Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen! Meine Herren! Gestern hatte der Abgeordnete Franke ({0}) seinen 71. Geburtstag. Ich wünsche ihm von Herzen alle Gute.
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Der bisherige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unser Kollege Heinrich Franke, hat am 9. April 1984 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger hat am 9. April 1984 der Abgeordnete von Hammerstein die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße ihn herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Arbeit und gute Kollegialität hier im Hause.
({2})
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden um folgende Zusatzpunkte: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes - Drucksache 10/1255 -, erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes - Drucksache 10/1286 -, Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN - Lage in Afghanistan - Drucksache 10/1277 -.
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Punkt 10 der Tagesordnung - Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1983 - soll abgesetzt werden. - Ich sehe, es gibt keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({3}), Roth, Frau Renger, Frau Blunck, Frau Dr. Czempiel, Frau Fuchs ({4}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Frau Odendahl, Frau Schmedt ({5}), Frau Schmidt ({6}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer,
Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Bachmaier, Catenhusen, Dr. Diederich ({7}), Dreßler, Egert, Glombig, Ibrügger, Immer ({8}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Dr. Mitzscherling, Peter ({9}), Rohde ({10}), Dr. Soell, Stiegler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Frauenarbeitslosigkeit
- Drucksachen 10/561, 10/871, 10/982 -
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Blunck, Bachmaier, Catenhusen, Frau Dr. Czempiel, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Diederich ({11}), Egert, Frau Fuchs ({12}), Frau Fuchs ({13}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer ({14}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({15}), Frau Odendahl, Peter ({16}), Frau Renger, Frau Schmidt ({17}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz
- Drucksache 10/156 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({18}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Drucksache 10/955 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({19})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Präsident Dr. Barzel
Zu Tagesordnungspunkt 2 a liegen Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1236 und ein weiterer Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Fuchs ({20}), Roth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1283 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Aussprache der Tagesordnungspunkte 2 a bis c mit einer Dauer von vier Stunden vorgesehen. Zur Struktur der Debatte ist verabredet, es mit 10-Minuten-Beiträgen sein Bewenden haben zu lassen.
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Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen, meine Herren, wird das Wort zur Begründung einer der Vorlagen gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Als erstem Redner in der Aussprache erteile ich der Frau Abgeordneten Renger das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes in Art. 3 Abs. 2 der Verfassung - „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" - hatten wir alle den großen Optimismus, daß damit die Frauenfrage nicht mehr zur Debatte stehen würde. Schon gar nicht habe ich damals gedacht, daß diese Frage nach mehr als einem Vierteljahrhundert neu gestellt werden muß.
Damals im Parlamentarischen Rat, so berichtet Elisabeth Selbert, die heute 88jährige Initiatorin dieses Verfassungsgebots, habe sie „die revolutionäre Haltung der Frauen noch einmal wie in der Weimarer Zeit" erlebt.
1947/48 war es der Aufbruch meiner Generation, die dem Nationalsozialismus widerstanden oder ihn überwunden hatte, die aus der Entwertung aller Werte den Schluß zog, in Politik und Gesellschaft nicht mehr beiseite stehen zu wollen oder zu können. Es waren viele Frauen, die im Krieg die Aufgaben der Männer übernommen hatten, einen Beruf ausübten und nun oft als Witwen tatkräftig am Wiederaufbau der zerstörten Städte, Wohnungen und Fabriken mitarbeiteten. Das Bild der Berliner Trümmerfrauen ist uns Älteren noch vor Augen. Es waren aber auch sehr viele Frauen, die einem Erwerb aus nackter Not nachgehen mußten, die weder eine qualifizierte Schulbildung noch eine qualifizierte Ausbildung hatten. Ob sie wollten oder nicht: sie mußten Erwerb und Kindererziehung zusammen verkraften. Ihre Entlohnung war dementsprechend niedrig. Diesen Frauen, Herr Bundeskanzler, sind wir etwas schuldig.
({0})
Wir können die Uhren nicht mehr zurückdrehen. Aber wir können diesen Frauen zu den oftmals außerordentlich niedrigen Renten in einer Zeit, wo der Finanzminister in Aussicht stellt, in der Vermögensteuer oder bei Hochverdienenden steuerliche Erleichterungen zu verschaffen, in ihrer Rente wenigstens das Kindererziehungsjahr zuzurechnen.
({1})
Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes beinhaltet nach der Intention der Verfasserin selbstverständlich, daß die Frau auf allen Lebens- und Rechtsgebieten gleichberechtigt sein sollte. Bis 1957 gab es hinhaltenden Widerstand der damaligen konservativen Regierungsmehrheit. Die berufstätige Frau blieb nach wie vor diskriminiert, sowohl in Bezahlung als auch in den Aufstiegschancen. Die Gleichberechtigung fand nicht statt.
Hier war es wieder eine sozialdemokratische Abgeordnete, Frieda Nadig, die forderte: Der Art. 3 verbietet es, Mann und Frau wegen des Geschlechts verschieden zu behandeln; tariflich müssen Mann und Frau bei gleicher Arbeit und gleicher Leistung gleichen Lohn erhalten; dieser Rechtssatz muß in die Praxis umgesetzt werden. Meine Damen und Herren, dies ist bis heute trotz EWG-Anpassungsgesetz nicht voll erfüllt.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will nicht geringschätzen, was wir in den letzten anderthalb Jahrzehnten an positiven Veränderungen der gesellschaftlichen Rolle der Frau erreicht haben. Die sozialliberale Koalition hat seit 1969 auf vielen Gebieten dem Gleichberechtigungsgebot entsprochen: mit der Familienrechtsreform, in der Regelung der elterlichen Sorge für die Kinder, dem ehelichen Güterstand, der Ehescheidung, im Versorgungs- und Unterhaltsrecht. Sie hat nach einer jahrelangen, die Auffassung anderer respektierenden, in die Tiefe gehenden Diskussion den § 218 reformiert, wie er vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde. Ich bitte ganz dringend, die im Bundestag verabschiedete Indikationenregelung nicht erneut zur Diskussion zu stellen,
({3})
weder hier im Hause noch draußen. Ich bin den Kolleginnen aus der CDU besonders dankbar, die sich der Brisanz dieser Frage bewußt sind und sicher auch in der Lage sein werden, andere davon abzubringen, dieses Thema erneut zu problematisieren.
({4})
Es entspricht einem gewandelten Verständnis der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, daß sie nicht mehr nur Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe sind, sondern dem einzelnen durchaus einen Anspruch auf Persönlichkeitsentwicklung geben. Alles dies, was im Grundsatz stimmt, darf nicht in Zeiten der Krise außer Kraft gesetzt werden.
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Konnten wir in der Aufbauzeit gar nicht genug Frauen für Beruf und Erwerbstätigkeit gewinnen - ja, darüber hinaus hatten wir sogar viereinhalb Millionen ausländische Arbeitnehmer -, haben wir gar nicht oft genug gehört, daß Ehe und Beruf in
Einklang gebracht werden müsse, daß die partnerschaftliche Ehe unserer modernen Gesellschaft entspreche, daß die Frau eine neue, ihre eigentliche Identität finden müsse, so müssen wir heute feststellen: Die Frau ist von den sozialen Veränderungen in der Industriegesellschaft besonders betroffen und in ihrer Individualität gefährdet.
({6})
Trotz aller Emanzipationsbewegung, die viel zu einem neuen Bewußtsein der Frauen beigetragen hat, ist eine patriarchalische Hülse geblieben, die den Frauen eigene Berufstätigkeit erschwert oder in schwierigen Zeiten sogar verwehren will. Eine sogenannte „neue Mütterlichkeit" will sie zurück in die „sanfte Gewalt der Familie" bringen. Schon längst ist nicht mehr von Chancengleichheit und davon die Rede, daß Beruf und Familie in Einklang zu bringen sind,
({7})
und vom gleichen Anspruch der Frau auf Bildung und Arbeit. Ich brauche auf die Einzelheiten - BAföG usw. - nicht einzugehen.
({8})
- Das machen andere. - Ein konservatives Frauenbild konkurriert mit der gleichberechtigten Partnerin in der Ehe wie im öffentlichen Leben. Hierzu dient offensichtlich auch die Methode, Hausfrauen und Berufstätige gegeneinander auszuspielen,
({9})
wozu auch das böse gemeinte Wort vom Doppelverdienertum die Runde macht.
({10})
Für viele ist das Doppelverdienen eine Notwendigkeit für die Existenz der Familie.
({11})
Ich möchte hoffen, daß die Frauen auf einen solchen Trick nicht hereinfallen.
({12})
Jedenfalls kann man auf diese Weise die Arbeitslosigkeit von mehr als 900 000 Frauen nicht beseitigen. - Ich hörte eben: „Diese Töne". Ich glaube, diese Töne, die ich hier bringe, sollte man sich gut anhören.
({13})
Die Arbeitslosigkeit von 900 000 Frauen kann man übrigens auch nicht dadurch beseitigen, daß man jetzt geradezu in Umkehr des Familienbildes den jungen Frauen einreden möchte, es sei unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung geradezu ein Erfordernis, Frauen als Soldatinnen in die Bundeswehr aufzunehmen. Das hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun, sondern lediglich damit, daß man sich nicht vorstellen kann, geburtenschwache männliche Jahrgänge anders als durch eine vorgegebene Sollstärke auszugleichen. Frauen können viele Dienste in der Bundeswehr wie in jedem anderen öffentlichen Dienst übernehmen. Dazu brauchen sie weder eine Uniform noch Rangabzeichen.
({14})
Ich möchte auf eine allgemeine Bemerkung zurückkommen. Frauen sind mehr einseitig auf eine spezielle Rolle fixiert. Sie nehmen mehrere Funktionen wahr, nacheinander oder gleichzeitig. Die Gesetzgebung hat diesem Lebensablauf sehr differenziert Rechnung getragen, sowohl durch Sicherungs- wie auch durch Schutzbestimmungen.
Die konservativ-liberale Regierung hat in zahllosen Ankündigungen Leistungen für Frauen und Familien angekündigt. Zur Zeit sehe ich allerdings nur, daß in das entscheidend von den Sozialdemokraten geknüpfte soziale Netz,
({15})
das auch in der Zeit der hohen Arbeitslosenzahlen den betroffenen Menschen das Leben noch erträglich macht und einen inneren Frieden wahrt, tief eingeschnitten wird.
({16})
So kann man Frauen nicht vom Arbeitsplatz wegloben und dabei auch noch Leistungen kürzen. So lassen sich Hausfrauen, die aus früherer Erwerbstätigkeit einen Anspruch auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente hatten, die sie seit Anfang des Jahres in den meisten Fällen praktisch verloren haben, nicht mit vagen Versprechungen abspeisen.
({17})
Es ist schwer erträglich, wenn die jetzige Bundesregierung die Hinterbliebenenversorgung dahin neu regelt, daß jene Frauen, die langjährig erwerbstätig waren, mit Einbußen bei der zu erwartenden Altersversorgung rechnen müssen oder daß man bei Behinderten Abstriche macht. So wie bis heute im Durchschnitt Löhne und Gehälter für Frauen um ein Drittel niedriger als die der Männer sind, sind entsprechend später auch die Renten. Daran müssen wir denken.
({18})
Es gibt landauf, landab Klagen darüber, daß in den Parlamenten und Kommunen viel zu wenige Frauen vertreten sind. Die Unterrepräsentanz der Frauen im Parlament spiegelt die Unterrepräsentanz der Frauen auf anderen Gebieten des sozialen Lebens wider. Hier gibt es Sünden bei allen Parteien.
({19})
Der von dieser Bundesregierung eingeleitete Rückschritt auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Verhältnisse wird diesen zu beklagenden Zustand noch vergrößern.
({20})
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie werden darauf hinweisen, daß Sie einen hohen Frauenanteil haben. Obwohl die Hintergründe dieses Wechsels an der Spitze sicher in innerparteilichen Verhältnissen liegen, wünsche ich Ihnen dennoch viel Erfolg, damit hier nicht nachher gesagt wird: Die Frauen können es nicht. Die Frauen sind eben nicht dümmer als die Männer.
({21})
In der sozialliberalen Regierungszeit ist es uns gelungen, aus Untertanen selbstbewußte Bürger zu machen. Erst solidarische, partnerschaftliche Verhältnisse in der Gesellschaft und die Chancengleichheit der Staatsbürger bewirken auch die Teilnahme an dieser Gesellschaft. Ich meine, mit dieser Grundeinstellung sollten wir in diese Debatte gehen, meine Damen und Herren: Nicht Rückschritt, sondern ein Weg nach vorne!
({22})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Renger, die Frauen in der Union teilen in weiten Bereichen Ihre Klagen über die nicht ausreichende Gleichberechtigung der Frauen in unserem Lande. Wir möchten aber darauf hinweisen: 13 Jahre sozialliberaler Koalition, SPD-geführter Regierungen
({0}) haben nichts Wesentliches verändert.
({1})
Das hat Ihre Analyse, Frau Renger, soeben deutlich gemacht. Wir werden in der Debatte in einer Vielzahl von Beiträgen auf alle Probleme, die Sie angeschnitten haben, eingehen. - Ich wende mich dem Problem Arbeitsmarkt zu.
Meine Damen und Herren, es ist gar nicht zu bestreiten: Frauen sind von der Arbeitslosigkeit stärker betroffen als Männer. Viele Frauen leiden nicht nur unter der eigenen Arbeitslosigkeit; sie sorgen sich auch um den Arbeitsplatz des Mannes und um die Zukunftschancen ihrer Kinder. Das ist uns Unionspolitikern bewußt. Die Bundesregierung ist dabei, flexiblere Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß der Aufschwung nicht an den Arbeitslosen, auch nicht an den arbeitslosen Frauen, vorbeirollt. Dort liegen nämlich die richtigen Ansatzpunkte für mehr Frauenarbeitsplätze.
Was wir voraussichtlich schon in diesem Jahr 1984 an Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sparen werden, muß für die Förderung von Umschulung, beruflicher Weiterbildung, für Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche - und das sind vor allem Mädchen - und für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgegeben werden. Statt Unterstützung der Arbeitslosen brauchen wir produktive Hilfen, die die Chance auf eine Dauereingliederung in den Erwerbsprozeß verbessern. Das brauchen wir
vor allem für das Heer der Frauen, die noch nicht die heute geforderte berufliche Qualifikation haben.
Und, was wichtig ist, meine Damen und Herren: Wir müssen die Frauen auch motivieren, die beruflichen Bildungsmaßnahmen tatsächlich zu nutzen.
({2})
Es ist nicht zu verkennen, daß in der öffentlichen Diskussion die überdimensionale Arbeitslosigkeit der Frauen nicht annähernd den Stellenwert hat wie die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen oder Behinderten.
({3})
Dabei sind gerade die jungen Frauen, unter 25 Jahre, besonders stark betroffen. Fast ein Drittel aller arbeitslosen Frauen sind unter 25 Jahre alt.
Die Gründe und Erklärungsansätze für die Frauenarbeitslosigkeit sind oft genannt worden, auch von der Enquête-Kommission „Frau und Gesellschaft": zu geringe Ausbildung, Weiterbildung und Mobilität, zu weitreichende Frauenarbeitsschutzgesetze - das wollen wir ändern -, zu geringe Berufskontinuität wegen der Familienpflichten der Frauen und, damit zusammenhängend, zu große und zu flexible Nachfrage nach Teilzeitarbeit. Im Grunde sind es die tatsächlichen oder die potentiellen Familienpflichten der Frauen und das traditionelle Rollenverständnis unserer Gesellschaft, die der Chancengerechtigkeit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt entgegenstehen.
Sicher können verheiratete Frauen, denen die Familie eine Alternativrolle bietet, bei denen die finanziellen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit eher abgefangen werden können, die seelischen und auch die wirtschaftlichen Belastungen der Arbeitslosigkeit besser auffangen als z. B. die alleinstehenden Frauen. Aber auch deren Situation wird gegenüber der der arbeitslosen Männer oft verharmlost. Dabei ist sie absolut vergleichbar.
Viele junge Frauen haben kein Verständnis dafür, daß ihnen kaum Rückkehrchancen ins Erwerbsleben offenstehen, wenn sie ihrer Kinder wegen im Beruf ausgesetzt haben - oft auch dann nicht, wenn sie gut qualifiziert sind und genügend Berufserfahrung haben. Selbst wenn wir, was ich für ganz vordringlich halte, alles täten, um genügend Ausbildungsplätze für Mädchen zu schaffen, bliebe auch in Zukunft das Problem der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine politische Daueraufgabe, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktsituation.
({4})
Es ist doch eine erwiesene Tatsache, daß die meisten Rückkehrerinnen gar keinen Vollerwerbsplatz suchen. 250 000 wollen eine Teilzeitarbeit. Fast 45% aller berufstätigen Ehefrauen arbeiten bereits weniger als 40 Stunden. Das Problem geht noch weiter: Über 2 Millionen Arbeitnehmer arbeiten voll, obwohl sie ebenfalls Teilzeitarbeit wollen; sie finden aber keine. Das ist doch verrückt: Die einen müssen voll arbeiten, obwohl sie weniger arbeiten wollen; die anderen können gar nicht arbeiten, obwohl sie
nur halb arbeiten wollen. Das schreit doch nach einer Regelung.
({5})
Wenn die Bundesregierung jetzt in einem Gesetz zur Förderung der Beschäftigung die Arbeitszeit flexibler gestalten, also z. B. vielfältige Möglichkeiten der Teilzeitarbeit attraktiv machen will - auch in qualifizierten Berufen -, dann nutzt das Müttern und Vätern mit Familienpflichten ebenso wie älteren Arbeitnehmern, die nicht mehr voll arbeiten wollen oder können. Das heißt konkret: Teilzeitarbeitnehmer müssen in Zukunft hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der Überstundenvergütung genauso behandelt werden wie Vollzeitarbeitnehmer. Für Frauen ist außerdem ganz besonders wichtig: Die problematische Arbeit auf Abruf, die sich stark ausbreitet, soll auf sozial verträgliche Formen beschränkt werden. Zeiten der Rufbereitschaft sind in Zukunft zu vergüten. Je länger die Wartezeit ist, desto höher soll die Vergütung sein. Vertretungspflichten bei Arbeitsplatzteilung werden beschränkt. Meine Damen und Herren, das alles kommt vorwiegend Frauen zugute. Es sind Schritte in die richtige Richtung.
Diese Maßnahmen passen nicht nur in die derzeitige Arbeitsmarktlandschaft; sie sind im Interesse der Frauen mit Familienpflichten auch langfristig richtig. Aktuell wichtig: Überhöhte Überstunden müssen innerhalb von sechs Monaten durch Freizeit ausgeglichen werden. Damit wird verhindert, daß die anlaufende Konjunktur in Überstunden und Sonderschichten landet, statt den arbeitslosen Frauen und Männern zugute zu kommen.
Auch der Frauenarbeitsschutz kann ein Handicap darstellen. Wir müssen die noch aus dem Dritten Reich stammenden Frauenarbeitsschutzbestimmungen - natürlich nicht den Mutterschutz - darauf überprüfen, ob sie unter den heutigen Bedingungen der Arbeitswelt noch notwendig bzw. ob sie gar hinderlich sind. Der technologische Wandel hat z. B. auch in den Bauberufen Veränderungen im Hinblick auf körperliche Belastungen gebracht. Wenn wir Mädchen in Männerberufen ausbilden, müssen wir ihnen auch den Zugang zu den entsprechenden Berufen und Arbeitsplätzen eröffnen. Im Bergbau unter Tage, in Kokereien oder an Hochöfen ist das Beschäftigungsverbot für Frauen sinnvoll. Das generelle Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen - weibliche Angestellte sind davon j a nicht betroffen - muß im Interesse der Frauen jedoch gelockert werden. Es wird sowieso ständig durchbrochen und umgangen. Arbeitsschutz ist keine Frage allein für Frauen, sondern eine Frage der menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt für Männer und Frauen.
Die neuen Technologien, die Mikroprozessoren und Schreibautomaten ziehen bereits in Hunderte von Büros ein. Den vielen Frauen in Büroberufen steht eine gravierende Veränderung ihrer Berufswelt ins Haus. Es kommt jetzt darauf an, daß frühzeitig neue Berufsbilder in der Arbeitswelt entwikkelt werden. Die jungen Mädchen und die Frauen müssen sich darauf einstellen, sich fachlich weiterzubilden, und mit den neuen Kommunikationsmitteln umgehen lernen. Das kann für viele die Chance bedeuten, aus der assistierenden Rolle in die Funktion der fachlich orientierten Mitarbeiterin aufzusteigen.
Auch von politischer Seite muß darauf gedrungen werden, daß nicht nur Männer in Betrieben und Verwaltungen weitergebildet werden. Wir brauchen Frauenförderungspläne, vor allem aber mehr Hilfen nach dem Arbeitsförderungsgesetz speziell für die Qualifizierung von Frauen. Die Weiterbildungsmaßnahmen müssen sich schon an Frauen in der Familienphase wenden, also Rücksicht auf die Situation der Frauen mit Kindern nehmen. Die Modellversuche mit Berufsrückkehrerinnen z. B. in Rheinland-Pfalz sind ermutigend verlaufen. Meine Damen und Herren, das zeigt: Die Politik kann zugunsten der Frauen vieles bewegen. Sie muß es tun. Solange jedoch der Wunsch von Frauen mit Familienpflichten nach Erwerbstätigkeit von vielen Männern, von manchen Arbeitgebern und leider auch noch von Frauen als ungerechtfertigtes Doppelverdienertum abgetan wird, so lange bleiben die Frauen de facto benachteiligt.
Eines ist sicher: Eine flexiblere Arbeitswelt ist frauengerechter als eine starre. Wir Unionspolitiker sehen darin eine Chance für mehr Wahlfreiheit der Frauen bei der Gestaltung ihres persönlichen Lebensplans. Familie und Beruf werden miteinander vereinbarer. Dies ist ein Programm, das langfristig richtig ist und nicht nur in die derzeitige Arbeitsmarktsituation hineinpaßt.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
({0})
Jawohl, für Sie bin ich heute extra in Hosen hergekommen, damit man einmal sieht, wer hier die Hosen anhat oder in dieser Gesellschaft anhaben sollte.
({0})
Ich habe mir schon gedacht, daß es heute so kommen würde. Im Parlament ist richtige Sonntagsstimmung, weil auch die Frauen einmal dürfen, nämlich an diesem seltenen Emanzipationsschaulaufen teilnehmen, das wir heute wohl sehen werden. An dieses Rednerpult werden heute ungewöhnlich viele Frauen treten. Die Herren der Schöpfung werden mehr oder weniger geduldig zuhören, um letztlich doch zu sagen, wo es langzugehen hat.
({1})
Eines möchte ich vorwegschicken: Nichts täte dieser Gesellschaft und den Anliegen von Frauen, über die wir heute debattieren, besser, als wenn sich dieses oben beschriebene Verhältnis für einige Zeit umkehren würde, vielleicht nicht unbedingt für die Zeit, in der in dieser Gesellschaft die Männer geherrscht haben. Vielleicht würden einige Jahre reichen. Dann könnten wir meinetwegen getrost zu
einer echten Gleichberechtigung - so fünfzig zu fünfzig - zurückkehren.
({2})
Ich möchte einmal zu dem Wort von der Sanftmut zurückkehren; das macht hier inzwischen die Runde. Ich kann Ihnen versichern, daß es gerade und nicht zuletzt dieses Bonner Geschäft gewesen ist, das mir ein Stück der Sanftmut genommen hat, nämlich gerade weil Frauen hier so behandelt werden, wie ich es in vergangener Zeit erlebt habe.
({3})
Heute geht es also um Frauenerwerbslosigkeit. Im Volksmund heißt das - interessanterweise sowohl bei CDU/CSU als auch bei der SPD - Frauenarbeitslosigkeit. Ich komme auf meinen Hinweis vom Anfang zurück und möchte hier behaupten: Wenn die Verhältnisse genau umgekehrt wären und Männer in der Mehrzahl einen 12- bis 16-StundenTag im Haushalt schuften würden - ohne Lohn, versteht sich -, dann würden sie doch nicht von Männerarbeitslosigkeit reden. Sie würden über die hohe Arbeitsbelastung jammern. Und dann würden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Regierung auch nicht fragen, wie sie denn Arbeit für diese Männer zu beschaffen gedenke.
Was bedeutet denn die Tätigkeit von Frauen im Haus? Sie bedeutet Arbeit. Es ist nämlich Arbeit, Kinder zu gebähren und aufzuziehen. Es ist Arbeit, für gute Beziehungen der Familienmitglieder und der Freunde zu sorgen. Es ist Arbeit, die Familie zu ernähren, bei Krankheit zu pflegen und bei Trauer zu trösten. Es ist Arbeit, Klo und Kinderzimmer zu putzen.
({4})
Dies alles ist gesellschaftlich unbedingt notwendige Arbeit. Würde sie nicht verrichtet, könnte kein einziger Nagel produziert werden.
Nach einer UNO-Studie verrichten Frauen - und dies geschieht weltweit, weil weltweit die Wirtschaft auf dem Rücken der Frauen funktioniert - zwei Drittel aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Aber sie erhalten dafür nicht etwa zwei Drittel des erwirtschafteten Einkommens. In der Bundesrepublik haben von 26 Millionen Frauen über 15 Jahren mehr als 16 Millionen kein Einkommen, von dem sie selbständig leben könnten.
Wir sollten die Begriffsverwirrungen also endlich ein für allemal richtigstellen: Frauen haben genug Arbeit. Was ihnen fehlt, ist bezahlte und qualitativ zumutbare Arbeit.
({5})
So kann bei uns der Großteil der Frauen wählen zwischen unbezahlter Haus- und Kinderarbeit - in Illustrierten zumeist dargestellt als glückliche Ehefrau und Mutter ohne eigenständige Sozial- und Alterssicherung - einerseits und zum anderen saumäßig schlecht entlohnter Arbeit, oft monoton und auch in dienenden, Opferbereitschaft fordernden
Berufen. Glücklich schätzen darf sich dann der Teil der Frauen, der beide Aufgaben erfüllen darf.
Dies sieht dann so aus: Aufstehen um 5 Uhr, Brote machen, schnell aufräumen, kurz nach 6 Uhr zum Bus, Arbeitsanfang, zwischen 6.30 Uhr und 7.30 Uhr. Es ist der übliche Alltag mit Montage, Kaffeeholen, leichten Diskriminierungen durch männliche Kollegen und Heimfahrt um 16 Uhr. Wenn sie nach Hause kommt, ist die Frau schon zwölf Stunden auf den Beinen. Aber dann beginnt die zweite Schicht: Kochen, Waschen, Bügeln, Familie.
Meine Herren, wenn wir in dieser Gesellschaft alle Männer nur für wenige Monate in diese Rolle stecken würden, dann gäbe es den Begriff der Arbeitslosigkeit und die Forderung nach Beschäftigungsprogrammen nicht mehr.
({6})
Hobbies, Engagement im öffentlichen Leben gäbe es für Sie bei dieser Doppelbelastung natürlich nicht. Auch an die etwas entwürdigende Frage nach dem Geld von der Ehefrau müßten Sie sich gewöhnen. Oder würde vielleicht auf einmal doch das Recht auf Erwerbsarbeit gefordert, weil es Voraussetzung für gesellschaftliche Emanzipation ist? Würden Sie dann vielleicht auch darauf kommen, was die GRÜNEN fordern: daß jeder Mensch - ob weiblich oder männlich - von seiner Arbeit leben können muß,
({7})
daß wir Mindesteinkommen, Mindestrente und ein partnerunabhängiges Rentenmodell brauchen? Oder würden Sie sich, meine Herren, mit der Ideologie abspeisen lassen, daß wahres Vaterglück im Schoße der Familie die höchste Erfüllung ist? Oder würden Sie sich glücklich schätzen, einen kleinen Nebenerwerbsjob gefunden zu haben - das ist die wunderbare Teilzeitarbeit, von der soeben gesprochen worden ist -, damit Sie sich Haus und Familie endlich so richtig von Herzen widmen können?
Was bieten denn nun Sie, meine Herren auf der Regierungsbank?
({8})
Einmal - für die Frauen, die auf Erwerbsarbeit partout nicht verzichten wollen - Wachstum zur Erlangung von Vollbeschäftigung. Über die Wachstumsillusionen in einer Rationalisierungsgesellschaft ist ja oft genug gestritten worden. Die Zahlen über Frauenerwerbslosigkeit zeigen sehr deutlich, daß dies eine Illusion ist. Zum anderen eine Portion Ideologie, nämlich die neue Frauenfreundlichkeit. Herr Geißler und Herr Blüm wollen j a mit der Doppelbelastung in Haushalt und Beruf endlich Schluß machen. So - mag man da denken -, soll nun tatsächlich alle Arbeit - sowohl die Erwerbsarbeit als auch die Hausarbeit - zu gleichen Teilen auf Mann und Frau, auf Erwerbstätige und Erwerbslose, umverteilt werden? Weit gefehlt! Für den Schutz von Frau und Kind entwickeln Sie das Modell vom Baby-Jahr, entlohnt mit stattlichen 600 DM, nachdem der Arbeitsplatz gekündigt worden ist. Diese Frauen wäre man dann mit Blick auf den Pool potentieller Erwerbstätiger schon einmal los. Denn
daß sie zurückkehren könnten, ist unwahrscheinlich. Das zeigen all die Daten über die Frauen, denen es nicht gelingt, nach dem Ausstieg in den Haushalt ins Erwerbsleben zurückzukehren.
Die GRÜNEN können Ihnen sagen, was da zu tun wäre. Frauenfreundlich wäre eine gesetzliche Elternfreistellung - Elternfreistellung! - mit Lohnausgleich,
({9})
in Anspruch zunehmen während der ersten drei Lebensjahre eines Kindes, und zwar von den Erziehungspartnern zu gleichen Teilen - bei Lohnausgleich und Arbeitsplatzgarantie; in Schweden ist das möglich.
({10})
Aber Herr Blüm arbeitet lieber an einem Gesetzentwurf zur Förderung von Beschäftigung, damit die Arbeitsbedingungen für Frauen noch miserabler werden. Da sollen Pausenregelungen von vier auf sechs Stunden verschoben, Nachtarbeitszeiten erweitert, befristete Arbeitsverträge ermöglicht werden. Abbau von Schutzrechten nennt man das, aber vermutlich werden Sie versuchen, es als Gleichberechtigung zu verkaufen.
({11})
Hier sollen den neuen Technikunternehmen auf dem Rücken und auf Kosten der Frauen so richtig Tür und Tor ins Profitparadies geöffnet werden.
Und natürlich der große Wurf: Die Flexibilisierung der Arbeitszeit. „Flexibel" - das klingt nach dehnen und strecken. Gedehnt und gestreckt werden sollen die Frauen, angepaßt und preiswert - je nach Bedarf - für Unternehmen und Haushalt.
({12})
Nicht etwa, daß Sie die Frauen ganz zu Heim und Herd zurückschicken wollen. Nein, sie sollen von beidem etwas haben: den Haushalt umsonst, für Gotteslohn, daneben kapazitätsorientierte Lohnarbeit nach Bedarf, zwei, drei, vier Stündchen - immer auf Abruf, ohne sozialrechtliche Absicherung - für Frauenlöhne, sprich: Zubrot und besseres Taschengeld.
Angesichts des Einsatzes der neuen Technologien ist nur zu klar, warum sie, die Frauen, auf einmal flexibel sein sollen: Rationalisierungsschübe sind zu erwarten, Nachtarbeit wird in die Büros einziehen. Und zur besseren Auslastung der Maschinen: Teleheimarbeit erscheint als Möglichkeit der Gewinnsteigerung am Horizont. Das ist Ihr Fortschritt!
({13})
Ihre angepaßte Ideologie - gleich mitgeliefert lautet: Frauen, besinnt euch, wie schön ist ein
Heimcomputer! Da könnt ihr so praktisch alle
Pflichten zugleich erledigen: sowohl die Pflichten gegenüber der Familie als auch die Erwerbsarbeit.
({14})
Wir entlohnen euch für eure aufopfernde Mutterarbeit. Die ist uns sehr viel wert - das sagt der Herr Geißler auch immer -, nur ist im Moment leider kein Geld da.
Diese Politik ist reaktionär, das ist ein echtes Antifrauenprogramm.
({15})
Wieder werden Frauen als erste rausgedrängt, als Lohndrücker mißbraucht und als Doppelverdiener diffamiert.
Ihre Ideologie dient der Verkleisterung der Tatsache, daß hier der Arbeitsmarkt bedient werden soll. Das heißt dann Flexibilisierung. Ich betone noch einmal: Radikale Arbeitszeitverkürzung für alle Erwerbstätigen ist die einzige Möglichkeit, einen Schritt hin zur Emanzipation zu tun. Das Gezeter gegen die 35-Stunden-Woche ist insofern auch eine frauenfeindliche Politik.
({16})
Wenn es also um Teilzeitarbeit geht, stehen wir ihr ungeheuer skeptisch gegenüber. Sie gehört zu diesem Flexibilisierungs-, Dehnungs- und Strekkungsprogramm. Ich möchte aber trotzdem betonen: Wenn schon Teilzeitarbeit, dann auf jeden Fall mit der rechtlichen Gleichstellung mit der Vollerwerbsarbeit, damit eben nicht so billige Arbeitsplätze geschaffen werden.
({17})
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte zum Schluß noch sagen, daß ich keine Illusionen aufkommen lassen möchte. Wir haben tatsächlich wenig Hoffnung, die Regierungsbank durch noch so wohlwollende Worte zu überzeugen. Wenn ich die müden Erben von 10 000 Jahren Patriarchat auf der Regierungsbank sitzen sehe, dann ist das vielleicht auch gar nicht mehr nötig.
({18})
Es gibt nämlich Gottlob genug Frauen, die ihre Sache in die eigene Hand nehmen, wie man es bei uns, bei den GRÜNEN, nun ja sehen konnte. Sie müssen wirklich vorsichtig sein. Wenn es so wie bisher weitergeht, kann ich nur hoffen, daß es Ihnen so gehen wird wie meinen männlichen Kollegen bei der Wahl unseres Fraktionsvorstandes.
({19})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aktueller Schwerpunkt der heutigen Debatte wird aus guten Gründen die Frau4646
enarbeitslosigkeit sein. Lassen Sie mich aber bitte auf die Hintergründe eingehen, die wesentlich zu dieser Situation führen, nämlich die Diskriminierung der Frau in unserer Gesellschaft.
Uns liegt heute unter Tagesordnungspunkt 2 c ein Vertragstext vor, der in 30 Artikeln sehr ausführlich alle irgendwie relevanten Lebensbereiche anspricht, in denen Frauen tatsächlich diskriminiert werden oder wo die Möglichkeit einer Diskriminierung besteht. Er verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, Maßnahmen zu treffen, diese Tatbestände im Sinne einer tatsächlichen Gleichstellung und Gleichberechtigung von Mann und Frau zu ändern und, wie in Art. 2 auch ausgeführt, notfalls Sanktionen zu ihrer Durchführung zu ergreifen.
In einer Denkschrift zu diesem Übereinkommen fügt die Bundesregierung eine nach Zahl und Umfang sicherlich sehr beeindruckende Auflistung der Gesetze und Verordnungen bei, die seit dem Jahr, in dem in Art. 3 Abs. 2 der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in unsere Verfassung aufgenommen worden ist, dafür sorgen sollen, diesen Grundsatz auch zur gelebten Verfassung werden zu lassen. Die Bundesregierung stellt abschließend fest, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich einen guten Platz bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung im Arbeitsleben einnehme. Wie der Grundtenor der Denkschrift überhaupt ist, daß eigentlich gegen jede nur denkbare Diskriminierung von Frauen in allen denkbaren Lebenslagen gesetzliche Vorsorge getroffen worden sei und daß, wenn überhaupt, nur eine aktualisierende Fortschreibung des Bestandes notwendig sei.
Nun - so könnte sich der geneigte Leser also befriedigt sagen -, es ist ja alles in Ordnung, alles ist erfreulich. Sollen nun endlich einmal jene Staaten - da fallen einem ja gleich spontan eine Reihe ein -, in denen hinsichtlich Emanzipation und Gleichberechtigung noch Mittelalter herrscht, diese Dinge angehen. Nur, wenn sich der genannte Zeitgenosse dann einmal unvoreingenommen der Situation von 1984 in der Bundesrepublik Deutschland stellt, wird er leider sehr schnell feststellen müssen, daß auch hierzulande in bestürzend vielen Köpfen, männlichen und weiblichen, noch emanzipatorisches Mittelalter herrscht.
Es wäre unredlich - das sei vorausgeschickt -, in Abrede zu stellen, daß in 35 Jahren Grundgesetz Fortschritte in Richtung auf das Ziel des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes gemacht worden sind. Aber immer noch klafft zwischen dem Verfassungsanspruch und der Verfassungswirklichkeit ein skandalöser Widerspruch. Wie auch im Sechsten Jugendbericht zur Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland, der heute nachmittag zur Debatte stehen wird, dargestellt, kommen wir in allen relevanten Lebensbereichen zu einer beschämenden und bestürzenden Tatbestandsaufnahme einer vielfältigen Diskriminierung.
Der Bogen spannt sich vom überdurchschnittlich hohen Anteil von Mädchen bei den nicht vermittelten Bewerbern um einen Ausbildungsplatz im Jahr 1983 - 63,9% - über die immer noch zwar objektiv nicht vorhandene, aber faktisch so begriffene Reduzierung auf wenige Ausbildungsberufe, über die geschlechtsspezifische Ausschreibung von Stellen, über die Einstellungsentscheidung nicht nach Leistung, sondern nach Geschlecht, über die Benachteiligung bei Beförderung und Bevorzugung bei Entlassung, über verdeckte und offene Lohndiskriminierung - wahrhaftig kein Ruhmesblatt für Gewerkschaften und Arbeitgeber; öffentliche und private -, über die überdurchschnittlich hohe Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, die unzureichende materielle und ideelle Hilfe zur Wiedereingliederung in das Berufsleben nach der Zeit der Kindererziehung, über die Benachteiligung von Müttern mit Kindern bei der Suche nach einer adäquaten Wohnung bis hin zur Repräsentanz von Frauen in Aufstiegspositionen in Berufsverbänden, Gewerkschaften und Parteien - von der direkten körperlichen Gewalt gegen Frauen ganz zu schweigen. Diese Auflistung, meine Damen und Herren, könnte leider mühelos fortgesetzt werden. Nein, wir haben überhaupt gar keinen Anlaß, mit uns zufrieden zu sein. Der Spiegel, den wir uns heute hier vorhalten, hat häßliche Stockflecken.
Die Diskriminierung von Mädchen und Frauen in den genannten Lebensbereichen hat vielfältige Ursachen: Ignoranz, mangelnde Flexibilität, die Furcht vor wirtschaftlichen Nachteilen bei der Einstellung junger Frauen und vieles mehr. Vor allen Dingen aber, meine Damen und Herren, hat sie ihren Grund in der Aufrechterhaltung des traditionellen Rollenverhaltens in unserer Gesellschaft, das zwar durch die zunehmend partnerschaftlich gelebten Beziehungen langsam relativiert wird, aber z. B. in so manchem Schulbuch fröhliche Urständ feiert nach der Melodie: Mutter und Tochter erledigen Hausarbeit, der Sohn bastelt zukunftsbeflissen am Computer, und Vater liest nach des Tages Mühe die wohlverdiente Zeitung.
Die Skala der Diskriminierungsmethoden reicht von subtil bis offensichtlich, wobei die negative Konsequenz der ersten Methode durchaus nicht geringer sein muß als die Wirkung klarer Verstöße gegen das gesetzlich fixierte Diskriminierungsverbot.
Ich halte es z. B. für außerordentlich gefährlich, weil durch Sanktionen eben nicht faßbar oder kaum faßbar, wenn Frauen heute wieder mit vielen goldenen Worten zurück ins Haus und an den Kochtopf geredet und geschrieben werden, so nach dem Wetterhäuschenprinzip: Die Frau kommt heraus, wenn es regnet, und der Mann ist zuständig für die besseren Klimalagen.
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Dieses bewirkt eine ebenso böse Diskriminierung der berufstätigen Frauen und ihres Rechts auf Ausübung ihres Berufs, wie es die bornierte Diskriminierung der Frauen war und ist, die aus freier Entscheidung oder unter dem Druck ihrer familiären Verhältnisse zu Hause bleiben wollen oder müssen.
Es ist bekannt, daß die FDP aus diesem unbefriedigenden Zustand bereits im Jahre 1978 die Konsequenzen gezogen und ein Antidiskriminierungsgesetz gefordert hat.
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- Wenn Sie das bezweifeln, erkundigen Sie sich doch einmal bei Ihrem neuen Fraktionsmitglied Günter Verheugen.
Wir gingen dabei von der Überlegung aus, daß es zwar äußerst problematisch ist, gesellschaftliches Verhalten per Gesetz ändern zu wollen. Wir sind uns wohl alle darin einig, daß Gesetze nur dann eine Chance haben, angenommen und gelebt zu werden, wenn sie auch in den Köpfen angekommen sind,
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daß wir aber, wenn wir es mit dem Grundgesetzartikel ernst meinen, das formale Recht auf Gleichberechtigung durch zusätzliche positive Regelungen durchsetzbar machen müssen und Verstöße nun endlich auch durch Sanktionen ahnden müssen. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom Dienstag hier ein deutliches Zeichen gesetzt.
Die Bundesrepublik Deutschland wird sich durch die Ratifizierung des vorliegenden Vertrags verpflichten, entsprechende Mittel einzusetzen, und geeignete Wege zur Durchsetzung des als richtig erkannten Weges gehen. Wir meinen, daß die von meiner Fraktion lange geforderte unabhängige Kommission, die bei Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz einschreiten soll, ein solches Mittel sein kann; dies natürlich nur dann, wenn man ihr ein Instrumentarium an die Hand gibt, das auch greift.
Dazu gehören nach unserer Meinung u. a. das eigene Klagerecht, das Prozeßhilferecht, die Offenlegung von Diskriminierungen, die Entwicklung von Abhilfemaßnahmen, deren Abmahnung und öffentliche Behandlung sowie die Verhängung von Bußgeldern.
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Wir sollten uns nicht länger das beschämende Schauspiel leisten, daß eine Mehrheit - und das sind die Frauen in dieser Gesellschaft - ein Grundrecht von einer Minderheit einfordern muß, und endlich nicht mehr nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen. Denn - das sage ich einmal selbstkritisch an unsere eigene Adresse - es ist ja nicht nur so, daß ein großer Teil der männlichen Zeitgenossen ihre überkommenen Besitzstände mit allen Mitteln verteidigen, sondern es wird ihnen von vielen Frauen und Mädchen aus Bequemlichkeit, mangelnder Mobilität und der Scheu vor unerfreulichen Auseinandersetzungen auch einfach zu leicht gemacht, ihre Positionen zu halten.
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Die Änderung des gesellschaftlichen Bewußtseins, meine Damen und Herren, ist ein zäher Prozeß. Ein gut ausgestattetes Gesetz, eine gut ausgestattete Gleichberechtigungskommission, die das
Thema Gleichberechtigung ständig problematisiert, können nach unserer Auffassung ein fruchtbarer permanenter Impuls in Richtung auf unser Ziel sein.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich habe die Debatte bisher verfolgt und muß sagen: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Wenn ich das realisieren würde, ist es mir um die Mehrheiten nicht bange. Ich würde dann, Frau Verhülsdonk, einigen Herren Ihrer Fraktion, die Nachholbedarf in Mütterlichkeit haben, sagen, wie sie sich weiter verhalten sollten.
({0})
Jedenfalls ist bisher in der Debatte schon klargeworden, daß das Arbeitsleben ein ganz wichtiges Gebiet der Gleichbehandlung, Gleichberechtigung ist. 1980 haben wir mit dem EG-Anpassungsgesetz hier einen ganz wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Der vorliegende Bericht zeigt uns jedoch ganz deutlich, daß unsere Befürchtungen über die Unvollkommenheit dieses Gesetzes zu Recht bestanden. Um es klar zu sagen: Die verbindlichen Forderungen der EG-Richtlinien sind nicht so umgesetzt worden, daß sie die Gleichbehandlung im Arbeitsleben wirksam gewährleisten. Der Bericht bestätigt, daß trotz gleicher Qualifikation in vielen Fällen Arbeitnehmer bei der Einstellung wegen des Geschlechts unterschiedlich behandelt werden. Im Klartext: Frauen werden benachteiligt.
Wenn wir auch, wie wir vorhin schon von Frau Renger gehört haben, im Tarifrecht die gleichwertige Behandlung haben, können wir doch feststellen, daß es noch Unterschiede von bis zu 30% beim Effektivverdienst gibt. Ich glaube, hier sind wir alle angehalten - insbesondere möchte ich auch die Tarifvertragsparteien auffordern -, hier einmal die Eingruppierungsrichtlinien und die Arbeitsbewertung zu überprüfen. Ich denke, daß wir arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse beachten sollten, wonach insbesondere geistige und nervliche Belastung für die Arbeitsbewertung eine größere Rolle spielen sollten.
({1})
Ein weiteres Beispiel für die Ungleichbehandlung ist insbesondere bei der Einstellung von Arbeitnehmern festzustellen. Hier sind Frauen in großem Maße nach wie vor benachteiligt. Das geht so weit, daß man weibliche Sozialpädagogen ablehnt oder behauptet, Operationsschwestern seien für diesen Beruf nicht geeignet. Erst recht ist die Benachteiligung von Mädchen beim Erhalt von Ausbildungsstellen sehr problematisch geworden. So kann ich Ihnen Beispiele nennen, wo Ausbildungsbetriebe in Berufen, die sonst vornehmlich Mädchen vorbehal4648
ten waren, diese ausdrücklich nur noch Jungen anbieten; Beispiel: bei Steuergehilfen und sogar bei Verkäufern. Übrigens kann man das tagtäglich bei Stellenanzeigen für Ausbildung usw. in der Zeitung lesen.
Auch die mittelbare Diskriminierung findet nach wie vor statt, d. h. Arbeiterinnen werden insbesondere in bezug auf Arbeitsschutzbestimmungen unterschiedlich behandelt. Der Bericht bestätigt auch die von uns in der Beratung im Jahre 1980 geäußerte Befürchtung, daß die Beweislast für eine unterschiedliche Behandlung klarer, d. h. zu Lasten der Arbeitgeber, geregelt werden muß.
Ein wichtiger Punkt ist auch die Regelung des Schadensersatzanspruchs bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot.
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Die Praxis hat erwiesen, daß in solchen Fällen lediglich der Ersatz von Porto und Fahrtkosten erfolgte, so daß man vom Portoparagraphen spricht. Gerade am Dienstag dieser Woche hat der Europäische Gerichtshof hier ein sehr wichtiges Urteil gefällt und klargestellt, daß dies keine Erfüllung der EG-Richtlinie ist.
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Zu bedauern ist auch, daß der kleine Punkt, die Aushangpflicht zu regeln, damals nicht geklärt werden konnte. Wir sind der Auffassung, daß dies jetzt endlich weitergeführt werden muß.
Im Bericht der Bundesregierung, aus dem ich hier einige Beispiele über die Erfahrungen mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgesetz wiedergegeben habe, ist zu entnehmen, daß die Frauen nach wie vor am Arbeitsplatz diskriminiert werden. Trotzdem kommt die Bundesregierung zu einem eigenartigen Ergebnis: Nach dem Stand der Erfahrungen wäre es verfrüht, Änderungen des Gesetzes vorzuschlagen; dieser Bericht könne daher nur den Zweck haben, den Deutschen Bundestag über die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung der Gleichberechtigung zu unterrichten. Die Bundesregierung will alles weiter aufmerksam verfolgen und dann erst ihre erforderlichen Entscheidungen treffen.
Die Bundesregierung kommt in der Einschätzung einiger Änderungsvorschläge seitens der Organisationen zu unverständlichen Ergebnissen. Ein ausdrückliches Verbot der mittelbaren Diskriminierung sei nicht notwendig. Die Diskussion um Fördermaßnahmen für Frauen soll aufmerksam beobachtet werden. Die Rechtsprechung zur vollständigen Umkehr der Beweislast soll aufmerksam weiterverfolgt werden. Sanktionen bei unterbliebener Einstellung oder Beförderung werden für rechtlich bedenklich gehalten. Die Muß-Vorschriften für geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen und Aushang des Gesetzes sollen weiterhin aufmerksam verfolgt werden. Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes, Stärkung des Betriebsrats bei Frauenförderung werden aus juristischen Gründen abgelehnt.
Die Bundesregierung beabsichtigt einige Änderungen. Zum Beispiel im Frauenarbeitsschutz, bei der Schichtarbeit und Nachtarbeit und bei der Pausenregelung sind Verschlechterungen vorgesehen.
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Hausarbeitstagsgesetze sollen aufgehoben werden; also nur Verschlechterungen, aber keine Weiterentwicklung.
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Wir können dieser Einschätzung nur entnehmen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ihre grundsätzliche Einstellung für eine klar geregelte Chancengleichheit der Frauen im Arbeitsleben nicht revidiert haben, indem sie weitere gesetzliche Regelung zur Förderung der Chancengleichheit für überflüssig halten. Die Bundesregierung vertraut hier völlig auf Regelungen der Vertragsfreiheit und erklärt Chancengleichheit im Arbeitsleben zur Privatsache. Sie öffnet damit die Möglichkeit zur Diskriminierung. Dahinter verbirgt sich das tatenlose Zusehen beim Zurückdrängen der Frauen aus dem Arbeitsleben.
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Mit der Stellung der FDP zur Gleichberechtigung hatten wir j a auch schon unsere Probleme. Bei der FDP kam Gleichberechtigung im wesentlichen nur in Sonntagsreden vor.
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Zu einem durchgreifenden Gesetz konnte sie sich nicht entschließen.
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Die Linie bestimmte schon damals der Wirtschaftsminister, und der ist heute unverändert der gleiche.
Die Bundestagsfraktion der SPD hat aus dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz, der offenkundige Mängel des Gesetzes deutlich hervorhebt, die gesetzgeberischen Konsequenzen gezogen und einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir heute zur ersten Lesung einbringen. Dieser Gesetzentwurf soll einen ganz wesentlichen Schritt zur Verwirklichung der Gleichberechtigung im Arbeitsleben gehen. Er formuliert daher folgende Schutzbestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Erstens: Verbot der umittelbaren und mittelbaren Benachteiligung; Beweislastumkehr, d. h. Beweis durch den Arbeitgeber. Zweitens: Schadensersatzanspruch bei Diskriminierung. Sanktionen, die nur symbolischen Charakter haben, erfüllen die Vorgaben der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien nicht. Drittens: zwingende Vorschrift einer geschlechtsneutralen Stellenausschreibung. Viertens: Pflicht zum Aushang der Vorschriften. Fünftens: Bußgeldregelungen bei Verstößen gegen das Gesetz.
Mit der heute weiter vorgelegten Entschließung zur Anwendung der EG-Richtlinien im öffentlichen Dienst entspricht die SPD-Bundestagsfraktion einer weiteren Problematik, die uns hier vorliegt, nämlich der arbeitsrechtlichen Gleichberechtigung im öffentlichen Dienst. Wir fordern die BundesreFrau Steinhauer
gierung auf, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß diese Richtlinien im öffentlichen Dienst einschließlich im Beamtenrecht umgesetzt werden.
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Dieses ist sehr wichtig, weil auch gerade im öffentlichen Dienst Frauen nach wie vor bei Einstellungen, bei Aufstieg usw. benachteiligt werden. Von einer Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes kann nach jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung, Aufhebung der Berichtspflicht betreffend bevorzugte Einstellung von Benachteiligten usw., nicht die Rede sein.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf etwas, was sich zu Lasten der Frauen auswirken kann, nämlich ein Gesetz, das das Arbeitsplatzschutzgesetz für die Wehr- und Dienstpflichtigen weiterentwickeln soll. Wir möchten ausdrücklich klarstellen, daß dies nicht zur Chancenverschlechterung bei der Einstellung von Frauen führen darf. Das heißt, hier müssen auch Gesichtspunkte wie Mutterschutz und Erziehungszeit mit einbezogen werden.
Ich fasse zusammen. Es gibt, wie dargelegt, durchaus gesetzgeberische Instrumente, um die Chancengleichheit von Frauen im Arbeitsleben zu verbessern. Man muß sie allerdings wirksam ausgestalten und darf nicht unter dem irreführenden Begriff der Beschäftigungsförderung etwas verkaufen, was die Benachteiligung der Frauen im Arbeitsleben noch festschreibt.
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Offensichtlich will die Bundesregierung einen Konflikt mit den Arbeitgebern vermeiden; sie opfert dafür die Verbesserung der Stellung der Frauen in der Berufswelt. Es wird glatt übersehen, daß die arbeitsrechtliche Gleichbehandlung auch ein wesentlicher Bestandteil der veränderten sozialen Wirklichkeit des neuen Rollenverständnisses der Frauen ist. Frauen wollen trotz Familienaufgaben erwerbstätig sein. Nicht wir zwingen die Frauen in dieses neue Rollenschema, wie uns das die Christdemokraten vorwerfen, Frauen entscheiden heute zunehmend selbst mit ihren Partnern, wie sie ihr familiäres und berufliches Leben gestalten und ihre Aufgaben verteilen.
Gerade in den letzten Tagen ist uns eine Studie des Internationalen Arbeitsamtes, die wir in die Beratungen mit einbeziehen wollen, bekanntgeworden. Zur Bestätigung wird hierin die Diskriminierung noch einmal dargelegt.
Wir als Gesetzgeber haben die notwendigen Voraussetzungen für die Gleichberechtigung und die Chancengleichheit im Arbeitsleben zu schaffen. Dies tun wir Sozialdemokraten mit dem eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz. Ich hoffe, dieses Gesetz wird nach den Ausschußberatungen alsbald zur Verabschiedung im Bundestag anstehen.
({11})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe hier als ein Vertreter von 10 000 Jahren Patriarchat.
({0})
- Sie können es noch nicht merken, ich habe ja noch gar nicht angefangen, es sei denn, Sie hätten hellseherische Fähigkeiten.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß wir die Frauenfragen lösen, indem Männer gegen Frauen ausgespielt werden.
({2})
Es könnte sein, daß sich diejenigen, die ihr liebes Spielzeug Klassenkampf verloren haben, jetzt ihr neues Spielzeug im Geschlechterkampf suchen.
({3})
Ich glaube nicht, daß wir die Benachteiligung der Frau überwinden, indem wir das zur Spezialfrage der Frauen machen. Nur Männer und Frauen gemeinsam können die Benachteiligungen der Frauen überwinden.
({4})
Ich weiß eigentlich gar nicht, was Sie gegen das schöne Wort Mütterlichkeit haben. Ich finde das ein liebes, schönes Wort. Ich wünsche mir eine Welt, in der es mehr Mütterlichkeit gibt - nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Männer.
({5})
Mütterlichkeit gehört zu den großen Worten der Sozialgeschichte.
({6})
Brüderlichkeit ist keine Sache für Männer, und Mütterlichkeit ist keine Sache für Frauen; wir wollen eine mütterliche und eine brüderliche Welt. Das sind unsere Vorstellungen.
({7})
- Auch die Schwesterlichkeit; mit besonderer Rücksicht auf Sie will ich ausdrücklich auch die Schwesterlichkeit erwähnen.
({8})
Meine Damen und Herren, an diesen Begriffen wird ja deutlich, daß weder Brüderlichkeit noch Mütterlichkeit geschlechtsspezifische Begriffe sind, sondern daß darin eine Welt deutlich gemacht wird, die friedlicher ist, die partnerschaftlicher ist, in der das Miteinander dem Gegeneinander vorgezogen wird.
({9}) Das ist die Welt,
({10})
für die wir eintreten.
Meine Damen und Herren, der Bundestag diskutiert hier heute eine sehr altes Thema: Benachteiligungen der Frau. Aber ich möchte schon auch den Frauen dieses Parlaments das Kompliment machen, daß Sie uns durch die Gestaltung dieser Debatte in Form einer Kurzdebatte dazu bringen, von alten Parlamentsgewohnheiten Abstand zu nehmen. Deshalb möchte in den Frauen, die dies herbeigeführt haben, ausdrücklich mein Kompliment machen, und zwar allen.
({11})
Ich glaube, der größte Erfolg wäre, wenn das alte Thema - ({12}) - Seien Sie doch nicht so aggressiv!
({13})
Gerade heute, da wir vom Abbau von Aggressionen reden, sollten wir doch ganz freundlich miteinander umgehen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, daß dieses alte Thema ein veraltetes Thema wird.
Dennoch, heute ist es ein aktuelles Thema, und ich will hier drei Benachteiligungen der Frauen zur Sprache bringen, die Benachteiligung vor der Arbeit, die Benachteiligung in der Arbeit und die Benachteiligung nach der Arbeit.
Vor der Arbeit ist es immer noch so, daß die Chancen der Frau, Arbeit zu finden, geringer sind als die Chancen des Mannes. Wir sollten nach den Ursachen forschen. Das liegt einmal daran, daß es noch immer Vorurteile gegenüber der Berufsbildung der Frauen gibt. Ich halte die in der Tat für patriarchalisch, für aus dem 19. Jahrhundert stammend. Die müssen wir gemeinsam überwinden!
Ich halte es auch für eine Benachteiligung der Frauen, daß sich viele Berufswünsche der jungen Mädchen auf eine Handvoll Berufe konzentrieren. Die fünf meistgesuchten Berufe der Frauen werden von 50 % der Mädchen in Anspruch genommen. Dazu gehören die Friseuse, die Bürogehilfin, die Verkäuferin. Ich glaube, daß die Chancen der Frauen erweitert werden müssen, indem wir manchen Männerberuf in der Tat entzaubern. Viele Berufe sind nicht Männerberufe, sondern Berufe für jedermann, für jede Frau.
({15})
Ich würde ja nicht wünschen, daß wir jeden Unterschied fallenlassen. Einer Frau wünsche ich nicht den Zugang zum Beruf des Bergmannes. Romeo wollen wir weiter mit einem Mann besetzen und Julia weiterhin mit einer Frau,
({16})
aber in der alten Kleiderordnung der Berufe ist sicherlich viel männliche Überheblichkeit enthalten, und die werden wir überwinden müssen. Warum soll eine Frau nicht Schreiner werden können, warum nicht Werkzeugmacher, warum nicht
Techniker? In der Tat müssen wir darüber reden. Wenn nicht darüber geredet wird, merkt niemand, daß auf alten Gleisen gefahren wird, daß wir aber von den alten Gleisen wegkommen müssen.
Dazu brauchen wir nicht nur neue Paragraphen, neue Gesetze, sondern auch ein neues Bewußtsein. - Bitte schön!
Können Sie mir dann bitte einmal erklären, Herr Blüm, warum die Regierungsbank nach wie vor fast nur von Männern besetzt ist, wenn Sie so für die Aufhebung der Kleiderordnung sind?
({0})
Meine Damen und Herren, überall ist Nachholbedarf!
({0})
- Ja, warum eigentlich nicht? Nur würde ich sagen, die Regierungsbank - ({1})
- Ach, wissen Sie, ich bin nicht für die Qualitätsmerkmale, nach denen die Frauen immer besser wären als die Männer, allerdings auch nicht für die Qualitätsmerkmale, nach denen die Männer besser wären als die Frauen. Lassen Sie uns gemeinsam einen Schritt machen, nicht mit Quoten und nicht mit Paragraphen, einen Schritt, bei dem sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen dadurch entspannt, daß es kein Konkurrenzverhältnis mehr ist, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch einmal ganz praktisch herausfinden, wo denn Vermittlungshindernisse bestehen. Es könnte nämlich sein, verehrte Frau Beck-Oberdorf, daß ein Teil dessen, was als Schutz für die Frauen gedacht war, Sperre für die Frauen ist. Es könnte sein, daß diejenigen, die drinnen sind und geschützt werden, mit diesem Schutz einverstanden sind, daß sich aber für die, die draußen sind, Schutz als Sperre erweist. Und es geht nicht nur um die, die drinnen sind!
({3})
Ich überlege: Mindert es nicht die Vermittlungschancen junger Frauen, wenn Mutterschaftsgeld vom Betrieb gezahlt werden muß?
({4})
Dann ist doch die Versuchung sehr groß, daß unter den Bewerbern diejenigen, die Mutter werden könnten, ausscheiden. Das kann doch nicht der Sinn sein! Deshalb glaube ich, daß zwar das Mutterschaftsgeld weiter gezahlt werden muß - damit niemand meint, wir wollten etwas zurücknehmen -, daß es aber nicht mehr an den Betrieb gebunden, sondern überbetrieblich organisiert werden sollte.
Oder nehmen wir den Mutterschaftsurlaub. Natürlich wollen wir die Arbeitsplatzgarantie erhalten.
Es soll niemand denken, wir wollten auch nur einen Schritt zurückgehen.
({5})
Aber vielleicht hilft es, diese Mutterschaftsurlaubsgesetzgebung dadurch nicht zur Sperrgesetzgebung für junge Frauen werden zu lassen, daß die Zeiten der Arbeitsplatzlücken durch befristete Arbeitsverträge überbrückt werden können. Vielleicht hilft das den jungen Frauen. Wir machen Politik nicht aus dem Lehrbuch, sondern aus dem Leben, und ich finde, solch eine lebensnahe Politik ist besser als alle ideologischen Rezepte.
({6})
Verehrte Frau Steinhauer, wenn Sie jetzt das EG-Anpassungsgesetz attackieren, muß ich die SPD gegen die Vorwürfe aus der Opposition in Schutz nehmen, denn das Gesetz stammt von der SPD.
({7})
- In der Tat, Sie haben es noch in Ihrem letzten Regierungsjahr gegenüber der Kommission in Brüssel ausführlich verteidigt. Ich habe den Brief hier.
Im übrigen eignet sich auch das Urteil nicht als Waffe gegen die Bundesregierung. Beklagter ist das Land Nordrhein-Westfalen. Da regiert ein Mann namens Rau, und der gehört - um diese Verwechslung auszuschließen - nicht meiner Partei an.
({8})
- Der Frauenbeauftragte dieser Landesregierung heißt Friedhelm Farthmann, das stimmt. Und er ist auch nicht Mitglied der CDU.
Nun zu den Benachteiligungen der Frauen in der Arbeit. Meine Damen und Herren, ich sehe noch immer Lohndiskriminierung. Es wird ganz besonders deutlich, daß in der Tarifgruppenbeschreibung Merkmale, die ganz besonders häufig für die Arbeitsplätze auftauchen, an denen Frauen überdurchschnittlich zahlreich beschäftigt sind, immer unterbewertet werden. Das liegt daran, daß in vielen Tarifbewertungen körperliche Belastung höher eingeschätzt wird als nervliche Belastung, obwohl der nervliche Streß mindestens genauso stark ist wie der körperliche.
({9})
Dieser raffinierte Trick ist ein Schleichweg zur Lohndiskriminierung der Frauen.
Deshalb geht meine Forderung heute nicht an den Gesetzgeber, sondern an die Tarifpartner. Die Tarifpartner stellen ja viele Forderungen an den Gesetzgeber. Ich finde, die Rückfahrkarte ist, daß wir auch Forderungen an die Tarifpartner stellen.
({10})
Teilzeitarbeit. Es hat mir geradezu wehgetan, ausgerechnet von den GRÜNEN Flexibilität mit Dehnung übersetzt zu sehen. Das Gegenteil von
Flexibilität ist Sturheit. Wenn Sturheit und Starrheit Ihr Programm ist: herzliches Beileid! Dann sind Sie allerdings sehr veraltet und sehr reaktionär geworden.
({11})
Ich halte nichts von einer Welt, die nur die Alternative zuläßt, „entweder ganz oder gar nicht" ins Erwerbsleben zu gehen. Ich halte nichts von einer Arbeitszeitordnung, die nur die Wahl zuläßt: entweder ganz rein oder nie rein. Laßt uns doch mit dem „teils - teils" arbeiten! Wieso sollte der Achtstundentag eine heilige Kuh sein? Laßt uns doch die Wünsche der Betroffenen zum Maßstab nehmen! Wir wollen eine Arbeitszeit, die am Lebensrhythmus Maß nimmt. Wenn junge Frauen, junge Mütter, heute ausscheiden, um ihre Kinder zu erziehen, dann haben sie geringe Chancen, zurückzukehren. Ich frage Sie: Was müssen wir dann ändern? Die Mütter oder die Welt, die solche Arbeitszeitordnungen hat? Ich würde sagen: Laßt die Mütter die alten und ändert die Arbeitszeitgewohnheiten!
({12})
Ich sage es in Ihrer Sprache: Wer soll sich an wen anschmiegen?
({13})
Ich sage: die Maschine an den Menschen und nicht die Menschen an die Maschine. Das ist die Philosophie meiner Partei.
({14})
Wir werden die Teilzeitarbeit gesetzlich schützen. Denn wir wollen sie nicht zu einem Arbeitsverhältnis zweiter Klasse machen. Wir werden eine Gesetzgebung machen, die die Teilzeitarbeit zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis macht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ganz kurz auf die Benachteiligung nach der Arbeit zu sprechen kommen. Diese Benachteiligung besteht im Rentenrecht. Ich habe es immer als eine Provokation angesehen, daß Mütter, die Kinder erzogen haben, dies in ihrer Rente nicht wiederfinden, daß Erziehungsarbeit ein rentenpolitisches Nullum ist. Das wollen und werden wir verändern. Erziehungsarbeit ist genausoviel wert wie Erwerbsarbeit. Deshalb müssen Erziehungszeiten im Rentenrecht anerkannt werden.
({15})
Diese Regierung war es übrigens, die die Kindererziehung ins Rentenrecht gebracht hat. Bei den Voraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeit zählt sie mit. Meine Damen und Herren, wir haben die Voraussetzung für die Altersrente von 15 auf fünf Jahre reduziert. Das ist mit Sicherheit eine Politik, die die Frauen begünstigen wird, die den Frauen hilft.
Sie sehen also: Mit der alten Schablone „eine Regierung der Männer gegen die Frauen" werden Sie nicht weiterkommen. Wir machen eine Politik nicht
des Gegeneinander, sondern des Miteinander. Miteinander werden wir mit Sicherheit einen Schritt weiterkommen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Beck-Oberdorf, Sie haben von der Emanzipationsschau gesprochen, die hier heute abläuft. In der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und in der Sozialdemokratischen Partei ist der Umgang von Männern und Frauen nicht wesentlich einfacher, als er sonst in der Gesellschaft ist. Aber wir sind im Verhältnis unverkrampfter, wenn es darum geht, eine Debatte wie diese zu bestreiten.
({0})
Ich kämpfe dafür, daß Frauen bei den sogenannten Männerfragen hier ans Pult kommen. Ich finde es richtig, daß bei den sogenannten Frauenfragen auch Männer in dieser Debatte das Wort nehmen.
({1})
Lassen Sie mich, da ich in dieser Debatte wenig Zeit habe - was ich gut finde, weil es die Geschwätzigkeit dieses Hohen Hauses einengen kann -, dem Herrn Bundesarbeitsminister, der mein verehrungswürdiger Vorredner war, nur ein paar Sätze widmen - lediglich ein paar Sätze deshalb, weil der Vortrag wenig Substanz hatte.
({2})
Was er hier geboten hat, war Schaumschlägerei übelster Art. Wenn diese Debatte im Ergebnis zu einer Sammlung von Kalendersprüchen führen soll, dann hat er einen wertvollen Beitrag geleistet.
({3})
Herr Bundesarbeitsminister, zugegeben: Ich habe ja Ihre Auftritte in diesem Plenum bewundert, seit Sie die Aufgabe haben, Arbeitsminister zu sein, und ich habe mich, ich gebe es zu, einen Moment lang in der trügerischen Hoffnung gewogen, daß dies heute anders sein könnte, daß ein Stück mehr Ernst in diese Debatte kommt. Wenn es einen Preis für die neue Lächerlichkeit gäbe: Ihnen würde er sofort anstandslos abgetreten.
({4})
- Nein; nicht „Pfui". Zynisch ist ein Mann, der hierher geht und über die wahre Lage der Frauen kein Wort sagt
({5})
und versucht, das, was dürftig genug ist, als eine Leistung hochzuposaunen.
({6})
Wissen Sie, ich bin seine hüpfende Sprechblasenrhetorik leid, mit der er an vielen sozialpolitischen Fragen hier vorbeiredet.
({7})
Ich will jetzt ein paar Fragen aufwerfen, von denen ich mir gewünscht hätte, daß er dazu etwas gesagt hätte.
({8})
Der erste Punkt ist, daß Frauen in besonderer Weise von den Folgen der Wirtschaftskrise betroffen sind. Das sieht man an der Quantität der Arbeitslosen. Die Frauen stellen weniger Erwerbstätige, aber mehr Arbeitslose. Da ist ein deutliches Mißverhältnis. Dazu habe ich in den Ausführungen des Bundesarbeitsministers außer Allgemeinheiten nichts gehört.
({9})
Die Sparoperationen 1983 und 1984 belasten alle Bürger. Wir halten sie sozialpolitisch für verfehlt. Sie belasten die Frauen in dieser Gesellschaft in besonderer Weise.
({10})
- Ach, wissen Sie, zu dem Punkt „Erblast" könnten wir uns ja darüber unterhalten, warum eine Vermögenssteuersenkung ihren Charme hat, wenn man es mit dem Sparen unbedingt ernst meint.
({11})
Dafür hätte ich vernünftigere Verwendungszwekke.
({12})
- Wissen Sie: Von Wirtschaftspolitik verstehe ich so viel wie Sie.
({13})
Sie verstehen nichts davon. Sie versuchen, mich zu stören. Aber das werde ich nicht zulassen. So.
({14})
Wissen Sie: Was ich schändlich finde, ist, daß Sie z. B. unseren älteren Frauen bei den ohnehin bescheidenen Renten - das hat mit den Erwerbsabläufen dieser Frauen zu tun - jetzt zum 1. Juli diese 1,3 % geben. Dies trifft alle Rentner. Der Inhalt aller Rentnerportemonnaies werden geschmälert. Aber die Rentnerin mit der kleinen Rente ist besonders betroffen. Auch die muß ihr Brot kaufen. Die muß ihre Miete zahlen, ihre Mietenerhöhung tragen, die erhöhten kommunalen Gebühren und all dies leisten.
({15})
Und da hätte ich mir, wenn es um die Hilfe für die wirklich Hilfsbedürftigen geht,
({16})
Herr Kollege, gewünscht, daß diese Regierung ihr soziales Herz schlagen läßt.
({17})
Was mich weiter stört, ist, daß Ihre Politik im Ergebnis, wenn ich es zusammennehme, den jüngeren Frauen die Zukunft stehlen will, den Frauen, die jetzt im Erwerbsleben sind, das in der Gegenwart mühsam Erreichte wegnehmen will und die älteren Frauen für ihren entbehrungsreichen Lebensweg im Alter mit materieller Not bestrafen will. Sie tragen mit Ihrer Politik zu einer offenen und einer versteckten Erosion dieser zaghaften Ansätze von Gleichberechtigung bei. Dieses Verfassungsgebot hat j a schon mehrmals Geburtstag gefeiert, auch 10jährige Geburtstage. Das wollen Sie abbauen.
Den Sorgen und Nöten der Frauen begegnen Sie, indem Sie der mündigen und selbstbewußten Frau, wie es soeben geschehen ist, die Bedingungen in der Arbeitswelt so stellen, daß sie tatsächlich auf die Rolle in der Familie eingegrenzt werden soll. Dies soll ihnen dann schmackhaft gemacht werden. Die neue Mütterlichkeit und die sanfte Macht der Familie sind der semantische Zuckerguß, der den Frauen versüßen soll, daß ihnen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend vorenthalten werden sollen.
({18})
- Ha! „Radikalinski!" Sie sind ein Witzbold!
({19})
Man müßte zum Berufsrevolutionär werden, wenn Sie wirklich etwas von der realen Situation der Frauen begriffen hätten. Dies ist doch der Punkt!
({20})
Das Haufrauendasein, die Mutterrolle, die soziale Anerkennung für ehrenamtliche Tätigkeit sind dann der Ersatz für Lebenschancen, die der Frau in der Gesellschaft von morgen vorenthalten werden sollen.
({21})
- Und Sie wären viel netter, wenn Sie endlich Ihre dummen Zwischenrufe einstellen würden!
({22})
Die Aufgaben in der Familie werden wie selbstverständlich den Frauen zugewiesen. Der Mann in der Familie hat in der Vorstellungswelt von Norbert Blüm keinen Platz. Die ehrenamtliche Tätigkeit für ein Vergelt's Gott ist wie selbstverständlich der Arbeitsbereich der Frau von morgen. Dem Mann wollen Norbert Blüm und seine Gesinnungsfreunde diese Art soziale Anerkennung selbstverständlich nicht zumuten. Wir Sozialdemokraten wollen, daß Frauen Mütter und Arbeitnehmerinnen sein können.
({23})
Wir wollen, daß Männer Väter und Arbeitnehmer sein können.
({24})
Und wir wollen, daß Familien dann wirklich Familien sein können. Und, Herr Bundesarbeitsminister, zu der neuen Mütterlichkeit, die Sie uns hier versüßen wollten - Sie sind ja fast lyrisch geworden -:
({25})
Eine Kollegin war so freundlich, mir zu sagen, wieviel Zeit Väter in die Familie einbringen. Das sind elf Minuten an Werktagen und 26 Minuten am Wochenende. Bei Politikern soll das noch weniger sein.
- Und da frage ich Sie nun, wie Sie auf diesem Hintergrund diesen wirklich absurden Vergleich herstellen können.
Wir Sozialdemokraten weisen zurück, daß an die Opferbereitschaft der Frau appelliert, daß ihre Liebe zu ihren Angehörigen politisch mißbraucht und die den Frauen anerzogene Fähigkeit zum Dulden ausgebeutet wird, um sie als Notnagel zu mißbrauchen, den ökonomischen und sozialen Folgen der Wirtschaftskrise Herr zu werden und dieses System gesellschaftlich stabil zu halten.
Da wird an die geheimen, unterbewußten Ängste der Männer um ihren Arbeitsplatz appelliert, um den Frauen hinsichtlich der Risiken und Chancen am Arbeitsmarkt die schlechteren Karten zuzuteilen und die Solidarität zwischen den Geschlechtern, wie Sie sie hier beschworen haben, Herr Arbeitsminister, nicht zu erhalten, sondern zu zerstören.
({26})
Auf diesem gedanklichen Hintergrund ist es tatsächlich nur folgerichtig, wenn die Gesetzesinitiativen, die aus Ihrem Ministerium kommen, die Position der Frauen, die noch Arbeit haben, weiter verunsichern, sie des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes berauben wollen. Das in Ihrem Hause erarbeitete Beschäftigungsförderungsgesetz verrät, daß der Gewerkschafter Blüm sein Mitgliedsbuch gedanklich bereits beim CDU-Wirtschaftsrat abgegeben hat.
({27})
Dieses Gesetz schadet allen Arbeitnehmern; aber besonders schlimm sind die Frauen davon betroffen.
({28})
- Doch, Frau Verhülsdonk. ({29})
- Ich werde noch zu ein paar Punkten kommen, die mich in Ihrer Rede besorgt gemacht hatten.
({30})
- Ich bin doch schon da. Seien Sie nicht so ungeduldig.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Ausdehnung zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse wird Stammarbeitsplätze vernichten, instabile und unsichere Arbeitsplätze statt dessen schaffen. Und dies hier im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsurlaubsgeld als eine Übergangsregelung verkaufen zu wollen, finde ich zynisch, Herr Arbeitsminister.
({31})
Diese Arbeitsverhältnisse wären unsichere Einstiegsmöglichkeiten, wenn überhaupt; denn wir haben doch ein Überangebot. Wir haben Teilzeitarbeitsuchende in einer Quantität von 240 000, und wir haben Teilzeitarbeitsplätze in einer Quantität von 7 500. Und nun frage ich mich, wie angesichts dieses grandiosen zahlenmäßigen Mißverhältnisses der Abbau von Schutzrechten, die Veränderung des Arbeitsvertragsrechts helfen sollen, mehr Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen. Dies kann mir doch niemand vorrechnen - es sei denn, es gäbe ideologische Gesichtspunkte. Und ich vermute tatsächlich, daß hier dem unternehmerischen Interesse Rechnung getragen wird und man dahin kommen will, zu sagen: Wir wollen die Frauen zu einer beliebig verfügbaren Reservearmee am Arbeitsmarkt machen. Dies stimmt schon.
Was die Teilzeitarbeit in diesem Gesetzentwurf und die neue Beweglichkeit angeht, so wissen Sie, daß die neue Beweglichkeit - ich habe nur noch ganz wenig Zeit - ihre Probleme hinsichtlich der sozialen Benachteiligungen, die in diesen Arbeitsverhältnissen an sich stecken, hat. Aber eine Absicherung ohne soziale und arbeitsvertragliche Mindeststandards, wie sie im Entschließungsantrag unserer Fraktion enthalten sind, kann doch nun nicht dazu führen, daß wir einen Schritt in die richtige Richtung vorankommen - im Gegenteil.
({32})
Wir wollen eine Absicherung. Der Antrag liegt vor. Ich hoffe, Sie werden den als gedankliche Hilfe noch aufnehmen, Herr Arbeitsminister.
Und die letzte Bemerkung ist die - ({33})
- Die Alternative ist,
({34})
daß wir aus zwingenden Gründen die 35-StundenWoche wollen,
({35}) [CDU/CSU]: Das mußte ja
so sein! - Weitere Zurufe von der CDU/
CSU)
weil sie die Chance, daß Frau und Mann Partner in Arbeitswelt und Familie sein können, bietet. Dies ist ein chancenreicher Weg.
Ich bedanke mich für Ihre aufgeregte Geduld.
({36})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Herr Präsident! Meine Herren Kollegen! Meine Damen! Die Zeiten haben sich etwas geändert. Selbst stereotype Anreden, die man hier sonst gemeinhin gebraucht, bedürfen des Überlegens. Ich habe ganz bewußt „Meine Herren Kollegen" gesagt, weil ich in meinen Bemerkungen in dieser Debatte vornehmlich die Männer ansprechen will.
Ich möchte einige grundsätzliche Bemerkungen machen und möchte von jener Schwarzweißmalerei, wie wir sie gerade eben praktiziert bekommen haben, und von der parteipolitischen Polemik, die unseren Frauenanliegen mit Sicherheit nicht dienen, wegkommen.
({0})
Meine sehr geehrten Herren, meine Damen, ich glaube, wir Frauen, so wie wir hier sitzen, wurden
- über die Parteigrenzen hinweg - im Vorlauf zu dieser Debatte und auch jetzt mit mehr oder weniger zarten Anspielungen darauf hingewiesen: Ist es denn nötig, daß wir ständig über die Frauenfrage sprechen? Es wurde sogar gesagt, wir würden Fronten aufbauen, wenn wir ständig Frauenfragen in den Mittelpunkt stellten. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß dies sehr, sehr viele Herren nicht mehr hören können. Vielleicht haben sie gar nicht so unrecht, daß wir Frauen uns in der Politik ständig mit Bestandsaufnahmen herumschlagen müssen, daß wir unsere Forderungen hier immer wieder einbringen. Wir müssen uns aber doch die Frage stellen: Woran liegt das denn eigentlich? Schaffen wir eine Änderung denn nicht nur dann und bekommen wir - auch von den Herren - nicht nur dann scheibchenweise Zugeständnisse, wenn wir immer wieder konkretes Handeln fordern? Reden und Worte bringen uns nicht mehr sehr viel weiter. Die Herren zeigen zwar Verständnis - wir haben es eben gerade gehört -, aber ich habe noch einige Zweifel, ob und wie sich dieses Verständnis umsetzt. Gestatten Sie mir, ein etwas bissiges Gedicht zu zitieren, das eine Literatin aus dem sozialdemokratischen Bereich geschrieben hat. Ich meine, es paßt ganz gut zu dem, was gerade eben gesagt worden ist. Es heißt in diesem Gedicht:
Du hast ja recht mit deinen Frauenfragen, und sicher ist, Ihr werdet ungerecht behandelt und alle Tage, alle Nächte unterdrückt.
- Das haben Sie doch gesagt, Herr Egert. Frau Männle
Doch sag, mein Kind, was soll die Rebellion? Nehmt eure Weiblichkeit,
setzt euren Charme ein,
eure Sanftheit, eure Liebe,
und alle Welt wird euch zu Füßen liegen.
({1})
- Meine Herren, ich weiß: Sie klatschen hier und sagen: Na ja, macht es doch mit Charme, macht es mit Freundlichkeit; dann braucht ihr gar nichts anderes. - Ich meine, das ist nicht ganz ausreichend. Ich möchte schon weiter gehen, als es in diesen Worten zum Ausdruck kommt.
({2})
Wir müssen doch sehen, daß im politischen und im gesellschaftspolitischen Raum, in Parteien, im Parlament, in den Verbänden, in den Vorstandsetagen und in den Aufsichtsräten von Banken, von Unternehmen, aber auch in den Medien die Herren heute ihre Bastionen mit allen Regeln der Kunst und ganz massiv verteidigen.
({3})
In Meyers Enzyklopädischem Lexikon steht ein recht interessanter Satz über Diskriminierung. Sicherlich hat ihn ein Mann geschrieben. Ich darf ihn einmal zitieren:
In der Regel erfahren Diskriminierungen bei denen, die sie praktizieren, eine Art Rationalisierung und Institutionalisierung, wodurch die allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit, die Diskriminierungen verurteilen müßten, nicht mehr gelten.
Das ist ein recht komplizierter Satz. Zu deutsch heißt das: Scheinbar vernünftige Gründe werden vorgeschoben, die eigentlich den Kern nicht treffen. Es ist dann klar: Wir brauchen dann auch nichts mehr zu tun, wenn rationale Gründe so vorgeschoben werden.
Ich möchte dies vorwegstellen und sagen, daß alle traditionellen politischen Parteien mit ihrer hierarchisch strukturierten Welt, mit den Machtstrukturen, aber auch Machterhaltungsstrukturen, die sich gerade heute sehr verfestigt haben - seien wir doch ehrlich -, für uns als Frauen eigentlich nur kleine Nischen lassen: für uns als Proporzfrauen, als Alibifrauen und manchmal als - auch das soll es geben - schmückendes Beiwerk. Aber da merken wir, daß das eigentlich alle betrifft. Das war nie anders. Das war bei den Sozialdemokraten in Kabinetten nicht anders; das ist bei uns in Kabinetten nicht anders; das ist in den Ländern nicht anders. Wohin Sie auch schauen, es sieht gleich aus.
Die GRÜNEN haben dieses Prinzip jetzt erstmals durchbrochen. Das ist sicherlich eine Meisterleistung der Taktik.
({4})
- Richtig, Frau Hellwig, den Alibi-Mann haben die vergessen.
Ich möchte aber wirklich die bange Frage stellen, ob uns Frauen dieses Vorexerzieren einer totalen Umkehrung der bisherigen geschlechtsspezifischen Verhältnisse vom Patriarchat in ein Feminat in der Politik nicht zurückwirft.
({5})
Was wollen wir Frauen, was wollen auch die Wählerinnen? Wir wollen sicherlich mehr Frauen in den politischen Entscheidungsgremien haben. Das ist ganz klar. Aber erreichen wir dies durch geschlechtsneutrale Formulierungen, wie sie z. B. im EG-Anpassungsgesetz gefordert werden? Im Grundgesetz, Herr Bundeskanzler, dürfte es dann nicht mehr heißen: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik", sondern es müßte heißen: „Der Bundeskanzler/Die Bundeskanzlerin bestimmt die Richtlinien der Politik". Dies nützt relativ wenig. Das wissen wir alle.
Partei- und fraktionsinterne Auswahlverfahren blockieren die Frauen doch sehr stark. Meine sehr geehrten Herren, meine Damen, es gäbe etwas, dies zu verbessern. Ich denke an ein frauenfreundlicheres Wahlrecht. Ich komme ja aus Bayern. Da haben wir es.
({6})
Wir haben ein sehr liberales Wahlrecht auf der Landesebene und vor allen Dingen auf der Kommunalebene. Dort werden Frauen besser berücksichtigt, weil Frauen gezielt auch gewählt werden können. Wir haben sogar Frauen auf eigenen Listen durchgebracht. Ich meine, Frauen haben recht gut abgeschnitten.
Wie wir uns erinnern werden, hat die Verfassungsrechts- Enquetekommission vorgeschlagen, das Wahlrecht zu ändern. Wer hat es denn nicht gemacht? Bei der Stellungnahme zu den Aussagen dieser Enquetekommission ging es damals unisono. Da braucht keine Partei, keine Regierung ihr Licht hochleuchten zu lassen; sie können es alle unter den Scheffel stellen. Alle waren dagegen.
Ich hoffe, daß wir die Situation verändern können, daß hier gewisse freie Elemente hineinkommen. Vielleicht wäre es gut, in dieser Frage auch einmal miteinander entsprechend weiterzukommen.
Meine Herren, meine Damen, wir beraten heute in erster Lesung auch den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Es ist ein ungeheuerer Fortschritt, daß wir zum erstenmal in der Geschichte der Völker ein so umfassendes Diskriminierungsverbot gegen die Frauen weltweit gesetzlich verankern wollen.
Lassen Sie mich hier eines sagen: Die Bundesregierung beabsichtigt zu Recht, die Ratifizierung unter den Vorbehalt des Fortbestehens unserer Verfassungsbestimmung zu stellen, wonach Frauen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten dürfen,
obwohl Art, 7 des Übereinkommens der Frau ausdrücklich das Recht auf Wahrnehmung aller öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit zubilligt. Ich meine, wir sollten es mit bestimmten Gleichberechtigungsansprüchen nicht übertreiben. Wir sollten dies hier alle entsprechend mittragen.
Meine sehr geehrten Herren, meine Damen, obwohl ich die Situation von Frauen vor allen Dingen im politischen Bereich hier kritisch gekennzeichnet habe, möchte ich gegen Ende doch sagen, daß ich in meiner nun 20jährigen politischen Karriere, die ich jetzt durchlaufen habe und wo ich mich von unten nach oben hochgedient habe, erhebliche Fortschritte festgestellt habe. Das möchte ich nicht verschweigen, das muß man ganz deutlich ausdrükken.
Ich meine, die heutige Frauengeneration ist eine sehr selbstsichere, eine aufgeweckte, eine sehr bewußt lebende Frauengeneration, die es versteht, ihre Rechte und Forderungen in das politische Leben einzubringen. Die „Brigitte"-Studie hat uns gezeigt, daß wir es mit kritischen, informierten Mädchen zu tun haben, die auf eigenen Füßen stehen.
({7})
Ich bin davon überzeugt. Ich meine, Frau DäublerGmelin, diese Untersuchung zeigte, wie eng Männer- und Frauenrolle miteinander verbunden sind. Es zeigte sich, daß Chancengleichheit der Frauen ein gesamtgesellschaftliches und nicht nur ein Problem von Frauen ist, daß es hier um Zusammenarbeit geht.
({8})
Ich sehe jenseits des Bildes, das radikale Feministinnen uns zu vermitteln suchen, daß die Einsicht zunehmend wächst, daß die Gleichberechtigung für Frauen auf allen Ebenen nur gemeinsam mit den Männern und nicht gegen sie zu erreichen ist, auch wenn es in meinen ersten Worten vielleicht ein bißchen anders klang. Ich meine, die Chancen sind nicht schlecht. Wir sollten auf dem bisher gegangenen Weg wirklich weitergehen.
Dieser Gesetzentwurf, der uns vorliegt, zwingt uns, stärker darüber nachzudenken. Dieses Nachdenken und Weiterarbeiten - das wollen wir doch gemeinsam tun.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Potthast.
Meine Damen und Herren! Liebe Frauen! Wie Peter Glotz vor kurzem im „Spiegel" sagte: „Die Losung heißt: Der Patriarchalismus ist zum Sterben verurteilt."
({0})
Göttin sei Dank, könnten wir hier sagen.
({1})
Genügend Unheil ist inzwischen ja wohl angerichtet worden. Aber wenn ich Sie so reden höre, Herr Blüm, steigt in mir nur Wut hoch. Denn so lustig oder so lächerlich - je nach Standpunkt - sich Ihre Rhetorik anhört: Dahinter verbirgt sich knallharte Männer-Machtpolitik.
({2})
Das, was Sie hier geliefert haben - süße Worte, Aufwertung der Mütterlichkeit; für manche Frauen hört es sich ja vielleicht reizvoll an -, ist der berühmt-berüchtigte Zuckerguß über einem riesigen Scheißhaufen.
({3})
Wut steigt auf, Wut über die Art und Weise, mit der Sie hier immer wieder geschickt versuchen, Sprache so zu benutzen, daß sie Herr schaftsverhältnisse verschleiert.
({4})
Weiterhin wird hier von Frauenarbeitslosigkeit geredet, während Frauen zwei Drittel aller gesamtgesellschaftlichen Arbeit verrichten.
({5})
Da behauptet die Bundesregierung - ich zitiere selbstverständlich mit Erlaubnis des Präsidenten -:
({6})
Neben den allgemeinen Problemen am Arbeitsmarkt beeinflussen einige strukturelle Sonderfaktoren den Arbeitsmarkt für Frauen.
Sie führt dann u. a. an, „die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen aller mittleren Altergruppen" sei einer der Gründe dafür, daß Frauen nicht nur in der Bundesrepublik von Arbeitslosigkeit stärker betroffen seien als Männer. Wie reizend! Folgen wir dieser patriarchalen Gedankenakrobatik, dann heißt das: Frauen sind an der Frauenerwerbslosigkeit schuld.
Halten wir also noch einmal fest: Zwei Drittel aller gesellschaftlichen Arbeit wird weltweit von Frauen verrichtet. Von Frauenarbeitslosigkeit kann also beim besten Willen keine Rede sein, eher im Gegenteil. Denn Frauen haben zuviel an Arbeit, zuviel an unter- und unbezahlter Arbeit.
Wut kann weiterhin aufkommen, wenn hier so getan wird, als sei die Frauenerwerbslosigkeit völlig losgelöst von dem Alltagskrieg, der seit Anbeginn des Patriarchats, seit 5 000 Jahren also, gegen Frauen geführt wird, einem Alltagskrieg, der sich in allen Bereichen des menschlichen Lebens bemerkbar macht: am Erwerbsarbeitsplatz, wo Frauen der sexistischen Willkür ihrer jeweiligen Chefs ausgesetzt sind
({7})
- Sie müssen ganz aufhören! Wir haben uns mit
Ihren Sekretärinnen unterhalten und erfahren, daß
Frauen entlassen werden, weil sie nicht mit ihren Chefs schlafen,
({8})
daß Frauen aber auch entlassen werden, weil sie mit ihren Chefs schlafen, weil ihnen dann nämlich die Ehefrauen aufs Dach steigen. Wir haben unsere Informationen von Ihren weiblichen Arbeitskräften geholt; hören Sie bloß auf!
({9})
aber auch in der Sprache, in der Frauen verschwiegen werden. Bezeichnenderweise, liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD, werden in Ihrem Gesetzentwurf zur „Sicherung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz" nur männliche Begriffe verwendet, obwohl eindeutig Frauen gemeint sind. Man - Mann - redet uns j a immer gerne ein, Arbeitnehmer, Arzt, Student, Arbeiter, all das seien geschlechtsneutrale Begriffe. Allein wenn ich sage: „Mein Hauswirt hat gestern meinen Nachbarn geheiratet", wird man stutzig.
Dieser Alltagskrieg wird also gerade auch in der Ehe, in der Familie geführt. Der Ort, Herr Blüm, der laut Ihrer christdemokratischen Ideologie der Hort der Geborgenheit, des Schutzes sein soll, genau dieser Ort entpuppt sich bei genauerem Hinsehen - folgt frau den Berichten der Frauenhäuser - als der Ort, wo die meisten Mißhandlungen und Vergewaltigungen stattfinden.
Frauenerwerbslosigkeit reiht sich also ein in die lange Liste der Symptome einer kranken patriarchalen Gesellschaft. Viele gute Vorstellungen sind entwickelt worden, um dieser verfluchten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beizukommen, einer Arbeitsteilung, die Männern qua Geschlecht die gesellschaftlichen Machtbereiche zuschreibt, während Frauen auf Grund ihrer potentiellen Gebärfähigkeit geeigneter sein sollen, Wäsche zu waschen und Hemden zu bügeln.
Vorstellungen sind also entwickelt worden wie die Quotierung von Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplätzen, Elternschaftsurlaub, radikale Umverteilung der Erwerbsarbeit usw. usw. Aber reicht das? Können wir uns tatsächlich auf diese Systemkuriererei einlassen? Müssen wir nicht grundsätzlichere Fragen stellen? Brauchen wir nicht eher eine fundamentale Neuorientierung? Betreiben wir nicht Systemkosmetik, wenn wir uns auf die Logik des Patriarchats einlassen, vergleichbar etwa der Reparatur eines Autos, bei dem wir mühselig die Stoßdämpfer auswechseln, während die Achse schon lange durchrostet?
({10})
Da streiten sich die Männerbünde um lächerliche fünf Erwerbsarbeitsstunden und vergessen, daß diese Erwerbsarbeitszeitverkürzung nicht einmal ausreichen wird, die Ausgrenzung der statistisch erfaßten erwerbslos Gemeldeten - 2,5 Millionen Menschen - aufzuheben, geschweige denn die sogenannte stille Reservearmee abzubauen - ganz zu schweigen von den Millionen von Frauen, die sang- und klanglos überhaupt nicht mehr auftauchen, diese sogenannten Nurhausfrauen.
Die 35-Stunden-Woche, Herr Egert, reicht meiner Meinung nach nicht aus, weil auch sie jene Karikatur von männlichen Arbeitnehmern voraussetzt, die heute die Leistungsgesellschaft beherrscht. Oder kann sich vielleicht jemand von Ihnen vorstellen, wie gesellschaftspolitische Veränderungen erreicht werden können, wenn die Akteure neben sieben Stunden Zwangsarbeit plus Hin- und Rückfahrtzeit zur Erwerbsarbeitsstätte von einer Stunde auch noch Kindererziehung, Gewerkschaftsarbeit, Hausarbeit, Beziehungsarbeit usw. usw. leisten sollen?
Ich wünsche mir, daß Frauen massenhaft die Arbeitsämter stürmen, um klarzumachen, daß sie massenhaft erwerbslos sind, Arbeit dagegen zuviel haben. Ja, Arbeit haben wir genug. Sie ist nur falsch verteilt; falsch verteilt wie alles in dieser Gesellschaft, wie Positionen, wie Macht, Geld, Einfluß, Ansehen, Wertigkeit. Sie ist aufgeteilt nach der Logik der patriarchalen Gesellschaft.
In allen Betrieben unserer Gesellschaft arbeiten die Männer in den gehobeneren, qualifizierteren, besser bezahlten Positionen. Besser bezahlt, weil sie j a angeblich ein Familieneinkommen brauchen; denn sie müssen sich j a zu Hause eine Frau halten können, eine Frau, die es ihnen erst ermöglicht, jeden Morgen einer Erwerbsarbeit nachzugehen, den Berufsstreß auszuhalten, ihre Arbeitskraft wiederherzustellen. Auf dieser Logik baut dieses System auf, d. h. Sie alle, die Sie so schön vor mir oder auf der Regierungsbank sitzen, sind Schmarotzer, Schmarotzer eines Systems, das auf der Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft basiert.
Diesem Parasitentum kann nur dadurch ein Ende gemacht werden, daß Ihnen, meine Herren, nur so viel an Einkommen gezahlt wird, wie Sie alleine brauchen, um zu leben, daß Ihnen gleichzeitig genügend Zeit gegeben wird, Ihre Unterhosen selbst zu waschen und einkaufen zu gehen, und daß uns Frauen genug Geld gegeben wird, damit wir uns frei entscheiden können, wie, wo und mit wem oder ohne wen wir leben wollen. Das heißt existenzsicherndes Einkommen für Mann und Frau, existenzsichernde Rente für Frau und Mann unabhängig von der irgendeines anderen Partners oder einer Partnerin.
({11})
Solange die Frauenfrage nicht als ein zentrales gesellschaftliches Problem begriffen wird, werden alle Lösungsstrategien für die derzeitige ökonomische und ökologische Krise weitere Krisen produzieren, möglicherweise bis hin zur völligen Auslöschung allen Lebens. Denn Ihre Lösungen, meine Herren, tragen Ihre Stempel. Sie werden hauptsächlich von und für Menschen gemacht, die von der unbezahlten Arbeit, von der Hausarbeit, von der
Kinderversorgung anderer profitieren und selbst keine leisten, für und von Menschen, die durch ein soziales Beziehungsgefüge gesichert sind, sich aber nicht für seine Aufrechterhaltung zuständig fühlen.
Wenn auf den jeweiligen Arbeitsplätzen am Fließband, in den Büros, in den Fabriken, wenn in den Parteien, Aufsichtsräten und Parlamenten Männer säßen, die neben ihrer Arbeit dort ihre Einkäufe selbst erledigen, ihr Essen selbst kochen, ihre Wäsche selbst waschen, ihre Kinder selbst zum Kindergarten bringen und dort wieder abholen müßten, sähen diese Institutionen schon lange anders aus.
({12})
Die Frauenfrage ist eine ökologische Frage bzw. die Frage der Ökologie ist eine Frauenfrage. Unsere Gesellschaft - besser: Ihre Gesellschaft, meine Herren - zerstört sich selbst. Sie vergiften sich und auch uns Frauen mit Abfällen, mit Atommüll. Sie verschwenden sinnlos Rohstoffe, bedrohen sich gegenseitig und uns mit Massenvernichtungsmitteln, zerstören sich und unsere gemeinsame Umwelt systematisch mit einer Ignoranz, die sich nur aus der patriarchalen Entfremdung von der Natur erklären läßt.
Deshalb, meine Herren, geben Sie die Zepter der Macht in die Hand der Frauen!
({13})
Sie, Sie alle, sind schon lange überfällig. Geben Sie die Macht an die Frauen für eine ökologische feministische Politik. Die Geduld der Frauen war bislang die Macht der Männer. Das muß aufhören!
({14})
Meine Damen und Herren, es hat eben etwas Unruhe gegeben wegen eines parlaments-unüblichen Wortes. Nachdem aber dieses Wort in einer früheren Debatte durch ein Mitglied des Hauses männlichen Geschlechts eingeführt worden ist, habe ich es überhört. Es nützt uns aber allen nichts. Ich bitte wirklich, sich doch an die Üblichkeiten hier zu halten.
Ich habe jetzt die große Freude, meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne eine Delegation beider Häuser des Parlaments der Republik Brasilien zu begrüßen.
({0})
Der Deutsche Bundestag heißt Sie herzlich willkommen. Wir sehen in Ihrem Besuch einen Ausdruck der freundschaftlichen Verbundenheit.
Wir begrüßen es sehr, daß Sie auch Berlin besuchen werden.
({1}),
In Berlin ist die schicksalhafte Teilung Deutschlands und Europas zu greifen. Sie werden feststellen, daß dies zugleich den ungebrochenen Willen der Deutschen auf ihre Einheit manifestiert.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche in Deutschland.
({2})
Meine Damen und Herren, wir fahren in unserer Debatte fort. Das Wort hat Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit meiner Vorrednerin von der Fraktion DIE GRÜNEN teile ich eine Einschätzung. Ich finde es sehr wichtig, daß in diesem Hause ganz deutlich gemacht wird: Wir sollten nicht von „Frauenarbeitslosigkeit" sprechen, sondern wir sollten darauf abstellen, daß die Erwerbstätigkeit von Frauen heutzutage erschwert ist. Die Frauen haben sehr viel weniger Chancen als ihre männlichen Kollegen am Arbeitsmarkt.
Aber folgendes sollte man in einer Gleichberechtigungsdebatte zu Anfang ganz deutlich herausstellen: Gleichberechtigung bedeutet auch die Anerkennung der Hausfrauenarbeit und der Arbeit der Kindererziehung als eine für unsere Gesellschaft eminent wichtige Aufgabe.
({0})
Dies, meine Damen und Herren, ist so ungefähr das einzige, was ich an Auffassungen mit meiner Vorrednerin teile. Vor allen Dingen kann ich nicht einsehen, was ökologisch mit feministisch zu tun hat. Bei uns in der Fraktion kümmern sich um die Gleichberechtigung Männer und Frauen, um die Ökologie auch.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Erwerbschancen von Frauen können nicht dadurch verbessert werden, daß man sich jetzt ganz isoliert um diesen Problempunkt kümmert, sondern die Erwerbschancen von Frauen werden sich erst dadurch verbessern, daß insgesamt die Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft abgebaut wird. Deshalb muß auch in der Zukunft vorrangig unsere Aufgabe darin liegen, die Wirtschaftspolitik so zu gestalten, daß insgesamt die Arbeitsmarktchancen von Männern und Frauen verbessert werden.
Darüber hinaus wollen wir natürlich sicherstellen, daß gerade in der Familie die Wahlfreiheit bestehenbleibt, die wir mit vielen Mühen im Gesetz verankert haben und die festschreibt, daß die Aufgaben in der Familie zwischen Männern und Frauen nach ihrer freien eigenen Entscheidung verteilt werden. Das bedeutet aber auch, daß wir dafür sorgen müssen, daß mehr flexible Arbeitszeitmöglichkeiten geschaffen werden, daß mehr Teilzeitarbeit ermöglicht wird. Ich finde es nach wie vor ausgesprochen bedauerlich, daß es uns immer noch nicht gelungen ist, in diesem Punkt einmal den öffentlichen Dienst zum Vorreiter zu machen.
({2})
Das ist ein Bereich, wo wir direkt Einfluß nehmen können, und ich appelliere an alle Minister, im Bund und in den Ländern dafür zu sorgen, daß in ihren Ministerien mehr Chancen, mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit geschaffen werden.
({3})
Die Aufgabenverteilung in der Familie erfordert natürlich auch, daß wir uns ganz speziell darum kümmern, wie die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt aussehen kann, wenn Zeiten der Kindererziehung dazwischenliegen, wo eine Frau oder ein Mann ganz an der Erwerbstätigkeit gehindert war, sie nicht ausgeübt hat. Hier brauchen wir zusätzliche gezielte Möglichkeiten über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, über spezielle Qualifizierungsprogramme, die auch von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden sollten. Wir brauchen die Möglichkeit, Verträge abzuschließen, die längere Einarbeitungszeiten nach einer längeren Zeit des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben ermöglichen. Wir werden uns in den nächsten Wochen hier im Plenum auch noch einmal im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Förderung der Beschäftigung über solche Möglichkeiten zu unterhalten haben. Hier liegt ein ganz wichtiger Punkt, der vor allen Dingen Frauen zugute kommen wird.
Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, kann ich in vielen Punkten Ihrem Entschließungsantrag, den Sie heute zu der Großen Anfrage zur Frauenarbeitslosigkeit vorgelegt haben, nicht folgen. In Ihrem Antrag werden Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeit als atypische Arbeitszeitformen bezeichnet. Was ist denn das für eine Diskriminierung der Entscheidung, nur einen Teilzeitarbeitsplatz zu wollen, wie es sich ganz viele Frauen in unserer Gesellschaft wünschen!
({4})
Darin liegt eine Diskriminierung der Entscheidung derjenigen, die sowohl für ihre Familie als auch für ihre Arbeit ihre Zeit aufteilen möchten.
({5})
Deshalb können wir diesem Antrag schon vom Grundtenor her nicht zustimmen. Wenn man sich die einzelnen Maßnahmen weiter ansieht, findet man sehr schnell heraus, daß hier ein Antrag vorgelegt wird, der darauf zielt, Teilzeitarbeit letztendlich zu verhindern und unmöglich zu machen.
In einem sind wir uns einig: Wir müssen dafür sorgen, daß ein Mißbrauch von Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern durch Teilzeitbeschäftigung ausgeschlossen wird. Da werden wir uns auch die Möglichkeiten ansehen müssen, die im Zusammenhang mit Telearbeit und Heimarbeit in Zukunft geschaffen werden. Wenn man aber immer nur sagt, daß solche Arbeitszeitformen Gefahren mit sich bringen, meine Damen und Herren, beschneidet man die Chancen von Frauen, die über Tele- und Heimarbeit bessere Möglichkeiten haben, ihre vielfältigen Aufgaben unter einen Hut zu bekommen.
Eine frauenfreundliche Politik sollte schließlich solche Chancen nicht verhindern;
({6})
sie sollte nicht Gesetze machen, die letztendlich darauf zielen, diese Chancen zu untergraben, sondern Gesetze, die Frauen schützen, aber ihnen alle Möglichkeiten der eigenen Entscheidung offenlassen.
({7})
Schutzvorschriften, meine Damen und Herren - das haben wir in der Vergangenheit immer wieder an traurigen Beispielen deutlich sehen können -, haben auch dazu gedient, Chancen von Frauen zu vermindern. Natürlich ist es wichtig, daß der Mutterschutz erhalten bleibt, natürlich ist es richtig, daß eine Frau möglichst lange nach der Geburt bei ihrem Kind bleibt; aber wir können doch nicht die Augen davor verschließen, daß alle diese Schutzvorschriften dazu geführt haben, die Arbeitsmarktchancen von Frauen weiter einzuschränken.
Der Ausweg daraus kann natürlich nicht sein, zu sagen, wir schaffen den Mutterschutz ab. Damit wir uns hier überhaupt nicht falsch verstehen: das kann nicht der Weg sein. Aber wir müssen uns doch fragen, ob es Möglichkeiten gibt, zu verhindern, daß einzelne Arbeitgeber, die einen besonders hohen Frauenanteil in ihren Betrieben haben, alleine die Lasten aus solchen Schutzvorschriften tragen. Wir Freien Demokraten haben immer dafür gekämpft, nicht arbeitsrechtlichen Lösungen den Vorzug zu geben, sondern versicherungsrechtliche Lösungen für solche Zeiten einzuführen, damit gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht bei einzelnen Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern abgeladen werden, sondern die Gesamtheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer dafür aufkommen muß.
({8})
Das ist unsere Forderung auch in der Zukunft.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu dem Gerichtsurteil, das der Europäische Gerichtshof vorgestern im Zusammenhang mit dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz gefällt hat. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs besagt, daß ein Schadensersatzanspruch für Frauen gegeben sein muß, die ungerechtfertigterweise diskriminiert worden sind.
({9})
Wir werden prüfen müssen, welche Konsequenzen wir daraus zu ziehen haben. Nur, zu glauben, daß ein solcher Schadensersatzanspruch auch nur einer Frau einen zusätzlichen Arbeitsplatz verschafft, das ist eine solche Illusion, daß wir uns dem wirklich nicht anschließen sollten. Wir wollen Gesetze machen, die letztendlich dazu führen, daß die Chancen von Frauen verbessert werden. Aber wir wollen keine Gesetze machen, die dazu führen, daß Frauen in der Zukunft nicht einmal mehr die
Chance haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
({10})
Bei dem, was hier gefordert wird, muß jeder, der überhaupt einmal betriebliche Praxis kennengelernt hat und der weiß, welche Möglichkeiten da bestehen, Frauen von vornherein auszuschließen, einfach dafür sorgen, daß hier Flexibilität und nicht zusätzliche Starrheit in den ganzen Bereich hineinkommt.
({11})
Wer zusätzliche Beschränkungen, wie wir sie aus Vollzeitbeschäftigungen haben, auch auf Teilzeitarbeit und auf spezielle Frauenarbeitsplätze übertragen will, der sorgt dafür, daß in der Zukunft Frauen noch geringere Chancen haben, als das heute schon der Fall ist, vor allen Dingen natürlich in Zeiten der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das ist der Grund, weshalb wir sagen, gesetzliche Regelungen müssen einen Rahmen geben, in dem die Beschäftigung sich abzuspielen hat. Aber gesetzliche Regelungen, die letztendlich dazu dienen, daß sie als Vorwand genommen werden, weiter Chancen abzubauen, die Frauen heute noch haben, können unsere Zustimmung nicht finden.
({12})
Vielfach ist es ja so, daß die Gesetze dann auf dem Papier stehen, damit einzelne Abgeordnete draußen durch die Gegend laufen können und sagen können: Das haben wir jetzt erreicht. Aber wie dann die betriebliche Wirklichkeit aussieht und wie die Frauen, die überhaupt keine Chance mehr haben, letztendlich zusätzlich diskriminiert werden, das interessiert dann vielleicht weniger.
({13})
- Auf Ihren Zwischenruf kann ich nur sagen, ich bin lange genug in der Industrie gewesen und ich habe lange genug auch Einstellungsgespräche mit Mitarbeitern geführt und bin selbst Mitarbeiterin gewesen, um sehr genau zu wissen, wovon ich spreche.
({14})
Das ist der Grund, weshalb ich Gesetze will, die nicht unterlaufen werden können, die nicht im Vorfeld schon ausgeschaltet werden können. Deshalb plädieren wir für mehr Flexibilität, und ich bin sicher, daß wir das in der Zukunft auch durchsetzen werden.
({15})
Das Wort hat Frau Dr. Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Adam-Schwaetzer, ich möchte Ihnen mit einem Satz der ersten Familienministerin, die es in diesem Staate gab, antworten: „Die Gesellschaft wandelt sich, der Gesetzgeber antwortet, oft zu spät und als Mann."
({0})
Genauso ist dieses EG-Anpassungsgesetz dank des Grafen Lambsdorff gestrickt gewesen, und Gott sei Dank hat der EG-Gerichtshof in einem entscheidenden Punkt dieses geradezurücken versucht. Und ich hoffe, im zweiten Anlaufe werden die Frauen, auch die Frauen in der FDP, etwas stärker sein, das zu tun, was im Interesse der Frauen ist.
({1})
Gerade bei Frauendebatten und familienpolitischen Debatten in diesem Hause, meine ich, sollten wir die Frage nach der Glaubwürdigkeit unserer Politik stellen, insbesondere meine Herren Kollegen. Denn was wir hier in einem Parlament tun, das angeblich das ganze deutsche Volk spiegelt, aber zu mehr als 90 % aus Männern besteht, ist oft eine Anmaßung, weil die Männer stellvertretend handeln zu müssen glauben für die Frauenmehrheit in unserem Volk. Von dieser Mehrheit haben sie zum großen Teil aber sehr wenig Ahnung.
Sie alle, geschätzte männliche Kollegen, sind doch dringend darauf angewiesen, daß Ihre Ehefrauen die Familie zusammenhalten und den Kindern das geben, was diese brauchen.
({2})
Nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis: Unser verrückter Politikerberuf ist nicht die Norm.
({3})
Die Familie braucht etwas anderes als das, was Ihnen aus Ihren ganz persönlichen, individuellen Erfahrungen familienpolitisch als geboten erscheint.
({4})
Nehmen Sie ohne ideologische Scheuklappen die gesellschaftspolitische Situation von Männern und Frauen in unseren Familien so an, wie sie ist, und ziehen Sie daraus politische Folgerungen!
Familienpolitik ist nicht etwas für Leute von gestern, die eher - wie überwiegend die Herren der Regierung - der Großvätergeneration angehören, sondern Familienpolitik muß sich auf Leute richten, die heute eine Familie mit kleinen oder größeren Kindern haben, oder auf jene, die gerade dabei sind, eine Familie zu gründen.
({5})
Man muß also - das sage ich jetzt mit aller Deutlichkeit - von den Geburtsjahrgängen 1955 und jünger reden. Sie machen aber Politik für Leute, die bestenfalls den Geburtenjahrgängen von 1925 bis 1940 angehören; deren Probleme sind familienpolitisch alte Hüte.
({6})
Noch dazu reden Sie in allen wirtschaftspolitischen Fragen vom „mündigen Bürger", dem man
nichts vorschreiben solle, weil er doch selbst wisse, was für ihn gut sei. In der Tendenz haben Sie damit ja auch recht: Kein Politiker soll sich zum Schiedsrichter über die Entscheidungsfähigkeit seiner wählenden Mitbürger aufspielen. Aber bleiben Sie dabei bitte konsequent, vor allen Dingen in der Familienpolitik! Denn alle einschlägigen Untersuchungen besagen, daß die „mündige Bürgerin" wünscht, Familie und Beruf vereinbaren zu können.
({7})
Die Untersuchung der Zeitschrift „Brigitte" über „Mädchen '82" sagt ausdrücklich, daß Mädchen außer einer guten Schulausbildung eine gute und in die Zukunft weisende Berufsausbildung möchten, daß sie sich für ihre Familie nicht so abschuften möchten, wie ihre Mütter das tun, und daß sie vor nichts so große Angst haben wie davor, daß sie keinen Arbeitsplatz finden könnten, der sie beruflich zufriedenstellt.
Sind die Bürgerinnen der Zukunft nicht der Maßstab, an dem sich unsere Politik ausrichten müßte? Sie, meine Herren von der Regierung, sind nicht einverstanden mit den Ergebnissen des Sechsten Jugendberichts, die heute nachmittag debattiert werden. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die größten Defizite unserer Gesellschaftspolitik nach wie vor bei den Chancen für die Mädchen und jungen Frauen in der Zukunft liegen.
({8})
Nach dem Gießkannenprinzip wollen Sie nun die jungen Ehepaare „gießen", auf daß sie dem Staate Kinder schenken, denn bevölkerungspolitisch steht die Bundesrepublik Deutschland in der Statistik an allerletzter Stelle. Sie möchten es außerdem familienpolitisch begründen, daß die Frauen möglichst wenig nach Arbeitsplätzen nachfragen, weil die Arbeitslosenstatistik ohnehin so negativ aussieht. Ein mathematischer Grundsatz besagt: Sind zwei Größen einer dritten gleich, so sind sie auch untereinander gleich. - Das heißt, Sie möchten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: erstens mehr deutsche Kinder, zweitens weniger Arbeitsplätze für deutsche Mütter.
Das muß man einmal so deutlich sagen, damit die deutschen Frauen wissen, was diese Regierung von ihnen erwartet, und damit sie sich politisch entsprechend verhalten können.
({9}) Wenn ich 25 wäre und nicht fast 45,
({10})
würde ich Ihnen was husten. Erstens würde ich nicht CDU wählen, denn nach den Kürzungen im familienpolitischen Bereich, die in den vergangenen beiden Jahren stattgefunden haben, kann ich an die Sprüche des Arbeitsministers wirklich überhaupt nicht glauben.
({11})
Zweitens würde ich nicht um alles in der Welt aus meinem Beruf ausscheiden, wenn ich meinen Arbeitsplatz gefunden hätte, und ich würde drittens meinen Wunsch nach Kindern - ich habe drei; ich weiß, wovon ich rede - darauf beschränken, wie viele Kinder ich vielleicht mit einer Berufstätigkeit verbinden könnte. All diese Dinge stimmen nicht mit den Zielen überein, die sich die CDU-Politik gesetzt hat.
Die CDU hat den von uns damals eingeführten Mutterschaftsurlaub immer als „ideologisch und tendenziös" gebrandmarkt, weil er nur erwerbstätigen Müttern zugute kommt. Ich gebe zu: Mir wäre ein Elternurlaub in Verbindung mit einer stärkeren materiellen Unterstützung von Familien mit nur einem Verdiener auch lieber gewesen.
({12})
Bemerkenswert ist aber, daß in der Diskussion über Ihr Erziehungsgeld die zweite Komponente unseres Mutterschaftsurlaubs, nämlich die Arbeitsplatzgarantie, völlig untergeht.
({13})
Diese Komponente ist aber angesichts der schwierigen Arbeitsmarktsituation heute wesentlich wichtiger als vor vier Jahren.
({14})
Herr Blüm, tun Sie doch nicht so, als ob Ihre Idee eines nur nichterwerbstätigen Eltern zugesprochenen Erziehungsgeldes weniger ideologisch wäre! Sie spielen erst recht die eine Frauengruppe gegen die andere aus, und dies Jahre später, wo die jungen Frauen uns allen noch viel deutlicher als vor fünf Jahren zeigen, daß sie diese Auseinanderdividiererei ein für allemal Satthaben.
({15})
Frauen wollen beides, sie wollen Beruf und Familie, und dies nach Möglichkeit gleichzeitig. Ist es denn für Politiker, die doch auch Väter von pfiffigen, lebenstüchtigen Töchtern sind, wenn schon die Gattinnen den Weg der Anpassung gehen müssen, so schwer zu begreifen,
({16})
daß Frauen ihre Kraft in gleicher Weise bei Tätigkeiten für andere und bei Tätigkeiten für sich einsetzen wollen?
({17})
Herr Blüm, es ist ja richtig, was Sie gesagt haben: daß Anstrengungen nötig sind, Familie und Beruf einander anzunähern, allerdings mehr nach den Bedürfnissen der Familie als nach denen des Berufes. Nur vermisse ich sehr, daß die Herren Stoltenberg und Lambsdorff, die in diesen Fragen das Sagen haben - das sind ja nicht Sie; Sie tun immer bloß so -, an dieser Debatte auch teilnehmen,
({18})
um an diesen Punkten wirklich Markierungen zu setzen.
Damit Sie zum Schluß noch etwas zu lachen haben, bringe ich ein Zitat von der ersten Frauenstaatssekretärin in Frankreich zu Zeiten eines frü4662
heren, also eines konservativen Ministerpräsidenten. Françoise Giroud hat einmal gesagt: Die wirkliche Gleichberechtigung werden wir dann erreicht haben, wenn auch mittelmäßige Frauen Führungspositionen besetzen. - Lassen Sie uns auf diesem Wege gemeinsam voranmarschieren!
({19})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hürland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Renger, in der Reihe der Frauen, die sich um die Emanzipation und um die Gleichberechtigung der Frauen verdient gemacht haben, darf ich denen aus Ihrer Partei die aus dem konservativen Lager hinzufügen, und Sie stimmen mir sicher zu, wenn ich hierbei Gertrud Bäumer, Helene Weber und Maria Probst erwähne.
Zu dem Thema, das wir heute wie schon so oft diskutieren, hätte ich es mir eigentlich sehr leicht machen können: Alles das, was ich bei meiner Einbringungsrede 1979 gesagt habe, gilt - ich muß hinzufügen: leider - weitgehend noch heute, fünf Jahre später. Aber wir können noch weiter zurückgehen, denn viele Forderungen nach Besserstellung der Frau - und ich meine, wir alle sind uns darin einig, daß es sich nicht nur um die Gleichstellung der berufstätigen Frauen handeln kann -, Forderungen, die 1975 zum „Jahr der Frau" aufgestellt wurden, sind auch heute, fast zehn Jahre später, noch nicht erfüllt. Ist das nicht ein Beweis dafür, daß Politik eben nicht alles auf dieser Welt regeln kann, daß noch so gute Gesetze allein eben nicht Verbesserungen bewirken? Es wird auch weiterhin in der gemeinsamen Verantwortung von Staat, Tarifpartnern, betrieblichen Sozialpartnern und nicht zuletzt von Frauen und Männern liegen, welche Fortschritte für die tatsächliche Besserstellung der Frau im Berufsleben erreicht werden.
Wenn wir eine Besserstellung in der Politik, wo wir alle angeblich das Sagen haben, erreicht hätten, wäre das sicherlich ein gutes Beispiel für die Partner im Berufsleben. Dieses Beispiel der Politik fehlt leider weitgehend. Wir haben uns so oft über die sogenannte Alibifrau mokiert. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, hat nicht einmal mehr diese im Kabinett.
({0})
Er verspricht für 1985 eine Frau als Staatssekretär im Kabinettsrang, wenn er die Wahlen gewinnt, sofern ihm also nicht ein gewisses Wählerpotential, nämlich gerade die Frauen in Nordrhein-Westfalen, eine entsprechende Antwort auf sein Verhalten geben.
({1})
Sehr zu Recht haben die Frauen der SPD - offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen, Frau Fuchs kürzlich in Aachen entsprechende Kritik geübt.
Wenn der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD so mit den Frauen seiner Partei umgeht ({2})
er kann in Nordrhein-Westfalen nicht die Entschuldigung bringen, der Koalitionspartner habe ihn an der Durchführung seiner politischen Bemühungen um die Besserstellung der Frau gehindert;
({3})
er regiert ja alleine -, wenn Johannes Rau die Frauen in seiner Partei so sichtbar mißachtet, muten Ihre Vorwürfe hier heute morgen schon ein wenig eigenartig an.
({4})
Wir brauchen Beispiele in Staat und Politik. Gute
Beispiele führen zu weiteren guten Entwicklungen.
Wir sehen heute die Belange der Frau, die Probleme der Gleichstellung zu einseitig in dem Muster des Gegensatzes zum Mann. Wir achten zu wenig auf die Folgen für unsere Kinder. Bei dem hergebrachten Muster, Vater berufstätig, Mutter am Herd, besteht in vielen Fällen die Gefahr, daß die Kinder in der Zuwendung seitens des Vaters zu kurz kommen. Die berufliche Belastung erklärt manches, kann aber nicht als Alibi für alles gelten. Diese Gefahr besteht selbstverständlich auch von seiten berufstätiger Mütter. Ich verkenne überhaupt nicht die besonders schwierige Lage von Familien mit so geringem Einkommen, daß sich die Frau zu einer Erwerbstätigkeit gezwungen sieht. Darum ist hier ein besonders wichtiger Ansatzpunkt für die Familienförderung und den Familienlastenausgleich.
Die Durchsetzung von Frauenbelangen darf sich nicht auf den Arbeitsplatz beschränken. Vielmehr geht es darum, die Verwirklichung der Frau in einem Beruf mit den Belangen der Kinder und der Familie in Einklang zu bringen. Die Flexibilität der Tarifpartner, die hier schon einige Male angesprochen worden ist, wäre eine wertvolle Hilfe.
Ich denke in diesem Zusammenhang z. B. an die Diskussion über eine Reform der Rentenversicherung. Das jetzt vom Bundesarbeitsministerium in die Diskussion eingebrachte Modell einer einkommensorientierten Hinterbliebenenversorgung mit Freibetrag hat vieles für sich, solange es nur als Erfüllung des Gleichstellungsauftrags des Bundesverfassungsgerichts zu gelten hat, jedoch für eine grundlegende Reform mit einer angemessenen Berücksichtigung der Leistung der Kindererziehung nichts verbaut. Dagegen führt das Teilhabemodell, zumal mit einem Teilhabesatz von 65%, bei einem großen Teil der erwerbstätig gewesenen Witwen mit Kindern zu unbefriedigenden Ergebnissen.
Ich setze allerdings ein Fragezeichen hinter den nach wie vor beibehaltenen Ausgangspunkt unseres Rentenrechts, wonach Männer nach dem Tod der Frau immer 100% ihrer Rente erhalten, hingegen Frauen nach dem Tod des Mannes nur 60 % von der Rente des Mannes. Dieser Ausgangspunkt trägt
der Kindererziehungsleistung der Frau nicht Rechnung.
({5})
Vielmehr ist er Ausdruck der einseitigen Betrachtungsweise, daß der vom Mann geleistete Beitrag zur Rentenversicherung der alles entscheidende Anknüpfungspunkt ist. Richtig ist demgegenüber, daß der Beitrag, den der Mann eingezahlt hat, der Frau genauso zugerechnet werden muß. Denn sie hat ebenso wie der Mann zum Familienunterhalt beigetragen, nur auf andere Weise. Das Übel ist, daß diese Leistung der Frau nirgendwo in Geld bewertet wird. Aber die Rentenversicherung lebt nicht nur von den Geldbeiträgen, sondern sie funktioniert nur durch den Generationsvertrag. Wer sich aber an dem zweiten Beitrag, nämlich durch Kinder, nicht beteiligt, kann nicht genauso oder sogar noch besser gestellt werden - nämlich zwei Renten ohne Kindererziehung - wie derjenige, der beide Beiträge leistet.
({6})
Die Sensibilisierung für diese Frage wird immer größer werden. Gerade auch unter diesem Aspekt ist es allerhöchste Zeit, die Leistung der Frau in der Kindererziehung endgültig gebührend zu berücksichtigen.
({7})
Das ist für mich viel wichtiger, als die einseitigen und unvollständigen Gleichstellungsmuster zu vervollkommnen, bei denen nicht über die Frau am Arbeitsplatz hinaus gedacht wird.
({8})
Hier sind heute so viele Worte über Versäumnisse gefallen. Forderungen wurden erhoben, die nicht auf dem Boden der Tatsachen stehen können. Ich darf das mit Worten von Katharina Focke zum Jahr der Frau 1975 wieder ein wenig in die richtigen Dimensionen bringen.
Ziel ist eine eigenständige soziale Sicherung für alle Frauen. Wir können das nicht von heute auf morgen schaffen. Denn wir können uns immer nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten bewegen. Aber wir wollen doch eine Lösung finden, die die Tätigkeit der Frau in der Familie anerkennt und ihre Leistungen bei der Pflege und Erziehung der Kinder berücksichtigt.
Ich bin dankbar, daß der Bundesarbeitsminister dazu hier heute eindeutig Stellung genommen hat.
({9})
- Das können Sie. Bisher hat er immer sein Wort gehalten.
({10})
Ich möchte noch einmal hervorheben: Gleichbehandlung von Mann und Frau kann die Frage der Rechte der Kinder und die Frage der verantworteten Kindererziehung nicht ausklammern. Ich wünsche mir, daß Frauen und Männer in der Politik das besonders und gemeinsam berücksichtigen.
({11})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der bisherigen Debatte viel über Patriarchat gehört.
({0})
Über Matriarchat ist weniger geredet worden. Ich will Ihnen dazu mal eine Information geben.
({1})
Längst bevor Sie sich überhaupt zu einer politischen Gruppierung zusammengefunden haben, hat die Christlich Demokratische Union eine klare Aussage zu diesem Thema gemacht. Wir vertreten weder ein patriarchalisches noch ein matriarchalisches Frauenrollen-, Männer- oder Familienverständnis. Wir treten für die Partnerschaft ein.
({2})
Dabei beziehen wir in diese Partnerschaft die Kinder ein. Dies füge ich hinzu. Die Kinder werden einbezogen. Wenn wir von Partnerschaft reden, dann bedeutet das ganz sicher, daß damit Rechte verbunden sind. Z. B. gibt es ganz sicher das Elternrecht. Aber wir sind auch der Auffassung, daß es Elternpflichten gibt, z. B. den Kindern gegenüber, genauso wie es Pflichten der Kinder gegenüber den Eltern gibt. Ich gebe ohne weiteres zu, daß es heute mehr angebracht ist, von Pflichten der Männer gegenüber den Frauen zu sprechen. Auch dies ist wahr. Nur, ich glaube, daß wir mit dieser kontradiktorischen Auseinandersetzung, die wir heute morgen geführt haben, nicht weiterkommen werden. Ich nehme für mich in Anspruch, daß meine Freunde - jetzt spreche ich die Männer an - mit derselben Intensität für die Partnerschaft und die Gleichberechtigung der Frau in dieser Gesellschaft eintreten, wie auch Sie dies mit großem Engagement tun. Dies will ich Ihnen gar nicht abstreiten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf?
Ja. Bitte schön.
Bitte schön.
Herr Geißler, können Sie mich bitte mal darüber aufklären, ob es richtig ist, daß Ihr familienpolitischer Sprecher, Hermann Kroll-Schlüter, sich genau gegen diesen
Begriff „Partnerschaftliche Familie" gewandt hat und daß es sogar Auseinandersetzungen über diesen Begriff in Ihrer Fraktion gegeben hat?
({0})
Also, verehrte Frau Beck-Oberdorf, das stimmt überhaupt nicht. Er hat in einer längeren Abhandlung diesen Begriff problematisiert.
({0})
- Also, jetzt will ich Ihnen mal folgendes sagen: Das liegt auf derselben Ebene. Die Frauen bei uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fühlen sich nicht in einer grünen Hölle oder in einer schwarzen Hölle, wie es offenbar einige bei Ihnen in der Vergangenheit empfunden haben.
({1})
Sie können doch nicht die Aussage eines Mitglieds der Fraktion Aars pro toto nehmen. Wir treten für die Partnerschaft in der Familie ein.
Das Thema Frauenarbeitslosigkeit hat damit sehr wohl etwas zu tun. Es ist heute auch viel von sozialer Demontage die Rede gewesen.
({2})
Wir beklagen die Frauenarbeitslosigkeit; aber die Frauenarbeitslosigkeit ist nicht das Ergebnis der ersten anderthalb Jahre der Regierung Helmut Kohl, sondern die Frauenarbeitslosigkeit ist das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftspolitik der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre. Das wollen wir auch einmal festhalten.
({3})
Daß am Anfang dieses Jahres 300 000 offene Stellen mehr gemeldet gewesen sind - das sind 20 % mehr offene Stellen gewesen als im Januar, Februar, März des Jahres 1983 -, daß wir im Jahre 1983 wieder ein Plus beim Bruttosozialprodukt gehabt haben,
({4})
daß wir in diesem Jahre 1984 ein reales Wachstum des Bruttosozialprodukts von 2 bis 3 % haben werden,
({5})
ist ein viel entscheidenderer Beitrag zum Abbau der Frauenarbeitslosigkeit als die sozialdemagogischen Sprüche, die ich heute morgen gehört habe.
({6})
Ich will mich darauf jetzt nicht einlassen, was die sozial-demagogischen Potentiale anlangt!
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen keine Umverteilung von unten nach oben, wie der Herr Egert das zum zehnten- oder zwanzigstenmal als Sprecher seiner Fraktion hier vorgetragen hat,
({8})
sondern - ich wiederhole das jetzt auch zum zehnten oder zwanzigsten Male - wir bringen innerhalb von dreizehn, fünfzehn Monaten das wieder in Ordnung, was Sie in dreizehn Jahren in Unordnung gebracht haben.
({9})
Dies ist die Voraussetzung dafür, daß wir wieder eine Sozialpolitik und eine Familienpolitik machen können, die ein solides Fundament haben.
({10})
Erstens. Es ist davon gesprochen worden, meine sehr verehrten Damen und Herren: Zur Partnerschaft gehört - dies hat Frau Martiny völlig zu Recht gesagt - Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
({11})
auch für uns: Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle, für den Mann und für die Frau.
({12})
- Dann schlage ich vor, daß Sie nicht ständig gegen unsere Vorschläge für mehr Teilzeitarbeitsplätze
({13})
oder für die Arbeitsplatzteilung polemisieren; denn dies sind zwei moderne Formen der Arbeitszeitgestaltung, die in der Lage sind, die große Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gänzlich zu lösen - das behauptet kein Mensch -, aber einen wichtigen Beitrag dafür zu leisten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher?
Bitte schön, Frau Hamm-Brücher.
Herr Minister, weil Sie von verfehlter Wirtschaftspolitik sprachen, möchte ich Sie gern fragen, ob Sie imstande sind, uns den Namen des früheren und des jetzigen Bundeswirtschaftsministers zu nennen.
({0})
Sie klatschen zu früh. - Verehrte
Frau Hamm-Brücher, den Namen brauche ich Ihnen nicht zu nennen, den kennen Sie selber sehr gut. Diese rhetorische Frage ad hominem brauche ich nicht zu beantworten. Aber ich nehme an, daß Sie mit mir der Auffassung sind, daß der Regierungswechsel im Oktober 1982 exakt aus dem Grunde stattgefunden hat, daß auch Ihr FDP-Bundeswirtschaftsminister offenbar der Auffassung war, daß er mit den Sozialdemokraten zusammen eine Wirtschaftspolitik zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr würde realisieren können.
({0})
Ich nehme an, daß das Ihre Konzeption ist.
({1})
Herr Bundesminister, es gibt weitere Wünsche für Zwischenfragen, so beim Abgeordneten Menzel.
Ich bin jetzt etwas ratlos, weil man mir gesagt hatte, ich solle nur zehn Minuten reden.
({0})
- Schön, dann machen wir mal weiter. Bitte schön.
Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Minister, sind nicht auch Sie der Meinung, daß es, wenn ein Minister eine Politik nicht mittragen, nicht mitverantworten kann, zum politischen Anstand gehört, daß er zurücktritt?
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wundere mich nun wirklich über diese Zwischenfragen. Es ist ja nicht Graf Lambsdorff gewesen, sondern es war Ihr früherer Bundeskanzler, den Sie in anderen politischen Bereichen wirklich im Stich gelassen haben,
({0})
der im Juni 1982 auf einer Fraktionssitzung Ihrer Fraktion erklärt hat: Wenn wir überhaupt etwas erreichen wollen, was wirtschaftlichen Aufschwung und Sicherheit der Arbeitsplätze anbelangt, müssen wir tief, sehr tief in das Fleisch der Arbeitnehmer hineinschneiden.
({1})
Das hat doch niemand von uns gesagt. Der frühere Bundeskanzler. Helmut Schmidt hat das gesagt.
({2})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann ja die Aufregung verstehen. Wahrheiten sind schwer zu ertragen. Das ist richtig.
({3})
- Daß Sie im Chor gut rufen können, weiß ich jetzt. Lassen Sie mich meine Ausführungen einmal zu Ende bringen.
Es geht doch darum, daß wir, wenn wir jetzt über den Abbau der Frauenarbeitslosigkeit sprechen, dies auch in einem wirtschaftlichen Zusammenhang sehen.
({4})
Es kann überhaupt nicht bestritten werden
({5})
- das ist auch die Konsequenz des Regierungswechsels gewesen -: Wenn die alte Wirtschaftspolitik unter Ihrer Dominanz und unter Ihrer Verantwortung weitergeführt worden wäre, hätten wir heute 500 000 oder 1 Million Arbeitslose mehr;
({6})
weil Sie nicht in der Lage gewesen wären, die Voraussetzungen für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen, nämlich den Haushalt zu konsolidieren. Dazu wären Sie nicht in der Lage gewesen.
({7})
Die alte Regierung ist doch deswegen auseinander-gebrochen, weil Sie Ihren eigenen Bundeskanzler in der Wirtschaftspolitik und in der Außenpolitik im Stich gelassen haben. Dies ist doch der Grund gewesen.
({8})
Wenn wir über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im allgemeinen und speziell der Frauenarbeitslosigkeit sprechen, so gehört dies in den wirtschaftspolitischen Zusammenhang hinein.
Ich fordere Sie auf, ich bitte Sie, uns und den Bundesarbeitsminister in unseren Bemühungen zu unterstützen, mehr Teilzeitarbeitsmöglichkeiten zu schaffen und die moderne Form der Arbeitsplatzteilung zu realisieren. Dies muß natürlich sozial und arbeitsrechtlich richtig abgesichert sein.
({9})
Die erste und bisher einzige große politische Organisation, die ein sozial und arbeitsrechtlich gut abgesichertes Modell für Teilzeitarbeit und Arbeitsplatzteilung vorgelegt hat, ist die Frauenvereinigung der Christlich Demokratischen Union.
({10})
Dieses Modell der Arbeitsplatzteilung unterscheidet sich wesentlich von den Modellen, die wir sonst haben, z. B. von dem Modell des Arbeitsringes Chemie; letzteres würde auch ich nicht für ein richtiges Modell halten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns hier wirklich an der vordersten Front. Passen Sie auf, daß Sie den Anschluß
nicht verlieren, wenn wir arbeitsrechtlich Maßnahmen vorbereiten, die die Frauenarbeitslosigkeit abzubauen in der Lage sind.
Herr Bundesminister, es gibt noch mehr Wünsche nach Zwischenfragen. Der Abgeordnete Kuhlwein möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, Sie haben gesehen, daß ich sehr gern Zwischenfragen beantworte. Ich möchte jetzt aber versuchen, meine Ausführungen zu Ende zu bringen, denn es gibt ja auch noch andere Kolleginnen und Kollegen, die reden wollen.
Es stellt sich nicht nur das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu muß das getan werden, was schon gesagt worden ist. Das Problem der Gleichberechtigung beinhaltet natürlich auch
- aber nicht nur - das Problem der Gleichberechtigung der Frauen im Arbeitsleben. Es gibt noch eine andere Diskriminierung, die wir genauso sehen müssen und über die mir bisher zuwenig geredet worden ist, auch von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gibt viele Frauen - Hunderttausende, Millionen von Frauen -, die ein Kind haben wollen, die auch beim Kind bleiben wollen und die darunter leiden, daß sie in wirtschaftliche und soziale Zwänge gesetzt werden, die es ihnen nicht ermöglichen, diese Aufgabe, die sie selber wollen, zu erfüllen. Ich muß dieses Problem der Gleichberechtigung doch genauso sehen. Ich kann hier doch keine einseitige Frauen- und Familienpolitik vertreten. Ich bin doch mit Ihnen der Auffassung: Wir brauchen Gleichberechtigung im Arbeitsleben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber es ist eine massive Benachteiligung der Frauen, wenn Frauen, die ein Kind haben wollen, bekommen und erziehen wollen, auch in der Zukunft in der Form sozial benachteiligt werden, wie es zur Zeit noch der Fall ist. Dies muß uns doch genauso bewegen.
({0})
- Aber wir müssen uns doch in dieser Frage einig sein. - Wenn Millionen junger Frauen einen Beruf genauso wie wir Männer erlernen und auch ausüben wollen, dann besteht dieser Wunsch völlig zu Recht.
Aber dann heiratet eine solche Frau. Es kommt ein Kind. Entweder der Vater oder die Mutter will beim Kind bleiben. Ich habe neulich einen Fall gehabt, den ich in der Fraktion vorgetragen habe. Die Eheleute verdienten zusammen 2 800 DM. Nach Abzug von 800 DM Miete blieben 2 000 DM netto. Jetzt bleibt der Vater oder die Mutter zu Hause, weil sie das so wollen, nicht deshalb, weil wir irgend jemand zwingen wollten. Wie sieht die wirtschaftliche Lage nun aus? Das Einkommen reduziert sich auf die Hälfte: 1 400 DM. Hinzu kommen noch 80 DM Ortszuschlag, 50 DM Kindergeld für das erste Kind und noch ein bißchen steuerliche Erleichterung. Das macht 1 600 DM netto. Die Miete bleibt aber. Die
Folge ist, daß die Familie 800 DM netto zu dritt hat gegenüber 2 000 DM netto zu zweit. Das ist das eigentliche Problem für Millionen von jungen Vätern und Müttern.
Aus diesen Grunde haben wir unsere Familienpolitik auch darauf abgestellt, daß wir dieses Problem lösen.
({1})
- Aber, entschuldigen Sie bitte, niemand von uns hat doch gesagt, daß wir das im ersten Jahr machen. Das wissen auch Sie. Wir sind jetzt seit der Bundestagswahl am 6. März 1983 ein Jahr und einen Monat an der Regierung.
({2})
Was wir familien- und frauenpolitisch machen wollen, wollen wir in dieser Legislaturperiode machen. Wir haben nie gesagt: Wir machen das im ersten Jahr.
({3})
Sie sollten bitte bei der Wahrheit bleiben und den Leuten draußen nicht etwas erzählen, was einfach nicht stimmt.
({4})
Wir haben dies im übrigen auch vor der Wahl gesagt. Wir haben vor der Wahl gesagt: Wir machen dies nicht innerhalb des ersten Jahres, sondern wir müssen erst den Haushalt konsolidieren, und dann werden wir in dieser Legislaturperiode das Nötige tun.
Die Weichen sind gestellt. Das darf ich Ihnen einmal sagen. Wir haben die Wartezeit in der Rentenversicherung bei der Alterssicherung von 15 Jahren auf fünf Jahre reduziert. Das heißt, Millionen von jungen Frauen können heute mit einem eigenen Anspruch auf Rente in Ehe und Familie gehen. Das hat es bisher nicht gegeben.
({5})
Wir haben bei der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente zum erstenmal in der Geschichte der Rentenversicherung Erziehungsjahre anerkannt.
({6})
Das ist eine wichtiger neuer Schritt in der Rentenversicherung, den wir durch die Anerkennung von Erziehungsjahren sicher ausbauen wollen. Das ist also ein ganz wichtiger Schritt gewesen.
Was das Mutterschaftsgeld betrifft, so beklagen Sie zu Recht, daß es gekürzt worden ist. Das haben auch wir alle beklagt.
({7})
- Entschuldigung, wir haben es deswegen gemacht, weil es notwendig war, um den Haushalt zu
konsolidieren, den Sie in Unordnung gebracht haben.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übrigen darf ich auch hier noch einmal folgendes sagen. Bezüglich des Familienlastenausgleichs haben wir im Gegensatz zu Ihnen das Kindergeld nicht linear gekürzt.
({9})
- Frau Fuchs, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen, haben das Kindergeld gekürzt,
({10})
und zwar schematisch für alle, ob Generaldirektor oder Hilfsarbeiter oder alleinstehende Mutter, um 20 DM für das zweite und das dritte Kind.
({11})
Wir haben es nicht getan. - Nein, wir haben es nicht getan, Frau Fuchs, sondern wir haben das getan, was Sie nicht durchgesetzt haben und weswegen Ihre Vorgängerin Frau Huber zurückgetreten ist. Wir haben im Gegensatz zu Ihnen gesagt: Wir gehen nicht mit der Heckenschere vor, aber wenn jemand ein Einkommen von über 60 000 DM hat und zwei Kinder hat, dann kann er auf 30 DM Kindergeld verzichten. So haben wir gehandelt. Dazu waren Sie nicht in der Lage.
({12})
Jetzt müssen wir noch mit etwas anderem aufräumen. Wenn ein Familienvater einen Sohn von 18 Jahren hat, der einen Ausbildungsplatz hat, dann bekommt er Kindergeld. Hat der betreffende Sohn keinen Ausbildungsplatz und ist arbeitslos, dann wird ihm auf Grund Ihrer politischen Entscheidung auch noch das Kindergeld gestrichen. Das wissen Sie. Das haben Sie getan, nicht wir. Wenn wir jetzt aufräumen, dann machen wir es richtig.
({13})
Sie sollten hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht mit diesen Vorwürfen auftreten.
({14})
Sie haben unter Ihrer Verantwortung die Familien massiv benachteiligt. Das müssen wir jetzt wieder aufräumen.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen, um dieses Problem zu lösen, Gleichberechtigung der Frau, Partnerschaft auch für die Frauen, die sich für die Familie und für das Kind entscheiden. Dies muß dadurch erreicht werden, daß wir in dieser Legislaturperiode zu einer Reform, zu einer Verbesserung der Familienpolitik kommen. Dazu sind die Weichen bereits gestellt; das habe ich gesagt. Wir werden in der Steuergesetzgebung dafür sorgen, daß diejenigen, die Kinder haben, in der Zukunft weniger Steuern bezahlen als diejenigen, die keine Kinder haben; das ist völlig unbestritten. Wir werden die Einkommensgrenzen beim Kindergeld beibehalten; das ist wichtig. Diejenigen, die keine oder nur eine geringe steuerliche Entlastung bekommen, weil sie ein zu geringes Einkommen haben, müssen einen Kindergeldzuschlag erhalten. Wir setzen uns für den Ausbau des Mutterschaftsgeldes zu einem echten Erziehungsgeld ein; dies ist auch klar.
({16})
Es ist in diesem Zusammenhang selbstverständlich ganz wichtig, daß die Frauen, die dies freiwillig - niemand wird dazu gezwungen - in Anspruch nehmen, die Möglichkeit haben müssen, anschließend wieder in das Arbeitsleben zurückzukehren.
({17})
Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für das, was wir hier machen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist unsere Konzeption.
({18})
Ich bin fest davon überzeugt, daß die Bilanz, die gezogen werden wird, nicht jetzt, im April des Jahres 1984, gezogen werden kann. Vielmehr werden die Frauen uns und Sie danach beurteilen, was wir in dieser Legislaturperiode gemacht haben. Und wenn die Menschen den Vergleich zwischen dem, was wir in dieser Legislaturperiode für die Familien und für die Frauen fertiggebracht haben werden,
({19})
und dem anstellen, was Sie in der letzten Legislaturperiode hinterlassen haben, dann habe ich überhaupt keine Bedenken,
({20})
daß die Frauen und die Familien uns ihr Vertrauen auch in den kommenden Jahren geben werden.
({21})
Meine Damen und Herren, man darf hier oben auch einmal ein bißchen großzügig sein.
Wir haben auf der Tribüne Gäste, die uns aus Berlin besuchen: das Deutsch-Amerikanische Komitee mit Brigadegeneral Suddeth. Mit ihm sind sechs Berliner Bezirksbürgermeister hier. Ich freue mich, daß Sie unseren Beratungen folgen, und hoffe, daß Sie hier in Bonn eine gute Zeit haben werden.
({0})
Vizepräsident Westphal
Das Wort hat nun Frau Matthäus-Maier.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben oft gehört, Herr Geißler, daß die Wende notwendig war, um in der Finanz- und Wirtschaftspolitik etwas zu ändern. Dazu nur ein Wort: Ich frage mich allerdings, was Sie gewendet haben, nachdem wir im Herbst 1982 1,8 Millionen Arbeitslose hatten, während wir heute 2,4 Millionen haben. Weiter haben wir heute eine höhere Steuerquote, eine höhere Abgabenquote!
({0})
Aber lassen wir uns heute morgen nicht vom Thema ablenken. Thema ist, daß Sie auch die Wende in der Familienpolitik versprochen haben; ich erinnere mich gut. Neue Akzente wollten Sie setzen, gerade in der Familienpolitik; dort mußte die Wende her. Sie haben versprochen: Erziehungsjahre in der Rente, Ausdehnung des Mutterschaftsurlaubs auf die nichterwerbstätige Frau, familienfreundliches Steuerrecht und dazu dann gleich auch noch die passende Ideologie der neuen Mütterlichkeit.
Herr Geißler, Sie sind nicht konkret geworden.
({1})
Ich darf einmal fragen: Wie sieht denn die Wirklichkeit für die Frauen, für die Mütter nach der Wende aus?
({2})
Ich führe hier einmal ein Beispiel an: Mann und Frau - sie ist Schreibkraft, er ist Hauptwachtmeister - sind erwerbstätig und verdienen zusammen 2 800 DM netto im Monat. Erstens: Die Frau bekommt ein Baby: Vor der Wende bekam sie nach der achtwöchigen Schutzfrist vier Monate lang je 750 DM Mutterschaftsgeld. Nach der Wende bekommt sie statt 750 DM 510 DM, meine Damen und Herren.
({3})
Zweitens: Diese Familie bekommt nun nach einem Jahr ein weiteres Kind; sie hat dann einen Jungen und ein Mädchen. Die Mutter hört auf, erwerbstätig zu sein. Die Kinder möchten, nachdem sie älter geworden sind, auf eine weiterführende Schule gehen. Vor der Wende bekam diese Familie für ihre Kinder Ausbildungsförderung. Nach der Wende haben sie das Schüler-BAföG fast total gestrichen.
({4})
Was heißt das für das Mädchen? Die Familie wird sich überlegen: Wir werden nur ein Kind auf die weiterführende Schule schicken können. Und wer ist das? Nach alter Rollenverteilung - weil der
Junge j a später eine Familie ernähren muß - in der Regel der Junge. Das Mädchen ist gelackmeiert und muß darauf hoffen, daß es auf Grund Ihrer Ausbildungsplatzgarantie eine Lehrstelle findet. Die wird sie oft nicht finden.
({5})
Drittens. Dann überlegt sich unsere Mutter: Ich sollte vielleicht wieder in meinen alten Beruf zurückkehren, damit auch das Mädchen auf die weiterführende Schule kann. Sie bewirbt sich wieder als Schreibkraft im öffentlichen Dienst. Aber davor steht dann der CDU-Oberbürgermeister Rommel. Er sagt: Im öffentlichen Dienst können wir keine Doppelverdiener gebrauchen. Er weiß zwar, daß er das rechtlich nicht durchsetzen kann,
({6})
aber durch die Einführung dieses diskriminierenden Wortes „Doppelverdiener" hat er erreicht, daß Frauen auf dem Arbeitsmarkt größere Probleme als vorher haben.
({7})
Viertens fällt diese Mutter dann - sagen wir mit 50 Jahren - beim Fensterputzen von der Leiter und wird erwerbs- oder berufsunfähig, Herr Geißler. Vor der Wende bekam sie eine Invaliditätsrente. Nach der Wende bekommt diese Mutter gar nichts; denn Sie haben die Voraussetzungen für die Invaliditätsrente praktisch an die Erwerbstätigkeit gekoppelt.
({8})
Wenn Sie sagen, Sie hätten die Anrechnung der Zeit der Erziehung bei der Berufsunfähigkeitsrente eingeführt, muß ich feststellen: Es ist immer besser, wenn man dann andere zitiert. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände hat gerade in dieser Frage an den Bundeskanzler einen Brief geschrieben, in dem sie diesen Punkt kritisiert und in dem es dann heißt:
In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, stellen wir leider fest, daß die öffentliche Darstellung der Familienpolitik der von Ihnen geführten Bundesregierung und der sie tragenden Parteien in unzulässig beschönigender Form erfolgt. Sie behaupten nämlich, die Erziehung eines Kindes bis zum fünften Lebensjahr werde künftig bei der Bemessung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigt.
- So der Brief. Dies ist unzutreffend. Die Erziehungszeiten werden nicht berücksichtigt.
Das wird im einzelnen ausgeführt. Der Brief endet:
Die deutschen Familienorganisationen erwarten vom Bundeskanzler, daß er eine derart unkorrekte Informationspolitik unterbindet.
Herr Geißler, lassen Sie das, was Sie hier sagen.
({9})
Also Kürzungen an allen Ecken und Enden. Herr Geißler, Sie sagen, das hätten Sie vor der Wahl gesagt. Nein. Sie haben gesagt: Wo auch immer gekürzt wird in den öffentlichen Haushalten, wo auch immer wir einsparen, eine Gruppe der Gesellschaft wird nach der Wende besser dastehen als vorher, nämlich die der Frauen und der Mütter. Was haben Sie nicht alles versprochen. Sie sind nach der Art eines Heiratsschwindlers vorgegangen: Erst das Jawort erschleichen und dann abkassieren.
({10})
Ich erinnere mich: Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Ich habe Herrn Geißler gehört: wie ein Blumenhändler auf Pützchens Markt, falls Ihnen das etwas sagt: Nicht ein Jahr, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, nein, fünf Jahre wollten Sie als Erziehungszeit anrechnen. Dann führen Sie jetzt doch wenigstens ein Jahr ein.
({11})
Sie sagen, Sie hätten kein Geld. Um 5%, um 10% wollten Sie alle Subventionen kürzen, als Sie noch in der Opposition waren. Das ergäbe 6 Millionen DM. Damit können Sie ein ganzes Baby-Jahr in der Rente finanzieren. Nichts davon ist übriggeblieben.
({12})
Und dann das familienfreundliche Steuerrecht mit den Kinderfreibeträgen. 2 400 DM schlagen Sie gerade jetzt vor. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Machen Sie doch einmal einen Gesetzentwurf von drei Paragraphen. Dieser lautet: „§ 1: Wer kein oder ein geringes Einkommen hat oder arbeitslos ist, bekommt für sein Kind vom Staat überhaupt nichts.
§ 2: Wer bis zu 18 000 DM im Jahr verdient, bekommt für sein Kind vom Staat im Jahr 528 DM.
§ 3: Wer mehr als 130 000 DM im Jahr verdient, bekommt für sein Kind vom Staat im Jahr 1 344 DM." Das ist mehr als doppelt soviel.
Kein Mensch auf der Welt schriebe so eine himmelschreiende Ungerechtigkeit in ein Gesetz. Auch Sie täten es nicht, weil dann jeder sähe, daß der Grafiker Klaus Staeck offensichtlich recht hätte, der im Wahlkampf 1972 den Wahlslogan erfand: „Die Reichen müssen noch reicher werden. Deshalb wählt CDU."
({13})
Aber das, was Sie mit der Einführung eines Kinderfreibetrages in Höhe von 2 400 DM tun, hat exakt die Wirkung, die ich mit dem von mir erfundenen Gesetzentwurf beschrieben habe.
({14})
Deswegen fordern wir Sie bezüglich des Familienlastenausgleichs auf: Erstens. Geben Sie Ihren Vorschlag auf, Kinderfreibeträge einzuführen. Zweitens. Schaffen Sie den 1983 eingeführten Kinderfreibetrag wieder ab. Drittens. Lassen Sie vom Familiensplitting ab. Viertens. Reformieren Sie das heutige Ehegattensplitting. Fünftens. Konzentrieren Sie alle verfügbaren Haushaltsmittel und diejenigen Mittel, die durch unsere Vorschläge hinzukommen, auf die Anhebung des für alle gleich hohen Kindergelds.
({15})
Sie sagen, Sie hätten das Mutterschaftsgeld auch auf die nicht Erwerbstätigen ausweiten wollen. Warum tun Sie es nicht? Sie haben allein 315 Millionen DM als Sockel durch die Einsparung beim Mutterschaftsurlaubsgeld. Nehmen Sie dazu die Einsparungen beim Kindergeld, weil es weniger Kinder gibt; das macht über 2 Milliarden DM aus. Dann hätten Sie schon eine gute finanzielle Möglichkeit zur Ausweitung. Nein, Sie wollen nicht ausweiten, wie Sie ankündigen. Sie wollen entsolidarisieren.
({16})
Auf deutsch: Sie wollen einen Keil treiben zwischen die erwerbstätigen Mütter und die Hausfrauen, zwischen Arbeitslose und Erwerbstätige, zwischen deutsche und ausländische Arbeitnehmer, zwischen Männer und Frauen, zwischen Schwache und gut Verdienende.
Ich muß Ihnen sagen: Dieses Entsolidarisieren in allen Gruppen der Gesellschaft ist unsozial. Wie man so etwas christlich finden kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
({17})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Günther?
Nein. Wissen Sie, warum ich das nicht zugestehen kann? - Weil Herr Geißler der erste ist - als Mann übrigens -, der heute weit über zehn Minuten gesprochen hat, die wir uns ansonsten alle zugestanden haben. Ich habe als Frau auch nur zehn Minuten.
({0})
Dann die Mütterlichkeit. Herr Blüm, Sie haben es heute noch einmal gesagt. Ja, ich sage überzeugt als Mutter von kleinen Kindern: Mutter sein ist schön. Ich möchte das ebenso wie Millionen von Müttern und Vätern nicht missen. Aber ich warne Sie, Herr Geißler und Herr Blüm, dieses beglükkende Muttergefühl hochzustilisieren zu einer Philosophie, zu einer Ideologie, unter deren Deckmantel Sie dann die materielle, die tatsächliche Chance von Frauen verschlechtern. Das werden wir nicht hinnehmen.
({1})
Das wird die SPD bekämpfen.
Herr Geißler und Herr Blüm: Ja, Mutter sein ist schön, aber auch Vater sein ist schön. Wo bleibt bei Ihnen die Väterlichkeit? Die kommt bei Ihnen nicht vor.
({2})
Die Väter haben es satt, durch die einseitige Rollenverteilung auf einen Bereich festgenagelt zu sein, der ihnen weitgehend die Chance nimmt, das Recht auszuüben, sich an der Kindererziehung zu beteiligen. Millionen von Menschen wollen nicht länger die mutterlose Gesellschaft und die vaterlose Familie.
Ein letztes Wort an Sie, Herr Blüm. Ich lese in Ihrer Rede vom Herbst 1981 zur Mütterlichkeit:
Wer könnte so der Vorläufer einer neuen Orientierung für die nachfolgende Zeit werden? Ich meine, es ist die Mutter. Sie ist das Aschenputtel der Moderne, aber vielleicht wie im Märchen die wirklich Erwählte einer neuen Zeit.
Nein, kommen Sie uns nicht mit solchen Sprüchen. Wir Mütter wollen nicht das Aschenputtel sein, wir Mütter wollen auch nicht die Erwählten sein. Wir Mütter wollen aber, daß Sie endlich aufhören, das zu zerstören, was wir in 13 Jahren sozialliberaler Koalition an Chancen für Männer und Frauen aufgebaut haben.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst als einer, der diesem Hause seit Jahren angehört, meinen Respekt über die Art und Weise zum Ausdruck bringen, wie wir diese Debatte im Grundsatz miteinander führen. Ich hoffe, daß das auch bei zukünftigen Debatten möglich sein wird. In diesem Sinne will ich auch nur einige ganz kurze Bemerkungen von mir aus zu dem machen, was hier gesagt wurde. Was die Regierung betrifft, haben meine Freunde und Kollegen Norbert Blüm und Heiner Geißler das gesagt, was zur Gesetzgebung und zur rechtlichen Entwicklung zu sagen ist.
Meine verehrte Frau Vorrednerin hat zum Schluß von der Mütterlichkeit gesprochen. Ich will das Wort nicht wieder aufgreifen, aber ich habe in der Debatte heute früh manche Form von Mütterlichkeit erfahren, meine Damen und Herren. Einiges hat sich für mich so dargestellt, daß ich bisher einen anderen Begriff von Mütterlichkeit hatte.
({0})
Aber es mag sein, daß Sie das als ein patriarchalisches Verhaltensmuster abtun.
Zum Thema Familienpolitik, Frau Kollegin, nur eine Bemerkung. In meiner Regierungserklärung habe ich für die Legislaturperiode von 1983 bis 1987 einen Katalog von Maßnahmen vorgetragen. Wir haben uns für diese Zeit ins Wort begeben, und wir werden dieses Wort selbstverständlich halten. Sie wissen so gut wie ich - auch das muß man einfach
im Interesse der Wahrheit sagen, weil Sie es falsch dargestellt haben -, daß die jetzt vorgelegten Vorschläge Diskussionsgrundlagen sind, daß über die Steuerreform diskutiert wird. Wenn man öffentlich so wie Sie gern und bei jeder Gelegenheit für sich in Anspruch nimmt, daß zur Demokratie Offenheit und Diskussion gehören, nehme ich das auch für uns und meine politischen Freunde in Anspruch.
({1})
Wir werden das, was wir zugesagt haben, einhalten, und ich denke, wir haben dann gemeinsam Gelegenheit, vor der Wählerschaft, vor den Wählerinnen und den Wählern unseres Landes, Vertrauen zu erbitten, und sie werden dann ein Urteil abgeben, ob Wort gehalten wurde.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu drei anderen Fragen kurz sprechen. In der Debatte ist, zum Teil in Nebenbemerkungen, zweimal die Frage aufgetaucht: Frauen in der Bundeswehr. Ich kann niemanden in der Bundesrepublik Deutschland erkennen, ganz gewiß nicht diese Bundesregierung, der beabsichtigt, Frauen mit Kombattantenstatus - mit der Waffe in der Hand - in die Bundeswehr zu bringen. Deswegen, muß ich Ihnen klar sagen, finde ich es nicht fair, wenn hier der Eindruck erweckt wird, als gebe es solche Intentionen. Eine von mir geführte Bundesregierung wird dies nicht tun.
({2})
Zweitens. Es ist sehr viel über die Frage des Patriarchats, die Frage der Interpretation von Gleichberechtigung gesagt worden. Ich habe den Sinn dieser Debatte - lassen Sie mich das so ganz ruhig sagen - so empfunden, weswegen ich vor allem zu diesem Punkt sprechen will, daß hier keiner im Saal ist, der Grund hat, in dieser Frage auf den anderen mit dem Finger zu zeigen. Es ist die Wahrheit, daß wir die großen demokratischen Gruppen unseres Landes, gemeinsam aus geschichtlicher Erfahrung die Gleichberechtigung ins Grundgesetz hineingeschrieben haben. Aber es ist auch eine ganz unstreitige Wahrheit, daß wir im Vergleich zum formulierten Verfassungstext und der gelebten Verfassung noch lange nicht dort sind, wo wir eigentlich sein müßten.
({3})
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: Ich kann auch nichts dabei finden, sich deswegen gegenseitig anzuklagen. Das ist ein langfristiger Prozeß, und Frau Renger hat eingangs in einer sehr klugen Bemerkung schon darauf hingewiesen, daß es natürlich wahr ist, daß man - gemessen an der Grundeinstellung, wenn ich einmal die Sozialdemokratische Partei, die Freie Demokratische Partei, meine eigene Partei nehme - etwa zwischen den Jahren 1948, 1949, 1950 und heute gewaltige Veränderungen erreicht hat, nur - das füge ich auch als Parteivorsitzender hinzu - keine hinreichenden, keine zureichenden Änderungen. Es ist wahr, und
ich stehe nicht an, das eine Minute zu bestreiten, daß auch heute noch trotz der geschriebenen Verfassung in wesentlichen Teilen unserer Gesellschaft - ich will es mal salopp, verkürzt formulieren -, wenn es um eine Beförderungsstelle, ein Mandat oder eine Stellenbesetzung im weitesten Sinne des Wortes geht, im Regelfall eine Frau wesentlich besser als ihr männlicher Konkurrent sein muß, wenn sie diese Stelle erhalten will oder erhalten soll. Das ist einfach die Wahrheit. Ich habe in langen Jahren als Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes - die Bundesverwaltung hat hier einen etwas anderen Zuschnitt - bei meinen Versuchen, das zu ändern, immer wieder auch Niederlagen einstecken müssen. Ich gebe das hier offen zu, weil es eigentlich der Sinn einer solchen Debatte sein sollte, nach vorn zu sehen und zu überlegen, was man tun kann.
({4})
Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich fange dabei mit meiner eigenen Partei und ihrem innerparteilichen Leben an. Es ist einfach wahr, daß wir in der Repräsentanz heute bei der Nomination von Frauen noch größere Probleme haben. Das zeigt sich hier in der Repräsentanz im Bundestag. Das ist, wenn ich es recht sehe, wesentlich besser in den Landesparlamenten und sehr wesentlich besser in den Kommunalparlamenten. Das hat natürlich auch seinen Grund: Weil eben der Bezug zu einer lokalen parlamentarischen Tätigkeit vom Zeitaufwand, von der Belastung her für viele sehr viel eher möglich geworden ist. Aber wir haben es natürlich mit einem Grundraster zu tun; das muß man offen aussprechen. Wir haben weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst bereits genügend Bereitschaft, hier wirklich im Sinne von Gleichberechtigung Positionen zu vergeben. Und ich finde, da sollte jeder mitwirken, nicht nur in Sonntagsreden, im Parlament, sondern auch in der Praxis und in der Wirklichkeit in den Gemeinden.
({5})
- Na, was wollen Sie denn, Herr Oberbürgermeister? Haben Sie es denn zu Hause gemacht? Das frage ich Sie doch einmal, so wie Sie hier sitzen. Ich bin ganz sicher, daß Sie es überhaupt nicht gemacht haben. Sie brauchen doch nur einmal Ihre eigene Gewerkschaft, aus der Sie kommen, anzuschauen. Dann haben Sie ein Paradebeispiel dafür, daß es nicht stimmt. Deswegen, finde ich, ist es eben nicht der Sinn einer solchen Debatte - und Sie merken j a, ich will mich gar nicht auf diese Fährte bringen lassen -, jetzt Schuldzuweisungen zu machen, sondern der Sinn ist, einfach die Frage zu stellen, was man tun kann. Und weil man da etwas tun kann,
({6})
widerspreche ich beispielsweise meinem Freund und Kollegen Manfred Rommel, der hier eben zitiert wurde, in seiner Meinung im Blick auf Doppelverdiener. Ich halte diese Meinung für falsch.
({7})
Und weil es so ist, sage ich es auch.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, nämlich jenem, was wir dann eigentlich unter Gleichberechtigung verstehen. Es ist j a sehr viel dazu gesagt worden. Ich muß Ihnen bekennen, für mich ist Gleichberechtigung der Frau vor allem die Chance der Wahlfreiheit, und zwar der wirklichen Wahlfreiheit, nicht nur der rechtlichen, sondern auch der psychologischen Wahlfreiheit.
({8})
Psychologische Diskriminierungen können im Alltag viel gravierender sein als rechtliche Diskriminierungen.
({9})
Und weil dies so ist, will ich davon sprechen.
Meine Kollegen Norbert Blüm und Heiner Geißler haben hier unsere Position zum Thema Partnerschaft deutlich gemacht, eine Reihe von Kolleginnen auch. Meine Damen und Herren, für mich heißt Partnerschaft die freie persönliche Entscheidung. Die Frau hat selbst zu entscheiden, ob sie zu Hause bleiben will als Hausfrau und Mutter.
({10})
- Wir sprechen doch jetzt hier von der Position der Frau. Die ganze Zeit haben Sie doch geklagt über die Diskriminierung der Frau. Jetzt bleibe ich beim Thema, und erlauben Sie mir, bei diesem Thema zu bleiben.
({11})
Ich sage noch einmal, es ist die freie, es ist die persönliche Entscheidung einer Frau, ob sie ja sagt zur Mutterschaft, ob sie ja dazu sagt, als Hausfrau zu Hause zu bleiben, oder ob sie sich für die Berufstätigkeit entscheidet. Ich finde, eine Vollendung des Verfassungssatzes ist dann gelungen, wenn dies wirklich zu einer freien Entscheidung wird, wenn also die Möglichkeit - ({12})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie immer das Wort „Männer" dazwischenrufen. Mir scheint hier wirklich ein tiefenpsychologischer Vorgang bei Ihnen vorzuliegen, Frau Kollegin.
({13})
Wir sprechen jetzt in der Tat nicht von den Männern. Ich bin ja bereit, in einer zweiten Abteilung auch darüber zu reden.
Noch einmal gesagt: ich glaube, unser entscheidender Punkt muß sein, daß diese Wahlfreiheit wirklich ermöglicht wird. Das beginnt mit der Erziehung in der Schule, mit der Erläuterung der Chance, daß beides für eine Frau später möglich ist. Das heißt, die Ausbildung wird nicht so erteilt, daß der eine Weg von vornherein abgeschrieben wird. Das geht weiter in jenem Bereich, den Norbert Blüm im Blick auf die Ausbildung erwähnt hat, auch auf die Berufsausbildung und auf die Berufsfelder. Das können Sie selbstverständlich auch auf das öffentliche Leben übertragen.
Eines will ich zum Schluß sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, daß uns mehr oder minder auf die Vergangenheit bezogene Anklagen weiterhelfen, um in der Sache der wirklichen Gleichberechtigung weiterzukommen. Denn wir alle haben keinen Grund, uns besonders zu belobigen. Wir können nur weiterkommen mit einer sachbezogenen Politik, die Frauen ihre Chance eröffnet. Ich kann nur sagen: Was ich persönlich und diese Regierung tun können, das werden wir tun, um dabei hilfreich zu sein.
({14})
Vizepräsient Westphal: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
({15})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die Anregungen. - Herr Bundeskanzler, diese Rede hätte eine große Rede werden können.
({0})
Sie hätte eigentlich auch nach den Auftritten Ihrer Minister Blüm und Geißler eine große Rede werden müssen.
({1})
Ich fürchte, Sie haben eine große Chance vertan.
({2})
Sie haben die Chance deshalb vertan, weil es heute leider - meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie sollten darüber nachdenken - nicht mehr genügt, Frauen gegenüber wohlwollendes Verständnis zu zeigen, und weil es auch nicht mehr genügt, so zu tun, als stünden wir heute, da wir j a im Jahre 1984 leben, in der Stunde Null, und als hätten wir nicht alles das, was die Regierung tagtäglich tut, tatsächlich zu berücksichtigen. Die Frauen, Herr Bundeskanzler,
({3})
die heute in großer Zahl vor den Fernsehschirmen sitzen, dieser Debatte am Radio folgen und auch hier im Saal zuhören, haben von Ihnen eines erwartet - Sie haben diese Erwartung enttäuscht -:
({4})
Sie haben erwartet, daß Sie die Frauen ernst nehmen.
({5})
- Daß Sie das nicht glauben, leuchtet mir völlig ein.
- Die Frauen sollen ernst genommen werden. Dazu hätte gehört, daß Ihre Streichungen und die tatsächliche Politik, die Ihre Regierung seit dem 1. Oktober 1982 macht, nicht in der bedenkenlosen
Wortspielerei eines Herrn Geißler vorgeführt werden,
({6})
sondern daß sich der Bundeskanzler nach einem solchen erbärmlichen Auftritt hier hinstellt
({7})
und den Frauen erklärt, warum die Streichungen, die vorgenommen wurden, aus seiner Sicht tatsächlich nötig waren - wenn sie das waren ({8})
und was von seinen Versprechungen, die er vorgetragen hat, er wieder zurücknehmen will.
({9}) All dies ist nicht erfolgt.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Es trifft doch zu - deswegen haben Sie doch so ein schlechtes Gewissen -, daß Sie vor der Wahl gesagt haben, Sie wollten etwas für die Familien und die Frauen tun, und daß Sie, obwohl Sie Hausfrauen besonders loben, bei allen Gruppierungen der Frauen gestrichen haben.
({10})
Bei den jungen Frauen haben Sie gestrichen, als es um die Ausbildungsbeihilfe ging. Bei den jungen Müttern haben Sie gestrichen, als es um das Gesetz über den Mutterschaftsurlaub ging.
({11})
Den Hausfrauen, die früher erwerbstätig waren, haben Sie die Invaliditätsrente genommen.
({12})
Das alles ist ja schon gesagt worden, nur: Einen Punkt nehmen wir Ihnen, Herr Geißler, und auch Ihnen, Herr Bundeskanzler, ganz besonders übel. Wir wissen - Sie wissen das auch -, daß mehr als die Hälfte derjenigen Bürger, die bei uns von Sozialhilfe leben müssen, Frauen sind. Wir wissen, daß das ältere Frauen und Rentnerinnen mit Mini-Renten sind; wir wissen, daß es Frauen sind, die lange arbeitslos waren, und wir wissen, daß es viele junge Mütter sind, die ihre Kinder allein erziehen müssen.
({13})
Das kostet Kraft, das kostet viel Kraft. Diesen „Sozialhilfeempfängern", wie Sie sie nennen, ziehen Sie nicht nur sukzessive den finanziellen Boden unter den Füßen weg, sondern seit Ihrem Regierungsantritt wird es auch salonfähig, von „Sozialhilfeempfängern" draußen abfällig zu reden. Das treibt diese Frauen weiter an den Rand dieser Gesellschaft.
({14})
Das nehmen wir Ihnen übel.
Herr Bundeskanzler, die Frauen ernst zu nehmen, hätte auch erforderlich gemacht, daß Sie von hier aus zugeben: Jawohl, bei uns gibt es BestrebunFrau Dr. Däubler-Gmelin
gen, an den Rechtsstatus der Frauen heranzugehen.
Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind sehr stolz darauf, daß es uns in der Zeit zwischen 1969 und 1982, die frauenpolitisch auch keine goldene Ära war - wer hätte das denn je behauptet? -, gelungen ist, nicht nur mehr Selbstbewußtsein, sondern auch mehr Chancen und vor allen Dingen mehr Rechte zu vermitteln. Wir sind sehr stolz darauf, daß dies gelungen ist!
({15})
Wir nehmen nicht erst heute und wir nehmen nicht nur mit Besorgnis, sondern mit Bestürzung zur Kenntnis, daß die Worte „dienen" und „verzichten" nicht erst seit der Neuentdeckung der Mütterlichkeit durch Ihren Arbeitsminister Blüm zu Ihrem Standardrepertoire gehören, Herr Bundeskanzler - jedenfalls für Frauen. Wir wissen auch sehr wohl, daß die CDU uns nie unterstützt hat, als es in den Jahren zwischen 1969 und 1982 darum gegangen ist, mehr Rechte für Frauen durchzusetzen.
({16})
Den Hinweis von Frau Adam-Schwaetzer auf die FDP finde ich etwas bedauerlich. Verehrte Frau Kollegin Adam-Schwaetzer, Sie wissen ganz genau, daß wir auch mit Ihrer Fraktion in den seltensten Fällen rechnen konnten, wenn Rechte für Frauen finanzielle Mittel erforderlich gemacht bzw. - für wen auch immer - Kosten nach sich gezogen hätten. Das gehört nicht zu den guten Seiten Ihrer Parteigeschichte!
({17})
Sie wollen an die Rechte heran, an die Ansprüche heran, an die Sicherheit von Frauen heran. Ihnen paßt es nicht, daß Frauen selbstbewußter und unabhängiger werden. Ich sage Ihnen, Herr Geißler: Das ist einer der Gründe dafür, daß wir die bei Ihnen zur Zeit entstehende Stiftung und deren Bürokratie nicht als eine Hilfe für Frauen betrachten, sondern sehr skeptisch, ja, mit großer Ablehnung sehen.
Es ärgert uns natürlich, daß Sie damit die Diskussion um den § 218 wieder aufnehmen.
({18})
- Frau Adam-Schwaetzer, wenn Sie nichts dagegen haben, führe ich den Gedanken erst zu Ende. - Uns ärgert es also natürlich ganz kolossal, daß Sie damit diese Diskussion auf diese hinterhältige Art, wie es so Ihre Weise ist, wieder aufgreifen.
({19})
Es ärgert uns auch ungeheuer, daß Sie, Herr Geißler, mit großer propagandistischer Geste, die Ihnen ja auch ganz besonders eigen ist, den Frauen ein kleines Trostpflästerchen großzügig anbieten, das einen Bruchteil der Milliarden ausmacht, die
Sie soeben den Frauen, den Familien und den Hilfebedürftigen aus der Tasche gezogen haben.
({20})
Der eigentliche Grund aber, aus dem wir diese Stiftung für so bedenklich halten - Sie können das ja jetzt noch ändern -, ist der, daß Sie Frauen wieder in die Abhängigkeit zurückwerfen, daß Sie ihnen eben keinen Rechtsanspruch auf diese Hilfe geben, daß die Frauen wieder „bitte, bitte" machen sollen
({21})
und daß die Entscheidung, ob sie etwas bekommen, völlig von der Willkür Ihrer Stiftungsbürokratie abhängt.
({22})
Ehrlicher und übrigens auch wirksamer, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU - und Sie haben jetzt noch die Chance, die Vorlage noch zu verändern; Sie werden dem Gesetz ja noch zustimmen müssen, wenn es durchkommen soll -, ehrlicher also und sehr viel wirksamer wäre es, doch einfach die finanziellen Kürzungen rückgängig zu machen, die Sozialhilfeansprüche oder das Kindergeld zu erhöhen, und zwar auf einer rechtlich einwandfreien, Frauen nützenden Basis.
({23})
Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen. Das ist jetzt möglich.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, würden Sie mir denn zugeben, daß es uns auch in den 70er Jahren nicht gelungen ist, die Gleichberechtigung auch dadurch fortzutreiben, daß ein Gleichberechtigungsgesetz mit einer entsprechenden Kommission, wie die Kollegin SeilerAlbring heute morgen ausgeführt hat, verabschiedet wird, das von uns zwar immer wieder in die Debatte geworfen worden ist, aber letztendlich nicht verwirklicht werden konnte, womit eine große Chance zur Bewußtseinsänderung in der Gesellschaft vertan wurde?
({0})
Liebe Frau Adam-Schwaetzer, Sie wissen ganz genau, daß ich mich mit Ihnen in einem treffe, nämlich darin, daß unnötige Gesetze wirklich nichts bringen.
({0})
Sie haben die Chance, an der einzigen Stelle mitzuhelfen, wo heute Gesetze wirklich etwas bewirken können, nämlich - ich komme darauf nachher noch zu sprechen - bei der Frage der Absicherung der Teilzeitarbeit und bei der Frage der Arbeitsbedingungen. Wir wollen es nicht hinnehmen, daß die Frauen immer die schlechten Arbeitsbedingungen haben. Hier ist mit Hilfe eines Gesetzes etwas zu machen. Ich fordere Sie ausdrücklich zur Unterstüt4674
zung auf, und ich nehme es nicht hin, daß Sie vorher schon erklärt haben, die FDP sei dafür nicht zu haben. Sie sollten sich das noch einmal überlegen.
({1})
Aber jetzt lassen Sie mich bitte weitermachen, Frau Adam-Schwaetzer; Sie können j a nachher noch einmal fragen.
Herr Bundeskanzler, ich komme jetzt zu dem zweiten Punkt: Was erwarten Frauen heute eigentlich von der Politik? - Schade, daß der Bundeskanzler geht. Das zeigt wirklich, wie ernst er diese Debatte hier nimmt. - Frauen, Herr Bundeskanzler, erwarten von der Politik eines. Sie erwarten nämlich, daß ihre Interessen in die politischen Entscheidungen Eingang finden. Was heißt das? Frauen wollen - das ist etwas ganz Selbstverständliches - ihr Leben selber planen können.
Ich kann nur noch einmal sagen: Ich bedaure es sehr, daß der Herr Bundeskanzler den Saal verlassen hat. Denn gerade er hat den Begriff der Wahlfreiheit in einer Art und Weise benutzt, die dem Interesse der Frau vollständig zuwiderläuft.
({2})
- Frau Hürland, bitte lassen Sie mich das erst sagen. Vielleicht müssen Sie dann gar nicht mehr fragen.
Sie werden mit mir übereinstimmen, daß das, was die Frauen wollen - wie uns jede Umfrage zeigt und was auch wir selbst für richtig halten -, heißt: Sie wollen Ihr Leben selber planen können, sie wollen es selber gestalten, sie wollen das eigenständig machen, sie wollen das selbstverantwortlich tun.
({3})
- Ja, sicher. Aber er hat Wahlfreiheit nur für die Frau aus dem Recht der Frau auf Gleichberechtigung abgeleitet. Das ist etwas völlig anderes. Wenn er das gleiche meint, soll er sich hier hinstellen und das sagen. Wir sagen: Frauen wollen ihr Leben selber gestalten und selber planen können. Dazu gehören, wie jede Umfrage zeigt, Berufstätigkeit und Familie.
({4})
Dazu gehört aber auch, Frau Berger, daß sie sich nicht länger mit einer Politik abfinden wollen, die aus ihrer Entscheidung für die Familie und für die Kinder eine Einbahnstraße macht und ihnen gleichzeitig die Berufstätigkeit und die Rückkehr ins Berufsleben einfach abschneidet.
({5})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es wirklich sein muß - bitte schön, Frau Hürland.
Ich wollte nur etwas klarstellen, Frau Kollegin Däubler-Gmelin. Wollen
Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß sich der Herr Bundeskanzler in aller Form auch bei Ihrer Fraktion entschuldigt hat, weil er einen anderen wichtigen Termin hat. Ich wollte das nur der Richtigkeit halber sagen. Ich bitte Sie da um Verständnis.
Ich nehme das selbstverständlich gerne zur Kenntnis, Frau Hürland. Ich kann es nur bedauern, daß diese wichtigen Termine immer unmittelbar, nachdem der Bundeskanzler gesprochen hat, stattfinden.
({0})
Ich darf jetzt noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Frauen wollen nicht, daß ihre Entscheidung für die Familie in der Politik zur Einbahnstraße gemacht wird. Sie wollen nicht, daß ihnen die Rückkehrmöglichkeit abgeschnitten wird.
Es wird von Ihrer Seite immer behauptet, es gebe einen Zusammenhang zwischen staatlicher Förderung und dem Verhalten von Frauen. Herr Geißler ist darauf eingegangen. Ich stelle dagegen: Nicht, wer mit Geburtsprämien und mit finanziellen Trostpflästerchen winkt, Herr Geißler, sondern wer den Frauen eine Lebensplanung ohne Einbahnstraßen ermöglicht, nur der schafft wirklich die Voraussetzungen für die Entscheidung von Frauen für Familie und Kinder.
({1})
- Ja, das sind Sprüche. Aber wie wenig geht denn von dieser Erkenntnis in Ihre Politik ein, Herr Geißler? Es wäre doch gut, wenn Sie etwas davon in der Politik verwirklichen würden. Denn was heißt denn „Lebensplanung ermöglichen"? Voraussetzung Nummer 1 dafür heißt, Herr Geißler, daß die jungen Mädchen die Chance haben, einen Beruf zu ergreifen. Was hat denn diese Regierung getan? Diese Regierung hat das BAföG für die jungen Frauen besonders nachhaltig wirksam gestrichen. Das wissen Sie doch. Sie haben doch die Zahlen. Dann haben Sie Lehrstellen versprochen und dieses Versprechen gebrochen. Das war besonders nachteilig für junge Frauen. Sie wissen ganz genau, daß zwei Drittel der jungen Leute, die heute keine Ausbildungsstelle haben, Frauen sind.
({2})
Zur Voraussetzung von Lebensplanung gehört, daß die jungen Frauen mit ihrer Ausbildung den Anschluß an die Berufswelt von morgen finden können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht also nicht nur darum - obwohl schon das fehlt -, daß Mädchen genügend Ausbildungsmöglichkeiten erhalten, sondern auch der Inhalt und die Qualität dieser Ausbildung muß so beschaffen sein, daß der Zugang zu mehr Entscheidungsfähigkeit und zu mehr Technologie ermöglicht wird.
({3})
Gesagt vielleicht. Aber schauen Sie sich die Programme Ihrer Regierung an! Die gehen doch in den
letzten eineinhalb Jahren genau in die falsche Richtung.
({4})
Denn Sie geben das Geld für die Ausbildung von Mädchen in Berufen aus, von denen jedermann von uns weiß, daß Frauen dort nicht einmal mehr mittelfristig eine Chance haben.
({5})
Jetzt komme ich noch zur Arbeitslosigkeit. Wie man sich hier hinstellen und sagen kann, wie das Herr Geißler getan hat: Wir betreiben die richtige Wirtschaftspolitik und wir tun etwas gegen die Arbeitslosigkeit von Frauen!, wenn jeder den Monatszahlen aus Nürnberg entnehmen kann, daß die Arbeitslosenzahl saisonbereinigt weiter steigt, dies verstehe, wer will.
Aber ich will mich jetzt darauf beschränken, zu sagen: Sie wissen und wir wissen, daß in den nächsten Jahren die technologische Revolution, wie wir sie jetzt nennen, durch die Büros, durch die Versicherungen, durch die Arbeitsplätze und durch die Fabriken toben wird und daß Frauen in Millionenzahl auf der Strecke bleiben werden. Dazu hätte ich heute gern vom Herrn Arbeitsminister oder vom Familienminister oder vom Bundeskanzler gehört:
({6})
Wo sind denn eigentlich Ihre Hilfsangebote für diese Frauen, die heute schon wissen, daß sie arbeitslos werden?
({7})
Ich kann da auch noch sehr konkret werden, Herr George. Wo sind denn die Pläne, die arbeitslosen Frauen und die von Arbeitslosigkeit bedrohten Frauen rechtzeitig in Berufe umzuschulen, in denen sie später tatsächlich Chancen haben? Das alles ist nicht vorhanden: Für die jungen Frauen nicht und für die arbeitslosen Frauen nicht.
Deswegen sage ich Ihnen: Dieses vorgetäuschte Verständnis für die Lage von Frauen, Herr George, hilft den Frauen überhaupt nicht.
({8})
Sie haben heute schon mehrmals angesprochen, daß wir einen Entschließungsantrag vorgelegt haben. Es ist ein Entschließungsantrag, den wir uns sehr wohl überlegt haben, Frau Adam-Schwaetzer. Er zielt auf folgendes: Das eine, was die Regierung außer allgemeinen Bekundungen zum Wirtschaftsaufschwung sagt, ist ja: Bitte schön, wir wollen mehr Teilzeitarbeit. Ich meine, jeder, der einen Blick in die Zahlen aus Nürnberg wirft, weiß: Es gibt heute eine Viertelmillion arbeitslose Frauen - es gibt dreimal so viele Frauen, die einen Vollzeitarbeitsplatz suchen -, die auf eine Teilzeitarbeit angewiesen sind und diese suchen. Ihnen stehen, Herr Bundesminister, noch nicht einmal 6 000 Stellenangebote gegenüber, und diese Zahl nimmt ab.
Jetzt aber: Was folgt daraus? Daraus folgt doch sehr deutlich, daß man sich überlegen muß: Warum eigentlich ist Teilzeitarbeit reine Frauenarbeit und warum eigentlich gibt es einen so erheblichen Widerstand gegen Stellenteilung und Teilzeitarbeit hauptsächlich bei den Frauen, hauptsächlich bei den Arbeitnehmern? Wenn man sich dies ganz kurz überlegt, kommt man sehr schnell darauf - und es ärgert uns, daß Ihre Regierung das als Selbstverständlichkeit hinnimmt -, daß Frauen, die heute Teilzeitarbeit haben oder Teilzeitarbeit leisten müssen, dies heute mit niedrigen Verdiensten bezahlen,
({9})
morgen mit Minirenten und gleichzeitig mit schlechteren Aufstiegsmöglichkeiten und schlechteren Arbeitsbedingungen.
({10})
Das sind nur die traditionellen Nachteile, die Sie bei Männern nie hinnehmen würden, aber bei Frauen als selbstverständlich hinnehmen.
Doch in den letzten Jahren sehen wir noch eine ganz andere Entwicklung. Diese andere Entwicklung, Herr Bundesarbeitsminister ist der Anlaß, daß wir Sie dringend auffordern, endlich aktiv zu werden. Wir stellen nämlich fest, daß Hunderttausende von Frauen jetzt in Teilzeitverhältnissen ohne Versicherungsschutz,
({11})
ohne Schutz bei Krankheit, ohne Alterssicherung und ohne Arbeitslosenversicherung arbeiten. Wir halten solche Arbeitsbedingungen für einen Mißbrauch der Vertragsfreiheit, den die Arbeitgeber nur durchsetzen konnten, weil sie von Ihrer Regierung keine Schranken gezogen bekommen haben. Und ich sage Ihnen: Wir werden diese Schranken im Interesse der Frauen einfordern.
({12})
Frau Kollegin, ich muß Sie leider unterbrechen:
({0})
- Die sind leider vorbei.
Gut. Ich komme zum Schluß. Es ist wahr: Wes Herz voll, des Mund läuft über.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie zum Schluß noch einmal auffordern: Prüfen Sie, ob Sie nicht im Interesse der Arbeitsbedingungen der Frauen helfen können, daß wir diese Auswüchse, die die Regierung als Vorbild für eine Arbeitszeitverkürzung für alle anpreisen will, diese Auswüchse der Vertragsfreiheit Teleheimarbeit, flexible Arbeitszeit, ungeschützte, variable Teilzeitarbeit, geringfügige Arbeitsverhältnisse - gemeinsam wieder in den Schutz des Arbeits- und Sozialrechts zurückholen. Dann hätten wir in diesem Haus für die Frauen wirklich etwas
geleistet; dann wäre diese Frauendebatte heute nicht umsonst gewesen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Frau Däubler-Gmelin, ich stimme Ihnen voll zu: Hilfe von allen Seiten ist nötig, denn diese Erscheinungen auf dem Arbeitsmarkt, die Sie heute genannt haben, sind nicht erst seit jüngstem bekannt, sondern hätten eigentlich schon zu Ihrer Regierungszeit prognostiziert werden müssen. Wir hätten dann die Arbeit, die wir getan haben, lieber übernommen. Sie wäre uns dann wesentlich leichter gefallen.
({0})
Frau Kollegin Steinhauer, Sie hatten heute morgen das Zitat gebracht: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. - Wir wollen sehr gerne an unseren Taten gemessen werden. Daß Sie an Ihren Taten gemessen worden sind, hat das Wahlverhalten gezeigt. Die hatten die Wähler erkannt.
({1})
Ich werde Ihnen deshalb einmal einige Taten der neuen Regierung, die sie unmittelbar nach Regierungsübernahme in Angriff genommen hat, aufzählen, und zwar gerade solche für junge Frauen, für junge Mädchen.
Wir als Gesellschaft haben die moralische Verpflichtung, unseren Jugendlichen nach der Schulzeit Ausbildungsplätze, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, weil die Zukunftschancen unserer jungen Generation davon abhängen. Die Bundesregierung hat die bedrohliche Situation erkannt und unmittelbar gehandelt. Ich danke Ihnen, meine Herren und Damen von der Opposition, daß Sie uns mit Ihrer Großen Anfrage heute noch einmal die Gelegenheit gegeben haben, auf das hinzuweisen, was wir gemacht haben.
Der Bundeskanzler selber hat sich unmittelbar nach Regierungsübernahme dafür eingesetzt, daß 30 000 Lehrstellen zusätzlich geschaffen wurden. Ich will ihm an dieser Stelle dafür noch einmal ausdrücklich danken.
({2})
Ich habe volles Verständnis dafür, daß Ihnen diese Initiative nicht in das politische Konzept paßt. Nur, Sie müssen mit den Fakten leben. Obwohl die Größenordnung der auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze und der auf den Arbeitsmarkt drängenden Jugendlichen seit Jahren bekannt war, also auch Ihnen bekannt war, hat sich vor unserem Bundeskanzler kein Bundeskanzler dieses Problems persönlich angenommen. Es hat sich keiner darum gekümmert. Das ist ein unverzeihliches Versäumnis, unter dem unsere Jugendlichen noch heute zu leiden haben.
({3})
Auch Abgeordnete der Koalitionsfraktionen haben
sich intensiv um zusätzliche Ausbildungsplätze bemüht, um so die unerwartet hohe Zahl der auf den Arbeitsmarkt drängenden Jugendlichen zu reduzieren. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, das mit gleicher Intensität getan hätten, könnte die positive Bilanz für unsere Jugendlichen heute besser aussehen.
({4})
Wenn sich heute noch jemand hinter das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit zurückziehen sollte, so greift das nicht mehr; denn die dort bestehenden Hemmnisse sind mittlerweise alle beseitigt.
Sie wissen alle, daß sich die Ausbildungsplatzsuche für Mädchen besonders kritisch gestaltet hat, obwohl sie keine schlechteren Schulabschlüsse als die Jungen haben. Im Gegenteil, über 50 % der unvermittelten Bewerberinnen haben mindestens einen mittleren Abschluß. Auch bei Bemühungen um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz sind Mädchen wesentlich flexibler, bewerben sich öfter, erhalten allerdings auch öfter eine Absage. Den Berufswünschen der nicht vermittelten Mädchen standen freie Ausbildungsplätze in Bau- und Metallberufen, im Waren- und Dienstleistungsbereich und in Ernährungsberufen, Bäcker, Metzger, Koch, gegenüber. Obwohl die Konzentration der Mädchen auf reine Frauenberufe oder sogenannte typisch weibliche Berufe abgenommen hat, wird hier deutlich, daß die Motivierung der Mädchen für die gewerblich-technischen Berufe noch nicht ausreichend ist. Sie muß bereits in der Schule frühzeitig einsetzen und durch handwerkliche und naturwissenschaftliche Arbeitsfelder vorbereitet werden. Ergänzend muß die Berufsberatung nach der persönlichen Eignung und Neigung, aber auch mit Blick auf die Lage am Arbeitsmarkt, den Jugendlichen Orientierungshilfen geben.
Das Interesse der Mädchen an der beruflichen Ausbildung ist trotz ständig knapper werdender Ausbildungsplätze in den letzten sechs Jahren ständig gestiegen. Während noch 1977 der Anteil der Mädchen bei 36,5% lag, ist er 1982 auf 39 % gestiegen. Die Ursachen sind u. a. in der relativen Chancenlosigkeit der Akademikerberufe zu suchen, z. B. bei den Lehrerinnen. Zum anderen ist die Nachfrage der Mädchen nach dualer Ausbildung auch deshalb stark gestiegen, weil sie eine qualifizierte Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit anstreben und früher in das Berufsleben einsteigen wollen. Die Bundesregierung hat dieser besonderen Situation der Mädchen Rechnung getragen. Sie hat im Oktober 1983 ein einmaliges Sonderprogramm mit einem Finanzvolumen von 160 Millionen DM beschlossen, das 7 000 bis 8 000 Jugendlichen die Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf ermöglichen sollte. Damit sollten vorrangig Mädchen und junge Frauen eine Chance auf dem Ausbildungsmarkt erhalten.
Auch mit der Vorruhestandsregelung sind Rahmenbedingungen dafür geschaffen, daß die Bundesanstalt für Arbeit, Zuschüsse an Arbeitgeber dann zahlt, wenn diese nach entsprechenden Tarifvereinbarungen für ausscheidende Arbeitnehmer arbeitslose Jugendliche einstellen.
Der Bund selbst wird 1984 mit gutem Beispiel vorangehen und 28 500 Ausbildungsplätze anbieten. Das sind 1000 Plätze mehr als im Vorjahr. Die Deutsche Bundesbahn wird über ihren Bedarf hinaus Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
Mit der Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes werden wir erreichen, daß die Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft auch weiterhin erhöht wird.
({5})
Unter anderem soll durch Freistellung an Berufsschultagen künftig vermieden werden, daß ein Auszubildender wegen des Berufsschulunterrichts dem Betrieb zwei volle Arbeitstage pro Woche fernbleiben muß. Ich kann mir vorstellen, daß mancher Handwerksmeister dann zusätzlich Auszubildende einstellt. Durch Änderung des Schwerbehindertengesetzes sollen Auszubildende bei der Berechnung der Pflichtquote zur Beschäftigung von Schwerbehinderten in Zukunft nicht mehr mitgezählt werden.
Auch zum Abschluß von Mehrfachverträgen darf es nicht mehr kommen. Eine von dem Auszubildenden bei der Bewerbung vorzulegende Bewerberkarte soll nach Vertragsabschluß entsprechend gekennzeichnet werden, damit sie nicht weiter vorgelegt werden kann.
Die Bundesregierung sollte zum anderen im Jahre 1984 auch weiterhin regionale Ausbildungskonferenzen initiieren und durch entsprechend gezielte Öffentlichkeitsarbeit die Arbeitgeber an ihre Verpflichtung zur Ausbildung erinnern.
Die Bundesregierung hat all diese Maßnahmen ergriffen, um den jungen Menschen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützend behilflich zu sein. Die seit Jahren bekannte und zu erwartende stark erhöhte Zahl von jungen Leuten aus den geburtenstarken Jahrgängen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, erfordert besondere Maßnahmen. Deshalb sollten auch steuerliche Hemmnisse für private Haushalte, die in der Lage sind, junge Mädchen in Hauswirtschaftsberufen auszubilden, umgehend überprüft werden. Hier kann man zusätzlich Ausbildungsplätze für Mädchen bereitstellen.
({6})
Viele Hauswirtschaftsmeisterinnen mit Mehrkinderfamilien würden gerne einen Lehrling ausbilden, sehen sich aber angesichts der finanziellen Belastungen von ca. 600 oder 700 DM pro Monat dazu nicht in der Lage. Ich meine, daß hier dringend Abhilfe geschaffen werden muß.
Die Opposition hat in der Vergangenheit die wirtschaftliche Rezession, die Arbeitsplätze abbaute, und die zu erwartende hohe Zahl der arbeitssuchenden Jugendlichen hingenommen, ohne entsprechende Vorsorge zu treffen.
({7})
Sie ließ zwei Züge aufeinanderrasen, ohne die Weichen entsprechend zu stellen. Die von Bundeskanzler Kohl geführte Bundesregierung hat viele kleine Schritte unternommen, um kurz- und mittelfristig
jungen Leuten einen Ausbildungsplatz zu beschaffen. Die Bundesregierung kann und darf die Wirtschaft aber nicht aus ihrer ureigensten Verantwortung, für ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zu sorgen, entlassen. Wir haben in den unmittelbar vor uns liegenden Jahren noch mit um die 700 000 Ausbildungsplatzbewerbern pro Jahr zu rechnen. Erst in den folgenden Jahren nimmt diese Zahl ab. Helfen Sie deshalb alle mit, in Ihrem Tätigkeitsbereich für ein zusätzliches Lehrstellenangebot zu sorgen; denn Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, können nicht von den arbeitslosen Jungen und Mädchen der Regierung reden und selbst die Hände in den Schoß legen und dabei manchmal vielleicht sogar noch schadenfroh schmunzeln.
({8})
Es ist unsere Jugend, für die wir gemeinsam, so hoffe ich, die Verantwortung tragen.
Gemeinsam sollten wir den Jugendlichen auch auf der Schwelle zum Berufsleben Mut machen, ihnen vermitteln, daß sie in unserer Arbeitswelt, in unserer Gesellschaft dringend gebraucht werden. Eine Null-Bock-Generation mit Zukunftsangst gibt es nicht, wie jüngste Umfragen ergeben, auch wenn das für den einen oder anderen überraschend sein sollte bzw. nicht in sein politisches Konzept paßt. Unsere Jugend will Leistung erbringen, will Erfolg haben. Helfen wir ihr dabei!
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Ich darf jetzt drei Minuten lang etwas Tiefschürfendes sagen. Ich möchte das nur tun, um meinem Herzen ein bißchen Luft zu machen.
Zum ersten möchte ich mich einmal an die Kolleginnen von der CDU wenden. Ich bekomme Ihnen gegenüber ein ungemütliches Gefühl. Ich möchte mich als Frau mit Ihnen gern solidarisieren. Aber auf der anderen Seite höre ich bei Ihnen zu oft das Wort „Hilfe" und spüre auch die Unterwürfigkeit,
({0})
die gerade von diesem neuen Stil von Pseudo-Emanzipation benutzt wird, wo man ein paar Frauen vorschickt, wo man von Partnerschaft redet, während sich dahinter eine knallharte Politik verbirgt, in diesem Fall die Arbeitsmarktpolitik, die die Frauen wieder als billige Arbeitskräfte bereitstellen soll.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Lassen Sie sich dazu nicht mißbrauchen!
({2})
Zweitens möchte ich mich zu Herrn Kohl äußern. Er ist zwar nicht mehr da, aber es sollte hier einfach mal offen gesagt werden. Wenn man gelernt hat, was Heuchelei ist, dann haben wir dafür heute morgen wieder ein Beispiel bekommen. Die Situation der Frauen wurde von ihm beklagt, und er hat
sich Asche aufs Haupt gestreut, aber jeder weiß ganz genau, daß er nichts Neues tun wird. Das ist eine heuchlerische Politik.
({3})
Diese Politik ist gegenüber der Bevölkerung gut verkauft. Sie wird über die Fernsehschirme gut verkauft, weil sie mit einer Portion Rührseligkeit, Familienfreundlichkeit und „guter Bär" versehen ist. Aber gerade das ist unerträglich; denn auch das wird in dieser Gesellschaft als Teil der ideologischen Verkleisterung benutzt.
({4})
Ich kann nur davor warnen, daß wir Frauen dem hier auf den Leim gehen.
Was Sache ist, haben eigentlich eher Herr Blüm und Herr Geißler angesprochen, wenn sie hier ihr Modell der flexiblen Arbeitszeit gepriesen haben. Das ist in der Tat eine ganz gefährliche Sache. Flexibel sein klingt so ungeheuer angenehm, das klingt nach Auswählenkönnen, nach Eigengestaltung. Das ist es aber nicht. Denn dieses Modell von Flexibilität - ich kann es nur wiederholen - ist kapazitätsorientiert, d. h. man muß immer auf Abruf sitzen und dann bereit sein, wenn der Unternehmer einen braucht.
({5})
Das heißt Heimarbeit, also ohne die rechtliche Absicherung. Die Frauen können selber gucken, wie sie ihren Kram fertigkriegen, ob die Kinder nun krank sind oder nicht. Das heißt befristete Arbeitsverträge - Mohr, du hast deine Schuldigkeit getan, wenn wir dich nicht mehr brauchen - statt feste Arbeitsverträge. Das heißt Teilzeit, weil man nämlich in den Teilzeitarbeitsverhältnissen verdichtet arbeiten kann und weil man dann praktischerweise Haushalt und Beruf miteinander vereinbaren kann.
({6})
Das alles ist Flexibilität. Das ist nicht das, was wirklich Gleichberechtigung und Emanzipation gewährleisten könnte.
({7})
Wir müssen über flexible Modelle nachdenken, nach denen Männer Haushalt und Beruf miteinander vereinbaren können. Wenn Sie anfangen, darüber nachzudenken, dann können Sie wirklich davon reden, daß Sie eine neue Politik machen wollen. Aber davon ist heute nicht die Rede gewesen. Es geht wirklich um neue ideologische Verkleisterungen einer reaktionären Politik.
({8})
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beck-Oberdorf, in einem gebe ich Ihnen recht: Unsere Auffassung von Emanzipation, die meiner Kolleginnen von der
CDU/CSU und, ich glaube, auch der FDP, trifft sich nicht mit Ihrem Emanzipationsbegriff.
({0})
Da haben Sie allerdings recht. Wir sind der Auffassung, daß eine Frau ihr Leben so gestalten können sollte, daß sie selber darüber entscheidet, wie sie sich in der Familie engagiert, mit ihrer Familie identifiziert, in ihrer Familie tätig ist und wie sie ihre Familienaufgabe zeitlich hintereinander oder nebeneinander mit Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlicher Tätigkeit kombinieren kann.
({1})
In dieser Richtung habe ich bei Ihnen nichts gehört.
Ich möchte hier sehr deutlich sagen, daß wir - ich spreche hier für die Unionsfraktionen - die Wahlfreiheit für die Frau anstreben. Für uns ist die Aufgabe der Frau in der Familie genausoviel wert wie die Erwerbstätigkeit, und die Erwerbstätigkeit ist uns genausoviel wert wie die Tätigkeit in der Familie,.
({2})
Das. möchte ich doch einmal ausdrücklich sagen.
Dann haben Sie gesagt, daß der Bundeskanzler
- ich habe seine Rede leider nicht hören können -hier nur - ({3})
- Ich sage Ihnen gleich den Grund, warum ich nicht hier war. Ich war deshalb nicht hier, weil wir etwas getan haben, weil auch ich gerade etwas für die Ausbildungssituation der jungen Generation, der jungen Mädchen getan habe. Ich komme gerade aus einem Spitzengespräch mit den Repräsentanten der Unternehmer und der Arbeitnehmer. Wir haben zwei Stunden miteinander beraten, wie wir die Ausbildungschancen für die junge Generation verbessern können. Ein besonderer Gesprächspunkt war die schwierige Ausbildungssituation der Mädchen.
({4})
Ich glaube, daß ich damit einen aktiven Beitrag geleistet habe, um mit den Problemen der jungen Generation besser fertig zu werden. Ich bitte, das hier zur Kenntnis zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß eine qualifizierte Frauenerwerbsarbeit und eine qualifizierte Übernahme der verschiedenen Rollen der Frau in der Gesellschaft nur dann möglich sind, wenn unsere Mädchen auch eine gute allgemeine und berufliche Bildung mit auf den Weg bekommen. Ich nehme mit Erschrecken zur Kenntnis, daß wir alle nicht feststellen - das wird auch hier in diesem Hohen Hause nicht deutlich gemacht -, welche positive Entwicklung die Bildung der Mädchen in den letzten 20, 30 Jahren genommen hat. Der Prozentsatz der Mädchen mit
Hochschul- und Fachhochschulreife ist auf 50 %, der mit mittleren Abschlüssen auf 55 % im Jahr 1982 gestiegen. Hier zeigt sich der Wandel des Bewußtseins der Mädchen und ihrer Eltern, daß Bildung notwendig ist.
Als Folge davon hat sich auch in der Nachfrage nach beruflicher Ausbildung ein wichtiger Wandel vollzogen. Von Mädchen und ihren Eltern wird heute genauso eine gute Ausbildung gewünscht, wie sie für Jungen gewünscht wird. Erfreulicherweise ist der Anteil der weiblichen Lehrlinge im dualen System insgesamt auf 39 %, der Anteil der weiblichen Schüler in den Berufsfachschulen auf 66% gestiegen.
Bei den Studenten im gesamten Hochschulbereich liegt der Anteil der Frauen bei 38%. Darauf möchte ich doch hinweisen, damit wir diese positive Entwicklung hier endlich einmal gebührend zur Kenntnis nehmen.
({5})
Selbstverständlich führt dieses veränderte Qualifikationsniveau der Frauen zu strukturellen Problemen im Ausbildungsangebot, aber wir müssen in dieser positiven Entwicklung fortfahren. Zwar ergibt sich hier auf Grund der schwierigen Arbeitsmarktlage ganz sicherlich eine besondere Problematik für Frauen, aber ich denke, daß die Bundesregierung hier auf dem richtigen Wege ist.
Das Ausbildungsangebot konnte 1983 so gesteigert werden, daß der größte Teil der jungen Menschen - bis auf etwa 25 000 - eine betriebliche und überbetriebliche Ausbildung bekommen konnte. Dabei bekümmert uns - darüber haben wir mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebervertretern soeben auch gesprochen -, daß von den Nichtvermittelten am Ende des Jahres zwei Drittel Mädchen waren. Dies liegt aber auch daran, daß sich die Wünsche der Mädchen immer noch auf wenige Berufe konzentrieren. Wir müssen uns gemeinsam bemühen - Berufsberatung, schulische Information, Wirtschaft und Gewerkschaften, daß die Mädchen ihre Berufswünsche auf weitere Berufe ausdehnen. Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft führt die Modellversuche für Mädchen in sogenannten Männerberufen fort. Aber ich sehe eben auch mit Bedauern, daß sich die Berufswünsche der Mädchen nicht mit gleicher Schnelligkeit auf andere Berufe ausweiten. Hier müssen weiter gemeinsame Anstrengungen gemacht werden.
Die Bundesregierung ist auch bemüht, im Gespräch mit den Ländern, den Krankenkassen und den kommunalen Spitzenverbänden dafür zu sorgen, daß das Angebot an Ausbildungsplätzen für Mädchen in den krankenpflegerischen Berufen noch weiter ausgedehnt wird. Hier sind noch Kapazitäten erschließbar. Ich meine, das ist ein Berufsbereich, in dem die Mädchen auch in besonderer Weise tätig sein möchten. Wir brauchen Fachkräfte in diesem Bereich der nichtärztlichen Heil- und Pflegeberufe.
Wir sollten aber nicht nur von der betrieblichen und berufsfachlichen Ausbildung sprechen. Es muß auch gesehen werden, daß eine große Zahl der Mädchen in den Hochschulbereich strömt. Die Bundesregierung wird die Hochschulen offenhalten. Unsere Politik ist an dem Prinzip des Offenhaltens ausgerichtet, damit gerade auch Mädchen Studienmöglichkeiten behalten. Allerdings sehen wir auch hier mit Sorge, daß sich die Berufs- und Studienwünsche allzusehr auf wenige Fachbereiche konzentrieren, z. B. auf die Lehrerberufe. Von daher gibt es verstärkte Arbeitsmarktprobleme.
Wenn zur Zeit die Zahl der weiblichen Studienanwärter zurückgeht, so liegt das zum großen Teil daran, daß die Mädchen keine Chance mehr sehen, den Lehrerberuf zu ergreifen, weil keine Anstellung mehr möglich ist. Zum Teil weichen die Mädchen jedoch bislang nicht auf andere Studien aus.
Die Bundesregierung wird sich auch im Rahmen der angestrebten Novellierung des Hochschulrahmengesetzes bemühen, die schlechte Situation der weiblichen Hochschullehrer und der Frauen im wissenschaftlichen Mittelbau der Hochschulen zu verbessern. Wir werden diesem Problem unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Wenn wir von der Berufstätigkeit der Frauen sprechen, so müssen wir auch die berufliche Weiterbildung berücksichtigen. Für die Frauen machen sich hier durch die Kombination von Familie und Beruf neue Schwierigkeiten bemerkbar. Ich sage Ihnen ganz offen: Es zählt zu den großen Aufgaben im Bereich der Weiterbildung, die noch vor uns stehen, zu prüfen, wie wir die Qualifikationshilfen für die Frauen verbessern können, die aus der Familie wieder in den Beruf zurückkehren wollen. Wir können den Frauen nur dann mit gutem Gewissen sagen: zieht euch um der Kinder willen einige Jahre ganz oder teilweise aus dem Beruf zurück, wenn wir ihnen nachher auch Hilfen zur Rückkehr in den Beruf bieten können. Insoweit kommt der Anpassungsfortbildung eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung wird in der Lösung dieses Problems einen Schwerpunkt sehen und auch Modellversuche und Forschungsvorhaben durchführen.
Lassen Sie mich noch ein Stichwort nennen, weil das von besonderer Bedeutung ist. Es geht um die Frage: Wie können wir die neuen technischen Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung auf dem kaufmännischen Gebiet und dem Gebiet der gewerblichen Tätigkeit - Stichwort Mikroprozessortechnik so in den Griff bekommen, daß auch Frauen in diese Berufe hineinkommen, daß auch Frauen mit den neuen Techniken vertraut werden? Sie wissen, daß die Bundesregierung ein Modellprogramm von über 25 Millionen DM aufgelegt hat: neue Technologien in der beruflichen Bildung. Im Rahmen dieses Programms werden wir Anstrengungen unternehmen, speziell den Frauen die nötigen Qualifikationen zu vermitteln; denn eines ist selbstverständlich: Wir müssen die Frauen verstärkt mit den neuen technologischen Entwicklungen vertraut machen , damit sie ihre Chancen wahrnehmen können.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte verlief lebendiger und farbiger als andere Debatten. Die Initiative, die das Bundestagspräsidium zusammen mit dem Ältestenrat ergriffen hat, hat heute eine erste Bewährungsprobe bestanden. Wir werden diese Initiative auch in Zukunft unterstützen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte über die Abwesenheit des Bundeskanzlers und die verspätete Ankunft der Frau Kollegin Wilms nicht rechten. Auch zu unserer Zeit hat es Abwägungen zwischen den verschiedenen Verpflichtungen gegeben.
({1}) Darum erspare ich mir Kritik.
Aber ein kritisches Wort möchte ich in dieser Richtung sagen: Ich hätte es gewünscht, daß bei dieser Debatte nicht nur eines von elf Bundesländern vertreten ist.
({2})
Unsere Position zu den Fragen, die heute diskutiert wurden, ist klar.
({3})
- Herr Präsident, ich -
Ich bitte um Entschuldigung, ich wurde gerade abgelenkt. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?
Ich gestatte sie, wäre aber dankbar, wenn die Verständigungspause nicht auf meine Redezeit angerechnet würde.
Sind Sie bereit, Herr Kollege Vogel, die Information entgegenzunehmen, daß der Bundeskanzler soeben aus dringendem Anlaß bei mir war und deshalb nicht dort sitzen konnte?
Herr Bundestagspräsident, ich danke Ihnen für diese Frage. Ich habe von dieser Stelle aus gerade erklärt, daß ich keinen Anlaß habe, den Bundeskanzler zu kritisieren, weil es solche Abwägungen auch zu unserer Zeit gegeben hat. Ich sehe also zwischen Ihrer Frage und meiner Antwort überhaupt keine Divergenz.
({0})
- Meine Damen und Herren, Sie sind merkwürdig nervös und merkwürdig sensibel. Ich würde Ihnen die Sensibilität in der Sache wünschen, nicht an diesem Punkt.
({1})
Unsere Position ist klar. Für uns gilt, was August Bebel schon vor über 100 Jahren gesagt hat. Er sagte: Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter. Er fügte hinzu, daß die soziale und rechtliche Benachteiligung der Frauen durch Änderungen in den Gesetzen und Einrichtungen der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen beseitigt werden muß.
Danach haben wir Sozialdemokraten gehandelt. Wir haben gegen konservativen Widerstand den Frauen 1918 das allgemeine Wahlrecht verschafft. Wir haben wesentlich bewirkt, daß der Gleichheitssatz 1919 in die Weimarer Verfassung geschrieben wurde. Es war eine Sozialdemokratin, die heute im 88. Lebensjahr stehende Rechtsanwältin Elisabeth Selbert, an die ich bei dieser Gelegenheit erinnere,
({2})
die im Parlamentarischen Rat 1949 gegen konservativen Widerstand durchgesetzt hat, daß es in Art. 3 unseres Grundgesetzes heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
In den 13 Jahren unserer Regierungsverantwortung haben wir für die Verwirklichung der Gleichberechtigung mehr getan als Sie zuvor in Jahrzehnten, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
({3})
Das Leitbild der partnerschaftlichen Ehe trat an die Stelle des Leitbilds der Hausfrauenehe. Der Versorgungsausgleich machte mit dem Prinzip der Zugewinngemeinschaft Ernst und stärkte die Position der geschiedenen Frauen und gab erstmals den Hausfrauen, von denen Sie soviel reden, einen eigenständigen Versorgungsanspruch.
({4})
Die Reform des § 218 setzte den Gedanken der Beratung und der Hilfe an die Stelle der Strafdrohung und der Verurteilung.
({5})
Die BAföG-Regelung öffnete den Mädchen endlich auch in der Realität den gleichen Zugang zu den weiterführenden Schulen und den Hochschulen.
Wir haben von den Müttern nicht nur geredet; wir haben ihnen durch Einbeziehung in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung, durch Freistellung bei einer Erkrankung des Kindes und durch Einführung des Mutterschaftsurlaubs tatsächlich geholfen und etwas getan.
({6})
Noch etwas ist in den 13 Jahren unserer Regierungsverantwortung geschehen: Das Selbstbewußtsein der Frauen ist erwacht, und das politische Selbstbewußtsein ist gewachsen. Sie sind hellhörig geworden.
({7})
Die Frauen erkennen, daß die schönen Reden, die auch heute hier gehalten worden sind, nicht nur Lob und Dank für die Mütter und für die Hausfrauen ausdrücken wollen.
Ich wüßte übrigens nicht, wer sich diesem Dank nicht auf der Stelle anschließen wollte, schon im
Gedanken an die eigene Mutter und im Gedanken an die eigene Frau. Aber dieser Dank ist doch eine Selbstverständlichkeit. Darum erkennen immer mehr Frauen, daß dieser Dank, daß dieses Reden von der Mütterlichkeit im Grunde für Sie eine ganz andere Funktion hat, nämlich die Funktion, zu verschleiern, daß Sie in Wahrheit eine schlimme Wende auf diesem Gebiet betreiben:
({8})
eine Umkehr, einen Abbau dessen, was an gesellschaftlicher Gleichberechtigung mühsam genug von den Frauen im Laufe von Jahrzehnten erkämpft worden ist. Ich anerkenne die sympathische Selbstkritik, die der Bundeskanzler hier geübt hat, daß nicht genügend geschehe, um den Grundsatz der Gleichberechtigung in die Realität umzuwandeln. Ich schließe uns in diese Selbstkritik durchaus mit ein, wenn ich etwa an die politische Repräsentation der Frauen in unserer eigenen Fraktion in gewissen Funktionen denke. Aber das kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie hier mit diesen Reden ablenken.
({9})
Die Kritik ist ja berechtigt. Daß Sie jetzt nach Ihrer eigenen Meinung nicht genügend tun, ist aber doch keine Rechtfertigung dafür, daß Sie das schon Erreichte gefährden und wieder zurückdrehen und zurückschrauben.
({10})
Das ist doch in vollem Gange. Sie können sagen, was Sie wollen: Sie haben das Schüler-BAföG gestrichen und das Mutterschaftsgeld gekürzt. Ihre Kürzungsmaßnahmen im sozialen Bereich, etwa bei den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, treffen die Frauen viel stärker als andere. Sie wollen das Scheidungsrecht so ändern, daß sich die Situation der Frauen wieder verschlechtert,
({11})
und Sie lassen in einer bedenklichen Weise nach außen für diejenigen, die daran - ich würdige das - ein essentielles Interesse haben, immer wieder den Eindruck entstehen, daß Ihre Fraktion auch die Reform des § 218 zurückschrauben würde, wenn Sie dazu nur einen Weg wüßten und wenn Sie es nur in Gang bringen könnten.
({12})
Über all das können Sie doch nicht hinwegtäuschen.
({13})
- Nein, jetzt bitte nicht mehr. Das ist mit den Redezeiten nicht vereinbar.
Die Frauen, und nicht nur sie, haben aber auch gut verstanden, wozu Sie heute bei Ihren vielen Reden geschwiegen haben: Die Erwerbslosigkeit der Frauen ist höher und deshalb noch bedrückender als die der Männer. Wir haben gesagt, was wir konkret tun wollen. Was, ganz konkret, wollen Sie tun? Ist Teilzeitarbeit, ist ständige Abrufbereitschaft der Frauen - das steckt doch hinter der von Ihnen so gepriesenen Flexibilität, die in Wahrheit nur die Verfügungsgewalt des Unternehmens über die angestellten und arbeitenden Frauen erhöht - wirklich Ihre ganze Antwort?
({14})
Wie sieht Ihre Lösung für die Hinterbliebenenversorgung in der Rentenversicherung wirklich aus? Was kommt bei der endlosen Streiterei, bei dem Sommertheater über die Steuerreform tatsächlich für die Frauen heraus, und - ich frage das Sie, Herr Kollege Blüm, und ich frage das die gesamte Bundesregierung - ist die Heraufsetzung der Altersgrenze für die Frauen auf 65 Jahre wirklich vom Tisch, oder hängt das noch in irgendeiner Schublade und wird von Graf Lambsdorff oder anderen wieder auf den Tisch gelegt?
({15})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik der Union läuft auf vielen Gebieten darauf hinaus, das Rad der sozialen Entwicklung zurückzudrehen, alte Vorherrschaften wiederherzustellen. Das gilt auch für das Gebiet, über das wir heute reden. Wie auf anderen Gebieten versuchen Sie auch hier, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen: die Arbeitslosen gegen die, die Arbeit haben, die, die für Verkürzung der Lebensarbeitszeit sind, gegen die, die die Verkürzung der Wochenarbeitszeit wollen, die Hausfrauen gegen die berufstätigen Frauen und die ältere Frauengeneration gegen die jüngere.
({16})
Wir leisten all dem entschiedenen Widerstand. Wir spüren, daß dieser Widerstand in unserem Volk, bei den Frauen breiter wird, die sich ihrer politischen Macht endlich bewußt werden, aber auch bei den Männern, die endlich erkennen, daß man eine absolute Mehrheit - die Frauen sind die absolute Mehrheit unseres Volkes - nicht auf Dauer wie eine Minderheit behandeln kann.
({17})
Die jüngsten Kommunalwahlen in München haben dafür einen deutlichen Beweis geliefert. Dort haben Wählerinnen und Wähler den Anteil der Frauen an der sozialdemokratischen Stadtratsfraktion von 11 auf 15 Mitglieder, also von 35 auf 43 %, gesteigert.
({18})
Das war möglich, weil das bayerische Kommunalwahlrecht den Wählerinnen und Wählern nicht nur
die Entscheidung über eine Liste, sondern die indi4682
viduelle Entscheidung über ihre Vertretung ermöglicht.
({19})
Das ist eine ermutigende Entwicklung, die mir übrigens organischer und vor Rückschlägen gesicherter erscheint als die spektakuläre Entscheidung einer Fraktion dieses Hauses, die die weit verbreitete faktische Benachteiligung der Frauen einfach durch den faktischen Ausschluß der Männer ersetzt und deswegen Rückschläge geradezu herausfordert.
({20})
Im übrigen ist natürlich das Münchner Wahlergebnis für uns nicht nur unter diesem Gesichtspunkt von großem Interesse.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war gut, daß wir die heutige Debatte fast ausschließlich den Sorgen und Problemen der Frauen gewidmet haben. Wichtiger noch ist aber, daß wir bei jedem Thema, das wir behandeln, danach fragen, ob und wie es sich für die Frauen auswirkt. Sonst war die heutige Debatte nur eine Alibidebatte. Wir Sozialdemokraten suchen aber nicht nach Beschwichtigungen, nach schönen Redensarten oder dem Alibi gegenüber den Frauen, wir wollen vielmehr die gesellschaftliche Wirklichkeit so verändern, daß die Gleichstellung der Frauen und das Miteinander der Männer und Frauen in einer solidarischen Gesellschaft wirklich erreicht wird.
({21})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr für die sehr ausführliche Debatte, auch für den Dialog, auch den kämpferischen Dialog, den wir heute morgen miteinander ausgetragen haben.
Ein paar Bemerkungen aus der Sicht der Regierung am Ende dieser Debatte. Aus unserer Sicht hat sie stellenweise den Charakter lediglich einer Umverteilungsdebatte gehabt. Da mache ich allerdings darauf aufmerksam, verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, hätten wir die Kasse 1982 so übernommen,
({0})
wie Sie sie 1969 übernommen haben, hätten wir das Kindergeld verdoppeln, den Mutterschaftsurlaub erhöhen, Erziehungszeiten einführen und das Erziehungsgeld außerdem noch verdreifachen können. Das wäre das Ergebnis gewesen.
({1})
Und, verehrter Herr Kollege Vogel, zu Ihren Umverteilungsvorwürfen: Die größte, die gigantischste Umverteilung, die wir erlebt haben, ist die Schuldenpolitik, die von Ihrer Regierung zu verantworten gewesen ist.
({2})
Ich frage Sie nämlich: Wer erhält die 27 Milliarden Zinsen, die der Bund für die Schulden zahlen muß, die Sie hinterlassen haben? Ich versichere Ihnen, mit Sicherheit kein kinderreicher Familienvater, mit Sicherheit keine Sozialhilfeempfängerin, mit Sicherheit keine Frau, für die Sie heute morgen hier angetreten sind. Sie haben mit Ihrer Schuldenpolitik eine Politik gegen die kleinen Leute und auch gegen die Frauen gemacht.
({3})
Das ist schon sehr merkwürdig, erst stecken Sie das Haus an und dann beschweren Sie sich darüber, daß wir es löschen. Das ist doch heute morgen das Ergebnis dieser Debatte gewesen.
({4})
Zum Emanzipationsbegriff. Ich glaube schon, daß materielle Fragen eine große Rolle spielen, und ich glaube schon, daß wir auch durch materielle Unterstützung dazu beitragen müssen, daß die Frauen in der Tat die freie Wahl zwischen Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit haben. Denn ich behaupte, daß ein Teil der Frauen nicht aus freien Stücken erwerbstätig ist, sondern einzig und allein, damit die Haushaltskasse stimmt. Das ist doch keine Freiheit.
({5})
Deshalb glaube ich auch, wir sollten den Emanzipationsbegriff etwas weiter nehmen. Ich kenne sehr viele Arbeiterfrauen, die emanzipierter, selbständiger sind als manche Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten, die ich gar nicht gegeneinander ausspielen will.
({6})
Nun zu dem Thema Teilzeitarbeit. Auch dort ein bekanntes Verfahren. Frau Beck-Oberdorf, erst haben Sie eine Vogelscheuche aufgestellt und dann haben Sie erklärt, das sei die Regierung. In Selbsthilfe haben Sie sich sozusagen einen Gegner gebastelt. Wir wollen doch gerade Kapovaz die Zähne ziehen. Sie taten gerade so, als wollten wir Kapovaz einführen. Wir wollen gerade der Kapovaz den ausbeuterischen Charakter nehmen und sie sozial verträglich machen. Wir wollen die Teilzeitarbeit so regeln, daß sie ein ordentliches Arbeitsverhältnis ist und nicht ein Schlupfloch, mit dem das Arbeitsrecht unterwandert wird.
({7})
Was schimpfen Sie denn dauernd dagegen? Sie erwecken doch den Eindruck, als würden wir etwas einführen, was Rückschritt ist. Nein, wir wollen es sozial bändigen, wir wollen es zu einem soliden Arbeitsverhältnis machen.
({8})
Und Sie können noch so viele Briefe von irgendwelchen Verbänden vorlesen, an der Tatsache führt kein Weg vorbei, daß wir zum erstenmal Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht eingeführt haben, nicht zur Erhöhung der Rente, sondern um Bedingungen klarzustellen, wann man erwerbsunfähig werden kann. Da werden Kindererziehungszeiten zum erstenmal im Rentenrecht gezählt. Das ist der
Fuß in der Tür zu einer weitergehenden Rentenreform, die endlich Erziehungszeiten der Erwerbsarbeit gleichstellt. Das haben wir und nicht Sie gemacht.
({9})
Wenn jetzt eine Frau nicht mehr 15 Jahre lang Beitrag gezahlt haben muß, um Altersrente bekommen zu können, sondern fünf Jahre lang, dann werden von 100 dadurch Begünstigten 85 Frauen sein. Es werden jene Frauen sein, die 15 Jahre nicht zustande gebracht haben, die acht, neun, zehn Jahre Beitrag gezahlt haben, dann möglicherweise aus der Erwerbsarbeit ausgeschieden sind und die bisher leer ausgegangen sind. Denen haben wir überhaupt erst wieder die Tür zur Rentenversicherung geöffnet. Das war die Politik der CDU.
({10})
Meine Damen und Herren, heute morgen hat der Begriff Mütterlichkeit aus meiner Sicht eine bedauerliche Rolle gespielt. Er eignet sich nun wirklich nicht zum Prügeln im Parteienkampf. Er eignet sich auch nicht dazu, berufstätige Frauen gegen nicht berufstätige Frauen auszuspielen.
({11})
Wo habe ich denn gesagt, Mütterlichkeit sei ein Privileg der Nichtberufstätigen? Nein, ich wünsche mir Mütterlichkeit für alle. - Verehrte Frau Fuchs, wenn meine Mutter zum Maßstab des Verhaltens dieses Parlaments gemacht würde, dann hätten wir einen wichtigen Beitrag zur Parlamentsreform geleistet. - Doch, in der Tat.
Ich glaube, daß damit nicht eine Einteilung in emanzipierte Frauen und nicht emanzipierte Frauen verbunden ist; wir wollen vielmehr eine Welt eröffnen, in der mehr Friedlichkeit, mehr Nachbarschaft und mehr Hilfsbereitschaft herrscht.
({12})
Gefordert sind Männer und Frauen, nicht nur Frauen, auch die Männer. Das ist nicht die Aufgabe, die wir an Frauen delegieren können. Das ist auch eine Anforderung an diese harte Leistungsgesellschaft, die schon etwas die Auflockerung durch mehr Partnerschaft und mehr Mütterlichkeit braucht.
({13})
Herr Vogel hat zwei Fragen gestellt. - Die Anhebung der Altersgrenze für Frauen gehört nicht zu den Plänen dieser Bundesregierung.
({14})
Das habe ich bereits mehrfach gesagt; ich will es auf Ihre Frage hin ausdrücklich wiederholen.
Die Hinterbliebenenreform, die wir vorhaben - meine Damen und Herren, dieses Versprechen gebe ich Ihnen -, wird keine Hinterbliebenenreform gegen die berufstätigen Frauen sein.
({15})
Das ist eines der wichtigsten Erkennungszeichen unserer Pläne für die Hinterbliebenenreform. - Herr Vogel, ich lade Sie gern zur Mitarbeit ein, denn ich glaube, es gehört zum Parlament, daß wir streiten können, daß wir Konflikte austragen und dennoch auch zum Konsens fähig sein sollten.
({16})
Deshalb, meine Damen und Herren, bedanke ich mich für diese Debatte. Wir wollen hier keine Debatte führen, in der Leitbilder verteilt werden. Wir sind der Meinung, daß die Politik nicht dafür zuständig ist, den Menschen Modelle vorzugeben, nach denen sie sich einordnen müssen. Wir sind nicht der Vormund; die Regierung betrachtet sich nicht als Vormund der Bevölkerung. Das sollen die Familien selber ausmachen. Der Staat ist nicht zuständig, in die Familien hineinzuregieren.
({17})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Frau Dr. Skarpelis-Sperk das Wort. Ich möchte dem Haus mitteilen, daß wir ihr zum Geburtstag gratulieren können.
({0})
Lieber Herr Blüm! Ihre Versprechen zur Hinterbliebenenreform haben wir Frauen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, und wir werden darauf achten, daß Sie dieses Wort auch einlösen.
Zu Ihren restlichen Anmerkungen und Sprechblasen, die Sie zum besten gegeben haben: Ich werde besser nicht darauf eingehen, denn denen geht es wie Seifenblasen: Die platzen nach einer Weile von selbst; man muß nur zuwarten.
({0})
Statt dessen will ich mich näher mit der Rede befassen, die die Kollegin Wilms hier gehalten hat, denn Ihre Rede ist nicht nur von den Frauen hier im Parlament, sondern auch von den Frauen draußen mit großer Spannung erwartet worden. Schließlich sind Sie die einzige Frau im Kabinett und als zuständige Ministerin auch verpflichtet, im Kabinett und in der Öffentlichkeit aufzustehen und energisch Maßnahmen vorzuschlagen, wenn Sie sehen, daß Frauen benachteiligt werden, wenn Sie sehen, daß ihre Chancen erheblich schlechter statt besser werden. Dieser Aufgabe sind Sie - wie auch in den letzten anderthalb Jahren - leider nicht annähernd gerecht geworden. Ich will Ihnen persönlich, Frau Kollegin Wilms, den guten Willen nicht abstreiten, aber statt öffentlich zu sagen, daß die Berufsbildungsbilanz für 1983 und 1984 zu großer Sorge Anlaß gibt, daß 1983, im Jahr der Kanzlergarantie, ein Rekorddefizit an Ausbildungsplätzen besteht, daß von nahezu 80 000 offiziell registrierten Ausbildungsplatzbewerbern über 47 000 keinen Ausbildungsplatz erhielten, daß 30 000 auf befristete Maßnahmen verwiesen wurden und viele, viele in Ausbildungsgängen „parken", hören wir von Ihnen nur beschönigende Reden. Sie greifen ungeniert zum Make-up und lassen damit die jungen Leute, vor allem aber die jungen Mädchen, im Stich,
denn zwei Drittel aller Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz sind Mädchen.
Was ich hier von einigen Kolleginnen und Kollegen gehört habe - vor allem von Frau Verhülsdonk und von Frau Rönsch -, hat mich enttäuscht. Sie wissen doch, daß dieser Zustand nicht Schuld der Mädchen und jungen Frauen ist, denn sie weisen im Schnitt bessere Noten und höhere Schulabschlüsse als Jungen der vergleichbaren Altersklassen auf. Es ist auch nicht Schuld der jungen Frauen, daß sie auf wenige Frauenberufe in wenigen Wirtschaftsbranchen beschränkt werden. Das kann man nicht so ohne weiteres den Frauen und ihren eigenen Anstrengungen zuschieben; da muß ein wenig mehr nicht nur von allen Menschen guten Willens gefordert werden, sondern auch Sie in der Regierung müssen mehr tun.
({1})
Alle verdienstvollen Modellversuche, die schließlich von Sozialdemokraten eingeleitet wurden, helfen nicht, wenn diese Modellversuche, diese Erkenntnisse, diese aufgebrochenen Denkstrukturen und Verhaltensweisen nicht in die Realität - z. B. in öffentlichen Unternehmen - umgesetzt werden. Da hätten Sie ja eine gute Gelegenheit, das z. B. beim Herrn Bundespostminister, in den Zollverwaltungen und anderwärts zu versuchen.
({2})
Dabei hatten Sie, Frau Wilms, einen günstigeren Ausgangszustand übernommen als jeder Ihrer Vorgänger im Amte. 14 Jahre sozialliberaler Koalition
({3})
und die umfassende Bildungsreform der 60er und 70er Jahre haben nicht nur das Bildungsniveau deutlich verbessert, sondern auch bewirkt, daß Mädchen vor allem auf den allgemeinbildenden Schulen deutlich aufgeholt haben. Mädchen sind nunmehr auf den Gymnasien fast gleichstark vertreten und haben auch an den Hochschulen stark aufgeholt.
Sicher, das war immer noch kein Gleichstand, das war immer noch nicht befriedigend. Aber dank vielfacher öffentlicher und auch elterlicher Ermutigung, dank umfangreicher staatlicher Maßnahmen - wie z. B. Schüler- und Studenten-BAföG - wurde ein Prozeß in Gang gesetzt, der Hunderttausende, ja, Millionen Mädchen Bildungsmöglichkeiten eröffnete und Hoffnungen auf Chancengleichheit weckte, von denen ihre Mütter kaum zu träumen gewagt hatten.
({4})
Nun ist etwas passiert, was Sie erstaunt hat: Die Frauen und Mädchen haben diese Chancen in einer Anzahl ergriffen, daß Ihnen, meine Herren von den Konservativen, angst und bange wurde, denn Sie hatten die Frauen j a nur als Lückenbüßerinnen für den Fall gedacht, daß es nicht genug interessierte und qualifizierte junge Männer gäbe, als industrielle, aber auch als intellektuelle Reservearmee, vielleicht auch noch - mit der Blümischen neuen
Mütterlichkeit - als hockqualifizierte unbezahlte Hilfsschullehrerinnen der Nation, aber keinesfalls als gleichberechtigte Teilnehmerinnen auf den Arbeitsmärkten. Zuerst ausgestellt, zuletzt angestellt; am Arbeitsplatz als erste unterfordert und als letzte befördert! Kurz, was Sie gerne hatten, das wäre eine schweigsame, duldsame, kapazitätsorientierte variable Arbeitskraftreserve. Das haben Sie als Wortschöpfung im Adenauer-Haus noch nicht erfunden; es wäre denjenigen zu empfehlen, denen das Wort „industrielle Reservearmee" zu häßlich und zu offenherzig ist. Da wären Ihnen die Frauen recht gewesen!
({5})
Aber da wuchs und wächst eine Generation von hellwachen, begabten, fleißigen und kritischen Mädchen und Frauen heran, die für ihren Fleiß und für gute Leistungen auf den Schulen auch Chancen in ihrer beruflichen Bildung und im Beruf erwarten und die sich mit der ihnen zugedachten Aschenputtelrolle - die Guten ins männliche Töpfchen, die Schlechten ins weibliche Kröpfchen - nicht mehr zufriedengeben wollen.
Aber Sie wollen das alles nicht sehen! Mit Ihren ganzen Fragen und mit Ihrem Wortgeklingel
({6})
wollen Sie doch nur zudecken, daß Sie die Frauen tatsächlich zur industriellen Reservearmee degradieren, und Sie wollen ihnen diese bittere Pille mit Lobsprüchen nur versüßen.
({7})
Was haben Sie, meine Herren vor der Regierung, sich eigentlich vorgestellt, was haben Sie diesen jungen Frauen als Zukunft anzubieten? Welche Erfahrungen haben diese jungen Frauen bisher eigentlich gemacht?
Die heute 15- bis 25jährigen waren schon im Kindergarten zuviel, zuviel in überfüllten Klassen der Grund-, Haupt- und Realschulen, sie waren Ihnen zu viele in Gymnasien und Fachschulen, und sie sind Ihnen nun zu viele Frauen in den Fachhochschulen und Universitäten.
({8})
Was sagt man diesen Frauen eigentlich mit Begriffen dieser Generation wie „Geburtenberg"? Was hat man ihnen mit überfüllten Klassenzimmern, mit überfüllten Hochschulen, mit dem Anstehen nach Lehrstellen und Arbeitsplätzen vermittelt? Es ist immer dasselbe, was sie über sich und ihre Situation hören: überfüllt, Numerus clausus, Warteliste, anstehen, Reservearmee. Das heißt für diese jungen Mädchen im Klartext: Du wirst nicht gebraucht, du bist überflüssig. Einer solchen Generation mutet man dann auch noch zu, den nächsten
Geburtenberg für unsere Renten pflichtschuldigst auf die Welt zu bringen.
({9})
Die Zukunft - das hat Herta Däubler-Gmelin ausgeführt - sieht mit den neuen Technologien für die Frauen nicht besser aus.
Was machen Sie, die Regierung, in einer solchen Situation? Sie tun alles, um den Eltern und den jungen Frauen zu suggerieren, daß sie in der Tat keine Zukunftsaussichten haben und daß das auch noch wünschenswert und lobenswert ist. Nur stehen die Mütter, die Sie so eifrig loben und deren Töchter Sie mit Ihrem - berechtigten - Lob ködern wollen, in dieser Frage nicht an Ihrer Seite, sondern an der Seite ihrer Töchter.
({10})
Sie stärken ihnen den Rücken, weil gerade sie, die Frauen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration wissen, wie wichtig es ist, auf eigenen Beinen zu stehen und die Kinder notfalls auch allein erziehen zu können und das Leben nach eigenen Plänen zu gestalten. So, wie sich meine Mutter, die als Arbeiterkind nicht Ärztin hat werden können, für meine Zukunft abgeschunden und geplagt hat, so stehen heute Millionen Frauen in diesem Kampf um die Zukunft auf der Seite ihrer Töchter und Enkelinnen,
({11}) gerade weil sie selbst es so schwer hatten.
Ich rate Ihnen, diese Frauen - sie sind schließlich die Mehrheit unseres Volkes - moralisch und politisch nicht zu unterschätzen.
({12})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die Entschließungsanträge zum Punkt 2 a der Tagesordnung auf den Drucksachen 10/1236 und 10/1283 ist Überweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 10/1236 soll darüber hinaus dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
Zu den Punkten 2 b und 2 c der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/156 und 10/955 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung.
Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt mit Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache 10/1253 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Vahlberg auf:
Welche Konsequenzen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung aus den erneuten öffentlichen Erörterungen zum SNR 300 für das Genehmigungsverfahren?
Herr Kollege Vahlberg, zwischen dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Bundesminister des Innern besteht Übereinstimmung, daß in bezug auf die geänderte Kernversion des SNR 300 eine zusätzliche Öffentlichkeitsbeteiligung für das weitere Genehmigungsverfahren aus Rechtsgründen nicht zwingend geboten, sondern freiwillig ist und die Entscheidung, ob eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden soll, von der Genehmigungsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens zu treffen ist. In seinem Schreiben an den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. März 1984 hat Bundesminister Dr. Zimmermann im Einvernehmen mit Bundesminister Dr. Riesenhuber betont, daß bei einer zusätzlichen Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Wahl des geeigneten Zeitraums und durch weitere Maßnahmen insbesondere personeller und administrativer Art sichergestellt werden müsse, daß hierdurch Verzögerungen des Genehmigungsverfahrens nicht entstehen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß infolge der Entscheidung der Genehmigungsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen, eine zusätzlich Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, keine Verzögerung im Genehmigungsverfahren entsteht, die zu einer Überschreitung des Finanzrahmens führen und damit das Projekt SNR 300 gefährden würde.
Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Gerichtsurteil zu Ohu II?
Ich kann Sie nur darauf verweisen, daß die Genehmigungsbehörde Nordrhein-Westfalen die Entscheidung getroffen hat und ich nicht informiert bin, inwieweit diese Genehmigungsbehörde solche Urteile einbezieht.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Fragestellerin der Fragen 39 und 40, Frau Abgeordnete Schoppe, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe die Frage 41 der Frau Abgeordneten Dr. Vollmer auf:
Stand das Gespräch, das der Parlamentarische Staatssekretär Spranger vom Bundesministerium des Innern am Montag, dem 26. März 1984, mit führenden Vertretern der Evangelischen Kirche Deutschlands geführt hat, unter der Thematik „Fragen der inneren Sicherheit" im Vorfeld des Evangelischen Kirchentages, die bereits für ein Gespräch im Jahre 1983 vorgesehen war, und/oder welche Themen wurden sonst behandelt?
Frau Dr. Vollmer, im Rahmen des regelmäßigen Gedankenaustausches mit Vertretern der Kirchen habe ich am 26. März 1984 mit Beauftragten der EKD ein Gespräch über beiderseits interessierende Fragen geführt. Das Gespräch stand mit dem Kirchentag in keinem Zusammenhang.
Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß es vor dem letzten Evangelischen Kirchentag Pläne und Einladungen an führende Vertreter der Kirchen gegeben hat, um über Fragen der inneren Sicherheit im Zusammenhang mit dem Evangelischen Kirchentag zu sprechen?
Ich glaube, das ist eine Wiederholung der eingereichten Frage. Ich wiederhole meine Antwort.
Weitere Zusatzfrage. Bitte.
Ich habe eine andere Frage gestellt. Ich habe gefragt, ob es früher solche -
Bitte fragen Sie den Staatssekretär. Ich bin nicht in der Lage, auf Ihre Fragen zu antworten.
Ich habe Sie gefragt, Herr Staatssekretär, ob Sie vor dem Gespräch, auf das sich meine Frage bezogen hat, im vorigen Jahr eine Einladung an führende Vertreter der Evangelischen Kirche haben ergehen lassen, weil Sie mit diesen Vertretern über Fragen der inneren Sicherheit im Zusammenhang mit dem Evangelischen Kirchentag sprechen wollten.
Es hat Terminverschiebungen gegeben. Im übrigen kann ich Ihre Frage und Ihre Vermutungen nicht bestätigen.
({0})
Sie haben zwei. Keine weitere Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Gansel auf:
Welche Ergebnisse haben die Untersuchungen der Bundesregierung erbracht zu der Behauptung, Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland hätten den irakischen Streitkräften Hilfe zur Produktion chemischer Waffen geleistet?
Die Behauptungen, an die Ihre Frage, Herr Kollege Gansel, anknüpft, finden ihre Grundlage in einem Artikel der „New York Times" vom 30. März 1984. Danach soll die deutsche Firma Kolb durch den Export einer chemischen Anlage nach Irak ohne ihr Wissen der irakischen Seite dazu verholfen haben, chemische Kampfstoffe, d. h. Nervengas, herstellen zu können. Die Bundesregierung hat auf Grund ihr bereits früher von amerikanischer Seite zugegangener Hinweise eine Außenwirtschaftsprüfung bei der Firma Kolb veranlaßt. Die Prüfung hat nach dem jetzt vorliegenden abschließenden Ergebnis zu der Feststellung geführt, daß ein der Firma Kolb eng verbundenes Tochterunternehmen, die Firma Pilot Plant in Frankfurt, eine aus zwei identischen Einheiten bestehende chemische Kleinanlage zur Herstellung von Vorprodukten für die Pestizidherstellung nach Irak geliefert hat. Anlagen dieser Art arbeiten in zahlreichen Ländern mit Pestizidindustrien, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind nicht genehmigungspflichtig.
Die von der Firma Kolb/Pilot Plant gelieferte Anlage zur Herstellung von Vorprodukten für Pestizide kann zur Herstellung von Nervengas nicht verwendet werden. Zur Herstellung von Nervengas bedarf es weiterer technisch aufwendiger Zusatzanlagen und Einrichtungen. Wir besitzen keine Anhaltspunkte dafür, daß von deutscher oder anderer Seite solche Spezialeinrichtungen geliefert worden sind oder geliefert werden sollen. Im übrigen ist nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung die Montage der Anlage nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung nach dem Vorbild der amerikanischen Regierung, die Anwendung der Ausfuhrbestimmungen zu verschärfen, um zu verhindern, daß Fabrikationsanlagen oder auch chemische Substanzen, die zur Herstellung von chemischen Kampfstoffen dienen können, in den Irak exportiert werden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wurde von der amerikanischen Regierung über den von Ihnen zitierten Schritt unterrichtet. Sie erwägt, zusammen mit den Partnerländern in der EG ebenfalls die Ausfuhr bestimmter chemischer Produkte, die zur Herstellung von chemischen Waffen dienen können, unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Gegenwärtig finden die für ein harmonisiertes Vorgehen der EG-Länder erforderlichen Konsultationen statt. Die Bundesregierung drängt dabei auf einen baldigen Abschluß dieser Beratungen im Sinne von Maßnahmen, die eine zusätzliche Sicherung gegen das Risiko eines Mißbrauchs ziviler chemischer Produkte
für die Herstellung von chemischen Waffen gewährleisten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, da alle, die die Anwendung von chemischen Kampfstoffen mit zu den schrecklichsten Kriegsverbrechen zählen, eigentlich erwartet haben, daß die zivilisierte Staatenwelt auf den Einsatz dieser Kampfmittel geradezu mit einem Aufschrei reagieren würde, möchte ich Sie fragen, ob Sie dafür Verständnis haben, daß es als bedrückend empfunden wird, daß 14 Tage nach Bekanntwerden dieses Einsatzes immer noch nur Erwägungen darüber angestellt werden sollen, wie man darauf reagieren solle.
Herr Kollege Gansel, es geht nicht nur um Erwägungen, die zur Zeit stattfinden, sondern um intensive operative Beratungen, bei denen die Bundesregierung in eine Richtung drängt, die auch die Ihre und die meine ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, Sie sagten, die Bundesregierung dränge, erwäge und befinde sich in Konsultationen, was zu begrüßen ist. Soll ich aber aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung nicht bereit wäre, auch allein eine solche Entscheidung zu treffen, wenn sich, wider Erwarten, die Partnerländer weigern sollten, dem zu folgen?
Ich will die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage nach keiner Richtung hin präjudizieren, weil das unserer Verhandlungsposition im Rahmen der EG nicht nützlich wäre. Am günstigsten wäre es, wenn alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in dieser Frage zu einer gemeinsamen Position kämen. - Über den Stand der vertraulichen Verhandlungen kann ich hier - das werden Sie verstehen - derzeit keine Mitteilung machen. Aber die Bundesregierung drängt dabei - zeitlich wie sachlich - in eine Richtung, die Sie und der Kollege Gansel wünschen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, könnten Sie mir die Frage beantworten, welche Stoffe in diesem Zusammenhang ausgeführt worden sind und welche Stoffe als Grundstoffe für chemische Kampfstoffe dienen, und darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, ob beispielsweise Dimethyl-methylphosphonat, Thioglykol, Methylphosphonyldifluorid usw. ausgeführt worden sind?
Herr Kollege, wie allgemein bekannt, finden bestimmte Vorprodukte für Pestizide auch bei der Produktion von Nervengas Verwendung. Für die Produktion von chemischen
Kampfstoffen sind jedoch weitere spezifische chemische Substanzen notwendig. Ich bin kein Chemiker; ich kann sie Ihnen im einzelnen nicht nennen; d. h. ich kann Ihnen jetzt eine naturwissenschaftlich zutreffende Antwort nicht geben. Gerne werde ich sie Ihnen aber schriftlich nachreichen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diederich, bitte.
Herr Staatsminister, was könnte US-Beamte, auf die j a die Vermutungen zurückgehen und die eigentlich wissen müßten, wie empfindlich die Bundesrepublik gerade in diesem Bereich ist, veranlaßt haben, den Verdacht auf deutsche Firmen zu lenken, wenn es dafür, wie Sie ausgeführt haben, keine oder jedenfalls keine schwerwiegenden Hinweise, gibt?
Herr Kollege, ich nehme an, daß diejenigen, die den Artikel in der „New York Times" veranlaßt haben - ich weiß nicht, ob es Beamte waren -, Menschen sind, die in der Frage des Verbots chemischer Waffen besonders engagiert sind. Vorstellen kann ich mir, daß sie die Europäer in eine Richtung drängen wollten, die der ihrigen enspricht. Im übrigen bin ich kein Motivforscher.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horacek.
Herr Staatsminister, gibt es ein Genehmigungsverfahren, das sich auf die Lieferung von chemischen Anlagen oder Versuchsanlagen durch die Firma Kolb bezieht? Ist die Bundesregierung mit irgendwelchen Maßnahmen beteiligt?
Ich habe dem Kollegen Gansel bereits gesagt, daß die Bundesregierung auf Grund ihr bereits früher von amerikanischer Seite zugegangener Hinweise eine Außenwirtschaftsprüfung bei der Firma Kolb veranlaßt hat. Im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung hat sie das getan, was sie tun konnte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, da diese Meldung dem amerikanischen Magazin ja offensichtlich genau in dem Augenblick zugespielt worden ist, als die ersten Meldungen über die Herkunft sowjetischen Giftgases im Irak auftauchten: Hält es die Bundesregierung für möglich, daß das Ganze ein Desinformationsunternehmen ist, um von diesem Verdacht gegenüber der Sowjetunion abzulenken?
Herr Kollege Jäger, auf diesem Gebiet kann man nichts ausschließen.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Wie hat die Bundesregierung auf Behauptungen ausländischer Regierungsstellen, z. B. der USA und Israel, Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland hätten den irakischen Streitkräften bei der Produktion chemischer Waffen geholfen, reagiert, und welchen Beitrag will die Bundesregierung zur weltweiten Achtung der chemischen Waffen leisten?
Die Bundesregierung hat die von Ihnen genannten Regierungen vom Ergebnis der Außenwirtschaftsprüfung bei dem deutschen Unternehmen unterrichtet.
Für die Bundesregierung haben die in der Genfer Abrüstungskonferenz geführten Verhandlungen über ein weltweites, umfassendes und verläßlich kontrollierbares Verbot aller chemischen Waffen hohe Priorität. Sie hat u. a. 1982 ein praktikables und zumutbares Verifikationsmodell eingeführt und in den letzten Wochen zwei Arbeitspapiere zur Transferproblematik und zum Einsatzverbot chemischer Waffen vorgelegt. Die Bundesregierung sieht in der Ankündigung Präsident Reagans, Vizepräsident Bush werde in Kürze einen C-Waffen-Abkommensentwurf in Genf einführen, einen außerordentlich wichtigen Schritt. Sie erhofft sich davon konkrete Verhandlungsfortschritte in Genf und wird sich wie bisher mit allem Engagement für eine Intensivierung und Beschleunigung dieser Bemühungen einsetzen.
Herr Kollege Gansel, ich darf hinzufügen, daß auch die frühere Opposition, die jetzt die größere Regierungspartei darstellt, immer in Richtung auf eine C-Waffen-Abrüstung im Verhältnis von 0 : 0 gedrängt hat; daß sie auf die ausschlaggebende Bedeutung der Verifikationsfrage hingewiesen hat; daß die damaligen Regierungsparteien auch diese Abrüstungsinitiativen der damaligen Opposition aktiv unterstützt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel, bitte.
Herr Staatsminister, ist es möglich, daß die ja fast anklagenden Äußerungen des israelischen Energieministers gegenüber der Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem Giftgaseinsatz im Irak und die vieles im Raum stehen lassende Haltung des Sprechers des State Department, Hughes, in bezug auf die Bundesrepublik dadurch zu erklären sind, daß man der Bundesrepublik Deutschland in Anbetracht des diffusen Bildes ihrer Waffenexportpolitik auch das noch zutraut, worum es hier geht?
Herr Kollege Gansel, ich kenne die subjektiven Bewußtseinslagen anderer Menschen nicht; deshalb kann ich sie auch nicht beurteilen. Für vieles, vor allen Dingen für das, was aus Israel kommt, habe ich zwar Verständnis. Aber die deutsche Sprache macht einen Unterschied zwischen Verständnis und Einverständnis; und das Letztere habe ich für die Verdächtigungen der Bundesrepublik Deutschland keineswegs. Über Ihre Frage möchte ich deshalb nicht weiter spekulieren.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, da sich der Sprecher des amerikanischen State Department, also eines unserer Verbündeten, in dieser Frage nicht viel besser verhalten hat, weil er die Verdächtigung gegenüber der Bundesrepublik so hat stehenlassen, ja, sie eher bestätigt hat unter Bezugnahme auf die intensiven diplomatischen Gespräche mit der Bundesregierung, frage ich: Hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie ein solches Verhalten eines Regierungsvertreters einer verbündeten Regierung als einen unfreundlichen Akt empfindet?
Herr Kollege Gansel, die Voraussetzung Ihrer Frage trifft in dieser Form nicht zu. Die Reaktion der amerikanischen Regierung veranlaßt die Bundesregierung zu der Annahme, daß das Ergebnis der Außenwirtschaftsprüfung bei allen weiteren amerikanischen Überlegungen hinsichtlich der Frage der Herstellung und Verwendung chemischer Waffen im Irak angemessen berücksichtigt wird. Hier besteht eine Atmosphäre des Vertrauens.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, Sie haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß Sie sich für eine weltweite Ächtung der chemischen Waffen einsetzen wollen. Ich darf Sie fragen, ob Sie dies auch auf Waffen aus dem Grenzbereich der Biochemie ausdehnen wollen.
Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, daß ich allein mich dafür einsetzen wolle. Vielmehr haben sich alle bisherigen Bundesregierungen dafür eingesetzt. Diese Bundesregierung bleibt in der Frage sehr intensiv in der Kontinuität der Politik der bisherigen Bundesregierungen. Da es auch bereits ein Abkommen über das völlige Verbot aller B-Waffen - übrigens das einzige wirkliche Abrüstungsabkommen - gibt, ist es ganz selbstverständlich, daß dieser Bereich eingeschlossen ist.
Ich darf Sie bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die Bundesrepublik Deutschland als einziger und erster Staat schon 1954 beim Bündniseintritt einen konsequenten ABC-Waffen-Verzicht völkerrechtsverbindlich ausgesprochen hat; dieser gilt, und wir alle, glaube ich, können stolz darauf sein.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, da man die Erreichung eines jeden Zieles dadurch, wenn nicht verhindern, so doch drastisch erschweren kann, daß man fordert, es weltweit zu erreichen, frage ich: Ist es nicht sehr viel sinnvoller und hat es die Bundesregierung nicht erwogen, damit zu beginnen, daß sie sich dafür einsetzt, zu erreichen, daß die chemischen Kampfstoffe wenigstens vom Boden der Bundesrepublik endlich entfernt werden?
Herr Kollege Hirsch, Sie wissen sicher, daß sich die Bundesregierung nicht für ein regionales, sondern für ein weltweites Verbot der C-Waffen einsetzt. Damit ist die grundsätzliche Antwort auf Ihre Frage gegeben.
Aber ich möchte daran erinnern, daß die Sowjetunion vor einiger Zeit ein Verbot nur für Europa wollte. Auch darauf hat die Bundesregierung reagiert, indem sie sagte: Sowohl vom Abrüstungsstandpunkt wie vom Verifikationsstandpunkt her erschwert das in Wirklichkeit die C-Waffen-Abrüstung.
Wir haben ja auch gesehen, daß C-Waffen-Probleme in Gegenden auftauchen, die etwa von einem regionalen Verbot in Europa nicht erfaßt werden, nämlich im Irak. Deshalb kommt es der Bundesregierung gemäß dem Prinzip der Transparenz und der Glaubwürdigkeit der Abrüstung darauf an, daß sie mit allen Verbündeten, im übrigen auch mit vielen neutralen und ungebundenen Staaten, am Ziel des weltweiten effizienten und überprüfbaren Verbot der C-Waffen festhält. Wir wünschen, daß hier weltweit ein Zustand null zu null erreicht wird, damit nicht Sorgen zurückbleiben.
Ich darf Sie weiter daran erinnern, Herr Kollege Hirsch, daß es Verdachte bezüglich eines Einsatzes von C-Waffen in Afghanistan gegeben hat, ebenfalls über Einsätze in Laos und Kambodscha. Die Vereinten Nationen haben immer darauf gedrängt, diesen Dingen weltweit nachzugehen. Deshalb bitte ich Sie, Herr Kollege Hirsch, sich der Auffassung der Bundesregierung anzuschließen, daß es zu einer weltweiten und überprüfbaren C-Waffen-Abrüstung kommen muß, gerade weil diese Waffen so entsetzlich sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Berger.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß chemische Waffen - wie auch biologische Waffen - deswegen, weil sie zu dem, was man Abschreckung nennt, nicht beitragen können, auch keine Bedeutung für die Sicherheit unseres Landes haben und von daher alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um weltweit tatsächlich zu einer Ächtung und Vernichtung dieser Waffen zu gelangen, daß es dafür aber auch unerläßlich ist, dies weltweit verifizieren zu können?
Herr Kollege Berger, ich kann dem nur zustimmen. Es ist gut, daß Sie daran erinnert haben, wenn ich mir diese anerkennende Bemerkung erlauben darf, daß die C-Waffen nicht in den Zusammenhang der Strategie der Flexible Response gehören.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika ihrerseits im Bereich chemischer Waffen seit 1969 nicht aufgerüstet haben, daß der Warschauer Pakt dies aber leider getan hat, so daß wir bei C-Waffen in Europa heute wahrscheinlich bei einem Verhältnis von 10 : 1 stehen. Wir brauchen hier aber keine Parität, auf keinen Fall. Die Anstrengungen der Bundesregierung richten sich vielmehr vernünftigerweise auf das, was Sie gesagt haben, nämlich auf den weltweiten und überprüfbaren Abbau aller chemischen Waffen bis auf Null.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Warum hat die Bundesregierung nicht offiziell und nachdrücklich an höchster Stelle bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika dagegen protestiert, daß ein Sprecher des State Department eine vom CIA behauptete deutsche Beteiligung bei der Kampfgasproduktion im Irak offengelassen hat, oder kann die Bundesregierung etwa auch nicht ausschließen, daß das Giftgas im Irak in von deutschen Firmen errichteten Chemieanlagen produziert worden ist?
Herr Kollege Diederich, die Bundesregierung hat die Regierung der Vereinigten Staaten vom Ergebnis der Außenwirtschaftsprüfung bei einem deutschen Unternehmen, das in einem Artikel der „New York Times" vom 30. März 1984 genannt wurde, unterrichtet. Nach diesem Ergebnis läßt sich nicht feststellen, daß in einer von dieser deutschen Firma gelieferten Anlage im Irak Nervengas produziert wird.
Im übrigen verweise ich auf die Antworten, die ich dem Kollegen Gansel und auf Zusatzfragen verschiedener Kollegen gegeben habe.
Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, gestatten Sie dennoch, daß ich insistiere. Es liegen mir hier aus dem „Amerika-Dienst" Äußerungen des amerikanischen Sprechers Hughes vor, der zunächst einmal sagt, daß die amerikanische Regierung sehr aktiv gewesen sei, diplomatische Initiativen unternommen und mit einer Reihe von Regierungen über diese Frage gesprochen habe. Er betont dann weiter, daß man gerade mit den deutschen Behörden diesen Verdacht besprochen habe. Wie erklären Sie, wenn diese Anlagen überall käuflich sind, daß der CIA - oder wer auch immer - den Verdacht haben kann, daß das Giftgas ausgerechnet in dieser deutschen Anlage produziert worden ist, zumal dann, wenn man das zur Kenntnis nimmt, was heute in einer Dokumentation der „Zeit" steht, daß das eine von vielen Chemiehandelsfirmen ist?
Herr Kollege, wir kennen die restriktive Haltung der amerikanischen Regierung. Die Bundesregierung setzt sich im Kreise der Zehn für eine Linie ein, die in die gleiche Richtung geht.
Ich weise jede Verdächtigung zurück. Aber es ist nun einmal so, daß ein Staat dann, wenn er ein bestimmtes Ziel erreichen will, auch die ihm zweckmäßig erscheinenden Methoden anwendet, um seinen Verbündeten in eine Richtung zu drängen, die er für richtig hält.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, mit Ihrem Gegenüber auf der amerikanischen Seite Kontakt aufzunehmen, dort den Protest, der durch unsere Fragen hier zum Ausdruck kommt, zu übermitteln und diese Verdächtigungen auch im Namen von Bundestagsabgeordneten noch einmal zurückzuweisen?
Herr Kollege Dr. Diederich, die amerikanische Botschaft in Bonn ist eine außerordentlich fleißige und die öffentlichen Beratungen des Deutschen Bundestages sehr genau beobachtende Botschaft. Es wäre eine Beleidigung der Beamten, der Botschaft der USA in Bonn, ihnen zu unterstellen, daß sie das, was wir heute hier besprechen, nicht genau zur Kenntnis nehmen und nach Washington berichten.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, würden Sie es für eine angemessene Reaktion halten - im Interesse der Stellung der Bundesrepublik in der Weltöffentlichkeit und im Interesse der Ächtung des Einsatzes chemischer Waffen -, wenn die Bundesregierung den irakischen Flugzeugbauern und -piloten, die sich zur Zeit zur Ausbildung bei einem deutschen Rüstungsunternehmen befinden, den Aufenthalt in der Bundesrepublik untersagen würden, bis sichergestellt ist, daß der Irak nicht wieder zum Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen greift?
Herr Kollege Gansel, das wäre eine Sanktion. Ich hielte sie nicht für angemessen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatsminister, hat sich denn die Bundesregierung darüber Gewißheit verschafft - gegebenenfalls auf welche Weise -, ob überhaupt Giftgas im irakisch-iranischen Konflikt zum Einsatz gekommen ist - möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Unterbringung von iranischen Soldaten in deutschen Krankenhäusern -, und hat die Bundesregierung auch Berichte überprüft, nach denen diese iranischen Soldaten möglicherweise Opfer eines Unglücks in einer chemischen Fabrik im Iran - auf Grund einer Explosion - geworden sind?
Herr Kollege Schily, ich kann alle Ihre Fragen mit Ja beantworten. Das heißt - damit Sie mich nicht mißverstehen -: die Bundesregierung hat alles prüfen lassen bzw. geprüft, was ihr vorliegt. Wenn allerdings in der Frage eine Unterstellung - beim Kollegen Schily nehme ich solches niemals an - gegenüber der Bundesregierung enthalten sein sollte, so müßte ich sie natürlich zurückweisen.
({0})
- Ich kann Ihnen jetzt im einzelnen nicht darlegen, was alles administrativ vorgegangen ist. Ich halte Ihre Frage für berechtigt, Herr Kollege Schily. Die Einzelheiten, nach denen Sie fragen, werde ich Ihnen gerne schriftlich mitteilen. Ich kenne sie im Augenblick nicht.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Soell.
Herr Staatsminister, wenn die Kontrolle der Produktion chemischer Waffen, wie aus Ihren Ausführungen hervorgeht, überall auf der Welt so kompliziert ist: Woher nimmt die Bundesregierung dann ihren Optimismus, wenn sie meint, man könne in überschaubarer Zeit weltweit zu einem allgemeinen und verifizierbaren Verbot chemischer Waffen kommen?
Herr Kollege, wenn man keinen Optimismus hat, kann man auch keine Abrüstungspolitik treiben. Hier muß man einfach gegen den Strom der Resignation schwimmen. Man muß darauf drängen, daß die noch hindernden Elemente überwunden werden, in diesem Fall die fehlende Verifikation.
Die Bundesregierung hat sich seit vier Jahren auf diesem Gebiete durch ihre konkreten Vorschläge große Verdienste erworben, beispielsweise um zu zeigen, daß die Verifikation keine Industriespionage bedeutet. Die jetzige Bundesregierung hält an diesen Bemühungen fest.
Ich möchte Sie doch bitten, Herr Kollege Soell, der Sie an sich ein so optimistischer Mensch sind, auch in der Frage der Abrüstung nicht in einen destruktiven Pessimismus zu verfallen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Herr Staatsminister, könnten Sie etwa dem Gedanken folgen, daß das Aushandeln von Prinzipien der Verifikation bei einer weltweit zu vollziehenden Abrüstungsmaßnahme die eine Seite und der praktische Vollzug, der ja irgendwo regional beginnen muß, die andere Seite einer schrittweise zu vollziehenden Politik ist?
Ich halte das für einen interessanten Gedanken. Aber ich möchte die internationlen Beratungen zum Thema der Verifikation im Augenblick nicht dadurch belasten, daß ich das schon als eine operative Möglichkeit ansehe.
Im übrigen, verehrter Herr Kollege Berger: Die Frage der Verifikation hängt eng zusammen mit der Frage der Bereitschaft der Mächte zur Transparenz; d. h. der Staaten, die solche Waffen besitzen. Die Bundesregierung setzt sich überall im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle für Transparenz ein. In diesem Falle, also bei der Abrüstung, möchte auch ich mich einmal auf Wladimir Iljitsch Lenin beziehen und sagen: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Staatsminister Möllemann mit Hinweis auf seine Regierungsfunktion für „Germania Edel Pils" Bildwerbung in Zeitungen ({0}) betreibt, und, wenn ja, wie läßt sich diese Handlungsweise mit der Tätigkeit in der Bundesregierung vereinbaren?
Herr Kollege Klejdzinski, Staatsminister Möllemann hat sich ebenso wie andere prominente Münsteraner Bürger aus den Bereichen der Politik, des Sports und der Kultur - z. B. der Oberbürgermeister, der Polizeidirektor, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks - öffentlich für die Germania Brauerei in Münster eingesetzt. Dies erfolgte auf Grund eines gemeinsamen Appells der Unternehmensleitung und, Herr Kollege Klejdzinski, des Betriebsrats, um die Existenz der traditionsreichen Brauerei und damit eine Vielzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten. Dieses Engagement hatte für Staatsminister Möllemann keinen kommerziellen Charakter, sondern war ausschließlich beschäftigungspolitisch, also altruistisch, begründet.
Bundesminister Genscher hat zur Vermeidung von Mißverständnissen zur Zurückhaltung bei entsprechenden Gelegenheiten geraten.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski, bitte.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß wir zukünftig, wenn irgendwo Arbeitsplätze in Gefahr sind, erwarten können, daß jeder Staatsminister oder jeder Parlamentarische Staatssekretär nach einer von der Bundesregierung noch festzulegenden Liste, möglicherweise auch mit Zuordnung zu bestimmten Produkten, unter der Prämisse, daß Arbeitsplätze in Gefahr sind, öffentlich mit Produktangabe werben darf?
Herr Kollege Klejdzinski, gestatten Sie mir hier einmal eine sehr kollegiale Anmerkung. Jeder von uns in diesem Hause, der politische Verantwortung für einen bestimmten Wahlkreis und damit auch Verantwortung für die Beschäftigungslage und für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in diesem Raum trägt, kann bei der Wahrnehmung dieser Pflicht in eine Zone geraten, in der er einseitiger und unstatthafter Begünstigung eines Einzelunternehmens zu Unrecht bezichtigt wird.
So bin ich schon verdächtigt worden, die ständige Nennung des Namens meiner Heimatstadt Gerolstein hinter meinem Familiennahmen im Bundestagshandbuch und im Briefkopf meiner Post sei eine raffinierte Werbeaktion für das bekannte Mineralwasserunternehmen „Gerolsteiner Sprudel - nur echt mit dem Stern".
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Dem ist keineswegs so, Herr Kollege. Der Sachverhalt ist viel einfacher. Es gab einen FDP-Kollegen Werner Mertes, der aus Unterscheidungsgründen seinem Namen die Herkunftsbezeichnung „Stuttgart" angefügt hatte.
Oder nehmen Sie die Hauptstadt des Eifelwahlkreises, den ich im Deutschen Bundestag zu vertreten die Ehre habe: Bitburg. Nach Ihrer Frage mache ich mich auf Ihren Vorwurf gefaßt, die Nennung dieses Stadtnamens im Bundestagshandbuch sei in Wirklichkeit die Werbung für eine bekannte Biermarke aus Bitburg. Ich würde mich nach Ihrer Frage von soeben auch nicht wundern, wenn ein Kollege mich verdächtigt, daß ich beim Gebrauch des Wortes „bitte" und des Wortes „Bitburg" in Wirklichkeit meine: „Bitte ein Bit." Aber dem ist keineswegs so; auch deshalb nicht, weil die Firmen Gerolsteiner Sprudel und Bitburger Pils keine Beschäftigungsprobleme haben und weil sie bis jetzt auf solche Formen bundes-, landes- oder kommunalpolitischer Solidarität überhaupt nicht angewiesen sind.
Deshalb ist die Frage, die Sie, da gestellt haben, z. B. für mich keine konkrete Frage.
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Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob Sie bei Ihrem Bekanntheitsgrad in Ihrer Stadt es nötig hätten, wenn Sie in dieser Art werben, jeweils hinter Ihren Namen Ihren Titel „Staatsminister" zu setzen.
Herr Kollege, das ist eine hypothetische Frage, wie man sie in Fülle stellen kann. Auf hypothetische Fragen gebe ich überhaupt keine Antwort, weil ich sonst bis heute abend nicht ans Ende käme.
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Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatsminister, müssen wir nun damit rechnen, daß aus beschäftigungspolitischen Gründen der Bundeskanzler demnächst auch mit seinem Konterfei in der Werbung für Birnenschnaps auftreten wird?
Herr Kollege, das ist eine hypothetische Frage, für die dasselbe gilt, was ich soeben dem Kollegen Klejdzinski gesagt habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß künftig auch eine Wende in der Werbung insofern eintritt, als man nicht mehr traditionelle Fotomodelle oder andere Chairmen benutzt, sondern sich die Bundesregie4692
rung kostenlos bereithält, im Falle einer Werbung für Firmen, bei denen Arbeitsplätze oder ähnliches in Gefahr sind, aufzutreten? Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß das mit der Haltung der Bundesregierung vereinbar ist?
Herr Kollege, Ihre Frage war so außerordentlich kompliziert, daß ich mich angesichts meines limitierten intellektuellen Vermögens außerstande sehe, sie zu beantworten.
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Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatsminister, ich komme aus dem norddeutschen Raum und möchte Sie fragen, ob Sie sich mit mir gemeinsam bei Herrn Bundeskanzler Kohl dafür stark machen werden, daß er in Zukunft Werbung für die HDW macht, die zugegebenermaßen einige beschäftigungspolitische Probleme hat.
Frau Kollegin, davon können Sie nicht ausgehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, liege ich mit der Vermutung richtig, daß es sich hier um ein abgefeimtes Zusammenspiel in der Bundesregierung handelt, bei dem der eine Staatsminister für Bier und der andere Staatsminister für Gerolsteiner Sprudelwasser wirbt, um den durch Bier entstehenden Kater zu bekämpfen,
({0})
und läßt sich derselbe Effekt nicht auch dadurch erreichen, daß man vorher Holsten-Bier aus Kiel trinkt?
({1})
Herr Kollege, die letzten Worte Ihrer Frage finde ich sehr sympathisch. Der erste Teil Ihrer Frage enthält die abwertenden Worte „abgefeimtes Zusammenspiel"; und schon deshalb muß ich die Frage zurückweisen, geschweige daß ich sie beantworte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich.
Herr Staatsminister, ich will mich bemühen, möglichst einfach zu fragen, damit Sie die Frage auch beantworten können.
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Haben Sie die schwerwiegende Frage prüfen lassen, ob mit diesem Verhalten gegen das Amateurstatut verstoßen worden ist?
Herr Kollege, ich verweise auf das, was ich soeben gesagt habe. Mir ist nicht bekannt, ob dieses Statut geprüft worden ist.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatsminister, haben Sie Erkenntnisse darüber, daß der Besuch des Kollegen Bahr bei der Firma Beate Uhse auch etwas mit Werbung zu tun gehabt hat?
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Herr Kollege, ich habe j a gesagt: Jeder von uns kann in Situationen kommen, in denen er zu unrecht verdächtigt wird.
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Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wird 1984 von den auswärtigen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland der Tag der deutschen Einheit zum Anlaß von Feierstunden und Einladungen für offizielle Repräsentationen genommen, oder wird auf den Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes ausgewichen?
Herr Kollege Hupka, der Tag der deutschen Einheit, der uns alle an die gewaltsame Niederschlagung des Arbeiter- und Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 erinnert, wird von den auswärtigen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland ebensowenig wie in der Vergangenheit zum Anlaß von Einladungen für frohgemute offizielle Repräsentationen genommen, da sich der Charakter dieses Gedenktages für derartige Veranstaltungen nicht eignet. Wie Ihnen bekannt, bleibt es den Auslandsvertretungen wie in den Vorjahren freigestellt, innerhalb der Vertretung im Rahmen einer internen Veranstaltung dieses Tages angemessen zu gedenken. So hatte ich, Herr Kollege Hupka, am 17. Juni 1976 die Ehre, einer solchen Veranstaltung in der deutschen Botschaft in Moskau als Mitglied des Deutschen Bundestages beizuwohnen und dort auch eine kurze Ansprache zu halten, in deren Mittelpunkt die Offenhaltung der deutschen Frage stand.
Ebenso wie in der Vergangenheit steht es im Ermessen der Vertretungen, den Tag der Verkündung des Grundgesetzes mit einem Empfang zu begehen. In jedem Fall ist der 23. Mai als Tag der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland kein Ausweichtermin für den 17. Juni. Die Vertretungen haben Weisung, dem eventuell auftretenden Mißverständnis, es handele sich beim 23. Mai um einen Nationalfeiertag mit dem Hinweis entgegenzutreten, daß es einen deutschen Nationalfeiertag nicht geben kann, solange die deutsche Nation geteilt ist; vor allem aber mit dem Hinweis auf die Präambel des Grundgesetzes, in der es heißt, daß diese Bundesrepublik Deutschland und diese Verfassung „für eine Übergangszeit" bestehen und daß „das gesamte deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Ich darf auch daran erinnern, daß das Grundgesetz in seinem Art. 146 zur Geltungsdauer sagt:
Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Auf all das kann, j a soll am 23. Mai hingewiesen werden.
Vor allen Dingen darf ich aber erwähnen, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Vereinbarkeit des innerdeutschen Grundlagenvertrages mit dem Grundgesetz gesagt hat:
Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben. Alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken - das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu
vertreten - ...
Ich erwarte, daß unsere Auslandsvertretungen gerade auch dieser Verpflichtung am Tage unserer Verfassung gebührend Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen erstens, daß niemand von unseren Botschaften erwartet, daß sie am 17. Juni zu „frohgemuten" Veranstaltungen einladen, zweitens, daß es j a einen Grund haben muß, daß der einzige nationale Gedenktag in unserem öffentlichen Leben von den Missionen nicht in der Weise begangen wird, wie es notwendig ist, und drittens, daß man auf den 23. Mai, den Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes, ausweicht, um den 17. Juni nicht begehen zu müssen?
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, ich darf darauf aufmerksam machen: Sie können zwei Fragen stellen. Sie haben jetzt drei Fragen gestellt.
Herr Kollege Dr. Hupka, ich gehe davon aus - wenn dem nicht so ist, so bin ich gerne bereit, darauf einzuwirken -, daß unsere Auslandsvertretungen von der Möglichkeit des Gedenkens an die ungelöste Deutschlandfrage am 17. Juni gebührend und angemessen Gebrauch machen. Zweitens: Ich habe gesagt, wir haben, weil wir eine geteilte Nation sind, keinen Nationalfeiertag. Ich bin in keiner Weise gegen das Begehen des 17. Juni, im Gegenteil. Ich habe das soeben noch einmal gesagt. Es handelt sich beim 23. Mai nicht um einen Ausweichtermin. Vielmehr ist gerade der Verfassungstag 23. Mai ein Hinweis darauf, daß die Deutschlandfrage noch offen ist, daß es eine offene nationale Frage gibt. Das steht j a auch im Grundlagenvertrag; darauf hat die damalige Bundesregierung in Karlsruhe immer wieder hingewiesen. Ich möchte Sie deshalb wirklich herzlich bitten, die Qualifikation 23. Mai als „Ausweichtermin" doch nicht mehr zu verwenden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schmude.
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Erläuterungen richtig verstanden, wenn ich den Inhalt so wiedergebe, daß es ständiger Übung entspricht, daß unsere Außenvertretungen am 23. Mai zu den Empfängen einladen und daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, daran zugunsten des 17. Juni etwas zu ändern?
Was mir an Ihrer Frage, Herr Kollege Schmude, wenn ich das so salopp sagen darf, nicht behagt, ist das letzte Wort, das Sie gebraucht haben: „zu ändern". Wir wollen an der Praxis des Grundgesetztages 23. Mai festhalten. Aber wir wünschen gleichzeitig ein angemessenes Gedenken an die Unterdrückung des Arbeiter- und Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Beides muß sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, auf dieses angemessene Gedenken, das Sie soeben erwähnt haben, im Vorfeld des 17. Juni 1984 erneut hinzuweisen und anschließend im Auswärtigen Ausschuß zu berichten, in welcher Form und in welchen Botschaften und Gesandtschaften entsprechend verfahren worden ist?
Die Frage beantworte ich mit Ja, und zwar in ihren beiden Teilen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist in dem Rundschreiben, wenn ich Sie recht verstanden habe, auf das Sie sich berufen haben, nach der Präambel des Grundgesetzes auch darauf verwiesen, daß bis zu dem Zeitpunkt, den Sie unter Hinweis auf Artikel 146 aufgezeigt haben, die Bundesrepublik die Verpflichtung hat, die nationale und staatliche Einheit Deutschlands zu wahren?
Ob das in dem Erlaß noch einmal ausdrücklich in Erinnerung gerufen wird, Herr Kollege Dr. Czaja, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es ist die selbstverständliche pflichtgemäße Haltung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Ich darf nur darauf hinweisen, was der Herr Bundeskanzler kürzlich bei seinem Bericht zur Lage der Nation gesagt hat.
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- Ich kann aber, wie gesagt, nicht sagen, ob diese Selbstverständlichkeit auch in dem von Ihnen genannten Erlaß steht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, in den Hinweis, der den deutschen Auslandsvertretungen zugeht, auch die Antwort, die Sie dem Kollegen Hupka vorhin gegeben haben, in ihrem vollen Wortlaut aufzunehmen.
Herr Kollege Jäger, ich nehme diese Fragestunde zum Anlaß, dieser gesamten Angelegenheit wirklich nachzugehen. Ich werde im Sinne des Wunsches des Kollegen Böhm prüfen, was in diesem Zusammenhang noch mehr getan werden kann, um dem Auftrag gerecht zu werden, unseren Anspruch auf nationale Selbstbestimmung und Einheit nach außen beharrlich zu vertreten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Hat die Bundesregierung den Tag der deutschen Einheit als den Nationalen Gedenktag der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen entsprechend der Übung anderer Staaten registrieren lassen?
Herr Kollege Hupka, entsprechend allgemeiner internationaler Übung werden in den Vereinten Nationen nur Nationalfeiertage angemeldet. Die Bundesregierung hat den 17. Juni deshalb nicht entsprechend registrieren lassen, weil er kein Nationalfeiertag ist. Wie in der Beantwortung Ihrer ersten Frage bereits ausgeführt, vertritt die Bundesregierung mit Nachdruck auch nach außen die Auffassung, daß es einen deutschen Nationalfeiertag nicht geben kann, solange die deutsche Nation geteilt ist und der 17. Juni gerade daran erinnert, daß die nationale Einheit immer noch nicht verwirklicht ist.
Man kann - je nach den Umständen - Fragen dieser Art in einem defensiven Sinne behandeln; man kann, j a man muß sie auch im Sinne einer aktiven Geltendmachung unseres nationalen Anliegens behandeln.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß die Bundesrepublik Deutschland das einzige Mitglied bei den Vereinten Nationen sein soll, das keinen nationalen Tag - Feiertag oder Gedenktag - dort hat registrieren lassen?
Herr Kollege Hupka, soweit ich sehe, sind wir Deutschen das einzige Volk, das durch zwei Staaten in den Vereinten Nationen vertreten ist. Mir ist in der Tat kein anderes geteiltes Volk bekannt, das geteilt in den Vereinten Nationen staatlich vertreten ist. Deshalb ist es so, wie Sie gesagt haben: Es gibt in der Tat kein anderes Mitglied der Vereinten Nationen, daß wie wir keinen Nationalfeiertag bei den Vereinten Nationen hat registrieren lassen. Dabei sehe ich jetzt von der DDR ab, die diese Fragen völlig anders sieht.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ich nehme Ihre Antwort sehr ernst: Wäre das nicht ein Anlaß mehr, diesen nationalen Gedenktag - es ist j a gerade kein Feiertag - bei den Vereinten Nationen registrieren zu lassen?
Herr Kollege Hupka, der Begriff heißt: nationaler Feiertag, und die Bundesregierung ist aus den Gründen, die ich soeben genannt habe, nicht bereit, den 17. Juni als nationalen Feiertag im Sinne der anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dort anzumelden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dolata.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, wie die DDR diese Frage gesehen und behandelt hat?
Herr Kollege, Sie kennen die Auffassung der DDR zur Rechtslage Deutschlands. Ich habe sie selbst erfahren müssen, als ich als Mitglied des Deutschen Bundestages in einer Rede vor den Vereinten Nationen 1974 auf unseren Anspruch auf Wiedervereinigung und Selbstbestimmung hingewiesen hatte. Daraufhin hat nämlich der Vertreter der DDR das Wort ergriffen und dem Sinne nach gesagt, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sei in der DDR auf eine geradezu ideale Weise ein für allemal verwirklicht.
Diesen Standpunkt teilt die Bundesregierung ganz und gar nicht. Auch die Regierung Brandt hat seinerzeit darauf bestanden, daß in der Präambel des innerdeutschen Grundlagenvertrages an dem fundamentalen Unterschied der beiden Vertragspartner in der nationalen Frage festgehalten wurde. Sie hat es damals - das möchte ich unterstreichen - für notwendig erachtet, den Vertragspartnern in Ost-Berlin und in Moskau in aller Form mitzuteilen, daß es - nun zitiere ich - „die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist, auf einen Zustand des Friedens hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt". - Ich nehme nicht an, daß die damalige Bundesregierung dies nur mit vordergründigen Motiven innenpolitischer Art getan hat, sondern daß es ihr mit der nationalen Frage sehr ernst war.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, können Sie mich darüber informieren, ob es irgendwelche internationalen Rechtsvorschriften gibt, die es verbieten, neben der Anmeldung eines Nationalfeiertags bei den Vereinten Nationen auch einen nationalen Gedenktag wie den 17. Juni dort registrieren zu lassen, und könnte die Bundesregierung unter diesem Aspekt prüfen, ob sie neben ihrer ja von Ihnen zum Ausdruck gebrachten Haltung, einen Feiertag nicht registrieren zu lassen, einen nationalen Gedenktag registrieren läßt?
Herr Kollege Jäger, ich empfinde das als eine wertvolle Anregung, die ich gerne prüfen lassen werde.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, ob die DDR einen nationalen
Feiertag bei den Vereinten Nationen registrieren ließ und, wenn ja, welcher das ist?
Frau Kollegin Hürland, nach meiner Erinnerung feiert die DDR den Tag der Gründung der DDR, den 7. Oktober, als ihren Nationalfeiertag.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wenn es richtig ist, daß die Bundesregierung - wie übrigens frühere Bundesregierungen auch - nicht die Auffassung teilt, daß in der DDR die Selbstbestimmung wahrgenommen wurde: Sehe ich recht, daß die Bundesregierung auch weiterhin der Auffassung ist, daß Abgeordnete eines Staatsorgans in der DDR nicht auf Grund von freien Wahlen und auf Grund der Selbstbestimmung bestellt sind?
Herr Kollege Czaja, daß das so ist, daß wir ein geheim und frei gewähltes Parlament sind, die Volkskammer in Ost-Berlin aber nicht, ist evident. Ich möchte aber jetzt nicht der Entscheidung des Deutschen Bundestages vorgreifen,
({0})
wie er die Frage einer Kontaktaufnahme regeln will.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Heistermann auf:
Auf Grund welcher Bestimmung des NATO-Truppenstatuts kann die Britische Rheinarmee auf dem Truppenübungsplatz Sennelager eine Kampfanlage zur Ausbildung britischer Soldaten für den Einsatz in Irland betreiben?
Herr Kollege, wie Staatsminister Möllemann bereits auf die Frage des Kollegen Neumann Anfang des Monats schriftlich geantwortet hat, können die verbündeten Streitkräfte auf den Liegenschaften, die ihnen im Bundesgebiet überlassen sind, die zur befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen; und zwar nach Art. 53 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.
Die britischen Streitkräfte müssen ebenso wie andere NATO-Streitkräfte für alle Eventualitäten einer wirksamen Verteidigung, also auch für den Kampf in dichtbesiedeltem Gebiet, ausgebildet werden.
Herr Kollege, Verteidigungsminister Apel hat vor einigen Jahren einmal eine Ausstellung der Bundeswehr, die durch das ganze Land ging, unter der Devise veranstalten lassen: „Der Soldat muß kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen." - Das gilt auch für die Soldaten unserer Verbündeten.
Die stationierungsrechtlichen Vereinbarungen, insbesondere das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen, stehen daher grundsätzlich einer Ausbildung auch für den Einsatz in einem anderen als dem Ausbildungsgebiet nicht entgegen.
Eine Zusatzfrage?
({0})
- Bitte.
Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung nun die Frage beantworten, ob die Britische Rheinarmee auf dem Truppenübungsplatz Sennelager britische Soldaten ausbildet, die in Irland eingesetzt werden? Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung dies bestätigt?
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gibt es einen anderen Entsendestaat, der das NATO-Truppenstatut unterschrieben hat, der ähnliche Ausbildungslager oder Stadtkampfübungsanlagen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland unterhält?
Herr Kollege, diese Frage kann ich Ihnen im Moment nicht beantworten. Aber es ist Ihnen bekannt, daß die Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet aus bekannten Gründen ein Staat sui generis ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 26 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Treffen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung Meldungen zu, nach denen der sowjetische Flugzeugpilot, dessen Kampfflugzeug im September 1983 eine koreanische Verkehrsmaschine abgeschossen hat, mit einer hohen sowjetischen Auszeichnung geehrt worden ist?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung besitzt keine Erkenntnisse, die die auch in der deutschen presse aufgenommene Spekulation belegen, daß der jetzt zum „Helden der Sowjetunion" ernannte Oberst Schukow mit dem für den Abschuß der südkoreanischen Passagiermaschine am 1. September 1983 verantwortlichen sowjetischen Jagdpiloten identisch ist.
Auch Meldungen in „Krasnaja Zwesda" und in „Prawda" vom 8. April 1984, die über die Ernennung Schukows berichten, lassen offen, ob Schukow mit dem Abschußpiloten identisch ist. Sie wissen, Herr Kollege, daß es in der Sowjetunion sehr viele Obersten gibt und auch sehr viele Träger des Namens „Schukow".
Eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß in den letzten Tagen gleich zwei hohe sowjeti4696
Jäger ({0})
sehe Offiziere den Abschuß der koreanischen Zivilmaschine öffentlich gerechtfertigt haben, Erkenntnisse darüber, ob der ausgezeichnete Offizier zu jener Luftwaffeneinheit gehört hat, die in Ostasien stationiert und an der damaligen Aktion beteiligt gewesen ist?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat die von Ihnen angesprochene Meldung mit größtem Befremden zur Kenntnis genommen. Die Erkenntnisse, nach denen Sie fragen, hat die Bundesregierung nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da ja, wenn der genannte Oberst Schukow nicht in diesen Fall verwickelt war, für eine derartige Auszeichnung als Grund eigentlich nur noch der Einsatz - ein „heroischer Einsatz" - gegen Frauen und Kinder durch Bombardierung afghanischer Dörfer und Talschaften übrigbleibt, frage ich: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob der genannte Herr Schukow dort „Heldentaten" vollbracht hat?
Herr Kollege, darüber hat sie keine Erkenntnisse. Aber, Herr Kollege Jäger, damit wir uns hier nicht mißverstehen, möchte ich Sie doch noch einmal wissen lassen: Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß es sich bei dem Abschuß der südkoreanischen Verkehrsmaschine um einen in Friedenszeiten in der Geschichte der zivilen Luftfahrt beispiellosen, verabscheuungswürdigen Vorgang handelt, der dem geltenden Völkerrecht widerspricht. Ich sehe den Wert Ihrer Frage darin, daß ich dies hier noch einmal in aller Form feststellen kann.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, falls die Nachricht bezüglich der Auszeichnung stimmen sollte, können Sie soweit gehen, mir zuzustimmen, daß dies eine Verhöhnung der Opfer des 1. September 1939 wäre?
Herr Kollege Dr. Hupka, einerseits ist das, was Sie hypothetisch fragen, so evident, daß ich darüber nicht zu spekulieren brauche. Andererseits möchte ich vor allem nicht über Dinge spekulieren, die bisher nur durch die Presse verlautet sind.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die politischen und rechtlichen Folgen der Abstimmung in der UN-Menschenrechtskommission zu der von ihr mit eingebrachten Resolution zur derzeitigen menschenrechtlichen Lage im polnischen Machtbereich, welche die Forderung enthielt, die Menschenrechte und Grundfreiheiten im Sinne der im UN-Menschenrechtspakt eingegangenen Verpflichtungen ungeschmälert wiederherzustellen und vor äußeren Einmischungen zu schützen, vor allem die Freiheitsbeschränkungen durch die auf das Kriegsrecht folgenden Gesetze sowie die Unterdrückung einer freien gewerkschaftlichen Bewegung ({0}) zu beseitigen?
Zu einer Abstimmung in der Menschenrechtskommission, MRK, über den von Frankreich, Italien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland eingebrachten Entwurf einer Resolution über die Menschenrechtslage in Polen ist es nicht gekommen, Herr Kollege Dr. Czaja. Ein Antrag Kubas, die Entscheidung über die Resolution auf die 41. Tagung der Menschenrechtskommission, also auf 1985, zu vertagen, wurde mit dem knappen Stimmenverhältnis von 17 : 14 : 12 angenommen. Der Vertagungsantrag kam einigen Staaten der Dritten Welt entgegen, welche die Behandlung Polens in der Menschenrechtskommission als Ausfluß des Ost-West-Gegensatzes betrachten und sich daher in dieser Frage - ich füge hinzu, Herr Kollege Dr. Czaja: leider - nicht exponieren wollen. Es sind oft Staaten, die ihrerseits von uns erwarten, daß wir uns für die Menschenrechte, insbesondere das Selbstbestimmungsrecht, in der Dritten Welt einsetzen.
Den Vereinten Nationen fehlt es an Möglichkeiten, Herr - Kollege Dr. Czaja, die Menschenrechte praktisch durchzusetzen. Daher besteht die Bedeutung von Resolutionen der Menschenrechtskommission über die Menschenrechtslage in einzelnen Ländern darin, daß durch sie ein moralischer Druck mit dem Ziel ausgeübt wird, die betreffenden Regierungen zu einem menschenrechtskonformen Verhalten zu veranlassen. Es ist deshalb sehr zu bedauern, daß es nicht gelungen ist, die Resolution bei der diesjährigen Tagung durchzusetzen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die polnische Regierung eine ausführliche Behandlung der Menschenrechtslage in Polen durch die Menschenrechtskommission hinnehmen mußte.
Zusatzfrage, bitte.
Ist nach Ihren klaren Aussagen, Herr Staatsminister, und angesichts der in der „Neuen Zürcher Zeitung" gemeldeten Weigerung der Volksrepublik Polen zur Zusammenarbeit mit der UN-Menschenrechtskommission und angesichts der Vertagung damit zu rechnen, daß die menschenrechtsfreundlichen Staaten, die den politischen Menschenrechtspakt und seine Rechtsverpflichtungen ratifiziert haben - auch die der EG und der NATO -, die Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen nunmehr auch bilateral einfordern werden, und zwar unter Ausnutzung vertretbarer friedlicher, diplomatischer, völkerrechtskonformer Mittel, z. B. durch Versagen oder Gewähren von Vorteilen wirtschaftlicher Art, je nach der Erfüllung der Rechtsverpflichtung?
Herr Kollege Dr. Czaja, wie Ihnen die Bundesregierung schon mehrfach mitgeteilt hat, auch ich persönlich, wird die Bundesregierung in jedem Fall auf die Einhaltung aller Texte drängen, die die MenschenrechtsverpflichStaatsminister Dr. Mertes
tungen stipulieren. Die Frage der Methode halten sich alle Regierungen offen. Das tut auch diese Bundesregierung. Die Frage des Einbringens wirtschaftlicher Gesichtspunkte ist ein sehr schwieriges Thema, über das wir beide auch schon miteinander korrespondiert haben.
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung nach dem politisch so bedeutsamen Entschließungsentwurf, den sie ja selbst eingebracht hat, dieses von Ihnen genannte Ziel unter Wahrung des politischen Ermessensspielraumes, der jeder Bundesregierung zusteht, mit dem nach dem Völkerrecht zulässigen Nachdruck verfolgen, auch in bezug auf dort lebende Deutsche, selbst wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen in dieser Sache bis 1985 nichts mehr unternehmen will?
Herr Kollege Dr. Czaja, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie den Begriff „Nachdruck" gebraucht haben, und nicht den Begriff „Druck". Ich kann Ihre Frage deshalb bejahen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung diese Niederlage der sich für die Menschenrechte einsetzenden Staaten in der Kommission zum Anlaß nehmen, um ihre Bemühungen zu verstärken, die Staaten und ihre Vertreter, die sich in diesen Dingen der Stimme enthalten haben, ermuntern, weltweit - nicht bloß in der dritten, sondern auch in der zweiten Welt - für Menschenrechte einzutreten und sie zu verbessern?
Herr Kollege Jäger, ich möchte diese Frage ganz eindeutig mit Ja beantworten. Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, daß leider in den Vereinten Nationen, wenn vom Selbstbestimmungsrecht die Rede ist, meist von der Situation in der Dritten Welt die Rede ist. Die Bundesregierung bleibt der Auffassung, daß die Menschenrechte universal gelten und deshalb gerade - das sage ich als Vertreter der deutschen Bundesregierung - auch für die Deutschen und die Osteuropäer.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 28 der Frau Abgeordneten Dr. Vollmer auf:
Ist Dr. Bötcher vom IPS ({0}) bei seinem Versuch, Einfluß auf die Pflanzenschutzgesetzgebung Brasiliens zu nehmen, von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Brasilien Unterstützung gewährt worden, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung dieses Vorgehen?
Frau Kollegin, der Deutschen Botschaft in Brasilien ist von einem Versuch Dr. Bötchers, Einfluß auf die Pflanzenschutzgesetzgebung Brasiliens zu nehmen, nichts bekannt. Die Deutsche Botschaft in Brasilien hatte weder mit Dr. Bötcher noch mit einem anderen Vertreter des Industrieverbands Pflanzenschutz in dieser Angelegenheit Kontakt.
Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, Ihnen ist sicher bekannt, daß das Land Brasilien eine sehr fortschrittliche, d. h. sehr strenge, Pflanzenschutzgesetzgebung plant. In dem Zusammenhang sehen wir ja diesen Beeinflussungsversuch. Sind Ihnen denn auch aus anderen Ländern Beeinflussungen oder Versuche von Beeinflussung von Regierung und staatlichen Stellen in bezug auf deren Pflanzenschutzgesetzgebung bekannt geworden? In welchen Ländern wäre das? Und welche Methoden - Bestechung, Drohung - sind da in welchem Ausmaß vorgekommen? Oder haben Sie noch von keinerlei solchem Versuch erfahren?
Ich habe von solchen Versuchen bisher nichts erfahren. Aber ich möchte bestätigen, was Sie im ersten Teil der Zusatzfrage angesprochen haben: Die brasilianische Pflanzenschutzgesetzgebung wird gegenwärtig überprüft und soll bundeseinheitlich neu geregelt werden. Die Deutsche Botschaft in Brasilien hat der deutschen Wirtschaft im Rahmen üblicher Praxis Unterstützung bei der Beschaffung von Informationen über die Absichten der brasilianischen Regierung in diesem Bereich gewährt. Eine Einflußnahme auf die Gesetzgebung eines souveränen Staates war hiermit nicht verbunden.
Aber, Frau Kollegin Dr. Vollmer, ich möchte hinzufügen: Die einzelstaatliche Pflanzenschutzgesetzgebung in Rio Grande do Sul sieht derzeit vor, daß die Produzenten die Zusammensetzung ihrer Produkte veröffentlichen müssen. Jedoch muß ich auch darauf hinweisen, daß die in Rio Grande do Sul erlassene Regelung gegenwärtig auf bundesstaatlicher Ebene vom brasilianischen Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft wird. Und da ich Ihre Wertschätzung für das deutsche Bundesverfassungsgericht kenne, nehme ich an, daß Sie die gleiche Wertschätzung für das brasilianische Bundesverfassungsgericht aufbringen.
Ihre letzte Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatsminister, da wir sichere Unterlagen haben, daß von dem Industrieverband Pflanzenschutz gerade im Zusammenhang mit dieser Überprüfung der Pflanzenschutzgesetzgebung in Brasilien solche Versuche gemacht worden sind, darauf Einfluß zu nehmen - Unterlagen, die wir Ihnen zu Verfügung stellen können -, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, auf diesen Industrieverband Pflanzenschutz und seine Mitgliedsfirmen, z. B. BASF, Bayer und Hoechst, dahin einzuwirken, eine solche Einflußnahme auf Organe fremder Staaten zu unterlassen, und diesen Unternehmen klarzuma4698
chen, daß die Bundesregierung ein solches Verhalten ablehnt und verurteilt?
Frau Kollegin, die Bundesregierung respektiert selbstverständlich ihrerseits die legislative Autonomie eines souveränen Staats. Es ist Ihnen unbenommen, die Bundesregierung über Ihren Wissensstand zu informieren. Ich hätte es sogar für besser gehalten, wenn Sie hier nicht mit Ihrer anscheinend umfassenden Information zurückgehalten und wenn Sie nicht auf der Basis dieses mir nicht bekannten Wissens Fragen gestellt hätten. Aber seien Sie gewiß, daß wir Ihre Informationen sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen werden. Denn nicht jede Information, die die Fraktion der GRÜNEN bekommt, trifft zu; das wissen wir aus Erfahrung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Horacek.
Herr Staatsminister, zu Ihrer Antwort frage ich: Hält die Bundesregierung angesichts der massiven Einflußnahme der chemischen Großindustrie auch in Ländern der Dritten Welt einen freiwilligen Verhaltenskodex für den Export von gefährlichen Chemikalien, zu denen auch Pestizide gehören, für ausreichend, oder werden verbindliche gesetzliche Regelungen für den Export solcher Stoffe als notwendig angesehen?
Herr Kollege Horacek, freiwillige Verhaltenskodices sind an sich etwas sehr Gutes. Aber es gibt Bereiche, in denen sie nicht genügen, in denen verbindliche Regelungen erfolgen müssen. Ich habe eben eingehend darüber berichtet, daß die Bundesregierung bei bestimmten Fragen der chemischen Industrie zur Zeit bemüht ist, verbindliche Regelungen herbeizuführen. Es gilt: Soweit wie möglich freiwillige Verhaltenskodices, soweit wie notwendig verbindliche Regelungen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatsminister, Sie sagten in Ihrer ersten Antwort, daß Sie zu Herrn Dr. Bötcher keine Kontakte hätten: Wie konnten Sie dann aber behaupten, daß Ihnen von seinen Versuchen zur Einflußnahme nichts bekannt sei?
Frau Kollegin, ich bin nicht selber nach Brasilien gereist, um dieser bedeutenden Frage nachzugehen; ich verlasse mich vielmehr auf die Berichterstattung der Deutschen Botschaft in Brasilien.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Treffen Meldungen zu, nach denen der Standort für das Juristische Informationssystem ({1}) nicht Kassel, sondern Bonn werden soll?
Herr Kollege Fischer, die Bundesregierung wird demnächst darüber entscheiden, in welcher Form das unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz entwickelte Juristische Informationssystem, JURIS, weitergeführt wird.
Geplant ist die Ausgliederung von JURIS aus dem Bundesministerium der Justiz. Die damit verbundenen Schwierigkeiten personeller, organisatorischer und finanzieller Art wären leichter zu lösen, wenn Bonn Standort des Juristischen Informationssystems bliebe.
Die Entscheidung, ob JURIS im Bonner Raum bleiben oder einen anderen Standort erhalten soll, ist noch nicht gefallen. Außer Kassel sind auch andere Orte als mögliche Standorte ins Gespräch gebracht worden, so in jüngster Zeit wieder die Stadt Trier.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, welchen Stellenwert mißt die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung arbeitsmarktpolitischen und strukturpolitischen Erwägungen bei?
Die Bundesregierung mißt allen Fragen eine besondere Bedeutung bei, aber auch dem Ziel, daß das System funktionstüchtig bleibt.
Bitte, weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hängt die Entscheidung der Bundesregierung möglicherweise davon ab, wie die in Aussicht genommenen privaten Partner für das Unternehmen votieren?
Darüber ist noch nicht entschieden. Es liegen dafür auch noch keine hinreichenden Grundlagen vor, so daß auch, im Zusammenhang mit der Absicht, das Unternehmen in die Form einer GmbH zu bringen, die einzelnen Gesellschafter noch nicht feststehen. Nur eines steht fest: Die Bundesrepublik wird Gesellschafter sein.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung den zwingenden Vorschriften des Zonenrandförderungsgesetzes bei der Standortwahl Rechnung tragen - das würde eine Entscheidung für Kassel bedeuten -, und sind unter diesen Gesichtspunkten schon Gespräche mit der hessischen Landesregierung und mit der Stadt Kassel geführt worden, um deren finanzielle Beteiligung an JURIS zu erreichen?
Es sind intensive Gespräche und Beratungen mit der Stadt Kassel durchgeführt worden. Für finanzielle Beteiligungen der Stadt Kassel oder des Landes Hessen sind bis jetzt keine Angebote gemacht worden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Stiegler auf:
Wann endlich wird die Bundesregierung über die Fortsetzung von JURIS entscheiden, und wird sie im Zusammenhang mit der Fortsetzung sich auch für den Standort Kassel im Zonenrandgebiet entscheiden?
Herr Kollege Stiegler, ich antworte wie folgt: Die Entscheidung über die Fortsetzung und den weiteren Ausbau des im Bundesministerium der Justiz entwickelten Juristischen Informationssystems, JURIS, setzt die Klärung schwieriger organisatorischer und finanzieller Fragen voraus. Die Klärung ist zwischen den beteiligten Ressorts inzwischen aber so weit abgeschlossen, daß die angestrebte Grundsatzentscheidung noch vor der Sommerpause möglich erscheint. JURIS wird nach den Planungen aus dem Bundesministerium der Justiz ausgegliedert und unter Beteiligung der privaten Wirtschaft als Gesellschaft mit beschränkter Haftung fortgesetzt werden. Die Ausgliederung soll möglichst frühzeitig erfolgen. Der Bundesminister der Justiz hat wiederholt auf die schwierigen personellen, organisatorischen und finanziellen Probleme hingewiesen, die diese Ausgliederung mit sich bringen wird. Sie wären leichter zu lösen, wenn Bonn Standort des Informationssystems JURIS bliebe. Ich darf insoweit auf die Antwort verweisen, die ich soeben gegeben habe.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung die Standortentscheidung zusammen mit der Grundsatzentscheidung treffen, oder wird die Bundesregierung die Standortentscheidung der GmbH überlassen, die gegründet werden soll?
Die Bundesregierung wird die Entscheidung dann fällen, wenn die Voraussetzungen dazu gegeben sind. Sollte die Standortfrage die Ausgliederung von JURIS und die Verselbständigung erschweren, so werden die Entscheidungen nicht zusammenfallen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung über den Standort von JURIS die einmütige Bitte des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen beachten und in ihre Erwägungen einbeziehen, der sich für Kassel als Standort eingesetzt hat?
Die Bundesregierung beachtet selbstverständlich die Empfehlungen des Ausschusses. Ob sie ihnen folgen kann, hängt von
den konkreten Ergebnissen der Prüfung und der Verhandlungen ab.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung auch den Ankündigungen des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Schneider, folgen, der erklärt hat, daß bei künftigen Standortfestlegungen für Bundeseinrichtungen auch Gesichtspunkte der Raumordnung und des Zonenrandgebietes stärker berücksichtigt werden, als das bisher geschehen sein soll?
Die Bundesregierung steht zu den Worten ihrer Glieder und wird das sehr sorgfältig prüfen und, wo immer möglich, auch dementsprechend verfahren.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Schöfberger auf:
Kann die Bundesregierung Angaben des Mieterbundes bestätigen, wonach im Jahre 1983 in Großstädten die Zahl der Klagen auf Räumung einer Mietwohnung um 20 v. H. bis 40 v. H. gestiegen ist, und worauf führt die Bundesregierung diese Entwicklung zurück?
Herr Kollege Schöfberger, die Bundesregierung kann die in der Frage enthaltenen Angaben des Deutschen Mieterbundes nicht bestätigen. Die Frage läßt auch nicht erkennen, auf welches Tatsachenmaterial der Deutsche Mieterbund seine Angaben stützt.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Ist die Bundesregierung dann bereit, sich durch entsprechende Erhebungen über die Länder oder unmittelbar bei den Gerichten in Ballungsräumen einen entsprechenden Kenntnisstand zu verschaffen?
Herr Kollege Schöfberger, ich habe die Vermutung, diese Zusatzfrage beruht darauf, daß Sie davon ausgehen, die Erhöhungen seien daraus zu entnehmen, daß Prozesse um die Erhöhungen geführt werden oder geführt wurden. Ich bin der festen Überzeugung, daß solche Prozesse keinen hinreichend deutlichen Ansatzpunkt darstellen, um die tatsächlichen Mieterhöhungen zu erkennen. Auch auf die Frage, die in Ihrer Frage mit anklang, ob nämlich auf Grund irgendwelcher Entscheidungen gesetzgeberischer Art in der Vergangenheit besondere Mieterhöhungen ausgelöst wurden, kann in Orientierung an der Prozeßführung keine Antwort gegeben werden, denn frühestens in der zweiten Hälfte 1983 könnten solche Verfahren bei den Gerichten anhängig geworden oder gar entschieden worden sein. Insofern kann von daher keine wirkliche Erkenntnis gewonnen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ausgehend von der Tatsache, daß jeder in einem Ballungsraum tätige Rechtsanwalt das dramatische Anschwellen der Zahl von Räumungsprozessen kennt, und ausgehend von der Tatsache, daß Sie selber im privaten Beruf Rechtsanwalt sind oder waren, frage ich Sie, ob es nicht traurig ist, wenn die Bundesregierung sehr viel weniger weiß als jeder beliebige Advokat draußen im Land?
Herr Kollege Schöfberger, die Bundesregierung weiß viel mehr als jeder x-beliebige Anwalt draußen im Land. Die Bundesregierung wird sich aber hüten, Angaben zu machen, für die sie nicht geradestehen kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Vahlberg auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, wonach beim Deutschen Patentamt in München in den letzten Jahren 402 Prüferplanstellen eingespart und die Prüfdauer von Patentverfahren auf inzwischen durchschnittlich 3 1/4 Jahre angestiegen ist?
Herr Kollge Vahlberg, es ist nicht richtig, daß beim Deutschen Patentamt in den letzten Jahren 402 Prüferplanstellen eingespart worden sind.
Der Gesamtpersonalbestand des Deutschen Patentamts wurde seit 1973 von 2 578 auf nunmehr 2 235 Stellen, also um 343 Stellen oder 13,3 % verringert. Zugleich ging die Anzahl der Patentprüfer von 662 im Jahr 1973 auf 591 im Jahr 1984 und damit um 71 Stellen oder 10,8 % zurück. Im gleichen Zeitraum ging jedoch die Anzahl der Patentanmeldungen beim Deutschen Patentamt von 66 223 im Jahr 1973 auf 47 103 im Jahr 1983 und damit um insgesamt fast 29 % zurück.
Diese Entwicklung entspricht einem weltweit zu beobachtenden Trend. Darüber hinaus ist sie auf die Eröffnung des Europäischen Patentamts in München im Jahr 1978 zurückzuführen, bei dem seither ein wachsender Anteil der zuvor an das Deutsche Patentamt gerichteten Patentanmeldungen eingereicht wird.
Die verhältnismäßig hohe durchschnittliche Erledigungsdauer ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß das Deutsche Patentamt bisher 171 voll ausgebildete, leistungsfähige Prüfer an das Europäische Patentamt abgegeben und damit einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau dieses Amtes geleistet hat. Außerdem sind viele Prüfer vorzeitig in den Ruhestand getreten.
So hat das Deutsche Patentamt bei einem Gesamtbestand von 591 Prüfern seit 1978 nicht weniger als 329 Prüfer neu eingestellt, ausgebildet und eingearbeitet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Prüfer in der Regel erst nach ungefähr fünf Jahren seine volle Leistungsfähigkeit erreicht.
Nach Einschätzung des Deutschen Patentamts werden die Erledigungszeiten mit zunehmender Leistung der neuen Prüfer etwa in den Jahren 1987/
88 bei zweieinhalb Jahren liegen und damit auch im internationalen Vergleich bestehen können.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann Aussagen der Leitung des Deutschen Patentamts in München, wonach zirka 120 000 Patentanmeldungen sozusagen auf Eis liegen und sich die Bearbeitungszeit bei einer besseren personellen und materiellen Ausstattung des Patentamts um die Hälfte reduzieren ließe, was - so sind j eden-falls die Aussagen des Patentamts - dazu führen würde, daß sich die innovative Umsetzung deutscher Erfindungen und Entwicklungen verbessern würde? Wie stehen Sie dazu?
Ich habe in der vorigen Woche auf eine zunächst mündlich, dann schriftlich gestellte Frage eine breite, mit den vorhandenen Zahlen ausgestattete Antwort gegeben. Ich möchte Sie darauf hinweisen, damit Sie das aus dem Protokoll entnehmen. Die Zahlen habe ich nicht alle im Kopf.
Im übrigen sind Aussagen über die schnellere Prüfung sehr lobenswert. Eine schnellere Prüfung soll erreicht werden. Ich habe Ihnen eben gesagt, wie es mit den Prüfern, ihrer Zahl und ihrer Leistungsfähigkeit steht. Das Amt selbst tut, was es kann. Es hat ab 1984 auch genügend Personal. Ich bin überzeugt, daß wir in wenigen Jahren auf einem Stand sind, den wir in der Vergangenheit noch nick' gehabt haben, nämlich auf einem Stand, bei dem über die Patente in einem wesentlich kürzeren Zeitraum entschieden werden kann.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß zu Anfang dieses Jahres das Eingangsgehalt . für Prüfer abgesenkt worden ist, und liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, wieviel Bewerbungen um Prüferstellen - die ja hohe Qualifikationen voraussetzen - zurückgezogen worden sind? Und gedenken Sie bezüglich des Eingangsgehalts möglicherweise den alten Zustand wiederherzustellen?
Erhard. Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen darauf jetzt keine zuverlässige Antwort geben. Ich bitte Sie, mich diese Antwort schriftlich geben zu lassen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Bachmaier auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß - wie im Jahre 1980 - auch im Jahre 1982 bei Strafverfahren, in denen die Angeklagten in Untersuchungshaft saßen, in etwa 50 v. H. aller Fälle die Verfahren ohne eine zu verbüßende Freiheitsstrafe abgeschlossen wurden, und wie hoch ist diese Quote, aufgeteilt auf Verfahren nach dem Jugendstrafrecht und nach dem Erwachsenenstrafrecht?
Die Bundesregierung kann bestätigen, daß auch im Jahre 1982 in nahezu 50 % aller Fälle Strafverfahren, in denen der AngePari. Staatssekretär Erhard
klagte in Untersuchungshaft einsaß, ohne eine zu verbüßende Freiheitsstrafe abgeschlossen wurden. Dies ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden für das Jahr 1982 herausgegebenen Strafverfolgungsstatistik - Rechtspflege, Reihe 3 -.
Zur Aufschlüsselung dieser Quote auf Verfahren nach dem Erwachsenenstrafrecht und dem Jugendstrafrecht kann folgendes angemerkt werden: Von insgesamt 42 492 Personen mit Untersuchungshaft wurden 1982 27 505 - das sind 64,7 % - zu einer Freiheitsstrafe und 6 346 - das sind 14,9 % - zu Jugendstrafe verurteilt. Von den Freiheitsstrafen waren 17 591, also 41,4 %, und von den Jugendstrafen 3 738, also 8,8 %, zu verbüßen.
In wie vielen Fällen die Strafe wegen der verbüßten Untersuchungshaft - ich betone: wegen der verbüßten Untersuchungshaft - zur Bewährung ausgesetzt worden ist, ist den statistischen Angaben nicht zu entnehmen und läßt sich auch nicht aufklären.
Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen inzwischen, da Herr Staatssekretär Dr. Kinkel am 28. Januar des vergangenen Jahres nur äußerst dürftiges und älteres Material vorgelegt hat, neuere Vergleichsdaten unserer Nachbarländer vor?
Erhard, Part. Staatssekretär: Es liegen mir die exakten Zahlen noch nicht vor.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Teilt die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, angesichts dieser Situation die Auffassung des Deutschen Anwaltsvereins, in der Bundesrepublik werde zu oft, für einen zu langen Zeitraum und zu schnell verhaftet, und hält die Bundesregierung es für erforderlich, das Recht der Untersuchungshaft neu zu ordnen und zu reformieren, etwa in Anlehnung an die Vorschläge des Arbeitskreises Strafprozeßreform des Deutschen Anwaltsvereins?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Deutschen Anwaltsvereins in diesem Punkt nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Bachmaier auf:
Zu welchem Ergebnis hat die in diesem Zusammenhang vom Staatssekretär beim Bundesjustizminister, Dr. Kinkel, am 28. Januar 1983 ({0}) angekündigte Prüfung geführt, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Bagatelldelikten stärker zu konkretisieren und den § 113 StPO eventuell zu novellieren?
Die Prüfung der Frage, ob für Bagatelldelikte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stärker zu konkretisieren und § 113 StPO möglicherweise zu novellieren ist, ist noch nicht abgeschlossen. Das erforderliche rechtstatsächliche Material ist von einer Untersuchung zu erwarten, die der Bundesminister der Justiz zur Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft im Frühjahr 1983 bei der Universität Göttingen initiiert hat. - Die Erklärung von Staatssekretär Kinkel datiert vom 28. Januar 1983; die Initiative zur gerade genannten Untersuchung wurde im Früh-jahr '83 ergriffen. - Die Untersuchung soll Ende 1985 abgeschlossen sein:
Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist diese Untersuchung - vor allem der Zeitraum über den sie sich erstrecken soll - angesichts des doch sehr alarmierenden Datenmaterials nicht ein Alibi für gesetzgeberische Untätigkeit, obwohl doch auf Grund des bisher vorliegenden statistischen Materials ein unabweisbarer, sofortiger Handlungsbedarf gegeben ist?
Die Bundesregierung befindet sich in diesem Punkt in vollständiger Kontinuität zu ihrer Vorgängerin. Wir sind nicht der Meinung, daß hier sofort Änderungen vorgenommen werden sollten. Vielmehr glauben wir, daß hier sorgfältig geprüft werden muß, bevor man im Strafprozeßrecht wieder Veränderungen vornimmt.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Überfüllungszustand der deutschen Haftanstalten alarmierende Ausmaße angenommen hat?
Die deutschen Haftanstalten sind nach übereinstimmender Meinung der Bundesländer sehr stark überbelegt. Deshalb werden Erwägungen angestellt, durch eine andere Form der Aussetzung zur Bewährung - andere Fristen, eine andere Dauer - Entlastung zu schaffen.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung einer Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Dolata auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, als Hauptaktionär der Braunschweigischen Kohlebergwerke AG ihrer Verantwortung dahin gehend Rechnung zu tragen, daß sie die Inbetriebnahme des Kraftwerkes Buschhaus so lange verhindert, bis die Entschwefelungsanlage eingebaut ist?
Herr Kollege Dolata, die Lösung des Problems der Rauchgasentschwefelung des Kraftwerkes Buschhaus, das überwiegend im Interesse der Erhaltung von 3 000 Arbeitsplätzen mit Ge4702
nehmigung des Landes Niedersachsen errichtet wurde, wird in erster Linie vom Land Niedersachsen und der Braunschweigischen Kohlebergwerke AG geprüft. Das Land hat auch über die beantragte Betriebsgenehmigung mit den erforderlichen Auflagen zu entscheiden. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Schon aus aktienrechtlichen Gründen ist es dem Bund, der über die VIAG und die VEBA an der Braunschweigischen Kohlebergwerke AG beteiligt ist, verwehrt, in die Eigenverantwortlichkeit des Vorstandes einzugreifen.
Aus Umweltschutzgründen hat der Bund ein erhebliches Interesse an der Lösung des Problems. Das Bundesfinanzministerium steht deshalb in dieser Frage in enger Verbindung mit dem Vorstand der VIAG, der sich auch in die Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen eingeschaltet hat. Der Vorstand der VIAG hat dem Bundesfinanzministerium versichert, daß er alle Anstrengungen im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren zur Minderung der Umweltbelastung und zur Erhaltung der Arbeitsplätze unternehmen wird.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Feststellung, daß der Stand der Technik nach der Legaldefinition des Bundesimmissionsschutzgesetzes wie auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit nach § 17 Abs. 3 dieses Gesetzes eine Inbetriebnahme von Buschhaus ohne Umweltschutzmaßnahmen mehr als fragwürdig erscheinen lassen?
Hier sind zwei schwierige Probleme miteinander in Einklang zu bringen, Herr Kollege. Die Bundesregierung tut alles - wie ich eben in meiner Antwort gesagt habe -, über die VIAG Einfluß zu nehmen - das ist der beste Weg -, um zu einer Lösung dieser Problematik zu kommen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, was werden Sie konkret tun, um auf den Betreiber einzuwirken, z. B. das Stufenkonzept dahin gehend zu modifizieren, daß schon in der ersten Stufe bis zum 1. Juli 1988 der SO2-Ausstoß nicht konstant gehalten wird, sondern bereits zu dieser Zeit auf die im Gespräch befindliche Menge von 145 000 Tonnen SO2 minus x abgesenkt wird, wobei dieses „minus x" zumindest eine optisch politische, wirksame Größe sein müßte?
Herr Kollege Dolata, Sie werden mit mir der Meinung sein, daß hier zwei Güter miteinander abzuwägen sind: einmal die umweltschutzpolitischen Gründe und zum anderen die Frage der Erhaltung der Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit - wie ich bereits zweimal gesagt habe -, über die VIAG Einwirkung zu nehmen. Das tut sie. Darüber hinaus hat sie aber keine Möglichkeit, in die Verantwortung des Vorstandes einzugreifen. Dennoch steht sie auf anderem Wege auch in Verbindung mit dem Lande Niedersachsen, um auf beiden Wegen das zu tun, was wirtschaftlich und auch finanziell getan werden kann.
Der Abgeordnete Poß hat seine Frage, die Frage 49, zurückgezogen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland - Sechster Jugendbericht - Stellungnahme der Bundesregierung zum Sechsten Jugendbericht
- Drucksache 10/1007 Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1269 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Darf ich fragen, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mädchen sind die Stiefkinder der Nation.
({0})
Ich bitte, sich doch etwas zurückzuhalten. Das kann man einmal machen, aber dann ist es nicht mehr von Witz.
Herr Präsident, auf wen war diese Bemerkung gemünzt?
Nicht auf Sie, Frau Abgeordnete. Ich habe den Abgeordneten Horacek gemeint. Bitte, fahren Sie fort.
Herr Präsident, dann wiederhole ich: Die Mädchen sind die Stiefkinder der Nation. Das ist das eigentliche Fazit des Sechsten Jugendberichts. Ein schlagender Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung ist die Stellungnahme der Bundesregierung dazu.
Als ich den Bericht vor drei Jahren in Auftrag gab, war mir bewußt, was in dem Bericht zu Anfang steht: Mädchen kommen in der Statistik nur selten vor; wenn, dann als Restgröße. Diese so oft vergessene Gruppe ins Licht zu rücken und sich ihrer ProFrau Huber
bleme noch mehr anzunehmen, das war das Ziel dieser Untersuchung. Sie ist nach anderthalb Jahren zügiger Arbeit fertiggestellt, einstimmig beschlossen und pünktlich abgeliefert worden.
Meine Damen und Herren, das war, als wir gerade die Wende hinter uns hatten, nach der doch alles besser werden sollte. Das galt keinesfalls, wie wir nun wissen, für die Mädchen; denn die neue Regierung war so wenig scharf auf den Bericht, daß sie ihn erst einmal über ein Jahr in der Schublade ließ.
Es kann auch niemand übersehen, daß dieser Bericht eine einzige Anklage gegen die Frauenpolitik dieser Regierung ist. Dies wollte Minister Geißler sicher ungern offenkundig machen. So hat er dem Bundestag zunächst gar nichts zugeleitet. Er hat statt dessen die Presse unterrichtet, aber nicht über den Bericht, sondern über die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu. Wir erhielten schließlich nach Mahnungen vor zwei Monaten den Bericht. Der Bundesrat erhielt ihn 14 Tage zur Stellungnahme. Allein dieser Vorgang zeigt, wie sehr die Regierung an diesem Thema hängt.
({0})
Die Regierung bemängelt, daß der Bericht so sehr pessimistisch sei. Aber er ist natürlich ein Problembericht und kein Erbauungsbuch. Die einzig relevante Frage ist, ob er wahr ist, denn nur dann, wenn er wahr ist, wird er etwas bewegen. Er sollte etwas bewegen.
({1})
Leider hat es die Regie des Bundestags gefügt, daß diese notwendige Debatte über die Situation der Mädchen im Anschluß an vier Stunden Aussprache über die Frauenpolitik stattfindet und so vielleicht an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit verliert. Dennoch ist die frauenpolitische Diskussion, meine Damen und Herren, der richtige Hintergrund, weil, wie der Bericht hervorhebt, die Lebenssituation der Frauen die Erwartungen, die Lebenskonzepte unserer Mädchen, ihre Leitbilder und ihre Identitätssuche bestimmt.
Der Kern aller Aussagen des Berichts scheint mir die Feststellung aller Sachverständigen zu sein, daß jede Herstellung von Chancengleichheit, die bisher erfolgte, nur eine Anpassung an die von Männern konzipierten Leistungs- und Charakterstrukturen bedeutet hat und immer Zusatzbelastungen für die Mädchen und Frauen brachte.
Ein wirksames Konzept kann für ein Geschlecht allein nicht erarbeitet werden. Wenn heute die jungen Mädchen in Umfragen einem Beruf, einem sicheren Arbeitsplatz einen genauso hohen Stellenwert einräumen wie die jungen Männer, dann besagt das noch nichts über ihre Chancen; denn die Gesellschaft weist ihnen die Arbeit nur als Restgröße zu, und zwar im Rahmen der Zeit, die ihnen übrig bleibt, wenn sie ihrer immer noch vorhandenen Alleinverantwortung für die Familie gerecht geworden sind.
Die Mädchen sehen sich infolgedessen damit konfrontiert, daß die Erwartungen an sie und die
Vermutungen über die Bedeutung der Berufstätigkeit für sie zu Recht oder zu Unrecht mehr zählen als ihre schulischen Leistungen, so sehr sie sich auch gegen diese Zweitrangigkeit in der Berufswelt wehren.
Die Folge einer solchen gesellschaftlichen Einstellung ist ein schlechterer Berufseinstieg. Wir hörten schon: Zwei Drittel all derer, die keinen Ausbildungsplatz fanden, sind Mädchen, obwohl sie durchaus keine schlechten Schulzeugnisse haben. Diese Mädchen denken jetzt intensiv an des Kanzlers Lehrstellengarantie. Ihre Benachteiligung trägt wiederum dazu bei, daß wir eine hohe Frauenarbeitslosigkeit haben. Es sind ja keineswegs nur Teilzeitarbeitsplätze, die gesucht werden. Wenn man die stille Reserve hinzunimmt, suchen etwa 1 Million Frauen einen Vollzeitarbeitsplatz.
({2})
So kann man nur sagen, daß eine Benachteiligung bei den Frauen, von Jugend an, die andere auslöst, und das geht von der Ausbildung bis zur Rente.
Die Regierung setzt der Forderung der Sachverständigen nach gleichen Pflichten und Verantwortlichkeiten von Männern und Frauen nur den Vorwurf entgegen, daß die Kommission offenbar die freie Vereinbarung über unterschiedliche Aufgaben und Pflichten, also die Hausfrauenehe, nicht billige. Ich glaube, sie hat überhaupt nicht begriffen, worum es eigentlich geht, nämlich um die Eröffnung von Chancengleichheit, die es heute nicht gibt und auf die eine junge Mädchengeneration wartet, die Familie und Beruf vereinbaren will und oft auch muß. Das hat uns das Beispiel von Herrn Geißler heute morgen vor Augen geführt.
({3})
Die Bundesregierung gibt zwar zu, daß sich die Zukunftserwartungen der Mädchen verändert haben, weist aber die Hauptaufgabe bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit der Mädchen den Unternehmen zu, die sich sicher für Kostenminimierung und Rentabilität, für Produktivitätsfortschritt und Konkurrenzfähigkeit interessieren, aber nicht für die Erhaltung der Arbeitsplätze oder gar für die Beschäftigung von Mädchen verantwortlich fühlen. Natürlich werden Frauen in der Wirtschaft gebraucht, aber das Wirtschaftssystem, so sagt der Bericht, bestimmt, wie Frauen eingesetzt werden, nämlich als abrufbare Reserve, die in ihrer Hauptfunktion unverändert bleibt. Daran ändern auch Änderungen bei den Arbeitsschutzbestimmungen nichts, weil sie die belastenden Arbeitsbedingungen unberücksichtigt lassen.
Im Gegensatz zur Kommission weist die Bundesregierung auf die Vorteile von Jobsharing und verschiedenen Teilzeitformen hin, die aber bestehende Ungleichheiten geradezu zementieren oder sogar verschärfen. Sie erkühnt sich sogar, von einem offensiven Einsatz des Arbeitsförderungsgesetzes gegen die Frauenarbeitslosigkeit zu sprechen; aber gerade hier sind doch in den letzten zwei Jahren die Mädchen und Frauen am allermeisten durch Ver4704
schlechterungen und Kürzungen benachteiligt worden.
({4})
Da werden in der Stellungnahme der Regierung Förderungsmaßnahmen gelobt, die glücklicherweise vor einigen Jahren initiiert wurden, aber immer noch nur 40% Mädchen erfassen, und die im Bericht vorgeschlagene Quotierung, die auch schon von der Enquete-Kommission gefordert wurde, sowie die Berufsausbildungspflicht oder z. B. Auflagen für Firmen im Blick auf Frauenförderungspläne werden nicht einmal zur Diskussion empfohlen. Die Verschlechterung bei den ABM-Maßnahmen, die Mädchen sehr bitter empfinden, wird überhaupt nicht erwähnt.
Unter solchen Vorzeichen bleibt, wie der Bericht betont, Wahlfreiheit, wenn sie überhaupt besteht, nur ein Problem der Frauen.
({5})
Hieran ändert auch eine gute Bildung nichts, auch wenn die Mädchen da aufgeholt haben, wie der Bericht vermerkt. Wenn sie nur propagiert und dann durch BAföG noch beschnitten wird, ändert sie bestimmt überhaupt nichts.
({6})
Im Gegenteil, wir stellen fest, daß das Bildungssystem in den unteren Kategorien geradezu als Parkdeck benutzt wird, auf dem sich Mädchen nur deswegen aufhalten, weil sie keinen Arbeitsplatz finden, und dies verbessert die Arbeitslosenstatistik.
Unter den in der Stellungnahme aufgeführten Pluspunkten wird auch das EG-Anpassungsgesetz erwähnt. Aber der Bericht bestätigt, was wir alle schon wissen und was eine Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhärtet hat, daß das Gesetz, weil zahnlos, überhaupt nichts bewirkt hat. Erst vorgestern hat der Europäische Gerichtshof die Deutschen angemahnt, nun endlich Diskriminierungen auch mit Sanktionen zu versehen. Drei Frauen, die dort geklagt haben, bekamen nicht nur recht, sie bekamen eine Entschädigung zugesprochen.
({7})
Der Bericht hebt auch die bestehende Lohndiskriminierung auf Grund der strukturellen Benachteiligungen hervor, die Aufstiegsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst, in Medien, Unternehmen, aber auch in Instituten. Die Stellungnahme weist auf geringe Verbesserungen hin, bringt aber kein einziges Angebot für die vielen Mädchen und Frauen in der stillen Reserve, die auf den Listen der Arbeitslosen bloß deshalb nicht erscheinen, weil sie nicht zum Empfang von Arbeitslosenhilfe berechtigt sind.
Überhaupt mangelt es in der Stellungnahme, wie auch eine ganze Reihe von Eingaben zeigt, an konkreten Maßnahmen, die man aus dem Bericht ableiten will. Aus dem evangelischen Raum, aus den Gewerkschaften, von anderen Seiten sind Vorschläge gemacht worden, und auch die sozialdemokratisch geführten Länder haben solche Vorschläge im Bundesrat gemacht. Sie sind leider auf taube Ohren gestoßen.
Dies alles läßt erwarten, meine Damen und Herren, daß die Kommission noch lange recht behalten wird mit ihrer Feststellung, daß Programme auf dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung ins Leere gehen, auch wenn die Mär vom Mädchen als Mängelwesen durch wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen widerlegt worden ist, wie dieser Bericht wiederholt.
Nun ist qualifizierte gleichberechtigte Erwerbstätigkeit auch nach Meinung der Sachverständigen noch keine Emanzipation. Sie ist nur eine Voraussetzung dafür. Aber wenn auf Grund verschlechterter Wirtschaftslage und von Haushaltskürzungen sogar beim Mutterschaftsgeld gespart und das Babyjahr in der Rentenversicherung immer noch in der Rubrik Fata morgana geführt wird und ausschließlich Familienarbeit als Alternative gelobt und durch Hoffnung auf Erziehungsgeld attraktiv gemacht werden soll, dann ist dies auch kein Beitrag zur Emanzipation.
({8})
Die Familienarbeit, so hebt der Bericht hervor, ist notwendig, aber gering geachtet. Sie macht materiell abhängig, knüpft die eigene Existenz an den Bestand der Ehe. Weil es aber weitgehend noch so ist, sah sich die Kommission genötigt, vor einer Verschlechterung des neuen Eherechts zu warnen, die der Justizminister ins Auge gefaßt hat. Herr Geißler hat das in seiner Antwort fein umschrieben mit „Einzelfallgerechtigkeit" ohne zu sagen, was das eigentlich ist. Im Zweifelsfall ist zu vermuten, daß es gegen die Frauen geht. Denn in den letzten Jahren hat ein breiter Feldzug gegen die Frauen stattgefunden. Rückschritt statt Fortschritt.
Heute morgen hat Herr Geißler in dem Zusammenhang Familie das Kindergeld und meinen Rücktritt erwähnt. Da möchte ich schlicht sagen, weil es der Wahrheit entspricht, es hat nicht an uns gelegen, daß die Kürzung des Kindergeldes nicht mit Einkommensgrenzen versehen wurde. Das konnten wir damals von Ihrem jetzigen Koalitionspartner nicht haben. Es hat uns aber sehr am Herzen gelegen.
({9})
Werden Sie nicht hochmütig mit solchen Äußerungen in dieser Debatte! Wir hatten in der Haushaltsdebatte vorgeschlagen, die arbeitslosen Jugendlichen sofort ins Kindergeld wie in die Versicherung wieder miteinzubeziehen. Dies ist von der jetzigen Koalition abgelehnt worden.
({10})
Im Gegensatz zu dem, was bei der Anhörung zum Antidiskriminierungsgesetz Anfang 1982 gefordert wurde, stellen wir heute fest, daß die Regierung keine Verbesserungen für Frauen im Programm hat, sondern die Aufgaben, die sie eigentlich hätte, verlagert auf Selbst- und Nächstenhilfe, wie das auch hier im Bericht erwähnt wird. Sie erweckt so den Eindruck - und dies ist eine wichtige Passage -, daß belastende gesellschaftliche Normen inFrau Huber
dividuell aufhebbar sind. Das ist falsch, aber sehr bequem.
Mit großer Mühe ist es uns gelungen, daß das Frauenhaus nun endlich sozusagen offiziell anerkannt ist, als Beitrag in dem Bemühen, gegen die Gewalt vorzugehen. Ich erinnere mich noch der hämischen Bemerkungen, als wir dieses Modellprogramm damals initiiert haben. Aber das Beispiel hat schon gute Schule gemacht.
Die unklare Zukunft, die Frage, wann notwendige Veränderungen mit Elternurlaub, Babyjahr in der Rente, mit besserer Chancengleichheit wirklich kommen, erschwert Mädchen und Frauen heute die Suche nach ihrer kulturellen Identität. Der Satz von den Frauen, die Fremde in der eigenen Kultur sind - er wird in dem Bericht erwähnt -, wird schon allein dadurch untermauert, daß der Beitrag von Frauen in historischen Darstellungen unerwähnt bleibt und niemals erforscht worden ist. Die Dominanz der Werkzeugkultur - so hebt der Bericht hervor - hat die soziale Kreativität der Frauen unterschlagen, ohne die aber unsere westliche Kultur noch viel unwirklicher wäre, als sie ohnedies ist.
Dies alles bewirkte den Rückzug der Frauen ins Private. Die politische Beteiligung der Frauen hat zwar in den letzten Jahren zugenommen, so konstatiert der Bericht, ist aber immer noch bemerkenswert gering. Und in den Gewerkschaften steigt langsam, aber kontinuierlich der Anteil der Frauen trotz ihrer Arbeitslosigkeit. Hieraus, meine Damen und Herren, werden Vorbilder bezogen. Aber der Bericht sagt, es kommt nicht auf das richtige Vorbild an, sondern auf das Sichtbarwerden von Möglichkeiten. Die meisten Mädchen erleben die Minderbewertung von Leistungen der Frauen in der Öffentlichkeit als Gegensatz zu der Stärke, mit der ihre Mütter, die als Leitfiguren eine große Rolle spielen, den Alltag bewältigen. Hier erleben sie, wie Partnerschaftskonzepte, die den Anschein erwekken, gesellschaftlich vorbestimmte Arbeitsteilung durch individuelle Entscheidung aufzuheben, meistens in Wirklichkeit aussehen. Die Regierung tut ein Übriges, um mit neuen - alten - Steuerkonzepten diese Veränderungen festzuschreiben.
({11})
Ich sehe, daß die Lampe leuchtet; darum lassen Sie mich nur noch einige Sätze sagen.
Das bestehende Machtgefälle hat dazu geführt, daß die Mädchen Komplexe entwickeln und Schwierigkeiten haben. Bei 50 % der Zehnjährigen gibt es Erziehungsschwierigkeiten; 50 % der 15jährigen laufen von zu Hause weg. Wenn das kein Signal ist, das zum Nachdenken auffordert, und wenn man nicht sieht, daß Jugendhilfe hier nur sehr eingeschränkt Beratung und Hilfe leisten kann, dann hat man die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Ich will auch kurz noch anmerken, daß das Thema Sexualität eine große Rolle in dem Bericht spielt. Es hat mich tief gekränkt, daß die Regierung die von allen Seiten nachgefragte Broschüre, von der noch 11 000 Exemplare vorhanden waren, hat einstampfen lassen, zwar mit dem Hinweis, ein dort
erwähnter Autor habe einige andere Dinge verfaßt, die nicht in Ordnung sind, aber, meine Damen und Herren, es ist keine um diesen Hinweis korrigierte Neuauflage vorgesehen.
Ich denke, die Mädchen und Frauen werden es mit diesen Sachverständigen halten, und sie werden das für sich einklagen, was manche Politiker noch nicht begriffen haben. Ich warne die Parteien, eine Politik an den Frauen vorbei zu machen. Wir danken den Autoren des Berichts.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jung sein ist für Mädchen und Jungen nicht dieselbe Sache. Eine Familie mit Jungen und Mädchen, die sich jetzt um Ausbildungsplätze bewerben, stellt fest, daß es die Mädchen schwerer haben. Aber meine Damen und Herren, wenn ich der Rede von Frau Kollegin Huber richtig zugehört habe, dann wird das Bild vermittelt, als sei dies plötzlich, womöglich am 7. März 1983, 0.00 Uhr, entstanden. Dieses Problem bestand auch zur Zeit Ihrer Regierung, meine Damen und Herren.
({0})
Sie können noch so große Anstrengungen unternehmen, um das alles vergessen zu machen, es wird Ihnen nicht gelingen. Wir werden uns im Gegenteil bemühen, die Situation zu verbessern, und das wird schwer sein.
({1})
Es ist gut, daß sich der Sechste Jugendbericht den Problemen der Mädchen und jungen Frauen zuwendet. Nur mit einer größeren Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Lebenssituation der Mädchen werden wir nötige Veränderungen herbeiführen können. In einem „Spiegel"-Artikel vom 13. Februar dieses Jahres liest man - gleiche Töne klangen soeben bei Frau Kollegin Huber an -:
Wenn es um die Situation der Frauen geht, wird die christliche Koalition merkwürdig sprachlos.
Zwei Tage vor dem offiziellen Erscheinungsdatum der heute zur Beratung anstehenden Bundestagsdrucksache wurde es höchste Zeit für den „Spiegel", dieses Vorurteil mit einer verspäteten Vorlage des Sechsten Jugendberichts zu begründen.
Es ist richtig, daß am Jahresende 1983 von den 31 000 Jugendlichen, die nicht in einen Ausbildungsplatz vermittelt werden konnten, 63,9 % Mädchen waren. Diese Zahl zeigt die Problemsituation, der wir uns stellen müssen.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, Sprachlosigkeit hieße j a, daß seitens der Regierung und seitens der Mehrheit dieses Hauses nichts geschehen würde.
({3})
Das Sonderprogramm der Bundesregierung zur Gewinnung von 7 000 bis 8 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen im über- und außerbetrieblichen Bereich zeigt allerdings, daß zwei Drittel der dadurch versorgten Jugendlichen Mädchen sind. Das heißt nicht, daß alle 31 000 Jugendlichen versorgt werden, aber mit der Schaffung von 7 000 bis 8 000 Ausbildungsplätzen ist ein Anfang gemacht, um die Probleme der Gruppe, über die wir heute diskutieren, zu lösen. Das ist ein Schritt nach vorne, meine Damen und Herren.
({4})
Wir brauchen zusätzliche Ausbildungsplätze für Mädchen, auch und gerade in den gewerblich-technischen Berufen. Das Modellprogramm zur Erschließung gewerblich-technischer Berufe für Mädchen, das seit 1978 angewendet wird, geht in die richtige Richtung. Der Anteil der weiblichen Auszubildenden in diesen Berufen ist seit 1978 von 2,6 auf 7,5% gestiegen. 7,5% sind ohne Zweifel nach wie vor zu wenig. Aber, meine Damen und Herren, wenn es innerhalb von sechs Jahren nahezu eine Verdreifachung gibt, zeigt sich, daß wir auf dem richtigen Wege sind und daß bereits Erfolge erzielt werden. Das läßt hoffen, und diesen Weg müssen wir weiter beschreiten.
An dieser Stelle meine ich darauf hinweisen zu müssen, daß gerade das Aufzeigen solcher positiven Entwicklungen im Sechsten Jugendbericht zu kurz kommt.
({5})
Das ist nicht gut. Wer nur das Ausmaß unbewältigter Probleme aufzeigt, aber nicht darstellt, woher wir kommen, wer nicht darstellt, daß die Probleme in der Vergangenheit viel größer waren, der verbreitet Pessimismus und Frust. Ich glaube, daß diese Verbreitung von Pessimismus und Frust - das ist ein Vorwurf, der an die Kommission, die diesen Jugendbericht erarbeitet hat, gerichtet werden muß - ein Hauptnachteil des Sechsten Jugendberichtes ist.
({6})
- Mit lähmendem Pessimismus, Herr Kollege, läßt sich die Zukunft nicht bewältigen.
({7})
So hilft man auch - ich will ein Beispiel aus dem Sport heranziehen - einem Marathonläufer nicht, wenn man ihn nach 30 Kilometern nur darauf hinweist, daß noch 12 Kilometer vor ihm liegen. Wenn man ihm aber sagt: Du hat 30 Kilometer hinter dir, die haben Kraft gekostet, aber das hast du gut geschafft, und du kannst die nächsten 12 auch bewältigen, dann kann man ihm helfen. Das ist die Sicht nach vorn, und da kann man aus der Vergangenheit Kraft beziehen.
({8})
Die Darstellung im Sechsten Jugendbericht aber ist geschichtslos, meine Damen und Herren.
Auch im Bereich der Familie bleibt der Sechste Jugendbericht pessimistisch. Ich zitiere:
Die materielle Abhängigkeit von Frauen, das bestehende Machtgefälle zwischen Mann und Frau in der Familie, Isolation und Überlastung von Frauen schaffen Lebensverhältnisse für Frauen, in denen physische und psychische Gewalt gegen sie keineswegs nur als gesellschaftliche Randerscheinung anzutreffen, sondern krassester Ausdruck ungleicher Chancen ist.
({9})
Meine Damen und Herren, eine solche Darstellung wird den Lebensumständen der meisten Familien in unserem Lande nicht gerecht.
({10})
Das in einem solchen Satz angesprochene Versagen ist eine Unterstellung, ist eine Diskriminierung der Mehrheit der Familien in der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Die Aussage ist darüber hinaus auch nicht an den Entwicklungen, in denen wir leben, orientiert; denn gerade junge Männer und Frauen in jungen Familien bemühen sich darum, eine partnerschaftliche Ehegemeinschaft vorzuleben. Hier entstehen Vorbilder. Im Sechsten Jugendbericht finden diese Vorbilder leider nicht statt.
({12})
Die große Mehrheit der Mädchen will - das ist von Frau Kollegin Huber hier richtig dargestellt worden - Beruf und Familie miteinander vereinbaren. Die große Mehrheit will mit dem Berufswunsch nicht die Familienperspektive aufgeben, möchte allerdings auch nicht die Familie mit der Berufsperspektive aufgeben. Einer solchen Lebensplanung gilt es politisch Rechnung zu tragen.
({13})
Ich möchte es hier klar sagen: Weder diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die die Frauen nur der Familie zuordnen, noch diejenigen, die sie nur im Beruf sehen wollen, werden dem Mehrheitswillen der Mädchen gerecht.
({14})
Der Sechste Jugendbericht leistet zuwenig im Hinblick auf eine Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier könnte man mehr Vorschläge erwarten. Schon die starre gedankliche Trennung von Wahlfreiheitskonzept, Partnerschafts- und Vereinbarkeitskonzept zeigt die Realitätsferne. Eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nur in einer partnerschaftlichen Ehe auf Dauer ohne große Enttäuschungen und Schäden möglich. Wenn laut „Brigitte"-Studie von 1982 47% der Mädchen dem Dreiphasenmodell - Schule, beBreuer
rufliche Bildung, Berufsausübung in der ersten Phase, zeitweilige Unterbrechung für die Familie in der zweiten, Wiederaufnahme des Berufs in der dritten Phase - den Vorzug geben, dann darf der ausschließlich der Familie gewidmete Zeitraum nicht bestrafend wirken.
({15})
Sonst behindern materielle Zwänge die Wahlfreiheit.
Die Bemühungen der Koalition um eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs
({16})
auf dem steuerlichen Wege mit Kinder- und Erziehungsgeld, die Bemühung um die Anerkennung von Erziehungszeiten für die Rente gehen in diese richtige Richtung.
({17})
Aus der eben schon angesprochenen „Brigitte"-Studie, die 1982 vom Deutschen Jugendinstitut erarbeitet wurde, geht hervor, daß 5% der Mädchen, bezogen auf ihre Lebensplanung, voll berufstätig sein wollen. Ebenfalls 5% wollen ganz mit dem Beruf aufhören. Das heißt aber auch, meine Damen und Herren, daß 90 % ein „entweder - oder" für sich selbst ablehnen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Genau dieses „entweder - oder" scheint mir aber von der Jugendberichtskommission favorisiert zu sein. Wie sonst kann man ihre ablehnende Haltung beispielsweise zur Teilzeitarbeit und zum Jobsharing verstehen? Gerade die Jugendpolitiker sollten im Sinne der Mädchen und jungen Frauen - ich meine dies gerade heute sagen zu müssen, wo ablehnende Tendenzen gegen Teilzeitarbeit und Jobsharing deutlich geworden sind - die Bundesregierung auf ihrem Weg bestärken.
({18})
Wir müssen neue Formen der Beschäftigung fördern. Der. Bericht wendet sich mit Recht gegen eine Festschreibung der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die der Frau nur den Raum der Familie als alleinigen Lebens- und Arbeitsbereich zuweist. Dies darf jedoch nicht so ins Gegenteil verkehrt werden, daß die Erwerbstätigkeit nur noch als einzige Möglichkeit persönlicher Selbstverwirklichung dargestellt wird und erscheint.
({19})
Die Tätigkeit für die Familie wird demgegenüber dann als geringwertig abgestempelt.
Meine Damen und Herren, es ist ein grundlegender Mangel des Berichts, daß in keiner Zeile dargestellt wird, welch unersetzlichen Wert die Familie gerade für die Erziehung der Kinder hat.
({20})
Es wird in keiner Zeile des Berichts festgestellt, meine Damen und Herren, was eigentlich passieren würde, wenn die Familie diese Aufgabe nicht übernehmen könnte, welche gesellschaftlichen Defizite dann entstehen könnten.
({21})
Frau Kollegin Huber, wenn Sie davon sprechen, wieviel Prozent der Jugendlichen von zu Hause ausbrechen, dann wäre es sicher sehr interessant, zu wissen, in welcher Art und Weise in diesen Familien die Zuwendung der Eltern stattfindet.
({22})
Meine Damen und Herren, die neue Rollenflexibilität der Mädchen ist sehr zu begrüßen. Diese allerdings wird seitens der Mädchen auch von ihren männlichen Partnern erwartet. Ich meine, auch das deutlich sagen zu müssen. Wir dürfen hier nicht nur über die Rollenflexibilität von Mädchen reden, wir müssen auch über die der Männer reden.
({23})
Das sind Erwartungen, die Mädchen an ihre Partner richten.
({24})
- Frau Kollegin Schoppe, ich habe da keinen Nachholbedarf. Ich habe das in meiner eigenen Familie praktiziert. Teilweise hat meine Frau gearbeitet, während ich studierte. Umgekehrt haben wir es auch so gemacht.
({25})
Das ist Partnerschaft, die in jungen Familien heute stattfindet. Wir haben keinen Grund, das Bild der Gegenwart nur düster darzustellen. Es gibt auch positive Entwicklungen in dieser Gesellschaft.
({26})
Meine Damen und Herren, der Sechste Jugendbericht widerspricht der Entwicklung von Leitbildern. Dem stimme ich zu. Das ist richtig. In einer freiheitlichen Gesellschaft hat jedes Mädchen und jede junge Frau ein Recht auf ihre eigene individuelle Lebensplanung. Deshalb müssen alle dirigistischen staatlichen Maßnahmen - dazu gehört auch die Quotierung; ich sage das an die Adresse der GRÜNEN, die diesen Entschließungsantrag heute vorlegen - abgelehnt werden; denn auch Quotierungen sind dirigistische Maßnahmen, die einen Teil begünstigen und andere ausgrenzen.
Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß im Bericht bestimmte Leitbilder insgeheim bevorzugt werden, obwohl gesagt wird, Leitbilder werden abgelehnt. Neben der schon von mir angesprochenen Bevorzugung der Erwerbsarbeit liest man z. B. auf Seite 50 - ich zitiere -:
Weiblicher Widerstand wird nicht erst akzeptabel, bemerkenswert und Ausgangspunkt für Strategien, wenn er in Form von autonomem, politischem Widerstand in der Öffentlichkeit unübersehbar ist. Die Formen von Widerstand sind verschieden, aber alle signalisieren, daß ein Potential von der Vorstellung des eigenen Lebens vorhanden ist.
Ich will zu dem Soziologendeutsch nichts sagen. Das stelle ich auch fest. Aber solche Vorstellungen von Widerstandsstrategien, meine Damen und Herren, fördern sicher nicht das Miteinander von Frauen und Männern, sondern das genaue Gegenteil, das Gegeneinander.
({27})
Insgesamt, meine Damen und Herren, ist es bedauerlich, daß der Sechste Jugendbericht von einer einseitigen gesellschaftspolitischen Sicht geprägt ist und damit eine große Chance vertan hat. Ich habe vorhin im Ministerium angerufen und habe einmal gefragt, was er gekostet hat: 397 296 DM. Ich glaube, meine Damen und Herren, man kann sie besser anlegen.
({28})
({29})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist ein schwarzer Tag in der freiheitlichen Demokratie. Eins der dümmsten Bauwerke der Bundesrepublik, die Startbahn West, wird heute eingeweiht. Dagegen wird es Widerstand geben.
({0})
An diesem Widerstand werden auch Frauen teilnehmen.
Ich glaube, wir haben den Bericht nicht richtig verstanden, wenn wir ihn nur so diskutieren, als ob alle Frauen in die Erwerbsarbeit wollten. Ich glaube, wenn man den Bericht richtig liest, dann kommt heraus, daß es auch viele Frauen und Mädchen gibt, die Widerstand gerade gegen diese Art von Erwerbsarbeit leisten. Das heißt, sie wollen in einem Prozeß, wo auf menschenverachtende Weise produziert wird, gar nicht mitwirken. Das wollte ich nur noch einmal vorangeben.
({1})
Ich möchte am Anfang ausdrücklich diesen Bericht würdigen. Der Bericht hat genau aufgezeigt, wie schon vom Säuglingsalter an die Kinder, die jungen Frauen darauf vorbereitet werden, einmal als Hausfrau und Mutter zu arbeiten. Der vorgelegte Jugendbericht geht von der Erkenntnis der Stärken und Fähigkeiten von Mädchen aus und verläßt damit den üblichen Theorieansatz, der Mädchen lediglich als defizitär begreift. Er untersucht vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen Lebenskonzepts den wirklichen Lebenszusammenhang von Frauen in einzelnen Bereichen. Die geschlechtsspezifische Zuweisung für Produktions-und Reproduktionsarbeiten ist für den weiblichen Lebenszusammenhang die Barriere von Selbstbestimmung. Frauen verrichten weltweit 66 % der auf der Welt geleisteten Arbeit und bekommen dafür 10 % des Welteinkommens. Sie verfügen nur über 1 % der Produktionsmittel.
Der Kommissionsbericht widerlegt die These der Bundesregierung, daß unsere Gesellschaft kein allgemeingültiges Leitbild der Frau habe. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ist ein Leitbild der Frau unbedingt notwendig. Es ist das Bild und die Realität der produzierenden Frau, die keinen Lohn erhält. Ohne die kostenlose Frauenarbeit im Haus und in der Familie wäre die kapitalistische Produktion überhaupt nicht möglich. Die Frau verrichtet ihre Dienstleistungen scheinbar für den Mann und für die Kinder. Sie produziert Reproduktionsmöglichkeiten für den Mann, der erst durch die Freisetzung von der Reproduktionsarbeit fähig ist, der Ausbeutung im Produktionsprozeß gewachsen zu sein. So verbirgt sich hinter dem Ehemann das Kapital, und die Frau wird ausgebeutet, um dies zu stützen.
Mehr und mehr Frauen rebellieren gegen diesen Zugriff. Ich denke, patriarchalische Grundstrukturen haben diese Form von Herrschaft und Ausbeutung, diese Art zu produzieren, den heute existierenden Industrialismus erst möglich gemacht.
Frauen wollen das Patriarchat abschaffen. Das wird nur gehen, wenn die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse überwunden werden. Das ist der feministische Ansatz von Politik. Weil der systemsprengend ist, ist er bedrohlich.
Im Bericht der Kommission steht vermerkt, daß trotz des gesellschaftlichen Konformitätsdrucks auf die weibliche Biographie viele Mädchen den ihnen vorgeschriebenen Lebensweg verlassen, um ihren eigenen Lebensstil zu entwickeln. Diese Abweichungen von der Norm haben vielerlei Ausdruck: Rebellion in der Schule oder Verkleidung als Punkerin, wobei sie sich durch ihre Kleidung, durch Abweichung vom gültigen Bild des hübschen Mädchens den begehrlichen Blicken und Ansprüchen von Männern zu entziehen sucht, oder die offensiv vorgetragene Null-Bock-Haltung, weil sie sich nicht an Bestehendes anpassen will.
Jetzt ein Zitat aus dem Bericht:
Rückzug und Träume sind Beispiele für Verweigerung, die Möglichkeiten zum Aufbruch offenlassen.
Es kann aber auch der Weg in Krankheit oder Drogenabhängigkeit führen.
Hier sind die Ansätze von Jugendpolitik zu finden. Es gilt, Räume zu schaffen, damit sie sich entFrau Schoppe
falten können, Rechte und Vorstellungen verwirklichen zu können, und sie brauchen Ressourcen, um eigenständig und unabhängig leben zu können. Statt dessen reagiert die Gesellschaft bei abweichendem Verhalten mit Ausgrenzung und administrativen Maßnahmen. Wie der Bericht beschreibt, sind Krankheit und Drogensucht, Auffälligkeit und Abweichung nicht nur als defizitäre Zustände anzusehen, sondern sind zu hinterfragen nach Spuren, die bei den Betroffenen eine wie auch immer verkümmerte Vorstellung von einem besseren Leben erhalten.
Erwachsene reagieren auf außerhalb der Norm Stehendes mit Bestrafung und Ausgrenzung. So steckt immer noch der Richter, der auf sein Bierchen nicht verzichten kann und nicht verzichten will, Jugendliche für kleinste Mengen Rauschmittel ins Gefängnis. Mädchen brauchen Lebensräume, um sich gegen Reglementierung durch Eltern oder gleichaltrige Jungen wehren zu können. Es müssen Gelder zur Verfügung gestellt werden, um selbstverwaltete Jugendzentren einzurichten, in denen Mädchen ihre eigenen Räume haben. Wir brauchen Ressourcen für ein großes Angebot von Möglichkeiten, kulturell und politisch zu wirken, sonst verschenken wir wertvolle Kompetenzen, Kapazitäten, Phantasie von Jugendlichen. Anstatt Jugendzentren zu schaffen, denken wir über Gesetze nach, wie alt ein Kind sein muß, damit es in Gaststätten gehen darf, welcher von den Jugendlichen wann, wo und wie tanzen darf. Angesichts der herrschenden Zustände ist es verwunderlich, daß nicht viel mehr Jugendliche zu den Ausgeflippten gehören.
Welche Bedeutung hat die Familie für die Sozialisation des Mädchens? Dort lernt das Mädchen, daß ihre Mutter, selbst wenn sie berufstätig ist, die Versorgung der Familie zu leisten hat. Wenn jetzt einige meinen, daß es in manchen Familien anders ist, so hat es sich bisher aber noch nicht als breite gesellschaftliche Bewegung durchgesetzt. Von Mädchen wird erwartet, ebenfalls für Versorgungstätigkeiten zur Verfügung zu stehen, während den Jungen Zeit gegeben wird für eigene Aktivitäten. Mädchen lehnen diese Arbeiten ab, weil sie deutlich die nie endenden Aufgaben der Hausfrau und deren Zuständigkeit für alle Familienmitglieder spüren.
({2})
Aber das ist leider nicht alles, was die Familie zu bieten hat. Durch Überforderung und Machtansprüche kommt es in der Familie zu Gewalttätigkeiten.
({3})
Ein Zitat aus dem Bericht:
Körperliche Züchtigung ist den Eltern ({4}) nicht verboten. Sie ist erst strafbar als Kindesmißhandlung, wenn die Kinder manifeste körperliche Schäden davontragen.
In der Bundesrepublik werden nach neuesten Angaben jährlich etwa 30 000 Fälle von schwerer Kindesmißhandlung registriert. Doch handelt es sich nach Aussagen von Experten dabei nur um die Spitze eines Eisbergs. Bis zu 1 000 Kinder werden jährlich von ihren Eltern getötet bzw. sterben unmittelbar an Verletzungsfolgen von Mißhandlungen. 20 000 bis 30 000 Kinder werden im Jahr krankenhausreif geschlagen.
Aber auch sexuelle Gewalt geschieht in den Familien. Ihr wurden 1981 12 146 Kinder ausgesetzt. 77 % davon sind Mädchen. Über 30 % der Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen sind Mädchen unter 18 Jahren, wobei die Täter sich überwiegend im engen Verwandten- und Bekanntenkreis der Mädchen befinden. 25% der Täter sind Väter oder Stiefväter. Das alles sind erschreckende Tatsachen.
Es nützt nichts, vor diesen Zahlen Augen und Ohren zu verschließen. Es geht nicht um Denunziation der Familie. Schließlich hatten diejenigen, die eine Familie gründeten, Vorstellungen von Liebe und Zärtlichkeit. Sie haben sich nicht zusammengetan, um gewalttätig gegeneinander zu sein.
Es geht darum, zu hinterfragen: Was bringt die Menschen dazu? Welchen Anforderungen sind sie nicht gewachsen? Welche Umstände lassen sie zu diesen Verzweiflungstätern werden?
({5})
Familienpolitik muß die Familien sichern, indem jedes Familienmitglied - auch die Kinder - ein eigenständiges Einkommen hat. Wir brauchen Mindesteinkommen nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Kinder. Jedes Familienmitglied braucht die Möglichkeit, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, braucht die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben, an der Kultur und der Politik mitzuwirken, und braucht Arbeit, die sinnvoll ist.
Die Bundesregierung hat für die Familien nur leere Worte und vage Versprechungen. Deshalb ist die derzeitige Politik familienzerstörend.
({6})
Vor solchen Tatsachen verschließt sich die Bundesregierung. Deshalb bewertet sie den Kommissionsbericht als in der Tendenz durch einen pessimistischen Grundton gekennzeichnet. Es ist die Unfähigkeit der Regierung, sich auf wirkliche gesellschaftliche Verhältnisse einzulassen.
({7})
Es ist die Bankrotterklärung einer Politik, die Umwelt zerstört, Kriege heraufbeschwört und menschliches Leben der Willkür falscher politischer Entscheidungen aussetzt. ({8})
Von den derzeit an die 200 000 erwerbslosen Jugendlichen sind zwei Drittel junge Frauen. Was soll eigentlich das Geschwätz
({9})
von Chancengleichheit und Wahlfreiheit, wenn den jungen Frauen schon eine Berufsausbildung verwehrt wird?
Wir haben die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag aufgefordert, Initiativen einzuleiten, die eine quotierte Verteilung der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze garantieren. Meine Herren, das ist doch wohl das wenigste, was Sie den jungen Frauen bieten können. Es mag sein, daß es das einzige ist.
Ich teile nicht die Auffassung, die derzeitige Politik wolle alle Frauen an den Herd verbannen. Das können Sie sich doch gar nicht erlauben. Wenn die Ausländer abgeschoben werden sollen, wer soll dann die unqualifizierten Arbeitsplätze besetzen? Natürlich soll die Frau weiterhin Familienarbeit machen, aber ein bißchen Erwerbsarbeit, sozusagen als Restgröße, gesteht man ihr doch zu, während die Märchenprinzen des Patriarchats sich um die qualifizierten Vollerwerbsplätze schlagen.
({10})
Die Frauen sollen die einzige Mehrheit bleiben, die wie unterdrückte Minderheiten in Schranken gehalten wird.
Die Fakten des Kommissionsberichtes sind strekkenweise erschütternd. Aber, meine Herren, die Rebellion gegen traditionelle Frauenrollen, die die Mädchen vollziehen, läßt uns hoffen. Die Mädchen lernen, sich durchzusetzen. Sie wollen über ihren Körper und ihr Leben selbst bestimmen. Sie wollen sich nicht mehr als Gebärmaschine zur Verfügung stellen, auch wenn Herr Geißler um die Rentenversorgung bangt. Die kapitalistische Funktion des Uterus ist nicht mehr ohne Kampf handhabbar.
({11})
Die kapitalistische Gesellschaft hat die Familie zur Kleinfamilie gemacht und die Frau dem Mann untergeordnet. Sie hat die Erfindungskraft der Frau kastriert. Unter dem Deckmantel von geforderter Mütterlichkeit hat sie die Frauen ihrer Möglichkeiten von sexueller, psychischer und emotionaler Autonomie beraubt.
({12})
Dagegen regt sich Widerstand, und das wird als Aggressivität gewertet. Eine Frauendebatte als Aggressionsabfuhr - das gelingt nicht, meine Herren. Das Patriarchat ist brüchig geworden. Wir wissen, was zu tun ist.
({13})
Nun versuchen Sie, zurechtzukommen. Wird das Patriarchat die Herausforderung annehmen können? Es wird keine. andere Wahl haben.
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Themen, die jetzt in dem Sechsten Jugendbericht, welchen wir hier beraten, aufscheinen, sind ja fast genau die gleichen wie die Themen, die wir heute früh debattiert haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde es ein bißchen erstaunlich, daß nun, wenn es konkret wird und wir uns mit der Regierung und damit auch mit den Ministerien an konkreten Fragen auseinandersetzen wollen, die beiden zuständigen Minister hier durch Abwesenheit glänzen.
({0})
Ich halte es nicht für richtig, hier nur die Fernsehzeit auszunutzen und dann, wenn es ans Eingemachte geht, hier nicht zu erscheinen.
({1})
Ich bin immer der Meinung, es gibt gewisse Aufgaben des Parlaments, bei denen wir die Fraktionsschranken überschreiten müssen.
({2})
Denn wir sind alle gewählt, um die Regierung zu kontrollieren. Es ist ein gemeinsames Interesse, daß der Stellenwert unserer Debatten dadurch gewürdigt wird, daß die Vertreter, die Spitzen der Häuser hier anwesend sind.
({3})
Das ist alles sehr freundlich gemeint.
({4})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Es tut mir so leid. Ich habe genau wie alle anderen jetzt nur eine Viertelstunde Zeit. Herr Kollege, wir haben noch Gelegenheit, darüber zu sprechen.
({0})
- Ich würdige ausdrücklich, daß Frau Kollegin Wilms hier ist.
({1})
- Mit diesem Bericht sind aber auch Herr Geißler und Herr Blüm angesprochen.
({2})
- Aber, mein lieber Herr Kollege, heute früh war Fernsehzeit; da waren sie alle da. Jetzt ist keine Fernsehzeit; dann dürfen die Damen hier sitzen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem kleinen Rückblick beginnen. Wer mir vor fast auf den Tag 36 Jahren, als ich im April 1948 als junge Stadträtin ins Rathaus von München einzog, gesagt hätte, daß ich nach 36 Jahren eine so offene und im großen ganzen im Grundanliegen doch übereinstimmende Debatte führen könne, den hätte ich in den Bereich der Fabel verwiesen. Denn damals kämpften wir ganz wenigen Frauen jahrelang darum, ob eine Frau - Gott behüte - mal Amtmann werden könne, weil die Männer behaupteten, „Amtmann" könne man mit „Frau" nicht verbinden. Wir hatten keine weibliche Schulleiterin. Es ist nicht gelungen, neben dem staatlichen gymnasialen Schulwesen auch staatliche höhere Mädchenschulen zu errichten. Es ist nicht gelungen, Frauen zu Rektorinnen, Schulrätinnen zu befördern, und über die Aufnahme von Mädchen in die bayerische Hochbegabtenförderung haben wir jahrelang immer wieder Hammelsprünge veranstalten müssen, die dann die fortschrittlichen Kräfte immer verloren haben. Davon ist man schon noch ein bißchen traumatisiert.
Der Präsident eines Landesparlaments hat dann die sehr wenigen Frauen in seinem Parlament mit den Worten belegt, Frauen seien „Unkraut im Parlament", also höchst überflüssig und auszurotten. Meine Damen und Herren, dies alles ist nur wenige Jahrzehnte her.
Ich habe noch die Frauen der ersten Frauenrechtlergeneration gekannt, mit ihnen gesprochen. Es waren Frauen, die noch in Privatkursen ihr Abitur und ihre Lehrerinnenprüfung abgelegt haben, die nicht studieren durften, weil nach wissenschaftlicher Expertise ihr Gehirn angeblich einige Gramm weniger gewogen hat als das der Männer. Als ich 1943 bei einem sehr berühmten Chemiker meine Promotion begann, sagte er, er wolle nunmehr mit mir als Doktorandin beweisen, daß dem nicht so ist. Diesem Manne ist ein Denkmal zu setzen, meine Damen und Herren.
({4})
- Wir wollen das hier ja auch ein bißchen entspannter diskutieren; so groß ist der Unterschied j a gar nicht.
({5})
Wir debattieren jetzt einen Bericht, in dem das alles ja auch wieder aufleuchtet, das Geschichtliche, das Kulturgeschichtliche, das Gesellschaftspolitische. Ich möchte für meine Fraktion ganz ausdrücklich sagen, daß dieser Bericht mit viel Fleiß zusammengestellt worden ist, sehr engagiert ist und viele wichtige Anregungen enthält, die wir nicht einfach
vergessen wollen, weil sie in der Stellungnahme der Bundesregierung nicht erwähnt worden sind.
({6})
Wir werden im Ausschuß sehr darauf dringen, daß diese Punkte seitens der Regierung dann doch noch vertieft werden, falls das heute hier nicht mehr geschehen kann.
Angesichts der Materialfülle möchte ich jetzt fünf Grundfragen dieses Berichts aus liberaler Sicht kurz aufgreifen: Erstens das Rollenverständnis der Frauen in unserer Gesellschaft. Zweitens das quantitative und das qualitative Ausmaß der Chancenungleichheit - da stehen in dem Bericht j a wirklich Fakten, die man mit der Parole „Mehr Optimismus, meine Damen!" nicht einfach aus der Welt schaffen kann.
({7})
Drittens: Wie bewerten wir - eine wichtige Frage
- die in den hinter uns liegenden Jahrzehnten zweifellos gemachten Fortschritte? Viertens. Welche aktuellen Gefährdungen des Erreichten - hierüber ist ja auch gesprochen worden - liegen vor? Fünftens. Reichen die derzeit laufenden Maßnahmen - das ist die Gretchenfrage - zur Verbesserung der Situation der Mädchen in Beruf, Staat und Gesellschaft aus? Dies muß ich leider auch ziemlich generell mit Nein beantworten.
Rollenverständnis, Leitbilderdiskussion: Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, wer würde der Formel Gleichberechtigung - Partnerschaft - Wahlfreiheit widersprechen? Gleichberechtigung in der Familie, meine Damen und Herren: Hier ist doch zumeist der Mann im Rückstand.
({8})
Ich habe eine interessante EG-Statistik gelesen, in der stand: Nur 28 % der deutschen Ehemänner geben an, ab und zu einmal eine Mahlzeit selber zu kochen. Nur 8 % der Männer geben an, gelegentlich auch eine Windel anzufassen. Also, hier ist die Gleichberechtigung noch ganz und gar nicht erreicht.
({9})
Von der Gleichberechtigung im Beruf haben wir j a vieles gelesen und gehört. Wir wissen: Quantitativ und qualitativ ist hier noch viel zu tun.
Partnerschaft, meine Damen und Herren - ein fernes Ziel, selbst in unseren Fraktionen,
({10})
selbst in der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Partnerschaftsidee hat sich zwar theoretisch, aber noch nicht so ganz in der täglichen Praxis, im Umgang miteinander durchgesetzt.
({11})
- Meistens sind es die Konzessionsfrauen, liebe Frau Kollegin. Vielleicht stellen Sie eines Tages fest, daß Sie auch nur sechs Konzessionsfrauen waren, und weiter war da nichts. Ich will es Ihnen nicht wünschen. 4712 Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode Frau Dr. Hamm-Brücher
Meine Damen und Herren, weil heute früh so viel von den Müttern die Rede war, möchte ich nun einmal den Männern, den jungen, den älteren und den alten, danken, die all den Millionen Frauen - Familie, Berufstätigkeit und Verwirklichung ihrer Lebenspläne durch partnerschaftliche Zusammenarbeit ermöglicht haben. Diesen Männern möchte ich herzlich danken.
({12})
Und weil ich einen besonders gut kenne, nämlich meinen eigenen Mann. Ich möchte ihm auch einmal herzlich dafür danken, daß er mir dies ermöglicht hat.
({13})
- Ich lade Frau Schoppe und Sie gern einmal zu mir nach Hause ein. Dann können Sie sehen, wie das läuft. ({14})
Wir brauchen aus Teilzeitarbeit, Jobsharing und flexibler Arbeitszeit doch keine Ideologie zu machen! Fest steht, daß danach Nachfrage besteht, daß viel zu wenig Plätze angeboten werden und daß die sozialen Begleitmaßnahmen nicht ausreichen, um hier ein echtes Angebot zu machen. Von Wahlfreiheit in dieser Richtung kann also nun wirklich keine Rede sein. Wir müssen daran arbeiten, daß sich die Wahlfreiheit für die Frauen in diesem Punkt als echte Chance ergibt.
({15})
Und dann, meine Damen und Herren: Wie wollen Sie- Wahlfreiheit ohne echte, greifende Angebote zu Auffrischungs-, Umschulungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen, verwirklichen?
({16})
Wie wollen Sie, verehrte Kollegen - hier sind besonders meine Koalitionspartner angesprochen -, Wahlfreiheit verwirklichen, wenn Sie fast nirgends mehr Ganztagsschulen anbieten können?
({17})
Wir waren Ende der 60er Jahre alle der Meinung - auch die Kollegen der CDU/CSU -, daß die Ganztagsschule eine Voraussetzung ist, um Wahlfreiheit zu ermöglichen. Zumindest als freiwilliges Angebot sollte sie da sein. Niemand will das zur Pflicht machen. Aber in jede Stadt, in jede Kreisstadt gehört das Angebot der Ganztagsschule, weil sonst von Wahlfreiheit für Frauen keine Rede sein kann.
({18})
Chancengleichheit in der Berufsausbildung - ich komme jetzt zum zweiten Punkt; ich muß ein bißchen überspringen -: Das quantitative und qualitative Ausmaß der Chancenungleichheit ist wiederholt angesprochen worden. Auch die wichtigen
Sonderprogramme für Frauen in gewerblich-technischen Berufen haben doch bei näherem Hinsehen außer einem gewissen quantitativen Fortschritt hinsichtlich der Zahl der Mädchen, die davon Gebrauch gemacht haben, qualitativ so gut wie keinen Fortschritt gebracht; denn in dem Bericht wird gesagt, daß hauptsächlich handwerkliche Kleinbetriebe solche Angebote machen. Damit können die Mädchen herzlich wenig anfangen.
Ganz kurz zur Bewertung der Fortschritte: Wir haben das Ausmaß der Bildungsdiskriminierung in den weiterführenden Schulen und in den Hochschulen weitgehend überwunden. Ich möchte Ihnen die entsprechenden Zahlen nennen, weil ich meine Kollegen von der CDU/CSU darauf aufmerksam machen möchte, die j a immer von der verfehlten Bildungspolitik und von einer viel zu weiten Öffnung unseres Bildungswesens sprechen. Ich habe es ausgerechnet: 1960 gab es 2,1 % Mädchen zwischen 19 und 26 Jahren, die studierten. Das waren in Zahlen ausgedrückt 67 000. 1980 waren es 12,3 %. Das waren in Zahlen ausgedrückt 366 000 Studentinnen. Das ist ein Zuwachs von sieben kompletten Universitäten in der Größe von München. 1983 waren es 460 000 Studentinnen. Das ist ein Zuwachs von neun Universitäten in der Größe von München. Und das nenne Sie eine verfehlte Bildungspolitik!
Das ist der Erfolg: die Voraussetzung für Chancengleichheit und Gleichberechtigung.
({19})
Jeder Bundeskanzler und jeder Minister, der das immer wiederholt und ständig im Munde führt, sollte sich, wenn er über Chancengleichheit von Frauen spricht, einmal genau überlegen, ob er es nicht auch positiv bewerten muß, daß in unserem Land auch für Mädchen Bildung ein Wert an sich geworden ist und kein Luxus mehr ist, den man nur den Jungen und Männern vorbehält.
({20})
Viertens: die aktuelle Gefährdung des Erreichten. Das geht vor allem die verehrte Ministerin Frau Wilms etwas an. 1975 haben noch 75 % der Abiturientinnen angegeben, daß sie studieren wollten, und das getan. Jetzt sind es nur noch 53 %. Bei Befragungen stellt sich dann ganz klar heraus: Es ist tatsächlich so, daß das fehlende BAföG Mädchen an dem nächsten Schritt ihrer Ausbildung hindert. Ich habe mich gefreut, daß der Bundeskanzler selber nachdenklich geworden ist, ob der BAföG-Kahlschlag eigentlich die richtige Remedur war.
({21})
Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß wir das noch einmal überprüfen müssen. Gerade unter den Mädchen gibt es große Begabungen. Alle Statistiken beweisen es: Sie haben bessere Noten, sie bleiben weniger sitzen, sie sind engagierter, nehmen mehr freiwillige Bildungsangebote wahr. Ich glaube, daß wir wertvolle Bildungsreserven wieder
nicht fördern, wenn wir die Frage des BAföG nicht noch einmal, und zwar sehr genau, überprüfen.
({22})
Meine Damen und Herren, reichen die laufenden Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit? Hier wird es Vorschläge zu diskutieren geben. Wir werden sie vorlegen. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß wir im Ausschuß ein bißchen konstruktiver über weitergehende Vorschläge diskutieren werden.
Ich habe - damit komme ich an den Anfang zurück - in diesen 36 Jahren festgestellt: Jeder Fortschritt, auch der kleinste, mußte von den Frauen erkämpft werden. Nichts wurde uns geschenkt, meine Damen und Herren.
({23})
Ich bin eigentlich weder pessimistisch noch besonders optimistisch, aber ich bin realistisch, daß wir weiterkommen, weil sich die Frauen hier im Bundestag, in der Gesellschaft, in der ganzen Welt rühren und versuchen, ihren Teil zu einem friedlicheren und menschenwürdigeren Zusammenleben beizutragen.
Mir sind zwei Dinge in Erinnerung, die ich zum Schluß sagen möchte. Ich spreche hier Resolutionen, Deklarationen und Erklärungen gegen Terror, Diktatur und Menschenrechtsverletzungen an. Ich habe, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in Argentinien während der Zeit der letzten Diktatur die stummen Frauen auf der Plaza de Mayo demonstrieren gesehen, die sich dort jeden Donnerstag versammelten. Heute muß ich Ihnen sagen: Diese Frauen, die das jahrelang Woche um Woche durchgehalten haben, haben mehr dazu beigetragen, die Menschenrechtsverletzungen, den Terror und die Folter anzuprangern, als alle Resolutionen zusammen.
({24})
Das waren Frauen, vor denen ich den größten Respekt habe.
({25})
- Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.
Als zweites möchte ich eine Begegnung mit der Mutter Teresa und ihren Frauen in Kalkutta erwähnen. Das war beinahe symbolhaft für unsere von den Männern bestimmte Welt - es ist kein Angriff, sondern nur eine Feststellung -: Frauen haben in der katholischen Kirche keinen Zugang zum Priesteramt, aber: den glaubwürdigsten Priester der Nächstenliebe, der Friedensliebe und der Feindesliebe verkörpert diese Frau.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich meine Ausführungen beginne, möchte ich folgendes anmerken, Frau Kollegin Hamm-Brücher. Sie waren vor dem Regierungswechsel in einer ähnlichen Funktion, in der ich heute bin. Ich kann mich gut daran erinnern, daß Sie sehr häufig für Ihren Minister hier reden mußten und in der übrigen Zeit auf der Regierungsbank saßen, während er andere Termine wahrnehmen mußte. So ist das heute auch.
({0})
Ich bin der Meinung, daß das Fernsehen nicht zum Maßstab gemacht werden kann, wer hier auf der Regierungsbank sitzt oder nicht sitzt. Wenn wir uns nämlich danach richten, können wir bald einpakken.
({1})
Eine weitere Anmerkung. Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich habe Ihre Aussage in bezug auf die Ganztagsschulen nicht verstanden. Wir sind nicht gegen Ganztagsschulen dort, wo sie angebracht sind. Wir sind für Ganztagsschulen in der Vielfalt, also auch in der Trägerschaft freier Träger.
({2})
So gesehen verstand ich Ihren Angriff auf unsere Ausführungen nicht.
({3})
Aufgabe ist es hier und heute, über den Sechsten Jugendbericht zu sprechen. Die Benachteiligungen, denen Frauen und Mädchen nach wie vor ausgesetzt sind, finden derzeit zu Recht verstärkt Beachtung. Der Bericht der Bundestags-Enquete „Jugendprotest im demokratischen Staat" hat sich besonders mit den Problemen von Mädchen und jungen Frauen in Ausbildung und Beruf beschäftigt.
Der Sechste Jugendbericht, der von einer unabhängigen Sachverständigenkommission erarbeitet wurde und dem die Bundesregierung eine Stellungnahme beigefügt hat, führt diese Diskussion in breitem Rahmen fort.
Die Bundesregierung begrüßt dieses allgemeine Interesse an den Problemen junger Mädchen und Frauen ausdrücklich. Dieses hat der Kanzler heute morgen selbst nachdrücklich ausgeführt. Sie hält es aber für nötig, in der Diskussion nicht nur auf die objektiv vorhandenen oder subjektiv empfundenen Benachteiligungen von Mädchen einzugehen, sondern auch die Chancen und positiven Möglichkeiten für die Lebensperspektiven der jungen Frauen von heute aufzuzeigen. Das Selbstverständnis und die Zukunftserwartungen von Mädchen und jungen Frauen unterscheiden sich heute deutlich von den Vorstellungen früherer Mädchengenerationen. Dies betrifft z. B. das Rollenverständnis im Zusammenleben von jungen Frauen und Männern. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit veröffentlichte Repräsentativun4714
tersuchung „Die verunsicherte Generation" beschreibt diesen Wandel folgendermaßen - ich zitiere -:
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es das Denken in Rollenstereotypen noch gibt, daß sich allerdings nur mehr eine Minderheit der 15- bis 30jährigen daran orientiert. Offensichtlich sind es vor allem Männer, die sich an traditionellen Rollenbildern orientieren, während Frauen sich in weitaus stärkerem Maße von klischeehaften Vorstellungen über die Rollenerwartungen von Mann und Frau entfernt haben.
Gewiß, meine Damen und Herren, werden Mädchen auch heute noch stärker als Jungen zur Hausarbeit herangezogen. Im ganzen sind aber die traditionellen Unterschiede in der Erziehung zwischen Mädchen und Jungen, wenn nicht verschwunden, so doch deutlich geringer geworden. Die Lebensentwürfe von Jungen und Mädchen haben sich stark angenähert. Beide Geschlechter suchen nach neuen Möglichkeiten gemeinsamer und gleichberechtigter Zukunftsbewältigung. Die Bundesregierung sieht und unterstützt diesen Wandel des Selbst- und Rollenverständnisses junger Frauen und ist bestrebt, ihren Teil zur Verwirklichung von mehr Chancengleichheit, von gleichberechtigten partnerschaftlichen Beziehungen beizusteuern.
Der Sechste Jugendbericht erweckt an verschiedenen Stellen den Eindruck, die Probleme von Mädchen seien wesentlich dadurch verursacht, daß, ich zitiere, „der familiale Zusammenhalt zur Zwangsjacke werden kann". Der Bericht wendet sich deshalb - ich zitiere - „gegen eine Verabsolutierung des Bildes von Familie, Leben und Partnerschaft" und spricht sich für „lebbare Alternativen" aus. Meine Damen und Herren, Familie als Zwangsjacke und Bedrückung, das mag vorkommen; die Regel dürfte es kaum sein. Mir scheint, daß der Bericht an dieser Stelle eher aus einem Gegenklischee heraus argumentiert. Eine Verabsolutierung der Familie kann ich nur in wenigen Fällen erkennen. Häufiger ist eher das Gegenteil der Fall. Eine kurzschlüssige und oberflächliche Kritik und Abwertung familiären Zusammenlebens. Viele Probleme von Jugendlichen im allgemeinen und von Mädchen im besonderen sind daher weniger eine Folge familiärer Enge und Unterdrückung, sondern eher eine Folge der Vernachlässigung in Familien, die diesen Namen nicht mehr verdienen und in denen Gemeinschaft und Zuwendung von Jugendlichen vergeblich gesucht werden.
Auch in ihren Berufserwartungen unterscheiden sich junge Frauen von der Generation ihrer Eltern. Der Wunsch nach Ausbildung und Erwerbstätigkeit hat heute ein ungleich größeres Gewicht als früher. Die Bundesregierung sieht und unterstützt diesen Wandel der Lebensperspektiven von Mädchen und jungen Frauen. Sie haben einen Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zum Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebot. Ihre berechtigten Zukunftserwartungen dürfen nicht am Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen scheitern. Im öffentlichen Bildungswesen haben die Mädchen
heute weitgehend gleichgezogen, j a, manchmal die Jungen überflügelt. Wir schätzen diesen Teil der Gleichberechtigung nicht gering ein und wollen ihn erhalten. Wir wissen, daß von Chancengleichheit im Arbeits- und Berufsleben noch immer nicht gesprochen werden kann. Aber auch hier sind Verbesserungen zu verzeichnen. So ist der Frauenanteil bei den Auszubildenden in den letzten Jahren ständig gestiegen. Wir dürfen die erfreulichen Ansätze und Entwicklungen nicht übersehen, nicht um nach wie vor bestehende Ungerechtigkeiten zu verharmlosen, sondern um den Mädchen und jungen Frauen Mut zu machen, für ihre Rechte und ihre Interessen einzutreten.
Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft für die weitere Verbesserung der Ausbildungschancen von Mädchen einsetzen,
({4})
indem sie auf die Bereitstellung einer hinreichenden Zahl qualifizierter Ausbildungsplätze drängt, indem sie in ihrem Sonderprogramm vom Oktober 1983 vorrangig Mädchen fördert, indem sie in Modellprogrammen zur Erschließung gewerblich-technischer Berufe die Ausbildungspalette für Mädchen erweitert. Dies, meine Damen und Herren, ist heute morgen ausführlich dargestellt worden; ich kann mir nähere Einzelheiten ersparen.
Wir wissen, daß die nach wie vor schwierige Arbeitsmarktlage Mädchen und Frauen besonders bedrückt. Der Schlußbericht der Bundestagsenquetekommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" weist einmütig darauf hin, daß das Problem der Jugendarbeitslosigkeit, abgesehen von den Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung, im wesentlichen nur im Rahmen einer allgemeinen Wiederherstellung der Vollbeschäftigung gelöst werden kann. Wer die Bedeutung von Arbeit und Beruf für die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen so stark betont wie der Sechste Jugendbericht, sollte eigentlich auch Verständnis dafür haben, daß zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Wiederherstellung eines höheren Beschäftigungsstandes auch manche schmerzhaften Maßnahmen ergriffen werden mußten. Mit einer Änderung des Beschäftigungsstandes verbessern sich überproportional auch die Berufs- und Arbeitschancen von Mädchen und Frauen. Die von uns allen, so meine ich, erstrebte wirtschaftliche Gesundung liegt daher in ihrem besonderen Interesse.
Die Bundesregierung will im Sinne des Sechsten Jugendberichts, daß auch die Jugendhilfe ihren Teil dazu beiträgt, „daß Mädchen die ihnen formal zugestandenen Rechte und Möglichkeiten ausschöpfen und sich selbst aktiv in die Gestaltung ihrer Lebenschancen einbringen". Der Beitrag der Jugendhilfe zu diesem Ziel ist begrenzt. Aber er ist auch nicht gleich null. Die Jugendhilfe hat dabei von der richtigen Feststellung des Jugendberichts auszugehen - ich zitiere -: „Ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was Mädchen zu tun und zu lassen haben, besteht nicht." Wenn der Bericht gegen angebliche „Typisierung von Weiblichkeit", gegen Frauenstereotypen und „Bilder von natürlichen
weiblichen Eigenschaften und Fähigkeiten" polemisiert, dann verfällt er seinem eigenen überholten Gegenklischee und widerspricht der zuvor zitierten Aussage. Auch die Jugendhilfe hat von jener neuen Rollenflexibilität auszugehen.
({5})
- Herr Kollege von den GRÜNEN oder von der SPD - ich kann es nicht so sehen -, ich zitiere hier. Das ist nicht von mir, es stammt alles aus dem Bericht. Von daher ist er j a auch so anschaulich.
({6})
- Ja, ja, hoffentlich haben Sie den gelesen. Dann brauchten Sie nämlich jetzt nicht dagegen zu schreien, sondern müßten mich, weil ich die gleiche Aussage gemacht habe wie Frau Huber, unterstützen und nicht schreien. Ich denke, wir sollten an diesem Punkt in Ruhe weiter miteinander diskutieren. Die Frauen haben das nämlich sehr gut gemacht im Gegensatz zu Ihren Zwischenrufen, die erstens polemisch sind und zweitens an der Sache vorbeigehen.
({7})
Meine Damen und Herren, der Jugendbericht bemerkt zu Recht, daß Mädchen auch in zahlreichen Feldern der Jugendarbeit nach wie vor unterrepräsentiert sind.
({8})
- Wir können uns unterhalten über Vorlesungen oder nicht Vorlesungen. Nur mit einem Unterschied: ich halte wenigstens eine vernünftige Vorlesung und kann richtig betonen im Gegensatz zu manchen anderen.
({9})
Der Jugendbericht bemerkt zu Recht, daß Mädchen auch in zahlreichen Feldern der Jugendarbeit nach wie vor unterrepräsentiert sind. Das gilt sowohl für die Zugehörigkeit zu Verbänden, Vereinen und Gruppen als auch im Blick auf ihre Beteiligung an Angeboten der Jugendarbeit. Besonders benachteiligt - man erwartet es kaum anders - sind Mädchen der sozialen Unterschicht sowie aus ländlichen Regionen und aus Ausländerfamilien. Dennoch ist die Folgerung des Berichts, daß trotz vorhandener Tradition von Mädchenarbeit die Jugendarbeit in Theorie und Praxis „Jungenarbeit" geblieben sei, einseitig. Eine solche pauschale Feststellung wird den Bemühungen vieler Gruppenleiter und Pädagogen nicht gerecht. So hat etwa der Deutsche Sportbund festgestellt, daß die Mädchen in ihrer Mitwirkung fast gleichgezogen haben. Und auch in vielen Bereichen der kulturellen Jugendarbeit kann von einer Unterrepräsentation kaum mehr die Rede sein. Der Bericht selbst stellt zutreffend fest, daß bei vom Jugendplan geförderten Kursen die Mädchen inzwischen ein „annähernd gleich großes Engagement, gemessen an der Teilnahme an den Seminaren, mitbringen wie die Jungen".
Der Sechste Jugendbericht greift auch erneut die Koedukationsdebatte auf. Er stellt das Prinzip der Koedukation in Frage. Er fordert eine verstärkte
Mädchenbildung und Mädchenarbeit in gesonderten Mädchengruppen zur Verbesserung der Chancengleichheit. Damit sollen Selbstbewußtsein und Selbstorganisation der Mädchen gegenüber bewußter und unbewußter Vorherrschaft der Jungen gestärkt werden. Eine entsprechende Ausbildung der haupt- und ehrenamtlichen Betreuer soll dieses Ziel unterstützen.
Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert, daß heute aus emanzipatorischer oder feministischer Sicht Überlegungen wiederaufgegriffen werden, die vor 20 Jahren als hoffnungslos reaktionär abgelehnt wurden. Ich kann mich mit diesen Überlegungen nur teilweise befreunden. Wenn sie die Koedukation ersetzen sollen, finden sie nicht unsere Zustimmung.
({10})
Dies wollen die Sachverständigen vermutlich nicht, aber das wird nicht ganz klar. Ich sehe keine prinzipiellen Hindernisse für die Förderung solcher Vorhaben. Angesprochen sind vor allem die Träger der Jugendarbeit und Jugendhilfe, die sich überlegen müßten, ihre Angebotspalette so zu erweitern und neu zu gewichten. Der vom Bundesjugendplan eingeschlagene Weg einer „Sowohl-als-auch-Linie" nach dem Grundsatz: so viel gezielte Hilfen für Mädchen wie nötig und so viel Koedukation für Mädchen und Jungen wie möglich, ist für solche Anliegen durchaus offen.
({11})
Ebenso wichtig und vielleicht schwieriger ist die Erziehung der Jungen zur Partnerschaft. Der Bericht weist zu Recht auf die Defizite bei den Jungen hin. Sie müssen noch viel lernen, um den Rechten und Interessen der Mädchen Raum zu geben und Gleichberechtigung zu akzeptieren. Wir müssen ihnen gemeinsam klarmachen, daß es für sie manchmal unbequemer und anstrengender werden kann. Ich habe Verständnis für die Meinung der Sachverständigen, diese Seite der Gleichberechtigung in diesem einen Bericht nicht noch zusätzlich behandeln zu können und sich auf die Analyse der Lebenssituation der Mädchen beschränken zu müssen. Gerade weil die schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung damit derselben Beschränkung folgt, möchte ich aber gerade diese Seite hier ausdrücklich betonen.
Die Bundesregierung hat wiederholt, so auch in ihrer Stellungnahme zum Sechsten Jugendbericht, erklärt, daß sie nicht von einem allgemeinverbindlichen Leitbild für den Mann oder die Frau ausgeht, ein Leitbild, das entweder Hausarbeit oder Berufstätigkeit bevorzugt. Sie hat betont, daß sie für die vollständige Chancengleichheit von Mädchen und Frauen eintritt, daß sie die dazu geeigneten und nötigen Maßnahmen ergreift und daß sie entsprechende Bestrebungen im vorpolitischen Raum unterstützt. Eine wirklich freie Wahl ist nur dann möglich, wenn gleichwertige Alternativen zur Entscheidung stehen. Über die politischen Konsequenzen dieses Grundsatzes ist hier heute morgen lang und breit diskutiert worden.
Auf ein Problem aber möchte ich nachdrücklich hinweisen: Es ist eine absurde Unterstellung, die Bundesregierung wolle die Frauen wieder mit aller Gewalt in Haus und Küche zurücktreiben. Es ist ebenso absurd, meine Damen und Herren, die Aufgabe innerhalb der Familie als eine Art Horrorfilm zu betrachten, der am besten im Interesse des Frauenschutzes verboten gehört. Diejenigen, die solche Horrorbilder verbreiten, müssen vor allem auf die Frage antworten, was sie mit kleinen Kindern zu tun gedenken. Der Sechste Jugendbericht, der ganz eindeutig die ganztägige Berufstätigkeit beider Partner favorisiert, widmet diesem Thema keine Zeile.
Ich muß gestehen, daß mir das Wohl der Kinder etwas mehr Schweiß und Nachdenken wert ist. Wer sich zum Thema Arbeitsteilung in Ehe und Familie äußert, darf sich nicht um die Anforderungen, die kleine Kinder an uns stellen, herumdrücken, schon gar nicht, wenn es sich um einen Jugendbericht handelt.
({12})
Die Bundesregierung hat den Sechsten Jugendbericht, Frau Huber, am 21. Januar 1983 von der unabhängigen Sachverständigenkommission zugestellt erhalten. Die Zeit, die wir zur Erarbeitung der Stellungnahme der Bundesregierung benötigt haben, hält sich im Rahmen des auch für frühere Jugendberichte Üblichen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die sich die Diagnosen des Berichts beziehen, sind vor allem von einer 13jährigen sozialdemokratischen Regierungsarbeit im Bund zu verantworten. Eine Stellungnahme zum Sechsten Jugendbericht ist daher immer auch ein Urteil über Leistungen und Versagen sozialdemokratischer Frauen- und Jugendpolitik.
Der Sechste Jugendbericht malt ein insgesamt düsteres Bild der Ungleichheit und Chancenlosigkeit von Frauen und Mädchen. Wer diese Diagnose teilt, wer sich, Frau Huber, mit dem Bericht identifiziert, der stellt sozialdemokratischer Politik ein denkbar schlechtes Zeugnis aus,
({13})
der bescheinigt den sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen - ich zitiere ({14})
„Inkompetenz in Frauen- und Mädchenfragen" in Umkehrung des Vorwurfs der SPD-Landesregierungen an die Bundesregierung.
Es ist kein konstruktiver Diskussionsbeitrag, den Sechsten Jugendbericht vollmundig zu loben, sich aber zu allen problematischen Empfehlungen des Berichts auszuschweigen. Zu diesen problematischen Empfehlungen zähle ich u. a. die gesetzliche Berufsbildungspflicht, die Quotierung von Ausbildungsplätzen, die Bindung öffentlicher Aufträge an Frauenförderungsplätze und die Ablehnung von Teilzeitarbeit. Wer den Bericht über den grünen Klee lobt, diese Fragen aber übergeht, der zielt auf eine Propagandaschau, nicht aber auf eine ernsthafte Auseinandersetzung in der Sache und auf praktikable Verbesserungsvorschläge.
({15})
Die Bundesregierung stellt sich dieser sachlichen Auseinanderstzung auch und gerade mit ihren kritischen Anfragen an den Jugendbericht. Wenn die Bundesregierung auf positive Entwicklungen, auf Verbesserungen der Lebenschancen von Mädchen und Frauen hinweist, anerkennt sie auch die Bemühungen und Leistungen ihrer sozialdemokratisch geführten Vorgängerregierungen - bei natürlich in Teilen unterschiedlichen Denkansätzen, Konzeptionen und Vorhaben. Sozialdemokraten tun gut daran, sich ihrer Mitverantwortung für die bestehenden Verhältnisse bewußt zu sein und nicht den Eindruck zu erwecken, als hätten sie mit all dem nichts zu tun.
({16})
- Doch, Sie rufen immer so dazwischen, daß ich den Eindruck habe, Sie wollen sich damit nicht identifizieren. Aber, lieber Kollege, 13 Jahre haben Sie regiert, und da müssen Sie sich auch der Verantwortung stellen.
({17})
Wir anerkennen das Engagement vieler Frauen für bessere Lebenschancen in schwierigen Zeiten, anerkennen ihren Einsatz sowohl in den herkömmlichen Frauenverbänden und -einrichtungen wie auch in den Gruppen der neuen Frauenbewegung. Wir wollen den Mädchen und jungen Frauen Mut machen und sie zum Handeln motivieren. Es besteht weder Anlaß zu Resignation noch Anlaß zu empörter Aufgeregtheit. Beides hilft nicht weiter. Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit belegen, daß mit Anstrengung, mit Augenmaß und mit langem Atem Verbesserungen möglich sind.
Ich wünsche mir im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit gerade über diesen Bericht eine lebhafte Debatte unter Beteiligung vielleicht auch der Gäste Frau Hamm-Brücher und Frau Huber, die ja leider nicht Mitglieder des Ausschusses sind.
({18})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Sechsten Jugendbericht und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu auf Drucksache 10/1007 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.
Inzwischen ist zu Tagesordnungspunkt 3 ein weiterer Entschließungsantrag vorgelegt worden, und
Vizepräsident Stücklen
zwar von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/1304. Für die beiden Entschließungsanträge auf den Drucksachen 10/1269 und 10/1304 ist Überweisung an die eben genannten Ausschüsse beantragt.
Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fünfter Sportbericht der Bundesregierung
- Drucksachen 9/1945, 10/538 Nr. 28, 10/1079 Berichterstatter:
Abgeordnete Büchner ({1}) Fischer ({2})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchner ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sportpolitische Entwicklung im Vorfeld der Olympischen Spiele von Los Angeles kann einen eigentlich nur mit Sorge erfüllen. Wieder einmal ist von Boykott die Rede, und täglich mehren sich die bedrohlichen Anzeichen.
({0})
Wann setzt sich denn endlich weltweit die Erkenntnis durch, daß der Sport immer verlieren muß, wenn man ihm Konflikte auflädt, die die Politik nicht zu lösen vermag.
({1})
Spätestens jetzt, meine Damen und Herren, wäre Gelegenheit, aus der Pleite des Olympiaboykotts von Moskau Lehren zu ziehen. Dazu müßte man allerdings die damalige Empfehlung der Politik und die mehrheitliche Entscheidung des Sports als Fehler erkennen und auch als Fehler eingestehen. Nicht nur dem Sport ist großer Schaden entstanden. Daraus sollte man wenigstens ein bißchen klüger werden.
Die Sommerspiele in Los Angeles bieten die Chance, daß erstmals seit über dreißig Jahren die USA, die UdSSR und die Volksrepublik China wieder gemeinsam an Olympischen Spielen teilnehmen. Wir appellieren an die Regierungen und an das Organisationskomitee in Los Angeles, gemeinsam mit den Gremien des olympischen Sports die ungeklärten Probleme umgehend zu lösen und
nicht täglich neue Schwierigkeiten aufzubauen. Einen nochmaligen Boykott oder auch nur einen Teilboykott würden, glaube ich, die Olympischen Spiele, die olympische Weltbewegung nicht überstehen.
({2})
Meine Damen und Herren, zwischen Sarajevo und Los Angeles wird die Frage diskutiert: Wo steht unser Spitzensport?
({3})
Daran gibt es eigentlich keinen Zweifel: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es günstige Voraussetzungen für die Förderung des Hochleistungssports. Von den Bedingungen her nehmen wir weltweit eine Spitzenstellung ein: 26 Bundesleistungszentren, 111 Bundestrainer, Sportförderungsgruppen und Sportkompanien bei der Bundeswehr, deren Bewährung sich gerade durch die Erfolge unserer Biathleten in Sarajevo bestätigt hat. Ein guter Rahmen ist geschaffen worden. Wie dieser Rahmen nun zur Vorbereitung unserer Athleten ausgefüllt werden sollte, wie die Möglichkeiten genutzt werden sollten, das wird derzeit im Sport diskutiert. Dort gehört diese Diskussion auch hin - in den Sport. Die Bundesregierung sollte sich hüten - hier wollte ich eigentlich Herrn Staatssekretär Spranger ansprechen -, sich als Obertrainer der Nation aufzuspielen.
({4})
Auch publikumswirksame Forderungen nach Streichung von Mitteln, die Herr Gerster unlängst verbreitet hat, sprechen von wenig Sachkunde. Wissen Sie, es ist keine Sportpolitik, wenn man nach der Methode „Medaillen für Volk und Vaterland - dann fördern wir den Sport" verfährt. Wenn das einmal nicht in gewünschter Weise eintrifft, dann vergißt man sportpolitische Grundsätze.
({5})
Wir Sozialdemokraten bauen auf das Prinzip des humanen Leistungssports und meinen damit den Sportler als den freien Menschen. Dazu gehört auch die schwache Leistung, dazu gehört auch das Versagen, meine Damen und Herren.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Tillmann?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Büchner, wären Sie vielleicht bereit, sich mit Herrn Kollegen Gerster einmal darüber zu unterhalten, ob er das, was Sie ihm unterstellt haben, wirklich gesagt hat?
({0})
Herr Tillmann, ich bin froh, wenn Sie das bezweifeln.
({0})
An Ihrer Sachkunde zweifle ich nicht. Er hätte das richtigstellen können, nur erscheint das dann nie in den Schlagzeilen. Da ist nur erschienen: „Zu wenig Medaillen - Mittel streichen".
({1})
Meine Damen und Herren, ich meine, Erfolge im Leistungssport - das ist unsere Überzeugung, und darin werden wir in der Praxis immer mehr bestätigt - sagen nichts über den sozialen und den humanen Wert einer Gesellschaft aus, nichts über Freiheit und Gerechtigkeit eines politischen Systems.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Bitte schön, Herr Kollege Klein.
Herr Kollege, wenn es so ist, wie hier dargestellt worden ist, wäre es nicht Sache des Herrn Gerster, von sich aus zu erklären, daß er dies nicht so gesagt und nicht so gemeint hat?
({0})
Dazu hätte er z. B. heute Gelegenheit. Wir werden sehen, ob er sie ergreift.
({0})
Wir dürfen - ich glaube, da sind wir einer Meinung - den Sport und die sportpolitischen Begegnungen nicht zu einem faden statistischen Wettkampf der Systeme verkommen lassen. Humaner Leistungssport meint den Schutz des Sportlers vor politischem und kommerziellem Mißbrauch, und er meint die Mitbestimmung der Athleten, übrigens auch die freie Meinungsäußerung der Sportler.
In diesem Zusammenhang muß man sich für manche unqualifizierten Bemerkungen aus den Reihen der CDU/CSU den Spitzensportlern gegenüber eigentlich schämen, die sich im vorigen Herbst für die Erhaltung des Friedens und gegen die Aufstellung von Raketen in Ost und West öffentlich engagiert haben.
({1})
Hier hat sich, Herr Kollege Tillmann, Ihr Mangel an Toleranz und Liberalität gezeigt.
({2})
Diese Sportdebatte ist wohl auch Anlaß, Zwischenbilanz zu ziehen. Eineinhalb Jahre ist diese
Regierung nun im Amt, und es wird immer deutlicher: Die Sportpolitik ist bei dieser Bundesregierung, besonders bei Ihnen, Herr Bundesminister Zimmermann, in schlechte Hände geraten. Die Partnerschaft zwischen Sport und Staat wird zusehends belastet. Vertrauen schwindet.
({3})
Daran ist Herr Zimmermann selbst schuld: mit seinem Mangel an Interesse und Präsenz und seinen nicht gehaltenen Versprechen.
({4})
Dabei, Herr Zimmermann, konnten Sie auf einer soliden Grundlage aufbauen. Im Sportausschuß haben wir einstimmig eine Entschließung verabschiedet, aus der hervorgeht, daß die in diesem Sportbericht dokumentierte Arbeit der früheren Bundesregierung die verdiente Anerkennung auf allen Seiten dieses Hauses findet, übrigens auch die Anerkennung im Sport.
Sie, Herr Bundesminister Zimmermann, sind jedoch gerade zackig dabei, dieses Kapital zu verspielen.
({5})
Bei der Umweltdiskussion z. B. sind Sie dem Sport in den Rücken gefallen.
({6})
Als durch einzelne Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen der Sport zum Umweltfeind gestempelt wurde, da haben Sie geschwiegen, Herr Bundesinnenminister.
({7})
Wahrscheinlich haben Sie das Problem der dramatischen Bedrohung noch gar nicht erkannt.
({8})
In Berlin fürchtet man, daß in der Konsequenz solcher Urteile bis zu 50 % der Sportanlagen stillgelegt werden können.
({9})
Sie haben damals geschwiegen. Mehr noch: Sie haben sogar ein „Aktionsprogramm Ökologie" herausgegeben, das in seiner Sportfeindlichkeit nur noch durch seine Banalität übertroffen wird.
({10})
Darin wird der Sport - hören Sie zu! - als „Hätschelkind der Kommunalpolitik" bezeichnet.
({11})
Es wird gefordert, Sportstätten zu schließen, weil
die Bevölkerungszahl abnehme. Und so geht es weiBüchner ({12})
ter. Solchen Unsinn haben Sie mit Ihrem Vorwort versehen und auf Staatskosten verbreiten lassen.
({13})
Der Sport hat Sie mit Recht heftig kritisiert. Er ist j a schließlich auch nicht gehört worden. Auch wir haben Sie heftig kritisiert. Es hat aber erst einer Kleinen Anfrage Ihrer eigenen Koalitionsfraktion bedurft, bis Sie sich vorsichtig abgesetzt haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege, ist Ihnen eigentlich nicht bekannt, daß das keine Stellungnahme von mir, sondern ein Gutachten ist, das von der Vorgängerregierung, von meinem Vorgänger in Auftrag gegeben worden ist
({0})
und vorgelegt werden mußte, weil man es ja nicht in der Schublade lassen kann, und das ein Vorwort enthält, in dem ich mich von dem Inhalt des Gutachtens ausdrücklich distanziere?
({1})
Herr Kollege Zimmermann, wenn es so wäre,
({0})
dann fragen Sie mal Ihre Kollegen, warum die eigentlich eine Kleine Anfrage dazu eingebracht haben. Allein die Tatsache der Kleinen Anfrage muß als eine schallende Ohrfeige betrachtet werden.
({1})
Obwohl ich sonst eigentlich ein Gegner der Prügelstrafe bin: Bei Ihrer Hartnäckigkeit hat offensichtlich nichts anderes geholfen.
({2})
Meine Damen und Herren, trotz dieser Enttäuschung mit Ihnen, hat der Sport immer wieder das Gespräch gesucht,
({3})
bei der Hauptausschußsitzung des Deutschen Sportbundes in Frankfurt - aber Sie sind nicht hingegangen -, bei der Deutschen Sportkonferenz in Mainz - auch dort haben Sie gefehlt -,
({4})
bei dem wichtigen Forum Sport und Umwelt in Berlin - auch dort waren Sie nicht. Sie haben sich stets mit Routineterminen entschuldigt.
Warum verweigern Sie eigentlich den Dialog mit dem Sport? Warum laufen Sie vor Ihrer Verantwortung davon?
({5})
Herr Zimmermann, Sie sagen, die Umwelt sei in Ihrem Ministerium die Rose, der Sport sei die Nelke. Wir haben angesichts dieser blumigen Sprache die Sorge, daß sich der Sport bei Ihnen auf einen dornenvollen Weg begeben hat.
Wir Sozialdemokraten sagen: Sport und Umwelt sind keine Gegensätze, und sie dürfen auch nicht dazu gemacht werden.
({6})
Der Sport braucht eine gesunde Umwelt als Voraussetzung. Und er tut auch etwas dafür. Er sägt sich doch nicht selber den Ast ab, auf dem er sitzt.
({7})
Genauso wie wir das gestiegene Umweltbewußtsein der Bevölkerung begrüßen, sind wir froh über die Anstrengungen des Deutschen Sportbundes, seiner Fachverbände und des Deutschen Alpenvereins, die in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet gemacht wurden.
Wir halten daran fest: Das Prinzip „Sport für alle" darf nicht gefährdet werden, indem Einzelinteressen zum Schaden des Gemeinwohls rigoros durchgesetzt werden. Wir sagen weiterhin j a zum Sport in den Wohngebieten, zum Sportplatz und der Sportstätte um die Ecke.
({8})
Und wir sagen auch zum Bau zusätzlicher Sportstätten ja, weil immer noch Mangel herrscht. Wir meinen, daß beim Neubau und beim Ausbau von Sportstätten Umweltverträglichkeitsgutachten erstellt werden müßten;
({9})
aber wir möchten keine Check-Listen haben. Um es einmal überspitzt zu sagen, Herr Kollege Schwarz: In Zukunft soll es nicht so sein, daß der Bau eines Sportplatzes komplizierter wird als der Bau eines Atomkraftwerkes.
({10})
Meine Damen und Herren, durch Ihre rigorose Finanzpolitik ist es für die Städte und Gemeinden immer schwieriger geworden, die Vereine zu unterstützen. Immer mehr Mittel werden gekürzt oder
Büchner ({11})
gestrichen. Schon ist die Unterhaltung von Sportstätten gefährdet.
({12})
Inzwischen wird wieder über die Beiträge der Vereine für die Benutzung von Sportstätten diskutiert. Das ist Ausfluß der Politik dieser Regierung.
({13})
In dieser Situation wären die Vereine dringend auf eine Stärkung ihrer finanziellen Kräfte angewiesen.
({14})
Sie haben Versprechungen gemacht, aber Sie haben nichts gehalten. Wann werden Sie einmal daran denken, die Pauschalen für die Übungsleiter und für die Vereine, die jetzt einige Jahre Gültigkeit haben, anzuheben? Versprechungen diesbezüglich haben Sie gemacht. Aber Sie handeln nicht.
Meine Damen und Herren, Sie in der Koalition werden uns an Ihrer Seite finden, wenn Sie in Zukunft eine Haushaltspolitik nach dem Prinzip „Sparen durch Sport" und nicht „Sparen am Sport" machen. An dem Haushalt dieses Jahres kann man nicht ablesen, ob Sie so handeln; denn darin sind die Olympia-Entsendungskosten enthalten. Die Nagelprobe wird der nächste Haushalt sein. Und da werden wir sehr genau aufpassen.
({15})
Ich möchte zusammenfassen: Bei Ihrer Sportpolitik, Herr Zimmermann, zeigt sich, wie schnell man etwas aufs Spiel setzen kann, was in jahrelanger Arbeit aufgebaut wurde.
({16})
Am meisten bedaure ich dabei, daß unter Ihrem persönlichen Verhalten die Partnerschaft zwischen Sport und Staat leidet.
({17})
Machen sie sich doch endlich einmal bewußt, daß Sie im Wort stehen. Sie haben Versprechungen gemacht, deren Einlösung jetzt gefordert wird. Ignoranz, Intoleranz und Verweigerungshaltung, mit diesen Eigenschaften machen Sie viel kaputt. Der Sport hat das nicht verdient. Wir - das brauche ich nach den Erfahrungen, die ich im Sportausschuß gemacht habe, gar nicht auf meine Fraktion zu beschränken - halten fest an einer guten Partnerschaft mit dem Sport, wo die auftretenden Probleme gemeinsam bewältigt werden können,
({18})
die Voraussetzungen für eine gute Unterstützung weiterhin gesichert und ausgebaut werden können und dabei vor allem von Bevormundung abgesehen wird. Eine solche Haltung wäre auch Ihnen, Herr
Zimmermann, dringend zu empfehlen. Auf die Sozialdemokraten jedenfalls wird sich der Sport auch in Zukunft verlassen können.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, daß ich als Berichterstatter einem Mißverständnis vorbeuge und einen Druckfehler berichtigen möchte. Einmal heißt es in Ziffer 3 der Beschlußempfehlung: „ ... dafür Sorge zu tragen, daß die mit Bundesmitteln errichteten Sporteinrichtungen von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz auch durch Sportvereine grundsätzlich kostenlos mitgenutzt werden können." Dies muß sich natürlich auch auf die Sportverbände erstrekken, soweit sie solche Einrichtungen unmittelbar in Anspruch nehmen möchten.
Das zweite: Im Bericht der Berichterstatter ist für den Berichtszeitraum der Bundesregierung anstatt richtig „Vier-Jahres-Rhythmus" fälschlich „Vierteljahresrhythmus" wiedergegeben worden. Wir wollten die Bundesregierung natürlich nicht dazu veranlassen, vierteljährlich einen neuen umfassenden Sportbericht vorzulegen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Als Berichterstatter haben Sie zwei Berichtigungen vorgeschlagen. Ist der Mitberichterstatter mit dieser Berichtigung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist also so im Bericht korrigiert.
Ich persönlich fand es nicht sehr fair, daß der Kollege Büchner in seinem Beitrag eine falsche Wiedergabe von Äußerungen des Kollegen Gerster, die dieser so nie getan und auch ausführlich schriftlich dementiert hat, in dieser Weise hier angesprochen hat.
({0})
Kollege Gerster ist nicht dafür verantwortlich, daß eine Sensationsmeldung in der Boulevard-Presse etwas umfassender und größer dargestellt wird als die Richtigstellung. Ich glaube, das Problem haben alle Politiker gelegentlich einmal. Das sollte man nicht diesem Kollegen anlasten.
Im übrigen, Herr Kollege Büchner, hätte ich es begrüßt, wenn Sie mehr zur Sache gesprochen und hier nicht irgendwelche künstlichen Kontroversen erzeugt hätten, die in der Arbeit des Sportausschusses, die dort gemeinsam geleistet wird, niemals eine Entsprechung gefunden haben und - wie ich hoffe - auch in der Zukunft keine Entsprechung finden werden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Unterstellung gegenüber dem Bundesinnenminister in puncto Sport
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 12. April 1984 4721
Fischer ({2})
und Umweltschutz ist schon durch eine Zwischenfrage des Ministers klargestellt worden.
({3})
Ich glaube, daß Sie besser daran getan hätten, hier darauf hinzuweisen, daß unter Ihrer Regierung dieses etwas unglückliche Gutachten in Auftrag gegeben worden ist, anstatt sich hier herzustellen und wider besseres Wissen anderen die Verantwortung dafür in die Schuhe zu schieben.
({4})
Das wird auch nicht dadurch besser, daß Sie unsere Kleine Anfrage, die überhaupt nichts mit dem Gutachten, sondern nur mit einer Reihe von Gerichtsurteilen, die landauf, landab zu dem Thema ergehen, etwas zu tun hat, damit noch in Zusammenhang bringen, was sachlich eindeutig falsch ist.
Meine Damen und Herren, Sport ist eine öffentliche Aufgabe. Wir wissen, wie die Sportselbstverwaltung stellvertretend für den Staat ganz wichtige sozial-, gesundheits- und bildungspolitische Aufgaben wahrnimmt. Ich glaube, daß diese Aufgaben, wenn es die Sportselbstverwaltung nicht gäbe, originär vom Staat erfüllt und finanziert werden müßten. Wir sind uns sicherlich alle darin einig, daß dies den Staat sehr viel mehr kosten würde, als es heute der Fall ist. Der große Bereich ehrenamtlicher, kostenfreier Arbeit und die vielen, vielen Spendenmittel und Beiträge unserer Bürger, die dies organisieren helfen, würden dann wegfallen. Deswegen sollten wir dort, wo der Sport die staatliche Unterstützung braucht, auch ganz eindeutig sagen: Hier handelt es sich nicht um eine freiwillige, sondern um eine pflichtgemäße Finanzierungsaufgabe des Staates.
Wir teilen gewiß gemeinsam in unserem gesellschaftspolitischen Verständnis den Grundsatz, daß die Sportselbstverwaltung autonom und politisch unabhängig ist und bleiben muß. Deswegen finde ich es bedauerlich, wenn z. B. im Rahmen der Sportjugend gelegentlich die Inanspruchnahme eines allgemeinpolitischen Mandats reklamiert wird, wodurch Kinder und Jugendliche, die sich zur Sportausübung einem Verein anschließen, für andere Zwecke mißbraucht werden. Ich glaube, dies kann nicht im Interesse des Sports liegen.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird in diesen Jahren viel über Bürgerinitiativen gesprochen. Wir sollten mit dieser Debatte zum Ausdruck bringen und dies selbstbewußt sagen, daß die Sportbewegung in unserem Lande die mit Abstand größte freie Bürgerinitiative der Bundesrepublik Deutschland ist.
({6})
- Da möchte ich, Herr Kollege Fischer, erst einmal die konkurrierende Bürgerinitiative sehen,
({7})
die fähig ist, zu einem gemeinsamen Zweck 16, 17, 18 Millionen Menschen zu versammeln und zur Tätigkeit zu bringen.
({8})
Wir können gar nicht ausreichend Dank und Anerkennung für die großartige Aufbauleistung dieser Sportbewegung sagen. Wir können und müssen von dieser Stelle auch für das vergangene Jahr für hervorragende sportliche Erfolge unseren Dank und unsere Gratulation aussprechen.
({9})
Wir verstehen Autonomie des Sports so, daß staatliche Finanzierung subsidiär begriffen werden muß, d. h. als Hilfe zur Selbsthilfe. Wir sehen überall dort Probleme - wie z. B. in einigen Bereichen des Leistungssports -,
({10})
wo staatliche Finanzierung annähernd 100 % ausmacht; nicht, weil wir wegen dieser Zuwendung Probleme sehen, sondern weil wir Probleme mit der Autonomie des Sports sehen. Das wird dort sicherlich ebenso begriffen.
Wir bekennen uns zum wechselseitigen Erfordernis ebenso wie zum gegenseitigen Spannungsverhältnis von Breiten- und Spitzensport, und wir wünschen Spitzensport in einer humanen Form.
Ich will nicht verschweigen, daß wir einige Probleme damit haben, daß etliche internationale Großveranstaltungen im Bereiche des Sports für viele Länder kaum noch finanzierbar sind, mehr und mehr in eine Gigantomanie ausarten und auch bei uns unter diesen Umständen schwer den Konsens der Steuerbürger finden würden.
Die innerdeutschen Sportbeziehungen sind insgesamt unbefriedigend. Wir appellieren eindringlich an Bundesregierung und Deutschen Sportbund, gemeinsam alles zu versuchen, um in diesem Bereich den Austausch zu intensivieren. Insbesondere würden wir es begrüßen, wenn in den innerdeutschen Sportkalender bisher benachteiligte Bereiche wie die mittleren Spielklassen, der grenznahe Bereich, der Jugend- und Studentensport, die Sportwissenschaft und auch einige bisher nicht beteiligte Sportarten einbezogen werden könnten.
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Es entspricht unserem Bekenntnis zu Berlin, wenn wir dafür werben, möglichst viele nationale, binationale und multinationale Sportveranstaltungen dort abzuhalten.
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Im Bereich der sportlichen Entwicklungshilfe würden wir es begrüßen, wenn man die Zuständig4722
Fischer ({13})
keitsabgrenzung, die Effizienz, die Abstimmung der Programme verbessern könnte. Die beteiligten Bundesministerien müssen diese Überpüfung durchführen. Ich weiß, daß Gespräche bereits im Gange sind. Wir hoffen, daß sehr bald befriedigende Ergebnisse vorgelegt werden können. Wir möchten in dem Bereich in der Zukunft eine stärkere Mitwirkung der deutschen Sportorganisationen. Dies kann der Sache nur förderlich sein.
Zum Bund-Länder-Verhältnis in der Sportpolitik hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Sportbericht die Verbesserung dieses Verhältnisses dankbar anerkannt. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß sich die Zusammenarbeit des Bundesinnenministers mit der Sportministerkonferenz der Länder erheblich verbessert und intensiviert hat.
Im Gegensatz dazu, meine Damen und Herren, sind die Ergebnisse der Deutschen Sportkonferenz bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Man ist der Aufgabenstellung nicht gerecht geworden und teilweise ist die Deutsche Sportkonferenz bis zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Wir sollten alle Möglichkeiten einer Wiederbelebung nutzen; vielleicht ist die neue Satzung ein gewisser Hoffnungsträger.
Wir müssen den Bundesanteil an der Finanzierung der Sportförderung langfristig sicherstellen. In diesem Zusammenhang ist der Bundesregierung sehr dafür zu danken, daß sie das Niveau der Sportförderung auch in finanziell schwieriger Zeit hat halten können.
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Dies sollten wir, Herr Kollege Büchner, auch für Länder und Gemeinden fordern. Allerdings ist dies insbesondere in einigen SPD-geführten Ländern - ich denke hier an mein Heimatland Hamburg - keineswegs der Fall.
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Dort finden vielmehr im Sportetat drastische Kürzungen statt, die im Etat des Bundes von uns nicht vorgenommen worden sind.
({16}) Sie sollten hier also etwas vorsichtiger sein.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir hinsichtlich des Behindertensports davon ausgehen müssen, daß der Leistungssport für die Behinderten immer bedeutsamer wird. Wir wissen, daß Wettkämpfe das Leistungs- und Selbstbewußtsein auch dieser Menschen stärken können. Wenn sich etwa 6 000 Behinderte in der Bundesrepublik Deutschland heute als Leistungssportler - 200 sogar als Hochleistungsathleten - sehen, dann müssen wir dies sehr ernst nehmen und die Erfahrungen, die man gewinnt, z. B. bei der Weiterentwicklung von Rollstühlen, durchaus auch positiv nutzen.
Es ist erstrebenswert, im Leistungssportbereich - unter Beachtung der speziellen Bedürfnisse der Behinderten - eine Gleichstellung zu erreichen. Wir wissen, daß Behindertensport eine wichtige individuelle Lebenshilfe ist. Ich finde es erfreulich, daß die Bundesrepublik Deutschland das Land in Europa ist, in dem mit etwa 120 000 behinderten Sportlern die größte Zahl an behinderten Sportlern erreicht worden ist; Schweden liegt mit 50 000 an zweiter Stelle. Ich glaube, wir können uns im europäischen Vergleich insoweit sehr wohl sehen lassen.
Wir bedauern, daß die Mittel im Bundesversorgungsgesetz für 1984 nicht aufgestockt werden konnten.
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Ich weiß aber, daß eine entsprechende Änderung der Rechtsverordnung zur Anpassung dieser Mittel an die gestiegenen Lebenshaltungskosten ebenso in Vorbereitung ist wie die damit verbundene Aufstokkung der Haushaltsmittel für das Haushaltsjahr 1985; der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung hat uns dies mitgeteilt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, daß die Kollegen der SPD-Fraktion hier keinen zu strengen Maßstab anlegen sollten. Insbesondere sollten sie, um das sportlich zu sagen, die Latte nicht zu hoch legen, die sie - ausweislich der Zahlen des 5. Sportberichts - zu ihrer Regierungszeit immer gerissen hätten. Dies beweist, daß nur eine solide Finanzpolitik wirklich sozial ist.
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- Herr Kollege Büchner, wir hätten natürlich auch ganz gern - wie Sie nach 1969 von dem damaligen Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß - wenig Staatsschulden und volle Kassen übernommen. Aber Sie können uns jetzt nicht die Verantwortung dafür zumessen, daß wir hier nicht steigern konnten. Denn Sie haben uns völlig verrottete Staatsfinanzen hinterlassen.
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- Aber, Herr Kollege Amling, ich habe angedeutet: Sobald finanziell etwas Luft da ist, 1985, werden wir einen entsprechenden Schritt tun.
Ich will zu der Frage der sportmedizinischen Betreuung nur Weniges sagen. Wir fordern in der Entschließung, daß neben dem Bereich Herz/Kreislauf in der Zukunft die orthopädische Betreuung verstärkt wird.
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Wir sind eindeutig gegen Exzesse im Doping-Bereich und im Kinderleistungssport. Wir fordern, daß die von der Bundesregierung - das haben Sie ja auch nicht zuwege gebracht - angekündigte Aufnahme der Sportmedizin in die ärztliche Approbationsordnung unverzüglich verwirklicht wird. Wir wünschen, daß sämtliche sportwissenschaftlichen Forschungsprojekte koordiniert werden und ihre praxisorientierte Umsetzung sichergestellt wird.
Der Sport verdient ein hohes Maß an gesellschaftlicher Anerkennung. Die wichtige ehrenamtliche gemeinnützige Arbeit - ich glaube, darin sind
Fischer ({21})
wir uns im Grundsatz einig - verlangt auch eine steuerpolitische Berücksichtigung. Wir haben
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das in unserer Beschlußempfehlung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt Konkretisierungen vorzulegen in Anlehnung an die Empfehlungen, die der Deutsche Sportbund hierzu gegeben hat. Das wäre auch finanzpolitisch nützlich, weil damit 60 000 gemeinnützige Turn- und Sportvereine ihre Arbeit verstärkt eigenfinanzieren können.
Der Sport bietet hervorragende Integrationsmöglichkeiten: für Jugendliche, Arbeitslose, Ausländer, Senioren, im Bereiche des Strafvollzugs und im Bereiche der Schichtarbeit kann einiges verbessert werden. Diese Gruppen haben in ihrer Problemstellung untereinander nichts gemeinsam. Aber sie sind alle mit spezifischen Problemen belastet. Wir wünschen, daß durch zusätzliche Programme etwas getan wird.
Von „dpa" haben wir gehört, daß der Deutsche Fußballbund Arbeitslosen für das Olympia-Qualifikationsspiel gegen Frankreich in Bochum einen Preisnachlaß gewährt.
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Wir begrüßen das sehr. Wir wissen, daß viele Vereine auch schon mit einem Beitragsnachlaß für diese Gruppe operieren. Viele Programme sind für diese Problemgruppen von den Verbänden und Vereinen aufgelegt worden. Ich wünsche mir, daß hier in der Zukunft noch einiges mehr geschieht.
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Zum Schluß: Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, künftig im Sportbericht die Perspektiven der weiteren Entwicklung vermehrt darzustellen.
Wir bitten Sie, der heute vorgelegten gemeinsamen interfraktionellen Entschließung zuzustimmen, weil der Bundestag damit Gelegenheit erhält, erneut ein gemeinsames Bekenntnis zu unserer großen und, wie ich meine, großartigen Sportbewegung abzulegen. Wir werden im Sportausschuß bemüht sein, den Vollzug dieser gemeinsamen Entschließung auf Grund eines jährlichen Berichtes der Bundesregierung zeitnah zu kontrollieren.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde! Als ich vor 20 Jahren noch aktiver Zehnkämpfer war, hätte ich nicht gedacht, hier einmal die alternativen Ansätze eines grünen Sportverständnisses vorstellen zu können. Inzwischen habe ich selbst einige Entwicklungen im Sportbereich hier, aber auch in der Dritten Welt durchgemacht, vor allem zehn Jahre lang als Sportlehrer im Kampf für einen alternativen und mehr Spaß machenden Sportunterricht.
Wir wollen die Debatte über den Sportbericht der Bundesregierung zum Anlaß nehmen, einmal etwas Grundsätzliches zum Sport von grüner Seite zu sagen. Es hat sich ja herumgesprochen, daß der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Fast alle gesellschaftlichen Probleme finden sich im Sportbereich wieder. Ich möchte nur ein paar Beispiele nennen: entfremdete Arbeit, Umweltzerstörung, Patriarchat, Kommerzialisierung oder die Frage der Gewalt. Es ist naheliegend, daß wir als ökologische Partei zuerst etwas zum Thema Umwelt sagen.
Sport wirkt - ob er es will oder nicht - immer umweltschädigender. Zu nennen ist in vorderster Linie der alpine Skisport. Was da schon jetzt an Erosions- und Vegetationsschäden aufgetreten ist, hat etliche schöne Alpengegenden schon beinahe verwüstet. Das soll so weitergehen. Denken Sie nur an die geplante Winterolympiade 1992 in Berchtesgaden. Wir meinen, daß es genug Lifte gibt für den höchst energieintensiven Skisport und daß kein Baum mehr für diesen weißen Götzendienst geopfert werden darf.
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Alternativen müssen natürlich gefunden werden: etwa Skilanglauf oder Hochgebirgsskitouren mit dafür qualifizierten Skilehrern. Das haben wir j a in den Hohen Tauern mit dem Alpenverein besprochen.
Aber auch der Motorsport in allen seinen Schattierungen steht dem nicht nach. Durch den Wassersport werden Biotope geschädigt. Zu Lande haben wir sowieso schon viel zuviele Altarflächen für den Motorenkult verbaut. Bei den Motorfliegern sind neben der Energieverschwendung vor allem Lärmbelästigungen bekannt.
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Hier muß schnellstens Einhalt geboten werden, vor allem durch konsequentes Nachdenken über Sport und Energievergeudung.
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- Es geht nicht an, Joschka, daß nur zum Vergnügen kostbarste Ressourcen verpuffen, während an anderer Stelle des Planeten bittere Armut herrscht.
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Aber die allgemeine Umweltkrise hat auch Auswirkungen auf den Sport. Der heutige Bewegungsmangel kann nur noch durch sportliche und damit ausgleichende Betätigung befriedigt werden. Da setzt die Umweltverschmutzung schon ganz klare Grenzen: In vielen Flüssen ist kein Schwimmen mehr möglich, in den Städten ist bald kein Sport mehr im Freien möglich, viele Landschaften sind zubetoniert oder eingezäunt. Als Paradebeispiel kann ich da die heute eröffnete Startbahn West nennen.
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Hier können Sport und damit echte sportliche Bewegung nur dann wieder eigenständig möglich sein, wenn sich die gesamte Lebensweise geändert hat.
Was heißt nun für uns, sich im Sport ökologisch zu orientieren? In erster Linie bedeutet das: keine weitere Zerstörung der Umwelt durch Sportmaßnahmen zuzulassen; Zurückdrängen der jetzt schon feststellbaren Schäden. Konkret soll auf eine Einschränkung des alpinen Skisports hingearbeitet werden. Der gesamte Motorsport sollte keine weitere Unterstützung erhalten.
Auch Sportler sollten in ihrer Gesamtheit umwelt- und damit auch körperbewußter werden. Sie sollten vor allem auch im Hinblick auf die Begrenztheit der Ressourcen energiebewußter Sport treiben.
Nach der Begrenztheit des Sports durch die immer mehr geschädigte Umwelt nun ein paar Gedanken zur Grenze im Sport selbst. Ich meine die Grenze der sportlichen Spitzenleistungen. Ökologisch denken heißt hier, die Grenzen einer Höchstleistung unter natürlichen Bedingungen und Gegebenheiten einfach anzuerkennen. Wenn in einer Sportart die Olympiasieger Kinder sein müssen, wenn pharmakologische Hilfsmittel eingesetzt werden, wenn der technische Trainingsaufwand immer höher wird - z. B. durch die Leistungszentren -, wenn Winter- und Sommersportler wechselseitig in andere Kontinente zum Training fliegen müssen, wenn schon Kinder sechs Stunden am Tag trainieren müssen, dann ist die Welt des Sports nicht mehr in Ordnung.
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Hier müssen wir umdenken. Es muß weniger auf das Prinzip der Höchstleistung als auf die Ermöglichung von Kommunikation abgehoben werden. Alle sind aufgerufen, hier nach neuen Lösungen zu suchen - Stichwort: Regelveränderungen.
Lassen Sie mich etwas zum Stichwort „soziale Offensive im Sport" sagen. Wenn man sich die Spalten des Sportteils einer Zeitung ansieht, dann stellt man fest - natürlich neben oder besser: unter den teuersten Beinen der deutschen Nation; 10 Millionen für Rummenigge, welch ein Skandal! -, daß bei uns die Kinderarbeit wieder zur Regel wird. Ich meine im speziellen die jungen Turnerinnen. Aber auch beim Schwimmen und anderen Einzelsportarten hält der Trend an. Wer mehrere Stunden am Tag hart trainiert, ständig zwischen Schule und Sportstätte hin- und herpendelt und dann auch noch über Wochen im Leistungszentrum kaserniert wird, muß ein sozialer Außenseiter werden. Als Sportlehrer sage ich hier: Dafür sollte es keinen Pfennig Unterstützung mehr geben.
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Es scheint sogar ein regelrechtes Verbot dieser Kinderarbeit angebracht zu sein. Was sagte Yvonne Hauck: Sport ist nicht alles im Leben. Recht hat sie!
Noch eines zeigen die Sportseiten: Behindertensport - Fehlanzeige. Dieses Nichtbeachten gilt nicht nur für die Berichterstattung. Gerade auch im Sport werden Behinderte ausgegrenzt, an den Rand gedrängt, nicht wahrgenommen und mit ihren Problemen alleingelassen.
Diesen Trend wollen wir stoppen. Uns liegt einiges daran, daß Behinderte und Nichtbehinderte lernen, gemeinsam Sport zu treiben und zusammen Freude an Bewegung und Körpererfahrung zu haben. Dazu taugt aber das herrschende Leistungs- und Auslesesystem des Sports nicht. Hier sind andere Prinzipien, wie Solidarität und Gemeinschaftssinn gefragt. Solche Bestrebungen sollten unterstützt und gefördert werden, zu solchen Angeboten sollten auch die Vereine Geld für Betreuung und geeignete Übungsleiter bekommen. Das wäre echte soziale Offensive.
In diesem Zusammenhang muß ich auch etwas zur Absage der Behindertenolympiade in Illinois sagen. Herr Reagan hatte dazu die Schirmherrschaft übernommen. Es ist ein Skandal, daß ein Land, das einen Rüstungsetat von Hunderten Milliarden DM hat, nicht in der Lage ist, die geringe Summe von nur einer Million DM dafür aufzubringen. Ein Skandal!
Ein Wort noch zu den Olympischen Spielen. Ich war jahrelang recht skeptisch gegenüber diesen Zielen eingestellt. Sie sind gigantisch geworden, politisch ausgenutzt worden, und dieses mal werden sie so kommerziell ausgenützt wie noch nie zuvor. Doch angesichts der atomaren Bedrohung meinen wir, daß der völkerverbindende Aspekt der Olympischen Spiele so aktuell wie nie zuvor geworden ist. Coubertins Idee mit der Einladung des Geistes sollte wirklich ernst genommen werden, d. h. Olympische Spiele müßten echte Stätten der menschlichen Begegnung und Forum für eine ausgiebige Friedensdiskussion sein. Außerdem gilt auch hier das vorhin Gesagte: Olympische Spiele müssen ökologisch verantwortbar sein, lieber weniger und inhaltlich besser. Wir sind für ein olympisches „small is beautiful". Im übrigen ist es mir vollkommen egal, wie viele Medaillen die deutschen Sportler in Los Angeles bekommen.
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Wichtig ist, daß unsere Sportlerinnen und Sportler andere Menschen, gerade auch aus Ostblockländern, kennenlernen und auch den Mut haben, mit ihnen über Atomraketen zu sprechen. Nur durch den Dialog von unten können wir die machtbesessenen Militärtechnokraten auf dieser Welt zur Vernunft bringen. Aus diesem Grund begrüßen wir auch die Initiative „Sportler gegen Atomraketen, Sportler für den Frieden". Sie haben auch diese blauweiße Plakette herausgebracht.
Aber der Friede fängt zu Hause an. Sport, die schönste Nebensache der Welt, kann bei uns zuweilen ganz schön gewalttätig sein. Er kann aus jungen Menschen Frühinvalide und aus Freunden Feinde machen. Die Ausschreitungen zwischen Fan-Klubs der Bundesliga und international bekannte Beispiele roher Gewalt stecken wohl wirklich im sportSchwenninger
eigenen Konkurrenzprinzip. Die vergebliche Suche nach eigener Identität und eine verständliche Nofuture-Motivation tun da ihr übriges. Es ist gut, daß die oben erwähnte Initiative auch dieses interne Friedensthema diskutiert, etwa unter dem Aspekt, wie man der Gewalt im Sport begegnen kann, wie man gegen Ausländerfeindlichkeit in den Stadien angehen kann, aber auch wie unsere Gesellschaft allgemein lebenswertere Strukturen bekommen kann. Hier diskutieren wir gern mit.
Ein weiterer zentraler Punkt liegt mir persönlich sehr am Herzen: die internationalen Kontakte und, spezieller, die Sportbeziehungen zu Ländern der Dritten Welt. Internationale Wettbewerbe und unsere Trainerexporte sind das Spezialgebiet der auswärtigen Kulturpolitik, und, obwohl damit jede entwicklungspolitische Zielrichtung unterlaufen wird, steigt dieser Etat gegenüber der eigentlichen Entwicklungshilfe. Immerhin werden dort Schul- und Hochschulprojekte gefördert. Auch hier kann ich nur sagen: keine weiteren Gelder mehr, sportliche Auslandsbeziehungen nur unter entwicklungspolitischer Zielsetzung. Ein sinnvolles Beispiel, das ich selbst gesehen habe, will ich nennen: das deutsche Projekt in den Slums von Lima in Peru.
Wo sehen wir nun die Momente eines neuen und anderen Körperbewußtseins? Sehen Sie, das fängt bei der Zunahme der Jogakurse an, Meditations-, Massageangebote, die zunehmenden fernöstlichen Sportarten, Jazztanz, afroasiatische Folklore. Langsam beginnt auch bei uns die New-Games-Bewegung Fuß zu fassen. Einige der Gruppen machen schon mit bei „Mitmachzirkus", „Bewegungsbaustelle" oder „Traumfabrik"; aber auch innerhalb der DSB-Vereine vesuchen einzelne, der Leistungsmaximierung und Kraftbolzerei etwas Sanfteres entgegenzusetzen.
Ein Beispiel aus unserer Schulzeit. Wir haben uns im Kollegium dafür eingesetzt, endlich von diesen stupiden Bundesjugendspielen wegzukommen, bei denen keiner mehr Spaß hat, geschweige denn überhaupt noch mitmacht. Wir haben Spielfeste, alternative Spiel- und Sporttage organisiert. In diese Richtung müßte der Sport weitergehen.
Ich komme langsam zum Schluß.
Herr Abgeordneter, langsam geht es jetzt nicht mehr.
({0})
Sie haben 10 % Rabatt von mir.
Man wird ja hier gehetzt. Das ist ja schlimmer als auf der Aschenbahn.
Aber solche Experimente sind bedroht von den Pädagogen, für die olympischer Sport immer noch ein ganz wichtiges Erziehungsmittel ist. Wir können die vielen Sportlehrer, die neue Wege im Sportunterricht gehen wollen -
Herr Abgeordneter, bei aller Toleranz, es ist nicht mehr. möglich. Bitte schön, Sie sind jetzt bei 13 Minuten.
13 Minuten ist eine Glückszahl. Ich wollte nur sagen, wir werden dann dieser Empfehlung nicht zustimmen wegen der nun vorgeführten Argumente.
({0})
Ich bitte um Verständnis.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Fischer, die Frage, ob die „Eintracht" absteigt, ist eine Frage der Leistung und nicht der allgemeinen Betrachtungsweise. Das entscheidet sich am Ende der Saison und nicht hier in der Debatte. Aber ich freue mich, daß Sie als Frankfurter über so viel Humor verfügen, diese Frage hier einzubringen und mir damit Gelegenheit zu geben, zu sagen, daß ich überzeugt bin, daß sie es schaffen wird.
Herr Kollege Schwenninger, Sie haben hier eine Reihe von Überlegungen angestellt, die natürlich nicht im Widerspruch zum Sport, zum Leistungssport stehen. Es zeichnet ja gerade diese freie Gesellschaft aus, daß das, was unsere Sportvereine, unsere Sportverbände anbieten, von 16 oder 18 Millionen angenommen wird und daß das, was Sie für richtig halten, in unserer Gesellschaft ebenfalls möglich ist, daß sich das gegenseitig nicht ausschließt. Ich würde aber nicht so weit gehen, zu sagen, das andere muß deshalb in diese Richtung gedrängt werden. Überzeugungsarbeit kann man jederzeit leisten und versuchen, diese Gesichtspunkte mit durchzusetzen. Wir haben nichts dagegen.
Wenn Sie mit Recht davon gesprochen haben, daß der Sport auch unsere Gesellschaft widerspiegelt, dann würde ich gerade in dem Sport einen Beweis sehen, wie viele Menschen in dieser Gesellschaft individuelle Leistung bringen wollen, ihre eigene Leistungsbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis stellen wollen, natürlich nach dem Vermögen jedes einzelnen und nicht nur nach dem angestrebten höchsten Ziel. Ich sehe darin gar keinen Widerspruch zu unserer Gesellschaft, sondern im Gegenteil, ich sehe darin einen Ausdruck, wie in dieser Gesellschaft die Bereitschaft zur Leistung vorhanden ist. Mit Recht haben Sie darauf hingewiesen, daß man mit dem, was - ({0})
- Ach Gott, wissen Sie, was Schwachsinn ist und was nicht Schwachsinn ist, die Beurteilung überlasse ich anderen. Wenn Sie die DDR anführen, so ist das doch gerade der Unterschied zu unserer Gesellschaft. Bei uns kann ein jugendlicher Sportler oder eine Sportlerin, die einmal gewonnen haben, aufhören und sagen: Ich mache Schluß, ohne daß sie einen gesellschaftspolitischen Nachteil in unserer Gesellschaft haben. In der DDR können sie das nicht so einfach sagen; denn damit haben sie gesell4726
schaftspolitische Nachteile. Deshalb war das, was Sie sagten, absoluter Schwachsinn.
({1})
Sie haben darauf hingewiesen, Herr Kollege Schwenninger, daß es Ihnen egal sei, wieviel Medaillen da gewonnen werden. Gut, das ist Ihr Standpunkt; ich verstehe das. Ich sage Ihnen ganz offen, ich freue mich über jede gewonnene Medaille. Sie wird für mich der alleinige Maßstab für den Sport nicht sein. Aber das Streben nach einer Medaille, der Wille, seine eigene Leistung zu bringen, ist mit ein Beweis dafür, daß Menschen bereit sind,
({2})
sich zu engagieren und daß sie mit der Medaille für den Breitensport oft so viel Anregung, so viel Motivation geben, daß andere bereit sind, diese Sportart auch zu betreiben.
({3})
Deshalb muß ich die Leistung auch mit als eine Motivation für den Breitensport sehen.
Ich bin mit all denjenigen einverstanden, die davon sprechen, man müsse aufpassen, daß die Olympischen Spiele nicht zu einer reinen Kommerzialisierung werden. Ich bedaure, daß in Los Angeles vieles in diese Richtung geht.
Ich teile die Meinung, daß es nicht gut ist, daß das Jugendlager und die Behindertenolympiade in Frage gestellt werden.
({4})
Ich freue mich darüber, daß Übereinstimmung besteht, alles zu tun, um ein Jugendlager zu ermöglichen und bei den Behindertenspielen Hilfestellung - in welcher Form auch immer - zu leisten, damit sie stattfinden können. Das sehen wir alle gemeinsam so, und wir wären sehr froh, wenn dies auch möglich ist. Die Aufforderung, sich selbst mit einzusetzen, ist j a auch über die Medien verbreitet worden. Ich bin deshalb guter Hoffnung, in beiden Punkten doch noch zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Kollege Büchner hat im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen die Sorge zum Ausdruck gebracht, wie es mit eventuellen neuen Boykottüberlegungen aussehen könnte. Ich habe gerade noch eine Meldung erhalten. Darin heißt es, es sei zwar kein Boykott vorgesehen, aber möglicherweise wird eine nicht vollständige sowjetische Mannschaft nach Los Angeles fahren. Ich sage in aller Offenheit und mit allem Freimut: Mir ist es 1980 verdammt schwergefallen, hier von dieser Stelle aus den Gedanken des Olympiaboykotts politisch zu begründen und zu vertreten. Wir wissen heute, daß dies politisch nicht das gebracht hat, was man sich davon versprochen hat.
({5}) Weil das so ist, richte ich einen Appell an diejenigen, die glauben, 1984 möglicherweise eine Returkutsche oder auch nur eine Teilretourkutsche fahren zu können, nicht in diesen Fehler zu verfallen. Es hat Amerika nichts genützt, und es würde auch der Sowjetunion nichts nützen, wenn sie diesmal in der gleichen Weise verfahren würde. Deshalb aber auch mein Appell, daß man nichts tun sollte, um die Vorbereitungen zu erschweren. Ich habe kein Verständnis dafür gehabt, daß der sowjetische Attaché für die Olympischen Spiele keine Einreise bekommen hat. Das sind Dinge, die nicht gut sind. Sie haben mit dem Sport unmittelbar nichts zu tun.
({6})
Auch das sage ich in aller Offenheit und mit allem Freimut, weil wir uns j a gerade vor vier Jahren absolut solidarisch erklärt haben.
Der Kollege Büchner hat im Rahmen seines Beitrages manch kritische Bemerkung gemacht. Herr Kollege Büchner, ich habe das Gefühl gehabt, daß es Ihnen jetzt genauso geht, wie es früher der Union gegangen ist: Im Sport ist an sich die Übereinstimmung querbeet - erfreulicherweise, füge ich hinzu - so breit
({7})
- ich bin ja noch nicht ganz fertig -, daß es der jeweiligen Opposition immer schwerfällt, die Punkte herauszuschälen, an denen man deutlich machen kann, wo unterschiedliche Standpunkte sein könnten. Dabei ist natürlich richtig, daß das, worüber wir heute hier diskutieren können, auf einer guten Grundlage aufgebaut hat. Nur: Ich sehe nicht, daß diese Grundlage verlassen wird. Im Gegenteil, ich bin der Überzeugung, daß auf dieser Grundlage weitergearbeitet wird, daß die politische Arbeit fortgesetzt wird. Wenn ich z. B. an die finanziellen Mittel denke, die zur Verfügung gestellt worden sind, dann ist doch hier kein Einbruch geschehen.
({8})
- Nein, es ist kein Einbruch geschehen. - Daß mir die Bemerkung, die hier schon kritisiert wurde, auch nicht gefallen hat, verschweige ich nicht.
Ich würde allerdings folgendes Verfahren für sinnvoll halten. Wenn man nach Olympischen Spielen - wie bei den Winterspielen - feststellt, daß in bestimmten Bereichen Erwartungen nicht erfüllt worden sind, dann denke ich nicht an Mittelkürzungen, sondern dann denke ich an Mittelumschichtungen, damit in den Bereichen, wo wir sehen, daß mit weniger Mitteln erfolgreich gearbeitet worden ist, mehr Unterstützung gegeben werden kann. Dagegen muß in der Mittelzuteilung sichtbar werden, daß in diesem oder jenem Bereich schlechte Leistungen erzielt wurden, etwa weil es zwischen Management, Verbandsführung, Trainer und Athleten nicht ganz stimmte. Dabei teile ich Ihre Meinung, daß die Entscheidungen über die Vorschläge selbstverständlich aus dem Sport kommen müssen - denn dort fallen die Entscheidungen oder zumindest die Vorentscheidungen, wie die entsprechende Mittelverteilung gedacht ist -, daß aber dann eine Bundesregierung auch das Recht haben muß zu saMischnick
gen: Nach den Erfahrungswerten sehen wir diese oder jene Überlegung als richtig an. Dies würde ich nicht ausschließen. Sofort dagegen wehren würde ich mich, wenn etwa im Bundesinnenministerium gesagt würde - aber auf diese Idee kommt man dort j a gar nicht -, wir wollen den oder den Trainer oder dieses oder jenes Leistungszentrum sportlich so beurteilen oder verurteilen. Dies tun sie nicht, und das werden sie auch nicht tun.
Es ist selbstverständlich, daß wir uns im Sportausschuß immer schon darum bemüht haben, gewisse Mängel aufzudecken, die z. B. bei Leistungszentren - mit unterschiedlicher Nutzung und unterschiedlicher Wertigkeit für die verschiedenen Sportarten - entstanden sind, und daß wir darüber weiter zu reden haben. Denn wir wollen j a nicht vergessen: Manches Leistungszentrum ist an einer bestimmten Stelle nur deshalb entstanden, weil ein Bürgermeister so aktiv war, nicht aber deswegen, weil der Platz von der Sache her unbedingt der richtigste gewesen wäre.
({9})
Auch darüber muß man weiter sprechen, und man muß sehen, welche Lösungen wir für die Zukunft finden.
Meine Damen und Herren, wir haben hier jetzt den Vierjahresbericht vorliegen. Ich glaube, man kann heute sagen, es hat sich bewährt, daß wir zu Vierjahresberichten übergegangen sind.
({10})
Ich würde empfehlen - aber man sagt das, wie das zumeist ist, den Falschen -, daß wir in anderen Bereichen des Deutschen Bundestages, in denen wir solche Berichtspflichten haben, auch einmal überlegen, ob man nicht statt Jahresberichten Zweijahresberichte oder statt Zweijahresberichten Vierjahresberichte erstattet, denn wir erleben hier immer wieder, daß wir mit einer Berichtsflut eingedeckt werden. Das, was wir von uns aus als Beispiel gegeben haben, daß nämlich ein Bericht alle vier Jahre genügt, sollten wir in anderen Bereichen übernehmen, damit nicht eine zu starke Berichtsflut dazu führt, daß jeder Bericht dann nicht mehr so ernstgenommen wird, während ein solcher Bericht, der alle vier Jahre kommt, mit aller Nüchternheit und Gründlichkeit geprüft werden kann.
({11})
- Herr Kollege Büchner, ich teile Ihre Meinung. Nur, daß der Bericht erst jetzt diskutiert wird, kann ich ja nicht unbedingt, selbst wenn ich es wollte, jemandem vorwerfen, sondern das hat mit der Entwicklung zu tun gehabt. Wir gehen davon aus, daß der nächste Sportbericht, der ja in vier Jahren kommt, dann schon innerhalb eines Vierteljahres mindestens in erster Lesung behandelt werden kann.
Meine Damen und Herren, es ist schon viel davon gesprochen worden, welche Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen Umweltschutz und Sport entstanden sind. Dies müssen wir ernst nehmen.
Dabei möchte ich allerdings doch sehr unterscheiden, nämlich zwischen kritischer Betrachtung durch diejenigen, die in die Nähe eines Sportplatzes gezogen sind und nach fünf oder zehn Jahren plötzlich feststellen, daß der Sportplatz sie stört, und kritischer Betrachtung durch diejenigen, bei denen in einer Wohngegend plötzlich ein Sportplatz errichtet wird und daraus dann eine Belästigung entsteht. Anders ausgedrückt, bei den kommunalen Planungen soll man von vornherein, wenn man neue Wohngebiete ausweist, die sich beispielsweise in Richtung Sportstätten entwickeln, mit darauf achten, daß daraus natürlich entsprechende Probleme - Lärmbelästigung, Verkehrsbelästigung - entstehen können. Dies muß man rechtzeitig berücksichtigen.
Wir können das von uns aus nicht bis ins letzte entscheiden, aber wir müssen prüfen, ob wir möglicherweise in der Bundesbauordnung einen Ansatzpunkt dafür haben, daß bei den entsprechenden Vorplanungen auch die Möglichkeit der Errichtung von Sportplätzen und deren Absicherung gegen spätere Gefährdungen einbezogen wird.
Ein weiterer Punkt: Mir scheint es notwendig zu sein, daß wir hierbei den Sportverbänden, den Organisationen, den Vereinen auch gegenüber manchen leichtfertigen bürokratischen Äußerungen in Ländern und Gemeinden Hilfestellung leisten. Denn es kann am Ende j a wohl nicht so sein, daß wir alle uns darüber einig sind, daß der Sport für die gesamte Gesellschaftspolitik und für die Gesundheitspolitik eine große Bedeutung hat, dann aber plötzlich aus falsch verstandener Umweltvorsorge das Sporttreiben in Gefahr gerät. Es scheint mir notwendig zu sein, hier den richtigen Weg zueinander zu finden.
({12})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß eines feststellen: Der Gesamtbericht einschließlich der gemeinsamen Entschließung, die vorgelegt worden ist - sie wird j a von den drei, wenn ich so sagen darf, klassischen Fraktionen des Hauses gebilligt werden -, zeigt, daß es uns möglich ist, innerhalb des Sportausschusses bei aller unterschiedlichen Meinungsbildung doch zu einer gemeinsamen Grundlinie zu kommen. Ich wäre sehr dankbar, wenn es gelänge, die Wünsche und Forderungen, die wir hier stehen haben, Herr Bundesminister, so bald wie möglich umzusetzen, und, wo im Umsetzen dieser Punkte Schwierigkeiten bestehen, uns dies so rechtzeitig zu sagen, daß wir mithelfen können, daß wir beispielsweise da, wo Länder und Gemeinden gefordert sind, über unsere politischen Möglichkeiten in den Ländern und Gemeinden entsprechende Mitwirkung vornehmen.
Wir werden dieser Entschließung zustimmen und sind überzeugt, daß das gemeinsame Verhandeln und Behandeln auch dazu führt, daß wir es draußen gemeinsam überall vertreten werden.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir persönlich, was mein Engagement für den Sport angeht, keine Vorwürfe zu machen.
({0})
Ich bin selbst, obwohl ich langsam auf die sechzig zugehe, noch in zwei Disziplinen aktiver Sportler und übe Sport aus, so oft ich kann, ohne das jeden Tag an die große Glocke zu hängen.
({1})
Ein zweites, zur Sportpolitik. Ich gehe viel lieber zu einer Sportveranstaltung, als daß ich etwa eine Müllverbrennungsanlage besichtige. Das dürfen Sie mir glauben. Aber es gehört eben beides zum Ressort des Bundesministers des Innern, der bekanntlich mit zwölf großen Abteilungen eines der vielfältigsten und breitesten Ressorts hat, die es gibt.
Ich habe mir auch nichts vorzuwerfen, was meine Kontakte zu führenden Persönlichkeiten und den Organisationen des Sports angeht. Denn es gibt vom November 1982 bis heute eine ganze Serie von Gesprächen mit dem Präsidenten und den Vizepräsidenten des DSB, mit Herrn Daume, mit Herrn Neckermann, Besuch bei den Olympischen Spielen, Besuch in Berchtesgaden, um dort für die Bewerbung zu den nächsten Olympischen Winterspielen informiert zu werden. Aber, wie ich sagte, das Bundesinnenministerium hat einen so weiten Zuständigkeitsbereich, daß eine ganze Reihe von Terminen natürlich auch meine beiden Parlamentarischen Staatssekretäre haben wahrnehmen müssen, wofür sie ja auch da sind.
Meine Damen und Herren, wenn hier gesagt worden ist, der Sport sei zu kurz gekommen oder ich hätte mir nicht gehaltene Versprechungen vorzuwerfen: Sehen Sie sich bitte die Sportmittel des Bundesministers des Innern für das Jahr 1984 an! Sie werden feststellen, daß sie höher sind als je zuvor, selbst wenn Sie die Sondermittel für die Olympischen Spiele abziehen. Auch dann sind sie noch höher.
({2})
Das bitte ich doch ein wenig ad notam zu nehmen. Es hat von den Verbänden des Deutschen Sportbundes keinen einzigen gegeben und niemanden aus dem sportpolitischen Bereich, der an der finanziellen Förderung durch den Bund irgend etwas auszusetzen hätte. Kein einziger dieser Vorwürfe ist erhoben worden.
({3})
Im Gegenteil: Alle maßgebenden Herren haben ihr hervorragendes Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister betont.
({4})
- Mit den Vereinen haben die Länder und die
Kommunen etwas zu tun. Der Bundesminister des
Innern ist für den Spitzensport zuständig und für sonst gar nichts. Das wissen Sie doch hoffentlich.
({5})
Sonst müssen Sie noch einmal nachlesen, wie die Zuständigkeiten verteilt sind.
Nun zu Ihnen, Herr Schwenninger: Behindertensport. Im Jahre 1978 erhielten die Behindertensportverbände 393 000 DM. Beim Fünften Sportbericht 1982 waren es 660 000 DM. Mittlerweile haben wir die Millionengrenze überschritten. Immer noch ist Nachholbedarf. Behindertensport gehört - ich habe selber in meinem engsten Bereich eine ganze Reihe von Behindertensportverbänden - zu den Dingen, um die ich mich ganz besonders sorge, weil ich ihre Wichtigkeit ganz hoch einschätze.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Büchner?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, ist Ihnen eigentlich noch nie zu Ohren gekommen, daß viele Städte und Gemeinden als Auswirkung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung immer weniger in der Lage sind, Zuschüsse an Sportvereine zu leisten, und immer weniger in der Lage sind, Sportstätten zu erhalten, und daß man schon wieder über Benutzungsgebühren spricht?
({0})
Ich muß Ihnen im Gegenteil sagen, daß die Haushaltsdefizite der Kommunen durch die Politik dieser Bundesregierung von 1981 bis 1984 dramatisch von elf auf sieben, nämlich auf eine Milliarde D-Mark, zurückgegangen sind. Die Gemeinden werden wieder mehr finanziellen Spielraum haben. Aber ein bißchen Zeit brauchen wir nach dem Debakel, das Sie angerichtet haben, schon noch.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Dr. Zimmermann Bundesminister des Innern: Nein, ich möchte jetzt davon absehen, um meine Redezeit nicht weiter zu beanspruchen. Es wird ja immer gewünscht, daß die Bundesregierung so sparsam wie möglich mit der Redezeit umgeht, damit die Fraktionen mehr Zeit haben. Ich möchte mich daran halten. Ich könnte hier eine 45-Minuten-Rede halten. Ich beschränke mich auf das Notwendigste.
Ich habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der Sportbericht auch vom Bundesrat, dem Organ der Länder, wesentlich günstiger als seine Vorgänger aufgenommen worden ist. Man
kann wohl den Eindruck haben, daß das Verhältnis zu den Ländern im Bereich des Sports wieder entspannt ist und eine fruchtbare Zusammenarbeit stattfindet.
({0})
Das zeigt sich in der Sportministerkonferenz wie auch in den Arbeitsgremien. Die pragmatische Arbeitsteilung im Bereich der Sportförderung zwischen Bund und Ländern hat sich bewährt.
({1})
Bund: Spitzensport; Breitensport: bei den Ländern. Der Bund muß sich auf Modellmaßnahmen und die Förderung von national repräsentativen Veranstaltungen beschränken. Ich glaube, das ist die richtige Teilung. Alles andere würde nur zu Durcheinander führen. Wir konzentrieren uns vom Bund her, wie ich sagte, auf Modellmaßnahmen des Deutschen Turnerbundes sowie die Finanzierung großer repräsentativer Veranstaltungen. Der Vereinssport bleibt die Hauptaufgabe der Länder. Hier können wir nur flankierend tätig werden, auch durch steuerrechtliche Hilfen. Ich wollte, ich wäre in diesem Bereich der Finanzminister. Aber ich muß mir manchmal auch dessen Kopf zerbrechen. Wir möchten alle auf dem Gebiet noch etwas mehr tun, als es gegenwärtig der Fall ist. Es geht noch nicht.
({2})
Eine besondere Auszeichnung beispielhafter Vereinstätigkeit wird in Kürze in Form der Sportplakette des Bundespräsidenten verliehen werden. Diese für 100jährige Sportvereine geschaffene Plakette wird am 25. Mai im Rahmen des Bundestags des Deutschen Sportbunds zum ersten Mal vom Bundespräsidenten überreicht werden.
({3})
- Ja; solche plakativen Anreize gehören eben auch dazu.
({4})
Und bei der großen Popularität des Vereinssports, wo Jubiläen eine große Rolle spielen, ist das, glaube ich, eine ganz vernünftige Sache.
{Beifall bei der CDU/CSU und des Abg.
Büchner [Speyer] [SPD])
Mit ihrer Sportförderung will die Bundesregierung nur die Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer sich der Sport entfalten kann. Sie will von jeder Bevormundung absehen. Deswegen sollte man eines vermeiden: mir auf der einen Seite Bevormundung vorzuwerfen und auf der anderen Seite zu sagen, ich ginge zu wenig zu den Sportfunktionären. Das paßt ja nicht ganz zusammen.
({5})
Auch beim Sportstättenbau gehören die Partnerschaft zwischen Sport und Staat und der Rahmen dazu. Aber wir können natürlich schlecht hinnehmen, daß vorhandene Sportstätten dadurch zur Makulatur werden, daß ein internationaler Verband wie der des Bobsports auf einmal die Norm auf eine 1500-m-Bahn festlegt, während wir 1200-m-Bahnen
gebaut haben. Bei manchen Leuten hat man den Eindruck, sie wissen überhaupt nicht mehr, was Geld bedeutet.
({6})
Dazu muß ich sagen, daß sich unser deutscher Verband energisch gegen solche Beschlüsse zur Wehr gesetzt hat.
({7})
Ein Wort zu Sarajevo und dem Abschneiden dort. Neben erfreulichen, sehr erfreulichen Ergebnissen gab es manche Enttäuschung. Am Geld lag es nicht, wie die Verbände selber bestätigt und auch der Sprecher der SPD gesagt hat. Ich will auch hier keine Bevormundung. Der Sport und seine Fachverbände müssen selber ihre eigene kritische Bilanz ziehen. Der Medaillenspiegel war für mich noch nie ein Indikator für die Qualität eines gesellschaftlichen Systems.
({8})
Die Sowjetunion müßte sich heute weit hinter der DDR verstecken, wenn der Medaillenspiegel für das gesellschaftliche System relevant wäre. Nein, das ist er nicht. Immerhin, nach jedem großen sportlichen Ereignis wird überall Bilanz gezogen und ein gewisser Kosten- Nutzen-Vergleich angestellt. Das wird nach diesen Winterspielen auch in Österreich und der Schweiz der Fall gewesen sein, wie ich gelesen habe. Aber wir überlassen es dem Sport. Er wird schon seine eigene Bilanz ziehen.
Zum Thema Sport und Umwelt noch ein Wort. Ich bin den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie uns durch ihre Kleine Anfrage die Möglichkeit gegeben haben, unseren Standpunkt deutlich zu machen. Ich glaube, wir haben in der Antwort sagen können, daß Sport und Umweltschutz keine Gegensätze sein müssen und daß weder Sport noch Umweltschutz isoliert gesehen werden dürfen. Es ist, glaube ich, ganz glücklich, daß der Sportminister auch der Umweltminister ist. Er ist der Meinung, daß beide demselben Ziel dienen, nämlich der Gesundheit der Menschen.
Ich habe, was die Gerichtsurteile betrifft, die ich als Tennisspieler selber am meisten bedauere, sofort ein eigenes Gespräch mit dem Präsidium des deutschen Tennisbunds geführt. Ich habe mit der zuständigen Vizepräsidentin des DSB gesprochen. Ich habe mit den kommunalen Spitzenverbänden das Thema Sport und Umwelt erörtert. Aber ich kann natürlich nicht Richtern Weisungen geben, wie sie sich in diesem und jenem Klagefall zu verhalten haben. Das Problem muß auf andere Art und Weise gelöst werden.
In Kürze wird sich eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Umwelt- und Sportministerkonferenz mit den bestehenden Problemen eingehend beschäftigen und Lösungsvorschläge unterbreiten.
Meine Damen und Herren, insgesamt befinden wir uns, trotz mancher Kritik, mit unserer Sportpolitik auf dem richtigen Wege, glaube ich. Und ich freue mich, feststellen zu können, daß die Sportpoli4730
tik der Bundesregierung, im Grundsatz jedenfalls, von allen Fraktionen mitgetragen wird. Ich bedanke mich an dieser Stelle beim Sportausschuß, der mit viel Engagement die Sportförderung begleitet. Ich bin sicher, daß es allen im deutschen Sport dient, wenn wir im Deutschen Bundestag keine Polemik betreiben, sondern sachlich zum Wohle des deutschen Sports zusammenarbeiten.
({9})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Sehr verehrter Herr Minister Zimmermann, Sie haben hier versucht, Ihr Engagement für den Sport klarzustellen. Aber ich möchte Ihnen sagen: Nicht Schulterklopfen, Administration oder Hinweise auf die Zuständigkeit des Finanzministers sind gefragt, sondern Sportpolitik. Und da fallen Sie gegenüber Ihrem Vorgänger erheblich ab.
({0})
Meine sehr verehrten Herren und Damen, die Diskussion des Fünften Sportberichts der Bundesregierung möchte ich zur Gelegenheit nehmen, für meine Fraktion auf einige Bereiche des Sports hinzuweisen, die in besonderer Weise mit dem sozialdemokratischen Verständnis von Sportpolitik verbunden sind.
({1})
Diese Sportpolitik wurde aus der Arbeitersportbewegung entwickelt, einer beispiellosen Kultur- und Sozialorganisation. In ihr ist der Zusammenhang zwischen Sport und sozialer Ethik besonders deutlich geworden. Deshalb ist es selbstverständlich, daß wir uns Verbänden wie dem RKB Solidarität, den Naturfreunden oder dem Artus-Freundeskreis ehemaliger Arbeitersportler eng verbunden fühlen. Und wir fordern deshalb auch noch einmal mit allem Nachdruck eine gleichberechtigte Förderung in Bund, Ländern und Gemeinden - beispielsweise für den Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität. Dies ist bisher immer noch nicht gewährleistet, obwohl die Arbeitersportbewegung die Grundlagen für die demokratische Sportbewegung in der Bundesrepublik nach 1945 entscheidend mit gelegt hat.
({2})
Weil wir diese demokratische Sportbewegung mittragen, hielten wir es für eine gerechte Behandlung dieser Organisationen, auch im Interesse des Deutschen Sportbundes, wenn hier wirklich alles gleichbehandelt würde.
Im Mittelpunkt unseres Interesses in der Sportpolitik steht die Förderung des Breiten- und Freizeitsports. Schul- und Hochschulsport sind auch ein Anliegen von uns, aber ganz besonders - und das steht wieder im Zusammenhang mit dem Arbeitersport - ist die Förderung der sozialen Aufgabe des Sports unser Anliegen. Auch hier hat der Bund bei
der engen Verflechtung der öffentlichen Sportförderung einen breiten Förderungsspielraum, der nach unserer Auffassung von dieser Bundesregierung nicht voll ausgenutzt wird. Im Gegenteil - das kann man nicht beschönigen -, die Förderung der sozialen Aufgabe, insbesondere die des Sports für Behinderte ist ein eklatantes Negativbeispiel. Dieser Bereich wurde drastisch von dem „sozialpolitischen Wendemanöver" der konservativen Bundesregierung erfaßt.
({3})
- Das können Sie nicht beschönigen.
Die Beschwerden des Deutschen BehindertenSportverbandes und des Deutschen Gehörlosensport-Verbandes wurden ebenso ignoriert wie unsere Anträge, die wir bei den Haushaltsplanberatungen und bei den Erörterungen innerhalb des Sportausschusses zu diesem Fünften Sportbericht vorgetragen haben.
({4})
Während die von den Sozialdemokraten 1978 entwickelte „soziale Offensive" im Sport zu einem großen Einvernehmen mit den Sport-, Jugend- und Sozialorganisationen geführt und vielfältige Initiativen ausgelöst hat, können sich die 4 Millionen Mitbürger, die mit einer Behinderung unter uns leben, von dieser Koalition und von dieser Parlamentsmehrheit nicht mehr gerecht behandelt fühlen.
({5})
Sie bestätigen zwar verbal, daß Spiel und Sport für unsere behinderten Mitbürger, vor allem - wie wir im Bericht j a auch nachlesen können - für die 800 000 Kinder und Jugendlichen, eine unersetzbare Lebenshilfe und ein wichtiger Leistungsbeweis sein können. In der Praxis aber kürzen Sie die Förderungsmittel und schaffen neue Ungerechtigkeiten. Wir fordern eine finanzielle und eine personelle Gleichstellung des Behindertensports mit den anderen Sportbereichen auch im Leistungssport.
({6})
Dazu gehört die Vollfinanzierung der Teilnahme von Mannschaften des Deutschen BehindertenSportverbandes an den internationalen Wettbewerben, vor allem an den Olympischen Spielen der Behindertensportler.
({7})
Es ist geradezu peinlich und zutiefst kleinlich, wie die amerikanischen Organisatoren wegen einer Finanzlücke von 250 000 Dollar die olympischen Wettbewerbe für Rollstuhlfahrer absagten.
({8})
Hier zeigten sich in erschreckender Weise die Auswirkungen der sogenannten Elitebildung, die offenkundig auch hierzulande dem Sport angepriesen
werden soll. Wir fordern die Bundesregierung auf, ausreichend Förderungsmittel bereitzustellen, damit alle Behindertensportler, die durch ihren Verband nominiert werden, an den RollstuhlfahrerErsatzwettbewerben in Stoke Mandeville bei London und an den restlichen Wettbewerben im Juni in New York teilnehmen können.
({9})
Eine finanzielle Schlechterstellung gegenüber den Olympiamannschaften des NOK für Deutschland kann nicht hingenommen werden. Es ist inhuman, wenn Behindertensportler eine höhere finanzielle Eigenleistung als Nichtbehinderte tragen sollen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erneuert zudem ihre Forderung, daß die beträchtlichen Mittel aus dem Lotteriewesen verstärkt für die sozialen Aufgaben des Sports eingesetzt und die behinderten Leistungssportler in größerer Zahl als bisher in die Förderung der Stiftung Deutsche Sporthilfe einbezogen werden.
Eine große Hilfe für diesen wichtigen und humanen Bereich des Sports können auch die Zivildienstleistenden sein.
({10})
Wir bekräftigen die Forderung in der Entschließung zum Fünften Sportbericht, daß - entgegen der bisher bekannten Absicht der Bundesregierung - auch der Jugendsport in die Einsatzmöglichkeit einbezogen wird.
({11})
Ferner richten wir den dringenden Appell an die Bundesländer, vor allem für die ausgebildeten und leider in großer Zahl beschäftigungslosen Sportpädagogen neue Tätigkeitsfelder in sozialen Bereichen des Sports zu erschließen. Es fehlt an sportpädagogischen Fachkräften, die durch eine Zusatzausbildung mit den speziellen Aufgaben schnell vertraut gemacht werden können.
Der Sport hat schließlich auch eine große soziale Aufgabe bei der gesellschaftlichen Integration der Ausländer und insbesondere bei der Eingliederung junger Ausländer in die Vereine. Überlegenswert wäre die - auch materielle - Unterstützung von Modellversuchen. Ich denke, hier könnten die vielen zuständigen Bundesministerien auch einmal Kooperation beweisen und versuchen, eine einheitliche Lösung anzustreben.
Die in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zur Situation des Schul- und Hochschulsports in der Bundestagsfraktion zur Situation des Schul- und Hochschulsports in der Bundesrepublik Deutschland erwähnten positiven Absichten der Bundesländer müssen zügig verwirklicht werden. Wir können nicht tatenlos zusehen - ich verweise auf meine Ausführungen von eben -, daß gegenwärtig rund 29 000 Sportstudenten immatrikuliert sind, von denen fast die Hälfte in drei Jahren zur Referendarzeit ansteht, diese dann aber die denkbar schlechtesten Berufsaussichten haben. Ich meine, angesichts der noch immer beträchtlichen Fehlzahl an Sportlehrern muß uns hier eine Lösung einfallen.
({12})
In den Grund-, Haupt-, Sonder- und Berufsschulen ist immer noch Bedarf vorhanden.
Die Ausbildungsinhalte sollten breiter angelegt werden, um die Berufschancen zu verbessern. Die Gewerkschaften und auch der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband haben diesbezügliche Vorschläge gemacht. Die Bundesregierung hat Möglichkeiten - beispielsweise durch die Förderung entsprechender Modellversuche -, gemeinsam mit den Bundesländern zu beweisen, daß sie auch in diesem Bereich die Arbeitslosigkeit nicht als gottgewollt betrachten.
Wir fordern die Bundesregierung in all den von mir genannten Bereichen zu entsprechenden Initiativen auf. Sie wird dabei unsere Unterstützung haben. Soziale Verantwortung und menschliche Hilfe sind auch im Sport Meßlatten, die wir anlegen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es war sicherlich eine gute Entscheidung - das ist schon gesagt worden -, den Sportbericht nicht mehr jährlich, sondern, angepaßt an den olympischen Rhythmus, alle vier Jahre vorzulegen und zu debattieren. So ist er nicht mehr eine reine Fleißarbeit oder Routine oder - um mich sportlich auszudrücken - eine Pflichtübung, sondern läßt im Zusammenhang erkennen, ob und wie die Sportförderung des Bundes dem selbstgesteckten Ziel gerecht wird, unseren Athleten im internationalen Vergleich Chancengerechtigkeit zu verschaffen, nicht im Sinne eines Wettkampfs der Systeme, wohl aber der einzelnen Sportler.
Der Zeitpunkt der heutigen Debatte liegt deshalb besonders günstig, weil diese nach den olympischen Winterspielen in Sarajevo und einige Monate vor den Sommerspielen in Los Angeles stattfindet. Wir können Bilanz ziehen und sicherlich auch neue Erkenntnisse gewinnen. Die Vorbereitung zu den olympischen Sommerspielen können wir allerdings kaum noch beeinflussen.
Immerhin darf ich mit Freude als Ergebnis der bisherigen Debatte feststellen, daß der Bund für eine schlagkräftige deutsche Olympiamannschaft die notwendigen Mittel schon lange bereitgestellt hat. Möge die zuständige Sportorganiation, also das NOK, eine glückliche Hand bei der Auswahl der Athleten haben und mögen diese mit möglichst vielen Erfolgen nach den Spielen gesund in ihre Heimat zurückkehren.
({0})
Das Pikante an der heutigen Debatte ist, daß wir einen Bericht diskutieren, den nicht die Regierung
erarbeitet und vorgelegt hat, die ihn heute hier begründet. Ich bin gewiß und ich habe mich davon überzeugt, daß der heutigen Regierung die Begründung nicht schwerfällt, zumal wir gerade in der Leistungssportförderung - darum geht es mir hier - im Sportausschuß, im Finanz- und Haushaltsausschuß in der Regel letztlich im Interesse des Sports an einem Strang gezogen haben.
({1})
Ich glaube, das sollte so bleiben, egal ob Ihnen, Herr Fischer, das gefällt oder nicht. Sie haben ja seit 1969 auf diesem Gebiet noch nicht so viel Erfahrung.
Die Bundesregierung hat mit den Etats 1983 und vor allem 1984 deutlich gemacht, daß sie den Sportorganisationen die Mittel bereitstellt, die notwendig sind, um international bestehen zu können. Die sportlichen Wettkämpfe, meine Damen und Herren, bestehen müssen aber die Athleten, ein jeder für sich im Einzel- oder Mannschaftswettbewerb.
({2})
Im Vorfeld von Sarajevo, aber auch während der Spiele hat es offensichtlich einige Pannen gegeben.
({3})
Das ist eigentlich nichts Neues. Hans Fallak, der Vorsitzende des Bundesausschusses für Leistungssport, stellte dies jedenfalls kürzlich fest. Schade, daß er es nicht weiter erläutert hat. Ich hätte dazu gern Näheres erfahren. Statt dessen wurden einzelne Politiker bzw. Abgeordnete kritisiert, weil sie ihrer Aufgabe nachkamen, die Verwendung staatlicher Mittel, also von Steuergeldern, nachzuprüfen. Das sollte man nicht tun, auch nicht nach olympischen Winterspielen, bei denen es für uns doch nicht nur Freude, sondern gewiß auch einige Enttäuschung gegeben hat. Die Förderung des Hochleistungssports durch den Bund bleibt doch völlig unbestritten, Über die Frage, wie sie am besten zu praktizieren ist, wird man wohl zu jeder Zeit diskutieren können.
Sportorganisationen und öffentliche Hand haben seit 1969 eine vorbildliche Struktur des Leistungssportes geschaffen. Es wurde schon gesagt: 26 Bundesleistungszentren, über 200 Bundesstützpunkte,
({4})
110 Bundestrainer und noch viel mehr Honorartrainer, dazu eine Vielzahl ähnlicher Einrichtungen auf Länderebene stellen ein Netz dar,
({5})
in dem eigentlich jeder talentierte Sportler nach seinem eigenen Willen seine volle Leistungsentwicklung erreichen kann.
({6})
Trotzdem: In Sportverbänden, in Medien und in der Öffentlichkeit gibt es auch kritische Äußerungen, weil immer größere Leistungen und Erfolge erwartet werden. Ich glaube, man sollte einmal ernsthaft fragen, wer eigentlich welchen Leistungsdruck verursacht hat. Vielfach wird er von denen erzeugt, die nachher um so lauter klagen, wenn Hoffnungen und Erwartungen - auch unrealistische - nicht in Erfüllung gehen.
({7})
Unsere Sportförderung hat sich bewährt. Das ist unbestritten, ob es Ihnen gefällt oder nicht.
({8})
Sie gilt als vorbildlich, wobei ich wie jeder andere weiß, daß man damit Medaillen und Meisterschaften nicht gewinnen kann.
({9})
Das können nur die Sportler, denen wir ein Bündel von Förderungsmaßnahmen zur Verfügung stellen. Diese reichen von den Bundestrainern bis zur Sportmedizin, von den Leistungszentren bis zur übrigen Sportwissenschaft.
({10})
Wir sollten aber nicht übersehen, daß zur Förderung des Spitzensports auch gehört, das Engagement bei jungen Menschen zu wecken und das gesellschaftliche Umfeld entsprechend zu gestalten. Arbeitsplatz, Familie, Studium, Zukunftserwartungen, dies alles gehört dazu. Solange wir das Trugbild vom olympischen Amateur pflegen, müssen wir für ihn auch die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
({11})
Wir erwarten dabei auch vom öffentlichen Arbeitgeber - das soll nicht verschwiegen sein -, daß er so sportfreudig und -freundlich handelt, wie es die privaten Arbeitgeber seit langem tun. Da gibt es - von den vorbildlichen Einrichtungen bei der Bundeswehr und beim Bundesgrenzschutz einmal abgesehen - da und dort sicherlich einen gewissen Nachholbedarf.
Die Rolle der Trainer - auch das soll nicht verschwiegen werden ({12})
wird im Hochleistungssport viel diskutiert. Ein einheitliches Bild gibt es nicht und wird es auch nicht geben.
({13})
Da kann ein Autodidakt so erfolgreich sein, wie der Hochschulabsolvent von Mißerfolgen geplagt wird. Damit will ich sagen: Wissenschaftliche Ausbildung ist nicht alles, aber ohne sie geht es auch nicht mehr.
Wenn nun Professor Kirsch, Vizepräsident des NOK, klagt, daß es zuwenig Trainer gebe und zu schlecht ausgebildete,
({14})
dann frage ich, woran das wohl liegen mag. Tatsache ist, daß sich die Sportfachverbände schwertun mit der Trainerakademie in Köln und daß die so hochgelobte Bundestrainervergütungsordnung - ein schreckliches Wort übrigens - Flexibilität nicht gerade fördert. Hier sollten Verbesserungen - auch mit unserer Hilfe - möglich sein.
({15})
Mein Vorschlag im übrigen - das sage ich aus einer anderen Praxis heraus -: Die Verbände sollten einmal darüber nachdenken, sich organisatorisch mehr auf ihre eigene Kraft zu besinnen, was j a auch ihre Eigenständigkeit fördert. Mit den Bundesmitteln, die frei würden, wenn die Verbände ihre Geschäftsführer, Sekretäre oder Verwaltungsangestellten selbst finanzierten, könnten leicht 25 oder gar 30 neue hochqualifizierte und gut bezahlte Trainer eingestellt werden.
({16})
- Sie brauchen doch keinen Trainer.
Die Förderung des Leistungssports ist heute nicht mehr allein Sache der Verbände mit Hilfe des Bundes. Länder und Gemeinden geben ihr Gutteil dazu, oftmals sogar unbürokratischer als wir und ohne dies an die große Glocke zu hängen.
Zunehmend entdeckt auch die Wirtschaft die Werbekraft Sport und den Sportler. Hat sie bisher mehr als Mäzen über die Sporthilfe gewirkt, scheint sich hier ein Wandel anzubahnen. Dies ist nach meiner Auffassung ein nicht ungefährlicher Weg.
({17})
Er ist gefährlich, weil so Sport und Sportler in Klassen eingeteilt werden könnten, gefährlich aber auch, weil er das Sozialwerk des Sports, die Stiftung Deutsche Sporthilfe, in Frage stellt. Wir haben der Stiftung Deutsche Sporthilfe und damit auch der Wirtschaft viel zu danken. Das gilt für uns. Das gilt für den Sport.
({18})
Wir sollten es bei allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, im Grundsatz bei dieser bewährten Fördermethode und -praxis belassen.
Was wir heute mehr denn je brauchen, ist ein in sich geschlossenes Konzept zur Förderung des Spitzensports unter zeitgerechten Bedingungen.
({19})
Dann ist Spitzensport nicht mehr die herrlichste
Nebensache der Welt - sicherlich auch nicht die
wichtigste Sache -, sondern eine eigenständige
Phase im Leben junger, ehrgeiziger Menschen. Dieses Konzept kann nur dann unserer Gesellschaft adäquat sein, wenn Staat, Wirtschaft und freie Sportorganisationen es gemeinsam erarbeiten, tragen und - wenn nötig - weiterentwickeln.
({20})
- Davon könnten Sie sich eine Scheibe abschneiden, das muß ich Ihnen einmal sagen. Sie sprechen einen alten Aktiven an, der vom Sport mehr verstanden hat als Sie und der schon Spitzensport betrieben hat, als Sie noch in den Windeln lagen.
({21})
Dieses Konzept heißt: Den Sportlern optimale Trainings- und Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die zur Verfügung stehenden Mittel zu bündeln und so effektiv wie möglich einzusetzen. Es soll aber auch dazu beitragen, durch gesellschaftspolitische Klimaverbesserung die Leistungsbereitschaft junger Menschen zu fördern.
({22})
Herr Bundesminister, ich darf Sie bitten, diesem Konzept weiter Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Wegen der unsachlichen Kritik, die ich eben hörte, möchte ich sagen, daß Ihnen das nicht schwerfallen wird. Davon bin ich nach manchen Wettkämpfen, an denen wir gemeinsam teilgenommen haben, überzeugt.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Amling.
Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Unter Punkt 5 der Beschlußempfehlung des Sportausschusses zum Fünften Sportbericht wird die Bundesregierung aufgefordert, umgehend Vorschläge für eine steuerliche Entlastung der rund 60 000 gemeinnützigen Sportvereine zu unterbreiten. Diese Formulierung - so muß ich sagen - stellt das Minimum an Übereinstimmung dar, was im Sportausschuß erreichbar war. Eine deutlichere Forderung, die auf die vielfältigen früheren Versprechungen der CDU/CSU-FDPBundesregierung eingeht, war gegen die Ausschußmehrheit dieser Parteien im Sportausschuß nicht durchzusetzen.
Deshalb ist es notwendig und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion selbstverständlich, daß zum Thema Sport in der Steuergesetzgebung hier noch einige Klarstellungen vorgenommen werden. Durch die Abgabenordnung von 1977 und die verschiedenen Folgeregelungen wurden wesentliche Erleichterungen für die steuerliche Behandlung der rund 60 000 Amateursportvereine in der Bundesrepublik Deutschland erzielt. Wir können sagen:
Diese Regelungen haben sich in der Vergangenheit bewährt.
({0})
Seit einigen Jahren sehen sich die ehrenamtlich geführten und gemeinnützig tätigen Sportvereine einer zunehmenden Gefährdung durch die verstärkte Kommerzialisierung weiter Bereiche des Sports und durch Zahlung von Ablösesummen für Sportler beim Vereinswechsel ausgesetzt. Bedauerlicherweise muß gesagt werden, daß dieser Handel und Wandel nicht vor den sporttreibenden Jugendlichen und Kindern haltmacht.
Wir wissen, daß ohne öffentliche Förderung auch durch die Gesetzgebung die Sportvereine und ihre ehrenamtlichen Helfer die dem Gemeinwohl dienende umfassende Entwicklung des Breiten-, Freizeit- und Leistungssports für alle Altersgruppen der Bevölkerung nicht leisten können. Deshalb sagen wir: Weitere steuerliche Vergünstigungen sind dringend erforderlich.
({1})
Es gibt in der Sportpolitik des Deutschen Bundestages auch keinen vergleichbaren Fall, wo Wort und Wirklichkeit, wo Versprechungen und glaubwürdiges Handeln für den Sport so massiv in Widerspruch gebracht wurden, wie dies bei den steuerpolitischen Versprechungen dieser konservativ geführten Bundesregierung und der sie tragenden Parteien geschehen ist.
({2})
Insbesondere Herr Kollege Schäuble müßte sich, wenn er anwesend wäre, an seine frühere Tätigkeit im Finanzausschuß und im Sportausschuß erinnern lassen, durch die er ganz wesentlich dazu beigetragen hat, Erwartungen bei den Sportvereinen zu wecken, die von dieser CDU/CSU-FDP-Bundesregierung nun offenkundig nicht erfüllt werden.
({3})
Auch die FDP ist in unübersehbarer Weise auf Tauchstation gegangen.
In Programmen und gelegentlichen Äußerungen werden den Sportvereinen zwar immer wieder Versprechungen über neue steuerliche Vergünstigungen gemacht, in der Praxis aber erfolgt gar nichts.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mischnick?
Meine Zeit ist so arg eingeengt, ich habe vier von zehn Minuten abstreichen müssen. Es tut mir leid, ich stehe gerne nachher zur Diskussion zur Verfügung.
CDU und CSU müssen sich bei dieser Gelegenheit erneut daran erinnern lassen, was sie in der Vergangenheit und auch seit der Regierungsübernahme im Herbst 1982 den Sportvereinen und Sportverbänden alles angekündigt haben. Ich darf hier drei Beispiele nennen: erstens die Erstellung eines Sportplans für die Bundesrepublik Deutschland, zweitens die kuriose Idee von Verhaltensrichtlinien für Spitzensportler bei Auslandsreisen und drittens massive steuerpolitische Versprechungen für die Amateur- und Profivereine. All dies, meine Damen und Herren, ist zwischenzeitlich in der Versenkung verschwunden.
({0})
- Den Vereinen werden wir das bei Gelegenheit öfter sagen müssen.
Tatsache ist jedoch, daß bis auf die nach unserer festen Überzeugung nutzlose Beihilfe zur weiteren Kommerzialisierung des Amateursports und die steuerliche Begünstigung von Ablösesummen bis 5 000 DM die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung als steuerliche Hilfe für den Amateursport nichts zustande gebracht hat. Diese 5 000 DM sind, so meine ich, gemessen an dem, was Sie selbst gefordert haben, nicht einmal ein Trostpflaster.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist in den zurückliegenden Jahren diesen Forderungen nicht gefolgt. Wir halten die Politik der letzten Jahre für gefährlich. Sie haben z. B. den Sportvereinen großspurig versprochen, daß die Zahlung von Ablösesummen beim Vereinswechsel bis zu 20 000 DM steuerunschädlich bleibt und auch die Beibehaltung der Gemeinnützigkeit zugesichert. Sie haben ferner unaufhörlich gefordert und versprochen, daß die Einnahmen der Sportvereine aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, z. B. Gaststätten, der Steuerbefreiung unterliegen, wenn die erzielten Überschüsse innerhalb des Vereins verwendet würden.
Wir Sozialdemokraten halten diese Art der Wettbewerbsverzerrung für einen steuerpolitischen Irrweg. Sie jedoch haben Ihre Versprechungen unaufhörlich fortgesetzt. Nun müssen Sie feststellen, daß auch die CDU-Mittelstandsvereinigung Ihnen nicht folgt und daß im Hotel- und Gaststättenverband die Unzufriedenheit mit Ihrer Politik wächst.
Abschließend möchte ich nur noch eine Anmerkung zum Berufssport machen. Wir halten es als Sozialdemokraten für ebenso dringlich wie nützlich, daß sich die Bundesregierung Gedanken darüber macht, wie eine deutlichere steuerliche und rechtliche Abgrenzung des kommerziellen Sports vom nichtbezahlten Sport möglich ist. Wir sehen durchaus die positiven Aspekte des bezahlten Hochleistungssports und des Berufssports als Anregungsfaktor sowie deren Unterhaltungswert.
Zum Schluß möchte ich der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung sagen, daß sie dringend gefordert ist, der steuerrechtspolitischen Unsicherheit innerhalb des Sports ein Ende zu setzen. Lesen Sie Ihre Versprechungen früherer Jahre und handeln Sie!
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tillmann.
({0})
Schönen Dank, Herr Kollege Fischer. Aber zunächst: Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Mischnick, ich darf zunächst einmal darauf hinweisen, daß die Entschließung, die wir heute zu verabschieden haben, im Sportausschuß des Deutschen Bundestages einstimmig von allen anwesenden Fraktionen und Kollegen verabschiedet worden ist.
({0})
- Es hat jemand gefehlt.
Herr Kollege Büchner, ich weiß natürlich aus langer, leidvoller Erfahrung in der Opposition, daß die Opposition die Pflicht hat zu kritisieren, auch wenn es in der Sache gar nichts kritisch anzumerken gibt. Ich bin überzeugt davon, Herr Kollege Büchner, daß die Ausführungen der Kolleginnen und Kollegen von der Opposition hier unsere bisherige faire sportliche Zusammenarbeit im Ausschuß überhaupt nicht beeinträchtigen werden, daß wir so einvernehmlich miteinander weiterarbeiten werden, wie das bisher auch der Fall gewesen ist.
({1})
- Ich komme auf die Dinge, mit denen wir selbst nicht zufrieden sind, noch zu sprechen. Haben Sie bitte Geduld, Herr Kollege Büchner.
({2})
Liebe Frau Kollegin Steinhauer - ich sehe Sie dort hinten -, Ihr Versuch hier, uns im Hinblick auf die Förderung des Behindertensports Nachhilfeunterricht zu erteilen, war höchst untauglich. Die Steigerungszahlen im Haushalt hat Ihnen Herr Minister Zimmermann soeben schon dargestellt. Nun will ich die Zahlen aus dem noch von Ihnen zu verantwortenden Sportbericht vorlesen.
({3})
Die Mittel für den Rehabilitationssport nach dem Bundesversorgungsgesetz sind in Ihrer Regierungszeit vom Jahr 1981 auf das Jahr 1982 von 13,4 Millionen DM auf 9,9 Millionen DM zurückgegangen - so ist das -, und Mittel zur Förderung des Behindertensports aus dem Bundesinnenministerium sind von 1978 bis zum Jahre 1981 von 60 000 DM auf 55 000 DM gekürzt worden. Das sind die Tatsachen; wir brauchen da wahrhaftig keinen Nachhilfeunterricht.
({4})
Lassen Sie mich bitte noch darauf hinweisen, daß der Dolmetscher für den Deutschen Gehörlosensportverband jahrelang von Ihrer, damals von Helmut Schmidt geführten Regierung eingefordert worden ist und jetzt von Familienminister Geißler sehr unbürokratisch zugesagt worden ist. Inzwischen hat der Gehörlosensportverband diesen Dolmetscher.
({5})
Herr Abgeordneter Tillmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Bitte, Herr Klein, vielleicht können Sie es kurz machen.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Kürzungen im Behindertenbereich, etwa bei den Freifahrten jetzt seit dem 1. April, die Kürzung der Mittel für den Behindertensportverband auf der Bundesebene um einen beträchtlichen Betrag eine klare Politik gegen den Behindertensport in unserem Lande sind?
Nein, das kann ich nicht so sehen, Herr Kollege Klein. Wir befinden uns hier in der Sportdebatte. Ich möchte jetzt nicht auf die allgemeine Behindertenpolitik eingehen,
({0})
sondern auf das hinweisen, was hier schon gesagt worden ist: Hätten wir von Ihnen eine andere Kasse übernommen, hätten wir diese Kürzungen nicht vorzunehmen brauchen.
({1})
Meine lieben Sportfreunde, wenn ich das einmal so sagen darf, um zur Beruhigung beizutragen, natürlich - ({2})
- Zum Beispiel zahlen die Sportvereine keine Vermögensteuer, um das einmal anzumerken, Herr Kollege Büchner.
({3})
- Meine lieben Sportfreunde, beruhigen Sie sich doch!
({4})
Die heutige Debatte hat deutlich gemacht, daß der Sport natürlich von der Bundesregierung, hauptsächlich im Bereich des Spitzensports, im Bereich des Hochleistungssports, gefördert wird. Dort liegt der Schwerpunkt der Förderung; aber, lieber Herr Kollege Fischer, wenn Sie das noch nicht wissen sollten, der Bund hat natürlich auch Kompetenzen, Zuständigkeiten bei den zentralen Maßnahmen zur Förderung des Breitensports,
({5})
z. B. im Rahmen gesamtstaatlicher Repräsentation. Ich erinnere hier an das Deutsche Turnfest und an die Gymnaestrada.
Ich möchte an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit einmal dem Deutschen Turnerbund herzlich dafür danken, daß er das Deutsche Turnfest um ein Jahr vorgezogen hat, um es 1987 anläßlich des 750jährigen Jubiläums in Berlin zu veranstalten. Dafür möchte ich dem Deutschen Turnerbund herzlich danken und ihm für diese Wahrnehmung natio4736
naler Verantwortung mein Kompliment aussprechen.
({6})
Sehr geehrter Herr Minister Zimmermann, ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, daß sie, obwohl in diesem Jahr die Gymnaestrada in Herning in Dänemark stattfindet, beide Veranstaltungen ungeschmälert fördern will und den Deutschen Turnerbund in diesem Jahr 1987 nicht schlechter stellt, weil er zwei Veranstaltungen durchführt.
Das Turnfest in Frankfurt 1983 war - wieder einmal, muß ich sagen - eine echte Demonstration des Breitensports und der Breitenarbeit im Sport, seiner gesundheitlichen, sozialen und pädagogischen Werte und Zielsetzungen. Wer miterlebt hat und wer erkannt hat, was dort vorgeführt wurde, der weiß um den Wert des Sports für die Gesellschaft, für alt und jung, alle Schichten der Bevölkerung, alle Gruppen. Viele Sportarten wurden dort vorgeführt. Es gab dort echte Gemeinschaft. Der Bundespräsident hat dies bei der Abschlußveranstaltung wie folgt ausgedrückt. Bei der Abschlußveranstaltung meinte er, Herr Kollege Büchner, dies sei einer der schönsten Tage seiner Amtszeit gewesen.
({7})
- Machen Sie es sich doch bitte nicht so billig, Herr Kollege Fischer.
({8})
- Sie desavouieren sich selbst mit Ihren Zwischenbemerkungen.
In Frankfurt wurde aber auch ganz konzentriert erlebbar und erkennbar der Rang und die Bedeutung des Ehrenamtes im Sport. In wenigen Wochen
- Minister Zimmermann hat schon darauf hingewiesen - wird der Bundespräsident durch die Verleihung der Sportplakette dieses Ehrenamt, das Engagement in den Vereinen besonders würdigen.
Und nun, Herr Kollege Büchner, lassen Sie mich in aller Bescheidenheit auch hier anmerken, daß ich mich höchstpersönlich darüber freue, daß meine Anregung in dieser Sache auf dem Deutschen Turntag 1982 eine so zügige, eine so positive Resonanz auch beim Deutschen Sportbund gefunden hat.
({9})
Im Stiftungserlaß heißt es: „Dies ist eine Auszeichnung für Turn- und Sportvereine, die sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege und Entwicklung des Sportes erworben haben."
({10})
- Das ist Blödsinn, was Sie erzählen, Herr Kollege Büchner.
({11})
Lassen Sie mich zum Ehrenamt zurückkommen. Ich komme damit auch auf Ihre Anmerkung im Hinblick auf die Steuergesetzgebung, Herr Kollege Amling. So gut und erfreulich natürlich diese hohe ideelle Anerkennung des Ehrenamtes auch sein mag, das Ehrenamt braucht natürlich konkrete und praktische Stützung und Förderung.
({12})
Das ist entscheidend, meine Herren Kollegen. Ich bedanke mich für Ihre Zustimmung. Das heißt zum Beispiel auch Entlastung bei den Steuern. Das heißt zum Beispiel auch Befreiung von bürokratischen Fesseln.
({13})
Denn die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Sport sollen j a ihre Zeit für den Sport nutzen und nicht für Papierkram. Was wir nicht wollen, sind allerdings steuerliche Privilegien, die Gewährung neuer Subventionen. Wer zum Beispiel am und mit dem Sport verdient, verdient auch keine andere Behandlung als jeder andere Steuerzahler. Der Begriff Aufwandsentschädigung zum Beispiel
({14})
ist nicht beliebig dehnbar. Steuerlich begünstigte unlautere Konkurrenz - und da greife ich das auf, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Amling - zur freien Wirtschaft wird es mit uns auch nicht geben.
({15})
Aber wir müssen, glaube ich, angehen gegen Tendenzen, die grundsätzlich dann schon einen Subventionstatbestand vermuten - zum Beispiel gilt das für die Finanzbürokratien -, wenn irgendein Tun und irgendeine Lebensregung noch nicht besteuert wird. Was wir vermeiden möchten, ist, daß schon die Teilnahme an Trimmveranstaltungen demnächst steuerpflichtig wird.
({16})
- Der hat mit der Trimmveranstaltung nichts zu tun. Sie sprechen von Braunschweiger Fußballern, Kollege Fischer. - Ich meine, daß auf der Basis des Acht-Punkte-Programms des DSB vom 28. Februar 1983 sehr wohl Fortschritte zu erzielen sein werden, auch solche, Herr Kollege Amling, die in den vergangenen 13 Jahren durch Sie nicht möglich gemacht werden konnten.
({17})
- Bitte berücksichtigen Sie, daß wir praktisch doch erst seit wenigen Monaten hier Politik machen. Wir sollen in wenigen Monaten das aufräumen, was Sie in 13 Jahren nicht zustande gebracht haben.
({18})
Deutscher Bundestag 10.Wahlperiode -.
Wir haben nichts eingeführt, wir haben dies alles übernommen, meine Damen und Herren.
({19})
Ein Wort zur Bürokratie. Die Tatsache, daß wir über 2 Millionen Arbeitslose haben, muß uns natürlich dazu veranlassen, gegen Mißbräuche anzugehen, z. B. was Nebentätigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes angeht.
({20})
Aber wir, der Gesetzgeber, müssen natürlich aufpassen, daß wir dem Sport die Übungsleiter nicht wegnehmen, z. B. wenn wir verbieten sollten, daß ein Lehrer abends ehrenamtlich für seinen Sportverein tätig ist, oder wenn wir durch eine entsprechende Gesetzgebung den Lehrern, die dies nicht tun wollen., ein Alibi für ihre Abstinenz im ehrenamtlichen Bereich verschaffen sollten. In den verschiedenen Gesetzentwürfen der Fraktionen sind acht zulässige Wochenstunden genannt. Diese acht Stunden sind schnell im Ehrenamt geleistet, meine Damen und Herren. Weder arbeitsmarktpolitische noch dienstliche Interessen erfordern eine Einschränkung dieser Übungsleitertätigkeit im Ehrenamt. Ich fordere uns und die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß dem Sport hier kein nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt wird, Herr Minister.
({21})
Im übrigen haben die Vereine im kulturellen Be- reich- Gesangvereine, Laienmusikvereine usw. die gleichen Probleme.
Ein letztes Wort zum Umweltschutz. Herr Kollege Schwenninger, der Sport wird zunehmend durch eine Natur- und Umweltschutzhysterie in Bedrängnis gebracht, die nicht mehr bereit ist, zwischen den in der Tat hochzuschätzenden Belangen des Schutzes von Natur und Umwelt und den hohen gesundheitlichen, pädagogischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Werten des Sports abzuwägen. Sport und Umweltschutz - das ist hier soeben schon gesagt worden - sind gemeinsame Ziele. Beide sollen unsere Lebensverhältnisse optimal gestalten, menschenwürdig erhalten und verbessern. Sport und Umweltschutz sind Partner.
({22})
Konflikte, die dort entstehen, können ausgeräumt werden, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft zum Kompromiß vorhanden ist. Diese Bereitschaft muß man aber vermissen, wenn ernstzunehmende Wissenschaftler - jetzt komme ich auf dieses Ökologie-Gutachten zu sprechen - den Sport als Umweltfeind Nr. 1 entdecken. Übrigens, dieses Gutachten ist ja nun unter der Regierung Helmut Schmidt in Auftrag gegeben und erstattet worden, um das noch einmal aufzugreifen.
({23})
Diese Bereitschaft zum Kompromiß muß man auch vermissen, wenn Gerichte Sportstätten schließen, weil sich ein Bürger in seiner Mittagsruhe gestört fühlt. Diese Kompromißbereitschaft muß man auch vermissen, wenn Regierungspräsidenten ohne Rücksicht auf die erklärte Bereitschaft der Sportler zur Rücksichtnahme auf die Natur z. B. Wasserflächen sperren.
({24})
Herr Minister, ich begrüße daher die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage, die hier zur Versachlichung der Diskussion und zur Klärung der Standpunkte beträgt, so daß es hoffentlich den Richter, der möglicherweise sogar den Vögeln das Pfeifen in der Mittagspause verbieten will, demnächst nicht geben wird.
({25})
Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Ende. - Wir brauchen die Gemeinschaft und auch die Geselligkeit im Sport. Gemeinschaft und Sport sind nun einmal zwangsläufig mit Geräusch verbunden. Die absolute Stille, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ja wohl auch eher eine schlimme Folter als eine Wohltat.
({26})
Ich gestatte mir, Florestan zu zitieren, Herr Kollege:
Gott! Welch' Dunkel hier! Oh grauenvolle Stille,
Öd' ist es um mich her.
- singt er in der Oper Fidelio Nichts lebet außer mir.
Meine Damen und Herren, ein bißchen Leben darf schon durchaus sein; das sollte man nicht per Gericht verbieten wollen.
({27})
Lassen Sie mich am Ende dieser Debatte, soweit es unsere Redezeit angeht - ich nehme an, der Herr Kollege Klein kommt noch zu Wort -, nachdem ich über das Ehrenamt und die Notwendigkeit, es zu fördern, gesprochen habe, den Funktionären im Sport herzlichen Dank sagen, den Funktionären, die erst dafür sorgen, daß der Sport überhaupt funktioniert,
({28})
den Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern in den rund 60 000 Sportvereinen.
({29})
- Dieser Dank wird auch durch Taten untermauert werden. Darauf können Sie sich verlassen, Herr Kollege Büchner.
Ich bedanke mich für Ihre - wenn auch nicht immer ungeteilte - Aufmerksamkeit.
({30})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein herzlicher Dank an alle, die im Sport tätig sind, und an alle, die diesen Dank verdienen. Ich richte diese pauschale Adresse an alle, die sich angesprochen fühlen können.
Meine Damen und Herren, eine halbe Minute meiner Redezeit möchte ich auf etwas verwenden, was schon unter Tagesordnungspunkt 3 abgehandelt worden ist. Ich möchte unserer Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher, die im. Augenblick nicht im Saal ist, sehr herzlich für die offene, sachliche, redliche und klare Sprache danken, die sie gewählt hat, als sie zu Punkt 3 unserer Tagesordnung gesprochen hat. Ich meine, wir haben in diesem Augenblick bei Frau Hamm-Brücher ein Stück Parlamentskultur erlebt. Sie hat an dieser Stelle als eine Abgeordnete gesprochen, die nur ihrem Gewissen verpflichtet ist und nicht im Auftrag ihrer Partei handelt. Der Beifall kam von einer anderen Seite, und ich persönlich hätte es lieber gesehen, sie wäre auf ihren Platz nicht nach rechts, sondern nach links abgegangen.
({0})
Herzlichen Dank dafür, Frau Hamm-Brücher, daß Sie so offen geredet haben. Sie haben deutlich gemacht, daß Ehrlichkeit ein erlaubtes Mittel unserer Politik ist; leider Gottes ist sie ja ein rarer Artikel geworden.
Meine Damen und Herren, wir haben heute in dieser Debatte über den Sportbericht der Bundesregierung aus allen Teilen der Fraktionen, von rechts und von links, eine Reihe von Erklärungen gehört, die bejaht werden können. Natürlich auch solche, denen widersprochen werden muß. Ich finde nur, daß wir einen Bereich nicht genügend gewürdigt haben, der ein Stück unserer deutsch-deutschen Politik ist und der doch eine besondere Würdigung erfahren sollte.
Herr Kollege Mischnick, mein Respekt dafür, daß Sie vorhin sagten, die Entscheidung vom Sommer 1980, hier im Saal gefällt und an dieser Stelle begründet, sei eine Fehlentscheidung gewesen. Sie haben das nicht so deutlich gesagt, aber Sie haben es so gemeint. Auch diese Aussage zu der Tatsache, daß wir nicht nach Moskau gegangen sind, sondern den Boykott erklärt haben, ist ein Stück Redlichkeit in der Politik. Diesen Gedankengang und Ihren Worten dazu kann ich mich nur anschließen.
Allerdings haben wir im Rahmen der Gestaltung unserer deutsch-deutschen Sportbeziehungen j a Möglichkeiten, auch ein bißchen mehr zu tun, als gegenwärtig geschieht. Vor allem können wir die Bundesregierung, insbesondere Herrn Minister Zimmermann und seinen Staatssekretär Spranger, daran erinnern, daß Herr Spranger beispielsweise im November 1982 vollmundig, wie es ja nun bei ihm üblich ist, erklärt hat, wenn Sie jetzt dran seien, werde sich alles ändern. Die Kontakte im deutsch-deutschen Sportverkehr würden erheblich
besser, würden ausgeweitet, und man werde eine ganze Menge an Neuerungen erleben. Aber selbst bei bester Bewertung dessen, was Sie in den letzten zwei Jahren zustande gebracht haben, kann man nur sagen: Anspruch, Wort, Ankündigung und Wirklichkeit klaffen leider meilenweit auseinander.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben auch im letzten Jahr nur 80 Sportbegegnungen auf dem Kalender gehabt und haben weniger als 70 realisiert gesehen. Im Jahre 1984 wird es kaum anders aussehen. Wir Sozialdemokraten haben - Herr Kollege Schmude ist hier im Raum - im letzten November in Berlin bei einer Tagung der Akademie eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht, die man aufgreifen sollte, auch Ihre Regierung. Wir sollten versuchen, daß auch Vereine und Sportgemeinschaften auf der mittleren und unteren Ebene
- das- muß j a nicht immer Waldhof Mannheim sein
- Kontakte knüpfen und Spiele austragen können mit Vereinen in Sachsen, in Thüringen, in Brandenburg oder sonstwo. Wir haben auch angesprochen, daß eine angemessene Zahl von Jugendmannschaften Begegnungen haben könnten.
({2})
- Sofort, Herr Kollege Tillmann. - Wir haben angesprochen, daß viele Kontakte im grenznahen Bereich denkbar und möglich sind.
({3})
Wir haben offeriert, daß Möglichkeiten zwischen Betriebssportgemeinschaften und Behindertenvereinigungen bestehen. Wir haben gesagt, daß der sportwissenschaftliche Kontakt natürlich ausgeweitet werden kann, der im Augenblick j a sehr im argen liegt.
({4})
Von diesen Ideen haben Sie leider nichts aufgegriffen, Herr Zimmermann.
Herr Tillmann zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Klein, darf ich Sie - erstens - fragen, warum alle diese guten Vorschläge nicht zur Zeit Ihrer Regierungsverantwortung verwirklicht wurden, und - zweitens - fragen, ob Sie nicht in der gestrigen Ausschußsitzung gewesen sind? Sonst könnten Sie diese Ausführungen heute nicht machen.
({0})
Natürlich, Herr Kollege Tillmann, war ich gestern in der Ausschußsitzung. Ich komme noch darauf zurück, was bei uns an Problemen im deutsch-deutschen Sportverkehr besteht. Der Ministerpräsident des Freistaats Bayern ist in einem neuen Beruf tätig geworden, nämlich als Einfädler,
({0})
Klein ({1})
in genehmigter oder nichtgenehmigter Nebentätigkeit. Er hat den Kredit von einer Milliarde D-Mark eingeleitet, und er hat versucht, Gegenleistungen zu bekommen. Wir müssen heute feststellen, daß Herr Strauß in seiner langen Liste, die er angeblich vorgelegt hat, die Sportkontakte offenbar nicht angesprochen hat.
({2})
Jedenfalls sehen wir heute, daß sich in dieser Richtung nichts bewegt hat. Es ist schlimm, daß das heute hier festgestellt werden muß. Für eine Milliarde Mark kann man ja eine ganze Menge verlangen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tillmann?
Nein.
({0})
- Ich habe sie Ihnen beantwortet. Wenn Sie damit nicht zufrieden sind, dann ist das Ihre Sache.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind jedenfalls der Auffassung, daß es eine ganze Menge Möglichkeiten gibt, mehr zu tun, als es bisher der Fall gewesen ist.
({2})
- Herr Kollege Fischer, wir haben keine Milliarde Mark als Darlehen vermittelt und dafür bestimmte Leistungen erwartet. Aber der Ministerpräsident des Freistaates Bayern hat dies getan.
({3})
Er hat eine ganze Reihe von Punkten angesprochen. Vor einigen Wochen hat er beispielsweise gesagt, alle Erwartungen seien erfüllt worden. Der Bundesminister Windelen hat gestern etwas ganz anderes gesagt. Ich frage jetzt einmal - jedenfalls rethorisch - Herrn Strauß: Hat er in seinem Wunsch- und Forderungskatalog die Ausweitung der deutsch-deutschen Sportbeziehungen über den Kalender von 80 bis 90 Begegnungen nicht eingebracht?
({4})
Wenn er es nicht getan hat, dann hat Herr Strauß leichtfertig gehandelt.
Weshalb kann man eigentlich jetzt von dem bayerischen Mellrichstadt aus abends zu Theateraufführungen nach Meiningen in Thüringen fahren, aber Sportkontakte gleicher Art sind uns verwehrt?
Weshalb hat Herr Strauß bei seinen intensiven Kontakten - er fliegt j a direkt nach Leipzig oder sonstwohin;
({5})
andere müssen mit dem Auto oder dem Zug fahren - solche Dinge nicht mit eingebracht, meine Damen und Herren von der CDU und von der CSU?
Wenn er schon der große Einfädler und Vermittler ist, dann müßte er eigentlich auch bereit sein, in konkreten Bereichen des deutsch-deutschen Sportverkehrs mehr zuwege zu bringen, als er zuwege gebracht hat.
Viele Fragen - keine verläßlichen Antworten. Ich muß sagen: Wir haben uns auch weiterhin an Herrn Strauß zu reiben.
Aber Respekt vor dem, was gestern mit einer großen Deutlichkeit von Bundesminister Heinrich Windelen in der Ausschußsitzung zum Ausdruck gebracht worden ist! Er sagte: Wir erwarten Ergebnisse und sind nicht unbedingt auf Schlagzeilen aus. Nur: Die Ergebnisse, auch im Sportbereich, müssen sich einstellen, und die haben sich bis zur Stunde leider Gottes noch nicht eingestellt.
Einige Überlegungen noch zu den Sportbeziehungen mit den ost- und südeuropäischen Ländern. Gestern hat Herr Gieselher im Sportausschuß über diesen Bereich j a eine ganze Menge ausgesagt. Wir sind dankbar, daß diese Kontakte zur CSSR, zur Sowjetunion und anderswohin gut funktionieren. Wir wollen dies ausgeweitet sehen. Wir begrüßen natürlich auch die Vereinbarungen außerordentlich, die vom Vorsitzenden der Deutschen Sportjugend und den Partnern drüben in der FDJ getroffen worden sind, daß auch hier mehr Begegnungen zwischen den Jugendorganisationen des Deutschen Sportbunds und der FDJ möglich sein sollen.
Wir wünschen uns, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie diese Begegnungen, die sich nun anbahnen, in der gleichen Weise finanziell fördern, wie es bei den Sportbegegnungen in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Ich halte es für gut, daß dieser Weg gewählt worden ist. Er sollte auf alle anderen Kontakte zwischen Deutschen hier und drüben ausgeweitet werden.
Eine weitere Bemerkung - Frau Präsidentin, das darf ich wohl noch sagen -: Wir halten es für erforderlich, daß die Sportbegegnungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik besser werden. In diesen Tagen haben viele Kolleginnen und Kollegen Erklärungen unterschrieben, mit denen sie Paten für junge Deutsche geworden sind, die sich jetzt in den Vereinigten Staaten ein Jahr lang aufhalten können. Wir als Sozialdemokraten wünschen uns, daß auch Sportvereine intensiver als bisher Begegnungen drüben austragen können und daß diese kostenaufwendigen Begegnungen auch von uns finanziell unterstützt werden. Das ist leider Gottes heute nicht der Fall. Viele Begegnungen scheitern daran, daß wir nicht in der Lage sind, sie finanziell abzudecken. Ich halte es jedenfalls für eine solidarische und wirkungsvolle Hilfe für die Kontakte zwischen uns und den Vereinigten Staaten, daß hier die Bundesrepublik mehr Geld ausgibt.
Wir stellen zum Sportbericht der Bundesregierung fest, daß wir eine solidarische und wirkungsKlein ({6})
volle Hilfe auch für viele Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika geleistet haben. Hier gibt es Übereinstimmung zwicken der Koalition, der Regierung und uns. Wir können registrieren, daß die Bundesrepublik Deutschland und die DDR hier die umfassendsten Leistungen in Form der Sportförderung in den Entwicklungsländern erbringen. Das ist jedenfalls ein Stück deutsch-deutscher Gemeinsamkeit, ohne daß eine Absprache darüber stattgefunden hat.
Ich wollte ganz gern noch einiges über Fragen zum Thema „Sport und Umwelt" sagen, sogar ein paar Fragen, die auch die Frau Präsidentin interessieren könnten. Aber Sie haben geläutet.
({7})
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich überzogen habe.
({8})
Aber das können wir gern im "Sportausschuß bei nächster Gelegenheit weiter austragen. Herr Kollege Fischer und Herr Kollege Tillmann, wir haben dazu Gelegenheit.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort zu einer Erklärung gemäß § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Gerster.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Büchner hat in dieser Aussprache - ich darf wörtlich zitieren - ausgeführt:
Auch publikumswirksame Forderungen nach Streichung von Mitteln, die Herr Gerster unlängst verbreitet hat, sprechen von wenig Sachkunde. Wissen Sie, es ist keine Sportpolitik, wenn man nach der Methode „Medaillen für Volk und Vaterland; dann fördern wir den Sport" verfährt.
Ich konnte an dieser Debatte zu diesem Zeitpunkt nicht teilnehmen, weil ich eine ausländische Gruppe zu betreuen hatte, und konnte mich deswegen nicht wehren. Deswegen möchte ich hier folgendes feststellen.
Ich habe zu keinem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit, gegenüber der Presse oder in sonst irgend einem Gremium eine Verbindung zwischen Medaillenerfolgen und Höhe der Sportförderung gezogen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe lediglich - und tue dies auch heute - wiederholt darauf hingewiesen, daß auch der Sport, soweit er staatliche Fördermittel in Anspruch nimmt, einen sehr sorgfältigen Umgang mit diesen Mitteln praktizieren muß.
({0})
Dies ist nicht aus Wollust oder Lust gegen den Sport erfolgt,
({1})
sondern auf Grund einer Beanstandung des Bundesrechnungshofs vom 22. September 1983 gegenüber dem Haushaltsausschuß des Bundestages, wo festgestellt wird, daß wiederholt der Eindruck gewonnen worden sei, daß der Staat den Sport als Zuwendungsempfänger in Sachzwänge hineinbringt und daß der Innenminister gehalten sei, sehr genau zu prüfen und Mittel zuzumessen.
Ich darf darauf hinweisen, daß diese Haltung, die ich als Berichterstatter des Haushaltsausschusses für den Sport eingenommen habe, auch die Billigung der Sportorganisationen und speziell des hier betroffenen Nationalen Olympischen Komitees hat.
({2})
So schrieb mir am 12. März 1984 der Generalsekretär des NOK, Tröger, auf diese Auseinandersetzung in der Presse hin, wo ich- ich sage das noch einmal falsch zitiert wurde, wörtlich:
Die Frage der Finanzierung unserer Olympiamannschaft ist deshalb für uns nicht weniger kritisch.
Und er fuhr fort:
Den von Ihnen gemachten Ausführungen stimme ich fast ohne Einschränkung zu.
Die Einschränkung betraf die Frage, ob Sportler, die in Sarajevo waren, nicht angetreten waren, obwohl sie hätten antreten können. Das hat also nichts mit der Höhe des Sportes zu tun.
Ich fahre in dem Zitat fort:
Ich meine, auch in der „Bild-Zeitung" hinreichend deutlich gemacht zu haben,
({3})
daß auch wir im Sport Steuerzahler sind und die Kontrolle der Verwendung öffentlicher Mittel vollständig wünschen und akzeptieren.
Ich stelle fest, daß Herr Tröger mit dieser Formulierung über meine Forderungen sogar hinausgeht. Ich habe nicht gefordert - wie hier der Eindruck von Herrn Büchner erweckt wurde -, etwa an Hand sportlicher Erfolge die Höhe der Sportförderung zu bemessen.
({4})
Das Gegenteil ist der Fall. Ich wäre deshalb dankbar, wenn derartige Erklärungen, die entweder aus falschen Zitaten bestehen oder Zitate falsch wiedergeben, in diesem Hause unterblieben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 10/1079 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Gegenstimmen und mit einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Punkte 5 und 6 sowie den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Wartenberg ({0}), Dr. Emmerlich, Fischer ({1}), Klein ({2}), Dr. Kübler, Lambinus, Schmidt ({3}), Schröder ({4}), Dr. Schwenk ({5}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Harmonisierung des Asylverfahrens mit dem Auslieferungsverfahren
- Drucksache 10/1025 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({6})
Innenausschuß
6. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Asylverfahren
- Drucksache 10/1164 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({7})
Rechtsausschuß
Zusatzpunkt 1
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes
- Drucksache 10/1255 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({8}) Rechtsausschuß
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 und 6 sowie des Zusatzpunktes 1 und für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. - Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern. Bitte, Herr Dr. Zimmermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Asylverfahrensgesetz von 1982 enthält u. a. erstmals ein beschleunigtes besonderes Verfahren für offensichtlich unbegründete Asylanträge. Mit dieser Regelung soll dem Anreiz zum Mißbrauch des Asylverfahrens dadurch entgegengewirkt werden, daß an offensichtlich unbegründete Asylanträge keine aufenthaltsrechtlichen Vorteile geknüpft werden. Ihr Ziel ist eine möglichst kurze Verweildauer solcher Asylbewerber, die sich ersichtlich nicht auf eine politische Verfolgung berufen können, sondern denen aus anderen Gründen an einem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gelegen ist.
({0})
Diese Regelung ist bis zum 31. Juli dieses Jahres befristet; sie läuft also zu diesem Zeitpunkt aus, wenn nicht rechtzeitig vorher eine gesetzliche Verlängerung dieser Frist erfolgt.
Hauptanliegen der Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Bundesregierung ist es daher, durch eine entsprechende Änderung des Asylverfahrensgesetzes die Beibehaltung des besonderen Verfahrens für offensichtlich unbegründete Anträge über den 31. Juli dieses Jahres hinaus bis zum 31. Dezember 1988 sicherzustellen. Die Bundesregierung hält wie der Bundesrat eine Verlängerung der in § 45 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes enthaltenen Befristung bis zum 31. Dezember 1988 für sachgerecht, um dem Gesetzgeber innerhalb dieses Zeitraums auf Grund weiterer bis dahin gesammelter Erfahrungen eine endgültige Entscheidung über die Fortgeltung dieser Regelungen zu ermöglichen. Sie hat dies ihrerseits in ihrem am 14. März 1984 beschlossenen Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes zum Ausdruck gebracht.
Auch wenn noch kein umfassendes statistisches Material in den Ländern vorliegt, gehen das Bundesministerium des Innern und die Länder auf Grund der praktischen Erfahrungen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und bei den Ausländerbehörden davon aus, daß diese Regelung sich bewährt hat. In der Frage dieser Einschätzung besteht uneingeschränkte Übereinstimmung bei allen Ländern, unabhängig davon, ob sie von CDU bzw. CSU oder SPD geführt werden.
Gerade die Erkenntnisse aus dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestätigen, daß rund 20 % der ablehnenden Entscheidungen als offensichtlich unbegründet zu qualifizierende Asylanträge betreffen. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang darüber hinaus, daß die hohe Zahl anderweitiger Erledigungen von Anträgen - durch Rücknahme oder Einstellungen oder auf Grund freiwilliger Ausreise - wohl mit auf § 11 des Asylverfahrensgesetzes zurückzuführen ist, so daß die unechten Asylbewerber von der Aussichtslosigkeit ihrer Vorhaben, in der Bundesrepublik einen Aufenthalt über längere Zeit erwirken zu können, überzeugt worden sind.
Im übrigen wird diese Norm auch nicht vom Hohen Flüchtlingskommissar beanstandet, dem es genau wie uns darum gehen muß, echte Asylbewerber von den unechten zu trennen, und zwar im Interesse der wirklich politisch verfolgten Asylbewerber,
für die Art. 16 des Grundgesetzes seinerzeit geschaffen wurde.
({1})
Für die Bundesregierung hat die Verlängerung des Verfahrens für die offensichtlich unbegründeten Asylanträge Vorrang vor allen anderen sonst noch in der Diskussion befindlichen Vorschlägen zum Asylverfahrensrecht. Die Bundesregierung hat sich deshalb gerade auch im Hinblick auf den Zeitfaktor bei ihrem eigenen Gesetzentwurf bewußt auf diesen Punkt der Verlängerung beschränkt und konzentriert.
Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn auf der Grundlage der Entwürfe eine rasche parlamentarische Behandlung der wesentlichen Punkte erfolgen könnte.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bachmaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich erwartet, daß der Herr Innenminister hier etwas substantiellere Grundlagen für die heutige Aussprache seitens der Regierung vortragen würde.
({0})
Ich gehe davon aus, daß die notwendigen Details und auch die notwendigen Frontstellungen in den Ausschußberatungen erkennbar werden. Vielleicht ist die Bundesregierung sogar in einem positiven Denkprozeß begriffen. Wir werden es in den Ausschüssen dann ja sehen.
Anfang dieser Woche hat sich der Essener Bischof Franz Hengsbach, Vorsitzender der Kommission für weltkirchliche Angelegenheiten der Katholischen Bischofskonferenz, in scharfer Form mit der Asylpolitik der Bundesregierung auseinandergesetzt. Ohne den Bundesinnenminister namentlich zu nennen, sagte er, ein Fall Altun dürfte sich nicht wiederholen.
({1})
Wie notwendig diese Kritik ist, zeigt das bisherige Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Gesetzentwürfen, die wir heute beraten.
({2})
Unter dem Eindruck des tragischen Freitodes Kemal Altuns hat die Bundesregierung zwar eine interministerielle Kommission eingesetzt, die prüfen soll, inwieweit das Asylverfahrensrecht mit dem Auslieferungsrecht harmonisiert werden muß. Obwohl diese Kommission schon im Januar dieses Jahres eine Expertenanhörung durchgeführt hat, liegen uns bis heute keine Ergebnisse vor. Der Bundesjustizminister muß sich wieder einmal fragen lassen, ob er den Mund zu voll genommen hat oder ob er diese Kommission von vornherein nur eingesetzt hat, um den berechtigten Forderungen nach einer Änderung des Auslieferungsrechtes ein Begräbnis noch nicht einmal erster Klasse zu bereiten. Ich verkenne dabei durchaus nicht, daß zumindest in den öffentlich bekanntgewordenen Fällen kein rechtskräftig anerkannter Asylberechtigter nach dem Freitod Altuns an die Türkei ausgeliefert worden ist.
({3})
Angesichts der Geheimniskrämerei des Bundesjustizministers, der sich weigert, den UN-Flüchtlingskommissar über jedes Auflieferungsverfahren eines Asylbewerbers zu unterrichten, kann dies allerdings nicht beruhigen. Hinzu kommt, daß das Verhalten des Bundesjustizministers selbst in den der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Verfahren durchaus zwiespältig ist. So hat er z. B. gegenüber dem Oberlandesgericht Koblenz in dem Auslieferungsverfahren Serhat auf entsprechende Fragen des Gerichts erklärt, der Bundesregierung seien keine Anhaltspunkte bekannt, daß die Türkei in der Vergangenheit manipulierte Strafverfolgungs- und Auslieferungsersuchen gestellt habe.
Verschwiegen hat er dabei ein ihm bekanntes rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das einen Asylbewerber ausdrücklich deshalb anerkannt hat, weil die Türkei manipulierte Auslieferungsunterlagen vorgelegt hat.
({4})
Verschwiegen hat er drei weitere, sorgfältig begründete Verwaltungsgerichtsurteile mit ähnlichen Vorwürfen; diese Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Verschwiegen hat er auch einen unanfechtbaren Bescheid des Bundesamts, mit dem ein Asylbewerber aus der Türkei ebenfalls mit der ausdrücklichen Begründung anerkannt worden ist, daß den Spezialitätszusagen der Türkei nicht getraut werden könne. Gegenüber der Türkei sei die Befürchtung begründet - so steht es in dieser Entscheidung -, daß sie Strafverfahren zu Zwecken politischer Verfolgung manipuliere.
Ohne sich mit den detaillierten Begründungen dieser Entscheidungen auch nur auseinanderzusetzen oder zumindest zu versuchen, sie zu widerlegen, stellt der Bundesjustizminister einfach apodiktisch fest, es gebe keinerlei - ich betone: keinerlei - Anhaltspunkte für Manipulationen. Er vertraut ganz offensichtlich den Erklärungen der türkischen Machthaber mehr als den Feststellungen unabhängiger deutscher Gerichte.
({5})
Inzwischen haben die Folgen dieses mehr als blauäugigen Verhaltens den Bundesjustizminister selbst wieder eingeholt. Denn das Oberlandesgericht Koblenz hat u. a. unter Berufung auf die Erklärungen des Bundesjustizministers die Auslieferung Serhats für zulässig erklärt, obwohl ihn das Bundesamt inzwischen als Asylberechtigten anerkannt hat. Zur Zeit muß der Bundesjustizminister daher entscheiden, ob er der Auslieferung zustimmt oder sie verweigert.
Wir fordern hier und an dieser Stelle den Bundesjustizminister auf, die Auslieferung nicht zu bewilliBachmaier
gen. Die Entscheidung muß schnell getroffen werden.
({6})
Das zermürbende Warten des Betroffenen, seiner deutschen Ehefrau und seiner Kinder muß endlich beendet werden.
Der Fall Serhat zeigt deutlich, daß ein gesetzliches Auslieferungsverbot für anerkannte Asylberechtigte notwendig ist. Zwar bietet das bestehende Recht genügend Möglichkeiten, dem Grundrecht auf Asyl auch ohne gesetzliches Auslieferungsverbot Rechnung zu tragen, wenn man dazu die notwendige politische Entschlossenheit besitzt; diese ist jedoch beim Bundesjustizminister offensichtlich immer noch nicht vorhanden.
({7})
Das fehlende Rückgrat muß dann durch ein gesetzliches Korsett ersetzt werden.
Weiterhin halten wir es für notwendig, ein gesetzliches Auslieferungsverbot zu verankern, wenn den Verfolgten in dem die Auslieferung ersuchenden Staat Folter bedroht oder kein faires Strafverfahren garantiert ist. Die Verpflichtung, ein faires Strafverfahren zu garantieren, und das Folterverbot sind in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten. Wer sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß seine Unterschrift das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht, muß zu diesen Grundsätzen auch dann stehen, wenn sie im Auslieferungsverkehr zu diplomatischen Verwicklungen führen können. Die Bundesrepublik Deutschland muß sich daher dem Vorbild der Schweiz und Österreichs anschließen, die entsprechende Bestimmungen in ihren Auslieferungsgesetzen haben.
Durch ein gesetzliches Auslieferungsverbot für anerkannte Asylberechtigte und für Verfolgte, denen Folter droht oder denen kein faires Strafverfahren garantiert ist, droht die Bundesrepublik auch nicht zu einer Fluchtburg für Kriminelle zu werden. Die praktischen Erfahrungen der Schweiz und Österreichs mit entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen widerlegen dies eindeutig. Auch die Praxis der anderen westeuropäischen Länder, rechtskräftig anerkannte Asylberechtigte nicht auszuliefern, hat keinesfalls zu einem Sog von Kriminellen in diese Länder geführt. Im übrigen: Die Bundesrepublik - auch dies sollte man hierbei bedenken - hat aus gutem Grund keinen Auslieferungsverkehr mit den Staaten des Warschauer Paktes.
({8})
Wenn behauptet wurde - so nach dem Tode Altuns -, ein gesetzliches Auslieferungsverbot für anerkannte Asylberechtigte mache die Bundesrepublik zu einer Zufluchtstätte für Kriminelle, so hat dies meines Erachtens mit den Tatsachen nichts, mit Ausländerfeindlichkeit und Demagogie allerdings wesentlich mehr zu tun.
Dieser Stil prägt auch die Debatte zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes. Der Bundesinnenminister hat sich in dieser Diskussion ausschließlich davon leiten lassen, wie man Regelungen zu Lasten der Asylbewerber verschärfen, zumindest aber beibehalten könne. Naßforsch wurde von ihm noch vor wenigen Wochen z. B. behauptet, schon jetzt stehe fest, daß sich die Sonderregelung des Asylverfahrensgesetzes für offensichtlich mißbräuchliche Asylanträge bewährt habe. Erst nachdem der Innenminister in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion nach konkreten empirischen Belegen für diese Behauptung zugeben mußte, daß er diese nicht habe, hat er sich bequemt, einer befristeten Verlängerung zur weiteren Erprobung zuzustimmen. Dabei hätte -sich der Innenminister - spätestens nach dem Bericht der Länder-Innenminister vor knapp einem Jahr - um diese empirischen Zahlen bemühen müssen; er hat es aber nicht getan. Denn die Innenminister haben ihre vorläufige Bewertung in diesem Bericht, daß sich die Sonderregelung bewährt habe, ausdrücklich mit dem Vorbehalt versehen, daß ausreichende Zahlen über die Gerichtspraxis nicht vorlägen. Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung und des Bundesrates - auch im Lichte dessen, was ich heute hier sage - in den Ausschußberatungen sorgfältig prüfen.
Wir sind allerdings auch der Meinung, daß sich eine Diskussion über notwendige Änderungen am Asylverfahrensgesetz nicht auf Regelungen zu Lasten der Asylbewerber beschränken darf. Deshalb werden wir auch den Antrag Hamburgs, der bei den aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen eine Änderung zur Beseitigung von Mißständen zugunsten der Asylbewerber vorgeschlagen hat und im Bundesrat abgelehnt worden ist, nochmals einer sorgfältigen Prüfung unterziehen.
Wir halten es auch für notwendig, daß sich der Bundestag mit der Kritik und den Forderungen des UN-Flüchtlingskommissars ernsthaft auseinandersetzt. Diese Kritik deckt sich im übrigen im wesentlichen mit der eingangs erwähnten Kritik der katholischen Kirche. Die Forderung des UN-Flüchtlingskommissars, daß Arbeitsverbot und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften schon dann entfallen sollten, wenn eine positive Entscheidung über den Asylantrag vorliegt, die noch nicht rechtskräftig ist, ist sehr ernst zu nehmen. Denn wenn das Bundesamt oder die Gerichte eine Anerkennung ausgesprochen haben, kann wohl kaum noch davon die Rede sein, daß es sich um einen mißbräuchlichen Asylantrag handelt. Im Gegenteil: In diesen Fällen ist doch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß wir einen echten politischen Flüchtling vor uns haben. Er kann - anders als die unechten Flüchtlinge - den flankierenden Maßnahmen auch nicht dadurch ausweichen, daß er in sein Heimatland zurückkehrt. Denn dort muß er wahrscheinlich mit politischer Verfolgung rechnen. Die Zahl der Flüchtlinge, die von dieser Forderung des UN-Flüchtlingskommissars profitiert hätte, lag in den letzten drei Jahren nicht viel höher als 1 000 - und dies auf dem Hintergrund, daß in dieser Zeit 200 000 Asylbewerber um Asyl nachgesucht haben. Das ist also eine vernachlässigbare, verschwindend geringe Zahl.
Wir Sozialdemokraten werden eine solche Politik, mit der man in manchen Winkeln der Republik sicherlich leicht Beifall findet, nicht mitmachen.
({9})
Für uns sind die Menschenrechte und die Grundrechte ein unteilbares Gut.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Tod des türkischen Staatsangehörigen Kemal Altun waren wir uns damals im Hause insgesamt darüber einig, daß die gesamte Rechtslage im Zusammenhang mit der Asyl- und Auslieferungsproblematik überdacht werden muß. Als besonders problematisch wurde empfunden, daß die Frage der politischen Verfolgung und deren Auswirkungen im Asylverfahren einerseits und im Auslieferungsverfahren andererseits durchaus verschieden beurteilt werden kann. Problematisch ist in diesem Zusammenhänge ganz sicherlich auch die zum Teil überlange Haftdauer in Auslieferungssachen.
Nun unterhalten wir uns heute u. a. über den Antrag der SPD-Fraktion. Herr Kollege Bachmaier, auch nach Ihren sehr pauschalen, sehr persönlich gefärbten, heftigen Attacken stehe ich nicht an zu sagen, daß in Ihrem Antrag durchaus sehr positive und begrüßenswerte Ansätze aus meiner Sicht enthalten sind. Nur, wenn wir sehen, daß in Ihrem Antrag auch die Forderung enthalten ist, daß anerkannte Asylbewerber nicht ausgeliefert werden dürfen, stelle ich mit großem Nachdruck für die Bundesregierung fest, daß bisher in keinem einzigen rechtskräftig entschiedenen Fall, in dem Asyl gewährt worden ist, eine Auslieferung erfolgt ist. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein.
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- Wenn Sie, Herr Kollege Fischer, das zum Gegenstand nehmen wollen, eine Neuauflage der Debatte zum Falle Kemal Altun zu machen, so werde ich Ihnen nicht ausweichen,
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weil hier - soweit wird Ihre Erinnerung reichen - nach langer und gewissenhafter Erwägung eben genau keine Auslieferung vorgesehen war.
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Durch noch so große Geräuschentwicklung werden Sie diesen Sachverhalt nicht in sein Gegenteil verkehren können.
Ich meine, daß die Vorschläge, die hier unterbreitet worden sind, auch im Lichte des mir soeben vorgelegten Berichts der interministeriellen Arbeitsgruppe zu prüfen sein werden, die seinerzeit von mir im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Auswärtigen und dem Bundesminister des Innern unter Beteiligung der Bundesländer eingesetzt worden ist. Diese interministerielle Arbeitsgruppe ist soeben mit der Vermutung und Verdächtigung, sie sei nur eine vorgeschobene, vielleicht überhaupt nicht stattfindende Veranstaltung, von Herrn Kollegen Bachmaier angesprochen worden.
Nein, Herr Kollege Bachmaier, so einfach geht es in der Tat nicht. Ich habe darauf gedrängt, daß das Ergebnis alsbald vorliegen soll. Nur werde ich nicht erreichen können, daß in dieser interministeriellen Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Bundesländer sorgfältig und nutzbringend gearbeitet werden kann, wenn die Zeit, die die Damen und Herren zu benötigen glauben, von mir und den anderen Ministerien nicht eingeräumt wird. Das kann überhaupt nicht die Frage sein. Deswegen, glaube ich, wären Sie besser dagestanden und es wäre klüger gewesen, wenn Sie hier nicht derart stark mit puren Verdächtigungen aufgetreten wären; denn genau in jenen Tagen ist der Bericht vorgelegt worden. Er wird bei den Beratungen im Rechtsausschuß allen zur Verfügung stehen.
Ich glaube, daß dieser Bericht eine Reihe wesentlicher Erkenntnisse zum Gesamtfragenkreis bringt, die insbesondere auch auf den Stellungnahmen von Praktikern - sowohl von Richtern als auch von Staatsanwälten - beruhen.
Die Bundesregierung wird zusammen mit den Koalitonsfraktionen prüfen, welche verwaltungsmäßigen und vor allem gesetzgeberischen Maßnahmen als Folgerungen aus diesem Bericht getroffen werden müssen. Dabei spielt aus meiner Sicht dann auch der Zeitfaktor eine ganz erhebliche Rolle. Ich meine, hier ist schon Handlungsbedarf vorhanden. Die Sache soll, so schnell es irgend möglich ist, behandelt und bearbeitet werden.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort zu den Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes. Beide Entwürfe stimmen darin überein, daß die für das beschleunigte Verfahren bei offensichtlich unbegründeten Asylanträgen geltende Befristung bis zum 31. Dezember 1988 verlängert werden soll. Ich begrüße es, daß auch der Bundesrat in diesem verfassungsrechtlich sehr sensiblen Bereich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine endgültige Regelung treffen will, sondern ebenso wie die Bundesregierung dem Gesetzgeber Gelegenheit geben will, die Auswirkungen dieser Verfahrensregelung zunächst noch über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten.
Die Bundesregierung hat im übrigen in ihrem Entwurf aus wohlerwogenen Gründen auf weitere Änderungen verzichtet. Ob solche Änderungen an
anderer Stelle notwendig sind, bedarf der sorgfältigen Überlegung und Überprüfung.
Ich denke nur einmal an zwei Vormerkposten: zum ersten an die derzeit sehr rigorose räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber. Ich denke zum zweiten an die gesetzliche Regelung, nach der eine Anhörung in diesen Fällen nicht stattfindet. Ich meine, wir sollten uns in diesen Fragen nicht so sehr unter Zeitdruck setzen lassen, wie dies jetzt im Hinblick auf § 11 des Asylverfahrensgesetzes ganz zwangsläufig der Fall, aber auch notwendig ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein gespenstischer Auftritt, den uns der Innenminister hier geliefert hat. Ich wünsche ihm auch hohes Interesse bei der Zeitungslektüre. Wie Sie hier an Ihrer Redevorlage festgehalten und mit wenigen dürftigen bürokratischen Worten eine Vorlage heruntergelesen haben, das zeigt doch auch, wie ängstlich Sie sich um Ihre Verantwortung gerade im Asylbereich und um die schlimmen Dinge, die dort geschehen sind
- namentlich im Fall Altun im Deutschen Bundestag herumdrücken wollen.
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Herr Zimmermann, Sie waren bedauerlicherweise nicht da, als ich anläßlich einer anderen Rede
- es ging um die Änderung des Demonstrationsstrafrechts - auf die Entscheidung der 19. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts hingewiesen habe. Das war eine abschließende Entscheidung, eine Kostenentscheidung im Falle Kemal Altun. Es galt nur noch über die Kosten zu entscheiden. Aber die Kammer hat Gott sei Dank auch Inhaltliches formuliert. Das würde ich Ihnen gern vorlesen. Mich würde hier vor dem Deutschen Bundestag weniger Zeitungsrascheln als eine Stellungnahme von Ihnen interessieren.
Die Kammer kam damals zu dem Schluß, daß unbeschadet des Umstandes - ich zitiere wörtlich -, daß noch viele Punkte aufklärungsbedürftig waren, sich die Kammer bereits bei der Beweislage zum Zeitpunkt des Todes für die Bestätigung der Asylgewährung ausgesprochen hätte. Es heißt dort:
Das Verwaltungsgericht wies darauf hin, daß wegen des Altun gemachten Vorwurfs bereits jemand anderes in der Türkei verurteilt worden war.
Das haben die Anwälte und auch Unterstützergruppen in Berlin vorher schon getan.
Die Kammer fährt fort:
Sie bestätigte Manipulationen seitens der türkischen Strafverfolgungsbehörden bei der Datierung des Haftbefehls und mittels Nachbesserungen des Tatvorwurfs und kommt insgesamt
zu der Überzeugung, daß der türkische Staat strafrechtliche Motive vorgeschoben habe, um eines politischen Gegners habhaft zu werden.
So ein unabhängiges Gericht in Berlin.
Hören wir jetzt den Originalton Zimmermann vom 21. Juli 1983 - es geht um die Auslieferung
Altuns -:
Im Interesse der Fortführung einer nach wie vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet, aber auch im Interesse der Glaubwürdigkeit des Auslieferungsverkehrs mit der Türkei insgesamt bitte ich Sie,
- der Brief ging an den verehrten Kollegen Engelhard, der jetzt neben ihm sitzt die Bewilligungsentscheidung vom 21. Februar 1983 für vollziehbar zu erklären, damit die Auslieferung unverzüglich durchgeführt werden kann.
Angesichts der weitgehenden Zusicherungen der Türkei besteht ein rechtfertigender Versagungsgrund, der die Auslieferung hindern könnte, nicht. Sofern seitens des Auswärtigen Amtes gegen die Auslieferung Bedenken bestehen sollten, bitte ich Sie, sich mit Nachdruck für eine positive Behandlung einzusetzen und gegebenenfalls darauf hinzuweisen, daß die sich hieraus ergebenden Auswirkungen, vor allem die zu befürchtende Belastung des deutschtürkischen Verhältnisses, allein vom Bundesminister des Auswärtigen zu verantworten wären. - Mit freundlichen Grüßen, Dr. Zimmermann
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Danach sprang Altun aus dem Fenster.
Ich muß sagen: Es gehört zu einer der deprimierendsten Erfahrungen als Parlamentarier, zu erleben - ich will es den Zuschauern auch einmal so erklären -, daß man zwar als Parlamentarier das Recht hat, alles zu fragen, daß es aber das Recht der Regierung ist, zu allem zu schweigen, zumindest zu den wichtigen Fragen. Herr Zimmermann hat sich zu diesem Vorwurf, warum er diesen Brief geschrieben hat, bis heute nicht geäußert. Statt dessen hält er sich an seiner Zeitung fest. Herr Zimmermann, die deutsche Sprache nennt so etwas einfach feige.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir debattieren mehrere Gesetzentwürfe zum Asylrecht, mittlerweile einem der traurigsten Kapitel der westdeutschen Republik. Geprägt durch die schlimmen Erfahrungen, welche viele Emigranten auf der Flucht vor Hitler zu durchleiden hatten, schrieben die Verfasser des Grundgesetzes ohne Wenn und Aber folgendes in den Art. 16: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Man möchte meinen, daß diese knappe Anordnung unmißverständlich und in der politischen Absicht eindeutig ist, aber mitnichten. Hierzulande kann ein Grundrecht oder ein begünstigendes Gesetz offensichtlich noch so
Fischer ({2})
eindeutig sein. Es wird, sofern es gegen Minderheiten oder Fremde geht, nur allzuoft bis zur Unkenntlichkeit deformiert und ins Gegenteil verkehrt. Mittlerweile stürzen sich politisch Verfolgte wieder in den Freitod aus Angst vor Auslieferung an die heimatlichen Folterknechte.
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Es brennen sich Abschiebehäftlinge in ihren Auslieferungszellen zu Tode. Die jährliche Statistik über die Anzahl der Asylbewerber wird mit ihren absinkenden Zahlen von einem triumphierenden Innenminister einer beifälligen Öffentlichkeit vorgestellt.
War es früher noch der Russe, von dem sich die westdeutsche Kleinbürgerei bedroht fühlte, so sind es mittlerweile offensichtlich die verelendeten dunkelhäutigen Massen der Dritten Welt, die angeblich unsere Wohlstandsidylle gefährden. Das Grundgesetz muß da und dann halt angepaßt und offensichtlich auch krummgepaßt werden. So zimmert man seit 1982 - angefangen mit den Sozialdemokraten - an den verschiedensten Gesetzen und Verfahrensvorschriften. Die menschlichen Schicksale dahinter tauchen nur auf, wenn es zu einer Katastrophe kommt.
Ich will mir in der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe die in diesem Hause üblichen juristischen Unsäglichkeiten nicht antun, sondern bei der ganz und gar alltäglichen und brutalen Sache bleiben.
Eines muß ich Ihnen sagen: Wenn ich Sie Saubermänner hier sitzen sehe, dann bin ich gerne ein Clochard. Mit Ihnen will ich diesbezüglich nichts zu tun haben. Das will ich Ihnen nur einmal sagen.
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Sie sind von der Sauberkeit, die über Leichen geht. Das wollte ich vorhin mit den Fragen an Herrn Zimmermann klarmachen.
Herr Abgeordneter, ich glaube, diese Bemerkung ist hier absolut unpassend. Ich rüge Sie. Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
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Gut, Frau Präsidentin. Damit wäre die Sache klargestellt.
Altun ist tot. Man prahlt hier sehr mit der Weltgeltung der westdeutschen Wirtschaft, bezeichnet sich stolz als die Exportnation, hat zudem über zwei Jahrzehnte hinweg Millionen von ausländischen Arbeitskräften, von Ihnen auch „Gastarbeiter" genannt, importiert und schreit nun nach Abschrekkung von Asylbewerbern und „Ausländer raus", nachdem man festgestellt hat, daß es sich bei dem stolzen deutschen Export um keine Einbahnstraße handelt.
Da liefert man Waffen und Kriegsgeräte in weite Teile der Welt und würde, sofern uns das neidische Ausland nur ließe, noch mehr von dem mörderischen Gerät vor allem in die Dritte Welt verschachern. Wenn dann die Opfer dieses unseres Geschäftes mit Krieg und fremden Diktatoren an unseren Grenzen anklopfen und Einlaß und Schutz begehren, so werden sie allzuoft bereits im Vorfeld zurückgewiesen oder aber mittels summarischer Schnelllverfahren wieder gegangen, einfach abgeschoben.
Um diese vierjährige Fristverlängerung zur Anwendung summarischer Abschiebeschnellverfahren geht es bei den hier vorliegenden Gesetzentwürfen von Bundesregierung und Bundesrat, wobei letzterer noch einige Zutaten zur Behandlung von Asylbewerbern beinhaltet, etwa die Zwangskasernierung und Aufenthalts- sowie Bewegungsbeschränkungen nebst verschärfter fremdenpolizeilicher Überwachung.
Sowohl die frühere sozialliberale Regierung als auch die jetzige Regierung haben es verstanden, den Eindruck zu vermitteln, als ob es sich bei den Asylsuchenden um parasitäre Glücksritter handelt, und sie haben wohlweislich niemals darauf hingewiesen, daß es oft überlebensnotwendige Gründe gibt, Heimat und Familie zu verlassen. Durch das Asylverfahrensgesetz soll dem Asylsuchenden deutlich gemacht werden, daß sie hier nicht erwünscht sind, daß sie hier allenfalls erwarten können, das eine Elend durch ein anderes zu ersetzen. So etwas nennt man gemeinhin Abschreckung.
Die sinistere Logik unserer Regierung besagt nun, daß dies nur jene auf sich nehmen werden, welche tatsächlich durch Tod und Folter bedroht werden. Dies klammert all diejenigen aus, die begründete Furcht haben, dies aber noch nicht nachweisen können. Der spätere Nachweis - und Fälle sind bekannt - wird oftmals mit Tod und Folter bezahlt. Nur: Dann ist es für die Betroffenen zu spät.
Unser Innenminister Zimmermann meint nun, daß diese abschreckende Behandlung den Asylbewerbern den Anreiz genommen habe, in die Bundesrepublik zu kommen, und präsentiert stolz seine absinkende Statistik. Dabei verschweigt er wohlweislich, daß durch die Einführung des Visumszwangs für viele Flüchtlinge gar keine Möglichkeit mehr besteht, die Bundesregierung legal zu erreichen, da der Asylantrag de facto bereits an den Schaltern der Fluggesellschaften abgelehnt wird. Hinzu kommt der insgesamt undurchschaubare Bereich der Abweisungspraxis an den westdeutschen Grenzen und Flughäfen.
Als Fazit bleibt hinter all diesen juristischen Unsäglichkeiten festzuhalten, daß eines der wichtigsten Grundrechte für eine deutsche Demokratie nach Hitler, das Recht auf Asyl vor politischer Verfolgung, im Kernbereich ausgehöhlt ist und unter dem Beifall aller im Bundesgebiet regierenden Parteien noch weiter ausgehöhlt wird, daß das Asylverfahren - insbesondere die verwaltungsmäßige Abwicklung - zunehmend inhuman wird, denn man will ja abschrecken, und daß dies jenseits des Auftrags und der Verpflichtung des Grundgesetzes allein von der Logik der Drosselung von Flüchtlingsströmen bestimmt und begründet wird. Fast wäre
Fischer ({0})
man versucht, unseren Abschreckungsspezialisten und Saubermännern einmal ein ähnliches Schicksal zu wünschen, wenn es nicht so furchtbar wäre, damit sie erfahren könnten, was es heißt, auf der Flucht vor verschlossenen Türen zu stehen.
Ich muß abschließend hier feststellen: Ich finde Ihr Verhalten und vor allen Dingen den Umgang mit den Menschen, der hinter diesen juristischen Formulierungen steht, mit Verlaub gesagt, zum Kotzen.
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Der Ton wird immer schöner in diesem Hause.
Herr Abgeordneter Olderog, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, welch eine gespenstische Rede!
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Welch ein Maß an Verzerrung, an Verleumdung! Das war, verehrter Herr Fischer, kein Beitrag zu einer rechtspolitischen Debatte in diesem Hause,
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sondern das war ein Stück böser Demagogie
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in unserem Lande.
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Aber vielleicht ist es richtig, wenn ich auf das nicht gesondert eingehe.
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Meine Damen und Herren, meine Fraktion unterstützt die Initiativen des Bundesrates und der Bundesregierung. Wir haben aber erhebliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf der SPD.
Sie haben es eben gehört und es gibt auch andere draußen im Lande, die die Asylpraxis und das Asylrecht unserer Bundesrepublik in einer Weise verdächtigen, wie wir es früher nicht erlebt haben. Da wird davon gesprochen, daß das Asylrecht ausgehöhlt werde oder, wie es eben wieder zu hören war, daß es eine Asylverhinderung, eine Asylabschrekkungspraxis sei.
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Wer sich mit diesen Gesetzen und mit der Situation, die zu diesen Gesetzen geführt hat, ernsthaft auseinandergesetzt hat, der weiß, daß das eine grobe Fehldeutung der gesetzlichen und administrativen Maßnahmen von Bund und Ländern ist. Genau das Gegenteil ist richtig.
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Ich bekenne mich und meine Fraktion bekennt sich mit allem Nachdruck zum Asylrecht,
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das aus bitteren historischen Erfahrungen geboren ist.
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Aber warum haben wir 1980/81 Überlegungen anstellen müssen, das Asylrecht zu ändern, die Praxis zu ändern? Es gab doch eine Flut von Wirtschaftsasylanten, von nicht echten Asylanten, eine Fülle von kriminellen Schlepperorganisationen.
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Dabei drohten die wirklich politisch Verfolgten in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Die Anerkennungsverfahren zogen sich immer mehr in die Länge. Es gab in der Bevölkerung ein wachsendes Mißtrauen, mehr Ausländerfeindlichkeit, und die wirklich Verfolgten hatten es immer schwerer, in unserem Land eingegliedert zu werden. Wer den wirklich politisch, rassisch und religiös Verfolgten helfen will, der mußte und muß auch heute dem immer wieder ausufernden Mißbrauch des Asylrechts und der kriminellen Einschleusung durch Geschäftemacher entgegentreten.
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Ich sage: der muß das auch noch heute tun, weil wir gerade jetzt wieder erleben, welch ein Druck auf unser Land entsteht. Wir haben das nicht leichtfertig getan - ich bin ja an diesen Diskussionen im Rechtsausschuß damals beteiligt gewesen -, sondern wir haben uns schweren Herzens zu der Überzeugung durchgerungen, daß Dinge wie Gemeinschaftsunterkünfte, Beschränkung der Sozialhilfe auf Sachleistungen, ein zeitlich beschränktes Arbeitsverbot und die Beschleunigung des Verwaltungs- und des Gerichtsverfahrens notwendig seien, notwendig zum Schutze der wirklich politisch Verfolgten.
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Wie war denn das 1980? Da hatten wir 108 000 Ausländer, die als Asylbewerber zu uns gekommen waren, davon schätzungsweise 80 %, die in Wahrheit nicht politisch verfolgt waren. Wir haben mit diesen Maßnahmen erreichen können, daß es 1983 19 000 Personen sind, bei denen der Anteil derjenigen, die wirklich politisch verfolgt sind, höher liegt. Damals mußten auch die wirklich politisch Verfolgten eine zermürbend lange Zeit warten, bis sie ihre Anerkennung erfahren hatten. Heute ist es möglich, daß - jedenfalls bei den Außenstellen von Zirndorf - im Verwaltungsverfahren nach zwei bis drei Monaten und sonst im Durchschnitt nach einem halben Jahr die Entscheidung über die politische Anerkennung fällt und damit dann die Möglichkeit gegeben ist, einen gesicherten Status als politisch Verfolgter,
als politischer Flüchtling zu erhalten, Arbeit zu suchen und an Maßnahmen zur sozialen Eingliederung teilzunehmen.
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- Ich werde darauf noch eingehen. Lassen Sie mich das zunächst zurückstellen.
Ich möchte zunächst den Bundesländern, die gewaltige Finanzmittel aufgewendet haben, um mit diesen Problemen fertig zu werden, danken. Ich möchte allen danken, die beim Bundesamt, die in den Unterkünften, die in den sozialen Organisationen helfen und tätig sind. Ich möchte auch den Richtern, die sorgfältig entscheiden, für ihren Einsatz danken.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Gesetzentwurf der SPD etwas sagen. Der SPD-Gesetzentwurf ist weitgehend mit dem Gesetzesantrag identisch, den die GRÜNEN vor eingen Monaten - ich glaube, es war im Oktober - eingebracht haben. Lassen Sie mich etwas zu dem Punkt, der Sie bewegt, sagen, zum sogenannten Spannungsverhältnis zwischen Asylverfahren und Auslieferungsverfahren.
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Auf den ersten Blick mag es vielleicht so scheinen, daß unterschiedliche Institutionen - das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte im Asylverfahren auf der einen Seite, die Oberlandesgerichte im Auslieferungsverfahren auf der anderen Seite - bei gleichem Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
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- Sie können sich j a noch melden. - Aber, meine Damen und Herren, das ist in Wahrheit nicht der Fall. Im Asylverfahren wird auf Antrag vom Bundesamt oder von den Verwaltungsgerichten festgestellt, ob der Ausländer, falls er dem unbeschränkten Zugriff der Behörden seines Heimatlandes ausgesetzt wird, eine politische Verfolgung zu befürchten hat. Ist das der Fall, so erhält er das Asylrecht
- den Status des Asylberechtigten - auch dann, wenn er ein schweres, völlig unpolitisches Strafvergehen begangen hat.
Ganz anders sieht die Lage im Auslieferungsverfahren aus. Hier herrscht der Grundsatz der Spezialität. Durch ihn werden im Auslieferungsverfahren der Zugriff und die Zugriffsmöglichkeiten der Heimatbehörden beschränkt. Eine Auslieferung ist nur dann zulässig, wenn der andere Staat bestimmte Gewährleistungen bietet, die eine politische Verfolgung rechtlich und tatsächlich ausschließen, und zwar, wie ich betone, wirksam ausschließen. Der verdächtigte ausländische Straftäter darf nur wegen der im Auslieferungsverfahren exakt festgelegten Tat in seinem Heimatland bestraft werden, und es ist ihm gewährleistet, daß er später aus seinem Heimatland wieder frei ausreisen kann.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Emmerlich?
Bitte schön.
Herr Kollege Olderog, stimmen Sie mir darin zu, daß diese Gewährleistungen in nichts anderem bestehen als in dem Versprechen eines Verfolgerstaates, den Spezialitätsgrundsatz zu beachten?
Nein!
Und sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß schon ein beträchtliches Maß an gewollter Blauäugigkeit dazu gehört, solchen Versprechungen von Verfolgerstaaten zu vertrauen?
Das ist ganz und gar nicht der Fall, Herr Kollege Emmerlich!
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Die Oberlandesgerichte haben - ich werde darauf noch eingehen -- sehr wohl zu prüfen, ob mit manipulierten Ersuchen gearbeitet wird, haben sehr wohl zu prüfen, ob der ersuchende Staat das Vertrauen verdient, das ihm entgegengebracht werden soll, haben sehr wohl zu prüfen, ob es versteckte Maßnahmen gibt, durch die der Ausgelieferte benachteiligt werden könnte. Ich verweise ausdrücklich auf das Bundesverfassungsgericht, das gesagt hat, daß der Grundsatz der Spezialität durchaus mit dem verfassungsmäßigen Recht auf Asyl im Einklang steht.
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Meine Damen und Herren, es geht doch genau darum, daß die Oberlandesgerichte eben nicht nur zu fragen haben, ob Spezialität zugesichert ist, sondern daß sie, wie es auch das Bundesverfassungsgericht dargelegt hat, in jedem Einzelfall mit Sorgfalt und Genauigkeit zu prüfen habe, ob denn Manipulationen vorliegen, ob das, was schriftlich zugesichert worden ist, auch tatsächlich eingehalten wird. Allein die Zusage der Spezialität - das ist doch von Ihren Kollegen zitiert worden; die Gerichtsentscheidungen sind doch angesprochen worden - reicht eben nicht mehr aus.
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Meine Damen und Herren, ich habe mehr Vertrauen in die Oberlandesgerichte - um das deutlich zu sagen - als in die Entscheidung eines OberDr. Olderog
Inspektors in Zirndorf. Ich glaube nicht, daß das gegenwärtige Verfahren nicht hohen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt. Ich teile diese Auffassung mit vielen qualifizierten Kennern dieser komplizierten Rechtsmaterie.
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Ich bin sehr skeptisch - wir werden ja noch sehen, was uns der Bundesjustizminister im Kommissionsbericht vorlegt -, ob es uns gelingen wird, eine bessere gesetzliche Regelung zu finden. Ich denke, wir werden noch sehr viel darüber zu diskutieren haben. Ich fürchte, daß wir eine wirklich hundertprozentig überzeugende Lösung nicht finden werden.
Der SPD-Gesetzentwurf mit dem absoluten Vorrang des Asylverfahrensrechtes bedeutet, daß die Auslieferung oft auf lange Zeit blockiert sein wird. Mit einigem Geschick kann man heute selbst ein völlig unbegründet eingeleitetes Asylverfahren über viele Jahre in der Schwebe halten. Auch nach Verlassen des Heimatlandes, auch nachträglich kann ein Ausländer durch aggressive politische Äußerungen eine politische Verfolgung begründen.
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Außerdem wollen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Auslieferungshaft auf in der Regel sechs Monate beschränken. Das bedeutet, daß in vielen Fällen eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes gar nicht zu erreichen sein wird und daß dann der Straftäter wieder freigesetzt werden muß. Viele Straftäter werden nach meiner Einschätzung untertauchen, werden verschwinden. Dann könnte vielleicht in der Tat das eintreten, was Ihr Kollege verneint hat: daß unser Land zu einem Anziehungspunkt für Straftäter aus aller Herren Länder wird.
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Ich frage Sie, Herr Emmerlich: Warum wollen Sie die Oberlandesgerichte nur an Entscheidungen des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte binden, wenn diese Asyl zuerkennen? Wenn Sie dort eine höhere Kompetenz ,sehen, warum wollen Sie nicht auch eine Bindung bei einer ablehnenden Entscheidung? In meinen Augen ist das, was Sie hier gesagt haben, eine grobe Mißachtung, eine grobe Fehleinschätzung, auch eine Diskriminierung der Richter bei den Oberlandesgerichten.
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Ich weiß - und habe volles Vertrauen -, daß wir es hier mit sehr qualifizierten, lebenserfahrenen, juristisch überdurchschnittlich qualifizierten Richterpersönlichkeiten zu tun haben. Die Unterstellungen, die Sie machen, finde ich nach meiner Erfahrung völlig unangemessen.
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Sie tun diesen Richtern damit bitter Unrecht.
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Meine Damen und Herren, meine Zeit geht zu Ende. Ich betone noch einmal: Wir werden über diese Dinge in den Ausschüssen noch eingehend diskutieren. Ich sehe noch nicht, daß wir eine Lösung finden können, die mehr Gerechtigkeit bietet. Ich habe großes Vertrauen - ich wiederhole es - in die Qualität der Oberlandesgerichte. Ich bin sicher, daß jedes Oberlandesgericht im Falle der Existenz eines parallellaufenden Asylverfahrens, wenn dafür ein Anlaß besteht, dessen Akten heranziehen wird
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und eine abweichende Darstellung des Sachverhalts zum Anlaß nehmen wird, sorgfältig zu prüfen, ob es zu einer anderen Auffassung kommen muß.
Meine Damen und Herren, der Fall Altun, der diese Diskussion ausgelöst hat, ist von großer menschlicher Tragik.
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Er sollte uns nicht verleiten, in dieser schwierigen Materie gesetzliche Änderungen vorzunehmen, die zwar den Laien befriedigen mögen, vielen Kennern der Materie aber höchst bedenklich erscheinen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Wenn man die Wirklichkeit des Verfassungsrechts auf Asyl ansieht, dann ist Selbstgerechtigkeit fehl am Platz, und zwar auf allen Seiten dieses Hauses. Ich will ein paar Fälle vortragen.
Bei Hannover ist die kranke Ehefrau eines türkischen Asylbewerbers mit ihren sechs Kindern frühmorgens von der Polizei festgenommen und unverzüglich abgeschoben worden,
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4750 Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12: April 1984
ohne daß sie mit einem Anwalt oder sonst irgendeiner Person ihres Vertrauens hätte Kontakt aufnehmen können.
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Die Polizei war durch ein Kellerfenster in das Haus gedrungen, in dem die Familie wohnte. Das Landesverwaltungsgericht Hannover konnte erst nachträglich diese Art der Abschiebung für rechtswidrig erklären. Der Asylbewerber ist natürlich seiner Familie in die Türkei nachgereist.
In München wurde ein iranischer Asylbewerber mit seiner schwangeren Frau und zwei Kindern im Alter von zwölf und sieben Jahren in eine Sammelunterkunft nach Neuburg-Schrobenhausen eingewiesen, und zwar eineinhalb Jahre, nachdem er seinen Asylantrag gestellt hatte. Die Einweisung erfolgte, obwohl er einen Arbeitsplatz nachweisen konnte und seine Wohnung langfristig bezahlt war. Die Behörde erklärte, daß ein Nachteil für das eingeschulte Kind des Asylbewerbers nicht entstehen könne, da die Einweisung zum Ende des Schuljahrs erfolge und im Lager kostenlos Deutschunterricht durch einen Dolmetscher erteilt werde. Die Einweisung erfolgte ohne vorherige Anhörung. Sie wurde vom Verwaltungsgericht aus formalen Gründen aufgehoben.
Es liegt mir eine ganze Reihe von Fällen vor, in denen die Einweisung erfolgte, obwohl der Asylantrag mehrere Jahre zurücklag, die Asylbewerber integriert waren und keinerlei Sozialhilfe in Anspruch nahmen.
Ein Sinn dieser Maßnahme außer dem der Abschreckung ist nicht erkennbar.
Auch aus Hessen ist mir eine Reihe von problematischen ausländerrechtlichen Entscheidungen bekanntgeworden, die sich zwar nicht auf Asylbewerber beziehen, aber auch sonst außerordentlich bemerkenswert sind.
({3})
Ich frage mich, ob wir bei der Verabschiedung des Asylverfahrensrechts solche alltäglichen Entscheidungen tatsächlich gewollt haben, und ich denke: nein.
({4})
Wenn wir an die Novellierung des Asylverfahrensrechts gehen, müssen wir uns Klarheit darüber verschaffen, wie die Verwaltungswirklichkeit nach den bisherigen Entscheidungen der Ausländerämter aussieht, und wir müssen entscheiden, ob wir diese Verwaltungswirklichkeit so wollen. Für uns stehen der Alltag in den Sammelunterkünften, die soziale Lage und die Betreuung der Asylbewerber im Mittelpunkt der Überlegungen. Dieser Alltag ist trist, er ist teilweise unwürdig, und man muß sich fragen, ob das, was in diesem Bereich notwendig ist, damit erkauft werden muß, daß wir die Asylbewerber für Jahre in den Status entmündigter Pfleglinge herabdrücken.
({5})
Wir wollen keinen Mißbrauch des Asylrechts durch Antragsteller, die aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik kommen. Sie sind zwar keine Wirtschaftsflüchtlinge, sondern Armutsflüchtlinge, wie die katholische Bischofskonferenz zutreffend formuliert hat; aber wir können das Problem der ungleichen Verteilung der Lebenschancen auf dieser Erde nicht in dieser Weise lösen.
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- Ja.
Wir wollen auch ein zügiges Entscheidungsverfahren sowohl aus eigenem Interesse wie auch im Interesse der Bewerber selber, die Klarheit über ihr Schicksal haben müssen. Aber wir wollen auch, daß das Verfahren fair bleibt und dem Rang eines Grundrechts entspricht, das die Väter der Verfassung formuliert haben, weil sie gegenüber Flüchtlingen eine Verpflichtung empfanden und weil manche von ihnen selber politische Flüchtlinge waren.
Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zu § 11 des Asylverfahrensgesetzes findet die grundsätzliche Unterstützung meiner Fraktion. Er ist eilbedürftig, weil die jetzige Regelung in wenigen Monaten ausläuft.
({7})
- Herr Kollege, darüber müssen wir uns ja gerade unterhalten. Sie kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen uns keinen Fall nennen kann, in dem das bisherige summarische Verfahren zu unvertretbaren Folgen geführt hätte.
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Denn die Frage, ob die aufschiebende Wirkung eintreten soll - das ist der Punkt -, wird nach diesem geltenden Recht immerhin von, zwei Instanzen geprüft: vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht, allerdings in einer summarischen Weise.
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Ich empfinde es als unbefriedigend, daß die Länder bisher keine zahlenmäßigen Belege dafür haben darstellen können, daß diese Schnellverfahren ohne mündliche Verhandlung wirklich notwendig sind. Manche Verwaltungsgerichte machen von der Möglichkeit Gebrauch - die ich persönlich für besser halte -, sofort in die Hauptverhandlung einzutreten und dann rechtskräftig in der Sache selber zu entscheiden, mit dem Nachteil allerdings, Herr Kollege, daß es dann bis zur rechtskräftigen Entscheidung nur eine einzige Instanz gibt.
Ich bin nicht überzeugt, daß es der Beschleunigung dient, wenn zunächst nur über die Frage zweimal entschieden wird, ob eine Klage aufschiebende
Wirkung hat, ohne daß eine Entscheidung in der Sache selber ergeht. Aber wir sind bereit, den Ländern auf ihren Wunsch hin einen weiteren Erprobungszeitraum in dieser Frage zu gewähren. Das fällt uns um so leichter, als sich die Bundesregierung bei der Arbeitserlaubnisverordnung zu Erleichterungen wenigstens für einen Teil der Asylbewerber, der aus Ostblockländern, auf unser Drängen hin entschlossen hat, nämlich das Arbeitsverbot für Ostblockflüchtlinge aufzuheben, die wir ohnehin nicht zurückschicken, auch wenn sie kein Asylrecht besitzen. Andere Wünsche der Länder zur Änderung des Asylverfahrensrechtes bedürfen nach unserer Meinung einer sorgfältigen Prüfung.
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- Herr Kollege, das ist ein sehr pauschaler Zwischenruf. Wir haben uns im Innenausschuß doch über die Wünsche des Flüchtlingskommissars wiederholt und lange unterhalten. Sie wissen, daß sich diese Wünsche des Flüchtlingskommissars überwiegend nicht auf die hier in Frage stehenden Rechtsprobleme beziehen, sondern auf die Wirklichkeit in den Lagern. Und in dieser Frage sind wir nicht auseinander.
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Aber lassen Sie mich zum Verfahrensrecht zurückkommen. Wir sind der Meinung, daß die Einweisung in Sammelunterkünfte eine Anhörung der Betroffenen voraussetzen sollte, was bei allen anderen Verwaltungsverfahren eine pure Selbstverständlichkeit und gesetzlich vorgeschrieben ist. Wir werden prüfen, ob die radikale Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Asylbewerber tatsächlich notwendig ist. Wir haben da erhebliche Zweifel.
Der Gesetzentwurf der SPD zur Kollision des Asylrechts mit dem Auslieferungsrecht entspricht in der Grundposition einer Haltung, die die FDP seit langem einnimmt und auch formuliert hat. Es wird niemand ausgeliefert - das hat der Justizminister hier mit dankenswerter Klarheit dargestellt -, der in der Bundesrepublik Asylrecht genießt. Die Bundesregierung hat das im Zusammenhang mit dem deutsch-jugoslawischen Rechtshilfeabkommen auf wiederholte und bohrende Fragen des Kollegen Wittmann ausdrücklich mehrfach versichert. Deswegen bin ich über Ihre Ausführungen, Herr Kollege Olderog, so erstaunt.
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Die Bundesregierung hat das auf ausdrückliche Fragen des Kollegen Wittmann - das war 1973 - immer wieder versichert. Und der Außenminister hat sich unverändert bis zum heutigen Tage an diese feste Zusage gehalten.
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Und ich war überrascht - ich freue mich, daß der Kollege Vogel anwesend ist -, ich war schockiert,
Herr Kollege Vogel, daß Sie in Ihrer Amtszeit als Justizminister auf der Auslieferung eines Flüchtlings bestanden haben, der zwar in Frankreich politisches Asyl bekommen hatte, bei einer Reise in die Bundesrepublik aber zufällig verhaftet wurde und sich einer Auslieferungsanforderung Jugoslawiens gegenübersah. Der Außenminister hat sich dankenswerterweise Ihnen entgegengestellt und darauf hingewiesen, daß auch das Asylrecht anerkannt werden müsse, das von einem anderen Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden sei. Ich freue mich, daß Ihre Fraktion in dieser Frage offenbar nachdenklicher geworden ist, als es Ihren damaligen Positionen entsprach.
Wenn es also so ist, daß wir einen anerkannten politischen Flüchtling nicht ausliefern, dann ist es unwürdig, die für das Asylrecht auf der einen und für die Auslieferung auf der anderen Seite zuständigen unterschiedlichen Gerichte, nämlich Verwaltungs- und Oberlandesgericht, zu einem Wettlauf zu zwingen, wer mit seiner Entscheidung eher fertig wird. Das ist der Grund, warum man die Verfahren zusammenführen muß. Es wäre eine unerträgliche Rechtsunsicherheit auch für den Betroffenen, wenn er nicht wüßte, ob er der Verbürgung des Asylrechtes vertrauen kann. Darum haben wir im Zusammenhang mit dem Fall Altun die Forderung gestellt, die beiden unterschiedlichen gerichtlichen Verfahren zusammenzuführen. Der heute hier vorgelegte Gesetzentwurf kommt dieser Forderung in einer Weise, die unsere Vorstellungen nicht ganz trifft und über die man reden muß, sehr nahe. Auch wir vertreten die Auffassung, daß der Asylbewerber, der Asyl bekommen hat, nicht ausgeliefert werden darf und daß die Entscheidung über die Auslieferung auch während eines anhängigen Asylverfahrens zurückgestellt werden muß, um ein Auseinanderfallen der beiden Entscheidungen zu verhindern. Wir sind der Meinung, daß über das politische Asyl, das ein anderer Signatarstaat gewährt hat, nicht hinweggegangen werden kann. Wir sind der Meinung, daß die Auslieferungshaft in der Regel nicht länger als neun Monate zu dauern braucht und daß derjenige, dessen Auslieferung begehrt wird, die Gelegenheit bekommen sollte, sich mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Verbindung zu setzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich?
Jawohl.
Herr Kollege Hirsch, dürfen wir Ihre Fraktion während der Ausschußberatungen und in der zweiten und dritten Lesung trotz Ihrer Koalition mit Herrn Zimmermann und Herrn Olderog beim Wort nehmen?
Mir gefällt Ihre Bemerkung über eine Koalition mit dem Bundesinnenminister und einem Kollegen dieses Hauses nicht. Es gibt eine Koalition der beiden diese Bundesregierung in ihrer Gesamtheit tragenden Fraktionen. Ich bin ganz sicher, daß diese Koalition in den hier anstehenden Fragen eine rechtsstaatlich einwandfreie
Lösung finden wird, die man vertreten kann. Da bin ich ganz sicher.
({0})
Ich habe unsere Position hier dargestellt. Im übrigen habe ich auch dies gesagt: Ich freue mich, daß entgegen der Zeit, in der wir mit Ihnen in einer Koalition waren, nun auch der damalige Justizminister in dieser Frage eine offenbar stringentere Haltung einnimmt und sich unseren Vorstellungen nähert. Wir begrüßen das. Darum habe ich am Anfang gesagt: Selbstgerechtigkeit ist in dieser Frage nicht am Platze, auf keiner Seite.
({1})
Ich bin also ganz sicher, daß wir zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden. Wir wollen die von mir dargestellten politischen Grundentscheidungen auch gesetzgeberisch verwirklichen. Wir sind uns darüber klar, daß wir eine humanitäre Verpflichtung wahrzunehmen haben. Dieser Verpflichtung wollen wir uns nicht entziehen. Wir stimmen darum der Überweisung der Gesetzentwürfe an die zuständigen Ausschüsse zu, und wir werden zu einer zügigen Beratung der zu entscheidenden Fragen beitragen.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesen Tagesordnungspunkten nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der unter den Tagesordnungspunkten 5 und 6 sowie unter dem Zusatzpunkt 1 aufgeführten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1025, 10/1164 und 10/1255 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7,
Erste Beratung des von den Abgeordneten Schmidt ({0}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({1}), Klein ({2}), Dr. Kübler, Lambinus, Frau Renger, Schröder ({3}), Dr. Schöfberger, Dr. Schwenk ({4}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({5})
- Drucksache 10/891 -,
Überweisungsvorschlag des Ältestensrates:
Rechtsausschuß ({6}) Innenausschuß
sowie gleichzeitig den Zusatzpunkt 2,
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({7})
- Drucksache 10/1286 -,
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({8}) Innenausschuß
auf.
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung von Tagesordnungspunkt 7 und Zusatzpunkt 2 und für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Beratung des Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ist kein alltäglicher Vorgang. Ich gehe davon aus, daß jedem von uns unabhängig von seinem politischen Standort klar ist: Hier geht es um die Einlösung einer Verpflichtung aus unserer jüngsten deutschen Geschichte. Hier kann und darf sich niemand einer Antwort entziehen. Die Antwort kann eigentlich nur in eine Richtung gehen und einhellig sein. Das heißt: Wir müssen gemeinsam alles tun, was dazu beitragen kann, die Hypotheken dieser Vergangenheit zu mildern.
Nach meinem Eindruck besteht in der Richtung grundsätzliches Einvernehmen, und darüber bin ich froh. Dies sollte es dann auch leichter machen, die notwendige Auseinandersetzung über die Art und Weise, wie wir unsere Verpflichtung erfüllen und ihr gerecht werden, bei allen bestehenden verständlichen Unterschieden in der Auffassung über das Wie zwar engagiert, aber sachlich und in Ruhe zu führen.
Die beiden vorliegenden Entwürfe stimmen zunächst einmal in folgendem überein:
Erstens. Wir sind alle der Auffassung, daß klargestellt werden muß, daß die Einziehung rechtsextremistischer Schriften auch noch nach Eintritt der Strafverfolgungsverjährung möglich sein muß.
Zweitens. Es kann auch gar keinen Zweifel an der Notwendigkeit geben, den strafrechtlichen Schutz vor der steigenden Einfuhr von NS-Material aus dem Ausland zu verbessern.
Auch beim Kernpunkt, der das Leugnen nationalsozialistischer Völkermordhandlungen betrifft, sehe ich die grundsätzliche Übereinstimmung, daß solchen Verhaltensweisen eben auch strafrechtlich zu begegnen ist.
({0})
Wie sollte man sonst solchen Publikationen begegnen können?
Ich habe sehr viele dieser Schriften die seit Jahren verstärkt bei uns auftauchen, in der Hand geBundesminister Engelhard
habt und habe sie gelesen. Diese Veröffentlichungen versuchen - oft in pseudo-wissenschaftlich verbrämter Form - den systematischen nationalsozialistischen Völkermord in Abrede zu stellen, und sie geben dabei zum Teil sogar vor, mit ihren ungeheuerlichen Behauptungen gerade zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden beitragen zu wollen. Wer dies liest, wird immer und immer wieder zutiefst betroffen sein.
Gewiß, wir werden irgendwann einmal, eines fernen Tages, in der Lage sein müssen, dieses schrecklichste Kapitel unserer Geschichte zu bewältigen. Aber diese Bewältigung kann nach meiner Überzeugung nur geschehen, wenn wir auch zu diesem Teil der geschichtlichen Vergangenheit unseres Volkes stehen und keine Versuche zulassen, an dieser Geschichte herumzurechten, herumzuretuschieren, etwas wegzunehmen, es zu schönen oder wie immer man es nennen will,
({1})
und wenn wir uns auch immer der hier von uns geforderten notwendigen Verantwortung stellen.
({2})
Letztlich geht es um das, was der Herr Bundeskanzler kürzlich bei seinem Israel-Besuch sehr nachdrücklich betont hat: Wir dürfen die schwere Erbschaft dieser besonderen Verantwortung nicht ausschlagen. Wenn wir uns hierüber einig sind, dann treten alle anderen unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfragen demgegenüber meines Erachtens sehr stark zurück.
Daß der Versuch, das sogenannte Dritte Reich von den mit ihm untrennbar verbundenen Verbrechen reinzuwaschen - vor allem auch gegenüber der Jugend - eine besonders gefährliche, weil unterschwellige Form neonazistischer Propaganda darstellt, erscheint mir ganz klar.
({3})
Da der bestehende Strafrechtsschutz gegen solche Verhaltensweisen nicht ausreicht, muß dieser Strafrechtsschutz verbessert werden. Das Mittel der geistig-politischen Auseinandersetzung, zu der wir uns alle bekennen, die wir aufnehmen müssen
({4})
- die das Wichtigste ist, Herr Kollege; ich stimme dem voll zu -, die im Vordergrund stehen muß, reicht hier allein nicht mehr aus. Es bleibt ein Rest, bei dem auch die Möglichkeit strafrechtlicher Abwehr verlangt und gefordert ist.
Es ist bekannt, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes - bei voller Anerkennung dieses grundsätzlichen Anliegens - Bedenken gegen Einzelformulierungen erhoben hat. Ich habe diese geäußerten Bedenken sehr ernst genommen. Ich habe mir große Mühe gegeben, sie zu überwinden, gerade weil mir so viel
am Zustandekommen einer wirksamen Regelung liegt.
Ich meine, daß dies innerhalb der Koalition nunmehr durch eine vernünftige Lösung gelungen ist: Nach unseren Vorstellungen soll sich künftig strafbar machen, wer Schriften verbreitet oder sonst verwendet, in denen nationalsozialistische Völkermordhandlungen in Abrede gestellt werden. Biertischredereien werden nicht erfaßt.
({5})
Erfaßt werden sollen aber auch das Billigen und Leugnen von vergleichbaren Verbrechen gegen Deutsche, aber eben nur gegen Deutsche,
({6})
weil wir weder Weltpolizist sein wollen noch Weltpolizist sein können.
({7})
In diesem Sinne hat sich auch die Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates geäußert. Ich bin sicher, daß wir damit bei der Verwirklichung unseres gemeinsamen Anliegens ein sehr entscheidendes Stück weitergekommen sind.
Ich möchte wiederholen, was ich kürzlich in einem Namensartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben habe:
Das Hauptanliegen des Gesetzes bleibt: eindeutig strafwürdige neonazistische Propaganda, die durch geschickte Darstellungsform durch die Maschen unseres Strafrechts schlüpft, zu erfassen und genauso mit Strafe zu belegen wie andere „offenere" Formen der Agitation.
Daß wir es gerade beim Leugnen der nationalsozialistischen Judenverfolgung mit einem strafwürdigen Unrecht zu tun haben, hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1979 ausdrücklich anerkannt. Er hat nämlich festgestellt, daß das Leugnen dieser Vorgänge eine „Wiederholung und Fortsetzung der Diskriminierung" und damit eine strafbare Beleidigung für jeden jüdischen Mitbürger darstellt.
Aber es genügt nicht, daß es unseren jüdischen Mitbürgern gleichsam als ihre Privatsache überlassen bleibt, eine Strafverfolgung wegen Beleidigung gegen diejenigen in Gang zu setzen, die mit der sogenannten „Auschwitz-Lüge" Propaganda treiben. Nach geltendem Recht müssen die Opfer bekanntlich noch selbst aktiv werden, weil eine Beleidigung nur auf Strafantrag verfolgt wird. Wenn aber Verhaltensweisen den öffentlichen Frieden zu stören geeignet sind, dann muß der Staatsanwalt von Amts wegen einschreiten können. Den Opfern des Nationalsozialismus, ihren Angehörigen und ihren Nachkommen, aber nicht allein ihnen, sondern auch uns selbst, meine ich, sind wir das schuldig.
({8})
Deswegen muß solchen Auswüchsen des Tuns auch mit den Mitteln des Strafrechts in entsprechender Weise begegnet werden.
Die Kritik, die sich gegen den Entwurf richtet, beruft sich sehr stark auf historisch-politische Überlegungen. Da ist der immer wieder zu hörende Hinweis, daß das Gesetzesvorhaben in der zivilisierten Welt einzig sei.
({9})
Ich meine, auch Auschwitz, auch Buchenwald, auch Treblinka waren in der zivilisierten Welt einzig.
({10})
Was - um auch diese Frage anzusprechen - die Relation zwischen der Strafandrohung der geplanten Vorschrift und den Verbrechen anbelangt, die in Auschwitz geschehen sind: Angesichts des unglaublichen Unrechts, das mit dem Namen Auschwitz auf immer verbunden ist, kann das Gesetz ohnehin keineswegs der Sühne etwa einzelner Völkermordhandlungen dienen. Aber dieses Gesetz kann und soll Sanktion sein für die Störung des gesellschaftlichen Friedens und damit zugleich für die verbundene Verletzung, ja ich möchte sagen: Schändung des Persönlichkeitsrechts der Toten wie der Überlebenden.
Der Entwurf eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ist ein wichtiges, aber auch ein sensibles Vorhaben, das an unser Geschichtsbewußtsein appelliert. Nochmals: Wir sollten gerade bei diesem Thema den Boden sachlicher Auseinandersetzung nicht verlassen. Dieser Gesetzentwurf, für den ich mich auch weiter persönlich mit allem Nachdruck einsetzen werde, befaßt sich eben nicht nur abstrakt mit rechtem Totalitarismus oder mit Geschichtsfälschung, sondern er ist ganz konkret ein Teil von Vergangenheitsbewältigung - Bewältigung und Aufarbeitung des wohl dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte. Das besondere historische Bewußtsein von den Dimensionen der nationalsozialistischen Verbrechen sollte für alle Deutschen und für die politisch Verantwortlichen zumal eine Selbstverständlichkeit sein.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute namens meiner Fraktion den Entwurf zum Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetz zu vertreten. Das ist ein sehr technischer Begriff, unter dem sich sicherlich sehr wenige innerhalb des Hauses und schon fast gar niemand außerhalb des Hauses etwas vorstellen kann. Es geht uns dabei darum, eine bessere Bekämpfung neonazistischer Agitation und Propaganda mit strafrechtlichen Mitteln zu erreichen.
Der Herr Bundesinnenminister hat erst v_ or wenigen Tagen den Verfassungsschutzbericht 1983 vorgelegt. Obwohl in diesem Bericht der Teil, der sich mit dem Rechtsextremismus befaßt, sehr knapp ausgefallen ist, und der Teil, der sich mit dem Linksextremismus befaßt, sehr ausführlich ist, enthält er doch zwei bemerkenswerte Feststellungen, die ich zitieren will. Erstens. Die Zahl der Gesetzesverstöße mit neonazistischem Charakter hat sich im Jahr 1982 gegenüber dem Vorjahr um 64 % erhöht. Zweitens wird nachgewiesen, daß eine Reihe neonazistischer Organisationen, vor allen Dingen Jugendorganisationen, immer wieder den Antisemitismus aufgreifen und die Verbrechen des Nationalsozialismus leugnen oder verharmlosen.
Wenn man sich diese beiden Feststellungen vor Augen hält und sich dann überlegt, daß es scheinbar in diesem Hause einen breiten Grundkonsens bei der Bekämpfung neonazistischer Bestrebungen gibt, könnte man meinen, bei diesem Gesetzentwurf handele es sich um einen sogenannten Selbstläufer, dem sich parlamentarische Hürden überhaupt nicht in den Weg stellen. Aber weit gefehlt. Offensichtlich haben nicht nur Bücher, sondern auch der eine oder andere Gesetzentwurf eine eigene Geschichte und ein eigenes Schicksal; der vorliegende Entwurf ganz besonders.
Ich glaube, es lohnt sich, sich das Schicksal dieses Entwurfs kurz vor Augen zu führen. Er wurde von der sozialdemokratischen Minderheitsregierung eingebracht, nachdem die FDP bereits das Regierungschiff auf dem Weg zu einem anderen Ufer verlassen hatte. Der neuernannte Bundesjustizminister Engelhard hat bereits am 29. Oktober 1982 vor dem Bundesrat diesen Entwurf begründet. Der Entwurf ist dann der Diskontinuität verfallen. Aber er ist bereits im April letzten Jahres erneut eingebracht worden.
Bravo, würde man sagen, wenn man nicht wüßte, daß in der Zwischenzeit, nämlich seit einem Jahr, dieser Entwurf offensichtlich in einer Art Bermudadreieck der Rechtskoalition verschwunden war und erst gestern abend auf geheimnisvolle Art und Weise wieder aufgetaucht ist.
({0})
- Gestern ist er wieder aufgetaucht. Wenn Sie die Zeitungen vor dem Parlament informieren, kann ich dafür nichts. Ich habe es heute auch in den Zeitungen gelesen, daß er wieder da ist.
({1})
Da sie gerade als Geschäftsführer aus Bayern etwas sagen,
({2})
muß ich im übrigen noch erwähnen, daß schon damals im Bunderat ein Staatssekretär mit dem irreführenden Namen Vorndran den Entwurf abgelehnt hat, den der Herr Justizminister dort begründet hat.
In der Haushaltsdebatte des Bundestages im Dezember vergangenen Jahres habe ich Ihnen, Herr Bundesjustizminister gesagt, daß Sie offensichtlich Ihrem Hause die Schnecke als leuchtendes Beispiel für die Arbeitsweise dort vor Augen geführt haben. Sie setzten sich zur Wehr und sagten, ich solle nur abwarten; stetig vorwärtsschreitend würden die Erfolge nicht auf sich warten lassen.
Schmidt ({3})
Wenn ich mir vor Augen halte, daß es ein Jahr dauert, einen Entwurf, der fertig und eingebracht war, auf die Tagesordnung dieses Parlaments zu setzen, dann bin ich eigentlich schon erstaunt über das „Vorwärtsschreiten". Ich glaube, man braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um festzustellen, daß der Entwurf, wenn wir unseren nicht auf die Tagesordnung hätten setzen lassen, noch lange, lange Zeit verschollen geblieben wäre.
({4})
Trotzdem: Sie haben unser Mitgefühl, Herr Engelhard. Herr Zimmermann, den Fragen nach der HIAG im Verfassungsschutzbericht nur langweilen, ist ja gegenüber dem Rechtsextremismus blind. Sie sind, wie der lange Zeitablauf zeigt, gelähmt oder zumindest lahm.
({5})
Die Tragik besteht nur darin, daß hier immer der Blinde den Lahmen geführt hat. Das kann natürlich zu nichts Gutem führen. Ich glaube überhaupt, wenn man sich einmal das Gespann anschaut, das unsere Rechtsordnung, unsere Grundordnung gegen den Neonazismus schützen soll, muß man feststellen, daß es in der Tat ein beeindruckendes Gespann ist.
Um was geht es uns bei unserem Entwurf? Es geht im Grunde genommen um drei Dinge. Der erste Punkt ist: Wir wollen, daß die Einfuhr von rechtsradikalem und neonazistischem Material aus dem Ausland früher als bisher bestraft werden kann. Wer es verbreitet oder in Umlauf bringt, wird auch schon jetzt nach geltendem Recht bestraft. Ich glaube, es ist notwendig, daß man bereits den Zugriff hat, wenn dieses ins Inland gebracht wird.
Es geht zweitens um die Verjährungsfrist, die bei presserechtlichen Veröffentlichungen sehr kurz ist und die manchmal dazu geführt hat, daß man diese Schriften nicht mehr beschlagnahmen konnte oder sie gar zurückgeben mußte. Solche Schriften sollen in Zukunft unabhängig von der presserechtlichen Verjährungsfrist beschlagnahmt werden können. Ich gebe zu, daß einer solchen Bestimmung keine sehr große Bedeutung mehr zukommt, nachdem der Bundesgerichtshof eine Entscheidung gefällt hat, die in die gleiche Richtung tendiert; es geht mehr oder weniger nur um eine Klarstellung.
Jetzt kommt der eigentliche Punkt. Der Kernpunkt unseres Vorschlages ist das Leugnen und Verharmlosen des nationalsozialistischen Völkermordes für den Fall, daß sie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Verbrechen der Naziherrschaft, die industrielle Vernichtung von Millionen von Menschen sind es ja, die die größte Belastung unserer Geschichte darstellen und die zu einer dauernden Belastung im Verhältnis zu anderen Völkern führen.
({6})
Dabei geht es um einen singulären historischen
Vorfall, der nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keines besonderen Nachweises mehr
bedarf. Der entscheidende Wille, das, was damals gewesen ist, nicht wiederkehren zu lassen, gehört zum Grundkonsenz unserer Verfassung. Wer diese Verbrechen leugnet, der zielt auf diesen Grundkonsenz und verletzt damit auch die Menschenrechte.
Ich meine, die strafrechtliche Sicherung dieser Werte - da stimme ich Herrn Justizminister ausdrücklich zu - ist eine Aufgabe dieser Gesellschaft. Man kann es nicht den Nachkommen der Opfer übertragen und sie auf den Privatklageweg wegen Beleidigung verweisen, damit sie diese Werte auf dem justiziellen Wege wahren.
({7})
Es ist unsere Aufgabe, mit dem Strafrecht einen allerdings - darüber sind wir uns einig - bescheidenen Beitrag dazu zu leisten, dies aus der Welt zu schaffen.
Ich möchte dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, Herrn Galinski, ausdrücklich zustimmen, der in einem Interview vom 6. April dieses Jahres gesagt hat:
Es ist schon traurig genug, daß heute an den Kiosken in diesem Lande Zeitungen mit Überschriften prangen, mit denen die Verbrechen der Nazis geleugnet und bagatellisiert sowie demokratische Politiker aufs Übelste diffamiert werden. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß im Jahre 1984, fast 40 Jahre nach Kriegsende, nicht dieses Gesetz gegen die nationalsozialistische Agitation verabschiedet ist.
Aber genau in diesem Punkt lagen die Schwierigkeiten in der Rechtskoalition. Darin liegt der Grund, warum es seit einem Jahr auf Eis liegt.
Die „SZ" von gestern stellt in einem Kommentar mit Recht fest: „Dieser Vorgang allein stellt der Bundesregierung ein Armutszeugnis aus."
({8})
Nur die Einbringung unseres Entwurfs hat die Regierung zum Handeln gezwungen. Aber wie hat sie denn gehandelt? In Form einer Stellungnahme zu Bedenken christdemokratisch geführter Bundesländer im Bundesrat hat sie mit großer Hektik und heißer Nadel einen Vorschlag gebastelt, der die Strafbarkeit teilweise zurücknimmt und sie teilweise auf andere Straftaten ausdehnt, wobei interessanterweise der Herr Justizminister hier an diesem Pult kein einziges Beispiel dafür nennen konnte, welche Straftaten, die unter einem anderen Regime gegen Deutsche begangen wurden, gemeint sein könnten und woraus sich ein Handlungsbedarf für unser Strafrecht ableitet.
({9})
Es wäre sehr gut, wenn wir von irgend jemandem eine Begründung dazu hören könnten. Herr Kleinert ist immer sehr findig, und vielleicht fällt ihm etwas dazu ein. Ich kann mich gut erinnern, daß er gesagt hat, der Stalinismus müsse da angegangen werden, und es müßten auch diejenigen bestraft werden, die den Stalinismus verherrlichten. Nur
Schmidt ({10})
kenne ich solche bei uns nicht, und darum sehe ich auch den Bedarf nicht.
Die Rechtskoalition, der in vielen Bereichen die ganze Richtung nicht gepaßt hat, hat uns sozusagen nach dem Motto, daß Angriff die beste Verteidigung ist, vorgeworfen, daß wir einäugig seien. Da möchte ich einmal Herrn Wittmann zitieren, weil Sie gesagt haben, Herr Justizminister, Sie wollten nicht den Weltpolizisten spielen. Herr Wittmann hat am 1. März 1984 in den CSU-Mitteilungen - es wird Sie freuen, Herr Bötsch, daß Sie auch einmal zitiert werden - geschrieben:
({11})
CDU und CSU verurteilen jeglichen Völkermord. Strafbestimmungen, die die Billigung und Verharmlosung von Völkermord unter Strafe stellen sollen, müßten sich z. B. auf die Leugnung des Völkermords in Afghanistan, auf die Leugnung des Völkermords im Archipel Gulag sowie auf die Verharmlosung bei Verbrechen bei der Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat erstrecken.
({12})
Dazu folgendes. SPD und GRÜNE haben ganz selbstverständlich einen Antrag für Afghanistan, den Sie eingebracht haben, unterschrieben. Bei Chile, wo es um Menschenrechtsverletzungen von einer rechten Junta geht, sind wir ganz selbstverständlich allein geblieben. Da frage ich mal, wer auf einem Auge blind ist. Sie, nämlich auf dem rechten.
({13})
Und da möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Die nationalsozialistischen Verbrechen sind von Deutschen in deutschem Namen begangen worden. Daraus ergibt sich für uns eine ganz besondere Verpflichtung, und daraus ergibt sich auch der heutige Handlungsbedarf. Der Herr Justizminister selber hat im übrigen vor dem Bundesrat am 29. Oktober 1982 ausgeführt - ich zitiere ihn -:
Manchmal war zu hören, mit dem vorliegenden Entwurf werde das strafrechtliche Instrumentarium einseitig nur nach rechts, nicht aber nach links erweitert; der Entwurf sei gewissermaßen einäugig. Das ist nicht richtig. Im Laufe der Vorarbeiten im Bundesjustizministerium sind auch Lösungen erwogen worden, durch die der Straftatbestand auf das Leugnen oder Verharmlosen anderer als neonazistischer Gewalttaten, insbesondere Handlungen des Völkermords ganz allgemein, erstreckt worden wäre. Gegen eine solche Lösung hat aber vor allem die Praxis mit wichtigen Gründen Einwendungen vorgebracht.
Darum haben Sie das damals abgelehnt, Herr Engelhard. Sie tun mir j a leid, daß Sie heute anders argumentieren müssen, weil sonst Ihr Entwurf den Bach heruntergegangen wäre.
Und was passiert jetzt? Plötzlich soll das schriftliche Leugnen zwar strafbar sein, aber die Agitation
in einem Versammlungsraum nicht. Wo ist denn da der Unterschied, frage ich einmal.
({14})
Nicht die Biertischargumentation. Erklären Sie mir, wo der Unterschied ist zwischen dem Verteilen eines Flugblatts und dem Darlegen in einer Versammlung, mit dem Zündeln in einer Versammlung, Herr Engelhard.
Und das andere möchte ich Ihnen auch noch sagen. Nach dem Bundesverfassungsgericht bedarf es keines zusätzlichen Beweises. Die nationalsozialistischen Verbrechen sind so offenbar, daß sie nicht nachgewiesen werden müssen. Bei allem, was hier drinsteht: sollen denn etwa die Richter hergehen und eine Beweisaufnahme durchführen, ob überhaupt Verbrechen begangen wurden? Das ist ja eine Bestimmung, die überhaupt nicht anwendbar ist.
Ich meine, daß Sie nicht den Mut hatten, denjenigen, die diesen Entwurf nicht wollten, gleich hart nein zu sagen. Das wäre wenigstens ehrlich gewesen. Sie versuchen es hier mit einer Farce. Sie versuchen, diesen Entwurf unanwendbar zu machen mit einer Regelung, die eine Farce darstellt.
Ich sage Ihnen für die SPD-Fraktion folgendes. Wir sind ja immer bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Wir sind auch bereit, wenn jemand bessere Vorschläge macht, sie zu übernehmen. Mit einem können Sie aber bei uns nicht rechnen, daß wir uns an dieser Tragikomödie, die Sie hier zu diesem Entwurf aufführen, indem Sie die Bestimmung ins Unanwendbare erweitern, beteiligen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schmidt, Sie haben in sehr lebhafter Form die Entstehungsgeschichte des Entwurfs der SPD bis zum heutigen Tage und auch die Entstehungsgeschichte des Regierungsentwurfs dargelegt. Sie rühmten es, daß Sie in der Lage waren, Ihren Gesetzentwurf heute auf den Tisch des Hauses zu bringen. Für meinen Standpunkt ist es überhaupt nichts Rühmenswertes, irgend etwas auf die Tagesordnung zu bringen. Entscheidend ist, was man auf die Tagesordnung bringt, Herr Schmidt. Und da, meine ich, hapert es leider Gottes bei Ihrem Entwurf.
({0})
Und wenn wir etwas länger gebraucht haben, um uns zu diesem Thema heute zu äußern, weil wir der Meinung waren, man sollte vielleicht noch etwas länger überlegen, so glaube ich nicht, daß das ein Nachteil ist, daß das zu rügen wäre. Ihr Entwurf zeigt ja gerade deutlich, wohin man kommt, wenn man nicht rechtzeitig überlegt und damit einen Entwurf vorlegt, der nachher draußen, wenn er von den Gerichten angewendet werden soll, dazu führt, daß kein Gericht eine Entscheidung in Ihrem Sinne
treffen kann, weil der Entwurf nicht praktikabel ist, Herr Schmidt.
({1})
- Wenn Sie zu vielen schreien, verstehe ich es deshalb nicht, weil es akustisch nicht geht, und wenn einer von Ihnen schreit, nützt es mir nichts, weil es mir geistig nicht eingeht; es sollte logisch sein, und es sollte möglichst nur einer vortragen. - Herr Schmidt, eines steht fest: Sie können sich zumindest heute nicht rühmen, die deutsche Offentlichkeit hinter sich zu haben, nicht einmal Presseorgane, die normalerweise Sie unterstützen, und nicht die CSU. - Jawohl, Sie verstecken sich gerade zu Recht hinter der „Zeit"; Sie könnten auch noch den „Spiegel" aufschlagen. Da können Sie sehen, was diese Presseorgane denken: Ihr Entwurf ist schlecht, er taugt nichts.
Wir haben uns zu Recht die Mühe gemacht, etwas länger darüber nachzudenken. Wir hoffen - ich möchte das nicht aggressiv, sondern mit dem Angebot zum Kompromiß äußern -, daß der von uns eingebrachte Gesetzentwurf den Anstoß gibt, gemeinsam über die Problematik nachzudenken, damit wir am Schluß ein Gesetz haben, das in der Praxis tatsächlich auch anwendbar ist.
Ich möchte das aufgreifen, was unser Justizminister am Anfang gesagt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß dieses Thema im Grunde genommen viel zu ernst ist, als daß es zu einer in dieser Form kontroversen Diskussion in diesem Hause führen sollte.
({2})
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Ich bestreite nicht - ich kann mir nicht vorstellen, daß einer meiner Kollegen aus der Koalition dies bestreiten würde -, daß diesem Gesetzentwurf - auch Ihrem Gesetzentwurf - eine moralisch einwandfreie Intention zugrunde liegt. Auch für mich ist es bedrückend, in der Bundesrepublik eine Zunahme neonazistischer und rechtsextremistischer Aktivitäten beobachten zu müssen, die auf eine Leugnung, Verharmlosung oder gar Verherrlichung der nationalsozialistischen Greuelherrschaft hinzielen. Nicht nur unsere jüdischen Mitbürger, nach meiner Auffassung muß es jeden Deutschen mit Abscheu erfüllen, wenn angesichts erdrückenden Beweismaterials und unter dem entsetzlichen Eindruck von Filmen und Bildern von Opfern in deutschen Konzentrationslagern das Wort von der sogenannten Auschwitzlüge in rechtsextremistischen Kreisen die Runde macht.
({3})
Man muß sich in der Tat auch fragen, was Menschen bewegt, die sich sogar noch mit Symbolen dieses Terrorregimes, das diese Opfer zu verantworten hat, ausstatten.
Meine Damen und Herren, wir als Politiker müssen uns natürlich auch fragen, was wir tun können, um das Neuentstehen von Rassenhaß und Terror wirksam bekämpfen zu können. Diese Verpflichtung tragen wir vor dem Hintergrund unserer jüngsten Vergangenheit und in der Verantwortung vor den Opfern des Hitler-Regimes und deren Angehörigen ebenso wie in der Sorge um die Zukunft unseres Volkes in Recht und Freiheit.
Ich sage Ihnen: Unter diesen Gesichtspunkten unterstützen wir die Intention Ihres Gesetzentwurfs. Wir sind allerdings der Meinung, daß er - so wie Sie ihn eingebracht haben - verbesserungsbedürftig ist. Wir hoffen, daß wir jetzt schon einen kleinen Beitrag zur Verbesserung geleistet haben, und ich bin der Auffassung, daß wir - dazu gibt es eine zweite Lesung und eine dritte Lesung, es gibt vor allem auch die Ausschußberatungen - in der Lage sein werden, den Gesetzentwurf tatsächlich so hinzubekommen, daß wir alle damit zufrieden sein können.
({4})
- Das werde ich Ihnen erklären. Bitte warten Sie das ab! Vielleicht tun Sie es bei Ihrem Entwurf nachher auch nicht mehr.
Wir erkennen an, daß es neben der geistigen und politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus auch notwendig ist, rechtliche Mittel einzusetzen. Wie das Anliegen allerdings in verfassungsrechtlich unbedenklicher und vor allem kriminalpolitisch zweckmäßiger Weise verfolgt werden kann, muß nach meiner Auffassung sehr sorgfältig geprüft werden.
Gerade die Auseinandersetzung mit den geistigen und politischen Hinterlassenschaften eines Unrechtsstaates fordert den Rechtsstaat in besonderem Maße heraus. Wir dürfen nicht der Versuchung verfallen, Unrecht in rechtlich fragwürdiger Weise zu bekämpfen. Wir haben erhebliche rechtliche Bedenken gegen den von der SPD vorgelegten ursprünglichen Entwurfstext, und zwar einmal deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß es erhebliche Mängel hinsichtlich tatbestandlicher Bestimmtheit gibt, wie sie für Strafrechtsnormen nun einmal gefordert werden muß. Der Entwurf schließt ferner nicht in gesicherter Weise aus, daß unter Umständen im Einzelfall auch nicht strafwürdiges Verhalten von der vorgeschlagenen Vorschrift erfaßt wird. Bedenken bestehen schließlich vor allem dagegen, daß der Entwurf extremistischen Kreisen die Möglichkeit eröffnet, den Gerichtssaal zum Forum ihrer rechtsextremen Propaganda umzufunktionieren. Ich möchte dies im einzelnen begründen:
Nach Ihrem Entwurf soll sich künftig auch strafbar machen, wer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen des Völkermordes leugnet oder verharmlost. Damit sollen Äußerungen oder Veröffentlichungen, die in vordergründiger Scheinobjektivität die historisch unbestreitbare Tatsache der Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus leugnen oder herabspielen, ohne damit ausdrücklich hetzerische Angriffe gegen jüdische Mitbürger zu verbinden, zu Offizialdelikten erhoben werden. Diese Zielsetzung ist richtig. Denn
es geht bei der Verfälschung des planmäßig durchgeführten nationalsozialistischen Völkermordes als „Auschwitz-Lüge" nicht allein um die Ehrverletzung einzelner Menschen. Das Ziel entsprechender Darstellungen ist nach meinen Erfahrungen vielmehr in aller Regel der Versuch, das Hitler-Regime im internationalen Vergleich oder im Vergleich zur Bundesrepublik als „gar nicht so schlecht" erscheinen lassen. Die politische Absicht steht bei solchen Äußerungen im Vordergrund. Man will Anhänger für einen neuen totalitären Staat rechtsextremer Prägung gewinnen. Deshalb sollte die Schutzrichtung des 21. Strafrechtsänderungsgesetzes auch nicht - wie im Entwurf der SPD vorgesehen - auf die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens abstellen, sondern auf die Tendenz, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu verharmlosen.
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die vom SPD-Entwurf beabsichtigte Erweiterung des § 140 StGB aus rechtssystematischen Gründen falsch zu sein. Das wäre aber nicht so tragisch. Dennoch erlauben wir uns den Vorschlag der Erweiterung des § 131 durch Ergänzung um einen § 131 a.
({5})
- Ich danke. Da haben wir uns also doch schon in einem Punkt auf einen Kompromiß vorwärtsbewegt. Sie sehen also, daß durchaus unterschiedliche Gedanken in einem Parlament sinnvoll sein können, weil sie doch letzten Endes weiterführen.
({6})
Ich möchte allerdings Zweifel dahin gehend anmelden - ich sage das ganz ungeschützt und persönlich -, daß die soeben geforderte Reinwaschungstendenz allein bereits ausreicht, die Strafwürdigkeit zu begründen. Wenn es um den Schutz der demokratischen Grundordnung unseres Staates geht - darum geht es hier -, dann müßte nach meiner Auffassung zur Reinwaschungstendenz auch noch eine Art Wiederbelebungstendenz gefordert werden. Das heißt, die strafbare Handlung müßte geeignet sein, die Wiederbelebung nationalsozialistischer Bestrebungen zu fördern.
Es wäre allerdings zu prüfen, ob die Vorschriften bei einem so weitgehenden Erfordernis noch praktische Wirkungen hätten. Ich bin mir darüber noch nicht im klaren. Man sollte auch das in Zusammenarbeit mit der Praxis erforschen.
Um die Anwendbarkeit in der Praxis geht es aber auch, wenn die CDU/CSU-Fraktion insoweit Bedenken gegen den SPD-Entwurf erhebt, als dort die Verharmlosung von Völkermord zum Tatmerkmal erhoben wird. Hier fehlt es nach meiner Auffassung völlig an der tatbestandlichen Bestimmtheit, wie sie für Strafrechtsnormen geboten ist.
Nach dem SPD-Entwurf soll das vorgesehene Tatbestandsmerkmal „Verharmlosen" ja sowohl qualitative wie quantitative Verharmlosungsformen erfassen. Damit entsteht im anhängigen Gerichtsverfahren die für jeden Richter kaum lösbare Frage, von welcher Grenze ab sich derjenige strafbar
macht, der die Schätzzahl der Opfer des Nationalsozialismus in Frage stellt.
Die CDU/CSU-Fraktion vertritt deshalb die Auffassung, daß nur das Billigen oder Leugnen der Völkermordshandlungen strafbar sein soll, sofern diesen Tathandlungen die vorgenannte Reinwaschungs- oder eventuell Wiederbelebungstendenz innewohnt.
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren, Herr Bundesjustizminister, werden wir jedoch nach meiner Auffassung nicht darum herumkommen, auch das Tatbestandsmerkmal der Leugnung nochmals daraufhin zu überprüfen, ob es dem Grundsatz der Bestimmtheit genügt. Wo ist der Übergang vom Verharmlosen zum Leugnen? Was ist, wenn ein Angeklagter die Anzahl der in Konzentrationslagern umgekommenen Opfer leugnet? Daß eine Massenvernichtung Millionen jüdischer Menschen stattgefunden hat, ist eine historische Tatsache. Das Bundesverfassungsgericht hat sie als offenkundig und keines weiteren Beweises bedürftig bezeichnet. Schon vom Tatbestand her sollte aber ausgeschlossen werden, daß etwa über das zahlenmäßige Ausmaß der nationalsozialistischen Völkermorde Beweis erhoben und daß hinsichtlich einzelner Taten festgestellt werden muß, ob sie im Rahmen der Massenvernichtungsaktionen oder in anderen Zusammenhängen durchgeführt wurden. Unerträglich wäre doch die Konsequenz, daß sich fehlende letzte Klarheit - etwa über Zahlen der Opfer - strafprozessual zugunsten des Angeklagten auswirken würde und dementsprechend erneut und mit verstärkter Wirkung zu Propaganda mißbraucht würde. Das kann doch auch nicht im Sinne Ihres Gesetzentwurfs liegen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Bundesregierung bitten, auch das Tatbestandsmerkmal der Leugnung einer erneuten Prüfung und eventuellen Präzisierung zu unterwerfen. Insbesondere sollte verhindert werden, daß das Leugnen von Einzelakten oder quantitativen Größen zunächst vom Tatbestand erfaßt und schließlich doch über Freispruch von der Strafbarkeit ausgenommen wird. Hier wäre nach meiner Auffassung der Schaden des Gesetzes größer als dessen Nutzen.
({7})
Ebenso wie die Tatbestandsmerkmale der Verharmlosung und der Leugnung begegnet auch die im SPD-Entwurf erfaßte Tathandlung der mündlichen Äußerung erheblichen Bedenken.
Ich muß jetzt gestehen, Herr Schmidt, daß ich, weil Sie darauf zu sprechen kamen, daß eine Versammlung, in der vor mehreren hundert Menschen agitiert wird, natürlich auch im Sinne einer Gefährdung unserer freiheitlichen Grundordnung wirken kann, hier eine Einschränkung machen muß. Wenn ich „mündliche Äußerung" sage, dann beschränkt sich das auf den kleinen Bereich des Biertischgeschwätzes. Ich halte es nicht für sinnvoll, daß man das bestraft.
({8})
Ich halte es nicht für richtig, generell nur die mündliche Äußerung zu erfassen, weil ich dann auch den Stammtisch erfasse. Wenn wir gemeinsam eine Formulierung finden, die es ermöglicht, denjenigen unter Strafe zu stellen, der in einer Versammlung Leugnung oder Billigung solcher Völkermordtaten äußert, dann bin ich der Meinung, daß wir eine derartige Formulierung auch in unseren Gesetzentwurf aufnehmen könnten.
Wenn wir die Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankenguts und das Wecken von Rassenhaß verhindern wollen, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, daß nur solche Tathandlungen bestraft werden, die tatsächlich darauf abzielen, auch national-sozialistische Organisationen oder Bestrebungen wieder zum Leben zu erwecken. Es sollte jeder Eindruck einer Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung im privaten Bereich vermieden werden. Deshalb hält die CDU/CSU-Fraktion es für notwendig, nur die Verbreitung von Schriften und von Rundfunksendungen strafrechtlich zu erfassen und - unter den eben genannten Voraussetzungen - eventuell auch die mündlichen Äußerungen einzubinden, sofern sie in Versammlungen in agitatorischer Form vorgetragen werden.
Lassen Sie mich aber abschließend noch auf ein weiteres grundsätzliches Bedenken hinweisen. Der SPD-Entwurf stellt nur auf Handlungen des Völkermords ab, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen wurden. Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, daß die CDU/CSU-Fraktion die Billigung oder Leugnung solcher Verbrechen mit den Mitteln des Strafrechts ahnden will, wenn dies rechtspolitisch und rechtstechnisch in einwandfreier Form geschieht. Ich möchte aber auch keinen Zweifel daran lassen, daß die Einschränkung auf Handlungen des Nationalsozialismus unbefriedigend ist. Völkermord ist Völkermord, gleich von wem und gleich an wem er ausgeübt wird. Deshalb müßte jeder, der dem deutschen Strafrecht unterliegt, gleichermaßen belangt werden, wenn er Völkermord heute oder in der Vergangenheit, in unserem Land oder in anderen Staaten billigt oder leugnet. Deshalb begrüße ich namens der CDU/CSU-Fraktion den Versuch der Bundesregierung, in ihrem heute vorgelegten Gesetzentwurf auch Handlungen zu erfassen, die gegen Deutsche in einer anderen als der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft begangen wurden.
({9})
- Wer die an Deutschen begangenen Vertreibungsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg als normale Maßnahmen im Rahmen einer Umsiedlungsaktion bezeichnet, darf nicht anders behandelt werden als jemand, der die Hitler-Greuel zu rechtfertigen versucht, meine Damen und Herren.
({10})
Daß solche Äußerungen in diesem Staate gefallen sind, sogar schriftlich, das dürfte doch wohl unbestritten sein, auch bei Ihnen.
Herr Abgeordneter Dr. Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt.
Bitte, Herr Schmidt.
Herr Kollege Götz, nach dem, was Sie gesagt haben und nach Ihrem Entwurf müßte künftig jemand bestraft werden, der leugnet, daß Karl der Große in Verden an der Aller die Sachsen hingeschlachtet hat. Könnten Sie mir vielleicht eine Antwort auf die Frage geben: Wollen Sie das haben?
Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Herr Schmidt, ich habe dies als Versuch der Bundesregierung bezeichnet, auch Verbrechen einzubeziehen, bei denen Völkermord in anderen Bereichen verherrlicht wird. Ich habe das Wort „Versuch" ganz bewußt gewählt. Ich möchte mit dem Wort „Versuch" zum Ausdruck bringen, daß im Grunde genommen die gesamte gesetzgeberische Intention, sowohl wie sie von Ihrer Seite, als auch wie sie von unserer Seite verfolgt wird, ein großes Problem in sich birgt, nämlich die Praktikabilität.
Ich möchte jetzt darauf noch zu sprechen kommen. Ich muß es natürlich ganz kurz tun. Ich möchte aber die Antwort noch zu Ende führen. Ich befürchte, daß wir besonders bei der Hereinnahme von Leugnung oder Billigung von Verbrechen, die an Deutschen begangen worden sind, an die Grenze der Praktikabilität einer Rechtsvorschrift stoßen: Denn welches Gericht soll Beweis erheben über die Massenmorde in der Nachkriegszeit? Wem kann das Gericht als historisches Tribunal gegen politische Gegner dienen? Wem nützen historische Prozesse und jahrelange Beweiserhebungen mit anschließendem Freispruch?
Ich denke, Herr Schmidt - das war auch die Absicht -, daß wir noch viel darüber nachdenken müssen und zu arbeiten haben, bevor das 21. Strafrechtsänderungsgesetz Rechtskraft erlangen kann, bis wir ein praktikables Gesetz haben. Ich hoffe, daß wir gemeinsam ein brauchbares Gesetz schaffen - nur darum geht es -, ein Gesetz, das den Angehörigen der Opfer des Nationalsozialismus gerecht wird, das extremistischen politischen Verführern das Handwerk legt, das unseren Rechtsstaat schützen kann, das Kriminelle von Spinnern und Schwätzern unterscheidet und das nicht zuletzt - das ist das Wichtigste - unsere Richter nicht vor unlösbare Aufgaben stellt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Gewiß ist die Ernsthaftigkeit der Bestrebungen der Verfasser des hier zu beratenden Gesetzentwurfes, mit dem dem Neofaschismus, seiner fratzenhaften Propaganda, dem geistigen Unrat, der noch viele Kloaken findet, entgegen4760
gewirkt werden soll, nicht zu bestreiten und anzuerkennen. Wenn Zweifel an diesem gesetzgeberischen Vorhaben von mir heute abend vorgebracht werden, dann geschieht das auf einer sehr subjektiven Grundlage. Es gibt auch in der Fraktion der GRÜNEN einige Stimmen, die den Gesetzentwurf aus ähnlichen Erwägungen unterstützen, wie sie in der Begründung des Gesetzentwurfes enthalten sind.
Aus meiner Sicht vermag ich jedoch nichts zu erkennen, das die strafrechtlichen Sanktionsdrohungen, die eingeführt werden sollen, in wirksamer Weise zur politischen Bekämpfung neonazistischer Kräfte beitragen können. Es ist ein deutsches Elend, dieser Glaube an das Vorschriftsmäßige, an Aktenzeichen und Paragraphen. Die Verbrechen der Naziherrschaft waren vermittelt von Paragraphen, Strafbestimmungen, Rundverfügungen, Verordnungen, Erlassen und Gesetzen.
({0})
Es scheint mir ein trauriges, gespenstisches, illusionäres und hoffnungsloses Unterfangen zu sein, die Zerstörung des Gewissens, der Kultur, des Rechts, die in unsere heutige Gegenwart hineinreicht, mit Paragraphen wieder einzuholen.
({1})
Sicherlich ist dem Vorsatz, Verharmlosung und Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen künftig unter Strafe zu stellen, nicht damit beizukommen - wie es die CSU tut -, diese nationalsozialistischen Verbrechen eben, in diesem Moment und in diesem Zusammenhang durch Relativierungen abzuschwächen, zu verharmlosen.
({2})
Aber ist wirklich etwas gewonnen, wenn wir einen armseligen Trottel oder einen bösartigen Lügner,
({3})
der starrsinnig die historische Wahrheit über das Grauen des Naziterrors leugnet, ins Gefängnis werfen? Wir müssen uns prüfen, ob diese Gesetzesinitiative nicht nur der innerlichen und äußerlichen Entlastung früherer und aktueller Versäumnisse dient.
({4})
- Das werden wir nicht durch dieses Gesetz tun. ({5})
Ich sehe nicht, daß Juristen bis heute wirklich eine grundlegende Überwindung ihres staatsfixierten Denkens gelungen ist, mit dem sie die Verbrechen des Naziterrors vorbereitet, ausgeführt und später ausgebügelt haben.
Juristen fühlten sich außerstande, im Jahre 1968 zu klären, ob bei Widerstandsaktionen in Form der Verbreitung einer Druckschrift gegen die Naziherrschaft die tatsächlichen Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstandes vorlagen.
Juristen geraten ins Grübeln, ob eine verfolgte Jüdin nicht den Kriegsgesetzen des Dritten Reiches Gehorsam geschuldet habe. Es gibt dazu einen sehr schönen Aufsatz von Adolf Arndt: „Agraphoi No-moi".
Höchstrichterliche Totaljuristen kamen zu der Erkenntnis, daß ein Soldat, der erschossen worden war, weil er die für das Heer angeordnete Art des Grüßens verweigert und geäußert hatte, das sei alles vorbei, der Dreck gehe ihn nichts mehr an,
({6})
nicht die NS-Herrschaft bekämpft habe.
Bundesgerichtshofsjuristen kamen nicht ins Stottern, als sie das Hören eines ausländischen Rundfunksenders während des NS-Regimes als begangene Straftat bezeichneten.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", heißt es. Die schrecklichen Juristen des Volksgerichtshofes ermordeten 4 951 Menschen innerhalb von drei Jahren. Nahezu 11 000 Menschen ermordete die sogenannte normale Justiz während des Dritten Reiches. 2 316 Menschen wurden von Henkern in der Richterrobe in Polen zu Tode gebracht. Kein einziger dieser volljuristischen Hinrichter ist nach 1945 rechtskräftig verurteilt worden. Die juristischen Gehirne verstanden es, diese Mordaktionen als Gerichtsbarkeit und Recht vorzustellen - wahrlich: Leugnen und Verharmlosen.
Die Prozesse vor dem Volksgerichtshof wurden sozusagen wiederholt und die Opfer zum zweitenmal zum Tode verurteilt. Juristische Logik vermochte es, einen Euthanasiearzt freizusprechen, der geistig behinderte Menschen, die schwächsten unserer Mitmenschen überhaupt, zu Hunderten umgebracht hatte. Juristischen Klügeleien gelang es, hohen Generälen, Richtern, Staatsanwalten, Polizeibeamten und vielen anderen, die der NS-Terrorherrschaft gedient hatten, nach 1945 wieder einträgliche Positionen in Staat und Wirtschaft zu verschaffen.
Juristen verfaßten und kommentierten die Nürnberger Gesetze und machten später Karriere in der Bundesregierung. Ein Jurist begründete die Verfügung, mit der ein Ermittlungsverfahren gegen einen 55-Führer wegen Mordes eingestellt wurde, damit, der Mord an jüdischen Kindern, die erhängt worden waren, sei deshalb nicht grausam gewesen, weil diesen Kindern außer der Tötung kein zusätzliches Leiden zugefügt worden sei. - Die Juristen, scheint es, haben immer eine staatsangepaßte Antwort.
({7})
Derselbe juristische Gelehrte, der in einem umfangreichen Kommentar befand, ein Beamter verletze seine Pflichten, wenn er seine Sprößlinge mit jüdischen Kindern spielen lasse, urteilte später ebenso dienstfertig, daß ein Beamter, der Zweifel an seiner Freude an der freiheitlich-demokratiSchily
schen Grundordnung aufkommen lasse, untragbar sei.
Juristen beriefen sich auf das Gerichtskostengesetz, um bei Angehörigen die Kosten für eine Hinrichtung in Höhe von 158,18 RM zuzüglich 12 Pfennig Porto zu berechnen. - Ach nein, Juristen haben in aller Regel nur Abscheulichkeiten zustande gebracht, was die NS-Zeit angeht.
({8})
Juristen haben geleugnet, daß der staatliche Mord Mord war.
({9})
Sie haben die unvorstellbaren Verbrechen dieser Zeit verharmlost, entschuldigt und zum Teil sogar gerechtfertigt.
Und immer noch ist einer jener düsteren Gestalten, der einen legalisierten Mord mitzuverantworten hat, Ehrenvorsitzender der CDU in Baden-Württemberg.
({10})
Von ihm stammt die Äußerung, die das NS-Recht leugnet und verharmlost: „Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein."
({11})
Dem Neonazismus muß politisch widerstanden und entgegengearbeitet werden.
({12})
Die notwendige Aufklärung und politische Bildungsarbeit finden leider nur wenig Unterstützung bei den verantwortlichen Regierungsstellen.
Warum unterläßt es die niedersächsische Landesregierung beispielsweise, im ehemaligen Konzentrationslager Esterwegen eine Gedenk- und Informationsstätte zu errichten? Das wäre ein besserer Beitrag zur Aufklärung und zum Widerstand gegen Neonazismus, als ein paar Leute ins Gefängnis zu verfrachten.
Warum sperrt sich die niedersächsische Landesregierung dagegen, daß eine Universität nach dem Antifaschisten Carl von Ossietzky benannt wird, während keine Bedenken bestehen, daß eine Kaserne der Bundeswehr den Namen eines Nazigenerals trägt?
Warum sind keine Bemühungen der Bundesregierung und der Länderregierungen erkennbar, in verstärktem Maße Dokumente über die Verbrechen der Nazizeit zu sichern und einer breiteren Offentlichkeit zugänglich zu machen? Warum wird in der bildungs- und kulturpolitischen Arbeit die Darstellung der NS-Terrorherrschaft vernachlässigt?
({13})
Schließlich werden wir lernen müssen, unser Rechtsdenken von Grund auf zu verändern, das Recht aus dem Menschen zu entwickeln. Auf diese Weise wird eine Rechtskultur entstehen, in der neonazistische Bestrebungen keinen Nährboden mehr finden werden.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schily, Ihre Worte waren sehr eindrucksvoll, und niemand wird bestreiten, daß alles das, was Sie über das, was Juristen in diesem Land gefehlt haben, gesagt haben, richtig ist. Es ist andererseits von bemerkenswerter Einseitigkeit. Sie haben nicht gesagt, wie wir, die wir handeln sollten, wenn uns solche Probleme wie die, die Sie zutreffend und sehr überzeugend dargestellt haben, anrühren, uns verhalten sollen, um daraus die Konsequenzen zu ziehen.
({0})
Das fehlt. Ich bin der Meinung, wir müssen - auch aus dem, was Sie dargestellt haben - die Konsequenz ziehen, unsere juristischen Fähigkeiten dazu zu benutzen, ganz klein, möglichst bescheiden, nicht mit zu hohen Ansprüchen das fortzuschreiben, was wir haben, und es besser zu pflegen, als es vorher der Fall war. Es sollte aber nicht so sein, daß wir die Gesellschaft insgesamt mit den von Ihnen aufgeworfenen Fragen alleinlassen. Man sollte auch die Jugend nicht in der Frage alleinlassen, was man denn für Konsequenzen aus dem, was Sie dargestellt haben, ziehen soll.
Deshalb sage ich Ihnen: Bei diesem Gesetzentwurf handelt es sich meiner persönlichen Meinung nach - das kann man in der Fraktion gar nicht so besprechen, daß ich nun in der Lage wäre, zu sagen, dies wäre eine Fraktionsansicht; es ist außerdem meiner Ansicht nach überhaupt nicht erforderlich, daß man hierzu Fraktionsansichten durchformuliert - um zwei Dinge. Erstens handelt es sich um eine auf Grund unserer jüngsten Geschichte zwingend gewordene besondere Ausformung des Tatbestands der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Dies bedeutet einen ersten kleinen Zugriff. Das ist das, was ich eben meinte: klein, vorsichtig herangehen, sich nicht zu viel vornehmen gegenüber dem, was Geschichte ist und was dieses alles bedeutet. Wir können hier nicht einfach mit Rechtsmitteln etwas bereinigen. Mitnichten!
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Ich möchte gern diese zwei Punkte zu Ende führen. Danach bin ich gerne bereit, auf die Frage einzugehen.
Kleinert ({0})
Dem gegenüber können wir also nur bescheidene Schritte tun, aber diese müssen wir nun andererseits auch wirklich tun und dürfen nicht, wie es sich aus Ihren Äußerungen aufdrängt, sagen: Es ist ja alles fruchtlos. So viele haben gefehlt. Ich bezweifle sehr, daß es die Mehrheit ist, die so gefehlt hat, wie Sie das dargestellt haben. Ich bin sicher, daß sich auch für ganz bedeutende, mannhafte Taten von Juristen in ähnlich eindrucksvoller Weise Beispiele finden lassen - bis zum Verzicht auf die eigene Person, wie Sie das hier im Negativen ausgeführt haben. Es führt uns nicht weiter, nur das Negative auszuführen, so wichtig es auch ist.
Deshalb müssen wir uns in erster Linie darum bemühen, hier in einer der geschichtlichen Verantwortung ein wenig angemessenen Form den Wünschen derjenigen zu entsprechen, die unmittelbar betroffen sind, und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, wie es vor mir schon andere ausgeführt haben, ohne diesen Tatbestand zu erwähnen, aus dem Zwang herausnehmen, hier etwa noch Anträge stellen oder um das Recht kämpfen zu müssen, das Andenken von Eltern oder Verwandten in Ehren halten zu dürfen. Das müssen wir vielmehr auf eine andere und entschieden deutlichere Weise regeln. Dieser Versuch wird hier gemacht.
Das zweite an diesem Gesetzentwurf ist, daß wir dem auch wiederum nur ein wenig entgegentreten mit den Mitteln des Strafrechts, was sich in Anknüpfung an Verharmlosung, gar an Verherrlichung, an all die Lügen, mit denen wir es hier in der Literatur, in der Schundliteratur rechter Blätter und Traktätchen immer wieder zu tun haben, ergeben und zur Wiederbelebung der Gedanken, die das Verbrechen hervorgerufen haben, führen könnte, was die Verfasser offensichtlich beabsichtigen.
Diese beiden Gesichtspunkte werden in den Gesetzentwürfen, die hier erstens vorgelegt und zweitens in der Gegenäußerung der Bundesregierung angedeutet sind, für die Beratungen des Ausschusses wenigstens einigermaßen erreicht. Das halte ich für eine durchaus vernünftige Antwort auf Ihre Frage, ob es denn überhaupt Sinn hat, etwas zu unternehmen, wenn das alles so furchtbar ist und insbesondere die Juristen so furchtbar sind.
Es ist für einen Liberalen eine ganz schlimme Sache. Ich habe großes Verständnis dafür, daß Sie, Herr Schily, sagen: Das muß politisch bekämpft werden; die Mittel des Strafrechts werden vor diesem Hintergrund nicht das richtige Mittel sein. Das haben wir uns deshalb auch lange überlegt. Wir sind der Meinung: Gesetze, insbesondere Strafgesetze, sollte man nicht überflüssig, sondern nur bei sehr guter Begründung machen.
Hier, so meine ich, liegt aber ein solcher Fall vor, solange es noch jüdische Mitbürger gibt, solange es noch Nachkommen von Ermordeten gibt, die Wert darauf legen, daß nicht jeder das Andenken ihrer Verwandten schmähen kann, ohne daß sie verpflichtet wären, deshalb einen Antrag zu stellen und sich deshalb selber noch einsetzen und verzehren zu müssen, um dieses Wenige an Achtung zu erreichen.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Reetz?
Bitte.
Herr Kleinert, ich möchte Sie fragen, ob es nicht auch eine Verharmlosung ist, wenn Sie zweimal von dem Andenken Verstorbener gesprochen haben, während die Menschen doch ermordet worden sind.
Ich bin der Meinung, daß es gerade dem Andenken Ermorderter dient, wenn man auch in diesem Zusammenhang von Verstorbenen spricht; so sehe ich das. Aber das mag ja wohl eine sehr persönliche Angelegenheit sein.
Im übrigen bedaure ich doch, insbesondere nach der Rede des Kollegen Schmidt, daß wir in diesem Fall versuchen, auch noch ein klein wenig an parteipolitischen Unterschieden herauszuarbeiten,
({0})
statt dem Angebot, das der Bundesjustizminister, dem ich dafür ausdrücklich danken möchte, in eindrucksvoller Weise unterbreitet hat, nämlich hier zusammenzuarbeiten, zu folgen, ohne daraus noch einige Nuancen herauszuarbeiten.
Natürlich tut sich der eine oder andere aus diesem oder jenem Grunde, der durchaus sehr achtenswert sein wird, schwerer als ein anderer, eine solche Formulierung zu finden, die er dann schließlich akzeptieren kann. Wenn das aber schließlich gelungen ist, dann nicht zuletzt dank der von Ihnen kritisierten Bemühung des Bundesjustizministers, hier zu einer einigenden Formel zu kommen, die es uns ermöglicht, erst einmal mit Ihnen gemeinsam in die Beratungen dieses nun doch - das ist ja wohl unstreitig - sehr wichtigen Gesetzes hineinzugehen. Da sind Worte wie „Farce", da sind Streitigkeiten hier in diesem Hause über Einzelheiten, über die man im Ausschuß sehr sachlich sprechen kann, der Bedeutung der gesamten Angelegenheit gar nicht angebracht.
Deshalb bin ich sehr froh - entgegen Ihren sämtlichen Ankündigungen -, hier heute feststellen zu können, daß auch die Koalition - das sollten Sie anerkennen, so schwer es Ihnen fällt - genauso wie Sie - das erkennen wir an, und das fällt uns gar nicht besonders schwer - hier einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, den wir mit Ihnen zusammen anständig und seriös, wie es dieser besonderen Sache angemessen ist, beraten wollen, statt hier in diesem Saal in eine dem Gegenstand völlig unangemessene Polemik zu verfallen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/891 und 10/1286 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und
Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode Vizepräsident Westphal
zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Umweltgefährdung durch polychlorierte Biphenyle ({1})
- Drucksachen 10/301, 10/950 Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen Ihnen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1270 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1284 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke ({2}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind nicht nur die großen Giftmüllskandale wie etwa die Katastrophe von Seveso oder die Dioxinfunde in Georgswerder, Gerolsheim und anderswo, die für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung sorgen. Fast noch gefährlicher ist die schleichende Vergiftung der Umwelt und des Menschen durch hochtoxische Chemikalien, die in geringsten Mengen über die Atemluft oder über die Nahrung aufgenommen werden und denen man in diesem Lande praktisch nirgends entgehen kann.
Die Besorgnis in der Bevölkerung wächst vor allem deshalb mit Recht stark an, weil die Zusammenhänge zwischen der Anwesenheit dieser Chemikalien und den seit einiger Zeit zunehmenden Gesundheitsschäden bei Menschen und der Verminderung der Artenvielfalt in der Pflanzen- und Tierwelt immer deutlicher werden. Eine Vielzahl von Untersuchungen mit modernen chemischen Analysemethoden - allerdings meistens nicht von der chemischen Industrie durchgeführt - belegt das. Die Umweltgifte haben sich neben den Atomkraftwerken zum Alptraum der Industriegesellschaft entwickelt.
Die polychlorierten Biphenyle sind neben den Dioxinen nur die Spitze des Eisbergs. Sie wurden gebraucht als Weichmacher in Kunststoffen - z. B. Einsteckhüllen - und in Lacken und Harzen als Imprägniermittel, für Papiere und Gewebe, für die Beschichtung von Durchschlagpapier, als Flammschutzmittel, in Klebestoffen, Kitt und Spachtel, als Zusatz auch zu Pestiziden, insbesondere aber als Kühlmittel in Transformatoren und Kondensatoren sowie als Hydraulikflüssigkeit im Bergbau.
Diese kleine Aufzählung zeigt, daß selbst nach der Einstellung der PCB-Produktion 1983 noch gewaltige Altlasten in Haushalten, Bürohäusern und Kohlezechen für viele Jahre schlummern und darauf warten, daß sie sich durch unsachgemäße Handhabung in den Biozyklus einklinken können, ohne daraus wieder zu verschwinden. Bei den polychlorierten Biphenylen handelt es sich nämlich um völlig naturfremde Substanzen, die in lebenden Organismen, aber auch in Böden und Wasser nur in sehr langen Zeiträumen abgebaut werden und sich deshalb stark anreichern. Aus diesem Grunde kann man die PCB überall in der Umwelt finden, wo sie ihre giftige und krebsfördernde, wenn nicht sogar krebserzeugende Wirkung entfalten.
Auf Grund der hohen Persistenz und der hohen Altlasten werden wir also nicht nur unseren Kindern, sondern auch unseren Enkeln ein schlimmes Erbe hinterlassen.
Einem besonderen Risiko durch PCB unterliegen die Meerestiere. Viele Tonnen PCB werden jährlich von unseren Flüssen transportiert und ergießen sich ins Wattenmeer, der Kinderstube von Fischen und Seevögeln. Weil diese Tiere am Ende der Nahrungskette stehen, kommt es in ihrem Körper, insbesondere im Fettgewebe, zu massiven Anreicherungen von PCB und anderen Giften, die allein oder in Kombination zu starken Mißbildungen, zu absinkenden Vermehrungsraten und damit letztlich zum Aussterben bestimmter Tier- und Pflanzenarten führen.
Ein weiteres großes Problem ist die Aufnahme von PCB-haltiger Muttermilch durch Säuglinge. Schon die ungeborenen Kinder können relativ hohe Konzentrationen im Fettgewebe aufweisen.
({0})
In der Stillphase bildet die Muttermilch die Hauptnahrungsquelle. Die mit ihr täglich aufgenommenen PCB-Mengen sind beträchtlich größer, als sie die Weltgesundheitsorganisation für zulässig ansieht. Es handelt sich durchaus um Werte, Herr Kollege Laufs, die bis zu 10 ppm - Herr Kollege Laufs, ich empfehle Ihnen, zuzuhören, wenn Sie einen Zwischenruf machen ({1})
in der Milch betragen. Im Blutplasma der Säuglinge können bis zu sechsfach höhere PCB-Werte gefunden werden als im Blutplasma der Mutter!
Diese erschreckenden Zahlen scheinen allerdings nicht in Ihr Weltbild zu passen. Jedenfalls fehlt in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage jeder Hinweis auf die ernste Lage bezüglich der Muttermilch. Ich finde es schon beschämend, daß der ganze Behördenapparat - auch in den vergangenen Jahren nicht in der Lage war -, die Gefährdung durch PCB hinreichend zu erkennen, sondern daß der Anstoß durch besorgte Mütter im Verein mit kritischen Wissenschaftlern erfolgte.
({2})
Dr. Ehmke ({3})
Manche Antworten auf unsere Große Anfrage zeigen deutlich, wie die Gefährdung unserer Umwelt wieder einmal heruntergespielt wird. Sie von den Altparteien handeln doch immer noch nach dem Motto: Wenn Bayer stinkt, geht es uns gut. Obwohl die Holzhammermethode nicht immer die beste ist,
({4})
bei solch hochgiftigen Substanzen wie den PCB, den Dioxinen, Asbest und anderen muß man einfach ihrer Gefährlichkeit wegen ein radikales Produktions- und Anwendungsverbot aussprechen,
({5})
um sie mit weiteren geeigneten Maßnahmen so schnell wie möglich aus dem Biozyklus auszuklinken.
Wie will nun die Bundesregierung dieses ernste Problem konkret lösen? Angaben hierzu finden sich in der Antwort auf unsere Große Anfrage sowie im neuesten Immissionsschutzbericht. Danach verweist die Bundesregierung auf die Zehnte Bundesimmissionsschutzverordnung 1978, wonach der Einsatz von PCB auf geschlossene Systeme beschränkt wurde. Außerdem wird geforscht und berichtet, und man hat die EG gebeten, doch eine Richtlinie zu erarbeiten, die die Verwendung von PCB in elektrotechnischen Anlagen unterbindet. Im übrigen vertritt man die Meinung, daß - so wörtlich - Selbstbeschränkungen der Industrie auf freiwilliger Basis schneller zum Ziel führen.
Das ist doch keine zukunftsweisende Umweltpolitik; das ist plumpe Zimmermannsche Verzögerungstaktik, meine Damen und Herren.
({6})
Was ist es anderes als Verzögerungstaktik, wenn man versucht, der EG den Schwarzen Peter zuzuschieben, wo doch alle Welt weiß, daß erstens deren Mühlen extrem langsam mahlen und man sich zweitens dort meistens nur auf den berühmten kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann, wobei oft die Umwelt auf der Strecke bleibt?
Nein, Herr Staatssekretär Spranger, die Politik Ihres Hauses hat auf diesem Gebiet nichts anderes verdient als die Note „ungenügend".
({7})
Ich will dies, Herr Kollege Boroffka, noch einmal kurz begründen und verweise dabei auch auf unseren Entschließungsantrag.
Erstens. Die außergewöhnlich große Gefährdung der Umwelt durch PCB fordert ein rasches Handeln und nicht ein Abwarten freiwilliger Selbstbeschränkung, so sehr ich sonst freiwillige Vereinbarungen begrüße, auch mit der Industrie. Aber hier kommen wir um ein Verbot nicht herum.
Zweitens. Es muß ein Totalverbot sein, das sich auf die Verwendung von PCB in geschlossenen Systemen bezieht und auch die enormen Altbestände
in offenen Systemen, also Durchschlagpapier, Kitt, Spachtel, PVC-Folien usw., mit berücksichtigt.
({8})
Dafür müssen Überwachungskonzepte, aber auch Sammel- und Beseitigungskonzepte entwickelt werden. Ich betone nochmals, wie wichtig es ist, daß in den Gemeinden Sondermüllsammelstellen eingerichtet werden und die Bevölkerung mehr als bisher dazu angehalten wird, PCB-haltige Gebrauchsgegenstände dort abzuliefern.
({9})
Drittens. Ein Totalverbot auch für geschlossene Systeme ist deshalb möglich, weil es Ersatzstoffe in genügender Auswahl gibt. Es muß allerdings gewährleistet sein - das muß man dabei bedenken -, daß diese nicht zu neuen Umweltproblemen führen. Wir wollen ja nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben.
({10}) Da sind wir uns sicher einig.
Viertens. Ein Verbot für die PCB-Verwendung in geschlossenen Systemen ist deshalb notwendig, weil auch von den angeblich so sicheren, weil geschlossenen Systemen konkrete Umweltgefährdungen ausgehen. Nur zwei Beispiele: Jedes geschlossene System wird irgendwann einmal geöffnet, z. B. beim Austausch der Flüssigkeiten - bei Transformatoren - oder bei der Verschrottung. Bei unsachgemäßer Handhabung können die PCBs in die Umwelt gelangen. Es gibt suspekte Entsorgungsfirmen - das Umweltbundesamt weist z. B. in einem Merkblatt ausdrücklich darauf hin -, die zum Teil die PCB-haltigen Flüssigkeiten dem Altöl beimengen und dann als Altöl verbrennen lassen. Dabei werden die PCBs wegen der niedrigen Verbrennungstemperaturen nicht zerstört, sondern rieseln in schöner Verteilung über die weitere Landschaft und auf die Umgebung der Verbrennungsanlage nieder. Viel schlimmer ist aber, daß hierbei noch gefährlichere Stoffe wie Dioxine und Dibenzofurane gebildet werden.
Das sind keine Einzelfälle. Vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz wurden bei Altölstichproben bis zu 10 000 Milligramm PCB pro Kilogramm Altöl gefunden. Das entspricht einem Prozent PCB im Altöl! Jeder, der ein bißchen was von Chemie versteht, müßte dabei eigentlich schlaflose Nächte bekommen.
({11})
Bei den unter Tage eingesetzten Geräten im Bergbau verschwinden nach Angaben des Gesamtverbands des deutschen Steinkohlenbergbaus fast 2 000 t PCB jährlich. Nur ca. 2 % der eingesetzten Hydrauliköle werden entsorgt. Der Rest läuft ins Sümpfungswasser und wird somit in die Oberflächengewässer hochgepumpt, wird mit der geförderten Kohle verbrannt und wieder als PCB und Dioxin auf unsere Umgebung abgeladen oder über die Bewetterung direkt an die Luft abgegeben, ganz zu
Dr. Ehmke ({12})
schweigen von den Gefahren für die unter Tage arbeitenden Kumpel.
Und Sie setzen auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der Industrie! Hier hilft nur ein Verbot in Verbindung mit klaren Auslauffristen, wie wir das in unserem Entschließungsantrag vorgesehen haben.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen.
({14})
Ich konnte in diesem üblichen Zehnminutenbeitrag die Probleme nur teilweise darstellen. Die Notwendigkeit unseres Entschließungsantrags für eine rasche Begrenzung der von PCBs ausgehenden Gefahren sollte aber deutlich geworden sein. Wir sollten daher alle miteinander erkennen, wohin uns das Festhalten an angeblichen wirtschaftlichen Sachzwängen führen kann. Die PCBs genauso wie die Dioxine sind dafür ein warnendes Beispiel.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! PCBs sind seit über 100 Jahren bekannt. Persistenz und Toxizität wurden jedoch erst im Jahre 1966 festgestellt, als Spuren des Stoffes in Meeren, in Gewässern und im Regen entdeckt wurden. Verschiedene Unglücksfälle in der Bundesrepublik, in Japan, in den Vereinigten Staaten machten die Wissenschaft auf mögliche Gefahren aufmerksam. Obwohl die toxikologischen Grundlagen und die kanzerogene Wirkung noch nicht vollständig geklärt sind, muß von einer Gefährdung der Gesundheit für bestimmte Risikogruppen ausgegangen werden.
Veröffentlichungen in der letzten Zeit erwecken den Eindruck, als ob durch die PCBs eine zusätzliche akute Gefährdung unserer Umwelt eingetreten sei. Schlagworte, wie „Seveso überall" und überzogene und teilweise unsachliche Pressedarstellungen machen dies deutlich und führen dazu, daß es zu Unsicherheiten und Ängsten in der Bevölkerung kommt. Wissen muß man auch - darauf haben Sie soeben hingewiesen -, daß die chemische Analytik inzwischen in Bereichen arbeitet, die die Vorstellungskraft vieler übersteigt und daher eine Risikoabschätzung für den einzelnen unmöglich gemacht wird.
({0})
Wenn beispielsweise Dioxin im Nanogrammbereich - hier liegen die Werte, die in den Analysen der Muttermilch nachgewiesen wurden, ich erinnere an die Untersuchungen von Professor Rappe in Schweden im ppt-Bereich angegeben werden, dann entspricht dies etwa der Suche nach einem
Roggenkorn in hunderttausend Tonnen Weizen in einem 20 km langen Güterzug.
({1})
Wenn Sie in Ihren Bereichen messen, dann entspricht es einer fünfköpfigen Familie innerhalb der gesamten Erdbevölkerung. Ich sage dies nicht, Herr Kollege Ehmke, um zu verharmlosen.
({2})
- Hören Sie doch zu, und schreien Sie nicht „doch"! Sie können gleich weitermachen, aber lassen Sie mich den Satz noch sagen.
Ich sage dies nicht, um zu verharmlosen.
({3})
Auch im Nanogrammbereich können solche Beträge wirksam werden. Ich sage es, damit wir uns einmal über die Größenvorstellungen ein Bild machen können.
Sachliche Information tut not, und diese ist jedermann zugänglich. Ich verweise in diesem Zusammenhang - das wird Ihnen neu sein, Herr Kollege Ehmke - auf den gemeinsamen Bericht des Umweltbundeamtes und des Bundesgesundheitsamtes in der Nr. 4/83 der Schriften des Bundesgesundheitsamtes, die jetzt zugänglich sind. Ziel dieses Berichtes ist es, erstens den wissenschaftlichen Sachstand zusammenzufassen und auf Kenntnislücken hinzuweisen, und zweitens Darlegung und Erläuterung der noch vorhandenen Probleme, wie Abfallbeseitigung - hier stimme ich Ihnen zu -, Rückstandsverhalten, Schwierigkeiten des analytischen Nachweises und Risikoabschätzung. Zusätzlich zeigt diese Dokumentation technische und rechtliche Möglichkeiten sowie entsprechende Empfehlungen und Maßnahmen auf. Dieser Bericht läßt erkennen, daß die Bundesregierung auf dem richtigen Wege ist. Gleiches wird durch die Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Große und Kleine Anfragen zu diesem Bereich deutlich. Eine Reihe von Maßnahmen wurde eingeleitet, um den Gefahren in bezug auf PCB zu begegnen. Langfristig wird eine Verbesserung jedoch nur eintreten, wenn es uns gelingt, einen weiteren PCB-Eintrag national und international zu verhindern. Nur so kann eine weitere Kontamination von Luft, Wasser und Boden verhindert und die bestehende Umweltgefährdung reduziert werden.
Erste Schritte sind getan:
Erstens. Der einzige Hersteller in der Bundesrepublik hat im letzten Jahr die Produktion eingestellt. Herr Dr. Ehmke, ich habe hier eine völlig andere Beurteilung. Hier hat die Bundesregierung auf freiwilliger Basis nach dem Kooperationsprinzip rasch eine Lösung erreicht, und ich halte dies für eine wichtige Maßnahme.
Zweitens. Die Bundesregierung ergriff darüber hinaus bereits im September 1983 auf EG-Ebene, die Sie soeben wegen ihrer langsamen Handlungsweise gescholten haben, eine weitere Initiative mit
dem Ziel, das In-Verkehr-Bringen von PCB und PCT noch mehr als bisher einzuschränken und ihre Verwendung in elektrischen Transformatoren, Widerständen, Drosselspulen und Kondensatoren gänzlich zu untersagen. In diesen Tagen wird in Brüssel darüber entschieden.
Drittens. Hier wird sich - da stimme ich Ihnen zu - ein weiterer Schritt anschließen müssen, nämlich ein Anwendungsverbot von PCB in Hydraulikölen und Wärmeaustauschern, und zwar dann, wenn - dies scheint in absehbarer Zeit möglich zu sein - Ersatzstoffe zur Verfügung stehen.
Wir werden in unserem Diskussionsbereich im Innenausschuß sicher mit Ihrem Entschließungsantrag auf diese Punkte eingehen können. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage über Verwendung von PCB bei der Saar-Bergwerke AG, die Sie j a kennen.
Viertens. Das Chemikaliengesetz bietet in § 17 im Zusammenhang mit der Novellierung der 10. Immissionsschutzverordnung ein geeignetes Instrument, um PCB weiter einzuschränken.
Fünftens. Die 1983 verbesserte TA Luft in Verbindung mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz ergibt mit der zur Zeit vorliegenden Technischen Anleitung Luft im Teil 3, die für PCB-Emissionen weitere technische Anforderungen enthält, ebenfalls Möglichkeiten zur Begrenzung von Emissionen, so daß schädliche Umwelteinwirkungen durch PCB-Emissionen besser vermieden werden können.
Sechstens. Die CDU/CSU-Fraktion fordert in ihrem Entschließungsantrag vom 14. September 1983 die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit die Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes ergänzt werden müssen, insbesondere auch wegen der Probleme der PCB. Gleiches gilt für die Novellierung des Wasserabgabengesetzes. Der Bundesinnenminister hat - wie bereits mitgeteilt - mit der Prüfung begonnen. Dies ist aus der Antwort auf Ihre Anfrage zu entnehmen.
Siebtens. Neben den erforderlichen Maßnahmen, die der Vorsorge dienen, muß der Entsorgung von PCB-haltigen Abfällen, der sogenannten Altlasten, besonderer Vorrang eingeräumt werden. Dies ist entstanden durch die Verwendung in offenen Systemen und auch durch Leckagen in geschlossenen Systemen. Wir werden dies bei der Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes, die bevorsteht, lösen.
In unserem Entschließungsantrag weisen wir darauf hin, daß die Anforderungen für eine ordnungsgemäße umweltverträgliche Abfallwirtschaft durch Erlaß einer Technischen Anleitung Abfall konkretisiert werden müssen. Auch dieses Problem wird durch entsprechende Veröffentlichungen, unter dem Stichwort Dioxin, in der Öffentlichkeit diskutiert. Um hier eine sachdienliche Information und Diskussion zu ermöglichen, bitten wir die Bundesregierung, möglichst umgehend die Fortschreibung des Sachstandes Dioxin, also einen „Sachstandsbericht Dioxin" vorzulegen, entsprechend dem von mir eingangs erwähnten Sachstandsbericht PCB in der Schriftenreihe durch das Bundesgesundheitsamt.
Die CDU/CSU-Fraktion mißt der Problematik der PCB hohe Priorität bei. Wichtige Schritte sind vollzogen und weitere sind in Vorbereitung, um keine zusätzlichen Gefahren entstehen zu lassen. Effekthascherei, zum Teil unsachliche und unsolide Berichterstattung und eine pauschale Diskreditierung der Chemie - und darauf läuft es j a bei vielen hinaus - sind keine hilfreichen Instrumente einer zukunftsorientierten Umweltpolitik.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei PCB handelt es sich um ein typisches Altlastproblem. Es bestanden bis zum Ende der 70er Jahre keinerlei Verwendungsbeschränkungen. Deswegen konnte PCB auch dort eingesetzt werden, wo ein direkter Übergang dieser Stoffgruppe in die Umwelt möglich war. Vor allem diese Verwendungen bedingen die derzeit zu beobachtenden Belastungen der Umwelt.
Seit 1929 wurden weltweit seit dem Beginn der kommerziellen Nutzung dieses Stoffes über eine Million Tonnen PCB produziert. Diese wurden bis Anfang der 70er Jahre sowohl in offenen als auch in geschlossenen Systemen verwendet. Da PCB aus der Anwendung in offenen Systemen weder gezielt beseitigt beziehungsweise gesammelt werden konnte und zudem die Einsatzgebiete sehr verstreut waren, können diese PCB-Rückstände nicht mehr zurückgeholt werden. Bei einer Produktlebensdauer in diesem Bereich von zehn bis 20 Jahren ist mit einer sukzessiven Freisetzung des verwendeten PCB bis in die 90er Jahre zu rechnen.
Die Einsatzgebiete von PCB sind in einer EG-Richtlinie vom 27. Juli 1976 geregelt und durch die 10. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz vom 26. Juli 1978 in deutsches Recht umgesetzt worden. Von den dort noch aufgeführten Verbotsausnahmen spielen in der Bundesrepublik Deutschland die für Transformatoren, Kondensatoren und Hydrauliköl in Bergwerken eine wesentliche Rolle.
Die Bundesregierung hat angesichts dieser Tatsache und wegen der zunehmenden Besorgnis der durch polychlorierte Biphenyle hervorgerufenen Gesundheits- und Umweltprobleme ein ganzes Bündel von Maßnahmen getroffen.
So hat die Bundesregierung im September 1983 über die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus der Kommission der Europäischen Gemeinschaften den Entwurf einer Verordnung zum Verbot der Verwendung von PCB in elektrotechnischen Anlagen vorgelegt und die Kommission gebeten, unverzüglich Schritte zu einer EG-einheitlichen Verbotsregelung einzuleiten. Weiterhin hat die Bundesregierung das Verbot von PCB in Wärmeübertragungssystemen vorgeschlagen.
Parallel zu den vorgesehenen Verbotsregelungen wurden intensive Gespräche mit dem Hersteller, den Verwendern und den Beseitigern von PCB durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Gespräche hat der einzige deutsche Hersteller von PCB Ende des Jahres 1983 die Produktion dieser Chemikalie eingestellt. Weiterhin erklärten die Hersteller elektrotechnischer Einrichtungen, ab sofort nur noch Substitutionsprodukte für PCB einzusetzen.
Herr Kollege Dr. Ehmke, wenn Sie nun der Bundesregierung Verzögerungstaktik vorwerfen, dann ist das weder nach der Rechtslage noch nach der Sachlage in irgendeiner Weise gerechtfertigt.
({0})
Dieser Verbotsantrag wirkt zwar ungeheuer plakativ, aber er entspricht weder dem Sachstand noch der Rechtssituation. Wer sich mit der Sache auseinandersetzt, der muß wissen, daß der Einsatz von PCB eben durch diese EG-Richtlinie mit Ausnahmen bereits verboten ist. Werden diese durch das EG-Recht ausdrücklich erlaubten Verwendungen in Deutschland zusätzlich verboten, dann würden wir gegen EG-Recht verstoßen. De facto brauchen wir ein Verbot im elektrotechnischen Bereich überhaupt nicht mehr, weil die Industrie, wie ich schon darlegte, freiwillig auf die Herstellung dieser Geräte verzichtet hat.
Der Bergbau erarbeitet ein Konzept zu den Substitutionsmöglichkeiten. Die Hersteller von Substituten werden in Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen eine Dokumentation über die Eigenschaften der PCB-Substitute erstellen.
Ich glaube, daß aus diesem Katalog freiwilliger Maßnahmen erkennbar ist, welche umweltpolitischen Fortschritte auf der Grundlage gerade des Kooperationsprinzips erreicht werden konnten. Hier ist ein Beispiel dafür gegeben, daß sich der einzelne für die von ihm verursachten Umweltbelastungen verantwortlich fühlt, Eigeninitiativen zum Umweltschutz ergreift, daß es also möglich ist, auch außerhalb von Geboten und Verboten zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Das ist auch die Grundlage des Verursacherprinzips, das jedenfalls zu den Fundamenten einer marktwirtschaftlichen Umweltpolitik dieser Bundesregierung gehört.
Neben den Maßnahmen, die wir getroffen haben, um zu verhindern, daß PCB weiter in die Umwelt gelangt, ist natürlich noch das Problem der Altlasten als Aufgabe der Abfallbeseitigung zu bewältigen, die Bundesregierung strebt hier an, daß die Beseitigung von PCB-Abfällen nur von wenigen und zuverlässigen Entsorgungsunternehmen durchgeführt wird. Es werden hierzu entsprechende Konzepte in den Bund-Länder-Arbeitsgruppen erarbeitet.
Die Bundesregierung ist auf Grund der geschilderten Aktivitäten zuversichtlich, daß die PCB-Belastung der Umwelt in Zukunft sinken wird und die bisherigen Probleme mittelfristig gelöst werden, wenn vor allem die Europäischen Gemeinschaften den Vorschlag der Bundesregierung akzeptieren.
Wir können mit Befriedigung feststellen, daß die EG-Kommission bereits einen neuen Richtlinienvorschlag zu PCB erarbeitet hat, der den deutschen Vorstellungen Rechnung trägt. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß auch die anderen Industrienationen dem von der Bundesrepublik Deutschland eingeschlagenen Weg einer umfassenden Beseitigung der Gefahren durch PCB mit Hilfe einer sinnvollen Gesamtkonzeption gesetzlicher, aber vor allem auch freiwilliger Maßnahmen folgen.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten halten nichts von Panikmache, aber wir sind auch nicht bereit, bestehende Gefahren herunterzuspielen, wie Sie, Herr Kollege Schmidbauer, dies in Ihren Zahlenvergleichen am Anfang Ihres Referats getan haben.
({0})
Es wäre doch töricht, nicht wahrhaben zu wollen, daß PCB ein schlimmes Umweltgift ist. Der Bekanntheitsgrad des Kürzels „PCB" steht nämlich in umgekehrtem Verhältnis zur Verbreitung dieses Umweltgiftes.
Die polychlorierten Biphenyle sind inzwischen allgegenwärtig; das läßt sich nicht mehr bestreiten. Sie finden sich in der Kuhmilch, sie finden sich in Fischen und Muscheln, in Schlachttieren und in den Futtermitteln, mit denen diese Tiere gefüttert werden, in importierten Lebensmitteln und - vorhin wurde danach gefragt, Herr Kollege Laufs - in besonders hoher Konzentration in der Muttermilch. Das ist nun einmal eine Tatsache!
({1})
Der ermittelte Höchstwert von 13,8 Milligramm pro Kilogramm übertrifft den für Kuhmilch erlaubten Wert um das Zehnfache.
({2})
Frau Dr. Hartenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich komme sonst mit der Zeit nicht zurecht.
„PCB - eine globale Umweltseuche",
({0})
so haben die Autoren des Buches „Seveso ist überall" schon 1978 ein Kapitel ihres Buches überschrieben. Zehn Jahre zuvor, im Herbst 1968, war es 4768
das wurde noch nicht erwähnt- in Japan zu einem schrecklichen Unfall gekommen:
({1})
Flüssiges PCB floß aus einer großen Kühlanlage in einen Reisöltank; mehr als 1 000 Menschen wurden von der sogenannten Yusho-Krankheit erfaßt, die Hautveränderungen, Chlorakne, Schädigungen an Leber, Milz und Nieren sowie Schwellungen des Herzmuskels und der Lymphknoten hervorrief und in vielen Fällen nach einigen Jahren zu Krebs führte.
({2})
Die Yusho-Krankheit blieb kein Einzelereignis. Aber es ist gar nicht nötig, alle Unfallserien aufzuzählen. Es bedarf auch keiner ausführlichen Beschreibung mehr - wir wissen heute: PCBs sind höchst gefährliche Substanzen, die in Zukunft nicht mehr in die Umwelt gelangen dürfen!
({3})
Deswegen ist ein generelles Verbot am Platze. Die SPD-Fraktion hat Ihnen dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt.
({4})
Als vor mehr als 50 Jahren die PCBs erstmals industriell hergestellt wurden, schätzte man verständlicherweise die Vorzüge höher ein als die Gefahren, die man noch nicht kannte. Die PCBs haben hervorragende technische Eigenschaften, die sie wegen ihrer Schwerbrennbarkeit gegenüber anderen Stoffen qualifizierten und die z. B. im Bergbau den Arbeitsplatz sicherer zu machen versprachen.
({5})
Erst Anfang der 70er Jahre wurde mehr und mehr deutlich, daß die ökologischen und gesundheitlichen Gefahren die Vorzüge bei weitem überwogen. Die Stoffgruppe der PCBs ist langlebig, und sie reichert sich besonders im tierischen und menschlichen Fettgewebe an. Als diese Erkenntnis durchdrang, galt es, die Bremsen anzuziehen. Und wir haben sie angezogen. Im Laufe der 70er Jahre haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Verwendung von PCBs Zug um Zug zurückzudrängen.
Ich kann nur stichwortartig andeuten, was getan wurde: 1972 konnte erreicht werden, daß die Hersteller durch Selbstbeschränkung die Verwendung von PCBs in den meisten sogenannten offenen Systemen einstellten. Zu diesen „offenen Systemen" gehörten z. B. der Zusatz von PCBs in Farben und Lacken, in Schmiermitteln und Papierbeschichtungsmitteln, in Spachtelmassen usw. Auf Grund dieser Maßnahme wurde der Verbrauch von PCB um die Hälfte reduziert.
Zweiter Schritt: 1976 konnte eine EG-Richtlinie zum Verbot der PCBs in den genannten „offenen Systemen" durchgesetzt werden.
({6})
Dritter Schritt: 1978 haben wir mit der 10. Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz dafür gesorgt, daß die Verwendung von PCBs ausnahmslos auf sogenannte geschlossene Systeme beschränkt wurde, d. h. auf Transformatoren und Kondensatoren und auf die Verwendung im Bergbau.
({7})
Vierter Schritt: 1980 wurde mit dem Chemikaliengesetz - ({8})
- Ich wäre dankbar, wenn Sie ein bißchen zuhören könnten, denn darauf lege ich jetzt Wert. - 1980 wurde mit dem Chemikaliengesetz, und zwar mit der in § 17 enthaltenen Ermächtigung, die Möglichkeit geschaffen, im Bedarfsfall problematische Stoffe wie PCBs zu verbieten - dies mit dem Ziel, Herr Boroffka, nicht für Tausende von Einzelstoffen Gesetze machen zu müssen. Unser Entschließungsantrag fordert deshalb die Bundesregierung auf,
({9})
von dieser Ermächtigung nach § 17 Gebrauch zu machen. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.
({10})
Eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom April 1982 zur Schadstoffbelastung der Muttermilch hat über die ökologische Gefährdung hinaus das Risiko für Säuglinge beim Stillen aufgezeigt. Die sozialliberale Bundesregierung hat daraufhin - weil die Belastung des Menschen hauptsächlich über die Lebensmittel kommt - mit Beschluß vom 1. September 1982 die sogenannte Umweltkontaminantenverordnung vorbereitet, die auch eine scharfe Begrenzung der PCBs in Lebensmitteln vorsah.
({11})
Wo ist der Entwurf geblieben? frage ich Sie. Man müßte eigentlich den Gesundheitsminister fragen. Er schlummert wahrscheinlich - der Entwurf, nicht der Minister ({12}) in irgendeiner Schublade.
({13})
Jedenfalls ist die ausweichende Antwort der Bundesregierung in der vorliegenden Drucksache auf die Frage nach einer Höchstmengenverordnung nicht akzeptabel.
Ich frage mich, und ich frage Sie: Wie viele wissenschaftliche Erkenntnisse über die GefährlichFrau Dr. Hartenstein
keit von PCB muß die Bundesregierung eigentlich noch ansammeln, bevor sie Schritte unternimmt?
({14})
- Sie sind doch gleich dran. - Ich frage Sie weiter: Warum wurde der Verbotsantrag des Landes Hessen im Bundesrat nicht angenommen?
({15})
Die von den Unionsländern abgegebene Begründung trägt nicht. Beim heutigen Wissensstand und beim heutigen Zustand unserer Umwelt ist es nicht mehr vertretbar, auf freiwillige Selbstbeschränkungen der Industrie zu warten, wie Sie das tun. Heute muß gehandelt werden, und zwar sofort.
({16})
Heute wissen wir: Bei der Müllverbrennung und bei Brandunfällen entsteht aus den PCBs das Supergift Dioxin, das für immer mit dem Namen Seveso verbunden bleiben wird.
({17})
- Ich wäre dankbar, wenn auch Sie einmal zuhören könnten, Herr Kollege Schmidbauer.
({18})
- Das bezweifle ich noch sehr. - Heute wissen wir: Auch unter Tage besteht die Gefahr, daß PCB-Flüssigkeiten austreten und ins Abwasser gelangen. Es besteht die Gefahr, daß z. B. beim Heißlaufen und Festfressen der Kupplungen PCB-Flüssigkeit ausläuft, daß es bei unvorhergesehenen Schlauchbrüchen und thermischen Überlastungen zu Freisetzungen von PCBs kommt, die die Gesundheit der Bergleute unmittelbar gefährden. Es gibt zum großen Teil bereits einsatzreife, zum Teil noch in der Entwicklung befindliche Ersatzstoffe, die weitaus weniger gefährlich sind.
Deshalb müssen angemessene Übergangsfristen sowohl für den Austausch PCB-gefüllter Transformatoren als auch für den Ersatz der Hydrauliköle im Bergbau vorgesehen werden.
Was jedoch sofort unterbunden werden muß, meine Damen und Herren, das ist der schwunghafte Handel, den große Hersteller offenbar betreiben, indem sie derzeit PCB-gefüllte Transformatoren zwar in der Bundesrepublik abbauen, sie dann aber in die Länder der Dritten Welt verkaufen.
({19})
Wann endlich begreifen wir, daß Gifte nicht dadurch unschädlich werden, daß man sie exportiert?
({20})
Was wir auch immer in die Umwelt entlassen, es kommt zu uns zurück.
Ich darf zusammenfassen, was konkret geschehen muß. Es ist notwendig, ein generelles Verbot der Herstellung, des Inverkehrbringens, des Imports und des Exports von PCBs zu erlassen - Punkt 1 unseres Antrags. Wir brauchen dazu kein neues Gesetz. Die Bundesregierung ist aufgefordert, von der ihr erteilten Ermächtigung Gebrauch zu machen. Die Produktionseinstellung der Bayer AG ist zu begrüßen. Sie allein reicht aber nicht aus. Es müssen die gefährlichen Stoffe in den schon vorhandenen Geräten und Anlagen so schnell wie möglich ersetzt werden. Darüber hinaus ist der Export bei uns nicht mehr zulässiger PCB-Erzeugnisse schleunigst zu untersagen.
Meine Damen und Herren, wir befassen uns hier mit einer einzigen Stoffgruppe von mehr als 40 000 Chemikalien, die unsere Umwelt belasten. Auch in diesem Punkt muß die Frage beantwortet werden, ob wir den Eigengesetzlichkeiten eines riesigen wissenschaftlich-technischen Apparats und der gewinnträchtigen Verwertung technischer Möglichkeiten hilflos ausgeliefert sind oder ob es noch eine Chance gibt, die technischen und ökonomischen Prozesse so zu lenken, daß das Wort Zukunft nicht mit dem Begriff der Angst, sondern mit dem der Hoffnung verbunden bleibt. Dies ist eine Herausforderung an die Politik, insonderheit an die Regierung. Sie sind am Zug.
Wir schlagen vor, den Weg der ökologischen Vernunft zu gehen, und wir fordern Sie auf: Gehen Sie mit!
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe sehr viel Sympathie für Ihren flammenden Appell, Frau Kollegin Hartenstein. Aber Sie werden der Bundesregierung, jedenfalls mit meiner Zustimmung, nicht ökologische Unvernunft unterstellen können.
Ich finde es - ich muß das auch mal mit Respekt vor dem Kollegen Ehmke sagen - verdienstvoll, daß Sie eine so umfangreiche und gründliche Anfrage gestellt haben. Damit haben Sie dem Bundestag in der Öffentlichkeit das ganze Problem noch einmal in Erinnerung gerufen.
Ebenso wichtig war natürlich die Antwort der Bundesregierung. Denn die Bundesregierung hat damit die Gelegenheit bekommen, das Problem noch einmal darzustellen und vor allem auch darzustellen - Frau Kollegin Hartenstein hat ja darauf hingewiesen'-, daß wir nicht beim Punkt Null anfangen. Ich war beteiligt, als wir 1976 in Brüssel eine entsprechende Richtlinie verabschiedet haben. Unter meiner Amtsführung ist das Chemikaliengesetz verabschiedet worden. Das rechtliche Instrumentarium, das wir brauchen, um mit diesem Stoff hier fertig zu werden, ist also verbessert worden. Ich kann, Herr Kollege Ehmke, nicht feststellen, daß die Bundesregierung irgendwo und an irgendeiner Stelle ihrer Antwort das Problem verharmlost hätte. Im Gegenteil; es wird sehr deutlich dargestellt, welche Gefahren - ({0})
- Ja; das ist der Sonderpunkt. Darüber müßten wir uns mal im Ausschuß näher unterhalten.
({1})
- Ja; gut. Aber es ist überhaupt kein Zweifel, daß wir alle von der Gefährlichkeit dieser Stoffe ausgehen, Herr Kollege Schmidbauer, Herr Spranger und Frau Hartenstein ebenso wie Sie, Herr Ehmke.
Wir streiten uns jetzt, was noch zu tun ist. Wenn ich mir die Anträge hier und auch den Antrag des Bundesrats ansehe, muß ich gestehen, daß ich das Gefühl habe, daß man die Gangart noch etwas beschleunigen kann. Ich frage mich z. B.: Wie lange dauert das noch in der EG? Müssen wir nicht, wenn wir sehen, daß es zu lange dauert, hier national etwas tun? Ich bin ganz beeindruckt von dem, was der Bundesrat hier im Dezember des letzten Jahres beschlossen hat. Er setzt sich ja für ein Verwendungsverbot auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes ein; d. h. er geht einen etwas anderen Weg, um mit dem Problem in den geschlossenen Systemen fertigzuwerden, von denen hier schon die Rede war.
Ich will für meine Fraktion hier zum Ausdruck bringen, daß wir für die schnellste nur mögliche Gangart zu gewinnen sind.
({2})
- Ja gut; aber da muß man uns doch überzeugen. Hier sind doch einige Fragen in der Diskussion offen geblieben.
({3})
- Ja; wir hören hier sehr genau zu, und ich habe heute hier sehr genau zugehört und habe festgestellt, daß die Entscheidungsgrundlage noch nicht so fest ist, wie ich sie mir wünsche.
Also bitte: Wenn es in der EG nicht schnell genug geht, müssen wir nationale Maßnahmen einsetzen, um letztlich zu einem Verbot zu kommen. Wir müssen uns auch fragen: Wie ist es mit den Übergangsfristen? Welche müssen wir gewähren? Wir müssen uns auch fragen: Wie ist es mit den Ersatzmitteln?
({4})
Welche sind einsatzfähig? Was machen wir in den Bergwerken? Tragen wir möglicherweise durch ein Verbot dazu bei, daß die Arbeit unter Tage unsicherer wird? Das müssen wir doch noch mal diskutieren, Herr Kollege Ehmke. Das muß doch möglich sein.
Das Ziel ist nicht umstritten. Jedenfalls für meine Fraktion sage ich Ihnen, daß wir alles tun werden, um so schnell wie möglich diese Stoffe zu beseitigen, und zwar nicht nur innerdeutsch. Es genügt überhaupt nicht, wenn eine Firma, die das hier produziert hat, ihre Produktion einstellt, wenn Importe nach wie vor möglich sind. Man muß also fragen: Unter welchen Voraussetzungen sind Importe weiter möglich? Selbstverständlich spielt die Frage eine Rolle, die Frau Hartenstein aufgeworfen hat:
Werden denn diese Dinger, die hier verboten sind, jetzt exportiert? Es kann doch nicht der Sinn der Sache sein, daß wir vorhersehbare Umweltschäden in die Dritte Welt exportieren. Herr Kollege Schmidbauer hat einen ganzen Katalog aufgeführt, dem ich mich anschließe. Ich möchte das nicht wiederholen.
Ich möchte für meine Fraktion bekräftigen, daß wir jeden realisierbaren vernünftigen Schritt, der zu einer schnelleren Zurückdrängung dieses gefährlichen Stoffes führt, vorbehaltlos unterstützen werden.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 10/1270 und 10/1284 ist Ausschußüberweisung an den Innenausschuß beantragt worden. Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die deutsche Humanitäre Hilfe im Ausland 1978 bis 1981
- Drucksachen 9/2364, 10/1050 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Czaja Frau Luuk
Ertl
Im Ältestenrat ist auch für diese Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. Sind Sie mit der Regelung einverstanden?
- Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung legte am 23. Dezember des Jahres 1982 mit der Drucksache 9/2364 einen Bericht über deutsche humanitäre Hilfe im Ausland für die Jahre 1978 bis 1981 vor. Nach Beratungen in den Ausschüssen hat das Plenum des Deutschen Bundestages heute, 16 Monate nach Vorlage des Berichtes, über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Drucksache 10/1050 zu befinden. Zukünftig sollte auf eine zeitnahe Behandlung geachtet werden.
Der Bericht der Bundesregierung ist eine Bilanz der Hilfe und offenbart gleichzeitig in erschreckender Weise weltweites Elend unzähliger Menschen.
Hunger und Flucht, Verzweiflung, Elend und Tod stehen in tausendfacher Weise vor unseren Augen, wenn wir diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.
Suchen wir nach Ursachen, so müssen wir leider feststellen, daß nur in wenigen Fällen Naturkatastrophen als auslösendes Moment gegeben sind. In großer Zahl sind die politischen Machtverhältnisse, kriegerische Auseinandersetzungen, Machtkämpfe, politische Indoktrination, falsche Wirtschaftspolitik, kurzsichtige Landwirtschaftspolitik und Mißachtung der ökologischen Umweltbedingungen und der damit verbundenen Vernichtung des Lebensraums die Ursache für die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen.
Im Mittelpunkt der humanitären Hilfe steht der notleidende Mensch ohne Berücksichtigung des politischen und sozialen Systems, in dem er lebt. Daher wird humanitäre Hilfe ohne politische Bedingungen, ohne Gegenleistungen und ohne Rücksicht auf den ideologischen Standort der Regierung des Empfängerlandes geleistet. Humanitäre Hilfe ist Ausdruck spontaner Solidarität in akuten Notlagen und damit wichtigstes Hilfsmittel zur Pflege unserer freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten und Völkern. Humanitäre Hilfe umfaßt Maßnahmen, die auf die sofortige oder zumindest kurzfristige Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen abzielen: Soforthilfe zur Lebenserhaltung, medizinische Hilfe, Wiederherstellung notwendiger Infrastruktur, Wiederingangsetzung der Nahrungsmittelproduktion.
Durchgeführt wird die humanitäre Hilfe bilateral als Soforthilfe, vor allem nach Naturkatastrophen, und multilateral vor allem zur Linderung der Not von Flüchtlingen. Bei der Durchführung eigener Hilfsmaßnahmen, wie der Lieferung von Hilfsgütern, dem Einsatz von Fachleuten, Transporthilfen und ähnlichem, arbeitet das Auswärtige Amt mit den Bundesministerien des Innern, der Verteidigung, für Verkehr, für Landwirtschaft und Forsten, wie ich meine, vorbildlich zusammen. Nach Eintreffen eines ausländischen Hilfeersuchens, eines Hilfeaufrufs internationaler Organisationen oder eines Hilfeantrags privater deutscher Hilf sorganisationen entscheidet das Auswärtige Amt über Notwendigkeit sowie Art und Umfang der durchzuführenden Maßnahmen.
Hohe Bedeutung kommt der bewährten Zusammenarbeit mit den größten deutschen privaten Hilfsorganisationen zu: dem Diakonischen Werk, dem Deutschen Caritasverband und dem Deutschen Roten Kreuz. Dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen mit humanitären Hilfsmaßnahmen, ihren Kontakten zu ausländischen Partnerorganisationen und ihren ständigen Beständen an Hilfsgütern sind sie wichtige Partner. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Zusammenarbeit mit kleinen, häufig als Reaktion auf regionale Notsituationen begründeten Hilfsorganisationen. Der Wille zur Hilfe und die Privatinitiative, die durch sie ausgedrückt werden, können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Häufig zeichnen sich gerade diese
Organisationen durch besonders spontane und schnelle Aktionen aus.
Die humanitären Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung können in ihrer Größenordnung den Anlagen zum Bericht entnommen werden. Die kurze Redezeit verbietet, im einzelnen auf das Zahlenmaterial einzugehen.
Ich möchte nochmals für die vorbildliche Zusammenarbeit der verschiedenen Ministerien und Dienststellen untereinander, aber auch für die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen bei der Durchführung von Hilfsmaßnahmen die Anerkennung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aussprechen.
Ein besonderer Abschnitt in der Berichterstattung ist den humanitären Hilfsmaßnahmen privater deutscher Hilfsorganisationen gewidmet. Ein großer Teil der Hilfe wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Daher gebühren besonderer Dank und Anerkennung seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk, dem Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Komitee Notärzte e. V., Soforthilfe e. V. und HELP - Hilfe zur Selbsthilfe e. V. An dieser Stelle sei auch den vielen ungenannten Organisationen, Spendern und Helfern Dank gesagt. Ein herzliches Dankeschön auch der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk.
({0})
Es gibt heute über zwölf Millionen Flüchtlinge weltweit. Flüchtlingsströme dieses Ausmaßes können nicht mehr einfach als humanitäre Frage behandelt werden. Die Flüchtlingsströme stellen latent friedensgefährdendes Konfliktpotential dar. Hervorzuheben ist, daß die Flüchtlingsinitiative der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen zum erstenmal mit Erfolg zu einem umfassenden Konzept zu präventiver Behandlung drohender Flüchtlingsbewegungen geführt hat. Die Mitglieder des Unterausschusses für humanitäre Hilfe werden - ich glaube, daß ich das für alle sagen kann - wie in der Vergangenheit die Bedürfnisse der Notleidenden in dieser Welt im Blickfeld behalten.
Nun noch wenige Worte zur aktuellen Situation, zur Hungersnot in Afrika. In 24 Staaten Afrikas leiden derzeit Millionen Menschen unter Hunger, und Tausende drohen zu verhungern. Klimaveränderungen mit der schlimmsten Dürre seit Beginn dieses Jahrhunderts, Zunahme des Bevölkerungswachstums in zehn Jahren von 2 auf 2,8 % und bürgerkriegsähnliche Unruhen sind die Ursachen. Die FAO stellte mit ihrem Frühwarnsystem einen Einfuhrbedarf von 5,3 Millionen t Getreide für 1984 fest und rechnet mit einem Defizit von 3,5 Millionen t Getreide. Die Geberzusagen betragen derzeit 1,7 Millionen Tonnen Getreide. Die FAO hofft, die noch fehlenden Mengen rechtzeitig zur Verfügung stellen zu können, um den Nahrungsmittelnotstand auszugleichen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist an der Notstandsbeseitigung mit über 110 000 Tonnen Getreide im Werte von über 60 Millionen DM beteiligt
und hat die Nahrungsmittellieferungen in die Notstandsgebiete um über 10 % im Verhältnis zum Vorjahr gesteigert. Auch an der Aufstockung der internationalen Nahrungsmittelreserve ist die Bundesrepublik Deutschland mit 32 000 Tonnen Getreide und 16 000 Tonnen Reis beteiligt. Das Nahrungsmittelhilfsprogramm 1984 sieht weitere Lieferungen für Dürregebiete im Umfang von derzeit 72 000 Tonnen vor.
Aus Vorgesagtem ist zu entnehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland außerordentliche Anstrengungen zur Beseitigung des Nahrungsnotstandes unternimmt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet darum, in dem Bemühen um die Lösung und Linderung der Not von Hungernden und Flüchtlingen nicht nachzulassen. Wir bitten heute und hier auch um Ihre Zustimmung zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Eine Bilanz des Elends" hat unser früherer Kollege Dr. Meinecke ({0}) ({1}) den ersten Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1965 bis 1977 genannt, der im wesentlichen auf seine Anregung hin dem Parlament vorgelegt worden war. Eine „Bilanz des Elends in der Welt" ist auch der zweite Bericht über die humanitären Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum 1978 bis 1981.
Die Liste der Notsituationen und Katastrophen, in denen die Bundesregierung, aber auch die privaten deutschen Hilfsorganisationen bilateral oder durch Leistungen an internationale Organisationen humanitärer Hilfe zu leisten haben, ist sogar noch länger geworden. Hilfe zu leisten war zum einen bei Naturkatastrophen, denen jeder Mensch in jedem Land der Erde hilflos und wehrlos ausgesetzt sein kann: bei Erdbeben, Unwettern, Wirbelstürmen, Vulkanausbrüchen. Andere Naturkatastrophen entstehen teils durch Naturereignisse, teils durch unsachgemäßen Umgang der Menschheit mit der Natur. Die Folgen können Dürren, Überschwemmungen und die Ausbreitung der Wüsten sein.
Immer schwerer wiegen von Menschen verursachte Katstrophen als Folgen innerer Konflikte, bewaffneter Auseinandersetzungen, politischer Unruhe und Bürgerkriege mit dem daraus entstehenden Flüchtlingselend.
Sehr nachdenklich sollte uns alle, die wir uns humanitär engagieren, die Tatsache stimmen, daß wir manchmal Menschen deutsche humanitäre Hilfe gewähren, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen geflohen sind, die mit Waffen aus deutscher Produktion geführt werden.
({2})
In der internationalen Gemeinschaft und auch in der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten Jahren die Bereitschaft zur Leistung humanitärer Hilfe gewachsen. Die Fähigkeit, solche Hilfsmaßnahmen zu organisieren, hat sich verbessert. Vereinte Nationen und Europäische Gemeinschaft bemühen sich, die Hilfsmaßnahmen der verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen aufeinander abzustimmen. Die in dem Bericht besonders genannten deutschen Trägerorganisationen und die vielen Hilfskomitees und privaten Helfer haben nicht nur vielfach unbürokratisch und unvoreingenommen geholfen, sondern auch beachtliche Erfahrungen bei der Abwicklung von Hilfsprogrammen erworben. Den vielen engagierten und fachkundigen Helfern in diesen Einrichtungen und vor allem auch den vielen privaten Spendern gebührt unser ausdrücklicher Dank.
({3})
Dennoch ist es nicht so, daß nicht weitere Verbesserungen möglich und nötig wären. Bei plötzlich hereinbrechenden Katastrophen muß vor allem die technische Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen durch schnellen Einsatz und zügige Koordinierung mit anderen Hilfsorganisationen gesteigert werden. Bei langsam entstehenden Katastrophen wie Mißernten, Dürren und kriegerischen Handlungen kommt es auf eine frühzeitige Wahrnehmung solcher Entwicklungen an, damit Vorsorge getroffen werden kann.
Bei der Bekämpfung von Hungersnöten geht es vor allem um die Verbesserung der Qualität der Nahrungsmittelhilfe. Viele Menschen glauben, mit unseren Nahrungsmittelüberschüssen könne der Hunger in der Dritten Welt bekämpft werden. Ähnliche Vorstellungen vertritt auch die Landwirtschaft, und die Europäische Gemeinschaft folgt ihnen weitgehend im Rahmen ihrer Nahrungsmittelhilfe. Es hat sich jedoch gezeigt, daß Lebensmittelsendungen aus Europa oft dem nicht entsprechen, was in Not geratene Menschen in der Dritten Welt brauchen. Ernährung hat auch eine kulturelle Dimension. Verschiedene Gesellschaften akzeptieren und nutzen aus der Vielfalt möglicher Nahrungsmittel immer nur einen kleinen Teil. Die Bevölkerung muß wissen, wie sie Nahrungsmittel zubereiten und weiter verwerten kann. Bei europäischem Getreide sind diese Kenntnisse nicht immer vorhanden.
Schwerer wiegt die Tatsache, daß wegen Unverträglichkeiten sogar schwere gesundheitliche Gefährdungen auftreten können. Dies gilt bei Milchpulver wegen der in Entwicklungsländern weitverbreiteten Laktose-Intoleranz, die große Teile der Erdbevölkerung betrifft. Nur Europäer und ihre Nachkommen sowie einige Nomaden- und Hirtenvölker vertragen Milch und Milchprodukte nicht nur im Säuglingsalter.
Ferner ist zu bedenken, daß größere Nahrungsmittellieferungen von außen zu einem Preisverfall bei den einheimischen Nahrungsmitteln führen und damit wichtige Anreize zur Fortsetzung der noch vorhandenen Eigenproduktion zerstören können. Es ist unsinnig, teuren Weizen auf langen
Transportwegen zu hohen Kosten nach Tansania zu liefern,
({4})
wie dies vor nicht allzu langer Zeit geschehen ist, wenn gleichzeitig im benachbarten Simbabwe Mais-Überschüsse erwirtschaftet werden.
({5})
Nahrungsmittel sollten möglichst lokal oder regional aufgekauft werden. In dieser Frage werden wir insbesondere bei unseren Kollegen im Landwirtschaftsausschuß noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen.
({6})
Im Rahmen der humanitären Hilfe wird die Betreuung der Flüchtlinge eine immer größere Aufgabe. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen in der Dritten Welt ist auf 15 bis 17 Millionen angestiegen.
({7})
Mit großem Respekt sehen wir, wie viele Staaten trotz schwerer eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten große Flüchtlingskontingente aufnehmen. Eine Aufstockung der Flüchtlingshilfe könnte vielleicht die Bereitschaft fördern, weitere Flüchtlinge ins Land zu lassen.
Erheblich wichtiger und dringend notwendig ist es allerdings, neue Flüchtlingsströme zu verhindern und damit zugleich Konflikten vorzubeugen und Konfliktquellen zu beseitigen, die daraus entstehen können. Die Initiative der Bundesregierung in den Vereinten Nationen zum vorbeugenden Flüchtlingsschutz aus dem Jahre 1980 sollte deshalb mit aller Kraft weiterverfolgt werden.
Große Sorge bereitet uns die derzeitige Hungerkatastrophe in den Dürregebieten Afrikas. Nach Angaben der FAO ist es in 24 afrikanischen Staaten inzwischen zu einer dramatischen Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung gekommen. Die Situation ist dort am schlimmsten, wo die Naturereignisse mit innerstaatlichen militärischen Auseinandersetzungen zusammentreffen, so in Mozambique und Angola. Es ist empörend, daß in Mozambique Menschen verhungern müssen, weil eine von Südafrika ausgehaltene Terrororganisation Nahrungsmitteltransporten auflauert und sie zerstört.
({8})
Die geplagte und geschundene Bevölkerung versucht, sicheres Gebiet zu erreichen, und trifft dort doch nur wieder auf verdorrtes Gras und hungernde Menschen.
({9})
Die Völkergemeinschaft - hier könnte auch die Europäische Gemeinschaft gezielt tätig werden - sollte mit aller Kraft darauf drängen, daß humanitäre Hilfsmaßnahmen überall dort wirklich zugelassen werden, wo die existentielle Not der Menschen das erfordert. Dieser Appell richtet sich aus konkretem Anlaß auch an die angolanische Regierung.
({10})
Humanitäre Hilfe ist nicht nur eine Frage des karitativen Wollens und des technischen Könnens, sondern auch eine Frage politischer Möglichkeiten und politischer Macht. Im Namen der Menschenrechte drängen wir darauf, daß humanitäre Hilfe in akuten Notlagen auch wirklich gewährt werden kann.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Wenn wir zu so später Stunde noch über humanitäre Hilfe und die Menschheitsdramen, die hinter jeder dieser Katastrophen stehen, sprechen wollen, müßten wir uns ja eigentlich sehr ausführlich und sehr gründlich noch einmal über die verschiedensten Aspekte unterhalten. Das ist aber hier leider nicht möglich. Wir haben es jedoch im Unterausschuß dank der Tätigkeit des Vorsitzenden, Herrn Kollegen Bindig, sehr intensiv -getan. Ich möchte mich deshalb auf einige wenige Punkte beschränken.
Ich habe mich in den Jahren meiner Tätigkeit als Staatsminister sehr intensiv um diesen Bereich bemüht. Dieser Bericht stammt j a auch aus dieser Zeit. Eigentlich ist es sinnlos, über einen Bericht zu reden, der bis 1981 reicht, während wir das Jahr 1984 schreiben. Gerade in diesem Bereich der humanitären Hilfe haben wir weitere, noch viel dramatischere Entwicklungen als bis zum Jahr 1981 erlebt. Ich denke nur an die Flüchtlingsströme in Afrika. Die Zahl dieser Flüchtlinge dort beträgt alleine 11, 12 Millionen. Sie müssen weit unterhalb des Existenzminimums vegetieren. Alles, was wir an humanitärer Hilfe leisten können - bilateral, multilateral, über private Hilfsorganisationen -, ist ja noch viel weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wer einmal solche Flüchtlingslager besucht hat, kann diese Eindrücke sein Leben lang nicht mehr vergessen. Man muß um so dankbarer sein und bereit sein zu geben, wenn man sieht, wie die Menschen leiden, wie sie verhungern, wie sie verdursten, wie die Kinder niemals lebensfähig werden.
Auf der großen ersten Flüchtlingskonferenz in Afrika, auf der ich die deutsche Delegation leitete, hat die Bundesregierung - das ist auch Bestandteil des Berichtes - damals eine große zusätzliche Summe zugesagt, obgleich alle diese Beträge im Grunde eben wirklich nicht mehr als ein Almosen sind. Das wird jeder bestätigen, der die Not kennt.
Ich möchte nach dem bisher Gesagten gerne auf ein paar Fakten hinweisen, die für unsere Bundesregierung und für das Auswärtige Amt von seiten des Parlaments, Herr Staatsminister Mertes, doch
besonders unterstrichen werden sollten. Mir ist aufgefallen, daß unsere Bemühungen, mehr und verstärkt als Europäer humanitäre Hilfe zu leisten, anscheinend noch nicht die Fortschritte machen, die wir uns wünschen könnten. Es wäre eine schöne Leistung der Europäer, in diesem Bereich gegenüber den hungernden, leidenden und von Katastrophen betroffenen Menschen gemeinsam Solidarität zu zeigen. Dann könnte man hier vielleicht auch ein wenig mehr tun. Herr Staatsminister, ich glaube, die Europäische Politische Zusammenarbeit sollte hier sehr bald zu ganz konkreten Formen der Zusammenarbeit finden.
Ich möchte weiter einmal darauf hinweisen, daß teilweise die Datenlage, um beim Ausbrechen von Katastrophen - ({0})
Frau Abgeordnete, einen Augenblick. Ich darf doch bitten, hier etwas mehr Ruhe zu bewahren.
Bitte schön.
Danke schön, Herr Präsident. Ich schaffe es schon, aber ich danke Ihnen für die Unterstützung.
Die Datenfrage, meine Damen und Herren, muß ebenfalls gelöst werden. Wenn eine Katastrophe ausbricht und schnell geholfen werden muß, vergeht kostbare Zeit, die Menschenleben kostet, wenn die Daten nicht vorhanden sind, was in welcher Weise und in welchen Mengen zu liefern ist.
Ein Dritter Bereich ist, daß unsere Auslandsvertretungen unter Umständen, wenn solche Katastrophenfälle eintreten, ganz schnell Personalverstärkung erhalten müssen, weil sonst die Weiterleitung, die Organisation der ankommenden Hilfsgüter nicht geleistet werden kann und auch hier wieder oft kostbare Zeit vergeht.
Ich glaube auch, daß unsere deutsche Initiatitive bei den Vereinten Nationen zur Erforschung der Ursachen von Flüchtlingsströmen, die ja eine neue Geißel der Menschheit sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Beitrag ist, um auf die Staaten einzuwirken, die Hauptverursacher und Auslöser dieser Flüchtlingsströme sind.
Alles in allem ist der Betrag, der für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt werden kann, ein hoher Betrag. Aber er ist nicht ausreichend. Um so wichtiger ist es, in unserer Bevölkerung immer wieder die Bereitschaft zu wecken und zu fördern und dankbar anzuerkennen, die in Katastrophenfällen Ungeheures leistet. Ich denke nur an das, was für das „Komitee Notärzte Cap Anamur" allein aus privaten Spenden geleistet worden ist. Ich glaube, wir alle gemeinsam sollten das jetzt trotz der späten Stunde sehr dankbar anerkennen.
({0})
Die Zusammenarbeit ist in der Regel sehr gut. Gerade der Einsatz der karitativen, der kirchlichen
und der freien Organisationen hat unser Ansehen
als eines der wirklich selbstlosen Spenderländer in der Welt ganz wesentlich gefördert.
Ich möchte aber auch nicht versäumen, vor allem dem Minireferat im Auswärtigen Amt, das mit ganz wenigen Leuten diese ganze Arbeit zu leisten hat, auch einmal ein herzliches Dankeschön zu sagen;
({1})
denn seine Tätigkeit verläuft im Bereich der glanzvollen Diplomatie immer im Verborgenen. Ich bitte Sie, Herr Staatsminister, diesen Dank an die beteiligten Damen und Herren in Ihrem Hause weiterzugeben.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Konsens aller Parteien hier dürfte es sein, daß die humanitäre Hilfe wichtig und notwendig ist und daß die Bundesregierung, wie aus ihrem Bericht über die humanitäre Hilfe im Ausland 1978 bis 1981 hervorgeht, ihren Beitrag dazu geleistet hat. Laut Bericht der Bundesregierung sind die Grundlagen der humanitären Hilfe nicht politischer Art, sondern haben ausschließlich humanitären Charakter. Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur humanitären Hilfe empfiehlt, daß diese Hilfe sich ausschließlich an den aktuellen Bedürfnissen der betroffenen not-leidenden Bevölkerung orientiert.
Die Notwendigkeit des ausschließlich humanitären Charakters der Hilfe steht außer Zweifel. Die Realität ist jedoch, daß häufig der politische Charakter der humanitären Hilfe dominiert oder die politische Situation in den Empfängerländern den ausschließlich humanitären Einsatz der Hilfe unterbindet.
Ich möchte hierzu auf ein konkretes Beispiel eingehen, um das zu erläutern.
({0})
- Es wäre auch eine Möglichkeit, daß sie aufhören zu reden.
Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, ich glaube, wenn Sie leise sind, ist die Rednerin zu verstehen.
({0})
Als Beispiel möchte ich hier auf die Problematik der salvadorianischen Flüchtlinge in Honduras eingehen. Die Bundesregierung zahlt, was man ihrem Bericht entnehmen kann, im Rahmen der humanitären Hilfe seit 1981 an den UNHCR zur Unterstützung der Flüchtlingsbetreuung in Honduras. 1983 leistete sie einen Beitrag von 400 000 DM an den UNHCR für die 17 000 Flüchtlinge aus El Salvador.
Das Problem ist jedoch folgendes. Aus militärstrategischen Erwägungen der USA und der honduFrau Gottwald
ranischen Regierung sollen die salvadorianischen Flüchtlinge, deren Lager in der Nähe der honduranisch-salvadorianischen Grenze liegen, gegen ihren Willen ins Landesinnere von Honduras verlagert werden. Es hat in dieser Region schon mehrere Verlagerungen salvadorianischer Flüchtlinge gegeben. Die größte, bei der es zahlreiche Tote und Verschwundene gegeben hat, war die vor zwei Jahren in das Lager Mesa Grande, das vielleicht einigen hier bekannt ist. Für einen Teil der Flüchtlinge steht jetzt die dritte Verlagerung gegen ihren Willen an.
Während der Zentralamerikareise des Auswärtigen Ausschusses im Februar/März dieses Jahres hatte Frau Hoffmann von der CDU und ich die Gelegenheit, das Lager Colomoncagua, das 3 km von der salvadorianischen Grenze entfernt liegt und im August umverlegt werden soll, zu besuchen. Es leben dort etwa 7 500 salvadorianische Flüchtlinge, überwiegend Frauen, Kinder und ältere Menschen. In einem langen Gespräch mit etwa 40 bis 50 Flüchtlingen wurde uns folgendes mitgeteilt. Die Flüchtlinge sind vor der Repression und den Bombardierungen der salvadorianischen Militärs nach Honduras geflohen. Einige von ihnen sind den Massakern am Rio Sumpul 1980 und Rio Lempa 1981 entkommen, wo salvadorianische zusammen mit honduranischen Militärs Hunderte von salvadorianischen Flüchtlingen in den Grenzflüssen abgeschlachtet haben. Es ist nur allzu verständlich, daß die Flüchtlinge heute nichts mehr als Militärs fürchten, egal, ob sie aus Honduras oder El Salvador sind. Dazu kommt, daß es ständig Übergriffe auf diese Flüchtlinge seitens der honduranischen Militärs gibt. Kurz bevor wir im Lager waren, hatten die honduranischen Militärs eine Frau namens Santos Gilberta Iglesia festgenommen, die versucht hatte, zurück nach El Salvador zu gehen. Die Frau ist bis heute verschwunden. Anfang Februar fand man 14 verweste Leichen von Flüchtlingen in der Nähe der Lager.
Zur anstehenden Verlagerung wurde uns von den Flüchtlingen folgendes berichtet. Wie auch bei den vergangenen Verlagerungen wird UNHCR die Flüchtlinge dabei betreuen. UNHCR habe in der Vergangenheit stets gesagt, die Flüchtlinge seien mit der Verlagerung einverstanden, was falsch sei. Die Flüchtlinge seien nie gefragt worden, sie seien gegen die Verlagerung, und zwar aus folgenden Gründen. Der UNHCR habe den Flüchtlingen zu Anfang gesagt, sie könnten in Colomoncagua bleiben, woraufhin sie die Infrastruktur, wie Straßen, Wasser etc., eingerichtet hätten. Sie haben Hütten, Schulen, Werkstätten, Krankenhäuser gebaut und kleine Gärten angelegt. Sie seien nicht bereit, die Ergebnisse ihrer Arbeit aufzugeben.
({0})
Der geplante Ort für die Umverlagerung sei nicht akzeptabel. Erstens läge Olanchito - so heißt der neue Ort - in der Nähe, etwa 250 km entfernt, von Puerto Castillo, dem Ausbildungslager für AntiGuerilla-Einheiten, wo auch salvadorianische Militärs ausgebildet würden, vor denen sie aber gerade geflohen seien.
({1})
Zweitens seien die Gewerkschaften und Bauernverbände in Olanchito gegen die Verlagerung, sie seien also auf keinen Fall willkommen. Die dortigen Bauern brauchten das Land selbst. Drittens würden die Flüchtlinge auch in Olanchito in lagerähnlichen Verhältnissen leben, da die honduranische Regierung eine freie Ansiedlung und Integration in den örtlichen Markt nicht zuließe. Die Flüchtlinge fragen sich, wo da die Verbesserung für sie zu erwarten sei.
Die Verhandlungen zwischen dem Hohen Flüchtlingskommissar und der honduranischen Regierung über Bewegungsfreiheit und Zugang zu den örtlichen Märkten in Olanchito, auf die z. B. Herr Möllemann auf eine Anfrage vom 27. März 1984 geantwortet hat, haben das Ergebnis, daß diese Forderungen nicht erfüllt werden können. Dies teile uns Herr Blatter, der Leiter des Hohen Flüchtlingskommissariats in Honduras, bereits Anfang März 1984 in Honduras mit, also drei Wochen bevor Herr Möllemann hier eine Antwort gab, die nicht ganz zutreffend ist.
Der offizielle Grund der Verlagerung, den der UNHCR angibt und den Herr Möllemann am 27. März 1984 ebenfalls angab, nämlich die Sicherheit der Flüchtlinge, sei genauso falsch wie die Behauptung der honduranischen Regierung, die Verlagerung erfolge aus nationalen Sicherheitsinteressen heraus.
({2})
- Warten Sie es ab.
Richtig sei - so die Flüchtlinge -, daß die Verlagerung aus dem militärischen Interesse der USA und der honduranischen Regierung erfolge, den Grenzstreifen für eventuelle Interventionen nach El Salvador freimachen zu wollen.
Die Flüchtlinge berichten von einem Lagerbesuch des Coronel Turcio vom US-Kommando Süd aus Panama Anfang des Jahres.
({3})
Der Coronel habe den Flüchtlingen gesagt, daß die Verlagerung eine militärische Notwendigkeit sei und deswegen auch stattfinden werde. Der Coronel habe sich genauestens die Infrastruktur der Lager angesehen.
Die Flüchtlinge sind nicht gewillt, ihre Lager den Militärs für Operationen nach El Salvador zur Verfügung zu stellen, wo ihre Familien leben. Wörtlich haben sie gesagt: „Wir sind bereit zu sterben, aber nicht zu gehen."
Die katholische Bischofskonferenz von Honduras hat sich am 20. Januar 1984 ebenfalls gegen eine Umsiedlung der Flüchtlinge ausgesprochen, eben4776
falls die honduranische Menschenrechtsorganisation, die sich um die Menschenrechtsverletzungen an den Flüchtlingen kümmert. Auch der Erzbischof von San Salvador, Rivera y Damas, hat in seiner Predigt am 12. Februar 1984 den UNHCR angeklagt, er würde der Verlagerung unter dem Druck der USA zustimmen, und darauf hingewiesen, daß die Verlagerung im Zusammenhang mit den US-Manövern Grenadero Uno stände.
Ein kurzer Hinweis: Zur Zeit der Wahlen in El Salvador befanden sich 4 000 US-Marines entlang der honduranischen Grenze in der Nähe der Flüchtlingslager, um angeblich die Lager zu bewachen.
Es ist leicht einsehbar, daß die salvadorianischen Flüchtlinge nicht in das Militärkonzept der USA hineinpassen und deswegen die Verlagerung ansteht. Es ist auch einsehbar, daß diese Verlagerung nicht aus Interesse an dem Wohl der Flüchtlinge geschehen wird.
Aber es ist nicht einsehbar, daß sich der UNHCR dem Druck der USA beugt und die internationalen Geldgeber des UNHCR dies akzeptieren. Damit wären wir beim Thema. Das ist nämlich die Bundesregierung.
({4}) - Ihre Zustimmung freut mich außerordentlich.
({5})
Die Bundesrepublik ist finanziell an der Flüchtlingsbetreuung beteiligt. Wenn es stimmt, daß sich die humanitäre Hilfe ausschließlich an den Bedürfnissen und Interessen der notleidenden Bevölkerung orientiert, der sie zukommen soll, ist die Bundesregierung verpflichtet, dies auch im Fall der salvadorianischen Flüchtlinge in Honduras zu tun, von denen ich eben hier zu berichten versucht habe. Sie kann sich dann nicht länger weigern, dies von den Flüchtlingen selbst artikulierte Bedürfnis und Interesse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, wie Herr Möllemann es in seiner Antwort auf eine Frage eines SPD-Abgeordneten am 27. März 1984 noch getan hat.
Ich möchte die Bundesregierung auffordern, sich direkt mit den Flüchtlingen in Honduras in Verbindung zu setzen und sich mit deren Interessen zu solidarisieren, indem sie sich gegen eine solche Verlagerung ausspricht.
Durch ihren finanziellen Beitrag steht sie in der Verantwortung und auch in der Gefahr, die Verlagerung mitzufinanzieren, die ausdrücklich und entschieden von den Flüchtlingen abgelehnt wird.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.
({6})
Das Wort hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt mit ihrem Bericht die Fortschreibung des Berichts über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1965 bis 1977 vor. Die Bundesregierung begrüßt das Interesse des Deutschen Bundestages an der humanitären Hilfe der Bundesregierung, das auch in einem nie unterbrochenen und intensiven und, Frau Kollegin Gottwald, positiven Dialog im Unterausschuß für humanitäre Hilfe des Auswärtigen Ausschusses unverändert zum Ausdruck gebracht wurde. Ich hätte von Ihnen gerne einen positiveren Beitrag erwartet als das, was Sie zum Schluß mit der unvermeidlichen Polemik gesagt haben.
({0})
Die Bundesregierung dankt diesem Unterausschuß heute für seine kooperative Haltung und Tätigkeit.
Danken möchte ich auch den Kollegen Höffkes und Frau Hamm-Brücher, daß sie die Mitwirkung der Bundesregierung fair und positiv gewürdigt haben. Vor allen Dingen freue ich mich, Frau Kollegin Hamm-Brücher, über ihr aufmunterndes und anerkennendes Wort an die Adresse der für die humanitäre Hilfe zuständigen Bediensteten des Auswärtigen Amtes. Ich werde es gerne weitergeben.
Bittere Not verletzt nach unserem Verständnis die Menschenwürde. Eine in Grundwerten verankerte Politik muß daher in extremen Notlagen helfen. Die humanitäre Hilfe ist ein Ausdruck spontaner Solidarität in akuten Notlagen und damit ein wichtiger Beitrag zur Pflege unserer freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten und Völkern. Das wird auch von den betroffenen Menschen und Staaten so empfunden, wie wir immer wieder feststellen können. Im Mittelpunkt der humanitären Hilfen steht der notleidende Mensch. Damit folgt die humanitäre Hilfe der Überzeugung, daß Menschen in extremer Not wegen politischer Differenzen mit ihren Regierungen unsere Hilfe nicht versagt werden darf, daß Menschlichkeit unteilbar sein muß.
Der Unterausschuß für Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Ausschusses und der Ausschuß selbst haben sich mit dem Ihnen vorliegenden Bericht intensiv auseinandergesetzt. Die Bundesregierung wird die Anregungen des Deutschen Bundestages aufgreifen und sich bemühen, in diesem Sinne ihre humanitäre Hilfe weiterzuführen und, wenn möglich, zu verstärken.
Die Sofort- und Katastrophenhilfe ist das einzige Instrument, mit dem wir den Menschen vor allem in der Dritten Welt in Notsituationen rasch und effektiv beistehen können. Die strukturell angelegte Entwicklungshilfe, die ebenfalls häufig humanitären Charakter hat, kann nicht derart kurzfristig eingesetzt werden.
Die Lage vor allem in vielen Staaten Afrikas ruft uns gerade in diesen Tagen wieder den Grundsatz ins Gedächtnis, daß, wer rasch gibt, doppelt gibt. Dies gilt gleichermaßen für die Sofort- und Katastrophenhilfe im engeren Sinne wie für die Flüchtlingshilfe, die in den letzten Jahren ständig ausgeweitet werden mußte, da leider mehr und mehr Menschen auf der Flucht weder bald in ihr Heimatland zurückkehren noch im Erstaufnahmeland auf Dauer integriert werden können. Ich erinnere hier
beispielsweise an die afghanischen Flüchtlinge in Pakistan.
Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung leistet mit ihren relativ bescheidenen Mitteln einen Beitrag zur Außenpolitik unseres Landes. Diese Außenpolitik verfolgt nicht nur das selbstverständliche Ziel der Friedenserhaltung gegen jede Art von Krieg, sondern auch das der Friedensgestaltung gegen jede Ungerechtigkeit.
({1})
Die Bundesregierung sieht in der humanitären Hilfe deshalb auch einen Beitrag zum Abbau von Spannungsursachen, die auf Dauer den Frieden gefährden. Die Mittel der humanitären Hilfe sind daher in mehrfacher Hinsicht am rechten Ort und für den richtigen Zweck eingesetzt. Das ständig zunehmende Konfliktpotential gerade in der Dritten Welt macht eine weitere Verstärkung dieser Mittel erforderlich, wenn die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Hilfe das Überleben der von Katastrophen oder bewaffneten Auseinandersetzungen betroffenen Menschen sichern und damit zur Verhinderung inner- oder zwischenstaatlicher Konfrontation auch in Zukunft auf überzeugende Weise beitragen will.
Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung ist nicht nur unter diesen auslandsbezogenen Aspekten zu sehen. Sie steht auch im Rampenlicht einer kritischen und engagierten Öffentlichkeit, die ihre Wünsche und Zielvorstellungen an sie heranträgt. Dies entspricht unserer Auffassung von humanitärer Hilfe, die wir nicht einfach als Ergebnis einer Art „regierungsamtlicher Humanitätsphilosophie" betrachten, sondern als Ausdruck spontaner Solidarität der Deutschen mit Menschen in Not.
({2})
Von großer Bedeutung, meine Damen und Herren, ist auch die Identifikation des Spenders mit den Opfern bestimmter Notlagen. Hier haben die Medien eine große Aufgabe, der sie teilweise gerecht werden. Unter dem Eindruck der Bilder von den Bootsflüchtlingen in Südostasien, von den sich hungernd dahinschleppenden Flüchtlingen in Afrika wächst in der Öffentlichkeit das Gefühl, daß es einfach nicht mehr erlaubt ist, nur zuzusehen. Der Bürger empfindet, daß die Situation es gebietet, mit anzufassen, ganz gleich, auf welche Art und Weise im einzelnen oder in welcher Organisationsform.
Damit nimmt der an die Bundesregierung gerichtete Anspruch zu, den Notleidenden in aller Welt zu helfen und diese Hilfe, Frau Kollegin Gottwald, nicht zu politisieren.
({3})
Dem muß sich die humanitäre Hilfe stellen. Sie muß humanitär Sinnvolles und finanziell Machbares identifizieren und aufnehmen. Das heißt insbesondere, sie darf sich nicht zu vordergründigem Populismus verleiten lassen und darüber weniger öffentlichkeitswirksame Notlagen aus den Augen verlieren oder die Spätfolgen ihres Tuns übersehen.
In Übereinstimmung mit diesen Überlegungen wird die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe fortsetzen. Sie wird die Anregungen und Vorschläge des Deutschen Bundestages aufnehmen und weiterhin im laufenden Dialog mit den zuständigen parlamentarischen Gremien eine rasche, eine effektive humanitäre Hilfe leisten.
({4})
Wir erweisen damit unsere Solidarität mit Menschen in großer Not, und wir verwirklichen damit zugleich die Grundüberzeugungen unseres Gemeinwesens.
Ich danke Ihnen.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/1050 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Punkt 10 der Tagesordnung - Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1983 - ist abgesetzt worden.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Juni 1979 zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten
- Drucksache 10/786 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
- Drucksache 10/1139 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Weyel
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/1140 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({2}) Frau Zutt
Verheyen ({3})
({4})
Wird seitens der Berichterstatter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
Vizepräsident Wurbs
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. September 1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume
- Drucksache 10/787 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5})
- Drucksache 10/1141 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Blunck
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/1142 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({7}) Frau Zutt
Verheyen ({8})
({9})
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Mai 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bangladesch über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/57 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({10})
- Drucksache 10/1218 Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
({11})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. November 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Republik Somalia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 10/58 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({12})
- Drucksache 10/1227 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
({13})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes und des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 10/1128 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({14}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1128 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({15}) zu der Verfassungsstreitsache
Antrag von Dr. Helmut Kohl und Dr. Friedrich
Zimmermann sowie 229 weiterer MitVizepräsident Wurbs
glieder des Deutschen Bundestages gegen § 2 des Haushaltsgesetzes 1981
- Drucksache 10/1154 ({16})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ist gestern verteilt worden. Ich gehe davon aus, daß Sie einverstanden sind, daß heute über diese Vorlage abgestimmt wird.
Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/1154 ({17}) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({18}) zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 14/83, über die Kontrollrechte hinsichtlich der Haushaltsmittel für die Nachrichtendienste
- Drucksache 10/1203 ({19}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? ({20})
- Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich zu dieser späten Stunde noch das Wort ergreife. Ich will es sehr kurz machen.
Herr Präsident, nach unserer Auffassung ist die Beschlußempfehlung nicht identisch in ihrem Inhalt, sondern gegenläufig, und zwar insoweit, als in
1 a ein anderer Antrag behandelt wird als in 1 b.
Deshalb, Herr Präsident, bitte ich, daß über 1 a und
2 auf der einen Seite und über 1 b auf der anderen Seite eine getrennte Abstimmung erfolgt.
Vielen Dank. Ich bitte um Ihr Verständnis.
({0})
Einen Augenblick! Ich glaube, das ist unstrittig. Es wurde hier der Antrag gestellt, über die Ziffern 1 a und 1 b getrennt abzustimmen, wenn ich das richtig sehe.
({0})
- Ja.
Ich rufe zunächst die Ziffer 1 a auf. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen! - Die Ziffer 1 a ist bei Gegenstimmen der SPD und der GRÜNEN sowie einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Ziffer 1 b auf. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen! - Einstimmig so beschlossen.
({1})
- Verzeihung! Eine Enthaltung? - Ja. ({2})
Einen Augenblick! Ich lasse noch über die Ziffer 2 abstimmen. Wer der Ziffer 2 die Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen! - Auch die Ziffer 2 ist angenommen und zwar bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen bei der SPD und den GRÜNEN.
({3})
Ich rufe den Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 30 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/1240 Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 30 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen!
- Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung einer 10 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Geländes in Feldmoching an die Landeshauptstadt München
- Drucksache 10/1195 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 10/1195 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 20 und 21 der Tagesordnung auf:
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für die Verordnung ({6}) des Rates zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unlautere Handelspraktiken
- Drucksachen 10/472, 10/1228 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
Vizepräsident Wurbs
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({8}) des Rates mit Maßnahmen zur Ablösung der Nahrungsmittelhilfe durch Maßnahmen im Bereich der Ernährung
- Drucksachen 10/873 Nr. 19, 10/929, 10/ 1231 Berichterstatter: Abgeordnete Brück Dr. Pohlmeier
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf den Drucksachen 10/1228 und 10/1231 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen! - Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Sitzung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 13. April 1984, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.