Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß ich unser aller Freude Ausdruck gebe, wenn ich mich sehr befriedigt darüber zeige, daß unser Kollege Peter Lorenz nach langer, schwerer Krankheit wieder gesund unter uns ist.
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Der Abgeordnete Schröder ({1}) hat am 22. März 1984 sein Bundestagsmandat niedergelegt. Als Nachfolgerin hat am 22. März 1984 die Abgeordnete Frau Dempwolf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die Kollegin und hoffe auf gute Zusammenarbeit und viel Erfolg hier.
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Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Verlauf des EG-Gipfels in Brüssel
Meine Damen und Herren, hier ist interfraktionell eine Aussprache von einer Runde - zwei Stunden - verabredet. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagung des Europäischen Rates am 19. und 20. März in Brüssel ist ohne ein abschließendes Ergebnis geblieben. Ich bedaure dies zutiefst, zumal eine Einigung über alle Punkte des Stuttgarter Paketes in greifbare Nähe gerückt war.
Lassen Sie mich eingangs noch einmal die Stuttgarter Einigung vom vergangenen Jahr in ihren Grundzügen umreißen. Im Juni des vergangenen Jahres haben wir die drängendsten Probleme der Gemeinschaft zusammengefaßt und gebündelt. Wir haben uns damals folgende Aufgaben gestellt: die Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal, die neuen Entwicklungen in Forschung und Technologie und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, die wirtschaftlichen Strukturprobleme und Umweltfragen, der Ausbau des Binnenmarktes und noch einiges über diese Aufzählung hinaus.
Wenn die Gemeinschaft diesen Aufgaben gerecht werden will, muß sie alles tun, um sich selbst auf solide finanzielle Grundlagen zu stellen. Deshalb haben wir uns in Stuttgart gleichgewichtige und auch gleichwertige Fortschritte in folgenden Bereichen vorgenommen: Die Haushaltsdisziplin in der Gemeinschaft soll verstärkt werden - das schließt die Verbesserung der Effizienz der Strukturfonds ebenso wie die Begrenzung des Anstiegs der Agrarkosten ein -, die Haushaltsungleichgewichte sollen beseitigt, und die künftige Finanzierung der Gemeinschaft durch Aufstockung der eigenen Einnahmen soll gesichert werden.
Niemand von uns, meine Damen und Herren, hat sich je Illusionen über die Schwierigkeiten der Lösung dieser Aufgaben gemacht. Es galt und gilt, einen Ausgleich unter den Interessen der Mitgliedstaaten zu finden. Dieser Ausgleich kann nicht nur darin bestehen, möglichst gleichgewichtig viele nationale Wünsche nebeneinander zu stellen und aneinanderzufügen. Er kann nur durch deutliche Einschnitte in den Bestand gefunden werden.
Die wirtschaftliche Situation sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in der Gemeinschaft zwingt uns alle zu einer verstärkten Haushaltsdisziplin, zur Begrenzung der Ausgaben und insbesondere des Kostenanstiegs im Agrarbereich. Ob wir es zugeben oder nicht, meine Damen und Herren, die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten befinden sich nicht mehr in einer Zeit ständig wachsenden Wohlstands und voller Kassen. Heute sind wir überall in der Gemeinschaft von Strukturkrisen, Arbeitslosigkeit und vielen anderen Heimsuchungen hart getroffen. Alle Regierungen in der Gemeinschaft sind gezwungen, durch Einsparungen in den nationalen Haushalten die Konsolidierung voranzutreiben. Die Europäische Gemeinschaft und ihr Haushalt können und dürfen da keine Ausnahme machen.
Gleichzeitig wächst in einer solchen Zeit natürlich der Widerstand der betroffenen Gruppen und Länder gegen einschneidende Maßnahmen. Diese Maßnahmen müssen jedoch tiefgreifend sein, wenn die jetzt zu fassenden Beschlüsse von Dauer sein sollen. So ist es erklärlich, daß diese Verhandlungen ganz besonders hart geführt werden und natürlich auch Zeit kosten. Ich darf die Gelegenheit nutzen,
auch von dieser Stelle aus alle unsere Partner und natürlich uns selbst aufzurufen, uns vor nationaler und politischer Kurzsichtigkeit zu hüten und das gemeinsame Ziel der Vollendung des Baues Europas nicht aus den Augen zu verlieren.
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Die Europäische Gemeinschaft basiert auf der Grundlage wirtschaftlicher und politischer Solidarität, d. h. einem ausgewogenen Interessenausgleich. Aber das wäre für sich allein zu wenig. Die Europäische Gemeinschaft braucht auch eine Zukunftsperspektive.
Dem Vorsitzenden, dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, ebenso wie den Mitgliedern der Kommission gebührt hohe Anerkennung dafür, daß sie im Vorfeld von Brüssel die Voraussetzungen für einen entscheidungsfähigen Kompromiß geschaffen hatten. Ihrem Engagement - ich denke hier vor allem an den französischen Präsidenten - für die europäische Sache, ihrer Entschlossenheit, jetzt einen fairen Interessenausgleich unter den Mitgliedsländern durchzusetzen, war es zu verdanken, daß den Staats- und Regierungschefs in Brüssel ein Vorschlag vorlag, der für alle Beteiligten weitgehend akzeptabel sein konnte.
Die Agrarminister hatten im Vorfeld des Brüsseler Gipfels in zähen und sehr konzentrierten Verhandlungen eine Übereinstimmung in drei wesentlichen Elementen erzielt.
Erstens. Die Einführung einer Garantieschwelle im Bereich der Milch, wodurch die Preisgarantie auf eine Produktionsmenge für die Gemeinschaft von 97,8 Millionen Tonnen gegenüber einer gegenwärtigen Produktionsmenge von rund 104 Millionen Tonnen längerfristig begrenzt sein wird. Damit wurde das dringendste Problem der gemeinsamen Agrarpolitik angepackt.
Ich bin mir bewußt und ich will es aussprechen, daß mit diesem Ergebnis im Einzelfall Härten gerade auch für die betroffenen deutschen Bauern und Landwirte verbunden sind. Angesichts des rasanten Kostenanstiegs und der als Folge einer bisher unbegrenzten Preisgarantie und erheblicher Rationalisierungsfortschritte weder im Inland noch im Ausland absetzbaren Überschüsse gibt es jedoch - darüber waren wir uns in Brüssel alle einig - keinen anderen Ausweg. Es mußte schnell und wirksam gehandelt werden.
Wenn wir zu dieser Maßnahme jetzt und heute nicht bereit sind, dann könnte eines Tages die Zeche für die Landwirte noch sehr viel teurer sein. Es geht darum, die gemeinsame Agrarpolitik und mit ihr einen Grundpfeiler der Gemeinschaft insgesamt vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Zweitens. Die Agrarpreise wurden für das Wirtschaftsjahr 1984/85 mit flankierenden Maßnahmen festgesetzt. Dabei ist erreicht worden, daß die notwendigen Einschränkungen in der Agrarpolitik ausgewogen auf alle Mitgliedsländer durch Einführung von Garantieschwellen auch in anderen Produktbereichen erstreckt werden. Das betrifft vor allem die Mittelmeerprodukte. Darin liegt ebenso wie bei der Milch eine Kurskorrektur in der gemeinsamen Agrarpolitik, die lange Jahre hindurch nicht erreichbar schien.
Drittens. Wir, die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesregierung, sind zu einer Regelung für den Abbau des positiven deutschen Grenzausgleichs in drei Stufen bereit. Damit soll ein Problem gelöst werden, über das vor allem im deutsch-französischen Verhältnis Einvernehmen hergestellt werden sollte, um in der Agrarpolitik eine neue Basis zu finden. Durch die Gewährung eines Einkommensausgleichs aus nationalen Mitteln in der Größenordnung von rund 2 Milliarden DM, aber auch unter Beteiligung des Gemeinschaftshaushalts wird sichergestellt, daß diese Regelung nicht einseitig zu Lasten der deutschen Landwirtschaft geht. Der notwendige Einkommensausgleich wird nach unserem Willen gleichzeitig mit dem Beginn des Abbaus des Währungsausgleichs wirksam werden.
Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr gut die Sorgen unserer Bauern, die sich in einer sehr schwierigen Lage befinden. Sie können sich darauf verlassen - und müssen sich auch darauf verlassen können -, daß wir nicht zulassen, daß sie als Prügelknaben für die verfehlte Politik früherer Jahre herhalten müssen.
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Die deutschen Bauern haben schon bei den letzten Preisrunden Geduld und Opferbereitschaft gezeigt. Dafür schulden wir ihnen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, am Ende des Europäischen Rates waren wir uns bis auf zwei wichtige Ausnahmen des Haushaltsausgleichs über alle anderen Fragen einig. Ungelöst blieben die Probleme der britischen Entlastung wie die Milchproduktionszuwachsrate Irlands. Der größte Teil der Aufgabe, die wir uns in Stuttgart gestellt hatten, konnte erledigt werden. Dies ist ein Erfolg, der in seiner Bedeutung nicht übersehen oder unterschätzt werden darf, auch wenn am Ende dieser Tagung keine Einigung über das Gesamtpaket zustande kam.
Was konnten wir erreichen? Es ist eine Neuorientierung der gemeinsamen Agrarpolitik erreicht worden. Sie bietet die Aussicht, das Problem der Überproduktion in den Griff zu bekommen, den Ausgabenanstieg im Agrarbereich zu bremsen und die gemeinsame Agrarpolitik insgesamt veränderten Bedingungen anzupassen.
Dieses Ziel haben alle Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten mit großer Beharrlichkeit verfolgt. Die Agrarminister hatten im Vorfeld des Brüsseler Gipfels in zähen, aber sehr konzentrierten Verhandlungen hierüber auch schon praktisch eine abschließende Lösung erzielt. Es bestand Einvernehmen darüber, eine finanzielle Leitlinie zur Herstellung einer strikten Haushaltsdisziplin für die Europäische Gemeinschaft einzuführen. Auch sie bedeutet ein völlig neues Element gegenüber der Vergangenheit. Vorgesehen ist eine Verfahrensregelung mit dem Ziel, die allgemeine Ausgabenentwicklung der Gemeinschaft im Einvernehmen zwiBundeskanzler Dr. Kohl
schen Rat, Kommission und Europäischem Parlament wirksam in den Griff zu bekommen. Die Bundesregierung mißt der Durchsetzung des von ihr seit langem geforderten Prinzips, daß der Anstieg der Agrarkosten unterhalb des Wachstums der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft gehalten werden muß, ganz besondere Bedeutung bei. Damit wäre erreicht, was die deutsche Politik in den letzten Jahrzehnten immer wieder angestrebt hat. Wir gewinnen größeren finanziellen Spielraum für andere Gemeinschaftsaufgaben.
Meine Damen und Herren, es bestand ferner Einvernehmen darüber, einen Mechanismus einzuführen, um eine gerechtere Lastenverteilung zu erreichen. Da die Bundesrepublik Deutschland den höchsten Anteil an den Lasten innerhalb der Gemeinschaft trägt, mußte die Bundesregierung hierauf entscheidenden Wert legen. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um die Auseinandersetzungen zu beenden, die seit Jahren die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft schwer belasten. Zugunsten eines Mitgliedstaates, der, gemessen an seinem relativen Wohlstand, eine besondere Haushaltslast trägt, greifen Korrekturmaßnahmen ein, deren Kriterien festgelegt sind. Wir als Bundesrepublik werden damit gegen übertriebene Belastungen geschützt. Die notwendigen Einzelheiten soll der Rat auf der Ebene der Finanzminister bis zum nächsten Europäischen Rat im Juni dieses Jahres aushandeln.
Die Staats- und Regierungschefs einigten sich in Brüssel, der Gemeinschaft durch Ausbau und Fortentwicklung ihrer Politiken neue Impulse zu geben. Hervorzuheben sind Maßnahmen zur Intensivierung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung und Technologie, insbesondere durch Programme für die Bereiche Telekommunikation und Biotechnologie. Dies sind Bereiche, wie wir wissen, meine Damen und Herren, in denen die europäischen Staaten gegenüber ihren großen Konkurrenten, vor allem Japan und USA, dramatisch zurückzufallen drohen. Es sollen Anreize geschaffen werden, um die Mobilität der Wissenschaftler in Europa zu verbessern.
Vorgesehen sind auch Maßnahmen, um den Binnenmarkt weiter auszubauen. Ein wichtiges Ziel, das sehr kurzfristig angegangen werden muß, sind eine entscheidende Vereinfachung der Formalitäten im Binnenhandel der Gemeinschaft und der dringende Abbau und die dringende Vereinfachung des Zollsystems. Störungen, wie sie in der letzten Zeit an den Grenzen aufgetreten sind, sollten in der Zukunft vermieden werden. Sie sind unvereinbar mit der Idee der Europäischen Gemeinschaft.
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Es bestand auch Einigkeit darüber, die Effizienz der Strukturfonds zu verbessern. Die Mittel sollen im Rahmen der Finanzierbarkeit real ausgeweitet und zugleich konzentriert werden. Im Rahmen integrierter Programme soll den besonderen Bedürfnissen der Mittelmeerländer Rechnung getragen werden.
Es bestand auch völliges Einvernehmen darüber, die Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal bis zum 30. September dieses Jahres abzuschließen, so daß der Beitritt zum 1. Januar 1986 vollzogen werden kann. Damit ist auch ein vorrangiges Ziel der deutschen Politik erreicht worden. Wir lösen damit unser Wort ein, das wir alle gemeinsam, die demokratischen Parteien unseres Landes den befreundeten Staaten gegenüber bei der Wiedererrichtung der Demokratie gegeben haben.
Im Zusammenhang mit dem Beitritt von Spanien und Portugal wird die Gemeinschaft durch eine Anhebung der Mehrwertsteuerabführung von 1,0 auf 1,4 % zum 1. Januar 1986 den Finanzrahmen erhöhen. Die Ratifizierung dieser Erhöhung soll gleichzeitig mit der Ratifizierung der Beitrittsverträge mit Spanien und Portugal erfolgen.
In einer Absichtserklärung des Europäischen Rates ist vorgesehen, ab 1. Januar 1988 eine weitere Erhöhung der Eigeneinnahmen auf 1,6 % zu ermöglichen. Das setzt jedoch voraus, daß ein einstimmiger Beschluß der zuständigen Gremien und damit auch ein positives Votum aller Mitgliedstaaten vorliegen.
Herr Kollege Vogel, Sie haben in diesem Zusammenhang gestern davon gesprochen - ich darf kurz darauf eingehen -, daß der sich abzeichnende Kompromiß in den nächsten vier bis fünf Jahren die Bundesrepublik und die Steuerzahler bei uns zwischen 32 und 34 Milliarden DM kosten wird. Ich hoffe, ich habe das korrekt zitiert. Wir haben jetzt eine erste Berechnung vorgenommen; das Ganze ist j a notwendigerweise etwas vage, weil noch kein Beschluß vorliegt. Sie gehen bei dieser Mehraufwendung von 32 bis 34 Milliarden DM neben Ausgleichsforderungen für den Abbau des Währungsausgleichs offensichtlich von einer vollen Ausschöpfung der auf 1,4 % bzw. 1,6 % erhöhten Mehrwertsteuerabführung für die Dauer von fünf Jahren aus. Wenn ich es richtig verstehe, ergibt sich hieraus die genannte Zahl für die Jahre von 1985 bis 1989.
Nach den ersten Berechnungen, die wir vorgenommen haben, werden die tatsächlichen Mehrwertsteuerabführungen bei einer unterstellten Steigerung des EG-Haushalts von 10 % - das war die Diskussionsgrundlage in Brüssel - jedoch auf 8 392 000 000 geschätzt. Dabei gehen wir davon aus - sonst hätten wir das ja nicht angestrebt -, daß die Beschlüsse zur Haushaltsdisziplin - Steigerungssatz der Agrarkosten unter den eigenen Einnahmen, keine Überschreitung der Höchstbeträge für die nichtagrarischen Ausgaben - selbstverständlich eingehalten werden.
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Das heißt, bei dieser Prämisse, von der wir ausgehen, ergibt sich für die Jahre 1985 bis 1989 eine Summe, die etwa bei 18 Milliarden liegt.
Es ist natürlich richtig, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Vogel: daß diese Kosten in der mittelfristigen Finanzplanung nicht vorgesehen sind. Das konnte ja auch gar nicht geschehen. Selbstverständlich müssen sie bei der Überarbeitung der mittelfristigen Finanzplanung aufgenommen werden. Ich hoffe, daß wir in einigen Wochen in den zustän4232
digen Ausschüssen über ein Gesamtpaket, das dann endgültig fertiggestellt ist, sprechen können. Dann wird man diese Berechnung auch noch sehr viel detaillierter und korrekter vornehmen können.
Meine Damen und Herren, zwei dornige Probleme - und dies weiß jeder - blieben in Brüssel am Ende ungelöst: erstens die Frage der irischen Beteiligung an der Rückführung der Milchproduktion. Irland bestand und besteht angesichts der großen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Milchwirtschaft für dieses Land auf Sonderbehandlung und fordert die Zuerkennung einer höheren Produktionsquote. Diese Forderung fand durchaus Verständnis bei allen Teilnehmern. Die Zugeständnisse der Partner erschienen der irischen Regierung jedoch nicht ausreichend. Ich denke, bei gutem Willen muß es möglich sein, in dieser Frage zu einer Verständigung zu kommen.
Zweitens. Offen ist weiterhin das Problem der britischen Entlastung. Die Berechtigung einer britischen Ausgleichsforderung ist im Grunde allgemein anerkannt. So hat das Vereinigte Königreich auch in den vergangenen Jahren Rückerstattungen erhalten: 1982 in einer Höhe von 1 050 Millionen ECU. Der für 1983 vereinbarte Betrag von 750 Millionen ECU ist noch nicht zurückgeflossen. Für 1984 bestand - und man kann wohl sagen: besteht - Großbritannien in Brüssel immer noch auf einer Entlastung in Höhe von 1 250 Millionen ECU; das entspricht etwa 3 Milliarden DM. Diese Forderung erschien den übrigen Mitgliedsländern, und zwar ohne Ausnahme, selbst unter Berücksichtigung der besonderen britischen Situation als nicht akzeptabel.
Ich habe am Ende der Brüsseler Konferenz und nach, glaube ich, sechs Stunden Debatten zu diesem Punkt versucht, gemeinsam mit anderen die Verhandlungen mit einem eigenen Vorschlag voranzubringen. Danach konnte Großbritannien für die Dauer von fünf Jahren eine jährliche Entlastung von 1 Milliarde ECU gewährt werden. Im Anschluß daran sollte auch zugunsten Großbritanniens der von mir bereits erwähnte Korrekturmechanismus eingreifen, über dessen wesentliche Elemente auch mit Großbritannien, d. h. mit allen, Einvernehmen bestand.
Um eine Einigung zu erleichtern, habe ich diesen Vorschlag mit einem weiteren Entgegenkommen unserer Seite verbunden: Ich habe angeboten, die deutsche Beteiligung an der britischen Entlastung von jährlich 1 Milliarde ECU nicht wie bisher auf 50 %, sondern auf 66 % des nach dem Beitragsschlüssel auf uns entfallenden Anteils zu bemessen.
Mit Ausnahme Großbritanniens fanden alle anderen Mitgliedstaaten dieses Angebot annehmbar.
Großbritannien lehnte auch eine weitere Verbesserung des Angebots ab, die darin bestand, die Übergangslösung mit jeweils 1 Milliarde ECU bereits nach drei oder auch zwei Jahren in eine Dauerlösung mit dem Korrekturmechanismus überzuleiten. Bei einer Annahme dieses Vorschlags hätte Großbritannien durch eine dynamische Ausgestaltung im dritten oder vierten Jahr eine höhere Entlastung erzielen können.
Dies, meine Damen und Herren, war die Lage am späten Abend des 20. März. Sie ließ zur Enttäuschung auf allen Seiten einen endgültigen Abschluß der Verhandlungen nicht mehr zu.
Ich fasse das Ergebnis dieser Brüsseler Tagung aus unserer Sicht wie folgt zusammen.
Erstens. Über den überwiegenden Teil des Stuttgarter Verhandlungspakets konnte Einigung erzielt werden. Sie steht selbstverständlich unter dem Vorbehalt einer Regelung der offengebliebenen Punkte. Wir sind jedoch ein ganz wesentliches Stück weitergekommen. Dies war nur möglich, weil jeder seinen Beitrag leistete und bereit war, eigene Forderungen zurückzustecken und den Belangen der Partner und dem Gemeinschaftsinteresse Rechnung zu tragen. Leider - auch das muß gesagt werden - war in zwei Fragen eine Einigung bisher nicht möglich.
Zweitens. Die Bundesregierung hat auch auf dieser Sitzung des Europäischen Rates - wie die Bun- desregierungen zuvor in den letzten Jahrzehnten - in der vordersten Linie jener Mitgliedstaaten gestanden, die die Zukunft der Gemeinschaft entschieden verteidigen. Seit Konrad Adenauer hat jeder deutsche Bundeskanzler dazu aufgerufen, eigene Forderungen, so berechtigt sie sein mögen, nicht vor den Bestand und den Ausbau der Gemeinschaft zu stellen. Für mich gilt das gleiche. Ich stehe damit nicht allein im Kreis unserer Partner, und hierin sehe ich einen Beweis dafür, daß die Gemeinschaftssolidarität auch künftig kräftig genug sein wird, sich in kritischen Situationen zu bewähren.
Drittens. Alle Beteiligten waren sich bewußt, daß man nicht ohne die Bereitschaft auseinandergehen konnte, weitere erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um die beiden noch offenen Punkte einer annehmbaren Lösung zuzuführen. Das, was so mühsam und unter Opfern für jeden bereits erreicht worden ist, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Jetzt, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, das erzielte Einvernehmen zu erhalten und schließlich durch die noch fehlenden Schluß-steine zu vervollkommnen. Der Rat der Landwirtschaftsminister und der Außenministerrat, die gestern und vorgestern in Brüssel tagten, haben zum großen Bedauern der Bundesregierung keine Einigung gebracht. In beiden Räten wurde erneut die Anstrengung unternommen, die möglich war, um die noch offenen Probleme zu lösen. Wir haben uns bereiterklärt, den Korrekturmechanismus für die britische Entlastung schon nach dem ersten Jahr wirksam werden zu lassen. Und Irland wurde eine Aufstockung seiner Milch-Quote um weitere 200 000 Tonnen angeboten.
Der französische Staatspräsident hat sich bereit erklärt, erneut eine große Anstrengung zu unternehmen, in alle Hauptstädte zu reisen und die notwendigen Gespräche zu führen. Er beabsichtigt, mit den Regierungen der Gemeinschaft gemeinsam nach einem Weg zu suchen, der auch GroßbritanBundeskanzler Dr. Kohl
nien in der Frage seines Ausgleichs in einer auch für die anderen Mitgliedstaaten tragbaren Weise zufriedenstellt. François Mitterrand hat außerdem seine Absicht zum Ausdruck gebracht, noch vor Juni dieses Jahres eine Sondertagung des Rates einzuberufen. allerdings unter der Voraussetzung, daß vor Beginn einer solchen Tagung sich auch eine hinreichende Chance für die Einigung abzeichnet. Ich habe selbstverständlich meine Bereitschaft erklärt, ihn hierbei zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung wird an ihrem Europa-Kurs festhalten. Die heute zu überwindenden Schwierigkeiten sind das Ergebnis von Fehlentwicklungen in vielen Jahren. Sie zu beseitigen kostet Mühen und Opfer. Aber wir dürfen zu keinem Augenblick dabei aus den Augen verlieren, was in all diesen Jahren auf dem Spiel stand und was für die Zukunft auf dem Spiel steht. Es geht darum, ob Europa fähig ist, die Interessen seiner Nationalstaaten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und sich zu einigen. Diese Einigung Europas, um deren wirtschaftliche Grundlagen wir heute ringen, bedarf - endlich, sage ich - auch der stärkeren politischen Ausformung. Auch hierüber werden wir, nicht zuletzt im Blick auf die Wahl zum Europäischen Parlament am 17. Juni, bald, noch in diesem Jahr mit unseren Partnern sprechen müssen. Die Frage wird sein: Wer von uns allen in der Gemeinschaft ist bereit, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft auch in schwierigsten Zeiten als irreversibel, als unwiderruflich zu betrachten? Die Frage ist: Wer ist bereit, uns und anderen auf dem Weg zur Politischen Union Europas mit dem erklärten Ziel des Baus der Vereinigten Staaten von Europa zu folgen? Denn dies ist j a die Intention der Gründer der Europäischen Gemeinschaft.
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Es ist unser Wunsch und es ist unsere Hoffnung, daß diese beiden entscheidenden Fragen von möglichst allen Partnern der Gemeinschaft mit einem klaren Ja beantwortet werden. Die Antwort auf unsere Fragen wird uns die Richtung angeben, der wir folgen müssen, wenn wir beim Bau und der politischen Integration Europas endlich weiterkommen wollen. In der Präambel des EWG-Vertrages ist im ersten Satz die Rede vom festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen. Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, daß dem Willen nun auch konkret Taten überall in Europa folgen. Wir sind dazu bereit.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fakten sind unbestreitbar: Nach dem Gipfel von Stuttgart, nach dem Gipfel von Athen ist jetzt auch der Gipfel von Brüssel gescheitert. Der Gemeinschaft droht die Zahlungsunfähigkeit, mehr noch: Die europäische Idee selbst droht zu ersticken: an nationalen Egoismen, an überwuchernder Bürokratie, an einem abstoßenden Gegensatz zwischen europäischer Rhetorik und europäischer Wirklichkeit.
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Wir alle sind endgültig in Gefahr, eine der wichtigsten Errungenschaften, eine der wichtigsten Zielsetzungen nach 1945 zu verspielen, nämlich die europäische Einigung.
Wir nehmen das, Herr Bundeskanzler, nicht zum Anlaß von Schuldvorwürfen im innenpolitischen Meinungsstreit. Wir erinnern uns allerdings daran, daß Sie als Sprecher der Opposition anders gehandelt haben,
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daß Sie unsere europäische Gesinnung damals immer wieder in Zweifel gezogen, ja daß Sie mehr als einmal versucht haben, die Sozialisten und die Sozialdemokraten als die eigentlichen Gegner der europäischen Einigung hinzustellen.
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Wir zahlen das nicht mit gleicher Münze zurück. Daß Frau Thatcher keine Sozialistin ist, wissen Sie ohnehin. Daß der Sozialist Mitterrand an der Spitze derer stand und steht, die Europa in Brüssel und auch sonst zum Erfolg führen wollten und wollen, haben Sie dankenswerterweise selber anerkannt.
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Übrigens, in diesem Zusammenhang noch eine geschichtliche Reminiszenz: Wir Sozialdemokraten haben schon vor 60 Jahren als erste politische Kraft in diesem Lande in unserem Heidelberger Programm die Schaffung einer europäischen Wirtschaftseinheit und die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa gefordert. Wir sind dieser Forderung in den sechs Jahrzehnten stets treu geblieben.
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Wir wissen, daß es zu Europa keine Alternative gibt. Deshalb wollen wir, daß alle politischen Kräfte unseres Landes, daß das ganze Gewicht unserer Bundesrepublik auf ein Ziel gerichtet wird, nämlich auf die Beendigung der Krise, auf die Überwindung der Rückschläge, auf neue Fortschritte zur europäischen Einigung. Dahinter muß alles andere zurückstehen. Darum verzichte ich auch auf die Frage und ihre Erörterung, ob Sie, Herr Bundeskanzler, während Ihrer Präsidentschaft und auch in Athen und in Brüssel wirklich alles getan haben, um das Scheitern zu verhindern. Ihr Ja auf diese Frage in der Regierungserklärung, die Sie soeben abgegeben haben, klang da ein wenig zu selbstgerecht. Uns fällt jedenfalls auf, daß die Berichte in der internationalen Presse darüber nicht verstummen, daß Sie in der Schlußphase der Brüsseler Verhandlungen eher Verwirrung ausgelöst und dadurch eher zum Schei4234
tern als zum Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen beigetragen haben.
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Ich lasse das auf sich beruhen. Ich stelle fest: Wir brauchen Europa, die Völker der Gemeinschaft wollen Europa, auch die Welt braucht Europa. Sie braucht den mäßigenden, ausgleichenden Einfluß, den ein einiges Europa auf die weltpolitische Entwicklung nehmen kann. Ein einiges, selbstbewußtes, zur Selbstbehauptung entschlossenes Europa könnte in diese Entwicklung sein wirtschaftliches Gewicht, seine geschichtlichen Erfahrungen und seine geistigen Traditionen einbringen. Es könnte die Konfrontation zwischen den Weltmächten mildern - auch durch eine eigenständigere Verantwortung für seine Sicherheit und seine Verteidigung. Es könnte schädliche Einflüsse auf die Weltwirtschaft, wie sie gegenwärtig vor allem von der amerikanischen Defizit- und Hochzinspolitik ausgehen, zurückdrängen. Es könnte technologisch wieder schneller zu den Vereinigten Staaten und zu Japan aufschließen. Es könnte der Dritten Welt als ein verantwortungsbewußter Partner begegnen.
Die Vernunft sagt uns: Das sind gemeinsame Ziele. Deshalb sind wir weiterhin bereit, die Bundesregierung bei der Überwindung der gegenwärtigen Krise konstruktiv zu unterstützen.
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Das heißt Zustimmung, wo Sie auf dem richtigen Wege sind, das heißt aber auch Warnung vor Irrwegen, das heißt weiterführende Vorschläge oder Widerspruch, wo beides im Interesse des gemeinsamen Zieles geboten erscheint.
Herr Bundeskanzler, wir unterstützen das Bemühen, erneut die Verständigung mit Irland und Großbritannien zu suchen. Der Übergang zu einer gerechteren Lastenverteilung innerhalb der Gemeinschaft bedeutet dafür eine Hilfe. Aber dieser Versuch muß mit der Frage verbunden werden, ob wirklich alle Mitglieder die europäische Einigung anstreben oder ob einzelne in Wahrheit doch nur eine Freihandelszone wollen, ob es um die Bewahrung und die Stärkung einer politischen Gemeinschaft oder nur um günstigere Bedingungen zur Erlangung nationaler Vorteile geht. Diese Frage muß gestellt und beantwortet werden.
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Es muß wohl auch daran erinnert werden, daß es ein Brite, daß es Winston Churchill war, der in seiner berühmten Zürcher Rede im Jahre 1946 die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa, also einer sehr engen Gemeinschaft, vorgeschlagen hat. Wenn es hier zwischen Winston Churchill und Frau Thatcher einen Widerspruch gibt, dann entscheiden wir uns für Winston Churchill und gegen Frau Thatcher!
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Wir bekräftigen, daß ohne eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Paris und Bonn Fortschritte kaum möglich sind.
Wir begrüßen, daß über den Beitritt Spaniens und Portugals nun offenbar Einvernehmen erzielt worden ist. Daß dieser Beitritt finanzielle Folgen hat, wissen wir, aber die Iberische Halbinsel gehört zu Europa, und die ausgestreckten Hände der Demokratien, die in beiden Ländern mit unserer Hilfe Diktaturen überwunden haben, wollen und dürfen wir nicht zurückweisen.
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Wir anerkennen schließlich, daß sich die Agrarminister überhaupt über einen Kompromiß verständigt haben. Wir wissen, daß dies seit mehr als zehn Jahren nicht gelungen war, und wir verkennen nicht, daß erstmals eine Kostenbegrenzung - genauer gesagt, eine Verlangsamung des weiteren Kostenanstiegs - zustande kam.
Aber wir sind mit dem sachlichen Inhalt des Kompromisses mehr als unzufrieden. Der Kompromiß bedeutet keine wirkliche Umkehr. Er macht nicht die finanziellen Mittel frei, die die Gemeinschaft dringend für andere Aufgaben braucht. Er wird auch zu einer weiteren Wucherung der Bürokratie führen, und er wird die Existenz kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe gefährden und diesen Betrieben jede Perspektive nehmen.
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Er wird die kleinen und mittleren Betriebe gefährden, aber den Milchfabriken in Holland und anderswo, die im wesentlichen mit importierten Futtermitteln sinnlose Überschüsse produzieren, kaum Abbruch tun.
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Auf diesem Hintergrund verstehen wir auch die nachdrücklichen Proteste eines beträchtlichen Teils der Landwirte, nämlich der einkommensschwächeren, derer, die schon vom gegenwärtigen Agrarmarktsystem unterdurchschnittlichen Nutzen haben. Gerade sie warnen wir aber: Lassen Sie sich nicht vor den Karren der Großproduzenten spannen, und seien Sie mißtrauisch, wenn einer von den Großen, wenn Herr Heereman
({12})
sich an dem Kunststück versucht, als Ihr Präsident gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung, als CDU-Bundestagsabgeordneter hier in diesem Saal aber für diese Politik zu sein und einzutreten!
({13})
Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls auf sein Abstimmungsverhalten gespannt, wir sind gespannt, ob er heute das Wort nimmt, wir sind gespannt, wie er diesen Zwiespalt auflösen will.
({14})
Ich füge hinzu: Nur über den Preis, ohne ergänzende direkte Einkommensübertragung, wird es für
die einkommensschwächeren Landwirte keine befriedigende Regelung geben,
({15})
obwohl gerade sie einen besonderen Beitrag zur Erhaltung einer ökologisch gesunden Umwelt leisten.
({16})
Die Agrarfabrikanten, die Lagerhalter und die Exporteure werden wie bisher die eigentlichen Nutznießer dieses Systems bleiben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn in diesen Tagen von Europa und der Verwendung der finanziellen Mittel der Gemeinschaft die Rede ist, verfestigt sich bei den Menschen draußen der Eindruck, dieses Europa sei ausschließlich ein Europa der Landwirtschaft, nein, es sei ein Europa der sinnlosen Überschußproduktion. Soll die Gemeinschaft Bestand haben - das gilt für uns alle in diesem Haus -, dann muß das geändert werden. Dann muß Europa endlich auch zum Europa der Arbeitnehmer werden.
({17})
Die Sorgen der Arbeitnehmer - ich nenne die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Sicherung und Fortentwicklung der Mitbestimmung und der sozialen Sicherungssysteme - müssen endlich den gleichen Rang einnehmen wie die Sorgen anderer, zahlenmäßig viel kleinerer Gruppen. Es darf nicht so bleiben, daß die Arbeitnehmer die Milliarden aufbringen, diese dann anderen zufließen und sogar noch bewirken, daß die Arbeitnehmer für die so geförderten Produkte überhöhte Preise bezahlen,
({18})
Preise, die gar nicht allein den Bauern, sondern vielmehr in großem Umfang der Nahrungsmittelindustrie und dem Nahrungsmittelhandel zugute kommen.
({19})
Darum verlangen wir von der Bundesregierung verstärkte Anstrengungen für eine europäische Beschäftigungs-, Technologie-, Forschungs- und Industriepolitik, die diesen Namen wirklich verdient. Den Ankündigungen, Herr Bundeskanzler, die wir gerade gehört haben, müssen jetzt auf diesem Gebiet Taten folgen.
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Herr Kollege Vogel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
Keine Zwischenfragen.
({0})
Dazu gehört eine Verlagerung der Schwerpunkte im europäischen Haushalt.
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Solange 70 % der europäischen Mittel in den Agrarsektor, aber nur knapp 20 % in den eben genannten Bereich fließen, wird sich die Situation nicht ändern. Die beabsichtigte Begrenzung des weiteren Anstiegs der Agrarkosten bewirkt j a nur, daß sich dieses Verhältnis nicht noch weiter verschlechtert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wollen wir eigentlich den Stahlarbeitern an der Ruhr und an der Saar oder den Werftarbeitern an der Küste klarmachen, daß Europa eine gute Sache ist, wenn die europäischen Regierungschefs über die Nöte der Landwirtschaft viele Tage, wenn nicht Wochen, über ihre Nöte auf dem Gipfel aber allenfalls am Rande verhandeln und reden können?
({1}) Das kann und darf nicht so bleiben.
In diesen Zusammenhang gehört eine weitere Forderung: die Forderung, daß die Bundesregierung der Öffentlichkeit klipp und klar sagt, welche finanziellen Lasten die Bundesrepublik für die Rettung der Gemeinschaft zusätzlich auf sich nehmen soll. In dem geschriebenen Text Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, sind Sie auf diese Frage nicht eingegangen. Sie haben mündlich einige Zahlen genannt. Ich werde mich mit den Zahlen noch auseinandersetzen. Wir wissen, daß es solche finanziellen Lasten geben wird. Wir wissen auch, daß sie in einem gewissen Umfang unvermeidlich sind. Aber wir wollen Klarheit über das Ausmaß dieser Lasten und auch darüber, warum sie in dieser Höhe von Ihnen für zwingend gehalten werden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben doch noch vor wenigen Wochen einem Beschluß des Bundestages, det für jede Erhöhung unserer Beiträge strenge Bedingungen vorsah, zugestimmt und ihn begrüßt. Diese Bedingungen sind - wenn Sie die damaligen Texte nachlesen - nicht erfüllt. Sie haben sich für diesen Beschluß ausdrücklich bedankt. Heute war davon keine Rede.
Nach den bisher bekanntgewordenen internen Berechnungen fehlen selbst bei Berücksichtigung des Agrarkompromisses schon in diesem Jahr 5 Milliarden DM im EG-Haushalt. Das belastet uns schon auf Grund dieses Sachverhalts mit 1,5 Milliarden DM. Die Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft belastet uns ab 1986 mit jährlich 4 Milliarden DM und ab 1. Januar 1988 mit jährlich 6 Milliarden DM. Ihre Erklärung, daß diese Erhöhungen nicht in Anspruch genommen würden, ist allenfalls eine Hoffnung, aber keine Grundlage, auf der die mittelfristige Finanzplanung aufbauen kann.
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Außerdem, Herr Bundeskanzler, sind doch erhebliche nationale Ausgleichsleistungen auf dem Weg über die Vorsteuerpauschale im Agrarbereich vor4236
gesehen. Diese Ausgleichsleistungen werden vorsichtig mit etwa 2 Milliarden DM veranschlagt.
Wir kommen auf Grund unserer vorläufigen Berechnungen zu dem Ergebnis, daß wir in den nächsten fünf Jahren im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung bisher nicht vorgesehene Mehraufwendungen von rund 30 Milliarden DM auf uns zukommen sehen. Das sind gewaltige Summen: das sind 12 % des Bundeshaushalts 1984. Selbst wenn Ihre Zahl stimmen sollte, Herr Bundeskanzler, 18 Milliarden DM, dann sind das immerhin noch 6 bis 7 % des Jahreshaushalts 1984. Ich nenne die Prozentzahl nur, um die Größe des Problems deutlich zu machen, und ich erinnere daran, wie wir hier um ein Zehntelprozent der Jahreshaushaltssumme miteinander gerungen haben. Deswegen meine Bitte und meine Aufforderung, uns nicht nur in einer eingeschobenen mündlichen Ergänzung, sondern in einer sorgfältigen Darstellung des Zahlenwerkes Klarheit zu verschaffen. Das darf nicht im Zwielicht bleiben.
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Sie müssen uns auch sagen, wer diese Summen aufbringen soll. Der Absicht, auch diese enormen Summen wieder durch Kürzungen und neue Belastungen der Schwächeren, der breiten Schichten des Volkes zu finanzieren, werden wir Sozialdemokraten entschiedenen Widerstand entgegensetzen.
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Damit dies ganz klar wird: Solange Sie nicht eine wirkliche Ergänzungsabgabe einführen, solange Sie sich in der Lage sehen, die Vermögenssteuer zu senken, solange Sie mit den Steuerprivilegien derer nicht Schluß machen, die noch immer, und zwar entgegen dem Rat Ihrer eigenen Fachleute, aus den Abschreibungs- und Verlustgesellschaften Vorteile ziehen, so lange werden wir auch im Zusammenhang mit Europa zu jeder weiteren Kürzung und zu jeder weiteren Belastung zum Nachteil der breiten Schichten unseres Volkes nein sagen.
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Außerdem hört man von Absichten, an den nationalen Ausgleichsleistungen im Agrarbereich die Bundesländer in erheblichem Umfang zu beteiligen. Ich kann auf diesen Punkt nur hinweisen und vor dieser Absicht warnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wichtig, die akute Krise zu meistern, aber es ist ebenso wichtig, den Menschen wieder Hoffnung zu geben, ihnen deutlich zu machen, daß die Einigung Europas nicht nur eine Illusion, sondern eine realistische Perspektive ist und daß zu dieser Perspektive auch eine gemeinsame Umweltschutzpolitik, eine verstärkte politische Zusammenarbeit, eine europäische Sicherheitspolitik im Rahmen - -({6})
- Herr Präsident, ich habe gar nichts dagegen,
wenn auf Grund meiner Anregungen hier eine intensivere Beratung dieser Probleme schon jetzt in der Bundesregierung stattfindet.
({7})
Dies ist ein gutes Beispiel, wie Opposition und Regierung in gutem demokratischem Stil zusammenwirken, und zwar im gleichen Saale.
({8})
Ich sagte, es ist wichtig, den Menschen Hoffnung zu geben, ihnen deutlich zu machen, daß die Einigung Europas eine realistische Perspektive ist, daß dazu auch eine gemeinsame Umweltschutzpolitik, eine verstärkte politische Zusammenarbeit, eine europäische Sicherheitspolitik im Rahmen des Atlantischen Bündnisses und - daran halten wir fest - schließlich die Europäische Union, j a die Vereinigten Staaten von Europa gehören.
({9})
Dazu - und das sage ich in alle Richtungen - gehören nicht nur Reden, dazu gehören Taten. Sonst werden die nächsten europäischen Wahlen ein Fiasko - nicht für einzelne Parteien, sondern ein Fiasko für Europa.
({10})
Drei konkrete Fortschritte erscheinen besonders dringlich.
Erstens. Die Rechte des Europäischen Parlaments müssen gestärkt werden.
({11})
Europas Bürger werden nicht auf Dauer Abgeordnete in ein Parlament wählen, das immer wieder von den nationalen Regierungen und der Brüsseler Bürokratie blockiert wird.
({12})
Die Bürokratie in Brüssel muß endlich vom Europäischen Parlament abhängig sein, nicht - wie bisher - umgekehrt.
({13})
Außerdem - ich glaube, darüber können wir sogar einen allgemeinen Konsens erzielen -: In den meisten streitigen Fragen hat das Parlament klügere und mutigere Entscheidungen getroffen als die Ministerräte oder die Bürokratie.
({14})
Nur mit Hilfe eines starken Parlaments kann die Verkrustung aufgebrochen werden, an der Europa in diesen Monaten zu ersticken droht.
({15})
Zweitens. Auf dem Wege zu einer europäischen Währung muß ein weiterer Schritt getan werden. Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing haben 1979 mit der Schaffung des Europäischen Währungssystems einen Anfang gemacht. Wir dürfen dabei nicht stehenbleiben. Die Zeit ist reif für eine Wiederaufnahme der Pläne, das EWS, das Europäische Währungssystem, stufenweise zu einer EuropäiDr. Vogel
schen Währungsunion mit Zentralbank und voller europäischer Währungseinheit fortzuentwickeln.
Drittens. Die jüngsten Vorgänge an den inneren Grenzen der Gemeinschaft waren für Europa - man kann das nicht anders ausdrücken - eine Schande. Die inzwischen von den Verkehrsministern vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen sind nach unserem Urteil unzulänglich. Sie packen das Übel nicht an der Wurzel. Wir fordern deshalb erneut die völlige Beseitigung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft.
({16})
Was zwischen Belgien, Holland und Luxemburg seit Jahr und Tag selbstverständlich ist und sich bewährt hat, das muß doch auch zwischen Frankreich und Deutschland oder Deutschland und Dänemark und an den anderen Binnengrenzen möglich sein. Auch für den Gütertransitverkehr von Deutschland durch Österreich nach Italien müssen bessere Lösungen gefunden werden. Wenn entsprechend unseren Forderungen die Binnenkontrollen innerhalb der Gemeinschaft verschwinden, bleibt nur das Transitproblem, und ich bin sicher, unsere österreichischen Nachbarn werden dieses Problem so zügig und einfach wie nur möglich bewältigen.
Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, es ist doch ein Tatbestand, der zu denken gibt, daß ein deutscher Bundeskanzler innerhalb von wenigen Wochen die Abwicklung des Gütertransits von Berlin nach Westdeutschland rühmt und günstig beurteilt und gleichzeitig den Transit von München nach Mailand mit kritischen Kommentaren bedenken muß.
({17})
Der Gedanke an Europa hat auch in unserem Lande die Menschen einmal begeistert. Ich fürchte, das ist lange her. Seit geraumer Zeit greift Frustration um sich, macht sich Enttäuschung, macht sich Europamüdigkeit breit. Und in der Tat, der Unmut, die Verdrossenheit über die Regierungen ist groß. Noch haben sie eine Chance, diesen Unmut bis zum Tag der Europawahl zu wenden, noch kann die Krise überwunden, noch kann Europa wieder zu einem Begriff der Hoffnung werden. Wir Sozialdemokraten wünschen nicht, daß Sie an dieser Aufgabe scheitern, wir wünschen, daß Sie diese Aufgabe meistern.
({18})
Wir sind keine Anhänger der Sonthofener Katastrophenphilosophie, derzufolge die Opposition darauf setzen soll,
({19})
daß alles immer noch viel schlechter und schlimmer wird. Wir wünschen im Gegenteil, daß es Ihnen, daß es allen politischen Kräften unseres Landes gelingt, zusammen mit denen, die in Europa guten Willens sind, diese Aufgabe in den nächsten Wochen zu meistern.
({20})
Scheitern Sie aber, dann wird die Wahl am 17. Juni zu einer Protestwahl werden, zum Protest der Völker gegen diejenigen, die nicht fähig oder willens sind, eine große Idee, die noch immer feste Wurzeln in den Herzen der Menschen hat, Wirklichkeit werden zu lassen, die um kleine Vorteile feilschen, die sich nur unter dem Druck des unmittelbar drohenden finanziellen Zusammenbruchs bewegen und selbst dann höchstens im Kreise und nicht von der Stelle kommen. Wir Sozialdemokraten werden uns dann mit diesem Protest solidarisieren, denn es ist nicht nur ein Protest gegen etwas, es ist ein Protest für etwas: Es ist ein Protest für Europa!
({21})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Vogel, nur einen vorläufigen Satz zu Ihrer Rede: Der zweite Teil war für Europa, der erste Teil leider nicht. Aber ich gehe darauf noch im näheren ein.
Die Bürger sehen und hören seit Monaten, ja, seit Jahren nur von Streit und Arger. Zum Stichwort Europa fällt dem Bundesbürger nur ein: Butterberg, Milchsee, Vernichtung von Nahrungsmitteln, Unzufriedenheit der Bauern, Frau Thatcher will ihr Geld zurück, und jetzt von Ihnen auch wieder, Herr Vogel: Wir Deutschen zahlen und zahlen. Jetzt kommt noch das Nichtergebnis in Brüssel hinzu. Dennoch ist die ganz überwiegende Mehrheit unserer Bürger nach wie vor der Meinung, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung, unser politisches Gewicht ohne Europa nicht zu wahren sind. Aber die Bürger fragen sich, ob von einer europäischen Zusammenarbeit gesprochen werden kann, wenn wir jedes halbe Jahr aus Fernsehen und Zeitungen von gescheiterten Gipfeln zu hören bekommen.
Es ist jedoch nicht richtig, vom Scheitern des Brüsseler Gipfels zu sprechen. In fast allen Punkten, in denen man in Athen noch streitig auseinanderging, wurde in Brüssel Einigkeit erzielt. Daß leider noch zwei Punkte offen blieben, hat sicher nicht an der deutschen Bundesregierung gelegen. Bundeskanzler Kohl ist schon in den Vorverhandlungen und auch bei den Verhandlungen selbst in Brüssel den anderen Mitgliedstaaten weit entgegengekommen. Diese echten Vorleistungen der Deutschen haben sehr ansteckend gewirkt. Alle EG-Staaten - um der Gerechtigkeit willen muß es gesagt werden -, auch die Briten, waren im Vorfeld von Brüssel bereit, Abstriche von ihren nationalen Maximalforderungen hinzunehmen. Wichtige Schritte in Richtung Europäische Gemeinschaft wurden dadurch erreicht.
Ein besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Präsident Mitterrand, der in hervorragender Weise den Brüsseler Gipfel vorbereitet hat. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion erinnert sich noch sehr gut an die Rede von Präsident Mitterrand hier vor diesem Bundestag. Der Beifall, den er damals bekommen hat, Herr Vogel,
war leider von Ihrer Seite wesentlich geringer als von unserer.
({0})
Wesentliche Grundlagen für Brüssel wurden bereits in Stuttgart unter der deutschen Präsidentschaft gelegt. Bundeskanzler Kohl hatte das Paket für den Gipfel 1983 in Stuttgart geschnürt. Sie kennen den brisanten Inhalt: Erhöhung der Eigenmittel der EG, Beitritt Spaniens und Portugals, Lösung des Problems der Agrarüberschußproduktion und des Problems des Grenzausgleichs, insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland, solidere Haushaltsführung der Europäischen Gemeinschaft und eine Änderung der Beitragsregelung, um die Rückzahlungswünsche der Briten in den Griff zu bekommen. Jetzt geht es darum, diese mühsam erzielten Kompromisse, die unterschriftsreif auf dem Verhandlungstisch liegen, so lange festzuhalten, bis auch noch in den letzten beiden Punkten Einigkeit erzielt ist. Wir dürfen es einfach nicht zulassen, daß diese Kompromisse wieder in Frage gestellt werden.
({1})
Dabei ist die vorläufig erzielte Einigung auf dem Agrarsektor besonders wichtig. Wir müssen die Agrarüberschüsse in den Griff bekommen. Wenn uns das nicht gelingt, schaden wir vor allem unseren bäuerlichen Familienbetrieben. Die bisher mechanisch geltenden Abnahmegarantien haben doch, sicher ohne es zu wollen, das Entstehen gewerblicher Milchfabriken geradezu gefördert.
({2})
Heute produzieren in der EG von 1,6 Millionen Milchproduzenten 200 000 Großproduzenten 70
({3})
und die 1,4 Millionen bäuerlichen Betriebe nur 30 % der Milch.
({4})
Wenn wir jetzt nicht die Mengenbegrenzung für alle Betriebe einführen, dann produzieren morgen 300 000 Großbetriebe 90 % der EG-Milch, wobei gleichzeitig die Überschüsse doppelt so hoch sein werden wie heute. Die Absatzgarantie muß dann mangels Geld in der Kasse zusammenbrechen, und in einem mörderischen Kampf um den Markt können gerade die Kleinen nicht mehr mithalten.
Herr Vogel, wenn Sie das auch beklagen, dann muß ich hierzu feststellen: Dieses Problem ist seit Jahren bekannt.
({5})
Wenn es jetzt besonders teuer kommt - Sie beklagen, daß es so teuer kommt -, dann liegt das nicht zuletzt daran, daß die vorherige Bundesregierung nicht in der Lage war, wenigstens eine Teillösung bei der EG zu erreichen.
({6})
Nach dem übermorgen hoffentlich endgültig festgeschriebenen Kompromiß dürfen die Bauern nach der sogenannten Quotenzuteilung in dem am 1. April beginnenden neuen Wirtschaftsjahr nur 7,5% weniger Milch gegenüber dem Vorjahr produzieren. Der Bundeskanzler hat jedoch zugesagt - ich betone es hier noch einmal für die Fraktion -, daß der zum 1. April vorgesehene gleichzeitige Abbau des sogenannten Grenzausgleichs zwischen Deutschland und Frankreich in Höhe von 2 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden soll, um die Verluste der Bauern in Grenzen zu halten.
Trotz der gestrigen ergebnislosen Sitzungen des Agrar- und des Außenministerrates ist immer noch die Hoffnung begründet, daß die beiden restlichen Streitpunkte, die irische Milch und der britische Rabatt, in Kürze ausgeräumt werden. Vielleicht ist es ein wenig kühn, jetzt schon das Brüsseler noch nicht erreichte Ergebnis vorwegzunehmen; aber bei näherer nüchterner Betrachtung ist auch die noch offene britische Frage lösbar und wird gelöst werden, weil vor allem gerade Großbritannien selbst weder ein Interesse an einem Ausstieg aus der EG noch an einer weiteren Verschleppung des Stuttgarter Paketes haben kann. An den darin enthaltenen Sparbeschlüssen ist London genauso interessiert wie Bonn. Es sind durchaus hoffnungsvolle Rauchzeichen, die aus der Fraktion der englischen Konservativen zu uns herüberscheinen.
Für die CDU-CSU-Fraktion möchte ich den Kollegen der konservativen Partei in London versichern, daß England für uns ein hochgeschätzter Partner in der EG ist, den wir nicht verlieren möchten. Wir haben es mit Freude und großer Aufmerksamkeit verfolgt, daß Frau Thatcher und die gesamte konservative Partei im Gegensatz zur Labour Party bei den Unterhauswahlen 1983 ein so eindeutiges Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der EG abgegeben haben, daß zu jener Zeit die Stimmung der Briten ganz eindeutig mehrheitlich proeuropäisch war.
Frau Thatcher selbst hat am 25. Mai 1976 in Ihrer Rede auf dem Bundesparteitag der CDU in Hannover folgendes gesagt:
Laßt uns erneut mit aller Kraft um die Freiheit ringen. Laßt uns ein Europa bauen, das der Freiheit würdig ist! Und laßt uns eine Erbschaft an unsere Kinder weiterreichen, für die sie mit Freude und Stolz weiter arbeiten können - in einem freien Europa.
So Frau Thatcher vor der CDU.
Die CDU/CSU-Fraktion ist ganz zuversichtlich, daß die britische Regierungschefin dieses freie Europa als Erbe für unsere Kinder nicht für 250 Millionen ECU aufs Spiel setzen will.
Wenn es Frau Thatcher heutzutage schwer hat, auf ihre ursprüngliche, europafreundliche Linie zurückzukehren, so liegt es nicht zuletzt daran, daß die große Labour-Oppositionspartei einen geradezu militanten Anti-Europakurs steuert und mit ihr natürlich alle ihr nahestehenden Zeitungen.
({7})
Das können eigentlich nur Sie beeinflussen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion. Wie wäre es, wenn Sie die freigewählten Labour-Abgeordneten möglichst oft nach Bonn einladen würden, um hier echte Verständigungsbarrieren abzubauen?
({8})
Die Vorwürfe in englischen Zeitungen, Bundeskanzler Kohl habe nicht genug für einen Kompromiß getan, sind falsch und politisch bedauerlich. Bundeskanzler und Außenminister waren beide bemüht, eine Isolierung Englands auf dem Gipfel zu vermeiden. Der vom Bundeskanzler vorgelegte letzte Kompromißvorschlag war mit Ratspräsident Mitterrand abgestimmt; alle anderen hatten sich dem angeschlossen. Es muß jetzt gelingen, unnötige Mißverständnisse auszuräumen.
Eine kleine Bemerkung am Rande sei mir gestattet. Der Europaausschuß - European Legislation Committee - des House of Commons kündigte vor ein paar Tagen an, die Europa-Kommission des Bundestages besuchen zu wollen. Wir freuen uns auf die Briten.
Statt immer gleich so schreckliche Beschwörungsformeln wie „schwerste Krise aller Zeiten" zu verwenden, ist es besser, dem Bürger zu erklären, warum dieser in der Weltgeschichte neue, ja erstmalige Versuch eines freiwilligen, friedlichen Zusammenschlusses von Völkern gar nicht so glatt und reibungslos vonstatten gehen kann. Die Geschichte lehrt, daß Zusammenschlüsse von Staaten bisher immer nur durch Eroberungs- und Bürgerkriege, also durch Gewalt zustande kamen. Der freiwillige Völkerzusammenschluß ist hier in Europa von ähnlich lärmender Uneinigkeit begleitet, wie auch der Lärm von Regierung und Opposition in jeder freiheitlichen Demokratie. Beide haben etwas durchaus positives, sympathisches gemeinsam: In ihnen herrscht nicht die Grabesstille der Unterdrückung.
Auch zu Beginn der Gemeinschaft war es keineswegs einfach, gemeinsame Beschlüsse zu fassen. Schon damals mußten Problembündel zu einem unauflöslichen Paket zusammengeschnürt werden, um Zugeständnisse aller zu erreichen. Es muß halt so sein, daß jeder Mitgliedstaat, der sich in einem Punkt Vorteile erhofft, diese nur erreichen kann, wenn er gleichzeitig bereit ist, den Nachteilen, die er in einem anderen Punkt hinnehmen muß, zuzustimmen. In einer Gemeinschaft gleichberechtigter Partner wird es auch in Zukunft nicht anders möglich sein, als von Zeit zu Zeit den angehäuften Stau unerledigter Fragen in solch einem dicken Problempaket über die Hürden zu bringen. Erst ist das Wehgeschrei groß, und am Ende ist jeder froh über den erreichten Kompromiß.
Bundeskanzler Kohl sagte am 9. März dieses Jahres in Aachen zu Europa:
Die Zukunft der Gemeinschaft liegt in der politischen Einheit. Es wäre ein fataler Irrtum - aber dieser Irrtum macht sich breit - zu glauben, wir könnten in dieser Welt einen gemeinsamen Wirtschaftsraum schaffen und erhalten,
ohne in einer sehr nahen Zukunft den entscheidenden Schritt zur politischen Einigung zu wagen, das heißt: zum Bau der Vereinigten Staaten von Europa.
Als Deutscher füge ich hinzu: Dies ist das eigentliche Ziel unserer Europa-Politik. Gerade wir - die Deutschen - müssen dieses Ziel mehr anstreben als andere. Denn die Last der Teilung unseres Vaterlandes - wann immer sich eine Chance für die Einheit der Nation bieten mag, in einer nahen oder weiteren Zukunft, vielleicht erst in Generationen - ist überhaupt nur tragbar auf dem einzig möglichen, dem friedlichen Weg unter einem europäischen Dach.
In welcher Situation sind wir heute im Vergleich zu dem von Bundeskanzler Kohl klar angestrebten Ziel? Wir Westeuropäer sitzen längst dank der bisher erreichten Einigung gemeinsam in einem Boot. Aber es ist ein dahindümpelndes Schiff mit zehn Kapitänen und Steuermännern, das in immer unruhigeres Wasser gerät. Auf der Kommandobrücke wird das Steuer einmal links, einmal rechts herum gerissen und vom Vorwärts- bis zum Rückwärtsgang alles durchgespielt. Die Passagiere, die Bürger Europas, sind alle schon seekrank. Die Angst wächst, das Schiff könnte kentern. Die ersten rufen schon nach den nationalen Rettungsbooten, um sich abzusetzen. Die besonneneren Passagiere sehen in der Flucht ins nationale Rettungsboot keinen Ausweg, weil ihnen dann nur noch übrigbleiben wird, entweder beim Großtanker USA oder beim Großtanker UdSSR um Aufnahme zu bitten. Sie fordern daher zu Recht, daß endlich das Europaschiff auf klaren Kurs gebracht wird.
Mit diesem Bild verbinden sich drei Fragen. Erstens. Warum sitzt Europa schon in einem Boot? Was haben wir durch den bisherigen Zusammenschluß erreicht? Zweitens. Was sind die unruhigen Gewässer,
({9})
die neuen Probleme und Herausforderungen, denen sich Europa stellen muß? Drittens. Was ist zu tun, um das Europaschiff auf Kurs zu bringen?
Zur ersten Frage. Die Europäische Gemeinschaft ist einer der reichsten Wirtschaftsblocks der Welt. Auf 1,6 Millionen km2 leben 273 Millionen Menschen dicht gedrängt beisammen. Zum Vergleich: In den USA leben 220 Millionen Menschen auf 9,3 Millionen km2. Europa ist ein weltoffener Handelsblock, der auf Grund seines Rohstoffmangels und seiner dichten Besiedlung auf den intensiven Handelsaustausch mit der ganzen Welt angewiesen ist. Während sich die USA und die UdSSR im Notfall auf sich selbst zurückziehen könnten, ohne allzuviel von ihrem jetzigen Lebensstandard einbüßen zu müssen,
({10})
könnten wir das niemals. Von seinen Export- und
Importhandelsströmen abgeschnitten würde West4240
europa in Armut und Elend versinken. Allein das Zudrehen des Energiehahns hätte das Chaos bei unserer Industrieproduktion zur Folge.
Nicht nur uns Deutschen, ebenso allen anderen Mitgliedstaaten hat der schrittweise Abbau der Binnenzölle in Europa Exportchancen, Arbeitplätze und Wohlstand gebracht. Auf rund 5 Millionen unserer Arbeitsplätze wird für den Export in die Mitgliedstaaten gearbeitet, davon auf 200 000 landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen für den Export von Nahrungsmitteln in die EG. Wenn heute die nationalen Grenzen wie Fallbeile herabsausen würden, hätten wir morgen die Gefahr von 7 Millionen statt 2 Millionen Arbeitslosen in Deutschland.
Zum erstenmal in der Geschichte Europas ist die ausreichende Ernährung seiner Menschen kein Problem. Solange wir zurückdenken können, waren die Staaten Europas entweder periodisch von Hungersnöten geschüttelt oder auf die Einführung von Nahrungsmitteln aus den sogenannten Kornkammern der Welt angewiesen.
Noch ein Wort zu den Kosten, die ja für Sie, Herr Vogel, so im Vordergrund standen. Der Gesamthaushalt beträgt 57 Milliarden DM, also gerade so viel wie der des Landes Nordrhein-Westfalen. Von den Eigenmitteln der Gemeinschaft, die aus Deutschland kommen, fließt ein großer Teil in unsere Kassen als Hilfen vorrangig für unsere Landwirtschaft zurück. Es läßt sich vermuten, daß uns eine rein nationale Landwirtschaftspolitik nicht viel billiger käme. Sicher wäre sie verbunden mit wesentlich geringeren Exportchancen für unsere landwirtschaftlichen Produkte.
Aber die wichtigste historische Leistung ist die mit den Verträgen von Paris und Rom geschaffene Friedensordnung zwischen freien Völkern, durch die jahrhundertealte Feindschaften überwunden wurden.
({11})
In der Sogwirkung dieser Europäischen Gemeinschaft freiheitlicher Demokratien konnten sich Griechenland, Spanien und Portugal vom Joch der Diktaturen befreien. Völker in anderen Regionen der Welt sehen diesen freiwilligen Zusammenschluß gleichberechtigter Partner in Westeuropa als ein Modell an, das ihnen Mut macht, auch das Kriegsbeil zwischen sich und ihren Nachbarn zu begraben.
({12})
Unser westeuropäisches Beispiel eines Regionenzusammenschlusses ist weltweit viel angesehener als etwa das osteuropäische, in dem eine Großmacht andere kleinere Staaten unterdrückt.
Leider lehnen heute immer mehr Teile der SPD - ich nenne nur die Namen Lafontaine und Eppler - im Gleichklang mit den GRÜNEN den westeuropäischen Zusammenschluß ab und fordern statt dessen die Annäherung an den Osten.
({13})
Das ist aber in Wahrheit keine Alternative.
({14})
- Es scheint zu stimmen. Lesen Sie Ihre Reden aus dem letzten Jahr.
Das ist in Wahrheit keine Alternative, sondern der zweite Schritt, der nicht vor dem ersten getan werden kann.
({15})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, meine Zeit ist zu kurz bemessen.
Wenn jetzt die Westeuropäer wieder auseinanderliefen und jeder einzeln bei der UdSSR friedensbewegt um eine Annäherung an Osteuropa nachfragen würde, wären über soviel Blauäugigkeit am meisten die Osteuropäer erschrocken.
({0})
Sie wissen aus eigener Erfahrung zu genau, daß ein solcher Schritt uns genauso zu sowjetischen Satelliten machen würde, wie sie es selbst sind. Gerade die Osteuropäer setzen ihre ganze Hoffnung auf ein friedlich, politisch geeintes Westeuropa, weil sie sich von ihm eine so große Sogwirkung versprechen, daß die UdSSR ihren Großmachtzugriff auf die kleinen Staaten im Osten wird lockern müssen.
({1})
Auch das andere von den GRÜNEN gemalte Schauderbild von Westeuropa als dem Ausbeuter der Dritten Welt, der selbst in Gift und Müll erstickt, wird in der Dritten Welt ganz anders gesehen. Während wir hier zu Recht bei Düngemitteln, Arzneien und Chemikalien auf die Bremse treten, weil wir zuviel des Guten getan haben, fehlt es draußen in den Ländern der Dritten Welt an Düngemitteln, an Arzneien, an Chemikalien,
({2})
um ihre landwirtschaftlichen Erfolge zu verbessern, den Gesundheitszustand zu heben und Mindestanforderungen der Hygiene erfüllen zu können. Das natürliche Leitungswasser ist in den Ländern der Dritten Welt so giftig, daß ein Europäer davon krank wird, wenn er es ungekocht trinkt.
({3})
Wir erwarten von den GRÜNEN, daß sie realistische, konstruktive Vorschläge machen,
({4})
die wir daraufhin überprüfen können, ob sie eine glaubwürdige Alternative zur politischen Einigung Westeuropas sind.
Uns geht es darum, nicht nur das Erreichte zu wahren, sondern auch darum, uns den neuen Herausforderungen in Westeuropa zu stellen. Wir haben in Europa den Schwung der Nachkriegsjahre - mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze - verloren. Dieser Schwung ist jetzt woanders: in Ostasien, in Japan, in den USA. Warum? Jetzt rächt sich der Fehler, daß die Europäer bei der Schaffung des europäischen Binnenmarktes immer noch auf halbem Wege stehengeblieben sind. Statt der inzwischen abgebauten Zollbarrieren haben wir noch Steuerbarrieren und andere sogenannte technische Barrieren unterschiedlicher nationaler Gesetze heranwachsen lassen.
({5})
Für die modernen Technologien - so z. B. auf dem Gebiet der Satellitentechnik, der Mikroelektronik, der Biochemie - sind diese Barrieren tödlich.
Mit nationaler Parallelforschung verschwenden wir zuviel Geld mit zu geringem Erfolg. Daneben entstehen für die europäische Industrie durch die immer noch nicht abgebauten Grenzkontrollen an den Binnengrenzen jährlich Kosten in Höhe von zirka 30 Milliarden DM. Unsere Energieversorgung ist national und damit kleinstaatlich und damit sehr krisenanfällig organisiert. Die beiden Ölschocks hätten den Europäern Warnung genug sein müssen.
Beim Umweltschutz, z. B. der Luftverschmutzung, bleiben alle deutschen Anstrengungen für uns nur halb soviel wert, solange nicht auch die schmutzige Luft, die gerade vom Westen zu uns hereingeblasen wird, europäisch bekämpft wird.
({6})
Meine Damen und Herren, der Gipfel von Brüssel hat zu diesen Punkten wichtige Teillösungen gebracht. Deswegen ist es so wichtig, daß dieser Kompromiß möglichst bald auch endlich abgeschlossen wird.
({7})
Damit stellt sich gleichzeitig noch die dritte Frage: Was muß jetzt getan werden, um das europäische Schiff auf Kurs zu bekommen? Bundeskanzler Kohl hat seit seinem Amtsantritt deutlich neuen Schwung in die Europafrage gebracht. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit zwischen ihm und dem jetzigen Präsidenten des Europäischen Rats, Herrn Staatspräsident Mitterrand, können wir darauf hoffen, daß die jahrelange Stagnation im politischen Einigungsprozeß Europas überwunden wird und daß es schrittweise wieder vorwärts geht. Die CDU/CSU-Fraktion wird Bundeskanzler Kohl hierbei nach Kräften unterstützen.
({8})
Die Forderung liegt auf dem Tisch, das Beispiel der Konferenz von Messina der 50er Jahre zu wiederholen, in der die Verträge von Rom zur Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und von Euratom erarbeitet wurden. Jetzt muß es darum gehen, einen Vertrag zur Europäischen Union zu erarbeiten. Das ist ein besserer Vorschlag, um den Einigungsprozeß voranzubringen, als etwa von vornherein das Europa der zwei Geschwindigkeiten anzustreben, also sich auf die sechs Gründerstaaten zurückzuziehen.
({9})
Das am 17. Juni zu wählende Europäische Parlament fordert für sich als dem europäischen Motor mehr Rechte. Der Bundestag wird wie alle nationalen Parlamente schon in Kürze zu dem vom Europaparlament erarbeiteten Vertragsentwurf Stellung nehmen müssen. Die Europa-Kommission des Deutschen Bundestags wird voraussichtlich bereits übermorgen eine entsprechende Empfehlung an das Plenum beschließen. Die Kommission hat im Februar und März eine Reihe von Vorschlägen zur beschleunigten Verwirklichung des Grenzabbaus erarbeitet.
({10})
- Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident!
Bisher wurden alle Beschlüsse der Kommission einstimmig gefaßt. Es sollte den engagierten Mitgliedern der Fraktionen gelingen, ihre Europabegeisterung auch auf ihre Fraktionen zu übertragen. Selbst bei der SPD-Fraktion bin ich nach Ihrer heutigen Rede, Herr Vogel, hoffnungsvoll.
Frau Kollegin, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat aus einer Rede Konrad Adenauers aus dem Jahre 1950:
Wir Europäer müssen klar erkennen, daß in Wirklichkeit seit dem letzten Krieg Entwicklungen und Verschiebungen politischer Natur eingetreten sind, die uns nötigen, die europäische Integration in erster Linie nicht mehr allein unter innereuropäischen Gesichtspunkten, sondern unter weltweiten politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu sehen. Wenn wir das tun, erscheint uns manche aus nationalen Gründen bisher als groß erscheinende Hürde so klein, wie sie in Wirklichkeit ist. Wir müssen handeln. Eine Entwicklung, die wir Europäer nicht beeinflussen können, geht sonst einfach über uns hinweg. Wir Europäer fühlen uns viel zu sicher. Die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung Europas, die zu Anfang dieses Jahrhunderts noch unbestritten war, ist lange dahin. Ob die europäische Kultur ihre führende Stellung behalten wird? - Ich glaube nicht, wenn wir sie nicht verteidigen und den neuen Verhältnissen entsprechend entwickeln.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.
Liebe Freundinnen und Freunde! Ich glaube, meine Vorrednerin der CDU hat die EG mit der NATO verwechselt und die NATO mit der EG. Frantz Fanon hat in seinem Buch: „Die Verdammten dieser Erde" einmal über Europa geschrieben:
Ganze Jahrhunderte lang hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und zu seinem Ruhm unterjocht. Ganze Jahrhunderte hat es im Namen eines angeblich geistigen Abenteuers fast die gesamte Menschheit erstickt. Seht, wie es heute zwischen der atomaren und der geistigen Auflösung hin und her schwankt.
Ebensowenig wie die römischen Legionen vor 2000 Jahren in der Lage waren, dauerhaft ein einheitliches Europa zu schaffen, können es jetzt offenbar die Römischen Verträge, der Gemeinsame Markt auch nicht mehr. Zwischen den Legionen und den Verträgen liegen neben den Hervorbringungen einer Kultur auf sehr unterschiedlichen Gebieten auch 2000 Jahre nationalstaatlicher Eigenbrötelei, begleitet von unzähligen Waffengängen. Diese konfliktreiche Geschichte darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man vor dem Trümmerhaufen der beiden EG-Gipfel von Athen und Brüssel steht.
Diese zwei Europa-Gipfel-Desaster sind nicht dazu angetan, ein günstiges Klima für die Europawahlen zu schaffen. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich veralbert, fühlen sich betrogen, wenn ihnen von Politikern sonntags erzählt wird, daß es keine Alternative zu Europa gibt, und sie mit ansehen müssen, wie sich dieselben Politiker im europäischen Alltag und am Verhandlungstisch gegenseitig vors Schienbein treten. Der Eklat von Athen und von Brüssel muß der Anlaß sein zu einem gründlichen Nachdenken über die Daseinsgründe Europas. Und dieser Denkprozeß sollte insbesondere von der einzigen Institution der Gemeinschaft geführt werden, die durch allgemeine Wahlen legitimiert ist, das Europäische Parlament. Ihm fällt jetzt die Aufgabe zu, die Probleme anzupacken, über die alle unsere Regierungen da oben stolpern, weil sich diese Probleme den nationalen Dimensionen entziehen und nur gemeinschaftlichen Lösungen zugänglich sind.
Was ist aus Europa geworden, in dem 1950 begeisterte Anhänger des Europa-Gedankens spontan Zollschranken zwischen Deutschland und Frankreich zersägt haben? Heute sind daraus wohlgeplante Aktionen zum Europatag geworden, und es sind Europa-Abgeordnete, christdemokratische, die die Zollschranken zersägen. Um mit dem Gesetz nicht in Konflikt zu kommen, haben sie diese Schranken von zu Hause mitgebracht. Die wirklichen Schranken bleiben unversehrt. Vielleicht ist an dieser Stelle anzumerken, daß die Fraktion der Christdemokraten im Europa-Parlament, die Europäische Volkspartei, in ihrer Publikation „CD Europa" aufgerufen hat, ein Europa ohne Schlagbaum zu schaffen. Mancher von uns aus der Fraktion der GRÜNEN muß etwas schmunzeln, wenn wir auf Seite 11 der Publikation lesen, daß christdemokratische Abgeordnete, die einen Wahlkreis in Grenznähe haben, aufgerufen sind zu vergleichbaren Initiativen, denn - ich zitiere - „das symbolische Zersägen eines Schlagbaums oder Anzünden eines Grenzpfahls ist allemal ein pressewirksames Unterfangen". Vielleicht sollten die Bürgerinnen und Bürger Europas lokale Gipfeltreffen veranstalten und von unten ein „Europa ohne Schlagbaum" schaffen. Es gehört zu den Alltagserfahrungen eines Bürgers in Europa, vom „Arm des Gesetzes" festgehalten zu werden, obwohl der Geist des Gesetzes, der Grundsatz der Freizügigkeit im EWG-Vertrag das Durchwinken befehlen würde. Die Ökologie- und Friedens- und Frauenbewegung, sei es am Kaiserstuhl, sei es in Fessenheim, sei es in Kalkar, hat schon längst das Europa von unten, das Europa ohne Schlagbaum geschaffen.
Aber was ist das Europa von oben, das Europa, das immer noch deklamiert wird? Je unbedeutender das Thema „Europa" in den Mitgliedstaaten wurde, um so konkreter wurde die Europäische Gemeinschaft jenseits der Meere: für Lateinamerika, Afrika und Asien ist hier fühlbar ein Wirtschaftsgigant entstanden, der mit zunehmender Furcht beobachtet wird. Denn wirklich genutzt worden ist dieses Europa in erster Linie von wirtschafts- und machtpolitischen Interessen und von den großen multinationalen Konzernen. Sie prägen das Gesicht dieses neuen, auf Wachstum eingeschworenen Staatengebildes. Ihre Expansionsmechanismen machen aus den Staaten Westeuropas zunehmend jene dritte Supermacht, die wir nicht wollen und nicht anstreben.
Im Vertrag zur Gründung der EG steht geschrieben: „In dem Vorsatz, die stetige Besserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben". Ich erinnere mich an Jean Monnet, der einmal geschrieben hat: „Wir koalieren nicht Staaten, wir vereinigen Menschen." Das war seine Leitidee. Aber nun ist es eine Gemeinschaft im bürokratisierten Finanzgerangel. Was ist geblieben vom Europa von oben? In der EG gibt es mehr als 12 Millionen Arbeitslose; der Anteil der Jugendlichen beträgt 40 %. Diese Bundesregierung, Herr Kohl, muß endlich der deutschen Öffentlichkeit Klarheit über die Belastungen in Milliardenhöhe verschaffen, die Sie nun nach dem Stand der Verhandlungen geschaffen haben. Sie muß auch sagen, wo und wie diese Summen aufgebracht werden sollen. Dem Versuch, auch diese Belastungen in sozial ungerechter Weise den sozial Schwächeren aufzubürden, werden wir in entschiedener Weise Widerstand entgegensetzen.
Ich glaube, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes allen Grund haben, den etablierten Parteien - von der CDU bis hin zur SPD - am 17. Juni einen Denkzettel zu verpassen.
({0})
Die Europäische Gemeinschaft funktioniert nicht.
Sie erfüllt nicht einmal ihre vertraglichen Verpflichtungen. Europa ist auf dem besten Weg, zu
einem wirtschaftlichen Giganten zu werden, und hat auch versteckte, USA-ähnliche Supermachtsgelüste. Doch sein immer militanter werdendes Verhältnis zu Staaten der Dritten Welt, seine Unfähigkeit, die Probleme im Inneren zu lösen, und die Schwierigkeit, Politik quantitativen Wachstums in eine Politik qualitativer Lebensverbesserung umzuwandeln, zeigen, wie weit die EG von den sozialen Bewegungen, von den Menschen jetzt entfernt ist.
({1})
Von der Idee eines geeinten Europas ist nicht viel übriggeblieben, auch wenn deklariert wird, daß die Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut werden. So stauen sich die Lkws vor den mit Richtlinien bewehrten und mit Formularen gespickten Zollschranken, an den innereuropäischen Grenzen. Und es ist ein schwerer Schlag für die spanisch-französischen Beziehungen sowie ein Hohn auf die Idee einer europäischen Völkergemeinschaft, wenn diese beiden Nachbarn Kanonenboote in Aktion treten lassen, statt ihre Fischereiprobleme in friedlicher Partnerschaft zu lösen. Geblieben ist ein Agrarmarkt, für dessen Absurdität die deutschen Steuerzahler Jahr für Jahr Milliardenbeträge aufbringen müssen. Subventioniert werden die Lagerung, die Produktion, der Verkauf und die Vernichtung von Überschüssen. Selbst untereinander blockieren die Länder der EG den sogenannten freien Handel mit Tricks und Schutzbestimmungen.
Ich glaube, daß die Zehnergemeinschaft der EG sowie auch unsere Regierung ihre ohnehin lädierte Glaubwürdigkeit noch vollends verspielen werden. Die Phase der Konfusion und Perspektivlosigkeit mit einstimmigen Ratsbeschlüssen muß überwunden werden. Die EG leidet darunter, daß sie permanent vorgeben muß, einer europäischen Idee zu dienen, während sie ihre Legitimation ausschließlich aus nationalen Parlamenten bezieht. Im Grunde genommen ist es eine Politik der Unwahrhaftigkeit geworden.
Die Unüberbrückbarkeit der nationalen Interessen, die sich an den europäischen Verhandlungstischen wiederfinden, hat dazu geführt, daß man von neuen Konstellationen spricht, von der sogenannten Achse Paris-Bonn, der deutsch-französischen Idee des Kerneuropas. Ich erinnere an die Absicht Mitterrands und Helmut Kohls, nach den Europawahlen im Juni noch einmal zu fragen, was denn die Mitglieder von Europa erwarten. Beide Politiker sind dem Vernehmen nach entschlossen, zusammen - im Notfall auch allein - die Zusammenarbeit auf allen Gebieten, auch auf dem Gebiet der Sicherheit, zu intensivieren und die Integration so fortzuentwickeln. So ist die Katze eigentlich aus dem Sack. Denn Heiner Geißler hat am 23. März 1984 in Borken erklärt:
Die Europäische Gemeinschaft ist neben den Vereinigten Staaten eine zweite Säule der NATO. Und auch die verteidigungs- uns sicherheitspolitische Solidarität muß gestärkt, die Zusammenarbeit muß ausgebaut werden.
Er meinte weiter:
Die Europäische Gemeinschaft muß auch gemeinsame Richtlinien ... für die Rüstungspolitik erarbeiten.
Herr Genscher erklärte am 23. März 1984:
Die Kernfrage Europas ist nicht der britische Ausgleich. Europa muß sich zwei anderen Grundfragen stellen:
1. Ist es willens und in der Lage, entschlossen den technologischen Wettbewerb mit den USA und mit Japan aufzunehmen?
2. Ist es willens und in der Lage, seine Sicherheitsinteressen so zu definieren und auch wahrzunehmen, daß der europäische Pfeiler des westlichen Bündnisses dieselbe Kraft hat
- ich betone: dieselbe Kraft wie der amerikanische?
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Soll das die Zukunft der sogenannten Vereinigten Staaten von Europa sein? Ich frage Sie, Herr Kohl und Herr Genscher - legen Sie die Karten offen auf den Tisch -: Ist das die Hintertür zur europäischen Atomstreitmacht? Vielleicht sollten Sie einmal darüber sprechen, wie die Christdemokraten noch ungenutzte Chancen genutzt sehen möchten; Stichwort: europäische Rüstungswirtschaft, Europäische Agentur für Rüstungsbeschaffung. Was wollen Sie damit? Warum wird es auf die Tagesordnung gesetzt?
Wir wollen dem ein Modell der Europäischen Alternativen Produktion, der Konversion entgegensetzen. Wir wollen dem auf europäischer Ebene ökologische und sanfte Lösungen im Bereich der Energien und Technologien entgegensetzen. Wir müssen wachsam bleiben. Denn die Signale, so meine ich, werden immer deutlicher, sei es in der EG, in der NATO oder in der Westeuropäischen Union. Die europäische Dimension der Sicherheitspolitik, wie Franz Josef Strauß und Sie, Herr Dregger, sie öfter vorgetragen haben, wird immer aktueller. Die Europäische Gemeinschaft wurde als Zivilmacht gegründet und sollte dies bis heute bleiben. Wir fordern, daß die Europäische Gemeinschaft von dieser friedlichen Ausgangslage her endlich zu einem schöpferischen Friedensfaktor wird und sich als ökologische Gemeinschaft der Regionen von unten entwickelt.
Wir sehen, daß die WEU dabei ist, die letzten Einschränkungen für den Bau von Rüstungsgütern in der Bundesrepublik aufzuheben. Die Liste wurde verkleinert, und zuletzt bleiben nur noch strategische Bomber und Raketen übrig. Die Bonner Koalitionspartner begrüßen innerhalb der WEU die Beendigung der sogenannten diskriminierenden Einschränkungen, so daß wohl endlich von oben ein Europa der Rüstungsprojekte, der Gentechnologie und der Atomkraftwerke belebt wird.
Wir wissen aber auch, daß kühne Entwürfe des Europaparlaments für eine Europäische Union auf dem Tisch liegen, kühne Entwürfe für ein neues System von Kompetenzübertragungen auf suprana4244
tionale europäische Unionsorgane. Doch zugleich ist deutlich geworden, daß dies nicht mehr funktioniert. Vom sogenannten Gemeinsamen Markt kann keine Rede mehr sein. Das Europäische Parlament hat in den wenigen Jahren seiner Existenz nur einige Rechte und Befugnisse erkämpft, doch diese werden immer kürzer gehalten, obwohl wir diesen europäischen Grundgedanken stärken müssen, eine wirksame demokratische Kontrolle in Europa dort zu haben, wo es europäische grenzüberschreitende Probleme gibt. So aber bleiben weiterhin der EG-Ministerrat, die Europäische Investitionsbank usw. unkontrolliert.
Ich frage aber auch Herrn Spranger, wie er es bewerten kann, daß er auf der einen Seite das Ziel eines „Europa ohne Binnengrenzen" anstrebt, aber auf der anderen Seite erklärt, daß im Sinne einer schnelleren Grenzkontrolle maschinenlesbare Ausweise so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden müßten.
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Was sollen wir davon halten, Herr Spranger, wenn Sie meinen, daß die Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit in Europa in Fragen der inneren Sicherheit und in Fragen der Ausländerpolitik zustande kommen sollen? Ist das der Anfang der „Europäischen Union"? Wird es bald grenzüberschreitende Berufsverbote, grenzüberschreitende Einsätze von europäischen Polizisten über europäischen Innenministertreffen geben - gegen gewaltfreie Demonstrationen, die ein Europa ohne Binnengrenzen schaffen wollen?
Die Europäische Gemeinschaft ist in der Tat eine zweite Säule der NATO. Das Europa der Damen und Herren der Regierungsbank kann uns keine Hoffnung bringen, und wir können den Frevel nicht mehr ertragen, daß von einem Europa der Hoffnung und der Solidargemeinschaft gesprochen wird.
Wie unglaubhaft ist Ihre Politik, Herr Genscher, wenn Sie - wie jüngst in Ankara - unehrliche und würdelose politische Geschäfte abschließen? Als EG-Vertragspartner will sich die Türkei den Verzicht auf das Anrecht bezahlen lassen, unbeschränkt Gastarbeiter in die Bundesrepublik zu schicken. Die Bonner verlangen nachdrücklich, daß die westdeutschen Grenzen auch dann für Millionen von Menschen, für einreisewillige Türken, gesperrt bleiben, wenn diese Menschen nach den Regeln des EG-Vertrages eigentlich überall hinfahren und überall arbeiten dürfen. Dafür sagen Sie, Herr Genscher, zu, sich in Brüssel stark zu machen, damit die seit 1981 blockierte Türkei-Hilfe der EG in Höhe von 1,4 Milliarden DM ausgezahlt wird. Die Deutschen werden - so Sie, Herr Genscher - ihre Finanz- und Militärhilfe von 260 Millionen DM fortsetzen. So haben alle schmutzigen Zugeständnisse auch schmutzige Preise: in diesem Falle Millionen Mark direkter deutscher Wirtschafts- und Militärhilfe für eine Diktatur innerhalb der NATO.
Herr Genscher, bei der Güterabwägung zwischen einer Stärkung der militärischen Südflanke der NATO und der Erhaltung elementarer Menschenrechte sollten wir uns für die Menschenrechte entscheiden.
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Wie viele wissen, haben einige von uns jüngst mit Ankettung, Transparenten und Flugblättern gewaltfrei in Ankara demonstriert, demonstriert gegen Hinrichtungen und Folterungen in türkischen Militärgefängnissen, demonstriert für die Achtung der Menschenrechte in West und Ost sowie auch für ein Ende der Vertreibung der Türken aus der Bundesrepublik. Die Demonstration der GRÜNEN fand zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Sorge um den Gesundheitszustand von 450 Gefangenen wächst, die sich im Militärgefängnis Mamak, im Gefängnis eines NATO-Mitgliedstaates, seit über einem Monat im Hungerstreik befinden. Im Militärgefängnis Diyarbakir ist ein 50tägiger Hungerstreik beendet worden, der elf Todesopfer gefordert hat.
Die Diktatur in der Türkei wird politisch, ökonomisch und militärisch immer wieder unterstützt. Doch laut NATO-Vertrag ist die NATO „entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten". Die griechischen Obristen walzten 1974 das, was sie gewährleisten sollten, mit ihren Panzern nieder, angeleitet vom amerikanischen CIA. Das ist auch in der Türkei passiert.
Ich komme zum Ende. Putsch, Militärdiktaturen, staatlicher Terror und Gewalt, Folter und Unfreiheit gibt es sowohl im Osten wie auch bei uns im Westen im Hinterhof der NATO. Es gibt auch jetzt eine EG/NATO-Konzeption in der Debatte im Zusammenhang mit Spanien und Portugal, wobei Spanien den Preis für seinen EG-Beitritt bezahlen soll, indem es seine Söhne in die NATO schickt. Auch diesen Preis lehnen wir ab. Wir wollen ein Europa, das sich als ökologische und unabhängige Friedensgemeinschaft versteht und das in der Lage ist, die selbstmörderische Feindseligkeit der Supermächte zu beenden, anstatt sie zu verschärfen.
({5})
Meine Damen und Herren, bevor es nachher Proteste gibt: Wir hatten vorher zwei Beschlüsse gefaßt. Der eine lautete: zwei Stunden Sitzungsdauer; der andere lautete: eine Runde in der Aussprache. Für den einen Fall wäre eine Redezeit von 15 Minuten, für den anderen Fall eine solche von elf Minuten angemessen gewesen. Eben hat die Redezeit 16 Minuten betragen. Ich danke für das Verständnis.
Das Wort hat der Abgeordnete Bundesaußenminister Genscher.
({0})
Es entspricht der Verabredung für diese Debatte, daß ich als Mitglied der FDP-Fraktion spreche. Das gibt mir die Möglichkeit, die Verdienste der Bundesregierung um so unbefangeGenscher
ner zu würdigen, die sie für die europäische Politik hat.
({0})
- Herr Kollege Dr. Vogel, Sie haben heute morgen zu dem Ausgang der Ministerräte und des Europäischen Rates einen Beitrag geliefert, bei dem ich Ihnen in einer Reihe von Punkten zustimmen kann. Das, was Sie zu einer Reihe von Punkten gesagt haben, betrachte ich als legitime Kritik der Opposition. Etwas vorsichtiger würde ich an Ihrer Stelle sein, wenn Sie auf die Parteifamilien in Europa rekurrieren. Es ist richtig: Frau Thatcher gibt uns mit der britischen Entlastung Probleme auf. Es ist auch richtig, daß sie keine Sozialistin ist. Übrigens ist sie auch keine Liberale. Wenn in England die Sozialisten regieren würden, so würden wir mit ihnen allerdings nicht über die britische Entlastung, sondern über die Austrittsbedingungen Englands zu verhandeln haben.
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So gesehen, Herr Kollege Dr. Vogel, halten wir die gegenwärtigen Probleme in London für geringer als andere, die bei einer anderen Konstellation auf uns zukommen könnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Abgeordnete Kelly hat es eben für richtig gehalten, über unsere Beratungen mit der Türkei zu sprechen. Ich will dazu einige Bemerkungen machen. Es ist aus der Sicht der Bundesregierung im Interesse der Türken in der Türkei, der türkischen Mitbürger hier und der inneren, der gesellschaftlichen und sozialen Stabilität unseres Landes notwendig, daß die Freizügigkeit nicht, wie vorgesehen, 1986 ausgeübt werden kann.
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Darüber verhandeln wir mit der Türkei. Dabei sind wir uns immer bewußt, daß das Drängen vieler türkischer Arbeiter, zu uns zu kommen, darauf beruht, daß sie in der Türkei unter außerordentlich schwierigen sozialen Bedingungen zu leben haben. Es ist deshalb ganz sicher legitim und notwendig und übrigens auch von den Führern der früheren demokratischen Parteien, Herrn Ecevit und Herrn Demirel, gewünscht, daß wir die wirtschaftliche Hilfe für die Türkei nicht nur als Bundesrepublik, sondern als Europäische Gemeinschaft fortsetzen, damit die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in diesem uns verbündeten Land verbessert werden können.
({3})
Das steckt hinter unserer Bereitschaft, diese Hilfe fortzusetzen. Das macht uns nicht blind für die Fragen, die wir im Bericht der Bundesregierung über die Lage in der Türkei zu Recht kritisch, sehr kritisch behandelt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ausführungen, die Herr Kollege Dr. Vogel über die zu erwartenden Belastungen aus den Entscheidungen des Europäischen Rates, wie sie sich jetzt abzeichnen, gemacht hat, hat der Bundeskanzler schon zurechtgerückt. Nach unseren Berechnungen sind es etwa 18 Milliarden DM für die Jahre 1985 bis 1989. Man wird diese Zahlen erst am Ende nach Vorliegen aller Entscheidungen verläßlich feststellen können. Schon heute allerdings steht fest, daß wir mit den Belastungen für die kommenden Jahre ganz sicher besser dastehen würden, wenn es uns in der Vergangenheit gelungen wäre,
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schon früher die Haushaltsdisziplin durchzusetzen, Herr Kollege Hauff, die wir jetzt in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt haben, und wenn es uns auch möglich gewesen wäre, schon früher die Einschränkungen im EG-Haushalt für die Agrarpolitik durchzusetzen, die wir jetzt durchgesetzt haben.
({5})
Daß das nicht möglich war - das sage ich nicht an Ihre Adresse, sondern an die Adresse von Frau Kollegin Hellwig -, lag weder an der jetzigen noch an der früheren Bundesregierung, sondern daran, daß unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft erst unter dem Druck der leeren Kassen zu den Reformen bereit waren, die mein Kollege Ertl schon in der Vergangenheit immer wieder gewünscht hat.
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Nur, Herr Kollege Vogel: Es hilft nicht weiter, diese Zahlen kritisch zu nennen, ohne die Ursachen für diese Entwicklung darzulegen. Man kann Ausgabenerhöhungen auf 1,4 Y und später auf 1,6% nicht kritisch behandeln, wenn man gleichzeitig und zu Recht ja sagt zur Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft.
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Wer ja sagt zur Erweiterung der Gemeinschaft, muß ja sagen zur Erhöhung der eigenen Einnahmen.
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Wir müssen uns abgewöhnen, von Europa viel zu erwarten, unseren Partnern in Spanien und in Portugal zuzusagen, daß sie Mitglied der Gemeinschaft werden können, aber dann Kritik zu üben an den Kosten, die daraus entstehen.
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- Ich würde gern meine Gedanken zu Ende führen, Herr Kollege.
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Zweitens ist es notwendig, wenn man die Agrarreform in der Europäischen Gemeinschaft erreichen will, daß vorab die Probleme gelöst werden, die in der Vergangenheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich standen. Das ist der Abbau des Grenzausgleichs. Hier war es für die Bundesregierung unabdingbar, daß dieser im euro4246
päischen Interesse notwendige Abbau des Grenzausgleichs nicht zu Lasten der deutschen Landwirtschaft gehen kann. Deshalb müssen wir nationale Maßnahmen ergreifen - über die der Bundeskanzler gesprochen hat -, die auch im agrarsozialen Bereich durchaus noch ergänzungsfähig sind.
Meine Damen und Herren, dieser Grenzausgleich - oft gescholten und zu Unrecht als ein Problem der europäischen oder gar der deutschen Agrarpolitik dargestellt - ist ja in Wahrheit die Konsequenz der Tatsache, daß die Währungs- und Finanzpolitik in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht gemeinsam und einheitlich betrieben wird. Die Landwirtschaft hat die Lasten ungleicher Finanz-, Wirtschafts- und Währungsstrategien in verschiedenen Ländern der Gemeinschaft zu tragen. Deshalb hat die deutsche Landwirtschaft auch einen Anspruch darauf, daß beim Abbau dieses Grenzausgleichs die notwendigen Entlastungen durch nationale Maßnahmen herbeigeführt werden. Wir haben uns dazu bereit erklärt und werden das auch umsetzen.
Entscheidend ist, daß durch die Vereinbarungen im Europäischen Rat, die auch gestern im Rat der Außenminister nicht in Zweifel gezogen worden sind, bedeutende Fortschritte zur Beherrschung der Finanzpolitik der Gemeinschaft erzielt worden sind. Eine notwendige Haushaltsdisziplin, die wir viel früher gebraucht hätten, wird jetzt Wirklichkeit. Wir haben durch die Reform der europäischen Agrarpolitik einen wichtigen Schritt nach vorn getan, wobei es für uns wünschenswert gewesen wäre - hier stimme ich mit Ihnen, Herr Kollege Dr. Vogel, voll überein -, wenn wir die sogenannten Milchfabriken, von denen es nur ganz wenige in unserem eigenen Land, viele in anderen Partnerländern gibt, viel stärker hätten belasten können, als das jetzt möglich war. Daß es nicht dazu kam, lag nicht an uns; es lag daran, daß wir die Zustimmung aller Partner brauchen und daß die Einsicht in diese Notwendigkeit nicht bei allen in gleicher Weise vorhanden war. Im Mittelpunkt unserer Agrarpolitik steht der bäuerliche Familienbetrieb, aber nicht der industrielle Milcherzeuger, der es, wie Sie mit Recht gesagt haben, letztlich nur noch als eine zusätzliche Möglichkeit betrachtet, durch Importe aus den Vereinigten Staaten, über Subventionen Geld zu bekommen.
({11})
Dies ist eine zentrale Frage, und es wird wichtig sein, zu erkennen, daß wir übereingekommen sind, die Importe von Futtermitteln aus den Vereinigten Staaten nicht weiter zu erhöhen, um schon von der Ursache her eine Begrenzung in diesem Bereich durchzusetzen.
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Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich würde gern ohne Zwischenfragen weiter verfahren.
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- Meine verehrten Kollegen, Sie hätten sich doch mit Recht beklagt, wenn ich einem Abgeordneten der Opposition die Frage verweigere und dann meinem Freund Ertl die Frage genehmigt hätte.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Problem, das uns seit vielen Jahren in der Europäischen Gemeinschaft belastet hat und heute noch belastet, ist das der britischen Entlastung. Wir haben von Jahr zu Jahr in Ad-hoc-Lösungen eine Regelung dieses Problems finden müssen. Für uns bedeutet das die zusätzliche Schwierigkeit, daß wir dabei um eine deutsche Minderbeteiligung an der britischen Entlastung zu ringen hatten. Wir haben deshalb bei der Vorbereitung des Europäischen Rates in Stuttgart und des Europäischen Rates jetzt in Brüssel Wert darauf gelegt,
({2})
daß die Europäische Gemeinschaft ein neues System in Kraft setzt, in dem übermäßige Belastungen für die Länder mit relativ hohem Wohlstand vermieden werden können. Dieses System, das dauerhaft sein wird, das eine wirkliche Reform bedeutet, das nicht nur britische Fragen beantwortet, sondern auch deutsche Probleme, weil es unsere Belastung kalkulierbarer macht, dieses System sollte so schnell wie möglich in Kraft gesetzt werden.
Meine Damen und Herren, um diese Inkraftsetzung zu ermöglichen und um eine Einigung im Europäischen Rat überhaupt herbeiführen zu können, hat der Bundeskanzler vorgeschlagen, daß eine britische Entlastung um 1 000 Millionen ECU für fünf Jahre vorgenommen wird und danach von allen Partnern das neue System in Kraft gesetzt wird. Nachdem sich zeigte, daß die britische Regierung fünf Jahre nicht akzeptieren wollte, haben der Kommissionspräsident und der niederländische Ministerpräsident zwei bis drei Jahre vorgeschlagen; dann sollte das System in Kraft treten. Wir haben gestern zusammen mit den Niederländern gesagt: Auch nach einem Jahr sind wir mit dem Inkrafttreten des Systems einverstanden. Alle Partner haben sich in der gestrigen Sitzung - alle, sage ich - ausdrücklich auf den Vorschlag des Bundeskanzlers als den auslösenden Vorschlag für eine sich abzeichnende Einigung berufen.
({3})
Was immer in welchen Zeitungen gestanden hat, es ist entweder eine bewußte Desinformation oder Unkenntnis. In Wahrheit hat dieser Vorschlag einer Festlegung von 1 bis 5 Jahren auf 1 000 Millionen ECU und im Anschluß daran Inkraftsetzung des
Systems den Weg frei gemacht für eine prinzipielle Einigung über dieses System, und an diesem Verdienst sollte man hier nicht herumdeuteln.
({4})
Das haben wir doch früher immer wieder gemeinsam durchzusetzen versucht, Herr Kollege Vogel. Seien wir froh, daß es jetzt möglich ist!
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Jetzt geht es darum, die britische Regierung zu überzeugen, daß der Vorschlag, den die anderen neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft gestern akzeptiert haben, auch für die britische Seite akzeptabel sein sollte. Denn wenn wir auf der Berechnungsgrundlage 1983 als Basisjahr für die Einführung des Systems 1 000 Millionen ECU vorsehen, ergibt sich daraus automatisch eine dynamische, sich nach oben bewegende britische Entlastung. Hierin und in der Annahme des Systems liegt ein wesentliches Zugeständnis der anderen europäischen Staaten. Die britische Regierung hat jetzt Anlaß, auch über ihren, den von ihr aus zu tuenden Schritt nachzudenken.
Um das zu erleichtern, wird die Kommission eine Reihe von Modellrechnungen über die zu erwartenden Auswirkungen vorlegen, Modellrechnungen, mit denen sich die Finanzminister am Montag befassen können. Am 9. April sollen die Außenminister - wie ich hoffe, dann abschließend - diese Frage behandeln.
Dabei haben wir immer die Auffassung vertreten, daß wir das Vereinigte Königreich in der Gemeinschaft haben wollen. Wir haben uns einer Politik widersetzt, die uns von außen angeraten worden ist, nicht von Regierungen, aber aus der öffentlichen Meinung, das britische Vereinigte Königreich aus der Gemeinschaft hinauszudrängen oder zu isolieren. Ich sage Ihnen, wir sind uns bewußt, daß dieses Europa nur vollständig ist, wenn dieses wichtige Land politisch nicht zwischen Amerika und Europa steht, sondern Teil unseres demokratischen Europas ist. Und in London sollte man erkennen, daß die Vorteile der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft nicht nur für die anderen Neun, sondern auch für England überwiegen
({6})
und daß deshalb auch England seinen Beitrag zur Lösung leisten muß. Dieser Beitrag ist auch zeitlich dringlich, weil ganz sicher eine Einigung der Außenminister gestern die Arbeit unserer Kollegen im Agrarrat am Freitag erleichert hätte. Jeder Tag, der ab 1. April ohne Einigung über das Agrarpaket ins Land geht, bedeutet neue unbegrenzte Kosten.
Sie können an dieser Entwicklung erkennen, Herr Kollege Vogel, wie wichtig es ist, bei der Berechnung des Zahlenwerks, auch bei der poltischen Behandlung des Zahlenwerks niemals zu vergessen, daß ohne die jetzt verabredeten Maßnahmen der Haushaltsdisziplin und der Ausgabenbeschränkung die Kurve viel weiter nach oben gehen würde, als sie jetzt nach oben geht. Um diese Einigung zu erreichen, hat die Bundesregierung ein hohes Maß an Verständigungsbereitschaft und Kompromißbereitschaft dargelegt, in dem Bewußtsein, daß unser Land einen Fehler machen würde, wenn es bei der Berechnung von Vorteilen und Nachteilen aus der Europäischen Gemeinschaft nur die Frage der Größe unserer Nettozahlerposition ins Feld führen würde. Unser Land profitiert zuallererst politisch und außenpolitisch als ein Land, das an der Nahtstelle zwischen West und Ost liegt, und als ein Land, das im Interesse der geteilten Nation in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien vertreten sein will.
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Meine Damen und Herren, niemand wird sich auch nur im Zweifel darüber sein können, was der Gemeinsame Markt für die Bundesrepublik Deutschland als ein Land, das vom Export abhängig ist, bedeutet. Das zusammengezogen zeigt, daß wir am Ende Vorteile aus dieser Gemeinschaft haben. Wir können noch größere Vorteile aus der Gemeinschaft ziehen, wenn wir bereit sind, neue Politiken zu entwickeln. Herr Kollege Vogel hat nach den Vorteilen für die Arbeitnehmerschaft gefragt. Die neuen Technologien, die wir gemeinsam entwickeln wollen, werden dazu beitragen, Herr Kollege Dr. Vogel, die Konkurrenzfähigkeit unserer Gemeinschaft am Weltmarkt zu verbessern, auszubauen, und uns damit die Möglichkeit geben, die Arbeitslosigkeit systematisch abzubauen. Ich bin der Meinung, eine Europäische Gemeinschaft, die die technologische Entwicklung fördert, ist eine arbeitnehmerfreundliche Gemeinschaft. Eine Europäische Gemeinschaft - Sie haben innenpolitische Fragen mit eingeführt, Herr Kollege Vogel -, die sich Ihre Auffassung zu eigen machen würde, daß die 35Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich der richtige Weg ist, würde ihre Konkurrenzposition am Weltmarkt verlieren. Sie wäre arbeitnehmerfeindlich.
({8})
Ich danke Ihnen.
({9})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr zur Fragestunde.
({0})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung und rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/1171 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Der Fragesteller, Abg. Stockleben, bittet um schriftliche Beantwortung der von ihm gestellten Frage 3. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Westphal
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Verfügung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst. Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Dr. Rumpf auf. - Er ist nicht anwesend. Es wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren. Das gleiche gilt für die ebenfalls von ihm gestellte Frage 5.
Vielen Dank, Herr Dr. Probst. Sie sind gekommen, ohne etwas tun zu müssen. Manchmal ist das j a auch angenehm.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Verfügung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer. Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Dr. Jannsen auf:
Hält die Bundesregierung den Kauf von Ausbildungsplätzen für vertretbar?
Herr Präsident! Herr Kollege Jannsen! Der Kauf von Ausbildungsplätzen ist mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die Bundesregierung lehnt derartige Praktiken entschieden ab und wird - wie schon bisher - dazu beitragen, sie zu unterbinden. Das Berufsbildungsgesetz verbietet derartige Geschäfte ausdrücklich. Das Gesetz bestimmt in § 5 Abs. 1 Nr. 1, daß jede Verpflichtung des Auszubildenden und seiner Eltern zur Zahlung einer Entschädigung für die Berufsausbildung an den Ausbildungsbetrieb von Gesetzes wegen rechtsunwirksam und nichtig ist. Eine solche Verpflichtung, sei sie schriftlich oder mündlich getroffen, braucht daher auch nicht eingehalten zu werden. Etwa bereits gezahlte Beträge können zurückgefordert werden, notfalls mit gerichtlicher Hilfe. Auch Umgehungsgeschäfte fallen unter dieses Verbot, insbesondere Koppelungsgeschäfte, was inzwischen gerichtlich, u. a. durch das Bundesarbeitsgericht, bestätigt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, wie stellt sich die Bundesregierung zu Anzeigen wie der mir hier vorliegenden „5 000 DM Belohnung bei Abschluß eines Lehrvertrages" aus der „Siegener Zeitung"?
Herr Kollege, eine solche Anzeige ist durch einen Petenten auch dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bekanntgeworden. Wir haben dem Petenten genauso geantwortet, wie es sich aus meiner eben Ihnen gegebenen Antwort ergibt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jannsen.
Wie erklären Sie sich, daß in der Bundesrepublik solche Anzeigen in den Zeitungen erscheinen?
Ich bin zunächst einmal so informiert, daß es sich um sehr vereinzelte Fälle handelt. Mir ist auch bekannt, daß die zuständigen Stellen in allen diesen Fällen immer vorgegangen sind. Es handelt sich offensichtlich um Einzelfälle.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Dr. Jannsen auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um den Kauf oder Verkauf von Ausbildungsplätzen zu verhindern?
Die Bundesregierung wendet sich mit Wirtschaft und Gewerkschaften eindeutig gegen Versuche, die einen ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen in eigensüchtiger und sittenwidriger Weise ausnutzen. Nach den Erfahrungen der Bundesregierung handelt es sich um eine verschwindend geringe Zahl von Außenseitern, die versuchen, hier im trüben zu fischen. Wenn Fälle dieser Art bekannt werden, sollten umgehend die zuständigen örtlichen Stellen - das sind für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft die Industrie- und Handelskammern und für den Bereich des Handwerks die Handwerkskammern - unterrichtet werden. Sie sind gesetzlich beauftragt, die Berufsausbildung zu überwachen und die Einhaltung des Berufsbildungsgesetzes zu sichern. Notfalls müssen diese Stellen dafür sorgen, daß den gesetzwidrig handelnden Unternehmen die Ausbildungsbefugnis entzogen wird.
Eine Zusatzfrage, Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben sittenwidrige Verträge genannt. Ich frage Sie daher in diesem Zusammenhang, ob Sie das, was in einer Meldung der „Frankfurter Rundschau" vom 17. März im Wortlaut erschienen ist - Patenschaft statt Lehrstelle -, für sittenwidrig oder nicht sittenwidrig halten.
Herr Kollege Jannsen, ich möchte mich zu diesem Vorgang, der mir nicht bekannt ist, jetzt nicht im konkreten einlassen. Aber ich bin gern bereit, das zu prüfen und Ihnen eine Antwort zu geben.
Keine weitere Zusatzfrage. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Es steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. Zur Frage 8 hat der Fragesteller, Herr Abgeordneter Dr. Rose, um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 9 des Abgeordneten Pauli:
Wie groß war bisher das Blutspendenaufkommen von Bundeswehrangehörigen in Institutionen der Bundeswehr, und was ist dann mit diesen Blutspenden bisher geschehen?
Herr Präsident! Herr KolleParl. Staatssekretär Würzbach
ge! Das Blutspendenaufkommen von Bundeswehrangehörigen liegt derzeit bei jährlich 25 000 bis 30 000 Konserven. Von diesen werden nach eingehender Prüfung durch das Institut für Wehrmedizin und -hygiene, Wehrmedizinisches Institut genannt, ca. 85 %, d. h. bis zu 25 000 Stück, zur Weiterverarbeitung freigegeben. Vor einer Weiterverarbeitung zu Plasmaproteinlösung, PPL abgekürzt, werden von ca. 7 000 Konserven Erythrozytenkonzentrate separiert, die seit April 1983 im Verhältnis 2:1 per Intercity-Kurier an Bundeswehrkrankenhäuser und an zivile Krankenhäuser abgegeben werden. Die gesamte Weiterverarbeitung der aus Blutspendenaktionen der Bundeswehr stammenden Konserven erfolgt ausschließlich durch dieses genannte Wehrmedizinische Institut.
Anders verhält es sich mit den aus den Jahren vor 1982 stammenden Konserven. Diese wurden zum größten Teil zu Albuminpulver verarbeitet. Hiervon waren Anfang 1982 noch 450 kg weiterverarbeitungsfähig. Über diese Menge schloß das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung mit der Firma Biotest ein Kompensationsabkommen ab, in dessen Rahmen die Bundeswehr ca. 20 000 Flaschen PPL erhält.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, hat die Industrie oder eine andere Institution im Gegenwert Blutersatzmittel zur Verfügung gestellt, wenn ja: wie viele?
Um Ihnen eine korrekte Antwort zu geben, Herr Kollege, müßte ich das aufbereiten lassen. Ich werde Ihnen diese Antwort dann zukommen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, das auch für die Blutversorgung von Bundeswehrangehörigen zuständige Ernst-Rodenwaldt-Institut ist bereits durch umstrittene Tierversuche in die Schlagzeilen der Presse geraten. Ist Ihnen in diesem Zusammenhang die Ausgabe der Zeitung „Koblenzer Schängel" vom 15. März bekannt, in der es über Ihre Beantwortung meiner Anfrage vom 22. Februar heißt:
Alles in allem stellt sich die Frage, ob der Staatssekretär bewußt falsche Daten erhielt oder ob gewisse Dienststellen die seltsamen Praktiken im Rodenwaldt-Institut decken wollen. Mit seinen Antworten jedenfalls wurde Würzbach vor dem Parlament geradezu vorgeführt. Ob sich dies ein Staatssekretär auf die Dauer erlauben kann, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, wie Sie den Weg vom Blutspendenaufkommen in der Bundeswehr zu dem Zeitungsartikel über das Institut finden, in dem augenscheinlich ungerechtfertigte, unsachliche und den Ablauf der Fragestunde vor einigen Wochen überhaupt nicht widerspiegelnde
Schilderungen stehen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kenne den Zeitungsartikel nicht, um auf den Eingang Ihrer Frage zu antworten.
({0})
Frau Kollegin Weyel zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird bedacht, daß Blutkonserven nur eine bestimmte Zeit haltbar sind, und werden sie nach bestimmten Fristen ausgetauscht, so daß sie auch noch für andere Zwecke verwendbar sind?
Dies ist der Fall, Frau Kollegin, und das soll ja noch gestrafft werden durch das neue Konzept, das wir seit 1983 haben. Wir bemühen uns, durch eine enge Zusammenarbeit mit den kommunalen Krankenhäusern, die im Augenblick alle angeschrieben sind - wir warten noch auf das Echo mancher -, dazu zu kommen, daß diese Konserven nicht verlorengehen. Hier ist noch einiges zu verbessern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, auf die Frage meines Kollegen Pauli haben Sie nach meiner Einschätzung ein bißchen ausweichend geantwortet. Darf ich Sie fragen, ob der Sachverhalt, den er vorgetragen hat, richtig ist.
Der Sachverhalt ist nicht richtig wiedergegeben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bereits in den 70er Jahren in diesem Institut Blutkonserven zu Tausenden verrottet sind, nicht rechtzeitig aufgearbeitet worden sind und daß es damals meiner Intervention bedurfte, damit diesem Zustand ein Ende bereitet wurde?
Mir ist der Zustand, der unbefriedigend ist, bekannt. Deshalb sind Bemühungen im Gange, nicht nur den entstandenen Schaden zu reparieren, sondern in Zukunft so etwas nicht wieder auftreten zu lassen.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Pauli:
Wie gedenkt die Bundesregierung in Zukunft das Blutspendenwesen und die Blutspendenweiterverarbeitung in der Bundeswehr zu organisieren?
Herr Kollege, durch die Neufassung der fachdienstlichen Anweisung „Blutspendenaktion bei der Bundeswehr" im Jahr 1983 wurde dieser Teil des Blutspendenwesens bereits neu organisiert. Dies betrifft z. B. die Versendung der eben schon erwähnten Konzentrate mit dem Intercity-Kurier und den Einsatz von Blut4250
spendetrupps. Nach dem bereits erfolgten Abbau der Überschüsse an Albuminkonzentraten ist ein Ausgleich zwischen Blutgewinnung und Blutverarbeitung erreicht worden. Mit vorhandenem Personal und Gerät sowie vorhandener Infrastruktur können pro Jahr heute bis 30 000 Blutspenden gewonnen und verarbeitet werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, reicht die Kapazität der bundeswehreigenen Blutspendezentrale für diese Umwälzung aus, und kann dadurch der erforderliche Bedarf auf Dauer gedeckt werden?
In dieser Höhe, wie ich es erwähnte, und für den Friedensfall, Herr Kollege: ja. Für Krise, Spannung, Verteidigung: nein.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, wie groß ist die Verarbeitungskapazität der Bundeswehrinstitutionen allgemein, und ist die Bundeswehr damit in der Lage, sich im Ernstfall selbst zu versorgen?
Herr Kollege, ich habe die Frage eben beantwortet. Im Ernstfall: nein.
Frau Weyel zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Behörden der Bundeswehr üben die Dienstaufsicht im Hinblick auf Produktion und Qualität der Blutprodukte aus?
Das tut das Wehrmedizinische Institut und auf einer Ebene darüber der Inspekteur des Sanitätswesens. Die Gesamtverantwortung liegt beim Bundesminister der Verteidigung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß größere Mengen Blutersatzstoffe oder Albumin verdorben sind?
Dies ist bekannt. Darauf wies auch der Kollege Berger in seiner Frage hin. Es sind Maßnahmen eingeleitet, damit sich so etwas nicht wiederholt.
Wir kommen zur Frage 11 der Abgeordneten Frau Nickels:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Tatbestand, daß in den jedermann zugänglichen Protokollen des US-Repräsentantenhauses ({0}) der Ort Wüschheim im Hunsrück offen als Operationsbasis für atomar bestückte Atomraketen des Typs
Cruise Missiles GLCM in der Bundesrepublik Deutschland ({1}) angegeben wird, und welchem Zweck dienen die Rodungs- und Bauarbeiten, die seit Anfang Februar 1984 an der Landesstraße zwischen der Ortschaft Hasselbach und der B 327 neben der ehemaligen Nike-Hercules-Stellung vorangetrieben werden?
Zum ersten Teil der Frage, nämlich zu den Protokollen des US-Repräsentantenhauses, verweist die Bundesregierung auf ihre Antwort auf die Frage des Abgeordneten Sielaff von der SPD-Fraktion, veröffentlicht im Plenarprotokoll vom 2. Dezember 1983 auf Seite 2862.
Zum zweiten Teil der Frage nach den Rodungs und Bauarbeiten teile ich Ihnen mit, daß in der Nähe von Kastellaun im Hunsrück eine militärische Anlage erstellt wird. Es wird dabei bewußt auf bereits militärisch genutztes Gelände zurückgegriffen.
Frau Nickels zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn man davon ausgeht, daß auch die Regierung dieses Dokument H. R. 1816 des US-Repräsentantenhauses gelesen hat, frage ich Sie: Wie erklären Sie es uns, daß man - auch Sie gerade in Beantwortung der Frage - immer noch keine konkrete Auskunft darüber gibt, wozu diese Arbeiten dienen und welcher Art diese militärische Anlage sein wird, die im Augenblick im Hunsrück erstellt wird?
Richtig ist, daß uns dieses Dokument bekannt ist, auch, daß wir es gelesen haben. Sie erinnern sich aus der Antwort auf die Frage des Kollegen Sielaff, daß damals ausgeführt wurde, daß das ein Versehen der Administration des amerikanischen Ausschusses gewesen ist, nach einer geheimen Anhörung in den dann später öffentlich den Akten zugeführten Unterlagen bestimmte Dinge nicht zu schwärzen. Dies kann nicht Anlaß sein, und dies ist kein Anlaß für die Bundesregierung, von der Verhaltensweise aller Bundesregierungen abzuweichen, Standorte bestimmter Waffenkategorien nicht bekanntzugeben.
Frau Nickels zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Erklärung haben Sie und hat die Bundesregierung dafür, daß der Generalbundesanwalt im Herbst 1983 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Offenbarens von Staatsgeheimnissen u. a. gegen die Verantwortlichen der Zeitschrift „Hunsrück-Forum" eingeleitet hat, weil diese Zeitschrift ausführlich und mit Fotos über die Bauplanung für die Cruise-Missile-Anlagen im Sommer 1983 berichtet hat?
Mir ist der Vorgang nicht bekannt. Ich habe deshalb auch keinen Verdacht zu äußern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Kann die Bundesregierung denn wenigstens bestätigen, daß sämtliche Planungen für den Bau dieser Cruise-Missile-Anlage durch die Protokolle des US-Repräsentantenhauses wie auch durch bundesdeutsche Veröffentlichungen öffentlich bekannt sind, und was tut die Bundesregierung dafür, daß darüber wirklich diskutiert werden kann?
Das bestätigt die Bundesregierung nicht, und die Bundesregierung wiederholt, daß wir sofort, zeitgleich Stellungen bekanntgeben, wenn dies in Ost und West gleichzeitig geschehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horacek.
Wann beginnen nach Kenntnis der Bundesregierung die Bauarbeiten für die Cruise-Missile-Anlagen in der Bundesrepublik?
Auch dies, Herr Kollege, teile ich Ihnen in der Öffentlichkeit nicht mit.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt ({0}).
Ich wollte Sie dennoch fragen, welche Anlagen zu welchem Zeitpunkt fertiggestellt sein werden und für wann die Feuerbereitschaft der Cruise Missiles im Hunsrück vorgesehen ist.
Herr Kollege, Sie haben mit meiner Antwort gerechnet: Hierüber werden in der Öffentlichkeit keine Angaben gemacht.
({0})
Es tut mir leid. Sie haben nur je eine Zusatzfrage; diese haben Sie ausgeschöpft. Die Regierung ist frei zu antworten, wie sie es für richtig hält.
({0})
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Mit welchem Ergebnis ist in einer offiziellen Sitzung der NATO-Verteidigungsminister die neue amerikanische Heeresdienstvorschrift „Field Manual 100/5" vom August 1982 erörtert worden?
Herr Kollege Dr. Scheer, die amerikanische Heeresdienstvorschrift „Field Manual 100/5" war bisher nicht Gegenstand der Erörterung in einer offiziellen Sitzung der NATO-Verteidigungsminister, DPC. Eine solche Verfahrensweise wäre auch unüblich, da es sich bei dem „Field Manual" um eine nationale amerikanische Führungsvorschrift handelt, deren Erörterung nicht in der Zuständigkeit von NATO-Gremien liegt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, warum das bisher nicht Gegenstand der Erörterung war, da es sich doch um eine Dienstvorschrift handelt, die letztlich auch für die amerikanischen Truppen in der Bundesrepublik gilt, wie man schon an der Karte, die Bestandteil der Veröffentlichung des „Field Manual 100/5" ist, ersehen kann, in der die Bundesrepublik in voller Größenordnung abgedruckt ist?
Herr Kollege, ich habe zu wiederholen: Das ist deshalb nicht Gegenstand der Erörterung gewesen - das wird so bleiben -, weil diese Vorschrift für die Truppen der NATO, einschließlich der amerikanischen, keine Gültigkeit hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage, gemeinsam mit den anderen europäischen NATO-Ländern zu klären, inwieweit vorhandene interne Spannungen in den verschiedenen Dienstauffassungen je nach unterschiedlicher Ausbildung, nach dieser Dienstvorschrift oder nach anderen Dienstvorschriften in der NATO, vermieden werden können, denn wir haben es dann auch mit der Gefahr zu tun, daß bei amerikanischen Truppen, die hier stationiert sind, möglicherweise danach gedacht und gehandelt wird, obwohl es nicht offizielles NATO-Konzept ist?
Herr Dr. Scheer, für die NATO ist die „MC 14/3" zuständig, und es sind der NATO keinerlei Spannungen, um Ihre Formulierung aufzunehmen, auf Grund einer nationalen Vorschrift bekannt, die zu einer Erörterung Anlaß geben müßten, wie solche abträglichen Spannungen wieder abgebaut werden könnten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bahr.
Herr Staatssekretär, ich begrüße Ihre Erklärung, daß die „FM 100/5" keine Gültigkeit für die amerikanischen Truppen in Europa hat. Ich möchte die Frage anknüpfen, ob dies vom Gesichtspunkt der Bundesregierung aus auch für den gesamten Komplex der veränderten chemischen Kampfführung gilt, die in diesem „Field Manual 100/5" vorgesehen ist.
Herr Kollege Bahr, meine Aussage gilt für die gesamte Vorschrift des „Field Manual" auf der einen Seite wie für die Gültigkeit - ohne Abstriche - der „MC 14/3" auf der anderen Seite.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, nach welcher Heeresdienstvorschrift oder nach welchem NATO-Dokument werden gegenwärtig 45 CruiseMissile-Pave-Tiger, 600 km Reichweite, stationiert?
Das kann ich nicht auf diese Ursprungsfrage zurückführen, Herr Kollege, und will es Ihnen deshalb auch nicht beantworten.
Die Fragesteller der Fragen 13 und 14, Frau Abgeordnete Krone-Appuhn, und der Fragen 15 und 16, Herr Abgeordneter Schily, haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Delorme auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei vielen Sozialhilfeträgern Unsicherheit darüber besteht, ob Personen, die im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes fortgebildet oder umgeschult werden, die aber von der Arbeitsverwaltung keine oder keine ausreichenden Leistungen zur Bestreitung ihres Lebensbedarfs erhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährt werden kann?
Herr Kollege, es ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Praxis der Sozialhilfe Unsicherheit darüber besteht, unter welchen Voraussetzungen dem in der Frage genannten Personenkreis Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden kann. Die Unsicherheiten beruhen darauf, daß die Frage, ob § 26 des Bundessozialhilfegesetzes nicht nur für Ausbildungsmaßnahmen, sondern auch für Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz gilt, von den Sozialhilfeträgern unterschiedlich beantwortet wird. Wird diese Vorschrift angewendet, kann Hilfe zum Lebensunterhalt nur noch in besonderen Härtefällen gewährt werden. Sie schließt also die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht völlig aus. Wird die genannte Vorschrift auf Personen in Fortbildung und Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz nicht angewendet, kommt dagegen Hilfe zum Lebensunterhalt unter den allgemeinen Voraussetzungen in Betracht. Dabei ist vor allem der Nachranggrundsatz zu berücksichtigen, wonach z. B. realisierbare Unterhaltsansprüche vorrangig einzusetzen sind. Dies gilt auch für die eigene Arbeitskraft, sofern dem vorrangigen Einsatz nicht ein wichtiger Grund entgegensteht, der in der Fortbildung oder Umschulung liegen kann, aber nicht liegen muß.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Delorme.
Frau Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Leistungsbereitschaft, die durch die Teilnahme an einer Umschulungs- oder
Weiterbildungsmaßnahme deutlich wird, dadurch gefördert werden sollte, daß man in den Fällen, wo sonst keine Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, eine Unterstützung mit Mitteln der Sozialhilfe gewährt?
Herr Kollege, dieser Meinung bin ich nicht, da hier, wie ich soeben ausgeführt habe, sehr genau geprüft werden muß, wie der Nachrangigkeitsgrundsatz berücksichtigt ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Delorme.
In den Fällen, in denen die Nachrangigkeitsfrage geprüft ist, wo auch andere Mittel nicht zur Verfügung stehen, sollte es doch in das Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt sein, auch zu beachten, daß durch diese Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahme die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht werden und dadurch unter Umständen ein länger andauernder Sozialhilfefall vermieden wird.
In dieser Sache bin ich mit Ihnen einig.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Weyel.
Hält die Bundesregierung es für angemessen, daß in Einzelfällen die Arbeitsverwaltung die Genehmigung für eine Fortbildungsmaßnahme davon abhängig macht, daß der Betreffende keine öffentlichen Mittel für den Unterhalt in Anspruch nimmt, obwohl er für sich und für seine Familie eigentlich Unterhalt zu beanspruchen hätte?
Frau Kollegin Weyel, dafür bin ich nicht zuständig. Das ist eine Frage, die an den Minister für Arbeit und Sozialordnung gerichtet werden muß. Ich kann sie Ihnen auch nicht beantworten.
Wir kommen dann zur Frage 18 des Abgeordneten Delorme.
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß es der § 26 Bundessozialhilfegesetz nicht verbietet, Personen, die an Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung teilnehmen, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, und hält sie eine entsprechende Klarstellung angesichts eines entgegenstehenden Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes für erforderlich?
Herr Kollege, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß § 26 BSHG nur die Ausbildung, nicht aber die Fortbildung und Umschulung im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes erfaßt. Sie wird in ihrer Auffassung dadurch bestätigt, daß der Bundestag ihre Gesetzesinitiative zu einer entsprechenden Erweiterung des § 26 BSHG im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 nicht aufgegriffen und im Rahmen der Ausschußberichte zum Ausdruck gebracht hat, daß die bisherige Gesetzesfassung Teilnehmer an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen
nicht vom Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ausschließen soll. Der entgegenstehende Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichts vom 23. März 1983 liegt zeitlich vorher und konnte diesen Sachverhalt noch nicht berücksichtigen. Die Bundesregierung hat ihre Auffassung den obersten Landessozialbehörden auf ihrer Konferenz am 2./3. Februar mitgeteilt.
Keine Zusatzfrage. Die Frage 19 ist zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 20 der Abgeordneten Frau Weyel:
Was geschieht mit der Frischmilch, wenn ({0}) hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln ({1}) festgestellt wurden, die zum Rückruf und Fütterungsverbot führten, und auf welche Weise werden die Verbraucher davor gewarnt, die mit Rückständen belastete Milch zu trinken bzw. Kleinkindern zum Trinken zu geben?
Frau Kollegin, die Fragen 20 und 21 stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang. Ich bitte um Ihr Einverständnis, beide zusammen zu beantworten. - Sie nicken mir schon zu; danke schön.
Dann rufe ich auch noch Frage 21 der Frau Abgeordneten Weyel auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die mit HCH-Rückständen belastete Milch aus dem Verkehr zu ziehen, und kann der Verbraucher sicher sein, daß er diese verseuchte Milch nicht als H-Milch oder Trockenmilch angeboten bekommt?
Die zum Schutze des Verbrauchers erlassenen lebensmittelrechtlichen Vorschriften sind so gestaltet, daß bei deren Beachtung gesundheitlich bedenkliche Rückstände in oder auf Lebensmitteln nicht mehr vorhanden sind. Das gilt auch für HCH-Rückstände in Milch und Milcherzeugnissen. Insbesondere setzt die Verordnung über Höchstmengen an Pflanzenschutz- und sonstigen Mitteln sowie anderen Schädlingsbekämpfungsmitteln in oder auf Lebensmitteln und Tabakerzeugnissen - Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung - Maßstäbe für die Bewertung der Rückstandsgehalte in Lebensmitteln. In ihr sind Höchstmengen festgelegt, die im Interesse des Gesundheitsschutzes beim Inverkehrbringen der betreffenden Lebensmittel nicht überschritten werden dürfen; so auch für HCH-Gehalte in Milch und Milcherzeugnissen.
Die Durchführung und Überwachung der Einhaltung der bundesrechtlichen Vorschriften obliegt den Ländern. Die zuständigen Landesbehörden stellen im Rahmen der amtlichen Überwachung sicher, daß Lebensmittel, die den Rechtsnormen nicht entsprechen, wie Milch und Milcherzeugnisse mit überhöhten Rückständen an HCH, aus dem Verkehr gezogen werden.
Sofern besondere Umstände dies notwendig erscheinen lassen, werden darüber hinaus, wie in der Vergangenheit wiederholt geschehen, Verbraucher vor dem Erwerb und Verzehr von Lebensmitteln, die im dringenden Verdacht stehen, geeignet zu sein, die Gesundheit zu schädigen, über Presse, Rundfunk und Fernsehen gewarnt.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Ist der Bundesregierung bekannt, wie lange es üblicherweise dauert, bis solche Rückstände in der Milch entdeckt werden, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Mengen, die dann zwischenzeitlich bereits in Verkehr gebracht wurden?
Frau Kollegin, ich gebe zu, daß ich Ihnen das so nicht beantworten kann. Aber Sie erhalten die Antwort noch im Laufe der Woche von mir schriftlich. Sind Sie damit einverstanden?
({0}) - Danke schön.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage-.
Ich habe noch drei. Es waren zwei Fragen.
Gibt es bundesweit eine zentrale Erfassung von solchen Rückrufaktionen, und könnten Sie mir - möglicherweise auch schriftlich nach Nachfrage - mitteilen, wieviel Rückrufaktionen bzw. Fütterungsverbote für Futtermittelmischungen in den letzten drei Jahren bekanntgeworden sind?
Ich beantworte das im Zusammenhang mit der anderen Frage schriftlich, Frau Kollegin.
Nun bin ich gespannt, ob die Antwort auf die dritte Frage gelingt.
Bestimmt nicht, Herr Präsident.
Es ist auch schwierig.
Hält die Bundesregierung es für zulässig bzw. zweckmäßig, wenn solche über die erlaubten Höchstmengen hinaus kontaminierte Milch dann mit geringer belasteter Milch vermischt wird, und wie wird dann kontrolliert, daß die Höchstmengen nicht doch überschritten werden?
Meines Erachtens ist es verboten, eine solche Mischung vorzunehmen.
Die letzte Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Weyel.
Auf welcher Stufe der Produktion bzw. des Handels werden Kontrollen auf Pflanzenschutzmittelrückstände durchgeführt, und wie häufig und wie hoch sind diese Probeentnahmen?
Es tut mir leid, ich kann es nicht beantworten, Frau Weyel.
({0})
- Alles bis Ende der Woche; Sie dürfen sicher sein.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Vollmer.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie einen engen Zusammenhang zwischen dem Skandal in Niedersachsen und dem Export von Pflanzenschutzmitteln aus der Bundesrepublik?
Die Frage habe ich nicht verstanden, Frau Kollegin Vollmer.
Es handelt sich hier doch um Rückstände, und die müssen doch irgendwie in diese Tamarinden hineingekommen sein. Ich frage Sie, ob Sie einen engen Zusammenhang sehen zwischen dem Export von Pflanzenschutzmitteln, die bei uns produziert werden, und den Rückständen, die wir in diesen Tamarinden, die wieder in unser Land zurückgekommen sind, vorfinden?
Den Zusammenhang sehe ich nicht.
Es sind zwei Fragen möglich. - Bitte, Frau Dr. Vollmer.
Sehen Sie, wenn Sie hier keinen Zusammenhang sehen, dann eine Möglichkeit, solche Skandalfälle grundsätzlich zu unterbinden, darin, daß wir auf den Import von Futtermitteln überhaupt verzichten und unsere Milch auf der Basis unserer eigenen Grünlandflächen produzieren?
Ich sage nein.
Wir haben eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Frau Staatssekretär, da Sie offenbar auf die Frage der Frau Kollegin von den GRÜNEN gewisse Zusammenhänge nicht zu erkennen vermögen, möchte ich aus einer anderen Ecke die Frage stellen: Wie beurteilt die Bundesregierung die Belastung von Lebensmitteln durch importierte Futtermittel, die bei ihrer Produktion im Ausland mit Pflanzenschutzmitteln aus deutschem Export, deren Anwendung bei uns in der Bundesrepublik wegen ihrer Gefährlichkeit verboten ist, behandelt worden sind?
Herr Kollege, ich bin leider nicht dazu nicht in der Lage, sondern nicht zuständig, weil der Kollege aus dem Landwirtschaftsministerium für Futtermittelfragen zuständig ist.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Frau Staatssekretär, ich wäre auch mit einer schriftlichen Beantwortung einverstanden, will aber wegen der Zuständigkeit noch einmal einen Versuch unternehmen und frage: Wie beurteilt die Bundesregierung das, was ich eben gefragt habe, aus gesundheitspolitischer Sicht?
Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über das strengste Lebensmittelrecht. Von daher sind die Sicherheiten gegeben, daß solche Dinge nicht in den Verkehr kommen.
Jetzt kommt der Abgeordnete Carstensen zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, daß es nicht nur durch Futtermittel, sondern auch durch Eutersalben zur Anreicherung von HCH gekommen ist?
Herr Kollege, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich weiß es nicht.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Soviel ich noch aus meiner Schulzeit weiß, gehört das HCH zu den fettlöslichen chlorierten Kohlenwasserstoffen. Können Sie davon ausgehen, daß, wenn die Milch zentrifugiert ist, d. h. das Fett aus der Milch herausgezogen worden ist, dann zumindest die Magermilch und das Magermilchpulver zu verwenden wäre?
Herr Kollege, ich bin nicht dafür zuständig. Es tut mir leid. Stellen Sie doch freundlicherweise die Fragen gleich an den Landwirtschaftsminister. Ich glaube aber nicht, daß das möglich ist.
Er sitzt zwar daneben, aber er ist jetzt nicht dran. Das ist unser Problem.
Ich bitte doch, ein bißchen den Schwierigkeitsgrad solcher Fachfragen zu sehen. Wir alle sind Politiker. Auch Frau Parlamentarische Staatssekretärin ist Politikerin. Sie hat zwar den Sachverstand eines ganzen Hauses hinter sich. Trotzdem ist es schwierig. Das sollten wir anerkennen.
Dann kommt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen denn irgendwo auf der Welt ein Verfahren bekannt, mit dem in Drittländern unmittelbar beim Erzeuger vor Ort die Verwendung und die Herkunft des jeweils verwendeten Düngemittels oder Pflanzenschutzmittels erfaßt werden kann? Ich frage dies, weil mir vor dem Hintergrund der vorigen Fragen manchmal die Vernunft abhanden gekommen zu sein scheint.
({0})
Herr Kollege, ich halte die Fragen der Kolleginnen für außerordentlich wichtig, das möchte ich schon sagen. Ich bedanke mich auch für die Entlastungsfrage.
({0})
Wir müssen aber - so denke ich - diesen Fragen sehr großes Gewicht beimessen. Allerdings wäre ich den Kollegen außerordentlich dankbar, wenn sie mir die Chance gäben, mich vorher so sachkundig zu machen, daß ich auch auf Zusatzfragen antworten kann.
Sie wissen, daß zur Zeit drei Ausschüsse tagen, so daß einer der Fachleute, der mir jetzt hätte helfen können, nicht anwesend ist. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn dies möglich wäre. Ich bin auch gerne bereit, dann schnell zu antworten.
({1})
Die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Dr. Steger und die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Frau Will-Feld werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer auf:
Sieht die Bundesregierung in dem in der Bundesrepublik Deutschland bereits vielfältig praktizierten sogenannten Wasserdampfverfahren eine Alternative zur Begasung oder Bestrahlung von Gewürzen?
Frau Kollegin Vollmer, das Wasserdampfverfahren, wie es bei Lebensmitteln üblicherweise angewandt wird, ist zur Behandlung von Gewürzen im allgemeinen ungeeignet, da damit die wertbestimmenden Bestandteile der Gewürze mehr oder weniger gravierende Veränderungen erfahren. Die Verwendung von Wasserdampf zur Gewürzentkeimung erscheint - ohne daß eine allzu große Beeinträchtigung der Gewürzqualität erfolgt - allenfalls bei einigen bestimmten Gewürzen und unter speziellen Bedingungen möglich. Das Verfahren stellt daher keinen Ersatz für die allgemein anwendbare Keimverminderung von Gewürzen durch Behandlung mit Ethylenoxid oder mit ionisierenden Strahlen dar.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer.
Frau Staatssekretärin, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie der Ansicht sind, daß eine Begasung oder Bestrahlung von Gewürzen qualitätsbewahrender ist als eine Behandlung mit Wasserdampf?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt: Das Verfahren stellt keinen Ersatz dar.
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Dr. Vollmer.
Dann muß ich doch noch einmal nachfragen, weil Sie in Ihrer Ausführung als erstes gesagt haben, daß durch Wasser-dampfverfahren Qualitätsverluste entstehen, und dann gesagt haben: Es stellt deshalb keinen Ersatz für diese anderen Verfahren dar.
Ich würde jetzt ja sagen, aber können Sie die Frage bitte noch einmal richtig formulieren?
Sie haben gesagt - ich habe das so verstanden -: Weil durch Wasserdampfverfahren Qualitätsverluste bei den Gewürzen entstehen, stellt das Wasserdampfverfahren keine Alternative zur Bestrahlung und Begasung dar. - Ich frage Sie daher, ob Sie damit gemeint haben, daß Begasung und Bestrahlung qualitätserhaltender seien als die Behandlung mit Wasserdampf?
Im Einzelfall j a.
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer auf:
Erklärt sich die Tatsache, daß die Bundesregierung auf die klare Frage nach den Deklarationsmerkmalen für die von der Firma Gammaster in Allershausen bestrahlten und angeblich für den Export bestimmten Lebensmitteln lapidar antwortet: „Sie müssen kenntlich gemacht werden" ({0}) damit, daß der Bundesregierung diese Kennzeichnungen nicht bekannt sind?
Wie in der Antwort vom 17. Februar 1984 zu Frage 11 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN bereits ausgeführt worden ist, müssen Lebensmittel, die für den Export bestimmt sind und die den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden lebensmittelrechtlichen Bestimmungen nicht entsprechen, nach § 50 Abs. 2 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes kenntlich gemacht werden. Die Art und Weise der Kenntlichmachung ist im einzelnen gesetzlich nicht festgelegt. Wie des weiteren ausgeführt worden ist, lagen dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit damals auch keine amtlichen Meldungen über eine Bestrahlung von für den Export bestimmten Erzeugnissen vor.
Inzwischen liegt dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eine Meldung der bayerischen Landesbehörde vor, daß in der Zeit vom 21. bis 22. November 1983 von der Firma Gammaster in Allershausen eine Sendung für den Export bestimmter Paprikachips im Auftrag der Firma Raps & Co., Kulmbach, und eine für den Export bestimmte Sendung Spinatpulver im Auftrag der Firma Silva-Werke GmbH & Co. KG, Sandhausen, mit ionisierenden Strahlen behandelt worden ist. In den Unterlagen ist nicht angegeben, wie die Partien im einzelnen kenntlich gemacht worden sind. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat daher bei den zuständigen Landesbehörden angefragt, jedoch noch keine Antwort erhalten.
Zusatzfrage, Frau Dr. Vollmer.
Frau Staatssekretärin, wie werden im Ausland bestrahlte Lebensmittel, z. B. niederländische Garnelen, als solche gekennzeichnet, und wie wurde bzw. wird den bundesdeutschen Einfuhrkontrollbehörden diese Kennzeichnung bekanntgemacht?
Die Kennzeichnung wird bekanntgemacht, so daß die Prüfer an den Grenzen sehr wohl Prüfmöglichkeiten haben.
({0})
- Wie die bekanntgemacht wird? Ich nehme an, durch einen Brief, durch einen Aushang, daß das jedem zugänglich ist.
({1})
Jetzt haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Dr. Vollmer.
Bis wann genau - ich wiederhole: bis wann genau - ist mit dem Abschluß der Überprüfung der vorliegenden acht Anträge auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für die Bestrahlung nach § 37 des Lebensmittelgesetzes zu rechnen?
Frau Kollegin, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das prüfe ich nach. Sie bekommen es dann mitgeteilt.
({0})
- Ja, wir können es auch telefonisch machen.
Diese Vereinbarung bitte ich nachher zu treffen.
Gibt es noch eine Zusatzfrage? - Frau Abgeordnete Nickels möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Frau Staatssekretärin, wie läßt sich die von der Bundesregierung bisher bewußt geübte Auskunftsverweigerung auf die konkrete Frage nach den Antragstellern sowie den Produkten, für die diese Ausnahmegenehmigung beantragt wird, mit dem parlamentarischen Kontroll- und Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages vereinbaren? Ich beziehe mich hier auf die Bundestags-Drucksache 10/1020; das war auch eine Frage.
Tut mir leid, das liegt mir jetzt nicht vor.
({0})
- Gerne.
Ist das noch eine Zusatzfrage, die Sie stellen möchten? - Sie müssen sich aber freundlicherweise melden, dann kriegen Sie auch das Wort.
Jetzt haben Sie das Wort, Herr Abgeordneter Horacek.
Ich möchte in dem Zusammenhang - vielleicht kriegen wir das auch schriftlich beantwortet - die Frage stellen: Wird die Bundesregierung bei einer etwaigen Erteilung von Ausnahmegenehmigungen darauf bestehen, daß eine deutliche, für jeden erkennbare Kennzeichnung der Konservierungsbehandlung durch ionisierende Strahlen vorgenommen wird?
Wir haben dem Bundesgesundheitsrat zur Aufgabe gemacht, daß dieses mit berücksichtigt und in die Beratung einbezogen wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogt ({0}).
Da sich im Bundesgesundheitsrat weder Vertreter der Umwelt- noch der Verbraucherverbände befinden, frage ich, ob diese zur Entscheidungsfindung über Ausnahmegenehmigungen vom Bundesgesundheitsminister zugezogen werden.
Nein, für uns ist in erster Linie der Bundesgesundheitsrat der Partner.
Wir kommen zur Frage 28 des Abgeordneten Werner:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die rechtliche Qualität der Schwangerschaftsabbrüche, deren Kosten bei den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet wurden und deren Zahl im Jahre 1981 über 100 000 höher war als die beim Statistischen Bundesamt gemeldete?
Herr Kollege Werner, der Bundesregierung liegen bisher keine Erkenntnisse über die rechtliche Qualität der nicht gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche vor. Ihr ist nicht bekannt, welche Indikationen zugrunde liegen könnten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Kann die Bundesregierung dann wenigstens bestätigen, daß im Jahre 1981 wahrscheinlich 212 000 Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet, aber nur 91 000 gemeldet worden sind?
Das kann die Bundesregierung nicht bestätigen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Verfügt die Bundesregierung über Zahlen, die im Hinblick auf durch die Pflichtkrankenversicherungen abgerechneten Abtreibungen erkennen lassen - wenigstens teilweise, regional -, auf welche Höhe sich die tatsächliche Gesamtzahl der Abtreibungen wohl beläuft?
Herr Kollege Werner, es liegen einige Zahlen vor. Allerdings können diese Zahlen nicht hochgerechnet werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Frau Staatssekretärin, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung die ständigen Meldungen zu diesem Bereich in absehbarer Zeit doch einmal so ernst nimmt, daß sie vielleicht doch mit Zahlen aufwarten kann, die für diesen Bereich aussagekräftig sind, nachdem das Thema doch hinreichend in der öffentlichen Diskussion steht?
Herr Kollege Pfeffermann, die Bundesregierung überlegt, wie hier etwas mehr Transparenz geschaffen werden kann. Sie nimmt das Problem, das in Ihrer Frage steckt, sehr ernst. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen aber nichts Weiteres sagen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Frau Staatssekretärin, hält die Bundesregierung es angesichts der sehr zahlreichen Briefe, mit denen Abgeordnete in dieser Frage zur Zeit „bombardiert" werden, für möglich, daß auch die Presseorgane, die diese Horrorzahlen veröffentlicht haben, von interessierter Seite mit stark überzogenen Zahlen gefüttert worden sind?
Frau Kollegin Weyel, ich kann natürlich nichts dazu sagen, was a) Presseorgane veröffentlichen oder b) einige Gruppierungen an Zahlen in die Welt geben; das müssen Sie bitte verstehen. Sie haben ja meinen Brief erhalten, aus dem hervorgeht, daß ich mich gegen eine Unterstellung, die dem Ministerium, insbesondere mir, zugeordnet war, mit Nachdruck verwahrt habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauter.
Frau Staatssekretär, wie können Sie sich erklären, daß aus der Bundesregierung heraus verschiedene Zahlen gehandelt werden, und gibt es nicht Anlaß, zu vermuten, daß es sich hier nicht um Horrorzahlen handelt, sondern daß das, was in der Presse zur Zeit an Zahlen genannt wird, der tatsächlichen Zahl von Abtreibungen entspricht?
Herr Kollege, ich habe auf die Frage der Kollegin Weyel, die von Horrorzahlen gesprochen hat, geantwortet. Im übrigen glaube ich, daß die Kollegin Weyel nicht die unterschiedliche Darstellung einiger Mitglieder der Bundesregierung gemeint hat, sondern die Fülle der Zuschriften, die uns erreicht haben. So viel dazu.
Was die Bundesregierung anlangt, so möchte ich sagen, daß wir uns an den offziellen Tatbestand halten. Die Zahlen, die vom Statistischen Bundesamt stammen, sind für uns in der Argumentation die richtigen.
({0})
Wir kommen dann zu Frage 29 des Abgeordneten Werner:
Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, damit in Zukunft ausgeschlossen wird, daß Ärzte Abtreibungen mit den Krankenkassen abrechnen können, ohne gleichzeitig der vorgeschriebenen Meldepflicht gegenüber dem Statistischen Bundesamt nachzukommen?
Herr Kollege, in der Frage der Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus Krankenversicherungsbeiträgen wird die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten und dann die gebotenen Konsequenzen ziehen.
Unabhängig von dieser Frage will die Bundesregierung das Meldedefizit bei den Schwangerschaftsabbrüchen verringern. Schon bisher ist der Arzt verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch, ohne den Namen der Schwangeren anzugeben, zu melden. Tut er das nicht, macht er sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig, die mit einer Geldbuße bis zu 10 000 DM geahndet werden kann.
Die Bundesregierung beabsichtigt, Gespräche mit den Organisationen der Ärzte über die Verbesserung der Meldungen von Schwangerschaftsabbrüchen zu führen. Das erscheint nach einem Gespräch mehrerer Bundesressorts mit dem Statistischen Bundesamt gegenwärtig als ein erfolgversprechender Weg zu einer Verbeserung.
Zudem ist durch die Schaffung von zwei zusätzlichen Positionen in der Krankheitsartenstatistik für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Januar 1984 für den ambulanten Bereich die Erfassung genauerer Zahlen über durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche möglich. Für den stationären Bereich wird das durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Statistik in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1985 möglich sein. Damit läßt sich zumindest in der gesetzlichen Krankenversicherung die Größenordnung der Zahl der Abbrüche ermitteln.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung in diese Überlegungen auch die Möglichkeit einbezogen, etwa in Zusammenarbeit mit Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen das Meldeverfahren so mit der Abrechnung durch die Krankenkassen zu koppeln, daß eine Abrechnung in der Regel nur dann erfolgt, wenn gleichzeitig ein Beleg über die erfolgte Meldung vorgelegt wird?
Herr Kollege, Sie wissen, daß in Karlsruhe ein Urteilsspruch ergehen wird. Ihn müssen wir abwarten, weil es mit Ihrer Frage verbunden wäre, eine gesetzliche Änderung zu ermöglichen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es denn vor dem Hintergrund der 1975 getroffenen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts für
im Einklang mit dem Auftrag der Bundesregierung stehend und für vertretbar, in der Form, wie Sie dies hier dargelegt haben, in einer wirklich lebenswichtigen und für sehr viele Menschen lebensbedrohenden und -vernichtenden Frage dermaßen dilatorisch zu verfahren?
Herr Kollege, wir sind erstens dem Gesetz verpflichtet. Von daher ist die Änderung zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Zweitens hat die Bundesregierung j a mit der Bundesstiftung Mutter und Kind eine Möglichkeit geschaffen, Abbrüche, die vielleicht auch mit einer seelisch-wirtschaftlichen Not einhergehen, zu verhindern.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Frau Kollegin, teilen Sie bei dieser Frage meinen Eindruck, daß hier versucht wird, gegenüber den Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, gewissermaßen eine Schuldzuweisung vorzunehmen, während sich die Frage doch eigentlich auf Fehler im Bürobetrieb der Ärzte bezieht?
({0})
Frau Kollegin Weyel, ich weiß nicht, was der Kollege mit seiner Frage wollte. Ich gehe aber davon aus, daß er keine Schuldzuweisung den Frauen gegenüber intendiert hatte.
Wir haben noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauter.
Frau Staatssekretär, trifft es zu, daß Ärzte, die ihrer Meldepflicht in diesem Zusammenhang nicht nachkommen, bisher nicht eine Verhängung des Bußgeldes erwarten mußten, und sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, wie die Situation dahin verbessert werden könnte, daß Ärzte, die diese Pflicht vernachlässigen, tatsächlich wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt werden können?
Herr Kollege Sauter, ich habe ja eben angeführt, daß jetzt Gespräche mit den Organisationen der Ärzte stattfinden werden. Wir werden auch und insbesondere dieser Frage nachgehen, um Ihrem Wunsch Rechnung tragen zu können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker ({0}).
Frau Staatssekretärin, könnten Sie, auf den damaligen Gesetzgebungsvorgang zurückblickend, noch einmal bestätigen, daß die damalige Regierungskoalition ganz besonders großen Wert darauf gelegt hat, daß all diejenigen, die in solchen Fällen beraten, eine - so will ich verkürzt fragen - Beratung pro Leben durchzuführen haben?
Das war vom Gesetzgeber intendiert, ja.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.
Frau Staatssekretärin, gehen Sie Gerüchten nach, wonach Mediziner Schwangerschaftsabbrüche unter einer anderen Diagnose abrechnen, und sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, solchen anderen Abrechnungen rechtlich beizukommen?
Wir werden auch diese Frage in dem Gespräch zum Mittelpunkt machen. Aber, Frau Kollegin, wir gehen natürlich nicht Gerüchten nach, weil dies nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Frau Staatssekretär, haben Sie für mich Verständnis, wenn ich es als unbefriedigend empfinde, wenn sich die Bundesregierung in derselben Fragestunde veranlaßt sieht, in einer Frage auf das Statistische Bundesamt, das die für sie gültigen Zahlen zur Verfügung stelle, zu verweisen und gleichzeitig von einem Meldedefizit zu sprechen, das in dieser Angelegenheit erkennbar bestehe, und was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um diesem unter dem Gesichtspunkt ein Ende zu bereiten, daß nach der Rechtslage die Unterlassung von Meldungen eigentlich als Ordnungswidrigkeit zu ahnden wäre?
Herr Kollege, haben Sie bitte auch in dieser Frage Verständnis, die ja nicht ganz einfach zu betrachten ist, je nach dem, wo man steht.
({0})
Ich will Ihnen versprechen, daß gerade auch diese Frage der Meldepflicht mit den Ärzteorganisationen so behandelt werden wird, daß wir zukünftig über richtigere Zahlen verfügen.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Nickels.
Frau Staatssekretärin, wenn man davon ausgeht, daß der Bereich Arzt/ Patient ein besonders sensibler Bereich ist und es schon von daher naturgemäß schwierig ist, korrekte Zahlen zu erfragen, möchte ich Sie fragen, ob Sie in Ihren Verhandlungen mit den Ärztevertretern sicherstellen werden, daß neben der Erhebung genauer Daten auch der Datenschutz bei der Abwägung gewährleistet bleibt, und ob Sie beide Punkte als sehr wichtig betrachten werden.
({0})
Ja, das ist völlig richtig, Frau Kollegin. Nicht nur der Datenschutz spielt hier eine Rolle, sondern die Ärzte haParl. Staatssekretär Frau Karwatzki
ben auch ein sehr hohes Rechtsempfinden und wissen damit sicherlich gut umzugehen.
Wir sind am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Dr. Ehrenberg sind zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 32 des Abgeordneten Schmidbauer:
Trifft es zu, daß die Vereinigung der Technischen Überwachungs-Vereine eine Gebührenanhebung um 16,8 v. H. beim Bundesminister für Verkehr beantragt hat?
Herr Kollege, es ist richtig, daß hinsichtlich des größten Teils der in der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr festgelegten TÜV-Gebühren ein entsprechender Antrag vorliegt. Nach eingehender Prüfung des Antrags hat der Bundesminister für Verkehr entschieden, die Gebühren nur um durchschnittlich 6,9 anzuheben. Hinzu kommen einige strukturelle Gebührenanhebungen, und zwar im wesentlichen bei den Fahrerlaubnisprüfungen sowie den Hauptuntersuchungen für Motorräder. Ein entsprechender Verordnungsentwurf wird zur Zeit vorbereitet. Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer.
Es trifft also zu, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß entgegen dem Antrag auf Anhebung um 16,8 % eine Anhebung nur um 6,9 % stattfindet?
So ist es, Herr Kollege.
Ich rufe jetzt die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Schmidbauer auf:
Trifft es zu, daß die Bundesländer eine in zwei Stufen mit einjährigem Abstand durchzuführende Anhebung der Behördengebühren ({0}) um 40 v. H. beantragt haben?
Ich bitte, die Frage zu beantworten.
Herr Kollege, ja. Der Bundesminister für Verkehr hat allerdings nach eingehender Prüfung entschieden, daß die sogenannten Ländergebühren vorerst nur um 9,8 % angehoben werden sollen. Auch hier muß der Bundesrat zustimmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hornung.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß aus der Monopolstellung der Technischen Überwachungs-Vereine die Möglichkeit entsteht, daß gerade hier einseitige Gebührenerhöhungen durchgeführt werden können?
Die Gebührenordnung kommt zunächst vom Bundesminister für Verkehr. Der Bundesminister für Verkehr prüft im Einzelfall, ob Anträge auf Gebührenerhöhung den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Sie haben gerade in meiner Antwort auf die beiden Fragen des Kollegen Schmidbauer gehört, daß der Bundesminister für Verkehr die Anträge nicht akzeptiert hat. Wir sehen allerdings vor, Herr Kollege, daß wir diesen Bereich neu ordnen, z. B. auch durch die Zulassung freier Sachverständiger.
Die Fragen 34 und 35 des Herrn Abgeordneten Seehofer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Verfügung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe.
Die Fragen 36 und 37 des Herrn Abgeordneten Conradi sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich komme zur Frage 38 des Herrn Abgeordneten Stutzer. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf:
Trifft es zu, daß neben den bisher von der Ehefrau des ehemaligen Bundespostministers Gscheidle irrtümlicherweise verwandten, nicht in den Verkauf gekommenen OlympiaBriefmarken 1980 jetzt auch postfrische Exemplare auf dem Markt angeboten werden?
Herr Präsident, wenn der Kollege Pfeffermann einverstanden ist, möchte ich die Fragen 39 und 40 zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf:
Wie ist dies zu erklären, und welche Schritte wird der Bundespostminister unternehmen, um diese Angelegenheit aufzuklären?
Herr Kollege Pfeffermann, nach den der Deutschen Bundespost zugänglichen Informationen ist ein ungestempeltes Exemplar der Druckstücke „Olympiafahne '80" von einem unbekannten Mann einem Berliner Experten und einem Fachverlag vorgelegt worden. Es ist bislang nicht bekannt, daß dieses oder ein anderes ungestempeltes Exemplar im Handel angeboten wird.
Eine Untersuchung aller mit dem Auftauchen von Druckstücken „Olympiafahne '80" zusammenhän4260
genden Fragen ist nahezu abgeschlossen. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchungen sind die produzierten Druckstücke bis auf die üblichen Archivbestände nachweislich vernichtet worden. Die Archivbestände sind vollzählig im Archiv des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen vorhanden.
Unklar ist nur der Verbleib der drei Bogen Druckstücke, die aus diesen Archivbeständen gegen Quittung an das Ministerbüro des damaligen Bundesministers für das Post- und Fernmeldwesen, Herrn Gscheidle, geliefert wurden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, wie viele der Marken gestempelt oder ungestempelt aufgetaucht sind?
Ja, ich glaube, das kann ich. Ich habe hier eine Übersicht. Bislang sind uns, Herr Kollege Pfeffermann, bekanntgeworden: eine Postkarte mit einem gestempelten Stück, versteigert vom Auktionshaus Mohrmann in Hamburg zum Preis von 74 000 DM. Absender war Frau Gscheidle. Der Stempel ist von Wildbad.
Ein zweites gestempeltes Einzelstück ist versteigert worden vom Auktionshaus Steltzer in Frankfurt für 46 000 DM. Dort sind auf der Briefmarke zwei Abdrucke von Wellenstempeln.
Ein drittes gestempeltes Einzelstück wurde vom Auktionshaus Mohrmann in Hamburg für 44 000 DM versteigert. Der Stempel ist ebenfalls von Wildbad.
Ein viertes gestempeltes Einzelstück ist vom Auktionshaus Rapp in Zürich für 13 000 Schweizer Franken versteigert worden. Der Stempel ist aus München, vom 6. November 1982.
Ein fünftes gestempeltes Einzelstück wurde vom Auktionshaus Schöffler in Karlsruhe für 18 000 DM versteigert. Es hat nur einen sehr schwer erkennbaren Stempel. Der Aufdruck weist am Ende die Silbe „wald" auf.
Ein sechstes gestempeltes Einzelstück wurde vom Auktionshaus Jakubek in Hamburg für 25 000 DM angeboten. Da der Stempelaufdruck sehr vergleichbar ist mit dem auf der fünften von mir genannten Marke, ist davon auszugehen, daß es sich hier um identische Exemplare handelt.
Ein ungestempeltes Exemplar ist bislang im Handel nicht bekannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen denn weitere Erkenntnisse zugegangen außer der eben von Ihnen genannten Mitteilung in der „Michel-Rundschau" Nr. 3, in der gesagt wird, das Original habe der Michel-Redaktion vorgelegen, an der Echtheit des Stückes bestehe kein Zweifel, ein Bundesprüfer habe dazu ein Prüfungsattest ausgestellt?
Wir haben diese Meldung den Zeitungen entnommen und haben darüber hinaus bei dem Verlag anfragen lassen. Die Marke soll dort tatsächlich ungestempelt zur Aufnahme in einen Katalog angeboten worden sein. Der Verleger hat sich ausdrücklich auf die Anonymität des Anbietenden berufen, und wir haben somit leider keine Zugriffsmöglichkeit.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, nachdem diese Marke zweifelsfrei nicht durch Beteiligung an einem Preisausschreiben an Dritte gelangt ist, darf ich Sie fragen: Haben Sie eigentlich einmal überprüft, ob der frühere Postminister die drei Bögen, die er nach eigener Einlassung zur Vorlage im Bundeskabinett benutzt hat, nach dieser Vorlage aus dem Bundeskabinett zurückbekommen hat? Vielleicht sind dort die Möglichkeiten, wo sie abhanden gekommen sind.
Herr Kollege Pfeffermann, ich gehe davon aus, daß Ihnen bekannt ist, daß der frühere Bundesminister dazu gehört worden ist
({0})
- dann will ich es hier vortragen - und daß er glaubhaft versichert hat, die Druckstücke, die von ihm mitgenommen worden seien, seien irrtümlich in den Verbrauch gelangt. Er hat dafür den entsprechenden Gegenwert der Deutschen Bundespost erstattet, so daß ein materieller Schaden hier nicht entstanden ist.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, darf ich vor dem Hintergrund der eben zitierten Mitteilung dieses ja doch renommierten Verlags die Bitte fragend äußern, ob es der Bundesregierung nicht angezeigt erscheint - vor dem Hintergrund, daß es sich immerhin um drei Bögen handelt und auch bei einem sehr kartenfreundlichen Haushalt die Verwendung von so viel Marken in einer relativ kurzen Zeit eine auch bei sehr vielen Preisausschreiben nicht gerade übliche Sache ist -, daß man vielleicht doch noch einmal mit dem betroffenen früheren Minister spricht, daß das Erinnerungsvermögen der gesamten Familie vielleicht noch einmal dahin gehend geschärft wird, ob nicht eventuell doch einer der drei Bögen auch von Dritten benutzt worden sein kann, um diese leidige Geschichte, die doch für die Sammler von erheblicher Bedeutung ist, die sich doch ein Stück betrogen fühlen, wenn sie sich darum bemühen, komplette Sammlungen zu erstellen, vielleicht doch deutlich zu bereinigen?
Herr Kollege Pfeffermann, Sie können davon ausgehen, daß all die Meldungen über diese Fragen in unserem Hause natürlich sehr viel Beachtung gefunden haben und daß wir auch schon wegen der eigentumsrechtlichen
Seite eine umfassende Untersuchung eingeleitet haben. Ich bitte um Ihr Verständnis, diese Untersuchung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, deswegen möchte ich hier eine Wertung nicht vornehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker ({0}).
Herr Staatssekretär, nachdem Sie erklärt haben, daß diese Bögen im Ministerbüro gegen Quittung ausgehändigt worden sind, könnten Sie bestätigen, daß das Ministerbüro bei vielen Sonderbriefmarken zu allen Zeiten, damals und auch heute, solche Bögen vorab erhält?
Herr Kollege Becker, ich kann das in dieser Form nicht bestätigen. Ich kann wohl bestätigen, wie mir meine Mitarbeiter versichert haben, daß gültige Briefmarken gelegentlich vom Ministerbüro angefordert worden sind. Hier handelt es sich aber um ein Druckstück, das bewußt noch nicht gültig gemacht worden war. Sie kennen den Streit, ob man diese Briefmarke zulassen sollte oder nicht. Die Begründung - das will ich Ihnen aber gerne im Sinne Ihrer Frage nachliefern - war, daß der damalige Minister für das Post- und Fernmeldewesen sie für eine Kabinettssitzung angefordert hat.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, würde es die Bundesregierung für hilfreich erachten, wenn in dieser für die Existenz des Staates so bedeutenden Frage der Deutsche Bundestag einen Untersuchungsausschuß einsetzte?
Sie sind mir nicht böse, Herr Kollege, wenn ich diese Frage so ernst nehme, wie Sie sie gemeint haben.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. - Schönen Dank, Herr Rawe.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Dort aber gibt es nichts zu beantworten, denn die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Dr. Hirsch sowie 50 und 51 des Abgeordneten Austermann sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 52 des Abgeordneten Poß ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Zu den Fragen 53 und 54 hat der Fragesteller, Abgeordneter Dr. Sperling, um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 55 des Abgeordneten Stockleben. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Stiegler auf:
Wie ist der Stand der Verhandlungen mit der US-Regierung betreffend die Realisierung des amerikanischen „Master-Restationing-Plan" ({0}), und wie sollen sie weitergeführt werden?
Herr Kollege Stiegler, der Master-Restationing-Plan ist eine amerikanische Planung. Die Entscheidung, ob dieser Plan realisiert werden soll, liegt bei der amerikanischen Regierung. In den bisherigen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung stets bereit erklärt, die amerikanischen Stationierungsplanungen auf der Grundlage der zwischenstaatlichen Verträge zu unterstützen. Bei dieser Haltung bleibt die Bundesregierung. Sofern die amerikanische Regierung eine Fortsetzung der Verhandlungen wünscht, wird sich die Bundesregierung diesem Wunsch nicht entziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, welche deutsche Beteiligung an der Finanzierung der Umsetzung dieses Plans hat die amerikanische Seite bisher gefordert?
Die Forderungen der amerikanischen Seite, Herr Kollege Stiegler, sind bisher von der Bundesregierung in keiner Form akzeptiert worden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, ich habe nach der Höhe gefragt und nicht nach der Akzeptanz.
Herr Kollege Stiegler, Sie werden mir zugeben, daß auf Grund der Haltung, die die Bundesregierung hier eingenommen hat, die Höhe der amerikanischen Forderungen keine Rolle spielt.
Wir kommen zur Frage 57 des Abgeordneten Stiegler:
Wird die Bundesregierung in diese Verhandlungen die Forderung der Gewerkschaft ÖTV auf eine arbeitsrechtliche Besserstellung der Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften mit einbringen, bzw. auf welchen anderen Ebenen wird sie dieses Thema in den bilateralen Gesprächen mit den USA weiterverfolgen?
Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, die Forderung der ÖTV nach einer arbeitsrechtlichen Besserstellung der zivilen Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften in die deutsch-amerikanischen Erörterungen zum MasterRestationing-Plan einzubringen, da beide Fragenkomplexe in keinem Zusammenhang stehen. Auch
eine anderweitige Verbindung mit bilateralen deutsch-amerikanischen Fragen kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil die statusrechtlichen Regelungen für die zivilen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften mit sämtlichen Entsendestaaten getroffen worden sind, die Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten. Über Änderungen oder Ergänzungen solcher Regelungen könnte daher nur mit allen sechs Entsendestaaten gemeinsam verhandelt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt denn die Bundesregierung, auf anderen Ebenen mit den Entsendestaaten darüber zu verhandeln, endlich, nach Jahrzehnten der Bemühungen, die arbeitsrechtliche Gleichstellung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften mit den deutschen Arbeitnehmern anzustreben und wenigstens schrittweise herbeizuführen?
Herr Kollege, die letzten Verhandlungen haben im Jahre 1981 stattgefunden. Dabei ist klar zutage getreten, daß zu diesem Zeitpunkt keiner der Entsendestaaten beabsichtigte - und bisher liegen auch keine Anzeichen dafür vor, daß sich da etwas geändert hat -, von ihrer bisherigen Haltung abzugehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, wird denn die Bundesregierung mit einem eigenen Verhandlungsvorschlag auf die Entsendestaaten zugehen und einmal auflisten, an welchen Punkten die entsprechenden Vereinbarungen geändert werden sollen?
Herr Kollege, die Bundesregierung nimmt alle Möglichkeiten, die sie hier hat, wahr; aber bei der Haltung, die die Entsendestaaten bisher eingenommen haben und auch zur Zeit noch einnehmen, steht die Sache für einen Erfolg der Bundesregierung bisher nicht sehr günstig.
Wir kommen zur Frage 58 des Abgeordneten Weiß:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Städte und Gemeinden, welche Ansprüche auf Zuweisungen nach Artikel 106 Abs. 8 GG geltend machen, auf Grund der am 9. Juli 1976 erlassenen „Grundsätze über die Gewährung von Ausgleichszahlungen des Bundes an Gemeinden nach Artikel 106 Abs. 8 GG als Folge der Grundsteuermindereinnahmen" in aller Regel keine Ausgleichszahlungen mehr bekommen und damit beträchtliche Einnahmeausfälle hinnehmen müssen, obwohl sie nach wie vor erhebliche Mehrausgaben durch die vom Bund veranlaßten besonderen Einrichtungen haben?
Herr Kollege Weiß, der Bundesregierung ist die Entwicklung der Ausgleichszahlungen des Bundes an die Gemeinden nach Art. 106 Abs. 8 des Grundgesetzes bekannt. Wenn sich diese Leistungen gegenüber der früheren Regelung nach § 26 des Grundsteuergesetzes alter Fassung verringert haben, so liegt dies an den unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen. Nach der Regelung in § 26 Grundsteuergesetz alter Fassung mußte der Bund an Gemeinden eine besondere Entschädigung zahlen, wenn deren Haushaltsausgleich wegen der vom Bund in Anspruch genommenen Grundsteuerbefreiungen für Einrichtungen der Bundeswehr usw. gefährdet war. Diese Regelung war ihrem Kern nach nicht steuerrechtlicher, sondern finanzwirtschaftlicher Natur. Nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes ist es jedoch Sache der Länder, den Haushaltsausgleich der Gemeinden erforderlichenfalls durch Finanzzuweisungen herbeizuführen. Die Regelung des § 26 Grundsteuergesetz alter Fassung konnte deshalb nicht als Ausführungsvorschrift zu Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz gewertet und im Rahmen der am 9. Juli 1976 erlassenen Ausgleichsgrundsätze des Bundes beigehalten werden. Insbesondere läßt Art. 106 Abs. 8 Grundgesetz nur den Ausgleich von Mindereinnahmen zu und setzt damit voraus, daß vor der Schaffung der Bundeseinrichtung vorhandene Grundsteuereinnahmen entfallen. Der frühere Ersatzbetrag konnte dagegen, soweit dies zum Ausgleich des Gemeindehaushalts erforderlich war, bis zur Höhe der Grundsteuer gefordert werden, die ohne die Befreiung zu leisten gewesen wäre.
Keine Fragen.
Dann sind Sie dran mit der Beantwortung der Frage 59 des Abgeordneten Weiß, die ich hiermit aufrufe:
Ist die Bundesregierung bereit, die „Grundsätze für die Gewährung von Ausgleichszahlungen des Bundes an Gemeinden" nach Artikel 106 Abs. 8 GG als Folge von Grundsteuermindereinnahmen so zu ändern oder neu zu fassen, daß insbesondere bei der Ermittlung der ausgleichsfähigen Grundsteuermindereinnahmen von den steuerlich relevanten Merkmalen des Grundstückes am 31. Dezember des dem Jahr des Ausgleichs vorausgehenden Kalenderjahres ausgegangen wird?
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung ist in ihren Ausgleichsgrundsätzen für Grundsteuermindereinnahmen von der letzten steuerlichen Einordnung der Grundstücke vor dem Zeitpunkt ausgegangen, in dem der Bund die ausgleichsveranlassenden Einrichtungen geschaffen hat. Diese Regelung ist wegen der erforderlichen Unmittelbarkeit sachgerecht. Eine ausschließliche Anknüpfung an die steuerlich relevanten Merkmale der Grundstücke am 31. Dezember des dem Jahr des Ausgleichs vorausgehenden Kalenderjahres entspricht nicht Art. 106 Abs. 8 des Grundgesetzes. Zu einer Änderung der Ausgleichsgrundsätze von 1976 besteht deshalb kein Anlaß.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weiß.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung das Ergebnis des Arbeitskreises 3 des Unterausschusses der Innenministerkonferenz, wo neue Vorschläge gemacht wurden, um die Ausgleichszahlungen zu verbessern, die
zwar geleistet werden, aber nicht in dem von den Gemeinden benötigten Umfang?
Diese Ergebnisse, Herr Kollege Weiß, sind der Bundesregierung bisher offiziell noch nicht zugegangen. Sie wird, nachdem das der Fall ist, diese Ergebnisse in ihre Prüfungen einbeziehen.
Wir haben eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß die Kausalitätsbetrachtung in diesen Grundsätzen zu eng und restriktiv ist und nicht darauf Rücksicht nimmt, daß die Entwicklung in den Gemeinden, die diese Ausfälle haben, ganz anders als vor 50 oder mehr Jahren ist, als diese staatlichen Einrichtungen geschaffen worden sind, und daß man für diese Ausgleiche einen aktuelleren Maßstab finden müßte?
Herr Kollege, nach der bisherigen Erkenntnis der Bundesregierung reichen diese Grundsätze aus. Aber die Ergebnisse des Arbeitskreises werden, wie ich soeben in der Antwort auf eine Frage bereits ausgeführt habe, natürlich einbezogen. Ich kann heute weder j a noch nein auf die Frage sagen, ob hier eine Änderung auf Grund dieser Erkenntnisse stattfinden wird. Zur Zeit jedenfalls sieht die Bundesregierung keine Veranlassung für eine Änderung.
Wir kommen zur Frage 60 des Abgeordneten Gansel:
Ist die Bundesregierung bereit zu verhindern, daß bei den zum bundeseigenen Salzgitterkonzern gehörenden Howaldtwerken-Deutsche Werft weitere Massenentlassungen vorgenommen und die bestehenden zivilen Produktionskapazitäten durch sogenannte Sanierungskonzepte weiter zerstört werden?
Herr Kollege Gansel, bei den Howaldtswerken-Deutsche Werft sind bei der gegenwärtigen Lage keine weiteren Massenentlassungen geplant.
Stand und Umfang des derzeit verhandelten Auftragsvolumens sind nach dem Urteil des Unternehmens so aussichtsreich, daß sich die Frage weiterer Kapazitätsreduzierung gegenwärtig nicht stellt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, war die Bundesregierung über die Überlegungen im bundeseigenen Salzgitter-Konzern informiert, bei HDW den Handelsschiffsneubau abzuschaffen, nur noch Kriegsschiffsbau zu betreiben, die Bundesregierung aufzufordern, die Richtlinien über den Waffenexport zu ändern, und 2 100 Arbeitnehmer zu entlassen, und hat die Bundesregierung dies toleriert?
Die Bundesregierung war über Überlegungen, wie Sie sie eben geschildert haben, Herr Kollege, informiert. Aber sie hat sie weder gebilligt noch toleriert.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
In welcher Form hat sich die Bundesregierung, wenn sie informiert war und diese Überlegungen nicht toleriert hat, vor dem Bekanntwerden dieser Überlegungen, die ja zu Papier gebracht worden sind, dafür eingesetzt, daß sie nicht an die Öffentlichkeit gelangen, um dadurch dazu beizutragen, das Vertrauen der Arbeitnehmer in ihr Unternehmen und das der Kunden in das Unternehmen nicht zu verringern?
Herr Kollege Gansel, es steht nicht im Einflußbereich der Bundesregierung, Überlegungen, die irgendwo angestellt werden, davor zu bewahren, daß sie an die Öffentlichkeit gelangen. Wichtig ist, daß die Bundesregierung falsche Wege und falsche Überlegungen nicht akzeptiert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfuhl.
Herr Staatssekretär, handelt es sich bei diesen Gedanken um eine schriftliche Vorlage des Vorstandes der Salzgitter AG oder nur um Dinge, die Sie vom Hörensagen kennen?
Ich vermag im Moment nicht zu sagen, ob es sich um schriftliche oder nur um Überlegungen handelt, die in Gesprächen abgehandelt worden sind. Aber ich kann mir sowohl das eine als auch das andere vorstellen, Herr Kollege.
Dann kommen wir zur Frage 61 der Abgeordneten Frau Huber:
Wird die Bundesregierung für die steuerliche Behandlung der Kinderbetreuungskosten den Grundsatz übernehmen, daß hinsichtlich des Nachweises der Aufwendungen von einer typisierenden Betrachtungsweise auszugehen ist, bei der eine entgeltliche Beaufsichtigung und Betreuung von Kindern im Regelfall vermutet wird, und daß deshalb auf die Vorlage von Einzelbelegen weitgehend verzichtet werden kann, wie dies der damaligen Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Häfele, Dr. Kreile und anderer und der Fraktion der CDU/CSU ({0}) vom 2. April 1979 nahegelegt wurde?
Frau Kollegin Huber, das Bundesverfassungsgericht hat das Einkommensteuerrecht insoweit für verfassungswidrig erklärt, als nicht hinreichend berücksichtigt wird, daß berufstätige Alleinstehende durch zusätzlichen zwangsläufigen Betreuungsaufwand für Kinder belastet sein können. Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit soll nun bestimmt werden, daß bei Alleinerziehenden solche Kinderbetreuungskosten bis zu bestimmten Höchstbeträgen in der tatsächlichen Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
Auf einen Nachweis, zumindest aber auf eine Glaubhaftmachung kann grundsätzlich nicht verzichtet werden, da die Verhältnisse zu unterschiedlich sind und zwangsläufige zusätzliche Kinderbetreuungskosten vielfach überhaupt nicht entstehen. Pauschalierende Regelungen hätten deshalb eine erhebliche Freibetragswirkung zur Folge, die ge4264
genüber Ehegatten mit Kindern nicht vertretbar wäre.
Die Sach- und Rechtslage ist insoweit eine andere, als sie seinerzeit im Zusammenhang mit der Betreuungskostenregelung der Jahre 1980 bis 1982 bestand, auf die sich der Antrag der CDU/CSU-Fraktion bezieht. Diese Regelung galt allgemein für alle Personen mit Kindern, so daß eine Benachteiligung von Ehegatten dabei nicht auftreten konnte.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Huber.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß der Einzelnachweis eine den Halbfamilien nicht angemessene und zu Mißbräuchen geradezu einladende, sehr verwaltungsaufwendige Regelung ist und daß es viel besser wäre, eine pauschalierte Regelung anzustreben - trotz gewisser Schwierigkeiten - oder im Steuerbereinigungsgesetz eine vereinfachte Lösung zu finden?
Ich gebe Ihnen gerne zu, Frau Kollegin, daß jede Regelung, die auf Nachweis basiert, die verwaltungsaufwendigere ist. Aber, Frau Kollegin, es ist auch die billigere. Darüber kann man bei der Haushaltssituation, in der wir uns befinden, natürlich nicht ganz hinwegblikken.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Huber.
Herr Staatssekretär, ich glaube nicht, daß das Bundesverfassungsgericht bei dem Ernst dieser Angelegenheit auf die Billigkeit einer Regelung abgehoben hat, und ich frage Sie, ob diese Lösung, die nun seit vielen Jahren ansteht, nicht doch im Vordergrund stehen müßte, ohne daß man hier allzu bürokratisch vorgeht.
Frau Kollegin Huber, hier soll eine Ungleichheit abgestellt werden. Das wird mit dieser Regelung erreicht. Daher entspricht diese Regelung dem, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gefordert hat.
Wir kommen zur Frage 62 der Abgeordneten Frau Huber:
Wird die Bundesregierung die seinerzeit von den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein vertretene Auffassung ({0}) übernehmen, wonach unter anderem die Beaufsichtigung und Betreuung bei Sport und Spiel sowie die musische oder pädagogische Betreuung zur einkommensteuerlich berücksichtigungsfähigen Kinderbetreuung gehören, oder wird sie der noch weitergehenden Auffassung folgen, daß die Begriffe „Beaufsichtigung" und „Betreuung" im Interesse einer gleichmäßigen steuerlichen Behandlung der Familien weit auszulegen sind ({1})?
Die vorgesehene Betreuungskostenregelung beschränkt sich auf Alleinerziehende. Sie betrifft lediglich den zwangsläufigen zusätzlichen Betreuungsaufwand, der wegen einer Erwerbstätigkeit entstanden ist. Deshalb ist ein Vergleich mit dem früheren Begriff, der Aufwendungen für Dienstleistungen zur Beaufsichtigung oder Betreuung eines Kindes schlechthin umfaßte, nicht möglich. Betreuungsaufwendungen, die nicht wegen der Erwerbstätigkeit entstehen, sondern auch unabhängig davon anfallen, können nicht berücksichtigt werden. Anderenfalls wären z. B. Ehegatten mit Kindern benachteiligt. Insofern ist, wie schon zur Vorfrage erwähnt, eine andere Sachund Rechtslage gegeben als diejenige, auf die sich die von Ihnen genannten Drucksachen zur früheren Betreuungskostenregelung beziehen.
Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen alle Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung des Kindes berücksichtigt werden, die wegen der Erwerbstätigkeit des Alleinerziehenden erforderlich sind. Hierunter kann bei Kleinkindern z. B. auch die Betreuung bei Sport und Spiel oder bei Schulkindern die Aufsicht bei Erledigung der häuslichen Schularbeiten fallen. Aufwendungen für Unterricht oder sportliche Betätigungen selbst können dagegen aus den dargelegten Gründen nicht berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Huber.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß diese Erklärung die Unterschiede ausräumt zwischen den früheren Bemerkungen z. B. des Herrn Abgeordneten Häfele und dem, was Sie jetzt sagen?
Frau Kollegin Huber, ich habe soeben darzulegen versucht, daß die frühere Regelung grundsätzlich anders war als die jetzige Regelung. Man kann nach dem alten römischen Grundsatz: bene iudicat qui bene distinguit - gut urteilt, wer gut unterscheidet - über diese Unterschiede nicht hinwegsehen. Man kann das insofern nicht vergleichen.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Huber.
Herr Staatssekretär, ich bin in der Sache nicht Ihrer Meinung. Aber glauben Sie, daß man eine sehr strenge Abgrenzung der Betreuungskosten finden kann, die durch die Berufstätigkeit einer alleinerziehenden Mutter bedingt sind?
Ich glaube schon, Frau Kollegin Huber, daß man hier die Kausalität mit einer doch sehr hohen Wahrscheinlichkeit und Bestimmtheit feststellen kann.
Wir kommen zur Frage 63 des Abgeordneten Dr. Kunz. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Damit entfällt auch die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Kunz. Es wird geschäftsordnungsmäßig verfahren.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Staatssekretär Voss.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Staatssekretär Grüner steht zur Verfügung. Ich freue mich, daß Sie da sind. Ich hörte, daß es Schwierigkeiten gab. Daß Sie da sind, ist erfreulich.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Rapp ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes sowie in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht Anregungen aus Kommunalparlamenten und Jugendverbänden, § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Gaststättengesetzes so zu fassen, daß die gaststättenrechtliche Erlaubnis mit der Auflage versehen werden kann, stets mindestens ein alkoholfreies Getränk zu einem Preis anzubieten, der nicht höher sein darf als der Preis des billigsten alkoholischen Getränks in gleicher Menge?
Die Bundesregierung hat sich schon mehrfach zu parlamentarischen Fragen nach der Preisgestaltung bei nichtalkoholischen Getränken in Gastwirtschaften geäußert. Sie hat sich wiederholt, zuletzt im Juni vergangenen Jahres in Beantwortung einer Frage des Abgeordneten Linsmeier durch die Frau Kollegin Karwatzki, dafür eingesetzt, daß in Gaststätten mindestens ein nichtalkoholisches Getränk bei gleicher Menge billiger angeboten werden sollte als das preisgünstigste alkoholische Getränk. Diesem Ziel dienten und dienen wiederholte Appelle an die Gastwirte sowie Gespräche mit dem Deutschen Brauerbund und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, die regional auch schon Erfolge zeigen. Erfreulicherweise werden die Aktivitäten des Bundes ergänzt durch entsprechende Bemühungen von Ländern und Kommunen, die vielfach in ihren Pachtverträgen, z. B. bei kommunalen Einrichtungen, verlangen, daß ein nichtalkoholisches Getränk billiger angeboten wird als alkoholische Getränke. Um Jugendliche vor Alkoholmißbrauch zu bewahren, sieht schließlich die von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Neufassung des Jugendschutzgesetzes vor, daß künftig die Alkoholabgabe in Gaststätten an Minderjährige unter 16 Jahren gänzlich verboten wird. Außerdem soll der Vertrieb sogenannter weicher alkoholischer Getränke durch Automaten in der Öffentlichkeit verboten werden, also hauptsächlich von Bier.
Angesichts dieser Lage sieht die Bundesregierung derzeit keinen Anlaß, durch weitere gesetzgeberische Maßnahmen, etwa durch Änderung des Gaststättengesetzes, in die freie Preisgestaltung der Gastwirte einzugreifen. Dies würde ein negatives Präjudiz für andere Bereiche darstellen und könnte auch zum Anstieg des Preisniveaus bei alkoholischen Getränken, vor allem beim Bier, führen. Außerdem könnte ein solches Gebot durch Anbieten unattraktiver nichtalkoholischer Getränke faktisch umgangen werden. Die Bundesregierung gibt daher gezielten gesundheitlichen Aufklärungsmaßnahmen sowie freiwilligen Maßnahmen des Gewerbes den Vorzug. Sie wird die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen Überblick, in welchem Umfang die bisherigen Appelle im Sinne dessen, was ich mit dieser Anfrage intendiert habe, bereits Erfolg gehabt haben?
Herr Kollege, ich kann Ihnen keine detaillierten Angaben machen, aber bestätigen, daß in sehr vielen Fällen freiwillige Appelle - auch durch kommunale Initiativen - Erfolg gehabt haben, in beachtlichem Maße vor allem in den Lokalen, in denen Jugendliche hauptsächlich verkehren.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, dazu auch einmal die Meinung des Jugendinstitutes einzuholen? Ich muß vorausschicken, daß ich auf eine gesetzliche Regelung nicht unbedingt versessen bin. Dann könnte man noch einmal eine qualifizierte Äußerung dazu hören, ob Appelle genügen.
Herr Kollege, ich meine, daß man dieser Anregung nachgehen kann. Aber in der Zielsetzung sind wir uns ja einig, so daß im Grunde lediglich die Frage zur Diskussion steht, ob es zweckmäßig wäre, das über das Gaststättengesetz zu machen. Da ist unsere derzeitige Haltung ablehnend, weil wir mehr Schaden als Nutzen befürchten und weil wir auf dezentrale und freiwillige Handlungsweise in diesem Bereich besonders großen Wert legen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Grünbeck.
Herr Staatssekretär, stimmen meine Informationen, daß, wenn man der Frage nachgehen würde, nicht nur die Änderung des Gaststättengesetzes erforderlich wäre, sondern auch die Änderung der Gewerbeordnung in § 1, nämlich der Gewährleistung der Gewerbefreiheit in der Bundesrepublik, erforderlich wäre?
Ich meine, Herr Kollege, daß es genügen würde, das Gaststättengesetz zu ändern. Ich bin aber auf Ihre Frage nicht vorbereitet. Sollte sich diese Antwort nicht bestätigen, werde ich Ihnen schriftlich Nachricht geben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfuhl.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung wenigstens in der Lage, zu versuchen, dem Herrn Bundeskanzler in das Redemanuskript, welches er anläßlich der Tagung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in der übernächsten Woche hier in der Beethovenhalle benutzen wird, dieses Thema mit hineinzuschreiben?
Herr Kollege, wir schreiben dem Herrn Bundeskanzler seine Reden nicht vor. Aber ich halte das für eine wichtige Anregung, und ich werde sie gerne weiterleiten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, hängt Ihre ablehnende Antwort zu dem Vorschlag in der Frage 65, Gaststätten zu zwingen, ein nichtalkoholi4266
sches Getränk billiger anzubieten, damit zusammen, daß die Frage 64 des Abgeordneten Kunz - die leider wegen der Abwesenheit des Abgeordneten nicht beantwortet werden konnte - darauf abzielte, von der Bundesregierung eine Garantie zu erhalten, daß sie auch weiterhin die auf Familienbetriebsbasis organisierte deutsche Agraralkoholerzeugung erhalten will?
Herr Kollege, ich weiß zwar nicht, was der Kollege Kunz gefragt hat, aber ich will Ihnen ganz klar sagen, daß dieses Ziel, ein nichtalkoholisches Getränk billiger anzubieten als ein alkoholisches Getränk, von uns voll unterstützt wird und daß wir glauben, daß das auf freiwilliger Basis insbesondere vor Ort am leichtesten erreicht werden kann. Wir fürchten, daß gesetzliche Regelungen eher das Gegenteil bewirken könnten, nämlich Umgehungsmaßnahmen auslösen würden. Hier sind die Kommunen, hier sind die Jugendverbände, hier sind die Parteien vor Ort gefordert, einschließlich der Organisationen des Gaststättengewerbes.
Herr Grüner, die große Ernsthaftigkeit Ihrer Antwort ehrt Sie. Daß Sie bei Herrn Gansel öfter damit rechnen müssen, daß es ironische Fragen sind, schlage ich Ihnen vor in der Zukunft zu beachten.
Wir kommen zur Frage 66 des Abgeordneten Dr. Rose, der aber nicht im Saal ist. Es wird entsprechend den Richtlinien der Fragestunde verfahren.
Die Fragen 67 und 68 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski sowie die Frage 69 des Abgeordneten Menzel sind zurückgezogen worden. Die Frage 70 des Abgeordneten Bindig ist zur schriftlichen Beantwortung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Gansel auf:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung die Exportgenehmigung für zwei U-Boote nach Chile vor der bevorstehenden Beschlußfassung des Deutschen Bundestages über die Chile-Resolution erteilt, und wie verträgt sich diese Genehmigung mit der in den politischen Grundsätzen der Bundesregierung vom 28. April 1982 aufgeführten „inneren Lage des betreffenden Landes"?
Herr Kollege Gansel, ich nehme nicht an, daß ich bei der Beantwortung dieser Frage den Ratschlag des Herrn Präsidenten befolgen soll, das, was hier gefragt wird, für ironisch zu halten.
Die Lieferung von U-Booten nach Chile war in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand parlamentarischer Anfragen. In ihren Antworten hat die Bundesregierung - auch die von der SPD-geführte Regierung - jeweils zum Ausdruck gebracht, daß der Bundessicherheitsrat im Juni 1980 unter Abwägung aller hierfür maßgeblichen politischen Gesichtspunkte diesem Exportvorhaben insgesamt zugestimmt hat und daß gemäß dieser Entscheidung zunächst die Herstellungsgenehmigung erteilt worden ist. Die Ausfuhrgenehmigung sollte zu einem ausfuhrnahen Zeitpunkt erteilt werden, falls sich die Umstände zwischenzeitlich nicht entscheidend verändern.
Nachdem die U-Boote nunmehr fertiggestellt sind und die tatsächliche Ausfuhr der U-Boote unmittelbar bevorsteht, hat das Bundeswirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium vergangene Woche die erforderliche Exportgenehmigung erteilt. Eine erneute Prüfung der Ressorts hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sich die maßgeblichen politischen Gesichtspunkte für die seinerzeitige positive Entscheidung des Bundessicherheitsrates inzwischen entscheidend verändert haben.
Unter diesen Umständen konnte auch eine bevorstehende Beschlußfassung des Deutschen Bundestages über den Antrag Ihrer Fraktion zur Lage in Chile keine Veranlassung bieten, die Genehmigung weiter aufzuschieben.
Herr Abgeordneter Gansel, ich lasse noch Ihre beiden Zusatzfragen zu. Dann müssen wir zum Schluß der Fragestunde kommen.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß das Kriegswaffenexportgesetz den Begriff der Exportgenehmigung nicht kennt und daß das Kriegswaffenkontrollgesetz bewußt zwischen der Erteilung einer Produktionsgenehmigung und der Erteilung der Überlassungs- bzw. Beförderungsgenehmigung unterscheidet und daß das Gesetz verlangt, die rechtlichen Voraussetzungen jeweils im Augenblick der Erteilung der Genehmigung zu überprüfen, und daß das, was Sie hier behauptet haben, im eklatanten Widerspruch zu dem steht, was Sie selbst bisher in Fragestunden erklärt haben, daß nämlich die Bundesregierung zum gegebenen Zeitpunkt überprüfen wird, ob die Voraussetzungen für die Überlassungsgenehmigung gegeben sind? Das ist wirklich etwas vollkommen Neues, was Sie hier erklären. Das steht im eklatanten Widerspruch zum Gesetz.
Herr Kollege, ich bestätige, was Sie sagen und was ich eben vorgetragen habe, daß es nämlich zwei Entscheidungen gibt, einmal die Entscheidung für die Produktion und dann die Entscheidung für die tatsächliche Ausfuhr. Ich habe gerade eben dargelegt, daß wir bei der Ausfuhrgenehmigung überprüft haben, ob sich gegenüber der Entscheidung für die Produktion wesentliche Veränderungen in der Einschätzung von Chile ergeben haben. Das ist nicht der Fall.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das chilenische Militärregime hat wenige Tage nach der Erteilung der Überlassungsgenehmigung wiederum den Ausnahmezustand verhängt. Die Richtlinien der Bundesregierung verlangen die Berücksichtigung der inneren Lage des Landes. Hätte die Bundesregierung die Lieferung auch genehmigt, wenn gleichzeitig in Chile der Ausnahmezustand verhängt worden wäre?
Herr Kollege, ich kann nur noch einmal unterstreichen, daß sich beim Vergleich der Situation in Chile zu dem ZeitParl. Staatssekretär Grüner
punkt, als unter Vorsitz von Bundeskanzler Schmidt im Juni 1980 die Produktionsgenehmigung erteilt worden ist, nach unserer Einschätzung hinsichtlich aller in Frage stehenden Gesichtspunkte gegenüber der heutigen Situation keine grundlegende Veränderung ergeben hat, die einen Anlaß geben dürfte, die Ausfuhr heute anders zu bewerten als damals die Produktionsentscheidung, die - auch in ihren wirtschaftlichen Folgen, wenn ich einmal die Erlaubnis gebe, zu produzieren - ja von sehr viel größerer Tragweite ist, als wenn ich vor der Frage stehe, ob ich fertiggestellte U-Boote nicht ausliefern lasse.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Grüner für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 3, den ich hiermit aufrufe:
Beratung des Agrarberichts 1984 der Bundesregierung
- Drucksachen 10/980, 10/981 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
Haushaltsausschuß
Das Wort zur Einbringung hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einbringung des Agrarberichts und die Agrardebatte hier im Deutschen Bundestag fallen in eine Zeit höchster agrarpolitischer Aktualität. Trotz großer Kompromißbemühungen der meisten Regierungschefs war es in Brüssel nicht möglich, Einigung über das „Stuttgarter Paket" zu erreichen. Dabei schienen die schwierigsten Probleme bereits durch die intensiven Verhandlungen des EG-Agrarministerrates gelöst.
Am 23. März haben rund 20 000 Bauern in Dortmund bei der Kundgebung des Deutschen Bauernverbandes demonstriert. Ich weiß: Die waren nicht zu ihrem Vergnügen dort. Was sie dorthin trieb, war die Sorge um ihre Existenz, war Angst um ihre Zukunft.
Ich habe Verständnis dafür und begreife die Unruhe der Bauern. Im Grunde genommen habe ich auf der Kundgebung mit unseren Bauern mitdemonstriert,
({0})
und zwar gegen die wenig vorausschauende Agrarpolitik der Gemeinschaft in den 70er Jahren und gegen die egoistische Unnachgiebigkeit eines Mitgliedstaates und die Blockade von Entscheidungen, über die wir uns im Prinzip ja schon alle einig waren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich messe dem Agrarbericht zwei grundlegende Aufgaben bei: Einmal beschreibt er das agrarpolitische
Programm der Bundesregierung, zum anderen ist er auch quasi der Geschäftsbericht über das abgelaufene Wirtschaftsjahr 1982/83 in der Landwirtschaft. Ich muß aber hinzufügen, daß ich erst im letzten Quartal des Berichtszeitraumes mein Amt und damit die Verantwortung übernommen habe.
Das wirtschaftliche Ergebnis im Berichtsjahr kann sich dem ersten Anschein nach sehen lassen: Die Einkommen der Landwirte stiegen 1982/83 je Familienarbeitskraft von 22 890 DM um immerhin 14,8 % auf 26 282 DM. Es ist ein gutes Ergebnis, obwohl es nur 1 000 DM über dem Ergebnis des Jahres 1975 liegt und auch in den sieben Jahren dazwischen nie erreicht wurde.
Man sollte annehmen, daß ich als Landwirtschaftsminister allen Grund hätte, zufrieden zu sein. Ich bin es nicht, und es gibt leider auch keine Veranlassung dazu.
Erstens können die landwirtschaftlichen Einkommen nur in sehr begrenztem Umfang durch mich als Landwirtschaftsminister und durch die Politik beeinflußt werden. Andere Faktoren sind wichtiger.
Das zeigt auch die Analyse über die Ursachen des Ergebnisses vom Wirtschaftsjahr 1982/83. So hatte unsere Landwirtschaft 1982 eine ausgezeichnete Ernte - ein Hinweis für die enge wirtschaftliche Abhängigkeit auch einer hochmodernen Landwirtschaft von der Witterung.
93 % des Einkommenszuwachses waren mengenbegründet. Wir hatten aber ebenfalls teilweise verbesserte Erzeugerpreise - plus 1,6 % ohne Sonderkulturen - bei gleichzeitig geringem Anstieg der Betriebsmittelpreise, nämlich von plus 1,8 %. Trotzdem: Nur rund 7 % des Gewinnzuwachses in dem beschriebenen Wirtschaftsjahr waren preisbedingt.
Zweitens muß man das Ergebnis richtig einordnen, und zwar in den Durchschnitt der Jahre. Wenn ich mir deshalb anschaue, wie die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft zur Zeit aussieht und was man bis zum Ende des laufenden Wirtschaftsjahres erwarten muß, so ist das wenig erfreulich.
Die Einkommensvorausschätzung für 1983/84 läßt einen Einkommensrückgang von den bereits genannten 26 282 DM um rund 22 % auf rund 20 500 DM befürchten. Ich würde lieber etwas Angenehmeres berichten. Ich kann es leider nicht, denn Zahlen sprechen ihre eigene Sprache.
Eines dürfte die kurze Darstellung der Ursachen der Einkommensentwicklung schon gezeigt haben: Die Politik bestimmt das Einkommen der Landwirte nur beschränkt. Neben den Launen der Witterung, neben der Erntemenge, die wir nur sehr begrenzt beeinflussen können, sind es vornehmlich die am Markt erzielbaren Preise, die die Einkommenshöhe bestimmen. Die Marktpreise sind weitgehend von der Lage auf den Märkten abhängig. Sind die Märkte in Ordnung, sind es im Regelfall auch die Preise.
({1})
Sind die Märkte überlastet, kann keine Agrarpolitik auf Dauer höhere Preise garantieren.
({2})
Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Nur gleichgewichtige Märkte und funktionsfähige Marktordnungen verbürgen kostengerechte Erzeugerpreise und auskömmliche Gewinne.
({3})
Wir müssen deshalb die Märkte sanieren, wenn wir eine solide Basis für eine positive Entwicklung in der Landwirtschaft zurückgewinnen wollen.
({4})
Und das muß schnell geschehen. Denn die Produktion läuft weiter; die fundamentalen Ungleichgewichte verstärken sich.
Die einseitig wachstumsorientierte EG-Agrarpolitik der 70er Jahre muß korrigiert werden! Damals gab es noch zusätzliche Absatzmöglichkeiten auf den wichtigsten Agrarmärkten, so daß eine Produktionsausdehnung auch mit Hilfe von öffentlichen Mitteln zu vertreten war. Und es gab noch Abwanderungsraten aus der Landwirtschaft von 4 % und mehr, so daß wachstumswillige Landwirte Produktionskapazitäten dazukaufen oder pachten konnten, weil diejenigen, die aus der Landwirtschaft ausschieden, schnell einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz erhalten konnten. Die Agrarpolitik in der Vergangenheit war - und begünstigte - Wachstum vor Rationalisierung, war Technisierung, Intensivierung und Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft.
Als der Selbstversorgungsgrad bei landwirtschaftlichen Produkten in der EG zunehmend anstieg, als aus dem Zuschußmarkt ein Überschußmarkt wurde und die Landwirte wegen verschlechterter außerlandwirtschaftlicher Erwerbsalternativen nicht mehr abwanderten, sondern die innerbetriebliche Aufstockung forcierten - zu diesem Zeitpunkt hätte die Politik spätestens reagieren müssen. Einschnitte wären damals relativ leicht zu verkraften gewesen. Leider ist durch die Agrarministerräte nichts geschehen.
({5})
Nur wer wächst, hat Zukunft; je größer der Betrieb, desto mehr Zukunft; wachsen oder weichen - so war das Konzept, und dies galt EG-weit.
({6})
Hilfen für wenige wurden zu Verlusten für viele.
An dieser Stelle möchte ich ein Wort zu Herrn Minister Ertl sagen: Er hatte rechtzeitig und vielfältig, wie ich weiß, auf diese Problematik verwiesen. Er fand allerdings weder bei seinen Kollegen im Brüsseler Agrarrat noch bei der Mehrheit seiner
Kollegen im damaligen Kabinett Schmidt Verständnis und Unterstützung.
({7})
„Wachsen oder weichen" war die Idee eines Agrarkommissars, der heute ökologischen Landbau betreibt. Es war die Konzeption, die auf der Theorie der Wachstumsjahre aufbaute und vergessen hatte, daß sich die Rahmenbedingungen zwischenzeitlich verändert hatten. Ich kann nur mit Goethe sagen: „Erst laßt ihr die Armen schuldig werden, dann überlaßt ihr sie der Pein." Die Pein besteht darin, daß die Entscheidungen jetzt von dem Druck steigender Überschüsse und kaum zu finanzierender Marktordnungskosten diktiert werden, daß Hoffnungen enttäuscht, daß Kapazitäten stillgelegt werden müssen.
Nun, ich verteidige nicht gern etwas Unerfreuliches, wenn ich dafür nicht einmal verantwortlich bin, sondern - im Gegenteil - stets davor gewarnt habe. Aber jetzt trage ich die Verantwortung. Ich sage Ihnen: Diese Regierung erklärt nicht nur die Überschüsse - das kann ein Konvent von Ökonomieprofessoren sicherlich besser -, diese Regierung unternimmt auch etwas dagegen.
({8})
Wenn die alten, gepredigten Wege nicht mehr gangbar sind, dann muß man umsteigen. Dazu gehören Kraft und politischer Durchsetzungswille, nicht das schicksalsergebene Klagen über die Widrigkeiten der äußeren Umstände.
Ich bin nicht der Politiker, der sich die Entwicklung wie eine Theateraufführung aus der Zuschauerloge anschaut. Ich halte es mehr mit Dantes Worten „Der eine wartet, daß die Zeit sich wandelt. Der andere packt sie kräftig an - und handelt". Ich dränge auf Lösungen, die eigentlich schon längst überfällig sind, die eigentlich schon vor Jahren fallen mußten; denn die Überschüsse innerhalb der Europäischen Gemeinschaft saugen jegliche freie Finanzmasse in dieser Gemeinschaft auf. Das kann niemand wünschen, am wenigsten die Landwirte selbst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mängel von heute sind die Fehler von' gestern. Diese Fehler zwingen zu Entscheidungen, die durchaus zur Folge haben können, daß drei bis vier schwierige agrarpolitische Jahre auf uns warten. Nur: Wäre Nichtstun eine Alternative? Hören Sie sich doch einmal die Zahlen über die Bestände in den Interventionslägern an: rund 1 Million t überschüssiges Magermilchpulver, rund 900 000 t überschüssige Butter, rund 9 Millionen t überschüssiges Getreide, ein Zuviel an Wein von rund 20 bis 30 Millionen Hektolitern, alles unbezahlt, alles nur auf Kredit finanziert. An diesen Zahlen kommt niemand vorbei, weder durch Diskutieren noch durch Demonstrieren, weder durch Manipulieren noch durch Protestieren. Hier muß der Rechenstift benutzt werden. Um zu den richtigen Beschlüssen zu
kommen, hilft nur das Einmaleins, nicht die Mengenlehre.
({9})
Was also tun? Weiterwursteln, auf die Hoffnung bauen, daß es irgendwo auf der Welt durch schlechte Ernten oder einen Anstieg der Kaufkraft zusätzliche Nachfrage gibt? Ich bin nicht gewillt, auf solche vagen Zufälligkeiten eine langfristige Politik aufzubauen.
({10})
Wir müssen deshalb zu wirksameren Änderungen kommen. Kein politisches und ökonomisches System kann starr und unverändert über Jahrzehnte hinweg existieren; eine lebendige Demokratie, eine dynamische Wirtschaft muß sich anpassen, und das gilt auch für die EG-Agrarpolitik.
Wir, die EG-Landwirtschaftsminister, bemühen uns, für den Agrarbereich die entscheidenden Schritte zu tun. Wir haben die Chance vorbereitet, um mit einer revidierten Agrarpolitik Europa wieder voranzubringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Brüssel geht es nicht darum, daß jemand den Saal als Sieger verläßt. Wir werden alle Federn lassen müssen, wir werden alle Zugeständnisse machen müssen. Wir haben agrarpolitische Grundsatzbeschlüsse gefaßt, und darum wird auch im Prinzip nichts mehr geändert. Jetzt ist nur noch mein Ziel, das ganze so schnell wie möglich in Kraft treten zu lassen und damit die Agrarmarktordnungen finanzierbar und sicher zu machen und Unsicherheit von unserer Landwirtschaft wegzunehmen.
({11})
Ich möchte nur die drei wichtigsten Bereiche herausheben. Wir haben uns im Grundsatz auf eine Garantiemengenregelung bei Milch und - in modifizierter Form - auch bei anderen Produkten geeinigt. Wir haben in der Frage des deutschen Währungsausgleichs sowie der Agrarpreise vorläufige Beschlüsse gefaßt. Wenn auch nicht jedes Detail meinen Wünschen entspricht, so glaube ich, daß ich bei diesen Ergebnissen mit gutem Gewissen vor die deutschen Bauern, vor den deutschen Verbraucher und vor den deutschen Steuerzahler treten kann. Mehr war politisch nicht durchsetzbar. Und unter dem Vorbehalt einer endgültigen Einigung möchte ich dazu folgendes sagen:
Bei der Garantiemengenregelung für Milch beträgt diese Garantiemenge künftig 97 800 000 t für Europa. Damit wären wir endlich auf dem richtigen Weg, die ausufernde Milchproduktion einzudämmen, bei uns und EG-weit, und zwar mindestens fünf Jahre lang; denn das ist die erst einmal beschlossene Laufzeit für die Garantiemengenregelung. Während einer einjährigen Übergangszeit 1984/85 wird die Garantiemenge allerdings um 1 Million t höher angesetzt. Um diese zu finanzieren, muß die Erzeugermitverantwortung für ein Jahr um einen Prozentpunkt auf 3 % angehoben werden.
Dieses Beispiel läßt eines ganz klar erkennen: Sobald die Produktion nicht so stark zurückgefahren wird wie erforderlich, werden finanzielle Lükken aufgerissen, die dann von den Landwirten selber wieder gestopft werden müssen.
Wer vorschnell über das Garantiemengenmodell reden und richten will, sollte an den Selbstversorgungsgrad bei Milch in der Europäischen Gemeinschaft denken: 114 % 1981, 118% 1982 und 123% 1983 - eine beklemmende Entwicklung.
({12})
Nur wer sich diese Zahlen vor Augen hält, kann verstehen, weshalb ich mich für das Garantiemengenmodell ausgesprochen habe. - Frau Kollegin, morgen ist Debatte. Da können wir dann darüber reden.
Soziale Verantwortung, die ein untrennbares Element unserer Sozialen Marktwirtschaft ist, verbietet die Lösung über eine wie auch immer geartete Preissenkung, egal, ob direkt oder indirekt. Radikale Preissenkungen eröffnen keine Zukunftsperspektiven. Aber sie steigern die Unruhe, erzeugen Pessimismus und führen letztendlich zu verzweifelter Resignation. Und sie sind Wegbereiter von Agrarfabriken. - Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Politik, die ich nicht will.
Denken Sie daran: Die Agrarpolitik ist immer noch die wichtigste gemeinschaftswirksame Politik. Ohne sie hätten wir nie die Integrationsfortschritte durchsetzen können, die bisher erreicht worden sind,
({13})
Integrationsfortschritte, von denen Industrie und Gewerbe in erheblichem Umfang profitiert haben und profitieren; denn ohne gemeinsame Agrarpolitik gäbe es nicht die Zollunion, gäbe es nicht den Wegfall der Zölle und den damit verbundenen erheblichen industriellen Warenaustausch. Schließlich - und deswegen ist die These nicht kühn, sondern wahr - wickeln wir knapp die Hälfte, 48 genau, unseres gesamten Außenhandels mit den EG-Mitgliedstaaten ab.
({14})
Was noch besonders wichtig ist: Aus den neun Partnerstaaten haben wir 1983 für 192 Milliarden DM importiert, und wir haben für 208 Milliarden DM dorthin exportiert. Das ergab im vergangenen Jahr einen deutschen Handelsüberschuß von 16 Milliarden DM; ein Jahr zuvor waren es 25 Milliarden DM. Ich lehne deshalb auch eine Diskussion ab, bei der sich unser Verhältnis zu Europa auf die Höhe des deutschen Nettozahler-Beitrages verkürzt.
({15})
Aber ich betone eines: Man kann die landwirtschaftlichen Marktordnungen nur durch Wandel und Erneuerung retten, nicht durch das Verharren in alten Gewohnheiten. Ich möchte hinzufügen: Wandel, auch unbequemer Wandel, bedeutet nicht, daß wir das System aufgegeben hätten. Wir hätten ihn schon lange in Form einer Garantiemengenre4270
gelung haben müssen, diesen Wandel - wenn Sie so wollen, sogar: diese Wende -, um die Produktion steuern zu können.
({16})
Damals wäre es noch einfach gewesen, weil wir die Produktion nicht hätten einschränken müssen.
Die Garantiemengenregelung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Zukunftslösung für die Landwirtschaft, da sie die Voraussetzung für eine an Kosten und Inflationsraten orientierte Preispolitik ist.
({17})
Es werden jetzt in den nächsten Tagen noch zahlreiche technische Details zu entscheiden sein. Eines läßt sich allerdings definitiv sagen:
Erstens werden wir in der Bundesrepublik Deutschland 1983 als Referenzjahr für die einzelbetrieblichen Garantiemengen zugrunde legen, um die Anzahl der Härtefälle möglichst eng zu begrenzen.
Zweitens werden in meinem Hause Überlegungen angestellt, die Verringerung für die einzelnen Landwirte unterschiedlich hoch ausfallen zu lassen, je nach Produktionssteigerung zwischen 1981 und 1983.
Drittens. Eine Handelbarkeit der Garantiemengen ist nicht vorgesehen. Allerdings wird es die Möglichkeit geben, die Garantiemengen zu übertragen, so z. B. beim Übergang des Betriebes oder von Teilflächen mit dazugehörigen Garantiemengen auf dem Erb-, Pacht- oder Kaufweg.
Viertens denken wir darüber nach, ob nicht zusätzliche Maßnahmen denkbar sind, um von der hohen Milchproduktion weiter herunterzukommen. Eine Überlegung ist, ob die EG-Kommission Garantiemengen aus dem Markt herauskaufen kann, etwa über die Gewährung einer zeitlich begrenzten Rente.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben der Garantiemengenregelung für Milch war die Lösung der Frage des deutschen Währungsausgleichs das zweite entscheidende Problem. Ich habe niemals erklärt, daß man über die Höhe des Grenzausgleichs nicht verhandeln könnte. Allerdings habe ich gesagt: kein Abbau zu Lasten der deutschen Bauern.
({18})
Wir haben durch einen Kompromiß das Problem gelöst, ohne daß die deutschen Bauern die Zeche bezahlen müssen.
({19}) Die Lösung sieht wie folgt aus.
Erstens wird bei Beginn des Wirtschaftsjahres - für Milch z. B. am 1. April 1984, so die Beschlüsse noch rechtzeitig an diesem Wochenende fallen - für jedes einzelne Produkt der positive deutsche Währungsausgleich um drei Prozentpunkte einkommensneutral gesenkt, während sich die negativen Beträge anderer Mitgliedstaaten um diese drei Prozentpunkte erhöhen.
Zweitens wird am 1. Januar 1985 der deutsche Währungsausgleich noch einmal um fünf Prozentpunkte verringert. Dieser Abbau des Währungsausgleichs würde nun allerdings zu einer entsprechenden Einkommenssenkung führen - ein Ergebnis, das für den deutschen Bauern, die deutsche Landwirtschaft, absolut unzumutbar wäre.
Daher hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, einen nationalen Ausgleich über eine dreiprozentige Anhebung der Vorsteuerpauschale zu gewähren. Damit wird alles in allem ein Einkommensverlust verhindert. Damit werden die Kosten für eine europapolitisch notwendige Maßnahme durch die Gemeinschaft des Volkes getragen und nicht den Bauern aufgebürdet. Mit dieser Lösung hat die Bundesregierung ihr Wort gegenüber den Landwirten gehalten.
({20})
- Lachen ist kein Diskussionsbeitrag, auch kein Zwischenruf. Aber wir können uns das morgen einmal vorrechnen. Sie werden sehen: Am Einmaleins scheitert auch Ihr Lachen.
({21})
Drittens verbleibt noch ein Grenzausgleichsrestbetrag von 1,8 Punkten. Dieser wird bis zum Beginn des Wirtschaftsjahres 1987/88 für jedes Erzeugnis abgebaut, allerdings auch nur in dem Rahmen, wie die Preis- und Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft es zulassen, also nach dem bisher seit über zehn Jahren geltenden Gentlemen's Agreement.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der D-Mark-Stärke müssen wir immer wieder damit rechnen, daß es zu neuen Aufwertungen kommt. Damit diese dann nicht wie bisher wieder zu einem positiven Währungsausgleich führen, den wir dann bei den nächsten Preisverhandlungen zum Teil wieder gegen Preiserhöhungen abzubauen hätten, haben wir uns zu einem System durchgerungen, das neue Währungsausgleichsbeträge nur noch in Abwertungsländern entstehen läßt. So haben wir anstatt des Danaergeschenkes des Gentlemen's Agreement von 1979 eine zukunftsorientierte Lösung. Sie verhindert, daß bei jeweils notwendigen Währungsveränderungen das Problem des Währungsausgleichs erneut hochkommt, und beseitigt einen europäischen Zankapfel. Beim Währungsausgleich und beim Garantiemengenmodell hat sich die deutsche Position durchsetzen lassen. Dies ist ein Erfolg.
Der dritte Problembereich waren die eigentlichen Preisverhandlungen. Sie waren äußerst schwierig, und im großen und ganzen ist eine Null-Runde herausgekommen. Mehr war leider nicht durchsetzbar. Ich sage dies, obwohl ich weiß, daß die Bauern von
der Einkommenslage her eigentlich Preiserhöhungen haben müßten.
({22})
Zu den Entscheidungen bei den einzelnen Produkten ist folgendes zu sagen:
Bei Milch, dem wichtigsten Produkt, haben wir die derzeitigen Preise halten können, auch bei Zukker, auch bei Roggen. Bei Rindfleisch haben wir zwar einer einprozentigen Senkung der Orientierungspreise zustimmen müssen, was eine geringfügige Reduzierung der Abschöpfungen an den Grenzen zur Folge hat; die Ankaufspreise bei den Interventionsstellen blieben bei uns davon aber weitgehend unberührt. Durch die gleichzeitig beschlossene Anwendung des Handelsklassensystems bei der Dauerintervention wird sich der Ankaufspreis für Jungbullen sogar um knapp 1 % erhöhen.
Leider konnten wir die Preise für Weichweizen, Gerste und Raps im Rahmen der Preisverhandlungen nicht voll auf dem derzeitigen Stand halten. Ich hatte nur die Wahl, entweder eine einprozentige Senkung der Preisstützung bei Weichweizen und Gerste oder den Wegfall der Anfangsintervention bei Brotgetreide zu akzeptieren. Ich habe nicht lange gezögert: Der Wegfall der Anfangsintervention wäre für die deutsche Landwirtschaft ungleich teurer gewesen. Ich habe damit ein kleineres Übel akzeptiert, um ein größeres zu verhindern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, daß alle Entscheidungen in der Markt- und Preispolitik die Zustimmung auch der übrigen neun Mitgliedstaaten erforderlich machen. Zehn Mitgliedstaaten mit so unterschiedlichem sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Hintergrund auf eine einheitliche Linie zu bringen, das ist ein langwieriges Geschäft. In der Agrarstrukturpolitik ist das im Prinzip zwar ähnlich, aber wir haben etwas mehr nationalen Spielraum. Wir gehen davon aus, daß zukünftig die bisherige Förderschwelle im einzelbetrieblichen Förderungsprogramm EG-weit durch betriebsbezogene Kriterien ersetzt wird. An die Stelle von Betriebsentwicklungsplänen treten Betriebsverbesserungspläne. Es gibt künftig keine Klassifizierung mehr in förderungswürdige und nichtförderungswürdige Betriebskategorien. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß sich die EG-Kommission in dieser Frage der Auffassung der Bundesregierung angeschlossen hat; denn die Förderschwelle mit ihrem sogenannten außerlandwirtschaftlichen Vergleichseinkommen erzwang eine in der Regel massive Ausweitung der Produktionskapazitäten.
({23})
Lassen Sie es mich noch einmal betonen: Ich lehne Strukturwandel nicht ab. Immerhin wurden auch im Berichtsjahr 1982/83 2,7 % der landwirtschaftlichen Betriebe - vorwiegend im Zuge des Generationswechsels - aufgegeben. Ich weiß natürlich, daß diejenigen Landwirte, die dadurch die Möglichkeit eines Flächenzuwachses haben, in der Regel auch ein zusätzliches Einkommenswachstum erreichen können. Nur soll niemand von mir erwarten, daß ich mit staatlichen Mitteln den Strukturwandel „raus aus der Landwirtschaft, rein in die Arbeitslosigkeit" fördere.
({24})
Ich sage ein entschiedenes Nein zu Mobilitätszwängen.
Die EG-weite Förderschwellenpolitik der Vergangenheit hat hauptsächlich die größeren Betriebe begünstigt und eine oftmals ungesunde Aufstockung erzwungen.
({25})
Kleine landwirtschaftliche Betriebe mit fähigen und sparsamen Betriebsleitern wurden benachteiligt. Dabei will ich von der damit verbundenen Bürokratie des Betriebsentwicklungsplanes gar nicht reden.
Mit dieser Konstellation habe ich Schluß gemacht. Damit ist eine langjährige Forderung der CDU/CSU in Erfüllung gegangen.
({26})
Bei uns kann eine Investition jetzt gefördert werden, wenn sie betriebswirtschaftlich rentabel ist und wenn der Kapitaldienst aufgebracht werden kann. Die Tüchtigkeit und Leistungskraft des Landwirts stehen im Vordergrund, nicht statistische und oftmals wirklichkeitsfremde Förderkonditionen.
({27})
Zusätzlich hat die Bundesregierung ein bundesweites Agrarkreditprogramm eingeführt. Hilfe bei Kostensenkung, Rationalisierung, mehr Lebensqualität, Arbeitserleichterung in Haus und Hof sind dessen Ziele. Ich hatte den Agrarkredit in der Agrardebatte 1983 als Forderung der neuen Regierung angekündigt. Seit dem 1. Januar 1984 haben wir ihn.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der bäuerliche Familienbetrieb steht im Zentrum unserer agrarpolitischen Bemühungen.
Angesichts fehlender außerlandwirtschaftlicher Alternativen kommt es heute darauf an, daß wir auch mit landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen behutsam umgehen. Dazu müssen möglichst vielen bäuerlichen Betrieben die Veredlungsmärkte erhalten bleiben. Jede Konzentration der Veredlungsproduktion auf wenige Familien beschneidet einer Vielzahl bäuerlicher Betriebe die Lebens- und Überlebenschancen. Es wäre unerträglich, wegen des Expansionsdranges einiger Massentierhalter die Verdrängung einer Vielzahl bäuerlicher Betriebe hinzunehmen.
({28})
Deshalb ist es unser Ziel, den Landwirten den Veredlungssektor so weit wie möglich zu erhalten. Dazu werden wir alle Rahmenbedingungen, von den Steuergesetzen bis zum Umweltschutz, so gestalten, daß sie die bäuerlichen Betriebe begünstigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eines sagen: Die Garantiemengenregelung ist ein hundertprozentiges Mittel, zumindest bei der Milchpro4272
duktion die Agrarfabriken künftig absolut zu verhindern. Denn bei dieser Regelung gibt es kein unkontrolliertes Mengenwachstum.
({29})
Ein weiteres: Die Anhebung der Vorsteuerpauschale bedeutet ebenfalls eine starke Stütze für die bäuerliche Veredlungsproduktion, da nur sie in diese Regelung einbezogen werden wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das eigenständige agrarsoziale Sicherungssystem hat sich bewährt. Es schützt die Landwirte und ihre Familien gegen die finanziellen Risiken durch Krankheit, Unfall, Invalidität und Tod des Ernährers und bedeutet auch Sicherheit im Alter. Leider ist die Beitragsbelastung der Landwirte für Altershilfe, Kranken- und Unfallversicherung in den letzten Jahren ständig gestiegen. Insbesondere die kleineren, einkommensschwächeren Vollerwerbsbetriebe tragen sehr hohe Beitragsbelastungen. Ihr verfügbares Einkommen wird dadurch über Gebühr geschmälert.
({30})
Die Bundesregierung wird deshalb 1984 entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine sozial gerechtere Verteilung der Bundesmittel in der Altershilfe für Landwirte vorsieht, nachdem es bereits gelungen ist, den Bundeszuschuß mit 75 % wieder auf eine gesetzliche Basis zu stellen und langfristig abzusichern. Wir werden vorschlagen, auch die jüngeren hauptberuflich mitarbeitenden Familienangehörigen in die Altershilfe als Pflichtmitglieder einzubeziehen.
Der ungeheure Strukturwandel der letzten 30 Jahre hat zu besonderen Problemen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung geführt. Diese alte Last könnten die Landwirte nicht allein tragen. Die Bundesregierung hat zunächst beschlossen, den in der früheren mehrjährigen Finanzplanung ursprünglich weiter vorgesehenen Abbau des Bundeszuschusses an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu stoppen und im Haushalt 1984 mit 279 Millionen DM den gleichen Betrag wie 1983 einzustellen. Dieser Betrag kann um bis zu 10 Millionen DM aufgestockt werden, wenn sich bei den Bundesmitteln für die landwirtschaftliche Krankenversicherung entsprechende Einsparungen ergeben. Ich werde mich bemühen, daß die sogenannte alte Last innerhalb der landwirtschaftlichen Unfallversicherung längerfristig durch staatliche Hilfen abgedeckt wird.
({31})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns allen ist die schwierige wirtschaftliche Lage an den Küsten Norddeutschlands bekannt. Um so erfreulicher ist es, daß auf dem Fischereisektor nach vielen vergeblichen Anläufen im Jahr 1983 endlich wenigstens die Grundregeln der gemeinsamen Fischereipolitik verabschiedet wurden. Daraufhin ist es in diesem Jahr zum erstenmal gelungen, schon zu Jahresbeginn die Gesamtfangmengen für 1984 und deren Aufteilung auf die Mitgliedstaaten festzusetzen.
Darüber hinaus ist für die deutsche Hochseefischerei wegen des hohen Anteils ihrer Fänge in grönländischen Gewässern von außerordentlicher Bedeutung, daß im Februar eine Verständigung über die künftigen Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Grönland erzielt worden ist. Zwar wird Grönland am 1. Januar 1985 aus der Gemeinschaft ausscheiden. Es bleibt ihr jedoch eng verbunden. Wesentlicher Bestandteil der künftigen Beziehungen zwischen Grönland und der Gemeinschaft ist ein zehnjähriges Fischerei-Rahmenabkommen, das um jeweils sechs Jahre verlängert werden kann und das Verbesserungen bei den Fangmöglichkeiten vorsieht.
Unsere Hochseefischerei hat damit nach Jahren der Ungewißheit und provisorischer Lösungen eine bessere Basis für ihre künftige Fangtätigkeit, was nicht zuletzt im Interesse der wirtschaftlichen Stärkung unserer Küstenregionen ist.
Ein vorrangiges Ziel im Rahmen der Agrar- und Ernährungspolitik ist die ausreichende und vielseitige Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen. Es ist unstreitig, daß die quantitative Versorgung aller Menschen in der EG sichergestellt ist. Das gilt auch für Krisenzeiten.
Darüber hinaus sind unsere Nahrungsmittel preiswert. Seit Jahren weisen die Nahrungsmittelpreise eine geringere Steigerungsrate als die Lebenshaltungskosten insgesamt auf. Sie haben also zur allgemeinen Kostendämpfung beigetragen. Im Endergebnis gibt der durchschnittliche Vier-Personen-Haushalt in Deutschland nur noch rund 19 des verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel aus.
({32})
Um so mehr gewinnen die qualitativen Ansprüche der Verbraucher und Fragen des Umweltschutzes im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Produktion an Bedeutung. In dieser Hinsicht hat die Bundesrepublik Deutschland einen international anerkannten hohen Standard.
Das gilt vor allem für die minimale Belastung der Nahrungsgüter mit unerwünschten Stoffen.
({33})
Jüngste Forschungsergebnisse bestätigen, daß von einer Gesundheitsgefährdung durch Rückstände in Lebensmitteln nicht die Rede sein kann.
({34})
- Ach Gott! Wissen Sie: Das müssen Sie nachlesen, nicht behaupten! Ihr Reden ist nichts wert, wenn dahinter keine Forschung steht!
({35})
Dennoch unternimmt die Bundesregierung alles, um die bereits bestehenden strengen gesetzlichen Regelungen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Das Ziel, Verbraucherschutz und Umweltschutz weiter zu verbessern, ist eine Aufgabe, die niemals abgeschlossen sein kann. Gleichzeitig ergreifen wir Maßnahmen, damit Erkenntnisse - ich sage: Erkenntnisse - aus Wissenschaft und Forschung verstärkt Eingang in die Praxis finden.
Im Bereich der pflanzlichen Erzeugnisse nenne ich den Entwurf eines neuen Pflanzenschutzgesetzes, durch das vor allem die Verkehrs- und Anwendungsvorschriften für Pflanzenschutzmittel erweitert und verschärft werden. Ziel ist die Verminderung von ökologischen Risiken.
Im Laufe meiner Amtszeit habe ich wiederholt betont, daß in der landwirtschaftlichen Produktion auf die letzte Intensität verzichtet werden kann und muß, wenn es im Interesse des Verbraucherschutzes, der Ökologie oder des Tierschutzes ist.
({36})
Dazu stehe ich auch heute. Allerdings darf der Preis, der dafür gezahlt werden muß, nicht allein den Landwirten aufgebürdet werden. Er ist von der gesamten Gesellschaft zu tragen.
({37})
Die Bundesregierung befaßt sich auch sehr eingehend mit sogenannten Alternativen im Landbau. Es werden die verschiedenen Verfahren untersucht, um die Diskussion auf einer abgesicherten naturwissenschaftlichen Grundlage und nicht emotional oder ideologisch zu führen. Wir wissen deshalb, daß aus ökologischer Sicht die moderne Landwirtschaft durchaus von den alternativen Methoden Anregungen aufnehmen kann. Das begrüßen wir.
Wir wissen aber auch, daß weder aus ökologischer noch aus ökonomischer, weder aus ernährungsphysiologischer noch aus gesundheitlicher Sicht die Notwendigkeit besteht, generell auf alternative Wirtschaftsformen umzustellen. Im Gegenteil: Neueste wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Erkenntnis, daß sich die alternativ erzeugten Produkte weder hinsichtlich der Inhaltsstoffe noch hinsichtlich der Belastung mit unerwünschten Stoffen von denen herkömmlicher Produktionsmethoden unterscheiden.
({38})
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zum Bereich Tierschutz machen. Mit dem Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung unter anderem, eine deutliche Einschränkung der Tierversuche zu erreichen, und zwar z. B. durch Erweiterung der Anzeigepflicht von Tierversuchen; Verschärfung im Bereich der Genehmigungen; Einengung der genehmigungsfreien Versuche; Verpflichtung zur Bestellung von Tierschutzbeauftragten; ausschließliche Verwendung von Versuchstieren aus anerkannten Zucht- und Handelsbetrieben; Verbot von Qualzüchtungen; sowie exakte Aufzeichnungen über die Herkunft bestimmter Versuchstiere.
Ich habe das nur beispielhaft aufgezählt; das ist kein vollständiger Katalog. Ziel der Novelle wird eine drastische Herabsetzung der Anzahl von Versuchen mit Tieren sein.
Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, daß das Tierschutzrecht ebenso im internationalen Bereich weiterentwickelt wird.
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Bei uns und in ganz Europa erkennen wir immer deutlicher die Gefahr von zunehmenden Umweltbelastungen. Die Natur, das Wasser, die Luft, die Erde, die Pflanzen und Tiere, also unsere Umwelt - das sind Güter, die wir alle erhalten und schützen müssen. Die deutsche Land- und Forstwirtschaft ist sich dieser Verantwortung bewußt und stellt sich ihr. Wir wollen darauf hinarbeiten, daß zwischen Schutz und Nutzung der Natur erst gar kein Widerspruch entsteht.
Die bäuerliche Landwirtschaft bietet dabei die besten Voraussetzungen für umweltfreundliche Tierhaltung und naturgemäße Anbaumethoden. Sie ist deshalb auch der beste Garant für eine umweltbewußte Agrarproduktion, weil die in traditioneller Generationenfolge wirtschaftenden Landwirte mit ihren Familien selbst ein besonderes Interesse an einer nachhaltigen Nutzbarkeit der Natur haben.
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Aber unsere Bauern leben nicht auf einer isolierten Insel. Sie stehen im harten internationalen Wettbewerb. Wenn wir wollen, daß unsere Bauern Standort-, natur- und umweltschutzgerecht produzieren können, dann müssen wir auch unsere Agrarpolitik entsprechend ausrichten. Und das heißt: weg vom Zwang zu höchsten Ertragssteigerungen, weg vom Zwang, wegen zunehmenden Erzeugerpreisdrucks in höchstmögliche Intensitätsstufen zu flüchten. Ich halte nichts von einer Landwirtschaft, deren Überlebenschance darin liegt, daß die Preise für im Ausland zugekaufte Futtermittel ein paar Mark niedriger sind, daß die Schiffe die Substitute direkt in den Futtertrog abladen können. Das ist gleichbedeutend mit Agrarfabriken, das heißt hohe Belastung von Natur und Umwelt. Deswegen halte ich auch nichts davon, unseren Bauern dauernd die Weltmarktpreise vorzuhalten.
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Wenn wir wollen, daß unsere Landwirtschaft dies alles nicht soll, wenn wir wollen, daß die Landwirtschaft eine zusätzliche ökologische Leistung für uns alle erbringt, dann müssen wir auch bereit sein, das zu honorieren.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die verheerenden Waldschäden in ganz Europa sind ein alarmierendes Signal. Der Wald steht vor der ernstesten Bedrohung seit Generationen. Unsere
Wälder sind ein äußerst feinfühliger Indikator für die Gesamtheit der Belastungen, die eine kochentwickelte Industriegesellschaft der Umwelt zumutet.
Der Wald - das möchte ich besonders unterstreichen - nimmt in der Natur und im Naturhaushalt eine sehr bedeutsame Stellung ein. Er ist unverzichtbar für uns. Wir müssen die Wunden, die die Industriegesellschaft der Natur und dem Wald zugefügt hat, heilen. Dazu stehen wir in der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Die Schäden an den Wäldern haben gezeigt, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend waren.
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Die Belastbarkeit der Natur wurde überschätzt, ihr wurde zuviel zugemutet.
Durch hohe Schornsteine zum Beispiel - blauer Himmel über dem Ruhrgebiet - wurde das Problem der Gaswolken in den Industriegebieten leider nicht gelöst, sondern nur verlagert, verlagert in die Reinluftgebiete, in die Gebiete, in denen der Großteil unserer Wälder steht, verlagert zu Lasten der Natur. Es mag uns ein Beispiel sein, wie man nicht handeln darf. Allerdings sind auch die Erkenntnisse darüber, was man darf, soll, tun muß, in der Zwischenzeit gewachsen.
Am Umweltschutz zu sparen wäre unverantwortlich; denn allein die Folgekosten zerstörter Wälder wären kaum zu beziffern: durch Gefährdung von rund einer halben Million Arbeitsplätzen in Forst-und Holzwirtschaft, wegen der Konsequenzen durch veränderten Wasserabfluß und Störungen im Wasserhaushalt, durch Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs, der gerade in den strukturschwachen ländlichen Räumen zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beiträgt, ganz zu schweigen von möglichen klimatischen Veränderungen. Der Mensch kann nur mit der Natur leben, nicht gegen sie.
Trotz der bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der Ursachen der Waldschäden, trotz schwieriger Wirtschaftslage hat die Bundesregierung schnell gehandelt und erste erforderliche Maßnahmen eingeleitet.
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- Ich habe, gnädige Frau, da wir ja bescheidener sind als Sie, gesagt: Wir haben erste erforderliche Maßnahmen eingeleitet. - Denn Naturschutz ist keine Spielwiese für Romantiker; Naturschutz ist auch nicht Thema für schöngeistige Reden oder wählermobilisierende Parteiprogramme. Nein, Naturschutz ist Daseinsfürsorge im umfassendsten Sinne.
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Dabei zählen Taten, nicht Absichtserklärungen.
In ihrem Aktionsprogramm „Rettet den Wald" hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß höchste Priorität bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Luftreinhaltung liegt. Neben verstärkten Luftreinhaltemaßnahmen müssen aber auch alle Möglichkeiten ergriffen werden, um mit flankierenden forstlichen Maßnahmen den Schadensverlauf zu verlangsamen, die Schäden zu mindern und, so gut es möglich ist, zu beheben. Dafür haben wir zum erstenmal 1984 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zusätzliche Mittel in Höhe von 20 Millionen DM bereitgestellt.
Eines ist für mich aber auch sicher: Sich mit weniger Wachstum zufriedenzugeben, in einer generellen Einschränkung der Industrieproduktion das Heil zu suchen, ist sicher der falsche Weg. Das würde zusätzliches Geld kosten, Geld, das gerade zum Schutz der Natur erforderlich ist. Ein wirksamer Natur- und Umweltschutz setzt eine funktionierende und leistungsfähige Wirtschaft voraus, setzt voraus, daß die Menschen Arbeit haben und nicht auf Unterstützung im Rahmen der Arbeitslosigkeit angewiesen sind.
Gefährdet sind nicht nur Luft und Wasser, nicht nur der Wald, gefährdet ist unter Umständen auch der Boden. Gerade für die Landwirtschaft ist das wichtig. Wenn die Natur, wenn der Boden kränkelt, dann kränkelt auch die Land- und Forstwirtschaft.
Die Bundesregierung arbeitet daher zur Zeit mit Hochdruck an einem Bodenschutzkonzept, um rechtzeitig und wirksam eventuellen Fehlentwicklungen vorzubeugen. Denn der Boden ist einer der elementaren Faktoren im Naturhaushalt und in den Ökosystemen.
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Jeder von uns ist auf einen gesunden Boden angewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin jetzt fast auf den Tag seit zwölf Monaten Landwirtschaftsminister dieser Bundesregierung. Ich nehme weder für mich in Anspruch, die zufriedenstellende Einkommensentwicklung für 1982/83 entscheidend beeinflußt zu haben, noch bin ich für die im Wirtschaftsjahr 1983/84 unerfreuliche Einkommensentwicklung verantwortlich, deren Ursache in niedrigen Schweinepreisen, einer schlechten norddeutschen Zuckerrübenernte 1983 und einer gegenüber dem Vorjahr niedrigeren deutschen Getreideernte liegt.
Niemand kann verlangen, daß innerhalb von zwölf Monaten ein aus allen Nähten platzender Agrarmarkt und ein völlig erschöpfter EG-Haushalt saniert werden. Aber diese Bundesregierung hat es geschafft, ein Konzept für eine wieder nach vorne gerichtete EG-Agrarpolitik zu entwickeln,
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durch Mengenanpassung an den Markt,
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über langsam wieder geordnete EG-Finanzen hin zu funktionsfähigen Marktordnungen zu kommen.
Sie haben da eben etwas sehr Unparlamentarisches gesagt, Herr Roth. Ich habe das nicht getan. Ich habe darauf hingewiesen, daß sich Herr Ertl in
den letzten Jahren seiner Amtszeit ebenfalls sehr bemüht hat, zur Sanierung der Märkte und zu Maßnahmen, die er auch als Notwendigkeit hat auf sich zukommen sehen, zu kommen. Ich habe leider darauf hinweisen müssen, daß er im Kreis seiner EG-Kollegen keine Unterstützung fand, aber eben auch keine im Kreis - bei den meisten jedenfalls - seiner Kabinettskollegen unter Bundeskanzler Schmidt. Wenn Sie Herrn Ertl eine Flasche nennen, ist das Ihre Sache. Ich habe das nicht getan.
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- Sie haben wörtlich gesagt: „Muß der Herr Ertl" - nein, Sie haben das „Herr" sogar weggelassen -, „Muß der Ertl eine Flasche gewesen sein!"
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Jetzt habe ich Sie wörtlich zitiert. Vielleicht sind Sie dann zufriedener. Wir können uns diese Art von Auseinandersetzung durchaus leisten. Ich kann das schon.
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Es ist nicht so, daß ich nicht in der Lage wäre, auch zu polemisieren. Aber ich finde das nicht gut.
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Ich bin optimistisch, daß wir auf dem richtigen Weg sind, für die Agrarmärkte, für den EG-Haushalt und damit auch für die Landwirtschaft einen soliden Rahmen zu zimmern.
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- Lesen Sie meine Rede vom Jahre 1980, die ich an dieser Stelle gehalten habe, nach. Dann wissen Sie, was ich unterstützt habe, und brauchen nicht leere Behauptungen in die Welt zu setzen.
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Diese dringend erforderliche Kurskorrektur kann nicht ohne Schrammen abgehen. Dazu steht die EG schon zu dicht vor dem finanziellen Abgrund.
Die Bundesregierung wird alles tun, daß diese Kurskorrektur bald und schnell erfolgt, damit wieder ein Fundament zum Weiterbauen da ist, damit unsere Bürger und die Landwirte wieder Vertrauen in die Politik der Europäischen Gemeinschaft fassen können. Ich halte dies für sehr wichtig.
Es ist durchaus realistisch, angesichts der ständig zunehmenden Weltbevölkerungszahlen von einer positiven Zukunft für die Landwirtschaft zu reden. Dies möchte ich besonders auch den jungen Landwirten sagen. Sie fühlen sich angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit besonders betroffen.
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Niemand kann ihnen eine Garantie für die Zukunft
geben. Dies gilt aber auch für alle anderen Berufe,
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die ja ebenso einem ständigen Wandel unterliegen.
Was die Bundesregierung aber an Unterstützung im Rahmen ihrer agrarpolitischen Möglichkeiten geben kann, wird sie tun, zumal die ländlichen Räume - insgesamt gesehen - auf eine wirtschaftlich gesunde Landwirtschaft angewiesen sind. - Der Landwirt kann davon ausgehen, daß sein Beruf die Basis für eine sichere Existenz darstellt. Schließlich muß jeder Mensch täglich essen. Die Landwirtschaft ist der einzige Garant dafür, dies auch zu ermöglichen. Unsere verwöhnte Wohlstands- und Überflußgesellschaft scheint daran allerdings nicht mehr zu denken.
Die Leistungen unserer Landwirtschaft werden nur unvollständig gewürdigt, wenn nicht auch die Verdienste unserer Landfrauen hervorgehoben werden.
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Die Frauen sind die Seele in Familie, Haushalt und Betrieb.
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Sie leisten vor allem in den viehstarken Betrieben überdurchschnittlich viel Arbeit.
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Ohne die Mitarbeit der Frauen könnten die meisten Betriebe nicht existieren.
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Bäuerin sein ist keine grüne Idylle - es ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Diese Frauen verdienen nicht nur unseren Respekt, sondern auch Anerkennung und Dank.
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Unsere Landwirtschaft braucht Vertrauen in ihre eigene Leistung, Sicherheit für die wirtschaftlichen Rahmendaten sowie Zuversicht und Anerkennung, auch von außen. Wir alle aber brauchen auch unsere Landwirtschaft! Helfen wir mit, daß sie auf einer gesunden ökonomischen und auch ökologischen Grundlage bestehen und sich weiterentwikkeln kann. Sie muß auch in den kommenden Jahr4276
zehnten in der Lage sein, unser aller täglich Brot zu sichern.
Am Schluß möchte ich allen Mitarbeitern, die den umfangreichen, mit vielen Daten und Informationen versehenen Agrarbericht 1984 erstellt haben, herzlich danken. Danken möchte ich auch unseren Bäuerinnen und Bauern sowie der Landjugend für viel Verständnis und Geduld hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Kurskorrektur der EG-Agrarpolitik und nationaler Sparmaßnahmen.
Die Bundesregierung weiß, daß dies nicht selbstverständlich ist. Wir sind aber sicher: Diese Notwendigkeiten schaffen solide Ausgangspositionen für eine vernünftige gemeinsame Agrarpolitik, im nationalen wie im europäischen Bereich.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren! Herr Kollege Roth, der Ausdruck „Flasche" mit Bezug auf eine Person ist nicht parlamentarisch.
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Dem Kollegen Fellner muß ich für einen beleidigenden Zwischenruf gegenüber einer Kollegin, den er mir bestätigt hat und den ich nicht wiederholen möchte, einen Ordnungsruf erteilen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Die Aussprache über den Agrarbericht 1984 beginnt morgen, Donnerstag, um 15.30 Uhr, in Verbindung mit den Tagesordnungspunkten 4 und 5.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 29. März 1984, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.