Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Aktuelle Stunde
Einführung der neuen Filmförderungsrichtlinien durch den Bundesminister des Innern zum 1. März 1984
Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. lc der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Einführung der neuen Filmförderungsrichtlinien durch den Bundesminister des Innern zum 1. März 1984 verlangt.
Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich noch einmal darauf hin, daß die Geschäftsordnung hier strenge Einhaltung der Redezeit vorsieht.
Als erster hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher, formal betrachtet, nicht üblich, daß sich der Bundestag mit einer Richtlinie im Plenum befaßt, zu der weder die Zustimmung des Bundesrates noch die des Bundestages erforderlich ist.
({0})
In diesem Fall ist es indessen dringend geboten. Die Entscheidung, über die wir heute diskutieren, hat nämlich, wie Sie wissen, weitgehende Auswirkungen auf das politische, auf das geistige und damit auf das kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus. Die Entscheidung, Herr Bundesinnenminister, ist zum Testfall dafür geworden,
({1})
wie Sie es mit der grundgesetzlich garantierten kulturellen und künstlerischen Freiheit in diesem Lande halten.
({2})
Deswegen ist es notwendig, daß der Deutsche Bundestag hier in aller Öffentlichkeit seine Auffassung zu den von Ihnen vorgesehenen schwerwiegenden Eingriffen in das grundgesetzlich garantierte Recht
der Meinungsfreiheit und der künstlerischen Freiheit deutlich macht.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben sich sonst im Bereich der Umweltpolitik nur durch Ankündigungen ausgezeichnet. Sie haben noch kein einziges Gesetz durch das Plenum des Deutschen Bundestages gebracht.
({3})
Hier, wo es um eine Richtlinie geht, wollen Sie handstreichartig ohne ausreichende Debatte die bewährten Filmförderungsrichtlinien ändern.
({4})
Die Aktuelle Stunde heute morgen soll deutlich machen, daß Sie in dieser wichtigen Frage in diesem Hause keine Mehrheit haben, Herr Bundesinnenminister. Weder die Fraktion der FDP noch die Fraktion der GRÜNEN, noch die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei unterstützen diese Wende in der Filmförderungspolitik.
({5})
Dieses Hohe Haus wird heute morgen deutlich machen, daß Sie mit Ihrer Änderung alleinstehen. Dies ist übrigens auch für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland wichtig.
({6})
Wir haben, meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde auch beantragt, um Ihnen, Herr Bundesinnenminister, noch einmal die Chance zu geben, angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus Ihre vorgesehene Entscheidung zu überdenken. Daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Kultur gering achten, wird schon darin deutlich, daß Sie sich hartnäckig weigern, einer entsprechenden Arbeitsgruppe Kunst und Kultur im Innenausschuß zuzustimmen,
({7})
die in der letzten Legislaturperiode gut gearbeitet hat.
Es sollte Ihnen zu denken geben, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wie sich beispielsweise das 13. Internationale Filmfestival in Rotterdam zu der von Ihnen praktizierten Filmförderpolitik und den vorgesehenen Änderungen stellt. Auf
Schäfer ({8})
diesem Internationalen Filmfestival war alles von Rang und Namen vertreten, von den Festivals von Cannes bis New York, von Venedig bis Sidney.
({9})
Ich lese Ihnen einmal vor, was dort an Herrn Bundesinnenminister Zimmermann geschrieben worden ist:
({10})
Mit Sorge betrachten die Unterzeichner dieses Briefes die Entwicklung des neuen deutschen Filmes, der in den vergangenen Jahren entscheidende Impulse auch für den internationalen Film gegeben hat. In der Tat, die bisherige Praxis hat sich bewährt.
Dann wird auf Ihre neue Praxis hingewiesen, und dann heißt es:
Dies ist eine gefährliche Entwicklung. Die Tradition des neuen deutschen Filmes, Herr Bundesinnenminister, sollte auch von Ihnen pfleglich behandelt werden, so wie von den Vorgängern in Ihrem Amt.
Dem stimmen wir zu. - Schließlich, Herr Bundesinnenminister, meine Damen und Herren von der CDU/CSU:
Die Mißachtung der künstlerischen Freiheit kann leicht der erste Schritt zur Beschneidung von jeglicher Freiheit und Liberalität werden.
So weit über hundert Teilnehmer am Internationalen Filmfestival in Rotterdam.
Meine Damen und Herren, wir teilen die Sorgen. Deswegen fordern wir Sie auf, Herr Bundesinnenminister, die Mehrheitsmeinung in diesem Hause in dieser Frage zu beachten und zumindest die Neueinführung der Richtlinien bis zum 31. Dezember 1984 zurückzustellen, damit eine intensive öffentliche Debatte über das geführt werden kann, was Sie jetzt mit der Neufassung der Filmförderungsrichtlinien vorhaben.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, der Kurzfilm, mit dem Sie bei dem Filmfestival des Hohen Hauses heute morgen den Bundesinnenminister zu filmen versuchen, könnte den Titel: „Horror im Morgengrauen" tragen.
({0})
Er gehört absolut in die Kategorie der Abenteuerfilme und ist auf keinen Fall förderungswürdig.
({1})
Meine Damen und Herren, ein Erfolgsfilm auf der Berlinale heißt „Zeit für Zärtlichkeit". Niemand kann von Ihnen, von der Opposition, erwarten, daß
Sie Zeit für Zärtlichkeit für den Bundesinnenminister aufbringen. Er würde an Ihrer Geschmacksverirrung auch verzweifeln.
({2})
Aber mit einer vernünftigen und sachgerechten Bewertung wären Sie eigentlich nicht überfordert. Es ist geradezu grotesk, daß Sie von der SPD nun plötzlich die Anwälte der Filmschaffenden spielen wollen. Herr Duve, lassen Sie mich in allem Freimut sagen:
({3})
Die Vorreiter bei der Filmförderung in der Bundesrepublik Deutschland sind die unionsregierten Länder, nämlich Bayern, ganz vorne, und Berlin.
Sie mögen Frühaufsteher bei der Dauereinrichtung von Aktuellen Stunden sein, in praktischer Förderungspolitik sind Sie Spätstarter.
({4})
Wie ist die Lage, meine Damen und Herren? Der Marktanteil des deutschen Films ist dramatisch gesunken. In den Nachbarländern Europas trägt der deutsche Film die rote Laterne. Ein völlig unverdächtiges Magazin, der „stern", schrieb kürzlich:
Selten schlief man beim deutschen Film so leicht ein wie in diesem Jahr.
({5})
Die simpelsten Regeln des Handwerkes würden mißachtet. Das Organ des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die „Welt der Arbeit", schrieb:
Die deutschen Filmemacher verzetteln sich in zahllose Einzelprojekte, die finanziell schwach auf der Brust sind und oft nur die Regisseure interessieren.
Zwar sind wir auf der Berlinale sehr stark vertreten, meine Damen und Herren, aber Masse heißt noch nicht Klasse. Deshalb hat gestern auch die „FAZ" Zweifel an der künstlerischen Potenz geäußert und gesagt: „Der deutsche Film steht alles andere als glänzend da."
({6})
Wundert es Sie, wenn der Innenminister bei dieser
Lage bei seinen Förderungsrichtlinien den Aspekt
der Wiedergewinnung des Publikums im Auge hat,
({7})
wenn er die Filmemacher zu mehr Risikobereitschaft ermuntert, was zu erhöhter Kreativität führen dürfte, wenn er auch, aber nicht alleine Experimentalfilme fördert und wenn er im Rahmen der Möglichkeiten das Geld der Steuerzahler für einen Beitrag zur Attraktivierung des deutschen Films verwenden will.
Wir wollen den künstlerisch hochstehenden Film fördern,
({8})
suchen aber dafür das Bündnis mit dem Zuschauer.
- Sie, Herr Duve, scheinen sich in Ihrem konservaWeirich
tiven Zelluloidschneckenhaus längst vom Zuschauer abgewandt zu haben.
({9})
Wer Förderungsnaturschutzparks für eine kleine Zahl von Etablierten zu errichten versucht, der öffnet sich zuwenig gegenüber einem breiten Spektrum von Künstlern, er blockiert geradezu kreatives Potential.
({10})
Sie betreiben doch nur Besitzstandsdenken.
Kraft-Wetzel hat kürzlich in der „TAZ" geschrieben - und ich finde, das ist bezeichnend -:
Den finanziellen Spielraum, den sich der neue deutsche Film während der sozialliberalen Ära durch geduldige Lobbyarbeit erobert hat, müssen wir als einen unserer sozialen Besitzstände mit Zähnen und Klauen verteidigen.
So etwas, meine Damen und Herren, findet nicht die Zustimmung der Union.
Und nun ein Wort zu dem, was Sie am Innenminister als „Oberzensor" usw. kritisieren:
({11})
Alexander Kluge hat jüngst sinngemäß gesagt: Jede Förderung ist im Grunde Zensur. Er wollte damit ausdrücken: Es wird immer Auswahlausschüsse, es wird immer Menschen geben, die Entscheidungen über Kunst treffen, wenn das Geld der Steuerzahler ausgegeben wird.
({12})
Manche sagen - hören Sie mit Blick auf Hamburg gut zu, Herr Duve -, Selbstverwaltungsmodelle förderten in besonderer Weise den sogenannten Filz unter den Etablierten und seien deswegen besonders parteiisch. Ich sage für die Zukunft der Filmförderung: Die Auswahlausschüsse behalten auch zukünftig ihr Gewicht. Kann sich aber der politisch und rechtlich verantwortliche Minister aus seiner Verantwortung davonstehlen? Freiheit ist nur denkbar, wenn sie gleichzeitig auch mit der Verantwortung für die Werteordnung unserer Verfassung verbunden ist.
({13})
Natürlich gibt es zwischen diesen beiden Zielen einen deutlich wahrnehmbaren Konflikt. Aber diese werden - dafür steht dieser Bundesinnenminister - im Gedankenaustausch, offen und frei ausgetragen.
Es gibt in diesen Richtlinien weitere positive Punkte wie Straffung und Entbürokratisierung.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Satz an die SPD sagen.
({14})
Einer der deutschen Erfolgsfilme heißt „Supernase".
({15})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bin gehalten, die Redezeit - Weirich ({0}): Ich komme zum Schluß.
Nein. Es ist Schluß, Herr Kollege.
Danke sehr, Herr Präsident.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit 5 Millionen DM hat das Bundesinnenministerium bisher jährlich kulturelle Filmförderung betrieben. 5 Millionen DM kosten ein Kampfpanzer Leopard II oder drei Feldhaubitzen.
({0})
In der Rüstung sind Sie fix, für Kultur tun Sie nix! Trotzdem: Dieses Geld des Innenministeriums war wichtig, damit der neue deutsche Film zwar mit kleinem Budget, aber mit richtungsweisenden Filmen und einer zunehmenden Vielfalt an Dokumentarfilmen entstehen konnte. Kurz: Eine Filmkultur entstand, die dem neuen deutschen Film ein hohes Ansehen hierzulande und vor allem im Ausland verschaffte.
({1})
Mit den neuen Richtlinien soll dem neuen deutschen Film der Garaus gemacht werden. Filmarbeiten wie die von Kluge, Schlöndorff und von Trotta,
({2})
Dokumentarfilme über die Zustände nicht nur in diesem Lande, sollen verschwinden, Drehbücher nicht mehr geschrieben werden, Filmkultur soll nicht mehr gefördert werden.
Seit Übernahme des Ministeriums durch die CSU hat eine kulturfeindliche Kurswende eingesetzt, die beispiellos ist.
({3})
Die Filmemacher sprechen von Reichsfilmkammer. Noch während die alten Richtlinien gelten, häufen sich Zensurmaßnahmen und Repressalien gegen geförderte oder zu fördernde Filme. Aus den neuen Richtlinien spricht der Ungeist einer Antikulturpolitik, die sich dem sogenannten gesunden Volksempfinden verpflichtet fühlt und dem abgewirtschafteten Kommerzkino wieder auf die Sprünge helfen soll.
({4})
Zimmermann beteuert zwar, ihm liege der gute deutsche Film am Herzen, und er wolle ihm zu mehr Qualität und größerer Publikumsresonanz verhelfen. Gleichzeitig aber sagt er: „Ich bin einfach nicht bereit, pseudokünstlerische Experimente, die nur der Selbstbefriedigung und Selbstverwirklichung einzelner dienen, zu unterstützen."
({5})
Er schwingt sich zum bundesweiten Geschmacksdiktator auf und entmündigt die Bürger, selbst zu entscheiden.
({6})
Er will bestimmen, welche Filme mit Förderungsmitteln entstehen dürfen.
Mit seinen Richtlinien ist die Bundesrepublik das einzige europäische Land, das auf dem Gebiet des Films Qualität nicht fördert, sondern durch Förderung wegzuräumen versucht. Gefällt der fertige Film dem Ministerium nicht, können die Förderungsgelder zurückverlangt werden, womit man jeden Filmemacher ruinieren kann. Ein bezeichnender Hinweis dazu ist die skandalöse Verweigerung der letzten Finanzierungsrate für den Film „Meridian" von Rüdiger Neumann, aus dem dieser einen Satz herausstreichen soll, in dem es um ein Zitat von Reagan zum vorstellbaren begrenzten Atomkrieg geht.
({7})
Filme zwischen 20 und 78 Minuten fallen total aus der Förderung heraus, was insbesondere dokumentarische innovatorische Filme betrifft. Der dokumentarische Film dürfte mit diesen Richtlinien ohnehin der wirtschaftlichen und politischen Gesinnung des Innenministeriums zum Opfer fallen.
Mit diesen Richtlinien hat sich Zimmermann ein Ermächtigungsgesetz geschaffen, das die Filmkultur nicht fördert, sondern verhindert und eine politische Kontrolle einführt.
({8})
Mit diesen Richtlinien wird die Kontinuität von 20 Jahren kultureller Filmförderung des Bundes abgewürgt. Die Verbände des neuen deutschen Films wurden zwar um Stellungnahme gebeten, sie benannten auch ihre Bedenken und machten Gegenvorschläge. Dies blieb aber nahezu folgenlos und hatte lediglich Alibifunktion. Die Mehrheit der Verbände des neuen deutschen Films, die in der Bundesvereinigung des Deutschen Films organisiert sind, der Autoren-Film, die Dokumentarfilmer, die Filmarbeiterinnen, die Verleiher und Kinomacher, die regionalen Filmbüros und Videogruppen, verweigert angesichts dieser Richtlinien jede Kooperation mit dem Innenministerium, benennt keine Mitglieder für die Gremien, macht keine Vorschläge für Bundesfilmpreise; sie verweigert sich.
Diese Art von Kulturpolitik hat allerdings nicht nur mit der sichtbaren Inkompetenz und dem spießigen Geschmack im Innenministerium zu tun,
({9})
sondern diese wirtschaftlich orientierte Förderung ist ganz klar auf Filme angelegt, die den deutschen und amerikanischen Filmkommerz mit Produktionsgeldern versorgen sollen,
({10})
auch um billige Unterhaltungsware für die Kabelkanäle des zukünftigen Privatfernsehens zu haben, Seichtes für die Medienflut.
({11})
Die GRÜNEN fordern deshalb: Zurücknahme des Richtlinienentwurfs und Beteiligung der Verbände des neuen deutschen Films an qualifizierten Richtlinien; Erhöhung der Haushaltsmittel; ein unabhängiges Auswahlgremium, das nur nach künstlerischen Kriterien entscheidet.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Sachen Filmförderung bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundesinnenminister und den Liberalen. Das ist übrigens, wie Sie aus früherer Zeit bestätigen können, in einer Koalition unabhängiger und selbständiger Parteien nichts Ungewöhnliches. Allerdings setze ich mich in Form und Inhalt der Kritik von dem ab, Herr Kollege Hoss, was Sie hier gesagt haben.
Wir wenden uns gegen einige Bestimmungen in den neuen Richtlinien und stellen gleichzeitig fest, daß der Bundesinnenminister in seiner bisherigen Amtszeit die bisherigen Richtlinien anders interpretiert und anders handhabt, als alle seine Vorgänger dies getan haben.
({0})
Dies betrifft vor allen Dingen die stärkere Einschaltung des Staates, d. h. des Ministeriums und des Ministers, in den Entscheidungsprozeß.
Wir sind der Meinung, daß sich die Vergabe von Filmpreisen an der bewährten Praxis der Staatsferne zu orientieren hat. In der Abwägung, ob der Staat selbst enscheidet oder ob er diese Aufgabe einem unabhängigen Auswahlgremium überträgt, sind wir unbedingt der Meinung, daß dem Auswahlausschuß der Vorrang gebührt. Diese Auswahlausschüsse haben sich bewährt. Es war, Herr Kollege Zimmermann, in der Vergangenheit immer möglich, die parlamentarische Verantwortung, die Sie ungeschmälert haben, für diese Entscheidungen zu tragen.
Vom zuständigen Minister erwartet niemand, daß er sich mit den Entscheidungen inhaltlich identifiziert. Der Staat fördert, er ist nicht Sinngeber und nicht Kontrolleur.
({1})
Er muß die kulturelle Vielfalt respektieren, wie sie sich frei entwickelt. Zur Toleranz des demokratischen und liberalen Rechtsstaats gehört, daß er auch Fundamentalkritik zuläßt. Diese Freiheit darf von Staats wegen nur dann und insoweit begrenzt werden, als ihr Mißbrauch den unsere Verfassung tragenden ethischen Grundkonsens ernsthaft gefährden würde. Das ist in all den Jahren nie der Fall gewesen;
({2})
mir ist keine Entscheidung des Auswahlgremiums dieser Art bekannt.
Unser zweiter Einwand richtet sich gegen die Einführung von Elementen der Wirtschaftsförderung anstatt der bisher ausschließlich an der kulturellen Qualität orientierten Förderung. Es ist ja nur ein sehr kleiner Betrag, 5 Millionen DM. Wir schätzen, daß für Filmförderung in der Bundesrepublik etwa 80 Millionen, 90 Millionen DM und eine Milliarde DM für die Theaterförderung zur Verfügung gestellt werden. Es bleiben also 5 Millionen DM für die Förderung kultureller Spitzenleistung. So wünschenswert es ist, dem Film ein größeres Publikum zu erschließen, müßte man aber unserer Meinung nach an der Verleihstruktur ansetzen, man müßte fragen: Was machen die Amerikaner mit ihrer großen Finanzmacht hier in unseren Kinos? Wir sind der Meinung, daß es wichtig ist, nach wie vor den Mut zu haben, mit diesem bescheidenen Betrag von 5 Millionen DM die kulturelle Kreativität und das Experiment zu fördern, auch dann, wenn nicht sicher ist, ob der Film beim Publikum ankommt. Dieser Grundhaltung verdanken wir den Aufstieg des neuen deutschen Films und seine internationale Anerkennung.
Die Berliner Filmfestspiele haben sich bewährt. Dort hat sich auch der deutsche Film bewährt, in diesem Jahr in einer bemerkenswerten Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen. Im übrigen ist der Anteil des deutschen Films am Verleihumsatz keineswegs so zurückgegangen, wie hier gesagt wird.
({3})
Wir wollen die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland verbessern. Aus diesem Grunde haben wir gemeinsam mit der CDU/CSU eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die zu einer umfassenden kulturpolitischen Debatte und zu wichtigen Entscheidungen auf diesem Gebiet führen wird.
Von dritter, neutraler Seite, nämlich von der „Privatinitiative Kunst", ist diese Anfrage so beurteilt worden:
Der Fragenkatalog selbst ist ungewöhnlich umfassend, professionell, präzise formuliert und umgeht keines der schwierigen Themen. Als unbestreitbares Verdienst dieser Großen Anfrage kann schon jetzt festgehalten werden, daß sie die Bundesregierung zu einer exakten Stellungnahme in den relevanten Entscheidungsbereichen herausfordert. Einen besseren Einstieg in die erste kulturpolitische Debatte des Deutschen Bundestages
- so wird hier von neutraler Seite gesagt - hätte man sich kaum wünschen können.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden sich also - auch darüber darf die heutige Debatte nicht hinwegtäuschen - auf wichtige Gemeinsamkeiten in der Kulturpolitik zwischen den Koalitionsparteien einrichten müssen.
Danke.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schön, daß morgens um acht schon eine so gute Stimmung im Plenum herrscht.
({0})
- Na eben, das ist doch auch was, wenn ich dafür gesorgt habe. Seien Sie doch dankbar dafür.
Meine Damen und Herren, der Referentenentwurf über Filmförderungsrichtlinien ist als Diskussionsgrundlage schon im letzten Jahr einem ungewöhnlich breiten Kreis zugeleitet und schriftlich und mündlich diskutiert worden,
({1})
zuletzt direkt mit den Filmschaffenden anläßlich des Filmgesprächs in München,
({2})
wo etwa 700 Leute zugegen waren; 300 konnten den Saal nicht mehr betreten. So groß war das Interesse. Dieser Kreis war größer, als ihn die SPD bei einem Filmgespräch jemals zusammen hatte.
({3})
- Ja, ich habe den deutschen Film eben wieder interessant gemacht. Deswegen waren so viele da. Das habe ich dort schon gesagt.
({4})
Wir haben im Innenausschuß zweimal diskutiert.
({5})
Diese ausführliche Diskussion hat keiner meiner Vorgänger, gleich welcher Partei, auf sich genommen.
({6})
Ich kann Ihnen nicht verschweigen, daß ich enttäuscht darüber bin, daß wenig konstruktive Beiträge gekommen sind. Wo sind denn eigentlich die Vorschläge geblieben, wie man in der Bundesrepublik Deutschland mehr Filme von Qualität be4044
kommt, Filme, die die Leute auch sehen wollen, die sie wieder ins Kino bringen?
({7})
Ich sehe immer nur, daß über den Spielraum von Ausschüssen und über die Verantwortung von Ministern gestritten wird, während es doch allein darum geht, dem deutschen Film vielleicht auf einem neuen Weg wieder bessere Chancen zu verschaffen.
({8})
Diesem Anspruch, der allein die Bereitstellung von Haushaltsmitteln rechtfertigt, sollte doch die Diskussion über die neuen Richtlinien dienen. Und da muß man zuerst einmal unvoreingenommen eine Analyse der Situation vornehmen.
({9})
Ich lasse mich hier doch weder von der Magie der Zahlen noch von der Magie der Namen blenden. Die Zahlen, die ich genannt habe, nennt die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, nicht irgendein Produzent. Nach diesen Zahlen haben wir uns zu richten. Sie richten sich j a bei statistischen Angaben auch nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes und nicht nach Zahlen irgendeines Statistikers. Das wäre ja noch schöner! Mit 3% jedenfalls steht der deutsche Film an der allerletzten Stelle der Skala; weit vorne liegen die Italiener, die Franzosen und alle anderen. Das kann doch niemand bestreiten.
In dieser Lage
({10})
unternimmt der Innenminister den Versuch, mit ganz geringen Mitteln mehr Resonanz zu schaffen. Diese Richtlinien entwickeln sich im übrigen aus der Förderungssystematik der letzten Jahre. Sie streben in keiner Weise eine reine Wirtschaftsförderung an, erkennen aber eine Wechselwirkung von Kultur und wirtschaftlichen Entstehungsbedingungen. Denn der Film ist ja wohl ein Medium, und Medien pflegen ja zwischen denen, die sie machen, und denen, die sie sehen wollen, vermitteln zu wollen. Aber ich bin doch nicht dazu da, zu ermöglichen, daß Streifen gedreht werden, die außer dem Produzenten überhaupt niemand sehen will. Das kann doch nicht der Sinn sein.
({11})
- Ich habe Beispiele. Würde ich sie nennen, würde mir der Präsident das Wort entziehen, weil das gegen die Strafgesetze verstoßen würde.
({12})
- Sie können j a einmal privat Einblick in ein solches Drehbuch im Bundesinnenministerium bekommen.
Die wichtigsten neuen Akzente sind: Betonung der Förderung von wirklichen Spitzenleistungen, Straffung beim Deutschen Filmpreis, neue Kurzfilmlänge bis zu 15 Minuten als Animations- und Beiprogrammfilm, bei Filmpreis- und Produktionsprämien eine 30 %-Klausel, also ein Eigenrisiko des Herstellers, Bemühen um Publikumsresonanz, möglichst keine Vollfinanzierung aus öffentlichen Mitteln.
({13})
Ich habe gesagt, warum. Ein bißchen Risiko soll schon noch dabei sein, damit die Leute die Filme nicht nur für sich selber drehen.
({14})
Weitere wichtige Akzente sind bei der Produktionsförderung die Koordinierung, z. B. mit der Filmförderungsanstalt, aber keine Vorschaltung, wie ich ausdrücklich zugesagt habe, bei Konfliktfällen eine Rückverweisungskonstruktion und die Nachwuchsförderung, produktbezogen, verstärkt im Drehbuch- und Kurzfilmbereich.
({15})
Mit einigen Wünschen aus der Diskussion war ich einverstanden, und zwar mit der Verschiebung des Termins vom 1. Februar auf den 1. März, mit der Verdeutlichung der kulturellen Akzente und dem Verzicht auf eine Vorschaltung der FFA.
({16})
Wenn ich mich verpflichte, Qualität, ja Spitzenleistungen im Rahmen der Gesetze zu fördern, dann trage ich dafür letztendlich die rechtliche und auch die politisch-parlamentarische Verantwortung. Dem kann man sich auch nicht durch Tricks entziehen, auch nicht vollständig durch Ausschußverantwortung und Selbstverwaltungssysteme.
({17})
Denn letzten Endes müssen die Systeme immer so sein, daß sie unparteiisch und sachgerecht sind; eine formale Distanzierung, daß man zwar Geld gibt, aber mit dem Produkt nun gar nichts zu tun haben will, halte ich nicht für real.
({18})
Wenn es so ist, dann muß ich mich auch über die eingereichten Filme informieren dürfen. Hier einen Eingriff in die Kunstfreiheit zu sehen, ist absurd, denn in diesem Land kann man drehen, was man will, nur nicht alles mit staatlicher Förderung. Das muß auch nicht sein.
({19})
Jemand hat den Film „Meridian" genannt. Das Drehbuch ist wortwörtlich einem Auswahlausschuß vorgelegt worden, aber es ist nicht so realisiert worden, wie es dem Ausschuß vorgelegen hat, sondern der Film erhielt einen Vorspann und einen Nachspann. Meine Damen und Herren, wir können nicht zulassen, daß in Zukunft abgenommene Filme nachher durch Vor- und Nachspanne ergänzt werden. Das können wir nicht tun, das ist eine Grundsatzentscheidung.
({20})
Es ist keine Zensur, denn abgenommen wird durch den Ausschuß, und dem Ausschuß hat ein anderer Streifen vorgelegen, als dann gesendet worden ist.
({21})
Im Interesse der Filmschaffenden meine ich daher, daß die Richtlinien nun ihrer ersten praktischen Erprobung zugeführt werden müssen. Auch der Termindruck bezüglich der Verleihung des Deutschen Filmpreises erfordert das.
Im übrigen bin ich auch nach Erlaß der Richtlinien jederzeit bereit, über ihren Sinn und über ihren Wert weiter zu diskutieren. Diese Richtlinien sind kein Jahrhundertwerk. Wenn sie sich nach einem Jahr nicht bewährt haben sollten, dann sind sie auch jederzeit wieder änderungsfähig.
Der erste Redner in dieser Debatte hat mit Recht gesagt, daß der Bundesinnenminister diese Richtlinien allein erlassen kann und daß weder Bundestag noch Bundesrat beteiligt werden müssen. Nun, Sie haben sich in einer außerordentlich intensiven Weise beteiligt. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie groß die Zustimmung in diesem Hause ist und wie allein ich hier stehe; ich weiß nur eines: In der deutschen Bevölkerung habe ich eine beträchtliche Mehrheit für meine Auffassungen hinter mir.
({22})
- Das spüre ich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Zitat, Herr Minister:
Irrtum kommt von selbst, und der Mensch ist zum irren gemacht. Einige Wahrheiten entdeckt er nur durch unendliche Mühe.
Ich wünsche Ihnen, daß Sie in Ihrer Amtszeit diese Wahrheiten entdecken. Dieses Zitat ist vom großen Friedrich, Herr Minister Zimmermann. Was Sie hier soeben ausgebreitet haben, nämlich daß der Minister die letzte Verantwortung für kulturelle Entscheidungen hat, ist doch genau das zentrale Kernstück, auf das sich die gesamte Kritik der Filmer, der Presse konzentriert. Hier wird nach meiner Kenntnis zum erstenmal die Zensur der Filmkultur, Kulturpolitik damit begründet, daß der Minister gegenüber der Bevölkerung die Verantwortung trägt. Wenn man das auf Theaterförderung, auf Malereiförderung oder was auch immer überträgt, dann sind wir mitten im Bereich der Zensur. Herr Minister, die sechs Fälle, die wir und alle deutschen Filmer Ihnen vorhalten, haben dazu geführt, daß Ihnen alle wichtigen Gremien ihre Mitarbeit in den künftigen Entscheidungsgremien versagen. Die Fälle zeigen, daß Sie bereits in der bisherigen Praxis Zensur geübt haben. Beim Spielfilm von Herbert Achternbusch haben Sie im nachhinein entschieden. Bei dem Dokumentarfilmprojekt von Karin Braun haben Sie, hat Ihr Mitarbeiter eingewirkt. Bei dem Spielfilm „Die Verführung" von Elfie Mikesch haben Sie in unzulässiger Weise versucht, auf die Form dieses Films Einfluß zu nehmen. Bei dem Spielfilm von Herbert Achternbusch „Der Wanderkrebs" haben Sie ebenfalls eingewirkt.
({0})
Das heißt, schon bei den bisherigen Richtlinien - Herr Baum hat es Ihnen ja vorgeworfen - haben Sie gezeigt, daß Sie nicht gewillt sind, das sensible Verhältnis von staatlichen Geldern auf der einen Seite und der Freiheit der Kunst, die in unserer Verfassung festgelegt ist, auf der anderen Seite zu beachten. Sie sind mit diesem wirklich schwierigen Gebiet sehr grob umgegangen. Sie haben die Gremien der Fachleute, die ja genannt werden, brüskiert. Sie haben vielen von ihnen - und so empfinden sie das auch - einen Fußtritt gegeben. Sie stehen heute vor dem Bankrott
({1}) eines halben Jahres Filmförderungspolitik.
({2})
Der Minister steht vor dem Bankrott
({3})
einer Filmförderungspolitik, die sich in 20 Jahren bewährt hat, Herr Kollege. Er bekommt Kritik
({4})
von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er bekommt Kritik aus der internationalen Filmwelt. Es gibt praktisch niemanden mehr in der Branche, der dieser Änderung zustimmt. Was ich für dramatisch und auch traurig halte, ist, daß nun die Gremien nicht besetzt werden. Ich möchte sehen, wie in der nächsten Woche, Herr Minister, die Besetzung der Gremien erfolgen soll.
({5})
Denn all die Gruppen, die Sie aufgefordert haben, haben erklärt, sie werden nicht mitarbeiten.
({6})
Die eine Änderung - darauf will ich noch kurz zu sprechen kommen - ist keine. Sie überlassen der Filmförderungsanstalt, einer Wirtschaftsförde4046
rungs-Institution, die Vorauswahl. Sie haben doch nur zum Schein wieder übernommen, daß die Filmer ihre Filmprojekte wieder in Koblenz einsenden.
Ich wiederhole: Bankrott einer früheren guten Praxis. Wir sehen schlechte, sehr schlechte Zeiten für die Filmkultur in diesem Land auf uns zukommen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duve hat eben gesagt, hier solle eine Filmförderungspolitik geändert werden, die sich in 20 Jahren bewährt hat. Ich will nicht bestreiten, daß wir in den 60er Jahren mit verschiedenen Instrumenten, auch mit den Richtlinien zur kulturellen Filmförderungspolitik, aber dann auch später, allerdings erst in den 70er Jahren, mit den Filmförderungsgesetzen Erfolg gehabt haben. Aber die Zahlen, die jetzt vorliegen, Herr Duve, sprechen doch eigentlich dagegen,
({0})
daß wir heute noch so erfolgreich sind, wie wir es uns wünschen. Der Bundesinnenminister hat auf die Quote des deutschen Films im Kino hingewiesen. Wenn Sie die Koproduktionen mitrechnen - das ist ja immer ein Streitpunkt zwischen den Filmemachern und den Statisten ({1})
- Entschuldigung: den Statistikern; ich kam aus der Branche -, dann wird man feststellen, daß es allenfalls noch 11 % sein können. Ernst zu nehmende Kritiker sagen, das Handwerkliche beim deutschen Film stimmt nicht mehr. Das war übrigens ein wesentlicher Impuls in den 60er Jahren,
({2})
als eine große Zahl von Filmschaffenden nach Frankreich gegangen war und sich dort orientiert hatte. Viele sagen, daß die Qualität dessen, was dann herauskommt, sich auf internationalen Festivals nicht mehr durchsetzt. Das ist einer der Indikatoren: die Preise, die man auf A-Festspielen erringt; daß man dort also nicht nur beguckt wird, sondern daß man dort mit Qualität bemerkt wird. Ich meine, es muß doch auch Sie aufregen, wenn es Filme gibt, die niemals einen Zuschauer erreichen oder Zuschauerzahlen haben, die geradezu lächerlich sind.
({3})
- Nein, die sind nicht als Publikumsfilme gemeint.
Ich will Ihnen aus dem „Spiegel", der nicht gerade von Herrn Zimmermann herausgegeben wird, vorlesen: Die aussichtslose Lage des deutschen Films wird auch dadurch gekennzeichnet, daß ein Drittel
der einheimischen Filme so gut wie überhaupt kein Publikum mehr findet: „Comeback" von Christel Buschmann 15 419 zahlende Besucher bis Ende 1982, „Dabbel Trabbel" von Dorothea Neukirchen mit 6 131, „Logik des Gefühls" von Ingo Kratisch mit 423 zahlenden Besuchern bis Ende 1982.
Es muß einen doch irgendwie aufregen, daß eine solche Situation eingetreten ist und daß wir dieses nun als Weisheit letzter Schluß verkaufen.
Übrigens: Sie erreichen damit zum Schluß, daß man sich über den Film noch lächerlich macht. Letzte Woche hieß es in einer großen deutschen Sonntagszeitung:
Dienstag abend ein echter Achternbusch im ZDF: „Herz aus Glas", bei dem die Schauspieler angeblich nur unter Hypnose ihren Pflichten nachzukommen imstande waren: 22.05 bis 23.35 Uhr. Wer sich das antut, wird fortan nur noch die Partei von Bundesinnenminister Zimmermann wählen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich finde es nicht richtig, daß Sie hier so tun, als wolle man in die Gestaltungsmöglichkeit der Filmemacher eingreifen.
({5})
Das ist doch eine völlig schiefe Betrachtungsweise. Hier kann jeder jeden Film machen.
({6})
Die Frage ist doch nur: Wie verteilen wir die wenigen und knappen Mittel? Als einer, der seit vielen Jahren in der Filmförderungsanstalt bei der wirtschaftlichen Förderung des Films tätig ist, stehe ich vor dem Problem: Welcher Film wird gefördert, und welcher Film wird nicht gefördert? Es ist doch eigentlich schon die subtilste Form des Eingreifens in die freie Gestaltung des Künstlers, wenn er genau weiß: In einer bestimmten Bewertungs- und Auswahlkommission sitzen immer die gleichen Leute, die sich teilweise nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir" gegenseitig helfen.
({7})
Zum Schluß ist dann beispielsweise festzustellen, daß das so verfestigt ist, daß Neue praktisch keine Chance haben. Ein Filmemacher aus dem Ruhrgebiet hat dies kürzlich so formuliert - ich rede von Adolf Winkelmann -:
Die Förderung hat eigentlich schon immer die Gefahr gehabt, daß sie tendenziell den Filmemacher von seinem Publikum entfernt. Weil eben nicht das Publikum, also die Kinokasse, für den Produktionsetat eines Films zuständig ist, sondern eine staatliche Stelle.
Das hat er doch richtig erkannt.
Nun bewegen wir uns in diesem Spannungsfeld. Ich kann nur sagen: Eine der Änderungen, Herr Bundesinnenminister, von denen ich glaube, daß sie
in der nächsten Zeit ganz wichtig wären, wäre, daß wir das Rotationsprinzip bei den Auswahlgremien einführen, so daß man nie weiß, wer denn in der Kommission sitzt, wenn man ein Projekt einreicht. Denn dann orientiert man sich möglicherweise nicht mehr so stark an bestimmten Personen, sondern macht Filme unter dem Aspekt: Kann ich sie denn auch jemanden zum Zuschauen zumuten?
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag als Filmkritiker! Es ist ja ganz interessant, welche Wertmaßstäbe da angelegt werden. Ich will das nicht weiter ausführen. Aber nach dem Geld alleine kann man wohl nicht alles ausrichten.
Übrigens, Herr Kollege Daweke: Der Grundsatz der Rotation ist natürlich ein alter Hut. Das wird schon dauernd gemacht und ist auch sehr vernünftig.
({0})
Ich habe bei der ganzen Diskussion bisher nicht verstanden, warum die politische Ordnung der Bundesrepublik auf eine harte Probe gestellt wird, wenn das Inkrafttreten dieser Richtlinien nicht am 1. März erfolgt, sondern in einem Zusammenhang mit der Diskussion über die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Kulturförderung.
({1}) Das könnte man ja machen.
Es ist richtig: Über die Richtlinien entscheidet der Bundesminister des Innern. Er braucht dazu nicht die Zustimmung des Bundestages. Aber sie wäre ja nicht unerfreulich, muß man sagen. Er entscheidet über Auszeichnung, Produktionsförderung, Verleihprämien. Es geht nicht um große Beträge. Das ist gesagt worden. Kulturelle Filmförderung ist ja in der Tat der Gegenwert von ein paar hundert Metern Autobahn oder zweieinhalb Polizeihubschraubern; mehr ist es nicht. Auch das könnte Gegenstand einer Erörterung sein.
Worum geht hier der Streit? Er geht einmal um die Sorge, daß auch bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes die Möglichkeiten des staatlichen Einflusses vergrößert werden könnten. Wir beabsichtigen eine solche Novellierung nicht.
Zweitens. Vor allem geht es um die Grundfrage, wo die Grenze verläuft zwischen einer Kunstförderung des Staates und seiner Versuchung, bei dieser Gelegenheit zwischen genehmer und unangenehmer Kunst zu unterscheiden, sich eine Definitionsmacht anzueignen,
({2})
die Kunst in die Richtung zu lenken, die ihm gut und angemessen und für den Bürger förderlich zu sein scheint. Ich stelle mir den Kämmerer einer Stadt vor, der die Subventionierung des kommunalen Theaters davon abhängig machen will, daß ihm der Spielplan gefällt. Wir würden ihn zumindest für ungeschickt und seine Vorstellungen für überholt halten.
Wenn Kunstförderung die staatliche Erziehung des Künstlers sein sollte, dann müßte man sie in einem freien Staat besser unterlassen.
({3})
Viele Menschen in unserem Land beklagen das Gefühl der Einengung, der Gängelung, der schwindenden Toleranz. Das ist es ja, was uns so sensibel macht: wenn man die Befürchtung haben muß, daß der Bereich der kulturellen Freiheit in der Filmförderung, die Toleranz in diesem Bereich eingeengt werden könnten.
Unsere vier Grundpositionen hat Gerhart Baum genannt: Die Vergabe von Filmpreisen sollte staatsfern entschieden werden. Es sollte bei den Entscheidungen eines Auswahlgremiums bleiben, dabei, daß es frei und autonom entscheiden kann. Die kulturelle Filmförderung des Bundes sollte frei bleiben von Elementen der Wirtschaftsförderung. Große Filme sollten nicht besser behandelt werden als Filme, die nur auf einem kleinen Etat beruhen und deren Regisseure häufig bereit sind, neue Wege zu gehen und kulturelle Anreize zu schaffen.
Eigentlich sollte es nicht schwer sein, sich auf diese vier Selbstverständlichkeiten zu einigen.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zimmermann ist ein taktisch kluger Politiker, kein Zweifel. Warum macht er sich diesen Ärger beim Film?
({0})
Was hat er gegen den deutschen Film, daß er so flott eine Entwicklung in Gang setzt, bei der am Ende nur noch der amerikanische Einheitsfilm fürs Einheitspublikum übrigbleibt, den sich nur die schwächer werdenden Jahrgänge von 14 bis 29 im Kino, alle anderen aber im Fernsehen oder über Video angucken?
({1})
Daß der deutsche Film sein Publikum nicht erreicht, liegt nicht nur an der Produktion, Herr Zimmermann, sondern das liegt auch an der Infrastruktur des Verleihs und der Kinos. Von denen sollte man bei der Filmförderung vor allen Dingen einmal genauer sprechen.
({2}) Dazu ist heute aber nicht die Zeit.
Wenn Sie, Herr Zimmermann, die Filmförderungsanstalt nicht vorschalten wollen, dann streichen Sie doch bitte diese Kann-Bestimmung; denn vielleicht will sich die FFA möglicherweise gar nicht vorschalten lassen - jedenfalls war das am vergangenen Dienstag sogar die Meinung Ihres Be4048
raters, Herrn Casparys. Zweitens hat auch die wirtschaftliche Filmförderung bei der Filmförderungsanstalt nicht verhindert, daß viele Flops gefördert worden sind,
({3})
und zwar aus den eben bereits angedeuteten Gründen.
Was will der Innenminister also wirklich? Strebt er eine Bavarisierung der Filmpolitik an,
({4})
so eine Art „Bayern gegen den Rest der Welt", damit's ein Prachtfilm wird, der dem „Bayernkurier" und der „Passauer Neuen Presse" gefällt?
({5})
Na, dann „Gott mit dir, du Land der Bayern". Über die diesjährigen bayerischen Filmpreise - eine geballte Ladung von Belanglosigkeiten - schwieg des Sängers Höflichkeit bereits weitgehend.
Will der Innenminister „Schweinkram" verhindern? Dafür gibt es bereits im Filmförderungsgesetz einen einschlägigen Paragraphen. Dazu bestünde kein Anlaß.
Will er die unabhängigen Gremien zähmen? Dafür muß man Verständnis haben; denn diese Feministinnen von Katrin Seybold über Dagmar Hirtz, von Elke Kummer bis zu Gabriele Wohmann - von mir einmal ganz zu schweigen - sind wirklich schwer erträglich für ein gestandenes konservatives Mannsbild.
({6})
Und die Gremien-Herren von Herrn Schobert bis zu Herrn Patalas könnten womöglich bei den GRÜNEN sein. In jedem Fall müßten sie sich erst einmal die Haare schneiden lassen, bevor sie zu einer Sitzung des Innenminister kommen. Oder sehen Sie das anders?
Nur, Herr Zimmermann, es ist doch ein Irrtum zu glauben., daß sich diese Damen und Herren in den Gremien zähmen lassen. Das bißchen Positiv-Image, das Sie sich beim Umweltschutz durch Flexibilität zu erkaufen suchen, wird von denen schnell kaputtgemacht; denn die können nicht nur denken, sie schreiben auch noch darüber, und es gibt Medien, die das drucken, so daß es andere lesen können.
({7})
Da liest man dann: Zimmermann, der Mann für das verschärfte Demonstrationsstrafrecht; . Zimmermann, der Mann gegen die liberale Handhabung beim § 218; Zimmermann, der Mann gegen die Ausländerkinder; Zimmermann, der Mann, der den deutschen Film zensiert.
Und dieser Innenminister wollte seinen schillernden Ruf doch gerade loswerden.
({8})
Letztes Argument: Dieser Innenminister ist geradezu inbrünstig proamerikanisch. Daß Reagan für Raketen in Deutschland ist, soll man im Vorspann eines im übrigen textlosen Films - es handelt sich
um einen Dokumentarfilm; was in dem Drehbuch gestanden hat, weiß ich nicht, aber ich habe den Film gesehen, und da wurde kein Wort gesprochen - nicht sagen, obgleich es stimmt - denn das könnte als Antiamerikanismus verstanden werden. Filme über vietnamesische Kinder oder über die Friedensbewegung sind gleichfalls unerwünscht. Die Amerikaner sind halt sehr empfindlich.
Vielleicht möchte also der Innenminister bayerischen Freunden behilflich sein, die am amerikanischen Film verdienen.
({9})
Auf diese Weise sind allerdings der englische Film und das englische Kino schon kaputtgemacht worden, da dort auch noch dieselbe Sprache mit den Amerikanern hinzukommt. Wollen wir das in Deutschland genauso? Deutsch nur noch als Synchronsprache? Deutsche Filmhelden bloß noch als böse Soldaten bei amerikanischen Kriegsfilmen?
({10})
Das brauchen wir auf keinen Fall, denn Europa braucht nationale Kulturen: deutsche, französische, italienische, schweizerische und andere. Die müssen wir stärken, und zwar sowohl finanziell als auch ideell. Weder „Kramer against Kramer" noch „the day after", weder Woody Allen noch E.T. spiegeln deutsche Wirklichkeit wider oder sind auch nur europäisch. Müssen wir nicht achtgeben, daß wir den europäischen und den deutschen Film gegen die Marktmacht der Amerikaner verteidigen?
({11})
Wir verteidigen schließlich auch italienischen Tafelwein, deutsches Bauernbrot und französischen Käse und wollen dagegen nicht die Fast-food-Hamburger eintauschen. Die CSU war mit dem Wort vom Ausverkauf deutscher Interessen immer schnell bei der Hand. Bei den Filmrichtlinien könnte das ein Bumerang werden.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Weiß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach dieser etwas hektischen Aufgeregtheit sollten wir, glaube ich, wieder in etwas ruhigere Bahnen kommen und etwas gründlicher über das Problem nachdenken. Sie wissen, Herr Schäfer und Herr Duve, ich schätze Sie sehr. Wir kennen uns aus der gemeinsamen Ausschußarbeit. Aber ich muß Ihnen folgendes sagen. Bei allem Eifer ist es mehr blinder Eifer, der bei Ihnen mitspricht, und Sie wissen: Blinder Eifer schadet oft der Sache. Das nicht zu beseitigende Mißtrauen bei Herrn Duve ist auch keine günstige Voraussetzung für eine vertrauensvolle Arbeit und für eine Abwägung dieser Problematik.
({0})
Ich möchte einige Aussagen machen zu Ihrer Bemerkung, Herr Duve, bezüglich der Beurteilung der Filme durch den Auswahlausschuß und durch den Innenminister. Im zweiten Halbjahr 1983 sind 252 Vorschläge eingereicht worden. 30 hat der Auswahlausschuß ausgewählt. Davon sind 27 positiv entschieden. Ein Fall ist noch in der Diskussion, ein Projekt wurde zurückgezogen, und ein Projekt ist jetzt entschieden worden, und zwar positiv.
Da können Sie doch nicht unterstellen, daß hier üble Oberzensoren an der Macht seien und ihr Handwerk ausübten.
({1})
Herr Kollege Hirsch, Sie haben hier einige grundsätzliche Ausführungen gemacht. Ich möchte, wenn Sie mir erlauben, dazu auch noch einige Anmerkungen machen. Ich glaube, daß jeder Fachmann und jeder, der sich um Kunst bemüht, weiß, daß die staatliche Kunstförderung nicht unproblematisch ist. Da stimmen Sie mit mir hoffentlich überein. Für den Staat, für die Exekutive, geht es aber zuallererst um zwei Grundsatzfragen, die geklärt werden müssen: Erstens. Was ist unter „Kunst" zu verstehen?
({2})
Zweitens. Was kann aus dem als Kunst erkannten oder anerkannten Bereich gefördert werden?
({3})
Sie stimmen mir sicher zu, wenn ich behaupte, daß die Entscheidung darüber, was Kunst ist, besonders problematisch ist. Alle Versuche
({4})
- jetzt müssen Sie einmal zuhören -, Kunst zu definieren, müssen scheitern, weil es in unserer pluralistischen Gesellschaft einen objektiven, allgemeinen Begriff der Kunst nicht gibt und auch nicht geben kann.
({5})
Eine inhaltlich fixierte Definition gibt das Bundesverfassungsgericht. Es umschreibt Kunst als - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
das Ergebnis freier, schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.
Trotz einer solchen Definition der Kunst stellt sich im Einzelfall immer wieder die Frage, ob man es mit einem Kunstwerk zu tun hat oder nicht. Die Definition des Bundesverfassungsgerichtes und auch die sonstigen Umschreibungen von Kunst, beispielsweise in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sind einerseits von dem Bemühen getragen, Kunst von Nichtkunst inhaltlich zu scheiden, andererseits wird der Begriff der Kunst so weit gefaßt - da bitte ich, gut zuzuhören -, daß alle denkbaren künstlerischen Äußerungen Anteil an der Kunstfreiheitsgarantie haben.
Ich sage dies, weil dies Folgen für die konkreten Förderungsrichtlinien und -praxis hat. Weil aber die Mittel für die Förderung nur begrenzt zur Verfügung stehen, kann staatliche Förderung nur auswählende Förderung sein, wobei für uns das wichtigste Kriterium der Gesichtspunkt der Qualität ist. Herr Duve, da stimmen wir mit Sicherheit überein.
({6})
Nach dem uns vorliegenden Richtlinienentwurf ist dafür ein Auswahlausschuß, der aus Experten besteht, eingerichtet. Zwar üben der Auswahlausschuß und die verschiedenen Kommissionen rechtlich nur eine beratende Funktion aus, sie bestimmen jedoch, da der Staat äußerst selten von ihrem Urteil abweicht, weitgehend die staatliche Entscheidung. Es muß aber auch klar herausgestellt werden, daß dieses Expertengremium dem Innenminister das Wagnis der Entscheidung und auch das Risiko einer Fehlentscheidung nicht abnehmen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die uns vorliegenden Richtlinien stimmen mit unseren Vorstellungen von Filmförderung überein.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sie sichern den Künstlern die notwendige Freiheit vom Staat und die erwünschte Hilfe durch den Staat. Dies ist der richtige Weg.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirtschaftliche Situation bei den Filmherstellern ist durch eine starke Unrentabilität und durch hohe Subventionierung gekennzeichnet. Filmhersteller, filmtechnische Betriebe, Filmverleiher, Filmhändler und Filmtheater sind die eigentlich filmwirtschaftlichen Bereiche, zu denen weitere Personengruppen kommen, die einen Teil ihrer Einkünfte aus der Filmproduktion beziehen. Hier geht es also nicht um einen ganz kleinen Bereich, sondern es geht schon um etwas: Unterhaltungsmusiker, Foto- und Bildjournalisten, Designer, Regisseure, künstlerisch-technische Mitarbeiter, Komponisten, Schauspieler, um nur einige zu nennen.
Hinzu kommt die gefährliche Konkurrenz für die Filmverleiher und Filmtheater durch die neuen Medien. Es ist keineswegs auszuschließen, daß sich die Wettbewerbsposition der deutschen Produzenten gegenüber den ausländischen Herstellern von Unterhaltungsfilmen und Unterhaltungsserien - insbesondere aus USA und Fernost - trotz absoluter Steigerungen verschlechtert. Die zunehmende Nachfrage nach Video und Bildplatte kommt hinzu. Die Besucherzahlen werden bestenfalls gehalten. Der Trend zu kleineren Kinos verstärkt sich. Das ist, meine Damen und Herren, unbestritten die künftige Situation, um die es hier geht.
In diesem breiten Risikorahmen soll nun der Produzent, der finanziell ohnehin nicht zurecht kommt,
70% von diesem Risiko selber tragen. Meine Damen und Herren, das heißt: Der künstlerische Film ist tot.
({0})
Nun genehmigt sich der Innenminister die Ausnahme, die Vollförderung. Er bestimmt die Ausnahme, bestimmt, was ganz gefördert wird. Er gibt sich Richtlinienkompetenz, indem er Richtlinien für andere erläßt, und er bestimmt auf einem Gebiet, nämlich auf dem der Kultur, das für meine Begriffe in der freiheitlichen Demokratie den größten Freiraum beanspruchen darf und muß,
({1})
falls wir unter Kultur und Filmschaffen noch das gleiche verstehen.
Eine Regierung, deren Chef ansonsten alles auszusitzen pflegt, eine Tu-nix-Regierung, erweist sich gerade hier als ungeheuerlich aktiv. Der Bundesminister des Innern nimmt sich den Vorsitz, statt sich herauszuhalten. Bisher hat die Regierung nicht mitgestimmt. Warum wohl nicht? Meine Damen und Herren, weil Kunst und Kultur so etwas wie ein unantastbares Gut waren!
({2})
Wenn Freiheitssymbole gefragt sind, dann doch zuallererst hier!
Nun bestimmt ein Minister - das ist noch nicht gesagt worden -, ausgerechnet der, der auch für Polizei
({3})
und Verfassungsschutz zuständig ist, darüber, was förderungswürdige Kunst und Kultur ist. Er macht sich zum Richter, statt sich herauszuhalten.
({4})
Das Parlament ist machtlos, kann das nicht verhindern. Meine Damen und Herren, es geht sozusagen ums Ganze. Dieser Bundesminister des Innern erläßt Richtlinien über das, was das Ganze ist. Er verfügt auf dem Erlaßwege, was Werte sind, und das ist das Schlimme und Furchtbare.
({5})
Dabei redet hier einer meiner Vorredner von der CDU von blindem Eifer. Wir sind - das habe ich heute morgen hier feststellen müssen - weit auseinander. Der große Unterschied ist der, daß wir auf seiten der freiheitlichen Kultur stehen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte doch noch einige Worte zu Minister Zimmermann sagen, der zu Eingang seiner Rede mit der spaßigen Bemerkung, daß er nicht daran interessiert ist, Filme zu unterstützen und zu fördern, die außer dem Produzenten niemand sieht, von dem wesentlichen Punkt ablenkt, nämlich davon, daß es darum geht, daß er politisch-kulturelle Zensur ausüben will.
({0})
Er spricht davon, daß es um Filme geht, die nur der Produzent selbst sieht. Wir bringen aber den Fall einer politischen Zensur über einen Film, „Meridian" von Neumann, wo ein Zitat von Reagan über den vorstellbaren begrenzten Krieg in Europa herausgestrichen wird.
({1})
Es handelt sich hier um eine Zensur, die sich dagegen richtet, daß doch immerhin Millionen Menschen, die der Friedensbewegung angehören, solche Filme sehen wollen. Damit wird ganz deutlich, daß Minister Zimmermann mit seiner Art, wie er die Richtlinien gegenüber dem neuen deutschen Film vorgibt, eine politische Zensur ausübt.
Es geht im Grunde darum, daß wir Gefahr laufen, daß nach 20 Jahren einer liberalen Kulturpolitik jetzt die Kulturpolitik unter das Regime eines Mannes kommt, der sich, ausgestattet mit der Arroganz der Macht, anmaßt, unsere Künstler zu reglementieren.
({2})
Ich denke, wir alle in diesem Hause sollten erkennen, daß es darum geht, daß für den neuen deutschen Film mit diesen 5 Millionen, die sage und schreibe der Gegenwert von drei Feldhaubitzen sind,
({3})
die Chance erhalten bleibt, sich in der Konkurrenz, in der Auseinandersetzung mit dem Kommerzfilm der Amerikaner und der Italiener, zu behaupten und durchzusetzen.
Wir können bei dem, was unsere Künstler mit den neuen deutschen Filmen hervorgebracht haben, davon ausgehen, daß trotz dieser Ränke, die im Innenministerium geschmiedet werden, der neue deutsche Film immer noch besser ist als der derzeit amtierende Innenminister.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Broll.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor mir steht ein faszinierendes heroisches Bild: Im tiefen Forst reitet ein schon angegrauter Recke, das Visier heruntergezogen, die Augenschlitze verstopft, mit gesenkter Lanze, hinter jedem Baum ein Filmemacher, der den mutigen Angriff mit Pfiffen begleitet.
({0})
Broll
Was sucht der Uwe Beyer, der Jung-Siegfried des deutschen Films, was sucht Herr Freimut Duve auf dem Schlachtfeld? Nicht einen feuerspeienden Lindwurm namens Zimmermann, nein, eine Milchkuh, die mit jährlich 5 Millionen DM zu melken ist.
({1})
Es geht nicht einmal darum, daß sie nicht mehr bereit wäre, Milch zu geben. Wie gemolken wird und wer melken soll, das ist die Frage.
({2})
Wenn im letzten Jahr 252 Filme eingereicht worden sind und 222 davon von der Kommission nicht angenommen worden sind, dann ist das Freiheit. Wird ein weiterer vielleicht nicht zugelassen, weil sich der Minister in bestimmten Augenblicken ein letztes Votum, da er doch den Preis verleiht, vorbehalten will, dann ist das Zensur, dann geht die deutsche Freiheit unter.
Herr Duve und meine Damen und Herren, finden Sie nicht auch, daß Sie mit diesem Dampf den deutschen Film lächerlich machen?
({3})
Winston Churchill war sein Leben lang glücklich darüber, daß er in der Schule ein Versager gewesen war. Doch was war aus ihm geworden! Wenn einmal ein junger deutscher Film käme, der den Filmpreis nicht erhalten hätte und dennoch am Markt reüssierte, was für ein Stolz für den Regisseur, der bestätigt wäre in seinen Anschauungen, in seinen Bildern, in seiner Deutung der Wirklichkeit! Wie sehr hätte sich das Risiko des Produzenten bestätigt! Was ist das, was wäre das, frage ich, Herr Duve, denn Sie kennen den deutschen Film nur unzulänglich, scheint mir, für ein deutscher Film, der sich in spießbürgerlicher Subventionsmentalität um Verteilungsprozeduren kümmerte und glaubte, allein davon seine Existenz abhängig machen zu können! Machen Sie doch endlich einmal dem deutschen Film Mut, machen Sie aus dem Pudding einen Stahl, der Funken schlägt! Wann ist es endlich so weit, daß es der deutsche Film einmal nicht mehr nötig hat, vorher Prämien zu bekommen, damit er überhaupt Kredit bekommt, sondern nach gelungenem Erfolg einen Preis des Ministers erhält? Das wäre doch die Zukunft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ein Beamter oder der Minister selbst als einer von 25 in Zukunft Stimmrecht in der Kommission hat, ist denn das ein solcher Zusammenbruch der Freiheit der deutschen Kunst? Ist vielleicht ein solcher Beamter, wenn er auch wahrscheinlich für die dort Tätigen zu korrekt aussieht, nicht vielleicht genauso wie manche andere, die sich Profis nennen, in der Lage, zu beurteilen, wann ein Film gut ist?
Wann wird es der deutsche Film endlich schaffen, zu der handwerklichen Kunst, die er wohl noch beherrscht, auch jene Themen zu finden, die das deutsche Publikum interessieren, die unsere Lage spiegeln, nicht in Beschönigung, aber auch nicht, indem man Themen heraussucht und Deutungen bringt, die nur eine ganz kleine Minderheit, die mit ihren
eigenen Problemen nicht fertig wird, interessieren. Das wäre die Zukunft des Films.
({4})
Machen Sie ihn endlich frei von dem ewigen Genörgele, dem Suchen nach Subventionen! Sie schaden dem deutschen Film, Sie schaden dem Ansehen der Filmemacher selbst - bedenken Sie das - mit Ihren Kampagnen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
({0})
- Ich bitte um Aufmerksamkeit, weil hier technische Dinge zu beachten sind.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
- Drucksache 10/996 Meine Damen und Herren, die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schlagen Ihnen auf Drucksache 10/996 die Abgeordneten Carstens ({1}), Dr. Riedl ({2}) und Hoppe vor. Die Fraktion der SPD benennt auf Drucksache 10/1045 die Abgeordneten Walther und Kühbacher. Von der Fraktion DIE GRÜNEN wird auf Drucksache 10/1038 der Abgeordnete Kleinert ({3}) vorgeschlagen.
Ich bitte Sie nun um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Nach, dem gestrigen Beschluß des Deutschen Bundestages ist ein Gremium einzusetzen, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Die Mitglieder müssen dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages angehören. Ich stelle fest, die vorgeschlagenen Abgeordneten gehören dem Haushaltsausschuß an.
Nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1984 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stimmen erhält.
Auf Ihren Pulten befinden sich ein Wahlausweis und ein Stimmzettel mit den Namen der vorgeschlagenen Abgeordneten. Sie können - und darauf weise ich besonders hin - auf dem Stimmzettel höchstens fünf Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr als fünf Kreuze, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Da eine geheime Wahl nicht vorgeschrieben ist, können Sie die Stimmzettel auf den Pulten ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmzettel in eine der aufgestellten Wahlurnen geben, müssen Sie den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben. - Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Präsident Dr. Barzel
Bevor wir in die Wahlhandlung eintreten, erteile ich das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will hier nur zum Ausdruck bringen, daß ich mich an dieser sogenannten Wahl nur unter Vorbehalt der rechtlichen Nachprüfung und unter Protest beteilige.
({0})
Wenn ich mich beteilige, so aus Loyalität gegenüber meiner Fraktion und aus Solidarität mit den von meiner Fraktion vorgeschlagenen Kollegen.
Warum der Protest? Es ist das erstemal, seit ich nach 1945 in unserem Land das Recht habe, zu wählen, daß vor einer Wahl nicht feststeht, wie viele Kandidaten gewählt werden. Durch die Formulierung „bis zu fünf" behält sich die Mehrheit vor, mit der Wahl zu entscheiden, wie groß das Gremium sein wird.
({1})
Das ist ein Novum. Das gibt es nicht bei Wahlen zu Betriebsräten, zu Kommunalparlamenten, zu Ausschüssen innerhalb von Parlamenten und Betriebsräten, zu Kommissionen, daß man im voraus nicht weiß, sondern erst aus dem Ergebnis sieht, wie viele gewählt werden. Deshalb mein Protest.
Ich habe gesagt, warum ich mich trotzdem beteiligen werde.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie haben die persönliche Erklärung gehört.
Die Schriftführer haben ihre Plätze eingenommen. Ich eröffne die Wahl und bitte, die Stimmzettel anzukreuzen und sie anschließend, nach Übergabe des Wahlausweises an die Schriftführer, in eine der aufgestellten Wahlurnen zu geben.
Meine Damen und Herren, haben Sie jetzt alle Gelegenheit gehabt, sich an der Wahl zu beteiligen? - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich schließe diese Wahl und bitte, mit der Auszählung der abgegebenen Stimmen zu beginnen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Mitteilung. Die Auszählung wird ungefähr 45 Minuten dauern. Wenn Sie wollen, können wir mit der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren, so daß wir nicht zu unterbrechen brauchen. - Ich stelle fest, Sie sind damit einverstanden.
Ich rufe daher die Tagesordnungspunkte 12 bis 14 auf:
12. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 303 StGB - ({0}) - Drucksache 10/308 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB -({2})
- Drucksache 10/901 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({3})
Innenausschuß
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
- Drucksache 10/902 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von drei Stunden vorgeschlagen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983 heißt es:
Die Zunahme der Gewalt ist auch in der Bundesrepublik besorgniserregend. Wir werden Gewalt, unter welchem Namen und mit welcher Begründung sie auch auftreten mag, in unserem Rechtsstaat nicht dulden.
({0})
Die Bundesregierung ist entschlossen, ihr Handeln an dieser Leitlinie zu orientieren. Die Bürger neigen heute immer stärker dazu, ihre Anliegen und Wünsche auch durch die Wahrnehmung des verfassungsrechtlich verbrieften Demonstrationsrechts zum Ausdruck zu bringen. So haben 1983 rund sechsmal so viele Demonstrationen stattgefunden, wie dies im Jahre 1971 der Fall war. Dabei weisen die Zahlen sehr deutlich aus, daß sich die Demonstranten in ihrer überwältigenden Mehrheit an Recht und Gesetz halten.
Die politisch Verantwortlichen können und dürfen aber andererseits nicht die Augen davor verschließen, daß nahezu alljährlich mehrere hundert Demonstrationen unfriedlich verlaufen. Hier ist inden letzten Jahren eine zunehmende Intensität und Brutalität der Gewaltausübung festzustellen. Meist ist es nur eine relativ kleine, von vornherein zur Gewaltausübung entschlossene Gruppe von teilweise eigens zu diesem Zweck angereisten Chaoten, die dem Demonstationsgeschehen ihren negativen Stempel aufdrücken.
({1})
Durch die Berichterstattung der Medien werden
dann der Bevölkerung Eindrücke vermittelt, die es
vielen in der Bevölkerung geraten erscheinen lasBundesminister Engelhard
sen, sich von öffentlichen Kundgebungen überhaupt fernzuhalten, und die geeignet sind, Demonstrationen und den Teilnehmer an Demonstrationen schlechthin in Mißkredit zu bringen.
Bei unfriedlichen Demonstrationen werden immer wieder friedliche Bürger und eine Vielzahl von Polizisten - teilweise schwer - verletzt und beträchtliche Sachschäden verursacht. Obwohl oft mehrere Hundertschaften von Polizeibeamten im Einsatz sind, kommt es nur zu wenigen Festnahmen. Es kommt zu ganz wenigen Anklagen, und es kommt selten zu Verurteilungen. Der Grund dafür ist, daß die Polizei keine ausreichende rechtliche Handhabe hat, rechtzeitig an die Gewalttäter heranzukommen, weil diese von einem breiten schützenden Gürtel friedlicher Demonstranten und Neugieriger umgeben sind. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, daß polizeitaktische Maßnahmen nicht ausgereicht haben, die Probleme zu bewältigen.
Niemand wird bestreiten können, daß unter diesen Umständen auch der Gesetzgeber zum Nachdenken aufgerufen ist. Die Bundesregierung schlägt deshalb heute vor, den Straftatbestand des Landfriedensbruchs den veränderten Erfordernissen anzupassen.
Wer ehedem seine Lektion gelernt hat, der wird eine Rückkehr zum alten Landfriedensbruch von vor 1970 von vornherein ablehnen. Der Gesetzentwurf sieht daher vor, den derzeit geltenden Absatz 1 des § 125 StGB unverändert zu lassen und ihn lediglich durch einen neuen Abs. 2 mit einer niedrigeren Strafdrohung zu ergänzen. Künftig sollen danach auch diejenigen, die beim Ausbruch von Gewalttätigkeiten oder Bedrohung in einer Menschenmenge eine polizeiliche Aufforderung zum Auseinandergehen nicht befolgen und durch ihre bloße Anwesenheit den polizeilichen Einsatz behindern, bestraft werden. Gerechtfertigt und damit nicht strafbar sollen Personen sein, die ausschließlich dienstliche oder berufliche Pflichten ausüben. Ein Strafausschließungsgrund soll für Personen gelten, die sich als sogenannte Abwiegler erweislich darum bemühen, Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen zu verhindern. Und schließlich soll das Gericht die Möglichkeit haben, bei geringer Schuld des Täters von Strafe abzusehen.
Bekanntermaßen, meine Damen und Herren, hat die Voraussetzung der Erweislichkeit für die Abwieglereigenschaft in der öffentlichen Diskussion zu großen Mißverständnissen geführt. Bei aller Problematik, die ganz unbestritten sei: Recht betrachtet hat die Figur des Abwieglers mit dem Grundsatz in dubio pro reo nichts zu tun. Wer trotz der Aufforderung der Polizei am Tatort verbleibt, handelt tatbestandsmäßig, er handelt rechtswidrig, und er handelt schuldhaft. All dies muß ihm Punkt für Punkt nachgewiesen werden. Dem auf diese Weise bereits Überführten bietet der Entwurf mit der Abwieglerregelung eine Rechtswohltat, wie sie unser Strafgesetzbuch sonst kaum kennt.
({2})
Die Rechtsstellung des Beschuldigten wird also in Wahrheit nicht eingeschränkt, sondern sie wird gestärkt. Diese Rechtswohltat soll natürlich nur dem zugutekommen, dessen Verbleiben am Platz im ursprünglichen Sinne notwendig ist, nämlich um die Not zu wenden.
Ich habe besonderen Wert darauf gelegt, daß bereits im Tatbestand verdeutlicht wird, daß bei einer unfriedlich gewordenen Demonstration nicht unbedingt die ganze Menschenmenge, sondern - wie dies nach den örtlichen Gegebenenheiten möglich ist - auch ein bestimmter, räumlich abgrenzbarer Teil der Menge zum Auseinandergehen aufgefordert werden kann.
({3})
Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies ermöglicht den rationellen und konzentrierten Einsatz der Polizeikräfte und läßt den Betroffenen diesen Einsatz auch einsichtig werden.
Meine Damen und Herren, wie bereits erwähnt, entsteht gerade bei unfriedlichen Demonstrationen, aber auch durch Akte des Vandalismus bei Massenveranstaltungen vielfältiger Art oft hoher Sachschaden.
({4})
Vor allem bei solchen Krawallschäden kann ein Interesse an der Strafverfolgung bestehen, das über das Interesse des Verletzten an der Unversehrtheit seines Eigentums hinausgeht. Deshalb spricht viel für den Vorschlag des Bundesrates, ein Einschreiten bei Sachbeschädigungen von Amts wegen zu ermöglichen, wenn die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Der Rechtsstaat kann und muß Gesetze dort korrigieren, wo Erfahrungen oder bessere Erkenntnisse zeigen, daß Verbesserungen notwendig sind. Dies gilt nicht nur auf dem Gebiete der Strafverfolgung, sondern es gilt ebenso, wenn es darum geht, die Rechtsgarantien für mutmaßliche Straftäter sicherzustellen.
Schon bei der Beratung des Kontaktsperregesetzes wurde seinerzeit intensiv, wenn auch zeitlich gedrängt, darüber nachgedacht, wie dem von allen Kontakten zur Außenwelt einschließlich seines Verteidigers abgeschnittenen Gefangenen ein Ansprechpartner außerhalb der Haftanstalt zur Verfügung gestellt werden könnte. In den folgenden Jahren ist dieser Plan weiterverfolgt worden, aber er war nie durchsetzbar.
Es erfüllt mich deshalb mit besonderer Befriedigung, daß diese Bundesregierung auch hier zu einer Korrektur bereit ist. Mit dem Entwurf, der Ihnen vorliegt, soll die Möglichkeit eröffnet werden, dem Gefangenen auf seinen Wunsch einen Rechtsanwalt als Kontaktperson beizuordnen, der den Gefangenen während der Kontaktsperre in allen rechtlichen Angelegenheiten betreut, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Sicherheitsbelange werden durch die Beiordnung der Kontaktperson nicht be4054
einträchtigt. Dafür bürgt, daß die Kontaktperson von dem zuständigen Landgerichtspräsidenten ohne Rücksicht auf den etwaigen Wunsch des Gefangenen, ihm eine bestimmte Person beizuordnen, ausgewählt wird und daß diese Kontaktperson ihre Aufgabe unter strikter Wahrung der besonderen Zwecke der Kontaktsperre zu erfüllen hat.
Wir alle wünschen ganz dringend und hoffen, uns nie mehr durch eine schreckliche Situation wie im Herbst 1977 nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer zur Anwendung des Kontaktsperregesetzes gezwungen zu sehen. Trotzdem ist es richtig und notwendig, dafür Sorge zu tragen, daß der Rechtsstaat auch in Zeiten größter Herausforderung ohne Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit gewährleistet.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Tag wird in die rechtspolitische Geschichte der Bundesrepublik eingehen.
({0})
nicht als strahlender allerdings, sondern als ein schwarzer Tag, als ein Tag, an dem ein Justizminister, der sich liberal nennt, einen zutiefst illiberalen Gesetzentwurf vorlegt, einen Gesetzentwurf, der auch handwerklich einen Verfall unserer Rechtskultur markiert,
({1})
einen Entwurf, dessen sich das Bundesjustizministerium, dessen Arbeit Gustav Radbruch einmal mit dem Blick auf seine Tätigkeit als Reichsjustizminister als die einer Bauhütte des Rechts bezeichnet hat, schämen müßte, wenn er ihm nicht von der politischen Spitze des Hauses oktroyiert worden wäre.
({2})
Denn, Herr Kollege Engelhard, was immer Sie vorbringen mögen: Dieser Entwurf, der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 125 StGB, ist Ihr Entwurf. Sie haben ihn politisch zu vertreten.
Sie haben vorhin von einer Rechtswohltat gesprochen. Sie, Herr Kollege, sind mit diesem Entwurf kein Rechtswohltäter. Im Gegenteil. Sie beschädigen das Recht.
({3})
Worum geht es? Das geltende Strafrecht unterscheidet sorgfältig zwischen friedlichen Demonstranten und Personen, die im Zusammenhang mit einer Demonstration Gewalt anwenden. Der Gewalttäter macht sich strafbar. Ihm droht Freiheitsentzug bis zu drei Jahren, in besonders schweren
Fällen bis zu zehn Jahren. Nach seiner Verurteilung ist er vorbestraft. Der friedliche Demonstrant, der sich trotz Aufforderung vom Ort der Demonstration nicht entfernt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Er kann von der Verwaltungsbehörde mit einem Bußgeld belegt werden. Strafbar macht er sich nicht. Er bleibt unbescholten.
Diesen Unterschied will die Bundesregierung, wollen Sie, Herr Kollege Engelhard, beseitigen. Sie wollen den friedlichen Demonstranten ebenso behandeln wie den Gewalttäter.
({4})
Sie wollen das Verbleiben am Ort der Demonstration ebenso kriminalisieren wie die Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen. Sie wollen eine Strafdrohung, die sich heute gegen einige wenige potentielle Gewalttäter richtet und für diese auch erforderlich ist, auf Zehntausende, nein, auf Hunderttausende von friedlichen Demonstranten erstrecken, die einer behördlichen Aufforderung nicht sogleich Folge leisten. Das ist der Inhalt Ihrer Vorlage.
({5})
Ich sage: der Inhalt. Denn der Zweck, die eigentliche Absicht, die Sie mit dieser Vorlage verfolgen, reicht viel weiter. Sie zielt auf das politisch-geistige Klima unseres Landes. Darauf komme ich noch zurück.
Ihre Vorlage, Herr Kollege Engelhard, ist unzweckmäßig. Sie isoliert den Gewalttäter nicht, sondern führt zur Solidarisierung friedlicher Demonstranten mit Gewalttätern.
({6})
Ihre Vorlage stellt die Polizei vor unlösbare Aufgaben. Sie überlastet die jetzt schon überlastete Justiz mit einer Flut zusätzlicher schwieriger Verfahren.
Ihre Vorlage ist aber nicht nur unzweckmäßig. Sie verstößt darüber hinaus massiv gegen Grundprinzipien unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung. Sie erschwert die Wahrnehmung der Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit. Sie beeinträchtigt das Legalitätsprinzip. Und sie mißachtet den Grundsatz, daß niemand verurteilt werden kann, dessen Schuld nicht zur Überzeugung des Gerichts erwiesen ist. Und das ist die Magna Charta unserer Strafprozeßordnung.
({7}) Ich komme zu den Einzelheiten.
Zunächst: Der Entwurf ist auch handwerklich schludrig. In der Neufassung des Abs. 2 heißt es:
Werden Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen im Sinne des Absatzes 1 begangen ...
Herr Bundesjustizminister, welchen Charakter hat diese Norm? Ist das ein Tatbestandsmerkmal oder eine objektive Bedingung der Strafbarkeit? Soll auch der bestraft werden, der nicht wußte und auch nicht wissen mußte, daß Gewalttätigkeiten oder BeDr. Vogel
drohungen begangen werden? Ist das auch eine Rechtswohltat?
In Abs. 3 wollen Sie diejenigen straflos lassen, die ausschließlich dienstliche oder berufliche Pflichten ausüben oder die auf die Menschenmenge oder einzelne Personen erweislich einwirken, um sie von Taten im Sinne des Abs. 1 abzuhalten.
Die erste Alternative konstruieren Sie als Rechtfertigungsgrund, die zweite als Strafausschließungsgrund. Welche strafrechtsdogmatische Konfusion! Und welche Fülle von Unklarheiten für die Praxis! Handelt der Abwiegler nun nach Ihrer Vorstellung rechtmäßig oder rechtswidrig? Sind gegen den Abwiegler polizeirechtliche Maßnahmen, etwa ein Platzverweis, zulässig?
Das alles hat doch nicht nur theoretische Bedeutung. Viele Versicherungen - Sie wissen das - kennen beispielsweise Leistungseinschränkungen oder Leistungsausschlüsse für Schäden, die im Zusammenhang mit inneren Unruhen eingetreten sind. Versicherungsrechtlich fällt unter den Begriff der inneren Unruhe auch der Landfriedensbruch, und zwar reicht es für den Verlust des Versicherungsschutzes schon aus, daß der Geschädigte tatbestandsmäßig und rechtswidrig gehandelt hat. Nach Ihrer Konstruktion ist der Abwiegler objektiv ein Landfriedensbrecher. Er handelt auch rechtswidrig. Ist er jetzt nach Ihrer Auffassung ohne Versicherungsschutz? Soll selbst der nicht gewalttätige Abwiegler nach Ihrer Auffassung wirklich nicht mehr unfallversichert sein? Soll er seine Arzt- und Kostenrechnungen aus eigener Tasche bezahlen?
Lauter offene Fragen! Noch einmal: Mein Vorwurf gilt dabei nicht den Beamten des Bundesjustizministeriums. Er gilt denen, die durch ihre politischen Vorgaben, durch das, was in wenigen Minuten in Koalitionsverhandlungen auf Papier geschrieben wird, derart verquälte Formulierungen erzwungen haben, Formulierungen, aus denen auch das schlechte Gewissen der Beteiligten spricht.
({8})
Dann zur Zweckmäßigkeit, Herr Bundesjustizminister. Sie behaupten, in der letzten Zeit habe die Gewalt bei Demonstrationen zugenommen, es habe eine Eskalation der Gewalt gegeben. Und Sie behaupten, Ihr Entwurf werde die Zahl der Gewaltakte vermindern. Wenn das so wäre, könnte man mit uns durchaus reden. Wir bejahen das staatliche Gewaltmonopol schon auf Grund unserer eigenen leidvollen geschichtlichen Erfahrung. Gewaltanwendung fördert den Prozeß der Meinungsbildung nicht, sondern stört, ja blockiert ihn. Gewaltanwendung schwächt auch die Botschaften, die von großen Demonstrationen ausgehen. Gewaltanwendung hilft in der Regel denen, die sich gar nicht mit den Botschaften auseinandersetzen wollen, sondern viel lieber über die Verwerflichkeit von Gewaltakten reden als sich inhaltlich mit dem Anliegen der Menschen beschäftigen.
({9})
Aber, Herr Bundesjustizminister, Ihre Behauptungen sind falsch. Sie haben doch selbst die Zahlen
verfügbar. Nach der amtlichen Statistik des Bundesinnenministers ist der Anteil der unfriedlich verlaufenden Demonstrationen nicht gestiegen, sondern gesunken. Er betrug 1981 6,2 %, 1982 hingegen 4,3 %. Und der Anteil der Gewalttäter an der Gesamtzahl der Demonstranten ist so gering, daß er sich noch nicht einmal in Promillesätzen, geschweige in Prozentsätzen ausdrücken läßt. Außerdem, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der Herbst 1983, für den die neuen Strafdrohungen doch vor allem gedacht waren, hat sie doch zusätzlich widerlegt. Es war doch gar kein heißer Herbst, obwohl Mitglieder der Bundesregierung ihn in unverantwortlicher Weise ständig an die Wand gemalt
({10})
und dabei denen erst Aufmerksamkeit verschafft haben, die aus ganz anderen Gründen Gewalttätigkeiten befürworteten. Nein, die größten Demonstrationen in der Geschichte unserer Republik waren zugleich die friedlichsten.
({11})
Die jüngste Statistik aus dem Bundesinnenministerium belegt dies eindeutig.
Von den 9 237 Demonstrationen des Jahres 1983 waren ganze 274 unfriedlich. Das sind 2,96%. Polizei und Demonstranten haben ihre Reife, ihre demokratische Verantwortung, ihren Respekt vor unserem Grundgesetz in überzeugender Weise unter Beweis gestellt; überzeugender, als es dieser Entwurf tut.
({12})
Aber davon ganz abgesehen: Ihre Behauptung, der Entwurf werde die Strafverfolgung von Gewalttätern erleichtern und so die Gewaltanwendung eindämmen, ist doch schlicht abwegig. Das Gegenteil ist der Fall. Glauben Sie denn wirklich, daß sich alle friedlichen Demonstranten nach einer Auflösungsanordnung unverzüglich entfernen? Gibt es dafür irgendeinen praktischen Anhalt? Ja, glauben Sie, daß sie sich in vielen Fällen überhaupt entfernen können, selbst wenn sie sich entfernen wollten, um der Aufforderung nachzukommen? Das widerspricht doch jeder Lebenserfahrung.
Die Folge ist, daß die Polizei nicht nur gegen die Gewalttäter, sondern nach dem Legalitätsprinzip gegen Tausende, wenn nicht Zehntausende Demonstranten einschreiten muß, d. h. ihre Personalien feststellen und sie gegebenenfalls in Gewahrsam nehmen muß. Wie soll die Polizei das denn eigentlich leisten, Herr Kollege? Das zersplittert doch die Kräfte der Polizei. Das führt doch zwangsläufig zu einer Solidarisierung derer, gegen die die Polizei dann in gleicher Weise vorgehen muß, also zur Solidarisierung friedlicher Demonstranten mit gewalttätigen Demonstrationsteilnehmern.
Wenn Sie mir das nicht glauben, dann hören Sie doch wenigstens auf den Verstand der Gewerk4056
Schaft der Polizei und deren Vorsitzenden, Herrn Schröder.
({13})
- Entschuldigung, aber diesem Vorstand gehört doch - das wissen Sie ganz genau - eine Anzahl von CDU-Mitgliedern an. Die denken in dieser Frage doch genauso.
({14})
Das ist doch nicht die Privatmeinung von Herrn Schröder.
({15})
Außerdem: Ich empfinde es ja fast als eine - wenn auch verkappte - Anerkennung, wenn Sie sagen, die gewerkschaftliche Vertretung von Hunderttausenden von Polizeibeamten in dieser Republik stehe uns in besonderer Weise nahe. Das ist ja eine Äußerung, die man durchaus akzeptieren kann.
({16})
- Herr Schröder hat gesagt:
Jeder Polizeipraktiker sagt uns, daß das
- was Sie jetzt vorhaben Unsinn ist. Man denke nur an Demonstrationen in Großstädten. Manche Politiker haben sich von unseren Argumenten überzeugen lassen. Andere
- damit hat er Sie gemeint schwadronieren unverdrossen weiter. Wenn es nach ihnen geht, dann muß die Polizei unter Umständen 10 000 Leute verhaften, nur weil sie an 100 Randalierer herankommen will. Man zündelt am politischen Feuer, die Polizei soll dann löschen.
Aber vielleicht - das haben Sie schon bewiesen - wollen Sie auch auf Herrn Schröder nicht hören, weil er Sozialdemokrat ist.
Deshalb bringe ich Ihnen jetzt eine Stimme, mit der Sie es vielleicht ein bißchen schwerer haben, nämlich die Stimme des bisherigen Innenministers des Landes Baden-Württemberg, Professor für Staatslehre und Politik, angesehener Kommentator des Grundgesetzes und über jeden Verdacht, in einem nahen Verhältnis zu uns zu stehen, völlig erhaben, Herrn Roman Herzog, jetzt Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, und das wohl nicht gegen Ihren Willen. Herr Herzog sagte, als es 1970 um die Umwandlung des Straftatbestandes der Nichtentfernung trotz Aufforderung in eine Ordnungswidrigkeit ging - wörtlich -:
Sie
- die Polizei wäre zwar nach wie vor berechtigt einzugreifen, es bestände für sie aber nicht mehr die
Schwierigkeit bezüglich des Legalitätsprinzips bei der Strafverfolgung ...
({17}) Für die Polizei
- so sagte Herr Herzog würde sich die Schwierigkeit entkrampfen, nach dem Polizeirecht eingreifen zu können, aus polizeitaktischen Erwägungen oder aus Großzügigkeit nicht eingreifen zu wollen, nach dem Strafverfolgungsrecht aber eingreifen zu müssen.
Dann fuhr Herr Herzog fort:
Ich würde es aber vom Gesetzgeber für unredlich halten, einen mittleren Polizeiführer mit dem Legalitätsprinzip, dem Übermaßverbot und all diesen Dingen in einer Situation, in der er Demonstranten gegenübersteht, die Molotowcocktails werfen, in Verlegenheit zu bringen. Der Gesetzgeber hätte dann seine Aufgabe nicht erfüllt.
Nämlich dann, wenn er den Polizeiführer in diese Situation bringt. Und genau das wollen Sie tun.
({18})
Herr Herzog hat doch recht. Es hat doch im Herbst nicht eine einzige Situation gegeben - nicht eine einzige -, die von der Polizei besser bewältigt worden wäre, wenn Ihr Entwurf schon gegolten hätte. Nicht eine einzige! Treten Sie hier an das Rednerpult und schildern Sie hier die Situation des Herbstes, die mit diesem Entwurf besser hätte bewältigt werden können, friedlicher und ohne Eskalation. Im Gegenteil: Der Herbst, der die größte Belastungsprobe für dieses Rechtsgebiet war, lief deshalb friedlich ab, weil die Polizei so handeln konnte, wie Herr Herzog - und er ist nicht irgendwer - das beschreibt. Genau das, wovor Herr Herzog warnt, was er ablehnt, wollen Sie heute tun.
Warum denn eigentlich? Bringen Sie doch einen sachlichen Grund für diese Machtdemonstration, die Sie vorhaben!
({19})
Meine Herren, Sie bewirken aber nicht nur das Gegenteil von dem, was Sie zu erreichen behaupten, Sie zahlen dafür auch noch einen hohen Preis. Sie verstopfen die Staatsanwaltschaften und die Strafgerichte mit einer Unzahl zusätzlicher Verfahren. Natürlich wird die Polizei bei einer aufgelösten Großdemonstration nur einen Bruchteil derer identifizieren können, die sich nicht entfernt haben, aber einige Hunderte werden es dann jeweils schon sein. Für die ganze Republik sind es Tausende, wenn nicht Zehntausende von Verfahren, darunter nicht wenige mit Beweisschwierigkeiten. In Berlin läuft ein Prozeß - Sie haben das in der Zeitung verfolgt - wegen dieser Beweisschwierigkeiten, ohne daß ich das im übrigen billigen will, jetzt seit 20 Monaten mit den Gegenüberstellungen, den Schwierigkeiten der Wiedererkennung, mit Alibiüberprüfungen.
Warum muten Sie das einer Justiz zu, die schon jetzt unter ihrer Arbeitslast stöhnt? Wenn Sie wirklich meinen, die Justiz habe freie Kapazitäten, warum setzen Sie diese Kapazitäten nicht bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ein,
({20})
bei der Verfolgung von Subventions- und Steuerbetrügern oder bei Preisabsprachen?
({21})
Apropos Preisabsprachen in der Bauwirtschaft: Das sind heute nur Ordnungswidrigkeiten. Wir haben immer wieder vorgeschlagen, sie als Straftaten zu ahnden, als kriminellen Betrug. Da machen Sie nicht mit. Daran erkennt man Ihre Prioritäten. Für uns sind Bauunternehmer, die ihre Auftraggeber um Millionenbeträge schädigen, strafwürdiger als ein friedlicher Demonstrant, der einer Aufforderung nicht Folge leistet. Das ist der Unterschied.
({22})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie nehmen noch mehr in Kauf. Sie nehmen in Kauf, daß das Legalitätsprinzip Schaden leidet; denn Sie wissen doch ganz genau, daß Ihre Strafdrohung nur gegen einen Bruchteil derer durchgeführt werden kann, die den neuen Tatbestand erfüllen. Damit entscheidet nicht das Gesetz, sondern der Zufall darüber, wer mit einer Strafsanktion belegt wird. Das ist gegen die Intention des Grundgesetzes, und das schwächt das Vertrauen in die gesamte Rechtsordnung.
Sie rühren ferner - ich erwähnte das schon - an ein Grundprinzip, das die Magna Charta des Strafprozesses darstellt, nämlich an den Satz „in dubio pro reo", zu deutsch: im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Satz besagt, daß niemand verurteilt werden darf, dem nicht seine Schuld zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen worden ist.
Der Bundesgerichtshof hat diesen Grundsatz erst vor wenigen Wochen erneut dick unterstrichen. Er hat in seinem Urteil vom 27. Januar 1984 zur zivilrechtlichen Haftung von Demonstrationsteilnehmern festgestellt: Für Schäden bei einer Demonstration haftet nur der, der sie nachweislich angerichtet hat, und nicht jeder beliebig herausgegriffene friedliche Teilnehmer. Sie werden das absurde Ergebnis herbeiführen, daß ein Teilnehmer bestraft wird, aber nicht schadensersatzpflichtig gemacht werden kann, weil diese vernünftige Regelung des Bundesgerichtshofs dem entgegensteht. Sie wollen auch dann strafen, wenn dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden kann, daß er nicht abgewiegelt hat, daß er nicht um Mäßigung bemüht war, wenn dies zweifelhaft bleibt.
Herr Bundesjustizminister, Leute, die so etwas behaupten, sie hätten abgewiegelt, sind Ihnen eben verdächtig. Wahrscheinlich sind Ihnen Leute allein schon deshalb verdächtig, weil sie überhaupt an Demonstrationen teilnehmen.
({23})
Deshalb greifen Sie - dies ist in der Rechtsgeschichte ein Novum - zum Instrument der Verdachtsstrafe.
({24})
In Fest- und Gedenkreden wird Anselm von Feuerbach doch auch von Ihnen deshalb gefeiert, weil er die Verdachtsstrafen abgeschafft hat. Sind Sie sich dieses Widerspruchs denn wenigstens bewußt mit dem, was Sie hier vorlegen und beschlossen haben wollen?
({25})
Schließlich erschweren Sie die Ausübung zweier Grundrechte, die für unsere Staatsordnung konstitutiv sind, nämlich das Grundrecht der Meinungsfreiheit und das der Versammlungsfreiheit, in einem Maße, das ernste verfassungsrechtliche Bedenken rechtfertigt. Wieder kann ich mich auf den Christdemokraten Roman Herzog berufen.
({26})
- Entschuldigung, Herr Roman Herzog ändert seine Meinungen doch nicht nach Ihren politischen Zweckmäßigkeiten.
({27})
- Er sagt doch seine Meinung als Mann des Rechtes. Im übrigen: Setzen Sie sich doch mit Roman Herzog auseinander. Er ist doch ein Mann, der Ihnen sicherlich zum Gespräch zur Verfügung steht. Wenn er die Auffassung nicht mehr teilt, wird er das morgen in Ihrem Pressedient bekanntgeben. Meine Herren, ich lade Sie ein, den Test zu machen.
({28})
Roman Herzog sagt - übrigens in der jüngsten Auflage seines Kommentars, es ist also noch gar nicht lange her -:
Als friedlicher Teilnehmer an einer Versammlung genieße ich den Schutz des Art. 9 des Grundgesetzes grundsätzlich auch, wenn andere zu randalieren beginnen ... Man kann also nicht einfach sagen, daß die friedlichen Teilnehmer an einer Versammlung, bei der einige unfriedlich sind, nicht den Schutz des Grundgesetzes genießen.
Das ist eine klare und präzise Aussage.
Das geltende Recht gewährt diesen Schutz. Es gibt der Polizei die Befugnis, eine Demonstration aufzulösen, wenn sie einen unfriedlichen Verlauf nimmt. Aber das geltende Recht erlaubt nicht, friedliche Demonstranten zu bestrafen. Das war der große Fortschritt der Reform des Jahres 1970.
Diesen Schutz vor Strafe nehmen Sie dem friedlichen Demonstranten. Sie stellen ihn strafrechtlich mit dem Gewalttäter auf eine Stufe.
({29})
Sie wollen das Risiko für Demonstranten erhöhen.
Sie wollen erreichen, daß mehr Menschen auf die Ausübung ihres Grundrechts verzichten,
({30})
daß der Widerspruch gegen die Politik - ich sage nicht nur: gegen Ihre Politik -, gegen Politik schlechthin, gegen politische Entscheidungen überhaupt leiser wird, daß mehr Menschen ruhig zu Hause bleiben und sich nicht mehr in die Politik einmischen. Das sind Ihre wirklichen Motive. Darum nehmen Sie alle Mängel, Ungereimtheiten und Prinzipienverstöße in Kauf. Das ist Ihnen die Sache wert.
({31})
Aus all dem spricht tiefes Mißtrauen, Mißtrauen gegen Bürgerinnen und Bürger, die eine der Ihren entgegengesetzte Meinung haben, die diese zusammen mit anderen unüberhörbar und unübersehbar äußern und dafür sogar auf die Straße gehen.
({32})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Gestatten Sie mir eine Frage: Halten Sie einen Demonstranten der sich bemüht, einen kriminellen Demonstranten vor dem Zugriff der Polizei zu schützen, auch für einen friedliebenden Demonstranten?
Ich habe die Frage nicht erörtert und beantworte sie, indem ich sage, daß er sich unter Umständen der Beihilfe oder Begünstigung nach dem geltenden Recht strafbar macht und daß für diesen Fall eine Gesetzesänderung überhaupt nicht nötig ist.
({0})
Ihre Frage zeigt erneut, daß Sie keinen vernünftigen Grund für diese Gesetzesänderung haben.
({1})
Ich wiederhole: Sie finden es beschwerlich, meine Damen und Herren, sich mit diesen Bürgern auseinanderzusetzen, mit ihnen argumentativ zu ringen. Sie finden es leichter, sie auszugrenzen aus der Staatsloyalität, aus dem demokratischen Konsens, aus der Loyalität zum eigenen Staat. Und der Entwurf, den Sie zum Gesetz erheben wollen, setzt die Ausgrenzung fort, und zwar mit dem Mittel der Androhung von Kriminalstrafen.
Konservative - das ist ja nicht neu - haben zu allen Zeiten gewußt, wie man mit obrigkeitsstaatlichen Mitteln störender Kritik begegnet.
({2})
In den Tagen der bürgerlichen Revolution von 1848 hieß die Parole: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten". Heinrich Heine, auf den wir uns alle miteinander gerne bei feierlicher Gelegenheit berufen,
({3})
beschrieb wenig später diese konservativen Maximen an Hand des Beispiels von Krähwindel so:
Vertrauet Eurem Magistrat,
der fromm und liebend schützt den Staat durch huldreich hochwohlweises Walten; Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.
({4})
- Einen Moment Geduld, er hat noch etwas viel passenderes für diesen Fall. Er fährt nämlich fort:
Wo ihrer drei beisammenstehen, da soll man auseinandergehen.
- Soweit gehen Sie noch nicht. Drei reichen noch nicht. Weiter also:
Wo ihrer drei beisammenstehen da soll man auseinandergehen. Wer auf der Straße räsoniert,
wird unverzüglich füsiliert;
das Räsonieren durch Gebärden
soll gleichfalls hart gestrafet werden.
({5})
Gewiß, meine Herren von der Koalition, genauso wird es sich heute nicht mehr machen lassen, genauso nicht mehr, aber, Herr Kollege Mertes und meine Damen und Herren, daß kritische Meinungen „hart gestrafet" werden, das hätten Sie schon ganz gerne, und manchmal sagen Sie das j a auch.
({6})
Manchmal sagen Sie das ja auch!
Offenbar haben Sie in Ihrem Eifer ganz vergessen, daß ein Teil Ihrer eigenen politischen Vorfahren, nämlich das Zentrum unter Windthorst,
({7})
in der Zeit des Kulturkampfes, in der Zeit des Kampfes gegen die Bismarckschen Maigesetze des Jahres 1873, zu denen gehörte, die diffamiert und mit Strafdrohungen aus der damaligen Gesellschaft ausgegrenzt wurden.
Sie haben offenbar auch vergessen, daß die Demokratie ihre Stärke aus der Freiheit der Meinungen, aus der Offenheit der Kritik,
({8})
aus der Möglichkeit friedlicher Veränderungen
({9})
politischer Zielsetzungen und politischer Machtverhältnisse herleitet, nicht aus der Vielzahl und der Höhe der Strafdrohungen, die im Gesetzbuch stehen.
({10})
Meine Damen und Herren, eine Demokratie wird schwächer, wenn die Politik beginnt, Probleme, die sie zu lösen, Lasten, die sie zu tragen hat, der Polizei und den Gerichten aufzubürden, statt daß die Politik mit politischen Mitteln nach diesen Lösungen sucht.
({11})
Meine Damen und Herren, bei dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten - ({12})
- Der Bundeskanzler würde an dieser Stelle sagen: Wie Sie mit Ihrem Geschrei zeigen, welch schlechtes Gewissen Sie haben und wie Sie es nicht ertragen können, andere Meinungen zu hören!
({13})
Ich bin da wesentlich unempfindlicher und möchte Sie bei der Darbietung Ihrer akustischen Argumente - sachliche haben Sie nämlich nicht - gar nicht stören, weil dies auch einen Beitrag zur Meinungsbildung in unserem Volk darstellt.
({14})
Bei dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, handelt es sich nicht um rechtspolitische Routine; ich hätte dann auch nicht das Wort in einer ersten Lesung genommen. Es handelt sich um einen gefährlichen Anschlag auf die Rechtskultur, nein, mehr noch,
({15})
es handelt sich um einen Anschlag auf die politische Kultur
({16})
unserer Republik,
({17})
die Sie, meine Damen und Herren, im Zeichen der „geistig-politischen Erneuerung" in den letzten Wochen und Monaten durch eine Vielzahl unverständlicher Entscheidungen ohnehin auf das schwerste beschädigt haben.
({18})
Dabei ist bemerkenswert, daß dieser Anschlag nicht von Herrn Zimmermann verantwortet wird;
das würde niemanden überraschen. Nein, die Vorlage verantwortet ein Freier Demokrat, verantwortet der Justizminister einer Partei, die sich auf Theodor Heuss - jedenfalls in Feierstunden -, auf Thomas Dehler, auf Karl-Hermann Flach beruft,
({19})
der Justizminister einer Partei, die ihren Wählern vor der letzten Bundestagswahl in ihrem Wahlprogramm folgendes ausdrücklich versprochen hat:
Die Forderungen des Wahlprogramms von 1980 zur Innen- und Rechtspolitik bleiben für die FDP unverzichtbar.
({20})
Wir werden die Grundrechte wahren. Eine Einschränkung des Demonstrationsrechts z. B. über eine Verschärfung des Versammlungsrechts lehnen wir ab.
Der Justizminister dieser Partei, die dieses Versprechen gegeben hat, legt hier diese Vorlage vor!
({21})
Herr Kollege Engelhard, gestatten Sie mir dazu eine persönliche Bemerkung. Einer Ihrer Vorgänger aus dem Bereich der Freien Demokraten ist als Justizminister zurückgetreten, weil er in einer Grundfrage glaubte, nicht mit der Mehrheit seiner Partei stimmen und votieren zu können. Das war der Kollege Bucher, als es um die Verlängerung der Verjährungsfrist ging. Ich teile seine Meinung inhaltlich nicht, aber ich respektiere, wie er sich in einer solchen Konfliktlage verhalten hat.
({22})
Denken Sie einmal nach, ob das nicht auch für Sie Orientierung geben könnte.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, lieber Kollege Engelhard, es ist schlimm genug, daß Sie dieses Versprechen brechen.
({24})
Schlimmer aber ist, daß Sie liberalen Traditionen in einem zentralen Punkt abschwören - um nicht eine stärkere Vokabel zu wählen -, daß Sie sich Herrn Zimmermann beugen, daß Sie sich - ich muß das sagen - in dieser Frage geradezu demütigen lassen. Wohin ist die Partei gekommen, die einmal stolz darauf war, daß Walter Scheel und Willy Brandt gemeinsam gerade die Paragraphen des Strafgesetzbuchs liberalisiert haben, denen Sie jetzt mit Herrn Zimmermann zusammen wieder die Fassung des Jahres 1871,
({25})
nein, die Fassung des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851, drei Jahre nach der liberalen und bürgerlichen Revolution, geben wollen!
Wenn Sie nicht noch in letzter Minute innehalten, meine Damen und Herren von den Freien Demokraten, wenn Sie diesem Entwurf dann schließlich auch zustimmen, dann werden Sie endgültig eine
andere Partei geworden sein, eine Partei, die im Kernbereich liberale Identität verloren hat,
({26})
eine Partei, die vielleicht deshalb gewählt wird, weil bestimmte Kreise unseres Volkes ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen dort besser aufgehoben fühlen, oder die gewählt wird, weil Spitzenkandidaten einer anderen Partei zu ihrer Wahl auffordern - Herr Kollege Dregger weiß, wovon ich rede -, aber nicht mehr deshalb gewählt wird, weil sie für Liberalität und für Meinungsfreiheit unerschütterlich und unbedingt auch da eintritt, wo es seinen Preis kostet.
({27})
Das könnte vom Parteistandpunkt aus betrachtet, für uns sogar ein Vorteil sein. Für unseren Staat, für seine freiheitlich liberale Substanz wäre es ein Verlust. Deshalb apelliere ich an Sie, meine Damen und Herren von der FDP: Widersetzen Sie sich dem, was vielen, wahrscheinlich den meisten von Ihnen - wenn ich an manches Gespräch in den vergangenen Jahren, Kollege Detlef Kleinert, denke, wohl auch Ihnen - gegen Ihre Überzeugung zugemutet wird! Sonst hätten Sie auch nicht dem Wahlprogramm in dieser Phase und in diesem Punkt zugestimmt. Machen Sie aus liberalen Kernpositionen nicht koalitionspolitische Handelsware! Darunter leidet nicht nur Ihre Partei, darunter leidet unser Staat.
({28})
Die Kolleginnen und Kollegen von der Union frage ich: Warum lassen Sie sich eigentlich die Chance entgehen, nach dem friedlichen Verlauf des Meinungskampfes im Herbst 1983 durch den Verzicht auf diesen Entwurf ein Zeichen der inneren Versöhnung zu geben?
({29})
Wäre das nicht ein Gebot der Vernunft, oder ist Ihnen wirklich das justament, die Demonstration Ihrer Macht, Ihrer Gesetzgebungsmacht, die Demonstration Ihres Triumphes über den liberalen Partner in der Koalition wichtiger als diese Chance der Versöhnung und der erneuten Festigung des Konsenses?
({30})
Wir reden soviel von Lernfähigkeit. Wir bestreiten nicht, daß wir zu lernen haben. Können Sie nicht den jungen Menschen in dieser Situation auch einen Beweis Ihrer Lernfähigkeit geben?
({31})
Wir Sozialdemokraten stehen ein für Liberalität und Meinungsfreiheit, wir stehen ein für die Gewaltfreiheit der Meinungsbildung und für die Festigung des inneren Friedens über alle Meinungsgegensätze hinweg. Wir halten an der rechtspolitischen Linie fest, die Adolf Arndt und Gustav Heinemann vorgezeichnet haben. Deshalb werden wir diesen Entwurf, diese Lex Engelhard - diesen Namen verdient sie -, ablehnen und diesem Entwurf auch in der Diskussion außerhalb des Parlaments mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Ich bin
sicher, es wird uns an wohlmeinenden und aktiven Bundesgenossen nicht fehlen.
({32})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, will ich das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste bekanntgeben. Von der Mitgliederzahl von 520 Abgeordneten sind 452 Stimmen abgegeben worden. Davon waren 452 gültig. Es hat eine Enthaltung gegeben. Also keine ungültigen Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Carstens ({0}) 365 Stimmen, den Abgeordneten Dr. Riedl ({1}) 352 Stimmen, den Abgeordneten Hoppe 356 Stimmen, den Abgeordneten Walther 410 Stimmen, den Abgeordneten Kühbacher 409 Stimmen, den Abgeordneten Kleinert ({2}) 95 Stimmen. Damit sind die Abgeordneten Walther, Kühbacher, Carstens ({3}), Hoppe und Dr. Riedl gewählt. Sie haben die nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1984 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt.
Meine Damen und Herren, wir fahren nunmehr in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogel - er ist jetzt gerade abgehalten zuzuhören; ich werde es dann später einfügen -, wenn wir uns nicht so gut aus unserer Münchener Zeit kennen würden, würde ich Ihre Rede wirklich ernst nehmen. Aber ich kann sie angesichts der Art, wie Sie das vorgetragen haben, leider nicht ernstnehmen. Sie haben sich hier künstlich aufgeregt und meines Erachtens die Tatbestände in diesem Gesetzentwurf vielleicht nicht oder nur oberflächlich studieren und prüfen können. Ich will nur ein Beispiel nennen. Sie sagten, der Demonstrant, der sich trotz Aufforderung der Polizei nicht aus der Menge entferne, würde genauso bestraft wie der Gewalttäter. Sie haben übersehen, daß es einen Abs. 1 der Bestimmung gibt, der unangetastet bleibt, und einen neuen Abs. 2, der sich deutlich von der Strafbestimmung des Abs. 1 absetzt und noch weitere Einschränkungen enthält.
({0})
- Ich komme schon darauf. Herr Schily, mit Ihnen über diese Frage zu diskutieren ist sinnlos, weil Sie von Axiomen ausgehen, die Sie sich nicht widerlegen lassen. Also braucht man mit Ihnen darüber nicht zu diskutieren.
({1})
- Das verstehen Sie nicht. Das weiß ich.
Herr Vogel, Sie sprachen heute von einem schwarzen Tag der Justiz- und der Rechtspolitik.
({2})
Ich werde Ihnen eines sagen: Wir hatten oft den Eindruck, daß die Zeit, als Sie Justizminister waren, eine dunkle Zeit der Rechtspolitik war, weil Sie aus ideologischen Vorgaben heraus Rechtspolitik betrieben haben. Das erleben wir jetzt doch laufend, z. B. im Ehescheidungsfolgenrecht, wo eine Bestimmung nach der anderen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird.
({3})
Sie sprachen von Rechtskultur, Herr Vogel. Gehört es nicht auch zur Rechtskultur, daß der friedliche Demonstrant, daß der Polizeibeamte, der seine Pflicht tut, daß der Passant vor Straftaten und vor Gewalttätigkeiten geschützt werden? Das möchte ich Sie einmal fragen.
({4})
Der Rechtsstaat bewährt sich eben darin, daß er den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit wahrt. Zum Rechtsstaat - Sie haben es selber gesagt - gehört auch das Gewaltmonopol. Dieses Gewaltmonopol muß eben dafür eingesetzt werden, daß die Freiheiten, zu denen auch die Freiheit der Demonstration gehört, für den Bürger gewahrt und nicht von einigen wenigen - und nur darum kann es sich handeln - Gewalttätern mißbraucht werden.
({5})
Meine Damen und Herren, die CDU und die CSU halten seit langem eine Verbesserung des Tatbestandes des Landfriedensbruchs für erforderlich. Wir haben in den 70er Jahren entsprechende Gesetzesvorschläge eingebracht. Ich gebe zu, daß der jetzige Vorschlag nicht dem entspricht, was sich CDU und CSU ursprünglich vorgestellt hatten. Er ist ein Kompromiß in der Koalition der Mitte, und wir tragen diesen Kompromiß mit.
Natürlich müssen wir auch prüfen, ob es etwa in den Bereichen, zu denen wir noch keine Gesetzesvorlage haben, Regelungen bedarf, etwa eines gesetzlichen Vermummungsverbots. Das werden wir noch sorgfältig prüfen; denn wir mußten leider feststellen, daß die meisten Gewalttätigkeiten dann verübt wurden, wenn sich die Gewalttäter unkenntlich gemacht hatten, also nicht identifiziert werden konnten.
Wir diskutieren heute einen Tatbestand, der es ermöglichen soll, Gewalttaten bei Demonstrationen zu verhindern bzw. wenigstens zu begrenzen. Das ist keine Rückkehr - Herr Vogel, Sie haben diese Behauptung wider besseres Wissen aufgestellt - zu dem alten Straftatbestand, der bis 1970, bis zum sogenannten 3. Strafrechtsreformgesetz, galt. Allein die Lektüre des Gesetzentwurfes oder ein Vergleich, den Sie wahrscheinlich nicht angestellt haben - dieser Satz wurde Ihnen wahrscheinlich aufgeschrieben -, würde Ihnen das zeigen.
Eine zunehmende Zahl von Demonstrationen verläuft unfriedlich.
({6})
Sie, Herr Vogel, haben nur Prozentsätze genannt.
({7})
- Herr Fischer, daß Sie ein Abwiegler sind, hat noch niemand behauptet. Ich habe Sie immer nur als Aufwiegler erlebt.
({8})
- Eben.
({9})
- Schreien Sie nicht dauernd! Sie können es woanders besser.
Die Demonstrationen haben im vergangenen Jahr zugenommen. Sie haben sich fast verdoppelt. Die unfriedlichen Demonstrationen haben ebenfalls zugenommen.
({10})
Da haben Sie, Herr Vogel, damit es nicht auffällt, mit Prozentzahlen gearbeitet. Die Zahl der unfriedlichen Demonstrationen ist von 229 auf 274 gestiegen.
({11})
Auch etwas anderes hat zugenommen. Das haben Sie ebenfalls verschwiegen, Herr Vogel. Die eingesetzten Mittel wurden nämlich immer brutaler. Auch die menschliche Brutalität, die bei diesen Demonstrationen von den Gewalttätern an den Tag gelegt wurde, wurde immer schlimmer, so daß man Polizeibeamte, friedliche Demonstranten und friedliche Passanten wie Freiwild jagte. Nur ein Beispiel: Im September 1981 wurden in Berlin aus Anlaß des Besuchs des Außenministers Haig 151 Polizeibeamte verletzt. Bei der Räumung des Startbahngeländes West im Oktober 1981 wurden 350 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt.
({12})
Es entstand ein Sachschaden von 2 Millionen DM.
({13})
- Sie waren j a nicht dabei, also sind Sie nicht verletzt.
Als US-Präsident Reagan 1982 in Berlin war, wurden 180 Polizeibeamte schwer verletzt, 100 Polizeifahrzeuge schwer beschädigt oder zerstört. Bei den Krefelder Krawallen gab es 43 verletzte Polizeibeamte. Eine unbeteiligte Passantin starb infolge ei4062
nes Steinwurfs aus der gewalttätigen Menge heraus.
({14})
In den meisten Fällen wurden die Gewalttaten, deren Aufzählung sich noch fortführen ließe, in einer Weise begangen, daß die Taten aus der Menge heraus verübt wurden und nur ein geringer Prozentsatz der Straftäter überhaupt ermittelt und überführt werden konnte, weil sie durch eine umgebende Menge geschützt oder getarnt waren. Dabei hat die um die Gewalttäter herumstehende Menge die Gewalttaten nicht nur erkannt, sondern zum Teil gebilligt oder billigend in Kauf genommen. Ein solches Verhalten, das zugegebenermaßen vom geltenden Strafrecht nicht erfaßt ist
({15})
- es handelt sich weder um Begünstigung noch um Strafvereitelung -, kann aber ein Rechtsstaat meines Erachtens nicht billigen.
({16})
Die Organe des Rechtsstaates dürfen nicht passiv daran gehindert werden, Gewalttaten zu verhindern oder Gewalttäter zu überführen.
({17})
Gewalt wird nicht dadurch weniger, daß man vor ihr die Augen verschließt, sich ihr beugt
({18}) oder sie ungeahndet läßt.
({19})
- Das tut man dann, wenn man Gewalttäter durch eine diese Gewalt billigend in Kauf nehmende Menge weiterhin schützen läßt.
({20})
Meine Damen und Herren, man kann nicht übersehen, daß die Gewalttäter es bei den unfriedlichen Demonstrationen und Auseinandersetzungen der letzten Jahre immer wieder verstanden haben, friedliche Demonstrationen für ihre Zwecke zu mißbrauchen, daß sie sich - in genauer Kenntnis der Tatbestandsvoraussetzungen des Landfriedensbruchs - so verhalten haben, daß eine Täterüberführung, eine Beweissicherung oder gar eine Festnahme nicht möglich war; eine geänderte Polizeitaktik nützt hier auch nichts.
({21})
Mit der Neuregelung wollen wir erreichen, daß rechtstreue Bürger erkennen, in welcher Lage sie sich befinden, nämlich in der Lage eines Schutzschildes für Gewalttäter, wenn sie an solchen Demonstrationen teilnehmen. Sie stehen noch diesseits der Gehilfentätigkeit, der Begünstigung oder der Strafvereitelung. Trotzdem liefern sie einen Tatbeitrag. Diese Lücke muß nach unserer Auffassung geschlossen werden. Wer bösgläubig am Ort des Geschehens bleibt, muß mit den Folgen seines
Tuns rechnen, nämlich sich strafbar zu machen, aber nicht strafbar wie der Gewalttäter selbst, wie Herr Vogel irrtümlich behauptet, sondern weit darunter. Es ist keine Kriminalisierung der Demonstranten im allgemeinen. Es geht nur darum, denjenigen ihr Tun vor Augen zu halten, die das Geschehen, die die Gewalttat in ihrer Kenntnis decken, sie billigend in Kauf nehmen.
Herr Vogel, Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Zehntausenden von Verhaftungen, die da vorgenommen werden müßten, und davon, daß da nur wenige herausgegriffen werden. Wenn ich Ihrer Logik weiter folge, dann müßten wir dazu übergehen, keinen Dieb mehr dingfest zu machen, weil die Aufklärungsquote beim Diebstahl unter 50 % liegt. Das wäre die Konsequenz Ihrer Auffassung.
({22})
Meine Damen und Herren, nicht nur bei Gewaltdemonstrationen, sondern auch bei anderen Gelegenheiten werden in letzter Zeit immer mehr Schäden angerichtet, und zwar nicht nur Schäden an Leben und Gesundheit, sondern auch Schäden an Eigentum, die in die Millionen gehen. Meine Damen und Herren, diese Schäden werden zum Teil bei Menschen verursacht, die sich nicht mehr trauen, z. B. einen Strafantrag zu stellen. Wir begrüßen daher den Vorschlag des Bundesrates, die Strafverfolgung nach § 303 des Strafgesetzbuches nicht in allen Fällen von einem Strafantrag abhängig zu machen, sondern auch die Möglichkeit dafür zu schaffen, daß bestimmte Fälle von Sachbeschädigung, bei denen dies im öffentlichen Interesse liegt, als Offizialdelikt, ohne Strafantrag verfolgt werden. Meine Damen und Herren, allein bei Gewaltdemonstrationen in Berlin ist im Jahre 1982 ein Schaden von 40 Millionen DM entstanden, und zwar nicht nur an öffentlichem Eigentum, sondern auch an Privateigentum. Diese Art der Sachbeschädigung, die immer wieder erfolgt, und zwar nicht nur bei Gewaltdemonstrationen, sondern auch mutwillig durch Rockerbanden, ist auch eine Art von Wirtschaftskriminalität, die wir verfolgen müssen. Denn hier wird wertvollstes Vermögen unserer Bürger sinnlos und mutwillig vernichtet.
({23})
Meine Damen und Herren, die geplanten Neuregelungen werden maßgeblich zur inneren Befriedung, zu mehr Demokratie und zur Stärkung unseres Rechtsbewußtseins führen.
({24})
Friedliche Demonstranten werden ihre Meinung künftig eher ohne Bedrohung und ohne Erpressung durch gewalttätige Störer kundtun können.
({25})
Die Neuregelung ist ein Kompromiß.
({26})
Wichtige Vorschläge der Union konnten nicht verwirklicht werden. Die Union bietet allen Gutwilligen, die diesen Gesetzentwurf beraten, an, daß wir uns im Rechtsausschuß über die eine oder andere Frage, auch über den einen oder anderen Vorschlag, der im Bundesrat zur Präzisierung der Bestimmungen gemacht wurde, noch unterhalten und das eine oder andere vielleicht noch verbessern. Noch nie wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der so gut war, daß man ihn nicht noch besser machen könnte; wir bieten unsere Hand dazu an. Aber eines werden wir nicht zulassen: daß weiterhin auf unseren Straßen die Demonstrationen durch Gewalttäter mißbraucht werden und der friedliche Demonstrant überhaupt nicht mehr zum Zuge kommt, seine Meinung zu äußern.
({27})
Allé diejenigen, die jetzt jegliche Neuregelung ablehnen, sollten sich bewußt sein, daß sie für den Fall des Scheiterns Verantwortung auf sich nehmen. Es ist nicht auszuschließen, daß wir dann, wie es Krefeld gezeigt hat, den Zuständen auf unseren Straßen mehr oder weniger wehrlos zusehen müssen.
Meine Damen und Herren, parteitaktische Spielereien zum Nachteil des inneren Friedens und der Rechtsordnung wird die Union nicht mittragen. Wir werden eines tun: Regelungen schaffen, die die Demonstrationsfreiheit der friedliebenden Bürger, derjenigen, die zu einer politischen Entwicklung oder zu was auch immer ihre Meinung sagen wollen durch eine Demonstration, schützen, damit diese Demonstrationen nicht mißbraucht werden können von Krawallmachern, Gewalttätern und Leuten, denen es nur um die Anwendung ihrer brutalen Energie geht.
Vielen Dank.
({28})
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zu den eigentlichen Tagesordnungspunkten hier spreche, auf eine Gerichtsentscheidung zurückkommen, welche zwar nicht unmittelbar mit der Sache hier zu tun hat, wohl aber mit den dafür zuständigen Ministern, den Herren Engelhard und Zimmermann.
Letzte Woche entschied die 19. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichtes abschließend mit einer Kostenentscheidung den Fall Kemal Altun. Die Kammer kam dabei zu dem Schluß, daß - ich zitiere unbeschadet des Umstandes, daß noch viele Punkte aufklärungsbedürftig waren, die Kammer sich bereits bei der Beweislage zum Zeitpunkt des Todes für die Bestätigung der Asylgewährung ausgesprochen hätte.
Das Verwaltungsgericht weist darauf hin, daß wegen des Altun gemachten Vorwurfs bereits jemand anders in der Türkei verurteilt worden war. Es bestätigt Manipulationen seitens der türkischen Strafverfolgungsbehörden bei der Datierung des Haftbefehls und mittels Nachbesserungen des Tatvorwurfs und kommt insgesamt zu der Überzeugung, daß der türkische Staat strafrechtliche Motive vorgeschoben habe, um eines politischen Gegners habhaft zu werden.
Diese Tatsachen waren bereits bekannt, als das Kammergericht Berlin die Rechtmäßigkeit des türkischen Auslieferungsbegehrens zustimmend entschied. Diese Tatsachen waren ebenso den Herren Zimmermann und Engelhard bekannt, als sie ihre verhängnisvollen Briefe abfaßten, um die sofortige Auslieferung Altuns zu betreiben. Weitaus schlimmer noch: Gerade wegen der vom Berliner Verwaltungsgericht nunmehr bestätigten Asylgründe wollten diese beiden Minister, verantwortlich für die Verfassung und das Recht, die sofortige Auslieferung Kemal Altuns an das türkische Militärregime bewerkstelligen.
({0})
Kemal Altun ist tot. Herr Engelhard und Herr Zimmermann sind weiter Minister.
({1})
Wo das Recht in diesem Falle bleibt, wagt man kaum noch zu fragen. Von Gerechtigkeit, Herr Engelhard, redet hier eh niemand mehr.
In der Verantwortlichkeit dieser beiden Minister - jenes Duo infernale der Regierung Kohl - liegt nun auch ein sorgsam geschnürtes Gesetzespaket zur sogenannten inneren Sicherheit, angereichert noch mit einem Gesetzentwurf zur Verfeinerung der Kontaktsperre. Man hat von seiten der SPD dazu wenig gehört. Handelte es sich bei dem bisherigen Gesetz zur Kontaktsperre von Gefangenen bereits um ein schlimmes Sondergesetz, welches entscheidenden rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht, um ein rechtsstaatliches Monstrum also, welches man mit Fug und Recht ein Notstandsgesetz nennen darf, so ist der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung der untaugliche Versuch, dieses Notstandsgesetz rechtsstaatlich aufzumotzen.
({2})
Da soll also in Zukunft auf Antrag des kontaktgesperrten, d. h. völlig isolierten und jeder freien Verteidigung beraubten Gefangenen der Präsident des jeweils zuständigen Landgerichts einen Anwalt seines und nicht etwa des Gefangenen Vertrauens benennen. Dieser Vertrauensanwalt des Landgerichtspräsidenten darf sich dann anwaltlich um den Gefangenen kümmern, allerdings unter peinlicher Beachtung der bei Terrorismusverdächtigen üblichen Sicherheitskautelen wie Trennscheibe und ähnliche Monstrositäten des herrschenden Sicherheitswahns. Art. 1 ({3}) des Gesetzentwurfs weist ausdrücklich darauf hin.
Fischer ({4})
Ebenso verbleibt dem Landgerichtspräsidenten die jederzeitige Abberufung seines Vertrauensanwaltes wegen - so wörtlich - Schlecht- oder Nichterfüllung seines Auftrags. - Im Klartext heißt dies: „Funktioniert" die Kontaktperson nicht im Sinne der Justiz und der Verfolgungsbehörden, so ist sie jederzeit zu entfernen.
Liest man die vorliegende Drucksache, vor allem die Stellungnahme des Bundesrates, so scheint man dort bei dem Gedanken, daß selbst ein zum bloßen Werkzeug des Staates degradierter Anwalt sich mit einem kontaktgesperrten Gefangenen unterhalten kann, nachgerade in Panik zu verfallen. Fürwahr, die bundesdeutsche Anwaltschaft kann einem bei so viel staatlichem Mißtrauen und bei so vielen Ängsten leid tun. Mit rechtsstaatlichen Verfahren hat dies allerdings nichts mehr zu tun.
({5})
Wir GRÜNEN halten es für dringend notwendig, die damals mit exekutiv-legislativen Kurzschlüssen fabrizierten Antiterrorgesetze insgesamt einer gründlichen Revision zu unterziehen, d. h. zu streichen. Denn sie sind nicht Ausdruck demokratischer Rechtsstaatlichkeit, sondern Ergebnis staatlicher Panik und Brutalität.
Daß diese neudeutsche Liberalisierung eines Sondergesetzes mit der Wiedereinführung des altwilhelminischen Landfriedensbruchs sowie mit der Erhebung der Sachbeschädigung in den Stand eines Offizialdelikts, sofern nur Demonstranten daran beteiligt sind, einhergeht, zeigt nicht nur die politische Absicht, Terrorismus und Demonstrationen psychologisch zu verknüpfen, sondern dies weist auch auf die Qualität des gewendeten Liberalismus der FDP hin. Man erkennt hier den sinistren Kuhhandel einer Koalitionsabsprache, welcher die liberalen Grundsätze von gestern in den Orkus wirft, sofern dies der Machterhalt von heute erforderlich macht. Zudem, welch ein Handel! Das verdorrte Feigenblatt namens Kontaktperson gegen den obrigkeitsstaatlichen Kahlschlag namens Landfriedensbruch.
Der CDU/CSU war die teilweise Abschaffung des Landfriedensbruchstatbestandes von Anfang an ein Dorn im Auge.
({6})
Seit dessen teilweiser Streichung im Jahre 1970 versuchten die Unionschristen insgesamt sechsmal, den § 125 des Strafgesetzbuches wieder in die alte Fassung zu bringen. Für diese obrigkeitsseligen Stammtischpolitiker - Herr Miltner, Sie sind ein herausragendes Beispiel - hatte die Beseitigung des einfachen Landfriedensbruchs offensichtlich allerhöchsten ideologischen Stellenwert. Was immer es da an politischen Auseinandersetzungen und sozialer Unruhe geben mochte: Die Christenunion forderte monoton die Verschärfung des § 125 StGB. Vor nicht allzu langer Zeit hat es Ihr Parteifreund Friedrich Zimmermann, der Polizeiminister, in brutaler Plattheit wie folgt formuliert - ich zitiere -:
Wenn der örtliche Polizeieinsatzleiter sagt: Bitte entfernen Sie sich, und er entfernt sich nicht, dann ist er schon kein normaler Bürger.
({7})
Der Mann ist zugleich unser Verfassungsminister, und was Wunder, wenn der nunmehr regierende Stammtisch in Bonn dieses autoritäre Herzensanliegen in die Tat umsetzen will! Die Beihilfe eines bis zur Unkenntlichkeit gebrochenen Liberalismus ist ihm dabei gewiß. Nun packt der Minister seine Vorurteile und manch hintersinnige Absicht, von welcher er offen nicht spricht, in scheinbar rationale Argumente, auch wenn es sich dabei meistens um die Rationalität von Polizei und Justiz handelt.
Zwar gesteht auch der Gesetzentwurf in seiner Begründung gleich zu Beginn zu, daß Demonstrationen weit überwiegend friedlich verlaufen, aber andererseits würden die friedlichen Demonstranten von den sogenannten Gewalttätern als Schutz für ihr böses Tun verwendet, dies auch noch ohne größeres Risiko, so daß es - ich zitiere - „zum Schutz der Gemeinschaft und der einzelnen Bürger unerläßlich ({8}), dem geltenden, weitgehend wirkungslosen Tatbestand des Landfriedensbruchs seine den öffentlichen Frieden sichernde Funktion wiederzugeben". So heißt es in der hier zu debattierenden Vorlage.
In unserem Grundgesetz findet sich jener schöne Art. 8 Abs. 1, der jedem und jeder Deutschen das Recht zur friedlichen Versammlung unter freiem Himmel garantiert. Aber, so schließen messerscharf die Autoren des vorliegenden Entwurfs: „Dagegen können sich diejenigen, die Gewalttätigkeiten fördern, nicht auf diese Grundrechte berufen"; das war ein wörtliches Zitat.
({9})
Daß nach den vorliegenden Gesetzestexten bester preußischer Bütteltradition fortan jeder, der dieses Grundrecht friedlich in Anspruch nimmt, im Falle von Randale sofort zu verschwinden hat, ansonsten er dieses Grundrecht - frei nach dem Hause Zimmermann und Engelhard - verwirkt hat, weil er durch dessen Wahrnehmung, durch die Wahrnehmung eines Grundrechts, j a möglicherweise Gewalttätigkeiten fördert und sich daher strafbar macht, ohne allerdings wirklich etwas gemacht zu haben, das lehrt, wie man politische Grundrechte bis zur Unkenntlichkeit aushöhlen kann.
({10})
So wird aus einem Grundrecht unversehens die altdeutsche Grundpflicht, den Anweisungen der Obrigkeit wort- und widerstandslos Folge zu leisten. „Gesetzestreuer Bürger" nennt Friedrich Zimmermann solche Art Kadavergehorsam.
Da man nun aber nicht die Absicht hat, gemäß dem Legalitätsprinzip ganze Großdemonstrationen in Fußballstadien zu verfrachten, um sie dort polizeilich verarbeiten zu können - was würde das Ausland schließlich dazu sagen? -, so greift man mit Hilfe der von leisen Skrupeln geplagten LiberaFischer ({11})
len auf die mathematischen Ergebnisse der ansonsten so verpönten „Konfliktpädagogik" zurück. Die Mengenlehre feiert in dem vorliegenden Gesetzentwurf fröhliche Urständ. Teilmenge und Gesamtmenge werden hier bemüht, um Grundrechtsbesitzer und Grundrechtsverlorene
({12}) voneinander zu scheiden.
({13})
Zudem gibt es professionell begründete Aufenthaltsrechte im Wirkungsbereich des Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes, für die Journalisten etwa, und es taucht das Negativ des Aufwieglers auf: der Abwiegler.
({14})
Allerdings trägt der schwer an der Umkehrung der Beweispflicht. Ein Abwiegler muß über seine staatstragende Tätigkeit Nachweis führen können.
({15})
Sonst geht er leicht als Aufwiegler mit allen fatalen Folgen durch. Man stelle sich die Dinge einmal praktisch vor,
({16})
auch wenn dies nicht gerade die Stärke, Herr Olderog, des Hohen Hauses und unseres werten Innenausschusses ist.
({17})
- Hören Sie doch einmal zu!
({18})
- Am besten gehen wir zusammen einmal auf eine Demo. Sie wiegeln ab, ich wiegle auf. Mal sehen, wer von uns beiden dabei erwischt wird. Dann wollen wir sehen, wer von uns beiden nach Ihrem Gesetz wie verurteilt wird.
({19})
Ein Abwiegler nimmt einem Aufwiegler einen Stein oder einen Holzprügel ab, da er weiter im Geltungsbereich von Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes demonstrieren und nicht nach Hause geschickt werden will. In diesem Moment greifen die Träger von Hoheitsbefugnissen zu, d. h. die Polizei. Es ist wohl nicht zuviel gewagt, wenn man animmt, daß dieser Abwiegler nie wieder abwiegeln wird, nachdem er seine Strafe als Aufwiegler hinter sich gebracht hat.
({20})
Überhaupt: Die Praxis ist die Stärke dieses Gesetzentwurfs. Die kommenden Verhältnisse galten ja bereits ein Jahrhundert lang: von 1871 bis 1970. Ich selbst lernte die Wahrnehmung des Art. 8 noch unter der wilhelminischen Landfriedensbruchdrohung. Abgehalten hat das keinen und niemanden, weder vom gewaltfreien noch vom gewaltsamen Demonstrieren.
({21})
Und glauben Sie mir: Wenn man es auf Randale anlegt, dann spielt die zusätzliche Strafandrohung für friedliche Demonstranten überhaupt keine Rolle. Erwischen werden Sie eh nur die Friedfertigen.
({22})
Nein, es handelt sich hier um ein vorgeschobenes Argument. Es geht dem Polizeiminister und Herrn Engelhard, dem Justizminister, allein um die innere Abschreckung. Denkt man deren Logik einmal zu Ende, so stößt man - entschuldigen Sie, Herr Engelmann, wenn ich Sie hier nicht wirklich als Gegner annehme;
({23})
- Engelmann? Engelhard! Die Freudsche Fehlleistung zeigt schon, daß ich eigentlich mit Herrn Zimmermann hier zu streiten habe; Sie werden hier gewissermaßen nur vorgeschickt - auf Friedrich Zimmerhards repressiven Dreisatz, der da heißt: Kriminalisieren, erfassen, verbieten.
({24})
Jede mißliebige Protestbewegung, jede rebellische Minderheit unterliegt fortan einer simplen Kriminalisierungsdrohung. Will man sie weghaben, so greift man zum Rezept Krefeld. Mittels eingeschleuster V-Leute wie dem Berliner Verfassungsschutzmann Peter Troeber in Krefeld lassen sich jederzeit friedliche Demonstrationen umfunktionieren und damit kriminalisieren. Da muß nur einer an der richtigen Stelle auf höheres Geheiß loslegen, und schon hagelt es Festnahmen und Verurteilungen wegen Landfriedensbruchs. Oder man verfährt wie bei der Massenverhaftung der Jugendlichen aus dem KOMM in Nürnberg. Dann greift die Erfassung, die mittels der elektronischen Personenüberwachungs- und Erfassungssysteme durch den neuen, maschinenlesbaren Personalausweis etwa und durch die Wiedergeburt eines alten massenhaften Verdachtsmoments wesentlich perfektioniert und ausgeweitet wird. Die Wiedereinführung des Landfriedensbruchs wird jenes wunderbare elektronische Netz erst so richtig rechtfertigen.
Dies alles bliebe jedoch unvollständig, machte so recht keinen Sinn ohne das abschließende Verbieten und Unterdrücken. Man darf heute schon davon ausgehen, daß all die vielen Urteile und Verdachtsdaten schließlich in eine neue Welle direkter oder indirekter Berufsverbote münden werden,
({25})
diesmal jedoch nicht mehr vor allem auf den öffentlichen Sektor beschränkt.
Ich vermute aber, daß diese Rechnung nicht ganz aufgehen wird, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese Politik mehr Widerstand hervorrufen wird, als sie zu unterdrücken vermag. Da hilft kein noch so autoritäres Drohen. Solange die herrschende Politik nur allzuoft die Ursache von Gewalt
Fischer ({26})
ist, weil sie Unrecht schafft oder erhält, so lange wird sie auf Widerstand stoßen.
({27})
Den halten wir GRÜNE allemal für richtiger und wichtiger als Ihre gesamte staatliche Unterdrükkungsklaviatur. Es ist ein alter reaktionärer Köhlerglaube hier in Deutschland, daß Sie Freiheit und Demokratie durch die Zimmermannsche Gesetzestreue und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, und sei sie auch demokratisch legitimiert, erhalten und durchsetzen würden.
({28})
Freiheit und Demokratie sind an die Volkssouveränität gebunden. Diese äußert sich nicht nur in freien Wahlen, der Pressefreiheit und anderen verfassungsmäßigen Grundrechten, sondern wesentlich auch in der Demonstrationsfreiheit.
({29})
Auf Befehl von oben war hier in Deutschland so ziemlich alles erlaubt. Hauptsache, man tut seine Pflicht, wie es auch der Bundeskanzler heute so gerne wieder vollmundig von sich gibt. Aber wehe, man muckt gegen Befehle auf. „Gewalt!", so dröhnt es sofort und unisono, wenn irgendwo eine Scheibe kracht. Gewalt beklagt man auf den Straßen und in den Fußballstadien. Aber wenn zur selben Zeit die gesamte Creme der westdeutschen Politik und Industrie in den Geruch von Käuflichkeit und Verfassungsbruch gerät und dabei so tut, als wäre nichts gewesen - wie im Flick-Skandal und bei der Parteienfinanzierung -, wenn hemmungslos das soziale Netz zurückgeschnitten und eine ganze Generation arbeitsloser Jugendlicher aufgegeben wird, wenn Großprojekte gegen den Widerstand ganzer Regionen durchgeknüppelt werden und wenn die offizielle Politik die Androhung des gegenseitigen atomaren Massenmords als die schönste Friedenstat verkauft, so ist das wohlgetan.
({30})
Dann wundern Sie sich noch, wenn es kracht, und schreien nach mehr Polizei. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung sehen Sie immer dann in Gefahr, wenn Ihnen die fatalen Folgen Ihrer eigenen Politik entgegenfliegen.
({31})
Anstatt sich hinter den Gesetzen aus den Zeiten von Bismarcks Sozialistenhatz zu verschanzen, sollten Sie daher lieber einmal in den Spiegel schauen. Vielleicht dämmert Ihnen dann einiges über die wirklichen Gefahren für Freiheit und Demokratie.
({32})
Sie schwätzen hier immer viel und gerne vom Risiko der Freiheit, soweit es um die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos von oben nach unten geht. Äußert sich der Souverän in seinen Teilmengen einmal etwas direkter und nicht nur bei Wahlen, dann wollen Sie vom Risiko der Freiheit nichts mehr wissen und schreien nach dem Büttel.
({33})
Die Volkssouveränität wurde gewaltsam auf der Barrikade erkämpft, wenn auch nicht in Deutschland. Dies war keine einmalige Tat, deren man fortan bei Verfassungsfeiern in getragenem Moll zu gedenken hat, sondern sie gilt es beständig und vor allem in jeder Generation durch eigene Erfahrung zu erneuern.
({34})
Demokratie und Volkssouveränität gibt es halt nicht nur am Wahltag, sie leben in der Gewaltenteilung, in der Wahl-, der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit.
Diese Regierung der Rechten sehnt sich nach einer anderen Republik, nach mehr autoritärem Staat. Diese Sehnsüchte finden bereits ihren deprimierenden Niederschlag in der Wirklichkeit. Ausländer werden zu unerwünschten Personen erklärt und mit haarsträubenden Erlassen und Gesetzen vertrieben, Asylbewerber mit unmenschlichen Bedingungen und einer radikalen Abschiebepraxis abgeschreckt. Verzweiflung bis zum Tode nimmt man dabei in Kauf.
Die Filmförderung wird zum Mittel staatlicher Zensur. Die Reform des § 218 versucht man über den Umweg der Krankenversicherung zu unterlaufen. Nummehr geht es an die Wiedereinführung des alten Landfriedensbruchs.
Ferner plant man neue Distanzwaffen für die Polizei, von einer weiteren Perfektionierung der elektronischen Überwachung und Kontrolle ganz zu schweigen.
Bei Ihnen folgt eine innerstaatliche Feinderklärung auf die nächste. Sie wollen eine Republik, in der Ruhe wieder die erste Bürgerpflicht zu sein hat; ansonsten gibt es etwas auf die Köpfe.
Wir aber meinen, daß statt dessen Unruhe als oberste Tugend angesagt ist. Wir GRÜNE halten den § 125 des Strafgesetzbuches nicht für erweiterungs-, sondern für streichungsbedürftig; denn er bestraft kein konkretes Vergehen, sondern eine politische Handlung, die zudem grundgesetzlich geschützt ist.
({35})
- Erzählen Sie doch nichts von Steinewerfern. Sie haben doch noch nie aus der Nähe gesehen, wie so etwas vor sich geht; erzählen Sie doch nichts!
({36})
Der Landfriedensbruchparagraph ist also eine demokratische Unmöglichkeit, ein Relikt aus der Zeit des wilhelminischen Obrigkeitsstaates - da passen Sie ganz gut hin, verehrter Herr Kollege, genauso wie unser mit seinen Fouché-Komplexen
Fischer ({37})
beladener Innenminister, auf den Sie ja so stehen, dem Sie in jeder Rede dreimal danken.
({38})
Für uns ist nicht mehr Folgsamkeit gegenüber den Anordnungen der Obrigkeit angesagt, sondern mehr aufrechter Gang für die eigenen Überzeugungen und vor allem die unveräußerlichen politischen Grundrechte.
Lassen Sie mich dazu ein kleines Beispiel aus jener Zeit zitieren, in welche auch der Landfriedensbruch des Herrn Zimmermann so recht hineingepaßt hat.
Als 1850 einer der Schlächter der ungarischen Revolution, der General Haynau, sich auf Besuch ins liberale London wagte und dort auch noch eine Brauerei sich zu besichtigen erfrechte, da packten ihn die politisch sehr genau orientierten Arbeiter bei seinem mächtigen Schnurrbart, hauten ihm den Buckel voll und warfen ihn in eine Kloake.
Einen Protest aus Wien tat der Außenminister Lord Palmerston damit ab, indem er antwortete, ein Herr Haynau solle sich vorher überlegen, ob er bei der weltbekannten Unbotmäßigkeit der Londoner Massen sich ausgerechnet diese Metropole als Besuchsort aussuchen müsse.
So zupackend, so direkt kann die Volkssouveränität gegenüber der Obrigkeit bisweilen sein. Wer den inneren Frieden will, der darf nicht Unbotmäßigkeit unter Strafe stellen, sondern muß deren Ursache beseitigen. Daß es dabei manchmal etwas fetzt, ja fetzen muß, gehört zum Risiko der Freiheit für alle Beteiligten.
Danke schön.
({39})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Fraktionsführer der Sozialdemokraten hätte beinahe unsere Sorgen, die wir bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes tatsächlich schon seit längerem - nicht erst seit heute - haben, noch wesentlich schwerer und drückender gemacht mit einer Reihe von Vorwürfen und Bedenken, die wir uns auch vorgelegt haben. Diese Wirkung ist nur deshalb nicht so voll gediehen und zu einem niederdrückenden Ergebnis geworden, weil die Art, wie das Vorhaben im übrigen gewürdigt worden ist, von so schlichter Einfachheit in der Auswahl all dessen war, was an diesem Gesetz vielleicht negativ sein könnte,
({0})
und die Überlegungen, die für ein solches Gesetzesvorhaben sprechen - die sehr wohl schon seit langem angestellt worden sind, auch von Sozialdemokraten -, so vollkommen unterdrückt worden sind, daß wir angesichts dieser Einseitigkeit sowohl in
der Betrachtung der gesetzlichen Regelung wie auch ihrer tatsächlichen Voraussetzungen dann doch nicht so beschämt dagestanden haben, wie es in der Absicht dieses Beitrages gelegen haben mag.
({1})
Tatsache ist nämlich, daß es uns in dieser Situation sehr schwerfällt - mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die Liberalen immer versucht haben, sich in diesen Fragen besonders hervorzutun -, zu übersehen, wie wir das Richtige tun können. Bei dieser Ausgangslage muß man sich aber erst einmal bemühen, sich möglichst objektiv und unter Abwägung allen Für und Widers mit dem Sachverhalt zu befassen, statt sich auf Grund der bequemen vorgefaßten Meinung auf die eine oder andere Seite zu schlagen und vereinfachend zu sagen: So muß es eben sein! oder: So geht es nie, und damit ist dann Schluß. Denn die Dinge sind doch erheblich komplizierter, als sie hier dargestellt worden sind.
Der Bürger, den Heinrich Heine gemeint hat - auch Herr Vogel hat das zum Schluß hinzugefügt -, ist nun allerdings seit vielen Jahrzehnten nicht mehr vorhanden. Vielmehr haben wir es mit etwas anderen Bürgern zu tun. Natürlich - da wird die Sache nun wirklich unerfreulich - sind alle im Hause dafür ich hoffe, alle -, daß das Grundrecht des Art. 8, sich unter freiem Himmel zu versammeln, von jedermann wahrgenommen werden kann - so frei wie irgend möglich -, daß alle Formen der Beteiligung der Bürger an dem demokratischen Prozeß - dazu gehört sehr wohl die Demonstration - ermöglicht werden müssen, das dann aber möglichst auch ungestört.
Wir haben ja wohl in der Vergangenheit einige Typen von Demonstrationen auseinanderzuhalten gelernt.
({2})
Es gibt die Darstellung besorgter Bürger, die sich wegen ihrer Meinung zu einer Einzelfrage zusammentun, um öffentlich ihre Bedenken deutlich zu machen. Wenn das wirksam sein soll, dann muß eine solche Demonstration auch friedlich verlaufen. Sonst wird nämlich bis hin zu den Medien ausschließlich der unfriedliche Teil dieser Veranstaltung von der Öffentlichkeit beachtet, und das eigentliche Anliegen geht vollkommen unter. Wenn ein solcher Demonstrationsverlauf von einzelnen gewollt sein sollte, dann sagen sie damit gleichzeitig, daß sie tatsächlich das Demonstrationsrecht auf das schändlichste mißbrauchen wollen,
({3})
um in der entstehenden Verwirrung eine Fülle von Irrlehren, die hier in aller Kürze eben wieder skizziert worden sind, in Gehirne hineinzubringen, die durch Aktion verdüstert, statt durch Nachdenken geprägt sind.
({4})
Sie haben außer der darstellenden Demonstration politischer Meinungen noch die Profilierungsdemonstration. Dazu gehören möglichst viele pro4068
Kleinert ({5})
minente Teilnehmer, die sich an fernsehwirksamer Stelle niedersetzen, um sich dann wegtragen zu lassen. Dazu ist übrigens die Mitwirkung des Fernsehens unerläßlich. Anderenfalls würde die Sache sofort aufhören, weil dann die Profilierung, die wesentlicher Zweck dieser Art von Demonstration ist, nicht stattfinden kann.
({6})
Dann gibt es auch noch - deshalb benutzte ich gern, was Sie hier so an Anschauungsmaterial liefern - die Solidarisierungsdemonstration, bei der es darum geht, die Leute, die man aus einem angeblich sachlichen Anlaß zusammengebracht hat, durch ein Gemeinschaftserlebnis so miteinander zu verbinden, daß man sie hinterher zu anderen politischen Zwecken mißbrauchen kann.
({7})
Diese Solidarisierungsdemonstration wird in ihrem Verlauf und in der Erreichung ihres Zwecks sehr gefördert, wenn sie unfriedlich verläuft, wenn schließlich auch ein polizeilicher Einsatz erforderlich ist und man dann das hat, worüber sie bei anderen - übrigens: zu Recht - sehr abfällig urteilen würden, nämlich das, was frühere Generationen als gemeinsame Kriegserinnerungen in verbindender Männerfreundschaft mit sich getragen haben. Das hat man dann als Demonstrationserinnerung aus dem Einsatz an der Starbahn West oder bei ähnlichen Gelegenheiten.
({8})
Mit diesem Vehikel werden dann die unsinnigsten Ideen einiger weniger Anführer und Verführer weitertransportiert.
Wenn man sich einmal klarmacht, was da im einzelnen an sehr unterschiedlichen Demonstrationen vonstatten geht, dann weiß man auch, wie schwer es ist, der großen Masse derjenigen Bürger, denen wir dieses Demonstrationsrecht frei erhalten wollen, zu ihrem Recht gegen diejenigen zu verhelfen, die bei dieser Gelegenheit andere Ziele verfolgen, und zwar über die vorhin hier so nett angesprochene Randale hinaus.
Darüber kann man nun von Fachleuten sehr Unterschiedliches hören. Jeder, der sich eine rechtspolitische Meinung als Vorurteil bereits gebildet hat, hat seinen Polizeipräsidenten oder Gewerkschaftsvorsitzenden zur Hand, der eben diese Meinung aus den Erfahrungen der Praxis im Brustton der Überzeugung bestätigt. Für eine wirklich sinnvolle Auseinandersetzung über das Thema ist dieses Verfahren nicht geeignet. Wir glauben vielmehr, daß diejenigen, die fachlich sowohl von der praktischen als auch von der rechtswissenschaftlichen Seite her etwas dazu zu sagen haben, ihre Unterhaltung in aller Ruhe miteinander in Gegenwart derjenigen führen, die zum Schluß die Last der Entscheidung tragen müssen. Vielleicht kommt man dann dazu zu sagen: Mehrheitlich kann man der Meinung sein, daß dieser oder jener Weg der richtige ist.
Es ist eben nicht so, wie Herr Vogel es vorhin dargestellt hat, daß hier eine Entscheidung von geradezu epochaler Bedeutung für diesen Rechtsstaat fällt, sondern wir reden über unterschiedliche Auffassungen über das geltende Recht, das alles das, was nach der Änderung möglich sein soll, heute schon ermöglicht.
Es ist nämlich über das Versammlungsgesetz und die Bedrohung als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld all das heute schon durchaus mit einer Sühne bewehrt, was in Zukunft auch bewehrt sein soll, dann allerdings als Straftat. Dieser Unterschied ist mir bewußt. Ich erwähnte dies hier, weil es sich immer noch um einen graduellen Unterschied und nicht um eine Umkehr aller Werte handelt. Das gilt um so mehr, weil es eben nicht richtig ist, daß man auf das Recht, das bis 1970 gegolten hat, zurückgehen will. Man will dieses Recht vielmehr nur zu einem sehr geringen Teil und mit einer Reihe von Abmilderungen, die zugegebenermaßen übrigens auch zu rechtstechnischen Komplikationen führen, was ich gar nicht verkennen will, einführen, also nur in Anklängen an früheres Recht. Da hilft keine Panikmache. Dies ergibt einfach der Blick auf den Gesetzestext und insbesondere der Vergleich mit dem hier zitierten früheren Gesetzestext.
Es ist ja auch gut, zu hören, daß die Sozialdemokraten der Hort liberaler Rechtsauffassungen sind und daß das alles bei uns schlecht aufgehoben ist. Am ehesten gehört in diesen Zusammenhang noch die langjährige Diskussion über die Verteidigerüberwachung. Das war eine Sache, bei der wir nun wirklich lange Zeit ganz alleine gekämpft haben gegen sozialdemokratische Justizminister in der damaligen Koalition, gegen breite Strömungen auch und gerade in der Sozialdemokratie, die aus den Ländern kamen,
({9})
bis wir uns schließlich - Herr Emmerlich, und zwar die Rechtspolitiker viel eher als die Innenpolitiker - darauf verständigt haben, einen anderen Weg zu gehen, der uns diesen allerdings sehr dramatischen Eingriff in unser strafprozessuales Verfahren erspart hat. Da waren wir wirklich die ersten, und da waren etliche Sozialdemokraten auf der anderen Seite.
({10})
Genauso kann ich an eine Reihe von Eingriffen erinnern, die im bequemen Interesse der Verfahrensbeschleunigung sowohl im Strafprozeß wie im Zivilprozeß geplant waren, die an unserem Widerstand gescheitert sind.
({11})
Wir haben versucht, dafür zu sorgen, daß die Rechte der Verfahrensbeteiligten erheblich stärker weiterhin berücksichtigt bleiben, als das in solchen Vereinfachungsvorhaben vorgesehen war.
Eine Sache, die - zugegeben - nicht unmittelbar in den Zusammenhang gehört, die aber meiner persönlichen Einschätzung nach demnächst auch
Kleinert ({12})
einmal beim Bundesverfassungsgericht kippen wird, ist das Künstlersozialversicherungsgesetz. Das war ein Opfer, das wir nach langem hinhaltenden Widerstand auf den Altar der vergangenen Koalition gebracht haben. Bei diesem Gesetz ist eine Fülle von Rechtsfehlern eingearbeitet worden, die vermutlich auch zu seinem Scheitern führen werden.
({13})
Wir können darauf eingehen oder wir können uns besinnen auf die Unterhaltung zum G-10-Gesetz über die Mitteilung über die Telefonüberwachung an die Betroffenen und die daraus etwa zu ziehenden Folgerungen. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, daß hier mit Schwarzweißmalerei und der Einteilung der vertretenen Fraktionen und Parteien in die Guten und die Bösen überhaupt nichts zu gewinnen ist,
({14})
sondern daß unter Sachzwängen leider alle immer einmal einen Fehler gemacht haben und schließlich auch einen Koalitionskompromiß eingegangen sind, bei dem jeder etwas nachgeben mußte, auch wenn ihm das schwerfiel. Mit einem solchen Fall werden wir es hier schließlich auch wieder zu tun haben. Um so mehr nehmen wir das dankbar auf, was Herr Wittmann vorhin über die Offenheit gesagt hat, mit der das, was hier noch an rechtlicher Problematik vorhanden ist, in den Ausschußberatungen zu prüfen ist. Wir werden uns die Meinung derjenigen, die etwas dazu sagen können, in Ruhe und unvoreingenommen anhören, um danach schließlich zu einer in jedem Fall schweren Entscheidung zu kommen, die aber mit Sicherheit keineswegs - weder so noch so - den Untergang des Rechtsstaats bedeuten wird, sondern eine nach Lage der Dinge dann eben unumgängliche politische Entscheidung sein wird, und zwar zur Erhaltung und Verteidigung des Demonstrationsrechtes und keineswegs als Angriff darauf. Letzteres wäre eine Behauptung, die nur geeignet ist, künftige Beratungen zu belasten, aber nicht etwa zu fördern.
Um einmal auf den Typ von Demonstranten, mit dem man es u. a. auch zu tun hat, ein Licht zu werfen: Ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie wir, um über Fragen des Demonstrationsstrafrechts und seiner etwaigen Neugestaltung zu sprechen, in die Evangelische Akademie Loccum gekommen sind - ausgerechnet -, der Kollege Axel Wernitz und ich. Wir trafen uns da und wurden umringt von vermummten Demonstranten. Es herrschte ein großer Aufruhr in der gesamten Evangelischen Akademie. Der Leiter erklärte uns betrübt, die vorgesehene Podiumsdiskussion, zu der alle Bevölkerungsgruppen und alle interessierten Kreise eingeladen waren, besonders die, denen das Demonstrieren ihrer Ansicht nach besonders am Herzen liegt, könne leider wegen der Demonstration nicht stattfinden.
({15})
Es wurde uns dann vom Veranstaltungsleiter angesonnen, wir könnten ja schon einmal anfangen,
denn die Demonstration richte sich in erster Linie gegen den Innensenator von Berlin, Herrn Lummer, der inzwischen in einer Personalkantine im Keller untergebracht war, damit er etwas sicherer sein konnte.
({16})
- Herr Fraktionsvorsitzender, der Kollege Wernitz hat dann gesagt, daß es für ihn überhaupt nicht in Frage käme, die Diskussion ohne die Beteiligung aller, die an ihr teilnehmen sollten, zu beginnen;
({17})
deshalb würden wir uns zunächst einmal in diesen Keller begeben, um abzuwarten,
({18})
ob es der Leitung dieser Anstalt gelingt, ein Diskussionsklima wiederherzustellen, das die Besprechung des Demonstrationsrechts ermöglicht.
Beim nächstenmal habe ich unfeinerweise den Kollegen Hirsch gebeten, eine Diskussion zu einem vergleichbaren Thema in Loccum zu besuchen. Da ist er von den Demonstranten erst gar nicht hereingelassen worden.
({19})
Herr Abgeordneter Kleinert, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. Ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, ich komme unmittelbar zum Ende.
Wer so seine Diskussionsbereitschaft in der Sache - speziell bei diesem Thema - zeigt, der sollte nicht hergehen und uns, wenn wir ernsthafte Erwägungen anstellen, den Vorwurf machen, wir hätten vielleicht etwas gegen die Möglichkeit einer jederzeit freien und ungehinderten Aussprache, während er selbst zu denen gehört, die sie verhindern, wo sie es nur können.
({0})
Das Wort hat der Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Schnoor.
Minister Dr. Schnoor ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Folgen der von der Bundesregierung beabsichtigten Änderung des Demonstrationsstrafrechts werden in erster Linie uns in den Ländern treffen, und zwar vor allem Polizei und Justiz. Polizei und Justiz werden die Last einer verfehlten Strafgesetzgebung zu tragen haben.
Meine Damen und Herren, die Polizei wird verantwortlich gemacht werden, wenn, was ja zu erwarten ist, die vorgeschlagene Norm nicht zu einer besseren Befriedung führt und nicht zu einem
Minister Dr. Schnoor ({1})
besseren Schutz beitragen wird, sondern genau das Gegenteil bewirken wird.
({2})
Dann wird man der Polizei die Schuld in die Schuhe schieben, denn der Gesetzgeber hat ja dann seine Schuldigkeit getan; es kann dann ja wohl nur noch an der Polizei liegen.
Meine Damen und Herren, Bundesregierung, CDU/CSU und FDP wollen einen Straftatbestand aus dem Jahre 1871 - freilich mit gewissen Retuschierungen, aber eben doch einen Tatbestand von 1871 - wieder einführen. Da beißt keine Maus den Faden ab. Daß die Unionsparteien ihre Chance wahrnehmen, wundert uns ja nicht; das haben wir gar nicht anders erwartet. Aber ich muß sagen, trotz des Beitrags von Herrn Kleinert ist der Meinungsumschwung der FDP immer noch schwer vermittelbar. Herr Kleinert hat uns zwar die Skrupel mitgeteilt, die ihn bewegen. - Ich sehe, er ist nicht hier,
({3})
aber der Herr Kollege Hirsch nimmt das entgegen und wird es ihm sagen. Herr Hirsch, die Skrupel der FDP sind uns zwar vermittelt worden, und Sie haben erklärt, Sie sehen in der Bemerkung von Herrn Wittmann, daß man im Ausschuß reden könne, einen Hoffnungsschimmer. Aber sind Sie denn eigentlich noch frei, das Gesetzgebungsvorhaben wieder aufzugeben? Das können Sie uns doch hier gar nicht erzählen, und davon sprechen Sie j a auch gar nicht.
({4})
Nein, meine Damen und Herren von der FDP, die FDP entläßt sich mit ihrer Zustimmung zu einem Gesetz, das die Bestrafung friedlicher Demonstrationsteilnehmer vorsieht, selbst aus ihrer Rolle als Vertreterin einer liberalen Rechts- und Innenpolitik,
({5})
und sie verschreibt sich damit einem restaurativen Verständnis des Staates, mit dem dieser kritischen Bürgern begegnet,
({6})
Ein Journalist hat kürzlich gesagt, der Entwurf der Bundesregierung führe zum kaiserlichen Strafrecht des vorigen Jahrhunderts zurück. Heinrich Böll hat früher sogar einmal vermutet, das alte kaiserliche Demonstrationsstrafrecht stamme aus der Zeit der Bauernkriege. Nein, das ist nicht richtig, denn man hat zwar in all diesen Zeiten Straftatbestände mit schrecklichen Strafen gehabt, nur glaubte man, nicht mit diesem Straftatbestand arbeiten zu müssen. Man glaubte immer, ohne diesen auskommen zu können. Erst in der Kaiserzeit wurde das anders, und dorthin möchte die Bundesregierung so schrecklich gern zurück.
({7})
- Ja, Ihnen fällt nur das Lachen ein, wenn es um die Wahrung der Bürgerrechte geht. Das ist mir die ganze Zeit schon aufgefallen.
({8})
Dieser Schritt mag manchem unbedeutend erscheinen, aber bedenken wir: Die Freiheit stirbt oft zentimeterweise.
In den letzten 13 Jahren hat sich die Zahl der Demonstrationen in der Bundesrepublik vervielfacht, und es ist weder zu erwarten noch zu wünschen, daß sich dieser Anstieg verringert. 1983 haben wir Großdemonstrationen mit mächtigen Willensbekundungen erlebt, und auch andere Gründe als das Bekenntnis zum Frieden können einmal Menschen dazu bringen, auf die Straße zu gehen. Die bedrückende Lage auf dem Arbeitsmarkt, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die belastende Sorge um das Existenzminimum mancher Menschen kann auch diese dazu bringen, von ihrem Grundrecht Gebrauch zu machen, und dieses Recht möchten wir nicht angetastet sehen. Es wird aber angetastet.
({9})
Für unseren Staat ist aus guten Gründen die repräsentative Demokratie eingeführt worden, und wir wollen auch an ihr festhalten. Der Wähler wird aber nach seiner Stimmabgabe mediatisiert, und manche Staatsbürger sehen sich nun einmal mit ihren politischen Anliegen nicht mehr von uns und unseren Parteien ausreichend vertreten. Was kann, was muß der freiheitlich-demokratische Staat tun, um einen drohenden Zusammenstoß mit engagierten Kritikern der gegenwärtigen Ordnung möglichst zu vermeiden oder jedenfalls gering zu halten, und wie ist es überhaupt möglich, einen breiten Konsens zu erhalten, von dem wir doch ausgehen müssen, wenn wir unsere Gesellschaftsordnung erhalten wollen?
Konflikte sind in unserer Gesellschaft Teil des notwendigen gesellschaftlichen Wandels, und Auseinandersetzungen über den richtigen Weg sind unverzichtbarer Bestandteil unserer staatlichen Ordnung. Davon müssen Strategien zur Konfliktlösung ausgehen, für die Polizei, aber auch für den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber, Gerichte und Polizei müssen das Demonstrationsrecht, diese Pressefreiheit des kleinen Mannes, wahren - der Gesetzgeber vernachlässigt diese Pflicht -; denn für Bürger, insbesondere für Minderheiten, die ja nicht wie wir den Zugang zur Presse haben, sind Demonstrationen oft das einzige Mittel, der fortgeschrittenen Monopolisierung der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken.
({10})
Natürlich müssen einzelne Gruppierungen, die den Einsatz von Druck und Zwang benutzen wollen, in ihre Schranken verwiesen werden, unabhängig davon, ob uns ihre Ideen gefallen oder nicht gefallen. Aber hier und nur hier liegen nach unserer Verfassungsordnung und nach den Maßstäben auch
Minister Dr. Schnoor ({11})
der politischen Vernunft die Grenzen des Demonstrationsrechts.
({12})
Unter diesen Aspekten ist die Novelle überflüssig, nicht praktikabel, rechtlich bedenklich und keineswegs geeignet, die öffentliche Sicherheit und den öffentlichen Frieden besser zu schützen als das geltende Recht.
({13})
Ich weiß mich in dieser Bewertung einig mit der ganz überwiegenden Mehrzahl der Praktiker. Und wenn auf die Gewerkschaft der Polizei verwiesen wird, die diesen Standpunkt vertritt, meine Damen und Herren, dann bedenken Sie: Sie vertritt 170 000 Mitglieder unserer Partei
({14})
- unserer Polizei.
({15})
Das wäre schön für uns.
({16})
- Ein Wunsch wäre das, Herr Kollege Vogel. - Dann hätten wir die Mehrheit und könnten bestimmen, daß solche Gesetze jedenfalls nicht beschlossen würden.
({17})
Die Bundesregierung geht bei ihrer Beschreibung der Zielsetzungen des Gesetzenwurfs davon aus
({18})
- regen Sie sich doch bitte etwas ab, und hören Sie lieber zu; es geht um ein ernstes Thema, meine Damen und Herren -, daß es bei zahlreichen Demonstrationen in der letzten Zeit zu schweren Ausschreitungen gegen Menschen und Sachen gekommen sei. Ich weiß nicht, wie man so etwas immer noch wiederholen kann. Das trifft insgesamt nicht zu und für Nordrhein-Westfalen schon gar nicht.
({19})
Die Zahl der unfriedlichen Demonstrationen ist in Nordrhein-Westfalen von 1981 auf 1982 um 64 % zurückgegangen.
({20})
Die absolute Zahl ist um 64 % zurückgegangen, meine Damen und Herren. Bis zum Jahre 1983 hat es zwar eine gewisse Steigerung bei der absoluten Zahl gegeben, aber relativ auch einen deutlichen Rückgang. Und die Zahlen für 1983, meine Damen und Herren: Von 2 839 Demonstrationen verliefen nur 39 unfriedlich. Das sind 1,37 %. Und zu diesen
1,37 % der unfriedlichen Demonstrationen zählen wir auch Krefeld, worauf Sie mehrfach hingewiesen haben. Ich komme gleich noch einmal darauf, meine Damen und Herren; das sieht dann für Sie gar nicht so schön aus. Wir zählen dazu also auch Krefeld, obwohl dort mehr als 20 000 Bürger friedlich demonstriert haben. Bedenken Sie das bitte. Und da auch bei Demonstrationen, die als unfriedlich gewertet werden, nur ein kleiner Teil der Menge gewalttätig agiert, ist der Anteil der Störer gar nicht abschätzbar. Es ist deshalb falsch, Herr Bundesjustizminister, von einer Eskalation der Gewalt zu sprechen. Das tatsächliche Demonstrationsgeschehen rechtfertigt die beabsichtigte Rechtsverschärfung nicht.
Von der CDU/CSU, vorhin auch von Herrn Wittmann, ist auf Krefeld verwiesen worden. Mir ist auch schon an anderer Stelle entgegengehalten worden, die Ereignisse beim Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Bush in Krefeld hätten die Notwendigkeit einer Verschärfung des Demonstratonsrechts erwiesen. Das ist absolut falsch. Die gewalttätigen Störer in Krefeld waren nicht Teilnehmer einer Demonstration.
({21})
Die Demonstration in Krefeld ist vielmehr absolut friedlich verlaufen.
({22})
Die Demonstranten haben sich an jede Auflage der Polizei gehalten, an das Vermummungsverbot, an alles haben sie sich gehalten. Die Demonstranten haben auch die an ganz anderen Stellen der Stadt agierenden Gewalttäter in keiner Weise gedeckt. Alles andere, was vorhin über Krefeld gesagt worden ist, stimmt doch gar nicht. Es hat bedauerlicherweise verletzte Polizeibeamte gegeben. Ich habe darüber an anderer Stelle sehr eingehend gesprochen. Nur haben die mit der Demonstration überhaupt nichts zu tun, meine Damen und Herren. Durch noch so scharfe Gesetze verhindern Sie doch nicht, daß es immer Gewalttäter und immer Straftäter geben wird, genausowenig, wie Sie durch ein Vermummungsverbot verhindern werden, daß sich Bankräuber vermummen, um später nicht erkannt zu werden. Das werden Sie genausowenig verhindern, wie Sie es durch ein Vermummungsverbot verhindern, daß sich Gewalttäter weiter vermummen.
({23})
- Von Gewalttätern, die aber nichts mit den Demonstranten zu tun hatten.
Vorhin hat Herr Wittmann etwas von einer Frau erzählt, die in Krefeld durch einen Steinwurf getötet worden ist. Herr Wittmann, die Fakten sind andere. Es ist in der Tat während der Demonstration in Krefeld eine Frau gestürzt und eingeliefert worden. Hieran ist sie nicht verstorben. Sie ist Wochen später nach der Demonstration zu Hause noch einmal gestürzt. Auf Grund eines Schädelbasisbruches
Minister Dr. Schnoor ({24})
ist die Frau dann verstorben. Das hat nun wirklich nichts mit der Demonstration zu tun.
({25})
- Aber eins können Sie nicht bestreiten, Herr Wittmann: Der Sachverhalt, den Sie vorgetragen haben, stimmt nicht, wie mancher Sachverhalt, der zu Krefeld von Ihrer Seite vorgetragen worden ist, nicht stimmt.
({26})
Das geltende Strafrecht reicht auch aus, um das strafwürdige Verhalten von Gewalttätern angemessen zu ahnden. Diese sind ja schon nach geltendem Recht strafbar. Auch für Anstifter und Gehilfen sieht das geltende Recht ausreichende Strafandrohungen vor. Wer einem Steinwerfer bei der Tat durch Gewährung von Deckung hilft, macht sich wegen Beihilfe strafbar. Aber natürlich muß man dem Täter oder dem Gehilfen die Tat nachweisen. Daran dürfen wir doch nichts ändern. Das ist natürlich für Polizei und Justiz ein großes Problem. Hier gilt es, anzusetzen. Es gilt, den Straftätern - auch den Gehilfen - ihre Straftat nachzuweisen, nicht aber friedliche Bürger durch Herumdrehen am Gesetzestext zu verfolgen und zu kriminalisieren.
({27})
Ein überzeugendes Konzept zur Lösung des Beweisproblems haben wir in Nordrhein-Westfalen erarbeitet. In anderen Ländern gibt es ähnliche Bemühungen. Das Problem ist ja nicht, einen Gewalttäter festzunehmen. Das kann die Polizei. Das Problem ist, bei einem Massendelikt individuelle Schuld nachzuweisen. An diesem Grundsatz müssen wir festhalten. Wir dürfen ihn nicht aufgeben. Sie sind dabei, diesen Grundsatz aufzugeben.
({28})
Es darf auch erwartet werden, daß die Polizei in Nordrhein-Westfalen in Kürze die von gewalttätigen Störern begangenen Delikte besser beweisen kann als bisher. Ich sage nicht, daß es vollkommen sein wird.
({29})
Es wird im Bundesgebiet herumreisende Gewalttäter sicher mehr beeindrucken, wenn man die Gewalttäter bestraft, als wenn man friedliche Demonstranten mitbestraft.
({30})
Die Grundannahme des Entwurfs, die weitgefaßte Strafandrohung werde bei großen Menschenansammlungen eine motivierende Kraft zum Auseinandergehen entfalten, ist massenpsychologisch absolut verfehlt. Das kann nur jemand sagen, der sich nie mit diesen Fragen befaßt hat.
({31})
Es ist ja eher zu befürchten, daß die weitreichende Kriminalisierung friedlicher Bürger verstärkte Aggressionen aufbauen wird.
({32})
- Sie machen jemanden zum Straftäter, der nur dabeigestanden hat, der selber aber nicht einmal jemandem Beihilfe geleistet hat. Das machen Sie. Das ist doch Kriminalisierung.
({33})
Das wird zur Aggression und zur Solidarisierung beitragen. Das wird nicht zu einem Abbau, sondern zu einer Eskalation der Gewalt beitragen.
Im übrigen lassen Sie mich eins sagen: Wenn an einer Demonstration Personen teilnehmen, die sich zwar im politischen Ziel einig sind, sich aber in den Methoden unterscheiden - der eine will Gewalt, der andere will sie partout nicht -, dann können sich Gewalttäter und die Friedlichen noch voneinander fernhalten. Wenn aber die Polizei dazukommt und auch gegen Friedliche vorgehen muß, sieht das anders aus.
({34})
- Nein, ich möchte gerne, Herr Wittmann, daß der Polizei das Leben erleichtert wird. Sie erleichtern es ihr nicht, sondern Sie machen es ihr schwerer.
({35})
Die aus dem Legalitätsprinzip folgende Verpflichtung, alle von der Strafandrohung erfaßten Personen zu verfolgen, würde an die Stelle des Beweisproblems ein Täter-Massen-Problem setzen. Die Strafverfolgung aller unter den neuen Tatbestand fallenden Bürger ist natürlich schlechterdings unmöglich. Das führt aber dann zu nicht akzeptablen Ungerechtigkeiten. Denn es wird ja mehr oder weniger zufällig sein, wer von vielen Demonstranten von der Polizei festgenommen wird, wenn die meisten unbehelligt bleiben müssen. - Herr Wittmann hat hier vorhin auf das Beispiel des Diebstahls verwiesen. Herr Wittmann, das liegt doch absolut daneben. Sie müssen das Beispiel so wählen: Weil Sie die Ladendiebe nicht erwischen können, müssen Sie auch die Kaufhausbesucher mit Strafe belegen; so wäre das Beispiel richtig.
({36})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie setzen in Wirklichkeit darauf - das sagen einige ja auch augenzwinkernd -, daß Strafverfahren nur gegen diejenigen eingeleitet werden, die die Polizei zwar im Verdacht hat, daß sie eine Gewalttat beganMinister Dr. Schnoor ({37})
gen haben, denen sie das aber nicht nachweisen kann.
({38})
Warum schreiben Sie das dann aber nicht in das Gesetz hinein? Warum schieben Sie denn die Last und die Verantwortung der Polizei zu und drücken sich hier? Oder haben Sie eventuell verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein solch öffentliches Geständnis des Gesetzgebers? Was bewegt Sie eigentlich?
Die Novelle ist überflüssig, rechtlich bedenklich. Kein Polizeibeamter wird durch diese Novelle besser geschützt. Wenn dies der Fall wäre, lieber Herr Wittmann, dann könnte man mit mir weiß Gott über manches reden; denn mir liegt der Schutz der Polizeibeamten sehr am Herzen. Nur, hiermit wird es nicht besser.
({39})
Das geltende Recht läßt differenziertes Handeln der Polizei zu: gegen Gewalttäter konsequent vorzugehen, die Mitdemonstranten aber ungeschoren zu lassen. Das entspricht polizeitaktischen Erfordernissen. Die Grundlage dafür, meine Damen und Herren - jetzt spreche ich die FDP an, Herr Kleinert -, wollen Sie der Polizei nehmen. Sie hat nämlich eine ausreichende Rechtsgrundlage. Bloß, Sie wollen sie ihr, wie gesagt, nehmen.
({40})
Der Schlußbericht 1983 der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Rechtsstaat", den Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, mitgetragen haben - Herr Wittmann war ja der Vorsitzende dieser Kommission
({41})
- Entschuldigung: Wissmann -, fordert, zwischen gewalttätigen und friedlichen Demonstranten stärker als bisher zu unterscheiden.
({42})
- Sie hätten sich dazu wahrscheinlich nicht hergegeben, Herr Wittmann.
({43})
- Ich weiß es, ja. - Das läßt unser geltendes Recht zu. Bedenken Sie eigentlich, daß Sie sich mit dieser Novelle auch von diesem Bericht distanzieren?
Sie machen uns, der Polizei das Leben schwer. Die Polizei muß ja Gewalttäter nach wie vor verfolgen und ihnen ihre Straftat nachweisen; das muß sie, das ist auch richtig so. Jetzt soll sie aber auch noch gegen friedliche Bürger strafrechtlich vorgehen, die auf Aufforderung der Polizei nicht weggegangen sind. Vielleicht muß die Polizei bei Großdemonstrationen künftig sogar Fluchtwege für friedliche Bürger freihalten, damit diese dem Platzverweis überhaupt folgen können.
({44})
Was muten Sie der Polizei eigentlich alles zu?
({45})
Aber den Damen und Herren der CDU/CSU geht es ja auch gar nicht darum, der Polizei hier zu helfen. Sonst würden sie nicht an einem solchen Gesetzesvorhaben festhalten, sondern sich mit uns um die Lösung des Beweisproblems bemühen; daran muß gearbeitet werden.
({46})
Ihnen geht es um etwas ganz anderes: Kritische Bürger sind Ihnen zu aufmüpfig.
({47})
Die „Erinnerungen aus Krähwinkels Schreckenstagen" - Herr Vogel hat das zitiert - peinigen Sie. Deshalb möchten Sie die von Ihnen so genannte geistig-moralische Erneuerung durchführen. Ihnen paßt die ganze Richtung nicht,
({48})
um ein Wort eines Berliner Polizeipräsidenten aus dem vorigen Jahrhundert aufzugreifen.
({49})
Das Wort hat der Abgeordnete Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier überhaupt nicht um die friedlichen Demonstrationen; es geht um die mehreren hundert unfriedlichen Demonstrationen mit ihren schlimmen Folgen, die wir in den letzten Jahren zu beklagen haben.
({0})
- Genau darum geht es.
({1})
Das, was Sie, verehrter Herr Oppositionsführer, heute hier gesagt haben - Sie haben davon gesprochen, es sei ein schwarzer Tag für das Parlament,
({2})
das Bundesjustizministerium müsse sich schämen, einen solchen Entwurf vorzulegen,
({3})
das sei ein Anschlag auf die Rechtskultur - ({4})
Wer so spricht, scheidet aus der seriösen Diskussion über die Lösung eines schwerwiegenden Problems, nämlich des Problems der Bekämpfung der unerträglichen Gewalttätigkeiten, von selbst aus.
({5})
Sie, verehrter Herr Vogel, haben aus demselben Geist gesprochen, der dafür verantwortlich war, daß während Ihrer kurzen Regierungszeit in Berlin die Zahl der Hausbesetzungen von rund 20 innerhalb kürzester Zeit auf 165 gestiegen ist. Derselbe Geist war dafür verantwortlich.
({6})
Unter Herrn Lummer ist das innerhalb einer kurzen Zeit dann wieder auf rund 30 reduziert worden.
({7})
Das, was Sie, Herr Vogel, uns an Absichten mit dieser Novelle unterstellen,
({8})
das ist eine Diffamierung, die ich für meine Fraktion entschieden zurückweise.
Was muß denn in diesem Lande eigentlich noch passieren?
({9})
Sprechen denn die Ereignisse, die der Kollege Wittmann hier geschildert hat,
({10})
die Krawalle in Berlin beim Haig-Besuch, an der Startbahn West in Frankfurt, beim Besuch von Präsident Reagan in Berlin, von Bush in Krefeld nicht dafür, daß wir nicht länger tatenlos zusehen dürfen? Allein bei diesen vier Ereignissen - wer will das bestreiten - haben wir 600 verletzte und schwerverletzte Polizeibeamte zu beklagen,
({11})
Schäden an privatem Hab und gut in Höhe von vielen Millionen Mark, Hunderte von demolierten Autos, zerschlagene Fensterscheiben in Geschäften, Plündereien, die sich angeschlossen haben; Gewalttäter, Randalierer, Chaoten mit Molotow-Cocktails, Stahlkugeln, Schlaginstrumenten, Äxten sind blindwütig auf die Polizei losgegangen, haben Barrikaden gegen die Polizei errichtet, Brandsätze gelegt. Und da wundern Sie sich, wenn manche Bürger in unserem Lande fragen: Sind das nicht eigentlich Zustände wie in einem Bürgerkrieg, die sie da per Fernsehen miterleben müssen?
({12})
Professor Scholz hat im Bundesrat darauf hingewiesen: Allein in den letzten vier Jahren seit Juni 1980 hat es 321 unfriedliche Demonstrationen in Berlin gegeben, 1248 verletzte Polizeibeamte, 9000
Schadensereignisse und allein 1982 einen Gesamtschaden in Berlin von 40 Millionen DM.
({13})
Und das alles spielt sich weitgehend noch offen vor den Augen einer hilflosen Polizei ab! Dürfen wir uns denn da abwenden? Täuschen wir uns bitte nicht: Jetzt gibt es ein paar Monate der Ruhe. Keiner von uns aber kann ausschließen, daß das morgen schon wieder anders sein wird.
Ich wiederhole: Es geht hier überhaupt nicht um die große Zahl "der friedlichen Demonstrationen. Die werden von diesem Gesetzentwurf nicht betroffen.
({14})
Es geht um die unfriedlichen, gewalttätigen Demonstrationen, deren Zahl von 1982 auf 1983 um 20% gestiegen ist.
({15})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte von den GRÜNEN keine Frage entgegennehmen.
({0})
- Ich will Ihnen den Grund dafür sagen: Den Beitrag des Kollegen Fischer zu diesem Thema betrachte ich als unseriös. Das war kein Beitrag zur Lösung dieses Problems, und deswegen will ich mich mit Ihnen nicht auseinandersetzen.
({1})
Ich frage Sie
({2})
- diese Frage stellt auch die deutsche Öffentlichkeit -: Dürfen wir wegsehen? Dürfen wir das bagatellisieren? Dürfen wir resignieren? Dürfen wir vor dieser Situation kapitulieren? ({3})
Das ist unsere Überzeugung: Wer resigniert, wer zurückweicht, fordert neue Ausschreitungen geradezu heraus.
({4})
Unser Rechtsstaat wird nur dann Erfolg haben, wenn er die Herausforderung annimmt, wenn er Flagge zeigt, wenn er entschieden gegen diese Gewalttätigkeiten vorgeht. Das allein, meine Damen und Herren, ist das Anliegen, das mit der Novelle zu § 125 StGB verfolgt wird.
Ich sehe überhaupt nicht, daß - wie Sie gesagt haben - kein Handlungsbedarf besteht. Sie - verehrter Herr Vogel, Ihre Kollegen im Rechtsausschuß; der Herr Emmerlich weiß das ja - haben am 2. Dezember 1981 einen Prüfungsauftrag an den Bundesjustizminister beschlossen, in dem dargelegt werden sollte, wie die Polizei den notwendigen besseren Schutz bei solchen Demonstrationen mit Gewalttaten erhalten könne
({5})
und wie es mit gesetzlichen Maßnahmen erreicht werden könne, die Solidarisierung der unterschiedlichen Gruppen der Gewalttäter mit den friedlichen Demonstranten zu verhindern. Sie haben selbst eingesehen, daß es dort einen Handlungsbedarf gibt,
({6})
und Sie haben eingesehen, daß etwas getan werden muß. Sie haben das Problem erkannt, aber Sie haben nicht die Kraft besessen, dieses Problem zu lösen. Das unterscheidet uns von Ihnen, meine Damen und Herren!
({7})
Herr Abgeordneter Olderog, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich?
Ja, bitte.
Herr Kollege Olderog, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie auf Überlegungen zum besseren Schutz von Polizeibeamten verzichten und statt dessen die Bestrafung von friedlichen Demonstranten vorschlagen?
Das ist wieder eine der üblichen Unterstellungen. Sie wissen ganz genau, daß das, was Sie in der Frage unterstellt haben, nicht stimmt.
({0})
Meine verehrten Kollegen, es ist wieder davon gesprochen worden - genau wie das soeben in der Zwischenfrage unterstellt worden ist -, wir wollten Demonstrationen mit diesem Gesetzentwurf erschweren, wir wollten kritisches Denken unterbinden, und wir wünschten eine Krähwinkelmentalität in der Bundesrepublik.
({1})
Der Herr Innenminister aus Nordrhein-Westfalen hat gesagt, wir wollten friedliche Bürger kriminalisieren.
({2})
Das ist eine wirklich schlimme Unterstellung.
({3})
Sie werfen uns vor, daß wir nicht mit Ihnen darüber
reden. Ich frage mich: Wie wollen Sie, wenn Sie solche Behauptungen gegen uns richten, eigentlich ein
Klima des Gesprächs und der gemeinsamen Lösung herbeiführen?
({4})
- Tun Sie doch bitte nicht so, als ob das, was jetzt unter Strafe gestellt wird, bisher erlaubt gewesen wäre. Wir haben doch entsprechende Bestimmungen im Versammlungsgesetz und im Ordnungswidrigkeitengesetz.
({5})
Auch heute ist es so, daß derjenige, der bei einer Auflösungsentscheidung der Polizei und bei der Aufforderung, auseinanderzugehen, das nicht tut, eine Rechtspflichtverletzung begeht und dafür auch zur Verantwortung gezogen werden kann. Das ist doch die Situation!
Nur: Wir haben festgestellt - entgegen den Hoffnungen, die die Sozialdemokraten mit der Novellierung im Jahre 1970 damit verbunden haben -, daß das eben nicht mit einer Vorschrift aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu erreichen ist, sondern wir brauchen dafür die prägende und erzieherische Kraft einer Strafrechtsbestimmung.
({6})
Wenn Sie von „Kriminalisierung" sprechen, dann wollen Sie draußen den Eindruck erwecken, als ob legitimes staatsbürgerliches Verhalten willkürlich, d. h. ohne vernünftigen Grund, unter Strafe gestellt wird. Meine Damen und Herren, was machen denn jene Demonstranten, die sich trotz Wissens um die Gewalttaten und trotz der Aufforderung der Polizei nicht entfernen? Sie schaffen doch weitgehend die Voraussetzung dafür, daß diese Gewalttätigkeiten überhaupt erst möglich werden. Sie leihen dem harten Kern der Störer Schutz und Deckung, und durch die Mißachtung des polizeilichen Gebots tragen Sie sehenden Auges dazu bei, daß es zu einer unfriedlichen und gewaltsamen Entwicklung des weiteren Geschehens kommt. Sie verhalten sich damit in einem hohen Maß sozialschädlich. Ohne Ihr Verhalten gäbe es nicht die vielen Verletzungen bei Polizeibeamten, gäbe es auch nicht den Schaden, den wir erleben.
({7})
- Meine Damen und Herren, das wissen Sie doch alle, und in dem Punkt sind wir uns doch einig,
({8})
daß diese Gewalttäter wie der Fisch auf das Wasser angewiesen sind auf die sie umgebenden friedlichen Demonstranten.
({9})
Und diesen Gewalttätern geht es doch überhaupt
nicht darum, das Anliegen der friedlichen Demon4076
stranten zu unterstützen, sondern sie wollen genau das Gegenteil.
({10})
Und deswegen ist es doch nicht zu viel verlangt, daß in einer solchen Situation den eine friedliche Demonstration beabsichtigenden Bürgern zugemutet wird, sich im Falle der Gewalttat zu zerstreuen und auseinanderzugehen.
Zur SPD sage ich, vor allem in Anbetracht dessen, was sie draußen so im Land reden: Hören Sie bitte mit dem Vorwurf der willkürlichen Kriminalisierung friedlicher Demonstranten auf!
({11})
Der Staat, dem allein zur Wahrung des Rechts das sogenannte Gewaltmonopol zusteht, kriminalisiert keine Bürger. Wer das Recht mißachtet, kriminalisiert sich selbst.
({12})
Für uns sind die Grundrechte der Versammlungs-
und Demonstrationsfreiheit hohe fundamentale Rechtsgüter.
({13})
Aber gerade weil wir diese Grundrechte unserer Verfassung so hoch achten,
({14})
wollen wir dem unerträglichen Mißbrauch des Demonstrationsrechts mit immer gefährlicher werdenden Ausschreitungen nicht tatenlos zusehen.
({15})
Ich will Ihnen nicht verschweigen - ich sage Ihnen das ehrlich; das beschäftigt uns j a genauso -, daß wir nachdenken, prüfen und erwägen: Kann das auch zu einer Eskalation führen?
({16})
Kann das zu einer Solidarisierung mit den Gewalttätern führen? Das ist nicht von der Hand zu weisen. Das ist immer die Situation, die Sie haben, wenn die Polizei in eine Menge eingreift. Niemand will doch einen Verzicht der Polizei auf diese Eingriffe.
({17})
Aber zu glauben, daß das alles noch schlimmer wird, enthüllt schon ein merkwürdiges Denken und eine merkwürdige Einschätzung der Situation. Glauben Sie wirklich, daß wir in diesem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland schon so weit sind, daß die breite Mehrheit der friedlichen Demonstranten sich um das, was an Recht und Gesetz im Deutschen Bundestag beschlossen wird, nicht mehr kümmert?
({18})
Das wäre allerdings im Ergebnis ein beschämendes Urteil über die Rechtspolitik und die Politik der Verantwortlichen in den vergangenen Jahren. Ich denke Gott sein Dank nicht so und bin zuversichtlicher. Ich vertraue zum einen auf das vernünftige Vorgehen der Polizei, und ich schätze die Einstellung unserer Bürger, auch der friedlichen Demonstranten, zu Recht und Gesetz höher ein als Sie. Und ich bitte Sie von der Opposition: Leisten Sie in Zukunft zur Stärkung unserer Rechtskultur
({19})
einen Beitrag, indem Sie solche Formulierungen und solche Vorwürfe nicht wiederholen, sondern öfter mal deutlich von der Rechtspflicht und der Pflicht aller Staatsbürger in solchen Situationen sprechen.
({20})
Und was Sie, verehrter Herr Vogel, zur Praktikabilität des Gesetzes gesagt haben
({21})
- was Herr Schnoor gesagt hat, war ja ein bißchen differenzierter -, beeindruckt mich nicht sehr.
({22})
- Ich werde dazu noch im einzelnen Stellung nehmen.
Natürlich ist auch außerhalb der parlamentarischen Gremien eine solche Novelle umstritten. Auch wir wissen, daß wir kein Patentrezept haben,
({23})
mit dem wir schlagartig alles verändern könnten.
({24})
Aber wir wissen, daß wir damit ein verbessertes Instrument für die Polizei anbieten.
({25})
Und das ist, im Gegensatz zu dem, was Sie hier behauptet haben, die Auffassung und der Vorschlag
({26})
jener Polizeipraktiker, mit denen wir uns immer wieder zusammengesetzt haben. Es sind die Vorschläge der Praktiker aus den Ländern, wo wir die Verantwortung tragen.
({27})
Herr Vogel, warum haben Sie, wenn Sie schon fair sein wollen, nicht gleichzeitig darauf hingewiesen, daß z. B. die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund
({28})
einmütig zu unseren Vorschlägen steht? Warum haben Sie nicht darauf hingewiesen, daß die Gewerkschaft der Kriminalpolizei, der BDK, zu uns steht?
({29})
- Ach, kommen Sie; passen Sie auf! Nun will ich Ihnen auch etwas zu Ihren 10 % sagen. Mich beeindruckt überhaupt nicht, was eine sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsspitze sagt.
({30})
Gucken Sie einmal in die Zeitung. Am 18. September 1983 sind tausend Polizeibeamte in der Bundesrepublik Deutschland gefragt worden, ob sie eine Verschärfung des § 125 wollten. Das Ergebnis war, daß 85,2 % eine Verschärfung des § 125 des Strafgesetzbuches gefordert haben.
({31})
Und da höre ich lieber auf die Stimmen unabhängiger Polizeibeamter als auf die Erklärung einer parteipolitisch orientierten Gewerkschaftsspitze, meine verehrten Damen und Herren.
({32})
Da ich gerade über die Polizei spreche, möchte ich gern ein Wort des Dankes an die Polizei sagen.
({33})
Die Polizeibeamten sind bei diesen Einsätzen oft bis an die Grenze ihrer Kräfte gefordert. Sie haben sich insgesamt besonnen und entschieden verhalten.
({34})
Ich möchte dafür namens meiner Fraktion allen Polizeibeamten herzlich danken.
({35})
Verehrter Herr Vogel, auch wäre es besser gewesen, Sie hätten fairerweise gesagt, daß Roman Herzog im Jahre 1970 einmal diese Auffassung vertreten hatte, aber daß er unter dem Eindruck der Entwicklung
({36})
seine Auffassung geändert hat
({37})
und alle Entwürfe der Union im Bundesrat mitgetragen hat. Das ist die Wahrheit zu diesem Punkt, meine Damen und Herren.
({38})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Ja, bitte.
Verehrter Herr Olderog, wären Sie so freundlich, uns das ein bißchen näher darzulegen? Der Kommentar von Herzog ist nicht zurückgezogen worden. Sie sollten, wenn Sie diese Behauptung aufstellen, das doch vielleicht belegen.
Ich habe Ihnen gesagt, er hat die Entwürfe, die vom Bundesrat und von den unionsgeführten Ländern eingebracht worden sind, unterstützt. Baden-Württemberg hat diese Gesetzentwürfe unterstützt. Da können Sie doch keinen ernsthaften Zweifel daran haben, daß er diese Sache unterstützt.
({0})
- Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich. Ich habe die Schärfe nicht in diese Debatte hineingebracht. Ich habe mich geärgert über das, was Herr Vogel in einer herabsetzenden Weise hier gesagt hat.
({1})
Das veranlaßt mich, so zu antworten. Ich hätte auch anders antworten können.
({2})
Lassen Sie mich etwas sagen, meine Damen und Herren,
({3})
zum Legalitätsprinzip. Ich erwarte im Gegensatz zu Ihnen, daß sich die große Mehrheit der friedlich demonstrierenden Bürger gesetzestreu verhalten wird. Aber selbst wenn das zunächst nicht der Fall wäre, kann ja noch überhaupt keine Rede davon sein, daß es jetzt zu Massenverhaftungen kommen müßte. Das ist doch ein Irrsinn, dieses Schreckensbild, das da an die Wand gemalt wird. Die Polizei ist nicht verpflichtet, mehr zu tun, als sie kann. Wir erleben doch heute ähnliches: Wenn Sie etwa eine Anzeige wegen Diebstahls erstatten, werden Sie feststellen, daß die Polizei oft nicht einmal hinguckt, sondern das abheftet. Das ist doch die Situation.
({4})
- Wollen Sie das etwa bestreiten?
({5})
- Verehrte Frau Kollegin, sie können es gar nicht anders. Denn das, was heute im Diebstahlsbereich an Kleinkriminalität oder auch an größerer Kriminalität angezeigt wird, können Sie überhaupt nicht mehr sorgfältig prüfen und verfolgen.
({6})
Das ist doch leider die Situation.
({7})
- Wir werden das alles vertiefen können.
({8})
Die Polizei wird sich nach meiner festen Überzeugung an den Grundsatz halten, daß sie sich nach dem Maß der Rechtsgutverletzung bei solchen Vorgängen auf jene Bereiche konzentrieren wird, von denen die Stoßrichtung eines Angriffs kommt oder wo unmittelbar schwere Gewalttaten stattfinden.
({9})
Ich vertraue sehr wohl auf das polizeitaktische Geschick der Einsatzleitungen. Wir haben davon j a in der Vergangenheit gehört, und die Polizei hat dazugelernt.
Nun tun Sie bitte nicht so, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition,
({10})
erwecken Sie bitte nicht den Eindruck, als ob das, was jetzt von der Bundesregierung beabsichtigt ist und was wir tragen, etwas beispiellos Problematisches sei. Wer sich entrüstet, sollte zunächst einmal einen Blick in das Ausland werfen. Da sehen wir, daß Länder, deren Rechtskultur von niemandem hier in Zweifel gezogen werden wird, eine der von uns jetzt vorgelegten Lösung genau entsprechende gesetzliche Regelung haben. Oder wollen Sie behaupten, daß die Schweiz, daß Frankreich, daß die Niederlande, daß Dänemark und Schweden Länder mit minderer Rechtskultur sind als wir? So illiberal, verehrte Freunde des schwedischen Modells, ist diese Lösung also offensichtlich doch nicht.
({11})
Die Verletzungen von Recht und Gesetz in der Bundesrepublik Deutschland haben bereits ein bedrückendes Ausmaß angenommen. Es bleibt nicht auf das Gebiet der Demonstration beschränkt, wenn der Staat bei diesen Demonstrationen vor der Gewalt zurückweicht und Rechtsbrüche immer wieder hinnimmt. Wir müssen uns darüber klarwerden - auch jetzt in diesem Hause -, wie wir es mit dieser Form von Gewalt in unserem Lande halten wollen. Wollen wir hinnehmen, daß es Zonen der Illegalität gibt, oder wollen wir die Herausforderung für unseren Rechtsstaat annehmen?
({12})
Mit bloßen politischen Reden und der Ankündigung, daß in Nordrhein-Westfalen jetzt so eine Geheimwaffe entwickelt werde, können wir es nicht schaffen. Solche Ankündigungen haben wir viele Jahre immer wieder gehört, ohne daß etwas geschah.
Wir haben Verantwortung für den Schutz unserer Polizeibeamten, für den Schutz von Hab und Gut unserer Bürger vor der Zerstörungswut gewalttätiger Gruppen. Wir haben Verantwortung dafür, daß es friedliebenden Bürgern ermöglicht wird, friedlich und ohne Angst vor Umfunktionierern zu demonstrieren.
({13})
Zehn Jahre sind Gesetzentwürfe meiner Fraktion zurückgewiesen worden. Zehn Jahre hat dieses Parlament geredet, diskutiert und nicht entschieden. Politische Reden und Diskussionen haben keine Lösung gebracht. Jetzt endlich muß der Gesetzgeber handeln.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Schauergemälde, das Herr Olderog gemalt hat,
({0})
darf ich erst einmal die Gruselkulissen wegräumen und sagen, worum es wirklich geht.
Die Handlung heißt Landfriedensbruch. Die Frage ist doch: Bricht derjenige den Landfrieden, der sich aus einer Demonstration nicht entfernt,
({1})
obwohl es die Polizei geboten hat und obwohl er selber an keiner irgendwie gearteten Gewalthandlung beteiligt, also ein friedlicher Demonstrant war? Es geht Ihnen nach Ihrem Vorschlag j a gar nicht darum, Chaoten und Gewalttäter zu bestrafen. Dem Begriff nach und auch nach dem natürlichen Menschenverstand kann ein friedlicher Demonstrant den Landfrieden also gar nicht gebrochen haben.
({2})
Nach Auffassung der Bundesregierung aber muß das strafbar sein, weil diejenigen, die nicht weggehen - so die offizielle Begründung; ich zitiere -, „den Gewalttätern zwangsläufig Deckung gewähren
({3})
und psychischen Rückhalt vermitteln". Man muß sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Da steht ein Polizeibeamter und sagt: auflösen. Dann war das für den Stehenbleiber psychischer Rückhalt, also wird er bestraft. Kommt es dem Polizeibeamten in den Sinn zu sagen: das kann ich ertragen, weitergehen, dann war das kein psychischer Rückhalt, also keine Straftat. Damit offenbart sich, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union, dieser Vorschlag der Bundesregierung als ein glattes Gefährungsdelikt oder - um es für jedermann verständlich auszudrücken - als pures Verdachtsstrafrecht. Nichts anderes ist es.
({4})
Von Gustav Radbruch, dem früheren Reichsminister der Justiz - ich sage das an die Adresse des hier sitzenden Bundesministers der Justiz -, stammt das Wort, der Mord sei nicht deshalb Unrecht, weil er bestraft werde, sondern Mord werde bestraft, weil er Unrecht sei. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird das Stehenbleiben Unrecht, weil es bestraft wird; es wird nicht bestraft, weil es Unrecht wäre.
({5})
Der vor wenigen Tagen verstorbene Max Güde, Generalbundesanwalt, CDU-Bundestagsabgeordneter - er war der erste Vorsitzende des Strafrechtssonderausschusses des Deutschen Bundestages -, hat in dieser seiner Eigenschaft 1966 hier im Deutschen Bundestag, Thomas von Aquin folgend, den Sie j a so gern zitieren,
({6})
als Maxime erklärt, ein strafandrohendes Verbot sollte nur ausgesprochen werden, wenn ohne das Verbot die Gemeinschaft nicht bestehen könne.
({7})
Von dieser Tradition und von diesem Geist sind Sie meilenweit entfernt.
({8})
Die FDP, die jetzt den Justizminister stellt, der das vertritt, hat sich selber aufgegeben. 1970 hatte sie die Reform des Demonstrationsstrafrechts mit der SPD gegen die CDU/CSU - ich darf das so formulieren - noch erkämpft. Der Innenminister hieß Genscher. Am 14. Oktober 1982 - das ist noch nicht allzu lange her; vielleicht geben Sie einmal acht, Herr Minister Engelhard - haben Sie hier im Deutschen Bundestag das Folgende verkündet - ich zitiere -:
Es ist die Frage gestellt worden, was denn aus
dem Demonstrationsrecht werde. Ich meine,
auf schlichte Fragen kann man ungemein einfach, schlicht und klar antworten. Sämtliche Vorhaben, sämtliche Anträge sind zu Ende beraten worden. Derzeit steht nichts an.
Er sagte weiter:
Von seiten meiner Fraktion weiß ich jedenfalls, daß sich die Auffassung dazu nicht geändert hat. Ich glaube, das ist eine klare Antwort auf die gestellte Frage.
Das war 1982. Wenige Minuten später sagte derselbe Justizminister auf eine gezielte Frage, um es noch einmal zu verdeutlichen:
Herr Kollege, dort, wo es noch etwas zu sprechen gibt, wird dies besprochen werden. Es bleibt bei unserer Meinung, daß Änderungen am Demonstrationsrecht derzeit nicht vonnöten sind.
({9})
Das erklärte der Bundesminister der Justiz, um ein Jahr später seine liberale Seele bei Herrn Zimmermann abzuliefern.
({10})
Die Union hebt das Stöckchen, und die FDP springt. So ist es und nicht anders.
Herr Abgeordneter de With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Werner?
Aber gerne.
Herr Kollege de With, um Sie noch einmal auf das Zitat des „stummen Ochsen", das Sie hier angeführt haben, anzusprechen: Ist Ihnen denn bewußt, daß Thomas von Aquin in Verbindung mit seinem von Ihnen eben zitierten Ausspruch ausdrücklich darauf hinweist, daß dies nicht Geltung haben könne bei Rechtsgütern, die eine unverzichtbare Voraussetzung im Zusammenleben der Menschen darstellten?
Das, was Sie sagen, tötet Sie selber, denn hier geht es nur um friedliche Demonstranten. Auch ein Thomas von Aquin hätte sich gescheut, das vorzuschlagen, was Sie hier unterstützen.
({0})
Lassen Sie mich juristisch kurz zusammenfassen, worum es geht. Wir haben 1970 das Demonstrationsstrafrecht geändert, und seitdem steht unter Strafe, wer selbst Gewalt anwendet, wer Gehilfe ist oder wer anheizt. Das ist schon sehr weitgehend. Der Stehenbleiber, der sich auf Aufforderung nicht entfernt, obwohl er an keiner irgendwie gearteten Gewalttat beteiligt ist, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit.
Dieses Recht hat sich in 13 Jahren bewährt. Sie können an den Zahlen nicht herummäkeln. Tatsache ist: Die Zahl der Demonstrationen steigt, aber nicht gleichermaßen die der heißgelaufenen. Das ist der beste Beweis dafür, daß diese Reform von da4080
mals wirkt, daß Bürger und Polizeibeamte sich daran gewöhnt haben.
Was Sie hier vorschlagen, kann aus drei Gründen juristisch nicht akzeptiert werden. Einmal soll mir einer klarmachen, wie man hinterher beweisen will, wenn eine Demonstration nur zu einem Teil aufgelöst worden ist, wer zum bösen und wer zum guten Teil gehört hat. Polizei und Staatsanwalt werden überfordert sein.
Zum zweiten: Sie kehren den guten alten Grundsatz „in dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten - ins genaue Gegenteil um:
({1})
in dubio contra reum - im Zweifel gegen den Angeklagten -; denn der muß beweisen, daß er ein Abwiegler ist. Gelingt ihm das nicht, dann bestrafen Sie ihn. Das ist ein Grundsatz, der mit einer Ausnahme unserem Strafrecht fremd ist.
Ich sage ein drittes: Herr Olderog hat erwähnt, in Krefeld, in Berlin und sonstwo habe es unendlich viele verletzte Polizeibeamte gegeben und natürlich auch - das hat er vergessen zu sagen - verletzte Demonstranten. Das bedauern wir natürlich. Aber dafür gibt es ja schon Gesetzesinstrumente. Das ist strafbar.
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Ihnen geht es darum, den Stehenbleiber zu bestrafen, der zum Teil überhaupt keine Möglichkeit hat, wegzugehen. Ich frage mich: Was soll es, wenn Sie das, was in Nürnberg passiert ist - wo Gott sei Dank die etwa 150 Festgenommenen sämtlich freigesprochen wurden oder wo das Verfahren eingestellt wurde -, potenzieren möchten?
Aber das, was hier juristisch schluderig vorgeschlagen wurde, hat auch eine tiefere politische Wirkung. Diese darf nicht unterschlagen werden. Als wir Sozialdemokraten - wie ich schon sagte: 1970 mit der damaligen FDP - im Rahmen der Strafrechtsreform den Tatbestand des Landfriedensbruchs vom kaiserlichen Verdachtsrecht, vom Muff obrigkeitsstaatlichen Denkens befreit haben, war das zugleich ein Signal an die 68er-Generation. Diese hat es wohl verstanden. Die jungen Leute damals haben Staat und Gesellschaft wieder akzeptiert. Sie wollen heute das Rad der Geschichte zurückdrehen.
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Sie wollen den polizeistaatlichen Satz wieder fröhliche Urständ feiern lassen: mitgefangen, mitgehangen. Nichts anderes verbirgt sich hinter Ihrem Gesetzesvorschlag, der als pure Restauration bezeichnet werden muß.
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In Ihren Sonntagsreden fehlen selten Hinweise auf die offene Gesellschaft, auf den Pluralismus, auf das Toleranzgebot und auf die Verantwortung des einzelnen. Was Sie hier tun, ist genau das Gegenteil dessen, was Sie frommen Gesichts vortragen. Sie kollektivieren nämlich das Strafrecht, minimieren
die Toleranz und kujonieren obendrein die Gesellschaft.
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Der Umfang des Rechts der freien Versammlung war stets ein Gradmesser der wirklichen, erlebbaren Freiheit und natürlich - wie konnte es anders sein - nicht selten ein Instrument der Herrschenden gegen die mißliebige Opposition. Nicht umsonst steht das Recht der freien Versamlmung im Grundrechtskatalog unserer Verfassung, nicht umsonst war es eine Hauptforderung der 48er, der Paulskirche, und nicht umsonst haben es Sozialdemokraten unter dem Sozialistengesetz im letzten Jahrhundert hautnah gespürt. Nicht umsonst haben die Herren Zimmermann und Spranger - er ist jetzt hier -, wie ich glaube: bedrohlich, in diesem Zusammenhang auf den heißen Herbst verwiesen. Er ist friedlich verlaufen, obwohl es die größten Massendemonstrationen waren, die je in der Geschichte dieser Republik vorgekommen sind, und obwohl das Strafrecht galt, das Sie so bekämpfen. Nein, wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, daß sich unser Strafrecht bewährt hat, dann war es der Herbst.
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Es funktioniert!
Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich werfe Ihnen nicht schlechthin Verfassungsbruch oder Mißachtung der Verfassung vor,
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wiewohl die Erweislichkeitsregelung, die Umkehr der Beweislast, nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar ist.
({8})
Ich spreche nicht davon, daß in Zukunft das freie Versammlungsrecht allein auf dem Papier stehen wird. Nur, Sie schränken das Recht auf freie Demonstration ein, und Sie eröffnen der Manipulation Möglichkeiten. Am schlimmsten ist: Sie schüchtern ein.
({9})
Wer in Zukunft demonstriert, wer friedlich demonstriert, läuft ein hohes Risiko.
({10})
Er kann in ein Strafverfahren verwickelt werden.
({11})
Er kann mit hohen, ja, sogar mit existenzbedrohenden Ersatzforderungen konfrontiert werden.
({12})
und es muß als Staatsbediensteter - Herr Spranger, Sie wissen es - zumindest in Bayern mit Disziplinarverfahren rechnen.
Deswegen widersprechen die Sozialdemokraten dem Überweisungsvorschlag ebenso wie dem Verschärfungsantrag des Bundesrates zur Sachbeschädigung, der in dieselbe Richtung zielt.
Was die Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anlangt, so ist das altes sozialdemokratisches Gedankengut. Um die Grundsache streiten wir nicht. Wir können im Rechtsausschuß nur darüber rechten, wie diese Kontaktperson ausgewählt werden soll und wer sie auswählt, damit nach Möglichkeit auch hier Manipulation ausgeschlossen bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich appelliere an die Nachdenklichen - ich hoffe, es gibt noch solche bei der CDU/CSU und auch bei der FDP -, und ich darf das mit einem Wort von Goethe untermauern, in dem er das schlechte Recht so kritisiert hat:
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit dir geboren ist, von dem ist leider nie die Frage.
Ich hoffe, es kommt nicht so, wie Goethe es formuliert hat. Wir rechnen immer noch mit Ihnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen: Herr Kollege Vogel, wenn dieser Gesetzentwurf wirklich ein zentraler Angriff auf den Rechtsstaat wäre, hätte ich mir allerdings gewünscht, daß Ihre Fraktion während der Debatte etwas stärker vertreten gewesen wäre.
({0}) Wir schätzen das nicht ganz so dramatisch ein.
Eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Olderog: Sie haben in interessanter Weise auf ausländisches Recht hingewiesen. Wenn ich richtig informiert bin, beziehen sich diese Rechte allerdings auf Zusammenrottungstatbestände, also auf Menschenmengen, die in der Absicht, Gewalt auszuüben, zusammenkommen oder das in ihrer Gesamtheit tun.
({1})
Wir werden das sicher im einzelnen nachsehen können.
Ich möchte zunächst dem Justizminister dafür danken, daß er den Gesetzentwurf eingebracht hat, der ja vollkommen der Koalitionsvereinbarung entspricht
({2})
und damit ein Ausgangspunkt für die parlamentarische Behandlung ist, die notwendig ist und bei der
keiner von vornherein dem anderen bösen Willen unterstellen sollte.
({3})
Kein Strafgesetz hängt so eng mit dem Selbstverständnis des Staates zusammen wie der Straftatbestand des Landfriedensbruchs. Kein Staat kann private Gewalt dulden, ein Rechtsstaat schon gar nicht. Aber auch kein Grundrecht hängt so eng mit dem Selbstverständnis des Bürgers zusammen wie das Demonstrationsrecht. Es ist das Recht der gemeinsamen öffentlichen Willensäußerung gegenüber denjenigen, die zu politischen Entscheidungen berufen sind.
Darum ist auch die Versuchung groß, zuerst zu fragen, wer dann da demonstriert hat und wie, statt zu fragen, warum. Die Versuchung ist groß, sich nur darum zu kümmern, daß die Polizei damit fertig wird, anstatt zu begreifen, daß die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung nichts an der Ursache einer Demonstration ändert. Zahlreiche und vor allem große Demonstrationen sind nicht etwa die Ursache für gesellschaftliche und politische Spannungen, sondern ihre Folgen. Kein Staat kann die Ausübung von Gewalt dulden, aber die Ausübung von Gewalt ist fast immer ein Zeichen dafür, daß politische Fehler gemacht wurden.
Wir wollen nicht das Recht auf Demonstration einschränken. Wir wollen die Ausübung des Demonstrationsrechts sichern, und wir müssen uns darum mit dem Landfriedensbruchtatbestand selbst befassen. Wir haben 1970 den damals über 100 Jahre alten Landfriedensbruchtatbestand trotz der massiven Studentenunruhen Ende der 60er Jahre reformiert. Er hatte keinesfalls verhindert, daß damals fast 40 % aller Demonstrationen gewaltsam verliefen, gegenüber heute unter 3 % im Bundesdurchschnitt. Das haben Sie, Herr Kollege Schnoor, ausgeführt. Das führt natürlich auch im Umkehrschluß zu der Überlegung, daß von dem, was wir hier gesetzgeberisch überlegen, 97 % aller Demonstrationen erfreulicherweise überhaupt nicht berührt werden.
({4})
Wir wollten, daß sich nur derjenige strafbar macht, der selbst Gewalt ausübt, dabei unterstützt und hilft, und wir sind mit dieser Regelung nicht schlecht gefahren. Trotz dieser Reform ist das Demonstrationsrecht unverändert von einem Zaun von Strafdrohungen umgeben: dem Landfriedensbruch, der Nötigung, Straf- und Bußgeldandrohungen nach Versammlungsrecht und Ordnungswidrigkeitengesetz von zum Teil erheblicher Höhe, mit denen man übrigens auch das Vermummungsproblem meiner Meinung nach sachgerecht lösen kann.
({5})
Viele dieser Bestimmungen waren in der Praxis in Vergessenheit geraten. Dazu gehört insbesondere der in dieser Diskussion mehrfach erwähnte § 113 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, der jeden
mit einer hohen Geldbuße bedroht, der sich trotz polizeilicher Aufforderung nicht aus einer Menschenmenge entfernt, oder mit § 116, der den sogenannten Anheizer erfaßt. Es ist bemerkenswert, daß die Polizei von dieser gesetzlich gegebenen Möglichkeit, eine Menschenmenge unter Strafdrohung aufzufordern auseinanderzugehen, praktisch keinen Gebrauch gemacht hat. Wir müssen im Laufe der Beratung untersuchen, warum das so war.
Trotzdem hat es polizeiliche Probleme gegeben. Die politische Tätigkeit blieb nämlich trotz der veränderten Rechtslage in erster Linie darauf ausgerichtet, eine Demonstration oder einen Landfriedensbruch als Menschenmenge zu behandeln, und sie war nicht darauf ausgerichtet, individuelle Täter zum Zweck der Strafverfolgung festzustellen. Diese polizeiliche Einsatzkonzeption wird erst seit relativ kurzer Zeit geändert, und das war dringend nötig. Es hatte auch heftige Emotionen und Auseinandersetzungen gegeben, wenn die Polizei begann, sich aufheizende Demonstrationen zu Beweiszwecken zu filmen. Das ist auch notwendig. Die Sorge aber, fotographiert und dann irgendwo in Archiven oder Computern gespeichert zu werden, ist auf der Seite der Demonstranten um so größer, je weniger solcher Speicher kontrolliert werden dürfen und je berechtigter die Sorge ist, wegen der bloßen Teilnahme an einer solchen Demonstration berufliche oder sonstige Nachteile zu erleiden, auch wenn man sich selbst nicht strafbar gemacht hat.
In der Polizei hat es Unverständnis hervorgerufen, wenn ein Täter, der tatsächlich Gewalt ausgeübt hatte, festgenommen, dem Richter vorgeführt, von ihm wegen fehlender Fluchtgefahr freigelassen und am nächsten Wochenende erneut bei einer Gewalttätigkeit angetroffen wurde. Der Täter legt seinen Personalausweis vor, sagt zur Sache nichts und hat gute Chancen, damit davonzukommen. Durch die lange Dauer der Verfahren entsteht bei Tätern und Polizeibeamten der Eindruck, daß es in Wirklichkeit eine Strafe wegen der Begehung von Gewalt nicht gebe.
Ich will es bei diesen Beispielen bewenden lassen. Aber man muß hinzufügen, daß diese praktischen polizeilichen Probleme mit der vorgelegten Novelle jedenfalls nach dem Urteil vieler Praktiker kaum gelöst werden. Gerade bei großen Menschenmengen - nur dann bekommt die Befugnis zur Auflösungsandrohung praktische Bedeutung - gerät die Polizei in die Lage, auch solche Demonstranten festnehmen zu können oder zu müssen, die sich nicht entfernen, weil sie für ein politisches Ziel demonstrieren wollen und weil sie sich das auch durch Gewalttäter nicht kaputtmachen lassen wollen. Wer trifft dann die Auswahl, welche und wie viele dieser Personen dann festzunehmen sind? Die Strafvorschrift könnte in der Tat Gewalttäter geradezu anreizen, sich unter die anderen Demonstranten zu mischen, um damit falsche Solidarisierungen zu erreichen. Man kann nicht das Wasser bestrafen, weil es den Fisch beherbergt. Es kann ja nicht einmal entscheiden, ob es ihn beherbergen will.
({6})
Wir müssen in einer sorgfältigen Anhörung der Praktiker hören, Polizeibeamte, erfahrene Einsatzleiter, Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, aber auch die Vertreter größerer Organisationen. Die Lösung, die wir finden, muß praktikabel sein. Darum muß die notwendige Anhörung von allen Seiten mit der wirklichen Bereitschaft aufgenommen werden, darauf ein unvoreingenommenes Sachgespräch aufzubauen.
Wir müssen uns auch sehr sorgfältig über die Folgen aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Schubart informieren und auch über die der außerordentlich interessanten Entscheidungen der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Krefeld, die äußere Umstände wie den Besitz von Steinen, eines Knüppels, die äußerlich erkennbare Zugehörigkeit zu einer Gruppe als ausreichenden Tatbestand für die Mittäterschaft beim Landfriedensbruch gelten läßt und damit einen wesentlichen Teil der bisherigen Beweisschwierigkeiten beseitigt, ohne eine massenweise Kriminalisierung zu schaffen. In der Wirkung kommen diese Urteile dem Grundgedanken des sogenannten Hübner-Entwurfes sehr nahe, ohne daß es dazu einer Gesetzesänderung bedurft hätte.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen: Unsere Gesellschaft ist unter dem Eindruck politischer Sorgen in der Gefahr, sich zu desintegrieren. Die Menschen, die daran zweifeln, ob wir auf dem richtigen Weg sind, wollen sich über Wahlen hinaus äußern und ihre Meinung demonstrieren. Was könnten sie denn sonst auch tun? Wir hatten keinen „heißen Herbst", weil sich die Überzeugung durchgesetzt hat, daß die Anerkennung der Ernsthaftigkeit einer politischen Überzeugung mit der Gewaltlosigkeit verbunden ist. Dabei sollte es bleiben. Diesen Prozeß darf man nicht ohne zwingende Not stören.
({7})
Darum wiederhole ich, was ich von hier aus schon oft gesagt habe, daß nach unserer Überzeugung die Autorität des Staates nicht in erster Linie auf seiner Macht beruht, sondern auf der Anerkennung des Bürgers, daß es sein Staat ist, seine Verfassung, seine Freiheit und sein Recht.
({8})
Und darum fordern wir alle Seiten dieses Hauses auf, in diesem Sinne und mit dieser Zielsetzung gemeinsam zu prüfen, ob wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf oder einer anderen Entscheidung dieses gemeinsame Ziel, dem eigentlich alle Fraktionen dieses Hauses verpflichtet sind, erreichen können.
({9})
Meine Damen und Herren, es liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Dazu hat der Herr Abgeordnete Porzner das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Thema, das der Deutsche Bundestag heute vormittag behandelt, ist von auPorzner
ßergewöhnlicher Bedeutung, wie wir aus den Redebeiträgen hörten.
({0})
- Was ich sage, richtet sich nicht gegen die Fraktion der CDU/CSU oder die der FDP. Ich spreche, weil ich mir Sorgen um die Selbstachtung des Parlaments mache. Ich stelle deswegen den Antrag, bei der Entscheidung über die Überweisung dieser Gesetzentwürfe die Beschlußfähigkeit des Hauses festzustellen.
({1})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Bötsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich rege an, gemäß § 45 Abs. 2, letzter Satz der Geschäftsordnung die Sitzung vor dieser Abstimmung auf kurze Zeit auszusetzen.
({0})
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur Debatte vor. Ich möchte deshalb zunächst einmal die Aussprache schließen.
Ich will auf das hinweisen, was jetzt mit der Feststellung der Beschlußfähigkeit verbunden wird: Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Bundesregierung auf den Drucksachen 10/308, 10/901 und 10/902 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen.
Eine Fraktion hat verdeutlicht, daß sie gegen die Überweisung zu stimmen beabsichtigt. Deshalb muß eine Abstimmung stattfinden.
Wir haben darüber hinaus einen Antrag auf Feststellung der Beschlußfähigkeit, der jetzt in Verbindung mit der anderen Abstimmung erfolgen wird.
Ich werde die Sitzung um 12.20 Uhr durch den Aufruf der Abstimmung fortsetzen, bei der so zu stimmen sein wird: Diejenigen, die mit dem Überweisungsvorschlag einverstanden sind, werden gebeten, durch die Ja-Tür hereinzukommen. Diejenigen, die gegen die Überweisung sind, werden gebeten, mit Nein zu stimmen. Enthaltungen ergeben sich von selbst.
Ich vertage die Sitzung auf 12.20 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich bitte die Abgeordneten, den Saal zunächst zu verlassen.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich frage, ob noch Abgeordnete an der Abstimmung teilnehmen wollen. Ich frage erneut, ob es noch Abgeordnete gibt, die an der Abstimmung teilnehmen wollen. - Wenn ja, bitte ich sie, in den Saal zu kommen. Ich bitte die Schriftführer, die Türen zu schließen und das Ergebnis auszuzählen. Ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Am besten ist es, wenn Sie Platz nehmen.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Auszählung der Abstimmung über den Überweisungsantrag bekannt. Dabei war auch über die Frage zu entscheiden, ob wir beschlußfähig sind.
222 Abgeordnete haben ihre Stimme bei der Auszählung abgegeben. Von ihnen haben mit Ja 220, mit Nein 2 gestimmt. Es gab keine Enthaltung.
222 Stimmen reichen nicht für die Feststellung der Beschlußfähigkeit. Dazu brauchen wir 261.
Ich stelle fest, daß die Beschlußfähigkeit nicht vorhanden ist.
({0})
Es wird Aufgabe des Ältestenrats sein, die abschließende Behandlung der Tagesordnungspunkte 12 bis 14 festzulegen.
Ich hebe die Sitzung auf und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. März 1984, 13 Uhr ein.