Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, auf Drucksache 10/48 liegt ein Antrag der Fraktion der GRÜNEN vor: Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses ({0}).
Wir waren übereingekommen, heute zunächst die Punkte 3, 4, 5 und 6 der Tagesordnung zu erledigen und dann die Aussprache fortzusetzen.
Es ist über die Aufsetzung dieses Antrags der Fraktion der GRÜNEN auf die Tagesordnung zu befinden. Wird dazu das Wort gewünscht? - Gibt es dazu Widerspruch? ({1})
- Wo ist die Wortmeldung? - Es ist Widerspruch erhoben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann, bitte schön.
Es geht zunächst um die Begründung, daß das auf die Tagesordnung gesetzt werden soll?
So ist es. Redezeit längstens fünf Minuten, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der GRÜNEN liegt vor. Es geht hier um die Frage der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Zu diesem Punkt liegen unterschiedliche Anträge vor, von den GRÜNEN und von den anderen Fraktionen dahingehend, daß bei den anderen Anträgen die GRÜNEN nicht eingeschlossen sein sollen.
Wir haben zu Beginn dieses 10. Deutschen Bundestages schon einmal den Antrag gestellt, daß grundsätzlich die Geschäftsordnung dahin geändert werden soll, daß jede Fraktion in jedem Gremium des Bundestages vertreten sein soll. Wir haben in diesem Zusammenhang unter anderem begründet, daß sich die Qualität der Demokratie auch und nicht zuletzt darin darstelle, wie man mit Minderheiten umgehe.
Ich möchte in diesen Zusammenhängen hier einen Schritt weitergehen. Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ist eine einschneidende Maßnahme, die der Regierung die Möglichkeit gibt, dieses Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses einzuschränken. Sie werden vielleicht verstehen, daß wir uns von diesen Einschränkungen des Grundrechts besonders betroffen fühlen. Ich jedenfalls habe immer wieder das Bedürfnis gehabt, wenn es in meiner Telefonleitung so seltsam geknackt hat oder meine Briefe so seltsam zugeklebt waren,
({0})
zu wissen, was mit meinem Grundrecht geschehen ist.
({1})
- Das ist sehr witzig.
Der Art. 10 des Grundgesetzes sagt ausdrücklich, daß dieser einschneidende Eingriff in ein Grundrecht nur unter parlamentarischer Kontrolle geschehen darf. Parlamentarische Kontrolle darf aber nach unseren Vorstellungen nicht heißen, daß diese Kontrolle nur durch die Parteien geschieht, die sich als die Regierungsparteien verstehen - was an sich schon in gewissem Sinne eine Perversion des Parlamentes ist, wo die Parteien die Regierung kontrollieren, nicht aber regieren sollen. Aber wie dem auch sei: Wir sind der Auffassung, daß alle Fraktionen des Parlamentes daran zu beteiligen seien.
Ähnlich ist wohl auch eine Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970 zu werten, wo es in der Begründung heißt:
Gegenüber den Bedenken, das Gremium gemäß § 9 Abs. 1 G 10 und die Kommission könnten unter Umständen von einer Mehrheit im Bundestag einseitig besetzt werden, genügt der
Hinweis, daß auch eine Mehrheit ihre Rechte mißbrauchen kann. Eine Fraktion oder Koalition, die das genannte Gremium einseitig besetzen und auf die einseitige Besetzung der Kommission hinwirken würde, würde im Zweifel mißbräuchlich verfahren.
Außerdem ist es hier in diesem Hause selbstverständlich geworden, die FDP an solchen Gremien zu beteiligen. Gewissermaßen deshalb, weil man sie als Mehrheitsbeschaffer braucht, werden ihr zweifelsohne alle Rechte eingeräumt. Wir als kritische Opposition fühlen uns hier benachteiligt und betrachten es insofern auch als eine Frage der Gleichbehandlung, in diesem Gremium vertreten zu sein.
Es geht also erstens um die Rechte von Minderheiten, zweitens um die Gleichbehandlung der Fraktionen und drittens um die Einschränkung eines Grundrechtes, bei dem auch wir uns an der Kontrolle beteiligen möchten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Fraktionen der CDU/CSU und FDP appellieren, die uns - mal arrogant von oben wie Herr Stoltenberg und Herr Lambsdorff, mal drohend wie Herr Waigel oder mal formaljuristisch wie Herr Engelhard - ermahnt und unsere demokratischen Gesinnungen in Zweifel gezogen haben, sich selbst aber als demokratisch unantastbar dargestellt haben: Hier, bei dieser Abstimmung können Sie beweisen, wie demokratisch Sie sind.
Meine Damen und Herren von der Fraktion der SPD, Sie haben uns gestern gegenüber den Angriffen von Herrn Stoltenberg und Lambsdorff so liebevoll verteidigt, z. B. Herr Apel und Herr Roth. Jetzt wird Politik gemacht, jetzt wird abgestimmt, und in dieser Abstimmung zeigen Sie Ihr Gesicht; wir werden das entsprechend betrachten.
Ich meine, man kann hier nicht ewig so doppelzüngig wie bei der Volkszählung argumentieren: Verschiebung: j a, aber Sondersitzung, in der das beschlossen werden soll: nein; das können Sie auf Dauer niemandem erklären. Hier und heute wird die Entscheidung getroffen. Wir werden unser Recht durchsetzen: entweder hier, oder wir werden die anderen Möglichkeiten, rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen.
({2}) - Ich bin gleich fertig.
Ein Schlußsatz: Meine Herren von der Regierung, Sie haben gestern argumentiert, Sie wollten die Gerichte entlasten. Ich bin der Meinung, die beste Entlastung für die Gerichte und letzten Endes auch für die Parlamente besteht darin ...
Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
..., daß man den Menschen ihre Rechte von Anfang an einräumt, so daß sie sich diese nicht erst vor Gericht zu erstreiten brauchen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses besteht das G 10Gremium aus fünf vom Bundestag zu bestimmenden Abgeordneten, das zur Überwachung der Vorgänge gedacht ist, die der Herr Kollege Vorredner hier geschildert hat. - Allerdings wird Ihnen jeder Techniker, der etwas damit zu tun hat, sagen: Wenn's knackt, ist genau nichts los. Es ist möglicherweise was los, wenn's nicht knackt.
({0})
Meine Damen und Herren, für die Zusammensetzung derartiger, durch Wahlen des deutschen Bundestages zu besetzender Gremien ist nach § 12 der Geschäftsordnung des Bundestages das Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen maßgeblich. Für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen stehen verschiedene Systeme zur Verfügung. Genannt seien hier nur das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren, das Verfahren nach St. Lague/Schepers und das Verfahren nach Hare/Niemeyer. Nach allen mathematisch denkbaren Verteilungsverfahren - und wir haben immer das für die Minderheit günstigste gewählt - hat die Fraktion der GRÜNEN keinen Anspruch auf einen Sitz in diesem Gremium, da sich ihre Stärke im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen zueinander als zu gering erweist. Dies ist auch dann der Fall, wenn wir, wie gesagt, das günstigste Verfahren zugrunde legen. Zu Recht ist das Gremium nach G 10 von Gesetzes wegen auf fünf Abgeordnete beschränkt.
Wir führen hier zum wiederholten Male aus, daß es der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht darum geht, einer Fraktion mit Hilfe von Geschäftsordnungstricks die ihr zustehenden Rechte zu verwehren. Wir haben andererseits nicht die Absicht, das Wählervotum, das am 6. März gefällt wurde, zu verfälschen. In diesem Parlament und in seinen Gremien soll jede Fraktion den Einfluß haben, den die Wähler ihr durch ihre Stimme bei den Bundestagswahlen gegeben haben, nicht mehr und nicht weniger. Von einseitiger Besetzung dieses Gremiums, wie hier ausgeführt wurde, kann deshalb keine Rede sein. Insofern geht Ihre Argumentation natürlich an den Gründen des Bundesverfassungsgerichts vorbei.
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Sonderbehandlungen gibt es eben nicht, jedenfalls nicht mit uns. Es hat hier auch niemand irgendwelche moralischen Überhöhungen oder auch altgediente Ansprüche gegenüber anderen. Wir sind hier gleich, aber eben in dem Stärkeverhältnis, wie es die Wähler am 6. März mit ihrer Stimmabgabe geschaffen haben.
Ich meine, es ist Ihr gutes Recht, als Minderheit die Regierung und auch die sie stützenden Fraktionen politisch zu bekämpfen und auf ihre Ablösung hinzuarbeiten, aber eben im Rahmen des Wählervotums vom 6. März.
Wenn Sie dies anerkennen, dann werden Sie auch Ihre Rolle hier im Deutschen Bundestag vielleicht bald erkennen.
Die CDU/CSU-Fraktion bittet, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen. - Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Kollege Becker ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Wahl zum 10. Deutschen Bundestag sind die Stärkeverhältnisse hier im Hause wie folgt: 255 Abgeordnete der CDU/CSU, 202 der SPD, 35 der FDP und 28 Abgeordnete der GRÜNEN. Wir haben in der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages die Weitergeltung der Geschäftsordnung beschlossen - mit einigen Änderungen -, ebenso aber auch die Berechnung der Stellenanteile. Nach der Berechnung der Stellenanteile entfällt auf die CDU/CSU ein Anteil von drei Sitzen in diesem Gremium und auf die SPD ein Anteil von zwei Sitzen. Da wir das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses so gefaßt haben, daß die Zahl der Mitglieder gesetzlich festgelegt ist, gibt es keine Möglichkeit, davon abzuweichen. Ich zitiere den § 9 Abs. 1.
Der nach § 5 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständige Bundesminister unterrichtet in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, über die Durchführung dieses Gesetzes.
Im Antrag der GRÜNEN kommt zum Ausdruck, daß die SPD-Fraktion einen Sitz abgeben soll. Wir sehen uns auf Grund der von mir vorgetragenen Argumentation dazu nicht in der Lage und müssen diesen Antrag ablehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Frage der Aufsetzung dieses Antrags auf die Tagesordnung. Wer der Aufsetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir beraten jetzt die Punkte 3 bis 6 der Tagesordnung; anschließend setzen wir die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung fort.
Ich rufe zunächst Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53 a des Grundgesetzes
- Drucksache 10/45 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle Annahme dieses Antrags fest. Damit sind die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter gewählt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses
- Drucksache 10/46 -Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem vorgetragenen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ({0})
- Drucksache 10/49 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Die Fraktion der GRÜNEN beantragt, das Gremium in einem anderen Verhältnis zu besetzen: CDU/CSU 2, SPD 1, FDP 1, DIE GRÜNEN 1. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Änderung des Besetzungsschlüssels geht der Wahl der Mitglieder dieses Gremiums voraus. Ich lasse deshalb zuerst über diesen Antrag abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen! - Der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/49. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Barzel
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
- Drucksache 10/47 Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem zitierten Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und ihre Stellvertreter gewählt. Ich nehme diese Wahl zum Anlaß, den bisherigen und dort ausscheidenden Mitgliedern beider Versammlungen den herzlichen Dank des Deutschen Bundestages für ihre Arbeit auszusprechen.
({1})
Wir fahren nunmehr in der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich aus der Sicht meiner Fraktion ein kurzes Resümee der gestrigen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Debatte ziehen soll, dann möchte ich die Fixpunkte hervorheben, die die Ausgangslage der 10. Legislaturperiode bestimmen. Da ist zunächst der Schuldenturm, den sozialdemokratische Kanzler und Finanzminister in nur 13 Jahren aufgerichtet haben. Es ist der höchste Schuldenturm der deutschen Geschichte. Dieser Schuldenturm wirft seine Schatten auf unsere Zukunft. Er begrenzt unsere Handlungs-, unsere Krisenbewältigungsfähigkeit. Nehmen wir nur die eine Zahl, die Zinslast dieses Jahres für die Altschulden: 27,9 Milliarden DM. Wäre es eine Zinslast, wie in den 20 Unionsjahren, dann stünden uns jetzt 25 Milliarden DM zur Verfügung, entweder zur Aufstockung der Investitionsquote der öffentlichen Haushalte, die drastisch gekürzt wurden, oder aber zur Reduzierung der außerordentlich hohen Nettoneuverschuldung dieses Jahres von 40,9 Milliarden DM. Wenn sie auf diese Weise gekürzt werden könnte, entspräche sie mit etwa 14 Milliarden DM noch der Gesamtverschuldung der Unionsepoche von 20 Jahren, von 1949 bis 1969; aber, gemessen an der Arbeitslosigkeit und an der konjunkturellen Lage, wäre eine solche Neuverschuldung gerade noch erträglich.
({0})
Meine Damen und Herren, an der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kommen wir nicht vorbei, und wir haben als Bundesgesetzgeber nicht nur an den Bundeshaushalt, sondern auch an die Länderhaushalte und an die Gemeindehaushalte zu denken.
({1})
Insbesondere sind es die Gemeindehaushalte, die
zwei Drittel der öffentlichen Investitionen erbringen. Der Haushaltsplan 1984 und die mittelfristige
Finanzplanung, die natürlich nicht in der Regierungserklärung stehen konnten, werden vom Bundesfinanzminister so rechtzeitig dem Parlament vorgelegt, daß wir sie sorgfältig beraten können.
Wir kommen auch nicht daran vorbei, bei der Neuverschuldung die Schuldengrenze des Art. 115 der Verfassung wiederzugewinnen. Die ist inzwischen fünfmal durchbrochen worden: 1975, 1976, 1978, 1981, 1982. Der Herr Oppositionsführer hat vorgestern beklagt, daß das auch in diesem Jahr so sein werde. Wir beklagen es mit ihm. Es wird auch im nächsten Jahr so sein. Niemand kann das überhöhte Ausgabenniveau, das sich in dieser fünfmaligen Überschreitung der Schuldengrenze des Haushalts ausdrückt, auf einen Schlag zurückführen.
({2})
Herr Abgeordneter Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Walther?
Herr Kollege Walther, ich möchte mich bei dieser Debatte der allgemeinen Übung anschließen, keine Zwischenfrage zuzulassen.
({0})
Aber wir bemühen uns mit schmerzhaften Entscheidungen - so war es beim Haushalt 1983, so wird es im Haushalt 1984 sein -, diese Schuldengrenze des Art. 115 GG zurückzugewinnen. Sie, meine Damen und Herren, beklagen nur den Zustand, wobei man nicht weiß, was Sie eigentlich beklagen: die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, oder die Maßnahmen, die notwendig sind, daß diese Erblast abgetragen werden kann.
({1})
Der zweite Fixpunkt! Die notwendige Konsolidierung der Haushalte muß im wesentlichen durch Ausgabenkürzungen herbeigeführt werden. Für wesentliche Einnahmenerhöhungen fehlt der Spielraum. Darauf haben uns die fünf führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute mit Recht und mit Nachdruck hingewiesen. Die Steuer- und Abgabenlast hat eine Grenze erreicht, bei deren Überschreiten mit einer verstärkten Verweigerungshaltung der Bürger zu rechnen ist. Das drückt sich in Kapitalfluchterscheinungen aus, wie sie vor dem 6. März nicht selten waren, vor allem aber im Ausweichen in die Schwarzarbeit, die zu erheblichen Einnahmeausfällen für den Staat und zu neuen Ungerechtigkeiten führt. Das dürfen eine Regierung und ein Parlament nicht übersehen. Es gibt Grenzen für die Bereitschaft der Menschen, einen immer größeren Teil ihres Einkommens an die Staats- und Sozialkassen abzuführen - eine Grenze, die weder durch moralische Appelle noch durch Strafen überwunden werden kann.
Der dritte Fixpunkt! Die Haushaltssanierung soll Handlungsspielräume eröffnen, niedrigere Zinsen ermöglichen, den Kreditspielraum der Wirtschaft vergrößern und dem Aufschwung die notwendige
politische Vertrauensgrundlage geben. Das Ergebnis soll Wirtschaftswachstum sein. Es gibt Zeitgenossen, die Wirtschaftswachstum verteufeln. Wir bekennen uns zum Wirtschaftswachstum. Nicht weil wir immer mehr haben möchten, sondern weil nur so bei wachsender Alten- und Krankenlast - und die Alten- und Krankenlast wächst dramatisch - der Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme verhindert werden kann. Weil nur so die zusätzlichen Kosten für den Umweltschutz und für andere wachsende Aufgaben finanziert und weil nur so die Arbeitslosigkeit auf einen vertretbaren Rahmen zurückgeführt werden kann.
Wirtschaftswachstum ist nach unserer Überzeugung auch möglich. Der Bedarf ist keineswegs gedeckt. Er wird nie gedeckt sein. Das gilt nicht nur für die Exportmärkte, das gilt auch für den Binnenmarkt. Die Kaufzurückhaltung der letzten Jahre, die sich jetzt mehr und mehr aufzulockern beginnt, war durch Zukunftsangst und durch Zukunftsvorsorge verursacht, nicht durch einen Mangel an Kaufwünschen.
Vierter Fixpunkt! Wirtschaftswachstum führt aber nicht in allen Bereichen zu Vollbeschäftigung. Insbesondere die beängstigend steigende Akademikerarbeitslosigkeit ist nicht eine Folge der Wirtschaftsflaute. Im Bundesland Hessen, dessen Ministerpräsident
({2})
gestern hier eine Gastrolle gegeben hat, gibt es z. B. zur Zeit 6 000 vollausgebildete arbeitslose Lehrer, 4 500 Referendare für das Lehramt und knapp 13 000 Lehramtsstudenten. Das sind zusammen 23 500 Bewerber. Dem steht eine von 45 000 auf inzwischen 43 000 gekürzte Zahl von Lehrerstellen gegenüber. Hinzu kommt, daß durch die außergewöhnliche Ausweitung der Lehrerzahl in den 70er Jahren die Altersstruktur der Lehrerschaft so verzerrt ist, daß mit größeren Pensionierungsschüben erst in zwei Jahrzehnten zu rechnen ist.
Herr Börner hat gestern gemeint, durch Arbeitsplatzteilung und entsprechende Gehaltskürzung für Lehrer könne man dieses Problem lösen. Er hat als Regierungschef bisher keine Anstalten gemacht, es in dieser Weise zu lösen.
({3})
Meine Damen und Herren, wer diesen Ausweg als Lösung des Problems anpreist, streut den jungen Menschen Sand in die Augen. Die meisten der jetzigen und der künftigen Bewerber werden einen anderen Beruf ergreifen müssen - leider.
({4})
Das ist um so schwieriger, je später sie die Universität verlassen. Auch deshalb sollten die Studienzeiten verkürzt werden.
All das zeigt, wie unsinnig und verantwortungslos es war, die Hälfte eines Geburtsjahrgangs zum Abitur und davon die Hälfte zur Universität führen zu wollen.
({5})
Die sozialdemokratischen Bildungspolitiker scheinen das immer noch nicht erkannt zu haben.
Viele junge Menschen suchen zur Zeit praxisbezogene Bildungsgänge in Wirtschaft und Verwaltung. Dabei dürfen sie nicht enttäuscht werden. Niemand kann jedem einen Arbeitsplatz garantieren,
({6})
aber einem jungen Menschen die Ausbildung zu verweigern ist unmenschlich.
({7})
Jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit der Wirtschaftsverbände, die dem Bundeskanzler Zusagen gemacht haben,
({8})
um die Glaubwürdigkeit unseres dualen Ausbildungssystems, das ausbildungsbereite Betriebe in genügender Zahl voraussetzt, und letztlich um die Glaubwürdigkeit unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die sich als fähig erweisen muß, solche Herausforderungen in Freiheit zu meistern.
Was zentral dem Bundeskanzler versprochen wurde, muß jetzt örtlich und regional verwirklicht werden.
({9})
Meine Freunde von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden das Ihre dazu beitragen, daß dieses Versprechen eingefordert und gehalten wird.
({10})
Meine Damen und Herren, die Universitäten müssen in die Lage versetzt werden, sich wieder mehr der Forschung und der Heranbildung der Begabten und Hochbegabten zu widmen. Der Staat hat dafür zu sorgen, daß kein Talent wegen der Einkommensverhältnisse der Eltern verlorengeht. Deshalb muß das aus finanziellen Gründen gekürzte Massen-BAföG durch eine echte Begabten- und Hochbegabtenförderung ergänzt werden.
({11})
Das ist eine typische Aufgabe der Länder, deren Kulturhoheit ja Kern ihrer staatlichen Existenz ist.
Ein letzter Gesichtspunkt: Wirtschaftswachstum kann durch Arbeitszeitverkürzungen ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Der technische Fortschritt hat Arbeitszeitverkürzungen möglich gemacht, und er wird weitere Arbeitszeitverkürzungen möglich machen. Tempo und Methode der Arbeitszeitverkürzungen müssen aber so gewählt werden, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird.
Dieser Zwang zur Wettbewerbsfähigkeit gilt für uns Deutsche mehr als für andere, da wir bis zu einem Drittel des Bruttosozialprodukts exportieren müssen, um Rohstoffe, Energie und anderes einführen zu können. Schon jetzt arbeiten wir weniger als
unsere Konkurrenten. 1 750 jährlichen Arbeitsstunden in der deutschen Industrie stehen 1 890 in der amerikanischen und 2 130 in der japanischen gegenüber. Die niedrige Arbeitslosenquote Japans -2,4 % - ist demnach nicht das Ergebnis von Arbeitszeitverkürzungen, sondern das Ergebnis der besonderen Leistungsfähigkeit der japanischen Wirtschaft.
({12})
Die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu
stärken ist daher die erste und wichtigste Aufgabe.
Im übrigen sind die Möglichkeiten und Folgen der Arbeitszeitverkürzung von Beruf zu Beruf und von Branche zu Branche verschieden. Im Krankendienst sieht das Bild anders aus als in der technischen Fertigung. Arbeitszeitverkürzungen müssen sich den jeweiligen Bedingungen der Unternehmen und der Branchen anpassen. Sie müssen flexibel sein und müssen künftige Arbeitszeitverlängerungen im Hinblick auf die geburtenschwachen Jahrgänge und die steigende Lebenserwartung offenhalten.
Besser als der Staat sind daher die Tarifpartner geeignet, flexible branchenbezogene, auch unternehmensbezogene Lösungen zu vereinbaren. In der Chemie- und in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie ist das offenbar gelungen, was ich mit dem Ausdruck des Respekts vor den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden dieser Industriezweige anerkennen möchte.
({13})
Meine Damen und Herren, in den ersten beiden Jahrzehnten unserer Republik stand unser Land in fast allen Bereichen an der Spitze der Leistungsskala. Eine ausgewogene Politik der Sozialen Marktwirtschaft gab Leistungsanreize und vollzog den sozialen Ausgleich, ohne den Leistungswillen zu lähmen. Unser Land wurde dadurch zu einem der gesuchtesten Industriestandorte der Erde. Es zog Kapital an; bei uns wurde investiert; bei uns entstanden Arbeitsplätze. So erreichten wir schließlich Vollbeschäftigung. Nicht in den Einzelmaßnahmen, aber in der Philosophie können und müssen wir an die Politik der damaligen Zeit anknüpfen.
({14})
Das hat mit Nostalgie, Herr Kollege Vogel, nichts zu tun. Nicht unsere, sondern Ihre Rezepte waren in den 50er und 60er Jahren falsch.
({15})
In den 70er Jahren hat die SPD widerstrebend den Weg zur Sozialen Marktwirtschaft gesucht, indem sie Männern wie Karl Schiller und teilweise auch Helmut Schmidt folgte. Ich habe den Eindruck, daß unter Ihrer Führung und der des Kollegen Brandt die SPD dabei ist, mit grüner Unterstützung wieder in die Wagenburg sozialistischer Utopien zurückzukehren.
({16})
Wir aber sagen, nur wenn wir die Bundesrepublik Deutschland wieder zu einem nach innen und guBen unbezweifelbar sicheren und in jeder Hinsicht attraktiven Wirtschaftsstandort machen, nur wenn wir Begabungen und Leistungen fördern, nur wenn wir Vertrauen wecken, werden wir die Krise meistern.
Meine Damen und Herren, nach diesem kurzen Rückblick möchte ich mich einem Thema zuwenden, das unangenehm und kompliziert ist, dem sich daher Politiker nur ungern nähern. Ich möchte es aber wagen, weil dieses Thema zugleich ungeheuer wichtig und aktuell ist. Es geht um die Frage des NATO-Doppelbeschlusses. Dabei geht es um unsere persönliche und nationale Existenz
({17})
und um die Zukunft unseres demokratischen Systems an der Grenze von Ost und West. Vergleichbar mit der Bedeutung dieser Debatte ist wohl nur die Wehrdebatte der 50er Jahre, in der es um die Wiederbewaffnung und die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland ging.
Zwei Umstände machen die jetzige Debatte besonders schwer, einmal das Informationsdefizit unserer Bevölkerung. Die Neigung westlicher Regierungen, unangenehme Tatsachen nur beschwichtigend mitzuteilen, hat dazu beibetragen. Das wiederum hat es der Sowjetunion ermöglicht, das Bewußtsein und die Meinungsbildung eines Teiles unserer Mitbürger in einem Ausmaß zu beeinflussen wie nie zuvor in der Nachkriegszeit.
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Bei diesem Ringen um die Seele der Europäer kann die Sowjetunion den grundlegenden Unterschied der politischen Systeme in Ost und West nutzen, und sie nutzt das natürlich. Eine öffentliche Raketendiskussion gibt es j a nur im Westen, nicht im Osten. Der Osten nimmt an unserer Diskussion intensiv teil und beeinflußt sie durch Desinformation, Propaganda und gezielte Angstmache. Wir nehmen an der östlichen Diskussion dagegen nicht teil. Im Osten wird diese Diskussion ja nur im Politbüro und im Generalstab geführt. Freie Medien und freie Parteien, die sich an einer freien Diskussion beteiligen könnten, gibt es dort gar nicht.
({19})
All das hat in der westlichen Meinungsbildung zu einer Schieflage geführt, die die Tatsachen geradezu auf den Kopf stellt.
Ich möchte meine Bemerkungen zu diesem Thema mit vier Thesen einleiten.
Erste These. Ein allgemeiner atomarer Krieg ist nicht zu gewinnen. Er würde beiden Seiten derartige Schäden zufügen, daß auch der Sieger in Wahrheit ein Verlierer, ein Geschlagener, ein für immer Getroffener wäre. Dieser Erkenntnis entspricht die auf die Erhaltung des Gleichgewichts und die Vermeidung des Krieges ausgerichtete Abschreckungsstrategie, die das militärische Denken des Westens beherrscht. Im militärischen Denken der SowjetDr. Dregger
union hat die Abschreckungsstrategie dagegen keinen Niederschlag gefunden. Die sowjetische Strategie ist nach wie vor eine Kriegführungsstrategie, die durch den offensiven und massiven Einsatz des gesamten Militärpotentials den Sieg erstrebt. In Übereinstimmung mit dem nach wie vor gültigen Standardwerk „Militärstrategie der Sowjetunion" heißt es z. B. in der Armeezeitung „Roter Stern" - ich zitiere -:
Die Atomwaffe ist zum grundlegenden Faktor der Niederlage des Feindes geworden.
Dementsprechend zielt die sowjetische Rüstungspolitik nicht auf Gleichgewicht, sondern auf Überlegenheit. Das gilt neben dem konventionellen Bereich für alle drei Stufen des Atomaren, also nicht nur für die Mittelstreckenraketen, um die sich die Diskussion zur Zeit dreht; es gilt auch für die Interkontinentalraketen, denen die USA zur Zeit durch die neuen MX-Raketen zu begegnen versuchen, und vor allem für die Kurzstreckenraketen, die auf sowjetischer Seite zur Zeit auf die neuen SS 21, 22 und 23 umgerüstet werden. Diese Kurzstreckenraketen, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte, sind je nach ihrer Reichweite bis zu 200 oder bis zu 1 000 km den sowjetischen Divisionen, Armeecorps und Frontbereichen zugeteilt. Die Hälfte dieser Systeme, etwa 350, sind in der DDR oder in der Tschechoslowakei stationiert.
({20})
Unterhalb der Kurzstreckenraketen verfügt die Sowjetunion noch über nukleare Rohrartillerie.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Sowjetunion sich das defensive westliche Konzept der abgestuften Abschreckung nie zu eigen gemacht hat. Die Sowjetunion hat den offensiven Einsatz nuklearer Kurzstreckenraketen und nuklearer Rohrartillerie zur Unterstützung ihrer Angriffstruppen von vornherein vorgesehen.
({21})
Man kann nur hoffen, daß das sowjetische Streben nach Überlegenheit und die ihm zugrunde liegende Angriffsstrategie nicht mit aktuellen Angriffsabsichten verbunden sind, sondern in erster Linie darauf zielen, ihr europäisches Vorfeld erpreßbar zu machen. Aber auch das ist für die freien Länder Europas absolut unakzeptabel. Es ist nicht legitim, die eigene Sicherheit in der totalen Unsicherheit des andern finden zu wollen. Das gilt für beide Seiten.
({22})
- Sie müssen erst mal zuhören und nachdenken, damit Sie Ihr Weltbild erweitern.
({23})
Die Arroganz, mit der die Sowjetunion auf die innenpolitischen Entscheidungen des Westens Einfluß zu nehmen versucht, und die Hingabebereitschaft, auf die sie in einem Teil der westlichen Öffentlichkeit trifft, erwecken den Eindruck, daß eine solche militärische Überlegenheit der Sowjetunion schon jetzt besteht und sich psychologisch auszuwirken beginnt.
Die zweite These. Es gibt keine Regionalisierung eines auf europäischem Boden stattfindenden Atomkriegs. In einen solchen Raketenkrieg würden beide Weltmächte unvermeidlich hineingezogen. Die Sowjetunion könnte nicht unberührt bleiben, weil sie mit Europa eine räumliche Einheit bildet und die Hälfte Europas in ihr Imperium einbezogen hat. Auch die USA können sich einem auf europäischem Boden stattfindenden Raketenkrieg so lange nicht entziehen, wie ihre Soldaten und vor allem ihre Atomwaffen in Europa stationiert sind.
({24})
Denn eines ist doch völlig klar: Würden die Amerikaner von Westeuropa aus auf die Sowjetunion schießen, dann würden die Sowjets nicht nur nach Westeuropa , sondern selbstverständlich auch nach Amerika zurückschießen. Warum sollten die Sowjets das Kerngebiet ihres Raketengegners aussparen, wenn ihr eigenes betroffen wird.
Die diesbezüglichen Vergeltungsdrohungen des verstorbenen Generalsekretärs Breschnew und jüngst des sowjetischen Marschalls Ustinow sind absolut glaubhaft.
({25})
Auf Grund der Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Europa haften die USA daher nicht nur mit ihren hier stationierten Soldaten, sondern mit ihrer gesamten nationalen Existenz für die Sicherheit Europas.
({26})
Bei einem Angriff auf Deutschland hat die Sowjetunion mit den gleichen Konsequenzen zu rechnen wie bei einem Angriff auf die USA.
Die Risikogemeinschaft zwischen den USA und Deutschland ist auf Grund dieser Umstände zur Zeit vollständig und unauflöslich. In Deutschland trifft die Sowjetunion nicht nur auf die atomar unbewaffnete Mittelmacht Deutschland, sondern auch auf die Weltmacht USA mit all ihren militärischen Potentialen. Ein höheres Maß an militärischer Sicherheit als dieses ist für Westeuropa und Deutschland überhaupt nicht denkbar.
({27})
Das zusätzliche Risiko, das die USA damit eingehen und wofür wir ihnen dankbar sein sollten, ist beträchtlich. Es ist daher kein Wunder, daß nicht die Amerikaner, sondern die Europäer die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa verlangt haben.
({28})
- Die Deutschen, die Franzosen, der ganze europäische Teil der NATO, auch Bundeskanzler Schmidt.
({29})
Meine Damen und Herren, ein Vergleich mag diese für Sie überraschende These erläutern.
({30})
- Hören Sie zu! - Die Franzosen lehnen es ausdrücklich ab, französische Raketen auf deutschem Boden zu stationieren.
({31})
Das tun sie jedenfalls nicht, weil sie uns dadurch etwa schonen möchten. Abgeschossen würden diese Raketen bei einem sowjetischen Angriff auf Frankreich zwar auf französischem, aber einschlagen würden sie in der Regel auf deutschem Boden. Nein, die Franzosen stationieren nicht auf deutschem Boden, weil sie nicht um Deutschlands willen in einen Raketenkrieg verwickelt werden wollen. Die französischen Raketen haben nur einen Auftrag: vor einem Angriff auf Frankreich abzuschrecken.
Da dieser Auftrag so begrenzt ist, ist es auch gerade für uns Deutsche unerträglich, bei einem Kräftevergleich zwischen den beiden Weltmächten in Europa die französischen und die britischen Raketen mitzurechnen. Denn sie dienen j a nicht unserem, sondern nur dem Schutz ihres eigenen nationalen Sanktuariums, Frankreichs und Großbritanniens.
({32})
Wenn die Amerikaner in entsprechender Weise europäische Risiken meiden wollten, müßten sie es ablehnen, amerikanische Raketen auf europäischem Boden zu stationieren. Das lehnen j a auch einige - auch einige prominente - Amerikaner ausdrücklich ab. Es waren ja die amerikanischen, nicht die deutschen Bischöfe - ich wiederhole: nicht die deutschen, sondern die amerikanischen Bischöfe -, die in diesen Tagen den defensiven Ersteinsatz amerikanischer Atomraketen gegen angreifende Sowjetverbände in Europa abgelehnt haben.
({33})
Herr Vogel hat vorgestern die rhetorische Frage gestellt, ob diese Haltung der amerikanischen Bischöfe als amerikafeindlich zu beurteilen sei. Das gewiß nicht, Herr Kollege Vogel. Eher wäre diese Haltung europafeindlich.
({34})
Ich bezeichne sie nur deshalb nicht als europafeindlich, weil der Haltung der amerikanischen Bischöfe europafeindliche Absichten gewiß nicht zugrunde liegen.
({35})
Aber daß die Haltung der amerikanischen Bischöfe darauf hinausläuft, die volle Risikogemeinschaft zwischen der Weltmacht USA und der Mittelmacht Deutschland aufzulösen, daß sie darauf hinausläuft, Amerika von einem atomaren Risiko zu befreien, uns Europäer aber mit dem Risiko eines überlegenen konventionellen Angriffs der Sowjetunion in Europa allein zu lassen, ist doch unbestreitbar.
({36})
Über den Einfrierungsbeschluß des amerikanischen Repräsentantenhauses werden Sie, meine Damen und Herren der SPD, vielleicht ebenso triumphieren wie über die Passagen in der Denkschrift der amerikanischen Bischöfe. Ohne den genauen Text dieses Beschlusses des amerikanischen Repräsentantenhauses mit seinen zahlreichen Zusätzen zu kennen, möchte ich mir ein abschließendes Urteil nicht erlauben. Aber, ich meine, wir sollten alles vermeiden, was dazu beitragen könnte, diejenigen in den USA zu stärken, die ihr eigenes amerikanisches Sonderinteresse zu Lasten Europas dem Bündnisinteresse vorordnen möchten.
({37})
Mit der Vertretung der deutschen Interessen, von denen Herr Kollege Vogel so häufig redet, hätte das jedenfalls gar nichts zu tun.
({38})
Dritte These: Um der Bedrohung ihres eigenen Territoriums durch sowjetische Atomwaffen entgegenzuwirken, brauchen die Amerikaner keine Atomwaffen auf europäischem Boden. Amerikanische Atomwaffen auf europäischem Boden sind aber erforderlich, um von einem Angriff auf Europa abzuschrecken. Zögen nämlich die Amerikaner ihre Nuklearwaffen ab, gäbe es in Europa keine atomaren Raketen mehr, die vor einem nuklearen oder konventionellen Angriff auf Deutschland abschrekken würden. Die französischen und britischen Atomwaffen sind dazu nicht bestimmt. Wir selbst haben auf Atomwaffen rechtsverbindlich verzichtet, auch der Sowjetunion gegenüber.
({39})
Nach einem Abzug amerikanischer Atomwaffen aus Europa lebten wir Deutsche in einer Zone, die zwar von Atomwaffen, nicht aber - worauf es doch ankommt - von einer Bedrohung durch Atomwaffen und andere militärische Gewalt frei wäre. Im Gegenteil: Mit dem Abzug amerikanischer Atomwaffen bräche die westliche Abschreckungsstrategie für Europa, insbesondere für Deutschland, wie ein Kartenhaus zusammen. Der Krieg würde wieder führbar
({40})
und für die Sowjetunion gewinnbar. Das ist eine Perspektive, die für uns völlig unannehmbar ist.
({41})
Zu dieser dritten These zwei Zusatzbemerkungen.
({42})
- Denken Sie doch erst einmal nach. Sie müssen
viel mehr nachdenken. Das Thema ist wirklich
schwierig. Hören Sie einmal zu, und denken Sie nach.
({43})
Erste Zusatzbemerkung. Über den atomaren Krieg sollten wir nicht die Möglichkeit eines konventionellen vergessen, gerade wir Deutschen nicht; denn wir leben doch an der Grenze. Auch der konventionelle Krieg wäre in unserem dicht besiedelten und, was den Zivilschutz angeht, darauf in gar keiner Weise vorbereiteten Land schrecklich. Es gilt daher, nicht nur den atomaren Krieg zu verhindern, es gilt, jeden Krieg in Europa zu verhindern.
({44})
Ich bin den deutschen Bischöfen dankbar, daß sie in ihrer Denkschrift gerade auf diesen Punkt immer wieder hingewiesen haben.
Leider ist der Westen bis heute außerstande, der großen konventionellen Macht der Sowjetunion in Europa rein konventionell zu begegnen. Wegen der außerordentlichen konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion kann die NATO auf eine atomare Eskalationsdrohung dieser konventionellen Übermacht gegenüber leider nicht verzichten. Wir müßten viel mehr Geld für die Verteidigung ausgeben
({45})
und wir müßten viel mehr Truppenverbände aufstellen, wenn wir das ändern wollten. Sie müssen sich fragen, meine Damen und Herren, ob Sie dafür das Geld bereitstellen wollen.
({46})
Die atomare Eskalationsdrohung der NATO ist jedoch nur glaubwürdig, wenn die NATO gegenüber der Sowjetunion nicht auch noch im Kurzstrecken- und Mittelstreckenbereich deutlich unterlegen ist. Leider ist das zur Zeit der Fall. Das macht sowjetische Abrüstung oder westliche Nachrüstung so außerordentlich dringlich.
Zweite Zusatzbemerkung. Von einem nuklearen Rückzug der USA aus Europa wären Franzosen und Briten weniger betroffen als wir Deutschen; denn Franzosen und Briten verfügen - anders als wir - über nationale Atomstreitkräfte. Im Vergleich zu denen der Sowjetunion sind diese zwar so schwach, daß sie kein Gegengewicht gegen diese Weltmacht Sowjetunion bilden könnten;
({47})
aber wenn sie auch keine Offensivdrohung gegen die Sowjetunion richten können: Ihr Vorhandensein signalisiert einem möglichen Angreifer die Auslösung der atomaren Apokalypse, falls die nationalen Sanktuarien in Frankreich und in Großbritannien selbst einem existenzbedrohenden Angriff ausgesetzt würden. Wer sich an die Rede des sozialistischen Präsidenten Frankreichs hier im Bundestag erinnert, wird mir zustimmen, daß ich es richtig schildere, wie die Franzosen es sehen.
({48})
Vierte und letzte These: Keine der beiden Weltmächte ist politisch in der Lage, die andere totzurüsten. Zwar ist die Wirtschaftskraft der USA größer als die der Sowjetunion; die des Westens insgesamt ist sehr viel größer. Dafür ist aber die Bereitschaft des Westens, seinen Lebensstandard zugunsten von Rüstungsanstrengungen zu verringern, ungleich geringer. Rüstung ist der einzige Bereich, indem totalitäre Staaten mit freien Staaten mithalten können und bei annähernd gleicher Größenordnung sogar ein Übergewicht gewinnen können;
({49})
denn totalitäre Staaten können das letzte aus ihren Menschen herauspressen, wir können das Gott sei Dank nicht.
({50})
Ein zweiter Punkt. Jede Rüstungspolitik, die den Gegner nicht nur abschrecken, sondern überwinden will, jede Strategie, die nicht defensiv den Frieden, sondern offensiv den Sieg erstrebt, ist im atomaren Raketenzeitalter ein gemeingefährliches Verbrechen, das sich gegen die Menschheit richtet.
({51})
Bei der Kompliziertheit der Materie und der Gefährlichkeit des Gegenstands kann man die Frage aufwerfen, ob die Initiatoren des NATO-Doppelbeschlusses die demokratische Öffentlichkeit ihrer Länder nicht überfordert haben.
({52})
Das gilt um so mehr, als die westliche Öffentlichkeit über die gefährlichen Folgen der sowjetischen Überrüstung, die nun seit einem Jahrzehnt anhält, für die westliche Sicherheit nie umfassend und eindringlich unterrichtet worden ist. Sicherlich wäre es im Sinne unserer Gleichgewichts- und Abrüstungspolitik erfolgreicher gewesen, der „Modernisierung" des sowjetischen Potentials durch die SS 20 statt mit dem NATO-Doppelbeschluß mit einer sofortigen Nachrüstung des westlichen Potentials zu begegnen
({53})
und das mit einem Verhandlungsangebot zu verbinden. Wahrscheinlich wäre bei einer Gleichheit der Ausgangslage für beide Seiten ein Abkommen zur Rüstungsbegrenzung längst zustande gekommen.
({54})
- Hören Sie doch mal zu, Herr Duve. Ich versuche, im Zusammenhang und systematisch einen Gedanken darzulegen, den Sie nachher ja ablehnen können. Aber ich wäre doch dankbar, wenn Sie ihn anhörten.
Die Gleichheit der Ausgangslage war aber nicht gegeben. Als die sowjetische Mittelstreckenbedrohung erkannt wurde und als daraufhin die Europäer, vor allem Bundeskanzler Helmut Schmidt, die Amerikaner aufforderten, auf diese neue Bedrohung Europas zu reagieren, waren die Amerikaner zur sofortigen Nachrüstung gar nicht in der Lage.
Sie waren nicht darauf vorbereitet. Sie hatten Gegenwaffen zur SS 20 gar nicht entwickelt,
({55})
weder Marschflugkörper noch Pershing 2. Der NATO-Doppelbeschluß wurde am 12. Dezember 1979 gefaßt.
({56})
Herr Kollege, ich rufe Sie zur Ordnung.
({0})
- Herr Kollege Reents, wenn Sie das wiederholen, gibt es einen dritten Ordnungsruf, und dann muß ich Sie für diesen Tag von der Sitzung ausschließen.
({1})
Der NATO-Doppelbeschluß wurde am 12. Dezember 1979 gefaßt. Bis die Amerikaner im Herbst dieses Jahres erstmals in der Lage sein werden, Gegenwaffen zur SS 20 zu produzieren - zur Zeit experimentieren sie j a noch - und in Europa zu stationieren, werden demnach vier Jahre vergangen sein. Das ist übrigens ein wesentlicher Hinweis zu der Frage, wer eigentlich für diesen neuen Rüstungswettlauf, wie viele sagen - was falsch ist, weil der Westen ja nur nachläuft -, verantwortlich ist.
({0})
Das Nachhinken des Westens in der Entwicklung von Mittelstreckenwaffen erklärt den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung. Zunächst lehnte die Sowjetunion das Verhandlungsangebot des Westens kaltschnäuzig ab. Sie verlangte vom Westen bereits vor Verhandlungsbeginn, bedingungslos auf den Aufbau einer Gegenmacht zur SS-20-Bedrohung zu verzichten. Als das nicht wirkte, ging die Sowjetunion zwar auf Raketenverhandlungen in Genf ein, aber sie beschleunigte ihr Rüstungstempo.
Bei der Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlusses im Jahre 1979 verfügte sie über zirka 100 SS-20-Raketen mit 300 Sprengköpfen. Heute verfügt sie über 351 einsatzbereite SS-20-Raketen mit 1 053 Sprengköpfen.
({1})
Das ist mehr als das Dreifache. Jede Abschußrampe ist mindestens einmal nachladefähig, so daß sich diese Zahlen noch einmal verdoppeln.
Meine Damen und Herren, seit dem NATO-Doppelbeschluß 1979 wurde in Genf verhandelt, in der Sowjetunion gerüstet und im Westen diskutiert,
({2})
das letztere unter einem Trommelfeuer sowjetischer Propaganda, Angstmache und Desinformation.
Inzwischen marschieren sogenannte Friedensbewegungen und Ostermarschierer, natürlich nur im Westen.
({3})
- Frau Kelly, gehen Sie einmal nach Moskau.
Immer mehr Menschen sehen nicht in den sowjetischen Raketen, die sich ständig vermehren - auch jetzt noch - und die die Europäer, insbesondere die Deutschen, auf das Schwerste bedrohen, die Gefahr für den Frieden, sondern in den noch nicht vorhandenen und nur für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen in Genf geplanten amerikanischen Raketen.
Die SPD-Herren Eppler und Lafontaine setzen dieser Verwirrung die Krone auf. Sie werfen den Amerikanern vor, mit den geplanten 108 Pershing2-Gefechtsköpfen eine Waffe zur - ich zitiere - Enthauptung der politischen und militärischen Machtstruktur der Sowjetunion zu installieren, was bei 108 Pershing-2-Gefechtsköpfen schon rein militärisch eine absurde Vorstellung ist. Gleichzeitig unterschlagen sie, was schlimmer ist, die Tatsache, daß die gefechtsbereiten 1 053 SS-20-Sprengköpfe, die sich noch ständig vermehren, präzis diese Drohung gegen Europa richten. Warum verschweigen das diese Sicherheitspolitiker, um nicht zu sagen: Unsicherheitspolitiker, meine Damen und Herren? Sind sie der Meinung, daß das Sicherheitsbedürfnis der Menschen in der Sowjetunion legitimer sei als das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen hier bei uns und das der Westeuropäer?
({4})
Im übrigen hat die Pershing 2 eine Reichweite von nur 1 800 km, die SS 20 hat mit 4 500 km die dreifache Reichweite. Der Pershing-2-Gefechtskopf hat eine Sprengkraft von 20 Kilotonnen. Der SS-20Sprengkopf hat mit 150 Kilotonnen - und das dreimal - die siebenfache Sprengkraft.
({5})
Die geplante westliche Nachrüstung würde bei ihrer Verwirklichung zwar das sowjetische Monopol an modernen Mittelstreckenwaffen beenden, aber die Überlegenheit der Sowjetunion bestehen lassen.
Ein Wort an diejenigen, die sich bei ihrer einseitigen, die deutschen und europäischen Sicherheitsbedürfnisse völlig ignorierenden Argumentation auf das Evangelium berufen.
({6})
Als Christen sind wir verpflichtet, den Nächsten zu lieben wie uns selbst.
({7})
Wir wollen von dieser Liebespflicht die Sowjetmenschen gewiß nicht ausnehmen; aber unsere deutschen Mitbürger sind doch auch unsere Nächsten.
({8})
Nächstenliebe heißt doch nicht Selbsthaß. Es ist daher keineswegs unchristlich, wenn wir den Verzicht auf die Pershing 2 davon abhängig machen, daß die Sowjetunion auf die SS 20 verzichtet.
({9})
Auf Grund all dieser Überlegungen möchte ich mit Nachdruck erklären: Die Regierung und die Mehrheit dieses Hauses, soeben von den Wählern eindrucksvoll bestätigt, sind fest entschlossen, den Frieden unseres Landes und die Freiheit unseres Volkes zu bewahren und zu sichern. Wir sind nicht bereit, ein sowjetisches Sicherheitsbedürfnis zu akzeptieren, das auf der totalen Unsicherheit der freien Länder Europas aufbaut. Wenn die Sowjetunion keine Pershing 2 will, muß sie die SS 20 wegnehmen.
({10})
Auf ein annäherndes Gleichgewicht können und werden wir nicht verzichten.
({11})
Herr Kollege, ich bitte Sie, das Rednerpult zu verlassen.
Wir sind darin mit den Freien Demokraten völlig einig.
Wie wird sich die Sozialdemokratie verhalten? Ihr Bild ist zur Zeit unklar und wird immer diffuser. Die Sowjetunion hat die Hoffnung auf westliche Schwäche und Uneinigkeit immer noch nicht aufgegeben. Das gefährdet den Erfolg der Genfer Abrüstungsverhandlungen. Ich appelliere daher an Ihre Adresse, Herr Kollege Vogel, die gemeinsame Position der westlichen Demokratien nicht zu verlassen. Ich erinnere Sie an die Rede, die der sozialistische Staatspräsident Frankreichs, Mitterrand, am 20. Januar in diesem Hause gehalten hat. Ich erinnere Sie an die Haltung des sozialistischen Premierministers von Spanien, die er soeben in Bonn bekundet hat. Ich erinnere Sie daran, daß der NATO-Doppelbeschluß nicht zuletzt auf die Initiative Ihres Fraktionskollegen und stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Helmut Schmidt zurückgeht.
Wir, meine Damen und Herren, haben als Opposition die Sicherheitspolitik der sozialliberalen Koalition immer mit Nachdruck unterstützt.
({0})
Es ist nicht unbillig, meine ich, nunmehr von Ihnen das gleiche zu erwarten, zumal wir nichts anderes tun, als die Sicherheitspolitik fortzusetzen, die Ihre Regierung begründet hat.
({1})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Verhinderung des Krieges durch militärisches Gleichgewicht sollte nicht die einzige Perspektive der westöstlichen, insbesondere der deutsch-sowjetischen Beziehungen sein. Wir jedenfalls wollen alles tun, um unsere Beziehungen zur Sowjetunion auf eine bessere Grundlage zu stellen. Wir begrüßen die Einladung des sowjetischen Generalsekretärs an den deutschen Bundeskanzler.
({2})
Wir würden es begrüßen, wenn zu einem geeigneten Zeitpunkt und nach sorgfältiger Vorbereitung auch ein Treffen des amerikanischen Präsidenten und des sowjetischen Generalsekretärs zustande käme. Diese Gespräche sollten nicht nur das militärische Gleichgewicht und den Alltag unserer Beziehungen zum Gegenstand haben, es sollten auch die Zukunftsperspektiven einer europäischen Friedensordnung erörtert werden.
({3})
Für diese Friedensordnung tragen nach wie vor die Sieger des Zweiten Weltkrieges, insbesondere die USA und die Sowjetunion, eine besondere, eine gemeinsame Verantwortung. Sie haben gemeinsam Hitler-Deutschland besiegt, Frieden jedoch haben sie Europa bis heute, 38 Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, noch nicht gebracht. Wer die Zonengrenze zwischen West- und Mitteldeutschland betrachtet,
({4})
kann diese blutige und angsterzeugende Grenze mitten durch Deutschland nicht als Zeichen des Friedens bezeichnen.
({5})
Wer die Teilung der deutschen Hauptstadt durch Mauer, Stacheldraht, Minen und Schießbefehl erlebt, kann diesen völlig anomalen Zustand nicht als Frieden bezeichnen.
({6})
Wer sich erinnert, welche Mittel eingesetzt werden mußten, um das Aufbegehren der Menschen in der DDR, in Ungarn und der Tschechoslowakei zu unterdrücken, und welche Mittel jetzt eingesetzt werden, um ein entsprechendes Aufbegehren in Polen zu verhindern, der kann diesen Zustand nicht als Frieden bezeichnen. Bei all diesen Akten der Gewalt handelt es sich um die Verletzung elementarer Menschenrechte. Gewalt zur Unterdrückung der Völker sichert nicht den Frieden, sie gefährdet ihn; denn Friede ist das Werk der Gerechtigkeit und nicht der Unterdrückung.
({7})
Wir Europäer, wir Polen, wir Tschechen, wir Slowaken, wir Ungarn und wir Deutsche, brauchen eine Friedensordnung, die unsere Menschenrechte und unser Selbstbestimmungsrecht garantiert. Je größer die Rüstungs- und Vernichtungskapazitäten werden, desto wichtiger wird eine solche Friedens270
ordnung, desto notwendiger wird es, sie im Einvernehmen mit allen Beteiligten zu schaffen.
({8})
Mir ist klar, daß Friedensverträge nicht am Anfang der Entwicklung zu einer solchen Friedensordnung in Europa stehen werden. Begonnen werden muß mit der Abrüstung auf der Grundlage des Gleichgewichts auf möglichst niedrigem Waffenniveau. Das wiederum setzt mehr Vertrauen zueinander voraus. Dieses Vertrauen kann nur wachsen, wenn keine Seite darauf besteht, ihr System mit militärischem Druck über die Welt zu verbreiten.
({9})
Die Weltrevolution unter sowjetischer Führung anzustreben - was ja nichts anderes heißt, als die Weltherrschaft anzustreben ({10})
ist im Raketenzeitalter zu gefährlich, auch für die Sowjetunion zu gefährlich. Die Sowjets sollten daher darauf verzichten, mit Machtpolitik erreichen zu wollen, was sie mit Zustimmung der Völker nicht erreichen können.
({11})
Die Amerikaner haben längst erkannt, daß ihr way of life Ausdruck einer besonderen Zivilisation ist und daher nicht unterschiedslos auf alle Völker und Kulturen übertragen werden kann.
({12})
Vor allem wissen die Amerikaner, daß Gewalt ein völlig ungeeignetes Mittel ist,
({13})
um für diesen Weg zu werben.
Im Atomzeitalter gefährdet Imperialismus jeder Art das Überleben der Menschheit. Auch die Weltmächte müssen daher heute mehr als früher Zurückhaltung üben - auch im eigenen Interesse. Sie müssen auf Herrschaft über andere Völker verzichten.
({14})
Sie müssen die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der Menschen und Völker respektieren.
({15})
Die nur auf diese Weise erzielbare Verringerung des politischen Konfliktpotentials ist im Raketenzeitalter zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Diese Tatsache, nicht nationale oder historische Ansprüche, gibt dem Begehren nach Selbstbestimmung nicht nur für uns Deutsche, sondern für alle Völker seine hohe moralische Qualität - das aber nur, wenn dieses Begehren mit einem absoluten Gewaltverzicht verknüpft ist.
({16})
Ist eine solche Friedensordnung erreichbar? Wir Europäer neigen wie die Amerikaner dazu, ein politisches Ziel weniger nach seiner Berechtigung als nach der Chance seiner möglichst sofortigen Verwirklichung zu beurteilen. Im Zustand relativer Machtlosigkeit, dem sich Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt sieht, ist das ein falscher Maßstab, meine Damen und Herren, ein Maßstab, der zu Resignation und Perspektivlosigkeit führen muß. Die Waffen der Schwächeren - und das sind wir - sind aber nicht Perspektivlosigkeit und Resignation, sondern Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit und langer Atem.
Eine europäische Friedensordnung, die auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht und die berechtigten Sicherheitsinteressen auch der beiden Weltmächte einschließt, ist die einzige Alternative zur Teilung des Kontinents, zu blutenden Grenzen, zum Aufbegehren unterdrückter Völker und zu sich gegenseitig in Schach haltenden Raketenmassen. Ich meine, diese Alternative ist Anlaß genug, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken,
({17})
der es nicht nur den Deutschen, sondern allen europäischen Völkern erlaubt, ihr Recht auf Selbstbestimmung zu verwirklichen. Deshalb kämpfen wir für das Recht auf nationale Selbstbestimmung aller Völker und für das Ende der Teilung Europas, wie es der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung treffend formuliert hat.
({18})
Nicht das Gleichgewicht des Schreckens, sondern eine auf den Menschenrechten beruhende und auf niedrigstem Waffenniveau gesicherte Friedensordnung sollte die Zukunftsperspektive für künftige Ost-West-Beziehungen sein. Nur eine Perspektive, die den Menschen die Angst nimmt, die Angst vor totalitärer Unterdrückung und die Angst vor atomarer Vernichtung, entspricht den Erfordernissen des Atomzeitalters.
({19})
Eine solche Friedensordnung zu schaffen ist gewiß eine gewaltige Aufgabe. Aber sie allein hält uns die Zukunft offen. Alle, die Einfluß haben, und alle, die sich selbst und der Menschheit den atomaren Holocaust ersparen möchten, sollten sich daran beteiligen.
({20})
Das Wort hat der Kollege Brandt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Redner der CDU und CSU, so auch mein Vorredner, der Kollege Dregger, wollen in diesen Wochen den Eindruck vermitteln oder haben sich selbst in die Vorstellung hineingelebt, hinter uns liege eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, jene schrecklichen 70er Jahre, die nun endlich überwunden seien. Das klang j a eben deutlich an, als der Kollege Dregger
die ersten beiden Jahrzehnte dieser Bundesrepublik beschwor.
Ich bin sicher, daß diese Geschichtsklitterung nicht Bestand haben wird.
({0})
Denn, meine verehrten Kollegen, die Menschen erinnern sich oder werden sich wieder erinnern, daß es ihnen - obwohl dies nicht das einzige Kriterium ist - j a nicht so schlecht gegangen ist in den 70er Jahren, sicher nicht schlechter als in den Jahren zuvor. Die Menschen erinnern sich oder werden sich erinnern, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht schlechter dastand, sondern besser dastand als zuvor in ihrem Verhältnis zu Europa und zur Welt.
({1})
Die Menschen erinnern sich und werden sich daran erinnern, daß wir reformpolitisch und friedenspolitisch, auch deutschlandpolitisch einiges, wie ich immer noch glaube, Wichtiges, auf den Weg gebracht haben, wobei aus meiner Sicht freilich zu bedauern bleibt, daß uns dies auf allen drei Gebieten, die ich nannte, nicht noch konsequenter und weitertragend gelungen ist.
Wenn ich „uns" sage, meine ich, auf die erfolgreichen Jahre bezogen, beide Partner der sozialliberalen Koalition. Es ist Sache der FDP, wieweit sie heute verdammen läßt, woran sie gestern mitgearbeitet hat.
({2})
Der Bundeskanzler hat am Mittwoch seine Regierungserklärung mit einer - ich muß es so hart sagen - geschichtsklitternden Bemerkung eingeleitet,
({3})
indem er den Sozialdemokraten erneut die Folgen der weltwirtschaftlichen Verwerfungen anlasten wollte. Auch kann, Herr Bundeskanzler, keine Rede davon sein, daß das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates erschüttert gewesen sei oder daß die Bundesrepublik bündnispolitisch ins Zwielicht geraten sei. Dies können Sie so nicht stehenlassen.
({4})
Ich sage auch: Mit solchen Bemerkungen mehrt man nicht den Nutzen unseres Volkes, sondern fördert man überflüssige Zerstrittenheit. Aber Herr Kohl, der Bundeskanzler, hat wohl nur feststellen wollen, daß nun seines Erachtens alles wieder so ziemlich in Ordnung sei, die Wirtschaft habe Mut gefaßt, die Menschen zeigten Vertrauen, und außenpolitisch stünden wir nun auch wieder auf der rechten Seite, nämlich auf der Seite unserer Freunde und Partner, als ob das jemals die Frage gewesen wäre.
({5})
Nein, verehrter Herr Bundeskanzler, so einfach, wie Ihnen manchmal die Worte über die Lippen kommen, sind die Dinge leider nicht. Es wäre ja schön, wenn der gute Wille allein, den Ihnen niemand oder kaum jemand absprechen wird, Berge versetzen könnte; aber die Erfahrung zeigt, daß das nicht reicht. Die Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben, Massenarbeitslosigkeit, wahnwitziger Rüstungswettlauf, tiefe Gefährdung der natürlichen Existenzgrundlagen, um nur einige der wichtigsten Herausforderungen zu nennen, sind sehr viel ernsthafterer Natur, als daß sie sich hinwegreden ließen.
Nun habe ich gewiß nichts gegen einen gehörigen Schuß Optimismus; aber so sicher wäre ich, verehrte Kollegen von der Mehrheit, an Ihrer Stelle nicht, daß die Themen, über die wir in diesen Tagen streiten, Ihre Regierung nicht überdauern könnten.
Das gilt gerade auch für die wirtschaftlichen Probleme, die uns alle bedrücken, Sie wissen doch so gut wie wir, daß auch eine wirtschaftliche Erholung, wenn sie denn eintritt, bei den Amerikanern, bei uns und im Zusammenwirken zwischen Europa und Amerika, die Zahl der Arbeitslosen nicht entscheidend herunterdrücken würde. Dennoch - das leuchtet mir nach dieser Debatte immer noch nicht ein - predigen Sie den Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung
({6})
auf diesem für viele Millionen Menschen entscheidenden Gebiet. Das ist schon eigentümlich. Sie legen doch sonst so großen Wert auf wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand, von dem man nicht sagen kann, daß er durchweg durch sozialdemokratisches oder gewerkschaftliches Gedankengut belastet sei. Aber heute, wo die Gutachten, Herr Kollege Dregger, im Ergebnis darin übereinstimmen, daß sich die Lage am Arbeitsmarkt zum Jahresende eher noch verschlechtern wird, scheinen viele von Ihnen wegzuhören. Da hilft eben - es tut mir leid, dies sagen zu müssen, Herr Kollege Dregger -, was das entscheidende Thema von Millionen Arbeitslosen angeht, Ihre erneute Berufung auf eine veraltete Wachstumsphilosophie allein nicht weiter.
({7})
Da bei ist unüberhörbar und unübersehbar, daß ohne zusätzliche Maßnahmen - nämlich zusätzliche Maßnahmen zu den auch von uns hoch eingeschätzten Kräften des Marktes, also Initiativen der öffentlichen Hände -, daß ohne zusätzliche Maßnahmen weder das Ausbildungsplatzelend der jungen Generation - ich habe hier nichts gehört, was mich in der Überzeugung hinausgehen ließe, das wird nun in Ordnung gebracht - noch die Massenarbeitslosigkeit überhaupt wirksam zu bekämpfen sein werden.
Meine verehrten Kollegen, wenn ich Herrn Späth, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, im „Spiegel" richtig gelesen habe, dann sieht er das ähnlich, nicht so, wie es hier heute vormittag erneut vorgetragen worden ist.
Herr Kollege Dregger, wenn Sie uns heute früh noch einmal den Fixpunkt „Schulden" vorgeführt haben, dann sage ich Ihnen: Nichts führt ja davon weg, daß Sie anders als im Wahlkampf dafür eintreten, erst einmal die Schulden weiter heraufsetzen, sie also in Wirklichkeit nicht zurückführen. Und schauen Sie sich an, Herr Kollege Dregger, was dort geschieht, wo Sie neben Ihrer Arbeit hier im Bundestag im besonderen Maße Verantwortung getragen haben und wohl immer noch mit tragen: dann sagen Sie doch mal den hessischen Bürgern, nachdem Sie Holger Börner, der gestern gesprochen hat, angegriffen haben, wer anders als Oberbürgermeister Wallmann in Frankfurt verantwortlich für die Schuldenpyramide jener Stadt ist,
({8})
nachdem dessen Amtsvorgänger ihm konsolidierte Finanzen überlassen hat.
({9})
Sie, Herr Bundeskanzler, begeben sich auf den gefährlichen Weg, eine Barriere aus ideologischen Ressentiments gegen den Staat aufzubauen. Sie laufen damit Gefahr, Möglichkeiten zu beschädigen, ohne die moderne Wirtschaftspolitik nicht mehr funktionieren kann. In einer Zeit gravierender struktureller Verwerfungen - von Kohle und Stahl, von Werften bis Textil - ist das mehr als kurzsichtig, ganz abgesehen davon, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren, daß sich dies auch im Widerspruch befände zu dem Auftrag, den uns Art. 20 des Grundgesetzes auferlegt hat.
({10})
Dort ist nämlich 1949 nicht beschrieben worden, was der demokratische und soziale Bundesstaat zu sein habe, sondern da steht, daß wir an ihm zu arbeiten haben, unablässig, permanent, unter sich wandelnden Bedingungen.
Es ist merkwürdig: Auf der einen Seite behaupten Sie, Herr Bundeskanzler, daß das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates zur Zeit Ihres Amtsantrittes erschüttert gewesen sei. Heute empfehlen Sie und Ihre Freunde gewissermaßen als Ihr Rezept, der Staat solle sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder überhaupt in der Politik auf den Kern seiner Aufgaben, wie es dann heißt, zurückziehen. Dies wäre meiner festen Überzeugung nach ein gefährlicher, ein verhängnisvoller Irrtum. Zu glauben, staatliche Autorität - wenn man es denn so nennen will - habe heutzutage bloß oder mehr mit der Erhaltung der Ordnung auf unseren Straßen und Plätzen als mit der wirtschaftlichen und sozialen Sicherung unserer Bürger zu tun, wäre ein verhängnisvoller Irrtum!
({11})
Herr Bundeskanzler, Sie müssen es j a selbst spüren: Enttäuschung geht um im Lande nach dem, was von hier am Mittwoch vermittelt worden ist.
({12})
Enttäuschung geht um, weil von der Regierung nichts Konkretes dazu gesagt worden ist, wie die Arbeitslosigkeit abgebaut werden soll,
({13})
Enttäuschung darüber, wie wenig konkret über die Renten gesagt worden ist
({14})
und über die unerläßlichen Grundlagen des Systems der sozialen Sicherungen einschließlich der - wie ich bewußt einmal sagen will: mehr als hektischen - Anpassung an veränderte wirtschaftliche Begebenheiten.
Der Optimismus, den Sie, Herr Bundeskanzler, den Bürgern vermitteln wollen, kann sehr rasch verfliegen. Wer die Menschen mit den großen Lebensrisiken, beispielsweise im Falle von Arbeitslosigkeit und Krankheit, überwiegend wieder alleinläßt, der wird nicht Hoffnung ernten, sondern Angst, und dem helfen dann auch keine Zwangsmittel, an denen der Bundesinnenminister - ich weiß nicht, in welcher Weise er dabei seinen Parteivorsitzenden im Rücken hat - zur Zeit offensichtlich bastelt.
Ich sage Ihnen in allem Ernst: Diejenigen, die ausgrenzen, statt sich der öffentlichen Auseinandersetzung offen zu stellen, die von Mitverantwortung und Mitmenschlichkeit reden, aber nicht von Mitbestimmung und von einer Partnerschaft, die ihren Namen verdient, diejenigen, die Eliten fördern wollen, ohne das Wort „Gerechtigkeit" in den Mund zu nehmen,
({15})
das sind - es tut mir leid - die Rückwärtsgewandten, auch wenn sie auf durchaus sympathische Weise provinziell sein mögen.
Herr Bundeskanzler, der Eindruck ist, daß der gemeinsame Nenner Ihrer Koalition in einer Wirtschafts- und Sozialpolitik bestehen könnte, die zu Lasten der Schwächeren geht und die die Arbeiter und die kleinen Angestellten und die kleinen Beamten ausläßt, wenn von dem gesprochen wird, was die Menschen gewagt haben und wodurch sie geplagt werden.
Gegen diese von mir befürchtete Einseitigkeit, gegen die von uns befürchtete soziale Schlagseite haben Sie, Herr Bundeskanzler, und haben Sie, meine Kollegen von der Koalition, eine entschiedene Opposition verdient, und diese entschiedene Opposition kann ich Ihnen in Übereinstimmung mit meinem Freund Hans-Jochen Vogel versprechen.
({16})
Mein Vorredner, der Kollege Dregger, hat sich ganz überwiegend mit wichtigen Aspekten der Außen- und Sicherheitspolitik befaßt, und ich will ihm auf diesem Wege gern ein Stück folgen. Heute wie in den vergangenen Monaten hat es eine Menge Verzerrung dessen gegeben, was unsere Politik ist und was unserer Meinung nach deutsche Politik sein sollte. Darum haben wir uns erst in der
Großen Koalition von 1966 bis 1969 bemüht, und, als das auf bestimmten Gebieten nicht trug und weil das nicht anders ging, gemeinsam mit den Kollegen der Freien Demokratischen Partei in der Koalition ab Herbst 1969.
Heute wird - und dagegen muß ich mich nach dem, was ich gerade von Herrn Dregger gehört habe, wenden - Entspannungspolitik als etwas nahezu Odiöses, als etwas Schädliches, als etwas den deutschen Interessen Abträgliches hingestellt. Ich sage Ihnen, die Entspannungspolitik, die mitzuentwickeln mir in den 60er und frühen 70er Jahren Gelegenheit gegeben war, wurde - davon ist nichts abzustreichen - durch das Bemühen geprägt, menschliche Erleichterungen zu bewirken, übrigens, Herr Dregger, weil wir durch bittere Erfahrungen hatten lernen müssen - das sitzt bei mir immer noch tief in den Knochen -, daß das Ringen um Menschenrechte im Kalten Krieg nicht gedeihen kann.
({17})
Daß das Bemühen, menschliche Erleichterungen zu bewirken und die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten in Ost und West im Rahmen des Möglichen zu normalisieren, nicht ganz erfolglos blieb, kann vielleicht immer noch jemand ganz gut beurteilen, dessen Aufgabe es gewesen war, mitzuhelfen, daß Berlin durch die Fährnisse des Kalten Krieges gebracht wurde.
Meine Damen und Herren, jetzt einmal über allen Parteienstreit hinweg: Das Bemühen um den Abbau von Spannungen zielte natürlich von Anfang an darauf ab, über die Regelung praktischer Fragen hinaus, auch - ohne uns zu überschätzen - bessere Voraussetzungen für die Sicherung des Friedens zu schaffen. Dieses Bemühen war aber von Anfang an vielfältigen Belastungen ausgesetzt, und inzwischen wehen eisige Winde. Inzwischen gibt es leider auch - und das will ich nicht allein an der Rede des Kollegen Dregger festmachen - mehr als verknöcherte Wiederholungen überholter strategischer Überlegungen.
({18})
Wir sollten uns fragen: Wie kann verhindert werden, daß die Früchte der Entspannungspolitik vollends verkommen? Welche Initiativen sind möglich, um allen Schwierigkeiten zum Trotz mitzuhelfen, daß Konflikte nicht noch verschärft, sondern daß sie, so es geht, entschärft werden? Ziel deutscher Politik muß es sein, notfalls gegen den Strom schwimmend, die Ost-West-Konfrontation so zu verändern, daß das Verhältnis zwischen den Bündnissen den Übergang zu einer gefestigten europäischen Friedensordnung gestattet,
({19})
diesen Übergang gestattet, den Sie postuliert haben, über dessen Vorbedingungen Sie aber meiner Meinung nach nicht hinreichend klar gesprochen haben. Beide Supermächte müßten Teil einer solchen Friedensordnung sein; sie müssen ihren Bestand
garantieren. Zu diesem Zweck bleibt nicht das Abschreiben, sondern die Wiederaufnahme von Entspannungspolitik ohne Alternative. Ohne sie kann eine Zukunft in Sicherheit nicht erreicht werden.
({20})
Dabei bleiben natürlich, wie im Harmel-Bericht von 1967 und in der sich darauf aufbauenden Politik festgestellt wurde - ich war am Harmel-Bericht unmittelbar beteiligt, und mein damaliger Staatssekretär Klaus Schütz hat den Bericht mit geschrieben - Entspannung und Verteidigung die beiden Pfeiler der gemeinsamen Politik. Und ich sage Ihnen: Das westliche Verteidigungsbündnis würde an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen, wenn es nicht bei der Konzeption bliebe, daß Verteidigung und Verhandlungen zusammengehören.
({21})
Diese Verbindung, keine andere, entspricht den Werten des Westens und garantiert ihren Bestand.
Und zu diesen Werten gehören nicht von ungefähr die feste Bindung an das System der repräsentativen Demokratie, Augenmaß und Vernunft als öffentlich geförderte Grundeigenschaften, die Unbeirrbarkeit darin, den Menschen über jedes Dogma zu stellen, der Verzicht auf das Ausgrenzen von Andersdenkenden, von Minderheiten,
({22})
der geistige Pluralismus und die tatsächliche Vielfalt, der Kampf gegen Hysterie und Massenwahn. Im Sinn des Harmel-Berichts und der auf ihn gegründeten Politik ist jedes Streben nach Überlegenheit, zumal da keine anwendbare Überlegenheit mehr zu erzielen ist, und der Versuch, sie zu erreichen, nur die Fortsetzung eines destabilisierenden Rüstungswettlaufs bedeuten würde, abzulehnen.
({23})
Die Zukunft gehört gewiß, Herr Kollege Dregger, einer europäischen Friedensordnung. Aber sie gehört jetzt erst mal einer Sicherheitspartnerschaft.
({24})
Gegen sie war in den letzten Wochen sehr viel polemisiert worden. Und bei aller Bekundung von Kontinuität, was j a im Verständnis unserer Bürger wohl Beständigkeit bedeuten soll, ist der furchtbare Gedanke der Sicherheitspartnerschaft fallengelassen worden. Ich habe ihn nicht in der Regierungserklärung und nicht in den Darlegungen meines Vorredners gefunden. Das wirft eine Reihe von Fragen auf. Und diesen Fragen möchte ich mich zuwenden.
Haben wir es, so muß ich nach dem, was in diesen Tagen gesprochen wurde, fragen dürfen, mit einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik zu tun oder nicht? Das ist nämlich die Frage nach der Kontinuität. Und das ist die Frage nach der Berechenbarkeit unseres Landes für unsere Freunde und Partner. Und nach der Debatte über die Regierungserklärung - das muß ich ganz offen sagen, damit wir uns nicht gegenseitig in die Ta274
sche lügen - ist diese Frage noch nicht zu beantworten.
({25})
Sie ist zumal nach der Rede des Kollegen Dregger heute früh nicht zu beantworten.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Es ist natürlich nicht so, daß eine neue Regierung zur Kontinuität verpflichtet sei. Bloß, da muß ich sagen: Eine neue Regierung hat natürlich das Recht, jede Änderung vorzunehmen, die ihr richtig erscheint. Aber wir haben es damit zu tun, daß die neue Regierung unter dem Begriff der Kontinuität und Berechenbarkeit angetreten ist. Und an ihrem Willen zur Kontinuität, nicht nur an ihrem Reden darüber, wird sie sich in der Praxis messen lassen müssen.
({26})
Übrigens, eine so schlechte Erblast kann die Außenpolitik der sozialliberalen Koalition wohl nicht gewesen sein, wenn man sie fortsetzen wollte - jedenfalls verbal ({27})
oder zumindest den Eindruck vermitteln wollte, sie fortsetzen zu wollen.
Seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres kann man mindestens in drei Punkten von einem Bruch der Kontinuität sprechen. Diese Debatte soll aus unserer Sicht nicht zu Ende gehen, ohne daß von diesen drei Punkten die Rede ist.
Erstens - das hat einen Zusammenhang mit dem, was ich vor fünf Minuten gesagt habe -: Dies ist die erste Regierungserklärung am Anfang einer Legislaturperiode seit 1969, in der das Wort „Entspannung" nicht mehr vorkommt.
({28})
Wir haben in diesem Haus über Inhalt und Methodik der Entpannungspolitik gestritten. Wir haben später die Variante von der notwendigen realistischen Entspannungspolitik gehört. Dabei ist für viele von uns die Erklärung des Bundesaußenministers im vorigen Jahr in diesem Haus, die wichtig war und bleibt, unvergessen, daß sich alle Regierungen der sozialliberalen Koalition stets um realistische Entspannungspolitik bemüht hätten. Aber nun ist der Begriff eliminiert. Er kommt nicht mehr vor. Er ist in den Orkus geworfen. Das kann kein Zufall sein. Jedenfalls ist es keine Kontinuität.
({29})
Zweitens. Herr Bundeskanzler, Ihr Vorgänger im Amt hat das Konzept der Sicherheitspartnerschaft mehrfach vor dem Deutschen Bundestag betont und entwickelt. Er hat es im Namen der Bundesrepublik Deutschland vor den Vereinten Nationen vertreten. Die damalige Opposition hat - ich weiß es wohl - dieses Konzept abgelehnt.
({30})
Das war Ihr gutes Recht, Herr Kollege. Es kommt
insoweit logischerweise in der Regierungserklärung nicht vor. Auch das ist Ihr gutes Recht. Aber Kontinuität ist das nicht.
({31})
Drittens. Helmut Schmidt hat immer wieder von der Notwendigkeit gesprochen, daß deutsche Politik beide Verhandlungspartner in Genf, den großen Verbündeten und den anderen großen Partner der Weltpolitik - die wir ja nicht auf eine Stufe stellen, die aber beide ihr Gewicht haben, auch im Verhältnis zu uns -, drängen muß, zu einem Ergebnis zu kommen, bevor über die Stationierung entschieden werden könnte. Wir müssen drängen, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, weil man nicht von wirklichen Verhandlungen sprechen kann, wenn beide Seiten in Genf ihre Maximalpositionen behalten oder nur geringfügig modifizieren. Ich sage Ihnen - viele von Ihnen wissen das so gut wie wir -: Nur wenn beide von ihren Maximalpositionen abrücken, kann es zu einem annehmbaren Ergebnis kommen.
({32})
Das ist übrigens auch der Grund, warum die SPD immer wieder unterstrichen hat: Einen Automatismus kann es nicht geben, darf es nicht geben, nicht einmal nach Wortlaut und Geist des Beschlusses vom Dezember 1979. Wir wollen, was uns Sozialdemokraten angeht, im Herbst nach dem dann vorliegenden Verhandlungsstand unseren Rat geben, unsere Entscheidung treffen. Das war und ist nach unserer Meinung nicht nur logisch und richtig, sondern die einzige praktische Möglichkeit, beide Seiten zu beeinflussen, den großen Verbündeten und die anderen.
({33})
Daß im Herbst eine Entscheidung des Bündnisses fällig ist, ergibt sich übrigens, wie gesagt, auch aus dem letzten Satz des NATO-Doppelbeschlusses, jenem letzten Satz, der die etwaige Höhe der möglichen Stationierung - bis hinunter zu Null, muß doch die Logik sein - von Verlauf und Resultat der Verhandlungen abhängig macht.
Die gegenwärtige Bundesregierung hat schon vor dem 6. März 1983 - aber auch jetzt wieder - erklärt, daß sie aufstellt oder aufstellen lassen wird, wenn die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis kommen. Sie hat damit - das muß ich zugeben - den Druck auf die Sowjetunion erhalten. Das kritisieren wir nicht; wir tun es, so wir können, auch. Aber sie hat den Druck auf die verbündeten Vereinigten Staaten, die andere Weltmacht, genommen und kritisiert die SPD, daß sie ihren freundschaftlichen, aber harten Druck auch auf die Vereinigten Staaten aufrechterhält.
({34})
Nun kann sich die Bundesregierung zu diesem Verhalten der SPD wiederum einstellen, wie sie will. Das ist ihr gutes Recht. Aber sie ist damit jedenfalls nicht in der Kontinuität zur Regierung Helmut Schmidts.
({35})
Sie werden sich nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn der Vorsitzende der SPD zu diesen drei wichtigen Punkten unsere Position noch ein wenig erläutert. Sie werden feststellen, diese SPD bleibt in ihrer Kontinuität, verläßlich und berechenbar.
({36})
Die Politik der Entspannung ist für uns keine taktische Frage, auch keine Modeangelegenheit. Diese schwierige Politik des Abbaus von Spannungen ergibt sich aus dem Zwang zur Koexistenz. Wir haben sie zusammen mit unserem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, verfolgt; übrigens mit einer republikanischen Regierung der Vereinigten Staaten. Wir halten sie auch heute noch für richtig und bringen nicht die Beflissenheit auf, unsere Meinung zu ändern, weil eine amerikanische Regierung heute eine andere Politik verfolgt. Wir bleiben wie viele in Amerika bei dem, was wir durch die Entwicklung der letzten Jahre für nicht widerlegt halten. Wir halten die Politik einer Rückkehr zur Konfrontation für nicht im europäischen und für nicht im deutschen Interesse liegend.
({37})
Wir berufen uns dabei auf die Erfahrung, die unser Volk in der ganzen Zeit des Kalten Krieges hat machen müssen. Der ideologische Ringkampf, die Propagandaschlachten, die gebetsmühlenhaften Beschwörungen unserer Rechte, Ansprüche und Forderungen und die damit verbundenen Entrüstungen - all das hat nicht verhindert, daß die Teilung Deutschlands über Jahre immer tiefer wurde,
({38})
daß die Mauer gebaut wurde und daß es die Menschen in beiden Teilen Deutschlands in ihrem Verhältnis zueinander immer schwerer hatten und die Gefahr bestand, daß die Nation Schaden leiden würde, weil sie in ihrer Substanz, in der Substanz des Zusammenkommen-Könnens geschädigt wurde.
Auf den Trümmern - ich muß es so hart sagen - der enttäuschten Hoffnungen jener Deutschland- und Ostpolitik, die die CDU/CSU zu verantworten hatte, hat die sozialliberale Koalition beginnen müssen. Sie hat - wenn ich das auch nicht übertreiben will - die Erfolge erreicht, die die Unionsparteien immer bekämpft haben. Das wissen wir j a miteinander, wenn ich auch fairerweise zugeben muß, daß nicht alle Kollegen der Union dies gleichermaßen und gleichermaßen andauernd getan haben. Es ist ein meilenweiter Abstand zwischen dem, was Richard von Weizsäcker dazu sagt, und dem, was die Sekretäre des CSU-Vorsitzenden in Bayern hierzu sagen.
({39})
Aber Herr Strauß bleibt sich insofern treu, wenn er im 14. Jahr nicht fortsetzen will, was er 13 Jahre lang bekämpft hat. Sie werden jedoch bitte von der SPD nicht erwarten, daß sie, weil es ein bißchen schwieriger geworden ist, die Politik der Entspannung verschweigt oder verleugnet. Wir halten sie - ich muß es noch einmal sagen - für genauso notwendig wie in der Vergangenheit, heute sogar mehr
denn je; denn zwischen Ost und West muß der Entspannung gefolgt werden durch Vereinbarungen auf dem Gebiet der Rüstung. Das ist die eigentliche Aufgabe, die vor uns liegt.
({40})
Nun habe ich natürlich genau hingehört - wir alle haben es getan; einige haben es auch noch einmal nachgelesen -, was in der Regierungserklärung steht. Herr Kollege Vogel hat ja am Mittwoch darauf gleich geantwortet. Dort ist von Zusammenarbeit und Verständigung mit den Staaten Osteuropas mit dem Kern des Gewaltverzichts die Rede. - Volle Zustimmung, denn das sind drei Worte für das eine Wort „Entspannung". Wer sich fragt, warum man drei Worte dazu braucht, fand die Erklärung, als der Sprecher der CSU-Landesgruppe am Mittwoch vor dem Deutschen Bundestag fast wörtlich verlas, was in dem Strauß-Papier zur Wende der deutschen Politik aufgeschrieben wurde und was in einer illustrierten Zeitschrift nachzulesen war. Das ist nun wirklich etwas anderes. Es hat, hoffe ich, wirklich nicht Eingang gefunden in die Regierungserklärung, an die wir uns dann halten wollen.
Aber Herr Waigel hat ja, wenn ich es richtig verstanden habe, am Mittwochnachmittag hier nicht für den Koalitionspartner CSU, sondern für die Fraktion der CDU/CSU gesprochen. Wenn man ihn, den Kollegen Waigel, beim Wort nimmt, dann hat er der Bundesregierung aufgegeben, es als oberste Pflicht zu betrachten, aktiv für unser unbestreitbares Recht auf Einheit in dem Sinne einzutreten, daß das Reich in seinen Grenzen von 1937 wiederherzustellen sei und daß die innerdeutsche Grenze nicht als Trennungslinie im Sinne des Völkerrechts gelten könne.
Herr Kollege Dregger, durch solche Berufungen, durch solche gefährliche Neuisolierung der Bundesrepublik kommen Sie und wir dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volks keinen Schritt näher.
({41})
Die stärkste Regierungsfraktion in diesem Hause ist im Sinne von Herr Strauß konsequenter als die Bundesregierung, wenn ich mich an das halte, was Herr Waigel und zum Teil auch Herr Dregger heute vorgetragen haben.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist die Gespaltenheit - um nicht „Doppelzüngigkeit" zu sagen; das würde aber wohl auch nicht gerügt werden -,
({42})
mit der die Regierung über die Notwendigkeit der Rückkehr zum seinerzeitigen Adenauer-Prinzip redet. Darum handelt es sich doch. Machen wir uns doch nichts vor. Dahinter verbirgt sich bei Ihnen ein Konflikt, der nicht ausgetragen ist. Das können
Ihnen andere nicht abnehmen, aber vielleicht können sie dabei ein bißchen helfen.
({43})
Die Auseinandersetzungen und der vielstimmige Koalitionschor gegenüber der DDR sprechen dafür.
Es gibt die andere Möglichkeit, daß die Bundesregierung - wie soll ich sagen? - maßgeschneiderte Nadelstreifen mit Weste trägt, während die Fraktion oder Teile der Fraktion zur Befriedigung ihrer Kontinuität eine bestimmte Art von Freizeitkluft tragen.
({44})
Wenn das ein Spiel mit verteilten Rollen ist, kann das nicht lange gutgehen. Wenn es den Mangel an politischer Geschlossenheit nicht nur der Koalition, sondern auch innerhalb von CDU und CSU signalisiert, dann werden Sie, Herr Bundeskanzler - das bleibt Ihnen gar nicht erspart -, eine Entscheidung herbeiführen müssen,
({45})
sofern Sie die Richtlinien der Politik zu bestimmen entschlossen und in der Lage sind.
Die SPD wird sich jedenfalls erlauben, regelmäBig nachzufragen,
(
Sehr gut! - Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Sehr schön!)
wieweit die Forderungen erfüllt sind, die der erste Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in der Debatte über die Regierungserklärung am Mittwoch an die Regierung gestellt hat - einschließlich der wünschenswerten Vorstellungen über einen friktionsfreien Transitverkehr, Herr Bundeskanzler. Wir werden fragen - immer einmal wieder -: Was ist von dieser und jener und der dritten Forderung des Herrn Waigel durch Ihre Regierung verwirklicht oder der Verwirklichung nähergebracht worden?
In bezug auf die Deutschlandpolitik ist j a in den letzten zwei Wochen schon hinreichend Schaden angerichtet worden. Ich habe - auch wenn ich das am Apparat und nicht hier im Saal verfolgt habe - den Kollegen von der FDP angemerkt, daß ihnen daran lag, nicht für etwas vereinnahmt zu werden, wofür sie nicht vereinnahmt zu werden wünschen.
Daß Generalsektretär Honecker seinen Besuch abgesagt hat, halte ich für eine verständliche, aber dennoch falsche Entscheidung. „Verständlich" kann man nach Überreaktionen auf bundesdeutscher Seite sagen, die auch die Bundesregierung zu verantworten hat, da Ihnen die Entwicklung aus der Hand geglitten war.
({0})
„Falsch" würde ich sagen, weil es im Interesse beider Staaten liegt - wie unterschiedlich sie auch sind -, daß der Schaden für alle denkbaren Fälle begrenzt wird.
({1})
Es gibt ja denkbare Fälle schon im Herbst, bei denen man fragen muß: Wie ist es mit dem Stand der Beziehungen? Ich sage: Über alle Anlässe hinaus sollte das möglich sein, wenn beide Seiten es wollen. Das geht - das wissen wir beide, Herr Bundeskanzler - weder durch das Telefon noch allein durch den Austausch von Briefen.
Für mich scheint es so zu sein - andere wissen darüber vielleicht noch besser Bescheid -, als ob auch die DDR behutsam Möglichkeiten erhalten und Schaden kitten will. Wenn das so ist, sollten wir dies unterstützen.
({2})
Das geht natürlich nicht mit Fanfaren, schon gar nicht mit Fanfaren, die zum Aufbruch in die 50er Jahre blasen.
({3})
Dafür, daß nicht weiterer Schaden entsteht, sind Sie, Herr Bundeskanzler verantwortlich.
({4})
Ich komme mit ein paar Sätzen noch einmal auf die Sicherheitspartnerschaft zurück.
Wir alle sprechen, auf die eine oder andere Weise, von der Bedrohung durch die SS-20, Herr Kollege Dregger, und davon, was man dagegen tun kann. Viele von uns sind sogar stolz darauf, daß der Westen Verhandlungen angeboten hat, bevor er selbst die Rüstungsspirale, die Schraube, besser gesagt, weiterdrehte.
Nun frage ich: Welches Argument braucht es eigentlich noch, um deutlich zu machen, daß Staaten, die potentiell Gegner sind und doch den Konflikt vermeiden wollen, Partner der gemeinsamen Sicherheit werden müssen?
({5})
Übrigens, genaugenommen haben das zuerst die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion erkannt und praktiziert. Ihre Verhandlungen über die strategischen Waffen sind doch nur das Ergebnis einer Lage, in der keiner mehr siegen kann, in der die gesicherte gegenseitige Zerstörung bedeuten würde, daß man nicht mehr vor dem Gegner, sondern daß man nur noch mit dem Gegner sicher werden kann. Wir wollen nichts anderes, als dieses Prinzip auch auf Europa anwenden - und nicht zuletzt auf die Mitte Europas. Jeder Konflikt hier wäre unser Ende und das der Menschen in der DDR.
Gerade hier wird deutlich: Nichts, was uns von der DDR trennt und von ihrem System immer trennen wird, ideologisch und was unsere Grundwertevorstellungen angeht, ist stärker oder darf stärker sein als das gemeinsame Interesse an der Erhaltung und an der Sicherung des Friedens.
({6})
Niemand, Herr Bundeskanzler, darf innenpolitisch
das Transparent einer Koalition der Mitte vor sich
hertragen, der außenpolitisch nicht die Interessen
der europäischen Mitte verfolgt; denn die sind identisch mit dem deutschen Interesse.
({7})
In diesem Zusammenhang noch ein Satz zu Ihrer Reise nach Moskau, Herr Bundeskanzler. Ich glaube nicht, daß Teile der Rede von Herrn Kollegen Dregger zu dem hilfreichen Gepäck für diese Reise gehören.
({8})
Ich meine, die Erklärungen guten Willens zur Fortsetzung dessen, was sich im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion entwikkelt hat, haben wir mit Zustimmung zur Kenntnis genommen. Wir werden Sie in dieser Linie unterstützen, Herr Bundeskanzler, auch wenn Sie in Ihren eigenen Reihen nicht immer Zustimmung für diese Politik finden sollten.
({9})
Dazu gehört natürlich auch, daß Sie sich auf die Frage - habe ich mir ausgedacht - Ihrer Gesprächspartner in Moskau vorbereiten müssen, ob Sie sich an die Rahmenvereinbarung halten, die Ihr Vorgänger Helmut Schmidt für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder mit der Perspektive des Jahres 2000 mit dem damaligen Generalsekretär geschlossen hat. Das ist keine Frage der bürokratischen Kontinuität, sondern es ist eine Frage der Substanz; denn Handel ist hier nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Nützlichkeit, die wir natürlich auch gerade jetzt nicht unterschätzen, sondern auch eine Frage der politischen Qualität. Und sie kann friedensstabilisierend wirken.
Unsere Antwort, im deutschen Interesse, spricht eindeutig für die Einhaltung der gegebenen Zusagen.
Mir ist noch aufgefallen, Herr Bundeskanzler, daß das Wort „Friedensbewegung" in Ihrer Regierungserklärung nicht vorkam. Das heißt, es fehlte ein Element von einer Bedeutung, die man natürlich nicht beziffern kann. Es fehlte auch ein Wort des Verständnisses für die Sorgen, die sich zunehmende Teile der Bevölkerung machen.
({10})
Ich habe was vermißt an Empfinden des Bundeskanzlers hinsichtlich des schrecklichen Zusammenhangs zwischen immer weiter steigenden Rüstungen und deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, die dadurch immer mehr kaputtgemacht wird.
({11})
Ich habe was vermißt an Empfinden dafür, was die Menschen in den Kirchen und viele der Jüngeren spüren: was für 'ne verrückte Welt das ist, die jedes Jahr Hunderte von Milliarden Dollar für Rüstungen ausgibt, während man mit Hunderten von Millionen
viele Menschen vor dem Verhungern bewahren könnte.
({12})
Auf dem ganzen Gebiet Nord-Süd reicht die zänkische Art nicht aus, in der sich der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Dokumenten auseinandersetzt, die in anderen Ländern, z. B. im Unterhaus Großbritanniens, zwischen den Fraktionen mit großem Ernst einvernehmlich diskutiert werden.
Mir fehlte auch ein Wort der Einsicht, Herr Bundeskanzler, in welche Gewissenskonflikte Menschen kommen, wenn im Herbst einfach so stationiert werden sollte.
({13})
Die Bundesregierung, die diese Dimension negiert oder durch Schweigen ausklammert, distanziert sich ohne Not von erheblichen Teilen unseres Volkes. Doch sollten wir bei allen Meinungsunterschieden - wir bei allen Meinungsunterschieden, Sie bei noch größeren Meinungsunterschieden zu anderen - die jeweilige Bundesregierung als unser aller Regierung betrachten können.
({14})
Diese Regierung sollte diese Sorgen und die Bürgerinitiativen, und zwar nicht nur auf dem Gebiet des Sports, der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks, was ja alles wichtig ist, bei allem, was sie für richtig hält oder als falsch ablehnt, ernst nehmen, Herr Bundeskanzler.
({15})
Die Regierung wäre vielleicht sogar stärker, wenn sie die Sorgen dieser Menschen ernst nähme und bei den Verbündeten in Washington ernsthaft mit einbrächte.
Hier ist durch die Regierungserklärung eine große Chance versäumt worden. Adenauer hat wohl verstanden, das, was die damalige Opposition vertrat, in seinen häufig schwierigen Verhandlungen mit den westlichen Partnern auf seine Weise geltend zu machen - schon beim Deutschland-Vertrag und bei vielen anderen Verträgen. Hier ist, so befürchte ich, durch die Regierungserklärung eine große Chance versäumt worden.
Mir fehlte auch ein Wort, das die unvergleichliche Gefährdung unseres Volkes - gerade unseres Volkes! - bei jedem Konflikt betont.
Hier bleibt also - damit nähere ich mich dem Schluß - einiges nachzuholen. Wir werden es anmahnen, Herr Bundeskanzler, ebenso wie die Beantwortung der Fragen, die der Kollege Ehmke gestellt hat, die noch nicht beantwortet sind und vermutlich heute hier auch nicht mehr beantwortet werden können, sondern erst bei nächster Gelegenheit.
Und da kommen Sie dann nicht darum herum, mit uns anderen zusammen auch die veränderten
Bedingungen zu prüfen, die sich seit Dezember 1979 ergeben haben. Ich möchte nur daran erinnern - aber Sie wissen es doch auch -, daß unsere amerikanischen Freunde damals erklärt haben, daß die Stationierung von Cruise Missiles auf See unmöglich sei. Manche von uns waren dann im Oktober 1980 erstaunt, aus der Presse zu erfahren, daß viele Hunderte von Cruise Missiles für Seestützung produziert würden. Das wirft dann die Frage auf, warum wir zusätzlich noch einige hundert - 400 oder wieviel auch immer - landgestützte brauchen.
({16})
Die Antwort des amerikanischen NATO-Oberbefehlshabers, daß sie sichtbar und unterscheidbar sein müssen von den anderen, die die Amerikaner für Seestützung vorbereiten, führt dann wieder in die Diskussion, Herr Kollege Dregger, eben doch in die Diskussion über den auf Europa begrenzbaren und - nach mancher Meinung, wir können das in den amerikanischen Dokumenten nachlesen - gewinnbaren Krieg, den als Konzept oder wie auch immer abzulehnen die Bundesregierung in dieser Regierungserklärung auch versäumt hat.
({17})
Erst wer nachliest und die Erklärungen von Bundeskanzler Kohl und Oppositionsführer Vogel nebeneinanderlegt, wird noch einmal sehen, was beim Bundeskanzler alles fehlt.
({18})
Herr Kollege Dregger, Sie haben Felipe González erwähnt. Ich halte das nicht für in Ordnung. Felipe González hat es j a gestern noch auf deutschem Boden in Berlin in Ordnung bringen müssen. Ich habe mit ihm am gleichen Tage, an dem er in Anspruch genommen war, gesprochen. Es ist über ihn berichtet worden, er habe sein „Einverständnis" erklärt. Er hat sein „Verständnis" erklärt: comprehensión. Den Unterschied zwischen Verständnis und Einverständnis gibt es in der deutschen wie in der spanischen Sprache. Er hat gesagt: Wir sind nicht betroffen; wir zeigen unser Verständnis für die schwierigen Prozesse der Staaten, die mit der Stationierungsfrage zu tun haben. Man darf auf deutschem Boden einen Besucher nicht über Gebühr in Anspruch nehmen für das, was man selbst vorhat.
({19})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben Ihren Vorgänger und seine Regierungserklärung kritisiert, weil er sich als den ersten Angestellten im Staat empfunden habe, und ihm die geistige Führung abgegangen sei. Nun, ich war gespannt, was wir denn in diesen Tagen insofern als Wende zum Positiven erfahren würden. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß die Aufzählung unseres kulturellen Erbes der deutschen Philosophie, Dichtung, Literatur, Musik und bildenden Künste umwerfend ist.
({20})
Man kann dem nicht widersprechen, aber es besagt auch nichts.
({21})
Daß wir ein Volk der Erfinder waren und vielleicht auch einmal wieder werden, ein Volk der großen Unternehmer, der Sozialreformer und Wissenschaftler, das haben schon andere vor Ihnen entdeckt. Aber daraus ergibt sich noch keine Fähigkeit zur geistigen Führung oder keine Perspektive der Regierung oder ihres Chefs.
({22})
Sie behaupten, Herr Bundeskanzler, Sie hätten ein Leitbild, Ethik und Ökonomie zu versöhnen. Ja, aber warum haben wir noch nicht gehört, wie Sie das machen wollen?
({23})
Daß das Tor zur Zukunft offensteht, Herr Bundeskanzler, das ist keine Entschuldigung, wichtige Fragen offenzulassen.
({24})
Dem deutschen Parlament, diesem Bundestag, kann es nicht genügen, daß Sie überzeugt sind, auf dem richtigen Weg zu sein. Denn dieses Parlament hat ein Recht darauf zu fragen, welchen Weg Sie gehen. Denn die Entscheidung darüber, ob er richtig ist, fällen das Parlament und dann wieder die deutschen Bürger.
({25})
Herr Kollege Dregger hat sich - ich muß noch einige Sätze dazu sagen - über die amerikanischen Bischöfe geäußert. Ich will mich dazu jetzt nicht äußern, weil ich glaube, daß er die moralische Dimension in der Äußerung der Bischöfe völlig verkannt hat.
({26})
Ich halte mich an das Repräsentantenhaus. Das hat sich nun einmal, ob es Ihnen Spaß macht oder nicht, mit Zweidrittelmehrheit dafür ausgesprochen, daß beide Supermächte beiderseitig kontrollierbar ihre Atomwaffen einfrieren. Das haben die beschlossen.
({27})
Diese zwei Drittel der gewählten Abgeordneten sind sicher nicht lauter Antiamerikaner. Die Sozialdemokraten - ich mache natürlich auch die Einschränkung, Herr Dregger: Der Text verdient in seinen Details genau abgeklopft zu werden - stehen in ihrer Haupttendenz auf der Seite der Mehrheit des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten,
({28})
d. h. der Mehrheit des Parlaments unseres stärksten Verbündeten.
({29})
Wir behalten uns übrigens vor, einen solchen Vorschlag auch hier einzubringen.
({30})
Wir würden diesen Vorschlag dann einbringen, wenn wir den Text genau geprüft haben. Der Text besagt nach dem, was wir wissen, daß bis zu einem derartigen Abkommen zwischen den beiden Großen das andere an Verhandlungen und leider auch an Rüstung weiterläuft. Das ist aus vielerlei Gründen verständlich, wie ich auch hoffe, daß unsere Position verständlich ist, daß die vereinbarte Strategie gilt, bis sie durch eine andere ersetzt ist. Das bedeutet, daß die Mittelstreckenraketenverhandlungen in Genf, die für uns von besonderer Bedeutung sind, weiterlaufen und daß nach Auffassung des Repräsentantenhauses dann auch stationiert werden sollte, wenn die Verhandlungen bis zum Herbst scheiterten. Gleichwohl verdient die Entschließung aus all diesen Gründen viel Aufmerksamkeit, weil Verhandlungen über ein kontrolliertes Einfrieren der Atomwaffenarsenale der beiden Supermächte weltpolitisch einen so großen Schritt darstellen würden, daß er auch positive Auswirkungen auf die eurostrategischen Verhandlungen hätte.
Meine Damen und Herren, die Senatoren Edward Kennedy und Gary Hatfield haben heute bekanntgegeben, daß sie die Initiative der Mehrheit des Repräsentantenhauses im Senat der Vereinigten Staaten unterstützen. Wir können daran nicht vorbeigehen, als gebe es das nicht oder als wollten wir wieder einmal klüger sein als die Mehrheit der Entscheidungsträger der Vereinigten Staaten von Amerika.
({31})
Übrigens habe ich zu dem Andropow-Vorschlag, daß man die Sprengköpfe und nicht die Waffen zugrunde legt, der jetzt, auch in Washington, so freundlich kommentiert wird, folgendes noch gut in Erinnerung. Als Jochen Vogel, der hier vor mir sitzt, Anfang des Jahres dieses berichtete - einige haben nicht einmal einen mündlichen Bericht darüber entgegennehmen wollen -, da wurde er abqualifiziert, er sei der Vertreter Andropows. Schämen sollten die sich, die so mit einer vitalen Frage umgehen.
({32})
Herr Bundeskanzler, Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, das wäre in der Tat gut. Jedenfalls sollte es zu mehr als zu einer guten Formel für Öffentlichkeitsarbeit dienen. Der erste Schritt dazu kann sein - deshalb bin ich beim Repräsentantenhaus -: Stopp der weiteren Produktion von nuklearen Waffen auf beiden Seiten.
({33})
Da stehen Sie vor der Frage, „hic Rhodos hic salta", und darum kann man sich nicht herummogeln. Unsere Position ist und bleibt, Stopp dem Rüstungswahnsinn, und dies ist die nächste Möglichkeit, sich daran heranzuarbeiten.
({34})
Meine Herren von der Koalition, es wird an Ihnen liegen, ob Sie sich mit der Mehrheit der gewählten Repräsentanten unserer amerikanischen
Freunde solidarisieren wollen. An uns soll es nicht liegen. Antiamerikanisch ist das wohl nicht,
({35})
meine Damen und Herren, so wie wir mit denen im Senat der Vereinigten Staaten übereinstimmen, die ihrem Präsidenten widersprechen, wenn man aus sozialer Not etwas macht, was man nur mit Militärmacht glaubt in den Griff bekommen zu können, oder wenn man schwierige Fragen in der Dritten Welt in das Korsett des Ost-West-Konflikts hineinzwängen will.
({36})
Herr Bundeskanzler, ich glaube, wir haben uns beide politisch im Laufe der Jahre noch nichts geschenkt. Wir haben, so hoffe ich, den persönlichen Respekt wahren können, wie das unter politischen Gegnern in der Demokratie wünschenswert ist. Sie werden mir deshalb hoffentlich nicht als bloße Äußerlichkeit abnehmen, wenn ich Ihnen die Kraft wünsche, die Interessen unseres Landes zu erkennen und Ihren guten Willen zu verwirklichen. Ich füge hinzu: Sie werden eines Tages daran gemessen werden, ob Sie das Gewicht unseres Landes vergröBert haben oder nicht.
Die sozialliberale Koalition, das sage ich ganz offen, hat von dem Ansehen, das Ihre Vorgänger im Westen erworben haben - ein bißchen haben wir auch mitgeholfen -, profitiert und es zu mehren versucht. Wir haben dem nach Osten und weltweit einiges hinzugefügt. Die Stellung der Bundesrepublik Deutschland ist festgelegt; ich weiß es. Wir kennen unsere Bindungen. Aber an der Nahtstelle der europäischen Teilung gelegen, ist das Verhältnis zu unseren Partnern in beiden - oder soll ich sagen: in allen vier - Himmelsrichtungen schicksalhaft.
Ich wünsche Ihnen und uns, Herr Bundeskanzler, daß wir niemals über eine Erblast klagen müssen, die Sie den Ihnen Nachfolgenden in dieser schicksalhaften Dimension hinterlassen. Sie werden verstehen - ich habe es begründet -, daß ich gegen Ende dieser Regierungserklärungsdebatte da nicht ohne Sorgen sein kann. Aber ich bin dafür, so gut man es kann, unserem Volk zu helfen, daß es durch die vor ihm liegenden gefährlichen Belastungen heil hindurchkommt.
({37})
Das Wort hat der Abgeordnete Schily von der Fraktion der GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen einige interessante Erfahrungen machen dürfen. Wir haben beispielsweise die außergewöhnliche Güte des Herrn Bundesfinanzministers bewundern dürfen, der Zwischenfragen von gewählten Volksvertretern erst beantworten will, wenn sie das Studium der Volkswirtschaft absolviert haben,
({0})
im zweiten Bildungsweg, versteht sich.
({1})
Vielleicht kann Herr Zimmermann in München
ausrichten: immerhin haben einige von uns Abitur.
({2})
Aber, Herr Stoltenberg, wir sind in unseren Kompetenzerwartungen gegenüber der Bundesregierung sehr viel bescheidener. Wir wären schon froh, wenn wir dem Herrn Bundeskanzler, der j a doch eine Menge öffentliches Geld zu verwalten hat, wenigstens die Fähigkeit zutrauen dürften, ein paar Zahlungsvorgänge im Gedächtnis zu behalten.
Wir haben auch gehört, daß die Bundesregierung den Sozialhilfeempfängern sowie den Arbeitslosen, Studenten und Schülern empfiehlt, sich vom Anspruchsdenken loszusagen.
({3})
Wir haben dazu die Frage, ob Sie in dieser Richtung Ihr Glück auch schon einmal bei Herrn Flick versucht haben.
({4})
Da wäre auch eine Möglichkeit gewesen, Anspruchsdenken aufzugeben und auf ein Steuergeschenk von 840 Millionen Mark zu verzichten.
({5})
Oder wollte man Herrn Flick nicht zumuten, sich bei den 20 bis 30 Millionen Mark ein bißchen einzuschränken, die von ihm nach Schätzungen des „Spiegel" jährlich für seine persönliche Lebensführung ausgegeben werden?
Wir haben auch das Bekenntnis der Bundesregierung zur verantwortungsbewußten Leistungselite gehört: Wer wagt und wer sich mehr plagt, der soll in unserer Gesellschaft Anspruch auf Erfolg und Gewinn haben. Was ist denn gewagt worden, damit die Flick-Millionen zusammenkamen? Meine Damen und Herren, ich sage hier in allem Ernst: An den Flick-Millionen klebt noch das Blut der Arisierungs- und Ausrottungsaktionen des Dritten Reiches!
({6})
Woher hatte denn Herr Flick in den 50er Jahren
- 1948 haben wir j a alle mit 40 Mark in der Tasche angefangen
({7})
- ich auch! ({8})
60 Milionen, und womit hat er sich in den Jahren bis 1975 geplagt, als sich der Wert seines Aktienkapitals auf 2 Milliarden Mark gesteigert hat?
Es mögen einige einiges gewagt haben, als sie ein paar Brosamen von diesen Flick-Millionen abbekommen haben, aber geplagt haben sie sich dabei wohl nicht. Nicht einmal das Gewissen hat sie geplagt!
({9})
Von dem Herrn Innenminister haben wir vernommen, das Rechtsbewußtsein der Menschen nehme in gefährlichem Maße ab. Aber wie soll das Rechtsbewußtsein der Bürgerinnen und Bürger intakt bleiben, wenn sie sehen, daß sich die Parteien, die in den vergangenen Jahren für Gesetzgebung und Regierung verantwortlich waren, selbst einen Teufel um Verfassung und Gesetz geschert haben, wenn diese ihren eigenen materiellen Interessen im Wege gestanden haben, wenn diese Parteien selbst den Versuch unternehmen, Gesetzesverstöße kurzerhand durch eine Amnestie für Steuerhinterziehung
({10})
und in Tateinheit damit begangenen Betrug, Untreue und Unterschlagung unter den Teppich zu kehren?
({11})
Meine Damen und Herren, wenn wir schon über Rechtsbewußtsein sprechen, dann ist daran zu erinnern, daß die verheerendsten Zerstörungen des Rechtsbewußtseins einer der Häuptlinge der klerikal-konservativen Parteien
({12})
mit dem Ausspruch hat sichtbar werden lassen: Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.
({13})
Eine schlimmere Verelendung des Rechtsbewußtseins, als sie in diesem Satz zum Ausdruck kam, ist kaum noch denkbar.
({14})
Es hängt mit dieser Verelendung des Rechtsbewußtseins zusammen, daß es nicht gelungen ist, nach 1945 auch nur einen einzigen der Henker in Richterrobe des Volksgerichtshofes für seine Taten hier vor Gericht zu stellen.
({15})
Meine Damen und Herren, wir haben schließlich vernommen, daß die Bundesregierung an der Bündniskonzeption von Abschreckung und Verteidigung, insbesondere an ihrer Zustimmung zur Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen auf dem Boden der Bundesrepublik festhält, ohne daß auch nur ansatzweise die Bereitschaft erkennbar geworden wäre, sich ernsthaft mit dem Problem des Vorhandenseins und der ständigen Steigerung des nuklearen Vernichtungspotentials auseinanderzusetzen. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen und wenn wir in der Lage sind, einmal über unseren eigenen Lebenshorizont hinauszusehen, wenn wir uns nicht von Sachzwängen fesseln, wenn wir uns nicht in
Tabus einsperren lassen, dann schulden wir eine Antwort auf die Frage - auch Sie, Herr Kollege Dr. Dregger -: Kann die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln - es sind keine Waffen, wie der österreichische Kardinal König mit Recht gesagt hat - unter irgendeinem Umstand gerechtfertigt sein? Unter nur irgendeinem Umstand? Die Antwort - und ich hoffe, daß wir uns wenigstens darin einig sind - kann doch nur ein klares Nein sein.
({16})
Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist nichts anderes als Massenmord, Völkermord.
({17})
Er ist ein Verbrechen.
Deshalb, meine Damen und Herren - das liegt doch in der Logik, das ist doch einfach durchschaubar -, ist auch die Androhung des Einsatzes von Massenvernichtungsmitteln die Androhung eines Verbrechens.
({18})
So weit sollten auch Ihre Logik und Ihr Rechtsbewußtsein reichen, daß auch die Androhung eines Verbrechens selbst ein Verbrechen ist.
({19})
Nun werden Sie einwenden - diese Differenzierung ist der bekannte Einwand -: „Massenvernichtungsmittel sind für uns keine militärischen Waffen, sondern politische Waffen; sie sollen nur der Abschreckung dienen, sie sollen nicht eingesetzt werden." Diese Unterscheidung führt aber in die Irre, denn die Glaubwürdigkeit der Drohung mit Massenvernichtungsmitteln hängt davon ab, daß Sie dem Gegner den Eindruck vermitteln können, Sie seien bereit zum Massenmord. Das liegt in der Logik der Abschreckung, oder die Drohung ist in der Logik der Abschreckung nutzlos und leer. Aus dem sogenannten Gleichgewicht des Schreckens ergibt sich auch eine Tendenz zur Entmenschlichung.
({20})
Denn die Menschen an den Schalthebeln der Macht müssen sich zwangsläufig - sie wollen es vielleicht nicht - als potentielle Massenmörder gebärden.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben von der moralischen Katastrophe gesprochen, in die das deutsche Volk vor mehr als 30 Jahren geraten sei. Ich nehme an, daß Sie den Zusammenbruch des Dritten Reiches vor 38 Jahren gemeint haben. Ihr historischer Rückblick verfehlt aber den Ansatzpunkt. Die moralische Katastrophe des deutschen Volkes liegt genau 50 Jahre zurück, als die Nazis an die Macht kamen.
({21})
Und die Konsequenzen dieser moralischen Katastrophe sind uns ja wohl allen bekannt und erinnerlich.
Nur, welche Lehren ziehen wir aus den vergangenen moralischen Katastrophen für die Gegenwart?
({22})
Das deutsche Volk hat zweimal in diesem Jahrhundert auf den Machtstaat, auf militärische Mittel gesetzt. Die Folgen davon sollten Sie sich vor Augen führen.
({23})
Und ist es nicht mindestens der Beginn einer moralischen Katastrophe, wenn vermeintliche Sicherheit auf die Bereitschaft zum Massenmord, auf die Bereitschaft zur Vernichtung des Lebens auf diesem Planeten gegründet werden soll? Sicherheit kann niemals durch Bereitschaft zum Verbrechen erzielt werden.
({24})
Und die Situation, Herr Bundeskanzler und Herr Dregger, wird auch nicht dadurch verschönert, daß die Friedfertigkeit des jeweils eigenen Paktsystems angepriesen wird. Sie, Herr Bundeskanzler, haben den früheren amerikanischen Außenminister Byrnes zitiert. Vielleicht erinnern Sie sich aber auch noch, wie jener Herr Byrnes die weltpolitischen Ziele der USA definiert hat. Er sagte nämlich: Was wir jetzt tun müssen, ist nicht, die Welt für die Demokratie, sondern für die Vereinigten Staaten sicher zu machen.
Und nicht außer Betracht lassen sollten wir Äußerungen aus dem Beraterkreis des Präsidenten der Vereinigten Staaten wie jene des Militärexperten Collin F. Grey, der bereits im Jahr 1980 unter der Überschrift „Sieg ist möglich" folgendes zu Papier brachte - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Zeitschrift „Foreign Policy" zitieren -:
Sicherlich kann es niemandem wohl sein bei der Behauptung, daß eine Strategie, die Millionen sowjetischer Bürger töten würde und eine strategische Antwort herausforderte, die wiederum Millionen amerikanischer Bürger das Leben kosten würde, politisch und moralisch akzeptabel sein soll.
Wohlgemerkt, es ist interessant: Er spricht von der Antwort, der Herausforderung einer strategischen Antwort der UdSSR. Wer fängt denn da an in dem Gedankengebäude, Herr Bundeskanzler?
({25}) Collin F. Grey fährt fort:
Es ist jedoch der Mühe wert, sich die sechs Richtlinien für die Anwendung von Gewalt in Erinnerung zu rufen, die die katholische Kirche in ihrer Doktrin vom gerechten Krieg bereitgestellt hat. Gewaltanwendung ist erlaubt, wenn es sich um eine gerechte Sache handelt, wenn eine gerechte Absicht zugrunde liegt, wenn eine reelle Erfolgschance besteht, wenn es im
Erfolgsfall eine bessere Zukunft zu erwarten gibt, als es ohne Gewaltanwendung der Fall gewesen wäre, wenn das Ausmaß der Gewalt zu den erstrebten Zielen oder dem bekämpften Mißstand in einem angemessenen Verhältnis steht und wenn mit der Entschlossenheit gekämpft wird, Zivilisten zu schonen, sofern eine vernünftige Chance dazu besteht.
Diese Richtlinien
- so schließt Collin F. Grey diese Passage ab beinhaltet eine Botschaft für die amerikanische Politik.
Ich finde, sie beinhaltet - aber in einem ganz anderen Sinn - auch eine Botschaft für die Politik der Bundesrepublik.
({26})
Ich finde zugleich, Herr Dr. Dregger, es sollte uns alarmieren, wenn die Anstrengungen fortgesetzt werden, die darauf verwandt werden, die deutsche Öffentlichkeit über die wirklichen Gründe für die Aufstellung der Pershing-2-Raketen zu täuschen. Diese Täuschungsmanöver haben Sie heute an diesem Pult fortgesetzt,
({27})
wenn Sie behaupten, die Raketen dienten dazu, ein Gegengewicht gegen die SS-20 zu schaffen. Lesen Sie doch einmal in der Beilage zur Zeitschrift „Das Parlament" vom April dieses Jahres nach. Da können Sie lesen, daß der NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 nicht in der Absicht gefaßt worden ist, der wachsenden Zahl an sowjetischen SS20-Raketen und Mittelstreckenbombern ein gleich großes Potential ähnlicher Waffen entgegenzustellen. Das steht da ausdrücklich. Das sagt nicht jemand, der etwa in dem Verdacht steht, sich für die GRÜNEN in die Redaktion eingeschlichen zu haben.
({28})
Vielleicht sollten Sie sich einmal erinnern, was vor Jahren Gustav Heinemann in einer Rede über die Atombewaffnung aus einer Entschließung der Synode der Evangelischen Kirche des Rheinlandes zitiert hat. Es hieß dort:
Es ist Illusion, von den Massenvernichtungsmitteln die Erhaltung von Frieden und Freiheit zu erwarten ... Darum verpflichten wir uns, auf dem Wege der atomaren Bewaffnung nicht einen einzigen Schritt mitzugehen. Darum werden wir das Gewissen der uns anvertrauten Menschen in der Erkenntnis schärfen, daß kein Zweck die Herstellung oder Anwendung von Massenvernichtungsmitteln rechtfertigt.
Wo ist Ihr christliches Bekenntnis, das sich auf einen solchen Boden stellen kann, meine Damen und Herren?
({29})
Wir sollten den Mut haben, von dieser trügerischen Sicherheitspolitik, der nach ihrer unausweichlichen Logik die Bereitschaft zur Herbeiführung eines atomaren Auschwitz zugrunde liegt, Abschied zu nehmen. Statt auf das Konzept der Abschreckung sollten wir auf das Konzept der Anfreundung setzen. Frieden erreichen wir nicht dadurch, daß wir uns entmenschlichen, sondern dadurch, daß wir unsere Friedensbereitschaft beweisen.
({30})
Wir dürfen uns auch nicht davor scheuen, überkommene Vorstellungen von scheinbaren Sicherheitssystemen zu überwinden. Wir stimmen Ihnen in einem zu, Herr Bundeskanzler: daß bestehende Strukturen nicht um jeden Preis erhalten werden können, daß neue Überlegungen nötig sind. Aber wir beziehen das auf das Abschreckungssystem, auf die NATO, Sie allerdings nur auf die Deutsche Bundesbahn.
({31})
Wir wissen, daß Sie leider noch weit davon entfernt sind, unsere Warnungen, auf dem jetzt eingeschlagenen Weg fortzufahren, ernst zu nehmen. Nicht nur das! Sie versuchen, uns als schlechte Demokraten und was Ihnen sonst noch an Vokabular einfällt, zu diffamieren.
({32})
Aber wir halten uns an die Worte des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der gesagt hat, daß Verfassung und Völkerrecht das Recht zur Gehorsamsverweigerung, ja, sogar die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung begründen, wenn es um Massenvernichtungsmittel geht.
({33})
In der Entschlossenheit, an dieser Devise festzuhalten, sollten Sie nicht zweifeln. Wir sind dem Verfassungs- und Rechtsverständnis des früheren Bundespräsidenten in der Tat wesentlich näher als dem des heutigen Verfassungsministers. - Ich danke Ihnen sehr.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick von der Fraktion der Freien Demokraten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich dem, was der Kollege Brandt gesagt hat, im Zuge einiger Sachausführungen zuwende, gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu Beiträgen, die heute bzw. gestern erfolgt sind.
Herr Kollege Schily, ich war sehr gespannt auf Ihren Auftritt. Als Sie vom Rechtsbewußtsein sprachen - was Sie in den Vordergrund stellten-, glaubte ich, daß Sie als Rechtsanwalt auch dem Grundsatz huldigen: Nicht der Verdacht ist entscheidend, sondern das, was das Gericht endgültig gesprochen hat. An diesen Grundsatz haben Sie sich leider nicht gehalten.
({0})
Wenn Sie - wie wir alle gemeinsam - das, was an Gefahren in den Massenvernichtungsmitteln
liegt, moralisch verurteilen, dann teile ich Ihre Auffassung, daß wir alle uns gemeinsam bemühen, daran arbeiten müssen, daß diese Mittel nicht zum Einsatz kommen. Aber mit der Parole „Unser Konzept ist die Anfreundung statt der Abschreckung" ist in den letzten 30, 40 Jahren leider auf keiner Seite erreicht worden, daß auch nur ein Teil des Massenvernichtungspotentials verschwunden ist. Weil wir diese Erfahrung gemacht haben, bemühen wir uns, Wege zu suchen und zu finden, die sicherstellen, daß der Einsatz nicht stattfindet. Wir sind aber auch nicht so blauäugig zu glauben, daß allein mit der Parole der Anfreundung die Bedrohung aus der Welt geschafft werden kann.
({1})
Ein paar kurze Bemerkungen zu dem, was gestern der Kollege Börner und der Kollege Roth gesagt haben. Der Herr Ministerpräsident hat auch ein paar Bemerkungen zur hessischen Politik gemacht, manche Dinge kritisiert, die nicht im Detail behandelt worden seien, was dann im Laufe des Nachmittags geschah. Aber ich kann doch nicht umhin, auf einen Punkt ein paar Bemerkungen folgen zu lassen.
Der Herr Ministerpräsident von Hessen hat gesagt, weil die Freien Demokraten in Hessen eine bestimmte politische Entscheidung getroffen hätten, sei nunmehr die Handlungsunfähigkeit der hessischen Regierung eingetreten. Zu derselben Unlogik ist Herr Kollege Roth gekommen. Es ist doch unbestreitbar, daß es Ihr politischer Wille war, im hessischen Wahlkampf alles zu tun, um die Freien Demokraten möglichst zu vernichten. Das Ergebnis ist, daß Sie regierungsunfähig sind und nur nicht den Mut hatten, das rechtzeitig einzugestehen. Sie haben zu lange gebraucht, um das einzusehen.
({2})
Ich habe anläßlich der Debatte am 1. Oktober 1982 - ich bitte um Verständnis, wenn ich darauf zurückkomme - zu Helmut Schmidt als Bundeskanzler wörtlich gesagt:
Aber, Herr Bundeskanzler, sind Sie sich wirklich im klaren, was das
- was Sie mit der Verratslegende getan haben - auch langfristig bedeutet?
Und:
Die Art, wie Sie es gemacht haben, war genial, der Augenblickserfolg ungeheuer.
Aber die Verwerfungen, die langfristig dadurch eintreten, würden Sie selbst noch spüren. Sie spüren sie heute in Hessen. Deshalb sollte man doch ein bißchen darüber nachdenken, ob man solche Verfahren, wie man sie damals für richtig hielt, in die eigene Politik wieder einfließen lassen sollte.
({3})
Wir werden jedenfalls in Hessen den Nachweis liefern und mit allen uns zu Gebote stehenden politischen Mitteln darum ringen, dem Bürger klarzumachen, daß eine Regierungsfähigkeit und eine Stabilität nicht durch das Vernichten der Liberalen eintreten, sondern nur dadurch, daß die Liberalen in Hessen wieder in der Lage sind mitzugestalten und damit die Stabilität wiederherzustellen, die so lange vorhanden war, wie wir im hessischen Landtag mitwirken konnten.
({4})
Meine Damen und Herren, von den Kollegen der SPD ist mehrfach davon gesprochen worden, man müsse beobachten, wer sich letztendlich in den Unionsparteien durchsetze. Natürlich: Wenn zwei Parteien eine Fraktion bilden, wird es immer unterschiedliche Auffassungen geben. Man muß sich zusammenraufen. Auf eines können Sie sich verlassen: Wenn da unterschiedliche Meinungen sind, werden die Koalitionsfraktionen am Ende, wie es früher der Fall war, so auch jetzt einen gemeinsamen Weg suchen. Wir haben ihn bisher gefunden, und ich bin sicher, wir werden ihn auch in Zukunft finden. Da können Sie ganz unbesorgt sein.
({5})
Frau Kollegin Fuchs hat sehr deutlich darauf hingewiesen, daß die SPD - ich bitte um Verständnis, wenn ich erst einmal einige Punkte herausgreife - die Solidargemeinschaft für sehr gewichtig hält. - Völlig einer Meinung. Ich habe mich nur etwas gewundert, daß Sie ausgerechnet da, wo der Kollege Blüm mit der Zwölftelung von Sonderbezügen die Solidargemeinschaft stärker herausstellte, Widerstand angemeldet haben. Es gehört auch dazu, daß man die Solidargemeinschaft nicht durch bestimmte technische Maßnahmen der Lohn- und Gehaltszahlung unterläuft. Deshalb sollte man bitte auch hier daran denken.
({6})
Bei der Frage der Grundsicherung haben Sie offensichtlich etwas falsch verstanden, was ich nicht vorwerfe, sondern einfach feststelle. Frau Kollegin Adam-Schwaetzer hat nicht davon gesprochen, daß man die gesamte Rentenversicherung durch eine Grundsicherung ersetzen und alles andere der privaten Versicherung überlassen soll. Auch hier sind wir in der Kontinuität. Der Gedanke der Grundsicherung ist von mir 1963 zur Debatte gestellt worden. Er war, wenn ich mich recht entsinne, 1966 bei Gesprächen über eine mögliche Koalition auch Gegenstand der Frage von Herrn Kollegen Brandt, ob denn die Partei hinter meinen Überlegungen stünde, damit man da Klarheit habe. Diese Grundgedanken kamen in dem Interview von Frau Adam-Schwaetzer zum Ausdruck.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt hier kurz ansprechen. Herr Hoss von den GRÜNEN hat es für richtig gehalten, Herrn Kollegen Hoffie Vorwürfe zu machen. Herr Kollege Hoffie hat sich zu Wort gemeldet und hat hier im Plenum des Deutschen Bundestages dazu Stellung genommen. Herr Hoss hat daraufhin gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll -:
Ich möchte dazu sagen, daß Sie mit Ihrer Haltung in die Presse gekommen sind. Ich habe
das aus der Presse, und ich weiß, daß in Hessen
im Zusammenhang mit Ihrer Person ein Skandal stattgefunden hat.
Daraufhin erfolgte ein Zuruf von der CDU „Sie können doch nicht einfach etwas behaupten!" - Dann die Antwort: „Das wird schon so sein."
({7})
Als ich dies hörte, erinnerte ich mich an das, was ich beim Nachlesen - in Vorbereitung zu einer Rede zum 30. Januar 1933 - in den Protokollen des Reichstags über die Verfahrensweise Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre gefunden habe. Hüten wir uns davor, wieder mit Unterstellungen zu arbeiten!
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die hier vorgelegte Regierungserklärung, über die es natürlich immer bei den Diskussionen über ihren Inhalt und ihre Gestaltung unterschiedliche Betrachtungsweisen gibt - das war früher so, das ist heute so, und das wird auch in Zukunft so bleiben -, ist in meinen Augen, in unseren Augen ein Beweis der Kooperationsbereitschaft und der Kooperationsfähigkeit der Koalitionsparteien.
({9})
Sie zeigt, daß der Gedanke der Partnerschaft Grundlage für ihre Verwirklichung sein soll und sein wird. Wir stehen hier genauso bereit, Partnerschaft zu üben, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Das schließt nicht aus, daß man, wenn drei Parteien, zwei Fraktionen eine Koalition bilden, in Sachfragen hart um Entscheidungen ringen muß.
Wenn vorgestern Herr Kollege Ehmke davon sprach, die Sozialdemokraten bewegten sich in der Tradition von Fritz Erler, und das ließen sie sich weder von außen noch von innen in Frage stellen, dann wünsche ich dabei aus innerster Überzeugung viel Erfolg, weil nämlich die Tradition eines Fritz Erler für die Gesamtpolitik in unserem Land heute eine genauso wichtige Bedeutung hat, wie es damals der Fall gewesen ist. Aber das kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Sache selber gerade in Fragen, die Fritz Erler mit besonderer Betonung behandelt hat, sehr starke Meinungsunterschiede sichtbar geworden sind. Ich sage das nicht als Vorwurf. Ich stelle nur fest: In allen demokratischen Parteien wird um Sachfragen immer wieder hart gerungen werden müssen. Man kann doch dann aber nicht den einen praktisch Handlungsunfähigkeit unterstellen, wenn sie darüber hart diskutieren, aber im eigenen Falle meinen, das sei nur der Beweis der Diskussionsfähigkeit. Man muß dann bitte für alle den gleichen Maßstab anwenden.
({10})
Wir wissen natürlich auch aus unseren Erfahrungen - nicht nur aus den Erfahrungen der letzten 13 Jahre, sondern auch aus den Erfahrungen der 60er Jahre -, daß die Zusammenarbeit in einer Koalition auch ein hohes Maß von gegenseitiger Rücksichtnahme braucht, ich füge ausdrücklich hinzu: von allen Seiten braucht. Das gilt für eine Mehrheitsfraktion gegenüber dem kleineren Partner, das gilt aber genauso für den kleineren Partner gegenüber der Mehrheit.
({11})
- Wissen Sie, daß dieser Zuruf kommen mußte, dessen war ich mir sicher.
({12})
Wir haben in den Jahren allerdings auch gelernt, daß man nicht jede Bemerkung, die außerhalb dieses Hauses gemacht wird, zur Grundlage eines Streites in diesem Hause machen muß,
({13})
daß man aber in der Sache sehr hart reagiert, wenn es notwendig ist. Wenn Sie die Presse der letzten Wochen verfolgt haben, haben Sie das ja mitbekommen.
({14})
Natürlich ist der Prozeß der Gewöhnung - das ist mit Ihrem Zwischenruf angesprochen worden - an die neue Koalition nicht überall in gleicher Weise fortgeschritten. Aber auch da wird sich nach meiner Überzeugung noch manches tun.
Meine Damen und Herren, wenn man hier nun Regierungserklärungen über ein Vierteljahrhundert verfolgt hat, dann ist spürbar, welch dramatischer Themenwechsel
({15})
innerhalb von fünf oder zehn Jahren aus der Entscheidungsnotwendigkeit entstehen kann. Während die außenpolitischen, die deutschlandpolitischen, aber auch rechts- und innenpolitischen Fragen Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre im Mittelpunkt der allgemeinen Auseinandersetzung standen - Fragen der Vertragspolitik, Folgen der APO 1968/69 -, ist unbestreitbar, daß jetzt natürlich die Fragen, die Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung, der Arbeitslosigkeit automatisch in den Vordergrund treten müssen. Wenn die Liberalen diese Fragen jetzt genauso in den Vordergrund ziehen, so bedeutet dies doch nicht, daß sie nun eine Wirtschaftspartei geworden sind. Sie sind genauso die liberale Partei geblieben, die sie gestern waren. Sie sind dies auch heute und werden es morgen ebenfalls sein.
({16})
Aber man muß in der Politik in der Lage und bereit sein - und das sind Sie in Wahrheit doch auch -, neue Schwerpunkte nicht nur zu erkennen, sondern sie dann auch in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen, ohne daß dabei die anderen politischen Bereiche etwa beiseite geschoben würden.
Nun höre ich hier in der Debatte und auch in der Öffentlichkeit immer wieder - manches ist auch beim Herrn Kollegen Brandt angeklungen -, kaum sei die neue Regierung im Amt, seien die Schulden erhöht worden, sei die Arbeitslosenzahl größer geMischnick
worden. Wenn die alte Regierung noch sechs Monate länger im Amt gewesen
({17})
und durch die konjunkturelle Entwicklung, die Frühjahrsbewegung, die Arbeitslosenzahl zurückgegangen wäre und wir das festgestellt hätten, hätten Sie mit Sicherheit gesagt: Das ist natürlich auf das zurückzuführen, was da, da und dort geschehen ist. - Lassen wir doch diese billigen und in der Sache völlig danebenliegenden Vergleiche mit diesen Hinweisen.
({18})
Eines ist doch viel wichtiger und viel schwieriger, nämlich zu sehen, wie richtig und wie notwendig es war, daß wir 1981 und 1982 - und ich habe noch nie gemeinsame Entscheidungen geleugnet, ich habe immer dazu gestanden - mit Operationen, die rund 20 Milliarden DM an Einsparungen bewirkt haben, erreichen konnten, daß ein Stück des Einfangens möglich wurde und dies jetzt, Schritt für Schritt, mit weiteren Einsparungen in Höhe von 6,5 Milliarden DM fortgesetzt werden kann. Hier würde ich doch nicht den eigenen Anteil an Lasten, den Sie zum Teil vor Ihren Freunden mitübernehmen mußten, plötzlich dadurch verkleinern oder wegschieben, daß Sie so tun, als wenn hier nicht der Versuch gemacht würde, eine Kontinuität der Sparpolitik, der Konsolidierungspolitik, Schritt für Schritt, zu erhalten.
({19})
Natürlich wissen wir, daß die beschäftigungspolitischen, die konjunkturpolitischen Maßnahmen nicht zu einer kurzfristigen, sofort überall sichtbaren Wirkung führen können. Ganz nebenbei: Auch das ist keine neue Erkenntnis; auch die ist schon vor einem oder zwei Jahren hier deutlich gemacht worden. Aber es ist doch unbestreitbar, daß durch eine Reihe von Entscheidungen, die wir in der neuen Regierung getroffen haben, durch die Veränderung eines Stimmungsbildes der Trend zu sinkenden Zinsen, zu niedrigeren Preissteigerungsraten fortgesetzt worden ist und sich damit das Klima entscheidend verbessert hat - ohne daß wir sagen, wir seien schon am Ziel.
({20})
Wir haben immer davon gesprochen, daß man einen Aufschwung nicht herbeireden könne; aber es ist leicht möglich, ihn zu zerreden, wenn die Bereitschaft zu investieren, die Bereitschaft, positive Entwicklungen nicht nur aufzunehmen, sondern auch umzusetzen, miesgemacht, schlechtgemacht wird.
({21})
Dagegen werden wir uns mit aller Energie wenden.
Mit Recht haben die Gutachter, hat die Bundesbank gesagt, daß sich am Horizont eine entsprechende Verbesserung abzeichne. Unsere Aufgabe wird es sein, unser Wollen ist es, unser Wirken wird es sein, dies nicht nur am Horizont stehenzulassen, sondern mit praktischen Maßnahmen im Mai und Juni, durch Gesetzgebungsvorhaben, durch den Haushalt, Realität werden zu lassen.
Ich kann nur sagen: Auch in früheren Regierungserklärungen sind doch nie Gesetzentwürfe im Detail dargelegt oder gar vorgelegt worden. Insofern ist es doch keine Unzumutbarkeit, heute zu sagen: Wir werden im Mai und im Juni durch Kabinettsbeschlüsse und dann durch die entsprechenden Gesetzesvorlagen die Konkretisierung vornehmen.
Eines hat die harte Notwendigkeit, Eingriffe vorzunehmen und damit natürlich auch - dies ist unbestreitbar - Schmerz zu bereiten, allerdings erreicht, daß nämlich die Nachdenklichkeit wächst, zu fragen, wie es der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat: Was kann ich alles von der Gemeinschaft verlangen, was kann allerdings die Gemeinschaft auch von mir erwarten? Die Notwendigkeit, der Gemeinschaft etwas zu geben, wollen wir sichtbar machen. Wir wollen sichtbar machen, daß der Staat nicht etwas Abstraktes ist, sondern die Gemeinschaft von uns allen. Dies wollen wir in die Tat umsetzen, um damit die Leistungsbereitschaft, die Einsatzbereitschaft und die Selbstverantwortung entsprechend zu stärken.
({22})
Ich hatte gehofft, von Herrn Kollegen Vogel etwas darüber zu hören, wie er sich denn nun die Verwirklichung des im Wahlkampf gegebenen Versprechens vorstellt, man wolle, wenn man die Mehrheit habe, alle Beschlüsse wieder einsammeln.
({23})
- Oder fast alle. Ich habe ganze Bücher - ich habe sie jetzt nicht mit hierher gebracht -, in denen steht, was sie alles wieder rückgängig machen wollten:
({24})
eine ganze Menge Gesetze haben Sie da genannt, und dazu ist nichts mehr gesagt worden. Herr Kollege Vogel, wer jetzt nicht bereit ist, Entscheidungen zu treffen, wer sie aufschiebt, nutzt den Menschen nicht, sondern schadet ihnen: nicht nur heute, sondern morgen und übermorgen; jetzt müssen die Entscheidungen getroffen werden.
({25})
- Herr Kollege Sperling, ich will von der Gepflogenheit der letzten Tage, keine Zwischenfragen zuzulassen, abgehen, weil wir am Ende der Debatte sind und damit nicht viel Zeit verlorengeht. - Bitte schön.
Herr Kollege Mischnick, wäre denn die Fraktion der Freien Demokraten bereit, das Mietrecht, BAföG und Kriegsdienstverweigerungsrecht mit uns gemeinsam zu ändern?
Lieber Herr Kollege Sperling, ich glaube, Sie haben es nicht ganz richtig verstanden, oder ich habe mich ganz undeutlich ausgedrückt: Ich habe gerade kritisiert, daß alles zurückgenommen werden sollte bzw. Sie dieses wollten. Wir denken nicht daran, die Entscheidungen des vergangenen Herbstes, des Dezembers zurückzunehmen - wir denken nicht daran! -,
({0})
weil wir sie für richtig halten. Wir stehen dazu und sind nicht der Meinung, daß man alle vier Wochen zu neuen Entscheidungen kommen sollte.
Herr Kollege Mischnick, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage zu?
Aber gern.
Herr Kollege Mischnick, sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie die Mehrheit haben und wir unsere Anträge folglich nicht durchbringen können?
Lieber Herr Kollege Sperling, natürlich ist das auch früher von der Opposition gesagt worden. Nur: Wenn Sie überzeugt sind, daß Ihr Programm so richtig ist - selbst wenn die Wähler dazu nicht ja gesagt haben -, dann erwarte ich natürlich, daß Sie das hier als Gesetzesinitiativen einbringen. Dann kann man sich j a im einzelnen damit auseinandersetzen.
({0})
Daß die Chancen gering sind, sie durchzusetzen, bestreite ich nicht. Aber ich kann mich entsinnen, daß wir Freien Demokraten in der Zeit der Großen Koalition keine Scheu gehabt haben, eine Menge Gesetzentwürfe einzubringen, von denen wir von vorneherein wußten, daß sie nicht durchkamen. Ich bin allerdings nicht nur gespannt darauf, wie Sie den Inhalt der Gesetze begründen, sondern auch darauf, wie Sie sich den Ersatz dessen, was dadurch an Einnahmeausfall, an Ausgabenzuwachs bewirkt wird, vorstellen, um den Haushalt besser ausgleichen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in der Debatte eine ganze Menge zum Umweltschutz gesagt worden. Wir sind sehr froh darüber, daß der Herr Bundesinnenminister diesen Bereich sehr ausführlich dargelegt hat. Auch Umweltschutz ist natürlich keine kurzfristige, sondern eine langfristige liberale Perspektive.
({1})
- Vielleicht waren Sie - das werfe ich Ihnen nicht vor - gestern zufällig nicht hier. Wenn Sie nicht hier waren, darf ich Ihnen sagen, daß der Kollege Hirsch und andere dazu sehr deutlich Stellung genommen haben. Ich kann mich allerdings entsinnen, daß auch früher schon dann, wenn Minister gewechselt haben, personelle Veränderungen vorgenommen worden sind, die wir nicht immer für
richtig gehalten haben und auch heute nicht immer für richtig halten.
Lassen Sie mich nun zum Umweltschutz noch ein paar Bemerkungen machen. Natürlich wissen wir, daß die Umweltlage insgesamt nicht rosig ist. Aber das kann uns doch nicht daran hindern deutlich zu machen, welche entscheidenden Leistungen hier von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in den letzten Jahren schon vollbracht worden sind, aber auch noch vollbracht werden müssen. Ich werde doch niemanden dazu bringen, sich in diesem Bereich weiterhin voll zu engagieren, wenn er den Eindruck gewinnen muß: Ich kann machen, was ich will, die Bereitschaft, das anzuerkennen, was geleistet worden ist, besteht nicht. Nur in Partnerschaft zwischen Umweltschutzbemühungen und Wirtschaft wird es möglich sein, die notwendigen Entscheidungen, die wir hier gemeinsam zu treffen haben, nicht nur gesetzgeberisch zu fassen, sondern sie auch Stück für Stück umzusetzen. Dazu braucht es die Partnerschaft aller, wenn wir den Umweltschutz wirklich so umsetzen wollen, wie wir es uns vorstellen.
({2})
Meine Damen und Herren, es gibt doch keine Zweifel darüber, daß die Bundesrepublik Deutschland eine gewisse Spitzenposition erreicht hat, nicht erst in den letzten Jahren.
({3})
- Ich habe kein Wort gesagt, daß nichts geschehen sei.
({4})
- Hat auch nicht gesagt, daß nichts geschehen ist. Ich würde nicht so leichtfertig mit Behauptungen umgehen. Richtig ist, daß wir genau wissen, daß uns die Entscheidungen, die seit 1970 getroffen worden sind, entscheidend nach vorn gebracht haben, j a, zu einer Spitzenstellung unter vergleichbaren europäischen Staaten.
({5})
Wir wollen diese Spitzenstellung nicht nur halten, wir wollen sie ausbauen. Es zeigt sich aber immer mehr, wie notwendig es ist, über die Grenzen hinweg innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, aber auch in den Raum des Warschauer Paktes, des COMECON, hinein zu entsprechenden Vereinbarungen zu kommen. Auch das ist doch nicht, wie das mancher von den GRÜNEN hier weismachen will, eine Sache, die uns heute einfällt. Die erste europäische Umweltministerkonferenz, durch Hans-Dietrich Genscher veranlaßt, war 1970. Daß die anderen Länder noch nicht so schnell bereit waren mitzugehen, ist bedauerlich, zeigt aber - so, wie es im eigenen Land vorher war -, daß selbst solch entscheidende Fragen oft einen ganzen Zeitraum
brauchen, bis sie voll in das Bewußtsein eindringen.
({6})
- Da sind wir doch gerade dabei. Das Treffen in Stuttgart findet doch im Juni statt. Das scheinen Sie übersehen zu haben. Im Juni wird bei diesem Treffen in Stuttgart von dieser Bundesregierung auch die Frage des Umweltschutzes mit aller Deutlichkeit und mit Nachdruck nicht nur eingebracht, sondern vertreten werden. Da können Sie sicher sein.
({7})
- Aber glauben Sie ernstlich, daß wir keine Ergebnisse sehen wollen? Nur: Sie müssen doch zugeben
- und so klug sind doch auch Sie -, daß Ergebnisse im europäischen Rahmen nicht durch Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages zustande kommen, sondern nur durch Vereinbarungen, die wir in Europa treffen.
({8})
Wir wissen, daß wir in manchen Dingen hier nicht so schnell zum Ziel kommen werden, aber wir werden den Bundesinnenminister voll unterstützen, wenn er sagt: Wir sind bereit, in Bereichen, z. B. bei Autoabgasen, Vorreiterfunktion zu übernehmen, wenn es nicht gelingt, zu Vereinbarungen zu kommen. Ich hoffe nur, daß dann, wenn der Widerstand aus bestimmten Bereichen kommt - von Unternehmen wie von Betriebsräten - wegen der Folgen, die daraus entstehen können, wir gemeinsam die Notwendigkeiten mit der gleichen Durchschlagskraft, mit der gleichen Überzeugung vertreten, wie es bei solchen Debatten jetzt hier geschieht.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch ein paar Bemerkungen zu einem weiteren Thema machen, das für die Freien Demokraten nicht neu, sondern seit Jahrzehnten von großer Bedeutung ist,
({10})
nämlich zur Rentenfinanzierung. Es ist immer geklagt worden, daß zu wenig über die Sache gesprochen wird. Wir Freien Demokraten stellen mit Freude fest, daß die erdrückenden Fakten nunmehr doch zu einer nachdenklichen Prüfung quer durch alle Fraktionen geführt haben. Ich erkenne voll an, daß sich hier auch schon in den vergangenen Jahren manches in Bewegung gesetzt hat. Aber müssen nicht viele, quer durch die Fraktionen, zugeben, daß ein zu langes Prestigedenken über früher Beschlossenes viel Zeit hat vergehen lassen, bis nun Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich schon vor Jahren hätten getroffen werden müssen? Wir können hier darauf verweisen, daß wir diese schwierige Aufgabe von Anfang an gesehen haben.
Ich will Sie hier nicht mit Zitaten langweilen, aber ich will es für die neueren Kollegen sagen, die das vielleicht nicht wissen, was ich nur feststellen, nicht vorwerfen will. Da kann man schon 1957 und 1959 nachlesen, wie wir damals die Gefahren deutlich gemacht haben, die heute in unserem Rentenversicherungssystem eingetreten sind. Es gibt keinen Zweifel: In den 60er Jahren und in den 70er Jahren gab es manche Gelegenheit, Entscheidungen zu treffen, die so harte Eingriffe, wie sie in den 80er Jahren notwendig geworden sind, nicht hätten notwendig werden lassen.
Wir freuen uns nicht, daß wir recht behalten haben, wir sagen das nur, weil dies zeigt, daß es wenig Sinn hat, eine zwar als schön, den eigenen Überzeugungen entsprechend erkannte Lösung zu präsentieren, aber dann um jeden Preis an ihr festzuhalten - wie es einmal hieß: mit Klauen und Zähnen -, wenn die Entwicklung längst darüber hinweggegangen ist. Ich wehre mich aber dagegen, daß diejenigen, die hier Kritik an den Maßnahmen, die wir vorhaben, üben, das unter dem Motto tun, als sollte dem Rentner von dem, was er heute bekommt, etwas weggenommen werden. Dies war nie der Sinn der Überlegung einer Veränderung von Voraussetzungen, von Anrechnungsmöglichkeiten und so fort.
({11})
- Nein, das ist nicht das Ergebnis. Wenn Sie sagen, das sei das Ergebnis, dann gehören Sie zu denjenigen - das scheint im Widerspruch zu Ihren sonstigen Bemerkungen zu stehen -,
({12})
die dann Rentenwachstumsietischisten wären, sich aber sonst beim Wachstum so zurückhalten.
({13})
Ich kann auch bei den Renten das Wachstum nicht unabhängig davon sehen, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist. Wir sind zur Kooperation und dazu bereit, alle Möglichkeiten und Modelle, die hier vorgelegt werden, unvoreingenommen zu prüfen. Wir haben da manche Präferenzen; das haben wir nie geleugnet. Aber wenn es hier wirklich gelingen sollte, zwischen Koalition und Opposition einen gemeinsamen Weg zu finden, so werden wir dem nicht im Wege stehen. Wir wollen allerdings keine Lösungen, die für das Jahr 1984 oder 1985 gut sein mögen, die aber nicht berücksichtigen, wie die Entwicklung im Jahre 1990 und im Jahre 2000 ist. Wir wollen eine langfristige Lösung haben, die über ein, zwei Jahrzehnte hinweg Geltung haben kann und nicht nur Haushaltsprobleme lösen hilft. Darum geht es uns.
({14})
Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zu den Fragen der Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik. Hier hat Herr Kollege Brandt sehr ausführlich und - verständlicherweise - in vielen Punkten sehr in die Tiefe gehend Stellung genommen und dabei die Sorge geäußert, daß drei Punkte ein Beweis wären, daß es keine
Kontinuität mehr gebe. Sehr verehrter Herr Kollege Brandt, Sie können sicher sein, diese Freien Demokraten, diese Freie Demokratische Partei wird ihre außenpolitische, ihre deutschlandpolitische, ihre ostpolitische Grundlinie durchhalten, die ja nicht erst etwa bei Beginn der sozialliberalen Koalition gefunden wurde, sondern die zurückreicht bis zu Karl Georg Pfleiderer, Thomas Dehler und Max Becker, um nur ein paar Namen zu nennen. Diese Kollegen waren es, die damals in der Koalition mit den Unionsparteien manches Tabu nicht nur angesprochen, sondern durch ihr Verhalten gebrochen haben und die damals deutlich gemacht haben, daß keine Einseitigkeit unserer Außenpolitik richtig oder sinnvoll wäre. Wir sind aber nie auch nur einen Schritt davon abgegangen, diese offensive Ostpolitik auf keinen Fall mit Zweifeln an die Einbettung im Bündnis zu verbinden. Das ist von uns nie geschehen. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie Max Becker von dieser Stelle hier sagte: Eingebettet in das westliche Bündnis, müssen wir in den 50er Jahren nach dem Osten schauen und hier eine Ergänzung unserer Politik sehen, aber nicht etwa losgelöst von dem Bündnis.
Daß die Mehrheit bei Ihnen, daß die Redner, die das hier gesagt haben, genauso denken, das bezweifle ich nicht. Aber Sie werden uns nicht übelnehmen, wenn unsere Sorge groß wird, wenn bestimmte Stimmen aus Ihren Reihen weit darüber hinausgehen und nicht nur bestimmte Handlungen, Entscheidungen der Amerikaner kritisieren, sondern sogar mit dem Bündnisaustritt als Möglichkeit spekulieren. Da ist der Punkt, wo wir hoffen, daß bei Ihnen sich diejenigen durchsetzen, die wissen: ohne ein gesichertes Bündnis sind die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und die Sicherheit Berlins nicht zu garantieren.
({15})
Darüber müssen wir uns doch immer im klaren sein.
Wir werden die Tradition Rathenaus und Stresemanns in der Politik fortsetzen. Wir waren es, die mitten im Kalten Krieg die Aufnahme diplomatischer Beziehungen für richtig hielten. Ich denke daran, daß wir hier während der Großen Koalition einen Deutschlandvertrag auf den Tisch legten, als das von vielen Seiten noch sehr umstritten war - nicht bei allen, aber noch auf vielen Seiten, so möchte ich mich ausdrücken -, aus der Erkenntnis, aus der Überzeugung: wir wollen Schritt für Schritt versuchen, die negativen Folgen der Teilung zu überwinden. Deshalb werden wir alles daransetzen, daß die Verträge nicht nur eingehalten werden, sondern daß sich die Beziehungen weiter entwickeln, auch wenn es Phasen kritischer Auseinandersetzungen, bedenklicher Abweichungen gibt. Das hat es schon immer gegeben.
Aber eines werden wir uns auch angelegen sein lassen - und daran können Sie uns immer erinnern -: eine feinfühlige Pflege insbesondere des deutsch-polnischen Verhältnisses. Das muß nicht immer lauthals geschehen.
({16})
Das kann auch durch entsprechende Gespräche geschehen. Wir wissen: polarisierende Diskussionen, ganz gleich von welcher Seite sie ausgelöst werden, führten weder früher, führen noch heute weiter.
Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, daß diese Kontinuität erhalten bleibt. Das heißt doch nicht, daß ich nicht, wenn ich im Laufe der Entwicklung Mängel erkenne, versuche, diese Mängel zu beseitigen, daß ich nicht da, wo es notwendig ist, neue Entwicklungen einzubeziehen, sie einbeziehe. Nicht ohne Grund hat ja der Herr Bundeskanzler alle Bestandteile der vertraglichen Abmachungen mit der Sowjetunion und mit der DDR - einschließlich Grundgesetz, Brief zur Einheit und Verfassungsgerichtsurteil - hier als Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit bezeichnet. Kollege Ronneburger hat Gelegenheit genommen, hier deutlich zu machen, was alles an Forderungen, an Anforderungen, aber auch an Auslegungen des Verf assungsgerichts dazu vorhanden ist.
Sie haben nun die Sorge, die in Ihren drei Punkten, Herr Brandt, angesprochenen Gesichtspunkte seien verlorengegangen. Ich sage Ihnen: mit Sicherheit nicht. Sie können sicher sein, daß diese Koalition - und selbstverständlich auch die Freien Demokraten in dieser Koalition - keine Politik betreiben will und betreiben wird, die etwa Spannungen erzeugte. Ganz im Gegenteil, wir werden alles tun, Spannungen dort, wo sie entstehen, entstanden sind oder entstehen könnten, durch rechtzeitige Maßnahmen zu verhindern, abzubauen oder einzudämmen. Da kommt es nicht darauf an, ob ich immer diese oder jene Vokabel verwende, sondern darauf, den jeweils richtigen und besten Weg zu suchen. Daß das immer gelingt, behaupte ich nicht; aber den Versuch dazu, die Bereitschaft dazu, den Willen dazu, den können Sie auf jeden Fall voraussetzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte allerdings auch in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen: Dann, wenn bei der Wahrnehmung und bei der Durchführung vertraglicher Regelungen Probleme auftauchen, sind wir der Meinung, daß wir sie durch intensive Arbeit lösen müssen. Wir dürfen nicht kopflos davonrennen oder meinen, man müsse nun alles umstülpen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Wer die Verantwortung trägt, muß gerade bei hochgehenden Wellen der Emotionen kühl bleiben und standfest zugleich sein. Beharrlichkeit in der Sache und Realitätssinn im Urteil und in der Beurteilung sind nach meiner Überzeugung die Voraussetzungen für sinnvolles Handeln.
Ich füge noch eines hinzu: Schlagzeilen von heute, z. B. im deutsch-deutschen Verhältnis, sind keine Erfolge von morgen. Sie haben sich meistens als kurzfristige kleine Münze herausgestellt, die in der Sache nichts weiterbringt. Dies gilt für jede Art von Reaktion.
Wir werden das deutschlandpolitische Erbe der Freien Demokraten hüten und mehren. Dies ist für uns keine Last, sondern eine Verpflichtung, eine Verpflichtung, die von uns eine sorgsame Pflege des Erreichten, des Anvertrauten, verlangt, aber auch bedeutet, daß wir uns eben nicht - wie wir es hier von manchen gehört haben - einen Ausstieg aus
den europäischen oder den weltpolitischen Rahmenbedingungen leisten können. Denn dann würde dies nicht mehr gepflegt werden, sondern alles verlorengehen.
Ich sage ganz offen: Ich weiß, daß da viele anderer Meinung sind. Für mich gibt es keine machbaren Utopien, für mich gibt es nur eine realistische Politik, um Ziele, mögen sie auch noch so weit entfernt liegen, Schritt für Schritt zu erreichen. Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, die zum Teil - ohne Rücksicht auf Koalitionen - in diesem Hause völlig unbestritten waren, gelten fort.
Wenn jetzt ein neuer Vorschlag vom sowjetischen Generalsekretär Andropow gekommen ist, so werden wir - dies ist das erste - ihn genauso nüchtern und sachlich prüfen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist.
({17})
- Entschuldigung, ich muß natürlich erst prüfen, und dann kann ich dazu Stellung beziehen.
({18})
Zweitens zeigen mir die bisherigen Reaktionen aus unserem Bündnislager, daß die Bereitschaft zu dieser Prüfung dort genauso vorhanden ist wie bei uns.
({19})
Das beweist, daß die Behauptung, es gebe gar keine Bereitschaft, auf andere Überlegungen einzugehen, falsch ist.
({20})
Es ist aber genauso unbestritten, daß mit dem, was wir bisher lesen und hören konnten, nicht alle Fragezeichen beiseite geschoben sind und daß wir eben prüfen müssen, ob diese Fragezeichen bleiben müssen oder ob wir sie durch einen Punkt oder vielleicht sogar durch ein Ausrufungszeichen ersetzen können.
Eines ist sichtbar: Das Eingehen der sowjetischen Seite auf die westliche Zählweise ist doch nicht erfolgt, weil hier einmal Transparente gezeigt werden, weil hier Demonstrationen stattgefunden haben, sondern weil man erkannt hat, daß der Wille, den Doppelbeschluß in beiden Teilen ernst zu nehmen, voll vorhanden ist. Deshalb sind wir doch weitergekommen.
({21})
Natürlich werden wir nicht unbeeindruckt bleiben von dem, was jetzt in den Vereinigten Staaten diskutiert wird. Das wäre auch völlig falsch. Wir sind auch nicht so voreilig, zu sagen, das, was im Kongreß mit Mehrheit beschlossen worden ist, sei nun allein Diskussionsgegenstand. Für uns sind natürlich sowohl diese Gesichtspunkte wie die Bedenken dagegen in die Diskussion einbezogen. Da kann am Ende stehen, daß man sagt: Was die Kongreßmehrheit da gesagt hat, das wird hoffentlich jetzt amerikanische Politik. Es kann auch am Ende stehen, daß das, was die Kongreßmehrheit gesagt hat, in vielen Dingen zwar sehr viel guten Willen und gute Absicht verkörpert, aber die Würdigung der Fakten nicht ausreichend erfolgt ist. Ich wage heute nicht, zu sagen, wir allein haben recht oder jene allein haben recht. Dies müssen wir sorgfältig miteinander prüfen. Wir müssen auch im direkten Gespräch, in direkten Verhandlungen ausloten, welche Möglichkeiten hier für uns bestehen.
Ich füge genauso offen und klar hinzu, wie das schon von anderen Rednern meiner Fraktion geschehen ist: Es ist bedauerlich, daß das Spitzengespräch zwischen den beiden deutschen Staaten nicht zustande gekommen ist. Da gibt es die verschiedensten Wertungen, die auch vom Kollegen Brandt und anderen vorgenommen worden sind. Ich will mich da nicht noch mit zusätzlichen Wertungen beteiligen. Eines sollte uns aber doch klar sein: Gerade wenn wir darum ringen, alles darauf ansetzen, daß in Genf Verhandlungsergebnisse erzielt werden, dann ist jede verlorene Gesprächsmöglichkeit negativ zu werten, jede gewonnene Gesprächsmöglichkeit positiv zu werten.
({22})
In diesem Sinne hoffen wir, daß es eben nicht das letzte Wort bleibt. Es ist gar kein Zweifel, daß das, was in dem langen Artikel im „Neuen Deutschland" deutlich geworden ist, die Bereitschaft, der Wille, hier im Gespräch zu bleiben, auch in der DDR vorhanden ist.
Ich habe gelesen - und ich war mir nicht sicher, ob es nur ein Kommentar war, eine Wiedergabe oder ein wörtliches Zitat -, man brauche nur mit Moskau zu sprechen; das Gespräch mit der DDRSpitze habe eben wenig Sinn. Dies ist eine Auffassung, die vor zehn, vor 20 Jahren weitverbreitet war. Daß sie sich als falsch herausstellte, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Ich bin fest überzeugt, die Bundesregierung, die sie tragenden Koalitionsfraktionen und die Opposition werden daran festhalten: Bei den deutsch-deutschen Problemen, die wir haben, genügt es nicht, „nur" mit Moskau zu sprechen, es muß auch das deutsch-deutsche Gespräch auf allen Ebenen gepflegt werden. Das schließt doch nicht aus, daß ich mit aller Härte und Deutlichkeit da, wo ich Mängel sehe, wo ich Kritik anzubringen habe, Kritik übe; aber ich soll dies in Verhandlungen, in Gesprächen tun und nicht glauben, daß es mit Interviews gelingen könnte, auch nur eines der schwierigen Probleme auf Dauer zu beseitigen.
({23})
- Entschuldigen Sie, ich habe es noch nie so gemacht, daß ich, wenn ich glaubte, daß etwas falsch gemacht worden ist, das immer nur einseitig sah. Ich habe das auch in aller Deutlichkeit gesagt. Ich weiß allerdings auch, verehrter Herr Kollege, daß manchmal in Ihren Reihen jetzt die Neigung wieder größer ist, als das in der Vergangenheit war, manche Dinge in der Öffentlichkeit darzustellen, die man besser im direkten Gespräch behandelt. Ich habe immer das Gespräch vor der öffentlichen Auseinandersetzung bevorzugt und diese nur gewählt, wenn es nicht anders ging. Gerade in diesen spe290
ziellen Fragen ist manchmal die öffentliche Auseinandersetzung schädlich, nicht nützlich.
Der Wille zum Verhandlungserfolg, die Bereitschaft, alles an geistigen Kräften und Möglichkeiten einzusetzen, um in Genf zu einem Erfolg zu kommen, müssen immer sichtbar bleiben. Die Bereitschaft zur Nachrüstung darf nie in Frage gestellt werden, gerade zu einem Zeitpunkt nicht, wo sich bestimmte Bewegungsmöglichkeiten abzeichnen. Wir werden immer wieder beweisen, daß wir mit unserer ganzen politischen Kraft alles tun werden, gegenüber allen Partnern, allen Verbündeten, um zu guten Verhandlungsergebnissen zu kommen. Wir werden darum ringen, weil wir genauso wie jeder, der hier gesprochen hat, die Nachrüstung verhindern und vermeiden wollen, um diese Rüstungsspirale nicht weiterzudrehen.
({24})
Gerade aus Verantwortung für die Jüngeren in unserem Volk sind wir Älteren verpflichtet, die Erfahrungen, die wir mit Glauben am falschen Platz, mit Glauben statt Handeln gemacht haben, auszuwerten und für diese junge Generation eine Zukunft zu ermöglichen. Sie würde es uns zum Vorwurf machen, wenn wir heute nicht so konsequent handeln würden, wie wir es uns vorgenommen haben.
({25})
Dies heißt nicht, daß nicht jede Friedensbemühung, von wem sie auch kommt, von uns voll unterstützt wird. Dies heißt aber auch: Sachliche Auseinandersetzung ist notwendig. Parolen haben noch nie den beeindruckt, der über große Waffenarsenale verfügt.
({26})
Weil wir dies aus bitterer Erfahrung gelernt haben, werden wir auch in Zukunft diese Erfahrung nicht über Bord werfen.
({27})
Die Fraktion der Freien Demokraten wird in dieser Legislaturperiode die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um die Konsolidierung des Haushalts, die Kontinuität unserer Wirtschaftsstrukturpolitik, die Bewältigung unserer außen- und deutschlandpolitischen Fragen, die Garantierung unserer Sicherheit voll unterstützen. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit, mit Ihnen gemeinsam das, was wir als Grundlage erarbeitet haben, in die Tat umzusetzen. Die Freien Demokraten stehen zu dem Auftrag, den uns die Wähler hier gegeben haben, als Partner in einer Koalition, als Partner der gegenseitigen Rücksichtnahme, aber als gemeinsam Verpflichtete für das Wohl dieses Landes.
({28})
Das Wort hat der Herr
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Ende dieser Debatte über die Regierungserklärung und nach sehr vielen Stunden des Ringens um den richtigen Weg der deutschen Politik eine ganz kurze Bemerkung. Die Debatten dieser drei Tage eröffnen praktisch die parlamentarische Arbeit und die Debatten der nächsten vier Jahre, und wir werden noch viele Gelegenheiten, viele Chancen, aber auch mancherlei Not der Entscheidung haben, um in diesen Jahren den richtigen Weg in allen Teilen jener Probleme zu finden, deren Lösung uns aufgetragen ist.
Ich darf mich zunächst bei meinen Kollegen und Freunden in der Koalition für die Unterstützung bedanken, die aus vielen Beiträgen, insbesondere aus denen des Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU, des Landesgruppensprechers der CSU und des Fraktionsvorsitzenden der FDP, deutlich geworden ist.
({0})
Ich bedanke mich dafür, weil es auch als eine äußere Demonstration der Gemeinsamkeit dieser Koalition der Mitte verstanden werden kann und darf.
Ich war viele Jahre in einem Landesparlament Vorsitzender einer Regierungsfraktion. Später habe ich hinreichend Gelegenheit gehabt, als Oppositionsführer auch die andere Seite dieser Erfahrung kennenzulernen. Das Wesen einer Regierungsfraktion ist nicht so einfach zu beschreiben. Regierungsfraktion heißt ja nicht, daß man zu allem ja und amen sagt, was die Regierung vorlegt, sondern heißt auch kritische Wegbegleitung, eigenständige Überzeugung von der Politik.
({1}) Deswegen ist es wichtig - ({2})
- Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie es nicht einmal mehr mit Ruhe ertragen, daß man über wirkliche Notwendigkeiten des Parlamentarismus miteinander spricht.
({3})
Deswegen bedanke ich mich herzlich dafür, daß dieses selbstverständliche Miteinander hier noch einmal so deutlich geworden ist.
Ich bedanke mich auch für das, was an kritischen Anmerkungen aus den Reihen der Opposition gekommen ist, aus der Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag, sowie aus der Rede des Kollegen Brandt und manchen anderen Bemerkungen.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe natürlich überhaupt nicht erwartet - das gilt auch umgekehrt für Sie -, daß das, was ich für die Koalition der Mitte vorgetragen habe, Ihre Zustimmung findet; das wäre ja auch ganz ungewöhnlich. Aber neben der Kritik ist mir auch manches Nachdenkenswerte gesagt worden. Ich sprach j a von der Notwendigkeit der Auseinandersetzung über die Grundfragen deutscher Politik in den nächsten vier Jahren. Wir werden hier, Herr Kollege Brandt, über viele Einzelheiten zu sprechen haben.
Ich will nur einen einzigen Satz aus Ihren heutigen Äußerungen herausnehmen. Es handelt sich um die Stelle, in der Sie über die Frage der Ausbildungschancen von Lehrlingen und jungen Leuten sprachen. Nun, Herr Kollege Brandt, ich lade uns dazu ein, daß wir im September, wenn die Zahlen für einen Jahrgang wirklich überschaubar sind, erneut gemeinsam darüber sprechen, ob diese Garantie gezogen hat oder nicht. Das ist ein faires Verfahren.
({4})
Herr Kollege Brandt, in Ihren Ausführungen war noch etwas, was mich natürlich reizt, darauf einzugehen, wenn auch nur ganz kurz. Sie haben Ihre Sorge geäußert - es war eine beinahe bewegende Sorge -, ob ich die Richtlinienkompetenz nach der Verfassung auch wirklich wahrnehmen würde. Nun, Herr Kollege Brandt, ich stehe lange genug im politischen Leben. Ich habe die ganze Reihe deutscher Bundeskanzler seit Inkrafttreten des Grundgesetzes erlebt. Ich habe auch das Auf und Ab der Diskussion in allen Parteien dieses Hauses, die je Kanzler gestellt haben, um die Richtlinienkompetenz erlebt. Ich kann Sie beruhigen: Der Sachverhalt ist bekannt. Ich habe meinen Eid auf die Verfassung geleistet, und zu dieser Verfassung gehört auch der Artikel über die Richtlinienkompetenz.
Sie brachten dies in Zusammenhang mit dem Verständnis der Parteien, die diese Koalition tragen. Auch in dieser Hinsicht darf ich Sie beruhigen. Ich denke, es gibt niemand in den Führungen der drei Koalitionsparteien, der nicht genau weiß, daß uns die Wähler im März dieses Jahres 56 % der Stimmen gegeben haben. Verehrter Herr Kollege Brandt, es gibt auch niemand in der Union, der nicht weiß, daß CDU und CSU 48,8 % erhalten haben. Jeder in der Union weiß auch, mit welchem Spitzenkandidaten die Union dies erreicht hat. Insofern, Herr Kollege Brandt, kann kein Zweifel darüber aufkommen, wie das bei der Wahl war und wie das in der Regierung sein wird. Ich will das nur einmal sehr deutlich sagen.
({5})
- Ich habe es doch jetzt deutlich für Sie alle verständlich gesagt.
({6})
Wo soll ich es eigentlich noch sagen, wenn nicht hier von der Rostra des Deutschen Bundestages aus?
Aber, Herr Kollege Brandt, wenn Sie noch den geringsten Zweifel haben beispielsweise über das Verhältnis der CDU zu ihrem Vorsitzenden: Ich lade Sie gerne ein, einmal an unserem Bundesparteitag in drei Wochen teilzunehmen, und zwar zur Zeit der Abstimmung über die Wahl des Parteivorsitzenden. Sie werden dabei für Sie beglückende Erfahrungen machen. Auch das kann ich Ihnen voraussagen.
({7})
Herr Kollege Vogel, Sie haben in Ihrer Erklärung am Mittwoch zu Recht aus meiner ersten Rede als
Oppositionsführer zitiert, die ich nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Wahl 1976 gehalten habe. Ich will ausdrücklich wiederholen, daß ich das, was ich damals gesagt habe, Wort für Wort unterschreibe und daß Sie mich an diese Formulierungen immer erinnern können. Wenn Sie den Eindruck haben, ich dächte heute über die Aufgabe der Opposition anders, sollen Sie mich daran auch öffentlich erinnern können. Ich will das ausdrücklich sagen.
In unserem Gespräch vor einigen Tagen habe ich Sie darauf hingewiesen - ich wiederhole es jetzt öffentlich -, daß für meine Entwicklung, für mein persönliches Leben, auch für meine politische Vorstellungswelt diese Erfahrungen zwischen 1976 und 1982 als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, als Oppositionsführer sehr wichtig waren. Es waren ganz gewiß nicht immer einfache Erfahrungen im Auf und Ab meines Lebens, aber Erfahrungen, die ich deswegen nicht missen möchte, weil man die Notwendigkeit von Regierung und Opposition eigentlich erst dann wirklich begreift, wenn man beide Funktionen einmal innegehabt hat. Ich sage das deswegen so klar und so deutlich, weil Sie von mir, von uns, nicht das Wort hören werden - ich glaube, auch mein Freund Waigel hat das deutlich gesagt -: Wir brauchen die Opposition nicht.
({8})
Jeder, der jetzt in der Regierung sitzt, soll zu keinem Zeitpunkt vergessen, daß Opposition von heute Regierung von morgen und Regierung von heute Opposition von morgen sein kann. Das war immer unsere Überzeugung, und dabei wird es bleiben.
({9})
Dann eine vorletzte Bemerkung: In dieses Haus ist eine neue Fraktion eingezogen. Ich habe die ganzen Tage aufmerksam zugehört. Von mir gibt es keine solchen Zitate aus der Vergangenheit - wie sie zum Teil vorgetragen wurden -, die sich gegen eine Gruppe wenden und zum Ausdruck bringen, daß ich sie von vornherein nicht in ihrer demokratischen Substanz, als vom Wählerwillen hierher geschickt akzeptiere. Aber ich will eines sagen - lassen Sie mich das als einer der Abgeordneten tun; ich habe aufmerksam zugehört -: Sie sind mit Blumen hierher gekommen, aber Sie haben in diesen Tagen im Deutschen Bundestag viel Haß gesät.
({10})
Wer von Gewaltlosigkeit spricht und wer sich die Embleme des Friedens - die Blumen - wählt, sollte hinsichtlich der Tonart und der Form des Umgangs mit anderen überlegen, ob das friedlich ist.
({11})
Herr Kollege Brandt, ein Letztes. Sie haben von den Sorgen und von den Ängsten der Bürger gesprochen. Sie haben bemängelt, ich hätte davon und auch von der Zielrichtung unserer Politik zuwenig gesprochen. Ich will nur noch einmal folgende Sätze zitieren:
Es gibt in Wahrheit nur einen Weg aus diesem Dilemma: Wir müssen die nuklearen Waffen auf beiden Seiten drastisch reduzieren, diejenigen, die unsere Existenz bedrohen, und diejenigen, die wir heute für unsere Sicherheit bereithalten müssen. Der Weg zu mehr Sicherheit führt weg von Waffen. Wir wollen immer danach handeln: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.
({12})
Wie wollen Sie eigentlich klarer und deutlicher in zwei knappen Sätzen eine Politik des Friedens und - ich habe keine Berührungsängste bezüglich dieses Worts - eine Politik der Entspannung formulieren? Vor uns stehen die Fragen der Abrüstung, der Entspannung, der Überrüstung im nuklearen Bereich und, wie ich bewußt und betont hinzufüge, der Überrüstung in weiten Teilen der Welt - auch der Dritten Welt - im konventionellen Bereich. Ich bin etwas bedrückt darüber, daß sich die ganze öffentliche Diskussion in unserem Lande immer mehr auf die nuklearen Waffen zuspitzt und manche so tun, als seien die gewaltigen Vorräte an konventionellen Waffen weniger gefährlich.
({13})
Ich verstehe die Ängste und Sorgen unserer Bürger sehr wohl. Für mich ist klar, daß es unsere Aufgabe, die Aufgabe unserer Generation ist, in dieser waffenstarrenden Welt nicht zuletzt als Deutsche mit der Last der geschichtlichen Erfahrung dieses Jahrhunderts Werke des Friedens zu tun.
({14})
Herr Kollege Brandt, Sie und ich haben am 30. Januar dieses Jahres in Erinnerung an den 30. Januar 1933 mit anderen zusammen im Deutschen Reichstag in Berlin auch zu diesem Thema gesprochen. Wir mögen über die Wege unterschiedlicher Meinung sein. Wir werden sicherlich noch leidenschaftlich, vielleicht manches Mal auch erbittert miteinander streiten. Aber wir sollten von einem ausgehen dürfen: daß wir als Demokraten in Deutschland gemeinsam aus der Geschichte gelernt haben, daß Krieg und Gewalt für uns keine Mittel der Politik sind.
Ich habe nicht ohne Grund diesen wichtigen Satz aus der Charta der Vertriebenen von 1950 in Stuttgart zitiert. Die Vertriebenen haben es zu einem Zeitpunkt gesagt, als keine deutsche Partei dies so zu formulieren wagte.
({15}) Dieser Satz hat für uns Gültigkeit.
Herr Kollege Brandt, ich muß Ihnen auch sagen: Dazu muß ich nicht die Friedensbewegung erwähnen.
({16})
Für mich sind alle Deutschen, die bei klaren Sinnen sind und die geschichtliche Erfahrung dieses Jahrhunderts bis in die eigene Familie in sich tragen, Mitglieder einer großen Friedensbewegung.
({17})
Ich finde, wir alle sollten bedenken, daß unser Tun vor der Geschichte, Herr Kollege Brandt, von denen, die nach uns kommen, später nicht einmal daran gemessen wird, wie groß die Transparente waren, die getragen wurden und wie zahlreich die Kundgebungen - das Jahrhundert, das zu Ende geht, hat Kundgebungen vieler Art gesehen -, sondern wie entschieden, wie intensiv, wie ernsthaft unser Wollen zu Frieden und Freiheit war.
Wenn in dieser Legislaturperiode, die jetzt begonnen hat, von jetzt bis zur nächsten Bundestagswahl, ein Wettstreit in diesem Hause darum entsteht, wer den entscheidenden, wer den wesentlichen, wer den bleibenden und den besten Beitrag für Frieden und Freiheit unseres Landes und der Welt um uns herum leisten wird, dann werden wir das Ziel, das die Wähler uns gesetzt haben, erreichen können.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel ({0}) von der sozialdemokratischen Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in Ihrer Schlußbemerkung mit Dank an alle Seiten des Hauses gewandt. Als Sprecher der größten Oppositionsfraktion stehe ich nicht an, auch meinerseits Dank an alle Seiten des Hauses zu richten. Wir werden uns auch in der Bekundung des guten Willens und guter Absichten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, nicht übertreffen lassen.
({0})
Allerdings fordert Ihre Erklärung die Feststellung heraus, daß Sie einer sehr allgemein gehaltenen Regierungserklärung, die konkrete Festlegungen in fast allen Punkten vermieden hat, jetzt ein sehr allgemein gehaltenes Schlußwort an die Seite gestellt haben, das auf keine der gestellten Fragen mit einer konkreten Antwort eingegangen ist.
({1})
Sie haben die Gelegenheit benutzt, um uns davon zu überzeugen, daß Sie auf Ihrem Parteitag mit Ihrer Wiederwahl rechnen. Sie haben das in einer Art und Weise getan, als wenn das hier Überraschung hervorrufen könnte.
({2})
Man müßte es fast so verstehen, als wenn Sie auf diese Weise eine klare Aussage gegenüber dem CSU-Vorsitzenden, die wir während dieser Debatte erwartet hätten, um die Ecke herum formulieren und um die Ecke herum ausdrücken.
({3})
Herr Bundeskanzler, auch dieses Schlußwort ändert nichts daran,
({4})
daß Ihre Regierungserklärung die Erwartungen nicht erfüllt hat. Ein angesehenes deutsches Blatt sagt dazu:
Der Mangel an Präzision und politischem Mut dieser Regierungserklärung schafft mehr Verdruß als Vertrauen.
Diesem Urteil habe ich für die Sozialdemokraten nichts hinzuzufügen.
({5})
Die Fragen, auf die Sie uns hier die Antworten schuldig geblieben sind, werden wir Ihnen in den Wochen und Monaten, die vor uns liegen, immer wieder aufs neue stellen. Das ist unser Beitrag - ({6})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler hat gerade von dieser Stelle aus bei einem Zwischenruf gemeint, daß wir seine Äußerungen nicht ertragen könnten. Ich muß Ihnen die Frage stellen, was Sie eigentlich zu ertragen in der Lage sind,
({7})
wenn Ihnen schon diese Ausführungen Beschwer und Schwierigkeiten machen.
({8})
Herr Bundeskanzler, Sie haben von dem Haß gesprochen, der hier aus einzelnen Beiträgen herauszuhören gewesen sei.
({9})
Ich muß Ihnen entgegenhalten, daß manche Reaktionen auf Äußerungen von Leuten, die hier das
erste Mal im Parlament ihre Meinung darlegen, an
Haß und an sozialer Unempfindlichkeit hinter dem in keiner Weise zurückbleiben.
({10})
- Ich freue mich, daß Sie die Auseinandersetzung offenbar auf eine rein quantitative Auseinandersetzung zurückführen. Sie freuen sich, daß Sie so viele im Vergleich zu den hier gegenwärtig im Saal anwesenden Sozialdemokraten sind.
({11})
Wir werden diese Auseinandersetzung nicht als eine quantitative,
({12})
sondern als eine qualitative Auseinandersetzung verstehen.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident, - ({14})
- Die Freude, mit der Sie aus dieser Diskussion nach Hause fahren, wird Platz machen der Betroffenheit darüber, daß Sie die Mahnungen und Warnungen, die von allen Seiten unseres Volkes zur Umkehr aufrufen, mit Gelächter quittieren.
({15})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Damit sind wir auch am Schluß unserer Tagesordnung für diese Woche.
Ich berufe deshalb die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 18. Mai 1983, um 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.