Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/5/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) Meine Damen und Herren, mit Trauer gedenken wir des Mitgliedes des Deutschen Bundestages, unseres Kollegen Gerhard Brosi, der durch einen tragischen Tod am 3. April im Alter von 40 Jahren verstarb. Gerhard Brosi wurde am 8. August 1943 in Kirchberg/Murr geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums absolvierte er nach dem Abitur 1963 zunächst eine Ausbildung als Volks- und Realschullehrer und anschließend ein Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in Heidelberg und Berlin, das er 1972 mit der Diplomprüfung abschloß. Bis zum Jahre 1980 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg und der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe tätig. Seit dem Jahre 1980 war er Fachhochschullehrer und seit 1983 Fachhochschulprofessor. Gerhard Brosi war als aktives Mitglied der SPD, in die er 1969 eintrat, seit 1974 Kreisvorsitzender der SPD in Heidelberg, 1976 bis 1977 parlamentarischer Berater der SPD-Landtagsfraktion in Stuttgart und seit 1977 Mitglied des SPD-Landesvorstands Baden-Württemberg. Darüber hinaus war er in der Kommunalpolitik tätig und Mitglied der Gewerkschaft ÖTV. In den Deutschen Bundestag wurde Gerhard Brosi 1983 mit Beginn der 10. Wahlperiode gewählt. Während seiner einjährigen Tätigkeit im Bundestag beteiligte er sich mit Sachverstand und Engagement an der politischen Arbeit des Ausschusses für Forschung und Technologie. Ich spreche den Familienangehörigen und der Fraktion der SPD meine aufrichtige Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Gerhard Brosi ein ehrendes Gedenken bewahren. Ich danke Ihnen. - Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Zusatzpunkte Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN, Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet - Drucksache 10/1222 -, und Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses - Drucksache 10/1200 - erweitert werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatzpunkt 1 auf: 2. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Straßmeir, Dr. Jobst, Milz, Bohlsen, Bühler ({1}), Fischer ({2}), Hanz ({3}), Haungs, Pfeffermann, Schemken, Tillmann, Hinsken, Lemmrich, Hoffie, Kohn, Dr. Weng und Genossen und der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Deutsche Bundesbahn - Drucksachen 10/112, 10/672 - b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn ({4}) - Drucksache 10/808 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({5}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO c) Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn - Drucksache 10/612 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({6}) Innenausschuß 1. Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Präsident Dr. Barzel Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet - Drucksache 10/1222 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({7}) Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Zu Punkt 2 a der Tagesordnung liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1234 vor. Meine Damen und Herren, es ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis c sowie des Zusatzpunktes 1 und eine Aussprache von vier Stunden vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn war viele Jahre das Rückgrat des Verkehrs. Für die CDU/CSU gilt, daß wir auch in der Zukunft auf eine leistungsfähige Deutsche Bundesbahn nicht verzichten können. Die Bahn darf nicht auf dem Abstellgleis landen. ({0}) Mit der Deutschen Bundesbahn hat die neue Bundesregierug ein seit vielen Jahren ungelöstes Problem vorgefunden. Die Bahn bereitet uns heute große Sorgen. Sie ist zu einem Haushaltsrisiko, ja, geradezu zu einem Sprengsatz geworden. Es geht nicht nur um eine Größenordnung von jährlich 13,6 Milliarden DM an Bundesleistungen. Wenn man das jährliche Defizit und die jährliche neue Schuldenaufnahme dazunimmt, dann geht es bei der Bahn heute um eine Größenordnung von 18 bis 20 Milliarden DM, und dies mit steigender Tendenz. Die Deutsche Bundesbahn ist in den finanziellen Abgrund gerollt. Nun wissen wir, daß die Kollegen von der SPD nicht gerne über Vergangenheit reden. Sie wollen nach vorne diskutieren. Sie stellen unbekümmert verkehrspolitische Forderungen, als wären sie nicht erst seit 1982, sondern seit vielen Jahren in der Opposition. In Ihrer Situation würde ich es natürlich gerne genauso machen. Diesen Gefallen kann ich ihnen aber nicht erweisen. Herr Kollege Daubertshäuser, Ostern steht vor der Tür. Wir sollten den richtigen Glauben haben. Dazu gehören auch Reue und Buße. ({1}) Lassen Sie mich die Situation der Deutschen Bundesbahn nur ganz kurz in Zahlen beleuchten: 1970 hat die Deutsche Bundesbahn einen Verlust von 1,2 Milliarden DM gehabt, die Verschuldung hat 13 Milliarden DM betragen, und die Bundesleistungen haben 3,9 Milliarden DM ausgemacht. 1982 betrug der Verlust 4,2 Milliarden DM, die Verschuldung ist auf 35,6 Milliarden DM angestiegen, und die Bundesleistungen haben eine Größe von 13,4 Milliarden DM erreicht. Die Talfahrt der Bahn hat also nicht erst gestern begonnen. ({2}) Seit einem Jahrzehnt rollt die Deutsche Bundesbahn in den finanziellen Ruin. ({3}) Es ist Tatsache, daß wir 16 Jahre lang - von 1966 bis 1982 - SPD-Bundesverkehrsminister hatten, denen die Verantwortung für die Verkehrspolitik und auch für die Bundesbahn oblag. In dieser Zeit ist die Deutsche Bundesbahn in Grund und Boden gewirtschaftet worden. ({4}) Keine europäische Eisenbahn ist so in den Graben gefahren worden wie die Deutsche Bundesbahn. ({5}) Das ist gewiß keine Übertreibung. Ich darf Ihnen ein Zitat vorlesen: Die Deutsche Bundesbahn wird uns in den kommenden Jahren ohne Zweifel außerordentlich stark beschäftigen. Sie ist zu einem der zentralen Probleme unserer Finanzwirtschaft, zu einem unkalkulierbaren Risiko der gesamten Staatsfinanzen, zu einer für die Allgemeinschaft nicht mehr tragbaren Hypothek geworden. Dies hat der letzte SPD-Bundesverkehrsminister, Hauff, in seinem Brief vom 10. August 1981 an seine lieben Genossen geschrieben. ({6}) Die SPD-Verkehrspolitik ist mit Fehlschlägen, Versäumnissen, enttäuschten Hoffnungen gepflastert. Dies müssen Sie sich in Ihr Stammbuch schreiben lassen. ({7}) Die SPD hat die Dinge bei der Bahn unter ihrer Verantwortung in unverantwortlicher Weise treiben lassen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie die Bahn in ihrem Saft haben schmoren lassen. Sie haben nicht den politischen Mut gehabt, Entscheidungen zu treffen. Es wurden zahlreiche Konzepte und Vorschläge vorgelegt. Aber alle sind wie Seifenblasen geplatzt. Ein Hauptvorwurf ist, daß in Ihrer Zeit der Strukturwandel in Wirtschaft und Verkehr einfach mißachtet worden ist. ({8}) Das Verkehrswesen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt und damit natürlich auch die Stellung der Deutschen Bundesbahn als Verkehrsträger. Durch Pkw und Lkw ist eine Revolution in Wirtschaft und Verkehr erfolgt. Während z. B. 1950 im Personenverkehr 80% öffentlicher Verkehr und nur 20 % Individualverkehr war, waren es 1982 umgekehrt 80 % Individualverkehr und nur 20% öffentlicher Verkehr. Im Güterverkehr hat die Deutsche Bundesbahn 1950 noch 62 % der beförderten Tonnage transportiert. 1982 waren es nur mehr 29 %. Seit 1950 wurden 8 000 km Autobahnen gebaut. 420 000 km Straßen wurden neu gebaut oder erneuert - und dies alles bei vollem politischen Konsens. Die Hälfte der Autobahnen wurde in den 70er Jahren fertiggestellt. Dagegen sind seit 1970 nur 12 km Eisenbahnstrecke und 200 km S-Bahn-Strecke neu gebaut worden. ({9}) Die Deutsche Bundesbahn ist nicht mehr das Rückgrat des Verkehrs. Meine sehr verehrten Damen und Herren, 1960 war nicht vorauszusehen, wie sich das Auto entwikkeln würde; in den 70er Jahren aber war das vorauszusehen. ({10}) Diese Entwicklung haben Sie von der SPD nicht begriffen. Das ist ein Hauptversagen Ihrerseits. ({11}) Denn in dieser Zeit war Handlungsbedarf in der Verkehrspolitik gegeben. Wir von der CDU/CSU - Sie können alle unsere Reden in den Protokollen nachlesen - haben vor dieser Entwicklung zu Lasten der Deutschen Bundesbahn gewarnt. Und wir haben vor einer Politik des Diktates der leeren Kassen gewarnt. Weil die Eisenbahn ein Streckenkorsett hat, das aus dem letzten Jahrhundert stammt, kann die Deutsche Bundesbahn heute in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Ein entscheidendes Versagen ist auch darin zu sehen, daß der damalige Verkehrsminister Leber Anfang der 70er Jahre, anstatt zu rationalisieren, zu investieren und die hohe Personalintensität abzubauen, der Eisenbahn erlaubt hat, weitere 40 000 Eisenbahner einzustellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ursachen für die Fehlentwicklung bei der Bahn sind, kurz zusammengefaßt, folgende: Erstens das politische Entscheidungsdefizit: Es gab viele Pläne und Konzepte in den 16 Jahren der Verantwortung der SPD, aber keine Entscheidungen. Zweitens das Strukturdefizit: Die Veränderungen in Gesellschaft und Verkehr ergingen zu Lasten der Konkurrenzfähigkeit der Bahn. Drittens das Investitionsdefizit: Die Investitionsquote bei der Bahn ist von 1960 bis 1982 ganz erheblich gesunken. Viertens das Finanzierungsdefizit: Der Bundeshaushalt kann heute die finanzielle Ausstattung der Bahn, nämlich, 18-20 Milliarden DM, nicht mehr bedarfsgerecht sicherstellen; dies gibt der Bundeshaushalt nicht her. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn konnte an dieser Entwicklung wenig ändern. Versagt haben die verantwortlichen Politiker. ({12}) Deshalb haben wir von der Union nach der Regierungsübernahme sofort eine Große Anfrage zur Deutschen Bundesbahn eingebracht, damit die Ursachen der Entwicklung klargelegt und politische Entscheidungen erfolgen würden. Das Bahnkonzept des Bundesverkehrsministers Dollinger, das vom Bundeskabinett gebilligt wurde, liegt vor. Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, danke ich, daß Sie dieses dringende Problem Deutsche Bundesbahn sofort aufgegriffen und gehandelt haben. ({13}) Ich danke bei dieser Gelegenheit auch der Unternehmensführung. Und ich danke allen Eisenbahnern, die in all den Jahren ihre Pflicht getan haben und an dieser Entwicklung der Deutschen Bundesbahn keine Schuld tragen. ({14}) Die Sanierung der Deutschen Bundesbahn ist heute weitaus schwieriger. Die Probleme sind gewachsen, die Haushaltszwänge sind viel stärker. Heute geht es um die Entscheidung: Welche Bahn brauchen wir? Welche Bahn wollen wir? Welche Bahn können wir uns leisten? - Wir von der CDU/ CSU wollen eine Bahn, die ihre Aufgaben erfüllen, die sich behaupten kann, eine Bahn als ein modernes und flexibles Verkehrsunternehmen. Aus vielen Bereichen ertönt heute der Ruf nach Ordnungsmaßnahmen und Dirigismus. Dirigismus hilft der Bahn nicht. ({15}) Die Bahn muß sich den veränderten Bedingungen anpassen und nicht umgekehrt. ({16}) Mit ausschließlich ordnungspolitischen Eingriffen und verkehrslenkenden Maßnahmen zugunsten der Bahn würden dort die Zustände zementiert, und der verlustträchtigen Entwicklung würde nicht Einhalt geboten. Dies kann nicht so bleiben. ({17}) Für uns ist die freie Wahl des Verkehrsmittels ein unabdingbarer Grundsatz. Planwirtschaft bei der Bahn paßt nicht in eine Marktwirtschaft. ({18}) Was ist zu tun? Durch politische Entscheidungen und Hilfen muß die Bahn jetzt in die Lage versetzt werden die Weichen so zu stellen, daß sie sich in der Zukunft als leistungsfähiges Transportunternehmen behaupten kann. Die Bahn ist für uns kein Auslaufbetrieb. Sie bleibt ein wichtiger Verkehrs4470 träger. Wir wollen eine gesunde Bahn und keine Schrumpfbahn. ({19}) - Ich komme darauf, Herr Kollege Daubertshäuser. - Wir wollen, daß die Bahn aus den roten Zahlen herauskommt. Dies muß zweigleisig erfolgen: auf der einen Seite durch Einsparen, auf der anderen Seite durch erhebliche Investitionen. Die Bahn braucht höhere Geschwindigkeit, Qualität, Pünktlichkeit. Dies erfordert neue Magistralen, verbesserte Strecken, schneller funktionierende Rangierbahnhöfe, moderneres rollendes Material. Zu den Neubaustrecken der Bahn gibt es keine Alternativen. Wer die Zukunft der Bahn bejaht, ({20}) muß ja zu den Neubaustrecken sagen. ({21}) Die Sanierung der Bahn gelingt uns nur, wenn wir ihre Modernisierung zügig vorantreiben können. Die Zukunft der Bahn liegt im großströmigen automatisierbaren Personen- und Güterverkehr. Die Bahn muß also weiter rationalisieren. Sie muß ihre hohe Personalintensität abbauen. Hier sind große Erfolge durch die Politik der Unternehmensführung dank der Mitarbeit der Eisenbahner, der Personalräte und auch der Gewerkschaften erzielt worden. Die Bahn muß ihre Marktstellung verstärken. Sie muß den kombinierten Verkehr ausweiten. Sie muß auf Kooperation mit der verladenden Wirtschaft und mit anderen Verkehrsträgern setzen. Das Bahnkonzept des Bundesverkehrsministers Dr. Dollinger ist ein erster Schritt für die Bahn in eine Zukunft. ({22}) - In eine gute Zukunft! ({23}) Die wirtschaftlichen Ziele des Bundesbahnvorstands, bis 1990 die Arbeitsproduktivität bei der Bahn um 40 % real zu erhöhen, die Gesamtkosten um 25 % und die Personalkosten um 30 % real zu senken, finden unsere nachhaltige Unterstützung. ({24}) Mit Sparen allein ist die Deutsche Bundesbahn als wichtiger Verkehrsträger nicht zu sanieren. Verkehrspolitik läßt sich nicht ohne Geld machen. Verkehrspolitik ist entscheidend Investitionspolitik. Dies gilt gerade für die Deutsche Bundesbahn, wenn sie durch Wettbewerb ihre Marktstellung verbessern soll. Nur zusätzliche Investitionen, Zukunftsinvestitionen können die Bahn leistungsfähiger machen. Deshalb sind wir der Meinung, daß die Deutsche Bundesbahn auch eine Investitions- und Finanzperspektive braucht. Bei dem Sanierungsplan, den einmal ein Bundesverkehrsminister Gscheidle vorgelegt hat - es war 1976 -, stand eine rigorose Streckenstillegung am Anfang. Nach dem Bahnkonzept der neuen Bundesregierung findet ein Rückzug aus der Fläche nicht statt. ({25}) Eine Diskussion über Streckenstillegung, meine Herren von der SPD, führt immer auf Nebengleise. Und es ist ein Irrtum, zu glauben, 50 % Streckenstillegung auf der einen Seite brächten 50 % Verminderung des Aufwands auf der anderen Seite. ({26}) Die Kosten bei der Bahn fallen zum größten Teil im Kernbereich ihrer Strecken an. Dieser Kernbereich muß deshalb verbessert werden. ({27}) Für uns ist die Streckenstillegung kein Allheilmittel. Es wurden in der Vergangenheit Strecken stillgelegt. Sie, Herr Daubertshäuser, haben in einem Antrag noch 1982 gefordert, daß die Bahn von diesen Lasten - damit haben Sie auch Strecken gemeint - befreit wird. ({28}) Streckenstillegungen werden sich auch in der Zukunft nicht vermeiden lassen. Das Netz der Bahn stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Die Entscheidung über den Erhalt einer Strecke trifft aber in erster Linie die Bevölkerung und die Wirtschaft. Nach unserer Auffassung, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfen Verkraftungen, also die Verlagerung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße, nur erfolgen, wenn damit Verkehrsverbesserungen für die Bevölkerung verbunden sind. Die Gesamtstillegung einer Strecke, d. h. also auch die Stillegung für den Güterverkehr, muß das letzte Mittel sein, und zwar nur dann, wenn es unzumutbar ist, daß die Strecke aus wirtschaftlichen Gründen und bei Abwägung aller sonstigen Umstände weiter betrieben wird. Hier muß auch ein Gesamtkonzept vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, wie nachteilige Folgen für die Region ausgeräumt werden. Hier müssen natürlich ganz besonders die Belange des Zonenrandgebietes geprüft und auch berücksichtigt werden. Die Sanierung der Deutschen Bundesbahn darf nicht zu Lasten des ländlichen Raumes erfolgen. ({29}) Die Politik der Bundesregierung - das ist unbestreitbar - zeigt Erfolge. Der Verlust von 1983 bei der Bahn ist um 400 Millionen DM geringer gegenüber 1982. Die Verschuldung ist nicht weiter angestiegen. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat gute Arbeit geleistet. Ich möchte ihm für diese mutige Arbeit sehr herzlich danken. ({30}) Wir ersehen daraus, daß Erfolge bei der Bahn noch möglich sind. Ich muß aber einräumen, daß leider keine Rede davon sein kann, daß die Bahn jetzt schon auf der Fahrt in eine bessere Zukunft wäre. Hier ist noch viel zu tun. Die Weichen für eine bessere Zukunft der Bahn sind aber gestellt. Der Zug muß jetzt unter Dampf gesetzt werden. Gefordert sind jetzt die Unternehmensführung, die Mitarbeiter, die Gewerkschaft und insbesondere die Politik. Die Bevölkerung und die Wirtschaft müssen die guten Leistungen der Deutschen Bundesbahn in Zukunft aber auch stärker annehmen als bisher. Wir von der Union wollen eine moderne Bahn in einer modernen Gesellschaft. Wir wollen eine Bahn mit Zukunft in einem Land mit Zukunft. Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, wünschen wir Erfolg bei Ihrer schwierigen Arbeit. Wir werden Sie tatkräftig dabei unterstützen. ({31})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Fazit der soeben gehörten Auslassungen ist schnell gezogen: Mit Blick in die Vergangenheit wird eine einseitige Schuldzuweisung gegenüber der damaligen Bundesregierung vorgenommen. - So einfach, Herr Dr. Jobst, kann man es sich machen. Was aber, Herr Dr. Jobst, macht denn eigentlich die jetzige Bundesregierung in Sachen Bahnpolitik? Sie hat monatelang mit wirklich viel Getöse gekreißt und dann ein Mäuschen geboren; eigentlich ist es ja eine Beutelratte, wenn man an den Initiator und Autor der Leitlinien, nämlich den Finanzminister, denkt. Die Bundesregierung hat doch statt vorausschauendem Mut, den Sie hier soeben so stark gefordert haben, Angst vor Entscheidungen gezeigt. Das heißt, die Bundesregierung hat exakt die Verantwortung, die Sie mit Blick in die Vergangenheit gefordert haben, heute nicht wahrgenommen. ({0}) Sie hat die Verantwortung statt dessen einfach dem Bahn-Vorstand zugewiesen. - Sicher, Herr Dr. Jobst, das alles kann man machen, aber man kann doch nicht verlangen, daß man dann in einer Fachdiskussion noch ernstgenommen wird. ({1}) - Herr Dr. Jobst, ich will Sie an folgendes erinnern: In der letzten Bahn-Debatte im November 1981 sah das noch alles ganz anders aus. Damals hieß es - ich zitiere -: Ich stelle mit Nachdruck fest; die Weichenstellung bei der Deutschen Bundesbahn kann nur von der Bundesregierung vorgenommen werden. ({2}) Dies ist die politische Wirklichkeit, alles andere ist Illusion. Das war Originalton Dr. Jobst am 26. November 1981. ({3}) Herr Dr. Jobst, das, was damals richtig war, ist doch auch heute richtig! Dann muß doch dieser Bundesverkehrsminister die Verantworung übernehmen! Es geht nicht nur um die Vergangenheit. ({4}) Herr Dr. Jobst, ich kann Ihnen nur empfehlen, bei Ihrem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß Nachhilfeunterricht zu nehmen. Sein Brief an Finanzminister Stoltenberg zeigt auf, wo in erster Linie gehandelt werden muß. Ich kann Ihnen nur sagen: Er, Herr Strauß, unterscheidet sich mit seiner Auffassung bahnmeilenweit von dem, was Sie hier vorgetragen haben; das war Zweckoptimismus, das war „Fata Propaganda", mehr war es nicht, Herr Kollege Dr. Jobst. Wenn wir heute über Bahnpolitik sprechen, geschieht das ja vor dem Hintergrund, daß diese Bundesregierung Bahnleitlinien vorgelegt hat, die nicht etwa, wie Sie behauptet haben, Rückendeckung für die Bahn geben, sondern die zum einen der Bundesregierung den Rücken freihalten und zum anderen auf dem Rücken der Deutschen Bundesbahn und der bei ihr Beschäftigten ausgetragen werden sollen. Das ist die Wahrheit! ({5}) Ich weiß aus vielen Eisenbahnerveranstaltungen, daß diese Leitlinien die Motivierungskampagnen des Bahnvorstandes konterkarieren, ja, daß sie die Eisenbahner geradezu demotivieren. Gehen Sie doch hinaus in die Eisenbahnerveranstaltungen, dann werden Sie es erleben! ({6}) Das ist eine gefährliche Entwicklung, und weil wir die so sehen, machen wir es, Herr Kollege Dr. Jobst, nicht so billig wie die damalige Opposition. Sie haben damals, in der bereits zitierten Debatte, auf unsere Frage - ({7}) - Herr Lemmrich, auf unsere Frage nach Ihren Alternativen hat der Kollege Dr. Jobst im besten Sonthofen-Stil erklärt: Die Opposition ist doch keine Ersatzregierung.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte diesen Gedanken wirklich zu Ende bringen. Herr Kollege Dr. Jobst, Sie haben damals gesagt, Sie seien keine Ersatzregierung. Nun, wir zahlen nicht mit gleicher Münze zurück. ({0}) Wir stehen zu unserer Verantwortung, und Sie wissen, wir haben bereits 1983 unsere Vorstellungen für eine zukunftsgerichtete Bahnpolitik vorgelegt. ({1}) - Herr Dr. Jobst, gucken Sie doch, bevor Sie fragen wollen, bitte einmal in den Ihnen jetzt vorliegenden Entschließungsantrag! Dort werden die wichtigsten Handlungsfelder nochmals dargestellt, und Sie können davon ausgehen, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten diese konzeptionellen Vorstellungen konkretisieren und hier in parlamentarischen Initiativen einmünden lassen. ({2}) - Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben doch die Hoffnung nicht aufgegeben, daß es gelingen wird - ({3}) - Entschuldigung! ({4}) - Gut, das war ein Versprecher, aber Sie haben etwas zu früh gelacht. Die Herren von der CSU, die da mitgelacht haben, befinden sich ja in einem absoluten Oppositionsverhältnis zu den Bahnleitlinien der Bundesregierung. ({5})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich habe zu wenig Zeit, Kollege Jobst. ({0}) Aber ich sage Ihnen: Wir haben eben deshalb die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß sich Franz Josef Strauß hier durchsetzt. Er ist ja unser wirklicher Verbündeter, und deshalb kann ich Sie auch zur Opposition zählen. ({1}) Er sprach von den schwammigen, unzureichenden und zu nichts führenden Bahnleitlinien der Bundesregierung, ({2}) und die wollen wir - wenn es nottut, gemeinsam mit Franz Josef Strauß - vom Tisch fegen, um an deren Stelle eine wirklich zukunftsgerichtete Bahnkonzeption zu plazieren. ({3}) - Meine Damen und Herren, hängen Sie das doch ein bißchen tiefer! Nehmen Sie doch zur Kenntnis, ({4}) Herr Lemmrich, daß noch nie verkehrspolitische Vorstellungen einer Bundesregierung auf so breiten Widerstand und so heftige Kritik gestoßen sind! Von den Gewerkschaften bis zu den kommunalen Spitzenverbänden, von den Landesregierungen an der Spitze die bayerische Staatsregierung - bis zum BDI und zum Deutschen Industrie- und Handelstag reicht die Kette des Widerstandes. ({5}) Nehmen Sie das doch zur Kenntnis, bevor Sie hier so losblöken! ({6}) Meine Damen und Herren, das alles ist auch kein Wunder, denn mit diesem Konzept - Herr Dr. Jobst, das müßten Sie wissen - meldet sich die Politik aus ihrer Verantwortung in Sachen Bundesbahn ab. Es ist so, daß die über 300 000 Eisenbahner in unserem Lande alleingelassen werden; mehr noch, sie bekommen ganz einfach den Schwarzen Peter zugewiesen, sie sollen nämlich - wie Sie es eben auch dargestellt haben - schuld sein, wenn die Politik versagt. Genau das gilt für diese Bahnleitlinien, und das haben die Eisenbahner nicht verdient, deren Arbeitsplatz an einer zukunftsbezogenen Bundesbahn hängt. ({7}) Ich sage Ihnen nur: Ich befürchte, es wird nicht leicht sein, das von Ihnen, von der Bundesregierung, verspielte Vertrauen zurückzugewinnen. Unsere Wirtschaft und unsere Bürger sind auf ein funktionsfähiges Schienenverkehrssystem angewiesen. Sie haben wirklich etwas Besseres verdient als diese Leitlinien. ({8}) Dieses Bahnkonzept der Bundesregierung ist doch geprägt vom Bundesfinanzminister. Er hat sich doch mit seinem einseitigen, mit seinem fiskalischen Denken durchgesetzt. ({9}) - Nein, wir setzen uns mit dem auseinander, was hier vorliegt. Ich will Ihnen das sagen. Ich weiß nicht, ob Sie ein bißchen Ahnung davon haben. Nehmen Sie bitte einmal den Entschließungsantrag Ihrer Fraktion vom 24. November 1981 zur Hand. Damals haben Sie die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Von den damals von Herrn Dr. Schulte so lautstark und so vehement geforderten sechs Punkten Ihres Entschließungsantrags ist mit den Leitlinien der Bundesregierung nur ein einziger geklärt worden, nämlich der Punkt e). Schauen Sie bitte einmal hinein. Dort forderten Sie die Bundesregierung auf - ich zitiere -: eine Entscheidung darüber herbeizuführen, inwieweit sich die Bundesregierung die jüngsten Vorschläge seitens des Bundesministeriums der Finanzen zur weiteren innerbetrieblichen Rationalisierung der Bundesbahn zu eigen macht; Diese Frage ist für jedermann überdeutlich beantwortet. Rationalisierung, Personalabbau und PrivaDaubertshäuser tisierung, diese Vorgaben des Finanzministers sind in einer nie für möglich gehaltenen Größenordnung übernommen worden. Wenn Sie mit dieser Art von Behandlung zufrieden sind, dann ist das halt Ihre Sache. Aber ich muß Sie fragen: Wo ist denn die von Ihnen geforderte gesetzlich abzusichernde langfristige DB-Investitionsplanung? Wo ist denn eine klare Aussage zur Finanzierung der Neu- und Ausbaustrecken außerhalb des Plafonds? Das Stoltenberg-Dollinger-Konzept bedeutet doch lediglich eine vordergründige, halbherzige Bejahung der Notwendigkeit der Neubaustrecken. ({10}) - Ja, Herr Lemmrich, denn mit dem Auftrag an den Bundesrechnungshof zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecken hofft man offensichtlich auf ein negatives Ergebnis und eine Begründung für einen Baustopp. Das ist die Fiskalpolitik, die massiv gegen die Bahn gerichtet ist. Da muß man doch fragen: Wann jemals, Herr Bundesverkehrsminister, haben Sie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für die anderen Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplanes angeordnet? Wann jemals haben Sie für ein Straßenbauprojekt oder für den unsinnigen Rhein-Main-Donau-Kanal eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gefordert? Das ist die einseitige negative Infrastrukturpolitik, die Sie gegen die Bahn richten. ({11}) Meine Damen und Herren, wo sind denn die Vorschläge für die Lösung der Schuldenproblematik? Das ist doch eine absolute Fehlanzeige. Es gibt sie nicht. Konsolidierungsvorschläge, wie sie in unserem Konzept vorhanden sind oder wie sie die Arbeitsgruppe Hermann Josef Abs formuliert hat, fehlen doch völlig. Was ist aus Ihrer Unionsforderung geworden, im Interesse der eigenverantwortlichen Handlungsfähigkeit des Vorstands bei der Bundesbahn unverzüglich eine klare Abgrenzung der eigenverantwortlichen Unternehmensbereiche und der Bereiche staatlicher Daseinsvorsorge herbeizuführen? „Unverzüglich", meine Damen und Herren von der Unions-Fraktion, das bedeutet in der Juristensprache doch wohl: ohne schuldhaftes Zögern. Fragen Sie doch Ihren Minister, warum sich in seinen Leitlinien kein Wort zur Trennungsrechnung wiederfinden läßt, obwohl praktisch alle europäischen Eisenbahnen auf dem Weg zur Einführung einer Trennungsrechnung sind. Also: Es gibt keine Umsetzungsstrategie für das Veranlasserprinzip. Und die Transparenz der Verantwortung, die Sie noch 1981 so lautstark forderten, wird wahrhaftig nicht verbessert. Herr Abs hat im Jahrbuch des Eisenbahnerwesens 1983 beschrieben, wie notwendig dies ist. Er schließt mit dem Satz: Sie bringt allerdings nur dann einen dauerhaften Nutzen, wenn sich Unternehmensleitung und Eigentümer zu ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten auch bekennen. Soweit Herr Abs. Dies „sich zu ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten auch bekennen" ist exakt der Punkt, Herr Bundesverkehrsminister, warum Sie die Trennungsrechnung nicht in Ihren Leitlinien haben, weil Sie sich als Eigentümer nämlich nicht zu Ihren Verantwortlichkeiten bekennen wollen oder können. ({12}) Es fehlt also die mit den Wettbewerbern vergleichbare Verantwortungsübernahme. Es fehlt die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens, mit dem die Wettbewerbsposition der Bundesbahn gestärkt werden könnte. Es fehlt jeder Hinweis auf eine Weiterentwicklung der Unternehmensverfassung. Sie wollen in den Aufsichtsgremien der Bundesbahn die Fremdbestimmung durch Konkurrenten festschreiben. Sie sehen, meine Damen und Herren von den Unionsfraktionen, von ihrem Entschließungsantrag ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. Die Leitlinien der Bundesregierung, die Sie eben noch so gelobt haben, Herr Dr. Jobst, sind deshalb auch ein Affront gegenüber ihren damals als richtig erkannten bahnpolitischen Ansätzen. ({13}) Kehren Sie also zurück zu den Kernaussagen Ihres Entschließungsantrags von 1981, und Sie haben uns dann auch als Ihren Verbündeten. Die Deutsche Bundesbahn, Herr Minister Dollinger, hat bei Ihrem Finanzpoker mit dem Bundesfinanzminister nur dann eine Chance, wenn Sie den Mut und die Ideen für eine gestalterische Verkehrs-und Bahnpolitik aufbringen. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen - ich schließe die CSU jetzt mit ein -: Wir sind bereit, wie Sie aus unserer Bahnkonzeption und dem heute vorliegenden Entschließungsantrag ersehen können, konstruktiv an einem zukunftsgerichteten Bahnkonzept mitzuarbeiten. ({14}) Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an, weil wir wissen, daß in parlamentarischen Demokratien die Träger der Regierungs- und Oppositionsfunktionen nach gewissen Zeiträumen wechseln. ({15}) Alle Betroffenen, insbesondere die Eisenbahner, erwarten von uns allen, und zwar zu Recht, Herr Dr. Jobst, daß wir Schluß machen mit diesen gegenseitigen Schuldzuweisungen. ({16}) Sie erwarten, daß wir gemeinsam ihrem Anspruch auf politisches Handeln gerecht werden. ({17}) Ich meine, wir sollten in einer derartigen Debatte soviel „Mumm" haben, selbstkritisch festzustellen, daß wir gemeinsam - daran kann sich niemand vorbeimogeln ({18}) in der Vergangenheit Handlungen vollzogen oder aber auch nicht vollzogen haben, die die unternehmenspolitische Situation der Deutschen Bundesbahn eben nicht nach vorn gebracht haben. ({19}) Ich kann an meine Ausführungen in der Debatte von 1981 anknüpfen. Ich frage: Haben wir nicht alle miteinander, Herr Kollege Jobst, die Entscheidungen herbeigeführt, die die unterschiedlichen Investitionen in die Wegeinfrastruktur vor allem mit der Priorität Straßenbau für einen langen Zeitraum festgeschrieben haben? Was soll der Zwischenruf „gemeinsam"? Wann haben Sie denn in den letzten 15 Jahren einen Haushaltsantrag auf Investitionen für die Deutsche Bundesbahn eingebracht? Mir sind aus all diesen Jahren nur Anträge von Ihnen zur Erhöhung der Straßenbaumittel bekannt. Deshalb gibt es hier eine gemeinsame Verantwortung. ({20}) Man muß sich auch selbstkritisch fragen: Haben wir nicht alle miteinander einiges unterlassen, um einen fairen Wettbewerb zwischen Schiene und Straße herbeizuführen? Haben wir denn alle miteinander die Steuerungsmittel der Verkehrspolitik so eingesetzt, daß andere Benachteiligungen der Deutschen Bundesbahn hätten egalisiert werden können? Wenn wir noch zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme fähig sind, müssen wir eben zugestehen, daß wir alle gemeinsam Fehler im Handeln bzw. Nichthandeln begangen haben. Weil dies so ist, sollten wie auch den Mut haben, auf der Grundlage der einzelnen Entschließungsanträge sowie der Gesetzesinitiative der Fraktion DIE GRÜNEN die überall beschriebenen und erkannten Maßnahmen, soweit sie konsensfähig sind, gemeinsam durchzuführen. Wenn wir die Situation der Deutschen Bundesbahn verbessern wollen, dann müssen wir den Mut für einschneidende politische Entscheidungen haben. ({21}) - Das können Sie in dem Entschließungsantrag bitte nachlesen. Wenn Sie nicht dauernd dazwischenriefen, sondern etwas lesen würden, hätten Sie schon Sach- und Fachverstand gewonnen. ({22}) Die Politik kann nur die gewachsenen Strukturprobleme lösen. Da stimme ich sogar Herrn Dr. Jobst zu. Dies ist auch notwendig, weil wir alle gemeinsam nicht nur in den letzten zehn Jahren, sondern eigentlich schon seit 1924, nämlich seit das Unternehmen für den Staat einspringen mußte, um Reparationszahlungen zu leisten, Strukturprobleme sich haben anhäufen lassen, die mit durch die Politik verursacht wurden. ({23}) Deshalb ist die Problematik der Deutschen Bundesbahn gleichzeitig ein Prüfstein für die Regierung und für die Opposition, nämlich eine Prüfstein für ihre Fähigkeiten, gemeinsam zu Problemlösungen zu kommen. Deshalb müssen wir gemeinsam als Regierungs-und Oppositionsfraktionen unsere wichtige Aufgabe darin sehen, dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn und seinen Beschäftigten durch eine zukunftsgerichtete und nachvollziehbare, d. h. durch eine realistische Konzeption, Herr Dr. Jobst, neue Motivation und neuen Schwung zu geben. Wir müssen eben wegkommen von dem permanenten Krisengerede, ohne die real vorhandenen Schwierigkeiten verniedlichen oder gar unter den Teppich kehren zu wollen. Unser Konzept hat mehrere Schwerpunkte: zum einen die Forderung nach mehr staatlichen Investitionen in zukunftsträchtige Bereiche. Diese Forderung sehen wir in einem ganz engen Zusammenhang mit der Ordnungspolitik; denn die wirksamste Stärkung der Wettbewerbsposition der Deutschen Bundesbahn ist die Erhöhung der zukunftsgerichteten Investitionen. ({24}) Wir dürfen, Herr Dr. Jobst, die Bahn nicht, so wie es bei den Leitlinien der Bundesregierung zu befürchten ist, politisch ruinieren. Vielmehr müssen wir die Bahn vernünftig mit Investitionen sanieren. Deshalb fordern wir, die Mittel für die Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn im Fernverkehr aus einem Sondertitel des Bundes zu finanzieren und nicht wie bisher den Wirtschaftsplan der Bahn damit zu belasten oder die Bahn auf den Kreditmarkt zu verweisen. ({25}) Deshalb fordern wir, die notwendigen Ausbauvorhaben im Schienenpersonennahverkehr durch Aufstockung der Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bzw. durch Sondervereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu finanzieren. Wir stellen diese Forderung, weil wir erkannt haben, daß ohne entscheidende und schnelle Verbesserung der Infrastruktur allen übrigen Maßnahmen, die in der Diskussion sind, das zukunftsweisende Element fehlt. Wir fordern als weiteren Schwerpunkt, die Entschuldungsfrage der Bundesbahn zu lösen. ({26}) - Herr Dr. Jobst, unser Vorschlag befindet sich in Übereinstimmung mit dem der Arbeitsgruppe Abs. Und beim Altbankier Abs können Sie wahrhaftig nicht mit irgendwelchen sozialistischen Verdächtigungen daherkommen. Investitionspolitik ist in Beton gegossene Ordnungspolitik. Deshalb haben die Investitionen für die Bahn in unserem Konzept Vorrang. Was wir hier vortragen, gründet sich auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Abs. ({27}) Dennoch bedarf es darüber hinaus weiterer flankierender ordnungspolitischer Maßnahmen, Herr Dr. Jobst. Aber wir stehen dazu: ({28}) Die Wettbewerbsordnung muß auch zukünftig grundsätzlich kontrolliert bleiben. Sie dürfen nicht nur auf Dirigismus schielen. Die liberalistischen Tendenzen, die in viel stärkerem Maße vorhanden sind, haben Sie wieder völlig übersehen. Auf dem Auge sind Sie blind. Wer beim heutigen Stand, Herr Dr. Jobst - so wie Sie das eben vorgeschlagen haben -, bei unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen den Verkehrsmarkt liberalisieren will, betreibt Protektionismus, und zwar Protektionismus gegen die Bahn. Auch das sollten Sie nicht vergessen. ({29}) Unverzichtbar ist eine klare Abgrenzung der unternehmerischen von den gemeinwirtschaftlichen und staatlichen Einflußbereichen der Deutschen Bundesbahn. Es muß Schluß sein mit der Vermischung der Verantwortung von Staat und Unternehmen. Wir, d. h. die gesamte Politik, müssen sich klar zu unserer Verantwortung für das Unternehmen Bahn bekennen. Nur bei der tatsächlichen Übernahme der Verantwortung für die Infrastruktur und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen kann man von gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Bahn sprechen. ({30}) Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die heutige Bundestagsdebatte kann, wenn Sie unser Angebot ernst nehmen und aufnehmen, der Beginn für größere Gemeinsamkeiten und für ein fraktionsübergreifendes Zusammenwirken in der Bahnpolitik sein. Ob es dazu kommt, hängt ganz allein von Ihnen ab. Unser Angebot steht. Lassen Sie uns gemeinsam auf die Suche nach Verbündeten gehen. Holen wir gemeinsam das nach, was dem Bundesverkehrsminister nicht glückte. Vielen Dank. ({31})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Zu Ihnen möchte ich gerne gleich am Anfang etwas sagen. Sie werden für mich in Sachen Bahnpolitik erst dann glaubwürdig, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie zu den großen Demonstrationen nicht wie bisher mit Ihren eigenen Autos zu Tausenden anmarschieren, sondern mit Straßenbahn oder Eisenbahn. ({1}) Vor vier Monaten hat die Bundesregierung die Große Anfrage der Unionsfraktion und der FDP beantwortet. Vor vier Monaten hat auch der Bundesverkehrsminister sein Bahnkonzept vorgestellt. ({2}) - Bevor sich gleich der erste zu Zwischenfragen meldet, Herr Präsident, möchte ich angesichts der kurzen Zeit, die ich für meine Rede zur Verfügung habe, gleich pauschal erklären: Im Gegensatz zu sonst üblichem Brauch werde ich heute keine Zwischenfragen zulassen; ich möchte meine Zeit voll ausnutzen. - Wir haben, meine Damen und Herren, seit zweieinhalb Jahren heute zum erstenmal Gelegenheit, über die Zukunft der Bahn grundsätzlich zu debattieren, über das zentrale Thema unserer Verkehrspolitik. Mancher hätte sich eine frühere Aussprache gewünscht. Aber ich meine, der Zeitpunkt ist richtig gewählt, auch wenn die Einbettung in die vom Bundesverkehrsminister angekündigte und zugesagte verkehrspolitische Gesamtkonzeption leider noch fehlt. ({3}) Aber, meine Damen und Herren, es ist dann ja schon hilfreich, daß die GRÜNEN mit der Vorlage ihres sogenannten Bundesbahnsanierungsgesetzes ihre Position inzwischen konkretisiert haben und wir auch die neue Eisenbahnlinie der SPD kennen, die sich seit der letzten wirklichen Bundestagsdebatte - abgesehen von verschiedenen Haushaltsberatungen -, also seit November 1981, bahnpolitisch zwar auf einem parlamentarischen Abstellgleis ausruhte, dafür dann aber im August des vergangenen Jahres mit einem parteipolitischen Bahnkonzept einen großen Bahnhof zu veranstalten suchte. ({4}) Das, was Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, hier gerade gegenüber CDU und CSU an Vorwürfen erhoben haben, richtet sich zuallerst gegen Ihre eigene Fraktion und auch gegen Sie selbst. ({5}) Denn, meine Damen und Herren, bei Ihrem SPD-Bahnkonzept habe ich den Eindruck, daß sich die Weichen jetzt, da Sie sich in der Opposition befinden, offenbar beliebig leicht in andere Richtungen stellen lassen. Jetzt, da auch der ehemalige Staatssekretär im Verkehrsministerium in der ersten Klasse der Gewerkschaftsführung Platz genommen hat, kann man ebenso leicht wie im Eiltempo versuchen, den jahrelang aus der Verantwortung heraus festgelegten Sanierungskurs vergessen zu machen. Ich will dem Herrn Kollegen Haar heute mit Zitaten im einzelnen nicht erneut vorhalten, was er früher für richtig hielt und heute als falsch ansieht. Das will ich auch gegenüber der SPD insgesamt nicht machen. Aber an eines möchte ich erinnern, Herr Haar: Damals wurden - insbesondere von Ihnen - Streckenstillegungen in der Größenord4476 Hof fie nung von bis zu 10000 Kilometer für den Personenverkehr ({6}) und sogar bis zu 13 000 Kilometer für den Güterverkehr für - und das will ich jetzt dann doch wörtlich sagen - „betriebswirtschaftlich notwendig, verkehrstechnisch möglich und gesamtwirtschaftlich vertretbar" gehalten. Heute reden Sie, obwohl die neue Bundesregierung den Abbau von weitaus weniger Streckenkilometern in Frage stellt, von Kahlschlagsanierung. Meine Damen und Herren, gescheitert sind alle SPD-Konzepte, alle Konzepte sozialdemokratischer Verkehrsminister nicht am Widerstand oder an der Gegnerschaft des damaligen Koalitionspartners FDP, sondern immer am Widerstand, der aus den Reihen der eigenen Genossen kam. ({7}) Deshalb wurde kein einziges Bahnkonzept zu Ende geführt oder durchgeführt, meine Damen und Herren. ({8}) Wir Freien Demokraten sind in den Thesen zur Deutschen Bundesbahn, die wir schon 1978 vorgelegt haben, von ganz anderen Sanierungsbemühungen ausgegangen. Zwar haben wir für diese Thesen damals nicht die Zustimmung der SPD erhalten, dafür können wir sie aber in der Sache auch heute noch unverändert aufrechterhalten, Herr Kollege Haar. Wir brauchen unsere Argumentation nicht - wie Sie - auf den Kopf zu stellen. Der Zeitpunkt, meine Damen und Herren, für diese Generaldebatte hätte aber auch deshalb gar nicht richtiger liegen können, weil vieles von dem, was noch in der Aussprache über den Verkehrsetat im vergangenen Dezember zur Situation und zur künftigen Entwicklung gesagt oder befürchtet werden mußte, nach Bekanntgabe des vorläufigen Bahn-Jahresergebnisses 1983 in einem anderen, in einem neuen Licht erscheint. Den Totenschein, den die SPD der Bahn wegen des von der Regierung eingeschlagenen Weges damals noch ausstellen wollte, werden Sie nun j a wohl eher zu den Akten heften können, in denen sich ja auch Ihre sechs früheren unerledigten Bahnkonzepte befinden. Die Ergebnisse von 1983 zeigen: Die Bahn ist jetzt auf dem richtigen Weg. Die Fahrplanabstimmung zwischen Bundesregierung und Bahnvorstand über den künftigen bahnpolitischen Kurs, die ja das ganze letzte Jahr beherrschte, hat ihre ersten Spuren hinterlassen. Die Tendenzwende ist da. ({9}) Zum erstenmal seit Jahren ist der Verlust nicht mehr gestiegen, sondern um eine Milliarde DM geringer ausgefallen, als veranschlagt. Der Anstieg des Schuldenstandes wurde gestoppt, weil durch Rationalisierung und Personalabbau 1,7 Milliarden DM Aufwand eingespart werden konnten. Dies ist der Erfolg eines neuen Bahnvorstandes, unbestreitbar natürlich auch ein Erfolg des früheren Verkehrsministers Volker Hauff - ich will das hier ausdrücklich unterstreichen -, dessen größtes Verdienst für die Bahn überhaupt in der Berufung dieses Teams bestand. ({10}) Ich bin sehr glücklich, daß die Herren des Vorstands der Deutschen Bundesbahn hier heute als interessierte Zuhörer ebenso engagiert sind, wie sie ihre Politik - ({11}) - Ja, ich weiß, daß der Vertreter, dem Sie am nächsten stehen, Herr Haar, heute leider als einziger nicht dasein kann, wenn ich das richtig gesehen habe. ({12}) - Das kann diesen Grund haben. Dies ist aber auch und vor allem das Verdienst der über 300 000 Eisenbahner. Dieses Verdienst darf weder von der SPD noch von den GRÜNEN verkleinert werden, indem eine richtige und konsequente Sanierungspolitik nicht nur in Frage gestellt, sondern bekämpft und beschimpft wird. Ebensowenig hilfreich ist die Kritik des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, der es natürlich, wie immer, auch diesmal besser gekonnt hätte. ({13}) Was die Bahn jetzt braucht, ist weder Nörgelei noch kleinstaatliche Feilscherei um jede Strecke und um jeden Bahnhof. Was wir jetzt brauchen, ist Rückendeckung, ist Ermutigung, ist politische Schubkraft, um am erkennbaren Ende einer jahrzehntelangen Talfahrt in immer mehr Defizit und Verschuldung jetzt Dampf in Richtung Konsolidierung zu machen. ({14}) Jetzt muß endlich einmal Kurs gehalten werden. Jetzt muß Schluß sein mit dem ständigen Herumdoktern an immer neuen Konzepten. Da fehlt ja nur noch der Vorschlag der Trennung von Lok und Eisenbahnwaggons; so ziemlich alles andere haben wir inzwischen schon auf dem Tisch gehabt. Jetzt muß auch Schluß damit sein, ({15}) daß mit diesen immer neuen Konzepten den 300 000 Eisenbahnern immer wieder neue Hoffnungen gemacht werden und all das immer wieder an der Hof fie Unfähigkeit der Politiker scheitert, solche Konzepte dann auch praktisch durchzusetzen. ({16}) Ich meine, jetzt muß auch endlich einmal Schluß sein mit den Forderungen von unzähligen Wahlkreisabgeordneten, die vor Ort, dort, wo sie um Stimmen kämpfen, glauben, auch die defizitärste Strecke aufrechterhalten zu müssen, ({17}) ohne dabei die Gesamtverantwortung für die Verkehrs- und die Eisenbahnpolitik im Auge zu behalten. ({18}) Diese kommt dabei unter die Räder. Sie werden mich nicht unter denjenigen finden, die genau wie die meisten von Ihnen hier die Bahnkonsolidierung fordern und am Wochenende im Wahlkreis mit ihren Bürgermeistern, mit ihren Landräten herumlaufen und dafür kämpfen, daß auch die Strecke noch aufrechterhalten bleibt, auf der bei bester Besetzung höchstens noch zehn Leute fahren. ({19}) Der Antrag der GRÜNEN vom Montag zur Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet ist das bisher umfassendste und abenteuerlichste Beispiel dafür. Nach dem schlichten Motto: „Wenn das Defizit schon immer größer wird, kann es nur noch die Masse bringen", ({20}) verlangen Sie die teure Unterhaltung aller So-daBrücken und aller So-da-Strecken, nämlich derjenigen, die nur so dastehen, weil sie von kaum jemandem benutzt werden. Anstatt grünes Licht für einen bedarfs- und nachfragegerechten Busverkehr zu geben, wollen Sie noch mehr Komfort, wollen Sie noch bessere Fahrpläne für grüne Geisterzüge, logischerweise natürlich zu günstigeren Tarifen; auch dazu liegt ja ein Antrag von Ihnen vor. ({21}) Ich sage deshalb heute noch einmal: Eine Bahn, meine Damen und Herren, die uns jährlich über 13 Milliarden DM kostet, die den Steuerzahler jeden Tag über 40 Millionen DM kostet, eine Bahn, die inzwischen mehr als den halben und, wenn nichts geschieht, bald den gesamten Verkehrshaushalt auffrißt, können wir uns nicht leisten. Wir können uns auch keine Bahn leisten, die seit 1971 ständig mehr Personalkosten verschlingt, als sie eigene Erträge einfährt, und auf der heute nur noch 6 % Personenbeförderung und nicht einmal mehr ein Drittel der Güterbeförderung stattfinden. Wenn so etwas weitergeht und die Bahn dann auch noch allein im Schienenpersonennahverkehr 4,5 Milliarden DM jährlich zusetzt und sich in den großen Verkehrsverbünden - wie in München, wie in Berlin oder wie an Rhein und an Ruhr - an jährlichen Defiziten zwischen 400 Millionen und 1,1 Milliarden DM beteiligen muß, dann hätte sie schon in vier Jahren nicht nur 62 Milliarden DM Schulden, sondern auch ihr Eigenkapital aufgezehrt und wäre damit de facto bankrott. Angesichts dieser Situation servieren uns GRÜNE und SPD Sanierungskonzepte, die nichts anderes als eine kosmetische Operation mit dem Ergebnis anbieten, ({22}) daß der Steuerzahler noch genauso viel zahlt, eher noch mehr, nur eben in andere Töpfe. Was Sie wollen, ist ein gewaltiger Verschiebebahnhof für Defizite. Natürlich kann man die gemeinwirtschaftlichen Lasten, die künftig ohnehin vom Veranlasser getragen werden sollen, also z. B. alle Kosten aus der Schülerbeförderung, aus dem Verkehr in den strukturschwachen Räumen oder aus der Beförderung von Soldaten oder Schwerbehinderten, in die einzelnen Etats vom Familien-, vom Wirtschafts-, vom Verteidigungsminister oder von anderen zuständigen Ressorts verschieben. Da kann man auch Altlasten auf den Bund verlagern, oder man kann die Pensions- oder Versorgungsleistungen in andere öffentliche Kassen rangieren. Das schönt dann natürlich das Bild, aber es läßt die Bahn lediglich gesund erscheinen, es trägt in Wahrheit nichts zur Lösung der Grundprobleme bei; denn die Grundproblematik liegt ganz woanders. Sie liegt bei der verhinderten Anpassung der Unternehmungsgröße an die Nachfrage. Die einstige Monopolstellung der Bahn ist verloren. Heute ist die Mobilität von Haus zu Haus und nicht nur von Bahnhof zu Bahnhof gefragt. Dieses Bedürfnis kann auch bei bestem Bemühen nur vom Auto und von der Straße befriedigt werden. Vor dieser Erkenntnis kann niemand die Augen verschließen. Wer das Rad einer solchen Entwicklung gewaltsam zurückdrehen will, muß die vom Bürger geforderte freie Wahl der Verkehrsmittel abschaffen und den totalen Verkehrsdirigismus ausrufen. Das wollen die GRÜNEN. Wir, meine Damen und Herren, wollen das nicht. ({23}) Auch für uns ist die Bahn unverzichtbar, und auch wir sehen sie als Träger einer verkehrspolitischen Grundlast, und deshalb brauchte die Bahn eben jetzt eine neue Chance. Sie liegt in der Anpassung der Leistungen, in der Anpassung der Kapazitäten der Bahn an die strukturellen Entwicklungen in unserer Wirtschaft und in dem Verkehrsgeschehen. Sie liegt in der Konzentration der Bahn auf den Ausbau ihrer schienenspezifischen Vorteile, mit denen sie anderen Verkehrsträgern auch heute noch überlegen ist, und sie liegt natürlich auch im Abbau von Leistungen dort, wo andere Verkehrsträger besser und billiger sind. Sie liegt in Investitionen in neue, schnellere und damit rentablere Strekken, weil die Verbindung von Verkehrsballungsräumen, weil die überregionale Beförderung die Vorteile der Bahn zur Geltung kommen läßt, was man mit Bezug auf Strecken innerhalb von Verkehrsballungsräumen, wie die Beispiele der Verkehrsverbünde zeigen, nicht sagen kann. Diese Chance kann aber nur dann gewahrt werden, wenn der Verkehrswert gerade der Neubaustrecken so schnell wie irgend möglich hergestellt wird und wir nicht viele Milliarden für viele Jahre nur in die Erde verbuddeln. ({24}) Deshalb ist es auch sinnvoll, daß weitere 26 Milliarden DM gleichzeitig für Fahrzeuge, für bessere Bahnanlagen sowie zur Attraktivitätssteigerung eingesetzt werden, neben den 17 Milliarden DM, die wir bis 1990 allein in den Ausbau der Neubaustrekken des Streckennetzes investieren wollen. Strukturelle Anpassungsmaßnahmen und zukünftige Angebotsformen erzwingen klare Zielvorgaben. Der Bundesbahnvorstand hat die notwendigen Prioritäten gesetzt, und diese gehören zur Kernaussage des neuen Bundesbahnkonzeptes: Arbeitsproduktivität bis 1990 um 40 % steigern, Personalkosten um 30 % und die Gesamtkosten um 25 % reduzieren. Das sind die Grundvoraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Zukunft der Bahn. Für die FDP, meine Damen und Herren, erkläre ich hier ausdrücklich: Die Deutsche Bundesbahn hat unsere volle Unterstützung für ihre Konzeption, und wir begrüßen es, daß der Bundesverkehrsminister jährlich über die einzelnen Teilerfolge, die wir uns auf dem Wege bis 1990 gemeinsam zum Ziel gesetzt haben, zu berichten hat. Wir begrüßen ebenso den Ansatz zur Trennung der Verantwortlichkeiten von Bahnvorstand und Verkehrsminister. Die Bundesbahn ist nach den Vorstellungen der FDP zu einem am Markt operierenden Unternehmen auszubauen. ({25}) Dem entspricht, wenigstens teilweise, die Festschreibung der Resultatverantwortlichkeit des Bundesbahnvorstands im Bahnkonzept. Dies führt zu einer Aufhellung, stellt aber noch nicht die von uns geforderte Trennungsrechnung dar. Es ist erst ein Schritt in die richtige Richtung. Im übrigen ist der Bundesbahnvorstand durch das Bahnkonzept natürlich überhaupt nicht gehindert, die auch nach seiner Überzeugung notwendige glasklare Trennungsrechnung für sich selbst aufzustellen und deutlich auszuweisen, was gemeinwirtschaftliche und was eigenwirtschaftliche Kosten sind, und damit mehr Transparenz für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu schaffen. Innerhalb des Unternehmens müssen die Ergebnisse für Einzelbereiche meßbarer zum Unternehmenserfolg beitragen. Diese Resultatverantwortung erfordert Delegation von Entscheidungsbefugnissen. Die Bahn muß sich deshalb auch auf Mitarbeiter stützen, die befähigt und bereit sind, eigenverantwortlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Dienstrechtliche Bestimmungen also, die nach dem Muster der klassischen Eingriffsverwaltung der notwendigen personalpolitischen Flexibilität entgegenstehen, müssen den Anforderungen einer leistungs- und erfolgsorientierten Personalpolitik angepaßt werden. ({26}) Was die Personalsituation insgesamt angeht, werden zur Produktivitätssteigerung und Kostensenkung keine Entlassungen notwendig werden, wenn - wie vom Vorstand geplant - durch natürlichen Abgang bis 1990 rund 80 000 Dienstkräfte eingespart werden können. Dann wird endlich auch Schluß sein mit der Kritik und dem Vorwurf, daß heute bei der Bundesbahn über 10 000 Leute zwar bezahlt werden, daß für sie in Wirklichkeit aber überhaupt keine Arbeit vorhanden ist. ({27}) Meine Damen und Herren, die FDP stellt sich auch der Kritik, daß sich die Bundesbahn künftig nicht mehr an Folgekosten beteiligen wird, die aus weiterhin gewährleisteten Investitionen in immer mehr und neue S-Bahnen resultieren. Bei Kostendeckungsgraden von nur 50% in Hamburg, von 40% in München und Stuttgart oder nur 25% im RheinRuhr-Verbund kann man sich leicht ausrechnen, wann die Folgekosten allein aus dem öffentlichen Personennahverkehr schon die für die Bundesbahn jährlich überhaupt und insgesamt zur Verfügung stehenden 13 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt aufzehren würden. Was die Bedienung der Fläche anbetrifft, so entstehen hier zwei Drittel der Kostenunterdeckung von 4,5 Milliarden DM, obwohl hier nur 30% des gesamten Personenverkehrs der Bundesbahn stattfindet. Es ist deshalb unumgänglich, daß wir dort den Bus als das wirtschaftlichere Verkehrsmittel einsetzen, wenn sichergestellt ist, daß sich das Angebot für den Kunden nicht verschlechtert, sondern ein mindestens gleichwertiger oder sogar besserer Ersatzverkehr angeboten wird. Wo das bisher geschehen ist, da ist es ja auch von den Kunden voll akzeptiert worden. ({28}) Dazu noch ein Vergleich: Die Bahn hat im Jahre 1982 rund eine Milliarde Menschen im Nahverkehr auf der Schiene befördert und dafür 4,5 Milliarden DM Defizit hinnehmen müssen. Sie hat aber gleichzeitig ebenso viele Menschen mit Bussen auf Straßen befördert. Dafür hat sie keine Zuschußleistung erbringen müssen. ({29}) Hier muß also Vernunft und nicht Ideologie walten. ({30}) - Da muß man, weil diese Behauptung immer wieder von den GRÜNEN kommt, einmal relativieren, wie das eigentlich umwelt- und energiepolitisch aussieht. Tatsache ist, daß die Bahn jedes Jahr gerade und ausschließlich in diesen Bereichen 500 000 Tonnen Dieselöl verbraucht, um nur 15% ihrer Fahrleistung erbringen zu können. Mit der gleichen Menge Dieselöl könnten Sie jeden, der mit der Bahn fährt, genauso umweltfreundlich oder umweltfeindlich in einem Dieselauto fahren lassen. Verdeutlicht werden muß auch, daß ein mit 50 Fahrgastplätzen ausgerüsteter Bus weniger Abgase freisetzt als ein dieselgetriebener Zug, der zwar 300 Personen Platz bietet, gerade aber in der Fläche als Geisterzug durch die Gegend fährt, bei dem man glücklich sein muß, wenn wenigstens 50 Fahrgäste an Bord sind. ({31}) Im übrigen sind bisher nur 40 % der Bundesbahnstrecken elektrifiziert. Dort werden aber 85 % der Fahrleistungen auf der Schiene absolviert. Was die GRÜNEN nun in diesem Zusammenhang ständig verschweigen, ist die Tatsache, daß 15% des dabei verbrauchten Stromes aus dem Kernkraftwerk Neckar-Westheim kommen und ein weiterer erheblicher Teil aus dem öffentlichen Stromnetz. Das sind weitere 15%, welche dort in wiederum recht bedeutsamen Mengen Atomkraftwerksstrom sind. Was allein aus Biblis kommt, ist bekannt. Sie müssen also erst einmal für sich den Widerspruch aufklären, daß Sie für eine moderne elektrifizierte Bahn eintreten, daß Sie aber dort, wo der Strom erwiesenermaßen aus den Kernkraftwerken kommt, die absoluten Gegner sind. ({32}) Zur Ehrlichkeit der umwelt- und energiepolitischen Diskussion gehört dann auch noch die Feststellung, daß der größte Teil des von der Bundesbahn benötigten Stromes, nämlich 35 %, in umweltfeindlichen Stein- und Braunkohlekraftwerken erzeugt wird, die Sie ja ebenfalls am liebsten stillegen würden. Wie paßt das denn eigentlich alles zusammen? Was im übrigen den Flächenbedarf anbetrifft: Selbst jeder Kilometer Bundesbahnstrecke bedeutet 2,9 Hektar Bodenverlust. Das sind 29 000 Quadratmeter Land, die aufgefressen werden. Ganz so einfach und undifferenziert sollten wir das Thema Umwelt- und Energiefreundlichkeit und Bundesbahn nicht diskutieren. Unsere Bundesbahnpolitik verlangt schnelles und entschlossenes Handeln. Dieser Verantwortung hat sich diese Bundesregierung gestellt. Nun gilt es, politisches Durchsetzungsvermögen zu mobilisieren und nichts zu zerreden oder zu boykottieren, ({33}) was bis 1990 dazu führen soll, daß die Kreditaufnahme der Bahn zurückgeht, die Bundeszuschüsse sinken, der Schuldenstand abnimmt und die Bahn von gestern als tickende Zeitbombe für den gesamten Bundeshaushalt entschärft wird. Denn nur so werden wir die Zukunft der Eisenbahn sichern können. Wir wollen eine wettbewerbsfähige, eine moderne, eine attraktive Bahn, eine Bahn, die das produziert, was von Bürgern und Wirtschaft tatsächlich gebraucht und angenommen wird. Dazu hat die Bundesregierung, dazu hat der Bundesbahnvorstand, dazu haben über 300 000 Eisenbahner die uneingeschränkte Rückendeckung und Unterstützung der Freien Demokraten. Herzlichen Dank. ({34})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.

Dieter Drabiniok (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000413, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Herr Hoffie, auf Ihre billige Polemik gehe ich erst einmal gar nicht ein. Darüber können wir uns im Ausschuß unterhalten. ({0}) Die Verkehrspolitik, die in den letzten 30 Jahren von allen bisherigen Fraktionen in diesem Bundestag betrieben wurde, ist eine einzige Katastrophe. Die Bilanz dieser Verkehrspolitik ist erschütternd und unfaßbar. Allein in den wenigen Stunden dieser Bundesbahndebatte werden etwa 10 000 Bäume sterben. Einer der Hauptverursacher dieses Wäldersterbens ist der Straßenverkehr, der seit 30 Jahren von allen Altparteien, Bundestagen, Verkehrsministern und Bundesregierungen mit größtem Einsatz gefordert worden ist. „Freie Fahrt für freie Bürger", das war das Motto. Diese freie Fahrt für freie Bürger kostete seit 1960 mehr als 300 000 Menschen das Leben. Etwa 10 Millionen Menschen wurden im Straßenverkehr verletzt. Der Bundestag förderte die Freiheit, mit dem Kraftfahrzeugverkehr unsere Umwelt mit Blei, Kohlenmonoxid, Stickoxiden, Asbeststaub und Streusalz zu vergiften. Die Politiker haben sich die Freiheit genommen, mehr als eine Million ha unserer Landschaft dem Straßenverkehr zu opfern. Sie gaben uns die Freiheit, andere Menschen durch Straßenverkehrslärm und Abgase krank zu machen, die Freiheit, die Rohstoffe dieser Welt zu verpulvern, die Freiheit, unsere Städte zu zerstören, und die Freiheit, Igel und Kröten totzufahren. Weder durch Ölkrise noch durch Wäldersterben hat sich dieses Hohe Haus in seinem Autowahn bremsen lassen und auch nicht durch die 20 000 totgefahrenen und die eine Million im Straßenverkehr verletzten Kinder. Statt dessen hat ein Verkehrsminister nach dem anderen feierlich, mit leuchtenden Augen immer neue Straßen dem Verkehr übergeben. Seit 1960 wurden allein für den überörtlichen Verkehr 38 000 km Straßen neu gebaut. In demselben Zeitraum schrumpfte das Schienennetz um 2 500 km. Auf weiteren 3 500 km wurde zudem der Personenverkehr eingestellt - und das, obwohl die Bahn das sicherste, umweltfreundlichste und für uns alle wirtschaftlichste Verkehrsmittel ist. Trotz dieser Vorteile war und ist die Bahn Stiefkind der Verkehrspolitik. Die ständige Benachteiligung und Vernachlässigung der Bundesbahn durch alle bisherigen Bundestage und Bundesregierungen hat die Bahn an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Diese Bahn-Krise, die nicht durch die Bundesbahn selber und erst recht nicht durch die Eisenbahner verschuldet wurde, sondern allein durch die Bonner Politiker, soll nun auf Kosten der Eisenbahner und Bahnkunden gelöst werden. Das sogenannte Bahnkonzept dieser Bundesregierung sieht einen radikalen Schrumpfkurs vor. Bis 1990 sollen 70 000 bis 80 000 Arbeitsplätze bei der Bahn vernichtet, 3 000 Reisezugwagen, 50 000 Güterwagen und 1 500 Lokomotiven verkauft bzw. gleich verschrottet und 7 000 km Bahnstrecken für den Personenverkehr sowie 6 000 km Strecken für den Güterverkehr stillgelegt werden. ({1}) Sicherlich wird Streckenstillegungsminister Dollinger diese Zahlen energisch dementieren. Aber, Herr Minister, in einem Schreiben vom 23. November 1983, haben Sie dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn u. a. mitgeteilt - ich zitiere -: Ich bitte, Ihre Gesamtplanung darauf abzustellen, daß die von Ihnen genannten Ziele einer Produktivitätssteigerung um 40 % möglichst bald, spätestens bis 1990, erreicht werden. ({2}) Herr Minister, „Produktivitätssteigerung" klingt sicherlich besser als „Streckenstillegungen" und „Arbeitsplatzabbau". Aber vielleicht können Sie uns einmal erzählen, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, wie viele Wagen und Lokomotiven verschrottet werden müssen und wie viele Kilometer Bahnstrecken stillgelegt werden müssen, um bei der Bahn bis 1990 eine Produktivitätssteigerung um 40 % erreichen zu können? Herr Minister Dollinger, wenn Sie so um den Brei herumreden und das Wort „Streckenstillegungen" so scheuen, dann liegt das doch vielleicht auch daran, daß Ihr Parteifreund und bayerischer Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, das schlechte Ergebnis Ihrer CSU bei den bayerischen Kommunalwahlen insbesondere auf Ihre Streckenstillegungspolitik zurückgeführt hat. ({3}) Und wie heißt es auch in einem Strategiepapier aus dem Finanzministerium vom 9. März 1983 zur Deutschen Bundesbahn - ich zitiere -? Die Stillegung unwirtschaftlicher Strecken muß ohne neue Grundsatzdiskussion, aber mit zügiger Einzelprüfung wieder erheblich beschleunigt werden. Herr Stoltenberg, der eigentliche Verkehrsminister, ist ja nicht da: Aber eines können wir ihm garantieren. Wir werden mit weiteren Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen dafür sorgen, daß gerade diese Grundsatzdiskussion um die Streckenstillegungen der Bahn sowohl hier im Bundestag, als auch in der Öffentlichkeit erst richtig in Schwung kommt. ({4}) Diese Streckenstillegungen sind ein verkehrs-, energie-, sozial-, regional- und umweltpolitischer Skandal ersten Ranges. 127 Mittelzentren und deren Umland mit mehr als 6 Millionen Einwohnern werden vom Schienennetz abgekoppelt. Ganze Regionen wie z. B. der Schwarzwald, das Sauerland, die Eifel, der Odenwald und, Herr Dollinger, der Bayerische Wald werden ohne Schienenanschluß sein. ({5}) Dieses Schrumpfkonzept bestraft alle, die aus umweltpolitischer Einsicht das Auto abgeschafft haben und auf die Bahn umgestiegen sind. ({6}) Es schwächt gerade die eh schon benachteiligten, strukturschwachen, ländlichen Regionen. Es benachteiligt wieder einmal die sozial Schwachen, die gerade auf die Bahn angewiesen sind. Dieses Schrumpfkonzept kann allenfalls den Straßenverkehr fördern, weil die Bahn für immer größere Teile der Bevölkerung nicht mehr erreichbar sein wird. Dadurch - und das ist wirklich der Gipfel dieser absurden Politik - beraubt sich die Bahn außerdem selber der Basis einer durchgreifenden Sanierung. Ein gleichfalls herausragender Skandal ist die geplante gigantische Arbeitsplatzvernichtung bei der Bahn. Hier werden die Heuchelei und die Doppelzüngigkeit der Bundesregierung besonders deutlich. Während sie den Ausbau des Straßennetzes besonders mit dem Argument begründet, damit wolle sie Arbeitsplätze sichern, ist es bei der Bahn genau umgekehrt. Die Bahn wird merkwürdigerweise nicht gefördert, um Arbeitsplätze zu sichern. Nein. Im Gegenteil. Die Bahn soll schrumpfen, gerade damit Arbeitsplätze abgebaut werden. Es geht der Bundesregierung in der Verkehrspolitik also gerade nicht darum, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern oder zu schaffen, sondern allein darum, den Wünschen der Automobil- und Straßenbaulobby gerecht zu werden. ({7}) Außerdem werden die Personalkosten durch den Arbeitsplatzabbau nicht eingespart, wie Sie, Herr Dollinger, es in Ihrer Milchjungenrechung getan haben, sondern nur verschoben. Sie tauchen als Versorgungsbezüge im Haushalt der Bundesbahn oder aber in Form von Arbeitslosengeld, anderen sozialen Aufwendungen und regionalen Wirtschaftshilfen an anderen Stellen der öffentlichen Hand wieder auf. Ich gebe zu, daß Ihnen das Denken in Zusammenhängen etwas schwerfällt, auch wenn Sie uns in der letzten Haushaltsdebatte zur Bahn zu berichten wußten, daß der Strom aus der Steckdose kommt. Durch den Arbeitsplatzabbau erhöhen sich nicht nur Arbeitsbelastung und Streß für die verbleibenden Eisenbahner. Auch Verkehrsbedienung und Service werden dadurch zwangsläufig schlechter. Schalterstunden für Expreßgut- und Güterabfertigung, Information, Fahrkartenausgabe und Reservierungen werden weiter eingeschränkt, weitere Bahnhöfe und Haltepunkte geschlossen und noch mehr Reisezüge aus dem Fahrplan gestrichen werden. Die Bahn wird damit noch unattraktiver und vergrault ihre letzten Kunden. Wer aber glaubt, durch diese Radikalkur würde die Bahn wenigstens finanziell saniert, sieht sich getäuscht: Die Verschuldung der Bahn soll trotzdem bis 1990 um weitere 20 Milliarden DM auf dann 56 Millarden DM steigen. Dieses sogenannte Konzept der Bundesregierung kann auch ich nicht besser umschreiben als mit den Worten von Franz Josef Strauß, der nun wirklich nicht mein Freund ist: „schwammig, unzureichend" - Sie haben es gerade schon gehört - „verfehlt, schlechterdings irreführend", oder aber mit den Kommentarüberschriften der folgenden Zeitungen einen Tag nach Bekanntgabe Ihrer Geistesblitze zur Bahnruinierung: „Frankfurter Rundschau": „Etikettenschwindel"; „Stuttgarter Nachrichten": „Gewurstel"; „Handelsblatt": „Das Siechtum bleibt"; „Westdeutsche Allgemeine": „Aufs Nebengleis"; und wohl am treffendsten die „Bonner Rundschau": „Dollingers Flick-Werk". Flick-Werk! Womit wir bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Bundesbahn wären. Vizepräsident des Verwaltungsrats der Bahn ist niemand anderer als - und jetzt, liebe Freunde, bleibt mal ein bißchen ruhig - Eberhard von Brauchitsch. Kann sich in diesem Hohen Hause jemand vorstellen, daß dieser Mann die Interessen der Bundesbahn, der Eisenbahner und Bahnkunden wirklich vertreten könnte? ({8}) Vielleicht aber Hans Hartwig, ebenfalls Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesbahn; er ist Inhaber der Firma Fritz Hartwig, Baustoff- und BrennstoffGroßhandel. ({9}) Oder Rolf Stödter, Mitinhaber der Reederei Essberger. Präsident des Verwaltungsrats ist Hans Wertz, gleichzeitig Präsident der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen. Übrigens muß die Bundesbahn jährlich etwa drei Milliarden DM Zinsen zahlen und fast jedes Jahr neue Kredite aufnehmen. ({10}) Auch im Beirat der Bundesbahn wimmelt es nur so von vermeintlichen Bahnfreunden. Von den 26 Mitgliedern sind 21 Vertreter der Wirtschaft. Dort finden sich unter anderem: Klaus Kartzke, Mitglied des Vorstandes der Adam Opel AG, Thomas Kohlmorgen, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Esso AG, und Gert Wollburg, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Maschinenwerke Augsburg-Nürnberg AG, kurz MAN. genannt. ({11}) - Das ist übrigens die Firma, die auch die Bahnbusse herstellt. ({12}) - Nicht so 'ne Hektik machen hier! Übrigens sollen einige Vorstandsmitglieder der Deutschen Bundesbahn ganz ausgezeichnete Beziehungen zu diesen Herren haben. Aus dieser Aufzählung kann nicht geschlossen werden, daß Minister Dollinger Pläne hegt, den Vorstand des Volkswagenwerks in Zukunft mit Eisenbahnern besetzen zu lassen. ({13}) Es ist eine Schande, daß sowohl im Verwaltungsrat als auch im Beirat der Bundesbahn nicht ein einziger Vertreter von Naturschutz- und Umweltschutzverbänden, ({14}) Benutzer- und Verbraucherverbänden oder Fahrgastinitiativen ist. ({15}) Die Bahnkunden haben also überhaupt keine Lobby in den Gremien der Bahn. Das sollte sich in Zukunft ändern. ({16}) Der von unserer Fraktion eingebrachte Entwurf eines Bundesbahnsanierungsgesetzes sieht unter anderem vor, daß die bisherige Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Bundesbahn geändert wird. Unserer Meinung nach ist es - erstens - notwendig, die paritätische Mitbestimmung einzuführen, d. h. künftig sollen die Gewerkschaften auch im Verwaltungsrat zehn Vertreter haben. ({17}) Zweitens sollen unter den anderen zehn dann vom Bundesminister für Verkehr vorzuschlagenden Vertretern auch die Vorschläge der Natur- und Umweltschutzverbände, Benutzer- und Verbraucherverbände bzw. Fahrgastinitiativen mit jeweils einem Vertreter berücksichtigt werden. ({18}) Die Zukunft der Bundesbahn darf nicht länger von den Eigeninteressen der Wirtschaftslobby geprägt werden. Viel besser garantieren Eisenbahner, Umweltschützer und Bahnfahrgäste diese Vorwärtsstrategie. Eine solche Vorwärtsstrategie für die Bundesbahn verfolgen auch DIE GRÜNEN im Bundestag mit dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrung und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn, kurz: Bundesbahnsanierungsgesetz. ({19}) Meine Damen und Herren, seit jeher werden die Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen voll und ganz vom Staat finanziert. Die Bundesbahn muß jedoch den Erhalt, die Modernisierung und den Aus- und Neubau ihres Schienennetzes als einziger Bundesverkehrsträger aus eigenen Mitteln finanzieren und erhält lediglich bescheidene Investitionszuschüsse vom Bund. ({20}) Diese Benachteiligung der Bundesbahn muß endlich dadurch aufgehoben werden, daß der Bund in Zukunft - wie für Straßen und Kanäle auch - die Vorhaltung des Schienennetzes als eine hoheitliche Staatsverwaltungsaufgabe voll und ganz aus dem Bundeshaushalt finanziert, ({21}) wobei die Bundesbahn einen Wegekostendeckungsbeitrag entrichten sollte, und zwar in der Höhe des durchschnittlich von den anderen Bundesverkehrswegen erreichten Wegekostendeckungsgrades. Die Deutsche Bundesbahn hätte auf diese Weise das Auslastungsrisiko des von ihr benutzten Verkehrsweges nur in dem Umfang zu tragen, in dem auch ihre Mitbewerber auf dem Verkehrsmarkt dazu herangezogen werden. Deshalb ist diese Regelung an erster Stelle in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. An zweiter Stelle steht: Die Durchführung des Schienenpersonennahverkehrs seitens der Bundesbahn ist nichts anderes als eine soziale Leistung im Interesse des Gemeinwohls. Wie alle anderen sozialen Aufgaben - etwa die Finanzierung von Schulen - kann und darf der Schienenpersonennahverkehr nicht ausschließlich durch die betriebswirtschaftliche Brille betrachtet und allein nach dem Kostendeckungsgrad bewertet werden. Es ist deshalb notwendig, daß die dabei entstehenden Fehlbeträge in voller Höhe vom Bund getragen werden. Dies sieht unser Gesetzentwurf vor. Im übrigen gibt es ein Bundesunternehmen, das noch wesentlich schlechtere Kostendeckungsgrade erreicht als der Nahverkehr der Bundesbahn, nämlich einen Kostendeckungsgrad von 0, in Worten: null. Es handelt sich dabei um die Bundeswehr. Diese verschlingt jährlich weit mehr als 50 Milliarden DM, denen keine Einnahmen gegenüberstehen. Anstatt bei der Bundesbahn sollten Sie erst einmal bei der Bundeswehr eine radikale Kahlschlagsanierung durchführen. ({22}) Drittens. Unverzichtbar ist die baldige Einführung der Trennungsrechnung, über die Sie hier seit Jahren lamentieren, bisher jedoch - wie könnte es anders sein - ohne Ergebnis. Es muß endlich kostenrechnerisch zwischen staatlichen, gemeinwirtschaftlichen und eigenwirtschaftlichen Aufgaben der Bahn unterschieden werden. Zu dem von uns im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Modell der fiktiven Trennung heißt es in dem Bericht über die Prüfung der Auswirkungen einer Trennung von Fahrweg und Betrieb bei der Deutschen Bundesbahn in einer Drucksache vom 10. Juli 1979 - ich zitiere -: Eine Realisierung ist kurzfristig und ohne Probleme möglich ... Die organisatorischen, personalrechtlichen und steuerlichen Probleme entfallen bei dieser Lösung. Im übrigen hat die österreichische Bundesregierung im Dezember letzten Jahres eine Regierungsvorlage in den Nationalrat eingebracht, die nichts anderes vorsieht als die gesetzliche Verankerung der Trennungsrechnung bei den Österreichischen Bundesbahnen. ({23}) - Die Gutachter sind sicherlich von Ihnen, Herr Hoffie. ({24}) Viertens. Schließlich sollen der Bahn die Pensions- und Rentenzahlungen und andere soziale Lasten soweit ausgeglichen werden, daß sie nicht stärker als konkurrierende privatwirtschaftliche Unternehmen mit Versorgungsleistungen belastet wird. Dabei muß auch und insbesondere berücksichtigt werden, daß die entsprechenden Soziallasten für die Beamten der Behörden konkurrierender Verkehrswege, z. B. die Pensionen für Beamte der Verkehrspolizei oder der Straßenbauverwaltungen, anders als bei der Bundesbahn in voller Höhe vom Staat getragen werden. Fünftens. Der Gesetzentwurf sieht auch eine schrittweise Entschuldung der Bahn vor, indem der Bund zur Übernahme der Zinsen verpflichtet wird, die der Bundesbahn durch die notwendig gewordene Verschuldung bei der Erfüllung ihrer staatlichen und gemeinwirtschaftlichen Aufgaben entstanden sind. Sechstens. Die Ausgleichszahlungen des Bundes sollen in den jeweils sachlich der Art der Zahlung entsprechenden Einzelplänen eingestellt werden. Das ist seit über 20 Jahren überfällig. Ich zitiere den „Spiegel" vom 23. März 1955 - ich betone: 1955! -: Bei vorfühlenden Gesprächen über das Thema Bundesbahnsanierung herrscht in Bonn bei den Verkehrsexperten aller Parteien die Ansicht vor, daß die betriebsfremden politischen Lasten in Zukunft dort gebucht werden müssen, wo sie hingehören. So etwa die Pensionsverpflichtungen der Bundesbahn gegenüber Ost-vertriebenen Beamten oder Kriegerwitwen und -waisen im Sozialhaushalt. Genau das wollen wir auch. Dieses „Spiegel"-Zitat wirft ein bezeichnendes Licht auf dieses Parlament. Schon damals war das Thema Bundesbahnsanierung aktuell, doch bis heute haben Sie es noch nicht einmal fertiggebracht, die damals einvernehmliche Absicht der Haushaltsklarheit in die Tat umzusetzen, geschweige denn auch nur ansatzweise die Bahn zu sanieren. Sie haben die Bahn nicht saniert, sondern ruiniert. Unfähig, vollkommen unfähig! ({25}) Siebentens. Es ist untragbar, Herr Hoffie, daß die Bundesbahn Mineralölsteuer zahlen muß, während die Binnenschiffahrt und sogar der Energiefresser und Umweltfeind Flugverkehr von dieser Steuer befreit sind. ({26}) Genauso unfaßbar ist es, daß die Bahn mit der Zahlung der Mineralölsteuer quasi auch noch ihren Konkurrenten, den Straßenverkehr, subventionieren muß. ({27}) Die Befreiung der Bundesbahn von der Mineralölsteuer ist deshalb, meine Damen und Herren, fester Bestandteil unseres Gesetzentwurfes. Achtens. Die Unsicherheit bei Bahnkunden und Wirtschaft hinsichtlich des Erhalts von Bahnstrekken muß ein Ende haben. Der Umfang des Schienennetzes der Bundesbahn muß mehr denn je an raumordnerische Kriterien gebunden werden. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesministers für Raumordnung und der Bundesländer eine Verordnung erlassen soll, in der der Umfang des Schienennetzes der Bundesbahn unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung verbindlich festgelegt wird. Strekken, die unter diese Verordnung fallen, könnten dann künftig nicht mehr stillgelegt werden. Sonstige Strecken könnten nur mit Zustimmung der betroffenen Länder stillgelegt oder in ihrer Bedienung eingeschränkt werden, wobei die Länder bei Nichtzustimmung dem Bund die Kosten erstatten oder die Strecken selber übernehmen müßten. Auf diese Weise würde in Absprache von Bund und Ländern erstmals ein Bundesschienennetz festgelegt, das es den Ländern ermöglichen würde, darin nicht enthaltene Strecken weiter betreiben zu lassen, ohne Gefahr zu laufen, eines Tages das gesamte Nebenstreckennetz der Bahn übernehmen und finanzieren zu müssen. Das Bundesbahninvestitionsgesetz als Bestandteil unseres Gesetzentwurfes soll schließlich eine Gleichstellung der Bahn mit den anderen Bundesverkehrswegen bei der Investitionsplanung des Bundes erreichen. Wie für die Fernstraßen sollen auch für die Investitionen in Streckennetz und Nahverkehr der Bahn Fünfjahrespläne erstellt und vom Bundestag beschlossen werden. Dafür sollen der Bahn 2 % des Gesamtsteueraufkommens des Bundes, zur Zeit also etwa 4 Milliarden DM, für Investitionen zur Verfügung gestellt werden, in den ersten fünf Jahren auf Grund des Nachholbedarfs jedoch 2,6 %, also etwa 5,2 Milliarden DM. Die Vorgaben dieses Gesetzentwurfes würden dazu führen, daß sich die Zahlungen des Bundes an die Bahn um jährlich 5 bis 6 Milliarden DM erhöhen würden. Der Einsatz dieser Summen führt aber langfristig zu einer Verbesserung des Wirtschaftsergebnisses der Bahn und zu einer erheblichen Reduzierung der Bundesbahnschulden, ({28}) die ja in Wahrheit, Herr Hoffie, nichts anderes als eine verschleierte Staatsverschuldung sind. Wenn der Bund heute seine Zahlungen an die Bahn nicht erhöht, sondern real sogar reduziert, wird er bei dem dann unweigerlich drohenden Bankrott der Bahn finanziell erheblich stärker belastet, als es bei der Realisierung unseres Gesetzentwurfes der Fall wäre. Meine Damen und Herren, zur Finanzierung schlagen wir vor: Erstens. Jährliche Einsparungen beim Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen sowie von Bundeswasserstraßen in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden DM. ({29}) Zweitens. Erhöhung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Liter. Drittens. Einführung der Mineralölsteuerpflicht für Binnenschiffahrt und Flugverkehr. Viertens. Erhöhung der Besteuerung und bzw. oder Einführung einer Schwerverkehrsabgabe für den Güterkraftverkehr. Durch diese Maßnahmen stünden Finanzmittel von 7 bis 8 Milliarden DM pro Jahr zur Verfügung, also sogar mehr Geld, als für die Finanzierung der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen erforderlich wäre. Das Bundesbahnsanierungsgesetz will bis 1990 durch verstärkte Investitionen bei Erhalt aller Arbeitsplätze, Erhalt und Modernisierung aller Bundesbahnstrecken folgende finanzielle Verbesserungen für die Bahn bewirken: Erstens. Steigerung der Erträge um insgesamt 3,2 Milliarden DM pro Jahr. Zweitens. Verbesserung des jährlichen Wirtschaftsergebnisses um 1,5 Milliarden DM. Drittens. Abbau der Verschuldung der Bahn von heute 36 Milliarden DM um 13 Milliarden DM auf dann 23 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, wir stellen Ihrer Bankrotterklärung zur Bahn unsere realistische, praktikable und finanzierbare Alternative gegenüber, von der wir meinen, daß sie gegenüber der Umwelt, den Bürgern und den Eisenbahnern verantwortungsbewußt und notwendig ist. ({30}) Meine Damen und Herren, die Aussicht, daß unser Entwurf des Bundesbahnsanierungsgesetzes von diesem Bundestag verabschiedet wird, wäre nicht schlecht, wenn man danach ginge, was die CDU 1976 in einer Wahlanzeige in den „Stuttgarter Nachrichten" versprach. Dort heißt es unter anderem: „... und Gscheidle läßt die Stillegung von Bundesbahnstrecken planen." Und jetzt kommt es: „Das macht die CDU nicht mit!" Bravo, meine Damen und Herren, die GRÜNEN erst recht nicht. ({31})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, auf der Ehrentribüne eine De4484 Präsident Dr. Barzel legation des Storting zu begrüßen. Ich heiße die Kollegen aus Norwegen herzlich willkommen. ({0}) Wir danken für diesen Besuch, der unserer Freundschaft und Zusammenarbeit einen guten Ausdruck gibt, und wünschen einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herren Vorredner haben viele Dinge aus der Vergangenheit und der Gegenwart behandelt. ({0}) Ich stelle fest, daß ich mit Herrn Jobst in Rückblick und Ausblick sehr weit übereinstimme. Das wird Sie nicht überraschen, Herr Daubertshäuser. Ich danke auch Herrn Hoffie für seine Betrachtungen. Von den beiden anderen Sprechern der Opposition - das liegt aber vielleicht in der Natur der Position - kann ich das natürlich nicht sagen. Herr Daubertshäuser, Sie sollten bei Ihren Betrachtungen immer daran denken, daß die jetzige Regierung, der jetzige Bundesminister für Verkehr, eineinhalb Jahre im Amt ist und daß Mitglieder der SPD als Verkehrsminister 16 Jahre lang tätig waren. Legen Sie also die Maßstäbe richtig an, dann leben Sie auch leichter. ({1}) Meine zweite Bemerkung. Sie beklagen die Finanzsituation und den Mangel an Geld, und dann kommt immer der Name des Herrn Bundesfinanzministers. Ich möchte hier sagen, die Bundesregierung ist eine Einheit, und die Sanierung des Bundeshaushalts kann man nicht einseitig nur dem Arbeitsminister und der Sozialpolitik anlasten; hier muß Solidarität zwischen den einzelnen Bereichen bestehen. ({2}) Im übrigen hätten Sie in der Vergangenheit Gelegenheit gehabt, die Finanzausstattung zu verbessern. Der Verkehrshaushalt stagniert praktisch seit dem Jahre 1978 bei rund 25 Milliarden DM. Das ist, real gesehen, ein Rückgang um rund 30%. Warum haben Sie seinerzeit nicht das getan, was Sie heute von uns fordern? ({3}) Im Zusammenhang mit den Neubaustrecken und der Beauftragung des Bundesrechnungshofes haben Sie, ich sage einmal: eine Vermutung ausgesprochen, daß das zum Baustopp führen könnte. Ich kann Sie hier beruhigen: Das wird nicht zum Baustopp führen. Aber ich stimme mit dem Finanzminister völlig überein, daß es richtig und notwendig ist, immer wieder die Voranschläge und die Kosten zu überprüfen, denn ich möchte nicht, daß Kostenexplosionen und Fehlrechnungen entstehen, wie sie heute zum Teil in vielen Bereichen nachzuweisen sind. ({4}) Eine letzte Bemerkung. Sie haben gesagt, man hätte das Bundesbahngesetz ändern sollen. Darüber kann man sprechen. Aber ich stelle die Frage: Was wäre geworden, wenn wir nach der Änderung von 1981 wieder mit der Diskussion über eine Änderung des Bundesbahngesetzes begonnen hätten? Was wäre denn passiert? Wir hätte ca. zwei Jahre darüber diskutiert, und bei der Bahn wäre auf Grund der vorhandenen Unklarheit soviel wie nichts passiert. Das heißt, die Misere und die Katastrophe wären weitergegangen. ({5}) Deshalb war es entscheidend wichtig und nach meiner Meinung vordringlich, jetzt das anzupacken, was notwendig ist. Ich möchte noch mit einem Satz auf das Bundesbahngesetz zurückkommen. Meine Damen und Herren, ich habe oft den Eindruck, daß die rechtliche Situation viel zu wenig bekannt ist. § 28 des Bundesbahngesetzes betrifft die Wirtschaftsführung der Bundesbahn und lautet: Die Deutsche Bundesbahn ist unter der Verantwortung ihrer Organe wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienungen nach kaufmännischen Grundsätzen ({6}) so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken. Eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben. In diesem Rahmen hat sie ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Meine Damen und Herren, wer das Gesetz liest und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte damit vergleicht, muß sagen: Es gibt wohl kaum einen Fall, bei dem ein Gesetzesauftrag so wenig erfüllt und so mißachtet wurde wie in den letzten Jahren bei der Bahn. ({7}) Nun kommt noch eine Bemerkung, Herr Daubertshäuser. ({8}) Sie haben gesagt, daß die Eisenbahner demotiviert sind. Das ist sicher zum Teil richtig. Aber ich glaube, es hat sich gewandelt. Ich möchte den Beweis für diese Behauptung antreten. Es ist doch eine großartige Sache, daß vor wenigen Wochen Zehntausende von Eisenbahnern auf die Straße gegangen sind - nicht um zu demonstrieren, sondern um für ihr Unternehmen und die „rosaroten Sonderangebote" zu werben. Wann hat es das einmal gegeben, daß die Mitarbeiter der Bahn - ich glaube: auch mit Zustimmung der Gewerkschaften - öffentlich für ihr Unternehmen so eingetreten sind wie an jenem Wochenende? ({9}) Damit, meine Damen und Herren, haben die Eisenbahner für die Deutsche Bundesbahn, für ihr Unternehmen, geworben. Sie haben auch klargemacht, daß es um die Marktposition der Deutschen Bundesbahn geht. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 in anderem Zusammenhang gesagt, wir bräuchten Mut zu mehr Markt. Das ist auch hier der richtige Weg. In Übereinstimmung mit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen hat das Bundeskabinett einstimmig - ich betone: einstimmig - die Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn am 23. November 1983 beschlossen. ({10}) Damit ist man der in der Regierungserklärung ausgesprochenen Forderung nachgekommen. Ich zitiere auch hier, was der Kanzler im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der Bahn gesagt hat: Die Deutsche Bundesbahn muß die alte Reputation wiedergewinnen. Die Bürger müssen das Gefühl haben, daß sie in einem modernen Verkehrsmittel bestens bedient werden. Die Leitlinien haben Konsequenzen aus dem Siechtum der Deutschen Bundesbahn gezogen. Es soll endlich ein klarer Kurs vorhanden sein für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, für die Bevölkerung, für die Wirtschaft und nicht zuletzt für die Eisenbahner selbst. Dieses Konzept wird dazu beitragen, daß bis 1987 der Trend zu einer astronomischen Verschuldung nicht, wie früher hochgerechnet, auf 62 Milliarden DM ansteigen wird, sondern höchstens auf 48 Milliarden DM. Das ist auch noch viel. Die Jahresverluste für 1987 werden nicht, wie hochgerechnet, 7,2 Milliarden DM betragen, sondern 3,6 Milliarden DM. Die notwendigen Strukturanpassungen und die neuen Marktchancen, die in die Zukunft weisen, müssen hier also beachtet werden. Wir halten uns auch insoweit an die Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 - Zitat -: Die Deutsche Bundesbahn ist für uns unverzichtbar. Aber ... wir müssen dafür sorgen, daß sie nicht unbezahlbar wird. ({11}) Das DB-Konzept ist ein Teil eines Gesamtkonzeptes, das die arteigenen Vorteile der Bahn zur Geltung bringt. Es ist Grundlage dafür, daß die DB eigenverantwortlich und unternehmerisch handeln kann, daß die Bahn attraktiv wird und finanzierbar bleibt, daß die Bahn gemeinwirtschaftlich handeln kann, ohne den Finanzrahmen zu sprengen. Dieses Konzept dient der Zukunftssicherung der Deutschen Bundesbahn, schafft langfristig eine wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Bahn und sichert nach der Konsolidierung auf Dauer auch die Arbeitsplätze. Ein kurzer Überblick: Erstens. Die Marktstellung der Deutschen Bundesbahn im Personen- und Güterverkehr ist in den letzten 20 Jahren leider erheblich zurückgegangen. Der Anteil des Personenverkehrs betrug 1960 15,7 %, 1970 8,4 %, 1982 6,6 %. ({12}) Güterverkehr: 1960 44,2 %, 1970 39,9%, 1982 29,0 %. Über die Verschuldung wurde bereits gesprochen. Die Entwicklung von über 6,2 Milliarden DM auf 35,5 Milliarden DM sagt alles. Auch die Jahresverluste - 1960 13,5 Millionen DM, jetzt 4 150 Millionen DM - sprechen für sich, und zwar trotz Erhöhung des Bundeszuschusses um 350 % in der Zeit von 1970 bis 1982. Zweitens. Ursachen für diese Entwicklung: Die Anpassung an die Strukturveränderungen in Wirtschaft und Verkehr ist in den 60er und 70er Jahren nicht gelungen. In den letzten 20 Jahren sind strukturelle Veränderungen der Verkehrsbedürfnisse zu verzeichnen: Rückgang der Güterverkehrsarten - ich brauche nur Kohle und Erz zu nennen -, Einsatz leistungsfähiger Verkehrssysteme bei den konkurrierenden Verkehrsträgern, die Expansion des Straßenverkehrs durch die Motorisierung breiter Bevölkerungskreise und Ausbau der Straßeninfrastruktur. In der Nachkriegszeit folgte die Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur nicht der Infrastruktur der Bahn. ({13}) Die Veränderung der Verkehrsnachfrage war deutlich. Ich bin der Meinung, daß die Deutsche Bundesbahn in der Zukunft trotzdem eine Chance hat, aber nicht durch Reglementierung und Dirigismus, sondern dadurch, daß die Bahn wieder ein gefragtes Verkehrsmittel wird. Dazu muß sie schneller, attraktiver und im Angebot flexibler werden. Dritte Bemerkung: In den vergangenen Jahren hat man eine Vielzahl von Konzepten, Plänen und Maßnahmen entwickelt, um die Fahrt des Unternehmens in die roten Zahlen abzubremsen. Die Konzepte haben in Wirklichkeit wenig bewegt. Es fehlte die politische Durchsetzungskraft zu entscheidenden Weichenstellungen. Zum Teil waren die Konzepte auch falsch angelegt. Viertens. Auf Grund der Dringlichkeit haben wir Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn im Kabinett einstimmig verabschiedet. Die Schwerpunkte der Leitlinien möchte ich noch einmal darstellen: Klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Eigentümer Bund und Unternehmen Deutsche Bundesbahn. Wer zusätzliche gemeinwirtschaftliche Leistungen verlangt, soll nach dem Verursachungsprinzip auch dafür bezahlen; denn man kann nicht ständig fordern und die anderen bezahlen lassen. Die Anpassung an den Strukturwandel ist in allen Leistungsbereichen wichtig und nötig. Das bedeutet konsequente und unternehmerisch ausgerichtete Bahnpolitik, Leistungs- und Kapazitätsanpassung an die Nachfrage. Das heißt ganz klar: Reduzierung der Kapazitäten von Anlagen und Fahrzeugen und damit eine erhebliche Personaleinspa4486 rung, aber möglichst ohne Entlassungen. Darüber haben wir, Herr Kollege Haar, wiederholt eingehend gesprochen. Das bedeutet: Investitionen der Deutschen Bundesbahn für Aus- und Neubaustrekken, für die Ausschöpfung der modernsten Technik, für die Weiterentwicklung der Rad-Schiene-Technik, des Waggonmaterials, der Lokomotiven und der Signaltechnik. Schließlich gehören dazu die Nutzung aller Rationalisierungsreserven und die Kooperation mit der privaten Wirtschaft - dabei denke ich besonders an den Containerverkehr -, um das Interesse des Güterkraftverkehrs mit dem der Bahn, wenn Sie so wollen, zusammenzukoppeln. ({14}) Die Ziele bis 1990 wurden schon genannt. Ich wiederhole sie: Steigerung der Arbeitsproduktivität um 40 %, Senkung der Gesamtkosten um 25 %, Senkung der Personalkosten um 30 %. ({15}) Meine Damen und Herren, das ist - mit wenigen Zahlen vorgestellt - ein hartes Programm. Man sollte nicht so tun, wie wenn das nichts beinhalten würde. Ich danke hier dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn, daß dieses Konzept von ihm und dem Verkehrsministerium gemeinsam entwickelt werden konnte und dann die Zustimmung des Kabinetts gefunden hat. ({16}) Noch einmal zur Regierungserklärung vom 4. Mai 1983: „Die Bahn muß ein Unternehmenskonzept erarbeiten, das zu Kostensenkungen und Ertragssteigerungen führt." Fünfte Bemerkung: Deutsche Bundesbahn und öffentlicher Personennahverkehr. Die Bundesregierung hat mit den Leitlinien das Engagement der DB für den ÖPNV bekräftigt. ({17}) Ich muß aber auf folgendes hinweisen: Das Defizit betrug im Jahre 1970 1,8 Milliarden DM und im Jahre 1980 4,5 Milliarden DM. ({18}) Diese Entwicklung kann nicht so weitergehen. Die Deutsche Bundesbahn wird sich zwar nicht aus der Fläche zurückziehen, sie wird aber eine bedarfsgerechte Verkehrsbedienung gestalten, und zwar mit dem jeweils günstigsten, zweckmäßigsten und kostenmäßig auch richtigen Verkehrsmittel, sei es die Schiene, sei es der Bus oder eine Kombination von Schiene und Bus. Dabei wird im Einzelfall geprüft, was zu tun ist. Wir haben keine zahlenmäßige Festlegung des Umfangs des DB-Streckennetzes getroffen. ({19}) Jeder, der das behauptet, sagt etwas Falsches. Die Bundesregierung erkennt die besondere strukturpolitische Rolle der Bahn ausdrücklich an, insbesondere in Grenzregionen und im Zonenrandgebiet. ({20}) Meine Damen und Herren, „denkbar wäre allerdings, daß ein auf 19 000 Kilometer konzentriertes Netz - heute sind es etwa 29 000 Kilometer - raschere, stärkere, gezielte und gebündelte Verkehrsleistungen erlaubt, die gegenüber den jetzigen attraktiver sind". Eine hochinteressante Formulierung. Ich vermisse den Beifall von der Linken. Denn das ist eine Formulierung des früheren Bundesfinanzministers Helmut Schmidt im „Jahrbuch des Eisenbahnwesens" 1974. ({21}) - Sie können das gerne noch einmal hören: ({22}) Denkbar wäre allerdings, daß ein auf 19 000 Kilometer konzentriertes Netz - heute sind es etwa 29 000 Kilometer - raschere, stärkere, gezielte und gebündelte Verkehrsleistungen erlaubt, die gegenüber den jetzigen attraktiver sind. ({23}) - Helmut Schmidt, 1974. ({24}) - Nein, jetzt hören wir auf. - Also, meine Damen und Herren, kein Beifall für den früheren Bundeskanzler. Offenbar wissen Sie auch nicht, ob Sie es ablehnen sollen; Sie haben nicht dagegen protestiert. ({25}) - Herr Daubertshäuser, das hilft ja nichts, das ist einmal so gesagt worden. Da man ständig so tut, als ob nur wir von Streckenstillegungen sprechen würden, möchte ich hier noch einmal feststellen, daß Sie viel umfangreichere Pläne hatten. Allerdings blieb es bei den Plänen. ({26}) Meine Damen und Herren, auch in den Ballungsräumen wird sich die Deutsche Bundesbahn ihren Aufgaben stellen. Wir müssen jedoch das Ansteigen der Defizite in den Verkehrsverbänden begrenzen und dürfen keine neuen, unbezahlbaren Folgekosten auf die Deutsche Bundesbahn und damit in Wirklichkeit auf den Bundeshaushalt zukommen lassen. Niemand kann von der Deutschen Bundesbahn Kostendeckung im Schienen-Personennahverkehr verlangen. Deshalb zahlt der Bund jährlich Ausgleichsbeträge, im Jahre 1984 z. B. in Höhe von 3,3 Milliarden DM. Dennoch kann sich der Schienenpersonennahverkehr der Deutschen BundesBundesminister Dr. Dollinger bahn als eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe nicht völlig von wirtschaftlichen Grundsätzen lösen. Der Grundsatz der Begrenzung staatlicher Subventionen darf auch in diesem Bereich nicht ganz vernachlässigt werden. ({27}) Um Mißverständnisse auszuräumen: Es ist nicht wahr, daß die Bundesbahnpolitik ausschließlich von finanziellen Zwängen und finanziellen Erwägungen geprägt wird. Die Leitlinien basieren auf der vom Verfassungsrecht vorgegebenen Rechtslage, gehen von einer Weiterführung aller öffentlichen Aufgaben der DB aus und legen fest, daß es hinsichtlich notwendiger Strukturanpassungen, zum Beispiel Verlagerung von der Schiene auf die Straße, bei dem im Bundesbahngesetz festgelegten Verfahren bleibt. Auch die Abgeltungsleistungen des Bundes für gemeinwirtschaftliche Leistungen oder aus Gründen der Wettbewerbsharmonisierung werden uneingeschränkt weitergeführt. Der Bund trägt also wie bisher das gesamte Finanzrisiko aus der Tätigkeit der DB und entspricht damit der nach Artikel 104 a Abs. 1 Grundgesetz vorgeschriebenen Finanzverantwortung für die gemäß Artikel 87 Grundgesetz in bundeseigener Verwaltung zu führende Deutsche Bundesbahn. Durch Investitionshilfen und Abgeltungsleistungen trägt der Bund entscheidend zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Deutschen Bundesbahn bei, zum Beispiel 3 Milliarden DM für überhöhte Versorgungslasten und 1 Milliarde DM der Zinslasten von insgesamt 3 Milliarden DM. Als nächster Punkt die Frage: Wie soll es weitergehen? Der Bund wird die Deutsche Bundesbahn bei der Konsolidierung nachhaltig unterstützen. ({28}) Der Vorstand muß wissen, wie der Bund als Eigentümer denkt. Beweis dafür ist auch der einstimmige Beschluß der Bundesregierung. Ich sage hier eines ganz deutlich: Der Bund als Eigentümer wird zu seinem Unternehmen Deutsche Bundesbahn stehen. ({29}) Ich stelle dankbar fest, daß die interne Unternehmensstrategie des DB-Vorstands bereits gegriffen hat. Mein Vorgänger, Herr Volker Hauff, hat offenbar einen guten Griff getan. ({30}) 1983 haben wir zum erstenmal einen Stopp in der Verschuldung. Ich darf hier die Zahlen nennen. Wir haben im Jahre 1982 einen Verlust von 4,15 Milliarden DM gehabt. Für 1983 lautete die frühere Hochrechnung 4,56 Milliarden DM. Die Wirklichkeit für 1983 war: 3,75 Milliarden DM; das heißt, das Ergebnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 400 Millionen DM verbessert. ({31}) Das war sicher auch das Ergebnis einer konsequenten Bahnpolitik, die später ihren Niederschlag in den Leitlinien gefunden hat. ({32}) - Nein, sie war etwas anderes. Das hing auch damit zusammen, daß es keine Gehalts- und Lohnerhöhung bei der Bahn gab. ({33}) Denn 1 % Lohn- und Gehaltserhöhung bedeutet 150 Millionen DM Kosten. ({34}) Ich behaupte aber, die Bahn ist damit noch nicht über den Berg. Ich möchte aus diesem Ergebnis von 1983 gegenüber der Vorausberechnung nicht die Folgerung ziehen, daß man nun sagen kann: dies und jenes brauchen wir nicht; man darf nicht so tun, als ob die Dinge geregelt wären, und es darf kein neuer Leichtsinn einsetzen; das können wir nicht brauchen. Die Bahn braucht eine strukturelle Gesundung und realistische - ich betone: realistische - Zukunftsperspektiven. ({35}) Dazu gehören die Investitionen. Bis 1990 sind 40 Milliarden DM an Investitionen bei der Deutschen Bundesbahn vorgesehen, davon 14 Milliarden DM für Neubaustrecken, 26 Milliarden DM für Fahrzeuge, Anlagen, Rationalisierung und Attraktivitätssteigerung. ({36}) 40 Milliarden DM Investitionen, das ist ein Kontrastprogramm zu dem Wort „Kahlschlag bei der Deutschen Bundesbahn". ({37})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daubertshäuser?

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Herr Präsident, ich mache es wie meine Herren Vorredner; aber ich stehe im Ausschuß gern zur Verfügung. ({0}) - Herr Daubertshäuser, ich nehme Rücksicht auf die Koalitionsfraktionen, damit diese auch entsprechend reden können. ({1}) Denn ich glaube, Aussprachen in dieser Form im Parlament sollten nicht nur Erklärungen der Regierungsmitglieder sein. ({2}) Das Ziel ist also klar: Die Bahn muß in ihrer Marktposition gestärkt werden. Deshalb werden Investitionen für Neu- und Ausbaustrecken von insge4488 samt 730 Kilometern Länge vorgenommen, davon Hannover-Würzburg 327 Kilometer, Mannheim-Stuttgart 99 Kilometer. Wir dürfen auf diesem Wege nicht halbherzig stehenbleiben, sondern wir müssen versuchen, diese Vorhaben so schnell wie möglich zu verwirklichen, um auch tatsächlich den Verkehrswert zu haben. ({3}) Ich darf hier mit Genugtuung feststellen, daß sich die Ausbaustrecken planmäßig fortentwickeln, und ich hoffe, daß die Ziele rechtzeitig erreicht werden. Heute, meine Damen und Herren, kann die deutsche Bundesbahn nur auf 300 Kilometern - das sind ganze 10 % ihres Intercity-Netzes - im Intercity-Betrieb eine Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h erreichen. Nach Fertigstellung der Neu-und Ausbaustrecken werden, entsprechend der neuesten Information, die ich vom Vorstand habe, dann etwa 2 000 km des heutigen Netzes für Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h ausgebaut sein. Diese Qualitätsverbesserung ist nach meiner Meinung unumgänglich; sie sichert die Zukunft der Bahn. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Verbesserung des internationalen grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs sein. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn man von der Eisenbahn auf die Straße geht, wenn es Stunden und Tage dauert, bis der Zug über die Grenze kommt. Deshalb muß hier innerhalb der CEMT, der EG und auch bilateral etwas getan werden, damit dies rascher geht. Das Thema spielt auch bei den Konferenzen der Europäischen Gemeinschaft eine Rolle. Ich habe ferner mit meinem österreichischen und Schweizer Kollegen vor einiger Zeit vereinbart, daß wir sowohl mit Osterreich als auch mit der Schweiz den Versuch unternehmen sollten, rascher über die Grenze zu kommen, und Mitte des Jahres werden wir hier sicher Ergebnisse haben. Wenn diese gut sind, kann es vielleicht auch innerhalb der EG beispielhaft sein. ({4}) Wir müssen die Bahn also dort stärken, wo sie ihre arteigenen Vorteile ausspielen kann. Wir brauchen moderne Rangier- und Knotenbahnhöfe, und wir brauchen moderne Fahrzeuge. Die Deutsche Bundesbahn hat in enger Zusammenarbeit mit großen Firmen der deutschen Eisenbahnindustrie eine neue Lokomotive E 120 entwickelt. Im Gegensatz zu der bisher im Lokomotivbau verwendeten Technik wird diese Lok von Drehstrommotoren angetrieben. Mit dieser modernen Entwicklung gelang es, nicht nur eine im Güter- und schnellen Reisezugverkehr gleichermaßen einsetzbare Lokomotive zu schaffen, sondern auch die elektrischen Verschleißteile weitgehend zu eliminieren. Die Lok hat einen hohen Leistungsfaktor. ({5}) Die Drehstromtechnik ist geradezu wegweisend, sowohl in der jetzt entwickelten Lokomotive als auch in Triebzügen für den Schnellstverkehr auf den Neubaustrecken. ({6}) Die bisher gesammelten Erfahrungen können bei der Serienproduktion der E 120 berücksichtigt werden. Die Serienreife für diese Lokomotive ist am Dienstag, den 3. April 1984, bestätigt worden, so daß nunmehr die zuständigen Gremien die Auftragsvergabe dieser Lok werden vornehmen können. Dies wird auch für die Lokomotivindustrie in unserem Lande von großer Bedeutung sein. Neben der Kostensenkung, die bei der Bahn von diesen Investitionen erwartet wird, wird unsere Lokomotivindustrie auch im Ausland eine Chance haben, entsprechenden Absatz zu bekommen, wenn man darauf hinweisen kann: die Deutsche Bundesbahn hat diese Lokomotive bestellt. Das ist ein entscheidendes Werbemittel. ({7}) Ich hoffe, daß wir hier bald zu einer guten Entwicklung kommen werden. Meine Damen und Herren, ich komme zur siebten Bemerkung. Eines ist klar: In diesem Konzept können nicht alle Wünsche erfüllt werden, ({8}) aber es ist ein nüchternes und ein realistisches Programm. ({9}) Ich nehme das, was Herr Daubertshäuser gesagt hat, gern auf: Gemeinsamkeit. Ich meine, eine so schwierige Operation wie die, die Deutsche Bundesbahn wieder in Ordnung zu bringen, ist eine gemeinsame Aufgabe. Ihr sollten wir uns alle verpflichtet fühlen. ({10}) Deshalb wäre ich sehr dankbar, wenn das ständige Miesmachen und Nörgeln, das andauernde Gerede von Pleite und Krise der Deutschen Bundesbahn nun ein Ende finden würde. Denn wir haben den Mut zu einem Konzept. ({11}) Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das harte Opfer erfordert bei den Bahnbeschäftigten, den Mitarbeitern, auch in gewissen Räumen - gar kein Zweifel! ({12}) Aber das, was Herr Daubertshäuser gesagt hat, war ein ehrliches Wort: einschneidende politische Maßnahmen. Ohne die, meine Damen und Herren, geht es nicht. Wer glaubt, die Bahn mit Geschenken sanieren zu können, ist total im Irrtum. ({13}) Deshalb nehme ich diesen Appell zur Gemeinsamkeit gern auf. Und alles das, was man hier in einer Diskussion nicht bereden kann, können wir gern im Ausschuß ausführlich diskutieren. Ich werde auch dort zur Verfügung stehen. Wir müssen unser Ziel erreichen. Dieses muß lauten: Eine gesunde, technisch erstklassig ausgestattete, am Markt orientierte Deutsche Bundesbahn für unsere Bürger und unsere Wirtschaft. Es muß zweitens lauten: Nach notwendiger Personalanpassung sichere Arbeitsplätze für die Eisenbahner in Deutschland! Ich möchte ganz klar sagen: Die Bahnbediensteten, Tag und Nacht im Dienst, bei Hitze und bei Kälte, verdienen unsere Anerkennung und unseren Dank. ({14}) Die Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn müssen auch von der Last der Frage befreit werden: Was wird aus der Bahn? Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, wenn der Mitarbeiter der Bahn am Freitag oder am Samstag abends sein Glas Bier in einem Lokal trinkt und dann gehänselt oder, wenn Sie so wollen, auf den Arm genommen wird: „In was für einem Betrieb bist du eigentlich tätig?" Das motiviert nicht, das macht Arger. Deshalb meine ich, wir müssen dahin kommen, daß der Eisenbahner aus Überzeugung sagen kann: „Ich bin stolz, Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn zu sein." ({15}) Mit unseren Vorstellungen - und ich bitte um Ihre Unterstützung -, mit dem Vorstand und mit den Mitarbeitern bei der Deutschen Bundesbahn wird es uns gelingen - davon bin ich überzeugt -, eine moderne, attraktive Bahn zu schaffen, eine Bahn mit Zukunft! ({16})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Haar.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was von Ihnen, verehrter Herr Verkehrsminister, am Schluß an die Adresse der Eisenbahner versöhnlich formuliert worden ist, hat im Verlauf Ihrer langen Darstellung dessen, um was Sie sich mühen, genauso große Lücken gehabt. Ich finde, es wäre von Ihnen eigentlich ehrlicher gewesen, bei der Thematik Investitionen nicht zum wiederholten Male mit Zukunftsoptimismus hier Milliardenbeträge vorzutragen, ohne zu sagen, wer diese Beträge dann aufbringt. Denn über diese Frage reden wir nicht nur im Ausschuß, sondern auch öffentlich, wer was für die Bahn bringt. ({0}) Sie haben die Aktivität der Bahnbeschäftigten in den letzten Wochen mit dieser jetzt berühmtberüchtigten Bild-Zeitungs-Geschichte „Rosarote Zeiten" sehr positiv dargestellt. Sie haben auch erwähnt, daß wohl die Gewerkschaften nichts dagegen haben. Mit der Bild-Zeitung zu werben ist übrigens eine Geschmacksfrage. ({1}) Hoffentlich sind Sie so objektiv, es genauso positiv zu sehen, wenn sich die Eisenbahner beim Protest gegen den Abbau weiterer Schienenstrecken mit der Bevölkerung solidarisieren, wenn Eisenbahner für ihren Betrieb auf die Straße gehen. ({2}) Im übrigen befasse ich mich nicht lange mit dem unappetitlichen Beitrag des Herrn Hoffie, der leider nicht mehr da ist. Ich will nur feststellen: Nicht nur der Vorstand der Bundesbahn ist da, sondern auch viele Funktionsträger und Personalräte aus der Bundesbahn. Über deren Anwesenheit freuen wir uns. ({3}) Herr Minister, nun haben Sie heute wieder einmal versucht, ein rosarotes Bild von der Lage der Bahn zu zeichnen. ({4}) Wir kennen diese Taktik nun schon seit Monaten. Investitionsplanungen der Bundesbahn, deren Finanzierung völlig offen ist, werden als fest beschlossene Maßnahmen der Bundesregierung dargestellt. Das Ausmaß der vorgesehenen Streckenstillegungen wird verharmlost, und Erfolge der Eisenbahner und des Bahnmanagements werden als ein Verdienst des Bundesverkehrsministers ausgegeben. Wenn es so ist, daß die vom Vorstand erzielten und hier dargestellten Ergebnisse des letzten Jahres bei den sehr, sehr harten Einschnitten - zum Teil gegen die Eisenbahner - auch Ihr Verdienst sind, dann bekennen Sie sich bitte dazu und benutzen Sie nicht nur Blut- und Tränenformulierungen. Auch das können wir nicht ertragen. ({5}) Denn das, was jetzt hier vorgestellt wurde, ist ein Bild der Schönfärberei, das nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hat. Reden Sie einmal mit den Eisenbahnern, ({6}) reden Sie mit den Politikern der vom Rückzug der Bahn betroffenen Regionen, ({7}) reden Sie mit den auf das Verkehrsangebot der Bahn angewiesenen Pendlern. ({8}) - Herr Dr. Jobst, Sie haben genügend geredet. Wir reden wieder im Verkehrsausschuß.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Aber trotzdem, Herr Abgeordneter, muß ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage - Haar ({0}): Sie werden dann erfahren, welche schweren Sorgen um die Zukunft der Bundesbahn Mitarbeiter und Kunden der Bahn bewegen. Diese Sorgen sind im übrigen mehr als berechtigt. Ich möchte nur einige Gründe nennen. Es vollzieht sich eine dramatische Beschleunigung der Streckenstillegungen. ({1}) Bei fast 150 Strecken des Personen- bzw. Güterverkehrs ist das Verfahren eingeleitet oder steht schon kurz vor dem Abschluß. Zum Fahrplanwechsel: Am 3. Juni ({2}) wird das Zugangebot um weitere 250 Züge pro Tag verringert. ({3}) - Wir kommen nachher noch auf Gemeinsamkeiten. Ich sage nur: Behaupten Sie nicht, es stünde in diesem Bereich jetzt nichts zur Diskussion. Sie haben unter anderen Vorzeichen dem Vorstand die Vollmacht zum Handeln gegeben. Ich finde das unredlich und unglaubwürdig, was Sie in der Praxis machen. Darum geht es. ({4}) Herr Verkehrsminister, in Ihre Amtszeit fallen einschneidende verkehrspolitische Entscheidungen gegen die Bahn. Ich brauche nur an den Beschluß zu erinnern, den Rhein-Main-Donau-Kanal fertigzustellen, ({5}) die Erhöhung der Treibstofffreimengen - ({6}) - Ich kenne Ihr Geschrei, Herr Dr. Jobst, Ihr schlechtes Gewissen muß groß sein, sonst würden Sie nicht so viel dazwischenrufen. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter Jobst, Sie haben nicht das Wort. ({0})

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bitte vor allem, diese Unterbrechungen bei meiner Redezeit zu berücksichtigen. ({0}) Die Erhöhung der Treibstofffreimengen im grenzüberschreitenden Straßenverkehr von 50 auf 200 Liter, die Erhöhung der Achslasten für Omnibusse und die freigebige Erhöhung der Zahl der Fahrgenehmigungen im grenzüberschreitenden Lkw-Verkehr sind Dinge, an die ich Sie, Herr Verkehrsminister, einmal erinnern möchte. Ich hoffe, daß Sie die Zahlen in einer Antwort noch offenlegen werden, die auf diese Weise der Bahn als Einnahmen verlorengehen. Das ist keine Politik für, das ist eine Politik gegen Bahn und Eisenbahner. Darum geht es. ({1}) Im Bundeshaushalt 1984 - wir kommen da zu Fakten; ich hoffe, jetzt ruft dann niemand mehr, sondern man denkt darüber nach - sind 389 Millionen DM weniger für die Bundesbahn eingeplant als noch im Haushalt 1983. Schaltet man die Preissteigerungen aus, so sind die Leistungen des Bundes an die Bundesbahn zwischen 1979 und heute um 25% gesunken. Sie haben das im Verkehrsausschuß bestätigt. Ich hoffe, Sie werden das jetzt nicht öffentlich widerrufen wollen. Die Fortsetzung, meine Damen und Herren, des massiven Personalabbaus ist gewollt, sie ist vorprogrammiert. Machen Sie doch der Öffentlichkeit hier nichts vor. ({2}) Alle diese Sorgen der Eisenbahner und ihre Verunsicherung sind durch die am 23. November 1983 beschlossenen Leitlinien zur Bundesbahnpolitik nicht geringer, sondern um vieles größer geworden. Ich will das zusammenfassen: Beschneidung des finanziellen Rahmens der Bundesbahn, Abbau der gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn, Rückzug der Schiene aus der Fläche und ein beschleunigter Personalabbau sind die Kernpunkte dieser sogenannten Leitlinien. Und Sie berufen sich auf eine einmütige Beschlußfassung des Bundeskabinetts. Gut, wir nehmen das zur Kenntnis. Das heißt - ich wiederhole es -, 40 % mehr Arbeitsproduktivität bis 1990, die Gesamtkosten um 25% zu senken und die Personalkosten um 30% zurückzuführen. Was Sie hier an sozialen Positionen noch übriglassen, darauf werden Sie uns die Antwort wohl schuldig bleiben. Herr Bundesverkehrsminister, Sie wissen ganz genau, welch einschneidende Maßnahmen unausweichlich sind, wenn diese Vorgaben erfüllt werden sollen. Der Vorstand der Bundesbahn, der hier zuhört, hat Ihnen diese Zahlen vorgelegt. Sie liegen der Öffentlichkeit und längst auch Ihnen vor. Ich wiederhole sie: Streckenreduzierung im Güterverkehr um rund 3 000 km, im Personenverkehr um rund 7 000 km; Reduzierung der Zahl der Lokomotiven, der Güter- und Reisezugwagen; Reduzierung der Zahl der Ausbesserungswerke; Reduzierung des Leistungsvolumens und Selektion im Bereich Expreßgut; Konzentration und Kooperation im Bereich Stückgut. Das ist kein Aufbau, das ist Zerstükkelung der Deutschen Bundesbahn. Das wollen wir hier festgehalten haben. ({3}) - Ich rede gerade nicht mit Ihnen, bitte. Herr Minister, Ihre Argumentation gegen das Miesmachen und gegen das Nörgeln ist gefährlich. Sie sollten das unterlassen. Wir sollten gemeinsam versuchen, wie das mein Kollege Daubertshäuser gesagt hat, nicht Vergangenheitsbewältigung durch gegenseitige Schuldzuweisungen zu betreiben, sondern darüber zu reden, wie wir schwerste Eingriffe verhindern können. Darum geht es. ({4}) Ihre Feststellung, daß mehr Investitionen notwendig seien, wird von unserer Fraktion unterstützt. Wie sieht es aber in Ihrem Kabinettsbeschluß - und den haben Sie zu vertreten - wirklich aus? Da steht drin: Über die Höhe des Plafonds wird bei der Aufstellung des Haushalts 1985 und der Fortschreibung des Finanzplans entschieden. Ich bin gespannt, ob Sie in einem halben oder einem Jahr immer noch sagen werden: Wir sind uns im Kabinett alle einig. Da wird man sehen, wie das sein wird. ({5}) Die Bundesregierung erwartet von den Eisenbahnern große Opferbereitschaft. Auch heute haben Sie nur gesagt, Entlassungen wolle man nicht ausschließen. Sie selber sind jedoch nicht bereit, zumindest den Silberstreif einer Hoffnung erkennen zu lassen. Ich sage hier noch einmal: Das ist unerträglich für meine Fraktion; das ist auch unerträglich für die Eisenbahner. ({6}) Von der Bahn - das räume ich Ihnen gerne ein -, von ihrem Vorstand und von den Mitarbeitern der Bahn, werden große Anstrengungen unternommen, um die Qualität des Angebots zu erhöhen und den Absatz zu steigern. Es ist jedoch eine Illusion anzunehmen, allein durch Eigenanstrengungen des Unternehmens könnten die Probleme der Bahn gelöst werden. Solange die verkehrs- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen nicht verändert werden, sind alle neuen Angebote nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wissen auch Sie. Zumindest müßten Ihnen das die Fachleute, auch die aus Ihrer Fraktion, inzwischen deutlich gemacht haben. Leichtfertig und irrig ist es, anzunehmen, durch Privatisierung von Teilbereichen des Unternehmens könnten die Finanzprobleme der Bahn gelöst werden. In der Kabinettsvorlage vom 23. November letzten Jahres ist von einer verstärkten Auftragsvergabe an Dritte mit dem Ziel der Umwandlung von fixen in variable Kosten und von Kooperation mit und Kapitalbeteiligung von Dritten an Projekten der Bahn die Rede. ({7}) Ich möchte Sie vor all diesen Bestrebungen sehr eindringlich warnen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die Eisenbahner werden sich einer Politik, die Privatisierung will, die die Rosinen herauspickt, in jedem Fall widersetzen. ({8}) Wir werden nicht zulassen, daß das Unternehmen Deutsche Bundesbahn von innen ausgehöhlt wird. Die sogenannten Pilotmodelle zeigen bereits jetzt, daß die Kostenvorteile der privaten Unternehmen allein durch Lohndrückerei, durch soziale Demontage und das Umwälzen von Kosten auf die Allgemeinheit entstehen. ({9}) - Ich kann Ihnen das beweisen. Sie brauchen gar nicht aufgeregt zu sein. Wir können Ihnen das darstellen. ({10}) - Herr Präsident, ich habe Zeit. ({11}) Typisch hierfür ist der bei all diesen Projekten zu beobachtende starke Einsatz sogenannter Aushilfskräfte nach der 390-DM-Regelung. Hier werden ganz offen die Kosten der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung auf die Allgemeinheit überwälzt, um so billiger als die Bundesbahn zu sein, die reguläre Vollzeitkräfte einsetzt. Ich kann nur sagen: Da erinnere ich auch Sie, Herr Dr. Jobst, an Ihr christliches Gewissen. ({12}) Das ist ein niederschmetternder Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Dagegen sollten Sie sich wehren. ({13}) An dieser Stelle ein Wort zum Busdienst bei der Bundesbahn. ({14}) - Es ist gut, wenn ich ihnen noch ein Weilchen in den Ohren liege. ({15}) Wer zum jetzigen Zeitpunkt, nur weil ihm das positive Geschäftsergebnis des Unternehmensbereichs Busverkehr der Bahn nicht ins Konzept paßt, ({16}) beginnend in der Region Augsburg, versucht, das öffentlich-rechtliche Busmodell auszuhebeln, muß mit dem entscheidenden und nachdrücklichen Widerstand meiner Fraktion und auch der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands rechnen. ({17}) Ich bin daher dem Kollegen Milz für sein klares Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Busmodell unter der Regie der Bahn dankbar, das er vor drei Wochen auf einer zentralen Arbeitstagung politisch aktiver Eisenbahner vorgelegt hat. Herr Bundesverkehrsminister, schaffen Sie die für ein gedeihliches Arbeiten notwendige Ruhe und Zuversicht bei den im Busdienst tätigen Eisenbahnern! ({18}) Geben Sie klare Zusagen! Halten Sie einige Ihrer Fachbeamten, die immer wieder Unruhe stiften, endlich im Zaum! ({19}) Dann ist da in der Atmosphäre einiges zu verbessern. ({20}) Die Bahn erbringt im Nahverkehr und bei der Bedienung der Fläche gemeinwirtschaftliche Leistungen, auf die wir alle genausowenig wie auf Schulen, Polizei und Krankenhäuser verzichten können. Ich hoffe, wir werden uns mindestens auf der Ebene Ihrer Entschließungsanträge aus dem Jahr 1981 und unserer Positionen im Bereich der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen in der weiteren Beratung auch unserer Vorlagen, die eingebracht werden, treffen können. Notwendig für eine Konsolidierung der Lage der Bahn und damit für eine Sicherung ihrer Zukunftschancen ist eine Verkehrs- und Finanzpolitik, die eine Stärkung des umweltfreundlichen Schienenverkehrs wirklich will. Die Bahn braucht die Unterstützung durch eine aktive Investitionspolitik, durch eine Verkehrsordnungspolitik und durch eine Finanzpolitik, die die Benachteiligung der Bahn durch über 30 Jahre Verkehrspolitik gegen die Schiene endlich abbaut. Nur durch eine gesetzlich abgesicherte langfristige Investitionsplanung, wie wir sie bei der Straße und bei den Wasserstraßen seit langem haben, kann der notwendige Ausbau des Schienennetzes auf eine verläßliche Grundlage gestellt werden. Der Bahnvorstand hat Ihnen den hierfür erforderlichen Mittelbedarf von rund zwei Milliarden DM pro Jahr genannt. Lassen Sie uns gemeinsam eine Anstrengung unternehmen, dies durch eine interfraktionelle parlamentarische Initiative sicherzustellen! Oder wollen Sie, daß in den nächsten Monaten weiterhin aus den Hinterzimmern des Bundesfinanzministeriums heraus derartige sachlich begründete Anforderungen einfach vom Tisch gefegt werden? Darum geht es, um nichts anderes! ({21}) Die Bundesbahn ist mit einem Schuldenberg von rund 36 Milliarden DM belastet. ({22}) - Natürlich sind wir da mit schuld. Da brauchen Sie gar nicht „Aha" zu rufen. Das wissen wir doch selber. Das haben wir oft genug gesagt. ({23}) - Ja, Sie wären froh, Sie wären es mal. Sie kommen nicht in die erste Wahl, scheint mir. ({24}) Kein Unternehmen kann eine Zinslast von über 3 Milliarden DM pro Jahr - das sind über 10 % der eigenen Erlöse der Bahn - erwirtschaften. ({25}) Die Arbeitsgruppe unter Herrn Abs warnte in ihrem Abschlußbericht mit Recht - ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz zitieren -: Zögerliches und kompromißhaftes Handeln ist nicht mehr vertretbar, ohne der Deutschen Bundesbahn und damit der deutschen Volkswirtschaft dauerhaften und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen. So Herr Dr. Abs an die Regierung. - Dies wollen wir alle nicht. Also sollten wir die erforderlichen Initiativen ergreifen. Ein Neuanfang für die Nebenstrecken ist ebenso geboten. Statt Tausende von Kilometern des Strekkennetzes der Bahn systematisch durch unterlassene Investitionen verkommen zu lassen, ist in diesem Bereich ein Neuanfang nötig. Mit einem überschaubaren Kostenaufwand können die wichtigsten der in den nächsten zehn Jahren von der Stillegung bedrohten Bahnstrecken modernisiert und die notwendigen Fahrzeuge beschafft werden. Das ist ebenso wichtig wie die Ankündigung, die wir heute vernommen haben, daß es nach dem, was dem Minister vorliegt, jetzt eine zusätzliche Modernisierung der Fernstrecken geben kann. Statt des beschleunigten Rückzugs der Bahn aus der Fläche könnte auf diese Weise für alle wichtigen Regionen der Bundesrepublik eine vernünftige Schienenanbindung auf Dauer gesichert werden. Ihre Politik, wie Sie sie jetzt vorhaben, ist kurzsichtig und allein vom Haushaltsdenken geprägt. ({26}) Wenn wir da Fehler gemacht haben, dann versuchen Sie jetzt, diese Fehler mit uns gemeinsam einigermaßen vernünftig auszumerzen! Darum geht es in der Zukunft. ({27}) Wenn von den verkehrspolitischen Maßnahmen zugunsten der Bahn die Rede war, wurde in der Regel von Ihnen, meine Damen und Herren, als Sie in der Opposition waren, gleich „Dirigismus" geschrien. Durch so etwas wird jede weitere Debatte abgewürgt. Ich frage Sie sehr ernsthaft - ich hoffe, daß Sie nicht schon wieder hochgehen -: Ist es denn kein Dirigismus, wenn wir jahrelang vorwiegend das Straßen- und Wasserstraßennetz ausgeHaar baut, die Bundesbahn aber vernachlässigt haben? Lassen Sie uns gerade in diesem Punkt gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um die den Ausbau der Bahn benachteiligenden Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. ({28}) - Herr Vorsitzender des Verkehrsausschusses, Sie müßten in diesem Parlament wenigstens als Vorbild vorangehen. ({29}) Wir alle wissen, welche Unfallschäden insbesondere vom Schwerlastverkehr ausgehen. Schwere Lasten über lange Strecken gehören auf die Schiene. ({30}) Dies zeigen alle Untersuchungen, die sich nicht nur auf die betriebswirtschaftlichen, sondern auch auf die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Straßen-und des Schienenverkehrs beziehen. Suchen wir gemeinsam nach Wegen, wie sowohl im Binnenverkehr als auch im grenzüberschreitenden Verkehr bei Transporten über große Entfernungen der kombinierte Verkehr Straße/Schiene zur Regel und nicht zur Ausnahme wird! Schauen wir uns z. B. den Transitverkehr auf der Straße an: Er hatte im Jahre 1982 ein Gesamtvolumen von rund 10 Millionen t. Hiervon wurden fast 5 Millionen t allein auf dem deutschen Straßennetz über Entfernungen von mehr als 700 km transportiert. Dies widerspricht aller verkehrs- und umweltpolitischen Logik. Hier ist die rollende Landstraße oder der Transport von Sattelaufliegern und Wechselkästen auf der Bahn unbestritten die bessere Alternative. ({31}) Im grenzüberschreitenden Verkehr werden wir alle Ihre Bemühungen, Herr Minister, unterstützen. Wir wünschen Ihnen auch in diesem Bereich zugunsten der Bahn und der Eisenbahner viel Erfolg. Wir denken: Der Dirigismus gegen die Bahn muß abgebaut werden. Setzen wir die Bahn endlich auch überall dort ein, wo das gesamtwirtschaftlich unbestreitbar von Vorteil ist! Wir können nicht daran vorbeigehen, daß der Straßenverkehr durch Unfälle, Luftverschmutzung, Lärm und Landschaftsverbrauch gesamtwirtschaftliche Kosten von rund 50 Milliarden DM pro Jahr verursacht.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haar, Sie haben sich eben so negativ über die Straße geäußert. Mich würde interessieren: Fahren Sie einen Dienstwagen? Welche Marke? Und nutzen Sie den Dienstwagen nur bei kurzen Strecken, oder fahren Sie auch über lange Strecken auf der Straße? Oder fahren Sie mit der Bahn?

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, erstens hat jeder in meiner Funktion einen Dienstwagen. Ich benutze den Zug, und ich benutze auch den Dienstwagen. Zweitens sind alle anderen Dinge, die Sie gefragt haben, Formen der Frage unter der Gürtellinie. Ich weise das zurück. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Blunck?

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, bitte keine weiteren Fragen! Ich habe die Kosten des Straßenverkehrs, die auch von Ihnen im Grunde gebilligt werden - die können Sie ja nicht bestreiten -, erwähnt. Diese Kosten tragen wir alle durch überhöhte Steuern, Krankenkassen- und Rentenbeiträge sowie durch gesundheitliche Beeinträchtigungen. All das können und dürfen wir nicht verdrängen. Wir brauchen ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept, in dem die Deutsche Bundesbahn als das große öffentliche Unternehmen der Verkehrswirtschaft den Stellenwert erhält, der ihr auf Grund ihrer spezifischen Vorteile und ihrer unverzichtbaren gemeinwirtschaftlichen Aufgaben zukommt. Wir brauchen ein in die Zukunft gerichtetes Bundesbahnkonzept, das auf der hohen Leistungsfähigkeit der Bahn aufbaut. Legen wir die Grundlagen für eine gesicherte Verkehrsbedienung aller Regionen unseres Landes, für eine wettbewerbsfähige Bundesbahn und für gesicherte Arbeitsplätze der Eisenbahner! Die SPD-Fraktion wird in Gesetzentwürfen Initiativen auf diesem Gebiet entwickeln, ({0}) und ich hoffe - das ist mein Appell an Sie alle -, daß wir gemeinsam nach Wegen suchen, die aus der Sackgasse, in die die Bahn durch unser aller Versäumnisse hineingeraten ist, herausführen. ({1}) Bringen wir die nötige Entschlußkraft auf, die erforderlichen Veränderungen der Rahmenbedingungen einzuleiten! Fangen wir an damit, hören wir auf, zu reden, zu reden ({2}) und Schattenboxen über die Vergangenheit zu veranstalten!

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. ({0})

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz: Meine Damen und Herren, die Eisenbahner - dessen können Sie sicher sein - werden alles in ihren Kräften Stehende unternehmen, um einem Bahnkonzept, das in die Zukunft weist, ({0}) zum Erfolg zu verhelfen. Vielen Dank. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir. ({0})

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben eine wunderliche Rede gehört. Herr Staatssekretär a. D. Haar, Sie haben mit der Bahn in den letzten 20 Jahren offenbar nichts zu tun gehabt. ({0}) Sie haben sie heute entdeckt, und ich glaube auch zu wissen, warum Sie so laut gesprochen haben: ({1}) Es war ein bißchen Training für den Mai. Aber nur mit Lautstärke werden Sie auch Ihre eigenen Gewerkschafter nicht davon überzeugen, daß Sie der richtige Vorsitzende sind. ({2}) Meine Damen und Herren, der Sinn dieser Debatte kann doch nur darin liegen, daß wir von der Politik in einem offenen Dialog sagen, wie wir nach unseren Vorstellungen der Deutschen Bundesbahn in ihrer bedrängten Lage helfen können. ({3}) Dazu ist es notwendig, ({4}) daß man ein klares Bild von der Ausgangslage zeichnet. - Wenn Sie durch den Herrn Haar hörgeschädigt sind und meine leise Tonart nicht vertragen können, setzen Sie sich ein Stückchen weiter nach hinten, meine Herren! ({5}) Man muß also ein klares Bild von der Ausgangslage zeichnen. Wir müssen darlegen, was unsere Erwartungen an die Deutsche Bundesbahn in bezug auf ihre Innovationsfähigkeit sind, ({6}) und wir werden hier auch formulieren und beweisen müssen, was unser Beitrag, der Beitrag der Politik, sein kann, ({7}) etwas für die Zukunft der Bahn zu leisten. Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, werden doch wohl hoffentlich nicht ganz vergessen wollen, daß Sie mehr als zwölf Jahre die Verantwortung für die deutsche Verkehrspolitik ({8}) und damit auch für die Deutsche Bundesbahn getragen haben. ({9}) Sie haben sechs vergebliche Sanierungskonzepte in die bahnpolitische Geographie gestellt. Sie haben einen Zickzackkurs gefahren, dessen Ergebnis in der Tat furchterregend ist. Sie haben doch die notwendigen Strukturmaßnahmen, die Anpassungen eher blockiert als forciert. Das wäre doch die Voraussetzung gewesen, damit die Bundesbahn zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen mit hoher Flexibilität hätte werden können. ({10}) Der Markt, Herr Kollege Daubertshäuser, ist die Vorgabe für die Deutsche Bundesbahn, die Bundesbahn ist nicht die Vorgabe für den Markt. ({11}) Dies sollten Sie sich merken. Das sollten Sie wirklich auch einmal bei Ihren Entschließungsanträgen berücksichtigen. Warum haben Sie denn diesen Wunschzettel - ({12}) - Herr Daubertshäuser, Chancengleichheit. Ich lasse auch keine Zwischenfrage zu, wenn Sie es nicht getan haben.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich muß Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Es liegt in Ihrem Ermessen, dies zu tun oder nicht. ({0})

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Präsident. Ich frage Sie, Herr Kollege Daubertshäuser: Warum haben Sie denn den Wunschzettel Ihres Entschließungsantrags nicht ein paar Tage vorher oder ein paar Jahre vorher eingebracht? Ich weiß, warum Sie das nicht getan haben: weil Ihnen selbst Ihre eigene Regierung gesagt hätte, daß das etwas ist, das man sich noch nicht einmal zu Weihnachten wünschen kann. Selbst Ihre eigene Regierung hätte gesagt, daß es irreal und undurchführbar ist, was Sie dort als Forderungen haben. ({0}) Jetzt frage ich Sie - ich bin ja doch der Meinung, daß Sie sonst ein ganz fairer Kollege sind -: Warum haben Sie den Entschließungsantrag denn erst heute morgen vorgelegt? Weil Sie wahrscheinStraßmeir lich selber nicht sicher sind, ob Sie mit diesem Antrag reussieren können. ({1}) - Dieser Entschließungsantrag ist neu. Begründen Sie das nachher durch Ihre Kollegen! ({2}) Sie haben jedenfalls vollkommen verschlafen, was es an veränderten Wirtschaftsstrukturen gegeben hat. Sie haben während Ihrer Regierungszeit vollkommen verschlafen, daß mit den anderen Verkehrsträgern bedrohliche Konkurrenzen erwachsen sind. Sie haben jährliche Verluste in Milliardenhöhe bei der Bundesbahn hinnehmen müssen. Sie haben die Verschuldung in eine Rekordhöhe getrieben. Sie haben den Bundeszuschuß auf 13,3 Milliarden DM anschwellen lassen. Das ist die Hälfte des gesamten Verkehrshaushalts. Das sind 6 % des Bundeshaushalts insgesamt. Heute ist dank Ihrer Politik der Schuldenhaushalt größer als der Verkehrshaushalt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({3}) - Das ist nicht dummes Zeug, das ist die blanke Wahrheit. Das bedeutet ein hohes Haushaltsrisiko. Das bedeutet das Ende der operativen Gestaltung in der Verkehrspolitik. Das ist eine unverdiente Behandlung der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn. Sie mit Ihrer Politik haben es erreicht, daß die Bundesbahner heute zum Sündenbock gestempelt werden, obwohl sie gar nichts dafür können. ({4}) Da sollten Sie endlich Reue zeigen und mitarbeiten und nicht dumme Konzepte in die Gegend stellen. ({5}) Kahlschlagsanierung war ein Wort vom Kollegen Hauff, nicht von uns. ({6}) Deswegen war es die Aufgabe der Bundesregierung, diesen tödlichen Kreislauf von permanent nachlassender Nachfrage, von steigenden Verlusten, bedrohlicher Verschuldung, ständig wachsenden Bundeszuweisungen zu durchbrechen. Das Zusammenwirken von Politik und Deutscher Bundesbahn - Vorstand wie Mitarbeiter -, meine Damen und Herren, das war das Gebot der Stunde. Unser Bundesverkehrsminister Dr. Dollinger hat hierzu ein klares Konzept vorgelegt. Dafür sind wir ihm Dank schuldig. Herr Kollege Daubertshäuser, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten die Bahn alleine gelassen. Ich glaube nicht, daß das richtig ist. ({7}) Das neue Konzept mit der klaren Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Bundesbahnvorstand und Eigentümer Bund ist etwas ganz Positives. ({8}) Es ist deswegen etwas Positives, weil zu Ihren Zeiten Frankfurt doch oftmals nichts anderes war als der verlängerte Arm von Bonn. Ich hoffe, daß das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Frankfurt und Bonn nun endlich aufgehört hat. ({9}) Sie wissen genau, wovon die Rede ist. Ich meine, daß in diesem neuen Rahmen der Trennung der Verantwortlichkeiten der Vorstand der Deutschen Bundesbahn sein unternehmensbezogenes Konzept vorlegen konnte. ({10}) Dieses Konzept wird von den Koalitionsfraktionen unterstützt. Danach sollen bis zum Jahre 1990 die Arbeitsproduktivität um 40 % gesteigert und die Gesamtkosten um 25% gesenkt werden. ({11}) - „Menschenschinderei" sagen Sie. Ich hoffe, daß das zu Protokoll genommen wird. Dies ist eine Politik im Interesse der Deutschen Bundesbahn und der bei ihr arbeitenden Menschen. Dies sollten Sie einsehen. ({12}) Die jüngst bekanntgewordenen Zahlen zum Jahresergebnis 1983 der Deutschen Bundesbahn zeigen, daß sich die Deutsche Bundesbahn bereits auf dieses neue Konzept eingestellt hat. Die Reduzierung des Jahresverlustes um rund 400 Millionen DM und die nicht anwachsende Verschuldungshöhe sind nicht nur ein Erfolg der Deutschen Bundesbahn, sondern das ist auch der Beginn der Konsolidierung. ({13}) Nun erleben wir, meine Damen und Herren, seit Verabschiedung dieses Konzepts der Bundesregierung, daß Sie von der SPD und natürlich auch die GRÜNEN landauf, landab ziehen und alles schlechtmachen. Ihr Entschließungsantrag heute und die Rede des Kollegen Haar haben das wiederum bestätigt. Glauben Sie wirklich, wenn Sie das Konzept miesmachen und falsche Behauptungen aufstellen, daß das für das Unternehmen hilfreich ist? Wenn Sie die Eisenbahner verunsichern, die Kunden verunsichern, dann schmeißen Sie der Sanierung Knüppel zwischen die Beine, statt das zu befördern, und dazu haben Sie keinen Anlaß. ({14}) Sie reden von Schrumpfungskurs und von Kahlschlag, Sie reden von Streckenstillegungen. ({15}) und Entlassungen. Bei den Kollegen Haar und Hauff hieß es „Streckenverlagerungen". Jetzt sind es Streckenstillegungen. Seien Sie anständig im Begriffsvokabular, seien Sie intellektuell redlich! Dann kommen wir hier weiter. ({16}) Natürlich muß sich die Deutsche Bundesbahn an den strukturellen Wandel anpassen, ({17}) wir alle, hoffentlich Sie auch; ich denke, Sie haben etwas von Innovationsfähigkeit in sich. Aber niemand kann der Deutschen Bundesbahn zumuten, daß Sie Strecken aufrechterhält, auf denen niemand mehr fährt. Das Konzept - Herr Kollege Haar, das wissen Sie ganz genau - beinhaltet auch keine Streckenstillegungspläne à la SPD, mit denen Sie heute noch hausieren gehen und so tun, als seien es unsere Vorstellungen von Bahnpolitik. ({18}) Ich finde es ziemlich frivol, was Sie da anstellen. ({19}) Die Bundesbahn ist auch nicht zu tadeln, wenn sie die Beförderung von der Schiene auf den Bus verlagert, wenn damit schwarze Zahlen erreicht werden und wenn der Bürger besser versorgt wird. ({20}) Wir werden uns auch nicht aus dem öffentlichen Personennahverkehr zurückziehen. Herr Kollege Haar, was Sie hier gesagt haben, ist widersinnig. Wir wollen nur nicht den zentralistischen Unsinn, sondern wir wollen den Maßanzug für jede Region. Lassen Sie doch bitte auch den Unsinn beiseite, den Eisenbahnern mit Privatisierung zu drohen! Wir werden - um Ihren Begriff aufzugreifen - nicht die Rosinen der Deutschen Bundesbahn privatisieren. Die Zuführung von privatem Kapital ist etwas anderes, worüber sich auch die Deutsche Bundesbahn und ihre Mitarbeiter freuen sollten. Der Bund hat kein Geld, die Bahn hat kein Geld, aber es ist noch bei der Wirtschaft im Lande Geld vorhanden. Der Kunde, der sich als Anleger bei der Bahn engagiert, wird mit dafür Sorge tragen, daß das Unternehmen floriert. Dann hat die Deutsche Bundesbahn Kapital für ihre notwendigen Investitionen frei. ({21}) Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den „Entlassungen" sagen, Herr Kollege Haar. Das Wort „Entlassungen" kommt in Ihrem und in unserem Konzept nicht vor. ({22}) Sie haben in acht Jahren 100 000 Angehörige der Bahn „freigestellt", wie Sie sagen. Nun gehen Sie damit hausieren, indem Sie sagen, die Union wollte entlassen. Nein, wir wollen das mit dem natürlichen Abgang und mit einer Zurückhaltung bei den Neueinstellungen bewerkstelligen. Nun sage ich Ihnen - das ist vielleicht von Interesse - auch noch etwas über die Ausbildungsplätze. Meine Damen und Herren, natürlich muß auch die öffentliche Hand ausbilden und dem Mangel an Arbeit für unsere jungen Mitbürger abhelfen. Aber wir sagen auch: Soweit es eisenbahnbezogen ist, wird die Bundesbahn hoffentlich diejenigen Arbeitskräfte ausbilden, die sie benötigt. Hinsichtlich des technischen, handwerklichen und kaufmännischen Bereichs, also derjenigen, die auch anderwärts ein Unterkommen finden können, erwarten wir, daß über den Bedarf hinaus ausgebildet wird. Dafür muß die Bundesregierung - sie ist bereit dazu - auch die entsprechenden Mittel einstellen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Investitionen machen. Nun darf ich wirklich sagen, Herr Kollege Daubertshäuser: Sie sollten Ihr Fachwissen doch nicht so unter den Scheffel stellen. Der Bundesminister hat Ihnen klar dargelegt, daß bis zum Jahre 1990 40 Milliarden DM an Investitionen zufließen werden und daß das demnächst auch in der mittelfristigen Finanzplanung sowie im Bundeshaushalt 1985 zusammengestellt wird. Warum reden Sie jetzt schon negativ über den Haushalt 1985? ({23}) - Das ist doch nicht wahr. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß bereits heute bei den Investitionen der Deutschen Bundesbahn von 5 Milliarden DM 3 Milliarden DM bezuschußt werden, daß der Bund die Versorgungslasten in Höhe von 3 Milliarden DM bezuschußt und daß es Zinszuschüsse in Höhe von 1 Milliarde DM gibt. Das ist doch nicht etwa Im-Stich-Lassen, sondern die Erfüllung unserer Pflicht gegenüber der Deutschen Bundesbahn. ({24}) Wir haben auch bei den Neubaustrecken den gordischen Knoten durchschlagen. Wir werden sie bauen, und sie werden wahrscheinlich sogar frühzeitiger in Betrieb gehen, als Sie sich das je erhoffen konnten. Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Berner-kung machen. Bis 1990 - ich sagte es schon - wird die Deutsche Bundesbahn insgesamt 40 Milliarden DM investieren. Wenn Sie da von Kahlschlag reden, geben Sie sich wirklich der Unglaubwürdigkeit preis. Das liegt auch nicht in unserem gemeinsaStraßmeir men Interesse, wenn Sie der Bahn wirklich helfen wollen. ({25}) Grundzüge der CDU/CSU-Eisenbahnpolitik auf Grund dieses Konzeptes sind klar erkennbar: erstens Trennung der Verantwortlichkeiten; zweitens klarer gemeinwirtschaftlicher Auftrag; drittens Bekenntnis zum ÖPNV; viertens Reduzierung der Verschuldung; fünftens 40 Milliarden DM bis 1990; sechstens Beteiligung privaten Kapitals zur Entlastung der DB-Finanzen; siebtens Einführung des Verursacherprinzips; achtens Entscheidung über die Neubaustrecken; neuntens Abbau von Wettbewerbsverzerrungen; zehntens Erleichterungen und Verbesserungen im grenzüberschreitenden Verkehr. Das ist nicht alles, aber schon sehr viel mehr, als Sie in den letzten zehn Jahren zusammengebracht haben. ({26}) Das ist auch der Weg, um den Auftrag aus der Regierungserklärung zu erfüllen: daß die Bahn unverzichtbar ist, daß sie aber bezahlbar sein muß. Sie, die zehn Jahre lang und länger gesündigt haben, sollten nun nicht große Töne spucken, sondern durch praktische Mitarbeit eine Hilfe leisten, damit die Deutsche Bundesbahn aus ihrer schlechten Situation herauskommt. Herzlichen Dank. ({27})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Minister Dr. Jochimsen ({0}): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte über das Schicksal der Deutschen Bundesbahn rührt an zentrale Interessen der Länder. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt notwendiger Verkehrswege und dieses leistungsfähigen Transportsystems, es geht um entscheidende infrastrukturelle Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und für die Lebensqualität unserer Gesellschaft. Es geht um den Anschluß ländlicher Regionen, um die Verbesserung der Lebensverhältnisse und um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger in den Städten und auf dem Land. Das gilt für die gesamte Verkehrsinfrastruktur, wie das auch für die neu zu schaffende und zu verbessernde Kommunikationsinfrastruktur gilt. Deshalb möchte ich für unser Land - ich bin sicher, dabei nicht allein die Interessen Nordrhein-Westfalens zu vertreten - zu drei wesentlichen Punkten des sogenannten Sanierungskonzepts der Bundesregierung Stellung nehmen, nämlich erstens zur Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern, zweitens zu den wirtschaftlichen und raumstrukturellen Auswirkungen auch auf die Arbeitsmärkte regionaler Ausprägung sowie drittens zu den Grenzen einer betriebswirtschaftlichen Sanierung der Bundesbahn. Zunächst begrüße ich, daß die Leitlinien vorliegen. Dieses Konzept ist aber leider völlig unvollständig. Es stehen dringende Entscheidungen aus - wir haben hier heute morgen schon davon gehört -, z. B. die über die Bahnverschuldung, über die Finanzierung von Ausbauplänen für den Schienenfern- und -nahverkehr, über die Einführung der Trennungsrechnung. Diese Entscheidungen müssen rasch nachgeholt werden. ({1}) Meine Damen und Herren, der größte Fehler, der Bruch in den Leitlinien ist zwischen den beiden Teilen dort, wo einerseits in den sogenannten Perspektiven die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Schienenverkehrs nachdrücklich hervorgehoben werden, auf der anderen Seite aber in dem Teil ,,Zielsetzungen und Anpassungsmaßnahmen" die Finanzierbarkeit auf Grund des gegenwärtigen Volumens und der gegenwärtigen Struktur der Verkehrshaushalte allein entscheidendes Kriterium ist. Das ist eine Spaltung, die in den Leitlinien selber angelegt ist ({2}) und zu denen ich hier noch immer keine wirklich klarlegenden Ausführungen gehört habe. Da ist weiter, meine Damen und Herren, die Frage nach dem gesamten Verkehrs- und Infrastrukturkonzept dieser Bundesregierung. Die Konsolidierungsleitlinien sollen der bahnspezifische Teil eines Gesamtkonzepts sein; so steht es dort. Bisher ist dieses Gesamtkonzept nur angekündigt. Wann kommt es? Ich befürchte: Je länger es auf sich warten läßt, desto größer wird die Gefahr, daß beim Verkehrsträger Bahn vollendete Tatsachen geschaffen werden ({3}) und damit der Weg zu einem ausgewogenen Gesamtkonzept für alle Verkehrsteilnehmer verbaut wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht doch dabei um die entscheidende Frage, wann mit der Benachteiligung der Schiene gegenüber der Straße endlich Schluß gemacht wird. Das Stichwort vom fairen Wettbewerb, Herr Kollege Jobst, dem Sie hier das Wort reden, bleibt doch hohl, wenn es nicht ausgefüllt wird, ({4}) und das kann nur in einem Gesamtverkehrskonzept ausgefüllt werden. Ich mahne ebenfalls an, ein solches Verkehrskonzept nicht nur für den Personen-, sondern auch für den Güterverkehr vorzulegen und die fehlenden politischen Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung zu der Rolle der Bahn innerhalb dieses Gesamtkonzepts alsbald nachzuholen. Minister Dr. Jochimsen ({5}) Meine Damen und Herren, bei allem Lob für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, dem ich mich durchaus anschließen kann, kann ich dem Grunde nach nicht gutheißen, daß der Vorstand der Bundesbahn neuerdings betont, die Bahn solle dort tätig sein, wo sie stark ist, sie solle dort verschwinden, wo sie schwach ist. Diese Auffassung ist nicht nur verfassungs-, sie ist auch verkehrspolitisch verfehlt. ({6}) Sie ist darüber hinaus - ohne ein Gesamtkonzept der Verkehrspolitik und ohne ein vollständiges Bundesbahnkonzept - für die Bundesbahn selbst existenzgefährdend. ({7}) Das Wort von der Selbstverstümmelung, das der Kollege Haar gesprochen hat, möchte ich hier ausdrücklich aufgreifen. Meine Damen und Herren, der Bund ist Eigentümer. Er hat die erforderlichen Maßnahmen und Tätigkeiten der Bahn zu veranlassen und zu finanzieren; so steht es im Grundgesetz. Ich bin dem Bundesminister für Verkehr für die Festlegungen, die er hier ausgesprochen hat, sehr dankbar. Ich hoffe, daß das auch der Realität entspricht. Grundlage dafür sind die Art. 87 und 104a des Grundgesetzes. Nur, in den Leitlinien steht das so deutlich nicht drin; in den Formulierungen darüber, was von den Ländern und Gemeinden erwartet wird, ebenfalls nicht. Aber hier ist die Bundesregierung vielleicht auf einem Lernwege, so wie wir das beim Bundesausbildungsförderungsgesetz auch festgestellt haben. Dort hat der Bundeskanzler zunächst den Rückzug des Bundes aus der Verantwortung für die Schülerförderung verkündet. Nun aber sagt er selber, daß der Kahlschlag wohl falsch gewesen sei und korrigiert werden müsse.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie? Minister Dr. Jochimsen ({0}): Nein. Ich bin mit der Zeit sehr knapp und bitte Sie, mir die Uhr hier einzustellen - ich weiß nicht, wie das geht ({1}) - nein, nein -, damit ich weiß, mit welcher Zeit ich zu rechnen habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder können deshalb auch den durch die Leitlinien vorgezeichneten weitgehenden Rückzug der Bahn aus der Fläche nicht unbesehen hinnehmen. Vor allem im Güterverkehr bedeutet dies erhebliche Wettbewerbsnachteile für die Wirtschaft an ganz bestimmten Standorten. Für die Landesregierung ist dabei der Umfang des jetzigen Netzes kein Tabu, wie ihre zustimmenden Stellungnahmen zu Netzmaßnahmen der Bahn zeigen. Aber im Hinblick auf den verkehrspolitischen Wert des Schienenverkehrs und die Bedeutung des Schienenanschlusses für die Standortqualität eines Ortes muß das Streckennetz der Bundesbahn in der Fläche, soweit dies verkehrs- und strukturpolitisch begründet und vom erreichbaren Verkehrsaufkommen her vertretbar ist, erhalten bleiben. Für welche Strekken dies zutrifft, darüber vor allem muß bald Klarheit geschaffen werden. Es muß natürlich, wenn es Streckenverlagerungen gibt, ein attraktives Alternativangebot geben, und dazu müssen - dazu ist das Land Nordrhein-Westfalen bereit - möglichst zügig die erforderlichen gemeinsamen Absprachen getroffen werden. Nordrhein-Westfalen muß sich aber mit Nachdruck gegen die Überbetonung der Rolle der Bundesbahn als Wirtschaftsunternehmen wehren. Die Bundesbahn ist keine VEBA, sie ist nicht ein Wirtschaftsunternehmen des Bundes, sondern die Bundesbahn ist Teil der vom Bund zur Verwaltung übertragenen Verkehrsinfrastruktur. Sie ist wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, aber nicht als Wirtschaftsunternehmen. ({2}) Der Bund muß den gesamtwirtschaftlichen und den gesamtstaatlichen öffentlichen Interessen dabei optimal dienen, und diese müssen Vorrang vor den betriebswirtschaftlichen Interessen haben. Das hat ja der Herr Ministerpräsident Strauß in seinem Brief sehr deutlich ausgesprochen. Denn was im Verkehrshaushalt gespart wird, das muß die öffentliche Hand vielfach über andere Etats mit höheren Aufwendungen wieder ausgleichen, wenn angerichtete Schäden repariert werden sollen. ({3}) Ich werte es daher als einen großen Mangel, daß die Leitlinien die Bedeutung der Bundesbahn für die Struktur- und die Regionalpolitik vernachlässigen, daß sie gesamtwirtschaftliche Aspekte wie Umweltfreundlichkeit, Energiesparsamkeit und höchste Sicherheit der Bahn unberücksichtigt lassen. Aber diese Bundesregierung verzichtet j a auch allgemein darauf, den sich heute abzeichnenden Aufwärtstrend mit konjunkturellen, strukturellen und beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu unterstützen. Ich habe dies hier schon als industriepolitische und beschäftigungspolitische Verweigerung des Bundes charakterisiert. Dieser Vorwurf wird leider geradezu klassisch untermauert durch das bisherige Verhalten des Bundes anläßlich der Sanierung der Bundesbahn. Es werden Strecken stillgelegt, ohne den Versuch zu unternehmen, sie durch Modernisierungsinvestitionen wieder rentabler zu gestalten. ({4}) Man ist überhaupt nicht bereit, sich beim öffentlichen Personennahverkehr zu engagieren. Ich habe das Wort von Herrn Straßmeir mit Vergnügen gehört, aber ich möchte die Taten dazu sehen. ({5}) Man will die großen, rentablen Schnellstrecken, ohne sich Gedanken zu machen, welche strukturellen, wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Folgen dieser Dialog des Bundes für die Regionen hat. Minister Dr. Jochimsen ({6}) Mich erfüllen die Vorgaben zum öffentlichen Personennahverkehr mit großer Sorge. Denn ich wage eine Vorhersage: Die augenblickliche Haltung des Bundes kann zwar den Abschluß von Verträgen über notwendige S-Bahnen verzögern - das steht in Köln/Bonn beispielsweise an -, wird ihn jedoch auf Dauer nicht verhindern können. Spätestens bei dem nächsten Ölpreisschock oder vielleicht sogar schon bei der nächsten Ölverknappung - und niemand wünscht dies herbei - wird man auch hier in Bonn erkennen, daß notwendige InfrastrukturInvestitionen nicht aus kurzfristigen fiskalischen Gründen unterbleiben dürfen. ({7}) Aber dann wird natürlich ein nicht wiedergutzumachender volkswirtschaftlicher Schaden bereits eingetreten sein. Genauso besorgt bin ich über die unverständliche Haltung des Bundes zum Schienenpersonennahverkehr in der Fläche. Hier hat in den Leitlinien zum Bundesbahnkonzept nicht nur jede gesamt- und strukturpolitische Betrachtungsweise aufgehört, hier fehlt leider auch das unternehmerische Denken. Schienenpersonennahverkehr als gemeinwirtschaftliche Aufgabe ist für den Bund leider eine derart große Last, daß man sie einfach aufgibt. Das Land muß sich dagegen wehren, daß im Rahmen eines solchen Konzepts der Schienenpersonennahverkehr auf rund ein Drittel' des gesamten Schienennetzes des Landes eingestellt werden soll. Das Land kann deshalb nicht hinnehmen, daß, wie es in der Praxis der Fall ist, fast ausschließlich das Verkehrsaufkommen einer Strecke als Maßstab für die Erhaltungswürdigkeit angesehen wird. Auch die strukturpolitischen, die gesamtwirtschaftlichen, die raumordnerischen und regionalen Notwendigkeiten und Vorgaben des Bundes und der Länder müssen angemessen Berücksichtigung finden. Ich bin daher der Auffassung - und ich greife das Wort auf, das der Bundesminister für Verkehr gesprochen hat, daß eine Kahlschlagsanierung nicht beabsichtigt ist -: Die Bundesbahn ist instand zu setzen. Gerade wenn Sie die Trennung wollen, wie Herr Straßmeir gesagt hat, zwischen dem, was der Bund tut, und dem, was die Bundesbahn als Unternehmen macht, kann die Bundesbahn nicht anders reagieren, als in einer Notwehrreaktion eine Kahlschlagsanierung durchzuführen. Das ist das eigentliche Drama. Wenn Sie die Vorgaben der Bundesbahn so setzen, wie sie bisher in den Leitlinien stehen, dann kann doch der Bundesbahnvorstand gar nicht anders, als solche Rechnungen vorzulegen. ({8}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß hierbei auf eine ganz grundsätzliche Frage zu sprechen kommen. Die keineswegs vorteilhafte vordergründige Situation des öffentlichen Personennahverkehrs sollte uns nicht vergessen lassen, ({9}) daß zu dieser Entwicklung in hohem Maße unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen, Herr Kollege Lemmrich, für den individuellen und den öffentlichen Verkehr beitragen. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Pkw-Verkehrs schlagen sich in den einzelwirtschaftlichen Rechnungen nur sehr unvollkommen nieder. Wenn wir die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Individualverkehrs vollständig erfassen könnten und sie dann den Haltern und Betreibern auch tatsächlich zurechneten, würde gewiß ein großer Teil des Individualverkehrs, vor allem in den Zentren, nicht auftreten. Es entspräche durchaus den Grundsätzen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, nach dem Verursacherprinzip - auch Sie haben sich dazu bekannt - diese Kosten dem Pkw-Verkehr anzulasten. Wenn wir diesen Weg zu einem gesamtwirtschaftlichen Optimum auf Grund unvollständiger Erfassungsmöglichkeiten und organisatorischer Schwierigkeiten nicht gehen, aber auch keine gezielten Verkehrsverbote für größere Bereiche verhängen wollen, dann müssen wir, um eine zweitbeste Lösung zu erreichen - ich sage ausdrücklich: zweitbeste Lösung -, zumindest den öffentlichen Personennahverkehr in Leistung und Preis attraktiv gestalten und den Individualverkehr in bestimmten Bereichen, in denen die Konkurrenzierung zu gesamtwirtschaftlich besonders nachteiligen Ergebnissen führt, nicht noch begünstigen. Der öffentliche Personennahverkehr erfüllt hier nicht nur die Funktion der Daseinsvorsorge im bewährten Sinne des Wortes, er trägt in bestimmten Bereichen auch wesentlich dazu bei, daß ein Verkehrnetz verfügbar bleibt, das die Ressourcen schont und die Importabhängigkeit begrenzt, das der Unwirtlichkeit unserer Städte abhelfen kann, damit urbane, ländliche Lebensqualität steigt, eine lebenswerte Umwelt erhalten bleibt oder wieder hergestellt wird. Meine Damen und Herren, hier kann ich nicht begreifen, daß die Bundesregierung nicht die konkret anstehenden Entscheidungen, die für mein Land von großer Bedeutung sind, fällt, nämlich das Zustandekommen des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg endlich ermöglicht, ({10}) sondern damit droht, daß hier nicht beigetreten wird, daß auf der einen Seite der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr wegen seines angeblich sehr niedrigen Kostendeckungsgrades systematisch miesgemacht wird und daß auf der anderen Seite der weitere Ausbau der S-Bahn Köln nicht zustande kommt. ({11}) Das ist für mich im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche, die arbeitsmarktpolitische, die strukturpolitische Rolle, die Bonn mit seiner Hauptstadt4500 Minister Dr. Jochimsen ({12}) funktion in diesem Köln-Bonner Raum spielen sollte, völlig unverständlich. Ich fordere die Bundesregierung auf, hier endlich die Entscheidungen zu f äl-len. ({13})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es würde den Zeitrahmen sprengen, Herr Kollege, hier auf alle Ihre Ausführungen einzugehen; das können wir woanders gern tun. Aber eine Formulierung kann nicht so stehenbleiben. Sie haben von der industriellen Verweigerung des Bundes gesprochen. Ich glaube, das Land Nordrhein-Westfalen wurde im Bereich Kohle und Stahl in einem Ausmaß unterstützt, mit dem Sie zufrieden sein können. Das sollten wir nicht einfach so beiseiteschieben. Im übrigen wäre ich Ihnen im Hinblick auf den Verkehrsverbund sehr dankbar, wenn man gerade bei den vorhandenen Defiziten - Sie kennen den Kostendeckungsgrad - zu rascheren Abrechnungen kommen würde. Wir haben heute immer nur Soll-Zahlen und keine Ist-Zahlen zurück bis 1981. Das wäre im Interesse einer finanziellen Klarheit notwendig. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist seit einiger Zeit ja schick geworden, über die Deutsche Bundesbahn herzuziehen. Deshalb, denke ich, ist es in dieser Debatte so wichtig, einmal die Proportionen zurechtzurücken und ein rechtes Maß für die Beurteilung der zweifellos vorhandenen Probleme zu finden. Wenn wir hier über die Bahn reden, dann gilt es zunächst einmal, Dank zu sagen: Dank an die Eisenbahner für ihre Aufbauleistung nach dem Krieg, Dank auch für den Einsatz, der täglich neu von jedem gefordert wird; Dank gebührt auch den Arbeitnehmerorganisationen, die sich in der Regel mit Augenmaß der Interessen der Mitarbeiter annehmen - Herr Haar hat vorhin diese Regel ja als Ausnahme bestätigt -, und Dank, meine Damen und Herren, gebührt auch dem Vorstand. Dieser Dank ist keine leere Höflichkeitsfloskel, denn uns liegt ja das Ergebnis 1983 vor. Der Jahresverlust wurde danach im Vergleich zum Vorjahr bei unveränderter Gesamtverschuldung um rund 400 Millionen DM reduziert. Dies ist ein unternehmerischer Erfolg. Es bestätigt aber auch den Ansatz der von der Bundesregierung verabschiedeten Bahnleitlinien. Diese schaffen die Voraussetzungen, daß sich das Unternehmen Deutsche Bundesbahn bewähren kann. Sie verschaffen dem rosaroten Elefanten Bewegungsspielraum. Auf der Grundlage der Leitlinien ist es nun Aufgabe der Politik, dem Vorstand der Bundesbahn den Rücken frei zu halten und ihm bei der Beseitigung überholter Strukturen zu helfen, die die Leistungsfähigkeit hemmen und den gewünschten Erfolg der Bundesbahn in der Zukunft behindern. Erst diese Regierung hatte die politische Kraft, sich der schweren Aufgabe zu stellen, ohne ideologischen Ballast das Notwendige zu tun. Daß sie das Problem in richtiger Weise angepackt hat, begrüße ich ausdrücklich im Namen der liberalen Fraktion, denn unser Ziel ist eine marktorientierte Bahnpolitik. ({0}) Was war die Ausgangslage? Eine Behörde, die Züge fahren ließ, den Dienstbetrieb verwaltete und für die das Wort „Verkehrsmarkt" fremd vorm Ohr klang; eine Behörde, die mancherlei forschte und plante, wie man sicher in die Zukunft fahre - auf Schienen, versteht sich -, die aber eben keinen TGV hat, die ein modernes Produktionssystem erst in den 90er Jahren haben wird, mithin von der Entwicklung überrollt wurde; eine Behörde, die das im Haushalt des Bundes ausgewiesene Geld des Steuerzahlers brav ausgab, ohne präzise zu steuern, eine Behörde, die schließlich zum Haushaltsrisiko wurde. In dieser Bundesbahn arbeiteten aber pflichtbewußte, auf ihre Tätigkeit als Eisenbahner stolze Mitarbeiter mit einem beachtlichen Potential an technischen und betrieblichen Fähigkeiten und Kenntnissen, die aber zuschauen mußten, wie ihre Bahn auf das Abstellgleis der Verkehrspolitik geriet. Deutlich gesagt werden muß in diesem Zusammenhang auch, daß die Verkehrspolitik die Bahn oft leider behandelt hat wie ein Findelkind: die Kriegsfolgelasten der Bahn, der breite Ausbau der mit der Bahn konkurrierenden Verkehrsträger. Kurz: Bei der Ausstattung mit Investitionsmitteln kam die Bahn häufig zu kurz. Oder zugespitzt formuliert: Die Problematik für die Bahn war nicht allein ihre Wirtschaftlichkeit, sondern auch ihr Eigentümer. Wie steht diese Bahn im Verkehrsmarkt heute da? Diese Stellung ist alles andere als erbaulich. Die Zahlen wurden schon genannt: 29% Anteil am Güterverkehr und 6,6 % Anteil am Personenverkehr. Hierin spiegeln sich nicht nur veränderte Bedürfnisse in der Gesellschaft wider, sondern auch eine unzureichende Anpassungsleistung der Bahn. Ausgehend von dieser Lage lautet die liberale Antwort auf die große Herausforderung, der Bundesbahn eine Zukunftsperspektive zu geben: Die Bundesbahn muß ein Wirtschaftsunternehmen werden. Es bedarf ihrer Anpassung durch eine marktgerechte Fortentwicklung. ({1}) Das heißt im Klartext erstens: Die Politik muß bürokratische Hemmnisse beseitigen, Vorschriften entrümpeln, die vielfältigen Einspruchs- und Einflußmöglichkeiten zurückführen, die diesem Ziel entgegenstehen. Wie soll sich denn dieses Unternehmen Bundesbahn offensiv Marktanteile erschließen, attraktive Verkehrsdienstleistungen für den Bürger und die Wirtschaft erbringen, wenn es in ein Korsett von oft eigensüchtigen Einflußnahmen und Einsprüchen bei jeder unternehmerischen Entscheidung hineingezwängt ist, gehe es nun um Neubaustrecken oder um die Umstellung des Betriebes einer nachfrageschwachen, aber kostenintensiven Nebenstrecke auf Busbedienung? Ich halte es deshalb für wichtig, dieses Gestrüpp von Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen einer Novellierung des Bahngesetzes zu durchforsten und zu lichten. Im übrigen bedarf es nun wirklich keiner Selbstverständlichkeiten in den Vorschriften wie etwa in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, daß „Bahnhofsnamen gut sichtbar anzubringen sind". Auch hier muß die Regelungsdichte auf das unbedingt erforderliche Maß zurückgeführt werden. Zweiter Punkt. Wir Liberalen fordern eine Ergebnisverantwortlichkeit, die die Trennungsrechnung für die einzelnen Betriebsbereiche - eigenwirtschaftlicher Bereich, gemeinwirtschaftlicher Bereich und Fahrweg - voraussetzt. Eine derartige Trennungsrechnung sollte gesetzlich eingeführt werden. Denn nur so kann der Rationaliserungserfolg entsprechend ausgewiesen und kontrolliert werden. Diese Trennungsrechnung darf aber für die Bundesbahn keine Alibifunktion haben. Der Druck auf die Bahn, verstärkt zu rationalisieren, die Kosten zu senken und so wirtschaftlich wie möglich zu handeln, muß bestehenbleiben. Es geht nicht darum, mit Hilfe der Trennungsrechnung einen Schutzzaum um die Bundesbahn zu errichten. Dritter Punkt. Das zukunftsorientierte Produktionssystem der Bahn im Fernverkehr muß zügig vorangetrieben werden. Wie wir wissen, liegt das Netz der Bundesbahn seit Kriegsende nicht mehr entlang den Hauptverkehrsströmen. Die Hauptverkehrsströme fließen in Nord-Süd-Richtung. Das alte Reichsbahnnetz war in Ost-West-Richtung ausgerichtet. Die Folge davon sind Engpässe im Produktionssystem mit den daraus folgenden Wettbewerbsnachteilen. Deshalb ist es so dringend erforderlich, die Schnellbahnstrecken so zügig wie möglich zu realisieren, um mit den anderen Verkehrswettbewerbern konkurrieren zu können; übrigens auch, um den vollen Verkehrswert dieser Strecken möglichst rasch sicherzustellen. Zu einem zukunftsorientierten Produktionssystem gehört insbesondere aber auch das rollende Material. Ich begrüße es, daß die Arbeiten am Intercity Experimental so weit fortgeschritten sind, daß der Zug 1985 der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann. Meine Hoffnung richtet sich aber auch darauf, daß im Güterfernverkehr alle Anstrengungen unternommen werden, um schnellaufende Güterzüge zu bekommen. Ohne das Problem an dieser Stelle vertiefen zu wollen, möchte ich noch darauf hinweisen: Wir sollten prüfen, ob die langen Abschreibungszeiten bei Güterwagen nicht verkürzt werden können, um auch hier einen erheblichen Modernisierungsschub freizusetzen. ({2}) Für die genannten Aufgaben und Investitionsvorhaben müssen die Mittel aus dem Bundeshaushalt, so wie das in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, bereitgestellt werden. Ich halte zwar die Einsparungsergebnisse der letzten beiden Jahre, die Vorstand und Mitarbeiter erzielt haben, für einen anerkennenswerten Erfolg. Aber eines ist klar: Die Bahn muß auch investieren können. Es muß heute investiert werden, damit wir morgen Geld sparen. Entscheidend aber ist dabei, wo wir investieren: ({3}) nämlich dort, wo die Bahn Markterfolg hat, weil sie ihre spezifischen Stärken ausspielen kann. Wenn ich höre, was hierzu von der linken Seite des Hauses kommt - wie Rückzug der Bahn aus der Fläche, Kahlschlagsanierung und ähnliche Schlagworte -, dann wird erkennbar, daß da jemand noch immer nicht seine Hausaufgaben gemacht hat. ({4}) Es geht doch darum, dem Bürger Verkehrsdienstleistungen auch in der Fläche anzubieten, deren Erbringung sich in einem tragbaren Finanzrahmen bewegt. Es macht keinen Sinn, selbst einen modernen und personalkostengünstigen Schienenbus auf einer nachfrageschwachen Strecke einzusetzen, deren überalterte Struktur zu modernisieren Millionen verschlingen würde. In solchen Fällen ist der Bus oder, wie man unschön neudeutsch sagt, die „Verkraftung" dieser Strecke die einzig sinnvolle Alternative. Man hat bei den hiergegen von der Opposition vorgebrachten Argumenten manchmal das Gefühl, daß es dabei gar nicht mehr um die Sache geht, sondern daß unser rosaroter Elefant propagandistisch irregeführt werden soll, um ihn aus der Oase der marktorientierten Sanierung in die Wüste einer dirigistischen Verkehrspolitik zu treiben. ({5}) Ein Wort noch zum öffentlichen Personennahverkehr. Es wäre falsch, wenn die künftig knapperen Mittel ausschließlich in die bereits bestehenden Verbund- und Tarifsysteme fließen würden und dort, wo wir einen leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Personennahverkehr erst noch aufbauen müssen und wollen, wie beispielsweise im Rhein-Neckar-Raum, keine Mittel mehr dafür zur Verfügung stehen würden. Richtig ist: Verkehrsdienstleistungen zum Nulltarif kann es nicht geben. Das Verkehrsverursacherprinzip gilt: Wer öffentlichen Nahverkehr über das betriebswirtschaftlich Gebotene hinaus aus berechtigten Gründen wie Umweltschutz, Energieeinsparung oder auch einfach, um den Bürger eine Alternative zum Individu4502 alverkehr anzubieten, haben will, muß sich an der Finanzierung beteiligen. So viel, meine Damen und Herren, zu den Außenbedingungen, die es anzupakken gilt. Nun noch einige Bemerkungen zu den unternehmensinternen Bedingungen für den künftigen Erfolg, nämlich zum Anpassungspotenital bei der Bahn selber: Zunächst ist festzuhalten, daß sich die neue Konzeption des Bahnvorstandes als Managementorgan bewährt hat. Diese Konzeption gilt es vertikal weiterzuführen. Der Bahn sollte im Personalbereich die Möglichkeit eröffnet werden, Mitarbeiterverträge abzuschließen, die nicht dem öffentlichen Dienstrecht und Besoldungsrecht unterliegen. Meine Damen und Herren, in einer leistungsorientierten Gesellschaft, einer Marktgesellschaft, motiviert man durch Übertragung von Verantwortung und durch Geld. Wenn man die Mitarbeiter des Unternehmens Bundesbahn, die Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene motivieren will, dann muß man das über monetäre Anreize und über Delegation von Zuständigkeiten zu erreichen versuchen. ({6}) Es paßt doch einfach nicht zusammen: eine behördenmäßig strukturierte Organisation, die sich am Verkehrsmarkt im Wettbewerb mit Privaten behaupten soll. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie ein engagierter Mann, eine engagierte Frau, in den Fesseln des Dienstrechts liegend, dem nichts fremder ist als Marktorientierung, offensiv, ja aggressiv, verkaufen können. Hier gilt es, durch die genannte Maßnahme Abhilfe zu schaffen. Es ist aber auch zu prüfen, ob durch Gründung einer privatwirtschaftlich organisierten Verkaufsgesellschaft diese Möglichkeiten offensiver Marktorientierung gewährleistet werden könnten. Weiter: Ich begrüße die Vorstandskonzeption einer DB-Zentrale, eines Zentrums des Bahnmanagements. Aber ich habe auch das Gefühl, daß sich die neue unternehmerische Konzeption des Vorstandes noch nicht im ganzen Unternehmen durchgesetzt hat. Ich habe den Eindruck, daß es noch immer Staatsbahnreservate gibt. Das geht auf Dauer nicht. Direkt im Zusammenhang mit diesen Überlegungen muß das profitorientierte Denken bei den Führungskräften gestärkt werden, organisatorisch also die Resultatsverantwortlichkeit in allen Bereichen zum Zuge kommen, wo dies Sinn macht. Ideen, Innovationen müssen belohnt werden. Ich bin nicht sicher, daß das schon in ausreichendem Maße geschieht. Meine diesbezügliche Anfrage an die Bundesregierung über eine großangelegte Innovationsaktion der Schweizerischen Bundesbahnen wurde lediglich dahin gehend beantwortet, man habe diese Aktion zur Kenntnis genommen. Ich hatte eine Antwort in dieser Richtung erwartet: Jawohl, wir sind da dran. Das ist ein wichtiger Punkt unserer Zukunftsorientierung. Wir bauen ein Innovationszentrum Bundesbahn auf. Mitarbeiter, Kunden und Öffentlichkeit sollen ständig motiviert werden, sich mit einer immer noch besseren Bahn zu beschäftigen. - Mir scheint hier ein weites Betätigungsfeld zu liegen. Ein Beispiel für Innovation bei der Bahn ist der IC-Kurierdienst. Ohne nennenswerten Aufwand wurde ein ausbaufähiges System eingerichtet, das mit gutem Erfolg eine Marktnische abdeckt. Solche Nischen lassen sich - ich bin mir da sicher - in vielen Bereichen des Unternehmens noch finden. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß die seinerzeitige Innovation Intercity durch ein zweites Bein intercargo ergänzt wird. Die Ausnutzung freier Kapazitäten in der Nacht durch schnellaufende Güterzüge ist sicherlich ein großer Schritt vorwärts, auch schon deshalb, weil alles getan werden muß, um die Abhängigkeit des Umsatzes im Güterverkehr von der Montanindustrie in Höhe von über 50 % durch neue Leistungsbilder zu ersetzen. Herr Dr. Gohlke hat vor einigen Tagen darauf hingewiesen. Die Zusammenarbeit und Kooperation mit mittelständischen Unternehmungen sollte einen noch höheren Stellenwert erhalten. In dieser Richtung gibt es bereits erfreuliche Ansätze, etwa im kombinierten Verkehr. Zu denken ist aber auch an die Zusammenarbeit mit Speditionen als Frachtagenturen der Bundesbahn. Auch hier muß noch mehr geschehen. Ein letztes Wort, meine Damen und Herren: Wir Liberalen sind sehr froh darüber und begrüßen es, daß die von uns geforderte markt- und zukunftsorientierte Bahnpolitik ohne Entlassung von Mitarbeitern der Bahn verwirklicht werden kann. Wir nehmen das mit Dankbarkeit zur Kenntnis. Für die Mitarbeiter der Bahn, für die Politiker, für die Öffentlichkeit lohnt es sich also, in diesem Sinne für unsere Eisenbahn einzutreten. Das haben die Liberalen bisher getan, und das werden wir auch in Zukunft tun. Geben wir also dem rosaroten Elefanten eine faire Chance. Danke schön. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung und die sie tragende Koalition hätten heute die Möglichkeit gehabt, Klarheit in ihr verkehrspolitisches Verwirrspiel der letzten eineinhalb Jahre zu bringen. ({0}) Herr Hoffie und die anderen Kollegen, diese Chance haben Sie gründlich vertan. ({1}) Weder der Minister noch die Sprecher der Koalition haben die Widersprüche zwischen ihrem Reden und ihrem Handeln aufklären oder in irgendeiner Weise klarstellen können. ({2}) Allenfalls wurden durch Ihre Beiträge die Sorgen der Eisenbahner, aber auch der Kunden, die die Eisenbahn benutzen, bestätigt: Die Bundesregierung dirigiert die Bahn auf ein Abstellgleis. Zu der ganzen Vergangenheitsbewältigung: Es mag Ihnen noch so populär erscheinen, in der Vergangenheit herumzustochern und damit - darum geht es Ihnen ja eigentlich - zu versuchen, von Ihrer Unfähigkeit, die Probleme dieser Zeit zu lösen, abzulenken; ({3}) aber bei allen Versuchen wird Ihnen das in der Öffentlichkeit, Herr Kollege Lemmrich, nichts nutzen. Herr Kollege Hoffie - der gerade nicht hier ist -: Wenn Sie uns sagen, Sie hätten unser neues Bahnkonzept erst in diesen Wochen zur Kenntnis nehmen können, und wenn Sie in diesem Zusammenhang ({4}) gar dem Kollegen Haar vorwerfen, er habe während unserer Regierungszeit eine Politik gegen die Eisenbahn gemacht, dann stellt das die Verhältnisse auf den Kopf; dann ist das nicht nur grotesk, dann ist das so unseriös wie der Herr immer ({5}) oder - Entschuldigung - meistens politisch agiert. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Meine Redezeit ist knapper geworden, als ich ursprünglich geplant hatte. Deswegen bitte ich, auf Zwischenfragen nicht eingehen zu müssen. Die Menschen draußen wollen endlich wissen, wo es entlanggeht. Die klare Antwort darauf sind Sie heute - das wiederhole ich - schuldig geblieben. ({0}) Ich bedauere, daß manche verkehrspolitische Gemeinsamkeit gerade in der Bahnpolitik zwischen uns Sozialdemokraten und der Union, wie ich meine, ohne Not aufgegeben worden ist. Herr Hoffie ist im übrigen derjenige gewesen, der in der Vergangenheit gerade unsere Bahnkonzeption, die damals die gleiche wie heute war, immer konterkariert hat; gerade er in seiner Person. ({1}) Ich will den Graben im übrigen nicht tiefer werden lassen und will in dem Zusammenhang auf Schuldzuweisungen verzichten. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Probleme der Bahn eine solche Dimension erreicht haben, daß es über Parteigrenzen hinweg einer riesigen Kraftanstrengung bedarf, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Herr Minister, Sie haben dazu hier etwas gesagt. Wir nehmen Sie beim Wort. Aber ich füge hinzu: Es muß sich auch in der Sache etwas tun. Ich sehe in dem Konzept, das wir zur Konsolidierung der Bahn vorgelegt haben, und in Ihrer Entschließung aus dem Jahr 1981 eine mögliche Basis für ein gemeinsames Handeln. Wenn Herr Dollinger in seinem sogenannten Konzept alles beherzigt hätte, was Sie damals gefordert haben, wären wir heute gar nicht so weit auseinander. ({2}) Von diesen Forderungen aber sind Sie heute in Ihrem DB-Konzept weiter denn je entfernt. Sie haben die Bahn ein Jahr bis zur Vorlage des sogenannten Konzepts im ungewissen gelassen. Mit der Vorlage des Konzepts haben Sie die Bahn im Stich gelassen. Sie haben, Herr Minister, deutliche Haltesignale für die Deutsche Bundesbahn gestellt, beispielsweise im ÖPNV und im Verkehr in der Fläche. Sie haben die Anpassungslast auf den Vorstand abgewälzt und damit dem Vorstand den Schwarzen Peter gegeben. Auf der anderen Seite hat die Politik, hat die Bundesregierung bis zum heutigen Tag der Bahn den notwendigen Flankenschutz, damit sie sich aus eigener Kraft konsolidieren kann, verweigert. Der Vorstand und die Eisenbahner tun mir leid, weil sie keine Perspektive haben. Und wenn die Eisenbahner sich weiterhin noch so abstrampeln: Mit Ihren politischen Vorgaben, Herr Minister, wird niemand die Bahn aus ihrem Tief herausführen können. ({3}) Im Gegenteil, jede Mark, die heute nicht investiert werden kann - nicht nur im Streckenausbau und -neubau, auch im ÖPNV und im rollenden Material -, ist ein Sargnagel für das Unternehmen Deutsche Bundesbahn oder führt dazu, daß das Unternehmen verkommt. Ich wiederhole: Die 40 Milliarden DM, die hier groß angekündigt werden, muß sich die Bahn auf dem Kapitalmarkt besorgen. Dies wird die Bahn weiter in die Verschuldung und weiter ins Abseits treiben. Herr Kollege Jobst, Sie tun in Ihrer politischen Praxis das Gegenteil von dem, was Sie und Ihre Kollegen heute morgen hier vorgetragen haben. So gesehen, meine Damen und Herren, muß auch die Erfolgsbilanz des Vorstandes, in der sich die Koalition und auch der Minister gerne sonnen, nicht nur relativiert, sondern auch kritisiert werden. Von den Millionen, die eingespart zu haben man sich brüstet, entfallen allein 333 Millionen auf den investiven Bereich; davon entfallen 156 Millionen auf den Fahrzeugbau, 76 Millionen DM auf den Nahverkehr und 76 Millionen DM auf Ausbaupläne. Im übrigen ist es j a auch recht merkwürdig, wenn die Kollegen der Koalition glauben, das angeblich positive Ergebnis des Jahres 1983 sei auf das Kon4504 zept der Bundesregierung zurückzuführen, da doch diese Bundesregierung erst Ende 1983 in der Lage war, ein solches Konzept vorzulegen. Meine Damen und Herren, der Verzicht auf notwendige Investitionen führt die Bahn unternehmerisch in die Sackgasse. Die Bundesrepublik verfügt über ein leistungsfähiges Transportsystem: Schiene, Straße und Wasser. Dabei sind die Transportleistungen seit 1950 um das Fünffache gestiegen. Der Anteil des Straßengüterverkehrs ist - leider, sage ich - auf 50 % aller Transportleistungen gestiegen, während der Anteil der Bahn auf 25 % gesunken ist. Diese Entwicklung kann so nicht weitergehen, erstens weil wir uns - volkswirtschaftlich gesehen - ein Nebeneinander von Verkehrssystemen nicht länger leisten können - es ist geradezu Unfug, in dieser Zeit durch den Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals zusätzliche Konkurrenz für die Bahn zu schaffen -, zweitens aber auch, weil sich die Rahmenbedingungen der Entwicklung verändert haben. Der Verbrauch von Landschaft und die Belastung der Umwelt, besonders aber der Energie- und Rohstoffverbrauch für die Transportleistungen sind neu zu bewerten. Die Anforderungen an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit werden in Zukunft stärker steigen. Wenn die Kollegen von der Koalition meinen, wir hätten die Entwicklung nicht begriffen, oder wenn der Kollege Straßmeir meint, wir hätten die Entwicklung verschlafen, dann kann ich nur hinzufügen: Sie haben das heute immer noch nicht begriffen; Sie schlafen heute offenbar lustig weiter. ({4}) Meine Damen und Herren, mit dieser Entwicklung wird die Erhaltung der Eisenbahninfrastruktur zur wesentlichen Zukunftsaufgabe, von der langfristig die Funktionsfähigkeit unseres Transportwesens abhängig sein wird. Das System Schiene ist dem System Straße umweltpolitisch aus vielen Gründen überlegen. Diese Gründe liegen auf der Hand; ich will sie nicht im einzelnen vortragen. Letztlich spricht auch die Verkehrssicherheitsbilanz eindeutig zugunsten des schienengebundenen Verkehrs. Vor diesem Hintergrund darf man dem DB-Vorstand nicht die Streckenstillegungen überlassen. Dies ist unverständlich, unverantwortlich. ({5}) Herr Straßmeir, Sie reden von der Trennung der Verantwortlichkeit zwischen der Politik und dem Bahnvorstand. In Wirklichkeit überlassen Sie es dem Bahnvorstand, schwerwiegende gesellschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Der Bahnvorstand wird aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht anders handeln können, als eine Reihe von Strecken dichtzumachen. Nicht betriebswirtschaftliche Gründe, sondern ausschließlich volkswirtschaftliche Gründe können allein Kriterien für Umstellungsmaßnahmen sein. Aus dieser Verantwortung darf sich die Bundesregierung, darf sich der Bundesverkehrsminister nicht zurückziehen. ({6}) Meine Damen und Herren, hier ist wiederholt gesagt worden, es gäbe keine Pläne für Streckenstillegungen. Gehen Sie ins Land hinein! Es gibt nicht nur die Pläne. Die Streckenstillegung findet über das ganze Land statt, und ich sage Ihnen, der Rückzug der Bahn aus der Fläche ist nicht korrigierbar. Unsere Kinder und Enkel werden die Zeche dafür zu zahlen haben. ({7}) Auch an dieser Stelle noch ein Wort zu den gemeinwirtschaftlichen Leistungen: Der Kollege Jobst hat 1981 erklärt, daß die Bahn auch in Zukunft gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen habe. Er sagte wörtlich: Sie muß aber endlich aus dem heutigen Packeseldasein der gemeinwirtschaftlichen Leistungen herausgenommen werden. - Lieber Kollege Jobst, meine Herren von der Koalition, sehr geehrter Herr Minister, lassen Sie diesen Ihren Versprechungen aus den 70er und frühen 80er Jahren endlich Taten folgen. Meine Damen und Herren, wenn die Leitlinien der Bundesregierung verwirklicht würden, hätte dies für die Länder und auch für die Gemeinden verhängnisvolle Auswirkungen. ({8}) Der S-Bahn-Bau sowie die Gründung neuer und der Bestand vorhandener Verkehrsverbünde wären ebenso gefährdet wie zahlreiche Bahnverbindungen im ländlichen Raum. S-Bahn und Verkehrsverbünde sind in den Ballungszonen das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs; ohne sie läuft nichts. Wenn Sie, Herr Minister, bestreiten, daß diese Bundesregierung eine für die Industriestandorte feindliche Politik mache, dann lassen Sie diesem Ihrem Beitrag Taten folgen. Sorgen Sie dafür, daß der Verkehrsverbund Rhein-Sieg zustande kommt, und sorgen Sie dafür, daß die S-Bahn Köln nicht stirbt. Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Es gibt eine gemeinsame Verpflichtung aller Politiker gegenüber dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn und seinen Bediensteten. Wenn die Politik weiter nur lamentiert, bewegen wir überhaupt nichts. ({9}) Zu den großen Zukunftsaufgaben unserer Generation gehört eine offensive und konstruktive Bahnpolitik, die die politischen Rahmenbedingungen so gestaltet, daß die Deutsche Bundesbahn auch in Zukunft unter veränderten Bedingungen die Zukunft für sich hat. ({10})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es grenzt schon an staatspolitische Kunst von, so muß ich sagen, fast hoher Schule, daß hier die Vertreter der SPD 13 Jahre verfehlter Verkehrs- und Unternehmenspolitik innerhalb der Bundesbahn vergessen machen wollen. Es ist erstaunlich, meine Damen und Herren, wie dies gerade auch mit Resolutionen vor Ort, mit Erklärungen und politischen Aktionen von Ihnen ausgelöst wird ({0}) und wie in der Tat einfach verschleiert wird, wer hier 13 Jahre das Sagen gehabt hat. ({1}) Verantwortlich gehandelt wäre, darüber zu reden, was in der Bundesbahnpolitik geht und was nicht geht. Es ist höchste Zeit, den Eisenbahnern über das, was aus diesem Unternehmen wird, wahrhaftige Auskunft zu geben. ({2}) Darum geht es. Dann muß man eben mit Entschiedenheit dem Unternehmen Bundesbahn - schon des Unternehmens, aber vor allem der Arbeitsplätze wegen - reinen Wein einschenken. Wer dies nicht tut und vorgibt, daß man hier nur zu beschließen brauche, und dann sei alles anders, der führt die Betroffenen geradezu hinters Licht. Meine Damen und Herren, da wurden - gerade wieder in den letzten Wochen - Zahlen in die Welt gesetzt, die nichts, aber auch gar nichts mit den Zielen und Absichten der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen zu tun haben. Ich sage das einmal ganz deutlich. Das betrifft beispielsweise Zahlen über Streckenstillegungen, die aus völlig anderen Zeiten - auch aus der Zeit einer anderen Regierung - stammen. Da gibt es, meine Damen und Herren, Briefe an Bundestagsabgeordnete mit Zahlen, die aus dem Jahre 1979 stammen. Da wird die Bundesregierung beschimpft, ja es wird sogar der Rücktritt von Herrn Minister Dollinger gefordert. Diese Regierung hat nicht nur diskutiert. Sie hat gehandelt. Dieser Verkehrsminister hat endlich die Weichen richtig gestellt. ({3}) Meine Damen und Herren, das Lamentieren der 70er Jahre - wie mein Vorredner es eben nannte - hat endlich aufgehört, hat ein Ende gefunden. ({4}) Die SPD zog mit einer unverantwortlichen Politik der 70er Jahre dem Unternehmen Bundesbahn geradezu den Boden unter den Füßen weg. ({5}) Unsicherheit und Resignation sind bei den Eisenbahnern die Folge gewesen. Die Verkehrspolitik muß Zielvorgaben machen, sie muß Leitlinien aufstellen, muß sagen, was in Zukunft gemeinwirtschaftlicher Auftrag der Bahn ist. Genau dies ist im Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom November vergangenen Jahres geschehen. Umgekehrt kann natürlich der Verkehrsminister keinen Fahrplan der Bundesbahn gestalten. Auch wir können hier nicht Eisenbahner spielen. Das ist die Aufgabe der Verantwortlichen der Bundesbahn, und die Eisenbahner können dies im übrigen auch viel, viel besser. Die Bundesregierung formuliert und stellt politische Rahmenbedingungen auf. Die Unternehmensführung der Bundesbahn hat danach ihre Ziele gesetzt und hat diese Leitlinie ausdrücklich gebilligt. Die Steigerung der Produktivität - das wurde eben schon gesagt - soll bis 1990 40% ausmachen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Angebotsseite, Auswirkungen auf die Investitionen, natürlich, selbstverständlich auch auf den Personalbestand, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Verkehrsminister hat den gemeinwirtschaftlichen Auftrag der Bahn ausdrücklich definiert. Die Bundesbahn ist eben etwas anderes als eine Schokoladenfabrik oder ein Automobilkonzern. Das müssen wir erkennen und sehen. ({6}) - Hören Sie hin! Gemeinwirtschaftliche Leistungen heißt aber auch, daß man diese Leistungen nicht der Bahn allein aufbürden kann oder ihr aus den daraus entstehenden Kosten einen Vorwurf machen sollte. Das Verursacherprinzip gilt hier, wenn die Politik der Bahn gemeinwirtschaftliche Leistungen aufbürdet. Ich sage ganz offen: Deshalb muß man in der Politik auch ehrlicher sein, als Sie das in den Jahren der Verantwortung waren. ({7}) Aus einer unsicheren, geradezu schicksalhaften Konzeptionslosigkeit der 70er Jahre ist durch das aktive Handeln der jetzigen Regierung endlich eine Perspektive geworden. Mit der mittelfristigen Finanzplanung besteht auch Sicherheit über den Zuschußbedarf in den nächsten Jahren. Die Bahn mit ihren gesamten Bundeszuwendungen nimmt 56% des Verkehrshaushaltes in Anspruch. In kritischer Lage, was den Verkehrshaushalt angeht, ist die Plafondierung richtig und notwendig gewesen. Über die Notwendigkeiten des öffentlichen Nahverkehrs will ich mir hier verkneifen einige Ausführungen zu machen. Ob es nun die Ballungsrandzonen, die Ballungsräume oder die ländlichen Zonen insbesondere sind: wir wissen, daß öffentlicher Personennahverkehr notwendig ist, daß er die Städte erst lebenswert und auch liebenswert macht. Autogerechte Städte können dies nie sein. Wenn wir aber auf der anderen Seite sehen, daß der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, Herr Minister - jetzt komme ich zu Nordrhein-Westfalen, auch weil ich selbst Betroffener bin -, im letzten Jahr eine Kostenunterdeckung von 1,13 Milliarden eingefahren hat und die S-Bahn in diesem Verbund einen Kostenunterdeckungsgrad in ständig wachsender Größe, jetzt schon fast über 30%, aufzuweisen hat, dann könnten wir doch einfach feststellen, daß dies sicherlich auch im Sinne des Landes Nordrhein-Westfalen nicht weiter so verlaufen darf. Deshalb sehen die Leitlinien innerhalb des Gesamtplafonds von 13,5 Milliarden DM Teilplafondierungen vor, die die Ausgabenentwicklung gerade dieser galoppierenden Größe bremsen sollen. Probleme der Bahn sind eben nur langfristig lösbar, Herr Kretkowski. Das 83er Ergebnis sei das Ergebnis der SPD, sagen Sie, weil es positiv ist; wäre es negativ gewesen, wäre es unser Ergebnis. Aber die Probleme sind nur langfristig lösbar. Weil dies so ist, wirken sich eben die Fehler der Vergangenheit auch langfristig, kaum korrigierbar, negativ aus. Wer deshalb in Zukunft die Bundesbahnpolitik solide gestalten will, muß den einen oder anderen schmerzlichen Schritt, wenn er ehrlich sein will, draußen mit vertreten, was die Streckendiskussion angeht. Wer hier aber kleinmütig und auf Effekthascherei aus ist, der handelt gegen das Unternehmen Bundesbahn und macht dort zugleich die Arbeitsplätze unsicher. Dies ist eine ganz klare Erkenntnis. Wer die Bahn zum Zankapfel politischer Auseinandersetzungen macht, der leistet ihr im übrigen einen Bärendienst. Ich wundere mich, wie das heute morgen von Verantwortlichen so aufgezäumt wird. Es ist in dieser Stunde auch notwendig, einmal zu regionalen Fragen Stellung zu nehmen. Ich halte das Wehgeschrei der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eigentlich für unbegründet. ({8}) - Ich sage Ihnen, vom ÖPNV-Programm 1983 bis 1987 in Höhe von 6,2 Milliarden DM erhält das Land Nordrhein-Westfalen rund 2,3 Milliarden DM, das sind 35,8 %. ({9}) Meine Damen und Herren, ich wundere mich deshalb, weil über Jahre hinweg diese Landesregierung in den 70 er Jahren nie gefordert schien. Entweder hat man dort geschlafen, oder man hat aus vordergründiger Parteiräson heraus wichtige politische und strukturelle Entscheidungen unterlassen. Herr Minister, Sie haben zu Recht die Strukturprobleme in Nordrhein-Westfalen angesprochen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Ich kann Ihnen sagen: Auch diese Arbeitslosigkeit ist zum Teil der schlechten Wirtschaftspolitik und der schlechten und miserablen Strukturpolitik der Landesregierung zuzuschreiben. ({10}) Sie haben die Leitlinien kritisiert, die Minister Dollinger nun aufgestellt hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an eine Länderministerkonferenz vom Mai 1977. Damals stand der GscheidlePlan zur Diskussion, und zwar die Umstellung von 6 000 km Strecke für den Personenverkehr auf Busbetrieb und die Reduzierung von 3 000 km Güterverkehrsstrecken. Das wurde damals von der Länderministerkonferenz einstimmig als realistisch angesehen. Hier hat das Land Nordrhein-Westfalen auch mitgewirkt. ({11}) Im übrigen wirkt man j a schon 18 Jahre im Lande. Ich finde es eine Doppelzüngigkeit, wenn man heute über einen weitaus reduzierten Plan ein solches Urteil spricht. Meine Damen und Herren, die zur Verfügung stehenden Mittel - ich habe die Größenordnung schon genannt - ließen sich auch im Land Nordrhein-Westfalen für wichtige strukturelle Maßnahmen entsprechend den Schwerpunkten und Prioritäten durch die Landesregierung, durch die politische Willensbildung dorthin kanalisieren, wohin sie gehören. Ich weiß, daß gerade das Problem der Stammstrecke, was die Hohenzollernbrücke angeht, ein gemeinsames Anliegen ist, Herr Minister. Da wollen wir als Nordrhein-Westfalen auch zusammenstehen. Nur: Dann muß auch ehrlichen Herzens gesagt werden, wie das geschehen soll. Unsere Landtagsfraktion hat hierzu mit dem Minister Dr. Dollinger schon entscheidende Gespräche geführt. Sie handelt. Jetzt kommt es darauf an, daß die Landesregierung mitzieht. Ich kann Ihnen hier ankündigen, daß die rheinische Gruppe innerhalb der CDU-Fraktion in dieser Frage eine Initiative einbringen wird. Ich will hoffen, daß Sie dieser Initiative folgen, damit das Problem geregelt wird. Wir sehen auch die Gefahr, daß nach Ablauf der Frist des nächsten Jahres, was die Planfeststellungsverfahren angeht, möglicherweise ein neues Verfahren aufgelegt werden soll. ({12}) Von daher gerät sicherlich eine solche wichtige Zukunftsmaßnahme weiter ins Hintertreffen. Man kann der Landesregierung von NordrheinWestfalen auch nicht den Vorwurf ersparen, daß die Konzepte der gigantischen Verkehrsverbände zu einer unerträglichen Belastung der öffentlichen Haushalte geführt haben. Die Sorgen der Kommunalpolitiker - hören Sie sich im Land Nordrhein-Westfalen um - gehen in den Stadt- und Kreisparlamenten quer durch alle Fraktionen. Ich will nicht um jeden Preis der Privatisierung das Wort reden. Aber der Verkehrsverbund hat sich einem Vergleich mit den Leistungen Privater zu stellen. Bei diesen Unternehmen werden Defizite durch überzogene Wasserköpfe eingefahren. ({13})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin der Meinung: Auch für den Rhein-Ruhr-Verkehrsverbund kommt die Stunde der Wahrheit. Nur mit dieser Wahrheit und einer ehrlichen Diskussion werden wir überhaupt über den Rhein-Sieg-Verkehrsverbund sprechen können. Ich weiß, daß Sie aus den Ballungszonen sich Leichttun. Wir in der Ballungsrandzone zahlen die Zeche, die Sie mit defizitären Zahlen einfahren. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte deshalb, daß sich diejenigen, die die Politik der 70er Jahre zu verantworten haben, wenigstens einmal an die Brust klopfen, denn es wäre in dieser Stunde wichtig, eine Gemeinsamkeit im Hinblick auf die Zukunftschancen der Bundesbahn herbeizuführen. Schönen Dank. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man ziemlich am Schluß einer Debatte drankommt, ist ja vieles von dem, was man eigentlich auch sagen wollte, schon gesagt. ({0}) - Sie werden schon noch hören, was von unserer Seite zu sagen ist. Ich habe jetzt fast vier Stunden die Redebeiträge aufmerksam verfolgt, habe mir Gedanken gemacht über die Rituale im Bundestag, vor allem aber auch über die Frage: Was werden die Betroffenen, die Eisenbahner, draußen empfinden, wenn sie die Kämpfe, die Schuldzuweisungen verfolgen? Ich weiß, es hat eine Anzahl Eisenbahner hier und draußen, wahrscheinlich an Radio und Fernsehen, zugehört. Ich glaube, sie haben die ganze Diskussion nicht gerade positiv auffassen können. Ich sage das als einer, dessen Beruf immer noch Eisenbahner ist, der den Kontakt mit den Eisenbahnern nicht verloren hat. Herr Minister Dollinger, ich bin auch so ein Miesmacher, der nicht alles glaubt, was hier von Ihrer Seite gesagt wird. Ich habe Ihre Mienen und Ihre Zwischenrufe jetzt wieder verfolgt: In welchem Zustand muß sich eine Fraktion, eine Koalition befinden, die weit entfernt ist von den Gefühlen der Eisenbahner, die bewegt sind, weil sie fürchten, daß Arbeitsplätze verlustig gehen ({1}) - nicht nur mit dem Wein stößt man an, sondern auch mit der Wahrheit -, ({2}) die jedesmal begeistert Beifall klatscht, wenn von Zuständen die Rede ist, die nicht in Ordnung sind?

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lasse keine Zwischenfragen zu; nicht weil ich es nicht gern möchte, sondern weil ich nur neun Minuten Redezeit habe. ({0}) Herr Jobst, da Sie gerade stehen, sage ich Ihnen gleich: Demjenigen, der noch vor einer Woche begeistert dem Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals zugestimmt hat, glaube ich nicht, daß er ein ehrlicher Vertreter der Bundesbahnpolitik ist. Das kann er ja nicht sein. ({1}) Welches Armutszeugnis stellen sich eine Regierung und die sie tragenden Fraktionen aus, wenn sie bei allen Vorschlägen, die gemacht werden, das Märchen von der Erblast erzählen? ({2}) Ich möchte heute dem früheren Verkehrsminister Volker Hauff fast ein bißchen Abbitte leisten. Ich war auch einer der Eisenbahner, die gefragt haben - Gott sei Dank ist innerhalb der SPD Kritik ja noch möglich -, warum dies und das nicht gemacht worden sei. ({3}) Nachdem ich heute die Rede gehört habe, die Herr Hoffie für die FDP gehalten hat, weiß ich, wie ihm manchmal die Hände gebunden waren und wie sehr alles abgeblockt worden ist. Das ist mir jetzt völlig klar. Darum möchte ich dem früheren Verkehrsminister Hauff als Eisenbahner ein bißchen Abbitte leisten. ({4}) Glauben Sie denn wirklich, wir Eisenbahner erkennen nicht, daß bei dieser Regierung Dollinger Reden und Handeln uneins sind? Reden und Handeln sind da doch nicht eins. Glauben Sie denn wirklich, wir merken es nicht, daß Sie der Bahn die erforderlichen Rahmenbedingungen verweigern, die Sie allen anderen Verkehrsträgern zugestehen? ({5}) - Zuhören sollte man können, gell? Sie erdreisten sich - das dürfen Sie zwar -, für den Rhein-Main-Donau-Kanal einzutreten, obwohl Sie wissen - ich habe Ihnen das das letzte Mal gesagt; ich sage es Ihnen noch einmal -, daß Sie damit der Bahn ein ganz kleines Stückchen Existenzgrundlage nehmen: 200 Millionen DM. ({6}) - Das ist die Stimmung. Das ist mir völlig klar, wir wundern uns nicht. ({7}) Und von diesen Leuten soll man ein Konzept erwarten! Darüber lache ich doch schallend. Das sind die Konzepte - darüber lache ich doch. Das sind die Menschen, die die Unfallopfer beweinen und nichts dafür tun, daß mehr Güter auf die Bahn, auf die Schiene kommen. Was mich besonders bestürzt - das sage ich auch an unsere Adresse -: Kein einziger hat heute den Höcherl-Bericht angeführt. Was ist mit dem Höcherl-Bericht gemacht worden? Das ist ein guter Bericht. Was könnte aus dem Bericht der HöcherlKommission auch für die Bahn herausgefiltert werden! ({8}) Keiner hat dazu etwas gesagt. Ich fordere Sie, der Sie die politische Verantwortung tragen, auf, sich mit dem Höcherl-Bericht zu befassen. Sie haben zum Teil sehr polemisiert. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir gehen jede Gangart mit; damit das klar ist. Jetzt sage ich Ihnen auch noch folgendes: Warum verweigern Sie denn der Bundesbahn die notwendigen Investitionen? ({9}) Weil Sie das Geld, das Sie von den kleinen Leuten holen - und nicht etwa über eine Erhöhung der Vermögensteuer -, lieber den Großen in den Hintern hineinschmieren. So schaut es doch aus. Das ist doch der Grund. ({10}) Bei dieser Regierung sind Handeln und Reden uneins. ({11}) - Wir lassen uns doch von Ihnen nichts vormachen. Kommt doch überhaupt nicht in Frage. Wo sind wir denn überhaupt? ({12}) Sie haben heute zwar die Mehrheit, aber der Staat gehört doch nicht Ihnen. Wo sind wir denn überhaupt? Heute hat die DB insgesamt nicht mehr Güterverkehrsaufkommen als 1968, als durch den Leber-Plan zusätzlich 27 % auf die Bahn kommen sollten. Da sagt der Verkehrsminister, die Bürger hätten sich gegen die Bahn entschieden. Herr Minister, ich glaube, wir müssen die Frage stellen: Warum hat sich der Bürger denn gegen die Bahn entschieden? Weil die politischen Rahmenbedingungen verweigert worden sind. Es war hier von der Motivation die Rede; das ist auch so ein schönes, tragendes Wort: Mo-ti-va-ti-on! Ja, es gab einmal eine Motivation der Eisenbahner, Herr Minister. Ich war damals selber Eisenbahner, Fahrdienstleiter. ({13}) - Aber immer noch besser, als daß Sie in der Politik sind. ({14}) Damals, als der Leber-Plan kam, Herr Minister, sind wir mit stolzgeschwellter Brust einhergegangen. Das war eine Motivation, ein unglaublicher Motivationsschub für die Eisenbahner. Ich frage mich, warum es nicht möglich ist, daß man diese positiven Ansätze des Leber-Plans - ich weiß j a, daß nicht alles gemacht werden kann - in die Tat umsetzt, ob es über den Vorschlag von Ernst Haar geht oder über andere Vorschläge. ({15}) - Das ist wieder das Thema Erblastkampagne. Wer das ununterbrochen bringt, beweist, daß er überhaupt kein Konzept hat; der hat es notwendig, daß er das ununterbrochen bringt. Darüber brauchen wir doch gar nicht weiter zu reden. ({16}) - Ja, das paßt Ihnen nicht; das ist mir klar.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, einen Augenblick! - Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. Der Redner ist hier kaum verständlich.

Georg Bamberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wahrscheinlich möchten Sie mich noch länger reden hören, das ist mir klar, ({0}) aber ich habe auch nur eine begrenzte Redezeit. - Ich meine, es müßte Möglichkeiten geben, die guten Erfahrungen mit dem Programm „Güter auf die Bahn!", die guten Erfahrungen mit dem Personenverkehr in den Ballungsräumen auf die Fläche zu übertragen. Das, was in anderen Ländern möglich war, etwa in der Schweiz, in den Niederlanden, in Dänemark und in Frankreich, wo man stillgelegte Strecken derzeit wieder betriebsbereit macht, könnte - möglicherweise - auch in der Bundesrepublik zu verwirklichen sein. ({1}) Es gibt doch keinen Grund, warum das hier bei uns nicht ginge. Möglichkeiten gibt es! Warum denn nicht ein Modell Hohenlohe, das sich derzeit zu 100 % trägt? ({2}) Warum denn nicht auch ein Versuch für die Bahn über ein Pilotprojekt? Warum denn nicht? ({3}) - Selbstverständlich. Im übrigen - ich habe noch eine Minute -: Der Verkehrsminister hat sich beim Bundesbahnvorstand bedankt, wohl dafür, daß er das Konzept mit geliefert hat. Ich möchte mich Ihrem Dank an die Mitarbeiter der Bundesbahn anschließen, Herr Minister, ({4}) und zwar deswegen, ({5}) weil sie nicht resignieren ob eines Konzepts, von dem sie wissen, daß es sie zum Teil ihre Existenz kostet. Wer solche Konzepte - da bin ich gern ein Miesmacher - vorlegt, muß sich auch über die Reaktionen im klaren sein. Herr Minister, ich mache Ihnen persönlich keinen Vorwurf. Es war ja Strauß, der Ihnen den großen Vorwurf gemacht hat. Nicht wir waren es, sondern Strauß, der gesagt hat: unzureichend, schwammig, unmöglich. Ich trau' mich gar nicht, das zu sagen, was Strauß gesagt hat; so schlecht sind Sie ja gar nicht. So ist es doch wirklich. ({6}) - Den habe ich schon gelesen; den habe ich aufmerksam gelesen. ({7}) Ich lese zwar nicht alles, was Sie so schreiben, aber den habe ich aufmerksam gelesen. Das ist völlig klar. - Eine Politik - ich komme zum letzten Satz -, die die Eisenbahner ihre Existenz kosten kann, kann uns Eisenbahnern gestohlen bleiben. Herzlichen Dank. ({8})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich. ({0})

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wo war denn der Herr Kollege Bamberg, ({0}) als die Anteile der Bundesbahn im Güterverkehr so katastrophal zurückgingen? ({1}) Wo war er, als die frühere, von seinen Freunden geführte Bundesregierung der Bahn über Nacht mehr als eine Milliarde DM gestrichen hat? Da habe ich von seinen Gefühlen nichts gehört. ({2}) Herr Kollege Bamberg, es ist nicht gut, wenn Sie hier so fehlinformiert in den Raum stellen, ({3}) diese Regierung und Verkehrsminister Dr. Dollinger verweigere der Bundesbahn die Mittel für notwendige Investitionen. In diesem Jahr wird die Deutsche Bundesbahn 5,1 Milliarden DM investieren. Ein so hoher Betrag ist noch nie investiert worden. ({4}) Gerade Sie und Ihre Freunde - Herr Hauff weiß das ja, weil auch er gekämpft hat und weiß, wie schwierig das ist - haben die Investitionen heruntergefahren. Daher würde ich an Ihrer Stelle den Mund nicht so voll nehmen, wie Sie das hier getan haben. ({5}) Herr Kollege Haar hat unsere Ehrlichkeit in Zweifel gezogen. ({6}) - Er bestätigt das hier noch einmal: meine besonders. Wer so mit der Wahrheit umgeht wie Herr Haar, sollte da wohl etwas vorsichtiger sein. Er war ja von 1972 bis 1979 in hoher Verantwortung, er war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. ({7}) - Das auch noch, aber da haben Sie ihn ja nicht hereingelassen. - Herr Haar hat sich auch zu dem Rhein-Main-Donau-Kanal geäußert. So hat er am 3. Mai 1978 in Regensburg anläßlich der Bauabschlußfeier für die Donaustrecke Regensburg-Kelheim folgendes gesagt: Die Vollendung dieses großen Wasserstraßenprojekts wird von seiten der Bundesregierung nicht in Frage gestellt. ({8}) Herr Minister Gscheidle hat im März 1976 Ihnen, Herr Ministerpräsident Goppel, dies ausdrücklich bestätigt. Unser Ziel ist es, die Strecke von Nürnberg nach Regensburg und den Ausbau des Donauabschnittes zwischen Regensburg und Straubing bis Mitte der 80er Jahre zu vollenden. ({9}) Und heute diese Attacken. Und da redet man noch von Ehrlichkeit? ({10}) Der Kollege hat es unlängst für opportun gehalten, sich über die Preiserhöhungen im Berufs- und Schülerverkehr furchtbar aufzuregen. ({11}) - Ich habe eine ganz knappe Zeit.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Sie lassen keine Zwischenfrage zu. Gilt das generell, Herr Abgeordneter?

Karl Heinz Lemmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001315, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da hat er sich unerhört aufgeregt und hat die übelsten Worte gebraucht. Aber unter seiner eigenen Verantwortung wurden die Tarife im Schülerverkehr um 85,8 % erhöht. ({0}) - Ich schäme mich gar nicht. Sie sollten sich schämen und sollten endlich einmal ehrlich werden. ({1}) Als er in der Verantwortung war, sind im Berufsverkehr die Preise um 52,4 % gestiegen. Er redet hier von Ehrlichkeit, der damals verantwortlich war! ({2}) Da muß ich doch fragen: Wo waren Sie denn eigentlich, als sich die Bahn entwickelt hat? ({3}) Sie waren in der Verantwortung, nicht wahr? Aber weil ich eben weiß, Herr Haar, daß die Dinge unter Ihrer Verantwortung passiert sind, ist Ihnen das so peinlich. Daß die Lage, die wir zu meistern haben, heute so außerordentlich schwierig ist, geht doch darauf zurück, daß Sie eine so katastrophale Politik betrieben haben. ({4}) Die Verluste der Bahn stiegen von 1,3 Milliarden DM im Jahr 1970 auf 4,2 Milliarden DM im Jahr 1982 - ein tolles Ergebnis Ihrer Politik -, die Bundeszuwendungen stiegen von 3,9 auf 13,3 Milliarden DM, die Verschuldung von 13,5 auf 35,5 Milliarden DM und die Zinsen von 1 Milliarde auf 3 Milliarden DM. Und heute kommen Sie daher und sagen, jetzt muß ein Entschuldungsprogramm durchgeführt werden - für das, was Sie zu verantworten haben. ({5}) Wo waren Sie denn, als sich die Verkehrsanteile der Bahn negativ entwickelten? 1970 war die Leistung der Bahn im Güterverkehr 71,5 Milliarden Tonnenkilometer, und 1982 sind es noch 57,4 Milliarden Tonnenkilometer gewesen. Wo waren denn die flankierenden Maßnahmen, die leider nicht die Wirkung erzielt haben, die wir erhofft haben? ({6}) - Von den Lkw und den Autos wollen wir jetzt nicht weiter reden. Danach sind Sie vorhin schon gefragt worden. ({7}) - Hören Sie mit Ihrem dummen Schmarren auf! ({8}) Der Straßengüterverkehr ist in derselben Zeit von 57 Milliarden Tonnenkilometer auf 119,8 Milliarden Tonnenkilometer gestiegen. Wo waren Sie denn, wo haben Sie denn zur Kenntnis genommen, was sich hier ereignet hat? Sie haben dabei geschlafen. ({9}) Sie haben den Strukturwandel einfach nicht ernst genommen, und da liegt die ganze Problematik, mit der wir uns heute hier auseinanderzusetzen haben. Die Anteile im Güterverkehr sind von 1970, wo sie bei der Bahn noch 33,2 % betrugen, auf 24,2 % zurückgegangen. Wo waren Sie denn, als das geschah? ({10}) Jetzt kommen Sie mit großen Rezepten. Haben Sie nicht erkannt, daß das alles schwierig ist, daß hier ein enormer Strukturwandel vorliegt, der von der Montanindustrie ausgeht, wo man heute für die Erzeugung einer Tonne Stahl viel, viel weniger Kohle als früher braucht, ({11}) wo wir Rohrleitungsverkehr haben ({12}) - das sind doch die Probleme -, und daß die Bahn große Anstrengungen unternehmen muß? Davon hört man bei ihnen nichts. Das haben Sie doch zu vertreten, und heute kommen Sie mit neuen Programmen und Sprüchen. ({13}) Dasselbe ist doch bei den Verlagerungen der Verkehre von der Schiene auf die Straße. Immerhin haben in der Zeit Ihrer Regierung solche VerlageLemmrich rungen auf 4 707 Kilometern stattgefunden. Da würde ich heute nicht so um mich hauen, wie Sie das tun. Sie wissen doch genausogut wir wir, daß damit in vielen Fällen sogar beträchtliche Verkehrsverbesserungen für die Bevölkerung einhergegangen sind. ({14}) Das müssen wir hier doch auch einmal ehrlich sagen. Wenn der Bus in das Dorf hineinfährt und die Leute nicht zwei Kilometer zum Bahnhof laufen müssen, ({15}) kann man hier nicht solche Reden halten, wie sie hier auf einmal gehalten werden. Diese Einsichten haben Sie doch genauso wie wir. ({16}) Sie sollten die Sachen also auch hier gedämpfter sehen, wenn Sie schon davon reden, daß wir ein schwieriges Problem gemeinsam in Angriff nehmen wollen. ({17}) Es geht auch darum, wenn wir die Personenverkehre da, wo das Aufkommen für die Schiene nicht groß genug ist, auf Busse verlagern, diese Strecken natürlich auch für den Güterverkehr besser zu machen. Die Güterverkehre sollen aufrechterhalten bleiben. ({18}) Auch das mußte einmal gesagt werden. Weswegen stellen Sie diese Problematik heute so in schwarzweiß dar? Das, was Sie früher auch gewußt haben, wollen Sie jetzt aus Ihrem Gedächtnis verdrängen. ({19}) Das gilt jedenfalls, wenn man fragt, wo die Pläne sind. Papierene Pläne haben Sie wirklich genug geschaffen. ({20}) Aber was wurde daraus? Sie haben auch Minister gehabt, ({21}) die Einsicht hatten, die aber keine Rückendeckung bei Ihnen fanden. ({22}) Ich kenne die Herren, die dann am Ende in Resignation gegangen sind, ({23}) weil mit Ihnen schwierige Probleme nicht lösbar waren. Da liegen doch die Dinge. ({24}) Wenn wir von der Zukunft der Bahn reden, muß man wissen, was man will. ({25}) Der neue Vorstand der Bahn weiß es und ist sich mit dem Bundesminister für Verkehr einig. Aber es hat immer am Handeln gefehlt. Wenn der Vorstand handeln wollte, sind gerade Sie hier diesem in den Rücken gefallen. ({26}) So ging nichts hin und nichts her, und die ganze Malaise im finanziellen, im Verkehrsbereich, kam dann zustande, was dazu führte, daß die Probleme heute so groß sind. Ich muß fragen: Wo hat denn der Herrn Bamberg da seine Gefühle gehabt, und auch Sie sowieso, Herr Haar? Wissen Sie, wenn ich so unglaubwürdig wäre wie Sie, dann würde ich wirklich einige Zähne zurückschalten. ({27}) Wir wollen, daß das Unternehmen leistungsfähig ist und unsere Bürger sicher und preiswert transportieren kann und daß es im Güterverkehr seinen Beitrag für unsere schwer im Wettbewerb stehende Wirtschaft leistet. ({28}) - Und wenn Sie das ansprechen: Wir werden über den Kanal in nächster Zeit noch diskutieren. Sie wollen, daß die Niederbayern 40 Millionen DM mehr an Transportgeldern bezahlen als z. B. die Betriebe im Raum Stuttgart. Das wäre nämlich die Konsequenz. ({29}) - Ach, Sie verstehen doch nichts davon, Herr Lambinus. ({30}) - Mensch, reden's doch nit so deppert daher! Wir werden uns darüber noch unterhalten. ({31}) Wer hier meint, mit solchen Dingen könne die Bahn gerettet und saniert werden, der irrt sich. ({32}) Notwendig ist es, daß der Vorstand seine zielstrebige Politik fortsetzen kann, ({33}) damit das Unternehmen wettbewerbsfähig ist. ({34}) Das wird den Wettbewerbern der Bahn noch bald aufkommen. Dieser neue Vorstand hat sich etwas einfallen lassen. ({35}) - Gut, richtig! Es ist doch gut, wenn man für etwas zahlt und dann auch eine Gegenleistung bekommt. Das war ja bei Euch nicht so. Das ist ja auch gut bezahlt worden. Aber die Gegenleistung war nicht da. - Der Vorstand läßt sich etwas einfallen. Denken Sie an das Intercargo-System mit garantierter Transportzeit. Das zielt genau auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Man sitzt nicht mehr hinter dem Schalter und wartet, bis einer kommt, sondern man geht hinaus. Das ermutigen wir. Und so werden wir auch mit den Problemen fertig werden. ({36}) Der Vorstand, die Führung der Bahn - das ist das Entscheidende - braucht den Rückhalt des Verkehrsministers, der Regierung und dieses Hauses, damit er den schwierigen Strukturwandel - wer bestreitet, daß der schwierig ist, der irrt sich - bewältigen kann. Zuletzt zur Motivation. Wie war denn das? Am 31. Mai 1978, gemeinsame Anhörung von Haushaltsund Verkehrsausschuß. Herr Dr. Vaerst, Erster Präsident der Bundesbahn, sagt dort: „Mir und meinen Vorstandskollegen fällt es heute nicht nur schwer, sondern wir sehen keine Möglichkeit mehr, die Eisenbahner und die Mitarbeiter der Eisenbahn zu motivieren." Sie, Herr Haar, waren Parlamentarischer Staatssekretär und sind heute hoher Gewerkschaftsführer. ({37}) Das waren die Tatsachen. Heute gehen die Eisenbahner hinaus und werben für ihr Unternehmen. ({38}) Das zeigt, daß dieser Vorstand, getragen durch diese Politik, die Eisenbahner wieder motiviert. Und dazu werden wir sie durch unsere Politik ermutigen. Danke schön. ({39})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Reagieren auf Einflüsse, die von außen auf die Marktstruktur einwirken, aber agieren dort, wo die drastisch steigende Verschuldung gebremst und der Weg der Bahn in die Zukunft gesichert werden muß. Ich muß hier nachdrücklich betonen, daß es erforderlich war, in Form einer Großen Anfrage eine aktuelle Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Bundesbahn vorzunehmen. Themen wie wirtschaftliche und finanzielle Situation, politische und unternehmerische Konzeption, Entwicklung der Personalkosten, Investitionsabsichten, Transporttechnologien, nationale und internationale Wettbewerbssituation, Vergleiche mit Eisenbahnen anderer Länder sind doch Fragen, die einer Antwort bedurften. Das, meine Damen und Herren, gibt die Grundlage für politische und unternehmerische Entscheidungen. Das gibt die Grundlage für politische Perspektiven. Sehen wir die Entwicklungen, die zu der schwierigen Situation der Deutschen Bundesbahn geführt haben, dann sollten wir den wirtschaftlichen Strukturwandel und das starke Wachstum nicht verkennen. Wir sollten die Veränderungen im Werkstoffbereich oder aber den Wandel in der flächenhaften Siedlungsstruktur nicht verkennen. Deswegen, meine ich, waren mindestens ebenso einschneidend die wirtschaftlich-strukturellen Änderungen sowie die verkehrstechnologischen Entwicklungen. Ich will nicht auf die Veränderungen eingehen, die sich im Kfz-Bereich ergeben haben, mache aber deutlich die Veränderungen im Bereich der Binnenschifffahrt, im Bereich der Rohrleitungen, im Bereich des Luftverkehrs. Denken wir an die 16 Jahre der Versäumnisse der durch die SPD verantworteten Politik, dann müssen wir feststellen: Dies war ein Stiefkind der Politik im Verkehrsbereich. Es wurde zu einem Sorgenkind der Nation und somit zu einem erheblichen, nicht kalkulierbaren Haushaltsrisiko. ({0}) Warum? Voraussagen trafen nicht ein, Perspektiven entwickelten sich nicht entsprechend, und so gab es immer mehr Experimente, immer neue Anläufe, immer neue Versprechungen, aber immer auch neue Enttäuschungen. Wir müssen den Weg nach vorne wählen. Ich meine, die Deutsche Bundesbahn ist auf dem besten Wege. Eine verstärkte Akquisition, eine Steigerung im Großcontainerverkehr, die erheblichen Verbesserungen im Huckepackverkehr, die Angebote im Kleingutbereich, der Ausbau des Intercity-Verkehrs, Sonderangebote - rosarote Wochen - führen zu Vermehrungen, führen zu Verbesserungen. Trotz des wirtschaftlich schwierigen Jahres 1983 konnte der Verlust der Deutschen Bundesbahn deutlich - das wurde hier schon betont - auf unter vier Milliarden DM begrenzt werden und fiel damit um eine Milliarde DM geringer aus, als veranschlagt war. Dies, meine Damen und Herren, sind Erfolge, die wir zu würdigen haben. ({1}) Mit Rücksicht auf die Zeit kann ich mich nicht den Themen „Wirtschaftsunternehmen Deutsche Bundesbahn", „Ordnungspolitik" und „Daseinsvorsorge" widmen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich gleich in die Europapolitik einschwenke und sage: Eine Harmonisierung im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der EG ist dringend erforderlich. Daneben muß natürlich ein Abbau der Hemmnisse erfolgen, die in Form von Grenzkontrollen, von Wartezeiten bestehen. Wir müssen die Deutsche Bundesbahn auffordern, Europa zu integrieren, damit Europapolitik auch in der aktiven Verkehrsanbindung verwirklicht wird. Die Eisenbahnpolitik ist in den Leitsätzen der CDU zur europäischen Verkehrspolitik Gegenstand folgender Forderungen: Konsolidierung der Finanzlage der europäischen Eisenbahnunternehmen durch Nutzung aller Rationalisierungsreserven, Erhöhung der Arbeitsproduktivität und Kostensenkung, stärkere Kooperation der europäischen Eisenbahnunternehmen im Bereich der Planung, im Betrieb und im gemeinsamen Marketing, um die Chancen der langen Entfernungen im grenzüberBohlsen schreitenden Verkehr optimal zu nutzen; weiter die Steigerung der Attraktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahn insbesondere durch die Entwicklung des kombinierten Verkehrs Schiene/ Straße, die Ausweitung der bestehenden Intercity-Personenverkehre auch auf den Güterverkehr sowohl im nationalen wie im internationalen Eisenbahnverkehr, eine gemeinsame Planung für den grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsverkehr der Eisenbahn. Darum - lassen Sie mich das abschließend sagen -: Die Deutsche Bundesbahn hat Zukunft! Bis 1990 sind Investitionen in Höhe von 40 Milliarden DM vorgesehen - wir haben das Zahlenspiel gehört -, davon allein 14 Milliarden DM für die Neubaustrecken und 26 Milliarden DM für Fahrzeuge, für Anlagen, für Rationalisierung und Attraktivitätssteigerung. Auch im Bereich der Verkehrssicherheit, im Bereich der Gesamtenergie, im Bereich des Verkehrslärms und der Luftverschmutzung liegen äußerst günstige Faktoren vor. Die Deutsche Bundesbahn hat - das betone ich - Zukunft, wenn sie neue Angebote unterbreitet, wenn sie Fortschritte im grenzüberschreitenden Verkehr erreicht, wenn die Verantwortlichkeiten klar geregelt werden, wenn Hilfe bei den Investitionen durch den Bund geleistet wird, wenn Neubaustrecken weitergebaut und weiter konzipiert werden. Die Bahn wird durch Steigerung der Attraktivität ein wichtiger Verkehrsträger der Zukunft sein. Ich bedanke mich. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1234 ist Überweisung an die Ausschüsse beantragt, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Haushaltsausschuß. Zu den Tagesordnungspunkten 2 b) und 2 c) schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/808 und 10/612 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Für den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1222 wird ebenfalls Überweisung vorgeschlagen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Haushaltsausschuß. Sind Sie, meine Damen und Herren, mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt werden. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/1215 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Chory zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Sielaff auf: Will die Bundesregierung mit der Bemerkung in der Antwort vom 15. März 1984 zur Frage Nr. 89 ({0}), der ehrenamtliche Beisitzer in den Ausschüssen und Kammern müsse sich für den Staat ein möglichst objektives, interessenfreies Urteil über das Vorliegen eines Gewissensgrundes im Sinne von Artikel 4 Abs. 3 GG bilden, unterstellen, daß Pfarrer und Religionslehrer, die bisher als Beisitzer tätig waren, dieses Kriterium nicht erfüllt haben?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nicht den geringsten Zweifel, daß die Pfarrer, die in der Vergangenheit als Beisitzer in den Prüfungsausschüssen und -kammern tätig waren, dieses Amt mit der gleichen Objektivität wahrgenommen haben wie Beisitzer aus anderen Berufen. Sie ist lediglich der Auffassung, daß die Tätigkeit als Beistand, der dem Antragsteller in der Verhandlung vor dem Ausschuß oder der Kammer helfend zur Seite steht, dem Amt eines Pfarrers in besonderer Weise nahekommt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist nicht auch die Bundesregierung der Auffassung, daß zumindest ihre Antwort vom 15. März 1984, worauf sich ja meine Fragen beziehen, leicht als Diffamierung eines Berufsstands verstanden werden könnte? Ich frage deshalb: Hat die Bundesregierung vor Erlaß der Verordnung vom 2. Januar 1984 die Inhalte des § 2 Abs. 2 Nr. 7 mit Vertretern der Kirchen besprochen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, es haben vor Erlaß dieser Verordnung keine besonderen Gespräche darüber stattgefunden. Ich möchte aber auf folgendes hinweisen. Diese Vorschriften entsprechen denen, die 1979 von der interfraktionellen Arbeitsgruppe „Reform der Kriegsdienstverweigerung" erstellt wurden. Sie wurden damals von allen drei Fraktionen begrüßt und sowohl in den Entwurf der SPD/FDP-Koalition als auch in den Entwurf der CDU/CSU aufgenommen, die beide im Sommer 1979 eingebracht wurden. Auch in den anschließen4514 den Ausschußberatungen wurde damals diese Gesetzesänderung allgemein als ein wichtiger Teil der Reform bewertet. Deshalb ist die Bundesregierung der Meinung, daß diese Vorschriften jetzt nicht in Frage gestellt werden sollten. Sie war der Meinung, daß sie nicht auf Widerstand stoßen und nicht als Diskriminierung empfunden würden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, die Bundesregierung hatte nicht vor, eine für sie kritische Berufsgruppe als Beisitzer in den Prüfungsausschüssen und -kammern für Kriegsdienstverweigerer auszuschalten, wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, in der Verordnung etwa zu formulieren: Wer Beisitzer in Ausschüssen oder Kammern ist, kann nicht als Beistand für Kriegsdienstverweigerer auftreten? Dann hätten Sie das gleiche erreicht, und es wäre nicht der Eindruck entstanden, es sei gegen eine bestimmte Berufsgruppe gezielt.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, das wäre in der Verordnung deshalb nicht möglich gewesen, weil das Gesetz einen Rahmen vorgab, an den sich die Verordnung halten mußte. Das Gesetz nahm allgemein auf die persönlichen Voraussetzungen für die Ernennung zum Schöffen Bezug. Nach diesen Vorschriften sollen Religionsdiener, also die Geistlichen, nicht zum Schöffen berufen werden. Deshalb ist die Verordnung, dem Gesetz konform, so gemacht worden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Inkompatibilität von Pfarramt und Tätigkeit im Schöffengericht geht ja davon aus, daß die Kirche der Auffassung ist, daß ein Verkündiger des Wortes Gottes nicht gleichzeitig Menschen verurteilen sollte. Ist es von daher nicht völlig falsch, daß Sie von der Schöffentätigkeit eine Parallele zu der Betätigung in Prüfungsausschüssen für Kriegsdienstverweigerer ziehen? Und woher nimmt die Bundesregierung eigentlich die ungeheure Anmaßung, die Tätigkeit von Pfarrern zu beurteilen? Sollte sie das nicht lieber der Kirche überlassen? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Trotz allem möchte ich sagen: Ich bitte, hier doch Bewertungen zu unterlassen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich habe soeben deutlich gemacht, wie die Bundesregierung die Tätigkeit von Pfarrern bewertet. Ich habe nämlich ausdrücklich gesagt, es gebe keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Pfarrer, soweit sie als Beisitzer tätig waren, die Objektivität gewahrt haben. Die Bundesregierung hat eine Vorschrift wieder aufgenommen, die bei den früheren Beratungen unbeanstandet erstellt worden war. Ich sehe darin keine Diskriminierung. Ich meine auch: Wenn es sich um die beiden unterschiedlichen Tätigkeiten handelt, die ich vorhin erwähnt habe, liegt die Tätigkeit des Beistands dem Beruf des Pfarrers sicher näher als die des Beisitzers, der immerhin in die Situation kommen kann, auch zu Lasten des Antragstellers zu entscheiden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 25 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf: Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage des Präsidenten des Hartmannbundes/Verbandes der Ärzte Deutschlands und der Landesärztekammer von Nordrhein-Westfalen, Professor Dr. Horst Bourmer, der die in der vom nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister bekanntgemachten Studie der Pharmaindustrie enthaltene Aussage, nach der 950 000 von 8,1 Millionen Kindern in der Bundesrepublik Deutschland Psychopharmaka nähmen, auf die heutige Leistungsdruck-Situation zurückführt und vor den unabsehbaren Folgen warnt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird dann Folgerungen aus der in der Frage zitierten Aussage ziehen, wenn diese überprüft ist und bestätigt sein sollte. Derzeit liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat für 1984 ein wissenschaftliches Symposion zur Klärung dieser Fragen vorgesehen, das von der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde veranstaltet und aus Mitteln des Bundes gefördert werden wird. Auch bei der Bundesregierung ist der Eindruck entstanden, daß sowohl Eltern als auch Ärzte mit der Anwendung und Verordnung von Psychopharmaka nicht genügend kritisch umgehen. Dabei werden Psychopharmaka nicht nur bei Schulängsten, sondern auch bei Schwierigkeiten anderer Art, allgemeinen Lebensängsten, und zur Ruhigstellung von Kindern eingesetzt. Im Rahmen ihrer Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung wirkt die Bundesregierung darauf hin, daß Psychopharmaka nicht mißbräuchlich verwendet werden. Sie hält Psychopharmaka nicht für ein geeignetes Mittel, die schulische Leistungsfähigkeit zu steigern, und warnt davor, sie für diesen Zweck einzusetzen. Die Bundesregierung steht damit in Übereinstimmung mit der Empfehlung des Weltärztebundes über den Gebrauch psychotroper Arzneimittel.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

,Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die vom „Stern" in der heutigen Ausgabe dargestellten Praktiken von Ärzten, Psychopharmaka auch ohne persönliche Diagnose bzw. Untersuchung der Kinder nur auf Vorsprache der Eltern zu verschreiben?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich muß gestehen, daß ich heute morgen noch nicht dazu gekommen bin, den „Stern" zu lesen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, die Bundesregierung sei noch dabei, das Problem zu untersuchen: Welche Erkenntnisse liegen denn bis heute schon vor, was die Ursache für die Verschreibungspraktiken von Ärzten in bezug auf Psychopharmaka für Kinder sein könnte?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir wissen, daß es unterschiedliche Ursachen gibt; ich habe einige genannt. Wie ich vorhin schon gesagt habe, werden Psychopharmaka nach unseren Erkenntnissen zum Teil auch eingesetzt, ohne daß es eine zureichende Indikation gibt, beispielsweise auch zur Ruhigstellung oder dann, wenn Kinder unabhängig von der Schule unter Ängsten leiden. Wir schätzen - deswegen brauchen wir auch dieses Symposion - nach den bisher vorliegenden Unterlagen den Bereich, in dem bei Kindern Psychopharmaka ohne zureichende Indikation, also auch unter Umständen ohne ärztliche Verschreibung, eingesetzt werden, zwischen 1 % und 7 %. Der Spielraum ist relativ groß. Deswegen bemühen wir uns auch um zusätzliche Erkenntnisse.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie es für Ihre Bemühungen für hilfreich halten, wenn die Pharmaindustrie Daten, die in diesem Zusammenhang stehen, offenlegen und nicht als Geheimsache behandeln würde, und würden Sie es darüber hinaus grundsätzlich für sinnvoll halten, wenn die Pharmaindustrie bei therapeutischen Fragen die Geheimniskrämerei bei Ihrem Institut einstellen würde?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage mit ja. Wir würden es sehr begrüßen, wenn wir zusätzliche Daten von der Pharmaindustrie bekämen. Wir brauchen sie auch im Rahmen der Risikoüberwachung bei Arzneimitteln.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wäre es nicht angebracht, wenn die Bundesregierung nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen behandeln und eine Wende in der Familien- und Wohnungsbaupolitik vornehmen würde, um die soziale Lage und das soziale Umfeld der Familie zu verbessern, damit Psychopharmaka zur Ruhigstellung von Kindern gar nicht mehr erforderlich sind? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, wir können jetzt natürlich kein Referat von dem Herrn Staatssekretär als Antwort erwarten, wenn ich darauf aufmerksam machen darf. - Aber wenn Sie noch etwas sagen wollen, bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist dabei, eine grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs und Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Familien ({0}) vorzubereiten, weil sie der Auffassung ist, daß die Familien in den letzten 15 Jahren gegenüber allen anderen Gruppen der Gesellschaft benachteiligt worden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen - und ich stimme dem zu -, daß es wünschenswert wäre, diese und andere Statistiken der Pharmaindustrie zu kennen, sie also zu veröffentlichen, möchte ich Sie fragen, was denn die Bundesregierung außer gutem Zureden tut, um diese Statistiken in Zukunft zu bekommen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, diese Frage ist in intensiver Beratung im zuständigen Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, und zwar bei der Beratung des Arzneimittelberichts. Die Bundesregierung hat dort schon deutlich gemacht, daß sie, wenn zusätzliche Daten über die Ausgabe von Arzneimitteln von der Pharmaindustrie nicht über das bisherige Maß hinaus freiwillig zur Verfügung gestellt werden - wir hoffen immer noch, daß das geschieht -, eine gesetzliche Vorschrift vorschlagen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse, inwieweit die Werbung der pharmazeutischen Industrie Einfluß auf die Verschreibung der Psychopharmaka nimmt, und wenn sie Erkenntnisse hat, was gedenkt sie gegen diesen Einfluß zu tun, den Sie ja eben verurteilt haben?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, bei Psychopharmaka ist Publikumswerbung verboten. Es darf nur gegenüber denen geworben werden, die sie anwenden, also gegenüber den Ärzten. In diesem Bereich ist es so, daß Gebrauchshinweise und Werbung sehr schwer auseinanderzuhalten sind. Aber Publikumswerbung ist schon verboten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 26 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf: Sieht die Bundesregierung angesichts des bekanntgewordenen Medikamentenmißbrauchs von Psychopharmaka durch Kinder und Jugendliche einen Anlaß, davor zu warnen, daß trotz ständig gestiegenen Anforderungen nach mehr Leistung und Leistungsorientierung in den Schulen und Universitäten verlangt wird? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, Leistung ist nach Auffassung der Bundesregierung - das gilt auch für Schulen und Universitäten - ein unentbehrlicher Ansporn für den Menschen. Sie hilft ihm, seine sozialen, intellektuellen, praktischen und künstlerischen Begabungen zu entfalten. Leistung ist auch gerechter Maßstab beruflicher und gesellschaftlicher Qualifikation. Auch in der Schule ist Leistung mehr als nur Nachweis von Wissen und Durchsetzungsvermögen. Im Leistungsanspruch müssen auch Einsatzbereitschaft für den Schwächeren, Rücksicht und Achtung für den Mitmenschen gefördert und anerkannt werden. Für Leistung und Leistungsorientierung in diesem wohlverstandenen Sinne setzt sich die Bundesregierung ein. Von der weiteren Prüfung der aufgeworfenen Fragen z. B. im Rahmen des beabsichtigten Symposiums wird es abhängen, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt auch ein warnender Hinweis zu geben ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung, falls das angekündigte Symposium einen Zusammenhang zwischen Verschreibung von Psychopharmaka und Leistungsdruck in der Schule ergeben sollte, von ihrer Leistungsideologie in Zukunft Abstand nehmen wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich bin sicher, daß die Bundesregierung von Leistung in dem Sinne, wie ich es eben vorgetragen habe, weder Abstand nehmen wird noch Abstand zu nehmen braucht. ({0}) Ich bin sicher, daß das Symposium dies nicht ergeben wird. Es kann sich nach meinem Ermessen nur darum handeln, ob unter Umständen irgendwo ein falscher Leistungsbegriff zugrunde gelegt wird. Wenn das in einem Maße der Fall ist, daß es einen warnenden Hinweis rechtfertigt oder erfordert, wird die Bundesregierung ihn geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf man also nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß dann, wenn der Zusammenhang auf dem Symposium festgestellt werden sollte, der heute bestehende Leistungsdruck in den Schulen auch mit Ihrer Hilfe abgebaut werden würde?

Not found (Staatssekretär:in)

Soweit es sich um einen unzuträglichen Leistungsdruck handelt und Leistung falsch verstanden wird, wird sich die Bundesregierung für einen Abbau einsetzen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie erläutern, was ein unzumutbarer Leistungsdruck nach Ihrer Interpretation bedeutet?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, das wäre, um es einmal mit einem Wort zu sagen, die Vergötzung von Leistung. Es wäre dann der Fall, wenn Leistung in einem Sinne verstanden wird, bei dem - um ein Beispiel zu nennen - nicht auch die Einsatzbereitschaft für den Schwächeren und die Rücksicht und die Achtung für den Mitmenschen - wie ich es vorhin positiv bezüglich des Leistungsbegriffs, wie die Bundesregierung ihn vertritt, dargelegt habe - gefördert werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nach Ihrer interessanten Antwort frage ich Sie: Wie verstehen Sie auf diesem Hintergrund Überlegungen von Mitgliedern der Bundesregierung, zur Eliteuniversität zu kommen? Ist es ein sozial nicht vertretbarer Leistungsbegriff, der hinter diesen Vorstellungen steht? ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Ich sehe das nicht so, Herr Abgeordneter.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwenninger.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sprechen Sie auch von Vergötzung des Leistungsdrucks, wenn Sie - z. B. in Baden-Württemberg - vor Augen haben, daß Schüler immer mehr Klassenarbeiten schreiben müssen, um diesen Leistungskriterien gerecht zu werden, und daß die Inhalte oft nur nachklappen, und sind Sie mit mir der Meinung, daß die Schüler gar nicht mehr genug von der Sache her lernen und auch nicht mehr auf das achtgeben können, was Sie vorhin angesprochen haben, nämlich Sozialverhalten usw., weil sie zu sehr von diesen vielen Formalitäten eingenommen sind?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir müssen uns vorsehen, daß wir nicht in die Kulturhoheit der Länder eingreifen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich bin im einzelnen über die Situation an den Schulen in Baden-Württemberg nicht informiert. Ich könnte nur etwas sagen über die Schule, an der meine Tochter zur Zeit das Abitur macht. Dort habe ich so etwas nicht festgestellt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn die Zahlen richtig sind, die hier aufgeführt sind - und ich gehe davon aus -, wäre es dann nicht wichtiger, daß wir weniger die Leistung bzw. den hier angesprochenen LeistungsCarstensen ({0}) druck abbauen, sondern eben die Therapie, die hier ja wohl auch angeführt ist? ({1})

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, wir haben diese Unterlagen bisher nicht bekommen, deswegen konnten wir sie naturgemäß auch nicht prüfen. Ich habe allerdings vorhin deutlich gemacht, daß bei dem Einsatz von Psychopharmaka Zurückhaltung geboten ist und daß man sorgfältig prüfen sollte - ob das nun für Kinder und Jugendliche oder für Erwachsene gilt -, daß sie nicht in falschen Fällen eingesetzt werden, denn es ist einfach eine Tatsache, daß wir auch mit einer nicht ganz kleinen Zahl von Medikamentenabhängigen zu tun haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie nicht eine Vergötzung von Noten, bei denen z. B. einem Menschen, der einen Abschluß mit 1,2 macht, gesagt wird: „Du hast keine Chance", für ein Mittel, gerade die von Ihnen angesprochenen sozialen Fähigkeiten erheblich zu vernachlässigen? ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete, man muß bei diesen Dingen, also der Benotung, immer nach der möglichen Alternative fragen. ({0}) Die Frage stelle ich mir jedenfalls immer. Wenn man sich dann fragt, was man an die Stelle von Noten setzen soll, die nach bestem Wissen und Gewissen festgesetzt werden, die natürlich im Einzelfall auch falsch sein können, dann, muß ich offen gestehen, kann ich Ihnen ein besseres Mittel nicht sagen. Wohlgemerkt, ich setze voraus, daß die Noten nach vernünftigen Grundsätzen gegeben werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Delorme werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Ehrenberg sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Die Frage 31 des Abgeordneten Hedrich und die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe Frage 33 der Abgeordneten Frau Weyel auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die B 54 im Abschnitt Schiesheim-Diez Unfallschwerpunkt ist mit 3 Toten, 43 Schwerverletzten und 90 Leichtverletzten in den letzten vier Jahren, und sieht sie unter diesen Umständen eine weitere Belastung dieser Straße durch Verlegung des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße für vertretbar an?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, wie die rheinland-pfälzische Straßenbauverwaltung mitgeteilt hat, liegt die Unfallhäufigkeit auf dem Streckenabschnitt der B 54 zwischen Diez und Schiesheim leicht über dem Durchschnitt. Unfallschwerpunkte im Sinne Ihrer Definition sind auf der genannten Strecke nicht bekannt. Die Verkehrsbelastung auf der B 54 würde sich nach dem heutigen Verkehrsaufkommen im Schienenpersonenverkehr im Falle der Verlagerung auf die Straße nicht wesentlich erhöhen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, könnten Sie mir erklären, was nach Ansicht der Bundesregierung „nicht wesentlich" bedeutet, wenn feststeht, daß zumindest ein Schüleraufkommen von zur Zeit täglich etwa 150 Schülern und der Werkverkehr dreier größerer Betriebe dann auf die Straße verlagert wird?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Frau Kollegin, es geht nicht darum, daß Unfälle verniedlicht werden, aber es gibt Schwellenwerte für die Kennzeichnung eines Unfallschwerpunktes, und sie sind wie folgt festgelegt: Für Knotenpunkte und kurze Strecken bis 300 Meter sind es vier Unfälle eines Typs oder zehn Unfälle aller Typen innerhalb eines Jahres; für längere Streckenabschnitte bis einen Kilometer sind es acht Unfälle eines Typs oder 20 Unfälle aller Typen innerhalb eines Jahres. Wenn Sie nach der Gesamtverkehrsbelastung fragen, muß ich Ihnen sagen, daß bei einer Verlagerung des Schienenverkehrs auf die Straße pro Tag mit einer Mehrbelastung von 20 Bahnbusfahrten zu rechnen wäre - beide Richtungen zusammen, eine Richtung also zehn. Das heißt in der normalen Tageszeit einmal pro Stunde ein Bus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist dabei berücksichtigt, daß anzunehmen ist, daß bei einem ja nicht so regelmäßig wie der Schienenverkehr erfolgenden Bahnbusverkehr ein Teil der bisherigen Bahnbenutzer auch in Privatfahrzeuge umsteigt?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Frau Kollegin, ich gehe davon aus, daß diese Strecke deswegen bei der Deutschen Bundesbahn zur Disposition steht, weil das, was Sie gerade angeführt haben, bereits in der Vergangenheit eingetreten ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Frau Weyel auf: Vizepräsident Frau Renger Welche Kosten würden bei einem Ausbau der B 54 im Abschnitt Schiesheim-Diez zur Verbesserung der Verkehrssicherheit entstehen, und wie verhalten sich diese Kosten zu denen für Aufrechterhaltung des Personenverkehrs der Deutschen Bundesbahn im Abschnitt Limburg-Kettenbach?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, nach dem Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen sind zwischen Diez und Schiesheim im Zuge der B 54 Umgehungsstraßen von Niederneisen und Hahnstätten geplant. Die Kosten hierfür werden auf rund 13 Millionen DM geschätzt. Der Bau von Umgehungsstraßen in diesem Abschnitt der B 54 ist jedoch aus der Sicht der rheinland-pfälzischen Straßenbauverwaltung problematisch und schwer durchsetzbar. Weiterhin soll die Kreuzung der B 54 mit der Kreisstraße 58 im Bereich von Oberneisen mit einem Kostenaufwand von rund 2 Millionen DM umgebaut werden. Die Kosten für eine Aufrechterhaltung des Schienenpersonennahverkehrs im Abschnitt Limburg-Kettenbach wurden von der Deutschen Bundesbahn bislang nicht berechnet. Im Zusammenhang mit der Einleitung des Verfahrens hat die Deutsche Bundesbahn eine Verbesserung ihres Wirtschaftsergebnisses im Falle der Umstellung des Reisezugverkehrs auf Busbedienung zwischen Diez und Bad Schwalbach von rund 2,1 Millionen DM pro Jahr ermittelt. Investitionen im Zuge der B 54 sind jedoch unabhängig von der geplanten Verlagerung des Schienenpersonenverkehrs auf die Straße notwendig.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihren Berechnungen auch berücksichtigt, daß zur Zeit die Bundesbahn auch deshalb weniger frequentiert wird, weil parallel bereits Busse der Bundesbahn bzw. der zusammengeführten Busdienste fahren?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Frau Kollegin, dieser Fall ist nicht selten. Allerdings wird meistens in der öffentlichen Diskussion übersehen, daß die Deutsche Bundesbahn für den Fall, daß eine Strecke weiter auf der Schiene bedient wird, Busse nur dann einsetzt, wenn der Zug zu einer bestimmten Tageszeit oder an einem bestimmten Tag - beispielsweise an einem Samstag oder einem Sonntag - nicht ausgelastet ist. Die Busse werden eingesetzt, weil sie wesentlich kostengünstiger sind. Man rechnet ungefähr mit einem Drittel der Kosten im Vergleich zu einem Schienenbus. ({0}) Dies findet auf solchen Strecken, die Sie ansprechen, nicht zur selben Zeit statt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wären Sie zur Überprüfung bereit, wieweit zur Zeit in dem angesprochenen Streckenabschnitt eine solche Parallelbedienung - zeitlich fast gleichlaufend - üblich ist? Wären Sie weiterhin zur Überprüfung bereit, ob nicht eine Verlagerung des Schülerverkehrs, der jetzt durch Busse erfolgt, auf die Bahn möglich ist, und zwar mit einer finanziellen Beteiligung des Kostenträgers für den Schülerverkehr?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Frau Kollegin, wir werden die angesprochenen Fragen untersuchen. Sie bekommen eine Antwort. Ich muß allerdings, was den Schülerverkehr angeht, sagen, daß wir hier für die Bezahlung und die Organisation nicht die Kompetenz haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade in der Beantwortung einer Frage gesagt, daß der Busverkehr in der Regel kostengünstiger für die Bundesbahn sei. Ist das nicht auch darauf zurückzuführen, daß in den meisten Gebieten, in denen der Verkehr von der Schiene auf den Bus verlagert wird, die Fahrpreise für Schüler und Benutzer allgemein um 30 % steigen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich kann dies nicht bestätigen. Im übrigen habe ich vorhin von Ihnen den Zwischenruf „Unverschämtheit" gehört. Ich glaube, daß es einen Unterschied zwischen Unverschämtheit und Unkenntnis gibt. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Einen Augenblick! Wenn hier schon jemand in etwa Bemerkungen rügt, dann macht das, glaube ich, der Präsident, Herr Staatsekretär. ({0}) Jetzt hat Herr Krizsan eine Zusatzfrage.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen soeben davon, daß der Bahnbus kostengünstiger sei als der Schienenverkehr. Beziehen Sie in diese Kalkulation auch den Straßenbau und die anderen Folgekosten mit ein?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ich habe vorhin einen Vergleich zwischen dem Schienenbus und dem Omnibus auf der Straße angestellt - Eigentümerin DB; das ist klar -, der sich auf sehr niedrig frequentierte Eisenbahnlinien bezog. Ich habe die Zahlen genannt. Ich glaube, alles andere führt weit über diese Frage hinaus. Wir können darüber gerne einmal eine allgemeine Diskussion führen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn ihre Aktion „rosaroter Elefant" mit einem kostenlos ausliegenden Sonderdruck der „Bild"-ZeiVizepräsident Frau Renger tung bekannt macht und damit wettbewerbsverzerrend auf den Pressemarkt einwirkt, und wie hoch ist die Auflage des „Bild"-Sonderdruckes? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Die Verantwortung für die Aktion „Das rosarote Jahr" liegt bei der Deutschen Bundesbahn. Um den wirtschaftlichen Erfolg dieses Angebots zu sichern, hat sie in einer kurzfristigen bundesweiten Werbemaßnahme mit besonders hohem Aufmerksamkeitswert dafür geworben. Ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften wird in dieser Maßnahme nicht gesehen. Der Deutschen Bundesbahn schien die Aufmachung der weit verbreiteten und in sehr hoher Auflage erscheinenden „Bild"-Zeitung als besonders werbewirksam. Die presserechtliche Zustimmung des Verlages liegt vor. Die Auflage des Sonderdruckes betrug 10 Millionen Exemplare. Die Sonderdrucke selbst wurden nach Ausschreibung von mittelständischen Druckereien vorgenommen. Herausgeber ist das Werbeamt der Deutschen Bundesbahn.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn eine Gemeinschaftswerbung durchgeführt wird, so ist es ja normalerweise eine Usance, daß eine Kostenteilung vereinbart wird. Würden Sie bestreiten, daß diese Aktion, die offenbar von der Deutschen Bundesbahn allein finanziert worden ist, eine Werbemaßnahme auch für die „Bild"-Zeitung darstellt?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich muß vermuten, daß Sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. In diesem Fall ist nur die äußere Gestaltung der „Bild"-Zeitung gewählt worden. Herausgeber des Sonderdrucks ist die DB selber. Die „Bild"-Zeitung hat lediglich der Benutzung ihres äußeren Erscheinungsbildes zugestimmt und dafür kein Entgelt verlangt, was möglich gewesen wäre. Also genau das Gegenteil von dem, was Sie fragen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß auch dann, wenn ein Begünstigter - in diesem Fall die „Bild"-Zeitung - keine Übernahme von Kosten anbietet, derjenige, der die Kosten trägt - also in diesem Fall indirekt der Staat -, von dem Begünstigten ein Entgelt verlangen sollte?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, daß die „Bild"-Zeitung kein Entgelt verlangt hat. Das bedeutet, ich gehe davon aus, daß die „Bild"-Zeitung nicht der Begünstigte war.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Jannsen, bitte.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie sicher, daß mit dieser Aktion der Deutschen Bundesbahn keine Werbung für die „Bild"-Zeitung betrieben worden ist? ({0})

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ich kann das nicht beurteilen. Das ist im übrigen aber auch nicht die Aufgabe der Bundesregierung. Herausgeber des Sonderdrucks ist die DB selbst, und zwar ihr Werbeamt. Sie tut das in eigener Verantwortung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf: Welche Kosten verursacht die Werbeaktion insgesamt, und welchen prozentualen Anteil an den Kosten trägt der Springer-Verlag? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, der Bundesbahn sind durch die Werbeaktion insgesamt 94 000 DM an Kosten entstanden, die voll in der Kalkulation des Sonderangebots enthalten sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß bei der Verteilung dieses Sonderdrucks Beschäftigte der Deutschen Bundesbahn in ihrer Freizeit tätig waren?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Halten Sie es für gerechtfertigt, daß Bedienstete der Deutschen Bundesbahn in ihrer Freizeit Werbung für die „Bild"-Zeitung machen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß das eine Werbung für die DB war. Wir hatten heute morgen eine vierstündige Debatte über die Deutsche Bundesbahn, in der unter anderem auch einer Ihrer Fraktionskollegen, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands ist, zu der Gesamtproblematik Stellung genommen hat. Ich habe heute morgen darüber keine Klagen gehört.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Jannsen auf: Auf welche Entscheidungen stützt sich die Bundesregierung bei dem Erlaß des Bundesministeriums für Verkehr vom 27. Januar 1984 bezüglich der Linienführung der B 211 neu, die das Feuchtgebiet „Bornhorster Wiesen" bei Oldenburg durchqueren soll?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Linienbestimmung des Bundesministers für Verkehr vom 27. Januar 1984 für die Bundesstraße 211 - Neu - erfolgte von östlich Klein Bornhorst bis Hunte4520 brück, so daß die „Bornhorster Wiesen" von der Bundesfernstraßenplanung nicht tangiert werden. Bei dem geplanten Neubau von der A 29 bis östlich Klein Bornhorst, der die nördliche Ecke der „Bornhorster Wiesen" durchkreuzt, handelt es sich um eine Maßnahme des Landes Niedersachsen im Zuge der Verlegung der Landesstraße 65.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, halten Sie einen Abstand von zehn Jahren zwischen einem Feststellungsbeschluß im Land Niedersachsen und dem Erlaß des Bundesministers für Verkehr für vertretbar?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, da es sich hier um eine Landesmaßnahme handelt, bin ich nicht willens, dazu Stellung zu nehmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, haben bei der Herausgabe dieses Erlasses Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, wie es in meiner zweiten Frage angedeutet ist, eine Rolle gespielt, insbesondere die Entscheidung des Rates der Stadt Oldenburg, für dieses Gebiet Naturschutz zu beantragen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, der Erlaß des Bundesministers für Verkehr betrifft eine Bundesmaßnahme, die den von Ihnen angesprochenen Bereich nicht berührt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Jannsen auf: Welche Belange des Natur- und Landschaftsschutzes wurden zur Erstellung des Erlasses vom 27. Januar 1984 in welcher Weise berücksichtigt?

Not found (Staatssekretär:in)

Bei der Linienbestimmung der B 211 - neu - von östlich Klein Bornhorst - jetzt kommen wir also zu einer Bundesmaßnahme - bis Huntebrück wurden die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes in einem Abwägungsprozeß mit einbezogen. Die zuständige oberste niedersächsische Landesplanungsbehörde, der Niedersächsische Minister des Innern, hat daher folgende Auflagen festgelegt: Bei der Detailplanung und Baudurchführung sind Eingriffe in Landschaft und Naturhaushalt so gering wie möglich zu halten. Dies gilt insbesondere für das Feuchtgebiet „Hunte-Niederung" sowie für die geplanten Natur- bzw. Landschaftsschutzgebiete „Moorhauser Polder" und „Oldenburg-RastederGeestrand". Für die Inanspruchnahme von schutzwürdigen Polderflächen sind entsprechende landespflegerische und wasserwirtschaftliche Ersatzmaßnahmen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens vorzusehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß zwischen der Landesplanung L 65 - neu - und der Bundesplanung B 211 - neu - enge Zusammenhänge bestehen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jannsen? - Bitte.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist der Bundesregierung weiterhin bekannt, daß durch den Straßenbau in diesem Gebiet, der nicht eine so kleine Maßnahme sein wird, wie Sie es hier darzustellen versucht haben, bedrohte Vogelarten, die in diesem Gebiet noch leben, bedrohte Pflanzenarten, Amphibien und andere Tiere vom Aussterben oder von der Vertreibung betroffen sein werden?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß das Land Niedersachsen diese Aspekte im Zuge des Baus einer Landesstraße berücksichtigt. Aber uns gehört weder dieses Schutzgebiet, noch gehört uns die Straße, die gebaut werden soll.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zusatzfragen? - Danke sehr, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung. Ich rufe die Fage 39 des Abgeordneten Fiebig auf: Hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen technische Vorschriften für Sicherheitsglas zum Einbau in Fernsprechhäuschen erlassen, wenn ja, welche?

Wilhelm Rawe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001786

Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten und der Kollege Fiebig einverstanden ist, würde ich die Frage 40 gleich gern mitbeantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 40 des Abgeordneten Fiebig auf: Seit wann sind möglicherweise derartige Vorschriften in Kraft, und wo sind sie veröffentlicht?

Wilhelm Rawe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001786

Herr Kollege Fiebig, im November 1983 wurde der Entwurf einer technischen Vorschrift über Einscheiben-Sicherheitsglas für Fernsprechhäuschen fertiggestellt. Nach diesem Entwurf wird zur Zeit probeweise verfahren. Die Vorschriften wurden noch nicht veröffentlicht. Sie sind für den internen Dienstgebrauch bei der Deutschen Bundespost und die Abgabe an Lieferanten von Einscheiben-Sicherheitsglas für Fernsprechhäuschen bestimmt. Da es sich um einen Entwurf handelt, sind sie noch nicht endgültig in Kraft gesetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat es in Telefonhäuschen bisher Unfälle gegeben, weil dort kein Sicherheitsglas eingebaut war?

Wilhelm Rawe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001786

Ich glaube, daß man dies so direkt nicht beantworten kann, Herr Kollege Fiebig. Ich möchte das vor dem Hintergrund eines möglichen Rechtsstreits in der Sache auch nicht tun. Nur, wir haben zwei Urteile von Gerichten vorliegen, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Beide kommen zu dem Ergebnis, daß das bisher verwendete Glas durchaus ausreichend ist, wenn nicht besondere Gefahrenzonen vorliegen. Danach haben wir bisher verfahren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie so freundlich sein und mir diese beiden Urteile zugänglich machen?

Wilhelm Rawe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001786

Aber selbstverständlich, Herr Kollege, das tue ich gern. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 41 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen zu den Fragen 42 und 43 der Abgeordneten Frau Reetz. - Die Fragestellerin ist nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren. Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Waltemathe auf: Wann beabsichtigt die Bundesregierung den als Referentenentwurf vorliegenden Gesetzesentwurf zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften ({0}) einzubringen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Waltemathe, ein erster Entwurf ist den Ländern und Verbänden mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet worden. Nach der Auswertung der Stellungnahmen wird der Gesetzentwurf entsprechend der Geschäftsordnung der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Der Gesetzentwurf hat drei Zielsetzungen: Erstens die Aufhebung und Vereinfachung solcher Vorschriften, die einen unangemessen hohen Verwaltungsaufwand verursachen, unter anderem auch die Aufhebung des Gesetzes über die Wohnbesitzwohnungen. Zweitens wird die Zusammenfassung größerer Wirtschaftseinheiten angestrebt. Damit wird insbesondere dem Problem der Mietverzerrung entgegengewirkt. Drittens soll die genehmigte Miete eingeführt werden, damit mehr Freiheit bei der Förderung ermöglicht wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich dem ersten Teil Ihrer Antwort entnehmen, daß die politische Spitze Ihres Hauses inhaltlich voll hinter dem steht, was die Referenten des Hauses aufgeschrieben und nunmehr an die Länder verschickt haben?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, in diesem Entwurf sind Probleme angesprochen, die uns seit Jahren beschäftigen. Es geht um mehr soziale Gerechtigkeit im sozialen Mietwohnungsbau. Im Augenblick haben die die geringsten Mieten, die lange wohnen, und nicht die einkommenschwachen Bevölkerungskreise. Zur Zeit gilt der Satz: Wer am längsten wohnt, wohnt am billigsten, und das hat mit sozialer Gerechtigkeit wenig zu tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bezieht sich dann der gewählte Begriff „Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz" nur auf die Paragraphen, die, wie Sie gesagt haben, gestrichen werden sollen, nicht jedoch auf kompliziertere Vorschriften, die Sie jetzt erst einführen wollen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, der Begriff „Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz" bezieht sich erstens auf die Wohnbesitzwohnungen, zweitens auf die Bestimmungen über die Ausstattung von Sozialwohnungen. Drittens sind wir in der Tat der Auffassung, daß mit der genehmigten Miete auch zur Verwaltungsvereinfachung beigetragen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trifft die Behauptung des Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion vom 27. März dieses Jahres zu, die Bundesregierung beabsichtige mit diesem Gesetzentwurf, der ja noch ein Referentenentwurf ist, die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau sowie den Wegfall der Kostenmiete?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Möller, diese Presseerklärung des Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion ist der Bundesregierung bekannt. Das, was Sie anführen, ist in den einleitenden Sätzen zum Ausdruck gebracht und ist absolut unzutreffend. Das gilt sowohl für den Bestand als auch für die Neubaumaßnahmen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie mit Ihrem Gesetzentwurf im wesentlichen Vorschriften aufheben wollen, die noch nie genutzt worden sind, nicht mehr genutzt worden sind oder deren Auslaufen sowieso beschlossen worden ist, wäre es nicht zutreffender, wenn Sie das Gesetz nicht „Vereinfachungsgesetz", sondern „Gesetz zum Abbau der Sozialmieten" nennen würden?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Ich glaube, Herr Kollege Müntefering, die Formulierung, die wir gewählt haben, ist sachgerecht, weil sie den gesamten Komplex abdeckt. Im übrigen haben wir hier - Sie haben darauf hingewiesen - die gesetzlichen Bestimmungen über Wohnbesitzwohnungen abgeschafft. Das war ein Kapitalbeschaffungsgesetz zugunsten bestimmter Wohnungsunternehmen auf Kosten der Armsten, denen suggeriert wurde, sie bekämen privates Eigentum. Es ist wirklich an der Zeit, daß wir diese Bestimmungen ersatzlos aufheben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie stellten vorhin fest, daß diejenigen, die lange wohnen, billig wohnen. Meinen Sie damit im Umkehrschluß, daß diejenigen, die nicht in der Lage sind, lange in einer Wohnung zu wohnen, daran gleichzeitig selbst schuld sind?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Ich habe keine Schuldzuweisungen vorgenommen. Ich bin nur der Meinung, daß wir einen Solidarausgleich zwischen den Mietern brauchen, die heute durchaus höhere Einkommen haben, aber nur deshalb billig wohnen, weil sie lange wohnen, und insbesondere den jungen, kinderreichen Familien, die heute eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau suchen und denen nach dem Kostenmietenprinzip höhere Mieten zugemutet werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt ({0}).

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihrer Feststellung, wer lange wohnt, wohnt billiger, übersehen, daß die Mieten in älteren Wohnungsbeständen durch Ihre Entscheidung der Zinsanhebung wesentlich erhöht worden sind und daß zweitens die Wohnqualität in den Sozialwohnungen älterer Jahrgänge weit unter der neuerer Baujahrgänge liegt?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, die Zinsanhebung und die Fehlbelegungsabgabe sind Instrumente, die im Vermittlungsausschuß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam getragen haben. Die höheren Mieten, auf die Sie hinweisen, haben insbesondere mit den Förderungssystemen in den einzelnen Ländern zu tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie einen großen Vorteil in der Vereinheitlichung der Mieten sehen, warum haben Sie dann damals die einheitliche Einführung der Fehlbelegungsabgabe abgelehnt?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Menzel, es gab damals politischen Streit über die Anhebung der Zinsen und die Fehlbelegungsabgabe. Es gab damals von allen Seiten ernsthafte Vorbehalte gegen die Praktikabilität der Fehlbelegungsabgabe. Viele haben gesagt, die Fehlbelegungsabgabe frißt sich durch ihren Verwaltungsaufwand selbst auf. Ich kann Ihnen heute bestätigen, daß der Verwaltungsaufwand bei rund 15 % der Einnahmen liegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine weitere Zusatzfrage.

Alfred Meininghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Fehlbelegungsabgabe, die Zinserhöhung und zusätzlich noch dieser Ausgleich, der die Höhe einer 30 %igen Mieterhöhung haben kann, eine zu hohe Belastung für den Mieter darstellen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Meininghaus, ich kann Ihre These von den 30% nicht bestätigen. Ich weiß nicht, was die Grundlage dieser Behauptung ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf: Beabsichtigt die Bundesregierung durch die Einführung der „vereinbarten Miete" die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindung im sozialen Wohnungsbau, und wird durch die Einführung eines neuen Mietenbegriffs im Zweiten Wohnungsbaugesetz tatsächlich eine Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften herbeigeführt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Waltemathe, der Begriff „vereinbarte Miete" wird in dem Entwurf nicht gebraucht. Vermutlich haben Sie den Begriff der „Frankfurter Rundschau" vom 21. März 1984 entnommen. Ich nehme aber an, daß Sie die genehmigte Miete im Sinne des Entwurfs meinen. Für die künftige Förderung von Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau soll in dem Entwurf den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden, in Abweichung von den strengen Vorschriften der Kostenmiete mit den Investoren der geförderten Wohnungen ohne verwaltungsaufwendige Wirtschaftlichkeitsberechnungen Vereinbarungen über die Anfangsmiete und die anschließende Mietpreisentwicklung zu treffen. Der Vorteil einer solchen Regelung liegt zum einen darin, daß eine Überschreitung der Vergleichsmiete, wie sie bei den Sozialmieten der 70er Jahre, insbesondere durch die damals übliche Förderungsmethode, vorgekommen sind, vermieden wird. Zum andern werden bei diesem Verfahren verwaltungsaufwendige Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Regelungen über die Anpassung von Instandhaltungspauschalen gegenstandslos. Die vorgeschlagene Regelung bietet außerdem einen Anreiz zum kostengünstigen Bauen. Heute ist es so, daß die aus den Kosten der getätigten Investitionen ermittelte Miete auf den von den Ländern festgesetzten Betrag herabsubventioniert wird. Durch die vorgeschlagene genehmigte Miete besteht die Möglichkeit, einen festen Förderungsbetrag zu vereinbaren und es dem Bauherrn zu überlassen, ob er durch geeignete Rationalisierungsoder sonstige Maßnahmen die Baukosten soweit wie möglich senkt. Ihre konkrete Frage, ob die Bundesregierung durch die vorgeschlagene Regelung die Abschaffung der langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen beabsichtigt, ist mit Nein zu beantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, zunächst bedanke ich mich dafür, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß die Bundesregierung zunächst die „Frankfurter Rundschau" informiert hat. Da ich mich als Abgeordneter daraus informiert hatte, habe ich deren Begriff übernommen. Bedeutet die genehmigte Miete, daß künftig ein Sozialmieter die Freiheit hat, die Miete zu bezahlen, die eine Wóhnungsbewilligungsstelle und der Vermieter vereinbart bzw. festgelegt haben, ohne näher auf die Kosten einzugehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, ich will ein Beispiel nehmen. Wenn die Kostenmiete nach geltendem Kostenmietenprinzip 10 DM beträgt, dann ist sie am Markt kaum erzielbar. Deshalb ist es gut, daß wir neue Wege gehen. Einer der Wege ist, daß der Investor bereit ist, für 6 DM zu vermieten. Das tut er aber nur dann, wenn man ihm hinsichtlich der Mietpreis- und Belegungsbindung einerseits und der Höhe der Förderungsmittel andererseits entgegenkommt. Hier kann man eine Vereinbarung treffen, die allen Seiten gerecht wird. Diese Vereinbarung bedarf der Genehmigung der Bewilligungsbehörde, und damit ist sichergestellt, daß die genehmigte Miete immer unterhalb der Vergleichsmiete liegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem ich jetzt fast den Eindruck habe, daß sie so, wie Sie es darstellen, ein Mietenverbilligungsgesetz machen wollen, will ich jetzt noch etwas genauer nachfragen: Ist jetzt keine Möglichkeit gegeben, daß Bundesländer, die ja den öffentlich geförderten Wohnungsbau betreiben, die Mieten senken? Wird das erst künftig durch Ihr sogenanntes Vereinfachungsgesetz ermöglicht? Oder wollen Sie in Wahrheit doch, abgehoben von den Kosten, etwas Ähnliches wie eine vereinbarte Miete zulassen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, alles das, was nach geltendem Recht möglich ist und was die Länder in der direkten Förderung zur Zeit tun können, wird durch diesen Entwurf nicht in Frage gestellt. Das Instrument der genehmigten Miete ist ein zusätzliches Angebot.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß durch die neuen Regelungen die Förderungsmöglichkeiten nicht eingeengt, sondern erheblich erweitert werden dadurch, daß mehr Flexibilität besteht, so daß also sozialer Wohnungsbau in Zukunft auch an Stellen möglich wird, wo er nach den bisherigen Bestimmungen nicht möglich ist?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Daniels, ich bestätige Ihnen ausdrücklich, daß das, was wir hier mit der genehmigten Miete angesprochen haben, ein zusätzliches Instrument sein soll, mit dem wir erreichen, daß nicht weiterhin Sozialwohnungen gebaut werden, die Leerstehen, weil nämlich die geltende Regelung des Kostenmietenprinzips dazu führt, daß Kostenmieten in vielen Fällen höher sind als Marktmieten. Und ich glaube, wir stimmen darin überein, daß Sozialmieten, die höher liegen als Marktmieten, ihren sozialpolitischen Sinn verfehlen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, nach der von Ihnen vorhin gegebenen Definition handelt es sich bei dieser Genehmigungsmiete ja doch eben um eine Vereinbarungsmiete. Ich möchte von Ihnen gern wissen, wie Vereinbarungen, auch wenn sie so definiert werden, wie das soeben geschehen ist, mit Leuten getroffen werden können, die gar nicht Vertragspartner sind. Der Mieter ist später Vertragspartner; er muß eine Vereinbarung akzeptieren, die andere getroffen haben. Wie stehen Sie dazu?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Sauermilch, selbstverständlich ist es richtig, daß Vermieter und Mieter einen Mietvertrag abschließen und auch eine Vereinbarung treffen müssen. Die Höhe der Miete ist allerdings abhängig von der Genehmigung durch die Bewilligungsbehörde. Sinn und Zweck dieses Instruments der genehmigten Miete ist, daß der Mieter eine günstigere Miete bekommt, als er sie nach geltendem Recht im sozialen Wohnungsbau bekommen würde.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, im Nachgang zu der Frage des Kollegen Waltemathe, der auf die Möglichkeiten des bisherigen Rechts bei den Bundesländern hinwies, frage ich: Können Sie bestätigen, daß wir heute oft folgende Situation haben? Auf Grund des Wegfalls der degressiven Förderung wird in manchen Wohngebieten die Miete so hoch, daß die Mieter ausziehen. Und erst dieses Ausziehen gibt dem Wohnungsunternehmen im Grunde die Möglichkeit, nachzuweisen, daß Leerstände auftreten, und erst dann die Gelegenheit, eine Miete zu vereinbaren, die unterhalb der Kostenmiete liegt. Das heißt auf gut deutsch: Das Kind muß heute erst in den Brunnen fallen, es kommt zu Leerständen, es kommt zu Verslumung, bevor reagiert wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Halt, Herr Kollege: Kurz, kurz! - Bitte.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, die von Ihnen angesprochene Problematik hängt eng mit dem Kostenmietenprinzip zusammen. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat gestern oder vorgestern genau zu dieser Problematik verkündet, daß das Kostenmietenprinzip, so wie es heute gelte, der Überprüfung bedürfe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt ({0}).

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihrer Überprüfung schon berücksichtigt, daß die Bundesländer bereits heute ermächtigt sind, durch sogenannte Kappungsgrenzen dafür zu sorgen, daß Sozialmieten nicht über die obligatorische Vergleichsmiete in den jeweiligen Gebieten hinausgehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, es gibt Länder, die solche Kappungsgrenzen eingeführt haben. Ich würde den Vorschlag machen, die Frage der Kappungsgrenzen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingehend zu erörtern.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich lasse noch Zusatzfragen des Herrn Abgeordneten Müntefering und des Herrn Abgeordneten Link zu. Ich bitte, zu dieser Frage dann keine Zusatzfragen mehr zu stellen.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, auf Grund welcher Kriterien soll die Bewilligungsstelle die genehmigte Miete feststellen und genehmigen, wenn dazu nicht mehr die Wirtschaftlichkeitsberechnung herangezogen wird, so wie es im Entwurf vorgesehen ist, und öffnen Sie damit staatlicher Willkür nicht Tür und Tor?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, die Bewilligungsstelle ist eine Stelle des öffentlichen Rechts, die darauf zu achten hat, daß die öffentlichen Gelder angemessen und sachgerecht vergeben werden. Ich kann aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre nur sagen, daß die Bewilligungsstellen immer ein offenes Auge für die sozialen Belange der Mieter gehabt haben, und darauf vertraut auch die Bundesregierung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Link.

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade auch in Ballungsräumen die teuren Sozialwohnungen, die in den letzten Jahren gebaut wurden, zu einem Teil leerstehen, und kann die Bundesregierung sagen, wieviel etwa?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Link, ich kann Ihnen bestätigen, daß auch in Ballungsgebieten Wohnungen leerstehen. Das hängt mit dem Kostenmietenprinzip zusammen. Die Zahl kann ich jetzt nicht angeben. Ich will sie Ihnen gern zuleiten, sofern sie überhaupt vorliegt. Ich möchte aber einen Satz hinzufügen. Das Kostenmietenprinzip hat zum Inhalt, daß eine Höchstmiete festgelegt wird. Wenn die Höchstmiete nicht erzielbar ist, ist es durchaus zulässig, daß die Wohnung auch zu einem niedrigeren Mietzins vermietet wird. Ich bin der Auffassung, daß es immer noch wirtschaftlicher ist, eine Wohnung zu einem niedrigeren Mietzins zu vermieten, als sie leerstehen zu lassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Möller, ich habe Sie bei der nächsten Frage als Zusatzfragesteller vorgesehen. Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Müntefering auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, mit der Einführung einer „vereinbarten Miete" ({0}) einen jährlichen Anpassungsmechanismus einzuführen, der auf dem Mietenindex des Bundesgebietes beruht?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Müntefering, eine mietindexorientierte Lösung ist in dem Entwurf durchaus angesprochen. Ich möchte darauf hinweisen, daß hier die Mieten nicht an den Lebenshaltungskostenindex, sondern an den Mietindex gebunden werden können, und gleichzeitig darauf hinweisen, daß damit kein Automatismus verbunden ist; denn in jedem Einzelfall muß das Mieterhöhungsverlangen besonders geltend gemacht werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, geben Sie zu, daß Sie mit dieser Regelung die eben beschriebene Genehmigungsmiete aushebeln und daß hiermit die Möglichkeit entsteht, daß der Vermieter einer Sozialwohnung jährlich unter Hinweis auf den Mietindex eine Erhöhung der Miete fordert, ohne daß es für den Mieter überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, dagegen vorzugehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, diese mietindexorientierte Lösung ist eine der vielen Möglichkeiten, die wir einräumen. Es gelten alle Möglichkeiten des heutigen Rechts. Es gilt die Möglichkeit der Staffelmiete - darauf werden wir gleich noch zu sprechen kommen -, und es gilt die mietindexorientierte Lösung. Es ist eine Frage im jeweiligen Einzelfall, was besser ist. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß auch mit dieser LöParl. Staatssekretär Dr. Jahn sung eine sachgerechte Entscheidung herbeigeführt werden kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht, daß der Vermieter ein ganz originäres Interesse haben muß, genau diese Form der Indexmiete zu erreichen, und daß die Vermieter alles tun werden, um dazu zu kommen, daß die Bewilligungsstellen - auch weil das für sie im Verfahren sehr einfach sein wird - dieser Regelung zustimmen, und wären Sie unter diesen Gesichtspunkten bereit, diesen Vorschlag zurückzuziehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, was wir hier getan haben, war, Vorschläge an die Länder zu machen. Wir erwarten noch die Diskussion mit den Ländern. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß ich die Probleme, die Sie sehen, dadurch entschärft sehe, daß auch die Fragen der Anfangsmiete und der Anlehnung an einen Mietindex durch die Bewilligungsbehörde genehmigt werden müssen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000976, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie nachempfinden, daß das, was hier gerade vorgetragen worden ist, für eine normale Hausfrau sehr, sehr schwer zu verstehen ist, daß es überhaupt schwierig ist, in das Mietrecht einzusteigen, und können Sie zusichern, daß in diesem Bereich trotz allem eine Entbürokratisierung erfolgen wird?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Aber nicht nur für die normale Hausfrau! Auch ich verstehe kein Wort. ({0})

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Frau Kollegin Hürland, wir haben diesen Entwurf verschickt. Ich glaube, daß seine Grundprinzipien so, wie sie in den Vorbemerkungen verankert sind, nicht nur für Fachkenner, sondern auch für die Allgemeinheit erkennbar und verständlich sind. Sie können sicher sein, daß wir auch hier im Interesse einer besseren Überschaubarkeit des gesamten Wohnungsbaurechts Vorschriften abbauen werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt ({0}).

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, einzuräumen, daß eine Einführung des von Ihnen hier zitierten Mietindexes dazu führen kann, daß die Sozialmieten 1984 um 6,6 % steigen werden - denn dies ist bundesweit die Steigerungsrate für die Sozialmieten im Jahr 1983 -, und wären Sie dann auch bereit, in Anlehnung an den Mietenindex eine automatische Anpassung des Wohngeldes vorzunehmen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, die Mietsteigerungsraten, die prognostiziert sind, stehen mit den tatsächlich eingetretenen Mietsteigerungen nicht in Kongruenz. Wir können, Gott sei Dank, feststellen, daß sich das Mietenge-füge gerade auch in den letzten Monaten nach unten verschoben hat. Ich habe - wenn ich das sagen darf - gestern einen Mietspiegel von Bremerhaven bekommen. Dieser neu vereinbarte Mietspiegel sieht Mieten vor, die niedriger sind als die im bisherigen Mietspiegel verankerten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der beklagten Unübersichtlichkeit des Mietrechts - ich schließe an die Frage der Frau Kollegin Hürland an - frage ich: Wäre es nicht langfristig besser, soziale Probleme über eine individuelle Förderung auszugleichen und ansonsten zu versuchen, das Mietrecht zu vereinheitlichen, so daß der Bürger unter dem Wort Miete schlicht und ergreifend Miete verstehen kann, ohne fünf oder sechs verschiedene Termini kennen zu müssen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, Sie sprechen eine vielfach gestellte Forderung an. Die Bundesregierung ist bestrebt, Soziale Marktwirtschaft auch im Wohnungsbau einzuführen - unter individueller Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise, namentlich über das Wohngeld. Wir wollen dies allerdings nicht mit einem Schlage tun - wie das vielfach in der Fachwelt gefordert wird -, sondern wir möchten es schrittweise tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gerade auf Grund Ihrer letzten Antwort darf ich fragen: Ist es Absicht der Bundesregierung, die Vereinfachung dadurch zu bewerkstelligen, daß sie alle Sozialmieten abschaffen und nur noch von einer frei zu vereinbarenden Miete - auch bei Sozialwohnungen - sprechen will?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, ich betone noch einmal, was ich eben schon gesagt habe: Das, was hier mit der genehmigten Miete beabsichtigt ist, ist ein zusätzliches Angebot neben den zur Zeit bestehenden Möglichkeiten für die Förderung weiterer neuer Sozialwohnungen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß durch die Zulassung von späteren Mieterhöhungen, die an die allgemeinen Mietsteigerungen gebunden sind, eine erheblich niedrigere Anfangsmiete als dann zustande käme, wenn man diese zukünftigen Erhöhungen nicht gestattete?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Daniels, die Bundesregierung geht von dieser Ihrer Annahme aus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage des Herrn Kollegen Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das von Ihnen eben geschilderte System ist schwer durchschaubar. Das wurde schon angesprochen. Stellen Sie in diesem Zusammenhang eine Verbindung zu der Äußerung des Wohnungsbauministers Schneider her, der in der „Süddeutschen Zeitung" vom 24. Januar folgendes gesagt hat? Ich zitiere: Der öffentliche Mietwohnungsbau kann nicht mehr gefördert werden.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Zunächst einmal, Herr Kollege Sauermilch, bin ich der Auffassung, daß der Entwurf, der auch Ihnen vorliegt, durchaus verständlich ist; er muß nur gelesen werden. Ich glaube, er ist überschaubar formuliert. Zu dem, was Sie zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus gesagt haben, möchte ich noch einmal betonen, daß der Wohnungsbauminister in seinen Erklärungen immer gesagt hat, daß das Volumen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus voll erhalten bleiben soll, daß er aber umschichten möchte zugunsten von Eigentumsmaßnahmen. Dies ist auch sachgerecht, weil die Nachfrage nach Eigentumsmaßnahmen viel größer ist als die nach Mietwohnungen. Hinzu kommt, daß bei der Verwirklichung einer solchen Umschichtung ein wichtiger investorischer Effekt erzielt wird; denn Sie wissen, daß wir für die Förderung von Mietwohnungen 150 000 DM pro Wohnungseinheit auf den Tisch legen müssen, bei Eigentumsmaßnahmen dagegen nur jeweils 40 000 DM. Das bedeutet konkret, konjunkturpolitisch gesprochen: Mit Eigentumsmaßnahmen haben wir den vierfachen investiven Effekt erzielt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da bei der jetzigen Kostenmietenberechnung die Kapitalkosten keine unbeträchtlichen Auswirkungen haben, frage ich: Wer wird denn bei Ihrem System die Kapitalkosten tragen, wenn sie nicht durch Mieten gedeckt sind?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Wenn eine Vereinbarung zustande gekommen ist, hat sich diese Frage, die Sie stellen, der Investor zu stellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Link.

Helmut Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Mieten sind in den letzten Jahren mehr gestiegen, die staatlich festgelegten im sozialen Wohnungsbau oder die am Markt frei vereinbarten?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Link, ich habe den Prozentsatz nicht genau im Kopf. Ich kann Ihre Frage aber eindeutig dahin gehend beantworten, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren höher gestiegen sind als die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 47 des Herrn Abgeordneten Müntefering auf: Ist der Bundesregierung die negative Haltung der Deutschen Bundesbank zu indexgebundenen Preissteigerungen bekannt, und wie läßt sich eine Indexmiete mit den Bemühungen der Bundesregierung um eine Antiinflationspolitik vereinbaren?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, die vorgesehene Regelung, die nicht auf den Lebenshaltungskostenindex, sondern auf eine mietindexorientierte Lösung abstellt, trägt dem Bedenken Rechnung. Diese Lösung hat sogar inflationsdämpfende Wirkung; denn die Sozialmieten werden bei Neubauten wesentlich langsamer steigen als beim bisherigen Förderungssystem.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie für diesen Bereich eine Indexentwicklung für gut befinden, möchte ich wissen: Setzt sich die Bundesregierung auch dafür ein, daß im Bereich der Löhne und Gehälter in den nächsten Jahren eine Indexentwicklung stattfinden wird?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, diese Frage habe ich im Zusammenhang mit den mir heute gestellten Fragen nicht zu beantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie neben die genehmigte Miete und die übliche Kostenmiete die Staffelmiete und diese Indexmiete setzen, frage ich: Meinen Sie immer noch, daß das Gesetz „Vereinfachungsgesetz" heißen muß?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, wenn Sie dem Sinn und Zweck dieses Gesetzes nähertreten, stellen Sie fest, daß wir auf diesem Gebiet künftig Mieten erzielen, die deutlich unterhalb der Marktmieten liegen. Deshalb ist es notwendig, mehr Flexibilität - wie es eben genannt wurde - innerhalb der drei Instrumente Förderungshöhe, Mietpreis- und Belegungsbindung und Miethöhe einzuführen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da bei Ihrem System ja begrüßenswerterweise die Miete niedriger sein kann als die heutige Kostenmiete ({0}) und damit der Vermieter durch die Übernahme der zusätzlichen Kapitalkosten eine höhere Belastung auf sich nehmen muß, frage ich: Befürchten Sie nicht einen Rückgang des Wohnungsbaus? Dr. Jahn. Parl. Staatssekretär: Ich befürchte das nicht, Herr Kollege Menzel, weil man ja dem InveParl. Staatssekretär Dr. Jahn stor in anderen Bereichen entgegenkommt, insbesondere was die Dauer der Belegungs- und Mietpreisbindung angeht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) auf: Ist es richtig, daß die Bundesregierung als Alternative zur Einführung einer „vereinbarten Miete" ({1}) im öffentlich geförderten Wohnungsbau eine Staffelmiete einführen will?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Schmitt, um mehr Flexibilität für den effektiven Einsatz der öffentlichen Mittel zu geben, werden mehrere Verfahren angeboten, darunter auch die Staffelmiete. Dies gilt auch nur für den Neubau. Die Staffelmiete kann auch im öffentlich geförderten Wohnungsbau erhebliche Vorteile bringen, denn bei ihr wissen die Vertragspartner ganz konkret, welche Miete in den einzelnen Jahren zu zahlen ist. Während es auf Grund der verfehlten Förderungspolitik der 70er Jahre möglich ist, daß Sozialmieten über die Marktmieten hinaus steigen, bietet das Instrument des gestaffelten Mietzinses von vornherein die Möglichkeit, Mieterhöhungen sozial zumutbar zu begrenzen, beispielsweise indem die Staffel nicht über die gegenwärtige Marktmiete hinausgeht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich muß vorausschicken, daß die Kappungsgrenzen für den sozialen Wohnungsbau und nicht für den frei finanzierten Wohnungsbau gelten. Meine Frage lautet deswegen: Sind Sie der Meinung, daß künftigen Sozialmietern, die j a zunächst einen Berechtigungsnachweis zu führen haben, ob sie auf Grund ihres Einkommens überhaupt in der Lage sind, in eine Sozialbauwohnung zu kommen, angesichts der unsicheren Wirtschaftsentwicklung zugemutet werden kann, von vornherein Mietverträge abzuschließen, die bestimmte jährliche Mieterhöhungen für bestimmte Zeiten vorwegnehmen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, es ist ein Unterschied, ob ich die Indexmiete oder die Staffelmiete nehme. Bei der Indexmiete lehne ich mich an eine Entwicklung an, die ich am Anfang nicht kenne. Bei der Staffelmiete löse ich mich davon und vereinbare Mieten, die bei der Vereinbarung für exakt zehn Jahre vorausberechnet sind, und zwar unabhängig von Änderungen im Hypothekenzins usw. Was im einzelnen jeweils vereinbart wird, sollte dem Investor und der Bewilligungsstelle überlassen bleiben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Schmitt, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht auch, daß sich die von Ihnen propagierte Vertragsfreiheit zum Nachteil der Sozialmieter auswirken kann, da sie j a auf Grund ihres relativ geringen Einkommens die schwächeren Partner auf dem Wohnungsmarkt sind?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, ich würde Ihrem Gedanken dann nähertreten, wenn nicht das Instrument der Genehmigung durch die Bewilligungsbehörde im Gesetzentwurf fest verankert wäre.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie das, was wir in den 70er Jahren mit der degressiven Förderung gemacht haben, mit dem vergleichen, was jetzt im Gespräch ist, wie wird sich das dann Ihrer Meinung nach letzten Endes gegenüber dem Mieter auswirken?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, die degressive Förderung der 70er Jahre hat zu Mietsprüngen geführt, die den Sozialmieter, wie ich meine, ungeschützt treffen. Neben den Degressionsstufen gibt es Anhebungen der Pauschalen der Zweiten Berechnungsverordnung und Zinserhöhungen bei den Kapitalmarkthypotheken, und zwar über Zeiträume von 20 Jahren hinweg. Bei der gestaffelten Miete, wie wir sie jetzt vorsehen, gibt es nur Mietsteigerungen, die von vornherein bekannt sind, und sie lassen sich auch sozial zumutbar begrenzen. Ich ziehe daraus das Fazit - darauf wollten Sie ja hinaus -, daß gestaffelte Mieten in der von uns vorgeschlagenen Form die Möglichkeit bieten, die Mieter vom Risiko unvorhergesehener Veränderungen auszuschließen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in Anlehnung an das, was die Kollegin Hürland soeben zur Verständlichkeit oder Unverständlichkeit des Gesetzentwurfs in unserer Debatte hier festgestellt hat, darf ich Sie noch einmal fragen: Muß das Gesetz denn „Vereinfachungsgesetz" heißen, wenn man den Tatbestand der Staffelmiete, über den wir jetzt sprechen, wie folgt beschreibt: „Die Bewilligungsstelle kann ferner genehmigen, daß für die Erhöhung des zulässigen Entgelts an Stelle der Regelungen des Wohnungsbindungsgesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen die Vorschriften der §§ 3, 4, 5, 8 und des § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 und des Absatzes 2 sowie des § 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe...?" ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben uns schon überzeugt!

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, Sie zitieren die Erbschaft, die wir angetreten haben. Wenn wir das jetzt verändern wol4528 len, sind wir hier auf dem besten Wege. Die gewählte Überschrift „Wohnrechtsvereinfachungsgesetz" halte ich für sachgerecht und auch für der Materie, die wir regeln wollen, angemessen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wollen Sie dann, wenn Sie eine Staffelmiete für neu zu bauende oder neu zu vermietende Sozialwohnungen zulassen, künftig auch ein gestaffeltes Wohngeld oder gestaffelte Mietobergrenzen nach Wohngeldrecht zulassen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, ich möchte die Debatte von morgen früh hier nicht vorwegnehmen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die von Ihnen erwähnte gestaffelte Miete von der Staffelmiete zu unterscheiden, wie sie vor anderthalb Jahren auf Drängen des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt eingeführt worden ist? ({0})

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Dr. Möller, es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Staffelmiete im frei finanzierten Mietwohnungsbau und der von uns hier angesprochenen Staffelmiete. Im frei finanzierten Mietwohnungsbau ist es allein Sache der Vertragsparteien, welche Staffeln sie vereinbaren, und sie müssen ja auch versuchen, die Marktentwicklung einigermaßen zutreffend vorauszuschätzen. In der in diesem Entwurf vorgesehenen Regelung bedürfen die Staffeln der Genehmigung der öffentlichen Hand, der Bewilligungsbehörde, und außerdem liegen Anfangsmiete und die Staffeln wesentlich niedriger als die, die bei den Marktmieten im frei finanzierten Mietwohnungsbau vereinbart werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es im Blick auf die Frage, ob eine Neuregelung eine Vereinfachung darstellt, nicht ausreicht, allein die Neuregelung mit allen ihren Bestimmungen zu zitieren, wie es hier eben der Kollege Müntefering getan hat, sondern daß man dann zum Vergleich auch einmal die alten Bestimmungen in der gleichen Ausführlichkeit zitieren müßte, und halten Sie es für denkbar, daß dann die nun unter Umständen neu eingeführte Staffelmiete, bei der man von vornherein genau weiß, um welche Beträge sich die Miete erhöht, eine Vereinfachung gegenüber dem bisherigen System der degressiven Förderung darstellen könnte?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Dr. Daniels, die vielen Zusatzfragen danach, ob hier eine Vereinfachung vorgenommen wird oder nicht, werden wir nicht nur prüfen, sondern auch in der Weise beantworten, daß wir den Mitgliedern des Hauses eine Synopse vorlegen, in der links all die Vorschriften stehen, die heute gelten, und rechts all die Vorschriften, die wir außer Kraft setzen. Der Vergleich wird wahrscheinlich so ausfallen, daß auch die letzten Kollegen hier im Plenum der Auffassung sind, daß hier eine wichtige Verwaltungsvereinfachung vorgenommen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn wir von Staffelung sprechen, denken wir eigentlich immer an eine Staffelung nach oben. Sieht Ihr Entwurf auch eine Möglichkeit der Staffelung nach unten vor?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Sauermilch, dies ist Sache von Investor und Bewilligungsstelle. ({0}) Wenn ich die Mietspiegel aus einigen Städten - ich habe eben Bremerhaven genannt - sehe, kann ich mir auch eine Entwicklung vorstellen, bei der die Mieten nicht nach oben, sondern nach unten gehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 49 des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0}) auf: Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bisher mit dem neu eingeführten Instrument der Staffelmiete im freifinanzierten Wohnungsbau sowohl im Bestand als auch bei Neubauten gemacht?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Schmitt, der Bundesregierung liegen bislang keine Informationen darüber vor, in welchem Umfang von diesem Instrument Gebrauch gemacht wird. Bisher sind aber auch keinerlei Schwierigkeiten bekanntgeworden. Noch einmal zur Klarstellung, weil das ja gerade auch in der Frage des Kollege Dr. Möller zum Ausdruck kam: Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Staffelmiete im frei finanzierten Wohnungsbau und der hier vorgesehenen Regelung. Ich wiederhole: Im frei finanzierten Wohnungsbau ist es allein Sache der Vertragsparteien, welche Staffeln sie vereinbaren, und sie müssen versuchen, die Marktentwicklung einigermaßen zutreffend vorauszuschätzen. Nach der vorgesehenen Regelung bedürfen im sozialen Wohnungsbau die Staffeln der Genehmigung der öffentlichen Hand. Außerdem liegt - ich sagte es bereits - die Anfangsmiete von vornherein unter der Marktmiete, und es besteht auf Grund der Förderung keine Notwendigkeit, die Staffel voll an die erwartete Entwicklung der Marktmieten anzupassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, woher nehmen Sie den Mut, für Sozialwohnungen Staffelmieten einzuführen, wenn noch keine eindeutigen Erfahrungen für Staffelmieten im frei finanzierten Wohnungsbau vorliegen, und woher haben Sie die Selbstgewißheit, daß Sie bei Staffelmieten über Jahre hin mit niedrigen Anfangsmieten beginnen und erst später Mietsteigerungen vornehmen können? Wer soll diese niedrigen Anfangsmieten finanzieren?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, den Mut nehmen wir aus der Überlegung, daß mehr Flexibilität im Wohnungswesen uns gut ansteht. Der weiteren Gefahr, die Sie vermuten, daß nämlich die Mieten steigen könnten, muß ich vom System her deshalb widersprechen, weil es Kern der genehmigten Miete ist, daß sie von der Bewilligungsbehörde nur unterhalb der Marktmiete genehmigt wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nach dieser Fragestunde bereit, mit einem gestaffelten Mißtrauen und Bedenken die Vorschläge der Referenten zu überprüfen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Schmitt, wir haben einen Entwurf ausgearbeitet, von dem wir überzeugt sind, daß wir mit ihm den richtigen Weg beschreiten. Wir sind jetzt in Gesprächen mit den Ländern. Wir werden anschließend mit den Verbänden reden. Alle Erfahrungen, die wir dort sammeln, werden letztlich Gegenstand des Kabinettsbeschlusses sein, bevor wir in erster Lesung darüber debattieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann die neue staatlich genehmigte Staffelmiete auch für die Mietnebenkosten vorausberechnet werden, die neben der eigentlichen Miete zu zahlen sind, und auch für die öffentlichen Gebühren?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Diese Frage stellt sich uns bei der gestaffelten Miete nicht, Herr Kollege Waltemathe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die staatlich verordneten Kostenmieten zunehmend über die Vergleichsmieten im frei finanzierten Wohnungsbau hinausgehen: Können Sie die Frage beantworten, ob es im sozialen Wohnungsbau, nachdem wir in der Vergangenheit die Schlachten geschlagen haben: 10 % pro Jahr und so weiter - die großen Horrormeldungen -, ob es also im staatlich verordneten Wohnungsbau heute noch möglich ist, daß die Mieten in drei Jahren um mehr als 30 % steigen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, ich muß das, was Sie sagen, bestätigen. Das geltende Kostenmietenprinzip läßt es zu, daß die Mieten in drei Jahren über 30 % steigen. Es ist Sinn und Zweck des Instruments der genehmigten Miete, daß dies vermieden wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf: Wie löst die Bundesregierung im vorgesehenen Wohnungsrechtsvereinachungsgesetz die Frage, daß neben den vereinbarten Steigerungen der Miete durch den Bauherrn auch Mieterhöhungen durch wegfallende Zins-, Annuitäts- und Aufwendungshilfen entstehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Meininghaus, diese Frage spielt im Zusammenhang mit der genehmigten Miete keine Rolle. Während im geltenden Preisrecht Kapitalkostenerhöhungen und Degressionsstufen unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Kostenmiete haben und der Sozialmieter dem schutzlos ausgesetzt ist, gibt das neue Verfahren dem Vermieter nicht die Möglichkeit, solche finanzierungsbedingten Auswirkungen auf den Mieter abzuwälzen. Diese Risiken trägt der Vermieter, so wie ihm die Vorteile verbleiben, wenn er besonders günstig baut oder wirtschaftet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meininghaus.

Alfred Meininghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn aber eine Zinsbelastung fortfällt, gehen dann die Mietzahlungen voll in den Ertrag des Vermieters?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Das ist die Kehrseite der Medaille, von der ich sprach.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Meininghaus. - Keine weitere Zusatzfrage mehr. Der Herr Abgeordnete Dr. Kansy bitte.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß es immer schwieriger wird, Mieten am Markt auch tatsächlich durchzusetzen, könnte nicht die Selbstverantwortung des Investors ein Beitrag dazu sein, künftig kostengünstiger und für den Standort vernünftiger zu bauen, um gleich angemessene Mieten zu erreichen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß sich der Investor heute vor die Situation gestellt sieht, daß er die Wohnungen nach dem Kostenmietenprinzip nicht mehr vermieten kann. Deshalb bieten wir ein neues Instrument an mit mehr Flexibilität, mit niedrigeren Mieten. Wenn der Investor aber eine geringere Mieteinnahme hat, dann muß ihm auch anderenorts entgegengekommen werden. Da gibt es eben diese Möglichkeit, ihm entgegenzukommen mit kürzeren Belegungs- und Mietpreisbindungen und mit einer höheren Förderungssum4530 me. Wir halten diesen Weg für wichtig, damit auch künftig im sozialen Wohnungsbau nicht nur gebaut, sondern auch vermietet werden kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht, daß durch das Bündel von Möglichkeiten, das Sie jetzt nebeneinander und neben die bisherige klare Kostenmiete stellen, für den Mieter immer unübersichtlicher wird, wie sich mittel- und langfristig seine Belastung entwickeln wird, daß für ihn zumindest unübersichtlich wird, welches Risiko er im weiteren trägt, daß dafür aber der Vermieter dies sehr wohl und sehr früh für sich möglichst günstig errechnen kann?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müntefering, es ist die Aufgabe der öffentlichen Hand und auch des Vermieters, die Mieter über alle Möglichkeiten, die sie haben, aufzuklären. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das auch seitens des Mieterbundes in einem größeren Umfang geschieht, als das bislang der Fall war.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf: Gilt die Kappungsgrenze von 30 v. H. Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren auch für die sich insgesamt ergebenden Mieterhöhungen aus der vereinbarten Miete im vorgesehenen Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Meininghaus, Mietsteigerungen von 30 % wird mit Sicherheit kein Bundesland genehmigen. Sie fragen nach der Kappung. Eine Kappung liegt gewissermaßen im Erfordernis der Genehmigung der Miete durch die Bewilligungsbehörde. Es bleibt gleichwohl - ich sagte es eben - dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten, die von Ihnen aufgeworfene Frage näher zu prüfen. Die Bundesregierung wird dazu ihren Beitrag leisten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Lohmann ({0}) auf: Hält es die Bundesregierung für realistisch, daß viele Wohnungsunternehmen von der im Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz vorgesehenen Bildung größerer Wirtschaftseinheiten ({1}) Gebrauch machen werden, und wie beurteilt sie das Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei der Einführung der Unternehmensmiete?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Lohmann, die Bildung größerer Wirtschaftseinheiten, wie sie gegenwärtig diskutiert wird, bringt für die Wohnungsunternehmen keine höheren Mieteinnahmen. Die Mieten bleiben an die Kosten gebunden. Die laufenden Aufwendungen, wie sie nach gegenwärtigem Recht von den Unternehmen geltend gemacht werden, dürfen durch Mieteinnahmen nicht überschritten werden. Mieterhöhungen bei einzelnen Wohnungen müssen jeweils ausgeglichen werden durch Mietsenkungen für andere Wohnungen. Wie viele Unternehmen von der Möglichkeit zur Bildung größerer Wirtschaftseinheiten Gebrauch machen werden, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Das Bundesbauministerium hat einem unabhängigen Forschungsinstitut den Auftrag erteilt, hierüber Erhebungen anzustellen. Die Ergebnisse werden vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens vorliegen. Die Anregung, eine verbesserte Rechtsgrundlage für die Zusammenfassung zu schaffen, kommt aus allen Ländern, die hierüber Erfahrungen besitzen. Da es den Unternehmen selbst überlassen ist, ob sie Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten mit Genehmigung der Behörden zusammenfassen, liegt die Kalkulation von Aufwand und Nutzen im Unternehmensbereich. Sichergestellt ist aber im Entwurf, daß auf die Mieter keine Verwaltungskosten hierfür abgewälzt werden können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie die Meinungsäußerung des Deutschen Mieterbundes ein, der j a heute schon darauf hinweist, daß die Bewilligungsstellen hoffnungslos überfordert sind, und der für die Zukunft, wenn Sie mit der neuen Regelung über Gemeindegrenzen hinweggehen und dann zwei Bewilligungsstellen tätig werden müssen, größte Schwierigkeiten sieht?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Ich teile die Auffassung und die Kritik des Mieterbundes zu diesen organisatorischen Fragen nicht. Ich möchte hinzufügen, Herr Kollege Lohmann: Ich teile auch nicht die Kritik, die der Mieterbund geäußert hat, wonach mit dieser Regelung mehr als 3 Millionen Sozialmieter mit Mieterhöhungen rechnen müßten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie Verständnis für die Äußerungen des Mieterbunds deshalb, weil er nicht durch die Bundesregierung, sondern durch die „Frankfurter Rundschau" informiert wurde und deshalb eine Stellungnahme abgegeben hat?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Lohmann, daß durch eine Indiskretion diese Papiere an die „Frankfurter Rundschau" gekommen sind, bedauern wir. Nur haben wir darin keinen Anlaß sehen können, zu diesem Zeitpunkt die Papiere auch schon an die Verbände zu schicken. Wir müssen den Verfahrensablauf, wie er hier gute Sitte ist, beibehalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mitteilen, ob das Instrumentarium der Wirtschaftseinheiten jetzt schon gilt und in welcher Form es angewendet wird?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Möller, die Zusammenfassung mehrerer Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten ist ein Thema, das seit 1965 nicht ruht. Dieses Institut ist auch nicht neu. Wir haben bereits 1973 erstmals im Wohnungsbindungsgesetz die Zusammenfassung von mehreren Wohnungen zu Wirtschaftseinheiten ermöglicht. Die damalige Bundesregierung hat das mit dem Satz begründet - ich darf das zitieren -: Die durch die Zusammenfassung sich ergebende Entzerrung der Mieten führt im übrigen auch zu einer erwünschten Mietsenkung. Ich möchte nur noch ein Zitat vom damaligen Bundesminister Ravens bringen, der 1977 in der „Zeitschrift für das gemeinnützige Wohnungsunternehmen" folgendes geschrieben hat: Um die Vermietbarkeit der neueren Sozialwohnungen sicherzustellen, müssen weitere Überlegungen angestellt werden. Solche Überlegungen können sich zunächst auf die Erweiterung der Möglichkeiten zur Bildung größerer Wirtschaftseinheiten zum Zwecke des Mietausgleichs innerhalb der Wohnungsbestände von Wohnungsunternehmen beziehen. Das Thema, das hier umrissen ist, ist also nicht neu. Damit hat sich auch schon die frühere Bundesregierung auseinandergesetzt, und sie hat im Prinzip eine solche Regelung bejaht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir haben nur noch wenige Minuten. Ich möchte gerne noch die zweite Frage des Abgeordneten Lohmann aufrufen. Vielleicht können Sie sich im Zusammenhang mit dieser Frage auf die Zusatzfragen einigen. Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Lohmann auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Kontrolle der Mietpreisbildung bei der Unternehmensmiete durch die Mieter?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Lohmann, ich möchte zunächst den Vorschlag unterbreiten, nicht von einer Unternehmensmiete, sondern - das kommt der Sachlage viel näher - von einer Ausgleichsmiete oder noch besser von einer Solidarmiete in diesem Sachzusammenhang zu sprechen. ({0}) Die Bezeichnung Solidarmiete - ich betone das noch einmal - kommt dem sachlichen Anliegen des Entwurfs am nächsten. Herr Kollege Lohmann, die Zusammenfassung zu Wirtschaftseinheiten kann nur erfolgen, wenn die Bewilligungsstelle zustimmt; so bereits das geltende Recht. Auch nach den vorgesehenen Regelungen bedarf die neue Durchschnittsmiete der Genehmigung der Bewilligungsbehörde. Die Bildung von Einzelmieten kann der Vermieter nach geltendem Recht ohne Mitwirkung der zuständigen Stelle vornehmen. Der Entwurf, Herr Kollege Lohmann, sieht aber vor, daß die zuständige Stelle nach neuem Recht verlangen kann, daß ihr alle Einzelmieten zur Kontrolle nachgewiesen werden. Der Entwurf enthält also eine vom geltenden Recht abweichende zusätzliche Schutzbestimmung für die Mieter. Die zuständige Stelle ist verpflichtet, dem Mieter entsprechende Auskünfte zu geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lohmann.

Klaus Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Mieter schon heute größte Schwierigkeiten haben, eine Kontrolle der Miethöhe durchzuführen? Wenn es in Zukunft so sein wird, daß sie sich unter Umständen an zwei Bewilligungsbehörden aus unterschiedlichen Gemeinden wenden müssen, wird es wesentlich schwieriger. Ich glaube, daß auch hier der Mieterbund mit Recht auf die Verschlechterungen hinweist, die in diesem Bereich festzustellen sind.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Lohmann, wir haben hier eine zusätzliche Schutzbestimmung für die Mieter getroffen. Wir möchten auch gerne daran festhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, gestern ist dem Minister ein Gutachten übergeben worden, an dem unter anderem auch unser Kollege Waltemathe mitgewirkt hat, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Wie beurteilen eigentlich die Verbände diese Zusammenfassung von verschiedenen Jahrgängen unter Berücksichtigung des Prinzips der Solidarität?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Kansy, Sie sprechen ein Gutachten der Gewos aus Hamburg an. Dieses Gutachten steht mit dem sachlichen Anliegen der Einführung einer Solidarmiete nicht allein. Wir haben in der Zwischenzeit auch Erkundungen z. B. beim Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen eingeholt. Herr Tepper teilt uns mit, daß die Solidarmiete im Prinzip auch von seinem Verband unterstützt wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer ganz kurzen Zusatzfrage Herr Abgeordneter Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Deutsche Mieterbund sagt, 3 Millionen kriegen eine Mieterhöhung - nur nebenbei: Aus der Fragestellung geht nicht hervor, daß man über „Unternehmensmieten" nachdenken muß; ich würde die auch nicht anders nennen -, Sie sagen, so viel sind es nicht. Können Sie bestätigen, daß Sie überhaupt etwas berechnet haben und daß an dem Verhältnis, daß 2 Millionen Mieterhöhungen hinnehmen müssen, damit eine Million weniger Miete bezahlt, möglicherweise etwas stimmt?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Waltemathe, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten. Erstens. Was den Verband der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen angeht: Herr Tepper hat seine Stellungnahme vor dem Hintergrund des Entwurfs abgegeben, den er auch persönlich gelesen hatte. Punkt zwei: Der Mieterbund hat die Behauptung aufgestellt, mehr als 3 Millionen Sozialmieter müßten mit Mieterhöhungen rechnen. Die Zahlen sehen völlig anders aus: Es gibt rund 4 Millionen Sozialmietwohnungen. Hiervon liegen etwa 2,3 Millionen in Städten mit über 100 000 Einwohnern, in denen die Regelungen wegen der bestehenden Mietunterschiede überhaupt praktisch werden können. Zwei Drittel dieser Wohnungen - das sind 1,5 Millionen Wohnungen - gehören Unternehmen, die über größere Bestände verfügen, für die das Modell allein praktisch werden kann. Viele hiervon haben die Zusammenfassung bereits durchgeführt. Danach kann also unterstellt werden, daß etwa eine Million Wohnungen in das Mietausgleichsverfahren gelangen können. Hiervon kann es theoretisch bei einem Drittel zu Mietsenkungen und bei einem Drittel zu Mieterhöhungen kommen. Ein weiteres Drittel dürfte unverändert bleiben. Jeder D-Mark Mieterhöhung im Unternehmen steht eine D-Mark Kostenmietsenkung gegenüber. Fazit: Die Behauptung des Deutschen Mieterbundes ist völlig unzutreffend. Nicht 3 Millionen, sondern nur einem Zehntel von 3 Millionen Sozialmietern wird aus Gerechtigkeitsgründen eine angemessene Mieterhöhung als Solidaropfer zugemutet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke sehr, Herr Staatssekretär. Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist die Fragestunde beendet. Danke schön. Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen - Drucksache 10/1162 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Begründung hat der Parlamentarische Staatssekretär Vogt. Bitte schön.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die nächsten allgemeinen Sozialversicherungswahlen finden 1986 statt. Dann wird wiederum, und zwar für sechs Jahre, über die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane bei den Sozialversicherungsträgern entschieden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll sichergestellt sein, daß die Sozialversicherungswahlen auf der Grundlage eines verbesserten Wahlrechts vorbereitet und durchgeführt werden können. Meine Damen und Herren, wir wollen eine Sozialpolitik, die aus Erfahrung gespeist und in die Überprüfung eingebaut ist. Was sich bewährt hat, soll bleiben, was sich nicht bewährt hat, muß geändert werden. Bei den letzten beiden Sozialversicherungswahlen hat sich gezeigt, daß das Wahlrecht verbessert und das Wahlverfahren vereinfacht werden muß. Der vorliegende Gesetzentwurf zieht aus der Erfahrung die Konsequenzen. Ich will die Schwächen des bisherigen Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen an Beispielen darstellen. Das erste Beispiel: Bei einer Ersatzkasse hat ein Verein kandidiert, der sich als Mitgliedergemeinschaft dieser Ersatzkasse bezeichnete. Dieser Verein bestand zur Zeit der Listeneinreichung nur aus neun Personen. Er hat auf Grund seiner Vereinsbezeichnung 52 % der Stimmen erhalten. Von den ihm zufallenden Sitzen, nämlich 14 an der Zahl, konnte er nur zwei besetzen, da er nicht mehr Bewerber aufzubieten hatte. Acht weitere Sitze gingen an eine Organisation über, die sonst keinen einzigen Sitz erhalten hätte. Die restlichen vier Sitze wurden auf andere Vereinigungen verteilt. Ein zweites Beispiel: Es haben sich Vereine zur Wahl gestellt, die von Vertretern anderer Organisationen ins Leben gerufen und gesteuert wurden. Diese Vereine dienen allein dem zusätzlichen Stimmenfang, dem verdeckten Gewinn zusätzlicher Organsitze für die steuernde Organisation. Bei diesem Verfahren kann es vorkommen, daß eine Stimme auf Umwegen gerade der Vereinigung zugute kommt, die der Wähler nicht gewollt und bewußt nicht gewählt hat. Das dritte Beispiel: Es gibt Vorschlagslisten, die von Beschäftigten der Versicherungsträger mitbestimmt werden. Dies wirft die Frage auf, ob die Kontrollfunktion der Selbstverwaltungsorgane gegenüber der Verwaltung durch Angehörige eben dieser Verwaltung ausgeübt werden soll. Meine Damen und Herren, wir wollen eine starke soziale Selbstverwaltung. Wer durch ernsthaftes Engagement für eine starke Selbstverwaltung eintritt und dafür streitet, findet uns an seiner Seite. Wir wollen aber die Gewerkschaften wie die anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung im Interesse der Versicherten und Wahlberechtigten vor unqualifizierter Konkurrenz schützen. Wir wollen das Vertrauen der Wähler in die Wirkkraft und in die Verläßlichkeit der Organisationen schützen, die Vorschlagslisten für die Sozialversicherungswahlen vorlegen. Das stärkt die Selbstverwaltung an ihren Wurzeln. In diesem Sinne greift der Gesetzentwurf insbesondere die Erfahrungen und einhelligen Vorschläge der Wahlbeauftragten des Bundes und der Länder auf. Sie haben die Erfahrungen der beiden letzten allgemeinen Sozialversicherungswahlen eingebracht. Dabei will ich klarstellen: Niemand soll an einer Wahlbeteiligung gehindert werden. Die Möglichkeit der Einreichung sogenannter freier Listen bleibt ausdrücklich vorgesehen. Aber wir wollen und müssen sicherstellen, daß die Versicherten nicht durch die Wahlteilnahme völlig unbedeutender Wahlvereine irregeführt werden, wenn diese Vereine unter wohlklingenden und eine umfassende Legitimation vortäuschenden Organisationsnamen auftreten. Wir wollen, daß der Wähler wieder weiß, wer sich um seine Stimme bewirbt. Jeder weiß, daß die Praxis mit dem spärlichen Gesetzesbegriff von den „anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen" überfordert war. Sie wäre bei den nächsten Wahlen in noch stärkerem Maße überfordert gewesen. Deshalb wird vor allem eine Ergänzung des Gesetzes gefordert, die in diesem Bereich Rechtsklarheit schafft. Noch zwei Hinweise, meine Damen und Herren. Das Interesse der arbeitslos gewordenen Versicherten an ihrer weiteren Mitwirkung in der Selbstverwaltung wahren wir dadurch, daß für die Dauer der Arbeitslosigkeit ihre Wählbarkeit trotz des Verlustes der Gruppenzugehörigkeit erhalten bleibt. Von besonderer Bedeutung ist schließlich, daß zur Vereinfachung des Wahlverfahrens und zur Kosteneinsparung auf die kaum noch benutzten Wahlräume verzichtet wird. Damit wird der bereits im Achten Gesetz zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes begonnene Weg des Übergangs zum Briefwahlverfahren abgeschlossen. Ich bin der Auffassung, daß im Interesse einer starken, funktionsfähigen Selbstverwaltung bei allen Mitgliedern dieses Hauses Einvernehmen über die Grundlagen des Ihnen heute vorgelegten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen bestehen sollte. Ich hoffe deshalb auf einen breiten Konsens bei Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Egert.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag behandelt heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen. Eigentlich würde es meinen Freund und Kollegen Eugen Glombig gebühren, hier an meiner Stelle den Debattenbeitrag für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu leisten. Er ist als Bundesbeauftragter für die Durchführung der Sozialversicherungswahlen nicht müde geworden, auf diese Verbesserung des Wahlrechts zu drängen. Er geleitet in diesem Moment einen ehemaligen Kollegen dieses Hauses, den Kollegen Meinike, auf seinem letzten Weg. So ist mir der Part zugefallen, zu prüfen, ob das, was er an Wünschen zur Veränderung des Wahlrechts hatte, mit diesem Gesetzentwurf eingelöst wird. In der Vergangenheit, zuletzt bei den Sozialwahlen 1980, hat es kritische Diskussionen über die Durchführung der Sozialversicherungswahlen gegeben, zum einen über den Tatbestand, daß sich nur ein geringer Teil der Versicherten seines Wahlrechts bewußt war und gewählt hat, zum anderen deshalb, weil Versichertengemeinschaften den klassischen sozialpolitischen Organisationen, den Gewerkschaften, den Rang abgelaufen haben, zum Teil dadurch begünstigt, daß sie unter irreführenden Namen geworben haben. ({0}) Ich will diese Debatte im Bundestag nutzen, um in unser, aber auch ins Bewußtsein der interessierten Öffentlichkeit zu rufen, was häufig übersehen wird, daß die rund 1 500 Krankenkassen, Rentenversicherungen und Berufsgenossenschaften keineswegs Bestandteil der staatlichen Bürokratie sind. Sie werden von Selbstverwaltungsorganen geleitet und haben im Rahmen der Gesetze unterschiedlich große Handlungsspielräume. Diese Organe, Vertreterversammlungen und Vorstände sind überwiegend paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bzw. der Versicherten zusammengesetzt. Sie sind alle sechs Jahre neu zu wählen. Lediglich bei den Ersatzkassen gibt es keine Arbeitgebervertretung. Das Wahlergebnis im Jahr 1980 hat einmal mehr deutlich gemacht, daß die Versichertengemeinschaften, die mit den gewerkschaftlichen Organisationen, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Deutschen Angestelltengewerkschaft konkurriert haben, diese Wahlen u. a. deshalb erfolgreich abschließen konnten, weil sie sich in aller Regel des Namens der jeweiligen Versicherung bedient haben. ({1}) Sie heißen etwa Interessengemeinschaft von Mitgliedern und Rentnern in der Barmer Ersatzkasse, Deutsche Angestellten-Krankenkasse Mitgliedergemeinschaft oder Kaufmännische Krankenkasse Halle Mitgliedergemeinschaft. Diese Namen sollen den Wahlberechtigten suggerieren, es handele sich um Vertreter und Organisationen, die sich um ihre Kasse besonders verdient machen. Dieser Trick hat insbesondere bei den Ersatzkassen dazu geführt, daß die gewerkschaftliche Interessenvertretung in den Vorständen und in den Vertreterversammlungen der Kassen zurückgedrängt worden ist. Nun gibt es den öffentlich da und dort erhobenen Vorwurf, dieser Gesetzentwurf würde die Interessengemeinschaften benachteiligen. Das Gegenteil ist wahr. Tatsächlich waren die Gewerkschaften durch die irreführende Werbung der Versichertengemeinschaften benachteiligt. Wenn jetzt das Gesetz vorschreibt, daß jede Organisation, die Kandidaten zu Sozialwahlen präsentieren möchte und keine Gewerkschaft ist, sozialpolitische Aktivitäten sowie ein Programm vorweisen und über eine von der Größe der jeweiligen Versicherung abhängige Mitgliederzahl verfügen muß, so ist dies nur recht und billig. Der Gesetzentwurf konkretisiert die Anforderungen, die an das Vorschlagsrecht von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung zu stellen sind. Dabei berücksichtigt er die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die sozial- oder berufspolitische Zwecksetzung einer selbständigen Arbeitnehmervereinigung nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil sich dieser Zweck aus der Satzung ergibt. Nach dem Sinn des Gesetzes sollen vielmehr nun solche Vereinigungen vorschlagsberechtigt sein, die auch von ihrer Organisationsstruktur her in der Lage sind, die in der Satzung festgelegte Zwecksetzung ernsthaft und nachdrücklich wahrzunehmen und die auf ihren Vorschlag hin gewählten Organmitglieder bei ihrer Tätigkeit in den Selbstverwaltungsgremien wirksam zu unterstützen. Dies können auch Mitgliedervereinigungen sein, die sich auf eine Versicherung beschränken. Allerdings müssen diese über die Vorlage von Wahlvorschlägen hinaus berufs- und sozialpolitisch tätig sein, insbesondere durch regelmäßige Information ihrer Mitglieder, durch nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit und durch Einsatz im politischen Bereich. Bloße Wahlvereine - wir haben hier ein Beispiel vom Staatssekretär geschildert bekommen -, also Vereine, deren Zweck sich in der Aufstellung von Vorschlagslisten erschöpft, besitzen dagegen nicht die vom Gesetz als Voraussetzung für das Vorschlagsrecht geforderte sozial- oder berufspolitische Zwecksetzung. ({2}) Insgesamt wird mit der gesetzlichen Regelung ein Wettbewerbsausgleich zwischen den Gewerkschaften und den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen erreicht. Die Chancengleichheit, bezogen auf die vor uns liegenden Sozialwahlen im Jahre 1986, wird wieder hergestellt. Wir Sozialdemokraten unterstützen auch die Vorschriften, die sicherstellen, daß die Bediensteten der Versicherungsträger keinen unangemessenen Einfluß auf die Selbstverwaltungsorgane bekommen. ({3}) Wer es mit der Selbstverwaltung ernst meint, kann nicht wollen, daß die, deren Arbeit kontrolliert werden soll, sich selbst kontrollieren. ({4}) Wir Sozialdemokraten begrüßen dies. Wir bedauern, daß im Gesetzentwurf auch eine Regelung getroffen werden muß, die dem bei der letzten Sozialversicherungswahl beobachteten Tatbestand Rechnung trägt, daß der Anteil der Direktwähler gegenüber dem der Briefwähler in ein mehr als deutliches Mißverhältnis gekommen ist. Ausgenommen im Falle der Wahl der Versicherungsältesten in der Bundesknappschaft werden wir künftig nur noch die Briefwahl kennen. Wir sehen ein, daß wir uns dieser Entwicklung nicht in den Weg stellen können. Wir bedauern sie, weil der Gedanke der Selbstverwaltung, der mit der direkten Wahl ein Stück Verbindung des Versicherten zu seiner Versicherung herstellen sollte, verlorengeht, aber wir sind nicht konservativ genug, uns dieser wohl unausweichlichen Entwicklung in den Weg zu stellen. Wir haben mit Interesse festgestellt, daß im Sozialversicherungsrecht ein Petitum, das wir im Rahmen der Haushaltsoperation 1984 hinsichtlich der Novellierung der Handwerksordnung nicht durchzusetzen vermochten, aufgegriffen worden ist, das sicherstellt, daß Arbeitslose, die nach dem Stichtag für die Wählbarkeit ihre Gruppenzugehörigkeit wegen Arbeitslosigkeit verlieren, ihre Wählbarkeit bis zum Ende der Amtsperiode behalten. Dies ist eine aus unserer Sicht angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage richtige Entscheidung, die die Selbstverwaltung stärkt. Aber wir hätten es begrüßt, wenn wir uns im Rahmen der ohnehin bescheiden ausgestatteten Mitbestimmung im Handwerksbereich gemeinsam mit den Regierungsfraktionen auf eine vergleichbare Regelung hätten verständigen können, die die Selbstverwaltung gestärkt hätte. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird bei den Beratungen im Ausschuß sehr sorgfältig nochmals den Bericht des Bundesbeauftragten für die Durchführung der Sozialversicherungswahlen hinsichtlich der dort enthaltenen Anregungen zur Verbesserung des Wahlrechts und des Wahlverfahrens prüfen und in weiteren Gesetzgebungsverfahren gegebenenfalls weitere Ergänzungs- und Änderungsanträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen. Bereits jetzt können wir jedoch signalisieren, daß wir die Grundabsicht dieses Gesetzentwurfs unterstützen, zumal sie den Forderungen des Kollegen Glombig, die er für unsere Fraktion aufgestellt hat, weitestgehend entspricht. ({5}) Nach langer Zeit ist der Bundesarbeitsminister in der merkwürdigen Situation, daß wir einen von ihm vorgelegten Gesetzesentwurf vorbehaltlos unterstützen. Er hat unsere soziale Geduld gerade in den vergangenen Monaten mehr als strapaziert. Zuletzt ist dies bei den Debatten um das Arbeitszeitgesetz, das die Sozialdemokraten vorgelegt haben, bei der unzureichenden Vorruhestandsregelung, die aus dem Arbeitsministerium gekommen ist, bei den in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Überlegungen, das gewachsene Arbeitsvertragsrecht durcheinanderzuwirbeln, bei den Bemühungen, den Arbeitsschutz auf neue, kaum noch erkennbare Füße zu stellen, deutlich geworden. Diesen Absichten müssen und werden sich Sozialdemokraten zusammen mit den Gewerkschaften entgegenstemmen. ({6}) Hinsichtlich der gesetzgeberischen Vorbereitung der Sozialversicherungswahlen 1986 hat er unsere politische Unterstützung. Weil wir keine blinde Neinsager-Opposition sind, wissen wir wohl zu unterscheiden zwischen unterstützenswerten Initiativen und abzulehnenden Maßnahmen. Wir werden uns an einer zügigen Beratung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beteiligen. Wir haben allerdings den Ratschlag, daß der Bundesarbeitsminister diese Unterstützung nicht so mißverstehen sollte, daß wir uns mit sozialpolitischen Brosamen begnügen werden. Frei nach Brecht würde ich sagen: Dies ist der Pfennig - wo bleibt die Mark? ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Keller.

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der spanische Philosoph Ortega y Gasset hat, nach meiner Meinung zu Recht ({0}) - lassen Sie mich den Satz doch erst einmal zu Ende sagen -, in seinem Buch „Aufstand der Massen" 1936 geschrieben - und jetzt hören Sie bitte einmal zu, Herr Kollege Lutz -: ({1}) „Die Demokratie hängt von einer winzigen Kleinigkeit ab, nämlich vom Wahlrecht." ({2}) Dies wurde auch bei den im Jahre 1980 durchgeführten Wahlen zur Selbstverwaltung in der Sozialversicherung deutlich. Ein besonders extremes Beispiel hat ja bereits Staatssekretär Vogt hier vorgetragen: Bei der erwähnten Ersatzkasse erreichte ein - ich sage es einmal so - Wahlverein mit neun Mitgliedern als reine Zweckgründung immerhin 52% der Gesamtstimmenzahl, konnte jedoch von den 14 zustehenden Sitzen 12 nicht besetzen, weil nämlich nur zwei Bewerber benannt wurden. Die Hauptursache für diesen Fall und bei ähnlichen negativen Beispielen liegt in der spärlichen rechtlichen Abfassung des bisherigen Gesetzes. Deshalb hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 24. März 1982 einvernehmlich die Bundesregierung aufgefordert, über ihre Vorstellungen zur Weiterentwicklung des Selbstverwaltungsrechtes zu berichten. Der vorliegende Gesetzentwurf konkretisiert schwerpunktmäßig die Anforderungen, die an das Vorschlagsrecht der selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung zu stellen sind. Ferner werden der Rechtsschutz während und nach Abschluß des Wahlverfahrens verbessert und ergänzt und die Haftung der Organmitglieder auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einmal ein paar Bemerkungen zur Bedeutung der sozialen Selbstverwaltung aus unserer Sicht machen. Unsere soziale Ordnungspolitik folgt dem Sozialprinzip und dem Gebot der Subsidiarität. Was eine kleinere Gemeinschaft aus eigener Kraft leisten kann, darf der Staat ihr nicht nehmen. ({3}) Es gilt der allgemeine Grundsatz: Soviel Selbstverwaltung wie möglich, soviel Staat wie nötig. ({4}) Auf Grund dieser Philosophie sieht die CDU/CSU-Fraktion in der sozialen Selbstverwaltung ein grundlegendes Ordnungsinstrument im Bereich der Gesellschaftspolitik. Zu diesem Verständnis gehört natürlich, daß Pluralismus und Minderheitenschutz diesem Sozialprinzip der Subsidiarität immanent sind. Dies bedeutet aber nicht, daß wir in bezug auf die Sozialversicherungswahlen an die vorschlagsberechtigten Organisationen keine Anforderungen stellen. Im Gegenteil, mit Rücksicht auf das Vertrauen der Wähler stellt der Gesetzentwurf berechtigte Anforderungen, ob eine Organisation nach Umfang und Festigkeit, nach Zahl ihrer Mitglieder, nach ihrer demokratischen Struktur sowie ihren bisherigen und zu erwartenden Leistungen in der Lage ist, die vom Gesetzgeber erwarteten sozial- und berufspolitischen Aktivitäten zu entfalten. Ich darf zusammenfassen: Man kann sagen, daß das Subsidiaritätsprinzip, richtig verstanden, nach oben und nach unten im Hinblick auf Größe und Leistungsfähigkeit der Bewerberlisten abgrenzt. Die CDU/CSU-Fraktion ist davon überzeugt, daß mit diesem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen die Selbstverwaltung insgesamt gestärkt wird. Nun ein paar Überlegungen zum Gesetzentwurf selbst. Weder das Sozialgesetzbuch noch die Wahlordnung enthalten zur Zeit Vorschriften, die das Verfahren zur Aufstellung von Vorschlagslisten verbindlich regeln. Es genügt einfach nicht, ein bestimmtes Maß an Unterstützung einer Liste für die Beteiligung an der Wahl zu fordern. Die Bewerber auf einer Liste bedürfen vielmehr jeweils selbst einer hinreichenden Unterstützung innerhalb ihrer eigenen Vereinigung. Mit den neuen §§48a bis c des 4. Sozialgesetzbuches werden das Vorschlagsrecht der sonstigen Arbeitnehmervereinigungen, das Feststellungsverfahren und die Übergangsregelung neu geordnet. Mit diesen gesetzlich normierten Bestimmungen werden Mindestanforderungen an Arbeitnehmervereinigungen gestellt, die sich neben den Gewerkschaften zur Wahl stellen. Allgemein begrüßt werden dürfte die Regelung, daß künftig auch Verbände der Arbeitnehmervereinigungen Vorschlagslisten einreichen können, wenn mindestens drei ihrer vorschlagsberechtigten Mitgliedervereinigungen keine eigenen Vorschlagslisten einreichen. Zum Wohle der Selbstverwaltung wird es sich auch auswirken, wenn die Sozialgerichte künftig durch einstweilige Anordnungen schon während des Wahlverfahrens sicherstellen können, daß ungültige Wahlen vermieden werden. Gleichzeitig möchte ich aber darauf hinweisen und auch betonen, daß noch manche Klarstellung in der Ausschußberatung erfolgen kann und, wie ich meine, auch muß. Nach meiner persönlichen Beurteilung betrifft dies z. B. den § 48 a Abs. 2, wo es um den Begriff „maßgebenden Einfluß" geht, und den § 48b, der das Feststellungsverfahren regelt. Hier wäre zu überlegen, ob bezüglich des Vorschlagsrechts die größeren Organisationen, die sich bei zahlreichen Versicherungsträgern vorstellen, nicht bei jedem einzelnen Versicherungsträger den Nachweis führen müssen, sondern daß aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung der Bundesbeauf4536 tragte die Vorschlagsberechtigung zentral feststellen sollte. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der heutigen ersten Lesung darf ich sicher feststellen, daß dieser Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen eine breite Mehrheit finden wird. Die CDU/ CSU-Fraktion begrüßt die vorgelegte Gesetzesinitiative. Der Entwurf sollte zügig beraten werden, damit er bald verabschiedet und im Anschluß daran die Wahlordnung für die Sozialversicherung überarbeitet werden kann. Wenn im Januar 1985 mit dem Wahlverfahren begonnen werden soll, müssen die Rechtsgrundlagen so frühzeitig feststehen, daß sich alle Versicherungsträger und alle Wahlbeteiligten darauf einstellen können. Die vorgesehenen Übergangsregelungen gewährleisten, daß die bestehenden Arbeitnehmervereinigungen von der neuen Rechtslage nicht zu ihrem Nachteil überrascht werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch ein paar Schlußbemerkungen: Ich glaube, daß durch die Konkretisierung des Vorschlagsrechts von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischer Zwecksetzung auch die Kontinuität in der sozialen Selbstverwaltung gestärkt wird. Das Vertrauen der Wähler in die Wirkungskraft und Verläßlichkeit der Organisationen ist ein so hohes politisches Gut, daß dieses Gut geschützt und gestärkt werden muß. - Diesem politischen Ziel dient dieser Gesetzentwurf, der von meiner Fraktion voll unterstützt wird. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Tag, erst mal. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürger und liebe Bürgerinnen! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen scheint ja auf den ersten Blick ausgesprochen vernünftig zu sein. Immerhin spiegelt sich hier die tiefe Sorge um die sozial- und berufspolitischen Aktivitäten der sogenannten sonstigen Arbeitnehmervereinigungen wider. Hierbei wollen die Regierungsmänner uns glauben machen, daß höher geschraubte Anforderungen bezüglich des Vorschlagsrechts von selbständigen Arbeitnehmervereinigungen nicht eine Einschränkung demokratischer Rechte darstellten, sondern sogar noch zu einer Verbesserung des Wahlrechts führten. Die Fragen: Wem nutzt dieser Gesetzentwurf, welchen Zwecken dient er, und unter Aufgabe welcher Prinzipien ist er zustande gekommen? müssen erlaubt sein. Es ist nicht zu leugnen, daß der vorliegende Gesetzentwurf auf Absprachen zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, den Arbeitgeberverbänden und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zurückgeht. ({0}) Wir vermuten also, daß er allen diesen Beteiligten etwas bringt. ({1}) Es liegt auch der Verdacht nahe, daß es sich hier um eines der üblichen Mauschelgeschäfte zwischen den staatstragenden Institutionen handelt. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lutz, Sie wissen doch, daß wir immer viel zu wenig Zeit haben, um unsere Gedanken hier vorzutragen. Ich bitte Sie also, zu verstehen, daß ich keine Zwischenfrage gestatte. ({0}) Ich möchte in epischer Breite fortfahren: Meine Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte ich im wesentlichen auf zwei Aspekte stützen. Erstens. Ich bin der Meinung, daß der vorliegende Gesetzentwurf eher zu weniger als zu mehr Demokratie in den Selbstverwaltungsgremien führen wird. Zweitens. Wir GRÜNEN sind mit der traditionellen Struktur der Selbstverwaltung, die in den Sozialversicherungen vorgefunden wird, prinzipiell nicht einverstanden und plädieren eher für ein Modell, das gewährleistet, daß die Betroffenen sich selbst vertreten und nicht z. B. durch Arbeitgeber mit vertreten werden. Zum ersten Punkt stellt sich also die Frage: Was ist eigentlich der Auslöser für diesen Gesetzentwurf gewesen? Da fällt auf, daß sich vor allem im Bereich der Angestelltenversicherungen, also bei der BfA und den Angestelltenersatzkassen, im Lauf der letzten Jahrzehnte Mitgliedergemeinschaften gebildet haben, die mittlerweile über 60 % der Arbeitnehmersitze in den sogenannten Selbstverwaltungsgremien erringen konnten. Nach Meinung der Gewerkschaften handelt es sich bei diesen Vereinigungen aber eben nicht um Gemeinschaften, die ausdrücklich Arbeitnehmerinteressen vertreten, sondern um Listen, auf denen leitende Angestellte oder leitende Beamte usw. kandidieren, die in der Tat nicht zur Mehrheit der Betroffenen gezählt werden können. So war - das sei hier am Rand vermerkt - der langjährige Vorsitzende des Aufsichtsrats der Barmer Ersatzkasse ein Bankdirektor aus München. Und das ist wahrlich kein typischer Arbeitnehmer. ({1}) - In der Tat! Des weiteren wird diesen Mitgliedergemeinschaften vorgeworfen, sie betrieben unlauteren Wettbewerb dergestalt, daß sie meist den Namen der jeFrau Potthast weiligen Versicherung in ihrer selbstgewählten Bezeichnung führen. Das heißt, sie kandidieren, wie der Kollege von der SPD schon vorhin erwähnte, unter Namen wie „BEK-Mitgliedergemeinschaft" oder „DAK-Mitgliedergemeinschaft" usw. Dies führte und führt, wenn es so bleiben sollte, natürlich bei den Wählern und Wählerinnen häufig zu dem Mißverständnis, es handle sich genau um die Liste, die geeignet ist, die Interessen der in dieser Versicherung Versicherten am besten zu vertreten. Hier wird also, kurz gesagt, schlichtweg der Vorwurf des Etikettenschwindels erhoben. Und aus keinem anderen Grund hat ja das Bundessozialgericht 1968 die Führung des Namens des Versicherungsträgers für diese Art von Arbeitnehmervereinigungen verboten, wonach einige hohe Wahlergebnisse solcher Mitgliedergemeinschaften deutlich zurückgingen. Dieses Namensführungsverbot wurde 1971 durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben, und zwar mit der Begründung, der Arbeitgeber habe j a auch andere Möglichkeiten, vor Täuschung der Versicherten zu schützen. In der Tat! Zu diesen Argumenten, die berechtigterweise unter Umständen zu einer Verschärfung des Wahlrechts führen könnten, kommen Vorwürfe wie z. B. der hinzu, diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen hätten kein richtiges sozialpolitisches Programm, im Grunde genommen handle es sich also bei den Leuten auf diesen Listen um Personen, die sich gern ihren Allerwertesten in Gremien breitsitzen; ({2}) überhaupt sei also nicht klar, ob und wie diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen eigentlich Arbeitnehmerinteressen vertreten könnten. Wir können und sollen uns all diesen Argumenten ja gar nicht verschließen. Doch es fragt sich - wie im übrigen überall -, ob Auswüchse und arbeitnehmerfeindliche Arbeitnehmervereinigungen mit der Methode des Holzhammers beseitigt werden können. Es fragt sich also, ob die Bildung freier Listen so erschwert werden soll, wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geplant ist. Wir GRÜNEN haben in dieser Hinsicht eine grundsätzlich andere Einstellung. Vorausgesetzt, es trifft zu, in das System, d. h. in die bisherige Praxis bei Sozialversicherungswahlen soll mehr Demokratie einziehen, so müßte unseres Erachtens dafür gesorgt werden, daß die Versicherten über ihre Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten ordentlich informiert werden. ({3}) Sie müßten also darüber informiert werden, was für Interessen diese diversen Listen und Vertreter in den Gremien vorlegen und praktizieren. ({4}) Aber uns ist - vermutlich ebenso wie Ihnen - bislang kein einziger Fall bekannt, in dem die vorhandenen Konflikte beispielsweise einer AOK oder einer Rentenversicherung den Mitgliedern überhaupt zur Kenntnis gebracht wurden. Statt dessen begnügt man sich gewöhnlich damit, mit hochglanzgedruckten Leistungsbilanzen den Eindruck der Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre zu erwekken, den Eindruck, als wüßten die Kapitäne - auch hier sind es ja wieder einmal wie fast überall Männer - ({5}) - Bei uns ist es inzwischen anders geworden. Nehmen Sie sich einmal ein Beispiel daran. ({6}) Statt dessen begnügt man sich damit, den Eindruck zu erwecken, als wüßten die Kapitäne auf der Brücke der Versicherungsanstalt schon, wo es entlangzugehen habe. Das ist natürlich die schlechteste Voraussetzung für Demokratie. ({7}) - Hören Sie einmal zu. Deshalb sind wir durchaus dafür, daß die Teilnahme von freien Listen, die Teilnahme von Wählergemeinschaften und auch von Personallisten an den Wahlen zur Sozialversicherung grundsätzlich erleichtert wird, daß sie grundsätzlich den etablierten Organisationen gleichgestellt werden, während gleichzeitig dafür gesorgt werden muß, daß die Versicherten erfahren, was in den entsprechenden Gremien verhandelt wird. Wenn diese sonstigen Arbeitnehmervereinigungen tatsächlich arbeitnehmerfeindlich sind, dann hilft nur Aufklärung darüber weiter. Hier sind insbesondere die Gewerkschaften gefragt. Wir glauben, daß ein Mehr an Demokratie nicht auf dem Verordnungswege und auch nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit zustande kommen kann. Nun zum zweiten, zum eher grundsätzlichen Punkt, der die Frage nach der Struktur der Selbstverwaltung überhaupt berührt, eine Frage, die sich bei einer solchen Gesetzesreform natürlich auch stellt. Grundsätzlich halten wir GRÜNEN die Beteiligung von Arbeitgebern in den Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherung für einen Anachronismus, d. h. für einen alten Zopf, der schon lange abgeschnitten werden mußte. Der Arbeitgeberanteil an den Kosten der Sozialversicherung, der als Begründung herangezogen wird, wenn es darum geht, zu legitimieren, warum Arbeitgeber eigentlich zu 50 % in den Selbstverwaltungsgremien der Versicherten vertreten sind, ist pure Augenwischerei; denn selbstverständlich halten sich die Unternehmen bei der Preiskalkulation für ihre Güter und Dienste wieder schadlos. Der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungskosten ist also Teil der Lohnkosten und gehört als solcher offen ausgewiesen. ({8}) Damit wäre aber einer grundsätzlichen Reform der Verwaltungsgremien Raum gegeben. Wir plädieren daher für eine Selbstverwaltungsstruktur, in der die Betroffenen tatsächlich selbst ihre Interessen vertreten können. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt, von Ihnen ist vorhin die starke soziale Selbstverwal4538 tung beschworen worden, bei deren Verwirklichung Sie Partner und Partnerinnen suchen. Handeln Sie dann doch bitte auch danach. Sorgen Sie doch bitte dafür, daß allein die Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsgremien das Sagen haben. Ergo: heraus mit den Arbeitgebern aus Gremien, in die sie überhaupt nicht hineingehören. ({9}) - Das ist fast Zynismus. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird unserer Meinung nach nicht der Weg für mehr Demokratie und in diesem Fall für eine grundsätzliche Reform der Selbstverwaltungsstruktur geebnet, sondern hier werden wieder einmal nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel" bestehende Rechte eingeschränkt. Das ist, mit Verlaub, immer falsch auf dem Weg in Richtung auf eine demokratische Gesellschaft. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Grundlage des Systems unserer sozialen Sicherheit sind die verschiedenen Träger der Sozialversicherung. Wesentliches Kriterium dieses gegliederten Systems ist die jeweilige Selbstverwaltung. Daß in dieser Selbstverwaltung die paritätische Besetzung sinnvoll und richtig ist, Frau Potthast, wird nicht nur dadurch bewiesen, daß sich dieses System der Selbstverwaltung bewährt hat, sondern hat natürlich auch noch andere Rechtfertigungen. Eine Rechtfertigung ist die Tatsache, daß die Hälfte durch Arbeitgeberbeiträge bezahlt wird. Ihre Darstellung ist richtig: In der Tat sind die Sozialversicherungsbeiträge Kosten wie Lohn- und Materialkosten und müssen in der Kalkulation berücksichtigt werden. Wer sagt das öfter als wir? Wir sagen das, weil so die Preise und damit die Wettbewerbsfähigkeit bestimmt werden. Weil wir der Meinung sind, daß auch in diesem Zusammenhang die Selbstverwaltung eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen hat, und weil für die Kalkulation - das mag Sie überraschen - eben die Arbeitgeber verantwortlich sind. Deswegen ist es auch sehr sinnvoll, daß diese dort ihre Funktionen wahrnehmen. Offensichtlich haben Sie das ganze System nicht begriffen. ({0}) Wir Liberalen stehen voll und ganz hinter diesem bewährten Prinzip. ({1}) Für die überwiegende Mehrheit der Bürger wird der Schutz vor sozialen Risiken nicht durch den Staat, sondern durch die selbstverwalteten Einrichtungen sichergestellt, und Selbstverwaltung heißt in diesem Zusammenhang: Mitbestimmung, Eigeninitiative und Eigenverantwortung; möglichst enge Anbindung des einzelnen Versicherten an seinen Versicherungsträger; Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern - eine sehr gute, eine lobenswerte Einrichtung. ({2}) Wir sehen in der Selbstverwaltung die liberale Alternative zu dirigistischen Verwaltungen in der Sozialpolitik. ({3}) Wir sehen darin eine Alternative zur dirigistischen Verwaltung, ein Instrument gegen Zentralismus und anonyme Staatshilfe. ({4}) Deswegen wollen wir die Stellung des einzelnen Versicherten und seine Mitwirkungsrechte in der Sozialversicherung stärken, den Spielraum für die Sozialversicherungsorgane vergrößern und die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates so gering wie möglich halten. Mitwirkungsrechte - dazu gehört auch das Wahlrecht - sollten in möglichst großem Umfange von dem berechtigten Versicherten wahrgenommen werden. Deswegen haben wir es bedauert, daß dies in der Vergangenheit nicht in dem gewünschten Umfang der Fall war. Die Sozialwahlen '80 haben gezeigt, daß in diesem Bereich noch Probleme gelöst werden müssen. ({5}) - Der Bundesbeauftragte hat - Sie wissen das, Herr Kollege Lutz - bei allen vernünftigen Vorschlägen, die er gemacht hat, immer unsere Unterstützung gehabt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung der Vorschriften über die Sozialwahlen wird versucht, das bestehende Wahlverfahren zu verbessern und zu vereinfachen. Dies findet ja offensichtlich die Unterstützung mindestens von drei Fraktionen dieses Hauses. Diesen grundsätzlichen Bestrebungen wollen wir uns nicht entziehen. Allerdings werden wir auch in den parlamentarischen Beratungen sehr darauf achten, daß nicht unter dem Mantel der Verbesserung des Wahlrechts die Möglichkeiten für Gruppen, sich an der Wahl zu beteiligen, unangemessen eingeschränkt werden. Bestehenden und auch neuen Gruppierungen muß es weiterhin möglich sein, aktiv in der Selbstverwaltung mitzuarbeiten. Ich will hoffen, daß niemand bei der anstehenden Novellierung andere Motive als die Verbesserung und die Vereinfachung des Wahlrechts im Hinterkopf gehabt hat. Allerdings dürfen diese Gruppen auch nicht zum Selbstzweck für die in der Sozialversicherung Beschäftigten werden. Vergessen wir doch nicht, daß es zu den wesentlichen Aufgaben der gewählten Vertreter gehört, die Kontrolle der Verwaltung und die Interessen der Versicherten wahrzunehmen. Deshalb begrüßen wir grundsätzlich die Forderung, den Anteil der Beschäftigten eines Sozialversicherungsträgers an derartigen Wahlvorschlägen zu begrenzen. Ob in § 48 die bestmögliche der FormulieCronenberg ({6}) rungen gefunden worden ist, die dieser Zielvorstellung Rechnung tragen können, werden wir in den Beratungen noch im einzelnen zu prüfen haben. Natürlich sind die Kriterien für die Zulassung neuer Gruppen von ganz besonderer Bedeutung. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind keine Erleichterung für ein einfaches und zügiges Entscheidungsverfahren der Wahlausschüsse. Wie sollen diese denn feststellen, ob „das tatsächliche Beitragsaufkommen diese Arbeitnehmervereinigung in die Lage versetzt, ihre Vereinstätigkeit nachhaltig auszuüben", oder ob Beschäftigten des Sozialversicherungsträgers „ein nicht unerheblicher Einfluß" auf die Vereinigung eingeräumt wird. Wir werden daher in den Beratungen auf klare Formulierungen und Präzisierungen drängen, und hoffen hier auf die Unterstützung aller Beteiligten. Mit aller Entschiedenheit möchte ich noch einmal klarstellen, das Ziel dieser Novellierung ist nicht, bewährten Versichertengemeinschaften den Garaus zu machen, vielmehr muß die Anerkennung ihrer Wahlvorschläge nach wie vor möglich sein, wenn sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen. Begrüßt hätten wir, wenn der Gesetzentwurf eine eindeutige Regelung hinsichtlich der Friedenswahlen enthalten hätte. Dies ist nicht der Fall. Möglicherweise stellt sich aber in Zukunft das Problem deswegen nicht mehr, weil das Interesse an den Wahlen zunimmt und somit das Interesse an Friedenswahlen abnimmt. Wir halten die allgemeine Ausweitung des Aufsichtsrechts in § 89, so wie sie jetzt formuliert ist, nicht für gerechtfertigt. Sie beeinträchtigt das Recht der Selbstverwaltung. Der Gesetzgeber vergibt sich nichts, wenn er einmal die Erfahrungen aus der Vergangenheit berücksichtigt, und da muß man feststellen, daß es bisher keinen Fall gegeben hat, in dem die Aufsicht zu Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts greifen mußte. Wir werden deswegen in den Beratungen zu prüfen haben, ob die Vorschrift nicht ganz gestrichen werden kann. Sollte uns schlüssig nachgewiesen werden, daß hier tatsächlich ein Regelungsbedarf vorhanden ist, so scheint es zumindest sinnvoll zu sein, diese Regelung auf die Problematik des Wahlvorganges zu beschränken, damit die Selbstverwaltung insgesamt über ein solches bedenkliches Instrument nicht in Frage gestellt wird. ({7}) - Bei Gott nicht! Zusammenfassend möchte ich für die FDP festhalten: Vereinfachung des Wahlverfahrens j a, Ausschluß seriöser und der Sozialpolitik im allgemeinen und den jeweiligen Sozialversicherungsträgern im besonderen verpflichteten Versicherungsvereinigungen nein. Nur so ist die notwendige Konkurrenz der kandidierenden Vereinigungen für die Vertreterversammlungen gewährleistet. Die notwendige und effektive Kontrolle der Selbstverwaltung setzt einen solchen Wettbewerb der Listen untereinander voraus. Das gegliederte System unserer sozialen Sicherheit, die Mitwirkung des Versicherten, Eigenverantwortung und Eigeninitiative sind Voraussetzungen für Pluralismus und Wahlfreiheit. Für die Liberalen sind es keine leeren Lippenbekenntnisse, sondern dies ist Ziel und Inhalt ihrer Politik. So gesehen, Frau Potthast, ist diese Vorlage nicht nur auf den ersten Blick vernünftig, sondern entsprechend verändert, unterstelle ich, wird sie sich auch auf den zweiten und dritten Blick als vernünftige mehrheitsfähige Vorlage erweisen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schläg vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1162 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zum Antrag der Fraktion der SPD Lage in Chile - Drucksache 10/360, 10/1049 Berichterstatter: Abgeordnete Klein ({1}) Voigt ({2}) Schäfer ({3}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück. ({4}) ({5}) - Frau Abgeordnete, wen haben Sie denn angemeldet? ({6}) - Wo ist Frau Gottwald? ({7}) - Wo ist Herr Brück? - Ich habe noch eine Wortmeldung. Das Wort hat - ({8}) Herr Abgeordneter Brück, Sie haben sich zu Wort gemeldet und sind auch ordnungsgemäß aufgerufen worden. Sie sind jetzt mit großer Hast in den Plenarsaal gekommen. Sind Sie bei Atem?

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, schönen Dank, Ich bin bei Atem.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Dann haben Sie das Wort.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Entschuldigung. Ich war die ganze Zeit im Plenum und bin gerade zum Telefonieren hinausgegangen, weil man mir auch gesagt hatte, unsere Debatte beginne um 16.45 Uhr. Schönen Dank, daß Sie mir jetzt das Wort erteilt haben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Erlebnisse, die sich einem tief einprägen. Mir haben sich die Bilder, die Hans-Jürgen Wischnewski und ich im Oktober 1973 in Santiago sahen, tief eingeprägt. In Chile hatten am 11. September 1973 die Militärs geputscht und blutig die Macht erobert. Die chilenische Demokratie wurde liquidiert, der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende ermordet. Noch ein halbes Jahr zuvor hatten mir Kenner der chilenischen Politik bei einem Besuch in Santiago versichert, daß die chilenischen Militärs nicht putschen würden, weil sie loyal zu den jeweils demokratisch gewählten Regierungen stünden. Dann war es aber doch geschehen. Hans-Jürgen Wischnewski und ich waren auf Hilferufe aus Chile hin im Auftrag unserer Partei nach Santiago geflogen. Die Bilder, die wor dort sahen, werde ich eben nie vergessen, die Tausende von Menschen mit ihren verängstigten Blicken, die unter den Rängen des Fußballstadions in Santiago wie Tiere eingesperrt waren; die Panzer an den Straßenkreuzungen und vor den Regierungsgebäuden; überall Soldaten mit schußbereitem Gewehr. Zum erstenmal in meinen Leben hatte ich die Folgen eines Militärputsches mit eigenen Augen gesehen, war ich nicht nur auf die Bilder im Fernsehen und auf die Berichte in Zeitungen angewiesen. Diese Bilder stehen auch heute noch, da wir über Anträge zur Lage in Chile diskutieren, vor meinen Augen. Ich schildere, meine Damen und Herren, meine persönliche Betroffenheit, weil es mich heute bedrückt, daß wir, der Deutsche Bundestag, das Parlament eines in Freiheit lebenden Volkes, nicht zu einer einheitlichen Entschließung zur Lage in Chile gekommen sind. ({0}) Wir Sozialdemokraten bedauern das. Warum, so frage ich, können wir nicht gemeinsam in aller Deutlichkeit den Militärputsch von 1973 verurteilen? ({1}) Warum können wir nicht in aller Deutlichkeit sagen: Das Regime Pinochet muß weg, die Diktatur in Chile muß verschwinden, das chilenische Volk muß wieder seine Freiheit erhalten? ({2}) Ich dachte, der Streit von 1973 über den Putsch in Chile sei beendet. Damals, 1973, war ja viel darüber diskutiert worden; in Chile selbst und auch bei uns in Europa. Um der historischen Wahrheit willen muß man sagen: Der Putsch wurde damals nicht nur verurteilt, sondern er hatte auch viele Befürworter, in Chile und bei uns. Die Diskussion, so erinnere ich mich, wurde mit großer Leidenschaft geführt. Ich denke, daß es heute keine Befürworter des Putsches bei uns mehr gibt, zumindest nicht bei den demokratischen Parteien; denn heute haben alle gesehen, welche Folgen dieser Putsch für das chilenische Volk gehabt hat. Für Tausende chilenischer Demokraten brachte dieser Putsch Verfolgung, Gefangenschaft, Folterung und Tod. Für Zehntausende brachte er den Verlust der Heimat. Manche von ihnen fanden damals bei uns in Deutschland Aufnahme. Ich wage nicht zu sagen: Sie fanden eine neue Heimat. Dazu wird mein Freund Ernst Waltemathe nachher etwas sagen. Ich will nur darauf hinweisen, daß mich damals manche Diskussion bei uns um die Aufnahme chilenischer Flüchtlinge doch tief getroffen hat. Ich fand sie beschämend. ({3}) Die dem Putsch folgende Entwicklung in Chile will ich mit den Worten eines kompetenten chilenischen Augenzeugen schildern. Ich zitiere aus einem Hirtenbrief von Kardinal Silva, bis zum vergangenen Jahr Erzbischof von Santiago. Dieser Hirtenbrief stammt aus der Fastenzeit des vergangenen Jahres, und in ihm hieß es: Die Ereignisse vom September 1973 haben das Gesicht Chiles verändert. Neben den Verwundeten, die die Kirche traditionsgemäß versorgte, tauchten Opfer auf, die das Produkt eines unmenschlichen Wirtschaftsmodells waren, das vor allem unter den Armen eine hohe Arbeitslosenquote verursachte, Ängste und schwere Wunden in deren Familien hervorrief und gleichzeitig den Reichtum in den Händen einiger weniger konzentrierte. Daneben bewirkte das autoritäre, von der Ideologie der nationalen Sicherheit bestimmte politische Modell, daß Tausende von Menschen die Kirche um Verteidigung ihrer Menschenwürde oder ihrer verletzten Rechte ersuchten. Dieses politische System, das den Pluralismus beseitigt, treibt uns allmählich in einen internen Kriegszustand, der letztlich dazu führt, daß unter dem Vorwand, die Bedrohung des Kommunismus abwehren zu müssen, alle verfolgt werden, die sich dieser Art des Vorgehens widersetzen. Soweit das Zitat aus dem Hirtenbrief Kardinal Silvas. Wie könnte man die Situation in Chile besser schildern, als es dieser große katholische Hirte getan hat? ({4}) Unterdrückt wurden nach dem Putsch auch die, die ihn zuerst begrüßt hatten. Schließlich litt das ganze chilenische Volk unter der monetaristischen Wirtschaftspolitik. Zwar gab es am Anfang eine Scheinblüte, aber Kenner des Landes berichten heute, daß die Verelendung des chilenischen Volkes bis tief in die Mittelschichten geht. Heute ist bittere Wahrheit geworden, was Kardinal Silva im Februar des vergangenen Jahres gesagt hatte. Das politische System hat Chile in einen internen Kriegszustand getrieben. In Chile fließt Blut. Erst in der vergangenen Woche wurden vier Menschen getötet, weil sie für ihre Freiheit demonstrierten. Hinsichtlich des inneren Zustandes kann ich nur noch einmal Kardinal Silva zitieren. Er sagte in dem von mir genannten Hirtenbrief vom vergangenen Jahr: Die Andersdenkenden wurden und werden immer noch stark unterdrückt. Mitglieder demokratischer Parteien werden verhaftet, und es wird nach wie vor gefoltert. In einem Bericht von amnesty international über die Folter in Chile heißt es: Die Praxis der Folter hat während der letzten zwölf Monate erheblich zugenommen. Trotz der Häufung von Zeugenaussagen und direkter Beweise leugnen die Behörden weiterhin, daß Folter angewendet wird. Die chilenische Menschenrechtskommission berichtete im Januar dieses Jahres: 15 078 Menschen sind 1983 aus politischen Gründen verhaftet worden. Von Polizei und Militär wurden 97 Menschen getötet und 1 559 verletzt. 437 Fälle von Folterungen wurden bekannt. Dabei muß man davon ausgehen, daß nicht alle, die gefoltert worden sind, es auch wagen, dies öffentlich mitzuteilen. Gerade heute nachmittag noch einmal fand ich auf meinem Schreibtisch den „Monitor-Dienst" der Deutschen Welle. Da heißt es: „Chilenische Gewerkschaftsführer aus der Haft entlassen". Das ist erfreulich, aber man muß den Text lesen: Nach fünfwöchiger Haft ist der Führer der Gewerkschaft chilenischer Erdölarbeiter, Jose Ruiz di Giorgio, aus dem Gefängnis entlassen worden. Di Giorgio war zusammen mit dem führenden christdemokratischen Parteimitglied Carlos Mladinic wegen Teilnahme an einer Protestdemonstration gegen Präsident Pinochet in Punta Arenas verhaftet worden. Ein Gewerkschaftsführer und ein christdemokratischer Politiker waren zusammen verhaftet worden. Fünf Wochen später ist der Gewerkschaftsführer entlassen worden. Was mit dem christdemokratischen Politiker geschehen ist weiß ich nicht; das geht aus der Meldung nicht hervor. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, stelle ich mit Erstaunen fest, daß in der Beschlußempfehlung auf die sich die Koalitionsfraktionen - wie ich weiß: nach wochenlanger Diskussion - geeinigt haben und die die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses anstelle des Antrags der Fraktion der SPD zur Annahme empfiehlt, von Fortschritten bei den Menschen- und Bürgerrechten gesprochen wird. Zwar wird zugegeben, daß sie noch nicht voll wiederhergestellt sind. Aber kann man von Fortschritt sprechen? Die Unterdrükkungsmethoden sind, um hier wieder mit Kardinal Silva zu sprechen, nur spitzfindiger geworden. Ich bedaure es auch, daß in der Beschlußempfehlung, die der Auswärtige Ausschuß mit Mehrheit angenommen hat, kein Wort zum Putsch selbst gesagt wird. Es stünde Demokraten gut an, noch einmal darauf hinzuweisen, daß mit dem Putsch am 11. September 1973 gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende die Demokratie in Chile beseitigt wurde. ({5}) Dem müssen auch die zustimmen können, die mit der Politik Allendes nicht einverstanden waren. Und ich weiß, daß viele bei uns und viele in Chile mit seiner Politik nicht einverstanden waren. Aber darüber hätte bei den nächsten freien Wahlen entschieden werden müssen. ({6}) Niemand kann Militärs das Recht zugestehen, Herr Kollege Klein, hier ein Urteil zu fällen und die Macht an sich zu reißen. In der Entschließung der CDU/CSU wird auch vom begonnenen Dialog gesprochen. Dazu muß man leider sagen: Der Dialog ist unterbrochen. Die Regierung Pinochet ist nicht in der Lage, echte Zugeständnisse in Richtung Demokratisierung zu machen. Deshalb lese ich in der Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Erstaunen den Satz: „Die Verfassung von 1980 versteht die Militärregierung als Übergangsregierung und sieht für 1989 Präsidentschaftswahlen vor." Wie eigentlich kann man einen solchen Satz in einer Entschließung des Deutschen Bundestages, des Parlamentes eines freien Landes, unkommentiert schreiben? Kein Wort der Kritik an dieser sogenannten Verfassung von 1980; kein Wort der Kritik an der sogenannten Übergangsregierung. Demokraten können doch nur eins fordern: Die Regierung Pinochet muß zurücktreten. ({7}) Sie muß den Weg für eine demokratische Entwicklung freimachen. Wenn in dem Koalitionsantrag an alle appelliert wird, keine Gewalt anzuwenden, muß man deutlich sagen: Gewalt wird durch das Regime Pinochet angewendet. ({8}) Wir Sozialdemokraten unterstreichen noch einmal unsere Forderungen, wie sie in unserem Antrag formuliert sind: Die Übergriffe der Geheimpolizei CNI auf die Bevölkerung müssen beendet werden. Die Folter in Chile muß eingestellt werden. ({9}) Alle politischen Gefangenen und Verbannten müssen freigelassen werden. ({10}) Das Schicksal der verschwundenen Gefangenen muß aufgeklärt werden. ({11}) Das Recht aller Chilenen, in ihrer Heimat zu leben, muß anerkannt werden und den im Exil befindlichen Chilenen die Rückkehr gestattet werden. ({12}) Die bis September 1973 geltenden Rechte von Gewerkschaften und Verbänden müssen wieder anerkannt werden, ({13}) und es muß freie Wahlen in Chile geben. ({14}) Ich sage noch einmal, wir bedauern es, daß es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages zur Lage in Chile gekommen ist. Ich erinnere mich an meine erste Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Damals, im Jahre 1967, verabschiedeten wir eine gemeinsame Entschließung zur Lage in Griechenland. Damals forderte der Deutsche Bundestag gegen ganz wenige Stimmen, daß es keine neuen Verpflichtungen für Hilfe an Griechenland bis zur Wiederherstellung parlamentarischer demokratischer Verhältnisse geben solle. Wir wissen doch, daß die Geschlossenheit der europäischen Demokraten eine große Hilfe für die Wiederherstellung der griechischen Demokratie war. Die Diktatur in Chile dauert jetzt bereits zehneinhalb Jahre. Damit wir uns vor Augen führen, welch lange Zeit das ist, muß man daran denken, daß der Faschismus in Deutschland zwölf Jahre dauerte, und das war eine schrecklich lange Zeit. Ich weiß nicht, wie lange die Diktatur Pinochets in Chile noch dauern wird. Aber eines ist in den letzten Monaten deutlich geworden: Diktatoren können demokratisches Bewußtsein zwar unterdrücken, aber niemals zerstören. Den chilenischen Demokraten gebührt unser Respekt und unsere Sympathie ({15}) und auch unsere Hilfe, die Hilfe aller Demokraten. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({0}).

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst Genugtuung darüber ausdrükken, Herr Kollege Brück, daß die SPD neuerdings katholische Hirtenbriefe im Deutschen Bundestag vorträgt. ({0}) Ich wünschte, Sie hätten solche Hirtenbriefe in früheren Zeiten, auch wenn sie von deutschen Bischöfen gekommen sind, so ernst genommen. ({1}) - Herr Kollege Waltemathe, Sie können hier eine Feierstunde für Salvador Allende abhalten, wenn Sie wollen; ich werde auf diese Tonlage nicht eingehen. ({2}) - Für mangelnde Schönheit, Herr Kollege Waltemathe, können wir alle nichts. Jetzt ist in Lateinamerika die Demokratie auf dem Vormarsch. ({3}) Die Kräfte der pluralistischen Mitte werden stärker. Dafür gibt es viele ermutigende Beispiele, aber auch viele Beispiele, die unserer konkreten Ermutigung bedürfen. ({4}) Ein solches Beispiel ist Chile, über das wir heute im Zusammenhang mit dem Antrag der SPD-Fraktion zu sprechen haben. Was für zahlreiche andere lateinamerikanische Staaten gilt, trifft auch für Chile zu: Der mühsame und oft leidvolle Demokratisierungsprozeß hat mächtige Gegner. Totalitäre Linke und autoritäre Rechte liefern sich gegenseitig Rechtfertigungen für die Anwendung von Gewalt. ({5}) Deshalb lassen Sie mich gleich zu Beginn noch einmal erklären, daß ich das Regime Salvador Allendes, insbesondere in seiner marxistischen Endphase, nicht mit so pathetischen Berühmungsformeln wie „Flamme der chilenischen Demokratie" zu kennzeichnen vermag, wie das die Sozialdemokraten in ihrem Antrag getan haben. ({6}) Der Putsch von 1973 ist durch eine gefährliche Schrumpfung des demokratischen Spielraums und eine unerträgliche Verschlechterung der Wirtschaftslage hervorgerufen worden. ({7}) Hinter dieser Feststellung, Frau Kollegin, verberge ich überhaupt nicht etwa den Versuch, Zustände, die danach eingetreten sind, zu beschönigen. Wir müssen doch aber schlicht - ich für meinen Teil sage auch: mit Respekt - zur Kenntnis nehmen, daß die Junta die Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit will. ({8}) Klein ({9}) Über den Weg hat ein Dialog begonnen; er ist wieder abgebrochen, ({10}) aber unter der Hand, vorsichtig-tastend weitergeführt worden. Der Kirche, die sich um seine offizielle Aufnahme bemüht, gebührt Dank für ihre friedensstiftende und versöhnende Rolle. Abgesehen von den wenigen, die sich einen Sieg der totalitären Linken erhoffen, glaube ich, daß alle Seiten dieses Hohen Hauses ({11}) Chile eine Rückkehr zur Demokratie in Stabilität und ohne Gewalt wünschen. ({12}) Meine Überzeugung, daß wir uns zumindest in diesem Punkt, Herr Kollege Brück, einig sind, stützt sich auch auf den Satz in dem SPD-Antrag, daß der Deutsche Bundestag die Entschlossenheit der chilenischen Opposition begrüße, ihre Ziele ohne Gewalt und mit politischen und legalen Mitteln zu verfolgen. Dennoch ist der SPD-Antrag in seiner Gesamtheit von solch aggressiver Überheblichkeit, daß die Fraktionen von CDU/CSU und FDP ihn nicht für geeignet hielten, den Dialog in Chile zu ermutigen, im Gegenteil. ({13}) Was die von der SPD geforderten Sanktionen anbetrifft, kann ich nur sagen: Ihre Einfallslosigkeit wird lediglich von Ihrer Uneinsichtigkeit überboten. Das haben wir doch nun in X Fällen durchdiskutiert, und wenn es in Ihren politischen Kram paßte, haben Sie auch nicht gezögert, auf die kontraproduktiven Wirkungen solcher Maßnahmen hinzuweisen. Die sozialdemokratische Forderung, die beiden U-Boote an Chile nicht auszuliefern, deren Bau von der Regierung Schmidt genehmigt worden ist, ({14}) ist so hypokritisch, wie die Unterscheidung zwischen Baugenehmigung und Liefergenehmigung rabulistisch ist. ({15}) Die Regierung Schmidt hat den Bau zu einem Zeitpunkt genehmigt, als es zwischen Chile und Argentinien heftige Spannungen wegen des Beagle-Kanals gab. Dieser Konflikt ist durch die Vermittlung des Vatikans beigelegt worden. Die U-Boote sind im Gegensatz zur Lage zum Zeitpunkt der damaligen Entscheidung nicht für ein Spannungsgebiet bestimmt, ({16}) und als Instrument innenpolitischer Repression, Herr Kollege Fischer, sind Sie wohl ungeeignet. ({17}) In dem Entschließungstext der Koalitionsfraktionen, den der Auswärtige Ausschuß angenommen hat und dem Plenum zur Zustimmung empfiehlt, wird gleich im zweiten Satz eine wichtige Feststellung für den Deutschen Bundestag getroffen: „Er verurteilt grundsätzlich und weltweit ({18}) die Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele ...". Damit soll dieses Parlament bekunden, daß es nicht politisch einäugig ist ({19}) oder etwa in Fragen der Menschenrechte selektiv verfährt. Gerade weil wir ihre Verletzung überall, vor allem auch in jenen Staaten, wo unsere eigenen Landsleute betroffen sind, nachdrücklich verurteilen, tun wir das auch gegenüber Chile. Aber wir tun es in einer Form, die nicht Verhärtung bewirkt, sondern auf Verbesserung zielt. ({20}) Denn wir sind auch nicht der Meinung, am deutschen Wesen oder gar an dem der Sozialdemokraten oder der GRÜNEN müsse die Welt genesen. ({21}) Deshalb richtet sich unser Appell an Regierung und Opposition in Chile, die Regierung möge den eingeleiteten Liberalisierungsprozeß ({22}) und den Übergang zur Demokratie ungeachtet terroristischer Provokationen fortführen; die demokratische Opposition möge sich bei ihrem legitimen Drängen nicht von Gewalttätern mißbrauchen lassen. Beide Seiten haben in den letzten Monaten auf schreckliche Weise erfahren, daß das physikalische Gesetz „Druck erzeugt Gegendruck" auch in der Politik gilt. ({23}) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb vor einigen Tagen: Was die chilenische Militärregierung auch für die allmähliche Demokratisierung und gegen den seit der politischen Öffnung zunehmenden Terrorismus unternimmt, sie findet in Kreisen der Opposition und im Ausland kein Verständnis. Weil wir wollen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß der Prozeß der politischen Öffnung weiter vorankommt, registrieren wir in unserer Entschließung auch die positiven Schritte in dieser Richtung. Wir würdigen die demokratische Gesinnung der großen deutschen Kolonie in Chile, und wir anerkennen die Bemühungen der chilenischen Klein ({24}) Botschaft in Bonn und der deutschen Botschaft in Santiago um faire Übermittlung der Standpunkte und korrekte Darstellung der Entwicklungen. ({25}) Chile sieht sich als prowestlicher Staat. ({26}) Wäre dem nicht so - Herr Kollege Brück, hören Sie doch einen Moment zu; ich habe Ihnen auch zugehört -, hätte diese Debatte einen anderen Grundton. ({27}) Aber gerade weil wir die chilenische Selbsteinordnung nicht bezweifeln, fordern wir mit solcher Deutlichkeit und mit solchem Nachdruck die uneingeschränkte Anerkennung rechtsstaatlicher Normen und demokratischer Werte. ({28}) Selbstverständlich gilt unsere Sympathie in diesem Prozeß den gemäßigten, von den Christdemokraten geführten Kräften ({29}) in der Alianza Democrática und nicht dem marxistisch-leninistischen Movimiento Democrático Popular, dessen verschiedene Gruppierungen von KP bis MIR alle den bewaffneten Kampf proklamieren und praktizieren. ({30}) Wenn auch im wohlverstandenen deutschen Interesse, wünschen wir den Chilenen kein kommunistisches Regime, sondern eine freiheitliche, sozial gerechte, ({31}) wirtschaftlich erfolgreiche, ({32}) die Menschenwürde achtende Demokratie. ({33})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin beim letzten Satz: Ich bitte Sie, die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, Drucksache 10/1049 vom 23. Februar 1984, anzunehmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald. ({0})

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Chile ist eines der dunkelsten Kapitel, das die bundesdeutsche Außenwirtschaft und Außenpolitik je geschrieben hat. Das Modell Chile, dessen Zusammenbruch wir heute miterleben, ist Resultat ({0}) einer konsequenten internationalen Ausbeutungspolitik, abgesichert durch die Repression des chilenischen Militärs im Innern des Landes, bezahlt mit dem Hunger der chilenischen Massen und dem Tod derjenigen, die dem politischen Mord der Militärs zum Opfer fielen. Chile ist das klassische Beispiel dafür, daß die Realisierung internationaler Kapitalinteressen in der Dritten Welt Hunger und Verelendung produziert und daß die stärksten Industrienationen der Welt zur Absicherung von Kapitalinteressen Militärdiktaturen unterstützen. Hungertote, Repression und politische Morde werden durch unsere demokratischen Regierungen nicht nur gedeckt, nein, unsere Regierungen liefern im Namen der Freiheit des Kapitals und des internationalen Handels auch noch die Waffen für die Schlächter. ({1}) Die Bundesrepublik, einer der wichtigsten Handelspartner der chilenischen Militärdiktatur, betreibt seit über zehn Jahren eine Politik, die diese internationale Ausbeutung mit all ihren Konsequenzen aktiv vorantreibt. In den letzten 15 Jahren gab es zwei historische Chancen für die chilenischen Massen, dem internationalen Ausverkauf ihres Landes ein Ende zu setzen. Die erste große Hoffnung war die Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende, die zweite große Hoffnung war und ist die anwachsende Oppositionsbewegung gegen Pinochet seit Mitte letzten Jahres. In beiden Fällen hat sich unsere Regierung auf die Seite der Ausbeuter gestellt und der Bevölkerung eine klare Absage erteilt. ({2}) Die sozialliberale Bundesregierung hat Anfang der 70er Jahre den internationalen Wirtschaftsboykott gegen das demokratische Chile aktiv mitgetragen. Sie hat ihre Exportbürgschaften zusammengestrichen und die Kreditvergabe in den internationalen Finanzorganisationen und die Umschuldungsverhandlungen mit blockiert. ({3}) Sie war aktiv dabei, als die USA der neuen demokratischen Regierung von außen das Wasser abgegraben haben. ({4}) Ganz anders jedoch war es in den Folgejahren. Nachdem dank der USA und ihrer Geheimdienste - was Herr Klein eben vergessen hatte zu erwähFrau Gottwald nen - einer der blutigsten Militärputsche in Lateinamerika erfolgt war, änderte sich die Politik der sozialliberalen Bundesregierung. Mit. Zustimmung der BRD erhielt Pinochet internationale Kredite, das bilaterale Umschuldungsabkommen zwischen der BRD und Chile wurde unterzeichnet, der Handel mit Chile blühte wieder, das bundesdeutsche Kapital zeigte sich wieder investitionsfreudig dank der durch Terror billig gehaltenen chilenischen Arbeitskraft, und die Bundesregierung unterstützte diese Entwicklung durch die Erhöhung der Exportbürgschaften für Chile. Die Krönung dieser Politik war die Genehmigung des Baues zweier U-Boote für das Terrorregime im Jahre 1980. Daß der U-Boot-Bau auch die tatsächliche Auslieferung nach sich ziehen sollte, ist nur logisch und wurde vorbereitet durch die Ausbildung chilenischer Militärs an den Rüstungsgütern auf bundesdeutschen Werften. Auch wenn die SPD heute ihren Antrag hier einbringt - den wir unterstützen -, muß sie sich doch eines sagen lassen: Dieser Sinneswandel in der Chile-Politik, liebe Genossen und Genossinnen, hätte euch 14 Jahre früher, zu Zeiten eurer Regierungsverantwortung weitaus besser zu Gesicht gestanden. ({5}) Was macht die heutige Bundesregierung zur Unterstützung einer demokratischen Entwicklung in Chile? Nichts, sie macht absolut gar nichts. Die jetzige Bundesregierung ist wild entschlossen, die Fehler der alten Regierungspolitik konsequent zu Ende zu führen. Nach zehn Jahren Militärdiktatur, nach zehn Jahren Armut, Hunger, politischer Repression, Folter und Mord, nach zehn solchen Jahren formiert sich in Chile wieder eine starke Opposition lauthals und offen auf der Straße, in der Presse, in den Betrieben; ein Widerstand, der entschlossen ist, Pinochet zu stürzen. Begreifen Sie von der CDU/CSU eigentlich, was das für Chile bedeutet? Begreift die Bundesregierung nicht, daß es sich in Chile heute wieder um eine historische Situation handelt, in der die Fragen entschieden werden: Diktatur oder Demokratie? Folter oder Freiheit? Hunger oder Brot? Der Traum vom Modell Chile ist zu Ende, das Wirtschaftsmodell gescheitert. Die Frage, die jetzt ansteht, ist, ob die Opposition in der Lage ist, die politische Macht zu übernehmen, und ob sie dafür eine notwendige internationale Unterstützung bekommt. Was macht die Bundesregierung in dieser Situation? Bei der UNO-Resolution im Dezember 1983 zur Lage der Menschenrechte in Chile enthielt sie sich erst einmal der Stimme. Angeblich sei die Resolution zu politisch gewesen. - Ja, natürlich sind Fragen von Folter und Mord politische Fragen. Was denn sonst? ({6}) Wie viele Menschenrechtsverletzungen müssen noch in Chile passieren, bis diese Regierung in der Lage ist, dem chilenischen Terrorregime und seinen Folterern eine politisch klare und eindeutige Absage zu erteilen? ({7}) Im März war der chilenische Finanzminister in der Bundesrepublik. Ab April - so die „FAZ" vom 20. März 1984 - sollen wieder die Gelder fließen. ({8}) Die Konsultationen bei privaten Banken, bei der Bundesbank, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei der Regierung selber waren also erfolgreich. - Bravo, ich möchte diese Regierung zu dieser neuen Investitionsentscheidung beglückwünschen. Sie hätte keinen besseren Zeitpunkt für eine Entscheidung zur Finanzierung des chilenischen Terrors und des internationalen Blutsaugertums wählen können als den jetzigen. ({9}) Ebenfalls möchte ich Sie zu der Entscheidung beglückwünschen, endlich die Lieferung der U-Boote freigegeben zu haben. ({10}) Die Bundesregierung hat wirklich einen Zeitpunkt gewählt, wo die innere Lage in Chile sogar die USA Bedingungen an weitere Rüstungsexporte knüpfen läßt. Sogar die Vereinigten Staaten machen das. ({11}) Aber laut Bundesregierung - auch Herr Klein hat das eben noch einmal ausgeführt - finden U-Boote bei der Austragung innenpolitischer Konflikte keine Verwendung. Wollen Sie sich eigentlich über uns lustig machen, oder wie soll ich solche Erläuterungen von Ihnen verstehen? ({12}) - Ja, ja, klar ist das zutreffend - sehr witzig. Seien Sie doch ehrlich, sagen Sie doch gleich, daß Sie die innenpolitische Situation in Chile reichlich wenig interessiert. Dann hätten Sie wenigstens nicht gelogen. ({13}) Sagen Sie doch hier laut und deutlich, daß Sie bereit sind, zur Aufrechterhaltung Ihrer Interessen ({14}) jeden Schrott - und seien es Rüstungsgüter - an jedes Terrorregime der Dritten Welt zu liefern. Sagen Sie das doch. ({15}) In diesem Moment, wo die chilenische Opposition jede Hilfe braucht, ({16}) wo diese Opposition den Generalstreik vorbereitet, ({17}) wo Pinochet den Ausnahmezustand verhängt hat und die Militärs auf die Straße schickt, wenn die Opposition protestiert, ({18}) gibt die Bundesregierung die Lieferung der U-Boote frei. Das nenne ich Solidarität. ({19}) Auf Regierungen hier in der Bundesrepublik können sich Pinochet und seine Militärs offensichtlich recht gut verlassen - und das seit mehr als zehn Jahren. ({20}) Für Pinochet sind die U-Boote zum jetzigen Zeitpunkt ein Geschenk des Himmels. Die Schulden werden zwar weiter anwachsen, der Hunger der chilenischen Militärs auch, aber Kredite des IWF und der deutschen Banken stehen ja ins Haus. Zum Schluß möchte ich noch ein paar Worte zur Beschlußempfehlung der Regierungsparteien zum Antrag der SPD sagen. Nachdem die CDU/CSU und die FDP mehrere Monate gebraucht haben, um zu dieser eindeutigen Situation in Chile überhaupt ein paar Worte zu Papier zu bringen, legen sie hier jetzt eine Beschlußempfehlung vor, die ich - entschuldigen Sie - in höchstem Maße lächerlich finde. Das Folterregime in Chile möge - so lautet ungefähr der Tenor Ihrer Beschlußempfehlung - seine Bemühungen für eine weitere Demokratisierung fortsetzen und kann sich unserer Unterstützung gewiß sein. ({21}) Das ist doch nicht Ihr Ernst, so etwas hier vorzulegen, oder? Wollen Sie sich eigentlich über die chilenische Opposition lustig machen? ({22}) Wie soll die denn so etwas verstehen? Haben Sie denen das einmal geschickt? Kennen die Ihre Papiere? Das ist eine Unverschämtheit. Ich möchte Sie allen Ernstes fragen: Sind Sie als Vertreter demokratischer Parteien in diesem Parlament eigentlich nicht in der Lage, dem Regime in Chile eine eindeutige politische Absage zu erteilen und z. B. den Rücktritt Pinochets zu fordern? Können Sie das nicht? Wenn Sie das nicht können, frage ich Sie nochmals ganz ernsthaft: Warum eigentlich nicht? Welche Interessen vertreten Sie hier eigentlich? Die Interessen der chilenischen Bevölkerung offensichtlich nicht; denn die hat sich schon seit zehn Jahren abgewöhnt, den Wunsch nach demokratischer Öffnung an ihren Präsidenten zu richten, was Sie hier immer noch tun. Die Bevölkerung hat sich, in besserer Kenntnis der Lage, für den Kampf gegen Pinochet entschlossen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluß. ({0})

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluß. Zum Schluß möchte ich diesem Parlament einen der größten Kämpfer für die Demokratie in Lateinamerika zitieren. In seiner letzten Rede, bevor die Militärs ihn ermordeten, sagte Salvador Allende: Sie haben die Gewalt. Sie können uns unterjochen. Aber die sozialen Prozesse kann man weder durch Verbrechen noch durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte ist unser. Sie wird von den Völkern geschrieben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, jetzt - Frau Gottwald ({0}): In diesem Sinn unterstützen wir den Antrag der SPD. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist mein Schicksal, immer auf solche fanatischen Reden antworten zu müssen. ({0}) Obwohl ich in letzter Zeit anfange, mich mit Frau Gottwald im Ausschuß hervorragend zu verstehen, müßte ich jetzt zu einer Art Gegenprügelei ausholen. Aber das werde ich nicht tun. Frau Gottwald, Ihnen hat fast nur noch die Gitarre gefehlt, um das Ganze hier in Form eines Songs vorzutragen. Dann wären Sie noch überzeugender gewesen. Sie sollten bitte aufhören, hier ein Bild zu zeichnen, das uns als die Unterstützer der bösartigen Terrorregimes brandmarkt ({1}) und uns hier abschreibt als in jedem Fall - ({2}) - Lieber Herr Reents, ich kann nur sagen: Glauben Sie denn vielleicht, mit solchen Reden, wie sie Frau Gottwald hier eben gehalten hat, könnten Sie in Chile irgend etwas ändern? ({3}) Ich habe auch Fragen zu dem Antrag der SPD. Ich bedauere ja mit Ihnen, daß es hier nicht zu einem gemeinsamen Antrag gekommen ist. An meinen Bemühungen hat es nicht gefehlt, wie Sie wissen. Wir haben es lange versucht. ({4}) Schäfer ({5}) - Herr Brück stimmt mir zu. - Aber ich muß sagen: Wenn man in der Opposition ist, kann man natürlich auch kämpferische Töne in solchen Anträgen anschlagen. Es ist halt nur die Frage: Was wollen wir mit diesen Anträgen hier erreichen? ({6}) Wenn Sie hier Verdammungsurteile aussprechen, wenn Sie jeden Ansatz, den es dort gibt und den man nicht unterschlagen darf, sofort als sinnlos verurteilen und wenn Sie sich hier zur Sprecherin der chilenischen Bevölkerung machen - ich bewundere Ihren Mut, zu behaupten, daß Sie die Mehrheitsmeinung in Chile so gut kennen -, dann kann ich nur fragen: Nutzt es dieser Bevölkerung? Eben nicht! Wir müssen vielmehr als Regierung und als Regierungsparteien versuchen, durch unseren Einfluß einen Prozeß zu verstärken, den es in Chile gibt, nämlich einen Prozeß, der - da haben Sie ja völlig recht - unter dem Zwang einer wirtschaftlichen Depression eingesetzt hat, die dieses Militärregime hervorgerufen hat. Natürlich ist die Situation in Chile mehr als beklagenswert. Aber das bedeutet doch nicht, daß wir jetzt durch Attacken und pamphletartige Anträge hier weiterkommen. Sondern wir sollten in einer vernünftigen Weise überlegen, welche Möglichkeiten wir eigentlich haben, um in dem auch von Ihnen gewollten Weg einer Demokratisierung Einfluß zu nehmen. Übrigens, Ihre Beispiele, Ihre Antagonismen sind nicht zutreffend. Es trifft für Südamerika nicht diese Schwarzweißschilderung „Zwischen Freiheit und Diktatur" zu. Es gibt auch Ihnen politisch vielleicht näherstehende Gruppierungen, die die Freiheit in Südamerika keineswegs garantieren. Denken Sie etwa an Kuba. Ich darf das in dem Zusammenhang mal sagen. ({7}) Wir sollten bei all den Unterschieden in der Formulierung der beiden Anträge deutlich sehen, Herr Brück, daß der Unterschied in der Sache nicht groß ist, wenn man von der leidigen Diskussion über die beiden U-Boote absieht. Hier hat Frau Gottwald ja einen Rundumschlag vollführt. Sie hat natürlich auch die SPD schuldig gesprochen. Wir wissen ja, daß die Baugenehmigung für diese U-Boote auf einen einstimmigen Beschluß im Bundessicherheitsrat unter der sozialliberalen Koalition - wenn ich mich recht erinnere - erteilt worden ist. ({8}) Das hat damals große Debatten ausgelöst, auch die Debatte über die Richtlinien zum Waffenexport - vielleicht erinnern Sie sich daran -. Aber Sie wissen ganz genau: Wenn Sie noch an der Regierung wären, hätten Sie genauso verfahren müssen, wie wir verfahren sind. An der Situation hat sich nichts geändert. ({9}) - Lieber Herr Reents, die U-Boot-Angelegenheit ist für meine Begriffe nicht so wesentlich, wie es Frau Gottwald eben darzulegen versucht hat. Ich glaube, das wird Herr Möllemann nachher noch ausführlicher darstellen. Sehr wesentlich ist, daß es der Innenminister in Chile gewesen ist, der neulich gesagt hat, wenn diese Art der Attacken auf Chile fortgesetzt würden, sollte man am besten auf solche Auslandsreaktionen überhaupt keine Rücksicht mehr nehmen, denn das Bild Chiles werde von Propaganda bestimmt. Ich teile diese Auffassung nicht. Aber hier wird doch genau der Ton angeschlagen, den wir vermeiden müssen, damit die zaghaften Versuche zu Dialogen, die es ja gibt und die Sie nicht wegleugnen können, nicht durch massive Versuche von außen gestört werden. Und es hat sich einiges in Chile geändert. Es sind Bemühungen zur Demokratie im Gange. Natürlich gab es jetzt gerade vor wenigen Tagen wieder eine sehr unerfreuliche Affäre, nämlich bei dem Protesttag. Es sind acht Leute umgekommen; es gab in der vergangenen Nacht Verhaftungen von Studenten, die das Zimmer eines Rektors der Universität von Valparaiso besetzt hatten. Es gab, wie Sie wissen, die Mißhandlung einer zufällig in die Demonstration geratenen deutschen Diakonissin. Ich habe soeben noch mit dem Auswärtigen Amt gesprochen und erfahren, daß die chilenischen Behörden heute nachmittag dabei sind, eine Gegenüberstellung herbeizuführen und gegen die Schuldigen vorzugehen. Es kann natürlich keine Rede davon sein, daß wir die Situation in Chile gut finden. Aber ich meine, es geht doch jetzt wirklich darum, daß es gelingt, die chilenische Regierung durch eine internationale Anstrengung - ich meine, hier sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden - dazu zu zwingen, daß sie diesen demokratischen Prozeß fortsetzt. In diesem Zusammenhang darf ich mir natürlich auch den kritischen Satz erlauben: Wer so sehr von außen Einfluß auf Nicaragua nimmt und sagt, es hätte viel zu lange gedauert zwischen der Revolution und den bevorstehenden Wahlen 1984, der muß natürlich auch sagen: In Chile dauert es doppelt so lange. - Das können wir nicht gutheißen. Ich glaube, darüber gibt es hier überhaupt keinen Dissens. ({10}) Wir können auch nicht gutheißen, daß Herr Pinochet keine anderen Mittel findet, um sein Regime zu erhalten, als immer wieder zu Gewalt zu greifen. Ich darf allerdings dazusagen: Wir heißen auch nicht gut, wenn jetzt die Gegengewalt in Chile zu Formen greift, die möglicherweise das Regime Pinochet stabilisieren. Das ist ja leider immer die Folge von Gegenterror. Es ist für mich erschreckend, zu erfahren, daß Herr Pinochet bei Umfragen, die es noch vor einem Dreivierteljahr gegeben hat, etwa nur auf 19% Unterstützung in der Bevölkerung kam und inzwischen schon wieder bei 40 % liegen soll, weil die chilenische Bevölkerung natürlich auch den Gegenterror befürchtet: die Zerstörung von Stromleitungen, die Angriffe auf kleine private Busse; das sind Terroraktionen, die jetzt in Chile um sich greifen. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß von der internationalen Bühne aus in ähnlicher Weise, wie wir in anderen lateinamerikanischen Ländern verfahren sind, und im Hinblick Schäfer ({11}) auf das Modell Argentinien, das uns ja zu großer Hoffnung berechtigt und wo sich die Situation erheblich verbessert hat, alles versucht wird, um den demokratischen Parteien in Chile zu helfen, daß sie wieder zugelassen werden, daß die Gewerkschaften nicht unterdrückt werden und daß es schnell zu Wahlen kommt, nicht erst 1989. Das ist für meine Begriffe ein Zeitpunkt, den Herr Pinochet nicht durchhalten wird, nicht durchhalten kann. Aber wir sollten das durch eine geschickte Politik beeinflussen, durch unsere Bemühungen in Chile und nicht durch Brandreden oder pamphletartige Anträge; sie werden uns nicht weiterführen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es notwendig ist, in diesem Zusammenhang noch einmal auf einen Vorschlag einzugehen, der wiederholt auch von lateinamerikanischen Politikern gemacht wurde und den ich im Hinblick auf Chile für sehr wichtig halte, nämlich daß sich die drei internationalen Parteiorganisationen endlich einmal zusammensetzen, um eine gemeinsame Lateinamerika-Konzeption zu formulieren. Ich glaube, das würde sehr helfen. Der Außenminister von El Salvador hat uns in der vergangenen Woche eindringlich darum gebeten, daß ein solcher Schritt erfolgt. Ich meine, wir sollten uns nicht auf einzelne Parteien beschränken, sondern wir sollten uns von den großen internationalen Parteiorganisationen her gemeinsam bemühen, in Chile den Prozeß einer Demokratisierung entschieden voranzutreiben, auch mit äußerem Druck, auch in Hinsicht auf finanzielle Zusagen. Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung deutlich gemacht, daß es für Chile keine Kredite geben wird, solange die Zustände anhalten, die wir natürlich alle beklagen. Dazu gehört natürlich auch die Frage der Folter, dazu gehören nach wie vor die von amnesty international jedes Jahr herausgegebenen Berichte, die keineswegs befriedigend sind. Sie weisen zwar gegenüber der Periode von 1973 bis 1979 Verbesserungen auf, aber ich glaube, daß diese Verbesserungen insgesamt gesehen immer noch nicht Anlaß zur Freude oder gar zur Verteidigung des chilenischen Regimes geben. Ich meine nur: Wenn wir heute den Antrag, den wir Ihnen vorlegen, verabschieden, sind wir in der Sache nicht so weit auseinander, wie das soeben aus innenpolitischen Motiven hier darzustellen versucht wurde. Wir werden genau diese Politik machen, allerdings nicht lauthals, mit fanatischen Untertönen und in Form von großen Ausbrüchen, die wir hier im Deutschen Bundestag vollziehen. Ich glaube vielmehr, daß systematische Arbeit, auf die Regierung einzuwirken, in Chile endlich mehr Freiheiten zuzulassen, notwendig sein wird. Ich bin der Meinung, wir sollten auch unsere außenpolitischen Bemühungen in Lateinamerika etwas mehr von der lange gehegten Priorität Zentralamerika auf die großen Länder Südamerikas ausdehnen und hier genauso aktiv werden, wie wir alle das in Zentralamerika gewesen sind. Ich sehe in unserem Antrag dazu einen Beitrag. Ich meine, daß dieser Antrag die Bundesregierung verpflichten wird, im Zusammenhang mit ihren europäischen Bündnispartnern, aber auch in Gesprächen mit den Vereinigten Staaten, deutlich zu machen, daß das, was für Nicaragua gilt, auch für Chile gelten sollte. Ich glaube, mit diesem Satz werden sogar die GRÜNEN einverstanden sein. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Klein. Sie haben die westliche Wertegemeinschaft beschworen und haben sich dazu bekannt. Dazu will ich Ihnen sagen: Da genügt es nicht, bloß ein Antikommunist zu sein, da muß man auch Demokrat sein. ({0}) Da darf man nicht nur, wenn es um Afghanistan geht, das Kind beim Namen nennen, sondern muß es auch bei Chile tun. Darum geht es. Es geht nicht um dieses innenpolitische Hickhack, um diese Auseinandersetzung, ob wohl Sozialdemokraten oder GRÜNE die richtigen Demokraten seien oder heimlich mit kommunistischen Regimen sympathisierten. Sie beschwören hier eine innenpolitische Auseinandersetzung herauf, die eigentlich unter Demokraten überwunden sein sollte. Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion hatte den Antrag, der heute zur Abstimmung steht, eigentlich zum zehnten Jahrestag der Machtergreifung in Chile durch Pinochet und seine Militärdiktatoren eingebracht. Eigentlich hätte man am 7. September 1983 - dieses Datum trägt der Antrag - eine Abstimmung durchführen können; denn damals konnte man doch wohl in der Sache Stellung nehmen. Ich finde es schon bezeichnend, daß eine zum 11. September 1983 terminierte Äußerung unseres demokratischen Parlaments gar nicht erst zustande kam, sondern die routinemäßige Überweisung an Ausschüsse offensichtlich wichtiger war. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist die chilenische Wirklichkeit noch schlimmer als zu dem Zeitpunkt, zu dem unser Antrag gestellt wurde; denn Gespräche zwischen der Opposition in Chile und dem Militärregime sind seit September 1983 abgebrochen, und von politischer Öffnung kann überhaupt keine Rede sein. Einige Schlaglichter - obwohl sie mein Kollege Alwin Brück schon erwähnt hat - will ich eben noch einmal aufzählen. 1983 gab es über 15 000 Verhaftungen; knapp 100 Personen - genau 97 - wurden durch Polizei bei Demonstrationen getötet. Die geheimdienstliche Tätigkeit gegen das eigene Volk hat zugenommen, offensichtlich auch mit neuen Hilfstruppen. Da gibt es ein „Komitee zur Verteidigung des Vaterlandes" und eine „Antikommunistische Chilenische Aktion". Am 20. März 1984, also vor zwei Wochen, wurde der Christdemokrat Jorge Lavandero auf offener Straße durch solche sogenannten „zivilen" Kommandos verprügelt und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Am 27. März 1984, dem achten Protesttag in Chile, gab es zahlreiche Verhaftungen, Verbannungen und mindestens fünf, nach neueren Berichten wahrscheinlich sogar elf Tötungen, darunter ein zwölfjähriger Junge. Diese Tatsachen können doch für den Deutschen Bundestag kein Anlaß sein, etwas „mit Befriedigung" festzustellen. ({1}) Mit einem angeblichen Wirtschaftswunder, von dem vor zwei Jahren z. B. in der Zeitschrift „Capital" noch die Rede war, kann diese wiederaufgelebte Repression in Chile nicht erklärbar gemacht werden, selbst wenn es dieses Wirtschaftswunder gäbe. Es geht dort um blanken Machterhalt, wozu offenbar auch der Gedanke gehört, ein neues Scheinplebiszit zur Bestätigung Pinochets in Szene zu setzen. Es herrscht Ausnahmezustand in Chile. Meine Damen und Herren, 1973, als das Regime Pinochet an die Macht kam, sind Zigtausende von Menschen aus Chile hinausgetrieben worden oder von sich aus geflohen. Die katholische Kirche in Chile schätzt die Gesamtzahl der Flüchtlinge auf eine Million. Selbst wenn man ganz großzügig unterstellt, daß auch viele solcher Menschen das Land verlassen haben, die wir vielleicht als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen könnten, so kann man doch davon ausgehen, daß mindestens 10 %, also mindestens 100 000, politische Flüchtlinge sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat seinerzeit unmittelbar nach dem 11. September 1973 und in den daran anschließenden Jahren rund 4000 Chilenen aufgenommen. Teilweise haben wir - Bundestagsabgeordnete, aber natürlich auch viele andere Menschen - uns auch persönlich darum gekümmert, daß Menschen aus den Gefängnissen Chiles auf Grund des vom Regime erlassenen Dekrets Nr. 504 entlassen wurden. Dieses Dekret ermöglichte es die Haftstrafe politischer Gefangener, in ein Exil umzuwandeln. Wir sind den gewerkschaftlichen, den kirchlichen, den politischen und den sonstigen Organisationen bei uns zu Dank verpflichtet, die sich um viele, viele Einzelschicksale gekümmert haben und den Exilierten bis zum heutigen Tage helfen, sich bei uns zurechtzufinden. ({2}) Meine Damen und Herren, wir dürfen aber nicht vergessen, was politische Emigration eigentlich bedeutet. Sie bedeutet eine Isolierung von bis dahin gewohnter politischer oder gewerkschaftlicher oder sonstiger gesellschaftlicher Betätigung. Sie bedeutet eine Entfremdung von den Gesinnungsfreunden, die in Chile geblieben sind. Sie beinhaltet Realitätsverluste bei der Beurteilung der heutigen Lage in Chile selbst. Sie bedeutet im persönlichen Bereich die Spaltung von Familien und Freundeskreisen. Und sie bedeutet in vielen, vielen Fällen den Abbruch von beruflichen Entwicklungen. Es darf nicht übersehen werden, daß wir und andere Aufnahmeländer einen völlig andersartigen Sprach- und Kulturkreis darstellen, so daß sich die Chilenen, die hier leben, auch zehn Jahre nach der Vertreibung aus Chile noch fremd vorkommen und in den meisten Fällen keinen sehnlicheren Wunsch haben, als in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen und an der Entwicklung ihres eigenen Landes teilzunehmen. Es ist vielen Chilenen bewußt, daß ihre Rückkehr, je länger sie im Ausland bleiben, desto schwieriger sein wird. Ihre Beziehungen zu ihrem Land werden immer schwächer, ihre Vorstellungen darüber immer ferner von der Realität. Ihr Wiedereinleben wird deshalb mit jedem verflossenen Jahr desto mühsamer. Nach zehn Jahren ist schon eine Kluft in vielen Familien zwischen den chilenischen Eltern und den inzwischen deutsch gewordenen Kindern zu spüren, für die Chile ein völlig fremdes Land ist, das sie nur von Erzählungen her kennen. Eine von Pinochets Grausamkeiten besteht darin, Tausende von chilenischen Familien zuerst bei der Flucht und jetzt bei der Rückkehr getrennt zu haben. Meine Damen und Herren, wir haben eine Pflicht den Chilenen gegenüber, die bei uns Zuflucht gefunden haben. Solidarität muß j a wohl immer heißen: Einsatz dafür, daß Unterdrückte Rechte bekommen, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Dies ist die Aufgabe von Demokraten, eine gemeinsame Aufgabe aller Demokraten, wie ich meine. Wenn Menschenrechtskonventionen einen Sinn haben sollen, so dürfen sie nicht zu diplomatischer Handelsware gemacht werden. So sehr uns also politisch Verfolgte bei uns willkommen sind, so sehr müssen wir auch verstehen, daß das Menschenrecht nach Art. 13 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, in die eigene Heimat zurückkehren zu dürfen, ein ganz konkreter Wunsch, ein ganz konkretes Recht ist. Unsere Pflicht besteht nicht nur darin, den chilenischen Flüchtlingen ein sicheres Leben hier zu geben, sondern auch darin, daß wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen die Rückkehr nach Chile zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist die Überwindung der Diktatur. Meine Damen und Herren, wenn jetzt die Koalitionsmehrheit feststellen will, daß die Menschenrechte in Chile noch nicht voll wiederhergestellt worden seien und daß Pinochet angeblich großzügige Rückkehrerlaubnisse angeordnet habe, so gehen diese Feststellungen völlig an der chilenischen Wirklichkeit vorbei. Es ist nicht die Wahrheit, die dort in dem Antrag ausgedrückt wird. Tatsache ist, daß das Regime in Chile die Namen von lediglich 3 411 Chilenen veröffentlicht hat, die angeblich nach Chile zurückkehren dürfen. Auf diesen Listen stehen u. a. auch die Namen von Menschen, die niemals im Exil gelebt haben. Es stehen darauf die Namen von kleinen Kindern, ja, es stehen sogar Namen von politischen Gefangenen darauf, die in die Hände der chilenischen Geheimpolizei geraten und verschwunden sind. Mehrere Chilenen haben die Erfahrung gemacht, daß sie am Flughafen von Santiago de Chile zurückgewiesen wurden, obwohl sie auf den Listen verzeichnet waren. Am 13. Dezember 1983, vor einem guten Vierteljahr, hat auf der Konferenz der christdemokratischen Weltunion in Santiago de Chile der General4550 sekretär der CDU zur Demokratie in Chile aufgerufen. Er hat gesagt: „Ein demokratisches Chile kann auf die freundschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland rechnen." In diesem Punkt stimmen wir mit dem Generalsekretär überein. Natürlich kann ein demokratisches Chile mit unserer Freundschaft und Unterstützung rechnen. Es klang sicherlich besser als die Töne 1977, als Strauß die unter dem Militärregime neu erworbene Freiheit pries. Aber leider ist die Bundesrepublik Deutschland immer noch sehr zaghaft gewesen - ich füge hinzu: auch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition -, überhaupt den Feststellungen der UNO-Menschenrechtskommission zu folgen und das Pinochet-Regime eindeutig zu verurteilen. Nunmehr hat die Bundesregierung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt die Ausfuhr von zwei U-Booten nach Chile genehmigt, da Pinochet seinem Volk den Kriegszustand erklärt hat. Der Ausnahmezustand ist etwas anderes. ({3}) Dieser Deutsche Bundestag, meine Damen und Herren, wäre gut beraten, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht durch nebelhafte Formulierungen den Eindruck zu erwecken, als seien in Chile Normalität und demokratische Entwicklung eingekehrt. ({4}) Deshalb, meine Damen und Herren, sprechen Sie doch eine klare Sprache: Nehmen Sie die Drucksache 10/360, den Antrag der SPD, an. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der vergangenen Woche hier eine Aussprache über die Menschenrechtssituation in der Türkei gehabt. Diese Debatte hat sich dadurch ausgezeichnet, daß ein unbestreitbarer Tatbestand, nämlich die Verletzung von Menschenrechten in türkischen Gefängnissen, von allen Parteien gleichermaßen bewertet und in einer sachlichen Weise erörtert wurde. Vielleicht hat diese Debatte, wie man heute feststellen kann, auf Grund ihrer fairen und sachlichen Art, die nicht unterstellte, daß sich der eine oder andere für Menschenrechtsverletzungen einsetzt, einen Beitrag dazu geleistet, daß es im Blick auf diese konkrete Situation erste positive, wenngleich noch nicht hinreichende Veränderungen gibt. Mein Eindruck ist, meine Kolleginnen und Kollegen, daß sich die Problematik der Menschenrechte eigentlich recht wenig für innenpolitische Profilierungskämpfe eignet angesichts der Tatsache, daß derzeit nach dem letzten Jahresbericht von amnesty international in mehr als 100 Staaten regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden. Die Bundesregierung jedenfalls teilt die im Antrag der SPD vom 7. September 1983 und in der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vom 22. Februar 1984 zum Ausdruck kommende Sorge und Betroffenheit über die Situation der Menschen- und Bürgerrechte in Chile. Die jüngsten Ereignisse haben diese Sorge verstärkt. Am 27. März hat zum erstenmal in diesem Jahr ein Tag des nationalen Protests stattgefunden, zu dem die in der Demokratischen Allianz und in der Volksdemokratischen Bewegung zusammengeschlossene Opposition sowie die Gewerkschaften aufgerufen hatten. Von der demokratischen Opposition war dieser Tag wie die seit Mai letzten Jahres vorangegangenen sieben Protesttage als friedliche Demonstration geplant. Dennoch kam es in seinem Vorfeld zu einer Serie von Sprengstoffanschlägen. Die Regierung erneuerte den erst im August vergangenen Jahres aufgehobenen Ausnahmezustand. Gewaltsame Auseinandersetzungen forderten erneut Menschenleben; zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen. Auf den ersten Blick haben sich damit in der Tat die Aussichten auf eine Besserung der Lage nach der von der chilenischen Regierung im August 1983 verfügten partiellen politischen Öffnung verschlechtert. Es gibt jedoch bei sorgfältiger Betrachtung auch Anzeichen dafür, daß angesichts der jüngsten Gewaltexzesse die Bereitschaft zum Gespräch auf beiden Seiten wieder zunimmt. Gerade in dieser Situation begrüßt es die Bundesregierung, daß ihr die heutige Debatte des Deutschen Bundestages die Gelegenheit gibt, sich mit den in der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses aufgeführten grundsätzlichen Zielsetzungen zu identifizieren. Die Bundesregierung bedauert und verurteilt die Anwendung von Gewalt, sei sie revolutionär oder repressiv. Die Bundesregierung tritt für die Wahrung der Menschenrechte im Einzelfall und im allgemeinen ein - unabhängig von den politischen Motiven, die ihrer Verletzung zugrunde liegen. Nach Ansicht der Bundesregierung bieten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie die beste Voraussetzung für inneren und äußeren Frieden und eine in die Zukunft weisende Entwicklung. Der Auswärtige Ausschuß ist in seiner Beschlußempfehlung bemüht, der komplexen inneren Situation Chiles gerecht zu werden. Ich glaube, Herr Brück, man vergibt sich doch nichts, wenn man sagt, daß die Lage in diesem Land, die offenkundig alle als unbefriedigend empfinden, nicht als statisch betrachtet werden kann, sondern daß es jeden Tag Veränderungen gibt. Von daher können Sie an keinem Tag einen Text formulieren, der am nächsten noch in jedem Punkt stimmen kann. Das ist ein Problem; das räume ich gerne ein. Aber daß die Lage komplex ist, daß es nicht nur die Faktoren gibt, die Sie vorgetragen haben, hat man, glaube ich, darzustellen. Bundestag und Bundesregierung werden nur dann gegenüber der Regierung eines souveränen Staates für Demokratie und Menschenrechte glaubwürdig und vor allen Dingen mit Aussicht auf Erfolg - ich denke, es ist Zweck der ganzen Bemühungen, daß wir Aussicht auf Erfolg haben - eintreten können, wenn wir von einer objektiven Bewertung der Verhältnisse ausgehen. Die innere Lage in Chile ist widersprüchlich. Die Meinungsunterschiede, die hierzu bisher in der Debatte zum Ausdruck gekommen sind, haben darin ihre Ursache. Das Jahr 1983 mit seinen eindrucksvollen Demonstrationen der demokratischen Opposition für die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen hat bedauerlicherweise zugleich zu einer Eskalation der Gewalt mit Todesopfern, Verletzten und Verhaftungen sowie zu einer insgesamt negativen Bilanz der Menschenrechte geführt. Im bürgerrechtlichen Bereich hat es jedoch eine Reihe von Verbesserungen gegeben, um deren Zukunft wir uns heute sorgen. Die ersten Schritte auf dem Wege einer politischen Normalisierung sollten gerade nach dem 27. März nicht übersehen werden. Im August und September vergangenen Jahres gab es einen ersten offiziellen Dialog zwischen demokratischer Opposition und Regierung. Die öffentliche Tätigkeit demokratischer Parteien wurde gestattet. Ihre formelle Zulassung wird vorbereitet. Ein Plebiszit über vorgezogene Parlamentswahlen wurde in Aussicht gestellt. Der Notstand wurde zunächst aufgehoben, Versammlungsfreiheit gewährt. Einer Reihe Zwangsexilierter, darunter auch Politiker und Menschenrechtler, wurde die Rückkehr gestattet. Nicht allen; das ist richtig. Hier bleibt eine Forderung großen Ausmaßes weiterhin unerfüllt. Die Unabhängigkeit der Justiz ist gewachsen. Es liegt im Interesse dieses Hauses und im Interesse der Bundesregierung, daß die im vergangenen Jahr eingeleitete teilweise politische Öffnung fortgesetzt wird, daß sie nicht durch repressive oder revolutionäre Gewalt zunichte gemacht wird. Die Bundesregierung hofft insbesondere, daß sich die chilenische Regierung an die 90-Tage-Frist des von ihr am 24. März erneut verhängten Ausnahmezustandes halten wird. Eine Politik des Alles oder Nichts bietet keinen Ausweg aus der chilenischen Krise; ebensowenig das Beharren auf Verhältnissen, die dort von der Mehrheit der Bevölkerung ganz offenkundig abgelehnt werden. Die Bundesregierung begrüßt daher die gerade in den letzten Tagen laut gewordenen Stimmen des Ausgleichs und der Mäßigung. Der Erzbischof von Santiago, um erneut eine kirchliche Stimme zu zitieren, hat am Vorabend des achten Protesttages, am 27. März, Regierung, Opposition und auch die Gewerkschaften beschwörend zu einem neuen Dialog aufgerufen. Die Regierung hat ihre Gesprächsbereitschaft bekräftigt; sie muß sie jetzt unter Beweis stellen. Das Nationale Arbeiterkommando, dem u. a. auch der Führer der Bergarbeitergewerkschaft, Seguel, angehört, hat die Bildung einer Patriotischen Kommission der nationalen Versöhnung gefordert. Im Interesse einer freiheitlich-demokratischen Zukunft Chiles appelliert auch die Bundesregierung an die chilenische Regierung und die Opposition, einen friedlichen Ausgleich zu suchen und die Rückkehr zur Demokratie zu ermöglichen. Lassen Sie mich, meine Kolleginnen und Kollegen, auf die an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Forderungen des SPD-Antrags vom 7. September 1983 und auf einige Argumente der bisher in dieser Debatte geäußerten Kritik zu sprechen kommen. Was die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Chile anlangt, so kann ich feststellen, daß nach Beendigung auf Grund völkerrechtlicher Verpflichtungen begonnener Projekte neue staatliche Hilfe nicht mehr gewährt wurde. An dieser Linie wird die Bundesregierung so lange festhalten, wie sich die politischen Verhältnisse in Chile nicht zum Besseren gewandelt haben. Den Vorwurf, die Bundesregierung trage mit der Lieferung von zwei U-Booten an Chile zur Stabilisierung der chilenischen Diktatur bei, weise ich zurück. ({0}) Die Lieferung erfolgt auf Grund privatwirtschaftlicher Vereinbarungen. Die Genehmigung zur Herstellung der U-Boote wurde von der Bundesregierung Schmidt 1980 unter Berücksichtigung der inneren und äußeren Lage Chiles erteilt. Damit wurde gleichzeitig deutlich, daß die Ausfuhr nur versagt werden würde, wenn sich die Umstände, die bei der Entscheidung maßgeblich waren, wesentlich änderten; das ist nicht der Fall. ({1}) - Ja, die Umstände, die bei der Genehmigung seinerzeit gegeben waren, haben sich in der Tat nicht wesentlich geändert. Aber eine solche Genehmigung, Frau Gottwald, führt zu einer gewissen Bindung auch gegenüber dem Unternehmen, dem gegenüber der Staat, die Bundesregierung aus der Bundeskasse regreßpflichtig wird, wenn sie eine erteilte Genehmigung, ohne daß sich die Umstände geändert haben, die ihr zugrunde lagen, zurückzieht. Bitte, Herr Kollege Brück, es hat nichts mit Redlichkeit zu tun, wenn man diesen Sachverhalt nicht klar darstellt. Sie müssen dann sagen: Wir verlangen, daß die Bundeskasse mehrere hundert Millionen DM Schadensersatz dafür übernimmt, daß eine Verpflichtung, die Helmut Schmidt eingegangen ist, nicht eingelöst wird, wiewohl sich die Voraussetzungen nicht geändert haben. Dies zu verschweigen ist nicht in Ordnung. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reents?

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Aber sicher.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, da Sie gesagt haben, daß Sie das Argument zurückweisen wollten, die U-Boot-Lieferung bedeute eine politiReents sche Stabilisierung des chilenischen Regimes, in der Zurückweisung dann aber lediglich auf die Regreßpflicht hingewiesen und den Schwarzen Peter zwischen der früheren und jetzigen Koalition hin- und hergeschoben haben: Können Sie bitte noch einmal erläutern, warum es sich bei der Lieferung der U-Boote Ihrer Meinung nach nicht um eine politische Stabilisierung des Regimes handelt bzw. inwieweit diese Lieferung möglicherweise gar in Übereinstimmung mit dem von Ihnen so genannten Demokratisierungsprozeß in Chile stehen wird?

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Herr Kollege Reents, ich habe nicht versucht, die Verantwortung zwischen der jetzigen und früheren Regierung hin- und herzuschieben. Meine Partei hat der früheren Regierung angehört und hat die Verantwortung für diese Entscheidung mitzutragen. Sie gehört auch dieser Regierung an und hat die Verantwortung für diese Entscheidung mitzutragen. Von daher geht es nicht darum, daß ich hier etwas hin- und herschiebe. Ich habe mich dagegen gewandt, daß vom Sprecher der SPD, also der Partei, die die Entscheidung seinerzeit in einer Lage, die sich von der heutigen Situation Chiles nicht unterscheidet, so getroffen hat, kritisiert wird, der Vollzug der seinerzeitigen Entscheidung sei eine Stärkung der chilenischen Regierung. Herr Kollege Brück, ich meine, Sie haben der Regierung sogar angehört - Sie, fällt mir gerade ein, haben ja der Regierung angehört, nicht ich -, die damals entschieden hat, Chile die U-Boote zu liefern in einer Lage, die sich nicht geändert hat. Ich habe hier darauf hingewiesen, daß, wenn wir diesen Beschluß nicht vollziehen wollen, das erhebliche Regreßzahlungen aus der Bundeskasse an das betroffene Unternehmen freisetzt. Nun zu Ihrer Frage, Kollege Reents. Das war ein Argument im Blick auf die SPD. ({0}) - Ich möchte zunächst diese Antwort geben, Herr Präsident. Herr Kollege Reents, ich glaube, man kann in der Tat sagen, daß die Lieferung von zwei U-Booten keine prinzipielle Veränderung der Lage irgendeiner Regierung herbeiführt; das wird sie nicht sonderlich stärken und nicht sonderlich schwächen. Wir haben hier eine Verpflichtung zu vollziehen, die die Bundesregierung Schmidt eingegangen ist. Nun zu dem nächsten Punkt, der angesprochen worden ist. ({1}) - Ich bin ganz dankbar, daß sie sich plötzlich wieder daran erinnern, daß zur letzten Regierung auch Herr Genscher gehört hat. Ich habe in der letzten Zeit von Ihnen sehr häufig gehört, daß die eigentlichen Leistungsträger der letzten Regierung nur in der SPD angesiedelt gewesen sind. ({2}) Sie dürfen sich das nicht nach Bedarf aussuchen, ganz besonders in dieser Frage nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Staatsminister, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage?

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Ja, gleich. Dem Bundessicherheitsrat, liebe Freunde, der diese Entscheidung seinerzeit getroffen hat, gehörten an: Helmut Schmidt, Hans Apel und Hans Matthöfer. Sie haben dieser Entscheidung zugestimmt; sie werden wissen, warum sie diese Entscheidung getroffen haben. - Bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön!

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, auch wenn zuzugeben ist, daß seinerzeit schon eine Entscheidung durch den Bundessicherheitsrat getroffen wurde, können Sie mir aber bestätigen, daß schon damals in beiden Fraktionen der damaligen Koalition die Bedenken darin bestanden, daß die Lieferung von zwei U-Booten nach Chile als Unterstützung des dortigen Regimes angesehen werden konnte, und trifft es demnach zu, daß man nicht behaupten kann, es sei nun völlig außer der Welt, darin eine Stärkung zu sehen?

Not found (Gast)

Die Kritik gab es damals in beiden Fraktionen; das trifft zu. Ich kenne überhaupt fast keine Rüstungsexportentscheidung, die wir getroffen haben, die die vorherige Regierung getroffen hat, die diese Regierung getroffen hat oder treffen wird, die nicht außerordentlich umstritten ist. Das ist einzuräumen; das ist bei dieser Frage so. Gestatten Sie mir, meine Kollegen, noch eine Anmerkung zu der generellen Forderung der SPD-Fraktion, die Bundesregierung solle die verfehlte chilenische Wirtschaftspolitik nicht unterstützen. Wir alle wissen, daß jedes Land unabhängig vom politischen System in der Ausgestaltung seiner Wirtschaftspolitik souverän ist. Der Einflußnahme Dritter sind durch die Bestimmungen des GATT enge Grenzen gezogen. Die Bundesregierung ist grundsätzlich gegen wirtschaftliche Sanktionen zur Durchsetzung politischer Ziele und für die Erfüllung von abgeschlossenen Verträgen. ({0}) Sanktionen würden sich eher negativ für die Bevölkerung auswirken; außerdem bewirken sie nichts in der Sache. Ich möchte schließlich noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt unserer Politik gegenüber Chile zu sprechen kommen. Die Bundesregierung betrachtet die Verletzung der Menschenrechte, wo immer sie auftritt, als Anliegen der internationalen Staatengemeinschaft. Dies gilt auch für Chile. Die Bundesregierung hat in den Vereinten Nationen, sowohl in der Generalversammlung als auch in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, ihre Sorge über die Lage der Menschenrechte in diesem Land stets deutlich und eindeutig zum Ausdruck gebracht. - Frau Gottwald, ich komme auf Ihr Argument zurück. - Sie hat sich im Einzelfall bei ihrem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen in den letzten Jahren von der Überlegung leiten lassen, daß es vor allem darauf ankommt, Chile in Menschenrechtsfragen zu einer Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zu bewegen und vorhandene Ansätze einer Verbesserung der Menschenrechtssituation zu fördern. Die Sonderbehandlung dieses Landes in den Vereinten Nationen mit einem eigenen Tagesordnungspunkt und Sonderberichterstattung und die Unausgewogenheit der Resolutionstexte bieten der chilenischen Regierung die Handhabe, eine Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft mit dem Hinweis abzulehnen: Es hat ja keinen Sinn, mit dieser Organisation zu kooperieren. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen von der Überlegung leiten lassen, wie sich eine Änderung dieser Haltung erreichen läßt. Dies bedeutet nicht, die chilenische Regierung aus ihrer Verantwortung für die Menschenrechtssituation des Landes zu entlassen. Chile soll vielmehr so behandelt werden wie andere Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen zu bedauern sind. Lassen Sie mich zusammenfassen. Die an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Forderungen der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur Lage in Chile liegen auf der Linie der von uns verfolgten Politik. Die Bundesregierung wird daher auch in Zukunft und verstärkt alles ihr Mögliche unternehmen, um zu einer frühestmöglichen Herstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse in Chile beizutragen. Sie wird weiterhin versuchen, die politischen Kräfte Chiles zu Mäßigung, Ausgleich und Dialog anzuhalten und wird diese Politik auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft betreiben. Aber ich möchte abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal einen Gedanken aufnehmen, der wirklich gesehen werden muß und von dem ich feststelle, daß er hier verdrängt wird. Angesichts der Tatsache, daß in 105 Staaten regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden, kann man auch nicht auf Grund einer besonderen, vielleicht ideologischen Verbundenheit zu einer früheren demokratischen Regierung - es ist sicherlich eines Ihrer Argumente, daß dort ein sozialistischer Politiker durch einen Militärputsch von der demokratischen Regierung abgelöst wurde ({1}) den Eindruck erwecken, als konzentriere sich die Menschenrechtsdebatte sozusagen schwerpunktmäßig oder allein auf dieses Land. Ich glaube, wir tun gut daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wie am letzten Freitag den Versuch unternehmen, unter Abwägung dessen, was möglich ist, und ohne den jeweils anderen zu unterstellen, er billige Menschenrechtsverletzungen, für die Verwirklichung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt einzutreten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1049 unter a), den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/360 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag der SPD ist mit Mehrheit abgelehnt. Unter b) der Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß die Annahme einer Entschließung auf Drucksache 10/1049. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes - Drucksachen 9/2254, 10/1002 Berichterstatter: Abgeordneter Stiegler Dr. Kunz ({1}) Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. - Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? -Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der alle zwei Jahre vorzulegende Bericht des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes berührt zwei Aufgabenbereiche. Vordergründig geht es um Probleme der Verkehrserschließung. Dahinter steht aber ein deutschlandpolitisches Anliegen; denn, wie es zutreffend in der heute zu beratenden Drucksache als Problem formuliert ist: „Durch die Teilung Deutschlands ist die Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes noch immer beeinträchtigt." Der Auftrag von § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes erfordert also weitere Anstrengungen. ({0}) Daß auf Grund dieser Tatsache der Bundesverkehrsminister, dem die Verkehrserschließung im gesamten Bundesgebiet obliegt, und der für die Förderung speziell des Zonenrandgebietes zuständige Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen gelegentlich in Akzenten unterschiedliche Interessen haben müssen, liegt in der Natur der Dinge. Wie aber der vorliegende Bericht zeigt - dies kommt auch in der Stellungnahme des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zum Ausdruck -, ist es auf Grund einer guten Zusammenarbeit gelungen, auch in diesem Berichtszeitraum die verkehrlichen, fiskalischen, raumordnerischen, regionalpolitischen und deutschlandpolitischen Aspekte angemessen zu berücksichtigen und die Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes bevorzugt zu sichern. Ich bin mir durchaus bewußt, daß trotz des großen Engagements zugunsten des Zonenrandgebiets nicht alle Wünsche in dieser Richtung erfüllt werden konnten. Zu Recht enthält daher die Stellungnahme des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen noch eine Reihe von Anregungen und Verbesserungsvorschlägen. Die Bundesregierung ist für diese konstruktiven Hinweise dankbar. Etwas problematisch ist die Umsetzbarkeit dieser Vorschläge bis zum nächsten Bericht, weil der nächste Berichtszeitraum die Jahre 1982 und 1983 umfaßt und noch in diesem Jahr zu erstellen ist. Trotz dieser Schwierigkeit wird die Bundesregierung versuchen, diese Anregungen, soweit möglich, bereits beim nächsten Bericht zu berücksichtigen. Teilweise ist dies schon geschehen, wie folgende Beispiele zeigen. Die Bundesregierung bemüht sich auf verschiedenen Ebenen, eine Wiedereröffnung des Grenzübergangs Waldsassen-Eger zur Tschechoslowakei zu erreichen. ({1}) Über die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen ist zur Zeit leider noch keine Aussage möglich. Die Tschechoslowakei stand bisher auf dem Standpunkt, der schon bestehende Grenzübergang Schirnding sei in der Lage, auch einen wachsenden Verkehrsfluß aufzunehmen. Demgegenüber wünscht die Bundesregierung eine Wiedereröffnung des Grenzübergangs nicht zuletzt deshalb, weil es sich hier um eine alte und wichtige Verbindung handelt, die für diese Stelle des Zonenrandgebiets von besonderer Bedeutung ist. ({2}) Der Ausschußbericht enthält zum Abschnitt Eisenbahnen eine Reihe konstruktiver Vorschläge. Leider wird die Deutsche Bundesbahn bei ihren erforderlichen Konsolidierungsanstrengungen auch das Zonenrandgebiet nicht völlig ausklammern können. Dabei achtet die Bundesregierung - hier insbesondere der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen - mit geschärfter Aufmerksamkeit darauf, daß Belastungen im Zonenrandgebiet so weit wie möglich vermieden werden. In diesem Zusammenhang möchte ich die vom Bundeskabinett am 23. November beschlossenen Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn erwähnen. Darin ist ausdrücklich eine bedarfsgerechte Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet festgeschrieben. Nach dem Willen der Bundesregierung ist die besondere Lage des Zonenrandgebiets von der Deutschen Bundesbahn bei ihren unternehmerischen Entscheidungen weiterhin zu berücksichtigen. Sowohl der Bundesverkehrsminister als auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bundesbahn haben in den Erläuterungen der Leitlinien versichert, daß die Bahn keinen Rückzug aus der Fläche anstrebe. Dies hat heute vormittag in diesem Hause ja bereits eine Rolle gespielt. Des weiteren, meine Damen und Herren, wird in den Leitlinien bekräftigt, daß Entscheidungen über Streckenstillegungen bzw. Verlagerungen des Personenverkehrs von der Schiene auf die Straße erst nach Prüfung jedes Einzelfalles getroffen werden. Im Zonenrandgebiet bleibt es bei dem Genehmigungsvorbehalt des Bundeskabinetts. ({3}) Auf Wunsch des innerdeutschen Ausschusses werden seit fast einem Jahr den Mitgliedern des Unterausschusses für Zonenrandförderung die Unterlagen über alle beabsichtigten Streckenstillegungsmaßnahmen der Bahn im Zonenrandgebiet zur Verfügung gestellt. Das Abstimmungsverfahren innerhalb der Bundesregierung wird erst eingeleitet, nachdem das Parlament durch diesen Unterausschuß eine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Keine Schienenstrecke im Zonenrandgebiet wird stillgelegt, sofern das Bundeskabinett aus deutschlandpolitischen Gründen von der Notwendigkeit ihrer Aufrechterhaltung überzeugt ist. So wurden schon 1982 von der Bundesregierung insgesamt 3,341 Millionen DM an Ausgleichszahlungen nach § 28a Bundesbahngesetz an die DB für die Aufrechterhaltung von sieben Strecken im Zonenrandgebiet gezahlt. Zur Präsenz der Deutschen Bundesbahn im Zonenrandgebiet sind nicht zuletzt ihre Arbeitsplätze zu rechnen. Deshalb ringt die Bundesregierung - und wir wissen, daß dies eine sehr bedeutsame Entscheidung ist - in der Frage einer etwaigen Schließung der im Zonenrandgebiet gelegenen Ausbesserungswerke Fulda und Weiden noch um eine allen Interessen gerecht werdende Lösung. In dem Berichtsabschnitt Bundesfernstraßen ist eine Reihe von besonders dringlichen Straßenbauvorhaben im Zonenrandgebiet aufgeführt. Auch dieser Katalog wurde in die bereits angelaufenen Beratungen zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 1984 einbezogen. Eine Bonusregelung für das Zonenrandgebiet wird hier dem Anspruch auf bevorzugte Verkehrserschließung Rechnung tragen. Der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden dient der im Ausschußbericht erwähnte OPNV-Modellversuch im Raum Wunsiedel. Damit ist es uns gelungen, erstmals einen solchen Modellversuch mit Bundesmitteln im Zonenrandgebiet zu fördern. Die erst nach einigen Jahren vorliegenden Ergebnisse dieses Vorhabens werden mit Sicherheit für andere Zusammenschlüsse im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs im Zonenrandgebiet von großer Bedeutung sein. Wie Sie bereits aus diesen wenigen Beispielen erkennen können, bemüht sich die Bundesregierung, die in der Stellungnahme des Parlaments zum Bericht des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebiets enthaltenen Anregungen und Wünsche unParl. Staatssekretär Dr. Hennig mittelbar, Herr Kollege Stiegler, in die Praxis umzusetzen. ({4}) Die Bundesregierung ist sich mit dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen in dem Bemühen einig, den Belangen des Zonenrandgebietes bei seiner Verkehrserschließung angemessen zu entsprechen. Wenn auch im Einzelfall abweichende Auffassungen über Notwendigkeit und Dringlichkeit der speziellen Verkehrsmaßnahmen bestehen - dies wird in dem Bericht ausdrücklich aufgeführt -, so sollte doch, meine Damen und Herren, jedem Mitglied des Hauses eine Zustimmung zum Gesamtbericht letztlich möglich sein. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verkehrswegeplan hat heuer Jubiläum. 1969 sind der erste Verkehrswegeplan und der erste Bericht vorgelegt worden. 15 Jahre bemühen wir uns, und zwar gemeinsam, um die bessere Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes. Ich habe deshalb mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig mit seiner Bewertung der Vergangenheit insgesamt auch eine positive Bewertung der Bemühungen der letzten Jahre vorgenommen hat. ({0}) Auch wenn der Kollege Lintner nur ein säuerliches Lächeln dazu aufbringt, so glaubt im Innern seines Herzens auch er es. Wir sollten die Gemeinsamkeit in dieser Frage nicht aufgeben. ({1}) Der Unterausschuß für Zonenrandförderung zeichnet sich dadurch aus, daß er noch nie, soweit ich weiß, kontrovers abgestimmt hat. Wir haben uns vielmehr im Interesse dieser Randregion immer zusammengerauft. Und so soll es auch bleiben. ({2}) Wir haben gleichwohl eine Reihe von Wünschen anzumelden, die in die Zukunft reichen. Und wir haben einige Dauerbrenner. Ich bin Herrn Staatssekretär Dr. Hennig dankbar, daß er das Thema Grenzübergänge wieder angesprochen hat. Er hat sich auf die Grenzübergänge zur CSSR bezogen, dabei Waldsassen/Hundsbach besonders angesprochen. Es gibt aber noch eine Reihe von anderen Wünschen. Es gibt auch Wünsche, mehr Grenzübergänge zur DDR wiederzueröffnen. Auch hier wird die Bundesregierung nachdrücklich ermuntert, mit den Partnern auf den anderen Seiten, mit unseren Nachbarn nachdrücklich zu verhandeln und dranzubleiben. Ich weiß, es geht zäh. Wir dürfen hier aber nicht nachlassen. Solange dieses Europa geteilt ist und solange wir hier in verschiedenen Staaten leben, wird das eine der Hauptaufgaben bleiben. Meine Damen und Herren, "unser Dauerbrenner ist die Bundesbahn. Das Stichwort der Ausbesserungswerke Fulda und Weiden ist gefallen. Wir appellieren nachdrücklich, diese Ausbesserungswerke im Zonenrandgebiet zu halten. ({3}) Würden sie fallen, würden jahrzehntelange Bemühungen um Strukturverbesserungen gescheitert sein. ({4}) Wir erinnern an die Bemühungen der Bundesbahn um die Straffung des betriebsmaschinentechnischen Dienstes, an die Bahnbetriebswerke. Hier ist die Bahn aufgefordert, von diesen größenwahnsinnigen Konzepten, die eine Dienststelle nur mit mehreren hundert Leuten dulden wollen, abzugehen und mehr zu regionalisieren und eine andere Dienststellenkonzeption zu entwickeln, die es auch erlaubt, in den Randgebieten, insbesondere im Zonenrandgebiet, Menschen in verantwortlicher und in ausführender Funktion zu lassen. Wir bleiben bei unserer Forderung, daß die Strekkenstillegungen im Zonenrandgebiet mit äußerster Behutsamkeit zu diskutieren sind. Hier geht es nicht nur um die eine oder andere Strecke; meine Damen und Herren, hier droht eine Infrastruktur wegzubrechen, wenn die Eisenbahn aufgegeben wird. Das ist dann keine Entscheidung für ein oder zwei Jahre, das ist dann eine Jahrhundertentscheidung. Wer die Brücken vergammeln läßt, was jetzt der Fall ist - die Bundesbahn läßt alle Brücken außerhalb des unternehmerischen Kernbereichs vergammeln -, ({5}) und wer neben den Brücken auch die Oberbaubereiche vergammeln läßt, der schiebt das Setzen der Haftscheibe vielleicht um ein, zwei Jahre hinaus. Aber wenn wir hier nicht aufpassen, wird dem Zonenrandgebiet das Infrastrukturelement Eisenbahn genommen. Und wer sich vergegenwärtigt, was auf das Infrastrukturelement Straße zukommt, was im Bereich der Umweltpolitik auf das Auto zukommt, der muß mit uns dafür eintreten, daß dieses Zonenrandgebiet nicht auf einen einzigen Verkehrsträger, den Pkw, verwiesen wird. Es braucht vielmehr weiter die Bundesbahn als Grundelement der Infrastruktur. Dafür müssen wir mit Nachdruck eintreten. Wir appellieren in diesem Zusammenhang auch an die Bundesländer und auch an die Gemeinden, uns nicht nur Resolutionen zu schicken, sondern auch Verhandlungsdelegationen, die mit dem Bundesverkehrsminister und der Bundesbahn echt verhandeln, auch selber etwas anbieten. Und der bayerische Ministerpräsident darf nicht immer nur schöne Erklärungen über hundert Millionen DM und anderes, was er geben wolle, abgeben, sondern er sollte eine Delegation der bayerischen Staatsregierung zu Herrn Dr. Schulte oder zum Dollinger schicken - und zum Finanzminister - und sagen: Laßt uns uns zusammensetzen und uns miteinander ein finanzierbares Konzept aushandeln. Mit reinen Erklärungen ist uns nicht gedient. Und am Nockherberg habe ich gehört, er sei die Sphinx, und ohne ihn gehe nix. Insofern ist es notwendig, daß wir aus München mehr als nur Worte hören. ({6}) Die Kollegen von der Union sollten uns hier nachdrücklich unterstützen. Und im Innern ihres Herzens tun sie es auch, nur dürfen sie es nicht so laut sagen. Wir unterstreichen deshalb mit Nachdruck die beiden Beschlußempfehlungen Nr. 2 und 3, die der Ausschuß gemeinsam verabschiedet hat. Wir wollen ein Bundesbahnkonzept für das Zonenrandgebiet. Wir wollen endlich auch eine Erklärung, wie die Bundesregierung zum Vorrang des Zonenrandförderungsgesetzes steht. Ich weiß sehr wohl: An dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und an seinem Parlamentarischen Staatssekretär sind hier Zweifel nicht erlaubt. Aber weiter rechts sitzt schon einer, der sich etwas unverbindlicher äußern muß. Und der Finanzminister, der hier eine klare Aussage machen sollte, ist erst gar nicht erschienen. Der Herr Dr. Hennig hat hier ja sachte angedeutet, daß es innerhalb der Bundesregierung eben Abstimmungsbemühungen gibt. Ich kann Sie nur ermuntern: Raufen Sie sich zusammen. Raufen Sie, aber raufen Sie sich zusammen. ({7}) - Bitte sehr, gewaltfrei, damit der Innenminister nicht dazwischengeht. Ganz klar. ({8}) - Aber, lieber Jobst, wenn wir je so g'rauft hätten wie ihr, ich glaub', Sie wären gar nimmer nach Bonn gefahren, sondern hätten dort draußen immer Zeter und Mordio geschrien. Hör mal auf! Schaut's euch mal euren Steuerstreit und euren ganzen Zirkus an, und seid's dann etwas bescheidener. Ich glaub', selbst der Jobst lernt das langsam kennen. ({9}) - Ernst, du bist ja viel besser! ({10}) Verehrte Anwesende, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Sachen Bundesbahn ziehen wir - ({11}) - Das ist mein Privileg. Entschuldigen Sie: Wenn Sie das nicht haben, ist das Ihr Pech. Wir Ostbayern halten in dem Punkt zusammen, wenn's um das bayerische Grenzland, unsere Strecken und unsere Eisenbahn geht, und da lassen wir uns von Euch keine Pappritz oder so was vorschreiben, auch nicht im Plenum. ({12}) Sehr verehrte Anwesende, bei den Bundesfernstraßen ist hier vom Ausschuß eine positive Bilanz gezogen worden. In der Tat, vor zehn Jahren gab es in Ostbayern kaum einen Meter Autobahn. Hier ist die Erschließung weiter vorangekommen. ({13}) Gar keine Frage: Das wird begrüßt. Hier gilt es, die eine oder andere Lücke zu schließen. Dann sind die Wünsche weitgehend erfüllt. Wir wollen - keine Sorge bei den GRÜNEN! - Ostbayern nicht zubetonieren. Wir wollen nur einige Grundmagistralen haben. Und hier sind wir durchaus auf gutem Weg. Das gilt auch für das übrige Zonenrandgebiet. ({14}) Wir wollen beide Verkehrsträger, nicht nur einen. Wir müssen beide haben, wie Sie sehr wohl wissen. Wir werden daran weiter gemeinsam arbeiten und werden uns - da helfen wir hier gelegentlich der Regierungskoalition - nicht auseinanderdividieren lassen, sondern dem Finanzminister das laut und deutlich sagen, was Sie zwar gern sagen würden, was Sie sich aber nicht trauen dürfen zu sagen. Vielen Dank. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kunz ({0}). ({1})

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stiegler, um die Glaubwürdigkeit der Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten brauchen Sie sich bestimmt keine Sorgen zu machen. ({0}) Der Bericht des Bundesministers für Verkehr erstreckt sich auf das Jahr 1982. Das Ergebnis der Beratungen liegt gedruckt vor. Ich benutze die Gelegenheit, als einer der beiden Berichterstatter einige aktuelle Anmerkungen zur Verkehrserschließung des Zonenrandgebiets und zur Zonenrandförderung insgesamt zu machen. Bundeskanzler Kohl hat sich in seiner Amtszeit eindeutig besonders in den beiden Regierungserklärungen von 1982 und 1983, ({1}) aber auch in seinem Bericht zur Lage der Nation 1984 eindeutig zur Zonenrandförderung bekannt und ihr sogar einen höheren Stellenwert eingeräumt, als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Während der Aufbauphase der Bundesrepublik erfuhren die Ballungsräume mit ihren Problemen der zerstörten Städte und infolge ihres zahlenmäßigen Übergewichts eine gewisse Priorität. Das deutliche Zurückfallen des Zonenrandgebiets in wirtschaftlicher Hinsicht und alle damit zusammenhängenden Fragen haben 1971 ein eigenes Gesetz zur Förderung des Zonenrandgebiets unerläßlich gemacht. Dr. Kunz ({2}) Während die alte Bundesregierung 1982 bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur mit einem Gesamtansatz von 470 Millionen DM dem Zonenrandgebiet 204 Millionen DM = 43 % zukommen ließ, hat die neue Bundesregierung den Gesamtansatz auf 520 Millionen DM erhöht und den Anteil für das Zonenrandgebiet auf 237 Millionen DM = 45,6% gesteigert. 1984 stiegen der Gesamtansatz der Gemeinschaftsaufgabe weiter auf 551 Millionen DM und der Anteil des Zonenrandgebiets auf 251 Millionen DM=45,6%. Eine Verbesserung der Haushaltsansätze haben wir auch bei der laufenden Frachthilfe zu verzeichnen. Sie stieg von 48 Millionen im Jahr 1982 auf 51 Millionen DM im Jahr 1983 und steht mit 50 Millionen im Jahr 1984 zu Buche. Ich spreche der neuen Bundesregierung dafür in Namen der Bevölkerung und der Wirtschaft des Zonenrandgebiets großen Dank aus. ({3}) Die jetzt auch im Zonenrandgebiet langsam in Gang kommende Konjunktur benötigt für das größer werdende Transportvolumen für das Jahr 1985 eine Aufbesserung der Ansätze für Frachthilfe. Ein besonderes Anliegen ist die erweiterte Kohlenfrachthilfe, deren Erhalt über den 31. Dezember 1984 hinaus für viele Betriebe im Zonenrandgebiet lebenswichtig ist. Ich stelle hier eindeutig klar, daß die erweiterte Kohlefrachthilfe von Anfang an niemals allgemeinwirtschaftlich begründet, sondern ausschließlich politisch gerechtfertigt worden ist. Deshalb darf die erweiterte Kohlefrachthilfe, die eine rein politisch bedingte Hilfsmaßnahme ist, aus anderen Gründen nicht eingestellt werden. Im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben ist es notwendig, die deutliche Präferenzabstufung von Berlin über das Zonenrandgebiet und sonstige Fördergebiete zu erhalten bzw. wiederherzustellen. ({4}) Sie darf nicht auf Dauer durch Fördermaßnahmen für Gebiete mit sektoralen Problemen, die ebenfalls Bundeshilfe erforderlich machen, aufgehoben werden. Um die teilungsbedingten Nachteile des Zonenrandgebiets gegenüber anderen Regionen der Bundesrepublik so weit wie möglich auszugleichen, muß die Verkehrserschließung größere Bedeutung erhalten. ({5}) Dies kann dazu beitragen, daß das Zonenrandgebiet, wie das Raumordnungsgesetz vom 4. April 1965 als Ziel vorgibt, „mindestens gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen wie im gesamten Bundesgebiet" geschaffen werden. Mit diesem zentralen Auftrag des Raumordnungsgesetzes sind alle Ministerien angesprochen. Im Verkehrsbereich Eisenbahn weise ich mit allem Nachdruck darauf hin, daß die Deutsche Bundesbahn bei allen im Zonenrandgebiet geplanten Maßnahmen vor allem die Ziele des Zonenrandförderungsgesetzes und des Raumordnungsgesetzes beachten muß. Ich bin der Bundesregierung dankbar für die Aussage, daß es bei den Nebenbahnen im Zonenrandgebiet keinen Kahlschlag und auch keinen allgemeinen Rückzug aus der Fläche gibt. ({6}) Die notwendige Sanierung der Bundesbahn darf nicht zu Lasten des Zonenrandgebietes gehen. Die Anhörung aller betroffenen Stellen und Instanzen vor der beabsichtigten Stillegung einer Nebenstrecke im Zonenrandgebiet und die Tatsache, daß die letzten Entscheidungen im Kabinett getroffen werden, bedeuten eine zusätzliche Sicherung, daß die berechtigten Interessen des Zonenrandgebiets und der deutschlandpolitische Auftrag berücksichtigt werden. ({7}) Bei der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs sollte gerade im Zonenrandgebiet die Deutsche Bundesbahn verstärkt eingebunden werden. Ein leidiges Kapitel ist die Verwendung der Finanzmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Mit Hilfe dieses Gesetzes werden 2,552 Milliarden DM aufgebracht. Davon werden im öffentlichen Personennahverkehr 1,449 Milliarden DM und im kommunalen Straßenbau 1,102 Milliarden DM verwendet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Kunz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Büchler ({0})? - Sie möchten nicht unterbrochen werden.

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte die Zeit nutzen, um Aussagen zum Zonenrandgebiet zu machen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde es mir ein Vergnügen bereiten, mich mit meinem Kollegen Büchler zu streiten. ({0}) Die elf Verkehrsballungsräume der Bundesrepublik erhalten beim öffentlichen Personennahverkehr 1,286 Milliarden DM; das sind 88,7 %. Beim kommunalen Straßenbau erhalten sie 484 Millionen DM; das sind 42,8%. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nur etwa die Hälfte der Bevölkerung in diesen elf Verkehrsballungsräumen lebt. Es geht nicht an, daß die Ballungsräume auch weiterhin eine solch massive Bevorzugung erfahren, daß der öffentliche Personennahverkehr aus Mitteln, die zumindest zur Hälfte von der übrigen Bevölkerung aufgebracht werden, dort so bevorzugt gefördert wird. ({1}) Schon aus Gerechtigkeitsgründen muß deshalb für das Zonenrandgebiet ein größerer Anteil reklamiert werden. Dr. Kunz ({2}) Aus wirtschaftlichen Gründen kann die Deutsche Bundesbahn auf den Neubau bestimmter Strecken nicht verzichten. Es darf aber nicht so weit kommen, daß Neubaustrecken am Zonenrandgebiet entlang, vielleicht sogar teilweise durch das Zonenrandgebiet selbst geführt werden, aber fehlende Haltepunkte ihre Benutzung durch die Bewohner des Zonenrandgebiets sehr erschweren oder gar unmöglich machen. ({3}) Der Ausschuß legt großen Wert darauf, daß die Deutsche Bundesbahn diesem Anliegen der Bevölkerung Rechnung trägt. Für die Einrichtung oder Auflösung von Dienststellen der Deutschen Bundesbahn im Zonenrandgebiet ist es erforderlich, daß der Ausschuß fest entschlossen ist, darauf zu achten, daß dem Zonenrandförderungsgesetz stets Vorrang vor anderen Gesetzen eingeräumt wird. ({4}) Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, daß die Deutsche Bundesbahn nicht nur Ausgleichszahlungen erheischen darf, sondern bei allen konzeptionellen Unternehmensentscheidungen, wie der Herr Staatssekretär Dr. Hennig ausgeführt hat, mit Vorrang dem Zonenrandförderungsgesetz Rechnung tragen muß. Von ganz besonderer Bedeutung für das Zonenrandgebiet ist die Erhaltung der Ausbesserungswerke der Deutschen Bundesbahn in Weiden und in Fulda. Das haben der Herr Staatssekretär und auch mein Vorredner angesprochen. Diese vom Ausschuß gestellte Forderung wurde auch vom Deutschen Bundestag einmütig gutgeheißen. Der verringerte Bedarf an Dienstleistungen in allen Ausbesserungswerken der Bundesbahn zwingt zur Stillegung mehrerer Werke. Die jahrzehntelange Vernachlässigung von Investitionen im Ausbesserungswerk Weiden z. B. hat zu einer reduzierten Wirtschaftlichkeit dieses Werkes geführt. Bei der von der Bundesbahn geplanten Schließung würden ca. 600 Arbeitsplätze vorlorengehen. Das ist mehr, als die Stadt Weiden in den letzten zehn Jahren mit äußerster Anstrengung an neuen Arbeitsplätzen überhaupt schaffen konnte. Mit Rücksicht auf die verheerenden Folgen einer solchen Stillegung des Ausbesserungswerks Weiden hat die bayersiche Staatsregierung ihre feste Bereitschaft bekundet, die erforderlichen Investitionen zu finanzieren, um dieses Ausbesserungswerk in den Zustand zu versetzen, ebenso wirtschaftlich zu arbeiten wie andere, leistungsfähige Ausbesserungswerke. Ich danke deshalb der bayerischen Staatsregierung an dieser Stelle für die Bereitschaft zu solch in Aussicht gestellter finanzieller Anstrengung, die bisher ohne Beispiel ist. Es gibt kein Grund, an dieser Bereitschaft zu zweifeln. ({5}) Die bayerische Staatsregierung legt großen Wert darauf, die psychologische Wirkung einer Stillegung zu vermeiden. Ich vertraue darauf, daß die Deutsche Bundesbahn dieses für sie sicherlich interessante Angebot annimmt. Eine solche Kooperation könne modellhaften Charakter gewinnen. Im Verkehrsbereich Bundesfernstraßen muß das Zonenrandgebiet bei den Finanzmitteln stärker als bisher berücksichtigt werden. Das Zonenrandgebiet hat - insbesondere bei den Flächenstaaten - noch einen größeren Nachholbedarf. Die Koalitionsvereinbarungen haben dem Rechnung getragen und festgelegt, daß die sturkturschwachen Gebiete besonders berücksichtigt werden sollen. Ich erwarte, daß die Bundesregierung bei der Vorlage des neuen Bedarfsplans dieser Festlegung gebührend Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang rege ich an, daß für alle Bundesbahnstrecken, die sich wegen ausgebliebener Nachfrage betriebswirtschaftlich nicht mehr aufrechterhalten lassen und für die auch aus deutschlandpolitischen Gründen eine hinreichende Begründung nicht zu erbringen ist, durch enge Koordinierung der zuständigen Stellen vor der Stillegung der Strecke oder der Einstellung des Reisezugverkehrs dafür gesorgt wird, daß die Staats- und Bundesstraßen, die den bisherigen Schienenverkehr aufnehmen, rechtzeitig in den baulichen Zustand versetzt werden, mit dem sie in der Lage sind, den zusätzlichen Verkehr auch tatsächlich aufzunehmen. Was die Grenzübergänge anlangt, so danke ich dem Herrn Staatssekretär besonders für den Hinweis und die Entschlossenheit in bezug auf den Übergang von Waldsassen. Im Bereich der Wasserstraßen muß der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals durch die rechtzeitige Bereitstellung ausreichender Mittel zügig fortgesetzt werden. Diese Wasserstraße ist geeignet, -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- - die Marktferne des süddeutschen Zonenrandgebiets zu verringern und die Konkurrenzfähigkeit seiner Wirtschaft zu stärken. Zusammenfassend, Herr Präsident, darf ich feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion der vorliegenden Beschlußempfehlung zustimmt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.

Dieter Drabiniok (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000413, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Gestatten Sie mir zum Anfang noch einen kleinen Hinweis auf die Diskussion von heute vormittag. Sie haben es in dieser Bundesbahndebatte heute morgen nicht für nötig gehalten, auch nur ansatzweise auf unseren Gesetzentwurf zur BundesDrabiniok bahnsanierung einzugehen, der immerhin vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn - ich zitiere - als sehr beachtenswerter Beitrag gewertet worden ist. Wir wissen aus einer Flut von Zuschriften der Zustimmung und Unterstützung, daß die interessierte Öffentlichkeit, inbesondere die Eisenbahner und die Bahnkunden, unseren Vorstellungen ein weitaus größeres Gewicht beimißt, als dieses Hohe Haus es wahrhaben will. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie nur weiter so, dann werden Sie so wie nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg noch an so manchem Wahlabend mit den gleichen ratlosen Gesichtern vor den Kameras stehen und sich irritiert fragen, warum gerade Sie weitere Stimmen ausgerechnet an die GRÜNEN verloren haben. ({0}) Der Bundesminister für Verkehr ist ja anwesend. Ich wollte aber Herrn Dollinger fragen, ob er überhaupt weiß, daß es ein Gesetz gibt, daß sich Zonenrandförderungsgesetz nennt. Ich bezweifle das. Deshalb lassen Sie mich das Informationsdefizit des Verkehrsministers einmal beseitigen. In diesem Gesetz vom 5. August 1971 gibt es einen § 4, in dem es heißt, daß die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet bevorzugt gefördert werden muß. Herr Verkehrsminister, Unwissenheit schützt Sie vor Strafe nicht. Deshalb muß ich mit aller Schärfe darauf hinweisen, daß Sie dieses Gesetz durch Ihren katastrophalen Bahnschrumpfkurs in verantwortungsloser Weise mißachten. ({1}) Daß dies auch Ihre Vorgänger getan haben, ist richtig und wird von uns genauso kritisiert. ({2}) - Hören Sie gleich einmal zu! - Das kann aber für Sie absolut keine Entlastung sein. Sie haben jetzt die Verantwortung für die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet. Sie werden dieser Verantwortung, die aus diesem Gesetz hervorgeht, nicht gerecht. Seit Inkrafttreten des Zonenrandförderungsgesetzes - diese Bezeichnung bedarf übrigens dringend einer Änderung - wurde dort bis heute keine einzige Bundesbahnstrecke gebaut und dem Verkehr übergeben. Lediglich ein Bahnhof für den Reisezugbetrieb und für den Güterverkehr wurden dem Verkehr übergeben. Gleichzeitig aber wurden 501 Bahnhöfe und Haltepunkte für den Reisezugbetrieb und 127 Bahnhöfe für den Güterverkehr geschlossen. Das heißt, jede zweite Bahnhofsschließung fiel in dieses Gebiet. Dazu wurden 1 003 Reisezugstreckenkilometer im sogenannten Zonenrandgebiet seit 1970 stillgelegt, d. h. jeder dritte stillgelegte Bundesbahnkilometer liegt in diesem Gebiet, nicht zu vergessen die 462 Kilometer für den Güterverkehr. Außerdem halbierte sich nahezu die Zahl der dort eingesetzten Nahverkehrszüge von 1970 bis 1983 von 822 268 auf 455 398 Züge. Wenn das etwas mit einer Verbesserung der Verkehrsbedienung und Verkehrserschließung zu tun hat, möchte ich „Birne" heißen. ({3}) Der eigentliche Skandal dabei ist, daß seit Inkrafttreten des Zonenrandförderungsgesetzes im Vergleich zum gesamten Bundesgebiet gerade im Zonenrandgebiet überproportional viele Streckenkilometer der Deutschen Bundesbahn sowohl im Reisezugbetrieb als auch im Güterzugbetrieb stillgelegt worden sind, überproportional viele Haltepunkte und Bahnhöfe geschlossen und überproportional viele Nahverkehrszüge gestrichen wurden. Diese überdurchschnittlichen Verschlechterungen bei der Bahn im Zonenrandgebiet lassen die Raumordnungsgesetze zur Farce werden. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, daß gleich der Versuch gemacht werden wird, die Verantwortung für die Streckenstillegung insbesondere auf die Bundesbahn abzuwälzen. Aber das wird wohl nicht klappen. Der § 28 des Bundesbahngesetzes, den der Herr Dollinger ja wahrscheinlich kennt - er hat ihn gerade vorgelesen -, sieht vor, daß die Bahn wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen ist und die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken sollen. Nur in diesem Rahmen hat die Bundesbahn ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen und die Vorgaben des Zonenrandförderungsgesetzes zu beachten. Maßnahmen, die aus eigenwirtschaftlichen Gründen der Bahn geboten scheinen, z. B. Streckenstillegungen, aber mit den Vorgaben des Zonenrandförderungsgesetzes nicht zu vereinbaren sind, liegen in der Verantwortung der Bundesregierung. Sie ist verantwortlich für die Berücksichtigung der Zielsetzung des Zonenrandförderungsgesetzes. Den gemeinwirtschaftlichen Interessen auch gegenüber eigenwirtschaftlichen Interessen der Deutschen Bundesbahn Geltung zu verschaffen und Vorrang einzuräumen ist als politische Entscheidung in erster Linie die Aufgabe des Bundesministers für Verkehr, dem das Bundesbahngesetz in § 14 Abs. 3 Satz 2, § 15 Satz 1 und § 16 Abs. 4 Satz 1 die dazu erforderlichen Versagungs-, Einspruchs- und Auflagenbefugnisse gegenüber der Deutschen Bundesbahn zuerkennt. Also, meine Damen und Herren, es wird nichts mit dem Verweis auf die DB, mit dem Verweis, daß in erster Linie sie verantwortlich ist für die Kahlschlagpolitik im Zonenrandgebiet. Die katastrophalen Auswirkungen dieser Bahnpolitik für das strukturschwache, wirtschaftlich benachteiligte Zonenrandgebiet sind schon jetzt zu sehen. Streckenstillegungen im Güterverkehr führen dazu, daß Gewerbebetriebe abwandern oder sich erst gar nicht ansiedeln können. ({4}) - Ich gebe Ihnen die Papiere gleich einmal herüber. ({5}) In zahlreichen, von der Fremdenverkehrswirtschaft abhängigen Regionen sind erhebliche Einbußen zu erwarten. Diejenigen, die behaupten, der Bus würde dort die Aufgabe der Schiene übernehmen, sind vermutlich noch nie mit dem Bus gefahren. Der Bus ist unangenehm, bietet weniger Platz für Gepäck, Kinderwagen und sperrige Güter, z. B. Ski, hat keine sanitären Anlagen, ist witterungsabhängig und deshalb im Winter unpünktlich. Es gibt keine wettergeschützten oder beheizten Warteräume. Vor allem aber wird der Bus längere Strecken fahren müssen, so daß sich die Fahrzeit und der Fahrpreis erhöhen werden. Es gibt noch mehr Argumente gegen den Bus. Die schenke ich mir aber. Ich will aber dafür ausdrücklich darauf hinweisen, daß die 1978 durchgeführte Untersuchung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit dem Titel „Raumstrukturelle Wirkungen der Stillegung von Eisenbahnstrecken" zu dem Ergebnis kam, daß nur 50 % der ehemaligen Bahnfahrer den Busersatz angenommen haben. Das heißt, die Bevölkerung will den Bus nicht. Dieses Untersuchungsergebnis hat für den Bundesminister für Verkehr keine Bedeutung. Sein Ziel ist es, ein staatlich subventioniertes Exklusivverkehrsmittel für Fernreisende zu schaffen. Aber das geht nur ohne uns. ({6}): Mitfahren tun Sie schon!) Von den 1970 noch bestehenden sechs Ausbesserungswerken im Zonenrandgebiet sind bisher schon die Ausbesserungswerke Göttingen und Braunschweig geschlossen worden. In vielen Teilen des Zonenrandgebietes ist die Deutsche Bundesbahn der größte Arbeitgeber und der bedeutendste Auftragsvergeber. Die Ausbesserungswerke im Zonenrandgebiet sind in vielen Fällen die Betriebe mit den meisten Beschäftigten der entsprechenden Städte. Dies gilt insbesondere für die Ausbesserungswerke Fulda und Weiden. Eine Schließung dieser Ausbesserungswerke hätte verheerende Auswirkungen auf die Arbeitsplatz- und Wirtschaftsstruktur dieser Räume und steht der Förderung des Zonenrandgebietes diametral entgegen. ({7}) - Ja. ({8}) Bei Versagung von Genehmigungen für Stillegungsmaßnahmen der DB im Zonenrandgebiet entstehen der Bundesbahn gegebenenfalls Mehraufwendungen und Investitionsaufgaben. Diese sind der Deutschen Bundesbahn gemäß § 28 a des Bundesbahngesetzes durch den Bund auszugleichen. Damit das Ziel dieser Ausgleichszahlungen, die Berücksichtigung der Vorhaben des Zonenrandförderungsgesetzes, deutlich wird, sollen diese Ausgleichszahlungen nach unseren Vorstellungen im Haushaltsplan des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen ausgewiesen werden. Die Höhe von Ausgleichszahlungen wird in engen Grenzen gehalten werden können, da die Versagung von Genehmigungen mit den Zielvorgaben, den Schienenbetrieb wirtschaftlicher zu betreiben und attraktiver zu gestalten, gekoppelt ist. Dadurch werden Kosten verringert und Erlöse erhöht. Außerdem können erhebliche Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eingespart werden, da sich der Bau oder Ausbau von Straßen im Zusammenhang mit der Stillegung von Eisenbahnstrekken gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes erübrigen würde. Es ist unlogisch und widersprüchlich, daß Strekken stillgelegt werden, weil kein Geld für Investitionen da sein soll, auf der anderen Seite aber die wesentlich teureren Straßenbaumaßnahmen im Zuge von Streckenstillegungen durchaus finanziert werden können. ({9}) Außerdem würden die Mittel zur Strukturstärkung des Zonenrandgebietes eingespart, die notwendig würden, wenn infolge von Streckenstillegungen eine weitere Strukturschwächung zu beseitigen wäre. Lassen Sie mich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß der BMV lediglich in Unkenntnis des Zonenrandförderungsgesetzes gehandelt hat und daß er nach Studium des Gesetzes sicherlich die Einsicht erlangen wird, daß das, was er vorhat, nicht durchgeführt wird. Zieht er es aber vor, in Unkenntnis zu wandeln, ist das ein Zeichen dafür, daß er sich einer verantwortungslosen und sozial unerträglichen Verkehrspolitik verschrieben hat. Um dem entgegenzusteuern, haben wir den Antrag gegen den weiteren Schrumpfkurs der Bahn innerhalb des Zonenrandgebietes heute vormittag überweisen lassen. Ich danke Ihnen. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Abendstunde und in dieser Besetzung ist das Thema, über das wir sprechen, scheinbar keines von grundsätzlicher Bedeutung. Trotzdem möchte ich gerne eine Bemerkung vorwegschicken, die gerade dies nach meiner Meinung unter Beweis stellt. Im Bericht zur Lage der Nation war von der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen für den Frieden in Europa die Rede. Wir sollten auch hinsichtlich der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Zonenrandgebiet die Mitverantwortung des anderen deutschen Staates deutlich machen: für einen breiten Streifen diesseits, aber auch jenseits jener Grenze, die wider Natur und Landschaft, aber auch wider grundlegende Menschenrechte mitten in Europa ungleich schwierigere Lebens- und Existenzbedingungen schafft, als wir das in anderen Gebieten zu registrieren haben. Ich meine deswegen, daß es zu der Frage Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes auch gehören könnte, die Bundesregierung zu bitten, sich darum zu bemühen - so, wie es zum gegenseitigen Nutzen möglich war, zu grenzüberschreitendem Braunkohlenabbau oder grenznahen Anlagen zur Wiederaufbereitung atomarer Kernbrennstoffe zu kommen -, auch zu Übereinkünften für eine Erweiterung des kleinen Grenzverkehrs, für die Öffnung weiterer Übergangsstellen zu kommen und damit eine Situation im Zonenrandgebiet zu schaffen, die die Undurchdringlichkeit jener Grenze auch im wirtschaftlichen Bereich eines Tages aufheben und dadurch zu Bedingungen führen könnte, die die Bestimmungen des Zonenrandförderungsgesetzes, wie wir hoffen, eines Tages überflüssig machen könnten. Mindestens gleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Zonenrandgebiet - der Kollege Kunz hat es vorhin zitiert -: Dazu ist zu bemerken, daß es heute im Zonenrandgebiet allerdings nicht nur um eine Verbesserung der Infrastruktur oder regionale Wirtschaftsförderung im allgemeinen Sinne geht, sondern wir reden über ein politisches Problem von grundsätzlicher Bedeutung. Darum ist es wichtig, festzustellen, daß der Tagesordnungspunkt, über den wir uns jetzt unterhalten, zwar bezeichnet ist als Bericht des Bundesministers für Verkehr 1982 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes, daß sich aber die Debatte - ich glaube, das ist auch in allen bisherigen Redebeiträgen schon deutlich geworden - natürlich nicht auf den Punkt Verkehrserschließung begrenzen läßt. Es geht hier um eine ganz besondere Funktion dieser Verkehrserschließung und damit um eine Steigerung der Attraktivität politisch benachteiligter Regionen. Die Verkehrserschließung kann dazu einen Beitrag, allerdings nur einen Teilbeitrag leisten. Wirklich helfen kann nur ein ganzes System von Maßnahmen, die Anreize schaffen. System bedeutet dann allerdings, daß die einzelnen Teile dieses Systems zueinander passen müssen. Das Überzeichnen eines Sektors muß fehlschlagen. Ich nehme damit noch einmal Bezug auf den Antrag der Fraktion der GRÜNEN „Bundesbahnpolitik im Zonenrandgebiet", dem ich in seiner Tendenz durchaus zustimmen kann, zumal er, abgesehen von einigen Unterschieden im Detail, den Beschluß dieses Hohen Hauses vom 3. Dezember 1982 aufnimmt. Aber was ich feststelle, ist, daß dieser Antrag, Herr Kollege Drabiniok, in seiner Ausschließlichkeit keinen Spielraum mehr läßt für auch notwendige wirtschaftliche Überlegungen oder ökologische Notwendigkeiten. Ich erinnere Sie an das, was mein Kollege Hoffie heute zu der Frage der Umweltbelastung in dem einen oder anderen Fall - je nach der Inanspruchnahme des Verkehrsmittels - gesagt hat. Das Schaffen reiner Betriebsamkeit, allein das Hin- und Herfahren von Güter- und Personenwaggons zwischen Bahnhöfen, an denen keiner verladen oder einsteigen will, ist teuer, würde aber auch dem Zonenrandgebiet, Herr Kollege, nichts nützen. Verlangt ist nicht Beschäftigungstherapie, sondern eine Therapie, die langfristig Beschäftigung sichert. Verlangt sind gesunde Betriebe im Zonenrandgebiet, die attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Für die Ansiedlung und Erhaltung solcher Betriebe - das wissen wir aus anderen Regionen auch - ist nur und auschließlich der Anschluß an das Schienennetz noch nicht immer und in jedem Falle von ausschlaggebender Bedeutung. Deswegen sollten wir an dieser Stelle auf einen Punkt zurückgreifen, der in dem Bereich des Ausschusses unter Ziffer III - Eisenbahnen - 4 genannt ist. Der Ausschuß - so heißt es dort appelliert an Bundesländer und kommunale Gebietskörperschaften, den bereits gesetzten Beispielen zu folgen und sich verstärkt an den Kosten der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes zu beteiligen. Und jetzt, meine ich, kommt der ganz entscheidende Satz: Gerade die finanzielle Mitwirkung der regional und örtlich zuständigen Stellen sichert eine besonders sachgemäße Verwendung öffentlicher Mittel. Hier ist die Frage gestellt, wie die örtlich Betroffenen und Interessierten an der Vorbereitung von Entscheidungen auch im Bereich der Bundesbahn beteiligt werden und ob sie mit ihrer eigenen Stimmabgabe und mit ihrem eigenen Einfluß in der Lage sind, auf die Region und ihre Gestaltung Einfluß zu nehmen, in der sie leben und leben wollen und von der wir möchten, daß sie in dieser Region auch bleiben, damit nicht an der Zonengrenze ein leerer Streifen entsteht, der uns auch politisch belasten würde. Denn, Herr Kollege Drabiniok, es geht nicht an, daß man auf der einen Seite die Notwendigkeit von Deutschlandpolitik bestreitet, wie Ihre Fraktion das im Innerdeutschen Ausschuß tut, und auf der anderen Seite die Zonenrandförderung hier mit bewegten Worten als notwendig bezeichnet. Eines muß zum anderen passen. ({0}) Sanierung des Zonenrandgebietes - das geht sicherlich nicht nur durch die Deutsche Bundesbahn. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses könnte, weil sie sich sehr stark auf Fragen der Bundesbahn und deren Arbeitsplätze konzentriert, den Eindruck erwecken, als hänge eine Sanierung dieses Gebietes fast ausschließlich von der Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Deutschen Bundesbahn, des Schienenverkehrs auf allen bestehenden Strecken und von der Vergabepraxis der Deutschen Bundesbahn bei Bauprojekten ab. Der Bericht selbst aber macht deutlich, daß hier zwar ein Schwerpunkt der Verkehrserschließung liegen muß. Aber ich glaube, die vorangegangene Debatte des heutigen Vormittags hat auch deutlich gemacht, welche Grenzen gerade diesen Möglichkeiten gesetzt sind. In einem Punkt besteht sicherlich volle Übereinstimmung auch zwischen uns beiden: Wenn Einrichtungen und Strecken der Deutschen Bundes4562 bahn im Zonenrandgebiet aus politischen Gründen - und diese sehen wir durchaus an vielen Stellen - erhalten werden müssen, dann müssen die dafür notwendigen Mittel auch an der richtigen Stelle des Bundesetats ausgewiesen werden ({1}) und dürfen nicht als Last auf das Konto der Bundesbahn geschrieben werden. ({2}) Wir haben eine umfangreiche Aufgabe auf diesem Gebiet. Ich meine, daß das, was wir zur Verkehrserschließung tun können, auch mit dazu beitragen kann, etwas anderes zu bewegen und nach vorne zu bringen. Im innerdeutschen Handel ist durch Veränderung der Strukturen in der DDR die Beteiligung mittlerer Unternehmen der Bundesrepublik erleichtert worden. Erweiterung und Verstetigung eröffnen auch für das Zonenrandgebiet größere Chancen zur Industrie- und vor allen Dingen zur Gewerbeansiedlung. Mittlere Industrie- und Gewerbebetriebe im Zonenrandgebiet wären die prädestinierten Partner für den Warenaustausch mit der DDR. Die bestehenden Förderungspräferenzen bieten einen zusätzlichen Anreiz zur Ansiedlung. Wenn Schiene und Straße nicht an der Grenze enden sollen, jener Grenze, die unser Land heute teilt, und wenn wir diesen Zustand überwinden wollen, dann muß allerdings für jeden in der Bundesrepublik, für jede staatliche Einrichtung und auch für die Bundesbahn gelten, daß Zonenrandförderung Präferenz vor anderen Überlegungen hat. Ich danke Ihnen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.

Franz Handlos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000799, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um in einem Kurzbeitrag einige Bemerkungen an den Bericht des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen Drucksache 10/1002 anzuknüpfen. Es ist erfreulich, daß der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen feststellt, daß gerade im Zonenrandgebiet eine Stillegung von Strecken und die Ausdünnung von Fahrplänen nicht die einzige Antwort auf die Verkehrsbedürfnisse dieses Raumes sein darf. Der Kollege von den GRÜNEN hat vorhin schon aufgezählt, was alles in den letzten Jahren stillgelegt wurde. Tatsächlich ist es so, daß nur durch eine offensive Angebotspolitik, eine Verbesserung der Anschlüsse und eine Verdichtung der Fahrpläne die Rückgewinnung von Fahrgästen angestrebt werden kann und nicht durch das Gegenteil, wie dies die Deutsche Bundesbahn nunmehr seit Jahren tut. Wir alle wissen ganz genau, daß ein Betrag zwischen 300 und 600 Millionen DM frei würde, wenn sämtliche Strecken auf einmal stillgelegt würden. Das muß man in Relation zu der Tatsache setzen, daß im letzten Jahr 1,3 Milliarden DM, heuer 1,5 Milliarden DM für die fünf größten Verkehrsverbünde in Deutschland benötigt werden. Darüber regt sich kein Mensch auf. Deswegen kann ich nur sagen: gleiches Recht für alle, sowohl für das Zonenrandgebiet als auch für die Ballungszentren. Wir sind uns alle darin einig, daß diese Streckenstillegungspläne gegen den § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes verstoßen würden. Es gibt entsprechende Rechtsgutachten. Es gibt sogar Kommunen im Grenzland, Landkreise, Gemeinden, die überlegen, ob man nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen sollte. Ich darf Ihnen zwei gravierende Beispiele an Hand von zwei Städten beziehungsweise Gemeinden nennen, was passieren würde, wenn dort die Linien eingestellt würden. Bodenmais in Ostbayern hat 700 000 Übernachtungen. 200 000 davon gehen auf das Konto der Deutschen Bundesbahn. Grafenau hat 530 000 Übernachtungen, davon allein 230 000 mit Touropa-Zügen, mit Zügen der Deutschen Bundesbahn. All diese Urlauber würden garantiert nicht auf Bahnbusse umsteigen. Ähnlich ist es in Bayerisch Eisenstein, wenn die drei Strecken Zwiesel-Eisenstein, Zwiesel-Grafenau und Zwiesel-Bodenmais stillgelegt würden. Auf der einen Seite versucht man, das Grenzland durch alle möglichen Investitionen, durch staatliche Unterstützungen zu fördern, und andererseits will man mit der anderen Hand das wieder nehmen, was man mit der einen Hand gegeben hat. So kann es beim besten Willen nicht gehen. Daher kann man nur vor einer derartigen Schädigung des Zonenrandgebietes warnen. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang zugleich, wenn die Bundesregierung nicht nur an eine Öffnung des Straßenübergangs WaldsassenEger zur CSSR denken würde, sondern auch an eine Wiedereröffnung der Eisenbahnstrecke Bayerisch Eisenstein-Prag. Auch das sollte man überlegen, da auf tschechischer Seite hier gebaut wird. Ich habe heute vormittag beim Thema „Sanierung der Bundesbahn" sehr genau zugehört. Ich saß vier Stunden hinten. Alle Redner hatten gute Vorschläge. Aber woher das Geld für all diese Maßnahmen kommen soll, das wurde dabei nicht gesagt. Ich mache in diesem Zusammenhang einen Deckungsvorschlag, der auch schon von anderen Kollegen gebracht wurde; es ist aber wieder ruhig darum geworden. Mein Kollege Dionys Jobst geht gerade vorbei; er weiß, wovon ich jetzt spreche. Heuer fahren im Urlaub wieder Hunderttausende von Bundesbürgern ins Ausland und zahlen Millionen und Abermillionen von Autobahngebühren überall in Europa. Ich frage hier allen Ernstes, ob nicht gleiches Recht für uns in Europa gilt und wir Deutschen ebenfalls, wie nunmehr die Schweizer, das Plakettensystem für deutsche Autobahnen einführen, damit unsere ausländischen Gäste hier einen Obolus entrichten. Damit hätten Herr Stoltenberg und Herr Dollinger eine Menge Geld in der Tasche, um auf diese Art und Weise zur Sanierung beizutragen. Das nur als einen Vorschlag von uns Republikanern zum Schluß. Herzlichen Dank.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Es liegt eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Kuhlwein zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor, die zu Protokoll genommen wird. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/1002 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({0}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Rolle der Häfen in der gemeinsamen Verkehrspolitik - Drucksachen 9/2435, 10/1151 Berichterstatter: Abgeordneter Fischer ({1}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer ({2}).

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Entschließung hat das Europäische Parlament kritisiert, daß die Rolle der Seehäfen bei der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik zu wenig berücksichtigt würde, und gefordert, daß die EG-Kommission bei ihren Vorschlägen den Wettbewerb der Häfen stärker berücksichtigt. Dazu ist in der Entschließung des Europäischen Parlaments ein Handlungsrahmen abgesteckt worden. Es geht hier um die Harmonisierung der spezifischen Transportsteuern, also Kfz-Steuern und Mineralölsteuer; die Harmonisierung der Sozialvorschriften im Verkehr; die Harmonisierung der technischen Vorschriften, insbesondere die höchstzulässigen Maße und Gewichte; die Abgeltung der Wegekosten; die Infrastrukturpolitik; die Tarifpolitik der Eisenbahn, des Straßenverkehrs und der Binnenschiffahrt; die Kapazitätspolitik für Straßenverkehr und Binnenschiffahrt sowie letztlich, was uns sicherlich in dieser Situation besonders am Herzen liegt, der Abbau der Grenzhindernisse und Grenzkontrollen. Meine Damen und Herren, das Parlament fordert, daß ein lauterer Wettbewerb, der von Diskriminierungen frei sein solle, stattfinden müsse, daß für alle europäischen Seehäfen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen müßten. Ich glaube, daß damit deutlich wird, daß das Europäische Parlament die Verbesserung der Wettbewerbssituation für die deutschen Seehäfen als notwendig anerkannt hat, und dieses ist angesichts entgegenstehender Interessen konkurrierender Hafenstaaten, wie ich finde, ein bemerkenswerter Vorgang. Diese Entschließung des Europäischen Parlaments ist deswegen von allen Fraktionen im Verkehrsausschuß begrüßt worden, und die gemeinsame Entschließung des Bundestagsverkehrsausschusses, die hier heute zur Abstimmung gestellt wird, beweist dieses. Wie ist nun die Situation der deutschen Seehäfen im Vergleich zu den Rheinmündungshäfen? Es gibt keine wesentlichen Unterschiede bei der Infrastruktur der Häfen; eher haben wir leichte Vorteile für die deutschen Häfen, was die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft anlangt. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer höheren Lade- und Löschsicherheit. Es gibt allerdings beträchtliche natürliche Vorteile für die Rheinmündungshäfen; Stichworte: geographische Lage, direkter Rheinanschluß. Dieses läßt sich durch nichts ausgleichen, allenfalls durch erhebliche Subventionen, die bei uns sicherlich nicht in Rede stehen können. Wir können aber den ungleichen ordnungspolitischen Rahmen, d. h. die künstlichen Vorteile für die Rheinmündungshäfen, beseitigen. Wir haben das Problem, daß wir einerseits liberale Regelungen im grenzüberschreitenden Verkehr, andererseits aber eine kontrollierte Wettbewerbsordnung für die nationalen Hinterlandverbindungen der deutschen Seehäfen haben. Das heißt, hier binnenländisch 8,5 % Tarifmarge, dort 23 % und demnächst sogar 30 %. Hier haben wir eine starre Kontingentierung der Konzessionen im Straßengüterverkehr, dort haben wir eine liberale Konzessionsregelung, teilweise sogar Konzessionsfreiheit. Hier haben wir höhere Mineralöl- und Kfz-Steuer, dort haben wir eine wesentlich niedrigere steuerliche Belastung des Lkw. Hier haben wir hohe Kanalgebühren und feste Tarife für die Binnenschiffahrt, dort haben wir Abgabefreiheit und eine freie Frachtenbildung für die Rheinschiffahrt. Daraus - und das überrascht nicht - resultieren erhebliche Preisunterschiede für den Im- und Export der gleichen Waren vom und zum gleichen Quell- bzw. Zielort einerseits über einen deutschen Seehafen und andererseits über einen Rheinmündungshafen von zum Teil mehr als 200 % . ({0}) Futtermittel von Rotterdam nach Osnabrück 11 DM/t, von Hamburg nach Osnabrück 23,74 DM/t bei annähernd gleicher Entfernung! Meine Damen und Herren, dies ist doch heller Wahnsinn! Welcher Hafen in unserem Lande soll das eigentlich noch erwirtschaften? Etwa Hamburg, wohin man von Rotterdam mit dem Schiff noch einen Tag länger fahren muß? Ich glaube, das ist keine realistische Erwartung. Was sind die Auswirkungen? Erhebliche Verkehrsverluste der deutschen Seehäfen 1983, nunmehr schon im vierten aufeinanderfolgenden Jahr. Fischer ({1}) Wir haben 1983 einen Rückgang des Gesamtumschlags der zwölf bedeutendsten deutschen Seehäfen um 8,2 % zu verzeichnen. Es gibt deutliche Verlagerungen von den deutschen Nordseehäfen zu den Rheinmündungshäfen bei den Importen. Mengenmäßig ist die Entwicklung seit 1980 extrem ungünstig. Wertmäßig ist sie dies bereits seit 1978. Seit zwei Jahren werden wertmäßig mehr Güter über ausländische Häfen als über deutsche Seehäfen in unser Land importiert. Ich meine, dies macht deutlich, wie die Lage ist. Was kann getan werden? Der Herr Bundesverkehrsminister hat in seinem Ministerium dankenswerterweise einen Arbeitskreis Seehafen-Hinterlandverkehr unter Vorsitz des Bundesverkehrsministeriums eingesetzt. Daran haben außer dem Ministerium die Länderverkehrsverwaltungen, insbesondere die Hafenverwaltungen, die Industrie- und Handelskammern der betroffenen Regionen und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe mitgewirkt. Dabei sind insgesamt vier Vorschläge herausgekommen. Erstens nenne ich im Eisenbahnverkehr die Freistellung der Deutschen Bundesbahn von der Einzelgenehmigungspflicht für Tarife für den Seehafenverkehr mit Außenhandelsgütern. Das ist, weil dafür allein das Bundesverkehrsministerium zuständig ist, bereits am 1. Januar 1984 in Kraft getreten. Ferner nenne ich den Vorschlag, im Straßengüterverkehr die Margenregelung des grenzüberschreitenden Verkehrs für den Hinterlandverkehr zu übernehmen; außerdem geht es um eine Anpassung der Voraussetzungen für den Abschluß von Sonderabmachungen an die liberaleren EG-Regelungen. Dieses wollen wir im geltenden gesetzlichen Rahmen freiwillig erreichen. Wenn das nicht machbar ist, muß das Güterkraftverkehrsgesetz entsprechend geändert werden. In das Binnenschiffsverkehrsgesetz muß möglicherweise für diesen Verkehrssektor auch per Gesetzesänderung das Institut der Sonderabmachungen in das Preissystem entsprechend der Regelung im Straßengüterverkehr eingeführt werden. Diese Vorschläge haben bisher beim Transportgewerbe noch keine einhellige Unterstützung erfahren. Es gibt einige hoffnungsvolle Ansätze im Straßengüterverkehr für eine einfachere und flexiblere Gestaltung der Containertarifierung. In der Binnenschiffahrt hat man für Importkohle die Tarife um 10% gesenkt und zusätzlich eine Marge von 5 % eingeführt. Möglicherweise wird dies demnächst für Futtermittel und Getreide folgen. Wir sagen sehr deutlich: Wir erwarten die weitere konstruktive Mitarbeit des Verkehrsgewerbes und wirksame Ergebnisse. Wenn es kein freiwilliges Entgegenkommen gibt, werden die angekündigten Gesetzesänderungen unumgänglich sein. Das hat der Bundesverkehrsminister eindeutig und unmißverständlich gesagt. Der Verkehrsausschuß wird die Entwicklung des Wettbewerbs unserer Häfen mit den EG-Häfen sorgfältig weiter beobachten. Dazu wird nach Annahme unserer Entschließung der Bundesverkehrsminister zum 1. Januar 1985 einen Bericht vorlegen müssen. Eingehend werden wir die möglichen nationalen Gegenmaßnahmen demnächst auf Grund einer BMV-Vorlage erörtern. Wir sagen aber schon jetzt: Eine weitere Erhöhung der Freimengen, wie von Frankreich gewünscht, gibt es bei uns nicht, jedenfalls nicht mit unserer Zustimmung. Wir meinen auch, bei einer Öffnung der Grenze zu Benelux darf es nicht zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten unserer Seehäfen kommen. Chancengleichheit für die deutschen Seehäfen entscheidet über das Schicksal von etwa 400 000 direkt hafenabhängigen Arbeitsplätzen in den deutschen Seehäfen und über etwa eine Million Arbeitsplätze mit Hafenverbundenheit in unserem Land, Arbeitsplätze in der Küstenregion, in den norddeutschen Seehäfen, deren wirtschaftliche Situation und damit deren Arbeitsmarkt sich ständig und dramatisch verschlechtert. Dies ist eine Entwicklung, die auch ein langjähriger Hamburger SPD-Kanzler mit Lotsenmütze nicht verhindert hat. Die SPD hat den Zustand über lange Jahre tatenlos hingenommen, daß der Wettbewerb zu Lasten unserer Häfen immer mehr verzerrt wurde. ({2}) Ich habe die Hoffnung, daß Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem Debattenbeitrag etwas Klügeres einfällt als der abgedroschene Spruch: Die Bundesregierung muß endlich etwas tun. - Nein, meine Damen und Herren, dieses Problem gehört zu den Aufräumungsarbeiten. Diese müssen jetzt zugunsten der Betroffenen erledigt werden. Ich bitte Sie und fordere Sie auf, daran weiter konstruktiv mitzuwirken. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hettling.

Ludwig Hettling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000890, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verkehrsausschuß ist die hier zur Beratung anstehende Entschließung einmütig, fast einstimmig verabschiedet worden. Insofern gibt es keine wesentlichen Unterschiede in der Beurteilung der Problematik. Ich werde aber für meine Fraktion einige wesentliche Auswirkungen der Benachteiligungen der deutschen Seehäfen im grenzüberschreitenden Hinterlandverkehr gegenüber Rotterdam und Antwerpen darstellen. Daraus ergibt sich dann die dringende Notwendigkeit der unverzüglichen Beseitigung der Diskriminierung der deutschen Seehäfen im Hinterlandverkehr. Zunächst aber einige Bemerkungen zu der Entschließung des Europäischen Parlaments. Diese weist mit Recht auf die bisherige Untätigkeit der EG-Kommission bei der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen für die Seehäfen innerhalb der EG hin und fordert die Kommission auf, im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik die Interessen der Seehäfen zu vertreten und alle Diskriminierungen im Hinterlandverkehr zu beseitigen. Das Problem ist, daß wir im nationalen Bereich starre Tarife und im grenzüberschreitenden Bereich flexible Tarife haben. Aber auch die unterHettling schiedliche Situation bei den Steuern und Gebühren spielt eine wesentliche Rolle, wie hier auch schon ausgeführt worden ist. Ich möchte neben den Beispielen, die eben angesprochen worden sind, noch einige andere sehr klar darstellen. Im Binnenschiffbereich wird im Import beim Futtermitteltransport eine Größenordnung von ungefähr zwei Millionen Tonnen jährlich erreicht. Es ist ein Kuriosum, daß für die Strecke von Rotterdam nach Bramsche bei 496 km 11,50 DM für die Tonne genommen werden, aber beim Transport über Bremen nach Bramsche bei nur 239 km 13 DM. Das heißt: bei doppelter Entfernung trotzdem noch 1,50 DM pro Tonne billiger über Rotterdam. Das ist eine widersinnige Tarifsituation innerhalb der EG. Beim Lkw-Transport besteht eine ähnliche Situation. Dort haben wir bei Verladung von Bochum nach Bremen bei 239 km 1 271 DM als Tarif und von Bochum nach Rotterdam bei 238 km 911 DM als Tarif. Das bedeutet einen Unterschied von 360 DM oder 28 %. Genauso sieht es aus, wenn man bei der Strecke von Stuttgart nach Bremen bei 618 km 2 378 DM und von Stuttgart nach Rotterdam bei 614 km 1 759 DM als Tarif bezahlt und damit eine Differenz von 620 DM oder 26 % hat. Das bedeutet in diesen Fällen bei gleicher Kilometerleistung eine wesentlich günstigere Tarifsituation für Rotterdam. Umgekehrt ist der gleiche Preis z. B. für die Strecke von Göttingen nach Bremen und die Strecke von Göttingen nach Rotterdam zu zahlen. In diesem Fall wird für die doppelte Transportstrecke nach Rotterdam fast der gleiche Preis gezahlt, nämlich nach Bremen 1 019 DM und nach Rotterdam 1 037 DM. Damit aber nicht genug. Wir haben eben schon gehört - und ich kann das nur bestätigen -, daß die Tarifspannen im grenzüberschreitenden Verkehr, deren Unterschiede heute bis zu 23 % betragen, nun sogar bis zu 30 % unterschiedlich sein sollen. Das bedeutet eine nochmalige Benachteiligung der deutschen Seehäfen in ihrem Hinterlandverkehr. Bei der Bundesbahn gab es eine ähnliche Situation. Zum Glück ist ab 1. Januar die Möglichkeit einer flexibleren Preisgestaltung gegeben. Aus dieser Situation heraus ist es notwendig, die von den Küstenländern gemachten Vorschläge zur Beseitigung der diskriminierenden Unterschiede von Frachtraten für die Seehäfen bei Lkw- und Binnenschiffsverkehr unverzüglich zu realisieren - so, wie sie in dem gemeinsamen Arbeitskreis der Küstenländer und des Bundesverkehrsministers beschlossen wurden -, damit diese Diskriminierung der deutschen Seehäfen kurzfristig beseitigt werden kann. Ich möchte noch ein paar Zahlen zur Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze in den deutschen Seehäfen nennen. 1964 hatten wir z. B. in Hamburg 16 200 Beschäftigte im Hafen, Ende 1983 waren es nur 10 200. In Bremen waren es 1964 8 500 und Ende 1983 5 500. Das heißt, zwischen 35 und 37 % der Arbeitsplätze wurden vernichtet. Daran ist nicht unwesentlich die Benachteiligung im Hinterlandverkehr schuld. Wir sind der Auffassung, daß auch die übrigen schon aufgezeigten Benachteiligungen sofort beseitigt werden müssen. Ich möchte auch die Zahlen bei der Kraftfahrzeugsteuer darstellen. In der Bundesrepublik muß für einen 30-Tonner 9 365 DM an Steuern bezahlt werden, in Holland nur 3 760 DM. Die Mineralölsteuer beträgt in der Bundesrepublik über 41 Pfennig pro Liter, in Holland 17 Pfennig. Allein aus diesen Zahlen kann man die weitere Benachteiligung ersehen. Die aufgeführten Fakten zeigen sehr deutlich die Probleme des Hinterlandverkehrs auf. Wir begrüßen daher die Entschließung und stimmen ihr ausdrücklich zu. Wir sind aber skeptisch - das will ich hier sehr deutlich anmerken -, ob die Bundesregierung bereit ist, diese gemeinsamen Positionen nun auch zügig umzusetzen, damit die Entschließung inhaltlich realisiert wird. In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß wir jetzt zwar darüber beraten, Benachteiligungen abzubauen, daß aber ab 1. Juli 1984 die Freimengenregelung im grenzüberschreitenden Verkehr von 50 auf 200 1 ausgedehnt werden soll. Dies ist eine wesentliche Benachteiligung, die hier von Herrn Kohl und Herrn Stoltenberg - dabei hätte Herr Stoltenberg eigentlich wissen müssen, welches die Probleme an der Küste sind - gegen den Bundesverkehrsminister durchgesetzt worden ist. Wenn diese Freimengenregelung am 1. Juli in Kraft tritt, bedeutet das für die Küste - so ist ausgerechnet worden -, daß ca. 15 des Stückgutes an die Westhäfen, d. h. Rotterdam und Antwerpen abfließen, absolut: ca. 4,2 Millionen t. Es ist auch ausgerechnet worden, daß, wenn dies einträte, ca. 2 400 Arbeitsplätze in Hamburg und in Bremen gefährdet wären. Darüber hinaus ist es so, daß auch die Bundesbahn bei einer solchen Situation, wie sie ab 1. Juli gegeben sein wird, fast 2,6 Millionen t im Stückgutverkehr verlieren würde. Auch Steuerausfälle in Höhe von 300 Millionen DM sind die Folge einer solchen Politik. Vor diesem Hintergrund, meine ich, ist unsere Skepsis begründet, ob das, was wir mit dieser Entschließung im Hinblick auf die Gleichstellung der deutschen Seehäfen mit den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen im Wettbewerb erreichen wollen, von der Bundesregierung auch mit Macht durchgesetzt wird. In der Entschließung wird die Bundesregierung aufgefordert, alle Diskriminierungen abzubauen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung den Auftrag der Entschließung, wie er unter den Ziffern 3a und 3b niedergelegt ist, erfüllt und insbesondere kurzfristig umsetzbare Lösungen vorschlägt, die die Wettbewerbsbenachteiligungen der deutschen Seehäfen beseitigen. Und um das abschließend klarzustellen: Wir fordern für die deutschen Seehäfen keine Sonderbehandlung oder Subvention, sondern gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen. Diese aber fordern wir von der Bundesregierung mit allem Nachdruck und unverzüglich. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Europäische Parlament hat im März 1983 eine Entschließung angenommen, in der die EG-Kommission aufgefordert wird, den Seehäfen größere Beachtung als bisher zu schenken und besonders bei allen ihren Vorschlägen zur gemeinsamen Verkehrspolitik deren Auswirkungen auf den Wettbewerb der Häfen untereinander stärker als bisher zu berücksichtigen. Leider ist die Harmonisierung beim SeehafenHinterlandverkehr nicht so weit fortgeschritten, daß von einem lauteren Wettbewerb zwischen den Seehäfen gesprochen werden kann. Mein Freund Martin Bangemann, Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europäischen Parlament, hat seinerzeit in der Diskussion des Europäischen Parlaments zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bemühungen der Gemeinschaft fortgesetzt werden müssen, um ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu beseitigen. Worum geht es nämlich? Wir haben es mit einem gespaltenen Verkehrsmarkt zu tun. Die deutschen Nordseehäfen sind gegenüber den Rheinmündungshäfen im Wettbewerb durch unterschiedliche Rahmenbedingungen benachteiligt. Für die deutschen Seehäfen gelten für den Zu- und Ablaufverkehr die Regelungen für den Binnenmarkt, auch wenn es sich um Außenhandelsverkehre handelt. Die deutsche Verkehrsmarktordnung verteuert den Hinterlandverkehr gegenüber den belgischen und niederländischen Konkurrenzhäfen. Für die Rheinmündungshäfen gelten hingegen die freizügigeren und preisgünstigeren Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft für den grenzüberschreitenden Verkehr. Die Zahlen sind j a vorhin schon genannt worden. Die Küstenländer und die Seehäfen beklagen deshalb schon seit langem mit Recht die Wettbewerbsverzerrungen durch die unterschiedlichen Ordnungsrahmen im grenzüberschreitenden Verkehr - „grüne Grenze" - einerseits und im Außenhandelsverkehr über die deutschen Seehäfen - „blaue Grenze" - andererseits. Während im grenzüberschreitenden Verkehr größere Flexibilität in der Preisbildung besteht, also eine größere Margenbreite bei Straßengütertarifen und eine freie Frachtenbildung bei der Binnenschiffahrt gegeben sind, gilt im Hinterlandverkehr der deutschen Seehäfen die nationale Verkehrsmarktordnung mit geringeren Margen im Straßengüterverkehr und mit festgelegten Tarifen in der Binnenschiffahrt. Die deutschen Seehäfen führen ihre Umschlageinbußen in den letzten Jahren auch auf diese Wettbewerbsverzerrungen zurück. Der Arbeitskreis Seehafen-Hinterlandverkehr beim Bundesverkehrsministerium hat deshalb Vorschläge erarbeitet, die auf eine behutsame Anpassung des Systems staatlich administrierter Preise an die flexibleren Regelungen im grenzüberschreitenden Güterverkehr abzielen. Diese Vorschläge wurden im Dezember 1983 mit den Betroffenen diskutiert. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung beschlossen hat, für das Jahr 1984 die Deutsche Bundesbahn für den Seehafenverkehr mit Außenhandelsgütern vom Einzeltarifgenehmigungsverfahren freizustellen und ihr damit eine größere Preisflexibilität einzuräumen. Die Liberalen unterstützen die Bundesregierung darin, durch Verhandlungen mit dem Straßengüterverkehrsgewerbe und dem Binnenschiffahrtsgewerbe eine optimale Ausnützung der Möglichkeiten einer flexibleren Tarifgestaltung innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens zu erreichen. Die Betonung liegt hierbei auf „innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens". Wir danken dem deutschen Straßengüterverkehrsgewerbe und der deutschen Binnenschiffahrt für ihre aufgeschlossene Haltung in dieser Frage und hoffen auf weitere Ergebnisse über die Maßnahmen für den Importkohleverkehr bei der Binnenschiffahrt hinaus. Die Bedeutung, die wir diesen Problemen beimessen, kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir die Bundesregierung auffordern, dem Verkehrsausschuß zum 1. Januar 1985 einen Erfahrungsbericht über die weitere Entwicklung des Seehafen- Hinterlandverkehrs vorzulegen. An der Küste kann man sich auf uns Liberale auch in Zukunft verlassen. Deshalb, meine Damen und Herren, wird die FDP-Fraktion im Interesse der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Nordseehäfen der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zustimmen. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/1151 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen in der Fraktion der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat - Drucksachen 10/202, 10/1148 Berichterstatter: Abgeordneter Bayha Vizepräsident Westphal Das ist debattenmäßig unsere letzte Runde heute. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Es erhebt sich dagegen kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Herr Bayha, ich höre, Sie wünschen das Wort zur Berichterstattung und möchten anschließend in der Debatte sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie selbst darauf aufmerksam machen, wenn Sie von der Berichterstattung zu Ihrem Beitrag als Fraktionssprecher übergehen. - Sie haben das Wort, Herr Bayha.

Richard Bayha (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000120, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß ich zunächst als Berichterstatter das Wort ergreife, ist auch deshalb notwendig, weil eine Berichtigung angebracht werden muß; dies ist auch mit der Antragstellerin abgesprochen. Im übrigen wird der Beitrag, den ich anschließend für die Fraktion zu leisten habe, sehr kurz sein. Der am 26. Juni 1983 gestellte Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN wurde in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. September 1983 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit überwiesen. Der Innenausschuß hat die Vorlage am 26. Oktober 1983 beraten und mehrheitlich beschlossen, dem federführenden Ausschuß zu empfehlen, die Bundesregierung aufzufordern, die rechtliche Situation mit dem Ziel zu prüfen, möglichst bald zu einem Anwendungsverbot paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik zu gelangen. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 24. November 1983 unter Ablehnung eines sofortigen Anwendungsverbots für Paraquat mehrheitlich beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, erstens zu veranlassen, daß zusätzlich zu dem Anhörungsverfahren zu Paraquat im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung des für ein Verbotsverfahren zuständigen Sachverständigenausschusses bei der Biologischen Bundesanstalt für Land-und Forstwirtschaft durchgeführt wird, und zweitens danach zu prüfen, inwieweit die Zulassung des Herbizidwirkstoffs Paraquat, der hauptsächlich unter den Handelsnamen Gramoxone und Reglone auf dem Markt ist, sofort aufgehoben werden muß. Hier muß ich eine Richtigstellung anbringen. Das Produkt Reglone stammt nicht aus dem Wirkstoff Paraquat, sondern aus dem Wirkstoff Diquat. Es ist offenbar irrtümlich oder aus Unkenntnis hier her-eingeraten. Damit nicht ein falsches Mittel verboten wird, möchte ich dies hier auch in Übereinstimmung mit der Antragstellerin richtigstellen. Der federführende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten diskutierte den Antrag zunächst in seiner Sitzung am 9. November 1983 und ließ sich dann am 25. Januar 1984 über Paraquat bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Berlin informieren. In seiner Sitzung am 22. Februar 1984 war der Ausschuß einmütig der Auffassung, daß die Vorlage in der ursprünglichen Fassung erledigt sei. Das Ausschußmitglied der Fraktion DIE GRÜNEN modifizierte dann den Antrag zu dem Ersuchen an die Bundesregierung, a) ein sofortiges Anwendungsverbot für Paraquat zu erlassen und b) darauf hinzuwirken, daß die Restbestände an Paraquat umgehend umweltverträglich vernichtet würden. ({0}) Das Anwendungsverbot wurde daraufhin mehrheitlich, der Antrag im übrigen gegen die Stimme der Antragstellerin einmütig abgelehnt. Daraufhin fand die nunmehrige Beschlußempfehlung einmütig die Billigung des Ausschusses. Die Antragsteller verfolgten ein Ersuchen an die Bundesregierung, zum einen darauf hinzuwirken, daß die Zulassung des Herbizidwirkstoffs Paraquat, der hauptsächlich unter dem Handelsnamen Gramoxone auf dem Markt sei, aufgehoben werde, und zum anderen zusätzlich zu dem bereits angesetzten Anhörungsverfahren zu Paraquat im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung des für ein Verbotsverfahren zu errichtenden Sachverständigenausschusses bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft anzuberaumen. Die Antragsteller sind der Auffassung, der Wirkstoff sei im Boden hochpersistent und baue sich dort praktisch nicht ab. Nach Sättigung des Bodens mit Paraquat sei auf den verseuchten Flächen auf nicht absehbare Zeit ein Pflanzenwachstum nicht mehr möglich. Zudem werde der stark giftige Wirkstoff, für den es kein Gegenmittel, kein Gegengift gebe, als Selbstmordmittel mißbraucht. Überdies könne eine Vergiftung bei Arbeiten mit dem verseuchten Bodenmaterial schon durch die Aufnahme auf die Haut erfolgen. Bei den Beratungen im Ausschuß stellte sich heraus, daß sich der Antrag durch Maßnahmen der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft erledigt hat. Bei den am Jahresende 1983 auslaufenden Pflanzenschutzmitteln hat die Bundesanstalt eine erneute Zulassung abglehnt, so daß diese Mittel zur Zeit nicht mehr vertrieben werden dürfen. Bei den nach Ende 1983 auslaufenden Mitteln hat die Bundesanstalt die Zulassungen widerrufen. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs hat die Bundesanstalt jedoch mangels Gefahr im Verzuge nicht angeordnet. Infolge Rechtsmitteleinlegung durch die betroffenen Unternehmen sind hier die Widerrufe noch nicht rechtskräftig. Es hat sich bei den Beratungen herausgestellt, daß diese Nichtverlängerungen der Zulassung und die Widerrufe nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind, nicht aber in anderen Ländern, in denen paraquathaltige Pflanzenschutzmittel gleichfalls vertrieben werden. Das Bundesgesundheitsministerium hat für den Bereich seiner Zuständigkeit - Abwehr von Gesundheitsgefährdungen von Mensch und Tier - gegen die Weiterzulassung der paraquathaltigen Mittel keine Bedenken erhoben. Durch die Maßnahmen der Bundesanstalt waren die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse in der abschließenden Beratung überholt. Zudem sollen inzwischen andere Mittel mit ähnlichem Wirkungsspektrum ohne ungünstige Abbaueigenschaften im Boden der Bundesanstalt zur Prüfung vorgelegt worden sein. Unter diesen Umständen und im Hinblick auf mögliche oder anhängige Verwaltungsstreitverfahren hat der Ausschuß den ursprünglichen Antrag für erledigt erklärt und davon abgesehen, die Bundesregierung zu einem sofortigen Anwendungsverbot für Paraquat aufzufordern und zur Anordnung der umweltverträglichen Vernichtung der Restbestände zu drängen. Hinzu kommt, daß nach der Frühjahrsbestellung 1984 die Restbestände ohnehin verbraucht sein werden und überdies deren Vernichtung in der Praxis kaum kontrollierbar wäre. Die Verwaltungsstreitverfahren werden erweisen, ob die von der Bundesanstalt behauptete Dauergefährdung der Böden durch Paraquat zutrifft. Einmütig hielt es der Ausschuß für erforderlich, daß die Bundesregierung die anhängigen Verwaltungs-streitverfahren beobachten und dem Ausschuß hierüber Bericht erstatten soll, wenn dies notwendig ist. Diese Auffassung des Ausschusses hat in der einmütigen Beschlußempfehlung ihren Niederschlag gefunden. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bittet den Deutschen Bundestag daher, den Antrag nach Maßgabe der Beschlußempfehlung anzunehmen. Meine Damen und Herren, noch einige kurze Anmerkungen seitens der CDU/CSU-Fraktion: Die Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik ist damit widerrufen, weil sich nach Untersuchungen der Biologischen Bundesanstalt in Berlin herausgestellt hat, daß dieses Präparat im Boden auf viele Jahre hinaus - so muß man es nämlich betrachten - nahezu keinem Abbau unterliegt. Nach Auffassung der Wissenschaftler in der Bundesanstalt besteht insbesondere Unsicherheit, ob auf Sand- und Moorböden bei weiterer Behandlung in Zukunft Pflanzenschäden auszuschließen sind. Paraquathaltige Präparate werden in der Landwirtschaft weltweit als Unkrautbekämpfungsmittel, insbesondere im Obst- und Weinbau eingesetzt. Diese Mittel haben den Vorzug, daß andere Kulturpflanzen sofort wieder nachgebaut werden können, was bei vergleichbaren Mitteln bisher problematisch war. Außerdem ist Paraquat giftig, und es gibt im Gegensatz zu anderen herbizid wirkenden Stoffen kein Gegengift. Allerdings sind die Mittel durch abschreckenden Geruch sehr stark vergällt, und sie sind auch entsprechend gekennzeichnet, damit Unfälle vermieden werden. Eine Anhörung beim Bundesgesundheitsamt im Sommer des letzten Jahres hat ergeben, daß jährlich ca. 20 Paraquat-Unfälle in der Bundesrepublik geschätzt werden, diese seien aber, wie gesagt wird, nach sehr vagen Schätzungen überwiegend Selbstmordfälle. Die in den landwirtschaftlichen Betrieben noch vorhandenen Mittel können aufgebraucht werden, weil nach Auffassung der Biologischen Bundesanstalt hier in der Tat keine Gefahr im Verzuge ist. Es dürfte auch sicher sein, daß in der Zwischenzeit der größte Teil der noch bei den Landwirten vorhandenen Bestände aufgebraucht ist. Ich glaube, das ist wohl auch die beste Vernichtung und die sicherste Vernichtung. Ich empfehle auch seitens der CDU/CSU-Fraktion Annahme der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bayha hat dankenswerterweise sehr ausführlich über die Geschichte dieses Antrages und seine Erfüllung berichtet. Ich möchte deshalb versuchen, ein paar Dinge zu sagen, die für den Wirkstoff Paraquat, seine Zulassung und sein Verbot eigentlich beispielhaft sind. Es gibt eine ganze Reihe von Mitteln, die eigentlich zum Nutzen der Menschheit erfunden worden sind, bei denen sich aber manchmal herausstellt, daß sie ihr dann doch schaden. Die Frage, wie viele Menschen die Erde ernähren kann, ist jahrhundertealt und ist von vielen diskutiert worden. Jede Form von Landwirtschaft, die gezielt zur besseren Versorgung der Menschen mit Nahrung betrieben wird, ist ein Eingriff in die Natur und bewirkt Veränderungen. Aber erst in diesem Jahrhundert hat der Einsatz chemischer Mittel als Düngemittel, als Pflanzenbehandlungsmittel so tiefe und schnelle Wirkungen mit so unkalkulierbaren risikoreichen Folgen erreicht. Die Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie", die vom BML eingesetzt worden war, stellt zum Problembereich Pflanzenbehandlungsmittel fest - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ({0}) - okay, ich habe nichts dagegen -: Trotz einer großen Zahl von Rechtsvorschriften, die die Herstellung, den Verkehr und den Umgang mit Pflanzenbehandlungsmitteln regeln, sind mit der Anwendung chemischer Pflanzenbehandlungsmittel noch erhebliche Risiken verbunden. Rückstände von Pflanzenbehandlungsmitteln in inländischen pflanzlichen Produkten stellen keine akute Gesundheitsgefährdung dar, weil, die mit hohen Sicherheitsspannen festgelegten Grenzwerte nur in wenigen Fällen überschritten werden. Die wenigen Fälle allerdings können gefährlich sein. Darauf bitte ich zu achten. Diese Überschreitungen sind in der Regel auf unsachgemäße Anwendung der Pflanzenbehandlungsmittel zurückzuführen. Trotzdem besteht auch bei den Nahrungsmitteln ein GeFrau Weyel fährdungspotential durch Pflanzenbehandlungsmittel über deren mögliches Zusammenwirken untereinander oder mit anderen Schadstoffen auf Grund eventueller Langzeiteffekte. Damit wird aber schon eines deutlich: Die Zulassungsvoraussetzungen nach dem Pflanzenschutzgesetz gehen immer wieder von der bestimmungsgemäßen und sachgerechten Anwendung der Mittel aus. Nur dann sollen schädliche Auswirkungen für die Gesundheit von Mensch und Tier ausgeschlossen sein. ({1}) - Sicher gilt das auch für den Alkohol. Aber es ist ja auch erlaubt, öffentlich darüber zu sprechen, daß Alkohol gesundheitsgefährdend ist. Man sollte genauso öffentlich darüber sprechen, daß auch der Umgang mit genehmigten Pflanzenschutzmitteln gesundheitsgefährdend sein kann. ({2}) Es ergeben sich aber eine ganze Reihe weiterer Fragen. Wer garantiert eigentlich für die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung der Pflanzenbehandlungsmittel? Ich habe in der letzten Woche bei der Agrardebatte Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, daß der Ausbildungsstand gerade bei Nebenerwerbslandwirten nicht immer der allerbeste ist und sich daraus eben gewisse Zweifel an der sachgerechten Anwendung ergeben. ({3}) Weitere Frage: Was sind eigentlich „sonstige Auswirkungen"? Wie wirkt das Mittel auf Boden und auf Gewässer? Wie sieht es mit Rückständen aus? Sind sie zu finden? Wo sind sie zu finden? Wie lange sind sie zu finden? Ist das Problem der Anreicherung im Boden wie im Fall Paraquat überhaupt genügend überprüft? Schließlich: Was geschieht eigentlich, wenn diese Mittel in Entwicklungsländern angewendet werden? Welche Risiken des Rückimports von Schadstoffen in Nahrungsmitteln aus diesen Entwicklungsländern gehen wir eigentlich ein, wenn wir diese Mittel gerade in Entwicklungsländer exportieren? Andererseits ist bei dem Verfahren der Zulassung und des Verbots der Pflanzenbehandlungsmittel die Ausweitung der Bürokratisierung nicht zu übersehen. Je sicherer wir gehen wollen, desto mehr Bürokratie. Die Abstimmung zwischen Bundesgesundheitsamt, Biologischer Bundesanstalt und Umweltschutzamt ist Sicherheit und Hindernis zugleich. Wir sollten auch einmal zugeben, daß in diesem Bereich eine gewisse Menge Bürokratie gar nicht zu umgehen ist und daß die Zeit, die dafür aufgewendet wird, natürlich für andere Aufgaben dieser Anstalten verlorengeht. ({4}) Ich möchte das einmal - Herr Bayha hat es schon ausgeführt - gerade an der Geschichte dieses Paraquat-Antrags, der im Juni gestellt wurde, deutlich machen. Er wurde im Herbst erstmals behandelt. Im Januar haben wir sozusagen den ersten Teil erfüllt, indem wir bei der Biologischen Bundesanstalt waren und uns noch einmal angehört haben, was mit dem Mittel los ist. Dann haben wir den Antrag noch einmal im Ausschuß beraten, und heute haben wir ihn hier im Plenum, um zu beschließen. Der Witz der Sache ist nur: Das Mittel ist praktisch am 31. Dezember 1983 verboten worden. ({5}) - Nun können wir sagen: um so besser. Aber ich möchte einmal darauf aufmerksam machen: Was wäre denn, wenn er so behandelt worden wäre, wie es von Ihrer Fraktion im Ausschuß in der ersten Sitzung beantragt wurde, nämlich die Bundesregierung zu bitten, einen Bericht bis zum Mai dieses Jahres vorzulegen? Was wäre, wenn es sich um ein Mittel handelte, bei dem das Hauptgefahrenpotential nicht in der Bodenanreicherung läge, sondern in unmittelbaren Gefährdungen von Mensch, Tier oder - von mir aus - Gewässern? ({6}) Wir sind uns j a im Grunde genommen alle einig darüber, daß zum Schutz des Bodens etwas getan werden muß. Wir haben alle gemeinsam wunderschöne Erklärungen verabschiedet. In allen diesen Erklärungen steht, daß ein Bodenschutzprogramm erstellt werden soll. Ich wollte bei dieser Gelegenheit nur noch einmal darauf aufmerksam machen - auch Sie haben das, bitte schön, sowohl beantragt als auch beschlossen -, daß man nun vielleicht auch einmal Schritte unternehmen sollte, das in die Realität umzusetzen. Denn es wird eigentlich Zeit, daß man beim Umweltschutz nicht nur von der Luftverschmutzung redet, sondern Boden und Gewässer mit derselben Ernsthaftigkeit und möglichst mit einer etwas höheren Geschwindigkeit einbezieht. ({7}) Ich möchte dazu nur noch ein paar bescheidene Anregungen geben. Vor Jahren wurde von der Biologischen Bundesanstalt ein Programm für eine Pilotstudie erstellt. Danach sollte über die Bundesrepublik ein Raster gelegt werden, durch das der IstZustand und Veränderungen bezüglich der Rückstände der Pflanzenbehandlungsmittel ermittelt werden. Ich möchte vorschlagen, daß die Bundesregierung nach den Ankündigungen, die sie im letzten Jahr getroffen hat, doch einmal darangeht, dieses Programm zu realisieren, gerade in einer Zeit, wo das Bewußtsein für die Notwendigkeit des Umweltschutzes sehr stark gestiegen ist. Schließlich sollte man auch darangehen, ernsthaft Schritte zur Minderung des Einsatzes von Pflanzenbehandlungsmitteln zu tun. Auch hierzu gibt dieses Aktionsprogramm eine ganze Menge Hinweise. Ich möchte nur einige Dinge einmal in den Raum stellen, damit das nicht immer so klingt, als würde damit alles auf einmal vernichtet. Schlimm wäre es tatsächlich, wenn jemand versuchen würde, mit einem Schlag alle chemischen Behandlungsmittel abzusetzen; denn die natürlichen Mittel gegen verschiedene Schädlinge sind inzwischen durch die Art der Bewirtschaftung so stark zurückgegangen, daß das wahrscheinlich tatsächlich eine größere Katastrophe wäre. ({8}) - Ich nehme an, daß im Ministerium zumindest ein Mensch sitzt, der das liest. ({9}) - Vielleicht sind Sie so freundlich, zuzuhören. Sie möchten doch alle gerne nach Hause gehen. Dann lassen Sie mich den letzten Satz noch sagen. Dann können Sie ein bißchen früher zum Essen gehen, oder was Sie sonst noch vorhaben. ({10}) Vielleicht darf ich trotzdem noch einmal darauf aufmerksam machen, daß es durchaus Möglichkeiten gibt: vorbeugende Kulturmaßnahmen, ein stärkeres Zurückgreifen auf solche Dinge wie Fruchtwechsel, wie resistente Sorten, eine Einschränkung der Überdüngung - die zwar immer bestritten wird, aber trotzdem teilweise vorkommt -, eine stärkere Einsetzung biologischer Bekämpfungsmaßnahmen, die es auch gibt, eine Verbesserung der Ausbringungsverfahren, die gezielter den Schädling bekämpft und weniger andere Pflanzen mit beeinträchtigt usw. Ich glaube, hier ist ein weites Feld eröffnet, in dem die Regierung deutlich machen kann, daß ihre Umwelterklärungen ernst gemeint werden. Wir werden sie bei solchen Unternehmen ganz sicher unterstützen. Danke schön. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, dem Präsidenten war schon vorher aufgefallen, daß das zuständige Ministerium nicht vertreten ist. Ich war darüber etwas erstaunt. Ich hatte ein bißchen Zeit gelassen, weil wir etwas vor der geplanten Zeit mit diesem Tagesordnungspunkt begonnen haben. Zwei Redner haben in dieser Debatte schon gesprochen. Nun muß man wohl kritisieren, daß ein Haus, das noch dazu zwei parlamentarische Staatssekretäre hat, hier überhaupt nicht vertreten ist. ({0}) Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht jedes Ding ist das, was es zu sein scheint. Von dem Wirkstoff, über den wir hier heute reden, wird nach der Werbung der Industrie, die es herstellt - der Weltfirma ICI -, in dieser Glanzbroschüre angekündigt, daß er der Sicherheit dient, der menschlichen Gesundheit und - man höre und staune - der Umwelt. Das ist der Titel. Dieses Mittel, das es im Handel unter den Namen Duanti, Gramoxone und Teraklone gibt, ist in den letzten Jahren in der Bundesrepublik in einer Menge von 380 t verkauft worden. Damit Sie sich den Umfang vorstellen können: Damit kann man 100 000 ha Land spritzen. Es wurde vorwiegend eingesetzt in der Forstwirtschaft, im Kartoffelanbau, im Weinbau und auch in Kleingärten. Jährlich gab es auf Grund von Vergiftungen mit diesem Mittel nicht 20 Unfälle, sonden 30 Tote. Und man muß dazu sagen, daß der Tod infolge von Vergiftung mit diesem Pflanzenschutzmittel eine der menschenunwürdigsten Arten von Sterben war, die es gibt, und daß die Betroffenen diesen dann bei vollem Bewußtsein mitmachen mußten. Damit Sie den Grad der Gefährlichkeit erkennen: Eine Vergiftung konnte schon eintreten, wenn jemand mit dem Mittel gewirtschaftet und sich im Anschluß daran, ohne sich die Hände zu waschen, eine Zigarette gedreht hat. Schon dann sind auf Grund dieser Tatsache schwerwiegende - manchmal nicht heilbare - Vergiftungen eingetreten. Dieses Mittel wirkt tödlich, wenn - das steht in der Forstzeitschrift - der Mensch nicht innerhalb einer Stunde nach der Berührung behandelt wird. Das Komplizierte an Vergiftungen mit diesem Mittel ist, daß die Leute zunächst einmal nur ein ganz schwaches Unwohlsein haben und überhaupt nicht begreifen und nicht wissen, daß sie vergiftet sind, und daß sie, nachdem eine Stunde vergangen ist, ganz sicher nicht mehr heilbar sind. Nun hat es darüber im Bundesgesundheitsamt eine Anhörung gegeben. Das Bundesgesundheitsamt hat sich aus gesundheitlichen Gründen nicht verpflichtet gesehen, die Anwendung dieses Mittels zu unterbinden, mit der - wie ich finde - sehr zynischen Begründung, daß Selbstmorde sowieso nicht zu verhindern seien. Wie war die Anweisung der Firma, wenn man dieses Mittel angewendet hat? Sie hat gesagt, man sollte damit „vorsichtig" umgehen. Ich habe aus dem „Bayerischen Wochenblatt" - der Bauernzeitschrift dort - folgende korrekte Anwendungsbeschreibung: Der Landwirt, der die vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen beachtet, nämlich „Schutzkleidung und Gummihandschuhe zu tragen, mit niedrigem Druck zu spritzen und mit Hilfe eines Atemschutzgerätes zu verhindern, daß er den Spritznebel einatmet", hat keine gesundheitlichen Schäden zu befürchten. Ich frage Sie: Welcher Bauer getraut sich heute, mit Atemschutzgeräten auf das Feld zu fahren, und welcher Kleingärtner spritzt mit Atemschutzgerät seine Pflanzen? Die zweite Wirkung dieses Mittels war die auf die Böden. Die Biologische Bundesanstalt hat festgestellt, daß sich dieses Mittel im Boden faktisch nicht abbaut. Sie kommt deshalb zu dem Schluß, die Zulassung dieses Mittels zurückzuziehen. ({0}) Im übrigen begrüßen wir natürlich, daß die Biologische Bundesanstalt zu diesem Schluß gekommen ist. Wir wissen auch, daß sie selber damit in große Schwierigkeiten kommt, weil nämlich bekannt ist, daß die Firma ICI einen Prozeß angestrengt hat, in dem es um Millionen geht, und daß es einige Standfestigkeit braucht, diesen Prozeß durchzustehen. Jetzt komme ich zu der Beratung unseres Antrages im Ausschuß. Im Ausschuß hatten wir beantragt, daß die Zulassung zurückgenommen wird. Diesem Verlangen hat die Biologische Bundesanstalt entsprochen. Ich muß dazu sagen, daß dies mein erster Antrag war. Ich habe ihn mit normalem Menschenverstand gestellt, indem ich gedacht habe: Wenn es ein Zulassungsverbot gibt, heißt das gleichzeitig, daß dieses Mittel nicht mehr hergestellt und benutzt werden darf. Als ich näher in die parlamentarischen Finessen eingestiegen war, habe ich gemerkt, daß es das noch lange nicht heißt. Ich habe dann einen Zusatzantrag gestellt, daß es ein Anwendungsverbot dieses Mittels geben muß und daß die Restbestände dieses Mittels umweltfreundlich vernichtet werden müssen. Jetzt ist mir gesagt worden, dies sei doch nicht nötig; ein Anwendungsverbot sei nur bei Gefahr im Verzuge anzuwenden - Herr Bayha hat es eben auch noch einmal gesagt - und das sei hier nicht der Fall. Solche Mittel würden überhaupt am besten beseitigt, indem man sie möglichst fein über die Fläche der Bundesrepublik Deutschland ausstreue. ({1}) Ich frage mich wirklich nach der Logik dieses Denkens, wie man ({2}) bei dem Mittel, von dem ich gesprochen habe, mit solchen Schädigungen ({3}) und bei den deutlichen Aussagen der Biologischen Bundesanstalt, daß dieses Mittel sich im Boden nicht abbaut, gleichzeitig noch sagen kann: Wir lassen zu, daß es weiter ausgetragen wird, und nicht statt dessen die Bevölkerung, die Bauern und die privaten Verbraucher eindringlich vor der Benutzung dieses Pflanzenschutzmittels warnt. ({4}) Ich weiß, daß es in Teilen Baden-Württembergs vor dem Ende des Jahres 1983 eine Werbekampagne von Genossenschaften gegeben hat, das Mittel Gramoxone jetzt besonders billig zu beziehen, weil es ja dann verboten werde. ({5}) Man hat den Unverstand der Bauern ausgenutzt, indem man sie mit dem Argument, das sei so billig, dazu bewogen hat, weiterhin ihre Böden zu schädigen, obwohl wir doch wissen, daß die Belastungen unserer Böden schon ganz eminent sind. ({6}) Jetzt komme ich zum zweiten Punkt. Ich habe das Corpus delicti mitgebracht. Es hieß, das dürfte nicht mehr gehandelt werden. Ich habe diese Flasche heute von meinem Mitarbeiter um 13.40 Uhr in einem Bonner Hobby-Markt für 22,40 DM einkaufen lassen. Dieses Mittel ist ohne Vorzeigen eines Personalausweises ausgehändigt worden. Sie sehen diese Flasche; sie ist nicht kindersicher verschlossen. Es steht nicht einmal die präzise Anwendung auf der Flasche selbst, sondern auf einem Beipackzettel. ({7}) Wenn Sie sich überlegen, daß 6 Gramm davon absolut tödlich sind, daß ein Schluck, den ein Kind genommen hat und wieder ausspuckt, absolut tödlich ist, dann frage ich Sie, ob es nicht dringend geboten ist, ein Anwendungsverbot dieses Mittels zu fordern. ({8}) Es ist nicht möglich, Unfälle zu vermeiden, wenn dieses Mittel noch weiter gehandelt wird, wenn das so lax gehandhabt wird und wenn nicht gleichzeitig eine Aufklärungskampagne der Bevölkerung stattfindet, was für ein ungeheuer gefährliches und tödliches Mittel dieses Gramoxone ist. ({9}) Es sind immer wieder Verstöße gegen die korrekte Anwendung passiert. Ich habe den Brief einer Elterninitiative aus Kassel vorliegen. Sie haben festgestellt, daß dieses Mittel im letzten Jahr in dem Kindergarten, in dem ihre Kinder spielen, angewendet worden ist, und das, obwohl es schon damals den Hinweis gab, daß es grundsätzlich im Bereich von Spielplätzen verboten ist, obwohl es schon damals eine Menge Hinweise gab, wie schädlich dieses Mittel ist, und obwohl schon damals auf den Packungen stand, daß man selbst das Vieh erst nach einer Woche auf mit paraquathaltigen Mitteln gespritzte Fläche lassen darf. Man hat die Kinder dieses Kindergartens, bis die Eltern es merkten, ahnungslos in der Nähe dieser Flächen spielen lassen, auf denen dieses Mittel eingesetzt wurde. Ich möchte auf einen weiteren Punkt kommen. Die Diskussion um diesen Werkstoff, das Paraquat, sehen wir im Zusammenhang mit der Diskussion über die Pflanzenschutzmittel, die noch kommen wird. Einer der wichtigsten Punkte in dieser Diskussion über Pflanzenschutzmittel ist, daß selbst Mittel, die bei uns verboten sind - und Paraquat ist nun das erste, das bei uns verboten ist; es ist auch nur bei uns verboten -, weiter exportiert werden dürfen. Frau Weyel hat schon darauf hingewiesen, wie diese chemische Keule als Bumerang zu uns zurückkommen kann. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser Wirkstoff Paraquat besonders in Ländern der Südsee verwendet wird und daß es einmal eine regelrechte Epidemie mit Vergiftungen durch dieses Mittel gegeben hat. Ich frage mich in dem Fall auch nach der Moral der Wirtschaft oder der chemischen Industrie, die sie berechtigt - oder die sie anführen -, solche Mittel, solche tödlichen Gifte weiter zu produzieren. ({10}) Ich schaue auf die immer noch leere Regierungsbank. Ich habe diese Flasche heute besorgen lassen, um Ihnen zu beweisen, daß das Mittel weiter gehandelt wird. Ich muß dazu sagen, wir mußten nicht einmal lange suchen. Ich habe mir gestern bei der Vorbereitung dieser Rede überlegt, den Versuch zu machen, und habe gesagt: Geht doch einmal los und schaut in einem Hobby-Center, ob ihr dieses Mittel noch findet. Es war bereits im zweiten, wo das einfach so im Regal stand, trotz Verbotes. Ich habe das ungern hierhergetragen. Ich fühle mich nicht sehr wohl mit solchen Giften in der Tasche. Ich wollte es nicht wieder mitnehmen, sondern ich wollte es dem Vertreter der Regierung geben, damit der zweite Teil unseres Antrages für ihn etwas dringlicher wird, ({11}) nämlich, daß wir für eine umweltschonende Beseitigung dieses Mittels eintreten und daß wir meinen, daß das in die Hand von Fachleuten gehört und daß die Mittel nicht durch Bauern und nicht durch Verbraucher allmählich verbraucht werden sollen. Ich wollte es der Regierung geben, aber da sie nicht da ist, lasse ich es hier stehen, bis sie es sich abholt. Ich nehme es nicht mehr in die Hand. Ich danke Ihnen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Dr. Vollmer, auch wenn man Verständnis für Ihre Argumentation hat, kann dies nicht so bleiben, und ich werde jemanden bitten, daß er es hier wegnimmt. ({0}) Ich möchte gern hinzufügen, daß Sie, wenn Sie einen Blick in die Geschäftsordnung werfen, wissen, daß es nicht in der Hand des Präsidenten liegt, die Regierung heranzurufen. Wenn das nicht erfolgt - was ich zur Kenntnis nehme -, wird dies wohl trotzdem ein gewisses Nachspiel haben müssen: daß die Regierung bei einer solchen Debatte nicht vertreten ist. ({1}) Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Paintner das Wort.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir uns zunächst alle einig sind, daß es unbedingt erforderlich ist, daß Gift sehr sorgsam behandelt werden muß. Ich muß auch sagen: Dieser Demonstrationsauftritt wäre sicherlich nicht notwendig gewesen. Das wissen alle Bürger in unserem Staat. ({0}) Wenn ich der Gesunderhaltung des Bodens und dem sehr sensiblen Bereich Gift im Boden nicht eine so große Bedeutung zumessen würde, könnte man meinen, daß eine Beratung über eine Beratung einer Beschlußempfehlung eines Ausschusses sicherlich nicht die Sensation gewesen wäre, wenn Frau Vollmer diesen Auftritt hier nicht veranstaltet hätte. Als FDP-Fraktion lassen wir uns aber gerade in Fragen der Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Pflanzenschutzmittel von niemandem nachsagen, daß wir die Angelegenheit nicht ernst nehmen. Somit begrüße ich diese Aussprache zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichtes des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Beschlußempfehlung, die einmütig war, lautet: „Der Bundestag wolle beschließen: ... Der Antrag wird für erledigt erklärt." ({1}) Somit, meine ich, ist eigentlich schon bewiesen, daß die Arbeit, die wir hier leisten, nicht mehr besonders produktiv ist. Ich habe als Landwirt gelernt, produktiv zu arbeiten. ({2}) - Das können Sie sich ersparen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Paintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgmann?

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Rechtslage bei der Aufhebung der Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel zu verfolgen und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages alsbald Bericht zu erstatten, wenn es die Situation erfordert. ({0}) Wir werden sehen, ob es die Situation dann erfordert. ({1}) - Frau Weyel, Ihnen möchte ich sagen, daß ich als praktizierender Landwirt großes Verständnis habe. Als Landwirt bin ich beinahe ein Feind von Pflanzenschutzmitteln und Chemikalien, ({2}) weil ich weiß, wie teuer und wie gefährlich sie sind. Aber wir sollten nicht vergessen, was diese LandPaintner wirtschaft heute ohne Chemie und ohne Pflanzenschutzmittel wäre. ({3}) Das hätte sicherlich auch auf die Welternährungslage eine Auswirkung, die wir uns gar nicht ausmalen können. ({4}) - Wissen Sie, in dem Bereich, wo Sie wohnen und arbeiten wollen, ist dies doch ganz anders. - Dieser Beschlußempfehlung stimmt die FDP-Bundestagsfraktion zu. Zur Sache möchte ich sagen: Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat die Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel, soweit sie am 31. Dezember 1983 ausgelaufen ist, nicht erneuert und, soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, widerrufen. Ich vermute beinahe, dies wäre auch ohne den Antrag der GRÜNEN geschehen. ({5}) Die Biologische Bundesanstalt hat sich nach Lage der Dinge absolut korrekt verhalten. Das Paraquat stand jetzt, nach zehnjähriger Zulassung - nicht weil Sie den Antrag gestellt haben -, wieder zur Überprüfung an. Auch konnte auf die Ergebnisse von Langzeitversuchen zurückgegriffen werden. Die Auswertung dieser Ergebnisse ließ erkennen, daß Paraquat im Boden nicht im geringsten Maße abgebaut wird. Es reichert sich deshalb im Boden an. Die Entscheidung der Biologischen Bundesanstalt, die Zulassung nicht erneut zu erteilen bzw. zu widerrufen, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß Paraquat im Boden von gewissen Tonmineralien festgehalten und damit inaktiviert wird. Wir wissen noch zuwenig über die Bindungskapazität der Böden und können deshalb nicht abschätzen, ({6}) wann die totale Absättigung der Tonminerale mit Paraquat erreicht sein wird. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wird es zu einer Anreicherung des verfügbaren Paraquats im Boden kommen. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen, Frau Vollmer. Wir dürfen nicht nach dem Grundsatz verfahren, daß wir die erst nach einigen Jahren auftretenden Probleme späteren Generationen überlassen. - Ich glaube, da sind wir uns völlig einig. Dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN, die Zulassung des Paraquats aufzuheben, ist seitens der Biologischen Bundesanstalt also schon entsprochen worden. Da der Widerspruch der Firmen eine aufschiebende Wirkung hat, hat die Maßnahme der BBA noch keine Rechtskraft. Es besteht deswegen jedoch keinerlei Grund zur Beunruhigung. Die Fachleute - ich nehme an, daß es in dieser Bundesrepublik Deutschland einige gibt - bestätigen, daß eine akute Gefahr keineswegs vorliegt. ({7}) Die Bundesregierung sollte die Rechtslage bei der Aufhebung der Zulassung verfolgen und Bericht erstatten, ({8}) Von einem Anwendungsverbot sollte so lange abgesehen werden. Das Bundesgesundheitsamt hat für den Bereich seiner Zuständigkeit gegen die weitere Zulassung der paraquathaltigen Mittel keine Bedenken erhoben. Ein Anwendungsverbot wäre nicht damit zu begründen, daß es zur Abwehr von Gesundheitsgefährdungen von Mensch und Tier erforderlich wäre. Aus diesem Grunde war auch die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Zulassung nicht angeordnet worden. ({9}) Ein sofortiges Anwendungsverbot ist aber nicht nur deshalb abzulehnen, weil dafür die sachliche Begründung fehlt. Ein solches Verbot stünde auch rechtlich nicht in Einklang mit dem geltenden Pflanzenschutzgesetz. ({10}) Solange das Inverkehrbringen nicht verboten ist, kann auch die Anwendung nicht verboten werden. Der Deutsche Bundestag kann von der Bundesregierung keine Maßnahmen fordern, die nach den von ihm selbst beschlossenen Gesetzen nicht Rechtens sind. Darüber hinaus würden wir das Vertrauen der Verwender in unsere Rechtsetzung erschüttern. ({11}) Die Verwender hätten kein Verständnis dafür, daß sie ein Mittel zwar kaufen, aber nicht anwenden dürfen. Aus diesen Gründen spreche ich mich ein weiteres Mal dafür aus, dem Antrag auf ein Anwendungsverbot paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel so lange nicht stattzugeben, bis eine gerichtliche Klärung erfolgt ist. Herzlichen Dank. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/ 1148 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal4574 Vizepräsident Westphal tungen? - Gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN und bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 10/1163 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1163 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Übeweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1982 ({1}) - Drucksache 10/1143 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1143 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen - Drucksachen 9/1816, 10/358 Nr. 85, 10/1152 Berichterstatter: Abgeordneter Pfeffermann Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/1152 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion Die GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/1200 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 29 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. April, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.