist.
({0})
- Nein, ich habe nur noch zirka elf Minuten.
Jetzt kommt der Punkt. Sie sind doch immer so wunderbar informiert. Dann wundert es mich, daß bei Ihren internen Kommunikationssträngen Ihnen das Gutachten der Freien Universität Berlin nicht zugänglich gemacht worden ist. Das Gutachten ist vom April 1984. Die Frage der Grundwasserprobleme steht dort exakt beschrieben, Frau Nickels. Warum greifen Sie auf ein Gutachten zurück, das zurückgezogen worden ist, das überhaupt keine Gültigkeit mehr hat, nur um bestimmte Tatarenmeldungen nach draußen zu bringen, um eine Phalanx zu bilden, um gegen unsere Heimat, gegen unsere Region Sturm zu laufen. Lesen Sie bitte das Gutachten der Freien Universität Berlin!
({1})
Die Modellrechnungen der FU und die von Rheinbraun kommen in den wesentlichen Punkten zu übereinstimmenden Ergebnissen. Das gilt sowohl für die Einflußgrenzen der Sümpfung als auch für die erforderlichen Maßnahmen zur Schonung des Grundwasservorrats und zur Erhaltung von Feuchtgebieten. Die Interpretation der Stadt Mönchengladbach, die Berechnungen von Rheinbraun enthielten wesentliche Mängel, ist unzutreffend. Auch die von Mönchengladbach behaupteten schwerwiegenden Schädigungen für die Wasserversorgung treten selbst dann nicht ein, falls es nicht zu einer Ausgleichswasserliefermenge käme. Rheinbraun wäre in jedem Fall zur Lieferung von Ersatzwasser verpflichtet. Diese Verpflichtung ist auch bisher in jedem Fall eingehalten worden.
({2})
- Jetzt fangen Sie schon wieder an zu interpretieren.
({3})
Sie haben eine Presserklärung zu einem Gutachten aus dem Jahre 1980 abgegeben, und jetzt habe ich Ihnen ein Gutachten vom 30. April 1984 vorgelesen, und da fangen Sie wieder an, wild zu interpretieren. Erst informieren und dann Presseerklärungen abgeben, dann kommen wir dazu! So sieht der Punkt aus.
({4})
Ich komme zum nächsten Punkt. Es handelt sich um die Rekultivierung, die Sie angesprochen haben. Die Menschen im Braunkohlenrevier wissen zwar, daß eine umgepflügte Landschaft nie wiederhergestellt werden kann; dennoch müssen nach unserem Dafürhalten die Planungskriterien erweitert
werden. Die bisherigen Planungskriterien reichen für die beispiellosen Eingriffe in die Landschaft nicht mehr aus. Um nach der Ausbeute der Kohle eine reich gegliederte, artenreiche Landschaft zu schaffen, brauchen wir eine fortlaufende multidisziplinäre Planung, wie sie beispielhaft beim Donau-Projekt in Wien durchgeführt worden ist, wo vom Landschaftsplaner über den Soziologen bis hin zum Biologen alle einschlägigen Fachdisziplinen vertreten waren und eine hervorragende umweltverträgliche Maßnahme geschaffen haben. Das ist unser Ziel. Wie Sie von den GRÜNEN zur Zeit die Probleme des Braunkohlenreviers mit katastrophalen Schreckensbildern überzeichnen, so geht es nicht. Ich sage Ihnen: Unterschätzen Sie nicht die Sachkunde der Menschen im Braunkohlenrevier! Die beschäftigen sich mit dem, was Sie jetzt frisch entdeckt haben, nämlich schon seit Jahrzehnten.
({5})
Rechnen Sie nicht darauf, daß Sie mit Ihrer Bauernfängerei dort ankommen!
({6})
Wir treffen uns wieder. Auf die Diskussion mit Ihnen freue ich mich.
({7})
Dann empfehlen ich Ihnen aber, sich vorher sachkundig zu machen.
({8})
Mein Heimatort ist Berrenrath, und das ist der erste Ort, der dort umgesiedelt worden ist. Sie brauchen mir über Umsiedlung nichts zu erzählen.
({9})
Meine Damen und Herren, ich komme zum nächsten Punkt, zur Frage der Braunkohlenverbrennung. Ich frage mich, warum Sie diesen Punkt angreifen. Sie wissen doch selber, daß wir in den nächsten Jahren auf Grund der Beschlüsse, die wir hier gefaßt haben
({10})
und die in der Umweltministerkonferenz gefaßt worden sind, insgesamt die Schwefeldioxidmenge und die Stickoxidmenge erheblich begrenzen. Bis zum Jahre 1990 werden in NRW 750 000 Tonnen weniger Schadstoffe ausgestoßen.
({11})
Mir ist einfach schleierhaft, was Sie bewogen hat, mit Ihrer wilden Attacke auf die Braunkohle - ich sage das sehr offen - die Rolle des nützlichen Idioten der Kernkraftlobby zu übernehmen. Die Frage muß ich mir wirklich stellen.
({12})
Die dritte Front, gegen die die Braunkohle zu arbeiten hat, ist in den Vorstandsetagen der Energieversorgungsunternehmen aufgemacht worden. Man kann schon fast von einer Dolchstoßlegende sprechen. Der Erdolchte soll die Kohle sein, der Dolch ist die Kernenergie, und die Meuchelmörder sind diejenigen, denen die sinkende Akzeptanz der Kohle bei der Propagierung ihrer Kernenergiepläne ganz hilfreich war. Die in der letzten Zeit in der Bundesrepublik zu beobachtende sinkende Akzeptanz der Kohlekraftwerke ist das Ergebnis der jahrelangen Verweigerungsfront der bundesdeutschen Kraftwerksbetreiber, die den Einsatz der anwendbaren Umweltschutztechnologie in den 70er Jahren aus vorgeschobenen wirtschaftlichen Gründen und zur Förderung des Einsatzes der Atomenergie im Verstromungsbereich verhindert haben.
({13})
- Herr Kollege, in Anbetracht der kurzen noch verbliebenen Redezeit erspare ich es mir, auf Ihren Zwischenruf intensiv einzugehen.
Meine Damen und Herren. Wir wissen doch heute, daß sich die Vertreter des Anlagenbaus dort reihenweise die Türklinken in die Hand gegeben haben, um ihre Anlagen für die Reduktion von Stickoxiden und von Schwefeldioxiden zu verkaufen. In den siebziger Jahren ist keine einzige Anlage verkauft worden! Es besteht nur der eine Unterschied: Wenn man heute in Japan ist, erlebt man, wie sich mittlerweile die Kraftwerksbetreiber und die Anlagenbauer dort die Türklinken in die Hand geben und versuchen, teure Lizenzen zu erwerben, die dann hier eingesetzt werden sollen. Hier verlieren wir nach meinem Dafürhalten nicht nur erhebliche Zeit, sondern wir verlieren auch Devisen für die Objekte, die in der nächsten Zukunft bezahlt werden müssen.
({14})
- Entschuldigen Sie bitte, ist das eine Frage des Regierens? Wer hat denn hier die Verweigerungsfront aufgebaut, ausgehend von den Ingenieuren, die gesagt haben, das sei technisch nicht möglich? Ich sage sehr offen: Auch wenn man rein betriebswirtschaftlich und nicht ökologisch gedacht hätte, hätte der Absatz der Kohle und des Kohlestroms früher als geschehen durch die freiwillige Einführung von Umweltschutztechnologien gesichert werden müssen. Dann würden heute Entschwefelungsanlagen und Stickoxidabscheider auch in der Bundesrepublik bereits zu den Altanlagen zählen, und das würde einer unserer Exportschlager sein; heute müssen wir umgekehrt importieren.
Das sind einige Gründe dafür, daß die Braunkohle heute nicht den Ruf hat, den sie verdient. Dabei liegen ihre Vorzüge ebenso auf der Hand wie die Probleme, die sie mit sich bringt. Da im Augenblick alle Welt über die Probleme der Braunkohlegewinnung und -verstromung redet, will ich hier mit dafür sorgen, daß die Vorzüge der Braunkohle nicht in Vergessenheit geraten.
Erstens. Heimische Braunkohle ist als nationale Energiereserve unverzichtbar.
Zweitens. Die heute wirtschaftlich gewinnbaren Braunkohlevorkommen reichen aus, um die derzeitige Fördermenge von jährlich 120 Millionen t in den nächsten 200 bis 350 Jahren beizubehalten. Ich sage nicht, daß wir das wollen, aber die Vorräte haben dieses Ausmaß.
({15})
Ich gehe davon aus, daß unsere Ingenieure alternative Energien und andere Kraftstoffreserven finden.
({16})
- Wir haben doch die Kohlefelder bis zum Jahr 1990 aufgeschlossen. Ich sage sehr offen: Ich bin im Gegensatz zu Ihnen für Frimmersdorf, ich bin für Gartzweiler. Meine Perspektive ist klar im Gegensatz zu der Ihrigen. Wo ist denn Ihre Alternative für die Braunkohle?
({17})
Es gibt im Energiesektor nur einen einzigen Bereich, über den man heute mit Sicherheit im Blick auf die nächsten Jahrhunderte reden kann. Das sind die stillgelegten Kernkraftwerke und deren Abfälle, die den Menschen über einen viel längeren Zeitraum erhalten bleiben und sie beschäftigen werden.
Ich komme zum dritten Punkt. Die Braunkohle ist der preiswerteste Primärenergieträger. Darin sind sich sogar die verschiedenen Institute einig. Diesen preiswerten Energieträger werden wir auch erhalten; die Schadstoffe müssen durch die Technologien aus der Braunkohle entfernt werden.
({18})
Viertens. Der expandierende Einsatz von Braunkohlestaub für Industriefeuerungen ersetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits rund 1 Million t 01 jährlich und erspart uns demzufolge zirka 500 Millionen DM an Devisen.
Fünftens. Braunkohle läßt sich veredeln. Den Anteil, der in die Veredelung geht und für die Verstromung nicht mehr zur Verfügung steht, wollen wir jedoch nicht durch Kernenergie ersetzen,
({19})
sondern durch Steinkohle. Damit entfällt nämlich die Grundlage für Ihre Klagen und für andere Klagen, daß der Jahrhundertvertrag nicht mehr einzuhalten sei. Die dann in die Veredelung gehende Braunkohlenmenge wollen wir durch Steinkohle ersetzen. Demzufolge leisten wir auch dort unseren Beitrag für den Jahrhundertvertrag. Dies ist unser politischer Wille.
({20})
Die Braunkohle bietet durch verschiedene Formen der Veredelung noch mehr Möglichkeiten, auf Mineralölimporte zu verzichten. Mit einer Tonne Braunkohle - lassen Sie es mich etwas lax formulieren - kann man nicht nur 750 Stunden bügeln - wer tut das in unserer heutigen Zeit schon? ({21})
- kommen Sie doch nach vorn und sagen Sie das Gegenteil! -, sondern beispielsweise auch 500 Kubikmeter Synthesegas oder 250 Liter Methanol erzeugen.
Kohlevergasung und -verflüssigung liefern wichtige Ausgangsstoffe für die chemische Industrie, z. B. Ammoniak, Methanol, Kohlenwasserstoffe. Es geht also um den Austausch petrochemischer Produkte gegen kohlechemische Produkte.
Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, will die deutsche chemische Industrie von dieser Chance ausschließen, die ihr die Braunkohle mittel-
und langfristig bietet? Wer will die Chance vergeben, daß eines Tages in der Bundesrepublik produziertes Methanol preiswerter ist als Importmethanol aus den erdölfördernden Ländern? Dort ist man dabei, hochmoderne Anlagen mit einem hohen Anteil an Nachverarbeitungskapazitäten zu errichten, die eindeutig für den Export ausgelegt sind. Bereits 1985 werden die erdölfördernden Länder in der Lage sein, rund 60 Millionen t chemische Produkte zu exportieren.
Wenn wir uns mit dem Ausstieg aus der Braunkohle auch auf dem chemischen Markt abmelden, wird es daher schon in naher Zukunft ein Erwachen geben, das durchaus mit dem Ölschock der 70er Jahre vergleichbar ist.
({22})
Sechstens. Die Braunkohle wird bereits mit der Kraft-Wärme-Koppelung auf dem Wärmemarkt eingesetzt. Wer den Ausstieg aus der Braunkohle fordert, verzichtet damit auch auf eine der umweltverträglichsten, sichersten und in der Herstellung preiswertesten Formen der Nutzwärmeproduktion.
Hier komme ich nun auf den Bereich der Fernwärme zu sprechen. Wenn hier die Auffassung vertreten wird, daß das Land Nordrhein-Westfalen einen Anschlußzwang durchführt, dann hat dies den Anschein, als sei dieser Zwang von vornherein gegeben. Nein, die einzelnen Kommunen sollen in die Lage versetzt werden, dies für sich zu entscheiden,
({23})
weil die Bürger immer mehr nach Fernwärme fragen,
({24})
die einzelnen Gemeinden aber nicht mehr in der
Lage sind, dies finanziell zu unterstützen. Denn Sie
haben im Haushalt für das Jahr 1983 noch erhebliche Investitionsmittel für die Fernwärme gekürzt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Kohlevorrangpolitik muß Umweltpolitik sein. Nur mit Umweltschutztechnologien hat unsere Kohle Zukunft. Es muß Kapital in die Kohlekraftwerke. Nur so sind der Wald und die Kohle zu retten. Ich stelle fest: Das Kapital ist da, die Umweltschutztechnologie ist da. Braunkohle, meine Damen und Herren, ist eine sichere Energie. Handeln wir und reden wir nicht nur!
Schönen Dank.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der zeitlichen Bedrängnis dieses Freitagnachmittags besteht für einen Abgeordneten der Regierungskoalition nicht mehr genug Redezeit, um eine wirkliche Energie-Rede zu halten. Aber ich glaube, die bisherige Debatte hat genügend Stichworte und genügend Stoff gegeben, um auch so etwas Grundsätzliches zur Energiepolitik sagen zu können.
Kollege Wolfram, Sie sind ein hochgeschätzter Kollege. Aber mit der Regelmäßigkeit einer tibetanischen Gebetsmühle werfen Sie der neuen Regierung vor, sie habe ihre Energiepolitik geändert
({0})
Auch heute haben Sie wieder gesagt, die Bundesregierung trage die Verantwortung für die Stillegung der Zeche Erin, es werde eine neue Stillegungsrunde, eine geänderte Energiepolitik etc. geplant. Kollege Wolfram, immer wenn Sie das ansprechen, muß man Ihnen darauf etwas antworten, was Ihnen peinlich ist. Man muß Sie nämlich daran erinnern, daß der Steinkohleabsatz von 1969 bis 1982, also während Ihrer Regierungszeit, von 120 Millionen Tonnen auf 90 Millionen Tonnen zurückgegangen ist.
({1})
Das werfen wir Ihnen nicht vor; denn das war die Folge objektiver Umstände. Aber wenn Sie hier immer wieder Märchen auftischen, dann muß man Ihnen das antworten, damit das zumindest im Protokoll steht. Einen größeren Absatzrückgang als den während Ihrer Regierungszeit hat es noch nicht gegeben.
({2})
- Herr Kollege Wolfram, wir müssen das privat ausmachen. Wenn ich etwas mehr Zeit hätte - ich habe hier nur wenige Minuten -, würde ich eine Zwischenfrage von Ihnen gern zulassen. Im übrigen
muß ich gleich noch etwas auf die Ausführungen des Kollegen Lennartz antworten.
({3})
Ich bitte doch, den Redner reden zu lassen.
Daß die Steinkohlenhalden im August 1983 fast 26 Millionen Tonnen und damit eine kaum je dagewesene Größenordnung erreicht hatten, ist natürlich nicht die Folge einer geänderten Energiepolitik - im übrigen hatte die neue Regierung gar nicht genug Zeit, bis dahin so viele Fehler zu machen, daß das alles zusammengekommen wäre -,
({0})
sondern das ist eine Folge von Umständen - Herr Kollege Stahl, das wissen Sie als früherer Parlamentarischer Staatssekretär noch viel besser -, die sich geändert haben: geringerer spezifischer Energieverbrauch, geringerer Absatz bei der Stahlindustrie, fehlendes Wirtschaftswachstum etc. Das waren die objektiven Gründe.
({1})
Verehrte Kollegen, ich greife das Stichwort auf, daß wir einer Meinung sind: Wir wissen, daß die Probleme der deutschen Steinkohle keineswegs gelöst sind. Ich nenne hier als Stichwort den Hüttenvertrag und die Notwendigkeit für die Kohle, stärker in den Wärmemarkt zu kommen. Notwendig für das Eindringen der Kohle in den Wärmemarkt - darin stimmen wir wohl alle überein - ist vor allem die Sicherheit von Umweltschutzauflagen, damit gleichzeitig hier ein möglichst hoher Standard erreicht wird. Viele Menschen, viele Unternehmen sind sich darüber gar nicht im klaren, daß die Kohle heute schon billiger ist als andere Energieträger. So haben wir im Bereich der Zementindustrie, der Zuckerfabriken, der Gärtnereien etc. einen ganz beachtlichen Markt, den die Steinkohle durchaus erreichen kann.
Der Jahrhundertvertrag, der hier mehrfach angesprochen wurde und der natürlich ein Jahrhundertereignis war - daher kommt wohl auch der Name -, der aber nur 15 Jahre läuft, ist heute mit fast der Hälfte des Steinkohleabsatzes das Rückgrat des deutschen Steinkohlebergbaus. Deswegen, Herr Bundeswirtschaftsminister, deswegen, verehrte Kollegen, müssen wir uns klar sein, daß er einen wesentlichen Mangel hat, nämlich den Mangel, daß die sechs Unternehmen des Steinkohlebergbaus höchst unterschiedlich an diesem Markt beteiligt sind. Je mehr der Absatz an Kokskohle zurückgeht oder zurückgehen sollte und je weniger wir in den Wärmemarkt kommen oder je mehr die Steinkohle z. B. aus dem Hausbrand ausscheiden muß, um so dringlicher wird die Frage, wie man die
Unternehmen gleichmäßig daran beteiligt, jedenfalls gleichmäßiger, als das jetzt der Fall ist.
({2})
Ich glaube, dieser Frage müssen wir uns stellen. Vor allem dürfen neue Regelungen nicht an die jetzt gegebenen Quoten angeschlossen werden, was nämlich den Nachteil für einzelne Unternehmen noch verstärken würde.
({3})
Wir haben das Problem der niedrigflüchtigen Kohle. Es wird niemanden erstaunen, daß ich auf dieses Problem eingehe. Wie ist heute die Situation des Aachener Bereichs? Während einige Unternehmen anderer Bereiche über 100 % der Zielmengen vertraglich abgeschlossen haben, hat der Aachener Bergbau bei der niedrigflüchtigen Kohle nur für 75 bzw. 79 % seiner Quoten Verträge abschließen können. Man muß wirklich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, daß diese Kohlemengen, weil sie zur Beimischung nicht immer geeignet sind, weiter widerwillig von Kraftwerk zu Kraftwerk und von Vertrag zu Vertrag hin und her geschoben werden. Es ist daher notwendig - Kollege Wolfram, Sie haben es schon erwähnt -, daß der Aachener Steinkohlebergbau für die niedrigflüchtige Kohle endlich ein umweltfreundliches Kraftwerk erhält. Dafür sollten wir uns alle einsetzen.
({4})
Der Verstromungsvertrag wird finanziert vom Stromverbraucher. Der Stromverbraucher wird jetzt auch die notwendigen Umweltschutzauflagen an seiner Stromrechnung merken. Wir müssen feststellen - wir tun das auch, und erstmals ist auch etwas geschehen -, daß der Verbraucher einen Anspruch darauf hat, daß die Kohle auch umweltfreundlich verbrannt wird. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig, und wir sind auf einem guten Wege dazu.
({5})
- Ich kann nicht, Kollege Vosen, und wenn Sie sich noch so oft melden. Wenn Sie mir fünf Minuten von Ihrer Redezeit abgeben könnten, die Sie heute nicht haben, dann würde ich natürlich Fragen zulassen, aber es geht nicht.
({6})
- Wissen Sie, ich bin wirklich sehr für eine Debatte, aber ich habe nur noch vier Minuten oder drei Minuten und habe überhaupt noch nicht dem Kollegen Lennartz geantwortet. Wir haben keinen Gegensatz. Dieser angebliche Gegensatz zwischen Steinkohle und Kernenergie entsteht vor allem und ist entstanden in den Köpfen der GRÜNEN, in den Köpfen der Kernkraftgegner. Da wird ein künstlicher Gegensatz aufgeputscht, ein Gegensatz, der tatsächlich nicht gegeben ist.
({7})
Man müßte das begründen, man könnte das leicht begründen: Grundlast, Mittellast. Ich möchte hier aber gerne noch zur Braunkohle kommen.
Kollege Lennartz, ich sehe Sie gerade. Wir sind ja, wie unsere Sprache und unser Tonfall ausweisen, rheinische Brüder, aber wir haben zwei wesentliche Unterschiede. Der eine Unterschied ist, daß Sie bei der einen Partei sind und ich bei der anderen Partei bin. Das ist aber nicht schlimm. Aber in der Frage der Braunkohle trennt uns vor allem eines: Sie wohnen auf der einen Seite des Lochs, wo Sie die Sache hinter sich haben, wo Sie die Arbeitsplätze haben, die Werkstätten, die Infrastruktur, und deswegen - das nehme ich Ihnen nicht übel - kämpfen Sie für die Braunkohle. Ich wohne auf der anderen Seite des Lochs, nämlich da, wo quadratkilometerweise Land abgebaggert werden soll, wo 6 000 Leute umgesiedelt werden müssen. In einem stimme ich mit Ihnen überein, Kollege Lennartz, nämlich in der Frage an die GRÜNEN. Die sind einmal gegen die Kernkraft. Heute haben sie noch ein neues Moment hinzugefügt, sie haben sich nämlich auch noch gegen die Steinkohle gewandt,
({8})
indem sie nämlich das Haldenproblem angesprochen haben. Sie haben gesagt, das müsse alles anders gemacht werden. Sind Sie sich denn nicht im klaren, wenn das alles so gemacht würde, wenn das nichts kosten würde und alle dafür wären, daß Sie die Steinkohle durch den notwendigen höheren Preis noch zusätzlich vom Markt drängen, Sie die Steinkohle zusätzlich noch in eine schlechtere Position bringen würden?
({9})
- Herr Stratmann, wissen Sie, das ist eine alte Weisheit: Wenn man mal von den Realitäten abgehoben hat, dann ist es schon ganz Wurscht, ob man ein bißchen höher oder ein bißchen tiefer fliegt, da kann man alles machen, da kann man alles fordern, ob man nun ernstgenommen wird oder nicht.
({10})
In dieser Situation befinden Sie sich jedenfalls im Bereich der Energiepolitik.
({11})
- Sie sind Realpolitiker? Sie schauen sich die Realitäten von oben an und äußern Wünsche und kümmern sich nicht darum, daß Sie die Wege hier unten nicht nachgehen müssen. Das ist Ihre Position.
({12})
Sie werden damit nicht lange durchkommen.
({13})
Kollege Lennartz, ich muß j a leider in Stichworten reden; ich habe nur noch eine Minute. Vielleicht, Frau Präsidentin, sind es auch noch zwei Minuten.
({14})
Nur dann, wenn es von der Zeit Ihrer Kollegen abgeht!
Herr Kollege Lennartz, natürlich ist die Braunkohle der kostengünstigste heimische Energieträger in der Grundlast. Das bestreitet doch gar niemand!
({0})
Aber wer so argumentiert wie Sie - Sie sagen: Wir sind gegen die Kernkraft -, ist natürlich automatisch für die Ausweitung der Braunkohle,
({1})
und diese Ausweitung wollen wir nicht, und die werden wir nicht hinnehmen.
Da Sie den Kreisparteitag Heinsberg erwähnt haben - wir können uns darüber noch persönlich unterhalten -, darf ich noch eine Bemerkung machen: Wie wollen Sie denn der Bevölkerung deutlich machen, daß hier abgebaggert werden muß, wenn einige Kilometer weiter Hunderttausende von Tonnen Steinkohle deswegen auf Halde liegen, weil das RWE sie für die Verstromung nicht übernimmt?
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Es bleibt mir völlig unverständlich, wie das RWE, die Mutter, der eigenen Tochter Rheinbau derartige Schwierigkeiten - psychologische Schwierigkeiten, Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit - machen kann, indem sie auf der einen Seite sagt, eure Steinkohle können wir nicht verstromen, während auf der anderen Seite die Ausweitung des Braunkohlebergbaus gefördert wird.
Ich bin nicht gegen die Braunkohle, aber ich bin der Meinung, daß es vernünftig gemacht werden muß, daß der Braunkohleabbau nicht erweitert werden kann und daß außerdem die Steinkohle aus dem gleichen Bereich möglichst schnell verstromt werden muß.
Ich bedanke mich, auch, Frau Präsidentin, bei Ihnen für Ihr freundliches Entgegenkommen.
({3})
Es wäre ja schön, wenn wir immer einen unmittelbaren Dialog haben könnten. Dafür habe ich Verständnis, aber jeder hat seine Redezeit, und jeder Zwischenruf und jede Diskussion über Gebühr nimmt natürlich dem anderen die Möglichkeit, hier wirklich seine Meinung zu sagen. Ich bitte darum, ein bißchen Rücksicht darauf zu nehmen.
Nun Frau Simonis, bitte. Sie haben 17 Minuten.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird das ewige Geheimnis von Herrn Stratmann bleiben, wieso er darauf bestanden hat, die nun wirklich wichtige Kohledebatte heute nachmittag stattfinden zu lassen,
({0})
wo die Zahl der Zuhörer etwa auf den Kreis der Mitglieder eines Beschneidungsrituals in Neuguinea-Papua zusammengeschrumpft ist,
({1})
genauso wie es mir ewig ein Rätsel bleiben wird, wie Sie Ihre vollmundigen Proteste gegen die Haltung der Bundesregierung - die ich im übrigen teile - hier aufrechterhalten können, während Ihre Kollegin Hickel mit der ebenso einleuchtenden wie schlichten Bemerkung „Wir sind nun einmal dagegen" im Forschungsausschuß alle Anträge der SPD zur Erhöhung der Mittel für Rauchgasentschwefelung und ähnliche, die Umwelt schonenden und die Steinkohle begünstigenden Möglichkeiten abgelehnt hat.
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Wissen Sie, hier die Krokodilstränen über die Steinkohle zu vergießen und drüben im Ausschuß, wo Sie nicht einmal jemand sehen würde, nicht zuzustimmen,
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das nennt man normalerweise ein bißchen auf beiden Schultern tragen. Mehr will ich zu dem Thema jetzt nicht sagen. Aber das müssen Sie, was Ihre Glaubwürdigkeit anlangt, mit sich selber ausmachen.
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Die Schleswig-Holsteiner haben einen schönen Schnack dafür, wenn jemand einen Flop produziert hat: Viel Geschrei und wenig Wolle, sagte der Teufel, als er das Schwein schor. Wie wahr!
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Viel Geschrei und wenig Wolle, denn was uns die Regierung in der Energiepolitik, in der Umweltpolitik, in der Kohlevorrangpolitik anbietet, das ist alles andere als Wolle, das sind ein paar armselige Schweineborsten,
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und allein die Tölpelhaftigkeit einiger Minister dieser Regierung bewahrt die Bevölkerung davor, das Gequieke der Schweine als das zu entdecken, was es ist, nämlich nicht als das Geblöke von wollgebenden Schafen, sondern eben lediglich als das Quieken von ein paar armseligen Schweinen.
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- Nun, das ist ein Schnack aus Schleswig-Holstein!
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- Auch dort würden die Schweine quieken, wenn sie geschoren würden. Das stimmt.
Während die Regierung mit markigen Worten ihre Tatenlosigkeit in der Kohlepolitik zu überspielen versucht, diskutieren Laien, sogar GRÜNE, aber auch Rote, Spinner, Ausflipper, Öko-Freaks, Müslikauer - oder was für nette Worte es sonst noch auf der rechten Seite dieses Hauses für alternative Energiepolitiker gibt - mit sehr viel mehr Engagement, mit größerem Sachverstand und mit sehr viel Ernst über die Folgen unserer Energiepolitik, über die Folgen der Verschandelung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und über die Folgen des Aussterbens all dessen, was unser Leben ausmacht. Würde die Regierung auch nur die Hälfte dieses Engagements, die Hälfte dieses Ernstes aufbringen, bräuchten wir manche der Diskussionen, die wir hier führen, nicht zu führen: Denn Jahr für Jahr entweichen aus bundesdeutschen Schloten Stickstoffe, Schwefeldioxide und andere Schadstoffe: 3,5 Millionen t, das sind genau 62 000 Güterwagen, deren Inhalt sich wie Mehltau über unsere Republik legt und alles unter sich erstickt.
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75 % aller dieser wenig erquicklichen Stoffe stammen aus den Industrieschloten und den Kohlekraftwerken.
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Durch eine geschickte Inszenierung hat die Bundesregierung den heldenhaften Kampf - Kampf nennt sie das - gegen das Waldsterben, der nun in der Tat Symbol des Widerstandes gegen die Verhunzung unserer Umwelt ist, dazu benutzt, kernenergiepolitische Interessen in den Vordergrund zu stellen und die Kohlepolitik systematisch hinauszudrängen; denn die Kohle braucht in der Tat Umweltschutzinvestitionen, um sich auf dem Markt weiterhin behaupten zu können.
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Zwar läßt sich der Innenminister für seine Großfeuerungsanlagen-Verordnung feiern, doch kommt wahre Freude eigentlich erst dann auf, wenn man einmal begreift, daß wir noch bis zum Jahre 1993 -1. April, übrigens - warten müssen, ehe diese Verordnung endgültig greifen wird. Es hat schon bessere Aprilscherze gegeben. Ob das Saarland, ob das Ruhrgebiet diesen Aprilscherz überleben werden, ist wirklich eine Frage. Ob die letzte Tanne, die wir dann vielleicht noch sehen werden, bis dahin überlebt hat, ist auch eine Frage. Das scheint Sie aber nicht zu stören, solange Sie unter dem Vorwand, diese letzte Tanne zu schützen, das tun können, was Sie wirklich wollen und was man so schön und so unverfroren in einer Broschüre „Saurer Regen", die der CDU-Wirtschaftsrat herausgegeben hat, nachlesen kann. In dieser Broschüre heißt es:
Aus dem Kraftwerkssektor selbst müssen Umstrukturierungen vorgenommen werden.
- Vor Schreck legt man die Broschüre erst mal hin,
weil man denkt, man hat die falsche Seite erwischt.
Aber dann geht es weiter, und dann weiß man wieder, wo man ist. Im Grundlastbereich müssen zunächst Kernkraftwerke eingesetzt werden.
Dies ist genau das, was Sie wollen. Es geht Ihnen nämlich nicht um Umweltschutz, so, wie es der Frau Breuel nicht um Umweltschutz geht. Es geht Ihnen nicht um Umweltschutz, so, wie es dem Herrn Späth nicht um Umweltschutz geht, der mit seinen französischen Neigungen nun einmal ein bißchen französische Kernenergie zu sich nimmt. Es geht Ihnen vielmehr darum, Seilschaften zu bilden, um dann, wenn es dann 1993 nicht mehr möglich sein wird, Kohle in den alten Schleudermühlen zu verbrennen, wenn der Jahrhundertvertrag für die Kohle ausläuft, etwas machen zu können.
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Sie wollen heute die Pflöcke schon reinhauen, damit Sie dann nachweisen können, daß es keine anderen Alternativen gibt, als in Kernenergie weiterzumachen.
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- Gut, dann ist er heute schon kaputt. Das bestreite ich überhaupt nicht. - Jedenfalls soll heute schon der Pflock dafür eingeschlagen werden. Wann er dann wirken wird, ist eine ganz andere Frage. Aber zunächst einmal kommt es immer auf die Intentionen an.
Eine Kohlevorrangpolitik, die den Namen wirklich verdient, müßte dem stetigen Rückzug der Kohle aus dem Markt heute schon entgegensteuern, und zwar müßte die sagen, wann in welcher Reihenfolge welche Schritte ergriffen werden sollen, damit der Anschluß für die Kohle nicht endgültig verpaßt wird.
Doch was macht unsere Regierung? Sie legt einen geradezu abenteuerlichen Plan vor, die hoch schwefelhaltige Ballastkohle aus der nationalen Kohlereserve herauszunehmen, und verkauft dies dann noch als eine umweltpolitische Großtat. Dabei führen Sie sozusagen den deutschen Wähler und übrigens auch das deutsche Parlament mehrmals hinter die Fichte; denn einmal haben Sie das in einem kleinen Bericht über die Lage der nationalen Kohlereserve versteckt, den der Bundesrechnungshof vorgelegt hat; zum anderen schleudern Sie damit schwefelhaltige Kohle in die Luft. Und zum dritten wissen Sie ganz genau, daß Ihnen später genau diese Kohle fehlen wird, um alternative Kohlepolitik machen, z. B. das Wirbelschichtverfahren anwenden zu können, wofür Sie genau diese Kohle, die sogenannte minderwertige Kohle, brauchen werden, wenn Sie nicht Kalk einstreuen wollen, um die neuen, modernen Anlagen am Laufen zu halten. - Energiepolitisch falsch, finanzpolitisch falsch, umweltpolitisch falsch, aber von Ihnen mit Verve vorgetragen, dann zurückgezogen und tiefes Schweigen im Walde, soweit der Wald denn überhaupt noch lebt.
Ihre Intention war eine ganz andere. Sie wollten angesichts der höheren Emissionen, die eintreten, wenn Sie höher schwefelhaltige Kohle verbrennen, die Entrüstung bei der Bevölkerung schüren, um uns auf diese Art und Weise klarzumachen, daß der, der für Kohlevorrang ist, auf dem falschen Dampfer sitzt. Leider hat es jemand gemerkt, und leider war es so peinlich vorbereitet, daß sogar die Kollegen der CDU/CSU im Haushaltsausschuß beschämt einen Rückzug antreten mußten und nun die Regierung endgültig zum Rückzug geblasen hat.
Warum reagieren Sie eigentlich so wenig sensibel auf das, was das Wichtigste für uns sein müßte, die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren, Ressourcen zu sparen und vor allem der einheimischen Energie eine faire Chance zu geben, sich langfristig auf dem Energiemarkt zu behaupten? Dies hat höchstwahrscheinlich etwas damit zu tun, daß Sie von Ihrer heiligen Kuh, der Marktwirtschaft, einfach nicht wegkommen.
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Deren Pflege erfordert so viel Zeit, daß Sie zum Nachdenken nicht kommen. Denn sie schreibt Ihnen vor: Investitionen, Wachstum, Gewinn, Investitionen. Diesen Circulus vitiosus glauben Sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg fortsetzen zu können. Vor der Rigorosität, mit der Sie als Lordsiegelbewahrer der ewig wachsenden Marktwirtschaft auftreten, wurde von einem der großen Vertreter der Marktwirtschaft, von einem der Anhänger der Marktwirtschaft, nämlich von Wilhelm Röpke gewarnt, der gesagt hat:
Der Westen wird seine Stellung nur behalten können, wenn die Leere der Seele auf ihre Art und Weise mit ihren Werten ausgefüllt wird, nicht aber mit elektrischen Rasierapparaten.
Wenn es denn man nur elektrische Rasierapparate wären! Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Röpke gewußt hat, daß die elektrischen Rasierapparate unserer Tage gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung durch Staub, Schwefel und Stickstoffoxide, kranke Gewässer, sterbende Wälder, Quecksilber im Fisch, Blei im Salat usw. sind.
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Diese Regierung ist in der Zwischenzeit auf den Status eines autistischen Kindes herabgesunken, das weder versteht noch begreift, das keine Motivationen hat und keine Reaktionen zeigt. Von Ihnen kommt nichts außer weißer Salbe, und diese ist, wie ich finde, für das, was sie bewirkt, auch noch zu teuer.
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Ihr Ziel ist es doch, eine einmal errechnete statistische Relation - Sie halten es nicht einmal mit Churchill, der gesagt hat: Ich glaube an Statistiken nur, wenn ich sie selber zusammengelogen habe!; Sie nehmen irgendwelche Statistiken, die Ihnen irgend jemand vorlegt - aufrechtzuerhalten. Dann glauben Sie auch noch, daß Sie das wirtschaftliche Wachstum durch einen bestimmten Energieverbrauch aufrechterhalten können. Sie müssen natürlich auf Teufel komm heraus energiepolitisch vorgehen, weil Sie j a glauben, daß das Ergebnis von Energiepolitik Wachstum ist, anstatt sich genau umgekehrt zu fragen: Wie kann man eigentlich den Energieverbrauch senken, die Umwelt schonen und dabei Arbeitsplätze schaffen?
({17})
Die Idee, daß das etwas mit vernünftigem, sparsamem Kohleeinsatz zu tun hat, die Idee, daß das etwas damit zu tun hat, Kohle umweltfreundlich einzusetzen, die Idee, daß das etwas damit zu tun hat, sich alternative Gedanken über den Steinkohle- und Braunkohleeinsatz zu machen, kommt Ihnen überhaupt nicht. Sie sind in der Tat autistische Kinder, was dies alles betrifft.
({18})
- Wenn ich je nach Alaska gefahren wäre, hätte ich nie den Wunsch gehabt, Ananas dort anzubauen. So wirklichkeitsfremd ist nur der Ministerpräsident von Bayern.
({19})
Allerdings glaube ich, daß es mir eher gelingen würde, in Alaska Ananas zu züchten, als es Ihnen gelingt, in der Energiepolitik eine vernünftige Entscheidung zu treffen.
({20})
- Ein bißchen Eitelkeit ist nicht nur der Regierung, sondern auch der Opposition gestattet.
({21})
Nun zu Ihren Äußerungen über den Parteitagsbeschluß meiner Partei zur Wiederaufbereitungsanlage. Vielleicht halten Sie einmal für einen Moment die Luft an, stellen den Kopf an und denken einmal darüber nach. Es ist doch Unsinn, zu behaupten, diese Entscheidung wäre der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Es ist vielmehr das Unterbrechen einer Seilschaft, die sehr sorgfältig von Albrecht, Breuel und Späth eingeleitet wurde und die bei Ihnen in die Kernenergie-Zukunft hineingeht: Heraus aus der Kohle! Was haben wir denn gesagt? Wir haben nichts anderes getan, als uns an den Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft zu halten - man sollte ja immer glauben, daß diese Leute besonders schlau sind, weil sie ja Ihrer Partei angehören -, und der hat gesagt: Aus ökonomischen Gründen ist das Unsinn! - Wenn in der CDU jemand etwas Vernünftiges sagt, halte ich mich sofort daran und gehe diesem Argument einmal nach. - Er hat es dann auch vorgerechnet.
({22})
- Wenn Sie ihn dazu für nicht geeignet halten, dürfen Sie ihn nicht zum wirtschaftspolitischen Sprecher machen.
({23})
Er hat gesagt, die Kilowattstunde würde sich um genau 1,4 Pf verteuern, wenn wir eine Wiederaufbereitungsanlage einsetzten. Die Gesamtsumme von ca. 6 bis 7 Milliarden DM reicht in der Tat aus, um fast alle Altanlagen umwelttechnisch so zu sanieren, daß wir sie noch für eine mehr oder weniger lange Übergangszeit laufen lassen könnten, bis wir zu anderen, kleineren, dezentralen, modernen Einheiten kämen.
Herr Stratmann, ich kann Ihnen wirklich nicht mehr folgen, warum Sie diesen Zwischenschritt nicht mit uns mitmachen wollen.
({24})
Meine Fraktion hat sich entschieden, die Logik anzuerkennen, daß Sie, wenn Sie Plutonium nicht für einen Schnellen Brüter und auch nicht für militärische Zwecke haben wollen, keine Wiederaufbereitungsanlage brauchen. Sie ist aus energiepolitischen, umweltpolitischen, ökonomischen und, wenn Sie so wollen, auch aus militärischen Gründen abzulehnen. Wir haben den Weiterbau des Schnellen Brüters abgelehnt. Wir brauchen deshalb auch die Wiederaufbereitungsanlage nicht. Sie allerdings brauchen sie. Sie brauchen sie auf Grund Ihres Energiekonzeptes. Wir brauchen sie nicht mehr, denn wir wollen die Kohle nicht aus dem Markt verdrängen.
({25})
- Ich habe leider nicht mehr viel Redezeit. Es tut mir leid!
Im übrigen ist Ihre Argumentation für uns auch nicht ganz logisch. Leichtwasserreaktorbrennstoffe können Sie maximal drei- bis viermal aufarbeiten, aber selbst dann kommen Sie doch nicht um die Frage herum, wie Sie eine sichere direkte Endlagerung schaffen wollen. Das ist Ihnen nämlich piepwurschtegal. Sie wollen die Zwischenstufen sehr wohl haben, aber um die Endlagerung kümmern Sie sich so wenig, als wenn in China ein Sack Reis platzt. Das ist etwas, was ich Ihnen übelnehme.
Unser Nein zur Wiederaufbereitungsanlage ist ein Ja zur schnellen sicheren Endlagerung, und es ist gleichzeitig ein Ja zur Kohlevorrangpolitik.
({26})
Ich darf zum Schluß in Abwandlung des Satzes „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch", der der deutschen Seele so entspricht, sagen: Mit dem Wald stirbt die Kohle. Mit Ihrer Hilfe stirbt der Wald, weil Sie Umweltschutz nicht wollen und weil Sie die Kohle sterben lassen wollen.
Ich danke Ihnen.
({27})
Ich kann nur hoffen, daß die Stenographen alles mitschreiben konnten, denn Sie waren sehr schnell.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bugl.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Verlaufe dieser Debatte wurde wiederholt die Energiepolitik Baden-Württembergs angesprochen.
({0})
- Herr Stratmann, wenn Sie noch einen kleinen Moment zuhören würden. Ich will nur etwas klarstellen. - Das Badenwerk hat seit einigen Jahren eine Bezugsleistung aus französischen Kernkraftwerken, und zwar aus Fessenheim 300 MW und aus Cattenom 150 MW. Alles andere, was Sie hier zum Strombezug aus französischen Kernkraftwerken gesagt haben, entspricht nicht der Wahrheit; es ist falsch.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Nein, ich habe nur ganz wenig Zeit.
Dann lassen Sie mich noch etwas ganz generell sagen. Baden-Württemberg hat in der Vergangenheit seinen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung durch Steinkohle geleistet, und Baden-Württemberg wird das auch in der Zukunft tun. Nur, Herr Wolfram, Nordrhein-Westfalen kann einfach nicht von uns verlangen, daß wir jetzt auch noch für die energiepolitischen Fehler Ihrer Landesregierung bezahlen.
({0})
Ich möchte mich in Anbetracht der wenigen Minuten, die ich zur Verfügung habe, mit dem Absatz Kernenergie, Herr Roth, Ihres Antrages auseinandersetzen. Wissen Sie, Herr Roth, es ist schon eigenartig: Während im Anschluß an den SPD-Parteitag 1977 ein Delegierter zu den dort gefaßten Beschlüssen zur Kernenergie noch sagen konnte: Mit Schmidt und Eppler für und gegen die Kernenergie, läßt der Parteitagsbeschluß von 1984 und der sofortige Vollzug durch Ihre Fraktion an Klarheit nichts zu wünschen übrig.
({1})
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Mit diesem vorgelegten Antrag hat die SPD-Bundestagsfraktion den Ausstieg aus der Kernenergie getätigt.
({2})
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, sind Sie sich denn überhaupt bewußt, was dieser Antrag, den Sie ja alle mit unterschrieben haben, für unsere Wirtschaft und für unsere Arbeitsplätze bedeutet?
({3})
Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet den Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der modernen Industriegesellschaft. Glauben Sie denn allen Ernstes, daß die deutsche Industrie, wenn sie im eigenen Land keine Kernkraftwerke mehr bauen darf, solche Anlagen, auch wenn sie technisch noch so perfekt sind, exportieren kann? Glauben Sie denn, daß dieser Beschluß einem grollen deutschen Unternehmen, das derzeit mit Hilfe der Bundesregierung versucht, gegen große internationale Konkurrenz ein Kernkraftwerk in die Türkei zu verkaufen, um Arbeitsplätze zu sichern, hilft? Glauben Sie, daß dieser Antrag ein Beitrag zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist? Wissen Sie denn nicht, daß heute die Preise auf dem deutschen Strommarkt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industrieerzeugnisse im In- und Ausland nachhaltig schmälern? Wissen Sie denn nicht, daß der Einsatz von Kernenergie in der Grundlast auch künftig einen Kostenvorsprung gegenüber heimischer Steinkohle hat? Und wissen Sie nicht, daß die Kernenergie auch ökologische Vorteile hat?
Frau Kollegin Simonis, es ist eine Tatsache, daß das Bayernwerk infolge des Kernenergieausbaus und der dadurch möglich gewordenen Stillegung älterer, fossil befeuerter Kraftwerksblöcke die Schwefeldioxydemission in sieben Jahren um 80 Vo reduzieren konnte. Keine Frage: Die Nutzung der Kernenergie ist und bleibt für uns eine tragende Säule unseres energiepolitischen Programms. Und daran, Herr Stratmann, ändert auch der Artikel in der „Wirtschaftswoche" nichts. Für uns gibt es weder eine absolute Kohlevorrangpolitik noch eine absolute Kernenergievorrangpolitik. Wir lassen uns einfach keine Diskussion über „Kohle oder Kernenergie" aufdrängen. Unsere Politik ist: "Kohle und Kernenergie".
({4})
Meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem Antrag fordern Sie, daß die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in der Bundesrepublik nicht weiter verfolgt werden soll. Sie sollten doch eigentlich wissen, daß die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente nach dem Atomgesetz geboten ist, einem Gesetz, das gerade diese Bestimmungen 1976 eingeführt hat. Damals waren doch Sie in der Regierungsverantwortung. Heute soll und darf das alles offenbar nicht mehr wahr sein.
Aber nicht nur Rechtsgründe sprechen für die Wiederaufarbeitung. Schon 1979 haben der damalige Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder und Stadtstaaten festgestellt, daß die Wiederaufarbeitung der bestrahlten Brennelemente mit Rückführung der unverbrauchen Kernbrennstoffe und Endlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik sicherheitstechnisch realisierbar ist und die notwendige Entsorgung der Kernkraftwerke unter den Gesichtspunkten der Ökologie wie auch der Wirtschaftlichkeit gewährleistet ist.
Noch etwas. Die Untersuchung der direkten Endlagerung abgebrannter Brennelemente verläuft planmäßig. Frau Simonis, der Länderausschuß für Atomkernenergie hat hierzu am 3. April 1984, also vor wenigen Wochen, einstimmig - bei Stimmenthaltung von Bremen - auf Grund einer vorläufigen Bewertung der anderen Entsorgungstechniken im Vergleich zur Wiederaufarbeitung festgestellt, daß zum Nachweis der Entsorgungsvorsorge für abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren aus heutiger rechtlicher und technischer Sicht andere Entsorgungstechniken nicht in Betracht kommen
({5})
und daß deshalb die zügige Verwirklichung einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage weiterhin geboten ist. Daneben sollen andere Entsorgungstechniken auch für Leichtwasserreaktorbrennelemente weiter entwickelt werden. Aber erst wenn solche Techniken einsatzbereit sind, kann entschieden werden, ob sie längerfristig einen Entsorgungsanteil übernehmen sollen.
Meine Damen und Herren von der SPD, erzählen Sie mir bitte nicht, Sie seien zu Erkenntnissen gekommen, auf Grund deren Sie unser bewährtes Entsorgungskonzept nicht mehr mittragen können. Sie sind ganz einfach nicht mehr bereit, eine verantwortungsvolle Energiepolitik weiter mitzutragen. Sie wollen wieder einmal die Belastbarkeit unserer Wirtschaft erproben - und das bei mehr als 2 Millionen Arbeitslosen, die Sie uns beschert haben.
({6})
Zum Antrag der GRÜNEN ist heute so viel gesagt worden, daß ich mich darauf beschränken kann, zu sagen, daß wir diesen Antrag ablehnen.
Den Antrag der SPD wollen wir an die zuständigen Ausschüsse überweisen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit wirklich nur noch für ganz wenige Bemerkungen in Anspruch nehmen. Zunächst möchte ich in Ergänzung dessen, was Kollege Bugl gerade gesagt hat, ganz offiziell beantragen, den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/1476 bezüglich der Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung an die Ausschüsse zu überweisen. Ich beantrage auch namens meiner Fraktion, den Antrag 10/1501 der GRÜNEN abzulehnen.
Frau Kollegin Simonis, Sie haben in Ihrer Rede einfach gesagt, wir kümmerten uns nicht um den Umweltschutz. Uns ginge es bei dieser Energiepolitik überhaupt nicht um Umweltschutzprobleme. Ich darf Ihnen sagen, daß unsere Politik auf eine Ver5164
Müller ({0})
söhnung des Ökonomischen mit dem Ökologischen hinausläuft. Es ist unser Ziel, einen hohen Stand der materiellen Versorgung mit einer größtmöglichen Schonung der Umwelt zu verbinden. Nicht der Zielkonflikt zwischen Energie und Umwelt sollte Gegenstand der Debatte sein, sondern die Zielkomplementarität.
Es gibt Reibungspunkte. Sie sind in der Debatte hier oft angesprochen worden, auch in den Bemerkungen des Herrn Wirtschaftsministers. Nur: Die Aussagen der Bundesregierung - insbesondere die Antwort auf die Anfrage der GRÜNEN - sind ein derartiges Bekenntnis zu unserer bewährten Kohlepolitik mit so hohem Selbstbindungszweck, daß wir diese Aussagen begrüßen.
Die Debatte hat auch gezeigt, daß die Position der Steinkohle gesichert ist. Die entstehenden Kosten müssen von allen Beteiligten quasi als Versicherungsprämie für eventuelle Versorgungsrisiken übernommen werden. Eine Alternative „Kohle oder Wald" gibt es nicht. Wir sind uns doch offensichtlich darin einig, daß die Verursacher der neuartigen Waldschäden noch nicht eindeutig erforscht sind. Die Wissenschaft sagt, man könne die neuen Waldschäden nicht monokausal erklären. Es gebe eine Reihe von Ursachen, die hier zusammenkommen.
Die Quantifizierung der einzelnen Ursachen ist schwierig. Je mehr man diese Problematik untersucht, desto kurioser werden die Ergebnisse, zu denen man kommt.
Meine Damen und Herren, ich bin einmal der Frage nachgegangen, warum in meiner saarländischen Heimat die Wälder „nur" zu 10 % geschädigt sind - das Saarland ist immerhin ein Industriegebiet -, während anderswo 30 % und mehr Schäden festzustellen sind. Einer unverdächtigen Quelle, nämlich einer Mitteilung der saarländischen Forstverwaltung, ist zu entnehmen, daß die Tatsache, daß von 1880 bis 1972, also über 90 Jahre, in der saarländischen Stahlindustrie das lothringische Eisenerz „Minette" eingesetzt wurde, ein Erz mit phosphorischer und kalkhaltiger Zusammensetzung, das in nicht entstaubten Thomaskonvertern verhüttet wurde, zu kalkhaltigen Staubemissionen führte, die eindeutig die Pufferkapazität des Bodens erhöht haben.
Diese jährlichen sozusagen homöopathischen Gaben von kalkhaltigem Staub sind daher positiver zu bewerten als beispielsweise hohe einmalige Gaben von künstlichem Kalk.
Ich sage das nicht, um die schädliche Wirkung auf die Blätter und Nadeln herunterzuspielen, aber die Stabilisierung des Bodens war unverkennbar.
Dieses Beispiel gibt Anlaß, ganz allgemein eine wesentlich kritischere Prüfung der behaupteten Wirkungszusammenhänge zu fordern.
Es gibt dann einige, die sagen, das marktwirtschaftliche System sei selbst der Umweltverschmutzer. Ein Vergleich mit Ländern in der Dritten Welt oder mit sozialistischen Wirtschaftssystemen zeigt doch, wo der Raubbau an der Natur vergleichsweise krasse Formen angenommen hat. Unsere Soziale
Marktwirtschaft ist für Umweltverschmutzung eher weniger anfällig als andere Systeme. Wir wissen, daß die Umwelt inzwischen kein kostenloser Produktionsfaktor mehr ist.
Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die diese Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, ist ein eindrucksvolles Beispiel für politisches Handeln. In einer ganzen Reihe von Einzelfällen sind zügige Verbesserungen eingetreten.
Wir werden die Diskussion über Bestandsschutz, die Einführung der Verhältnismäßigkeit, die Anlehnung an die Prinzipien des Wasserrechts zu führen haben, um nur einiges zu nennen. Nur, meine verehrten Damen und Herren, eine staatliche Genehmigung ohne einen gewissen Bestandsschutz ist doch wohl ein Unding. Eine industrielle Investition
- gleichgültig, ob im Energiebereich oder sonstwo
- verbietet sich doch von selbst, wenn der Betreiber davon ausgehen muß, daß ihm später der Betrieb der Anlage durch zusätzliche behördliche Auflagen wirtschaftlich unmöglich gemacht wird.
Die Kohlevorrangpolitik der Bundesregierung bedingt beträchtliche Investitionen. Wenn wir der Kernenergie den Versorgungsbeitrag zuweisen, den wir heute diskutieren. dann wissen wir auch - wir erkennen das -, daß der Kraftwerkspark der Kernenergie ausgesprochen jung ist. Dagegen wachsen die Steinkohlekraftwerke mit ihrem Investitionszyklus der 60er Jahre in die Überalterung. Mit Beginn der 90er Jahre muß eine hinreichende Ersatzgestaltung erfolgen. Dazu macht die Antwort der Bundesregierung auch eine klare Aussage.
Die Diskussion, die wir führen, darf keinen Investitionsattentismus auslösen. Ich will beispielsweise etwas zum Stand der Technik bei den Verfahren nach der Großfeuerungsanlagen-Verordnung sagen. Abgesehen davon, daß sich die Techniker trefflich über die Frage streiten, was denn Stand der Technik ist - Ingenieure sagen immer: sofern genügend Zeit und Geld zur Verfügung steht, kann die Technik alles realisieren, was nicht den Gesetzen, der Physik oder der Chemie widerspricht, wenn der jeweils neueste Stand als Maßstab herangezogen wird -, ist damit aber andererseits ein hohes Maß an Unsicherheit verbunden, ob nicht nach einer Investitionsentscheidung ein besseres Verfahren entwickelt wird, das dann einen Umrüstungsbedarf auslöst. Bei Investitionsobjekten mit einer Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren kann das bei den hier in Rede stehenden Beträgen zu einem Investitionsattentismus führen, der politisch nicht gewollt sein kann.
Bei Investitionsentscheidungen mit derart hohem Kapitalbedarf und derart langer Bindungsdauer wie bei Kraftwerken muß eine möglichst hohe Verläßlichkeit der Planungsprämissen gegeben sein. Es wird zwar immer unvorhergesehene Abweichungen geben. Aber wenn bereits in der Planungsphase erhebliche Unsicherheiten bestehen und es dadurch zu sprunghaften Veränderungen kommt, so muß das dazu führen, daß Investitionen hinausgeschoben oder überhaupt gar nicht mehr getätigt werden.
Müller ({1})
Die bereits bestehende Verunsicherung hat im Zusammenhang mit dem Basiseffekt des zwischen 1980 und 1982 stagnierenden Stromverbrauchs dazu geführt, daß praktisch neue Planungen für Steinkohlekapazitäten nicht mehr durchgeführt wurden. Das könnte zu Beginn der 90er Jahre möglicherweise zu einer Kapazitätslücke in der Verstromung führen. Das ist natürlich kein Problem der Verstromung im einzelnen, sondern ein Problem des Großanlagenbaus allgemein. Das ist mehr oder weniger stark zu beobachten.
Ich möchte eine letzte Bemerkung zur europäischen Komponente dieses Problems machen. Die EG-Kommission hat zwar inzwischen ein Instrumentarium für die Energiepolitik entwickelt, das recht gut funktioniert. Aber wenn wir eine Vorreiterrolle in der EG spielen wollen, dann können wir sie nur übernehmen, wenn einerseits die begründete Aussicht besteht, daß die initiierten Vorgaben zügig den allgemeinen Standardwerten entsprechend verwirklicht werden, oder andererseits die wirtschaftlichen Nachteile verkraftbar sind bzw. abgefangen werden können.
Ich will an einem Beispiel erläutern, wie das in meiner saarländischen Heimat aussieht.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.
Sofort.
Aber Beispiele sind immer lang.
Wenn wir beispielsweise in Völklingen unter 400 Milligramm SO2 haben und nur wenige Kilometer weiter nach wie vor 2 500 Milligramm und überhaupt nicht zu erkennen ist, wann die französische Elektrizitätswirtschaft hier etwas ändert, entsteht ein Konkurrenzunterschied zu unseren Lasten, den wir so nicht hinnehmen können.
Meine Damen und Herren, kein Zielkonflikt, sondern eine Zielkomplementarität in der Energie und in der Umwelt ist das Gebot der Stunde.
Danke schön.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zurück zum Tagesordnungspunkt 23. Es liegt ein Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1166 vor. Vorgeschlagen wird, den Antrag zu überweisen an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß - jeweils mitberatend -. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 24. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/1066 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Punkt 25 der Tagesordnung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf der Drucksache 10/1070 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen jetzt zu Punkt 26 der Tagesordnung. Dazu liegt auf Drucksache 10/1501 ein Entschließungsantrag der GRÜNEN vor. Das Wort zur Begründung wünscht der Herr Abgeordnete Stratmann.
Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN stellen den Antrag:
Der Bundestag möge beschließen:
Der Deutsche Bundestag spricht sich gegen den Ausbau der Atomenergie aus. Neben schwerwiegenden sicherheitstechnischen, umweltpolitischen und volkswirtschaftlichen Argumenten spricht auch die zunehmende Verdrängung einheimischer Steinkohle durch Atomenergie gegen den Bau und die Inbetriebnahme von Atomkraftwerken. Die Notwendigkeit der sofortigen Stillegung von Atomkraftwerken aus den eben genannten Gründen bleibt davon unberührt.
Der Deutsche Bundestag spricht sich für ein gesetzliches Verbot des Imports von Atomstrom aus.
Der Deutsche Bundestag verurteilt die geplante Aktienverschiebung bei der Ruhrkohle AG zugunsten der VEBA und sieht darin einen Versuch des im Konzernverband größten Atomkraftwerksbesitzers der BRD, die Position der Steinkohle zugunsten der Atomenergie weiter zu untergraben.
Nachdem die Koalitionsfraktionen schon eindeutig ihr Nein zu unserem Antrag erklärt haben - wie nicht anders zu erwarten -, fordere ich insbesondere die Genossinnen und Genossen der sozialdemokratischen Fraktion auf, unserem Antrag zuzustimmen. Sie haben einen eigenen Antrag vorgelegt - Sicherung einer umweltfreundlichen Energieversorgung -, wo Sie unter anderem von der Sorge um die einheimische Steinkohle umhergetrieben sind. Genau das ist Gegenstand unseres Antrags.
Sie haben sich in Ihrem Antrag gegen den Bau der WAA erklärt und damit strategisch auch gegen den Weiterbau und die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters und der Nachfolgeprojekte. Sie haben erklärt - Herr Wolfram, wenn auch gegen Ihren Willen -, daß Sie die Atomtechnologie nur noch als Übergangstechnologie betrachten. Sie haben ebenfalls erklärt, daß Sie in den Bestrebungen und in der politischen Praxis eines Lothar Späth und einer Birgit Breuel eine Gefährdung des Jahrhundertvertrags sehen und daß Sie den Jahrhundertvertrag
durch den Ausbau der Atomenergie wie wir gefährdet sehen.
({0})
Wir fordern Sie daher auf, Ihrer eigenen Argumentation gegenüber konsequent zu sein und dafür zu sorgen, daß nicht im Übergang der nächsten fünf bis sechs Jahre, wo weitere 10 000 Megawatt Atomstrom ans Netz gehen, die heimische Steinkohle kaputtgemacht wird. Machen Sie ernst mit Ihren eigenen Befürchtungen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben! Machen Sie ernst mit Ihrem Eintreten für die heimische Steinkohle und für die Arbeitsplätze der Bergleute im Ruhrgebiet und im Saarland! Machen Sie ernst mit Ihrer Umweltrhetorik, daß Sie Energiepolitik und Umweltpolitik - wie auch wir - zusammenführen wollen!
Stimmen Sie deswegen unserem Antrag zu, der vorsieht, die Gelder, die sonst in den weiteren Ausbau der Atomenergie fließen, sowohl zum Schutze der Wälder und Gewässer als auch zur Sicherung heimischer Arbeitsplätze einzusetzen!
Danke.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich das eben hörte, dachte ich, der Kollege Stratmann sieht doch in die Zukunft. Mit der Anrede „Genosse" plant er offensichtlich die Zukunft und nimmt sie schon ein wenig vorweg.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vosen?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Minister, kennen Sie die Genossenschaft der Franziskanerinnen von Salzkotten? Das sind katholische Ordensschwestern. Die nennen sich auch Genossen. Sehen Sie etwas Schlechtes in diesem Wort?
Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminsiter für Wirtschaft: Ich habe überhaupt nicht von „schlecht" gesprochen. Ich habe nur von Vorwegnahme der Zukunft gesprochen. Ich kann mir kaum vorstellen, daß der Kollege Stratmann die Franziskaner im Sinne hatte, als er von „Genossen" sprach.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hürland?
Aber bitte sehr.
Herr Minister, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Franziskaner nicht Genossen, sondern Brüder sind?
Ich lasse mich gern belehren, Frau Kollegin.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Ja.
Herr Minister, darf ich davon ausgehen, daß Sie Gesellschafter einer Volksbank sind? Wenn ja, wären Sie ein anständiger Genosse.
Ich bedanke mich für den Hinweis darauf, daß es anständige und unanständige Genossen zu geben scheint.
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Herr Bundesminister, Herr Abgeordneter Stratmann würde auch noch gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Bitte, Herr Stratmann.
Herr Lambsdorff, Sie sagten, daß ich mit meiner Anrede an die sozialdemokratische Fraktion die Zukunft vorweggenommen hätte, und damit meinen Sie wahrscheinlich die Landtagswahl Nordrhein-Westfalen und die Zukunft ab 1985. Darf ich Sie so verstehen, daß Sie mit der Andeutung einer möglichen Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN nach 1985 in Nordrhein-Westfalen davon ausgehen, daß die CDU in Nordrhein-Westfalen 1985 in der Minderheit und Sie weiterhin in der außerparlamentarischen Opposition sind?
Ich hatte viel weiter gedacht als 1985;
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aber es kann durchaus sein, daß Ihr kurzer Zeithorizont bei den Kollegen, die auf der anderen Seite von Ihnen Platz genommen haben, auch noch Interesse findet. Lassen Sie uns darüber im März und im April 1985 weiter sprechen.
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Ich habe eigentlich nur noch einmal um das Wort gebeten, um meiner tiefen Enttäuschung darüber Ausdruck zu geben, daß ich in den Ausführungen der Frau Kollegin Simonis weder im ZusammenBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
hang mit dem Wollschwein, noch der Milchkuh, noch Papua-Neuguinea vorgekommen bin. Das löst bei mir, Frau Simonis, Entzugserscheinungen aus. Ich bitte sehr darum, daß ich in Ihrer nächsten Schnellfeuerrede wieder berücksichtigt werde.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Debatte jetzt auch zu diesem Punkt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 26, zum Entschließungsantrag der GRÜNEN. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0})
Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 2 Stimmen dafür und 2 Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt.
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Wir stimmen jetzt über den Zusatzpunkt 8 ab. Dazu liegt ein Antrag der SPD vor. Hier wird Überweisung - federführend - an den Ausschuß für Wirtschaft, mitberatend an den Innenausschuß, an den Ausschuß für Forschung und Technologie und an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden?
({2}) - Bitte schön, Herr Vosen.
Ich möchte bitten, daß darüber abgestimmt wird.
Nein, Herr Kollege, es ist hier angemeldet, dies zu überweisen. Nach dem Antrag muß das überwiesen werden, und es kann hier nicht abgestimmt werden. Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich habe die große Freude, Ihnen mitzuteilen, daß wir am Ende unserer Beratungen angekommen sind.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Juni 1984, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.