Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe zunächst zum Ablauf des Tages mitzuteilen, daß wir auf Grund einer Bitte der sozialdemokratischen Fraktion, die über Mittag eine Fraktionssitzung abhalten will, die Nachmittagssitzung erst um 15.30 Uhr mit der Fragestunde beginnen. Das bedeutet, daß wir abends länger tagen müssen.
Ich habe noch ein paar andere Mitteilungen zu machen. Zunächst habe ich einiger besonderer Geburtstage zu gedenken. Am 18. Dezember 1983 wurde unser Alterspräsident Willy Brandt 70 Jahre. Ich habe ihm besondere Wünsche des Deutschen Bundestages ausgesprochen. Ich glaube, daß wir dies gern noch einmal wiederholen.
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Am 23. Dezember 1983 wurde Abgeordneter Schmidt ({1}) 65 Jahre. Auch ihm habe ich die besonderen Glückwünsche des Bundestages persönlich ausgesprochen und will sie hier gern wiederholen.
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Am 28. Dezember 1983 wurde der Abgeordnete Braun 60 Jahre alt. Ich spreche ihm nochmals die Glückwünsche des Deutschen Bundestages aus.
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Der Abgeordnete Dr. Klein ({4}) ist am 20. Dezember 1983 zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ernannt worden. Damit ist er nach § 3 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden. Als sein Nachfolger hat Herr Abgeordneter Dr. Voigt ({5}) am 21. Dezember 1983 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße Sie, Herr Kollege, wünsche Ihnen Erfolg und gute Zusammenarbeit.
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Der Abgeordnete Dr. Lenz ({7}) hat am 13. Januar 1984 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet, weil er das Amt des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof übernommen hat. Als sein Nachfolger hat die Abgeordnete Frau Augustin am selben Tag die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich heiße Sie herzlich willkommen, Frau Kollegin, wünsche eine gute Zusammenarbeit und viel Erfolg für Sie hier bei uns.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden um die Zusatzpunkte Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ausbildungsplatzsituation am Jahresende 1983 und im Jahre 1984 - Drucksache 10/889 - und Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung von Ausbildungsplätzen - Drucksache 10/892 -.
Diese Zusatzpunkte sollen zusammen mit Punkt 2 der Tagesordnung aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Es ist kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir haben interfraktionell vereinbart, daß Punkt 3 der Tagesordnung in verbundener Debatte mit Punkt 2 und natürlich zusammen mit den Punkten behandelt werden soll, die jetzt noch zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Ich bitte um Zustimmung. Es ist unter uns Geschäftsführern besprochen worden.
Meine Damen und Herren, Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist es so beschlossen. Dann werden die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung und die Zusatzpunkte in verbundener Debatte behandelt.
Ich rufe die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung und die Zusatzpunkte auf:
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Ausbildungsplatzsituation am Jahresende 1983 und im Jahre 1984
- Drucksache 10/872 3. Beratung des Berichts der Bundesregierung zum Gesetz über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche
Präsident Dr. Barzel
aus Bundesmitteln ({0})
- Drucksache 10/857 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ausbildungsplatzsituation am Jahresende 1983 und im Jahre 1984
- Drucksache 10/889 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung von Ausbildungsplätzen
- Drucksache 10/892 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben am 10. Januar 1984 den Antrag eingebracht, der Ihnen heute vorliegt, mit dem gewünscht wird, daß die Bundesregierung über die Ausbildungsplatzsituation 1983 und über die Perspektiven für 1984 Bericht erstattet. Wir haben damit in der ersten Sitzung des Bundestages im Jahre 1984, wie ich finde, einen ganz wichtigen Schwerpunkt gesetzt, indem wir kundtun, daß die Frage der Zukunftschancen der jungen Leute in der beruflichen Bildung und überhaupt in der Ausbildung für uns oberste Priorität hat. Es ist gut, daß die SPD durch einen zwar schnell geschriebenen, aber doch rechtzeitig gestern abend noch nachgereichten Antrag auf ihre Art und Weise ebenfalls bestätigt, daß sie diesem Thema hohe Priorität beimißt.
Wer sich mit der Ausbildungsplatzsituation 1983/ 84 beschäftigt, muß auf die Situation zu Beginn des Jahres 1983 zurückblicken. Damals wurde im Januar/Februar ziemlich schnell klar, daß die ursprünglich von allen Beteiligten unterstellte Zahl von etwa 655 000 Ausbildungsplätzen, die wir brauchten, zu niedrig gegriffen war, weil es auf Grund verschiedener Umstände, die ich vielleicht gleich noch erläutern kann, zu einem großen Ansturm auf Ausbildungsplätze kam. Damals hat der Bundeskanzler die Initiative ergriffen und zusammen mit der Wirtschaft eine Vereinbarung getroffen, in der sich die Wirtschaft bereit erklärte, zusätzlich 30 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Weil die Sozialdemokraten bei diesem Punkt immer so nervös werden: Es hat eine solche Aktion auch schon einmal gegeben, als der Kanzler noch Schmidt hieß; er ist heute ein Minderheitspolitiker bei Ihnen. Bundeskanzler Schmidt hatte ähnliches auch schon einmal mit der Wirtschaft verabredet. Damals hat die Wirtschaft das, was sie zugesagt hatte, auch eingelöst.
Es hat danach eine Fülle von Aktionen gegeben. Die Kammern haben sich an diesen Aktionen beteiligt. Die Abgeordneten der Koalitionsparteien haben Ausbildungsplatzbörsen veranstaltet, auch Zeitungen haben sich beteiligt. Alles ist belächelt worden. Das Ergebnis Ende des Jahres 1983 sieht aber so aus:
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Wir wissen inzwischen, daß die Wirtschaft ihre Ausbildung um mindestens 7 % - wenn nicht mehr - erhöht hat - wir haben leider nur die Zahlen vom 30. September 1983 als Stichtag vorliegen; wir brauchen noch Daten, die jünger sind -, daß die Wirtschaft ihre Zusage mehr als erfüllt hat. Sie hat bis Ende des Jahres 1983 wahrscheinlich sogar knapp 50 000 Ausbildungsverträge zusätzlich - im Vergleich zu 1982 - abgeschlossen.
Man muß sich auch einmal ansehen, wie es in den einzelnen Branchen aussieht: Industrie und Handel: plus 9 %, Handwerk: plus 6,3 %. Auch diese Daten beziehen sich auf den 30. September 1983 als Stichtag. Deshalb ist es einer unserer Wünsche, dies über das Jahresende ausgerechnet zu bekommen.
In absoluten Zahlen heißt das: in Industrie und Handel 26 500 Ausbildungsplätze mehr, im Handwerk 14 728 Ausbildungsplätze mehr. Das sind allein in diesen beiden Branchen 40 000 Leute, die zusätzlich ausgebildet haben, die sich auf Grund dieser Aktion des Jahres 1983 bereit erklärt haben, diesen Schritt zu gehen. Es sind 40 000 junge Leute, denen man auf diese Art und Weise geholfen hat. Man muß deshalb allen Beteiligten danken. Ich tue das noch einmal ausdrücklich für die CDU/CSU- Fraktion, aber auch für den Bundeskanzler und für die zuständige Bundesministerin Dr. Wilms. Ich danke auch denen, die diese Anstrengungen gemacht haben, also den Unternehmern, denjenigen, die in den Organisationen mitgeholfen haben, und auch den Journalisten, die dieses Thema aufgegriffen haben.
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Es gab übrigens einige, die an der Seite gestanden haben. Vielleicht könnten der Kollege von der SPD und auch der Kollege von den GRÜNEN hier jetzt gleich einmal erzählen, wie viele Auszubildende sie denn in ihren großen Apparaten inzwischen eingestellt haben.
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Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Ich habe leider nur zehn Minuten Redezeit, Herr Präsident. Ich möchte gern fortfahren.
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- Sie können doch hier gleich vortragen, was Sie sagen möchten, und dann auch die Ausbildungssteigerung bekanntgeben.
Ich möchte nur noch einmal sagen, daß ich es im Laufe des Jahres z. B. nie nachvollziehen konnte, weshalb der DGB, der als DGB - ich denke jetzt also nicht an seine gewinn- und verlustbringenden Unternehmen - 2 000 Mitarbeiter beschäftigt, oder weshalb die IG Metall, die mit ihrem Funktionärsapparat mit über 2 500 Mitarbeitern immerhin einen Großbetrieb darstellt, keinen Kochlehrling, keinen Bürokaufmann und keinen Bürogehilfen als Lehrling eingestellt haben. Nichts! Dort sitzen aber die Leute, die mit dem einen Finger auf uns zeigen und sagen, es seien immer noch junge Menschen unversorgt. Diese Leute merken aber nicht, daß drei Finger auf sie zurückzeigen, die sie in dieser Aktion sehr, sehr blaß aussehen lassen.
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Meine Damen und Herren, nach den Zahlen des Arbeitsamtes gibt es noch 31 483 Personen, die Ende Dezember als Ausbildungssuchende gemeldet sind. Wir haben ein Sonderprogramm gestartet. Dadurch sind mindestens weitere 6 000 junge Leute unterzubringen. Wahrscheinlich werden wir für 1983 mit einer Bilanz abschließen, wonach 25 000 unvermittelte Bewerber um eine Lehrstelle übrigbleiben. Das tut uns weh. Das ist aber eine Zahl - dies möchte ich gerade an die Adresse der Sozialdemokraten sagen -, über die sich in den 70er Jahren niemand von Ihnen aufgeregt hat. Wir hatten 1976 und 1977 jeweils 27 000 unvermittelte Bewerber, 1978 24 000. Im Jahre 1982 - das war das letzte Jahr, wo der Bildungsminister und Fischereiminister Engholm im Amte war - hatten wir 35 900 Bewerber, die nicht vermittelt werden konnten, also rund 7 000 mehr als in diesem Jahr.
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Das heißt also, wenn Sie hier behaupten, die Lage sei wesentlich schlechter, als im Laufe der Jahre immer feststellbar gewesen sei, dann ist das eindeutig falsch.
Wir freuen uns darüber, daß wir so viele unterbringen konnten. Und es tun uns diejenigen leid, die wir nicht unterbringen konnten. Aber manchmal hat man so den Eindruck, als wenn Sie sich freuten, wenn es nicht gelingt, alle unterzubringen.
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Den Eindruck müßten Sie hier vermeiden. Aber Ihnen geht es doch offensichtlich darum, eine AntiKohl-Aktion zu starten, und nicht darum, um das Schicksal der jungen Leute zu ringen.
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Hinsichtlich des Ausblicks auf das Jahr 1984 sollte man sich auch einmal die Anträge genau durchlesen, die von den beiden Oppositionsfraktionen formuliert worden sind. Ich möchte der Diskussion um diese Anträge, die wir im Ausschuß haben werden, nicht vorgreifen, ich meine nur, daß bei beiden Fraktionen eine Tendenz ganz deutlich wird, nämlich die, daß Sie glauben, so, wie Sie das auch schon für 1983 geglaubt haben, daß diese Probleme durch staatliches Handeln in der Frage selber lösbar seien. Sie rufen nach dem großen Guru, dem Bund und den Ländern. Ich will nicht verneinen, daß sich die Länder, der Bund dort, wo z. B. Regiebetriebe existieren, Bahn, Post, die Wäscherei bei mir zu Hause im Kreis etwa, auch an der Aktion '84 beteiligen müssen. Das ist doch unbestritten. Aber daß man durch staatliche Programme das leisten könnte, was in 1983 geleistet worden ist, möchte ich Ihnen an Hand nur einer Zahl widerlegen, die die Grenzen staatlichen Handelns, mal ganz abgesehen von der ordnungspolitischen Bewertung, deutlich macht. Hätten wir die zusätzlichen 46 000 Ausbildungsplätze des Jahres 1983 mit Bundesmitteln finanzieren müssen, hätte der Bund 1 Milliarde DM zur Verfügung stellen müssen, wenn man die normalen Kosten der Ausbildung unterstellt. Das zeigt doch, daß es unmöglich sein wird, diese Zusatzleistungen, die wir auch 1984, 1985 und 1986 brauchen werden, durch den Staat erbringen zu lassen. Wir müssen deshalb auch schon 1984 auf die Wirtschaft setzen.
Das bedeutet, daß wir in diesem Jahr zunächst einmal versuchen müssen, über die Zahlen des Jahres 1984 eher Klarheit zu bekommen als im letzten Jahr. Die Länder fangen mit entsprechenden Maßnahmen an. Niedersachsen z. B. führt in diesem Jahr das Annahmekartenverfahren durch, um beispielsweise in bezug auf Doppelbewerber und ähnliches, was statistische Schwierigkeiten mit sich bringt, einen besseren Durchblick zu kriegen. Wir können im übrigen auch auf die Kommission, die Frau Wilms leitet, hoffen. Diese Kommission soll versuchen, zwischen Bund und Ländern zu koordinieren.
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Wir haben heute die ausbildungshemmenden Vorschriften auf der Tagesordnung. Sie sind ein Problem, von dem wir glauben, daß es gerade für die Betriebe, die auch diesmal sehr geholfen haben, die kleinen und mittleren Betriebe, von großer Wichtigkeit ist. Wir meinen, daß wir Modelle wie das der Ausbildung im Verbund populär machen müßten, daß wir sie fördern müßten, auch dort, wo es Widerstände gibt. Es bleibt aber dabei: Neben diesen vielen Einzelmaßnahmen muß wieder eine große Bereitschaft geweckt werden, auf Vorrat, über den Bedarf hinaus, in den Betrieben auszubilden.
Meine persönliche Erfahrung ist übrigens, daß bei der Frage der Ausbildung auf Vorrat manchmal auch die Betriebsräte, unterstützt durch die Gewerkschaften, außerordentliche Zurückhaltung zeigen, übrigens auch in Unternehmen, die im quasi-öffentlichen Bereich sind. Ich weiß das von einer Sparkasse, wo gefragt worden ist: Wie sollen wir nach der Ausbildung entscheiden, wer übernommen werden soll und wer nicht? - Also, wenn alle Betriebe in diesem Jahr so gedacht hätten, dann wäre das Problem Ausbildungsplätze nicht gelöst worden. Die Devise muß sein: Erst eine Ausbildung für jeden. - Dann ist jeder fit gemacht worden, sich auf dem Arbeitsmarkt zu tummeln, dann allerdings um den Arbeitsplatz. Da wird ihm dann aber niemand das Problem abnehmen, ob er für einen Ar3336
beitsplatz genug leistet. Aber zunächst einmal muß jeder in die Ausbildung kommen. Deshalb möchte ich an alle Beteiligten appellieren, dieses Prinzip durchzuhalten, auch wenn man weiß, daß man nicht alle, die man ausbildet, hinterher wird übernehmen können.
Wir brauchen 1984 noch einmal zwischen 10 000 und 30 000 zusätzliche Ausbildungsplätze.
Uns in der Union machen vor allen Dingen vier Probleme besonders große Sorgen. Wir haben sie schon genannt. Die eine Gruppe sind die Mädchen, die, wie schon in den letzten Jahren, aber jetzt verstärkt, sozusagen der Verdrängung zum Opfer fallen. Es sind diejenigen, die man Altbewerber nennt - ein etwas merkwürdiger Ausdruck für Leute, die 16 oder 17 Jahre sind -, die sich im letzten Jahr beworben haben, dann in der Schule waren und jetzt aus der Schule kommen und das oft sozusagen auch noch als Nachteil ausgelegt bekommen. Und es sind regionale Unterschiede zu nennen. Die vierte Gruppe ist die der Abiturienten. Wir meinen, man muß für Abiturienten zusammen mit der Wirtschaft neue Ausbildungsgänge anbieten. Wir müssen uns um Berufsbilder für Abiturienten in der beruflichen Bildung kümmern, weil sonst eben auch dort eigentlich ein klassischer Verdrängungswettbewerb zwischen den Abiturienten und den anderen stattfindet. Ich sage nur das Stichwort Banken, Versicherungen und dergleichen.
Meine Damen und Herren, im Jahre 1984 wird vielleicht auch Unkonventionelles vorzudenken sein, und es wird Unkonventionelles an Handeln von den Beteiligten erwartet. Ich finde, es ist ganz bezeichnend, daß wir eigentlich langsam in eine gesellschaftliche Situation hineinrutschen, wo wir eine Gruppe haben, die sitzt im Boot, fühlt sich wohl - das gilt für den Arbeitsmarkt und für den Arbeitslosenmarkt, aber es gilt auch für die Gruppe der Auszubildenden und derjenigen, die draußen sind -, die rudern munter vor sich hin, und eine andere Gruppe, die kommt nicht rein in das Boot. Das hängt ja auch wohl ein wenig mit den Kosten der Ausbildung zusammen. Ich möchte deshalb dem Kollegen Rappe von der SPD, der ja nicht nur unser Kollege, sondern auch Vorsitzender der IG Chemie ist, und seiner Tarifkommission ausdrücklich zu einer Abmachung gratulieren, die er mit der Chemie getroffen hat, nämlich auf den Zuwachs der Ausbildungsvergütungen im Jahre 1983 zu verzichten und diese Summe - sogar noch etwas mehr - der Industrie sozusagen abzuringen, um damit zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Ich halte das für eine große Solidaritätsaktion der IG Chemie, die sie für die jungen Leute in der Ausbildung und für die, die hereinkommen wollen, gemacht hat. Die Frage ist, wieso war das z. B. in Nordrhein-Westfalen mit der ÖTV nicht möglich, als die Landschaftsverbände eben dieses angeboten hatten und damit zusätzlich Tausende von Leuten einstellen wollten. Wieso geht das nicht? Die Frage ist, ob es denn, wenn schon die Kassen leer sind, so sein muß, daß auch noch die Köpfe leer sind. Wir glauben es nicht und wollen deshalb die Bundesregierung bitten, uns eine große Zahl von Initiativen vorzustellen. Dazu unser Antrag.
Ich bitte Sie, dem später zu stellenden Antrag auf Überweisung in den Ausschuß zuzustimmen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Daweke, ich bedaure ein bißchen, daß Sie mit dem polemischen Teil Ihrer Rede, in dem Sie uns wieder unterstellt haben, wir empfänden Häme, wenn die Kanzlergarantie nicht eingelöst wird, ein Stück von dem bildungspolitischen Konsens zerstört haben, den wir in diesem Bereich noch verdammt nötig haben werden.
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Die Koalitionsfraktionen wollen heute die Bundesregierung auffordern, im Deutschen Bundestag über die Ausbildungsplatzsituation am Jahresende 1983 und die zu erwartende Lage 1984 alsbald zu berichten. Eigentlich, meine Damen und Herren, sollte das ja überflüssig sein, denn alle Eingeweihten wissen, daß der nach dem Berufsbildungsförderungsgesetz jährlich zu erstattende Berufsbildungsbericht ohnehin in Kürze fertiggestellt wird und daß es seit zwei Jahren Übung ist, diesen Bericht auch im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Wir begrüßen es dennoch, daß uns Ihr Antrag Gelegenheit gibt, auch im Parlament schon sehr frühzeitig auf die in diesem Jahr drohende erneute Verschärfung der Lage bei den Ausbildungsplätzen hinzuweisen. Sie kennen die Zahlen: bis zu 740 000 Nachfrager und ein Jahrgang - der Jahrgang 1981 -, der ausscheidet, der sehr viel weniger Köpfe umfaßt. 605 000 sind damals in die Ausbildung gegangen. Das Defizit, das man nach heutigem Stand hochrechnen kann, dürfte in der Größenordnung von 100 000 liegen.
Es ist allerdings nicht nur eine Stilfrage, wenn hier auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages eine Berichtsaufforderung an die Bundesregierung steht und die Frau Minister den erbetenen Bericht bereits am Dienstag vor Journalisten abgibt. Sie scheint von der parlamentarischen Initiative der Koalitionsfraktionen nicht so sehr viel zu halten. Nun hat ja Herr Kollege Daweke gezeigt, daß es ihm nicht darum ging, daß die Bundesregierung berichtet, sondern darum, daß er hier dem staunenden Volk berichten kann, wie sich nach seiner Auffassung die Lage entwickelt hat.
Der Deutsche Bundestag beginnt das Jahr 1984 mit einer bildungspolitischen Debatte. Das muß kein schlechtes Omen sein. Bildung und Ausbildung können dazu beitragen, daß die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich nicht zum Untertan von „Großen Brüdern" machen lassen. Dabei kommt es jedoch darauf an, daß allen Menschen die Chance gegeben wird, möglichst viel zu lernen. Es kommt auch sehr darauf an, was gelernt wird.
Niemand von uns kann mit Sicherheit voraussagen, welche beruflichen, sozialen und politischen Fähigkeiten gebraucht werden, um in zwanzig oder dreißig Jahren bestehen oder, noch besser gesagt, leben zu können. Wenn es aus dem absehbaren technologischen Wandel eine Herausforderung an unser Bildungssystem gibt, dann ist es diese: Wir müssen allen jungen Menschen mit einer breiten Allgemeinbildung und einer breiten beruflichen Grundbildung die Fähigkeit vermitteln, ständig Neues zu lernen.
Wir haben in den 70er Jahren die Forderung aufgestellt, daß alle Jugendlichen Anspruch auf eine Ausbildung haben. Wir sind noch weit davon entfernt, das erfüllt zu haben. Da helfen auch Ihre statistischen Taschenspielertricks nichts, Herr Kollege Daweke.
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Wir haben noch eine Reihe von Numerus-claususFächern. Wir haben noch - höchst unzureichende Studienbedingungen an den Hochschulen. Wir haben mindestens zweihunderttausend Jugendliche, die keine Ausbildung absolviert und auch keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Rechnen Sie die Jahrgänge dazu, die in den vergangen Jahren nicht versorgt werden konnten und nicht versorgt worden sind.
({2})
- Herr Kollege Rossmanith, auch Sie kennen die Berechnungen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund dazu angestellt hat.
Die Bundesbildungsministerin hat zur Bewältigung dieses Problems kein Konzept. Sie flüchtet sich in Leerformeln wie Eigeninitiative, Flexibilität oder Mobilität. Wenn sie schon einmal politische Absichten verkündet, bestehen diese darin, daß sie „einwirken", „hinwirken" und „appellieren" will.
({3})
Das kann man sehr genau im Entwurf des Berufsbildungsberichts nachlesen, wo diese Begriffe an vielen Stellen benutzt werden. Meine Damen und Herren, mit einer Hinwirkungsministerin ist den Jugendlichen in diesem Land nicht gedient.
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Ich gebe ja zu, daß es die Bundesbildungsministerin nicht leicht hat. Über Bildung kann bei uns j a jeder mit reden, weil jeder irgendwann einmal die Schule besucht hat. - Auch Sie, Herr Kollege Rossmanith, vermute ich.
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Als neuer bildungspolitischer Sprecher der Bundesregierung hat denn auch kürzlich der Bundesaußenminister der Bildungsideologie der Wende sein I-Tüpfelchen aufgesetzt. Wir müßten nur mehr Elite haben, dann seien alle unsere Probleme gelöst, formulierte er in unnachahmbarem Stammtischpopulismus. Ich will gar nicht näher darauf eingehen, daß sich einem Liberalen schon bei der Verwendung dieses Begriffs die Haare sträuben müßten, eines Begriffs, der Mitte des letzten Jahrhunderts im Zuge der Restauration in Frankreich in Umlauf gesetzt worden ist. - Herr Kollege Neuhausen, hören Sie zu. - Das mögen dann die unter sich ausmachen, die liberal sind oder sich dafür halten. Die Frau Kollegin Hamm-Brücher jedenfalls ist sehr viel geschichtsbewußter als ihr Parteivorsitzender.
Ich als Sozialdemokrat möchte mich an Fritz Erler halten. Er hat 1964 dazu gesagt: „Mir liegt diese Diskussion gar nicht, weil ich meist das Gefühl habe, daß sie von denjenigen vom Zaun gebrochen wird, die sich gern für die Elite halten und durch das laute Gerede darüber eigentlich zeigen, daß sie nicht dazu gehören."
({6})
Die Gesamtstrategie der Bildungspolitik der Wende versteckt sich noch im Nebel. Aber an manchen Einzelentscheidungen und an vielen Reden werden ihre Konturen erkennbar.
Ein bildungspolitischer Grundkonsens, der seit dem Ende der 60er Jahre zu einer gewaltigen zahlenmäßigen und inhaltlichen Bildungsexplosion geführt hat, ist aufgekündigt worden. Bildung und Ausbildung werden nur noch nach ihrer Nützlichkeit für ein von den Arbeitgebern bestimmtes Beschäftigungssystem beurteilt. Für Chancenausgleich durch Bildung, für die Erziehung zum mündigen Staatsbürger, für Bildung als Bürgerrecht bleibt da kein Platz mehr. Von der Genscher-Rede über den BAföG-Kahlschlag bis zum Abbau des Jugendarbeitsschutzes hat das durchaus seine innere Logik, meine Damen und Herren.
Frau Minister Wilms hat am Dienstag sich selbst und den deutschen Arbeitgebern vor den Journalisten auf die Schulter geklopft; sie wird das sicher nachher auch hier tun. Dabei ist eine Rekordzahl bei den Ausbildungsverträgen noch kein Grund zum Jubel. Die Rekordzahlen bei den Studenten werden von Ihnen ja auch nicht gefeiert.
Entscheidend für uns ist, daß der Bundeskanzler im vergangenen Jahr im Wahlkampf jedem einen Ausbildungsplatz versprochen hat.
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Entscheidend ist, daß am Stichtag 30. September 1983 noch mindestens fünfzigtausend Jugendliche keinen Platz gefunden hatten. Zwei Drittel davon waren Mädchen. Aber das ist einigen von Ihnen vielleicht ganz recht, weil Sie die jungen Frauen sowieso lieber hinter dem Kochtopf sähen.
({8})
Entscheidend ist schließlich - wie man im Entwurf Ihres Berufsbildungsberichts nachlesen kann -, daß Sie in diesem Jahr die schlechteste Berufsbildungsbilanz vorlegen müssen, die es seit 1976 - das war das Jahr, in dem die regelmäßige
Berufsbildungsberichterstattung begonnen hat - gegeben hat.
({9})
- Hören Sie doch mal zu, Herr Kollege Rossmanith. - 1980 lag das Angebot an Ausbildungsplätzen noch um 4,1 % über der Nachfrage - immer nach Ihrem eigenen Berichtsentwurf. 1981 lag es immer noch um 2,4 % über der Nachfrage. 1982 waren wir zum erstenmal mit 2,1 % im Minus. 1983 wurde mit minus 4,1 % ein Rekorddefizit erreicht, und das ausgerechnet im Jahr der Kanzlergarantie, die natürlich dazu geführt hat, daß sich die Wirtschaft stärker angestrengt hat, als sie das früher getan hat.
Sie können die Bilanz auch nicht mit statistischen Tricks verschönen. Wenn Sie von den 50 000 die jungen Leute abziehen, die nach dem 30. September noch nachvermittelt worden sind, dann müssen Sie natürlich auch diejenigen hinzuaddieren, die in der Probezeit gekündigt haben oder denen gekündigt worden ist und die jetzt eine neue Lehrstelle suchen. Sie müssen auch diejenigen hinzuaddieren, die beim Arbeitsamt seit dem 1. Oktober wieder als Bewerber registriert sind, weil sie nur vorläufig in Sondermaßnahmen untergebracht waren. Es kommen dann sehr schnell wieder ungefähr 50000 unvermittelte Bewerber hinzu, die Sie zu den 30 000 übriggebliebenen Personen hinzuzählen müssen. Dann wären wir wieder bei 80 000. Also lassen wir doch diese statistischen Taschenspielertricks!
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- Ich erkläre Ihnen das gern, Herr Kollege Schemken, wenn Sie das nicht verstehen. Nach Ihren eigenen Berechnungen brechen im ersten Vierteljahr, also während der Probezeit, ungefähr 25 000 die Ausbildung ab. Sie haben dafür Nachrücker gezählt. Sie haben eine Reihe von Ausbildungsverträgen doppelt gezählt, haben natürlich aber nicht gesagt, wo diese 25 000 abgeblieben sind.
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Die sind j a erst in der Statistik für die Zeit nach dem 1. Oktober enthalten. Mit Ihren Manipulationen kann man natürlich den Eindruck von Aktivität erwecken, ohne daß sich die Lage der Jugendlichen wirklich verbessert hätte.
({12})
Ich will mich hier nicht darauf beschränken, Ihre statistischen Tricks durchsichtiger zu machen; ich will einige Anmerkungen zu Strukturfragen unseres Berufsbildungssystems machen.
Erstens. Qualifizierte Ausbildung kostet Geld. Nach Ermittlungen des Bundesinstituts für Berufsbildung liegen die Nettokosten der betrieblichen Ausbildung bei etwa 20 Milliarden DM jährlich. Im Durchschnitt wendet der Betrieb pro Auszubildenden im Jahr etwa 12 000 DM auf. Das ist in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich und bewegt sich zwischen 5 000 DM und ungefähr 20 000 DM.
Berufsausbildung kostet Geld, und einigen Betrieben wird das zuviel. Sie könnten zwar ausbilden, tun es jedoch nicht. 75% der bei den Industrie- und Handelskammern organisierten Betriebe und jeder zweite Handwerksbetrieb drücken sich auf diese Weise. Der Bundesarbeitsminister hat vor einigen Wochen in diesem Hause in diesem Zusammenhang von „Trittbrettfahrern" gesprochen. „Sehr richtig!" möchte man anmerken.
Die Bundesregierung kennt dieses Problem, aber statt die Masse der nicht ausbildenden Betriebe an den Kosten der Ausbildung zu beteiligen, lockert sie den Jugendarbeitsschutz. Das senkt die Nettokosten der Ausbildung, weil die Jugendlichen in den Stoßzeiten stärker produktiv eingesetzt werden können. Das senkt aber auch die Qualität der Ausbildung. Gleichzeitig drückt die Bundesregierung mit der Obergrenze für die Ausbildungsvergütung im Sonderprogramm von 395 DM auf die Gewerkschaften, als ob die Auszubildenden heute die Gehälter von Ministerialbeamten hätten.
Es gibt eine Reihe von Tarifbereichen, in denen die Tarifparteien eine überbetriebliche Finanzierung der Berufsausbildung durch Tarifverträge und gemeinsame Einrichtungen eingeführt haben. Solche Tarifverträge gibt es nicht nur in der Bauwirtschaft, sondern auch im Steinmetz- und Steinhauer-handwerk, im Dachdeckerhandwerk, im Gerüstbaugewerbe, im Garten- und Landschaftsbau, im Bäkkerhandwerk, in der Zigarettenindustrie und in der Miederindustrie. Solche Tarifverträge haben meist positive Wirkungen auf das Ausbildungsplatzangebot gehabt. Nachzuweisen ist das besonders im Baugewerbe, wo von 1977 bis 1981 die Zahl der Ausbildungsstellen um 60 % und die der ausbildenden Betriebe um 30% gestiegen ist. Es gibt ja auch bekanntlich zwei Handwerkskammern, die die nicht ausbildenden Betriebe mittels Kammerumlage wenigstens an den Kosten der überbetrieblichen Ausbildung beteiligen.
Meine Damen und Herren, die Modelle funktionieren. Sie sind allerdings nicht ohne weiteres auf alle Berufe übertragbar, jedenfalls nicht in der Form des Tarifvertrags. Es ist nicht einzusehen, warum man eine gute Sache nicht durch Gesetz einführen sollte, die sich durch Tarifvertrag bewährt hat, jedenfalls für die Bereiche, in denen sie durch Tarifvertrag nicht zu regeln ist.
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Wir haben in der Vergangenheit häufig über Möglichkeiten der überbetrieblichen Finanzierung der Ausbildung diskutiert. Wir erwarten jetzt von der Bundesregierung, daß sie uns bis Ende März die unterschiedlichen finanziellen Belastungen von Ausbildungsbetrieben und nicht ausbildenden Betrieben darlegt und gleichzeitig eine Konzeption für den danach notwendigen Finanzausgleich zwischen den Betrieben entwickelt.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember 1980 in seinem Urteil zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz den Arbeitgebern unmißverständlich die Verantwortung für eine funktionierende Berufsausbildung zugesprochen. Da hieß es wörtlich:
In dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden dualen Berufsausbildungssystem mit den Lernorten Schule und Betrieb ({14}) liegt die spezifische Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen der Natur der Sache nach bei den Arbeitgebern; denn nur sie verfügen, zumal in einer insoweit durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG geprägten Rechtsordnung, typischerweise über die Möglichkeit, Ausbildungsplätze zu schaffen und anzubieten.
Die Verantwortlichkeiten sind also klar. Dennoch wendet auch der Staat für die Berufsausbildung jährlich etwa 8 Milliarden DM auf, zum größeren Teil für berufliche Schulen, in wachsender Höhe aber auch für überbetriebliche Ausbildungstätten, benachteiligte Personengruppen und sonstige Fördermaßnahmen. Je mehr Sonderprogramme und berufliche Vollzeitschulen mit qualifizierenden Abschlüssen eingerichtet werden, desto stärker entlastet der Steuerzahler die Unternehmer. Auch das ist eine Form der Subvention, über die einmal geredet werden muß. Das ist sicher eine sinnvollere Subvention als manche andere. Sie werden uns immer auf der Seite derjenigen finden, die staatliche Initiativen verlangen, wenn die Wirtschaft nicht bereit ist, ihre Pflicht zu erfüllen, weil es uns vor allem um das Schicksal der jungen Menschen geht. Aber es ist dennoch angebracht, auch darüber einmal nachzudenken.
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Mir scheint es wichtig zu sein, daß eindeutiger als in der Vergangenheit festgehalten wird, wer die finanziellen Belastungen für welchen Bereich der Ausbildung zu tragen hat.
Mich macht es jedenfalls stutzig, wenn Dr. Josef Siegers, der Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Berufsbildung in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die Verantwortung für die 50 000 Übriggebliebenen dieses Jahres an den Staat zurückweist. Er hat im „Arbeitgeber" wörtlich geschrieben - er setzt sich mit dem Vorwurf auseinander, die Arbeitgeber hätten versagt -:
Hinter diesem Vorwurf steht aber eine unzulässige Zuteilung der Verantwortlichkeiten an die Wirtschaft. Angesichts der Tatsache, daß alle Teilbereiche des Ausbildungssystems von den Wellen der geburtenstarken Jahrgänge überrollt wurden und viele Kanäle dieses Systems über die letzten Jahre hin vollgelaufen sind, wird allein der ausbildenden Wirtschaft die gesamte Verantwortung für die Unterbringung der von den allgemeinbildenden Schulen abgegangenen Jugendlichen angelastet.
Die Wirtschaft könne jedoch nicht neben ihrer originären Ausbildungslast auch noch die Ausfallbürgschaft für alle anderen Teilbereiche des Ausbildungssystems übernehmen.
Diese Fragestellung seitens der Wirtschaft ist neu. Die Bundesregierung ist aufgefordert, Klarheit zu schaffen, wie die Arbeitgeber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts interpretieren und wie sie selber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts interpretiert und für welchen Teil der Jugendlichen in welchen Bildungsmaßnahmen sie in Zukunft eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Finanzierung sieht.
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Sie sollte auch aus diesem Grund prüfen, wie die finanziellen Lasten der Berufsausbildung zwischen den Arbeitgebern gerechter verteilt werden können, wenn der Staat nicht eines Tages noch bösere Überraschungen mit schlimmen finanziellen Konsequenzen erleben soll.
Drittens. Immer mehr Jugendliche bewerben sich beim Arbeitsamt, immer weniger Betriebe melden dort ihre Ausbildungsplätze. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird die Bundesanstalt für Arbeit bald nichts mehr zu vermitteln haben.
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- Dieser Zwischenruf kommt hoffentlich ins Protokoll. Da hat einer der Kollegen „Gott sei Dank" gesagt.
Rechtzeitige regionale und sektorale Planung von Sondermaßnahmen ist nicht möglich. Auch Herr Kollege Daweke hat heute mehr rechtzeitige Klarheit über die Zahlen und Probleme gefordert, die auf uns zukommen. Wenn Sie schon keine Meldepflicht für Ausbildungsplätze nach § 9 Arbeitsförderungsgesetz einführen wollen, dann erwarten wir andere Vorschläge von Ihnen. Vielleicht ließe sich der Versuch machen, zu einer Rahmenvereinbarung zwischen den Spitzenorganisationen der Wirtschaft und der Bundesanstalt für Arbeit zu kommen.
Viertens. In der Diskussion um die Zahlen spielt häufig die Frage nach der Qualität kaum noch eine Rolle. Das gilt sowohl für die Zulassung von Betrieben zur Ausbildung und für die Eintragung von Ausbildungsverträgen als auch für die Berufe, in denen in den letzten Jahren verstärkt ausgebildet wird. Der Bayerische Jugendring hat im Herbst vergangenen Jahres in einem Beschluß zur Jugendarbeitslosigkeit wörtlich festgestellt:
So erscheint es völlig unsinnig, z. B. die Lehrlingszahlen für das Bäcker- und Metzgerhandwerk noch weiter zu erhöhen, da diese Berufe sowieso überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Weiter heißt es dort:
Viele Jugendliche finden sich nach Abschlüssen in den oben genannten Berufen nicht selten als unqualifizierte Arbeiter in Fabriken wieder. Erworbene Qualifikationen werden nicht mehr gebraucht und dadurch entwertet.
Ich bin mir darüber im klaren, daß dies eine sehr schwierige Diskussion und ein schwieriges Thema ist. Aber man darf, meine Damen und Herren, vor solchen Entwicklungen nicht die Augen verschließen, weil auch die Fehlqualifizierten die Arbeitslosen und Umschüler von morgen sein werden.
Fünftens möchte ich schließlich auf einen Zusammenhang hinweisen, der in der Diskussion um die
Arbeitszeitverkürzung gern vergessen wird. Wenn immer mehr Menschen durch Maschinen ersetzt werden, wird sich das auch hinsichtlich der Ausbildungsbereitschaft auswirken. Dann gibt es zwar vielleicht noch einmal eine vorübergehende Kraftanstrengung, um einem politisch genehmen Kanzler aus der Patsche zu helfen, auf Dauer jedoch werden die Betriebe rechnen. Ein Unternehmen, das in seiner Personalplanung bis 1990 Arbeitsplätze abbaut, wird wenig Veranlassung sehen, die Ausbildungskapazitäten zu erhalten. Prognosen, wir seien vielleicht 1986 über den Berg, könnten dann genauso wie Seifenblasen zerplatzen, wie das die Prognosen von gestern getan haben. Meine Damen und Herren, auch deshalb ist es notwendig, zu wirksamen Arbeitszeitverkürzungen zu kommen.
({18})
Meine Damen und Herren, wir warten auf ein Konzept der Bundesregierung, das Aufschluß darüber gibt, wie sie die aktuellen und absehbaren Probleme der Berufsausbildung bewältigen will. In dem, was wir von Ihnen in den letzten Monaten gehört haben, sind solche Lösungen nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Die Bundesregierung sollte weniger Gehirnschmalz in nebulöse Elitediskussionen stecken und sich statt dessen mehr auf die Probleme der Masse der jungen Leute konzentrieren.
({19})
Wir sehen dem angeforderten Bericht mit großem Interesse und großer Neugier entgegen. Vielleicht hat die Bundesregierung aus den Erfahrungen des Jahres 1983 doch etwas gelernt.
Herzlichen Dank.
({20})
Meine Damen und Herren, im Hinblick darauf, daß wir den Punkt 3 in die verbundene Aussprache einbezogen haben, verlängert sich nach einer interfraktionellen Abrede die Redezeit von zwei auf zweieinhalb Stunden.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Herr Kuhlwein, was Elite ist, darüber kann man lange sprechen. Wir beide als Amerika-Fahrer gehören natürlich dazu.
Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegenden und zur Debatte stehenden Antrag der Koalitionsfraktionen ist - nach Vorlage der aktuellen Zahlen zum Dezember 1983 - das Thema der Ausbildungsplatzsituation zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder auf die Tagesordung gesetzt worden. Das ist - das haben wir ja auch jetzt gerade wieder gehört - das Thema, das uns alle in ganz besonderem Maße beschäftigt hat und natürlich weiter beschäftigen muß. Aber ich bin der Ansicht: Der ernsthaften Verhandlung dieses Themas dient das Horrorgemälde nicht, das Herr Kuhlwein - auch in
Verfehlung des Themas mit Abweichen auf Elitediskussion ({0})
unter Benutzung von unvollständigen und falschen Zitaten - auch meines Parteivorsitzenden - hier gemalt hat. Horrorgemälde helfen nichts! Wenn ich an die düsteren Prognosen zu Anfang dieses Jahres denke und dann die tatsächliche Entwicklung dagegensetze, dann sollte das doch auch etwas zur Aufhellung Ihrer Stimmung, Herr Kuhlwein, beitragen können.
({1})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns - das ist uns gerade wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt worden - zur Beurteilung der Situation auf Zahlen und auf die Gegenüberstellung von Zahlen stützen. Aber wir dürfen dabei natürlich nicht aus dem Auge verlieren, daß sich in diesen Zahlen - seien es die der Nachfrage, seien es die des Angebots an Ausbildungsplätzen - sehr individuelle Notwendigkeiten, Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen und Entscheidungen summieren - nicht nur auf einer Seite. Jede Nachfrage steht für ein Einzelschicksal eines jungen Menschen, aber jede Angebotszahl steht auch für die Bemühungen der für die Ausbildungsstätten Verantwortlichen.
Meine Damen und Herren - ich sage das mit allem Nachdruck -, wenn eines unzweifelhaft ist - daran läßt sich auch mit Zahlen nichts herumdeuteln -, dann ist es dies: Das Gesamtangebot schon zum Stichtag 30. September 1983, das sich bis zum 31. Dezember 1983 noch verbessert hat, stellt einen Erfolg dieser Verantwortlichen - insbesondere in der Wirtschaft - dar, für den man nur größte Anerkennung und Dank empfinden kann, und zwar im Interesse der jungen Leute.
({2})
Dies, meine Damen und Herren, muß man nicht nur der Ehrlichkeit wegen, sondern vor allem auch deshalb sagen, weil wir für 1984 darauf angewiesen sind, daß diese erfolgreichen Anstrengungen fortgesetzt und noch erweitert werden. Ich weiß nicht, bei wem man zu Anstrengungen anregen kann, wenn man Tacheles mit ihm reden will, wie hier ja öfter gesagt wird. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß der Umgang mit Zahlen große Versuchungen einschließt. Ein und dieselbe Zahl kann die Begründung sowohl für positive wie auch für negative Beurteilungen liefern; sie kann zur Kritik wie zur Bestätigung herangezogen werden, kann pessimistisch oder optimistisch stimmen. Ich habe noch einmal nachgelesen, was in der Berufsbildungsdebatte am 12. März 1982 wir von der damaligen Koalition alles auf die Vorwürfe der damaligen Opposition gesagt haben; das spiegelt sich doch dann auch über zwei Jahre hinweg wider.
({3})
Herr Kuhlwein unterstellt hier eine verharmlosende Wertung der Statistik. Natürlich könnte man - das würde dann in das Schema passen - den Spieß umdrehen und fragen, welchem politischen
Ziel die Schwarzmalerei dienen soll. Ich will das aber nicht vertiefen. Denn im Interesse der jungen Leute sind Nüchternheit und Sachlichkeit gefragt.
Das wird im vorliegenden Fall besonders deutlich, wenn man sich einmal mit den Veränderungen auf der Angebots- und Nachfrageseite über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg beschäftigt. Wenn wir einmal die Ergebnisse der Ausbildungsplatzbilanz zum September 1983 in ein Verhältnis zu den einzelnen Vorjahren setzen - zum Beispiel zum Jahre 1980, dem Jahr, in dem die vor 1983 bisher höchste Zahl an Ausbildungsverträgen abgeschlossen wurde -, dann stellen wir fest, daß die Nachfrage um rund 58 000 zunahm, das Angebot aber nur um 3 000 stieg. Diese Differenz, die man bei diesen beiden Jahren feststellen kann, ist etwas Bedauerliches. Aber schon die Verschiebung der Betrachtung um ein Jahr zeigt ein anderes Bild. Wenn man zum Beispiel das Jahr 1981 zum Vergleich heranzieht, das Jahr, in dem die Kurve der seit 1976 anhaltenden Zunahme an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen unterbrochen wurde, so ergibt sich zum Jahr 1983 auf der Nachfrageseite eine Zunahme um 97 000 und auf der Angebotsseite um rund 54000. Ich hebe das deshalb besonders hervor, weil wir genau darüber 1982, vor nicht einmal zwei Jahren, hier ausdrücklich gesprochen haben. Ich für meine Person stehe jedenfalls in der Kontinuität dieser Bemühungen von damals. Überhaupt könnte es der Versachlichung der Argumentation im Interesse der jungen Menschen dienen, wenn man die Betrachtung einmal vom Augenblick löste.
Hier ist es ganz interessant, festzustellen, daß von dem Nachfragezuwachs von 1981 bis 1983 in der genannten Höhe von rund 97 000 rund 38 000 auf die Veränderung von 1981 zu 1982 und rund 59 000 - wir haben die Zahlen gehört - auf die von 1982 zu 1983 entfallen. Aber von dem Gesamtzuwachs an angebotenen Plätzen in Höhe von insgesamt 54 000 entfallen rund 8 000 auf den Anstieg von 1981 zu 1982 und rund 46 000 auf den von 1982 zu 1983. Oder anders ausgedrückt: von 1981 zu 1983 - jeweils zum 30. September betrachtet - entsteht zwischen dem Zuwachs an Nachfrage einerseits und Angebot andererseits eine Differenz von 43 000, um die die Angebotsseite niedriger als die Steigerungsrate der Nachfrage liegt. Von 1981 zu 1982 beträgt diese Differenz rund 30 000, von 1982 zu 1983 aber nur 13 000.
Ich weiß, daß solche Zahlen langweilen. Ich stelle sie aber hier ausdrücklich heraus, weil aus ihnen hervorgeht, daß jedenfalls die Anstrengungen im Jahre 1983 erfolgreicher gewesen sind als etwa die Anstrengungen im Jahre 1982.
({4})
Über die Gründe will ich überhaupt nicht sprechen; es kann viele Gründe geben. Das sind Zahlen, die auch nicht damit auf die Seite zu schieben sind, daß man - wie Herr Kuhlwein es tat - von „Taschenspielertricks" spricht.
Es ist auch deswegen notwendig, diese Seite der Betrachtung hervorzuheben, weil alles dafür getan werden muß, diesen feststellbaren Erfolg, den wir nicht wegdiskutieren lassen dürfen, in 1984 fortzusetzen. Dazu einen Beitrag zu leisten, ist der Sinn und Zweck dieses zu diesem frühen Zeitpunkt vorgelegten Antrages. Herr Kuhlwein, der damit angeforderte Bericht soll nicht den gesetzlich vorgesehenen Berufsbildungsbericht ersetzen, der unter Beteiligung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der im Hauptausschuß vertretenen Arbeitgeber, Gewerkschaften und Länder zu erstellen ist. Dieser Bericht hat sich bewährt, und wir werden hier über ihn und seine Einzelheiten zu diskutieren haben. Der jetzt geforderte Zwischenbericht soll die Möglichkeit bieten, insbesondere über die heute aktuellen Problembereiche ganz frühzeitig zu sprechen.
Wir sind uns - und da greife ich das auf, was Herr Kuhlwein gesagt hat - natürlich darüber im klaren, daß es Dunkelziffern gibt. Aber wir haben auch 1982 über Dunkelziffern gesprochen. Da haben wir damals etwas anders argumentiert. Da kam die Argumentation, auf der Angebotsseite gebe es Dunkelziffern, von der damaligen Opposition. Ich kann also nur sagen: Das Verbindende zwischen Oppositionen besteht im Hinweis auf Dunkelziffern. Ich verharmlose das damit nicht. Das muß bei der Prognose natürlich berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, wir alle führen - das haben wir hier gesagt - den Zuwachs an Nachfrage auf ein verändertes Bildungsverhalten der jungen Menschen zurück. Deshalb sollten wir auch im Hinblick auf 1984 darauf achten, daß die Übergangsquoten zu weiterführenden Schulen - Vollzeitschulen und Hochschulen - nicht plötzlich überproportional zurückgehen, und wir sollten nach den Gründen für solche Entwicklungen sehr nüchtern fragen.
Meine Damen und Herren, 1984 wird es notwendig sein, erneut an die Wirtschaft zu appellieren, ihre Anstrengungen fortzusetzen und den schon erreichten Ausbildungsrekord noch zu übertreffen. Die konjunkturelle Situation ist dazu jedenfalls günstiger als in der letzten Zeit. Meines Erachtens haben 1983 vor allen Dingen viele kleine Betriebe - auch des Handwerks - und auch Großbetriebe besondere Anstrengungen gemacht. Wir sollten unsere Appelle vor allem an den großen Bereich der mittleren Betriebe richten, die frühzeitig planen müssen, auch für 1984, und denen wir schon heute dieses Signal geben sollten.
Meine Damen und Herren, das Benachteiligtenprogramm hat sich bewährt. Es sollte wie die Sonderprogramme und Sondermaßnahmen des Bundes und der Länder für die Entwicklungen und die Notwendigkeiten offenbleiben, die sich im Laufe dieses Jahres ergeben.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns davor hüten, aus parteitaktischen Erwägungen die Situation zu verharmlosen oder zu dramatisieren. Soweit das möglich war, habe ich mich hier darum bemüht.
Von 1976 bis 1983 ist - berechnet zum Septembertermin - die Nachfrage nach beruflichen Aus3342
bildungsplätzen um rund 200 000 gestiegen. Als diese Entwicklung begann, hat uns das die allergrößten Sorgen bereitet. In derselben Zeit ist aber auch das Angebot um 183 000 gestiegen. Wer das damals prognostiziert hätte, wäre für einen verblendeten Optimisten gehalten worden. Aber darin spiegelt sich, daß wir alle - vor allen Dingen die Wirtschaft - unsere Verantwortung für die Zukunft der jungen Generation ernstgenommen haben. Meine Damen und Herren, daran müssen wir anknüpfen. Hier müssen wir appellieren. Hier müssen wir den Bericht der Bundesregierung abwarten. Wir müssen uns dann mit diesem Bericht in den Einzelheiten beschäftigen. Wir werden uns dafür einsetzen.
Meine Damen und Herren, ich halte aber die hier vorgelegten Anträge der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN insbesondere wegen des Schnellschußverfahrens nicht für geeignet, heute in einer seriösen Art zur Abstimmung zu kommen.
({5})
Wegen der begrenzten Redezeit muß ich dieses Thema jetzt verlassen.
Meine Fraktion hat mich gebeten, auch zu dem anderen Punkt, der plötzlich hier zugeschoben worden ist, einige Worte zu sagen. Das ist der Bericht der Bundesregierung zum Bildungsbeihilfenprogramm. Dieser Punkt hängt natürlich inhaltlich mit dem Grundproblem, über das wir hier sprechen, zusammen. Wir wissen, daß einige Gruppen Jugendlicher, z. B. Mädchen, ausländische Jugendliche und Jugendliche ohne Schulabschluß, besondere Vermittlungsprobleme haben. Deshalb ist im Juni 1982 das Bildungsbeihilfenprogramm, zu dem heute der Bericht der Bundesregierung vorliegt, verabschiedet worden und deshalb sind 1983 über 200 Millionen DM dafür bereitgestellt worden. Der Adressatenkatalog dieses Maßnahmeprogramms ist die Gruppe jüngerer Arbeitsloser, die ohne entsprechende Bildungsmaßnahmen vielfach erhebliche Schwierigkeiten hätten, eine dauerhafte berufliche Eingliederung zu erreichen.
Ich versage mir wegen der Zeit, diesen Bericht der Bundesregierung hier im einzelnen zu interpretieren. Mein Kollege Eimer hat schon bei der ersten Beratung eines Änderungsgesetzes zu diesem Bildungsbeihilfenprogramm die vorgesehenen Änderungen, die einer erleichterten Inanspruchnahme dienen sollen, begrüßt; denn es ist wirklich schwer verständlich, daß die im Rahmen dieses Programms vorgesehenen Mittel nicht abfließen, weil die Voraussetzungen bisher zu restriktiv gefaßt waren. Wir unterstützen daher die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes bis Ende 1987 und den Wegfall der Voraussetzung vorheriger viermonatiger beitragspflichtiger Beschäftigung; denn damit können jetzt auch arbeitlose Schulabgänger bei entsprechender Bedürftigkeit gefördert werden. Ebenso halten wir es für richtig, daß künftig Teilzeitbildungsmaßnahmen gefördert werden, die mit Teilzeitarbeitsbeschaffungsmaßnahmen kombiniert werden können. Dies wird gerade für diesen Personenkreis eine Verbindung von Lernen und Arbeiten wesentlich erleichtern. Damit können wir den Teil der arbeitslosen Jugendlichen für Bildungsmaßnahmen gewinnen, der bisher nur schwer für die Teilnahme an einer Vollzeitbildungsmaßnahme zu motivieren war.
Beide Punkte bedürften eigentlich einer sehr viel gründlicheren Darstellung und Betrachtung, als dies im Rahmen der Redezeitbegrenzung möglich ist. Aber beide Punkte zeigen, daß wir noch sehr viele Probleme vor uns haben, daß uns diese Probleme grundsätzlich nicht dazu verführen dürfen - deswegen haben wir auch die Erfolge so besonders herausgestellt -, auf die Verantwortung der Wirtschaft in unserem Land, der freien einzelnen in diesem Land zur Überwindung so schwieriger Probleme zu setzen. Wenn wir wissen, daß angesichts der hinter uns liegenden bedrückenden Jahre der geburtenstarken Jahrgänge nun endlich doch eines Tages und zwar in nicht unbegrenzt ferner Zukunft, sich die Situation von der Seite her ändert, dann muß es zu schaffen sein, auch diese restliche kurze Spanne unter Anstrengung aller Mittel zu überwinden, ohne das politische und das wirtschaftliche System dieses Landes, dem wir diese Erfolge verdanken, ernsthaft in Frage zu stellen.
Meine Damen und Herren, als mein Kollege Professor Laermann eben den Zwischenruf „Gott sei Dank!" machte, als Herr Kuhlwein sagte, vielleicht würde die Bundesanstalt für Arbeit eines Tages nichts mehr zu vermitteln haben, hat Herr Kuhlwein gesagt: Das muß im Protokoll festgehalten werden. Ich weiß nicht, Herr Kuhlwein, was es für uns alle denn Schöneres gäbe, als daß diese Situation eines Tages von sich aus so gelöst werde, daß wir diese Probleme wirklich nicht mehr hätten.
({6})
Dies hat mein Kollege gemeint, und so will ich es hier zum Ausdruck bringen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU und die FDP - ich bitte um Entschuldigung, ich bin sehr stark erkältet ({0})
beantragen, von der Bundesregierung einen Bericht über die Ausbildungsplatzsituation mit Stichtag 31. Dezember 1983 zu erhalten. Der Bericht, der zum 30. September 1983 erfolgen wird - im Berufsbildungsbericht - wird daneben auch kommen. Es ist sicherlich ganz angenehm, wenn man alle Vierteljahre einen Bericht darüber bekommen kann, wie die Situation ist, vor allem dann, wenn man hofft daß diese Berichte in der Reihenfolge positive Tendenzen haben werden.
({1})
Nur ist anzunehmen, daß nach den Erfahrungen mit den Datenangaben die Statistik auch wieder sehr unterschiedlich sein wird, wobei man immer nur hoffen kann, daß die Zahlen der Bundesregierung die richtigen und die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit die falschen sind, weil dann nämlich immer ein besseres Bild herauskommt.
Die Gefahr, daß das dieses Mal wieder so ist, ist sicherlich groß, vor allem deswegen, weil das Datum des 31. Dezember für die Bundesanstalt für Arbeit kein verpflichtendes Datum ist. Wir werden also abwarten müssen, welche Zahlen erscheinen werden. Wenn ich die Beiträge aus der Koalition ansehe, nehme ich an, daß wir positive Zahlen zu erwarten haben. Die Frage ist, ob das wirklich stimmt.
({2})
- Ich hoffe, daß das stimmt. Völlig richtig, Herr Feilcke. - Ich befürchte nur, daß es nicht so leicht sein wird, positive Daten zu bekommen.
Nach einer Meldung in der „Frankfurter Rundschau" vor zwei Tagen ist der Anstieg der Anzahl der Bewerber seit dem 30. September 1983 bei der Bundesanstalt für Arbeit auf etwa 12 % einzuschätzen, der Anstieg der Ausbildungsplatzangebote aber nur auf 4 %. Es kann sein, daß daraus bereits ein Anzeichen zu entnehmen ist, daß das so positiv nicht sein wird, wie angenommen worden ist. Andererseits können wir mit Frau Wilms davon ausgehen, daß die Jugendlichen alles nehmen, was sie bekommen können. Das führt zu zweierlei. Für viele führt es dazu, daß sie dann doch nichts erhalten werden, weil zuviel fehlt, und für andere führt es dazu, daß sie etwas unbesehen nehmen, was sie lieber hätten besehen sollen. Es wird nirgendwo so deutlich und so klar wie bei Ausbildungsplätzen gesagt: „Nehmt jedes Angebot an". Auf dem normalen Markt wird - auch von Ihnen - jeder Kunde aufgefordert, möglichst genau hinzusehen, welches Produkt er denn nun kaufen wolle. Das ist im Ausbildungsbereich längst vergessen.
Wir werden weiterhin damit rechnen müssen, daß auch im nächsten Jahr nach Schätzung des DGB etwa 200 000 Jugendliche ohne Versorgung sein werden. Das sind Jugendliche, die auch hier als Problemgruppen genannt worden sind, Jugendliche, die in materielle soziale Not kommen, in Abhängigkeit, in Unfreiheit, sei es von Familien, sei es von staatlichen Versorgungsanstalten.
Es kommt ein weiterer Bereich hinzu. Wir werden auf diese Art und Weise eine Menge sozialer und ökonomischer Not exportieren, indem 75 % aller ausländischen Jugendlichen in der Bundesrepublik von der Ausbildungslosigkeit betroffen sind und ein hoher Anteil dieser Jugendlichen im Zusammenhang mit der Ausländerpolitik der Regierung in ihre Heimatländer abgeschoben wird.
Der dritte, für uns nicht unwesentliche, sondern sehr wichtige Bereich ist die weitere Verschärfung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, die immer noch zu ungunsten der jungen Frauen und Mädchen ausgeht. Sie werden weiterhin stärker als die männlichen Jugenlichen von Ausbildungsplatznot betroffen sein. Das ist bekannt. Auch wenn im Sonderprogramm der Bundesregierung in diesem Fall von den 6 000 zu erwartenden Ausbildungsplätzen zwei Drittel für Mädchen und junge Frauen verwendet werden, so sind es 4 000 bei einem Gesamtvolumen von etwa 80 000, die nach Berechnung des DGB noch unversorgt sind. Das ist nicht arg viel, wenn man weiß, daß von diesen 80 000 etwa zwei Drittel Frauen und Mädchen sind.
Wenn man darüber nachdenkt, welche Folgen und Ursachen hier vorliegen, dann muß man ein Stückchen weitergehen als nur in den Bereich der Ausbildung in dem dualen System. Man muß das Schulsystem und den gesamten Bereich der Erziehung und Entwicklung junger Menschen betrachten, um zu sehen, daß die Lebensgeschichte der jungen Menschen bis zum 15./16. Lebensjahr diese Rollenerwartung und -zuteilung verfestigt und daß unser Gesellschaftssystem durchaus nicht darauf angelegt ist, Frauen und Mädchen besonders zu bevorteilen.
({3})
Ein weiteres sollte nachdenklich stimmen. Selbst dann, wenn Herr Daweke und Herr Neuhausen recht behalten, daß die Wirtschaft im letzten Jahr zu großen Anstrengungen fähig war, und wenn dann 40 000 zusätzliche Ausbildungsplätze erreicht worden sind und immer noch mindestens genauso viele fehlen, um die Jugendlichen, die in der Situation sind - es sind j a nicht alle; das wissen Sie auch -, zu versorgen, dann muß man sich überlegen, was daraus folgt. So bleibt erst einmal noch beides richtig. Die Bilanz, die Herr Kuhlwein vorgeführt hat, zeigt auf, daß es für die Jugendlichen schlechter ist. Die Daten, die Sie aufgezeigt haben, Herr Daweke und Herr Neuhausen, zeigen auf, daß es für die Wirtschaft besser ist, weil sie mehr als vorher geleistet hat. Beide Daten zeigen aber auf, daß im Ausbildungsbereich über andere Dinge nachgedacht werden muß, als das zur Zeit geschieht. Wir können feststellen, daß es nicht nur ein quantitatives Problem ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie Ausbildung anders gestaltet werden kann, die Ausbildung von ökonomischen Entwicklungen abgekoppelt werden kann. Denn auch die Hinweise darauf, daß die erwartete konjunkturelle Entwicklung im Jahre 1984 eventuell ein mehr an Ausbildungsplätzen möglich machen würde, sind nicht gesichert. Nach den Arbeitsplatzprognosen ist damit zu rechnen, daß trotz dieser erwarteten konjunkturellen Zuwächse nicht mehr, sondern eher weniger Arbeitsplätze bereitgestellt werden, weil ein Großteil dieser Zuwächse auf Rationalisierungsinvestitionen hinauslaufen könnte. Das heißt: dieses Ausbildungssystem, das nur darauf vertraut, daß die Wirtschaft ihren verfassungsmäßigen Verpflichtungen nachkommen wird, funktioniert dann nicht mehr, wenn sie es nicht kann. Allerorten auch von allen Rednern hier, ist implizit die Behauptung
vertreten worden, daß dieses Wirtschaftssystem es nicht mehr kann.
({4})
- Vielleicht muß man dann versuchen, Herr Feilcke, etwas anders zu denken. Dann kommt man vielleicht zu besseren Systemen.
({5})
Wenn Sie dann darüber hinaus darüber nachdenken, welche Funktion die Bildungsbeihilfe hat, über die dieser Bericht der Bundesregierung Auskunft gibt, so stellt sich heraus, daß diese Bildungsbeihilfe in der Situation hoher Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen die Funktion hat, Ausbildungsmängel, die innerhalb des normalen Ausbildungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems auftreten, so zu beheben, daß diese jungen Leute individuell verbesserte Chancen haben werden, die ihnen auf Kosten von Mitbewerbern immer andere Möglichkeiten verschaffen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, daß hier aber in einem Entwicklungszusammenhang der Gesellschaft in der Bundesrepublik etwas mehr Überlegungen hineingebracht werden könnten, damit Bildung und Ausbildung zu einem längerfristigen und nicht auf drei Jahre Lehrzeit im dualen System angelegten Teil von Entwicklung von Menschen werden könnten, wo man regelmäßig auch über Beihilfen zu Bildung, über Bildungszeiträume etwas erreichen könnte, was zur Zeit nicht möglich ist. Wer zur Zeit etwa beantragt, Bildungsurlaub nehmen zu dürfen, der wird in vielen Fällen auch im öffentlichen Dienst darauf hingewiesen, daß das der Sicherheit seines Arbeitsplatzes nicht besonders zuträglich sei.
Zum Punkt Bildungsbeihilfe und Ausbildungsplatzmangel im Zusammenhang mit jungen Menschen und Jugendlichen bedeutet das zusammengefaßt, daß mehr getan werden muß, als die Zahlen der Ausbildungsplätze zu vergrößern, als den Anteil an Ausbildungsplätzen innerhalb dieser Gesellschaft zu erweitern. Vielmehr müssen Ausbildung und Bildung grundsätzlich verändert werden, und darüber sollte weiterhin nachgedacht werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine- Damen und Herren! Die Ausbildungsplatzbilanz für das Jahr 1983 liegt uns jetzt vor. Es ist gelungen, für eine nie dagewesene große Zahl junger Menschen Ausbildungsplätze im dualen System zur Verfügung zu stellen. Unternehmer und Manager, Handwerker, Geschäftsleute, Meister, Betriebs- und Personalräte haben sich um der Jugend willen voll engagiert. Ich möchte noch einmal all denen herzlich Dank sagen, die ihren Beitrag hierzu geleistet haben.
({0})
Die Dramatisierungsversuche zu Lasten junger Menschen
({1})
sind ebenso gescheitert wie das Bemühen der Opposition im vergangenen Jahr, die Ausbildungsplatzfrage zu einem politischen Angriff auf die Regierung und den Bundeskanzler zu mißbrauchen. Ich kann heute hier nur feststellen: Noch nie in der Nachkriegszeit wurden mit 678 000 Ausbildungsverträgen so viele Ausbildungsverträge abgeschlossen wie 1983. Noch nie war das Angebot an Ausbildungsplätzen mit weit über 700 000 so hoch wie in diesem Jahr. Noch nie war aber auch die Nachfrage junger Menschen mit 755 000 so groß wie in diesem Jahr. Es wurde erreicht, daß trotz schlechter Konjunkturlage Ende Dezember 1983 kaum mehr junge Menschen unversorgt waren als in den Jahren zuvor, in den Jahren, als die Bundesregierung von der SPD geführt wurde, als es viel weniger Ausbildungsplätze und auch eine sehr viel geringere Nachfrage nach Ausbildungsplätzen gab.
({2})
Angesichts dieses Ergebnisses möchte ich doch noch einmal auf die Horrorzahlen und die Dramatisierungen zurückkommen, mit denen Sie von der Opposition damals und offensichtlich auch jetzt wieder in den Debatten, Anfragen und Pressemitteilungen Angst, Verunsicherung bis in weite Kreise unserer Bevölkerung hineingetragen haben.
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Ich möchte zwei Belege anführen, damit wir das nicht vergessen. Kollege Wolfgang Roth behauptete am 28. August 1983 in einer AP-Pressemitteilung, es fehlten 220 000 Ausbildungsplätze, und mit der Lehrstellenaktion der Bundesregierung würde es - hochgerechnet - siebeneinhalb Jahre dauern, bis alle jungen Menschen untergebracht seien. Sie, Herr Kollege Kuhlwein, haben am 22. Juni 1983 in „Informationen der SPD-Bundestagsfraktion" gesagt:
Es ist unbegreiflich, wie die Bildungsministerin angesichts von über 120 000 Lehrstellen, die schon rein statistisch fehlen, davon sprechen kann, die Zahlen seien wenig aussagekräftig.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich habe doch recht gehabt, als ich vor Horrorgemälden und vor Zahlenspielereien warnte, die Sie jetzt schon wieder ausgebreitet haben.
({4})
Ich habe das Problem nie verniedlicht. Dies, so glaube ich, können Sie mir und der Bundesregierung überhaupt nicht vorwerfen.
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Wir wissen, daß am 31. Dezember 1983 noch rund 31 000 Bewerber als unversorgt gemeldet waren.
Dem standen aber noch zirka 5 000 unbesetzt gebliebene betriebliche Ausbildungsstellen und noch zirka 6 000 Stellen aus dem Sonderprogramm der Bundesregierung gegenüber, so daß man von etwa 25 000 unversorgten jungen Menschen ausgehen muß.
Meine Damen und Herren, die Lösung der Ausbildungsplatzprobleme 1983 war auch eine Frage der Autorität des Bundeskanzlers.
({6})
Er hat sich wie kein anderer Bundeskanzler zuvor - das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen - darum bemüht, die Zahl der Ausbildungsplätze durch seine Appelle, durch sein Engagement zu vermehren. Ich glaube, wir können heute mit Befriedigung und mit einem gewissen Stolz - das nehme ich für die Bundesregierung in Anspruch - feststellen, daß die Zusage des Bundeskanzlers, Ausbildungsplatzangebote in großer Zahl zur Verfügung zu stellen, eingehalten worden ist.
({7})
Entscheidend ist, daß in diesem Jahr trotz erheblich größerer Nachfrage kaum mehr junge Menschen ohne Ausbildungsplatz geblieben sind als in der Vergangenheit. In keinem Jahr - das vergessen Sie von der SPD in der politischen Diskussion natürlich verständlicherweise - konnten alle jungen Menschen mit Ausbildungsplätzen versorgt werden, und zwar aus uns allen bekannten Gründen, die nachher im Ausschuß noch im einzelnen aufgeführt werden können.
({8})
Noch nie - auch in den 70er Jahren nicht, auch nicht, als wir eine gute Konjunktur hatten, als Sie nie davon gesprochen haben, Kollege Daweke hat es schon gesagt - sind alle jungen Menschen je versorgt worden. Es hat immer einige Tausend junge Menschen - 20 000, 25 000 - gegeben, die übriggeblieben sind. Entscheidend für die Bilanz des Jahres 1983 ist, daß nie zuvor - und das ist die Zahl, die wir verdeutlichen müssen - mehr junge Menschen eine Ausbildung beginnen konnten als im Jahre 1983.
({9})
Im Vergleich mit der Ausbildungssituation in anderen europäischen Ländern nimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Spitzenposition ein; denn 90 % eines Altersjahrganges können eine Ausbildung beginnen. Dies ist eine Relation, die Sie in keinem anderen Lande, auch nicht innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, finden. Dies ist auch der Grund dafür, warum wir auch in der Jugendarbeitslosigkeit international gesehen die beste Situation haben, obwohl wir alle beklagen, daß noch zu viele junge Menschen ohne Arbeit sind.
Natürlich - und das möchte ich hier überhaupt nicht verkleinern - stellen die noch unversorgten jungen Menschen ein großes Problem, eine große Herausforderung dar. Die Ursachen dafür, warum sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, sind unterschiedlich. Wir werden im Berufsbildungsbericht, der in Kürze im Kabinett verabschiedet und hier im Deutschen Bundestag vorgelegt werden wird, im einzelnen auf diese Fragen eingehen.
Meine Damen und Herren, die Bewältigung des Ausbildungsplatzproblems 1983 ist auch eine Antwort auf die prinzipielle Frage, ob man durch Bürokratismus und Androhung von Sanktionen die Wirtschaft zu mehr Ausbildungsleistungen ermuntern kann oder ob man auf das gesellschaftspolitische Engagement der Wirtschaft setzen kann.
({10})
Ich denke, daß die Ausbildungsbilanz 1983 beweist, daß das Vertrauen in das freie Engagement der pluralen gesellschaftlichen Kräfte wesentlich effektiver ist als staatliche Lenkungsmaßnahmen. Die Strategie des Vertrauens in die Wirtschaft, wie sie die Bundesregierung verfolgt hat, wurde eindrucksvoll als richtig bestätigt.
Frau Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Bitte schön.
Frau Minister, da Sie gerade bei dem Wort Vertrauen sind: Wie steht es mit dem Vertrauen derjenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, zu diesem Wirtschaftssystem, das wir alle unbestritten für effizient halten?
({0})
Brauchen wir darüber, daß dort das Vertrauen in dieses Wirtschaftssystem möglicherweise völlig verlorengeht, nicht nachzudenken?
Doch, Herr Kollege Vogelsang. Es wird die Aufgabe der Diskussion im Ausschuß und in den weiteren Plenardebatten sein, darüber nachzudenken, ob wir - und damit gehe ich auch auf die Anwürfe des Kollegen Kuhlwein eben ein - an unserer Strategie der Einwirkung, des Vertrauens, des Miteinander-Redens festhalten wollen oder ob wir zu Taten schreiten sollten. Herr Kollege Vogelsang, ich bin überzeugt, daß wir mit der Strategie, die wir im Jahr 1983 gefahren haben, die zu einer Gemeinschaftsaktion des Vertrauens, des Engagements geführt hat, auch noch die restlichen Probleme, die vor uns liegen, so auch die Probleme des Jahres 1984, werden lösen können. Dies möchte ich hier doch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen.
Mein Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal sagen - Sie hören das nicht so gern; ich weiß das -: Die Wirtschaft hatte zugesagt, 30 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich wurden 47 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung gestellt. Das heißt, die Zusage wurde um über 50 % übertroffen.
({0})
- Dazu habe ich doch schon einiges ausgeführt. Ich brauche deshalb nur auf meine Aussagen von vor wenigen Minuten zu verweisen.
Es gibt für die Bundesregierung überhaupt keinen Grund, die erfolgreiche Strategie des Jahres 1983 aufzugeben.
({1})
Ich betone, daß die Bundesregierung auch 1984 an der Strategie der solidarischen Zusammenarbeit aller Beteiligten festhalten wird; denn nur so lassen sich die auch 1984 schwierigen Probleme lösen. Ich bleibe dabei, auch für die Ausbildungsplatzsituation und deren Lösung gilt: Vertrauen ist besser als Drohen.
({2})
Für die Bundesregierung ist die Förderung der Berufsausbildung durch den Staat immer nur subsidiärer Natur. Wir wollen im Gegensatz zur Opposition das duale System nicht zunehmend bevormunden, sondern durch flankierende Maßnahmen weiter stärken. Der Staat wäre auch finanziell überfordert, hier die Aufgaben der Wirtschaft zu übernehmen. Kollege Daweke hat eben bereits ein Beispiel genannt. Lassen Sie mich ein zweites nennen. Eine dreijährige Ausbildung kostet betrieblich im Schnitt 40 000 DM. Wer also staatliche Ausbildungsprogramme für nur 10 000 Jugendliche fordert, fordert damit Staatsausgaben in Höhe von 400 Millionen DM. Dies muß man dann noch im Vergleich zu den Gesamtaufwendungen der Wirtschaft in Höhe von 20 Milliarden DM für berufliche Ausbildung sehen.
Lassen Sie mich hier deutlich in Richtung Wirtschaft sagen, 1984 wird es keine speziellen Hilfsprogramme für Ausbildungen in der Wirtschaft geben. Gleichzeitig wiederhole ich aber die Zusage, daß es auch keine gesetzliche Umlagefinanzierung geben wird.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf die Prognosen für das Jahr 1984 eingehen. Wir sind uns darin einig: auch dieses Jahr wird ein schwieriges Jahr in der Berufsausbildung. Wir rechnen mit Bewerberzahlen zwischen 710 000 und 730 000. Ich denke, dieser Ansatz ist in seinen Grundannahmen unumstritten.
Die Entwicklung im Jahre 1983 hat deutlich gemacht, daß es schwierig ist, die Ausbildungsnachfrage exakt vorauszuschätzen; denn das Bildungsverhalten der jungen Menschen ist zur Zeit schwer vorhersehbar.
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Zu nennen sind insbesondere die wachsende Abiturientennachfrage nach betrieblicher Ausbildung und die wachsende Nachfrage sogenannter Altbewerber, also Bewerber aus früheren Jahren, und Schulabgänger, die eine Zweitausbildung anstreben. Es wird hier eine Reihe von Unwägbarkeiten geben. Niemand kann die Berufswahlentscheidungen der Abiturienten im Jahre 1984 genau vorhersagen. Sie kann auch nur sehr bedingt beeinflußt werden. Dies ist mit Blick auf die Freiheit der Berufswahl auch gut so. Wir müssen die Abiturienten allerdings auf die beruflichen Risiken, die heute mit einem Studium verbunden sind, deutlich hinweisen. Entscheiden müssen sich die jungen Menschen selbst.
Ein zweiter Unsicherheitsfaktor bleibt das Bildungsverhalten von Mädchen, insbesondere von Mädchen mit mittlerem Bildungsabschluß. Hier wird eine weitere Information, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit notwendig sein, um zu einer Ausweitung des Berufsspektrums bei Mädchen zu kommen. Die Programme „Mädchen in Männerberufen" des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft werden fortgeführt. Auch das neue Modellversuchsprogramm „Neue Technologien", das wir mit 20 bis 25 Millionen DM aufgelegt haben, wird diese Frage ebenso wie die Durchführung des Sonderprogramms mit berücksichtigen.
Ein dritter Unwägbarkeitsfaktor, den ich hier nur kurz ansprechen möchte, ist die allgemeine Wirtschaftslage. Es wird immer deutlicher, daß ein Teil der erhöhten Ausbildungsnachfrage des Jahres 1983 auf die Beschäftigungslage zurückgeführt werden muß. Viele junge Menschen ziehen Ausbildungsschleifen, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Die Bundesregierung erwartet - auch gemäß allen Prognosen - eine weitere Verbesserung der Konjunktur mit Folgen auch für den Arbeitsmarkt. Dies wird auf dem Ausbildungsmarkt ebenfalls zu Entlastungseffekten führen. Die Betriebe werden, so denke ich, weiter Luft bekommen, um zusätzliche Ausbildungsleistungen anzubieten.
Auch 1984 - das möchte ich gerade auch mit Blick auf die Ausbildungsbetriebe ganz deutlich betonen - wird eine Ausbildung über den eigenen betrieblichen Bedarf notwendig sein. Hierzu werden die Unternehmen jedoch nur dann bereit sein können, wenn mit dem Abschluß des Ausbildungsvertrags keine Weiterbeschäftigungsverpflichtung verbunden ist. Ausbildung über Bedarf und Beschäftigungsgarantie schließen sich logischerweise aus.
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Vielleicht, meine Damen und Herren - dies sage ich mit Blick auf beide Sozialpartner -, können den jungen Fachkräften nach der Lehre Übergangsmaßnahmen in Form von Teilzeitarbeit und ähnlichen flexiblen Arbeitsvertragsmaßnahmen angeboten werden.
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Ich bitte die Tarifpartner, sich auch über diese Frage einmal zu unterhalten und zu flexiblen Vereinbarungen zu kommen.
Eine wesentliche, auch psychologische Erleichterung für die Unternehmen, über Bedarf auszubilden, würde darüber hinaus eine der Lage angemessene Behandlung der Ausbildungsvergütungen in der Tarifrunde 1984 sein.
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Das Beispiel der verantwortungsbewußten Vereinbarung in den Tarifverhandlungen 1983 der chemiBundesminister Frau Dr. Wilms
schen Industrie sollte Schule machen. Denn es hat, wie wir heute wissen, zu einer Steigerung der Ausbildungsplätze um 16 % im Bereich der chemischen Industrie beigetragen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung steht mitten in den Beratungen, um den Ausbildungsverbund zwischen Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen zu fördern, eventuell auch durch entsprechend attraktive Hilfsangebote über Ausbildungsberater und ähnliche. Auch alle Maßnahmen zur Qualitätssteigerung, Herr Kollege Kuhlwein, werden mit großer Intensität weiterbetrieben. Die Qualität wird bei der Bewältigung des Quantitätenproblems nicht leiden. Bund und Länder werden gemeinsam überprüfen, wie das Angebot an Ausbildung im öffentlichen Bereich dort, wo es sich um Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz handelt, erweitert werden kann. Deshalb haben die Regierungschefs, Bundeskanzler und Ministerpräsidenten, kürzlich eine Konferenz persönlicher Beauftragter beschlossen, die unter meiner Leitung in Kürze tagen wird. Denn auch die Länder sind in den Maßnahmen zur Lösung des Ausbildungsproblems teilweise sehr erfolgreich.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich prophylaktisch noch auf das monatliche schlimme Verwirrspiel hinweisen, das mit den Monatsmeldungen der Bundesanstalt für Arbeit aus der Berufsberatungsstatistik betrieben wird und offensichtlich auch heute in diesem Hause wieder betrieben werden soll.
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Ich möchte im Interesse der jungen Menschen dringend davor warnen, mit irreführenden Hochrechnungen eine neue Welle der Aufregung zu produzieren.
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Schon jetzt sind Jugendliche und ihre Eltern hochgradig verunsichert. Daraus entstehen dann Überreaktionen. Da sind Mehrfachbewerbungen und Mehrfachverträge, die das Klima belasten, Mißtrauen säen und zu einer unnötigen Dramatisierung führen. Ich betone noch einmal: Niemand verniedlicht das Problem. Aber ich warne davor, aus politisch vordergründigen Überlegungen noch mehr Verunsicherung zu verstreuen.
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Um Mehrfachverträge zu verhindern, wird zur Zeit von der Bundesregierung zusammen mit den Landesregierungen die allgemeine Einführung von Annahmekarten geprüft.
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Meine Damen und Herren, Mehrfachbewerbungen von jungen Leuten sind verständlich. Aber die Jugendlichen sollten unnötige Bewerbungen dann auch zurückziehen und keine Ausbildungsplätze blockieren. Auch Jugendliche sollten untereinander solidarisch sein.
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Die Betriebe möchte ich bitten, ihre Plätze bei der Arbeitsverwaltung zu melden. Eine Meldepflicht wird es nicht geben. Aber auch hier appelliere ich an das solidarische Verhalten der Betriebe. Vielleicht können die Organisationen der Wirtschaft in dieser Frage noch ein bißchen aktiver werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung begrüßt den heute hier vorgelegten Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich denke, daß die Debatte heute ein erster Schritt ist, um die Forderungen zu diskutieren, die mit dem Antrag gestellt werden. Wir werden in jedem Fall diese Forderungen und Überlegungen in dem Antrag der Koalitionsfraktionen im Berufsbildungsbericht 1984 aufgreifen. Wir hoffen auch, daß es darüber dann in Kürze eine sehr ausführliche Debatte hier im Hohen Hause geben wird.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal betonnen: Staatlichem Dirigismus und Druck bei der Bewältigung der Lehrstellenprobleme dieses Jahres wird eine klare Absage erteilt. Wir gehen auch 1984 davon aus, daß die Ausbildungsplatzproblematik in einer breiten Vertrauenskampagne mit allen an der Berufsbildung Beteiligten lösbar ist. Quantität und Qualität werden gesichert. Wir sehen, daß der Gipfel des Lehrlingsbergs erreicht ist. Licht am Ende des Tunnels ist erkennbar. Die Ausbildungsprobleme der jungen Menschen können, wenn wir es wollen, in einer großen Gemeinschaftsaktion gelöst werden. Neue Bürokratien helfen hier nicht weiter.
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Das Wort hat der Abgeordnete Weisskirchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Minister, wenn ich mich an unsere eigenen Rituale hielte, müßte ich als Reaktion polemisch auf Ihre Ausführungen antworten. Wissen Sie, manchmal habe ich ein bißchen Angst, ob das, was wir an Schaukämpfen vorführen, wirklich das ist, was den jungen Menschen nützt. Es hilft ihnen nicht, wenn wir Schlachtengemälde vorführen.
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Es hilft ihnen nichts, wenn wir aufeinander einschlagen. Damit wird nicht ein einziger Ausbildungsplatz zusätzlich geschaffen.
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Deswegen sage ich Ihnen: Es geht nicht darum, wie Sie uns hier vorwerfen, neue Bürokratien zu schaffen. Sie schaffen neue Bürokratien, wenn Sie ein Meldekartensystem einführen. Wie gehen Sie denn dann mit dem jungen Menschen um? Wollen Sie es einem jungen Menschen verwehren, der sich fünfzehn-, sechzehn- oder zwanzigmal beworben hat, sich weiter zu bewerben, damit es beim einundzwanzigstenmal mit dem Ausbildungsplatz klappt? Wollen Sie es einem jungen Menschen verwehren,
Weisskirchen ({2})
sich zusätzlich einen neuen Ausbildungsplatz zu suchen?
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Wie gehen Sie dabei mit den Hoffnungen, mit den Ängsten, mit den Sorgen der jungen Menschen um!
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen wir doch einmal die Tatsachen sprechen! Im letzten Jahr gab es diese Anzeige mit dem Text „Für jeden ist eine Lehrstelle da". Das war das Versprechen des Herrn Bundeskanzlers. Was ist dabei herausgekommen? Es ist dabei herausgekommen, daß nach den sicherlich sehr unvollständigen, manchmal auch sehr fragwürdigen statistischen Grundlagen, die wir haben, am Ende des Jahres auf jeden Fall 31000 ohne eine Lehrstelle dastehen. Und Sie, Frau Minister, sagen, die Ausbildungsfrage sei gelöst! Das ist Zynismus auf dem Rücken von Zehntausenden junger Menschen und nichts anderes.
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Es gibt ja nicht nur bei denen, die ermittelt wurden, Probleme. Wir reden hier von zusätzlichen Hunderttausenden junger Menschen, die wirklich vor einer schwierigen Lebensphase stehen. 600 000 junge Menschen bis zum Alter von 25 Jahren sind arbeitslos; das wissen wir doch. Wie kommt eigentlich die Bundesregierung, wie kommt die Frau Minister dazu, zu sagen, alle Gefahren für die Zukunft unserer Jugend seien bewältigt?
Halten wir doch auch einmal fest: Wer hat denn am Anfang des Jahres 1983 Sie, Frau Minister, darauf hingewiesen, daß ohne wirksame Maßnahmen einer wachsenden Zahl junger Menschen die Lebenschancen verweigert werden? Wer hat denn das Minderheitengutachten beim Hauptausschuß des BIB vorgelegt und gesagt: Ihre Berechnungen sind falsch, Ihre Prognosen treffen nicht zu, sondern es wird eine zusätzliche Zahl von jungen Menschen geben, die auf den Ausbildungsmarkt drängen! Sie haben damals diese Zahlen als „Überdramatisierung" bezeichnet. In Wahrheit war es richtig, was die Gewerkschaften gesagt haben: Die BAföG-Kürzung wird zwangsläufig dazu führen, daß der Ausbildungsmarkt enger wird.
Wer hat denn bei den Haushaltsberatungen in den letzten beiden Jahren davor gewarnt, daß, wenn es nicht zusätzliche Maßnahmen gibt, um die Probleme zu bewältigen, weitere junge Menschen auf dem Ausbildungsmarkt stehen und keine wirkliche Chance bekommen? Wir waren es doch, die in den Debatten der letzten beiden Jahre klare, konkrete und überzeugende Anträge vorgelegt haben. Sie haben sich doch geweigert, den jungen Menschen zu helfen.
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- Sie sagen: „in unserer Regierungszeit". Schauen Sie sich die Zahlen an! Vorhin hat es schon eine Kontroverse darüber gegeben.
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31 000 sind am 31. Dezember letzten Jahres unvermittelt gewesen. Frau Minister, Sie brauchen sich nur die Zahlen anzuschauen. Was war denn am Ende des Jahres 1981? Damals war genau die Hälfte unvermittelt. Das heißt, die Zahl der Unvermittelten ist innerhalb von zwei Jahren unter Ihrer Verantwortung auf das Doppelte angestiegen. Das ist die Wahrheit. Sie brauchen doch nur die Zahlen nachzulesen.
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Wir gehen davon aus, daß es notwendig ist, dafür zu sorgen, jedem jungen Menschen eine Ausbildungschance zu eröffnen. Wenn man das an dem mißt, was wirklich geschieht, dann hat die Bundesregierung versagt. Da helfen auch keine wolkigen Sprüche, wie „Das Tor zur Zukunft steht weit offen."
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Für viele zehntausend junge Menschen ist dieses Tor, von dem Sie sprechen, verschlossen. Das ist die Wahrheit. Ich frage Sie: Wollen Sie sich jetzt, Frau Minister, in die Reihe derer stellen, die ihre Ernsthaftigkeit durch Sprüche selbst erschüttern?
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Was soll denn diese Aussage: „Die Lehrstellenfrage 1983 ist gelöst worden"? Sie haben doch selber davon gesprochen, daß Zehntausende dieser Jugendlichen auf dem Ausbildungsmarkt vor dem Nichts stehen. Das ist doch die Lage. Ich frage Sie: Was ist mit den 31 000 Jungen und Mädchen, die bis zum 31. Dezember keinen Ausbildungsplatz gefunden haben? Was ist mit den 30 000, die hinzugezählt werden müssen, weil sie auf Sondermaßnahmen ausgewichen sind, sei es bei der Bundesanstalt für Arbeit, sei es in Schulen? Was ist mit den weiterhin mindestens 115 000 Unversorgten? Herr Pfeifer, in dem von Ihnen zu verantwortenden Berufsbildungsbericht kam diese Zahl nicht mehr vor. Sie haben auf eine Anfrage von mir im letzten Jahr ausdrücklich bestätigt, daß sie trotzdem existiert. Was ist mit den vielen Zehntausenden junger Menschen? Was sollen sie glauben, an wen sollen sie sich wenden, wenn der Herr Bundeskanzler Versprechungen abgibt, sich aber nicht daran hält?
Ich sage Ihnen, wie Ihre Aussage bei denen wirken muß, die sich zehn-, zwanzig-, dreißigmal und sehr viel öfter beworben haben, denen aber verweigert wird, ihre eigene Leistungsfähigkeit zu erproben. Sie verhöhnen die Zukunft dieser Jungen und Mädchen.
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Weisskirchen ({12})
Wenn Sie sich die Situation etwas genauer anschauen, dann werden Sie feststellen, daß Ihre Ausbildungsbilanz in Wahrheit verheerend ist. In nur zehn Arbeitsamtsbezirken kann man ein Viertel der unbesetzten Ausbildungsstellen finden. Von 142 Arbeitsamtsbezirken in der Bundesrepublik Deutschland finden Sie nur noch zehn, in denen es einen kleinen Überschuß im Angebot gegenüber der Nachfrage gibt. Wo finden Sie das regional? In Südbayern finden Sie das.
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Nun sagen Sie einmal einem jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen, er solle nach Südbayern gehen, weil es da noch einen leichten Überhang von Ausbildungsplätzen gebe. Das ist Zynismus, nichts anderes.
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Wer jetzt noch behauptet, die Jugendlichen seien selber schuld daran, daß sie keine Ausbildungsstelle bekämen,
({15})
sie sollten nur mobil genug sein, der verhöhnt die Jugendlichen und ihre Eltern.
Aber damit ist es noch nicht genug. Schauen Sie sich den Entwurf Ihres Berufsbildungsberichts genauer an. Ich frage Sie: Wie begegnen Sie der Tatsache, daß die mühsam durchgesetzte Gleichberechtigung aufs Spiel gesetzt wird? Fast zwei Drittel der unvermittelten Bewerber sind doch Mädchen. Ich frage die Regierung: Wann endlich nehmen Sie die unberechtigten Vorwürfe zurück, unsere Jugend verfolge nur die eigenen beruflichen Zielvorstellungen? Aus der Untersuchung des IAB wissen wir doch, daß 62 % bereit sind, an ihren ursprünglichen Wünschen erhebliche Abstriche vorzunehmen.
Ich frage die Regierung auch: Wann sind Sie endlich bereit, Fehlausbildungen in Berufen mit geringen Zukunftsaussichten einzuschränken? Wenn bei Bäckern, Metzgern und verschiedenen anderen Berufen hinsichtlich der Ausbildungsplätze eine Explosion stattfindet, die Arbeitsmarktchancen für die Ausgebildeten aber immer geringer werden, dann wird eine solche Entwicklung in kürzester Frist zu erheblichen Arbeitsmarktproblemen führen.
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Man muß die Bundesregierung weiterhin fragen, wann sie das Mißverhältnis zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betriebe beseitigen wird. Der Herr Arbeitsminister hat völlig recht: Es gibt bei den Unternehmungen Trittbrettfahrer. Aber nun müssen Sie das Problem auch anpacken. Wie Sie es denn lösen wollen, wissen wir nicht. Sie haben nur gesagt, eine Umlagenfinanzierung werde es nicht geben. Aber warum haben Sie denn nicht den Mut, auszuprobieren, was in Konstanz, was in Karlsruhe möglich ist und was die Unternehmer und Handwerker dort für sich selbst beschlossen haben? Eine Kammerumlagenfinanzierung - das wäre eine Möglichkeit, die Probleme zu lösen. Wir werden Ihnen das demnächst vorlegen und Sie zwingen, klar zu sagen, ob Sie dies wollen oder nicht.
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Wer nicht den Mut hat, die Kosten bei den nichtausbildenden und ausbildenden Betrieben gerechter zu verteilen, verweigert sich der Zukunftsaufgabe, wie die Anforderungen an Quantität und Qualität der beruflichen Bildung bewältigt werden können.
Dies alles sind Fragen - und es gibt eine ganze Reihe mehr -, die sich selbst zu stellen Sie noch nicht einmal bereit sind. Deshalb erlaube ich mir im Blick auf Ihre Bildungspolitik - Frau Minister, an diesem Punkt sollten wir sorgfältiger miteinander umgehen -: Wir waren es, die Sie auf die Probleme aufmerksam gemacht haben.
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Wir haben Ihnen gesagt: Ihre Prognose hinsichtlich der Bewerberseite ist viel zu niedrig angesetzt. Wir unterstreichen, daß Sie sagen, es gibt eine wachsende Bereitschaft der Betriebe, der Unternehmungen, der Wirtschaft, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen - wir begrüßen das -, aber fügen Sie doch hinzu: Auch die Gewerkschaften haben dazu ihren Beitrag geleistet.
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Fügen Sie doch z. B. hinzu, daß auch die Länder ihren Beitrag geleistet haben. Das Land, das die höchste Ausbildungsplatzsteigerungsrate hat, ist das Land Hessen mit 7,7 % Zuwachs an Ausbildung, während das Land Baden-Württemberg, Herr George, einen drastischen Rückgang an Ausbildungsleistung festzustellen hat, von - 4,1 Prozent, das ist die Wahrheit.
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Sie laufen vor den wirklichen Fragen davon und beruhigen sich selbst mit Sprüchen. Aber jeder Spruch, mit dem Sie versuchen, die Wirklichkeit mit blumigen Worten zu schönen, erschüttert auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit - oder das, was davon übrig geblieben ist. Wir haben Ihnen gesagt, was auf dem Ausbildungsmarkt geschehen wird. Wir sagen Ihnen heute: Ihr Sofortprogramm ist ein Chaos geworden: Es verletzt geltendes Tarifrecht, es hilft nur einer verschwindend geringen Minderheit, es senkt die Qualität der beruflichen Bildung und es verdrängt die guten Träger durch Dumpingpreise aus dem Ausbildungsmarkt. Wir legen Ihnen heute - Sie können das in den Anträgen der vergangenen zwei Jahre und auch in diesem Antrag nachlesen, der Ihnen heute vorliegt - erneut unsere Vorschläge vor. Läge Ihnen die Zukunft unserer Jugend wirklich am Herzen, Sie müßten unserem Antrag zustimmen.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß sich die Abgeordneten in der ersten Sitzung des Plenums des Deutschen Bundestages mit der Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt befassen, macht deutlich, daß sie den damit zusammenhängenden Problemen hohe Priorität einräumen und sich der Bedeutung des dualen Ausbildungssystems bewußt sind. Ich glaube, man kann hier vor allem der Bundesregierung dankbar dafür sein, daß sie dies auch entsprechend herausgestellt hat.
Was das Zahlenmaterial anlangt, so belegen ja die heute offengelegten Spitzenwerte deutlicher als alle bildungspolitischen Sonntagsreden, daß sich das duale Bildungssystem nicht nur bewährt hat; vielmehr hat es die Bewährungsprobe, von der Sie in den vergangenen Jahren immer gesprochen haben, mehr als bestanden. Es hat seine Gleichwertigkeit gegenüber dem allgemeinen Bildungssystem unter Beweis gestellt. Hier bedarf es mit Sicherheit keiner Vertheoretisierung, Verbürokratisierung oder Verschulung. Ich glaube, es hat sich mehr und mehr gerade das Gegenteil gezeigt.
Die Stärke des dualen Systems, von dem wir heute wieder sprechen, zeigt sich auch darin deutlich, daß der Zustrom von Abgängern aus den allgemeinbildenden Schulen immer stärker wird. Hier wird offensichtlich, wie gründlich sich die Bildungsplaner Ende der 60er und in den 70er Jahren getäucht haben. Diese Bildungsplaner waren ja der Meinung, daß das duale System ein aussterbendes Relikt sei und daß wir uns damit auf Dauer gar nicht mehr befassen müßten. Das Gegenteil ist jetzt der Fall: Das duale System hat von der Rolle des Opfers zur Rolle des Retters gewechselt.
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- Lieber Herr Vogelsang, das ergibt sich schon allein aus dem Zahlenmaterial. Sie haben sich in den vergangenen Jahren ja mit der Bildungspolitik beschäftigt. Dieses Zahlenmaterial ist doch Beweis genug. Aber ich werde im Laufe meiner Ausführungen schon noch darauf eingehen.
Die unerwartete Attraktivität des dualen Systems hat dazu geführt, daß im Jahre 1983, in dem wir einen Anstieg der Abiturientenzahlen in dem dualen System von über 50% gegenüber früheren Jahren hatten, die Wirtschaft annähernd 700000 Lehrstellen - lassen wir diese Zahl einmal im Raum stehen - angeboten hat. Diese Zahl geht weit über das hinaus, was sonst hätte geleistet werden können.
Ich verstehe wirklich nicht, wie Herr Kuhlwein von einem „Rekorddefizit" sprechen kann. Ich bin in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Weisskirchen sehr dankbar für sein Lob, das er dem Land Bayern ausgesprochen hat, während er gleichzeitig Nordrhein-Westfalen mit verborgener Schelte bedacht hat. Es ist ja hinlänglich bekannt, wer in diesen Ländern seit vielen Jahren die Regierungsgeschäfte führt.
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Es grenzt fast an Ignoranz und Böswilligkeit, wenn die SPD an den Ausbildungsleistungen dieses dualen Systems ständig herumnörgelt und es herabzusetzen versucht.
Kein Wort wurde heute darüber gesagt, welche Mängel sich im schulischen und universitären Bereich ergeben. Sie von der Opposition haben die Studentenzahlen, die wir heute haben, sogar noch gelobt und meinten, wir sollten dazu Beifall klatschen. Angesichts der hohen Zahl arbeitsloser Akademiker kann ich Ihnen hier in keinster Weise folgen.
Die SPD hat auch diesmal wieder einen Antrag gestellt, vom dem der Kollege Neuhausen richtig gesagt hat, daß es sich um einen Schnellschuß handelt. Die SPD konnte wiederum nicht darauf verzichten, die Lehrstellensituation künstlich zu dramatisieren. Herr Kuhlwein, ich darf Sie daran erinnern, daß selbst zu der Zeit, als das Bildungsministerium noch unter Ihrer Leitung stand, diese Zahlen von Ihnen ständig dramatisiert wurden - damals natürlich aus einem ganz anderen Grund. Sie haben zu Beginn des Jahres 1981 davon gesprochen, daß 100 000 Bewerbern keine Lehrstelle gegeben werden könne, und haben das als Begründung dafür angeführt, daß man den Knüppel der Umlage und ähnliches mehr brauche.
Mir ist auch völlig unverständlich - das muß ich Ihnen beiden sagen, liebe Kollegen Kuhlwein und Weisskirchen -, wie Sie dazu kommen, die Zahl von 30 000 in leichtfertiger Art und Weise einfach zu verdoppeln und plötzlich von 60 000 oder gar von 100 000 zu sprechen.
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Die Zahl für den 31. Dezember beläuft sich auf 31000, nicht mehr! Lassen Sie doch endlich einmal diese - ich muß schon sagen: unqualifizierte - Art und Weise, hier ständig mit Zahlen zu manipulieren und zu jonglieren.
Frau Minister Wilms hat mit Recht darauf hingewiesen, daß auch in den sogenannten besten Jahren 20 000 oder 25 000 Jugendliche am Ende des Jahres unversorgt waren. Wir alle wissen, warum. Gerade Ihre bildungspolitische Quacksalberei, die Sie in Ihren Ländern betrieben haben, hat doch bewirkt, daß heute mehr Hauptschüler ohne Abschluß dastehen und daß sich die Klassen in den Sonderschulen ständig füllen.
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- Ich gehe nur auf das ein, was Sie gesagt haben, Herr Kuhlwein. Für Sie ist es natürlich Unsinn, wenn Sie darauf eine entsprechende Antwort bekommen.
In Ihrem Sofortprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben Sie selber darauf hingewiesen, daß mehr als 50 % der ausländischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluß verlassen. Ich will nur den einen Teil anführen.
Was mir völlig unverständlich ist - hierzu möchte ich noch einen Satz sagen -, ist diese - ich muß schon sagen: penetrante - Polemik im HinRossmanith
blick auf Bundeskanzler Kohl, die Sie heute wieder vorgebracht haben. Ich bin der Meinung, das ist schon fast nicht mehr anzuhören. Hören Sie doch endlich damit auf. Der Wahlkampf ist vorbei. Kanzler Kohl hat von 30 000 zusätzlichen Ausbildungsstellen gesprochen,
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wir haben 47 000 erreicht. Er hat seine Aussage und die Zusage der Wirtschaft übertroffen.
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Keine einzige Bundesregierung hat es bisher gegeben, die eine derartige Leistung aufweisen kann und die sich derart intensiv und konstruktiv um die Probleme der jungen Generation gekümmert hat wie gerade diese Bundesregierung unter Helmut Kohl.
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Wenn man den heutigen SPD-Antrag aufmerksam durchliest, stellt man wieder einmal fest, daß Sie an Ihrer negativen Grundhaltung gegenüber dem beruflichen Bildungssystem grundsätzlich festgehalten haben und sich an Ihrer Anschauung überhaupt nichts geändert hat. Sie haben diese Argumente auch heute wieder mit Deutlichkeit wiederholt. Was Sie immer wieder vorbringen, ist erstens ein Mißtrauen gegenüber der Wirtschaft und zweitens - als Folge dieses Mißtrauens - die Forderung, daß eine Ausbildungsumlage eingeführt werden müßte. Etwas anderes fällt Ihnen nicht ein. Ich muß sagen: Es ist schon peinlich und bedauerlich, wenn Ihnen keine besseren Überlegungen zur Bewältigung dieser Situation einfallen.
Wir sehen diese Situation natürlich auch kritisch und wissen genau, was hier zu tun ist. Nur: Wir lassen uns von Ihnen nicht ständig auf diese Schiene schieben. Wenn Kammern oder Berufsorganisationen für sich etwas einführen, ist es doch durchaus in Ordnung. Wieso müssen denn Politiker Ihrer Couleur ständig der Meinung sein, daß sie die allein Seligmachenden sind und daß sie allein die Weisheit besitzen,
({7})
und daß die Wirtschaft nicht in der Lage ist zu wissen, wie sie Ausbildung zu leisten hat?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß darauf hinweisen, daß die SPD durchaus gut daran getan hätte, sich auch einmal mit der praxisgerechten Regelung des Jugendarbeitsschutzes zu befassen, wenn es ihr mit diesem Ihrem Antrag um eine gute Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben ginge, wie betont wurde. Wir begrüßen ausdrücklich - das möchte ich für die Union noch einmal mit aller Deutlichkeit unterstreichen - die vertrauensbildende Maßnahme, die Bundesminister Dr. Norbert Blüm in Form der Korrektur praxisfremder Arbeitszeitvorschriften für Jugendliche ergriffen hat. Damit hat er einen vernünftigen, unbürokratischen und glaubwürdigen Beitrag zur Verbesserung der Berufsausbildung in zahlreichen Branchen und unzähligen Betrieben geleistet.
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- Sie haben das Mißtrauen heute ja wieder sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, verehrte Kollegin.
Alle wirtschaftspolitischen Indikatoren zu Beginn dieses Jahres weisen darauf hin, daß unsere Betriebe wieder mit Optimismus in die Zukunft blikken. Das bedeutet, daß eben wieder investiert wird, daß wieder Arbeitsplätze geschaffen werden und last but not least sicherlich auch wieder entsprechend Ausbildungsplätze.
Wir möchten - das ist mein Schlußsatz - damit zum Ausdruck bringen, daß hier sicherlich begründete Aussichten auch dafür bestehen, daß vor allem die Zahl der jugendlichen Arbeitlosen im Jahre 1984 weiter abgesenkt werden kann. Es ist ja gerade das unbestreitbare Ziel und der Vorzug unseres dualen Systems der Berufsausbildung, daß speziell die Jugendarbeitslosigkeit bei uns in der Bundesrepublik Deutschland weit unter der anderer vergleichbarer Staaten liegt, die das duale Ausbildungssystem nicht kennen, sondern deren Ausbildung verschult ist.
Ich bedanke mich.
({9})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jugendliche, denen der Einstieg in das Erwerbsleben verwehrt wird, beginnen die Lebensphase der Arbeit mit dem Erlebnis, ausgesperrt zu sein.
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Dieses Erlebnis kann zu Resignation und Verbitterung führen.
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Wenn am Anfang des Arbeitslebens Ausbildungsnot und Arbeitslosigkeit stehen, sind die persönlichen Schäden und gesellschaftlichen Konflikte programmiert.
({2})
Jugendarbeitslosigkeit ist ein Teil der allgemeinen Arbeitslosigkeit, die gerade in der letzten Phase der Kanzlerschaft Helmut Schmidts begonnen und neue Höhepunkte erreicht hat.
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- Lieber Herr Kollege, Sie sind viel zu sachkundig, um nicht zu wissen, daß der Arbeitsmarkt auf konjunkturelle und strukturelle Bewegungen immer verspätet reagiert. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt
noch heute die Schleifspuren der Ursachen zu erkennen, die Sie gelegt haben.
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Unser Ziel heißt „Arbeit für alle", aber einen Königsweg zu diesem Ziel gibt es nicht. Wir gehen den beschwerlicheren, aber den einzig erfolgversprechenden Weg, nämlich den einer Politik der tausend Schritte. Die Bundesregierung bekämpft die Arbeitslosigkeit durch eine Maßnahmenpalette. Wirtschaftliches Wachstum, Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch ein Vorruhestandsgeld, offensive Nutzung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums, Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung sowie berufliche Bildung sind die Mosaiksteine dieser Politik. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Jugendlichen, die zunächst ohne eine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung in das Erwerbsleben eintreten, nicht vergessen, denn sie sind mit ihrer geringen Qualifikation Hauptbetroffene der Arbeitslosigkeit.
Die Bundesregierung kommt mit dem vorgelegten Bericht zum Gesetz über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche aus Bundesmitteln einem Auftrag des Bundestages vom Dezember 1982 nach. Die Bundesregierung sollte auf Grund der gemachten Erfahrungen prüfen, ob die Befristung aufgehoben und die Geltung des Gesetzes verlängert werden sollen. Vorrangige Zielgruppen dieses Bildungsbeihilfenprogramms sind die Jugendlichen, die ohne abgeschlossene Berufsausbildung in das Erwerbsleben eintreten. Aus dieser Gruppe rekrutiert sich nach unseren Erfahrungen auch der größte Teil der arbeitslosen Jugendlichen. Zwei Drittel der Jugendlichen, die keine Arbeit haben, haben keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Seit Mitte 1982 sind über 12 000 Jugendliche nach dem Bildungsbeihilfenprogramm gefördert worden. Vor allem arbeitslose Jugendliche über 18 Jahre, die noch keinen Anspruch auf Unterhaltsgeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz hatten, haben das Programm für eine berufliche Qualifizierung genutzt. Mehr als 40 % der geförderten Teilnehmer sind junge Frauen, knapp 40 % waren vor Eintritt in die Bildungsmaßnahmen ein halbes Jahr oder länger arbeitslos, fast zwei Drittel hatten keinen Hauptschulabschluß. Diese Zahlen belegen, daß die Bildungsbeihilfen die Zielgruppe erreicht haben.
Welche Bildungsmaßnahmen wählten die Jugendlichen? Ein gutes Fünftel der geförderten Teilnehmer nahm an Maßnahmen zur Vermittlung oder Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten teil. Rund 15 % besuchten berufsvorbereitende Lehrgänge, etwa ein Viertel der geförderten arbeitslosen Jugendlichen nahm an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses teil. Weitere 29 % traten in kombinierte Maßnahmen ein, in denen die Berufsvorbereitung mit einer Vorbereitung auf die nachträgliche Hauptschulabschlußprüfung kombiniert war.
Dieses Interesse an einem schulischen Abschluß zeigt, daß hier eine Lücke zu schließen war. Erstmals wird in einem Bundesprogramm arbeitslosen Jugendlichen das Angebot gemacht, ihre Arbeitsmarktchancen durch Nachholen des vorher verpaßten Hauptschulabschlusses zu verbessern. Viele Berufe sind Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß verschlossen. Hier bietet das Bundesprogramm einen Schlüssel. Ebenso wichtig ist, daß ein verbesserter Kenntnisstand auch das Selbstwertgefühl der jungen Menschen erhöht. Das Erlebnis eines schulischen Erfolges wirkt motivierend für das gesamte berufliche Leben.
Die Bundesregierung sieht es als Ermutigung an, daß mehrere tausend Jugendliche das Angebot angenommen haben, den Hauptschulabschluß nachzuholen. Diese Erfahrung bestärkt die Bundesregierung in ihrer Absicht, das Programm weiterzuführen.
Die Erfahrungsberichte der Arbeitsämter werfen auch ein Licht auf die großen Schwierigkeiten, arbeitslose Hilfsarbeiter ohne Hauptschulabschluß für eine Teilnahme an Bildungsmaßnahmen zu gewinnen. Von 100 zu einer Informationsberatung eingeladenen arbeitslosen Jugendlichen können im Durchschnitt nur etwa 10 bis 15 für eine Bildungsmaßnahme gewonnen werden. Dieses Motivationsproblem wird verstärkt durch die unterschiedlichen Bildungsinteressen, die unterschiedlichen Wohnorte innerhalb der teilweise weitläufigen Arbeitsamtsbezirke und das Erfordernis einer Mindestgruppengröße für einen Lehrgang.
Das Bildungsbeihilfenproblem soll vor allem Jugendliche erreichen, die aus bildungsbenachteiligten Bevölkerungsschichten stammen. Das Problembewußtsein dieser Zielgruppe des Programms für die Notwendigkeit einer beruflichen Qualifizierung ist häufig - leider - wenig ausgeprägt. Viele sind zusätzlich in persönliche Konflikte verstrickt, die häufig mit materiellen Sorgen gepaart sind. Negative Erlebnisse in ihrem bisherigen Ausbildungsgang oder ihrer bisherigen Berufstätigkeit verstärken die Zurückhaltung bei den Jugendlichen.
Die Arbeitsämter haben sich von Anfang an bemüht, Fachkräfte mit sozialpädagogischer Befähigung für die Motivierung und Betreuung der jüngeren Arbeitslosen mit heranzuziehen. Wegen der besonderen Probleme dieser Zielgruppe ist es keine Überraschung, daß eine relativ große Zahl Jugendlicher die Teilnahme an den Bildungsmaßnahmen abbricht. Jeder zweite Jugendliche scheidet vorzeitig aus der Bildungsmaßnahme aus. Allerdings führt etwa jeder dritte Abbrecher die Bildungsmaßnahme wegen der Aufnahme einer Arbeit oder einer Ausbildung nicht zu Ende. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Ausscheidenden meist in der Anlaufphase einer Bildungsmaßnahme aufgeben.
Um so wichtiger ist die sozialpädagogische Betreuung. Sie wurde im August 1983 auf Grund der Zwischenergebnisse des Programms verstärkt. Dadurch soll eine Verringerung der Abbrecherzahlen erreicht werden.
Erfreulich ist der bei Prüfungen ermittelte Kenntnisstand der Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen. Über 80 % der Jugendlichen, die ihre Bildungsmaßnahme bis zum Ende durchlaufen haben,
haben den Hauptschulabschluß nachgeholt oder das Ziel einer anderen Maßnahme erfolgreich erreicht. Die Berichte der Arbeitsämter belegen, daß die geförderten Jugendlichen ohne die Maßnahme des Programms kaum die Chance einer dauerhaften beruflichen Eingliederung gehabt hätten. Das gilt auch für die Fälle, in denen die Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage bei einigen Absolventen nicht sofort gelingt. Alle Erfahrungen beweisen, daß ein Jugendlicher, der in der Arbeitslosigkeit einen besonderen Lernwillen bewiesen hat, leichter als diejenigen zu vermitteln ist, die in einer gleichen Situation auf jede Bildungsanstrengung verzichtet haben.
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Deshalb mißt die Bundesregierung den Erfolg des Programms nicht allein an statistischen Daten. Sie dankt den Bildungsträgern und Mitarbeitern der Arbeitsämter für ihre Bemühungen um arbeitslose Jugendliche.
Es ist im Interesse der benachteiligten Jugendlichen dringend erforderlich, das Programm weiterzuführen. Wir werden diejenigen, die auf Grund ihrer Lebensumstände einer besonderen Unterstützung bedürfen, nicht fallen lassen. Wir müssen wegen des Eintritts geburtenstarker Jahrgänge in das Erwerbsleben noch für einige Jahre mit besonderen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche rechnen. Die Bundesregierung hält daher den im Februar 1982 von der alten Bundesregierung vorgesehenen Auslauftermin des Bildungsbeihilfenprogramms zum Jahresende 1984 nicht für verantwortbar. Für einige Jahre müssen noch neben dem gezielten Einsatz der Fördermaßnahmen des Arbeitsförderungsgesetzes die ergänzenden Maßnahmen des Bildungsbeihilfenprogramms fortgeführt werden.
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Die Bundesregierung schlägt im einzelnen vor:
Erstens. Die Geltungsdauer des Gesetzes über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche aus Bundesmitteln soll bis zum 31. Dezember 1987 verlängert werden.
Zweitens. Entsprechend dem Entwurf des Bundesrates vom 15. Juli 1983 zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche sollen auch Jugendliche ohne vorherige viermonatige beitragspflichtige Beschäftigung gefördert werden können. Allerdings sollen diese Jugendlichen entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Ausbildungsförderungsrechtes Leistungen für den Lebensunterhalt nur unter Anrechnung von Einkommen der Unterhaltsverpflichteten erhalten.
Drittens. Für arbeitslose Jugendliche, die nur schwer für Vollzeitbildungsmaßnahmen zu gewinnen sind, sollen vermehrt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Kombination mit Teilzeitbildungsmaßnahmen eingerichtet werden. Um den Bildungsträgern das Angebot von solchen Maßnahmen zu erleichtern, soll für Teilnehmer an diesen kombinierten Maßnahmen die Lehrgangsgebühr erstattet werden können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung schlägt vor, die Verlängerung und Ergänzung des Bildungsbeihilfenprogramms bei den laufenden Beratungen des Gesetzentwurfes des Bundesrates zur Änderung des Bildungsbeihilfengesetzes zu berücksichtigen. Ich bitte den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung in dieser Absicht zu unterstützen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der vorliegende Erfahrungsbericht der Bundesregierung - Drucksache 10/857 - über das im Sommer 1982 unter dem damaligen sozialdemokratischen Bundesarbeitsminister Heinz Westphal begonnene Beschäftigungsförderungsgesetz bestätigt positive Erfahrungen. Hier wird die arbeitsmarktpolitische und gesellschaftspolitische Notwendigkeit dieser Maßnahme speziell für den schwierig zu vermittelnden Personenkreis junger Arbeitsloser anerkannt; denn ohne diese Maßnahmen haben junge Menschen kaum eine Chance zur beruflichen Eingliederung, und dies stellt auch der Bericht auf den Seiten 3, 4 und 5 fest.
Die Bundesregierung nimmt Erkenntnisse auf, unumgängliche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einzuleiten, und greift vollkommen zu Recht sozialdemokratisches Gedankengut auf. Dazu gehört auch die Verlängerung der Geltungsdauer bis Ende 1987, wie es zitiert wurde, und auch das Einbeziehen von Jugendlichen ohne vorherige viermonatige beitragspflichtige Beschäftigung; allerdings muß eine dreimonatige Arbeitslosenmeldung vorhanden sein. Die Bundesregierung hat damit längst gezwungenermaßen fällige Forderungen aus dem Erfahrungsbericht übernommen. Wir Sozialdemokraten erkennen das ausdrücklich als einen Schritt in die richtige Richtung an, als einen kleinen Beitrag zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Herr Staatssekretär Vogt, es ist aber nur ein Minischritt auf dem Weg der tausend Schritte, die Sie genannt haben.
Diesem Schritt müssen weitere Maßnahmen folgen, denn Halbherzigkeit hilft nur wenig, insbesondere deshalb, weil die Effektivität des Beihilfenprogramms für Betroffene nicht ausreicht, was der Erfahrungsbericht auch an verschiedenen Stellen wiedergibt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die hohe Abbrecherquote. Außerdem wird laut Bericht das Angebot von Betroffenen nur zu 10 bis 15 % angenommen. Für 7193 Personen gibt es derzeit Bildungsbeihilfen. 5650 Personen gehörten zu den Geförderten ohne Hauptschulabschluß. Insgesamt betrug der Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß bei den unter 20jährigen bundesweit aber nahezu 60 000. Die Bundesregierung macht es sich hier etwas zu einfach, wenn sie nur auf Ursachenfaktoren wie Motivationsmangel verweist. Meines Erachtens liegt der Schlüssel für die
fehlende Effizienz und Effektivität dieser Maßnahme darin, daß der entscheidende Anreiz, die Perspektive für einen Ausbildungsplatz bzw. für einen späteren Arbeitsplatz, nach einer solchen Maßnahme meistens fehlt. Die Bundesregierung sollte deshalb einen großen Schritt in Richtung auf aktive Beschäftigungspolitik tun und ein Beschäftigungsprogramm vorlegen. Das Beihilfenprogramm ist nur ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein.
Ich erinnere hier an unser Sofortprogramm für die Jugend, das mehr helfen würde. Wenn das Beihilfenprogramm keine Alibifunktion erfüllen soll und nicht als Vorwand und als Demonstrationsinstrument verwendet werden soll, muß die Bundesregierung unser Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgreifen.
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Damit würde auch die Lehrstellengarantie des Bundeskanzlers voll erfüllt werden können. Dazu gehört auch die Aufstockung des Benachteiligtenprogramms um 100 Millionen DM, welches weiteren 5 000 Jugendlichen - siehe Antrag der SPD - helfen könnte.
Diese dringenden Maßnahmen sind deshalb besonders wichtig, weil sich die Ausbildungssituation in diesem Jahr nicht verbessert - auch wenn es dauernd behauptet wird -, sondern verschlechtert hat.
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Auch wenn Sie dem so gerne widersprechen möchten, dies sind die traurigen Tatsachen:
Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen unter 20 Jahren reicht - das ist der Stand vom Dezember 1983 - an die Marke von 200 000 heran.
Die Zahl der registrierten unversorgten Lehrstellenbewerber beträgt laut Presse immer noch 31 000.
Rund 30 000 Jugendliche, die derzeit in verschiedenen Bildungsprogrammen von Bund, Ländern und Arbeitsverwaltung untergebracht sind, sind hinzuzurechnen. Damit addiert sich die Zahl wiederum auf 60 000 hoch.
Es gibt zudem eine Dunkelziffer resignierter Jugendlicher, die in den Statistiken nicht mehr erscheinen. Darunter fallen sehr viele Mädchen.
Meine Damen und Herren, deshalb rechnen Experten für 1984 mit einem Überhang von 100 000 Altbewerbern aus 1983. Damit hat auch der Bundeskanzler das Problem nicht gelöst, sondern er hat es erneut auf der Tagesordnung. Es tut mir leid, es Ihnen jetzt wiederum sagen zu müssen: 1984 wird bedauerlicherweise ein Rekordjahr an jugendlichen Arbeitslosen. Selbst die Bundesregierung gibt zu, daß eine Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Größenordnung von 730 000 bis 740 000 in diesem Jahr besteht. Dazu kommt, daß die ausbildende Wirtschaft erklärt hat, daß ihr Ausbildungsangebot für 1984 nicht erhöht werden kann, weil sie ihre Kapazitäten auf Grund der Zusage gegenüber dem Herrn Bundeskanzler ausgeschöpft hat. Deshalb sagen auch wir heute Dank an die Industrie, auch für die bei den Kommunen zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätze.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Ungern. Aber bitte!
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Ich unterbreche Sie auch nur ungern, Herr Kollege. Aber Sie haben gerade sehr beredt die Situation der jungen Menschen dargestellt, die in die Arbeitslosigkeit entlassen werden: Sehen Sie den Arbeitsminister auf der Regierungsbank und den Jugendminister? Die Frage wollte ich mir doch erlauben.
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Ich sehe ihn nicht.
({0})
- Kein Kommentar. Es ist so, wie Sie es sagten, Herr Kollege Lutz.
Also nicht nur die derzeitige Ausbildungspolitik, meine Damen und meine Herren, sondern auch die derzeitige Arbeitsmarktpolitik ist alles andere als ein Ruhmesblatt der Bundesregierung. Beide sind das Spiegelbild einer beschäftigungsfeindlichen Wirtschaftspolitik. Traurige Tatsache ist auch hier, daß der Verlust an Arbeitsplätzen 1983 größer war als die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der Verlust betrug allein für 1983 400 000. Diese Zahl ist fast identisch mit dem Zuwachs der Arbeitslosenzahl, die wir 1983 gehabt haben. Der „Spiegel" stellte dazu fest:
Die Entwicklung im Jahre 1983 sollte eine Warnung sein. Obwohl die Produktion zunahm, sank die Zahl der Beschäftigten um über 400 000, was ein Indiz für den Arbeitsplatzverlust ist.
Ein Musterbeispiel dafür ist die chemische Industrie. Hier haben die Großen im vergangenen Jahr Umsatzzuwächse bis zu 10 % erzielt. Die Gewinne vor Steuern stiegen um weit über 50 % - in Ordnung -, obwohl sich in demselben Zeitraum die Beschäftigtenzahlen erheblich verringert haben. Das heißt, Investitionen sind zur Zeit die Voraussetzung des Wegfalls von Arbeitsplätzen.
Regierungsamtliche Interpretationen wie beispielsweise die lapidare Aussage, die Zahl der Arbeitslosen sei weniger stark gestiegen als angenommen, versuchen im Grunde genommen nur die Massenarbeitslosigkeit von 3 Millionen zu verschleiern.
({1})
Die ständige Aussage vom Aufschwung mag für die Industrie gelten; die bestehende Massenarbeitslosigkeit und den hohen Sockel der Jugendarbeitslosigkeit beseitigt sie nicht. Deshalb stimmt auch das Zitat des Bundeskanzlers nicht, der sagte:
Die Rechnung, die manche aufmachen, lautet: Wir müssen besser leben und müssen weniger arbeiten.
Meine Damen und meine Herren, wir alle leisten zur Zeit mit weniger Arbeitnehmern immer mehr. Ständige Steigerung der Produktivitätszuwachsraten und ständiges Wachstum, wenn auch zur Zeit geringer als in den vergangenen Jahren, beweisen das. Insofern geht es darum, ständiges Mehrleisten von immer weniger Arbeitnehmern wieder auf mehr Schultern gerechter zu verteilen.
({2})
Mehr Arbeitsplätze bedeuten gleichzeitig auch mehr Ausbildungsplätze. Und damit werden in beträchtlichem Maße die Lebenschancen der jungen Generation verbessert. Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit werden von den Jugendlichen genommen. Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist insbesondere für junge Menschen besonders schwerwiegend. Sie verursacht nicht wiedergutzumachende Schäden, so auch Fluchtreaktionen in Alkohol, Drogen, Kriminalität, allgemein zunehmende Aggressivität oder kaum wiedergutzumachende negative Erfahrungen mit unserer Gesellschaft.
Die Bundesregierung kann sich bei diesen Tatsachen nicht der Verantwortung entziehen. Das Attribut der Familienfreundlichkeit kann sie so lange nicht beanspruchen, wie die negativen Rückwirkungen auf die Familien vorhanden sind. Die Bundesregierung sollte deshalb das Beihilfenprogramm zum Anlaß nehmen, das von der SPD-Opposition vorgeschlagene Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu verwirklichen, dessen wesentlichste Maßnahmen bekannt und hier schon debattiert worden sind.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist positiv. Seine Geltungsdauer sollte verlängert und die Maßnahmen weiter angereichert werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Dies alles bringt mehr als der von Ihnen eingeleitete Abbau des Jugendarbeitsschutzgesetzes, den man, wenn man es hart formuliert, nur als Racheakt an der nachfolgenden Generation betrachten kann. - Meine Damen und Herren, diese meine Anmerkungen mußten im Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt gemacht werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat das Sofortprogramm der SPD als die einzige Möglichkeit herausgestellt, sich aber in seinem Vortrag selbst widersprochen, wenn er feststellt, daß die angelaufenen Programme - sowohl das Sofortprogramm als auch das Benachteiligtenprogramm - nicht voll ausgeschöpft sind. Sie sehen daran, daß in der Tat diese staatlichen Programme nicht so ziehen, wie Sie das gerne sehen möchten. Wir setzen mehr - und Sie haben es selbst gesagt - auf Investitionsbereitschaft und auf eine Verbesserung der Beschäftigungslage. Trotz des saisonalen Abschwungs im Winter 1983/84 stellen wir trotzdem eine Verbesserung fest, insbesondere auch regional, bei der Beschäftigungslage der Jugendlichen.
Die Dramatisierung, die Sie im Hinblick auf den Ausbildungsmarkt eben wieder inszenieren, paßt in das Bild, das Sie ja schon seit der Wahl im März des vergangenen Jahres inszeniert und angeheizt haben. Ich sage bewußt „angeheizt", weil es den Bemühungen des Bundeskanzlers gelungen ist, daß die Wirtschaft, der Handel und das Handwerk, aber auch die freiberuflich Tätigen das Wort gegeben haben. Ich meine, er hat hier mit Vertrauen, Hoffnung und Zuversicht bei der Jugend das Wort so weit eingelöst, daß wir, was das Ausbildungsplatzangebot anlangt, von einem Rekordergebnis ausgehen können.
({0})
Es ist ein hervorragendes Ergebnis in Gemeinschaftsarbeit - ich sage ganz bewußt: in Gemeinschaftsarbeit - von Unternehmern, Betriebsräten, Handwerksmeistern, Einzelhändlern sowie Bürgern in freien Berufen.
({1})
Sie wollen diese einmalige Leistung, diesen Kraftakt, durch eine gezielte Kampagne unter den Tisch reden; das ist Ihr Beitrag aus der Opposition heraus.
({2})
Meine Damen und Herren, damit helfen wir keinem Jugendlichen, im Gegenteil, wir verunsichern die Jugendlichen um so mehr. Es ist schon ein erstaunlicher Vorgang - das muß ich feststellen -, den man hier erlebt, wie das positive und beispielhafte Ergebnis der Leistung aller an der Ausbildungsplatzsituation Beteiligten ins Gegenteil verkehrt werden soll; aber es gelingt Ihnen nicht.
({3})
- Ja, Herr Kuhlwein, das ist bei Ihnen das Problem, daß Sie mit Zahlen operieren, bei denen ich die Quellen nicht finden kann, aus denen Sie sie aufbereitet haben.
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Man kann sich auch Zahlen aus den Fingern saugen. Anscheinend ist das bei Ihnen der Fall; denn jeder kritische Beobachter, auch wenn er noch so kritisch ist, weiß, daß mit dieser Marke von 700 000 Ausbildungsplätzen ein Rekordergebnis erzielt wor3356
den ist, ein Ergebnis von nie dagewesener Größe, das den Jugendlichen zur Verfügung stand.
({5})
Insofern ist die Kritik am Bundeskanzler völlig abwegig und trifft letztlich diejenigen - ich sage das noch einmal -, die alles getan haben, um das Ausbildungsplatzangebot um mehr als 7,3%, bezogen auf das Ergebnis des Jahres 1982, zu erhöhen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe leider nur wenig Zeit.
Gut, es ist Ihre Entscheidung.
Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
Wer diesen Tatbestand, von dem ich gesprochen habe, unter den Tisch kehren will, stört nicht nur empfindlich die Stimmungslage bei den Unternehmern, den Händlern und Handwerkern, sondern zerstört zugleich die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, um die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt in diesem schwierigen Jahr 1984 zu lösen. Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, weiß genau, daß wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um im Jahre 1984 auch nur halbwegs ein ähnliches Ergebnis zu erreichen. Wer an die Stelle der bereiten Kräfte - und die Kräfte waren bereit, das hat sich an der genannten Zahl erwiesen - wieder staatliche Programme setzen will, der kann nicht erwarten, daß Ausbildungsplätze auf dem Markt zustande kommen. In diesem Falle löst das eher Desinteresse und vielleicht den Mitnahmeeffekt aus und kann sogar zur Resignation führen. Wir treffen damit, meine Damen und Herren, die Jugendlichen, nicht die, die sich hier in der Diskussion gegenseitig bessere Rezepte vorwerfen, sondern die Jugendlichen, die auf einen sinnvollen Einstieg in die Berufswelt warten. Die Dinge werden von Ihnen einfach auf den Kopf gestellt. Ich muß hier noch einmal einige Zahlen nennen. Wenn man die Zahl der noch nicht vermittelten Jugendlichen zum Maßstab nimmt - sie liegt ja zwischen 25 000 und 30 000 und muß natürlich auch so fortgeschrieben werden, wie Sie Ihre Zahlen auf der Sollseite fortschreiben - ({0})
- Nein, es sind nach dem letzten Stand zwischen 25 000 und 30 000. Sie wollen Ihre Zahlen als Maßstab für Ihre Kampagne aus der Opposition heraus nützen.
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen. Die Zahl der nicht vermittelten Jugendlichen liegt weit unter der der Vorjahre. Lesen Sie einmal den Berufsbildungsbericht aus dem Jahre 1983. Dann stellen Sie fest, daß sich diese Zahl zugunsten der Jugendlichen verbessert hat. Ich nehme die beiden letzten
Jahre. Hören Sie gut zu. 1981 lag die Zahl der unvermittelten Bewerber bei 22 140; 1982 waren es sogar 35 991, prozentual also weitaus mehr als 1983. Hinzu kommt - das ist das Entscheidende, das Sie in der Diskussion völlig außer acht lassen - der geringe Druck, der im Jahre 1981 auf dem Ausbildungsmarkt herrschte. Es suchten 100 000 weniger einen Ausbildungsplatz, meine Damen und Herren.
({1})
Das muß man doch sehen. 100 000 weniger suchten einen Ausbildungsplatz! Die Negativzahlen von 22 000 im Jahre 1981 und von 35 000 im Jahre 1982 sind Ihre Bilanz. Das muß man Ihnen sagen.
Meine Damen und Herren, diese Argumentation schließt sich lückenlos an Ihre Panikmache an. Im Mai vergangenen Jahres sprachen Sie von 100 000, die nicht versorgt werden sollten. Das begann mit dem März-Termin der Wahl. Es waren zuerst 100 000; dann gingen Sie auf 80 000 herunter; nachher waren es nach Ihrer These noch 60 000.
({2})
- Sie sind im zuständigen Ausschuß und greifen so etwas unkritisch auf und haben dies zu Ihrer Argumentation verbreitet. Das zeigt, daß Sie nicht mitdenken, Herr Kuhlwein, wie Sie soeben mir unterstellten.
({3})
Meine Damen und Herren, ich darf für diese Argumentation als Beispiel anführen, daß Sie uns trotz der frühen Initiative der CDU/CSU unterstellen, wir stünden dieser Frage lax gegenüber. Wir nehmen dieses Problem ernst. Für uns ist die Arbeitsmarktfrage, vor allen Dingen die Ausbildungsplatzfrage für Jugendliche das Thema Nummer 1.
({4})
Ich kann Ihnen sagen, ich habe manches Thema, das hier beredet, besprochen und hochgezogen wird, nicht verstehen können vor dem Hintergrund dieser existentiellen Frage für die Jugendlichen. Das ist für uns das Thema Nummer 1 des Jahres 1984; hoffentlich auch für Sie.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein, ich kann die Zwischenfrage leider nicht zulassen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte weiter ausführen, daß durch die Szene, durch die Dramatik, die Sie heraufbeschworen haben, möglicherweise Verwirrung gestiftet wurde. Ich freue mich, daß Frau Ministerin soeben von der Meldekartei sprach, die von Ihnen, Herr Weisskirchen, mißverstanden wurde. Die Frau Ministerin hat nicht von
Mehrfachbewerbungen gesprochen, die hier eingetragen werden sollen, sondern von „Mehrfachverträgen". Es ist doch selbstverständlich, daß sich der Jugendliche im Markt mehrfach bewerben kann.
({1})
Es ist sogar unser Wunsch, daß er sich im Markt bewährt. Auch in der Bewerbung. Es handelt sich um die Verträge. Ich glaube, darüber sind wir uns doch einig, daß das eine Hilfe zur Solidarität unter den Jugendlichen ist. Ihr Verwirrspiel hat aber sehr wahrscheinlich dazu geführt, daß die 10 000 bis 15 000 Ausbildungsplätze, die noch zur Verfügung stehen, in der Bewerbung nicht so an- und aufgenommen wurden.
({2})
- Doch, das kann beim Jugendlichen Unsicherheit erzeugen, wenn man Angst ausstreut, wenn man nicht Vertrauen bildet. Das haben Sie wahrscheinlich mit Ihrer ständig von Hysterie begleiteten Szenerie erreicht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen für das Jahr 1984 730 000 Ausbildungsplätze. Das ist eine Marke. Wir sollten gerade beim Thema Bildung in dieser Stunde einmal überlegen: Was ist denn zu tun? Mit der Negativdiskussion, wie Sie sie führen, motivieren Sie keinen Handwerker, keinen Händler und keinen mittelständischen Betrieb, so weiterzumachen, wie er das im Jahre 1983 getan hat. Das können wir nur schaffen, wenn wir eine Atmosphäre, ein Klima schaffen, das durch Vertrauen auch Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze für das Jahr 1984 bewirkt.
Es gibt Beweise dafür, auch in Ballungsrandsituationen des Landes Nordrhein-Westfalen, daß gerade in der mittelständischen Wirtschaft, was die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für Mädchen angeht, diese in einem ungewöhnlichen Maße angezogen hat, z. B. bis zu 25% in kaufmännischen Berufen. Es ist nicht so, daß all die Ausbildungsplätze, die bereitgestellt und nicht in Anspruch genommen wurden, im Bayerischen Wald liegen. Das stimmt einfach nicht. Hier gibt es nach wie vor Angebote, die nicht wahrgenommen wurden.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen: Wir sind bereit, für Randgruppen, für Problembereiche staatliche Maßnahmen, wie sie hier soeben auch Herr Staatssekretär Vogt noch einmal dargestellt hat, einzuführen und sie auch weiter vorzuhalten. Wir sind allerdings der Meinung, daß wirkliche Hilfe nur über ein Höchstmaß an Zuspruch seitens der Wirtschaft geleistet werden kann. Danach wünsche ich eigentlich der Frau Minister, daß sie mit dem Erfolg hat, was Sie kritisch zu ihrer Tätigkeit gesagt haben. Sie haben nämlich gesagt, sie arbeite auf Hinwendung und Zuwendung hin. Mancher Meister hat mehr Zuwendungsempfinden als der eine oder andere Hauptschullehrer.
({3})
Das ist manchmal sehr hilfreich. Das Defizit der Zuwendung an den Gesamtschulen brauchen wir hier sicherlich nicht ins Feld zu führen.
Hinwendung und Zuwendung sind eine ganz wichtige Frage. Wenn die erfolgreiche Politik der Bundesregierung durch unsere Ministerin dazu führt, daß aus Hinwirkung Wirkungen auf dem Ausbildungsmarkt erzeugt werden, sind wir auch 1984 ein Stück weiter. Dabei unterstützen wir die Ministerin.
({4})
Herr Abgeordneter, ich darf bitten, zum Schluß zu kommen.
Mit der Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion läuten wir eine erste Runde ein. Wir warten nicht auf den Bericht, sondern behandeln diese Frage bereits in der ersten Plenarsitzung des neuen Jahres. Wir werden sicher in den nächsten Wochen Gelegenheit haben - hoffentlich mit weniger Dramatik und Polemik -, besonnen, vertrauensvoll und produktiv dem Anliegen der Jugend Nachdruck zu verleihen.
Schönen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 10/872 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, es ist hier oben nicht genau festzustellen. Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0})
Gegenstimmen? - Enthaltungen'? - Der Antrag ist angenommen.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/889 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Für den Antrag des Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/892 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen.
Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 3 schlägt der Ältestenrat vor, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 10/857 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialord3358
Vizepräsident Wurbs
nung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Haushaltsausschuß.
Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 5 auf:
4. Beratung des Berichts der Bundesregierung gemäß der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1982
- Drucksache 10/526 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
5. Beratung des Fünften Berichts der Bundesregierung nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2
- Drucksache 10/835 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({2}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Zu Tagesordnungspunkt 5 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 10/890 - vor.
Für die Tagesordnungspunkte 4 und 5 ist gemeinsame Beratung und Aussprache von eineinhalb Stunden vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zu dem Bericht der Bundesregierung gemäß der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1982 einige Ausführungen machen. Lassen Sie mich noch einmal die Rechtsposition der Bundesregierung verdeutlichen. Die Regelung der Schülerausbildungsförderung ist im Katalog der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz des Art. 74 des Grundgesetzes enthalten. Es ist das Wesen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz, daß sie den Bundesgesetzgeber nicht verpflichtet, von der ihm durch Art. 74 des Grundgesetzes den Ländern gegenüber eingeräumten Kompetenz Gebrauch zu machen.
Eine Pflicht des Bundes zur Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes kann auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 hergeleitet werden, wie das Bundesverfassungsgericht ausführlich dargelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat auch in einer anderen Entscheidung ausgeführt, daß das
Sozialstaatsprinzip keine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung sozialer Rechte enthält. Der Bund ist somit nicht verpflichtet, im Bundesausbildungsförderungsrecht seit dem Jahr 1969 enthaltene Leistungen auf Dauer auch dann in vollem Umfang aufrecht zu erhalten, wenn ein Teil dieser Leistungen nicht mehr finanzierbar ist.
Bei dieser Rechtslage und bei der von der früheren Bundesregierung hinterlassenen katastrophalen Finanzlage hat sich die Bundesregierung klar entschieden, ihre Mittel für den Schulbereich auf die notwendigerweise durch Ausbildungskosten besonders hoch belasteten Familien zu konzentrieren, die individuelle Ausbildungsförderung im übrigen aber als Aufgabe der Länder anzusehen, die ja auch für Schülertransportkosten, Beihilfen für Lernmittel und dergleichen zuständig sind. Nach Auffassung der Bundesregierung müssen die knappen finanziellen Mittel für Schülerförderung in Bund und Land zielgerichtet und abgestimmt eingesetzt werden.
Die meisten Bundesländer stimmen dieser Beurteilung der Bundesregierung zu. Bisher haben sieben Länder eine eigene Regelung für die Schülerförderung erlassen, nämlich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. In Nordrhein-Westfalen wurde gerade gestern ein Entwurf vorgelegt. Die Grundzüge dieser Länderregelungen hat die Bundesregierung in ihrem Bericht dargestellt; ich verweise darauf. Hierbei wird deutlich, daß Unterschiede in den Länderregelungen bestehen. Aber wir sehen die Entwicklung in den Ländern auf dem Gebiet der Schülerförderung noch keineswegs als abgeschlossen an, und wir hoffen, daß auch die Länder Hessen und Bremen dem Beispiel anderer Länder folgen und entsprechende Regelungen einführen, was sie bisher nicht getan haben.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Länderregelungen für die Förderung ihrer Schüler sieht die Bundesregierung es nicht als ihre Aufgabe an, eine bundesgesetzliche Regelung vorzuschlagen, für die allein die Länder finanziell einzustehen hätten. Auch der Bundesrat hat eine dementsprechende Initiative nicht ergriffen. Ich stelle überhaupt fest, daß die Bundesregierung in ihrer Position von der Mehrheit des Bundesrates unterstützt wird.
({0})
Es gibt Kritiker, die in dem von der Bundesregierung jetzt vorgelegten Bericht Zahlen über den Finanzaufwand vermissen, Zahlen also über Gelder, die in den Ländern durch die Bundesregelung frei geworden sind. Ich will in diesem Zusammenhang gerne einige Zahlen nennen. So hat z. B. das Land Nordrhein-Westfalen 1983 durch die erwähnte Regelung 28,8 Millionen DM freibekommen;
({1})
1984 wird Nordrhein-Westfalen fast 87 Millionen DM freibekommen.
({2})
Diese Beträge entsprechen dem Anteil an den Einsparungen, die durch die Einschränkungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes eintreten. Für Hessen, das bisher noch keine eigene Regelung vorgelegt hat, sind im Jahre 1983 7 Millionen frei geworden; im Jahre 1984 werden 21 Millionen DM frei.
Meine Damen und Herren, bereits im November 1982 habe ich im Bundesrat ausführen können, daß ich es für einen Fehler halte, bei der Konzipierung des BAföG im Jahre 1970 dieses Gesetz nicht von vornherein in eine Gesamtregelung zum Familienlastenausgleich eingebunden zu haben.
({3})
Ich denke, es besteht jetzt eine Chance, dieses Versäumnis nachzuholen.
({4})
Die Bundesregierung erarbeitet zur Zeit eine Gesamtkonzeption des Familienlastenausgleichs. Daß wir einige Zeit benötigen, um eine solide Konzeption vorzulegen, versteht sich, glaube ich, von selbst. Im Rahmen einer Neukonzeption des Familienlastenausgleichs sollen auch die Ausbildungslasten gemildert werden.
Heute lassen sich einige Leitgedanken dazu formulieren: So ist aus meiner Sicht darauf zu drängen, daß bei den Entlastungsmaßnahmen für die Familien nicht nur an die Familie mit kleinen Kindern gedacht wird, sondern daß auch die Ausbildungslasten für die heranwachsenden Kinder berücksichtigt werden. Ich gehe davon aus, daß das sogenannte duale System im Familienlastenausgleich, nämlich der indirekten Entlastungen im Steuerrecht und der direkten Leistungen vor allem im unteren Einkommensbereich, prinzipiell erhalten bleibt. Ich halte es für erforderlich, daß dabei nach den unterschiedlichen finanziellen Belastungen während der Ausbildungsphase differenziert wird.
Meine Damen und Herren, durch die Neuregelungen im Bereich der Schüler- und Studentenausbildungsförderung ist das BAföG auch mittelfristig, in der mittelfristigen Finanzplanung durch den Bund finanziell wieder sauber und haltbar abgesichert. Ich möchte hier noch einmal betonen, daß das BAföG im Zeitpunkt der Regierungsübernahme im Oktober 1982 finanziell nicht mehr sauber abgesichert war.
({5})
- Nein, es ist j a nicht Null, Herr Kollege Kuhlwein, das wissen Sie so gut wie ich. Bitte, verschonen Sie die Bevölkerung doch auch hier mit falschen Meldungen. ({6})
Ich möchte betonen, daß es die Politik der Bundesregierung ist, zur Stetigkeit in der Leistung auf diesem Gebiet beizutragen und die Verläßlichkeit in der Prognose und der Planung für Schüler, Studenten und Eltern wieder zu gewährleisten. Das geht, so denke ich, auch aus dem Fünften Bericht der Bundesregierung nach § 35 BAföG eindeutig hervor.
Die Bundesregierung macht in ihrem Anpassungsvorschlag deutlich, daß das BAföG in dem jetzt erreichten Zuschnitt wieder solide finanziert ist und auch wieder, wie es dem Grundkonzept des Gesetzes entspricht, den Veränderungen der Lebenshaltungskosten zeitgerecht angepaßt werden kann. Deshalb schlägt die Bundesregierung im Fünften Bericht vor, die Freibeträge zum Herbst 1984 um vier Prozent anzuheben, was in Verbindung mit der Zwischenanpassung im Herbst 1983 einen vollen Ausgleich des Lebenshaltungskostenanstiegs bedeutet; denn ich darf daran erinnern, daß dank der guten Politik dieser Bundesregierung der Lebenshaltungskostenanstieg minimiert werden konnte. Das wird nämlich auch immer vergessen.
({7})
Insoweit hängt eben auch eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik mit den Ausbildungsleistungen für junge Menschen zusammen.
({8})
Der Freibetrag für das Elternpaar wird von derzeit 1 450 DM auf 1 510 DM im Herbst 1984 und auf 1 540 DM im Herbst 1985 angehoben. Zur Verstetigung der Förderungsleistungen ist bei den Freibeträgen ferner eine Zwischenanpassung um zwei Prozent - ich sagte es - im Herbst 1985 vorgesehen.
Die Bedarfssätze sollen im Herbst 1984 um durchschnittlich vier Prozent erhöht werden. Damit wird beispielsweise ein auswärts untergebrachter Student einschließlich Krankenversicherung je nach Höhe seiner Mietkosten bis zu 780 DM Förderung monatlich erhalten können. Es ist also nicht wahr, Herr Kollege Kuhlwein, wenn in der politischen Polemik häufig behauptet wird, Studenten bekämen heute keine Förderung mehr. Das stimmt doch einfach nicht.
({9})
Ein Student wird also unter den Bedingungen, die ich genannt habe, bis zu 780 DM Förderung monatlich erhalten können. Soviel können viele Eltern, deren Kinder nicht unter die BAföG-Regelung fallen, ihren Kindern während der Zeit ihres Studiums an Unterhaltsleistungen nicht zukommen lassen. Auch das muß immer wieder gesagt werden.
({10})
Den jetzt vorliegenden Anpassungsvorschlag der Bundesregierung halte ich daher für angemessen und ausreichend, in Anbetracht auch der gesamten finanzpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Lage für einen sehr beachtenswerten Beitrag und eine sehr gute Leistung der Bundesregierung auf sozialem und bildungspolitischem Gebiet.
Lassen Sie mich noch einige wenige Sätze zur Ausbildungsförderung für Studenten sagen. Die
Bundesregierung hat ja mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 - mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen verabschiedet - die Studentenförderung voll auf Darlehen umgestellt. Die Geförderten werden also somit an der Finanzierung ihrer besonders qualifizierten Ausbildung beteiligt. Unter der Beibehaltung der Einkommensabhängigkeit sichern sie mit der Rückzahlung langfristig das System staatlicher Ausbildungsförderung. Diese jungen Studenten tragen somit auch dem Grundgedanken der Solidarität zwischen den Generationen Rechnung.
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Vergessen wir nie, daß Studenten, aber auch Lehrlinge und junge Fachkräfte ihre Förderung erhalten wollen. Auch hier muß ein horizontaler Ausgleich, muß der Gedanke der Solidarität zur Geltung kommen. Was ich dem einen an Darlehen gewähre, kann ich dem anderen nicht verwehren. Ich kann nicht dem einen ein Stipendium geben und dem anderen gar nichts. Damit schädigen wir auch die jungen Menschen, die den Weg der beruflichen Bildung gehen. Das ist nicht unsere Absicht.
({12})
Meine Damen und Herren, wir wollen den Leistungsgedanken bei der Förderung der Studentendarlehen dadurch stärken, daß dem Auszubildenden, der nach dem Ergebnis der Abschlußprüfung zu den ersten 30 % der Geförderten eines Examensjahres gehört, auf Antrag 25 % des Darlehens erlassen werden. Diese Regelung stärkt die Mitverantwortung der Geförderten und fordert sie zu besonderen Leistungen heraus. Mit der Verordnung über den leistungsabhängigen Darlehensteilerlaß, die kürzlich auch im Bundesrat verabschiedet wurde, hat die Bundesregierung Neuland betreten. Das wissen wir, und dazu stehen wir. Deshalb bedarf es hinsichtlich der Verordnung auch der Absicherung und Überprüfung. Die Bundesregierung ist sich mit dem Bundesrat voll darin einig, daß ein Evaluierungsbericht über den Start dieser Verordnung und über die Erfahrungen, die mit dieser neuartigen Verordnung gemacht werden, vorgelegt wird. Ich bin sicher, daß Bund und Länder gemeinsam diesen leistungsorientierten Erlaß eines Darlehensteils zugunsten der bedürftigen begabten Studenten in der Verwaltungspraxis umsetzen werden. Meine Damen und Herren, es muß doch möglich sein, besondere Leistungen auch durch besondere Darlehenserlaßregelungen zu honorieren,
({13})
auch wenn man sich über den Weg dahin vielleicht noch unterhalten muß, wenn Erfahrungen vorliegen.
Die Umstellung der Ausbildungsförderung auf Darlehen bei Studenten stößt gelegentlich immer noch auf Kritik. Aber ich sage: Die Kritik wird zunehmend leiser, auch in studentischen Kreisen. Für die Behauptung, die sicherlich nachher auch hier in diesem Hause aufgestellt werden wird, das Darlehen wirke bei der Entscheidung für ein Studium abschreckend, sieht die Bundesregierung allerdings keine Gründe. Zwar drängen Abiturienten vermehrt auf betriebliche Ausbildungsplätze, es gibt aber keinen stichhaltigen Ansatzpunkt dafür, daß dies eine Folge der Umstellung der Ausbildungsförderung auf Darlehen ist. Im Gegenteil: Die Abiturienten suchen diese Alternative der praktischen Ausbildung aus arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Gründen. Ich nenne hier nur das Stichwort „Lehrer".
Auch das von der Opposition gern zitierte Gutachten von Professor Dr. Noll, das er im Auftrag des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft erstattet hat, zeigt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß mit der Umstellung der BAföG-Förderung für Studenten auf Darlehensbasis ein Rückgang des Anteils von Arbeitskindern an Hochschulen einsetzt. Vielmehr ist aus seinem Gutachten das Gegenteil zu folgern. Aus seiner Analyse ergibt sich nämlich, daß der Besuch weiterführender Schulen durch Arbeiterkinder nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit ihrer Eltern abhängt. Das Gutachten ist ein Beleg dafür, daß finanzielle Ausbildungsförderung nur ein sehr bedingt taugliches Mittel ist, um den Anteil der Arbeiterkinder am Besuch weiterführender Schulen zu steigern. Wir wissen, daß andere Gründe dominieren.
Meine Damen und Herren, die bisherigen Erfahrungen mit den Veränderungen in der Ausbildungsförderung haben gezeigt, daß die notwendigen Einsparungen nicht zu der von der Opposition prognostizierten totalen Verhaltensänderung in der Bildung geführt haben. Neue Formen der Förderung, z. B. das Darlehen bei Studenten, werden täglich mehr akzeptiert, im übrigen auch deshalb, weil dies im Ausland seit eh und je üblich ist.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit abschließend noch einmal betonen und wiederholen: Die Verbesserung des Familienlastenausgleichs und die Systematisierung der Länder-Schülerförderung werden mit dazu führen und sollen dazu führen, daß noch vorhandene Unebenheiten in der Ausbildungsförderung in der nächsten Zeit oder in den nächsten Jahren beseitigt werden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zwei Berichte zu diskutieren, deren einer wiederkehrend ist, nämlich der Fünfte Überprüfungsbericht, und deren anderer eine Situationsanalyse auf Grund eines Antrags geben soll, der von diesem Bundestag ausgegangen ist. Ich möchte gerne die Anregung des Kollegen Weisskirchen aufgreifen, diesen Bericht nun nicht zum Anlaß zu nehmen, hier nur Weißwäsche zu betreiben und zu sagen, alles, was die Regierung tut, ist gut. Ich würde mich allerdings freuen, wenn die Kollegen der SPD nachher ebenso verführen und nicht einfach nur so
tun, als ob alles schlecht sei, was von dieser Regierung getan wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß die Diskussion dieser Berichte - wir wollen die Berichte ja nicht wiederkäuen - Anlaß gibt, ein bißchen bildungspolitische Perspektiven zu diskutieren. Da ist zunächst einmal der finanzpolitische Aspekt, weiter der hochschulpolitische Aspekt, der mir sehr wichtig erscheinende weiterbildungspolitische Aspekt und der schulpolitische Aspekt.
Ich darf mit dem finanziellen Aspekt beginnen. Die Erkenntnis, daß uns finanzpolitische Grenzen gesetzt sind, ist ja nicht neu. Die Erkenntnis hat sich in den fünf Berichten sehr deutlich widergespiegelt, die wir früher hier vorgetragen bekommen haben. Ich erinnere stichwortartig nur an den Darlehensanteil, der 1974 eingeführt werden mußte, an die Zuwachsbegrenzung auf 2,4 Milliarden DM, die deutlich gemacht haben, daß bei wachsenden Lebenshaltungskosten, bei wachsenden Schülerzahlen, bei wachsenden Studentenzahlen und begrenzten Staatsfinanzen ein weiteres Wachstum nicht möglich war. Ich erinnerte an die Siebente BAföG-Novelle mit der Eingrenzung des Berechtigtenkreises, und ich erinnere an das Zweite Haushaltsstrukturgesetz - alles bereits vor dieser Regierung geschehen.
Das, was durch diese Regierung vorgenommen werden mußte, ist im Grunde genommen nur, die Konsequenz aus einer längst gesehenen Entwicklung zu ziehen. Diese Konsequenz war zunächst einmal, daß auch die Bildungspolitik einen Beitrag zur Gesamtkonsolidierung der Finanzen zu leisten hat. Die Frau Minister hat es gerade gesagt: Das Absenken der Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten ist natürlich auch ein ganz wesentlicher Beitrag, um die Kosten der Schule und der Universität besser tragen zu können.
Das zweite und wesentliche ist aber das Anliegen, einen durchhaltbaren Kern zu retten. Was ist nun der Kern der Chancengleichheit? Ich erinnere mich mit Vergnügen, daß wir im Ausschuß - Frau Schmidt, Sie werden sich daran erinnern - schon einmal genau über den sozialen Kern des BAföG diskutiert haben. Ich glaube, der soziale Kern des BAföG ist der, daß jeder studieren kann, der will. Das Studium ist ja eine Bildungsinvestition. Es hat einen Robinson-Effekt. Sie kennen die bekannte Geschichte der Volkswirtschaftler, daß Robinson tagelang beim Fischen mit der Hand zubringt und schließlich zwei Tage lang hungert, um mit dem Netz, das er derweilen knüpft, mehr Fische fangen zu können. Der Vergleich hinkt gewaltig, vor allem deshalb, weil es sich beim Studium nicht um Tage, sondern um viele Jahre handelt, die man eben nicht hungern kann. Der eine setzt nun vorgetane Arbeit ein, nämlich Geld seiner Eltern oder das, was er selbst verdient hat, der andere aber - das ist der soziale Kern des BAföG - erhält die Möglichkeit, die Jahre des Studiums zu überdauern, auch wenn ihm dieses Geld nicht zur Verfügung steht.
Nur ist die Frage die - die hat sich im Hochschulbereich gestellt -: Wie soll das geschehen? Denn es ist irgendwie ungerecht, wenn speziell in der Grenzgruppe, die Sie, Frau Minister, angesprochen haben, viele heute nicht mehr in der Lage sind, von ihren Eltern die Summen zu bekommen, die über das BAföG gewährt worden sind, und die jetzt selber ein Darlehen aufnehmen oder durch Ferienarbeit etwas verdienen müssen. Es war ein außergewöhnliches Gefälle zwischen diesen und denen, die einen Zuschuß bekommen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umstellung auf das Volldarlehen war notwendig. Ich sehe in meinen Sprechstunden im Wahlkreis, daß diese Umstellung viel stärker akzeptiert worden ist, als man in politischen Debatten gemeinhin noch glaubt. Jedenfalls ist es so, daß die Berechtigung, Darlehen zu beziehen, heute genauso begehrt ist wie früher die Berechtigung, den Zuschuß zu bekommen. Die Studenten wissen ja doch ganz genau um den Vorteil eines zinslosen Darlehens. Sie wissen um die Vorzüge der Nachlässe, die gewährt werden können. Sie wissen um die Vorzüge des Rückzahlungsmodus. Damit sind sie bessergestellt als diejenigen, die ein verzinsliches Darlehen aufnehmen müssen. Die 120 DM, die zurückgezahlt werden müssen, sind viel weniger als das, was jemand zur Tilgung eines verzinslichen Darlehens aufwenden muß. Schließlich ist die Staatsbürgerschaft vorhanden, und es werden diejenigen freigestellt, die nun einfach nicht das verdienen, was sie für die Rückzahlung benötigen.
Sehr wesentlich ist, daß inzwischen auch die Anpassung der Bedarfssätze wieder möglich geworden ist. Wenn der BAföG-Beirat gesagt hat, es sei am Minimum, so drückt er damit sehr deutlich aus: Es bewegt sich eben in der Bandbreite zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was wünschenswert ist; es befindet sich eben genau an der Stelle des Notwendigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde aber sehr gerne auch noch eine Zukunftsperspektive mit in die Diskussion einbringen. Sie wissen, daß der Strukturbericht des deutschen Bildungswesens einen großen Wert auf das lebenslange Lernen gelegt hat. Er war sehr vorausschauend mit diesem Begriff. Weiterbildung ist nicht nur von der Nachfrage her - in der Zukunft vom technischen Wandel her - unerläßlich, sondern wird in den 90er Jahren auch vom Angebot her sehr viel stärker möglich sein, da unsere schönen Einrichtungen des tertiären Bereichs nicht gerade Leerstehen werden, aber wenn die geburtenschwachen Jahrgänge einrücken, werden sich die Hochschulrektoren genauso um die geburtenschwachen Jahrgänge bemühen wie sich heute die Gymnasialrektoren und die Realschulrektoren und die Hauptschulrektoren um die geburtenschwachen Jahrgänge streiten.
Ich möchte auf etwas Interessantes hinweisen. - Herr Kuhlwein ist im Moment nicht da. - Wir waren ja in den USA. Dort gab es zehn Jahre früher eine Geburtenwelle, und dort ist das bereits eingetreten. Es zeigt sich, daß die Universitäten heute in hohem Maße Weiterbildungsfunktionen übernommen haben. Ich glaube, wir müssen schon heute daran denken, daß Chancengleichheit auch bei der
Weiterbildung wird gewährt werden müssen. Dabei denke ich etwa an Frauen, die ihre Kinder großgezogen haben und nun wieder einsteigen wollen, die ihren Beruf wechseln wollen. Wenn wir die Chancengerechtigkeit bei der Weiterbildung wahren wollen, dann wird es im Grunde genommen nichts anderes geben als das Darlehensmodell, auf dem wir diese Weiterbildungsmöglichkeit aufbauen können. Hätten wir für die geburtenstarke Generation bereits alles durch reine Zuschußförderung verbraten, dann wäre das nicht möglich. Wenn wir aber die Rückflüsse aus den Darlehen der geburtenstarken Jahrgänge haben, dann, meine ich, wird dies in den 90er Jahren für den Weiterbildungsbereich eine große Chance bieten.
Frau Schmidt, ich will mich nicht davor drücken, den Bereich der Schule zu erörtern. In der Tat ist es natürlich so: Es ist nicht nur eine Frage des Studiums, sondern auch eine Frage der Hochschulreife, wie ich ein Ausbildungsziel erreichen kann. Hier ist nun die entscheidende Frage: Haben die Kürzungen dazu geführt, daß die Chancengerechtigkeit im Schulwesen eingeschränkt worden ist?
Frau Minister, Sie haben gesagt: Es ist merkwürdig, daß der Rückgang der Ausbildungsfinanzierung im Schulbereich offensichtlich nicht so stark ist. Ich glaube den Grund dafür zu kennen. Die Situation, daß den Familien, deren Kinder nur kosten, weil sie noch keine Einkünfte haben, Opfer abverlangt werden, ist ja durch das Schüler-BAföG weitgehend nicht beseitigt worden, weil bei den 18jährigen das Konto des Schülers angegeben werden mußte. Infolgedessen gelangte das Geld auf das Konto des Schülers, und das BAföG wurde weitgehend als Schüler-Taschengeld verwendet und eben nicht als Familienzuschuß.
Ich glaube, deshalb war es gar nicht so falsch zu sagen: Der Bund beschränkt sich auf die Fälle, in denen fixe Kosten entstehen, z. B. auswärtige Unterbringung, zweiter Bildungsweg. Dabei möchte ich konzedieren, daß man in diesem Rahmen diskutieren kann: Was gehört zum zweiten Bildungsweg und was nicht? Es hat seinen Sinn gehabt, den Ländern die Regelung bezüglich der Kostenerstattung zu überlassen. Die Kosten sind ja variabel, weil die Länder die Schülerbeförderung und die Lernmittelvergütung unterschiedlich regeln.
Ich möchte allerdings ganz ehrlich zugeben, daß da etwas schiefgelaufen ist. Zwar gehört unsere föderalistische Struktur absolut zu unserer Demokratie, und war haben etwas mehr Demokratie gewagt, indem wir nun das Subsidiaritätsprinzip angewandt haben. Aber leider hat sich zwischen den A- und B-Ländern wieder der alte Streit entfacht: Soll man noch die alte Bildungswerbung betreiben, oder soll man sich ein bißchen auf die Begabten konzentrieren, wenn es schon weniger Mittel gibt? Dieser Streit führt zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen, die es, wie mir scheint - ich bin dankbar, Frau Minister, daß Sie es angesprochen haben -, notwendig werden lassen, daß noch weitere Konsequenzen folgen. Ich meine, daß es absolut richtig wäre, im Rahmen des Familienlastenausgleichs hier den Ausgleich herbeizuführen.
Allerdings scheint mir als zweites ganz unerläßlich zu sein, daß die Länder in der Bildungspolitik ihrerseits schon etwas vorwegnehmen oder angehen, was in den 90er Jahren von selbst kommt, nämlich die sehr viel höhere Durchlässigkeit. Heute werden z. B. nur noch die Begabteren gefördert, und es wird immer Nachzügler geben, die etwas später über Weiterbildung nachkommen wollen. Ich zweifle überhaupt nicht daran, daß deren Zugangsberechtigung in den 90er Jahren eine relativ geringe Rolle spielen wird; aber man sollte es im Grunde genommen bildungspolitisch schon jetzt aufgreifen und sich nicht von den Ereignissen überrollen lassen. Aber auch hier - damit schließt sich der Zirkel - besteht wieder das Problem, daß für diese Weiterbildung im Hinblick auf die Chancengerechtigkeit Mittel zur Verfügung stehen müssen, und diese Mittel werden nun wieder durch die Rückflüsse aus dem Darlehensanteil vorhanden sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in Ausschüssen weiter über das Thema diskutieren. Ich würde mich tatsächlich sehr freuen, wenn, der Anregung des Kollegen Weisskirchen folgend, nicht nur die Kontroverse, die notwendig ist, sondern auch der weite bildungspolitische Durchblick dabei weiter diskutiert werden könnte.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und lieber Graf Waldburg-Zeil! Ich will gern versuchen, hier Berichte, wo immer es geht, auch zu loben. Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß es mir bei einem dieser Berichte in allen Punkten sehr schwer fällt; aber seien Sie versichert, an der einen oder anderen Stelle kommt auch ein Lob.
Der Bundestag hat der Bundesregierung am 16. Dezember 1983 drei Aufträge erteilt, Frau Dr. Wilms, die als Arbeitsaufträge und nicht als Aufforderung zu verstehen waren, uns hier juristische Kollegs zu halten.
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Es ist nämlich ganz eindeutig: Juristische Gründe gegen eine einheitliche Förderung bestehen keinesfalls.
Der erste Auftrag war - daran sollten wir uns noch einmal erinnern -: Die Bundesregierung soll bei Verhandlungen mit den Ländern darauf hinwirken, Familien mit niedrigem Einkommen bundeseinheitlich - das betone ich: bundeseinheitlich, nicht bundesgesetzlich - so zu fördern, daß Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können.
Welches Ziel hat der Bundestag damit verfolgt? Es ist jetzt keine andere Mehrheit als damals. Ich zitiere hier nur Stichpunkte aus Bemerkungen und Reden von FDP-Kollegen. Sie haben gesagt: Der Bund muß gewisse Grundsätze in der Ausbildungsförderung bundeseinheitlich festlegen, er muß für
Frau Schmidt ({1})
die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse sorgen,
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kein Rückfall in die Kleinstaaterei von einst!
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Wie hat die Bundesregierung diesen Auftrag erfüllt? Zuerst werden wir in dem Bericht ausführlich über den Art. 74 des Grundgesetzes belehrt, sodann wird uns mitgeteilt, daß es der Bundeskanzler begrüßt hat, daß die Länder verstärkt begabte Schüler fördern wollen und die Bundesregierung nach dieser Grundsatzentscheidung ihre Aufgabe nicht mehr im Herbeiführen - plötzlich wird unser Auftrag ein anderer - bundesgesetzlicher Regelungen sieht. Nachdem der Bundesrat auch keine Initiativen zu einheitlichen Regelungen ergriffen habe, wird dargestellt, welche Länderregelungen es gibt und daß diese nicht so uneinheitlich wären.
Liebe Kollegen aller Fraktionen, egal, welchen Standpunkt wir dabei haben, ich halte dies für einen sehr ernsten Vorgang. Die Mehrheit dieses Parlaments hat ihre Zustimmung zu der fast völligen Streichung des Schüler-BAföG unter der Voraussetzung gegeben, daß die Bundesregierung wirklich auf diese bundeseinheitlichen Regelungen hinwirkt. Diese Verhandlungen haben nicht stattgefunden - das steht in dem Bericht -, weil - ich zitiere - für eigentliche Verhandlungen kein Raum war. Ich frage mich und ich frage Sie: Welchen Stellenwert haben eigentlich Beschlüsse des Parlaments bei dieser Regierung?
Nun zu den bisherigen Ergebnissen der angeblich gar nicht so unterschiedlichen Regelungen. Insgesamt gibt es bisher sieben Regelungen. Weitere werden dazukommen. Meine Prognose eines NaföG, LaföG usw. ist nur insoweit zu korrigieren, als das von mir angekündigte SchlaföG in Schleswig-Holstein jetzt SHEBeihG heißt. Es gibt sieben bestehende Regelungen, wobei in diesem Jahr mit Sicherheit noch zwei Regelungen hinzukommen werden, Elternfreibeträge, die 1100, 1450, 1800 DM netto monatlich oder 28 000 DM brutto jährlich betragen und sich innerhalb von Bundesländern sogar noch nach dem Schultyp unterscheiden, Bedarfssätze für die gleiche Jahrgangsstufe von 100, 125, 150, 180, 200 oder gar 345 DM sowie eine Prüfung der Eignung, Neigung und Begabung, die sich entweder vernünftigerweise an den bisherigen Kriterien des BAföG orientiert oder - das ist gerade noch zu akzeptieren - auf die Beurteilung von Schulleitern, Klassenlehrern und Lehrerkonferenzen stützt. In Bayern werden die Begabungen aber so ermittelt - passen Sie gut auf -:
Die Bewertungen in den einzelnen Pflichtfächern sind zu addieren und durch die Gesamtzahl dieser Fächer zu dividieren. Die Berechnung wird grundsätzlich nach der ersten Stelle hinter dem Komma abgebrochen. Im Falle von Ranggleichheiten ist bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma zu rechnen.
Besteht bei der Einordnung nach den Nrn. 5.1.1
und 5.1.2 unter Beachtung der Regelung nach
Nr. 5.2.1 unter mehreren Schülern Ranggleichheit, so erhalten diese jeweils die gleiche Platznummer. Der nächste Schüler erhält die Platznummer, die sich ergibt, wenn die Schüler mit gleicher Platznummer fortlaufend weitergezählt werden.
Besteht in der Rangfolge eine Ranggleichheit an der Stelle, bis zu der die ersten 20 v. H. der Schüler reichen, so gelten alle, die sich an dieser Stelle die gleiche Platznummer teilen, als zu den ersten 20 v. H. gehörig.
So geht es noch lange weiter.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Ja, gerne.
Frau Kollegin, würden Sie in dieser Darstellung möglicherweise einen Beitrag arbeitsmarktpolitischer Art sehen, denn es bedeutet doch einiges, dies durchzuführen?
Ja, ich hätte es aber lieber für die Schüler verwendet.
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Lassen wir einen Hamburger Werftarbeiter mit drei Kindern nach Baden-Württemberg umziehen.
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- Kommt alles, Herr Rossmanith; nur keine Ungeduld. - Lassen wir einen Hamburger Werftarbeiter mit drei Kindern nach Baden-Württemberg umziehen. Mobilität wird von ihm verlangt. Sonst kann es ihm passieren, daß er des Arbeitslosengeldes verlustig geht. Lassen wir ihn ein Nettoeinkommen von rund 2000 DM haben. Eine Tochter, 17 Jahre alt, soll in die 12. Klasse gehen. Die beiden anderen Kinder gehen ebenfalls noch in die Schule. In Hamburg bekäme die Familie ca. 180 DM HAföG oder wie immer das dort heißt. In Baden-Württemberg, wohin sie jetzt zieht, bekommt die Familie entweder nichts, wenn die Tochter nicht ein Hamburger Zeugnis mitbringt, das sie zu den 15 % Besten in Baden-Württemberg - dort sind es 15 % - gehören läßt, oder sie erhält, falls die Tochter diese Voraussetzung erfüllt, 100 DM. Der Verlust für die Familie beträgt somit zwischen 80 und 180 Mark. Bei der Schule im benachbarten Ort kann es übrigens schon wieder ganz anders sein, weil dort die zwei Stellen hinter dem Komma unter Umständen höher oder niedriger sein können. In Hamburg bleiben kann die Tochter auch nicht, weil dann mindestens ein Elternteil ebenfalls dort bleiben müßte; sonst gibt es nämlich gar nichts mehr.
Lassen wir unseren Werftarbeiter einen Türken sein, der noch keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat. Wenn er nach Berlin zieht, bekommt er auf keinen Fall mehr etwas, weil er Ausländer ist. Zieht unser Werftarbeiter nach Bayern, bekommt er nichts, da sein Einkommen zu hoch ist. Zieht er
Frau Schmidt ({2})
nach Rheinland-Pfalz, müssen Lehrer, die die Tochter noch gar nicht kennen, über ihre Begabung entscheiden; der BAföG-Betrag ist ebenfalls um mindestens 60 DM niedriger.
Wie hieß doch der Auftrag der Bundesregierung? Er zielte auf eine bundeseinheitliche Regelung. Nun wird uns gesagt, zumindest hier verbal - im Bericht vermisse ich jede Aussage darüber -, daß die Transferleistungen der einzelnen Bundesländer unterschiedlich sind und wir somit zu gleichen Beträgen kommen. Ich möchte einmal wissen, woher diese kühne Aussage kommt. Die Schulwegkostenfreiheit in Bayern wird zusammengestrichen. Herr Rossmanith, das wissen Sie so gut wie ich.
({3})
Die Lehrmittelfreiheit ist in den Bundesländern weitestgehend einheitlich geregelt. Wir müssen also zu dem Ergebnis kommen: Dadurch werden wir diese Unterschiede ebenfalls nicht auffangen.
Herr Graf von Waldburg-Zeil, Ihre Analyse, wieso die weiterführenden Schulen nach wir vor keinen so hohen Rückgang zu verzeichnen haben, teile ich naturgemäß nicht, weil ich Schüler-BAföG nie oder nur für eine ganz kleine Gruppe als ein Taschengeld bezeichnet habe. Für diese Gruppe allerdings waren wir alle bereit, das zu reduzieren.
Ich sage Ihnen, daß uns diese Zahlen vieles überhaupt nicht richtig mitteilen, und zwar deshalb, weil wir nur die absoluten Schülerzahlen sehen. Ich gebe Ihnen insoweit recht, wenn Sie sagen, daß eine Familie, die bisher noch nie BAföG bekommen hat und für ein Kind keinen Ausbildungsplatz bekommt, dazu neigen wird, das Kind an der Schule zu lassen. Aber Sie haben nicht von denen gesprochen - und das sind viele -, die bisher BAföG bekommen haben, denen es zusammengestrichen worden ist und die deshalb den Schulbesuch abbrechen mußten. Ich kann Ihnen dazu zig Beispiele mit allen Unterlagen auf den Tisch legen.
({4}) Sie wissen, daß ich Sie da nicht anlüge.
Unter welcher Maxime ist diese Regierung noch angetreten? Weniger Bürokratie! Hat eigentlich schon jemand ausgerechnet, wieviel Kosten diese neue Bürokratie verursacht und wie viele Schüler aus einkommenschwachen Familien wir statt dessen hätten bundeseinheitlich fördern können?
({5})
In den meisten Bundesländern fällt eine Gruppe von Schülern nach wie vor, auch wenn die Landesregelungen in Kraft getreten sein werden, aus jeder Förderung heraus: die Studierenden des zweiten Bildungsweges, die nicht bei ihren Eltern wohnen, aber theoretisch bei ihnen wohnen könnten. Prüfen Sie das bitte in dem Gesetzestext nach, schauen Sie nach, was darin zum Wohnort der Eltern und Schüler gesagt wird. Alle Ankündigungen der Bildungsministerin, sie wolle den zweiten Bildungsweg erhalten, werden vor dem Hintergrund der tatsächlichen Lebenssituation dieser jungen Menschen zur Farce.
Ein zehn Jahre im öffentlicher Dienst beschäftigter junger Mann lebt seit ebenfalls zehn Jahren in Bonn, seine Eltern in Wolfsburg. Weitere Aufstiegsmöglichkeiten für ihn gibt es nicht. Er müßte Fremdsprachen können und Abitur machen. Er versucht das über die Fachoberschule. Er bekam bis zur Wende BAföG, heute nicht mehr; denn er könnte bei seinen Eltern wohnen - sie sind Rentner - und von dort aus die Schule besuchen - mit 27 Jahren.
({6})
- Können Sie sich eigentlich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn der sein Lebensumfeld hier in Bonn hat? Haben Sie denn nicht ein bißchen Phantasie, sich vorzustellen, wie das bei den Menschen ausschaut?
({7})
Ich muß Sie da doch fragen, was die Eltern, die Rentner sind, jetzt plötzlich mit dem 27jährigen Sohn anfangen sollen. Vielleicht haben die für ihn gar keinen Platz mehr. Was wissen Sie eigentlich noch von den Menschen? Vielleicht sollten Sie aus dieser Käseglocke irgendwann einmal herauskommen.
({8})
Ein zweites Beispiel: Eine junge Frau in Bielefeld kündigt nach Lehre und fünfjähriger Berufstätigkeit ihren Arbeitsplatz als Fremdsprachensekretärin. Sie hat eine eigene Wohnung und hatte ein gutes Einkommen. Das kommunale Ausbildungsförderungsamt teilte ihr vor der Kündigung, vor der sie sich erkundigt hat, mit, daß sie BAföG bekäme. Das war im Mai vergangenen Jahres. Aber leider ist dem nicht so; denn am 200 km entfernten Wohnort ihrer Eltern gibt es ebenfalls eine Fachoberschule, nach der eigenartigen Logik dieses Gesetzes Grund genug, jede Förderung zu versagen.
In diesem Zusammenhang eine Frage an die Bundesregierung: Haben Sie eigentlich noch einen Überblick, was aus dem restlichen Schüler-BAföG auf dem Verordnungsweg durch die Länder gemacht wird?
({9}) - Da geben Sie mir recht.
Bayerischen Schülern des zweiten Bildungsweges, die notwendigerweise - und ich betone das „notwendigerweise" entsprechend dem Gesetzestext - auswärts untergebracht sind, kann es bei einem Umzug in eine billigere, verkehrsgünstiger gelegene Wohnung passieren, kein BAföG mehr zu bekommen, und zwar unter Bezug auf Verordnungen des bayerischen Kultusministeriums, die in meinen Augen ganz eindeutig dem Gesetzestext widersprechen. Wen wundert es dann, wenn die junge Frau, die bisher BAföG erhielt, verbittert fragt, ob die Wahl einer Wohnung nach den Grundsätzen der Sparsamkeit eine Umgehung des Gesetzes darstelle. Die Tatsache, daß sie seit Oktober 1983 ohne Bescheid auf Kredit lebt, gefährdet inzwischen sogar ihr Examen.
Frau Schmidt ({10})
Es wurde im Zusammenhang mit Änderungen der Erwerbsunfähigkeitsrenten zu Recht vom notwendigen Vertrauensschutz gesprochen. Dieser ist im Hinblick auf junge Menschen in meinen Augen genauso notwendig. Da sie erst noch Vertrauen fassen müssen, ist er vielleicht sogar noch notwendiger.
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In die BAföG-Beratung unseres Bürgerbüros in Nürnberg kamen seit Ende September über 150 junge Leute, die meisten mit ähnlich gelagerten Fällen wie den hier geschilderten. Ich frage Sie, Frau Dr. Wilms: Wo war und wo ist der Vertrauensschutz für die Schüler des Zweiten Bildungswegs?
({12})
Die meisten der Betroffenen sind junge Frauen. Dies ist kein Zufall. Zwei Drittel derer, die nichts mehr bekommen, sind Mädchen. Auch das haben wir vorhergesagt, und auch das haben Sie gemeinsam bestritten.
Auch der zweite Teil des Auftrags, die Vorlage eines Konzepts des Familienlastenausgleichs unter Berücksichtigung der besonderen Erschwernis für Familien mit Kindern in Ausbildung, wurde nicht erfüllt. Ich hätte mir gewünscht, daß wenigstens ein paar Gedanken, die Herr Graf von Waldburg-Zeil hier geäußert hat, in diesem Bericht ihren Niederschlag gefunden hätten. Es sei zugegeben, daß dies im abgelaufenen Zeitraum schwierig zu leisten war, nur sollte dann eben auch ein Ende damit gemacht werden, heutige Schüler und Studenten und ihre Familien mit einer eventuellen Veränderung des Familienlastenausgleichs im Jahre 1987 oder später zu vertrösten,
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eines Familienlastenausgleichs, bei dem sich eines abzuzeichnen scheint - auch nach dem, was Sie heute hier gesagt haben, Frau Dr. Wilms, obwohl es da eine Abschwächung gibt -: die finanziell Leistungsfähigen werden wie immer bei dieser Regierung ihren Schnitt machen, die finanziell Schwachen - ebenfalls wie immer bei dieser Regierung - durch die Röhre schauen.
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Nun zum dritten Auftrag. Es sollte ein Bericht darüber vorgelegt werden, wie eine einseitige Belastung der Studenten aus Familien mit geringem Einkommen durch die Umstellung auf Volldarlehen verhindert werden kann. Modelle sollten vorgelegt, die Anregungen aus der Anhörung berücksichtigt werden. Offensichtlich war doch die Mehrheit am 16. Dezember 1982 der Auffassung, daß eine derartige einseitige Belastung vorliegt. Die Bundesregierung meint dies nicht, prüft deshalb die Anregungen aus der Anhörung nicht, nicht einmal die sozialistischer Tendenzen so unverdächtiger Organisationen wie des RCDS, und beschränkt sich bei der Überprüfung von anderen Modellen auf Studiengebühren. Auch hier hätte ich mir gewünscht, daß einiges von dem, was Sie, Graf Waldburg-Zeil, heute hier gesagt haben, in den Bericht mit eingeflossen wäre.
Wir brauchen unsere unterschiedlichen Standpunkte über Studentenförderung nicht noch einmal auszutauschen. Ich glaube, da werden wir uns nicht mehr bewegen. Da haben wir nun mal unterschiedliche. Der abschreckende Effekt, Frau Dr. Wilms, der Darlehensumstellung besteht unserer Ansicht nach. Selbstverständlich ist das nicht der einzige Grund dafür, daß Abiturienten nicht an die Universitäten gehen, sondern auch andere Bildungswege gehen.
Liebe Kollegen, ich frage Sie aber vor dem Hintergrund dieser Berichterstattung wiederum: Warum erteilen wir überhaupt noch Aufträge, warum machen wir uns die Mühe? Lohnt es denn überhaupt das Papier?
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Warum führen wir Anhörungen durch? Welchen Stellenwert hat bei dieser Regierung das Parlament?
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Die Bundesregierung begründet ihren Standpunkt, daß keine einseitige Belastung von Darlehensnehmern vorliege, vor allem mit den Möglichkeiten, die Darlehenssumme zu verringern, und geht flugs ans Werk und schafft ein weiteres, leuchtendes Beispiel von weniger Bürokratie.
Frau Minister, Sie sagten gerade, Sie haben Neuland betreten. Ich versichere Ihnen. dieses Neuland ist ein Dschungel. Schauen Sie, daß Sie daraus verschwinden.
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- Kommt gleich, nur Geduld! Es dürfte ein einmaliger Vorgang sein, daß einer von der Bundesregierung erlassenen Verordnung vom Bundesrat nur befristet zugestimmt wurde. Der will die nämlich gar nicht; die denken, das erledige sich durch Zeitablauf. Auch unionsregierte Länder haben nämlich erkannt, dies ist unpraktikabel und auf Dauer nicht zu halten. Da sollen Rangfolgen gebildet werden, Fächergruppen zusammengefaßt werden, der Sino-loge mit dem Orientalisten und lauter so ein Krampf, auf zwei Stellen hinter dem Komma Prüfungsergebnisse berechnet werden. Im Bereich der bildenden Künste - man stelle sich das vor - soll analog verfahren werden, was immer dies heißt. Studenten haben keine Möglichkeit des Einspruchs gegen die ermittelten Platzziffern, weil sie diese gar nicht erfahren, sondern die Prüfungsämter nur an das Bundesverwaltungsamt melden, an eine Institution, die schon heute mit dem sehr einfachen Einzug der Darlehen überfordert ist. 1 000 bis 1 500 Prüfungsstellen werden so vor sich hinwerkeln, und dies - so suggeriert uns die Bundesregierung - koste nur 750 000 DM jährlich. Im Bundesrat wurde zu Recht darauf verwiesen, daß die Kosten in den Ländern ein Vielfaches betragen werden.
Die Beträge, die hier für nutzlose Bürokratie hinausgeworfen werden, plus der Beträge, die für die Darlehensreduzierung notwendig sind, plus der Einsparungsmöglichkeiten, die wir in einer anderen
Frau Schmidt ({18})
Fassung des Einkommensbegriffs hätten, damit Abschreibungskünstler für ihre Kinder kein BAföG bekommen können - die können nämlich dieses zinslose Darlehen mit Vorliebe auch heute noch in Anspruch nehmen -, plus der Steuermehreinnahmen, die entstehen, wenn BAföG teilweise als Zuschuß gegeben wird, plus die zusätzlichen Sozialhilfekosten der Gemeinden, all das zusammengenommen und die Umstellung auf Volldarlehen wäre nicht nötig gewesen.
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Der finanziell angeblich sauber dastehende Bund, Frau Minister, hat diese Sauberkeit nur auf Kosten und zu Lasten anderer erreicht. Fazit zum Bericht der Bundesregierung: phantasielos und Thema in allen Punkten verfehlt.
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Dabei komme ich zu Erfreulicherem. Jetzt kommt das lang erwartete Lob. Es ist allerdings ein bißchen kürzer als das Vorherige. Ich komme zum Bericht zu den Freibeträgen und Bedarfssätzen des BAföG. Wir teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß Freibeträge und Bedarfssätze dringend erhöht werden müssen. Wir sind uns einig, daß im Zweifelsfall die Anhebung der Freibeträge wegen der Stetigkeit der Förderung Vorrang haben muß. Dies ist durch eine Zwischenanpassung geschehen und soll durch eine weitere Zwischenanpassung geschehen. Wir gehen davon aus, daß wir in den Beratungen sorgfältig prüfen werden, ob die vorgesehenen Sätze ausreichen, urn die Zahl der Geförderten für die Zukunft zu erhalten. Zweifel sind für das Jahr 1985 zumindest erlaubt.
Wir geben aber vor dem Hintergrund des vorgelegten Berichts und der 10. Erhebung des Deutschen Studentenwerks zur sozialen Lage der Studenten zu bedenken, ob die von der Bundesregierung vorgeschlagene Höhe der Bedarfssätze ausreicht. Wir befürchten vor allem, daß die niedrigen Bedarfssätze, auch von der Bundesregierung als an der untersten Grenze bezeichnet, zu einer immer größer werdenden Zahl von Studenten führen wird, die erwerbstätig sein müssen, und dies vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit wiederum zu mehr Studienabbrechern oder längeren Studienzeiten führen wird.
Meine Fraktion stellt daher den Antrag: Die Bundesregierung wird aufgefordert - erstens -, bis Mitte des Jahres ein Gesetz vorzulegen, durch das eine einheitliche Schülerförderung hergestellt wird, für alle Schüler, nicht nur für die, die nicht zu Hause wohnen, zweitens, die Studentenförderung wieder auf Teildarlehen umzustellen, drittens, die Elternfreibeträge so anzupassen, daß der Anteil der Berechtigten nicht weiter zurückgeht und die Erhöhung der Bedarfssätze den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen.
Dies ist für uns die richtige Zielsetzung für die weitere Behandlung des BAföG. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
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Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr bedauerlich, daß ich nicht ebenfalls so viel Zeit habe, auf all das einzugehen, was in sehr positiver Weise Graf Waldburg-Zeil auch an weiterführenden Gedanken in die Diskussion eingebracht hat, und ebensowenig ausführlich auf das eingehen kann, was die Frau Kollegin Schmidt, zum großen Teil das sagend, was auch ich sagen könnte, hier zum Ausdruck gebracht hat.
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Lieber Herr Duve, es wird niemanden verwundern - ich spreche das jetzt an -, der öfter diesen speziellen Debatten beiwohnt, daß es für mich gar keine leichte Aufgabe ist, hier heute zu diesem Thema zu sprechen.
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Sie brauchen nur nachzulesen - allerdings dann auch über den Wendezeitpunkt hinweg -, was ich wie meine Kollegen von der FDP zu dem heute zur Debatte stehenden Thema im Laufe der Zeit gesagt haben. Aber man denkt j a über intellektuelle Schlupfwinkel nach. Ich präsentiere Ihnen das.
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- Herr Duve, lassen Sie mich das einmal sagen. Das ist so schön. Dann haben Sie auch weiterhin etwas zu kritisieren.
Ich habe nach einem intellektuellen Schlupfwinkel gesucht. Er bedeutet, daß wir in der Kontinuität des realistischen Bezugs zum Machbaren und Möglichen stehen.
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Meine Damen und Herren, das ist für Liberale etwas ganz Vorzügliches.
Zu den gesamtpolitischen Notwendigkeiten, die das Machbare und Mögliche begrenzen, gehört ein Punkt, der auch im Bericht der Bundesregierung gemäß der Entschließung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck kommt. Es ist hier von einem Beitrag der BAföG-Änderung zur Konsolidierung der Staatsfinanzen die Rede. Das ist ein positiver Begriff, den ich lieber verwende als ,,Sparmaßnahme bei BAföG" und dergleichen. Ich sage lieber: ein Konsolidierungsbeitrag.
Er ist in diesem Bericht eindrucksvoll bei Bund und Ländern auf 2,05 Milliarden DM - auf ein volles Jahr bezogen - summiert worden. Da ist es natürlich auch von der anderen Seite her wieder interessant - Graf Waldburg-Zeil hat von weitem darauf hingewiesen -, nachzulesen, daß 1,125 Milliarden DM auf das Auslaufen des Fünften BAföG-Änderungsgesetzes, auf das Siebte BAföG-Änderungsgesetz und auf das Zweite Haushaltsstrukturgesetz zurückzuführen sind. Das sind gesetzgeberische Maßnahmen, an denen auch Sie beteiligt waren, die auf jeden Fall vor dem Herbst 1982 getroffen wurden. 925 Millionen DM von diesen Konsolidierungsmaßnahmen entfallen also auf die Zeit seither, auf das Haushaltsbegleitgesetz 1983.
Man kann nach dem Schwerpunkt der Konsolidierung fragen. Das hält sich in etwa die Waage. Das ist immer eine ganz vernünftige Situation, aber ein Faktum, das auch nachdenklich stimmen muß.
Meine Damen und Herren, trotz der hier angedeuteten Vorgeschichte und gerade angesichts der anhaltenden gesamtpolitischen Konsolidierungsnotwendigkeiten finde ich es erfreulich - da schließe ich mich Frau Schmidt an -, daß sich die Bundesregierung zu einer Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge - ich spreche das pauschal an - um rund 4 % entschlossen hat. Ich möchte das ausdrücklich und nachdrücklich als einen anerkennenswerten und wichtigen Beitrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ansprechen.
Frau Schmidt hat das eben zurückhaltender formuliert, aber in einer Presseerklärung zuvor hatte sie schon erklärt, das sei natürlich alles völlig unzureichend. Ich darf mich in meiner Rede nicht stören lassen; ich habe das so schön vorbereitet. Ich wollte nämlich sagen, daß dies das gute Vorrecht der Opposition ist. Damals hat der von mir sehr hoch geschätzte Kollege Daweke, der gerade mit dem stellvertretenden Ausschußvorsitzenden spricht, von dem „Steckrübenwinter à la Engholm" gesprochen. Ich gebe zu: Auch das ist wie mit den Dunkelziffern heute morgen das Verbindende von Oppositionen, daß sie in dieser Situation stehen.
Meine Damen und Herren, ich habe schon bei der Haushaltsdebatte darüber gesprochen, daß es viele Dinge gibt, die nicht befriedigen können. Aber wir können auch die finanzpolitischen Notwendigkeiten nicht wegdiskutieren. Immerhin würde die Anpassung den Bund rund 200 Millionen DM kosten.
Der Bericht nach § 35 BAföG weist auch aus, daß bei einem Drittel der Eltern der geförderten Schüler und Studenten das Familiennettoeinkommen unter 1 500 DM monatlich lag; bei 82 % der geförderten Schüler lag es monatlich unter 2 500 DM. Ich meine, dies muß auch bei der Beurteilung des Berichts der Bundesregierung zur Entschließung des Deutschen Bundestags vom 16. Dezember mindestens im Hintergrund berücksichtigt werden.
Dieser Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß die seit dem Haushaltsbegleitgesetz 1973 nötig gewordenen Landesausbildungsförderungsregelungen - ich weiß nicht, wie es offiziell heißt - für Schüler in mancher Hinsicht - Frau Schmidt hat das schon angesprochen - weitergehend übereinstimmen, als dies zunächst erkennbar war. Sinngemäß heißt es in dem Bericht weiter, deshalb sei auch das realisiert, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 begrüßt habe, nämlich daß die Länder begabte Schüler verstärkt fördern wollen.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang auch gefordert - er hat mir völlig aus dem Herzen gesprochen -: Wer sich durch gute Leistungen auszeichnet und aus einer einkommensschwachen Familie kommt, dem muß auch künftig geholfen werden.
({4})
Ich kann das nicht so ausführlich darstellen, wie Frau Schmidt das gemacht hat. Ich bewundere ehrlich diese Kunst, mit den Zahlen umzugehen, wie auch immer ich das politisch bewerten mag. Aber ich frage mich doch, ob sich diese Erwartungen des Herrn Bundeskanzlers gegenüber den Ländern erfüllen. Er hat j a eine Erwartung gegenüber den Ländern ausgesprochen.
Dies steht für meine Begriffe ebenso dahin, wie Zweifel daran erlaubt sein müssen, daß sich die Erwartung des Deutschen Bundestags in seiner Entschließung vom 16. Dezember 1982 erfüllt hat, in der es heißt, daß bei den Verhandlungen mit den Ländern darauf hingewirkt werden soll, daß Familien mit nicht ausreichendem Einkommen bundeseinheitlich - ich sage das ganz zurückhaltend - die notwendige Förderung erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können.
Wie gesagt: Ich kann und will das jetzt im einzelnen hier nicht debattieren. Das Machbare und Mögliche ist für meine Haltung entscheidend.
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- Lieber Herr Weisskirchen, ich bin doch kein Plagiator. Das ist doch schon so schön dargestellt.
Ein zu Hause wohnender, voll geförderter Berufsfachschüler, der nach dem früheren BAföG 275 DM erhielt, erhält jetzt - ich sage das noch einmal - in Berlin 200 DM, ebenso in Bayern, wenn er - wir haben gehört, was es damit auf sich hat - zu den 20 % der besten Schüler gehört, in Niedersachen 150 DM - aber er braucht dort nicht zu den besten Schülern zu gehören -, in Rheinland-Pfalz 125 DM - dort muß er sich allerdings durch hervorragende Leistungen auszeichnen und würdig sein. Im Saarland sind Leistungsprämien vorgesehen, und in Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen gibt es bisher überhaupt nichts. In Nordrhein-Westfalen wurde allerdings eine Regelung angekündigt; Frau Minister Wilms hat darauf hingewiesen.
Wenn ich dies bedenke, dann weiß ich nicht - Graf von Waldburg-Zeil hat es angedeutet -, ob unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Regelungen zur Lernmittelfreiheit oder zur Schülerbeförderung das dem entspricht, was in dieser Entschließung als bundeseinheitlich gemeint war und was ich unter Bundeseinheitlichkeit auch bei Akzeptierung eines vernünftigen Näherungswertes zu diesem Begriff für möglich halte. - Nein, Herr Weisskirchen.
Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Leider nicht.
({0})
- Das ist sehr schade, ja.
Aber das gilt auch für die Förderungsvoraussetzungen, nicht nur für die Zahlen.
({1})
- Ich brauche Herrn Weisskirchen meine Liberalität nicht dadurch unter Beweis zu stellen, daß ich mit ihm spreche; wir sprechen oft genug miteinander.
Ich möchte auf die Förderungsvoraussetzungen zurückkommen. Da muß ich dem sonst so föderalistisch gesinnten Bayern ein Lob aussprechen. Dort werden sehr großzügig alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gefördert; ich halte das für richtig. In Berlin und Hamburg braucht man nur einen Elternteil, der dort seinen Hauptwohnsitz hat. In Niedersachsen jedoch - Herr Nelle, darum müssen wir uns einmal kümmern - muß man schon ein Jahr vorher gewesen sein. Wieso muß Niedersachsen hier illiberaler handeln als Bayern? Das kann ich nicht verstehen.
({2})
Ich sage das alles in voller Kontinuität des realistischen Bezugs auf das, was machbar und möglich ist.
({3})
Aber - das meine ich jetzt wieder ernst - mir scheint nach einer mehr zentralistischen Regelung des BAföG in der Vergangenheit jetzt das Pendel, wie das im Leben so ist, zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen zu sein, was nach aller Lebenserfahrung dazu führt, daß das Pendel eines Tages wieder zurückschlägt. Ehe es dazu kommt, sollte u. a. das wahrgemacht werden, was der Bericht unter der Überschrift „Verbesserung der Ausbildungsförderung im Rahmen eines Gesamtkonzepts für den Familienlastenausgleich" ankündigt. Ich möchte ausdrücklich die Gedanken begrüßen, die Frau Dr. Wilms dazu geäußert hat. Es heißt in dem Bericht:
Bei der Neuregelung des Familienlastenausgleichs wird auch zu beachten sein, daß Kinder in Ausbildung für ihre Familien in erheblichem Umfang zusätzliche Ausgaben verursachen. Eine Entlastung auch in diesem Bereich muß als Teil der notwendigen Familienförderung betrachtet werden.
Wir müssen wirklich an die grundsätzliche Frage herangehen, die auch durch die schönen Beispiele von Frau Schmidt nicht ganz aus der Welt zu schaffen ist, ob das Förderungssystem - es wurde schon angesprochen, auch durch Graf von Waldburg-Zeil - eigentlich richtig war. Hier müssen wir fragen: Welches? Aber daß es ein Förderungssystem geben muß, das ist unsere Überzeugung. Für uns wie für die Länder muß weiter gelten, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung außer den beiden von mir zitierten Sätzen noch gesagt hat. Er sagte nämlich: „Niemand darf wegen seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden." Dazu brauchen wir Regelungen, die neben der Hochbegabtenförderung auch das berücksichtigen, was der Vorsitzende meiner Partei, Hans-Dietrich Genscher, in einem Aufsatz vom 29. Dezember 1983 mit der Forderung nach einem Bildungssystem angesprochen hat - ich zitiere wörtlich -, „das nicht nur isolierte Spitzenleistungen hervorbringt, sondern insgesamt einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstandard garantiert".
({4})
Das hört sich etwas anders an als das, was Herr Kuhlwein heute morgen in anderem Zusammenhang gesagt hat.
({5})
Die Forderung meines Bundesvorsitzenden, HansDietrich Genscher, nach verstärkter Förderung Hochbegabter steht nicht im Widerspruch zur Öffnung des Bildungssystems auch unter sozialen Gesichtspunkten. In beiden Bereichen geht es darum, das Begabungspotential unserer rohstoffarmen Industriegesellschaft auszuschöpfen und das demokratische Gebot des Bürgerrechts auf Bildung zu verwirklichen.
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Meine Damen und Herren, ich stelle die eine oder andere Bemerkung dazu, in welchem Verhältnis der Bericht zu den einzelnen Forderungen des Entschließungsantrages formal steht, mit Rücksicht auf die Uhr zurück. Allerdings gilt: Ein Abschluß des Themas Ausbildungsförderung kann der vorliegende Bericht nicht sein. Vielmehr haben wir heute eigentlich aufs neue begonnen, darüber zu diskutieren.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Auftrag, den der Bundestag der Bundesregierung vor gut einem Jahr gegeben hat, ist, wie Frau Schmidt schon erläutert hat, mit dem einen Bericht nicht erfüllt worden.
Erstens. In dem Bericht wird belegt, daß die Regelungen zum Schüler-BAföG von Land zu Land unterschiedlich sind; das geht von Nordrhein-Westfalen oder Bremen, wo es bislang noch keine Regelung gibt, bis zum Saarland, wo es einkommensunabhängige Regelungen für besonders begabte Schülerinnen und Schüler gibt. Das ist ein Bereich, in dem wir die Unterschiedlichkeit der länderbezogenen Regelungen feststellen können.
Der zweite Bereich wurde hier schon genannt. Die Bedarfssätze, d. h. die Förderungsbeträge, reichen von 100 DM über 125 und 200 DM bis zu 345 DM in Sonderfällen in Niedersachsen.
Drittens. Es wird Bedürftigkeit vorausgesetzt - auch nicht überall, wie ich schon gesagt habe; im Saarland ist das nicht festgelegt -, aber laut Auskunft des Berichtes wird diese Bedürftigkeit sehr
unterschiedlich ermittelt. Die Regierung kommt zu dem Schluß - hier zitiere ich -:
Die bisher erlassenen bzw. bekanntgewordenen Regelungen stimmen in mancher Hinsicht weitergehend überein, als dies zunächst erkennbar ist:
Welche weiteren Erkenntnisse notwendig sind, um die Übereinstimmung abzuleiten und zu erkennen, verschweigt der Bericht allerdings. Insofern stellt sich hier sehr deutlich und klar heraus, daß die Bundesregierung dem Berichtsauftrag des Bundestages, was die Schüler-Förderung angeht, nicht nachgekommen ist. Dies kann der Bundestag nicht mittragen. Er muß nach wie vor darauf drängen, daß die Bundesregierung eine bundeseinheitliche Schüler-Förderung herbeiführt, und zwar schleunigst.
Wir müssen daran festhalten, daß Bildung ein soziales Recht ist. Wenn es in diesem Land schon nicht möglich ist, die Einkommen der Eltern anzugleichen, dann muß es mindestens möglich sein, die Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder anzugleichen.
({0})
Das kann man über ein Ausbildungsförderungsgesetz für alle herstellen. - Dies zum Teil I des Auftrags an die Bundesregierung vom vorigen Jahr.
Nun zu einem weiteren Teil, zur Entwicklung der Darlehensförderung für Studenten: Hier werden die Begründungen für ein Grunddarlehen oder ein Teildarlehen herangezogen, um festzuhalten, daß also ein Darlehen insgesamt ja durchaus seinen Sinn haben könnte. Da sollte man sich doch noch etwas darüber streiten, ob ein Darlehensteil von zunächst 70 bis zu - in der 7. Novelle festgelegten - 150 DM für jeden tatsächlich das gleiche ist wie die Rückzahlbarkeit des gesamten Förderungsbetrages. Ich werde Ihnen gleich deutlich machen, daß da ein wesentlicher Unterschied besteht. Der Unterschied besteht darin, daß diejenigen, die ein Studium mit den schlechtesten sozialen Voraussetzungen beginnen - das sind diejenigen, die das Volldarlehen erhalten -, hinterher mit der höchsten Schuldenlast dastehen. Es scheint Ihnen entgangen zu sein, daß Sie damit eine elternabhängige Verschuldung der Studenten produzieren.
({1})
Des weiteren ist die individuelle Belastung für die einzelnen dadurch j a noch nicht erledigt. Ich komme im Zusammenhang mit dem zweiten Bericht noch darauf, welche Bedeutung der Teilerlaß für Studenten oder gewesene Studenten hat.
Das einzige, was in diesem Zusammenhang positiv zu vermerken ist, ist die Ablehnung der Studiengebühren. Natürlich, Frau Wilms, ist die Bundesregierung oder der Bund verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, bestimmte Regelungen bundeseinheitlich durchzuführen. Aber wenn der Bundestag es verlangt, ist die Regierung schon verpflichtet.
Zweitens. Auf eine Bemerkung von Ihnen: Wenn Abiturienten jetzt ins duale System gehen, dann kann man - da stimme ich Ihnen zu - noch nicht von vornherein sagen: Das hat etwas mit der BAföG-Änderung zu tun. Aber man kann auch nicht von vornherein sagen: Es hat nichts damit zu tun. Selbstverständlich hat es auch etwas damit zu tun; und es hat etwas damit zu tun, daß die Chancen für akademisch ausgebildete junge Menschen heute erheblich schlechter sind als noch vor einigen Jahren. Man denke daran, daß wir die Ausbildungsförderung vor etwa 13, 14 Jahren unter dem Gesichtspunkt eingeführt haben, daß alle die Möglichkeit haben müssen, eine Ausbildung anzutreten, die sie für sich notwendig und sinnvoll halten. Diese Forderung hat sich j a nicht dadurch verändert, daß, wie Herr Neuhausen sagt, die Konsolidierung des Staatshaushalts notwendig ist. Ich spreche nach wie vor, Herr Neuhausen, davon, daß es sich um Streichungen beim BAföG handelt,
({2})
um ganz klarzumachen, auf welcher Seite wir unsere Position gewonnen haben. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen können Sie vielleicht kurzfristig erreichen. Aber wenn Sie keine Leute mehr oder nicht mehr hinreichend viele Leute haben, die mit dieser Ausbildung arbeiten können und in Zukunft arbeiten, haben Sie zwar eine Konsolidierung der Staatsfinanzen 1984/85, aber noch nicht notwendig eine Konsolidierung des Staates 1990. Auch darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken.
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Ich denke allerdings, es ist notwendig, über den Darlehensteilerlaß noch einige Worte zu sagen. Was sich die Bundesregierung da ausgedacht hat, hätte sich wohl kaum jemand anders ausdenken können, jedenfalls niemand, der davon betroffen ist, diesen Teilerlaß an sich durchgeführt zu finden oder durchführen zu müssen.
({4})
Was Frau Schmidt vorhin vorgetragen hat, kann niemand ernsthaft übernehmen wollen. Das kann auch niemand von denen, die von dieser Erlaßregelung betroffen sein werden, nämlich die 30 %, die 25 % weniger zahlen sollen, wirklich akzeptieren. Es ist doch wohl damit zu rechnen, daß eine große Zahl von Prozessen, Einsprüchen, Widersprüchen auf die Bundesregierung in der Gestalt des Bundesverwaltungsamts zukommen wird und daß das, was sie erreichen möchte, nämlich weniger Belastungen, geringe Kosten usw., nicht erreicht werden wird, sondern daß diese Regelung, wenn sie nicht schleunigst zurückgenommen wird - ich hätte auch eine Idee, wie man sie zurücknehmen könnte -, das Chaos unter den Empfängern, den möglichen Empfängern und den Bearbeitern vermehren könnte.
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Ich denke, man könnte auch so rechnen: Die Bundesregierung geht davon aus, daß ein Drittel der Beträge, die da ausgegeben werden, erlassen werden sollen. Dann ist es auch möglich, dieses Drittel auf alle gleichmäßig zu verteilen, d. h. die Darlehenskosten schlicht um ein Drittel zu vermindern.
Auch das ist immerhin eine Möglichkeit zu handeln.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Professor Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion, die wir heute über das BAföG führen, ist ja nicht neu. Auch der Stil der Auseinandersetzung ist nicht neu. Die Diskussion wird mit sehr viel Emotionen geführt. Stimmungen werden hochgepeitscht. Manchmal kommt auch ein Druck auf die Tränendrüse dazu. Das sind wir ja alles gewöhnt. Es werden auch Berechnungsbeispiele gebracht, bei denen Eltern und Schüler glauben sollen, daß überhaupt nichts mehr geht. Sie wissen genau, daß vieles nicht wahr ist. Soweit mir bekannt ist, ist auch das Beispiel, das vorhin Frau Schmidt gebracht hat hinsichtlich der bayerischen Regelung, eine Entscheidung einer unteren Behörde, die inzwischen vom Kultusministerium revidiert worden ist. Aber mit solchen Beispielen läßt sich ja immer ganz gern arbeiten und Stimmung machen.
Wir haben aber auch gesehen, daß die Diskussion durchaus mit Witz und Esprit geführt werden kann. Auch das geht in diesen Debatten nicht verloren.
Wir haben heute den Bericht der Bundesregierung zu diskutieren, bei dem es um die Frage einer bundeseinheitlichen Regelung der Ausbildungsförderung geht. Vorhin ist so viel Wert darauf gelegt worden, deutlich zu formulieren, wie' der Berichtsauftrag eigentlich lautet. Lassen Sie mich ihn auch noch einmal nennen, weil ich glaube, daß hier bewußt einige Verkehrungen vorgenommen worden sind. Es ging darum, daß der Bundesregierung aufgegeben wurde, bei den Verhandlungen mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß Familien mit nicht ausreichendem Einkommen bundeseinheitlich die notwendige Förderung erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können. Ich habe bewußt das eine Wort hervorgehoben. Es hieß: hinzuwirken, es hieß keineswegs: zu bewirken.
Wir müssen uns einmal die Frage stellen, aus welchen Gründen diese mögliche bundeseinheitliche Regelung nicht zustande gekommen ist. Ich glaube, daß hier gerade SPD-regierte Länder durch ihre Blockade all dieser Bestimmungen durchaus in der Schuld sind. Wir wissen, daß die Unionsgeführten Landesregierungen erfreulicherweise erfolgversprechende Schritte für den notwendigen Ausbau landeseigener Schülerförderung unternommen haben und daß diese Schritte zum größten Teil auch gesetzlich fixiert wurden.
Heute ist so getan worden, als ob wir in Fragen des BAföG so hätten weitermachen können wie bisher. Angesichts der finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen war meines Erachtens von vornherein klar, daß die alten Regelungen hinsichtlich ihres bisherigen Volumens nicht einfach von den Ländern ersetzt werden konnten. Wer das nicht sehen will - ich hatte vorhin ein bißchen den Eindruck, daß das so ist -, ist entweder ein unverzeihlicher Illusionist - Herr Neuhausen hat j a vorhin auch schon von der Pragmatik geredet -, oder - wenn ich wiederum die Blockadepolitik vor allen Dingen auch der nordrhein-westfälischen Landesregierung ansehe, die, wie wir gehört haben, sich ja erst gestern durch einen Kabinettsbeschluß durchringen konnte, hier endlich ihren Beitrag zu leisten - er kann auch ein gefährlicher Scharlatan sein, der das Volk für dumm verkaufen will.
({0})
Ich glaube, es ist notwendig, in Erinnerung zu rufen, daß der Bund mit seiner Regelung der Schülerausbildungsförderung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung handelte. Frau Minister Wilms hatte schon darauf hingewiesen: Diese Gesetzgebungskompetenz braucht nicht in Anspruch genommen zu werden. Wir wissen mittlerweile alle, daß der Bund in den zurückliegenden Jahren alles unter das verfassungsmäßige Gebot - ich möchte eher sagen, daß es vielleicht auch nur ein Vorwand war - der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse subsumierte. Man hat versucht, alles - na, wie soll ich mich ausdrücken? - drunterzupacken, um von diesen Möglichkeiten einer einheitlichen Regelung extensiv Gebrauch machen zu können. Man ist dadurch zu einer Entleerung der Kompetenz der Landtage und auch zu einer Aushöhlung des Föderalismus gekommen. Es
ist klar, daß ich als Bayer diese Position einnehme.
({1})
Wir haben in vielen Ländern ganz unterschiedliche Entwicklungen im Bildungswesen manchmal auch ganz bewußt provoziert, gerade auch von den SPD-regierten Ländern, wenn ich an die Gesamtschule und an andere Fragen denke. Da haben wir durchaus eine Unterschiedlichkeit der Entwicklung ganz selbstverständlich in Kauf genommen. Nun tauchen plötzlich Schwierigkeiten auf, wenn sich ein unterschiedliches Förderungssystem entwikkelt. Wir haben auch in Kauf genommen, daß einzelne Länder die Lernmittelbefreiung anders gehandhabt haben als andere, daß die Schülerbeförderung unterschiedlich gelaufen ist. Frau Schmidt, Sie haben von den Kürzungen in Bayern gesprochen. Ich empfehle Ihnen, doch auch einmal zu sagen, daß Bayern allein für diese Förderung 400 Millionen DM ausgibt. Anderen Ländern ist diese Maßnahme durchaus zur Nachahmung zu empfehlen. Das sieht man in diesem Bereich nicht und verschleiert etwas die Tatsachen.
Herr Kollege Neuhausen hat von der Kleinstaaterei und Vielstaaterei gesprochen. Ich meine, es gibt durchaus Segnungen des Föderalismus, die in der Vielfältigkeit und im Wettstreit um bessere Lösungen liegen. Diesen Wettstreit sollten wir sicherlich aufnehmen. In der Schülerförderung haben wir diesen Wettbewerb aufgenommen, andere Bereiche folgen nach.
Ich möchte betonen, daß für uns der Grundsatz gilt, der in der Regierungserklärung vom 4. Mai
letzten Jahres angesprochen worden ist. Dort hat Bundeskanzler Kohl ganz deutlich gesagt, daß Länder begabte Schüler verstärkt fördern wollen. Wir wollen nicht mit dem Gießkannenprinzip bei den Ländern arbeiten und jeden Schüler nur einkommensabhängig fördern, sondern wir wollen ganz bewußt gewisse Leistungsanforderungen an den Schüler stellen, weil wir der Meinung sind, daß es die Unterstützung mit allgemeinen Steuermitteln im Interesse der Allgemeinheit notwendig macht, daß diese Mittel sparsam, gerecht und effizient eingesetzt werden. Dies konnte man bisher sicherlich nicht sehen.
Ein von der Allgemeinheit finanziertes und garantiertes Recht setzt nach unserer Auffassung auch eine individuelle soziale Verpflichtung und Verantwortung vor der Allgemeinheit voraus. Aber das Wort „Verantwortung" wird gerade von der Opposition sehr ungern in den Mund genommen. Ich habe es auch heute nicht gehört.
Bei der individuellen Begabung sollten wir ansetzen. Frau Schmidt hat vorhin recht heiter die Ausführungsbestimmungen hinsichtlich der Begabungskriterien in Bayern zitiert. Das war ganz schön, und ich muß sagen, als Nichtjurist amüsiere ich mich auch immer köstlich über Bestimmungen, die Juristen aushecken. Das gilt nicht nur für den Bereich der Begabtenförderung, sondern auch für viele, viele andere Gebiete. Beispiele ließen sich da sicherlich finden. Ich meine, diese Diskussion, die Sie gerade angesprochen haben, sollte uns dazu bringen, einmal zu fragen: Was heißt denn überhaupt Begabung? Setzen wir doch dort einmal an und vesuchen, einen einheitlichen Begabungsbegriff zu finden! Das wäre sicherlich ein recht löbliches Unterfangen.
({2})
- Das ist sicherlich ein Problem. Aber fangen wir doch mit der Diskussion an! Es ist doch häufig so gewesen, daß jede Forderung, bei der Leistung eine Rolle spielte, wo Notengebung angesprochen worden ist, abgelehnt worden ist. Im Bildungswesen sind nicht selten Maßstäbe gesetzt worden, die das Niveau unter dem Anspruch einer - scheinbaren - Gleichheit sehr deutlich herabgesetzt haben. Das meine ich nicht unter Begabung. Aber setzen wir an und bringen dies in unsere Diskussion mit ein! Ich meine, daß wir dann vielleicht zu einheitlicheren Regelungen kommen, als wir sie heute haben.
Für viele von Ihnen ist das sicherlich nicht akzeptabel, aber ich stelle es ganz bewußt in den Raum. Für uns gilt, zu vermeiden - da möchte ich kein Mißverständnis aufkommen lassen -, daß jemand, der begabt ist, eine weiterführende Schule nur deshalb nicht besuchen kann, weil seine Eltern nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Dies muß natürlich unser Grundsatz sein.
Noch einmal zu den bayerischen Bestimmungen, die Sie vorhin angesprochen haben. Immerhin sind unter diesem Erlaß für den Jahrgang der elften Klasse schon 15 000 Eignungsbescheinigungen ausgestellt worden. Trotz der Schwierigkeiten dieser Bestimmungen sind 15 000 sicherlich recht gut.
Wir können die Frage der Ausbildungsförderung nicht nur unter diesem Aspekt betrachten, der in dem Bericht angesprochen worden ist. Ich begrüße sehr, daß Frau Minister Wilms - wie es auch in dem Bericht ganz zum Schluß angesprochen worden ist - weiterführende Überlegungen hinsichtlich eines gerechten Systems der Ausbildungsförderung in den Raum gestellt hat. Wir müssen, glaube ich, im Rahmen eines Familienlastenausgleichs darauf hinwirken, daß die Ausbildungsanstrengungen der Familie insgesamt berücksichtigt werden. Wir müssen zu besseren Lösungen kommen, auch hinsichtlich der Freibeträge. Ich begrüße es deswegen sehr, daß von seiten der CDU/CSU eine Kommission eingesetzt worden ist, die die Neuregelung des Familienlastenausgleichs in Gang bringen soll. Der Kollege Althammer ist hier federführend. Ich meine: Die erheblichen Anstrengungen der Familie für die Ausbildung ihrer Kinder müssen gerecht eingesetzt werden. Hier können wir sicherlich auch zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren, über die Frage der Darlehensregelung ist schon sehr viel gesprochen worden. Meine Redezeit ist auch zu Ende. Deswegen brauche ich diese Punkte nicht mehr zu erwähnen. Die Beurteilungen sind klar. Ich meine, wir sollten zukünftig bei der Beurteilung der Frage der Ausbildungsförderung auf den weinerlichen Ton verzichten. Wir sollten die Verantwortung des einzelnen stärker herausfordern. Wir wollen ja sonst immer den mündigen Staatsbürger. Wir wollen den jungen Menschen, der verantwortlich handelt. Nehmen wir ihm die Verantwortung doch nicht ab! Fordern wir die junge Generation heraus. Ich glaube, sie ist zu Leistungen fähig, die wir noch gar nicht vermuten. Ich denke, es kann nur zum besten unserer jungen Leute sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur einiges nicht hier im Raum stehenlassen, was die Frau Kollegin Männle in ihrem letzten Beitrag vorgetragen hat. Da uns noch etwas Redezeit zusteht, will ich die auch gern in Anspruch nehmen.
Frau Kollegin Männle, die Kollegin Schmidt hat vorhin von einer Entscheidung der Regierung von Mittelfranken gesprochen, die sich auf einen Erlaß des bayerischen Kultusministers bezog. Sie haben soeben gesagt, diese Entscheidung sei inzwischen korrigiert worden. Wir möchten nur der Wahrheit halber festhalten, daß die Kollegin Schmidt soeben aus dem bayerischen Staatsministerium erfahren hat, daß die Entscheidung erst vor zwei Tagen zurückgenommen worden ist, und daß die Weisheit der bayerischen Behörden bei der Anwendung der neuen Regelung zum Bundesausbildungsförderungsgesetz erst allerjüngsten Datums ist.
Ich will eine zweite Bemerkung machen. Sie haben darauf hingewiesen, in dem Auftrag des Bundestages vom 16. Dezember 1982 sei die Bundesregierung ja nur beauftragt worden, auf die Bundesländer hinzuwirken; und das haben Sie damit erfüllt, daß nichts dabei herausgekommen ist.
({0})
Wenn die Bundesregierung in ihren Ankündigungen schreibt, sie wolle auf etwas hinwirken - ich habe hier heute morgen darüber geredet -, dann habe ich immer den Verdacht, daß sie von vornherein unterstellt, daß dabei sowieso nichts herauskommt, und daß sie auch genau weiß, daß sie da nichts wird bewegen können.
Zum dritten möchte ich die Frage der Vergleichbarkeit von Lösungen, die jetzt in den A-Ländern und in den B-Ländern gefunden worden sind, ansprechen. Wissen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich habe großes Verständnis dafür, wenn Bundesländer mit schweren Strukturkrisen nicht so ohne weiteres sagen: Wir lassen uns jetzt die Schüler-Förderung vor die Tür kehren. Der Bund zieht sich aus der finanziellen Verantwortung zurück, und wir sollen jetzt unseren Teil dazu leisten, um die Probleme zu lösen. - Ich habe großes Verständnis dafür. Ich habe deshalb auch Verständnis dafür, daß die A-Länder, wie man sie j a nennt, also die sozialdemokratisch regierten Länder, erst noch einmal den Versuch unternommen haben, über den Bundesrat zu einer bundesgesetzlichen Regelung zu kommen. Ich habe auch Verständnis dafür, daß sie jetzt auch ihre eigenen Konsequenzen mit Regelungen ziehen, die man für nicht ausreichend halten mag, die aber doch mehr bedeuten als Regelungen, wie sie beispielsweise in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein getroffen wurden, wo weit weniger als ein Drittel des Landesanteils der Schülerförderung zur Verfügung gestellt wird.
Frau Kollegin Männle, ich halte nicht so sehr viel von dem Wettbewerb der Länder auf diesem Feld. Herr Kollege Neuhausen, es ist nach meiner Auffassung auch nicht ein höherer Ausweis von Demokratie, daß man jetzt den Ländern den Wettbewerb um die richtige Schülerförderung überläßt. Ich halte eine ganze Menge vom Kulturföderalismus. Aber wenn es um die materiellen Existenzbedingungen von Familien geht, die ihren Kindern Ausbildung ermöglichen wollen, dann bin ich dafür, daß wir uns um Bundeseinheitlichkeit bemühen, weil nur so Chancengleichheit hergestellt werden kann.
({1})
Ich will zum letzten zusammenfassend sagen: Der Bericht der Bundesregierung zur Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1982 ist ein Offenbarungseid. Die Hoffnungen, die sich damals bei der Regierungskoalition - mindestens bei der FDP - damit verbunden haben, sind nicht erfüllt worden. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition hat das Bundesausbildungsförderungsgesetz für Schüler demontiert. Es ist eben nichts Vergleichbares an seine Stelle getreten.
Wir sehen dem verbesserten Familienlastenausgleich, den Sie jetzt wieder angekündigt haben und von dem man immer noch nicht weiß, wann er denn endlich kommen wird, mit großer Skepsis entgegen, weil auch in Ihren eigenen Reihen bis heute auch nicht der Anschein von Klarheit vorhanden ist, wohin die Reise gehen soll. Wir sehen das mit großer Skepsis. Nach dem, was bisher erkennbar ist, kann man sagen: Es gibt keinen Ersatz für die SchülerFörderung. Es gibt ein reduziertes Modell zur Studentenförderung. Es gibt nach Ihren Entscheidungen - das ist heute noch einmal klar geworden - in dieser Republik unter Ihrer Regierung keine Chancengleichheit mehr.
Herzlichen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 4 und 5 auf den Drucksachen 10/526 und 10/835 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/890 ist folgende Ausschußüberweisung beantragt worden: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Haushaltsausschuß. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß die Sitzung nicht, wie heute morgen angekündigt, um 15.30 Uhr, sondern um 14.30 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt wird.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/878 Wir haben zunächst noch die letzten Fragen aus dem Bereich des Bundesministers der Verteidigung zu behandeln. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Reents auf:
Sind Pressemeldungen der letzten Tage wie z. B. in den „Stuttgarter Nachrichten" und der „Offenbach Post" richtig, wonach vom Bonner Verteidigungsministerium geäußert wurde: „Homosexuelle Handlungen, in denen der dienstliche Bereich berührt wird, können in einer so engen Männergemeinschaft wie der Bundeswehr nicht hingenommen werVizepräsident Westphal
den" und „Es bringt erhebliche Komplikationen und Unruhe mit sich, wenn bekannt wird, daß in einer Einheit Schwule sind", und wenn ja, was sind die Begründungen hierfür?
Herr Präsident, Herr Kollege, die in der Anfrage erwähnten Zeitungen stützen sich auf den Korrespondentenbericht einer Presseagentur vom 6. Januar dieses Jahres, in dem ohne präzise Quellenangaben aus dem Bundesministerium der Verteidigung zitiert wird. Die Zitate beruhen nicht auf schriftlichen und nicht auf mündlichen Äußerungen des Bundesministeriums der Verteidigung. Herr Kollege, dies ist die sehr klare und präzise Antwort auf Ihre Frage.
Herr Präsident, wenn der Kollege, Ihre Geschäftsordnung und Sie das zulassen, empfehle ich - wissend, was gefragt werden soll -, möglicherweise zunächst die Antworten auf die Fragen 37 und 38 geben zu lassen, denn dadurch würde eine Menge der Dinge, nach denen sicherlich auch hier hat gefragt werden wollen, geklärt.
Herr Staatssekretär, so interessant Ihre Überlegung auch ist - ich glaube, wir bleiben in unserer Reihenfolge. Herr Reents hat zunächst das Recht, Zusatzfragen zu stellen.
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie sagen, daß es sich hier nicht um offizielle Quellen aus dem Verteidigungsministerium handelt, so ist doch unstrittig, daß es in der Öffentlichkeit Verdachtsäußerungen von seiten des MAD über einen angeblichen Verkehr von Herrn Kießling in der Homosexuellenszene in Köln, wie es heißt, gegeben hat. Ich möchte daran die Frage anknüpfen: Gibt es im Bundesverteidigungsministerium bereits Überlegungen nicht nur über eine mögliche Rehabilitation und eventuelle Entschädigung des so mit Vorwürfen belasteten Generals Kießling, sondern auch der Homosexuellen insonderheit im Raum Köln, die j a durch die vielen Schnüffeleien der Vergangenheit erheblich öffentlich in Mitleidenschaft gezogen worden sind'?
Herr Kollege, Sie fragen in Ihrer Frage nach dem Zutreffen von Pressemeldungen. Ich habe diese Frage exakt beantwortet. Einen Zusammenhang in irgendeiner Weise mit dem im Augenblick im Verteidigungsausschuß wie in der Parlamentarischen Kontrollkommission und darüber hinaus diskutierten Fall Kießling kann ich in keiner Form sehen. Ich bin auch nicht gewillt, in eine Diskussion darüber einzutreten.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatssekretär, unter Hinweis darauf, daß es unstrittig ist, daß es solche Behauptungen in der Öffentlichkeit gibt - nicht nur aus irgendwelchen Journalistenkreisen, sondern auch abgestützt auf Angehörige Ihres Ministeriums -, möchte ich die Frage anknüpfen, ob denn solche Verdachte lediglich hinsichtlich der Homosexualität oder auch hinsichtlich anderer Vorgänge wie beispielsweise außerehelichen Geschlechtsverkehr bei Bordellbesuchen eventuell zur Entlassung und zu disziplinarischen Maßnahmen in der Bundeswehr führen.
Es wird keiner auf Grund irgendeines Verdachtes - Ihren Gedanken einmal fortsetzend: egal, in welcher Richtung möglicherweise ein solcher Verdacht vorliegen mag - aus der Bundeswehr entlassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie den Wortlaut, aber nicht den Geist der in der Presse wiedergegebenen Zitate als nicht authentisch bezeichnet haben, würde ich von Ihnen gerne wissen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß es für die Bundesregierung nötig ist, die verschiedensten Mitarbeiter, insbesondere Ärzte in Bundeswehrkrankenhäusern und Mitarbeiter des MAD, auf Art. 1 des Grundgesetzes hinzuweisen, damit sie diesen Art. 1 des Grundgesetzes und die Wahrung der Menschenwürde auch bei Minderheiten achten.
Herr Kollege, ich teile das, was Sie sagen, in dem Geist dessen, was Sie in der Frage hier deutlich zu formulieren versuchten. Einen erneuten Hinweis allerdings in Form einer nachzuholenden Belehrung halte ich deshalb nicht für erforderlich, weil die Auftragslage selbstverständlich ständig ganz klar so ist - dies ist mit allem Nachdruck im Sinne einer Leitlinie zu befolgen -, daß man sich an die Artikel des Grundgesetzes zu halten hat. Ich halte es nicht für erforderlich, heute nun zu dem einen Artikel und morgen zu irgendwelchen anderen Artikeln extra Hinweise diesbezüglich zu geben, daß diese Gesetz und Gebot bei allen einzelnen Verhaltensweisen zu sein haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, liegt die Quelle dieser reichlich unappetitlichen Pressekampagne nicht bei Ihnen, und zwar in der Tatsache, daß Sie selber zur vorzeitigen Zurruhesetzung des Generals Kießling, die keiner Begründung in der Öffentlichkeit bedurft hätte, erklärt haben, die vorzeitige Zurruhesetzung sei weder aus politischen noch aus militärischen Gründen erfolgt? Das heißt: Haben Sie selber mit Ihrer Erklärung gegenüber der Presse nicht diesen ganzen Topf erst aufgemacht?
Herr Kollege, ich werde, fußend auf dieser Frage und auch auf den nächsten, wo allgemein nach den Problemen bestimmter Verhaltensweisen in den Streitkräften gefragt wird, nicht auf einen speziellen Fall eingehen. Ich sage unter Hinweis auf das von Ihnen zitierte Interview, daß weder in der Frage noch in einer der Antworten irgendein Ansatz auf wie auch immer geartetes geschlechtliches Verhalten gegeben war.
Dort ist über mangelndes Vertrauen geredet worden.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer.
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, es würde niemand auf Grund von Homosexualität oder anderer sexueller Praktiken aus der Bundeswehr entlassen. Ich möchte Sie fragen, ob homosexuelle Bundeswehrmitglieder als Homosexuelle registriert werden und ob Verdachte und Hinweise registriert werden.
Frau Kollegin, ich habe nicht das gesagt, was in dem ersten Teil Ihrer Frage deutlich wurde. Wenn Sie bitte hinterher nachlesen: Ich habe auf die so formulierte Frage gesagt, daß keiner wegen eines Verdachtes - welches Verdachtes wegen welcher Verhaltensweise auch immer - aus der Bundeswehr entlassen werde.
Ich nehme dennoch den zweiten Teil Ihrer Frage auf und beantworte ihn mit Nein. Es werden keine Listen geführt, es werden keine Überwachungen durchgeführt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß zur Erhärtung eines Verdachtes der Militärische Abschirmdienst 10 000 oder 20 000 DM zahlt?
Herr Präsident, ich sehe die Verbindung zu der Frage nicht; ich schließe dies aber ohne jedes noch so kleine Fragezeichen aus. Im übrigen wird über jeden Pfennig Buch geführt. Sollte auf Grund bestimmter Dinge irgendwo eine Summe von 100 oder 200 DM zur Erstattung irgendwelcher Auslagen bewegt werden, so wird sie nachgewiesen. - Wir bewegen uns aber auf einem anderen Feld, habe ich den Eindruck.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.
Herr Staatssekretär, darf ich im Anschluß an die Antwort, die Sie meinem Kollegen Conradi gegeben haben, fragen, ob die Quelle für das ganze unappetitliche, aufgeblähte Verfahren nicht vielleicht darin liegen könnte, daß auf die Frage von Journalisten der Pressesprecher Ihres Hauses - ich will jetzt über sein Lächeln gar nichts sagen - antwortete, der Vorwurf der Homosexualität sei vom Haus öffentlich nicht erhoben worden, und damit sozusagen indirekt eine Bestätigung des Vorwurfs gegeben worden ist?
Frau Kollegin, davon dürfen Sie nicht ausgehen. Weder offiziell noch inoffiziell - wer von uns sollte daran Interesse haben? - sind ähnliche Dinge von uns eingeleitet worden - in keiner Form.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) auf:
Trifft es zu, daß homosexuelle Soldaten bzw. homosexuelle Vorgesetzte von Soldaten ihren Dienst bei der Bundeswehr auf Grund ihrer Homosexualität quittieren müssen?
Herr Kollege, Sie fragten nach Soldaten wie nach Vorgesetzten mit entsprechender Verhaltensweise.
Ich darf zunächst zu den Soldaten, die nicht Vorgesetzte sind, kommen: Entsprechend veranlagte Männer sind aus wehrmedizinischer Sicht grundsätzlich wehrdienstfähig, wenn sie sonst ausreichend anpassungs-, leistungs-, belastungs- und gemeinschaftsfähig sind. Ein Ausschluß vom Wehrdienst bzw. eine vorzeitige Beendigung des Wehrdienstes ist nur dann gegeben, wenn bei der Beurteilung der Tauglichkeit so veranlagter Soldaten ihre uneingeschränkte Integrationsfähigkeit - vorhin habe ich „Gemeinschaftsfähigkeit" gesagt - in die militärische Männergemeinschaft auszuschließen ist. Dies ist im allgemeinen der Fall, wenn diese Veranlagung etwa im Sinne einer besonders extremen Abweichung auftritt und damit diese Gemeinschaftsfähigkeit des Soldaten ausschließt.
Zu zwei: Vorgesetzte. Eine derartige Betätigung von Vorgesetzten besonders innerhalb militärischer Anlagen oder gegenüber Untergebenen mindert - und zuweilen in ganz erheblicher Weise - seine dienstliche Autorität, gefährdet damit zuweilen in ernstlicher Form die militärische Ordnung und kann dem Ansehen der Streitkräfte schaden. Inwieweit eine vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses als Berufs- oder als Zeitsoldat angezeigt ist, muß nach sorgfältiger Prüfung jeweils des Einzelfalles, gegebenenfalls auch disziplinargerichtlich, entschieden werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, warum werden Homosexuelle bei der Musterung als dauernd leistungsfunktionsgestört bezeichnet, und worauf gründet sich diese Bezeichnung?
Herr Kollege, die Ihrer Frage zugrunde liegende Information ist nicht zutreffend. Sie erinnern sich, daß ich soeben ausführte, daß sie grundsätzlich wehrdienstfähig sind, es sei denn - und da habe ich einige Einschränkungen genannt -, dies sei in bedeutender Form der Fall.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, wie kommen Sie zu der Annahme, daß ein Bundeswehrmitglied - ich möchte das jetzt allgemein formulieren, weil Sie vorhin gesagt haben, Sie wollten sich nicht auf spezielle Fälle beziehen - wegen einer Angelegenheit, die vollkommen legal ist und im Bereich seiner Privatsphäre liegt, erpreßbar oder ein Sicherheitsrisiko sei?
Herr Kollege, Sie haben es mit der allgemein formulierten Frage geschickt verstanden, auf einen bestimmten Kern zu kommen, dem ich weder ausweichen kann noch will. Ein Soldat kann erpreßbar sein, andere Personen können erpreßbar sein, wenn sie etwas, was sie taten, verbergen wollen und wenn es Personen gibt, die wissen, daß dies getan wurde, und möchten, daß es bekannt sei. Da gibt es mannigfaltige Situationen im menschlichen Leben, wo dies der Fall ist. Eine Möglichkeit, erpreßbar zu werden - in dem Sinne, bestimmte Papiere zu geben, Mitteilungen zu machen, oder erpreßbar zu sein zu bestimmten eigenen Verhaltensweisen, etwas zu tun, oder etwas, was getan werden müßte, zu lassen, es nicht zu tun, - kann dann gegeben sein, wenn Menschen in der Umgebung um diese eben beschriebenen Verhaltensweisen wissen. Und dies möchte ich erweitern, weit über dieses Feld, das Ausgangspunkt Ihrer Frage ist, hinaus: nicht nur eine solche Verhaltensweise, die man verbergen möchte, kann dieser Anlaß zur möglichen Erpreßbarkeit - Prüfung bis ins Detail in jedem Einzelfall - sein, sondern mannigfaltige andere Dinge, auch beispielsweise der Verkehr mit oder Abhängigmachen von - oder etwas Ähnliches - andersgeschlechtlichen Personen. Ich beziehe dies bewußt - allgemeine Frage von Ihnen - auf einen breiteren Fächer, als es möglicherweise beim Ausgang Ihrer Frage deutlich wurde.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem durch Ihre Antwort klar ist, daß eine Veranlagung für sich genommen keinen Grund zur Entlassung aus der Bundeswehr bietet und damit die Erpreßbarkeitsgefahren auch ganz erheblich verringert sind, würde ich gern wissen, ob - da bei einer bestimmten Veranlagung gewisse Gaststätten aufgesucht werden, die für andere weniger interessant sind - denn diese Gaststättenbesuche einen Grund zur Entlassung aus der Bundeswehr bieten können, und ob Sie nicht lieber die Soldaten warnen sollten, welche Gaststätten sie besser meiden.
Herr Kollege, ich bin nicht gewillt, das, was uns morgen früh um 8 Uhr hier in der Aktuellen Stunde zusammenführt, in irgendeiner Form vorwegzunehmen. Die Gaststätte ist ein Bereich außerhalb der Kaserne, außerhalb des direkten dienstlichen Bezugsbereiches. Über die Kriterien, die ein Einschreiten innerhalb militärischer Anlagen mit Untergebenen erforderlich machen, habe ich vorhin gesprochen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, begründet Homosexualität oder der Umgang mit Homosexuellen nach Auffassung der Bundeswehr grundsätzlich ein Sicherheitsrisiko?
Grundsätzlich nicht, Herr Kollege; aber sie können es. Die Bedingungen des Einzelfalles - ich wiederhole es - sind hier entsprechend zu würdigen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben schon angedeutet, daß ein Sicherheitsrisiko z. B. in der Tatsache des häufigen außerehelichen Geschlechtsverkehrs bestehen könnte. Ich wollte Sie jetzt fragen, ob Sie auch darin eine mögliche Beunruhigung der Männergemeinschaft Bundeswehr sehen.
Unter bestimmten Umständen könnte - ich nehme das Wort ,,Beunruhigung" von Ihnen auf - möglicherweise in bestimmten Einzelfällen auch dieses auftreten. Frau Kollegin, innerhalb von Kasernen müßte dies mit Sicherheit eine Beunruhigung - ich bleibe bei Ihrer Vokabel - nicht nur der Kameraden, sondern auch der verantwortlichen militärischen Führer in gleicher Form hervorrufen und tut dies.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatssekretär, wenn Sie soeben gesagt haben, daß Homosexuelle dann wehrtauglich sind, wenn sie sonst anpassungsfähig, gemeinschaftsfähig usw. - den Katalog kann man in Ihrer Antwort nachlesen - sind, darf ich dann daraus schließen, daß es demzufolge besondere Kriterien zur Überprüfung der Wehrtauglichkeit von Homosexuellen, also auch irgendeine Art und Weise der Registrierung von Homosexuellen gibt und daß Sie somit vorher eine falsche Antwort gegeben haben?
Dies dürfen sie daraus nicht schließen. Auch ist meine Antwort vorhin so zutreffend wie jetzt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, sind Ihnen homosexuelle Soldaten und/oder Vorgesetzte in der Bundeswehr bekannt und, wenn ja, wie viele, welche den von Ihnen vorgetragenen Kriterien der Gemeinschaftsfähigkeit entsprechen?
Es gibt solche Soldaten. Wir führen keine Listen darüber. Sie werden nicht erfaßt. Sie werden nicht überprüft. Ich kann Ihnen keine Zahl sagen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.
Herr Staatssekretär, würde ich einen Fehler machen, wenn ich aus Ihrer Antwort, die Sie vorhin über die Verwendungsfähigkeit von Soldaten gegeben haben - die da hieß: es muß die Integration in die militärische Männergesellschaft garantiert sein -, schließe, daß Homosexualität unter Umständen genau der Punkt wäre? Wie würden Sie in diesem Falle dann bitte Frauen beurteilen, die in die Bundeswehr hinein sollen?
Frau Kollegin, ich habe gesagt, daß die Gemeinschaftsfähigkeit - schlagen wir die einmal in den Bereich hinüber, nach dem Sie fragen - gegeben sein muß und daß sie dort nicht gegeben ist, wo diese Veranlagung in einer besonders extremen Form vorhanden ist, so daß sie sich dann in einem kräftigen und möglicherweise selbst nicht zu zügelnden Drang äußert, in der Richtung, wie man veranlagt ist, auch tätig zu werden. Dann ist, egal, in welchem Bereich, die Gemeinschaftsfähigkeit gestört.
({0})
Ich wäre dankbar, wenn wir mit den Zwischenrufen zurückhaltend wären. Wir haben diese schwierige Debatte auf einem hohen Niveau geführt. Ich finde, wir könnten uns das für morgen früh merken.
Herr Bindig ist der nächste Abgeordnete zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben ausgeführt, daß Homosexualität allein - „grundsätzlich" sagten Sie - noch kein Grund für ein Sicherheitsrisiko sei. Können Sie denn diese Aussage dadurch belegen, daß es Fälle gibt, wo jemand, dessen Homosexualität bekannt ist, der in einem sicherheitsrelevanten Bereich tätig ist, trotzdem in der Bundeswehr seinen Dienst versieht?
Herr Kollge, es mag Sie wundern: Es gibt Fälle in unserer Bundeswehr, wo bekannt ist, daß der entsprechende Dienstposteninhaber diese Veranlagung hat, sie auch offen bekennt, wo kein Anlaß besteht, daß er irgend etwas verbergen will, dadurch die Gefahr der Erpreßbarkeit nicht gegeben ist, und daraus sich ergebend kein Anlaß bestand - Vorgesetzter ist er nicht, sondern ein Fachdiensttuer in einem bestimmten selbständig arbeitenden Bereich -, ihm entsprechende Bescheide zu entziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir, daß ich vorweg, bevor ich zu meiner eigentlichen Frage komme, darauf hinweise, daß mir der von Ihnen benutzte Ausdruck „Männergemeinschaft" nicht ganz ohne gleichgeschlechtlichen Eros zu sein scheint, was dazu Veranlassung geben mag, sich selbst immer zu hinterfragen.
Lassen Sie mich im Anschluß an die Frage meines Kollegen Bindig konkret fragen: Ist es möglich, daß in der Bundeswehr ein Soldat, der sonst nach Kriterien des Verteidigungsministeriums durchaus in geordneten Verhältnissen, aber in einer quasi eheähnlichen Gemeinschaft mit einem anderen Mann lebt, Disziplinarvorgesetzter, Offizier sein kann?
Herr Kollege, hier sind wir an der Stelle, die ich als Grenzfall bezeichnen möchte. Hier muß bis in die letzten Lücken des
Details der Einzelfall überprüft werden. Es gibt
keine generelle, pauschale Bestimmung, die dieses
quer über alle Dinge hinweg schablonenhaft regelt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schoppe.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von extremen Formen der Homosexualität und von Abweichungen. Darf ich Sie bitten, zu erklären, was Sie in diesem Zusammenhang damit meinen.
Frau Kollegin, auch dieses muß, bezogen auf den Einzelfall, der Fachmann - in diesem Fall nicht der militärische Vorgesetzte, sondern der dafür kundige Mediziner, möglicherweise unter Heranziehung weiterer medizinischer Spezialisten - feststellen, wobei dort sicher auch der Psychologe eingereiht werden muß.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, da Sie einen Mediziner einschalten wollen, darf ich Sie fragen, ob Sie die Homosexualität für eine Krankheit halten. Sind Sie der Auffassung, daß Homosexualität durch Mediziner festgestellt werden kann?
Herr Kollege, wir haben hierüber im Bundestag über viele Jahre gründliche Debatten gehabt. Die Homosexualität wird nicht unter „Krankheit" eingereiht. Aber ein militärisch Vorgesetzter hat sich in diesen Fällen der speziellen Sachkunde zu bedienen. Diese ist in solchen Fragen nun einmal nicht beim technischen Offizier gegeben, sondern beim Mediziner, der dies möglicherweise dem Psychologen und anderen überweist. Dies gilt auch wegen der Verschwiegenheitspflicht und den sachlichen Erfahrungen in anderen Bereichen.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß ein hoher Offizier, der auf Befragen hin seine Homosexualität zugibt, in keiner Weise befürchten muß, daß ihm die Sicherheitsbescheide 1 und 2 entzogen werden?
Herr Kollege, dies können Sie nicht, da ich davon sprach, daß all diese Dinge im Einzelfall gründlich und umfassend überprüft werden müssen. Zum Einzelfall gehören die Funktion, die Person und die Umstände.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hoffmann ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin nach meiner Auffassung richtiHoffmann ({0})
gerweise festgestellt haben, daß Homosexualität nicht durch Mediziner feststellbar sein kann, weil sie keine Krankheit ist: Wäre die Bundesregierung dann auch bereit, die Konsequenz daraus zu ziehen und entsprechend die Homosexualität als Merkmal der entsprechenden WHO-Liste international streichen zu lassen?
Herr Kollege, das letzte habe ich akustisch nicht verstehen können.
Es gibt eine Liste der WHO, in der die Homosexualität unter der Rubrik „Krankheiten" aufgeführt wird. Diese Liste ist nachweislich überholt. Wäre die Bundesregierung entsprechend Ihrer vorigen Aussage bereit, sich demgemäß konsequent für diese Änderung der WHO-Liste einzusetzen?
Diese Frage steht nicht mehr in einem direkten Zusammenhang mit unserer Fragestellung. Sie müssen also nicht antworten, Herr Staatssekretär.
Ich würde gern sagen, Herr Präsident, daß - ich darf dies wiederholen - in der Bundeswehr diese Veranlagung - wir haben uns in den letzten Tagen über extreme Abweichungen bei Verhaltensweisen unterhalten - nicht als Krankheit angesehen wird.
Den anderen Inhalt Ihrer Frage muß ich an den Kollegen des anderen Ressorts weitergeben.
Liebe Kollegen, wir haben zwölf Zusatzfragen gehabt.
({0})
Es steht noch eine Frage des Abgeordneten Dr. Ehmke aus, der schon lange wartet.
({1})
Es sind dann auch noch Zusatzfragen möglich. Ich wäre dankbar, wenn Sie damit einverstanden wären, daß wir jetzt zur zweiten Frage des Abgeordneten Dr. Ehmke übergehen, die Antwort des Staatssekretärs hören und dann neue Zusatzfragen anmelden.
({2})
- Entschuldigung, hier ist laufend entsprechend der Regel aufgerufen worden. Ich bin selbstverständlich gern bereit, Ihre Zusatzfrage zuzulassen. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, das sogleich nach der Antwort auf die Frage von Herrn Dr. Ehmke zu tun. Wenn Sie auf die Frage 38 schauen, werden Sie sehen, daß sie in einem sehr engen Zusammenhang mit der vorherigen Frage steht, so daß ohne weiteres die Möglichkeit besteht, sich dazu zu melden.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Ehmke ({3}) auf:
Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage beruht dies, und wie viele Fälle dieser Art gab es bereits in der Vergangenheit?
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, daß die Antwort ein klein wenig länger ist.
Es gibt keine speziellen Bestimmungen für die Bundeswehr, nach denen Soldaten wegen Homosexualität zu entlassen sind. Diese Frage regelt sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften über die Eignung zum Soldaten und vor allem zum Vorgesetzten. Auf einige Spezialdinge wiesen wir bereits hin.
So kann ein Soldat auf Zeit gemäß § 55 Abs. 5 des Soldatengesetzes während der ersten vier Dienstjahre aus der Bundeswehr entlassen werden, wenn das Verbleiben in Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr wesentlich gefährden würde. Dies gilt unter anderem auch für die Fälle, in denen Soldaten auf Zeit wegen homosexueller Handlungen disziplinar gemaßregelt oder strafrechtlich verurteilt worden sind.
Nach § 55 Abs. 4 Soldatengesetz soll ein Offiziersanwärter, der sich nicht zum Offizier eignen wird, entlassen werden. Auch hier könnten im konkreten Einzelfall homosexuelle Handlungen Anlaß für eine solche Maßnahme sein.
Entsprechendes gilt nach § 46 Abs. 4 Soldatengesetz für Leutnante bis zum Ende des dritten Offizierdienstj ihres.
Schließlich kann ein Soldat auf Zeit oder ein Berufssoldat bei schwerem disziplinarem Fehlverhalten, z. B. wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu einem Untergebenen, von einem Truppendienstgericht zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis gemäß § 58 der Wehrdisziplinarordnung verurteilt werden.
Die Anzahl der bisher bekanntgewordenen Fälle ist äußerst gering. Es sind keine Aktivitäten in der Bundeswehr entwickelt worden, um homosexuelle Neigungen von Soldaten in Erfahrung zu bringen. Dies entspricht der Achtung des Dienstherrn vor dem Anspruch des Soldaten auf Schutz seiner Privatsphäre. Aus diesen Gründen gibt es keine systematische Erfassung der Fälle, in denen gleichgeschlechtliches Verhalten von Soldaten zur Entlassung oder gerichtlichen Entfernung aus dem Dienstverhältnis geführt hat.
Zusatzfrage, Herr Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin auf eine Frage nach der Zahl der Homosexuellen innerhalb der Bundeswehr keine Antwort geben konnten, können Sie wenigstens Angaben in einem deutschen Nachrichtenmagazin widerlegen oder bestätigen, wonach es in der Bundeswehr über 50 000 homosexuelle Soldaten geben soll?
Herr Kollege, ich kann diese Zahl nicht bestätigen und bin auch nicht dazu bereit, mich an dieser Zahl überhaupt zu orientieren; das wäre Spekulation.
Ich will einen allgemeinen Gedanken formulieren, bevor ich Ihnen das sage, was wir auf einem anderen Feld an konkreten Zahlen haben. Der Gedanke, den ich formulieren möchte, ist: Anders als in früheren Streitkräften, die wir in unserer Geschichte hatten, steht in der Bundeswehr praktisch abends um fünf, halb sechs oder sechs Uhr das Kasernentor offen, es sei denn, man hat bestimmte Dienste, von denen es nicht sehr viele gibt: zuweilen einmal Bereitschaft, ansonsten Wache, UvD oder GvD. Die Mehrheit der Soldaten geht dann hinaus in die Garnisonstädte, fährt irgendwohin, und mit Sicherheit wirken heute andere Verhaltensweise auf die Gemeinschaft ein, als sie möglicherweise in früheren Jahrzehnten prägend waren.
Zu den konkreten Zahlen, die ich habe, die einzigen, die wir nennen können: Für die Jahre 1979 bis einschließlich 1983 habe ich die Truppendienstgerichtsverfahren auswerten lassen. In all diesen Jahren sind jeweils neun oder zehn Verfahren - allein in dieser Größe bewegt es sich - wegen gleichgeschlechtlichen Umgangs durchgeführt worden. Da in diesem genannten Zeitraum im Jahr jeweils 1 100, 1 020, 910, 960 und 1 200 Verfahren durchgeführt worden sind, ist das eine geringe, eine äußerst geringe Zahl.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, nach wissenschaftlichen Untersuchungen gibt es laut Statistik in der Bevölkerung ca. 5% Homosexuelle. Meinen Sie nicht, daß es natürlich wäre, wenn in der Bundeswehr, die sich ja auch als Teil der Bevölkerung sieht, ein ähnlicher Prozentsatz an Homosexuellen zu erwarten wäre?
Herr Kollege, ich kann dies nicht bestätigen, aber auch nicht bestreiten. Ich kann es deshalb nicht, weil wir dies nicht nachprüfen, keine Erhebungen durchführen und keine Fragen stellen. Sie können hier also möglicherweise eine andere Auffassung, eine andere Philosophie als ich dazu haben; eine exakte Antwort dazu kann ich Ihnen nicht geben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung auch künftig darauf bedacht sein, daß unsere jungen Wehrpflichtigen in den Kasernen nicht etwa gleichgeschlechtlicher Verführung ausgesetzt sein werden?
({0})
Herr Kollege Berger, mit Sicherheit. Ich meine, die eine oder andere Reaktion soeben erlebend, daß dies eine ganz ernste Frage ist.
({0})
Denn wie würde einer von uns, von Ihnen, von den Eltern der Wehrpflichtigen reagieren, wenn sie berichtet bekommen müssen, daß ein Wehrpflichtiger einen Unteroffizier, einen Offizier, einen Vorgesetzten hat, der in einer bestimmten Form versucht, ein Abhängigkeitsverhältnis, das er auf Grund des Soldatengesetzes herstellen kann - er ist Vorgesetzter, er kann Befehle erteilen -, auf diesem Gebiet herzustellen?
({1})
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß es in der Geschichte große und ruhmreiche Armeen gab, in denen sowohl die Soldaten als auch deren oberste Feldherren das praktizierten, was in diesem Fall als Sicherheitsrisiko und als mögliche Beunruhigung der Männergemeinschaft der Soldaten angesehen wird.
Ich möchte Sie fragen, wie Sie sich auf dem Hintergrund unserer - auch jüngeren - Geschichte dieses heutige Urteil bei uns erklären.
Frau Kollegin, mir sind wie Ihnen und vielen von uns hier große Persönlichkeiten innerhalb verschiedener Funktionen - in der Literatur, in der Kunst, in Führungsaufgaben in der Verwaltung und sicherlich auch im Militär - mit ähnlichen Veranlagungen bekannt. Aber ich rede hier nicht über Feldherren, nach denen Sie gefragt haben, sondern ich rede über den normalen Alltag in unserer Kaserne. Hierzu habe ich, so meine ich, sehr klare Aussagen gemacht.
Ich will hinzufügen - denn ich meine, daß dies nötig ist, auch für die Art, in der wir dieses ernste Thema hier miteinander behandeln -, daß natürlich nicht nur eine solche Anlage, sondern auch ein solches Betätigen vom Gesetz her straffrei gestellt wird; darüber gibt es keinen Streit, keine zwei Meinungen.
Ich habe in Beantwortung der ersten Frage des Kollegen Ehmke dargelegt, welche einschränkenden Kriterien in der Bundeswehr zugrunde gelegt werden müssen. In Erinnerung an die Frage des Kollegen Berger füge ich hinzu: Die übliche Verhaltensnorm - übrigens nicht nur in der Bundeswehr, sondern weitgehend auch in der Öffentlichkeit - ist mit der Rechtsnorm, die ich soeben beschrieben habe, nicht immer identisch. So gibt es Fälle - und jetzt will ich einmal bewußt nicht nur aus der Perspektive eines Vorgesetzten, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorge gegenüber einem solchen Mann antworten, der einen Anspruch darauf hat, geschützt zu werden -, die, wenn sie besonders extrem gelagert sind, nach der Lebenserfahrung, die wir alle miteinander haben, doch dazu führen werden, daß sich Kameraden über einen so Veranlagten lustig machen, ihn veräppeln, daß sie versuchen, ihn zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, zu drängen - ich will die Kette jetzt nicht fortsetzen; sie wäre logisch -, zu zwingen und zu erpressen, allerdings nicht in dem Sinne, in dem wir im Augenblick über manches reden. Und deshalb sind bestimmte Maßnahmen innerhalb einer solchen Organisation, wie die Streitkraft es ist, erforderlich.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatssekretär, da Sie Fragen nach der Diskriminierung der Homosexualität in der Bundeswehr jetzt mehrfach damit beantwortet haben, daß es diese nicht gebe, sondern es beispielsweise zu disziplinarischen Maßnahmen nur komme, wenn gleichzeitig mangelnde Anpassungsfähigkeit oder Gemeinschaftsfähigkeit oder Disziplinarvergehen von Ihnen festgestellt seien, darf ich Sie fragen, wie solche Vorgänge in der Bundeswehr im allgemeinen aufgeklärt und abgewikkelt werden. Wird, wenn für Sie ein Tatbestand der Homosexualität festgestellt wird, danach gefragt, ob es zusätzlich eine Störung der Gemeinschaftsfähigkeit und der Disziplinarregeln gibt? Oder gehen Sie, wenn es eine Störung der von Ihnen genannten Gemeinschaftsfähigkeit und Disziplinarregeln gibt, im allgemeinen so vor, daß Sie zusätzlich danach fragen, ob der betreffende auch homosexuell ist? Oder werden beide Wege benutzt?
Herr Kollege, es gibt keine generelle Befragung, sondern dies muß auf den Einzelfall bezogen, sich in den Einzelfall hineindenkend, beweglich im Interesse aller erfolgen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihren Antworten entnehmen, daß ein Soldat, der seine Homosexualität freimütig bekennt und Offizier werden möchte, es ungleich schwerer hat, befördert und Vorgesetzter werden zu können, weil er im Gegensatz etwa zu jemandem, der seine Weiberheldschaften freimütig bekennt, sich viel eindringlicher auf seine Tauglichkeit durchleuchten lassen muß als eben jener, der seine Potenz freimütig, freizügig heterosexuell auslebt?
Herr Kollege, dies bestätige ich.
({0})
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht sozusagen zur Ehrenrettung der Bundeswehr notwendig gewesen, auf die Frage des Kollegen vorhin zu sagen, daß junge Männer geschützt werden müssen, daß wir eigentlich bei dem Verhalten der Bundeswehr, die ja keine militärische Männergemeinschaft ist, sondern aus Bürgern in Uniform besteht, jeder Mutter, jedem Vater, jeder Frau, jeder Freundin garantieren können, daß bis auf ganz wenige minimale Ausnahmen niemand dort seelischen, moralischen und sonstigen Schaden erleidet, wenn er dorthin geht?
Frau Kollegin, ich hoffe, daß dies aus meinen Antworten, die die sehr sachliche, nüchterne, unverkrampfte Verhaltensweise und Umgehensweise in der Bundeswehr spiegeln, sehr deutlich wurde.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch drei Zusatzfragen. Danach können wir, glaube ich, diesen Fragenkomplex abschließen, um auch die anderen Kollegen das Recht, zu fragen, ausüben zu lassen. Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Gansel.
Herr Staatssekretär, kann ich trotz der Antwort, die Sie dem Kollegen Sperling eben gegeben haben und die nicht eindeutig war, den bisherigen Verlauf der Fragestunde so zusammenfassen - was ich als ein respektables Ergebnis betrachten würde -, daß in der Bundeswehr ein Soldat, der homosexuell ist, der aber weder sich nach dem allgemeinen Strafrecht strafbar gemacht hat noch seine dienstliche Stellung mißbraucht und sonst in geordneten Verhältnissen lebt, in keiner Weise diskriminiert wird und daß seine menschliche Würde - Art. 1 des Grundgesetzes - und seine Gleichbehandlung - Art. 3 des Grundgesetzes - gewährleistet sind?
Herr Kollege Gansel, ich folge Ihnen insoweit und antworte Ihnen insoweit mit Ja, als ich dies auf die Dienstherren, die Vorgesetzten beziehe. Ich füge hinzu, daß in der menschlichen Praxis, wie sie sich darstellt, diese Diskriminierung, von der Sie sprachen, durch ganz andere, nämlich durch die Kameraden in diesem Fall, nicht auszuschließen ist und, wie die Erfahrung lehrt, in der Regel einsetzt.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Bard.
Kann ich dieser Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie in der Bundeswehr nichts dazu tun, die Vorurteile, die sich gebildet haben und die bei uns in der unseligen Vergangenheit im Dritten Reich zu einer Verfolgung der Homosexuellen geführt haben, abzubauen, und daß Sie im Gegenteil darauf hinwirken, diesen Vorurteilen insoweit entgegenzukommen, als Sicherheitsprüfungen da stattfinden, wo ein Verdacht auf Homosexualität allein schon besteht, statt einmal zu untersuchen, ob nicht vielleicht die, die nach außen hin gut verheiratet sind und sich in Wirklichkeit irgendwo herumtreiben, ein größeres Sicherheitsrisiko sind?
Frau Kollegin, die Bundeswehr verhält sich hier wie alle anderen Institutionen und Organisationen in unserem Staat. Das Gesetz ist von diesem Haus vor über einem Jahrzehnt geändert worden. Ich kann Ihre Sorge, die mitklang, hier nicht teilen. Das Verhalten der Bundeswehr habe ich, glaube ich, umfangreich und verständlich geschildert.
Die letzte Zusatzfrage kommt von dem Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Wissenschaftliche Beirat für das Sanitätswesen beim Bundesministerium der Verteidigung festgestellt hat, daß Homosexualität ein abnormes sexuelles Verhalten ist und damit nach den Sicherheitsvorschriften der Bundeswehr die Sicherheitsbescheide zu entziehen sind? Und wenn dies zutrifft: Sind Sie dann nach Ihren heutigen Aussagen bereit, die Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats zu revidieren?
Herr Kollege, meine Aussagen fußten auf allen verbindlichen Aussagen, Unterlagen, Gesetzen und Vorschriften, die in Kraft sind.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich danke Herrn Staatssekretär Würzbach für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Fiebig auf:
Teilt die Bundesregierung die vom Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes im „stern" Nr. 45 vom 3. November 1983 geäußerte Ansicht, daß bei der Beurteilung eines Arzneimittels im Zulassungsverfahren nur die wichtigsten Studien genau zu lesen sind, somit lediglich eine stichprobenweise Durchsicht der vom Hersteller zum Nachweis von Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität eingereichten Unterlagen ausreicht, um den behördlichen Auftrag im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes sicherzustellen?
Frau Staatssekretärin.
Frau Karwatzki, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Fiebig, die nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Unterlagen, insbesondere die Ergebnisse der analytischen, der pharmakologisch-toxikologischen und der klinischen Prüfung, wie sie in § 22 Abs. 2 Arzneimittelgesetz beschrieben sind, und die vorzulegenden Sachverständigengutachten werden im Zulassungsverfahren sorgfältig geprüft, und zwar bei neuen Stoffen nicht nur von den Mitarbeitern des Instituts für Arzneimittel, sondern auch den Mitgliedern der Zulassungskommission, vor allem ihren Berichterstattern und ihrem Vorsitzenden. Die Durchsicht der regelmäßig außerordentlich umfangreichen Gesamtdokumentation orientiert sich dabei an den gesetzlichen Kriterien und der Qualität der einzelnen Studien und Gutachten. Es wäre deshalb eine falsche Interpretation, wenn aus dem genannten Interview mangelnde Aufmerksamkeit bei der Zulassung von Arzneimitteln gefolgert würde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fiebig.
Wie kann sich dennoch, Frau Staatssekretärin, der Präsident des Bundesgesundheitsamts in einer die Öffentlichkeit derart verwirrenden Weise äußern? Warum sagt er in dem „stern"-Interview nicht ganz präzise das, was Sie hier gesagt haben?
Herr Kollege Fiebig, warum er das getan hat, kann ich nicht beantworten. Aber ich will Ihnen versprechen, daß das für die Zukunft ausgeschlossen ist.
Hat der Präsident des Bundesgesundheitsamts wegen seiner fahrlässigen Redeweise, die die Öffentlichkeit, besonders die Patienten und die Verbraucher, beunruhigen muß, eine Rüge von dem Minister als der vorgesetzten Dienstbehörde bekommen?
Das war schon die zweite Zusatzfrage.
Ich sehe gerade, Herr Fiebig: Er ist auf diesen Sachverhalt hingewiesen worden mit der Bitte, das in Zukunft zu unterlassen.
Wir kommen zu der Frage 40 des Abgeordneten Fiebig:
Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß entsprechend dem gesetzlichen Auftrag bei der Verlängerung von Zulassungen am Ende der fünfjährigen Zulassungsperiode eine behördliche Überprüfung zur Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit auf Grund des herrschenden Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis erfolgt?
Herr Kollege Fiebig, ich teile Ihre in der Frage zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß der Verlängerung der Zulassung eine sehr wichtige Funktion im Gefüge der Arzneimittelsicherheit zukommt. Eine Verlängerung von Zulassungen wird in Übereinstimmung mit § 31 Abs. 3 Arzneimittelgesetz dann nicht ausgesprochen werden, wenn Gründe zur Versagung, zur Rücknahme oder zum Widerruf der Zulassung vorliegen. Soweit es sich um Arzneimittel handelt, die vor der Zulassung in ihrer Wirkung nicht allgemein bekannt waren, wird bei der Entscheidung der nach § 49 Arzneimittelgesetz vom pharmazeutischen Unternehmer zu erstellende Erfahrungsbericht herangezogen, der insbesondere neue Erkenntnisse über Art und Häufigkeit von Nebenwirkungen des Arzneimittels enthalten muß.
Soweit bei Arzneimitteln im Rahmen der vom Bundesgesundheitsamt vorgenommenen Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken Erkenntnisse vorliegen, werden diese bei der Entscheidung berücksichtigt; §§ 62 und 63 des Arzneimittelgesetzes. In sonstigen problematischen Fällen - die vom Zulassungsinhaber zu erbringenden Änderungsanzeigen können Anhaltspunkte ergeben - wird vor der Entscheidung ein Bericht nach § 31 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes vom pharmazeutischen Unternehmer darüber angefordert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich die Beurteilungsmerkmale für das Arzneimittel innerhalb der letzten fünf Jahre geändert haben. Es werden also Verfahrensregeln angewandt, die den Gesichtspunkten der Arzneimittelsicherheit bei der
Verlängerung der Zulassung eines Arzneimittels absoluten Vorrang einräumen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 41 des Abgeordneten Kroll-Schlüter sowie 42 und 43 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Müller ({0}):
Wie beurteilt die Bundesregierung Meldungen, wonach bei dem heute üblichen Einschweißen von Lebensmitteln in Plastikfolie Gase frei werden, die krebserregende Substanzen enthalten, und welche Konsequenzen gedenkt sie zu ziehen'?
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine neueren Meldungen darüber vor, daß beim Einschweißen von Lebensmitteln in Kunststoff-Folie krebserregende Stoffe frei werden. Die Kunststoff-Kommission des Bundesgesundheitsamtes hat sich im Jahre 1976 mit dieser Frage befaßt, da die Vermutung geäußert wurde, daß möglicherweise beim Verschweißen von PVC-Kunststoff-Folien das als krebserregend erkannte Vinylchlorid in Lebensmitteln bzw. in die Raumluft gelangt. Die Kommission kam jedoch zu dem Ergebnis, daß bei diesem Verfahren mit einer Abspaltung von Vinylchlorid aus PVC nicht zu rechnen ist.
Im übrigen wurden durch die Vinylchlorid-Bedarfsgegenstände-Verordnung vom 26. Oktober 1979 der Gehalt an Vinylchlorid in Kunststoffen für den Lebensmittelkontakt und der bei längerer Aufbewahrung in solchen Verpackungen mögliche Übergang von Vinylchlorid auf Lebensmittel so stark eingeschränkt, daß gesundheitliche Schädigungen des Verbrauchers nicht zu befürchten sind.
Keine Zusatzfrage? - Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Vielen Dank, Frau Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Deutsche Bundesbahn ({0}) zur Zeit 300 Jugendliche zum Kaufmann/ Kauffrau im Eisenbahn- und Straßenverkehr ({1}) ausbildet, und wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, diese qualifizierten Auszubildenden nach erfolgreichem Abschluß ihrer Ausbildung bei der DB weiterzubeschäftigen?
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn bildet zur Zeit 413 Kaufleute im Eisenbahn- und Straßenverkehr, die ihre Ausbildung 1984 beenden, und 341 Jugendliche, die ihre Ausbildung 1985 beenden - davon 146 gegen Kostenerstattung durch den Bund -, aus. Angesichts des stark gesunkenen Personalbedarfs im Zuge der Anpassung der Kapazitäten an das rückläufige Verkehrsaufkommen und mit Rücksicht auf einen Personalmehrbestand von zur Zeit über 14 000 Mitarbeitern hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn entschieden, von den 1984 auslernenden 3 500 Auszubildenden - einschließlich der vorhin genannten 413 Kaufleute - nur 700 zu übernehmen.
Die Auswahl wird durch die Bundesbahndirektionen unter Berücksichtigung der regionalen und funktionalen Personalverhältnisse in den einzelnen Direktionsbezirken vorgenommen. Dabei werden die genannten Kaufleute wegen des hohen Mehrbestandes in der Assistentenlaufbahn - für einen Teil der von dieser Laufbahn abgedeckten Tätigkeiten könnten sie in Betracht kommen - zunächst grundsätzlich nicht in dem erlernten Beruf beschäftigt werden können.
Mit einer Verbesserung der Personalsituation wird auch im kommenden Geschäftsjahr nicht gerechnet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, besteht angesichts der Tatsache, daß bei insgesamt 7 204 Mitarbeitern im Bereich der Bundesbahndirektion Essen - ich beziehe mich jetzt nur auf diesen eingegrenzten Bereich - im nichttechnischen mittleren Dienst in diesem Jahre, 1984, 317 Mitarbeiter älter als 60 Jahre werden, die Möglichkeit, durch eine großzügige Auslegung frühzeitiger Pensionierung - etwa aus gesundheitlichen Gründen - diese 30 angesprochenen jungen Menschen unterzubringen?
Herr Kollege, eine frühzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen wird auf Grund des Gesundheitszustandes und auf der Grundlage der geltenden Vorschriften vorgenommen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Präsident, ich bin der Auffassung, daß meine Frage nicht beantwortet ist. Mir ging es darum - deswegen wiederhole ich das hier -: Gibt es nicht die Möglichkeit, mindestens 30 Arbeitnehmer unter diesem Gesichtspunkt frühzeitig zu pensionieren - die rechtlichen Grundlagen sind mir durchaus bekannt -, um die 30 jungen Menschen in diesem Direktionsbezirk aufnehmen zu können?
Herr Kollege, ich bin bei meiner Antwort eigentlich davon ausgegangen, daß Sie aus den Gesetzen der Logik den Begriff des Umkehrschlusses kennen.
Sehen Sie, Herr Kollege Toetemeyer, es ist erlaubt, daß die Regierung so antwortet. Ob Sie damit zufrieden sind, ist eine andere Frage.
Vizepräsident Westphal
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Peter ({0}).
Herr Staatssekretär, könnten Sie im Zusammenhang mit dieser Frage sagen, wie die sogenannten KiES in den vergangenen Jahren bei der Bundesbahn untergebracht worden sind?
Herr Kollege, diese Laufbahn war relativ neu. Sie hat sich aber nicht als zukunftsträchtig erwiesen. Es war zunächst einmal daran gedacht, daß diese Kaufleute auch in der privaten Wirtschaft unterkommen sollten. Wir müssen aber inzwischen erhebliche Schwierigkeiten feststellen, so daß dieser Ausbildungsgang überhaupt nicht mehr angeboten wird.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß neben den 30 zum KiES Auszubildenden zur Zeit 320 Bundesbahnsekretäre ausgebildet werden, die alle nach dem Ende ihrer Ausbildung bei der Deutschen Bundesbahn weiterbeschäftigt werden sollen, und hält die Bundesregierung es im Hinblick auf die Gleichbehandlung und angesichts einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 52 000 bei der Bundesbahndirektion Essen wirklich für ausgeschlossen, auch diese 30 zum KiES Auszubildenden entsprechend ihrer Qualifikation zu übernehmen?
Herr Kollege, nach den von Ihnen genannten Zahlen muß ich davon ausgehen, daß sich Ihre Frage auf die schon erwähnte Direktion Essen bezieht. In diesem Bezirk werden nach Mitteilung der DB zur Zeit 31 solcher Kaufleute mit Ausbildungsende 1984 und 30 mit Ausbildungsende 1985 ausgebildet, davon 15 gegen Kostenerstattung durch den Bund. Bei der Direktion Essen werden zur Zeit außerdem 20 Bundesbahnassistentenanwärter - das sind Beamte im Vorbereitungsdienst - ausgebildet. Für diese beamteten Nachwuchskräfte besteht auf Grund dienstrechtlicher Bestimmungen nach erfolgreich beendeter Ausbildung eine Verpflichtung zur Übernahme.
Das Ausbildungsvertragsverhältnis von Auszubildenden dagegen - dazu gehören auch diese Kaufleute - endet im Einklang mit arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften mit Ablauf der Ausbildung.
Die Bedarfs- und Mehrbestandssituation im Bereich der Bundesbahndirektion Essen entspricht der in der Antwort zur vorhergehenden Frage geschilderten allgemeinen Personallage der DB.
Auf Grund dessen werden 1984 von den 410 Auszubildenden - einschließlich 31 solcher Kaufleute - bei der Direktion Essen nur 41 übernommen werden können. Im Rahmen dieses Kontingents will die Bundesbahndirektion Essen 20 Gleisbauer und 20 Auszubildende in den übrigen gewerblich-technischen Berufen - allerdings in ausbildungsfremden Tätigkeiten - sowie einen Kaufmann neben den vorgenannten 20 Bundesbahnassistentenanwärtern übernehmen.
Der Personalbestand der Direktion Essen beträgt zur Zeit etwa 38 800 Dienstkräfte und nicht - wie in der Frage genannt - 52 000.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um diese nach Ende ihrer Ausbildungszeit aus den von Ihnen dargestellten Gründen nicht übernehmbaren Jugendlichen etwa in Unternehmen mit Bundesbeteiligung unterzubringen?
Herr Kollege, dieser Frage konnte ich nicht nachgehen, weil sie in dem von Ihnen eingereichten Text nicht enthalten war.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß das, was jetzt bei der Bundesbahn passiert, in einem eklatanten Gegensatz zu der von der Bundesregierung geplanten Vorruhestandsregelung steht?
Herr Kollege, Sie haben mich nach der Zahl der Auszubildenden gefragt. Sie haben nach dem Durchschnittsalter von Eisenbahnern gefragt. Wir werden mit Sonderprogrammen versuchen, junge Menschen in ein Lehrverhältnis zu bringen, und wir gehen selbstverständlich davon aus, daß die geplante Vorruhestandsregelung - wir werden in dieser Woche noch darüber debattieren - eine Abhilfe schaffen wird. Dies ist aber nur ein Teil vieler Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter ({0}).
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die in den vergangenen Jahren bei der Bundesbahn ausgebildeten KiES, wenn auch in anderen Arbeitsbereichen, auf anderen Dienstposten, alle restlos untergebracht worden sind?
Herr Kollege, dieser Ausbildungsgang ist so neu, daß wir, glaube ich, nicht auf so weit gespannte Erfahrungen aus der Vergangenheit zurückgreifen sollten, wie dies in Ihrer Frage angedeutet ist.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
In welcher Weise überwacht die Bundesregierung die Preisbildung bzw. Preisentwicklung bei monopolartigen Gebühren - wie z. B. Parkgebühren - an deutschen Flughäfen?
Herr Kollege, die von den Verkehrsflughäfen zu erhebenden Gebühren oder Entgelte für das Landen und Abstellen von Luftfahrzeugen unterliegen der Genehmigung durch die zuständigen Genehmigungsbehörden. In
den Genehmigungsverfahren werden alle Kriterien, die für Art und Höhe der beantragten Gebühren maßgebend sind, geprüft. Genehmigungsbehörde ist im Einzelfall die oberste Luftfahrtbehörde des Landes, in dem der Verkehrsflughafen gelegen ist. Die Bundesregierung hat insoweit keinen unmittelbaren Einfluß auf die Festsetzung und Genehmigung der Gebühren.
Die Parkgebühren für Kraftfahrzeuge an Verkehrsflughäfen unterliegen nicht der Genehmigung durch staatliche Stellen. Sie werden von den Flughäfen selbst oder den von ihnen beauftragten Parkunternehmen festgesetzt. Eine staatliche Eingriffsmöglichkeit außer durch die Kartellbehörden der Länder bei Mißbrauch besteht hier nicht. Allerdings haben die Parkunternehmen bei der Gestaltung ihrer Gebühren oder Entgelte die von der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht gezogenen Grenzen zu beachten. Für die Mißbrauchskontrolle sind die Landeskartellbehörden zuständig. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob in den letzten Jahren Beschwerden über Parkbenutzungsentgelte zu Kartellverfahren geführt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß der Bundesregierung keine Beschwerden vorliegen. Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß die Erhöhung der Parkplatzentgelte, wie Sie es nennen, auf 250 % innerhalb von wenigen Jahren, was durchaus üblich ist, bei gleichzeitiger Verschlechterung des Leistungsangebotes Anlaß zu Überwachungen oder zumindest Fragestellungen geben sollte?
Herr Kollege, ich habe gerade ausgeführt, daß die Bundesregierung gar keine rechtliche Möglichkeit zu einer solchen Überwachung hat. Es ist im übrigen zu untersuchen, ob z. B. ein solcher Parkplatz im privaten Eigentum einer Flughafengesellschaft steht. Es ist zu überlegen, ob dies öffentliches Gelände einer Kommune ist. Ich glaube, daß dort der Ansatzpunkt ist, wenn Bürger oder Kollegen aus diesem Hause der Ansicht sind, daß die Steigerungen der Gebühren zu hoch ausgefallen seien.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, da es sich hier nicht um ein Einzelphänomen, sondern um eine allgemein zu beobachtende Entwicklung, allerdings unterschiedlichen Ausmaßes, handelt, fragt es sich, ob es nicht angesichts der kartellrechtlichen Zuständigkeit auch der Bundesregierung und der Aufhängung des Kartellamtes auf der Bundesebene eine Sache der Bundesregierung ist, diese Entwicklungen der Preise und der monopolartigen Gebühren im Auge zu behalten und sich selber darüber Gedanken zu machen.
Herr Kollege, ich habe Ihnen vorher gesagt, daß die Länder und dementsprechend auch die Landeskartellbehörden verantwortlich sind. Wir sehen deswegen keine Möglichkeit, das Bundeskartellamt einzuschalten.
Wir kommen zur Frage 48 des Abgeordneten Graf Stauffenberg:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Entwicklung solcher Gebühren innerhalb der letzten zehn Jahre in einem angemessenen Verhältnis zu den erbrachten Leistungen steht?
Herr Kollege, die Antwort schließt an das an, was ich gerade bereits ausgeführt habe. Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, daß das Verhältnis zwischen den Gebühren und den erbrachten Leistungen unangemessen ist oder gewesen wäre. Das liegt übrigens - ich füge dies hinzu - von vornherein im Begriff „Gebühren".
Graf Stauffenberg, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, im ersten Teil Ihrer Antwort macht die Bundesregierung immerhin eine Aussage zur Sache. Will die Bundesregierung aber tatsächlich den Standpunkt vertreten, daß - um das Beispiel der Parkplätze zu nehmen - eine Steigerung der Gebühren auf ca. 250 % bei gleichzeitig größer gewordener Entfernung der Parkplätze von den Flughafengebäuden, bei einer Verringerung der Bewachung, die sich in der Zwischenzeit im wesentlichen auf die Sicherung der Gebührenerhebung konzentriert, Anlaß zu der Feststellung gibt, die Sie gerade getroffen haben, nämlich daß seitens der Bundesregierung gegenüber einer solchen Praxis keine Bedenken bestehen?
Herr Kollege, ich habe vorher gesagt, daß einerseits die Möglichkeit besteht, auf öffentlichem Grund zu parken, andererseits aber auch die Möglichkeit, auf einem privaten Grundstück zu parken. Ich glaube, dies müssen wir, gerade was das Ausfüllen des Begriffs „Gebühr" angeht, beachten. Wir müssen hier also unterscheiden.
Da ich annehme, da Sie auf Grund Ihres Wohnsitzes einen ganz bestimmten Flughafen und die Einrichtungen um diesen Flughafen herum meinen, würde ich aber doch vorschlagen, daß Sie sich direkt an die betreffende Flufhafengesellschaft wenden. Ich bin sicher, daß Sie eine Antwort erhalten. Sollte dies nicht der Fall sein, sind wir Ihnen beim Erlangen einer solchen Antwort gerne behilflich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie bereit sind, mir bei Erlangung einer Antwort behilflich zu sein: Wäre es nicht möglich, mir diesen Umweg zu ersparen und mir die Antwort direkt zuzustellen? Ich bin sicher, daß es eine ganze
Reihe von Kollegen gibt, die Ihnen dafür dankbar wären. Ich meine damit auch nicht nur die Auskünfte für einen Flughafen, sondern auch die für andere Verkehrsflughäfen. Bekanntlich gibt es dort für den Benutzer, der mit dem eigenen Auto kommt oder kommen muß, andere Parkmöglichkeiten gar nicht zur Auswahl, es sei denn, die noch teueren überdachten Parkplätze.
Herr Kollege, ich glaube, auch unter dem Aspekt des Arbeitsanfalls ist es sinnvoller, wenn sich ein Abgeordneter bei Nichtzuständigkeit des Bundes direkt an eine Flughafengesellschaft in seiner Nachbarschaft wendet und nicht Beamte des Bundes bei diesem Vorgang eingeschaltet werden müssen.
Wir kommen zur Frage 49 des Abgeordneten Becker ({0}):
Ist die Bundesregierung bereit, schnellstens die Voraussetzungen für die Aufnahme des Flugverkehrs von Münster/ Osnabrück nach Berlin durch British Airways zu schaffen?
Herr Kollege Becker, wir hatten bereits gestern in der Fragestunde eine Frage, die sich auf diesen Zusammenhang bezieht, behandelt. Sie wissen, daß für die Genehmigung des Linienflugverkehrs zwischen Münster/Osnabrück und Berlin-Tegel auf Grund alliierter Vorbehaltsrechte die Drei Mächte zuständig sind. Technische Hindernisse liegen nach Kenntnis der Bundesregierung nicht vor. Ich darf noch hinzufügen, daß der Bundesminister für Verkehr seine Aufgabe nicht darin sieht, Verkehr zu verhindern, sondern vielmehr darin, Verkehr zu ermöglichen. Vorgespräche haben stattgefunden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, würden Sie es im Zusammenhang mit den Bindungen und Verbindungen zwischen Berlin und dem Bund nicht auch für richtig halten, daß der Regionalflugverkehr mit in den Berlin-Flugverkehr aufgenommen wird?
Aus der Sicht des Bundesministers für Verkehr wird jede Verbesserung des Flugangebots von und nach Berlin begrüßt. Wir befürworten daher die Genehmigung von Anträgen betreffend zusätzliche Regionalflugverkehre.
Wir müssen bei dieser Frage einen generellen Rahmen beachten: Es sollte die Wirtschaftlichkeit gewährleistet sein, und die Belange der Deutschen Bundesbahn sollten gewahrt bleiben. Ich habe Ihnen aber bereits in zwei Gesprächen angedeutet, daß wir seitens des Bundesministers für Verkehr alles tun werden, um zu einer solchen Verbindung zu kommen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei diesen Überlegungen auch berücksichtigen, daß dieser Flughafen in einem strukturschwachen Gebiet, nämlich Münsterland mit angrenzendem Emsland, liegt und daß die Eröffnung einer solchen Linie nach Berlin auch Wirkungen auf die Infrastruktur in diesem Raum haben könnte?
Herr Kollege, dies war mit Grundlage der gerade getroffenen positiven Aussage.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wieczorek.
Herr Staatssekretär, kann es für Ihre Entscheidung hilfreich sein, wenn ich Ihnen sage, daß der Haushaltsausschuß - quer durch alle Fraktionen - seine Bereitschaft erklärt hat, die Regionalflughäfen mit in die Förderung des Berlin-Verkehrs einzubeziehen, weil er davon ausgeht, daß dadurch ein flächendeckenderes Angebot gemacht werden kann?
Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, unter welchen Bedingungen die Aufnahme neuer Flugverkehre vom Bundesminister für Verkehr begrüßt wird. Ich habe z. B. die Belange der Bundesbahn genannt. Ich habe die Wirtschaftlichkeit erwähnt. Unter diesen Prämissen kann ich nur sagen: Wir sind erfreut darüber, daß das Parlament einen solchen Beschluß gefaßt hat.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Müller ({0}) auf:
Ist sichergestellt, daß die von der Bundesregierung vorgesehenen Verhandlungen mit den Bundesländern in Sachen Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße keine Verzögerung in der Fertigstellung des Ausbaus der Saar oberhalb Dillingens nach sich ziehen?
Herr Kollege, die Verhandlungen mit dem Saarland und Rheinland-Pfalz über die technisch-wirtschaftliche Optimierung des Saarausbaus oberhalb Dillingens werden zur Zeit von der Bundesregierung vorbereitet. Die Bundesregierung strebt an, die sich ergebenden Fragen mit den Ländern zügig zu klären. Verzögerungen in der Fertigstellung des Ausbaus der Saar oberhalb Dillingens werden hierdurch nicht erwartet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, denkt die Bundesregierung in diesen eben angesprochenen Verhandlungen an eine grundsätzliche Änderung des Finanzierungsschlüssels zum Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße, wie er Anfang der 70er Jahre und insbesondere in dem Vertrag, der 1973 abgeschlossen worden ist, niedergelegt wurde?
Herr Kollege, wir müssen in finanzieller Hinsicht - und das wird auch bei den beiden folgenden Fragen angesprochen werden - sicherlich noch einiges überlegen. Eine grundlegende Änderung ist aber im Augenblick nicht in der Diskussion.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, bei Abschluß der Arbeiten zum Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße über Dillingen hinaus zu überprüfen, ob ein Anschluß der Saar an das französische Kanalnetz möglich ist, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, Verhandlungen mit der französischen Regierung in dieser Frage aufzunehmen?
Herr Kollege, ich möchte heute, wo wir über die Frage, wann wir bis Dillingen fertig sind und wann wir darüber hinaus anfangen, nicht große Visionen an die Wand malen. Allerdings werden wir im Jahre 1985 den gesamten Verkehrswegeplan überprüfen. Noch in diesem Jahr werden die Vorbereitungen dazu anlaufen. Sollte es für eine solche Maßnahme tatsächlich gute Gründe geben, so kann ich Ihnen zusagen, daß diese Gründe bei den Überlegungen berücksichtigt werden. Ich bitte aber, diese Aussage so theoretisch aufzufassen, wie ich sie gemacht habe.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Schreiber auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße oberhalb Dillingens zu beschleunigen, um insbesondere die Wettbewerbssituation der Arbed-Saarstahl GmbH zu verbessern?
Herr Kollege, mit den Bundesländern besteht Übereinstimmung, daß der Ausbau bis Dillingen absoluten Vorrang behält. Um dieses Ziel 1986/87 zu erreichen, müssen weiterhin alle verfügbaren Mittel dafür eingesetzt werden. Im Jahre 1984 stellt der Bund für den Saarausbau 115 Millionen DM zur Verfügung.
Eine Beschleunigung des Ausbaus oberhalb Dillingens würde die Bereitstellung zusätzlicher Mittel ab 1985 erfordern, die den Rahmen der derzeitigen Finanzplanung des Bundes erheblich überschreiten würde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiber.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß Vorhaben wie der Bau der Kläranlage in Völklingen und des entsprechenden Hauptsammlers durch die Verzögerung des Saarausbaus behindert werden?
Solche Tatbestände sind bekannt. Ich kann aber trotz Kenntnis dieser Tatbestände den geltenden Finanzrahmen nicht verändern.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schreiber.
Ich danke für eine zweite Zusatzfrage. Für die nächste Frage bleibe ich gleich stehen.
Sparen können Sie sie sich nicht; Sie hatten noch eine.
Ich erspare mir gern die zweite Zusatzfrage.
Ich rufe also die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schreiber auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den noch notwendigen Zeitaufwand zum Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße von der Moselmündung bis Saarbrücken-St. Arnual angesichts der von der saarländischen Wirtschaft im Raum Saarbrücken anstehenden Investitionsentscheidungen?
Der weitere Ausbau der Saar oberhalb Dillingen bis Saarbrücken hängt insbesondere von den noch durchzuführenden Planfeststellungsverfahren und von der Entwicklung der Haushaltslage ab. Verbindliche Aussagen über den Zeitaufwand sind heute noch nicht möglich. Eine kontinuierliche Fortsetzung des Ausbaus nach Erreichen von Dillingen wird angestrebt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schreiber.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit der Stadt Saarbrücken bei der Planung des Ausbaus der Stadtstrecke Saarbrücken?
Herr Kollege, in diesem Punkt bin ich überfragt. Ich gehe dieser Frage gerne nach und lasse Ihnen eine Antwort zukommen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schreiber.
In welcher Relation stehen die Kosten für die Stadtstrecke zu den Gesamtkosten des Ausbaus?
Das muß ich ebenfalls nachprüfen, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben von einer Optimierungsrechnung des Ausbaus der Saar zur Großschiffahrtsstraße oberhalb Dillingens. Können Sie mitteilen, bis wann diese Optimierungsrechnung vorliegt, bzw. können Sie auch quantifizieren, wie dann der Vorteil dieser Wasserstraße gegenüber den anderen Verkehrsträgern aussieht?
Ich schließe an das an, was ich gerade dem Kollegen Schreiber antworten mußte. Das war in der Frage nicht enthalten. Ich bitte um Nachsicht.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, daß ein kontinuierlicher Ausbau der Saar oberhalb Dillingens angestrebt wird. Heißt das, daß Sie jetzt nicht in der Lage sind, zu sagen, daß der Ausbau erfolgen wird?
Herr Kollege, meine Formulierung war: „Eine kontinuierliche Fortsetzung des Ausbaus nach Erreichen von Dillingen wird angestrebt." Dies ist die Aussage des Bundesministers für Verkehr und die Aussage der Bundesregierung; sie muß allerdings ausgefüllt werden durch konkrete Zuweisungen in einem Haushaltsplan und einer mittelfristigen Finanzplanung. Nähere Daten liegen bis jetzt nicht fest, sie können deswegen auch nicht mitgeteilt werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wieczorek.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie auch die verkehrliche Notwendigkeit oberhalb Dillingens noch einmal grundsätzlich prüfen wollen?
Dies habe ich nicht gesagt, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Schulte.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Es steht uns zur Beantwortung der Fragen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf:
Ist das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderte Projekt „Innovationstest für die Bundesrepublik Deutschland" abgeschlossen, und welche Ergebnisse hat es gehabt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Ziel des Forschungsprojekts „Innovationstest für die Bundesrepublik Deutschland" ist es, die Kenntnisse über das Innovationsverhalten von Unternehmen dadurch zu verbessern, daß über die vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft erhobenen Input-Daten hinaus Output-Daten, d. h. Daten über tatsächliche Innovationen, erhoben werden. Zu diesem Zweck hat das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in den Jahren 1979 bis 1981 mit Förderung des Bundesministers für Forschung und Technologie Innovationsdaten erhoben, um zu einem aussagefähigen Innovationstest mit stabiler Grundgesamtheit zu gelangen. Da der Wert des Innovations-tests in erster Linie darin liegt, Veränderungen im Innovationsgeschehen aufzuzeigen, erscheint es geboten, die Laufzeit des Forschungsprojekts um drei Jahre - bis zum 30. Juli 1986 - zu verlängern. Diese Auffassung wird vom Bundesminister für Wirtschaft, vom Bundesverband der Deutschen Industrie und vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft geteilt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, ist es nicht erstaunlich, daß bei einer so begrenzten und klar definierten Fragestellung das Projekt so weit ausgedehnt wurde, und handelt es sich hier um einen erneuten Konflikt zwischen dem Bundesministerium für Forschung und Technologie und dem Bundesministerium für Wirtschaft?
Zunächst unterstellen Sie in Ihrer Frage, daß es einen Konflikt zwischen den beiden von Ihnen genannten Ministern gibt. Der Konflikt existiert nicht.
Es scheint zweckmäßig zu sein - jedenfalls auf Grund der Gutachteraussage -, diesen Test, diesen Versuch zu verlängern.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen wird Ihr Haus ergreifen, um sicherzustellen, daß nach der erneuten Verlängerung dieses Projekts dann tatsächlich zeitgerecht belastbare Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt vorliegen?
Herr Kollege Dr. Steger, es besteht nunmehr folgende Absicht: Das Ifo-Institut erhebt durch regelmäßige Befragungen eines repräsentativen Kreises von Unternehmen in einjährigem Rhythmus Daten, die für die Beurteilung des Innovationsgeschehens von Bedeutung sind. Dabei konzentrieren sich die Fragen auf die folgenden sechs Problemkreise - diese Konzentration ist, glaube ich, ausschlaggebend -: Innovationsaktivitäten des Unternehmens im Berichtsjahr, Art und Neuigkeitsgrad der realisierten Innovationen, Art und Höhe der Innovationsaufwendungen und Innovationsziele, Innovationshemmnisse und Innovationsimpulse. Wir hoffen natürlich, daß der seit langem laufende Versuch 1986 zu einer entsprechenden Aussage führt.
Wir kommen zur Frage 54 des Abgeordneten Dr. Steger:
Welche Konsequenzen können vom Bundesministerium für Forschung und Technologie aus der Abwicklung und den Ergebnissen dieses Projektes gezogen werden?
Da das Forschungsvorhaben noch nicht abgeschlossen ist, liegen lediglich Zwischenergebnisse und keine endgültigen Ergebnisse vor, so daß sich noch keine Konsequenzen, z. B. auch im Hinblick auf eine dauerhafte Etablierung dieses Tests beim Ifo-Institut, ziehen lassen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, hat denn das Ifo-Institut mittlerweile Zwischenberichte vorgelegt, die verfügbar gemacht werden können, oder wird es erst einen endgültigen Abschlußbericht geben?
Es liegen nicht definierte Zwischenberichte vor, sondern Zwischenergebnisse. Wenn Sie daran Interesse haben, bin ich gern bereit, einen Kontakt zu der entsprechenden Abteilung in unserem Hause herzustellen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Darum möchte ich bitten.
Als der jetzige Minister und Sie ihre Ämter übernommen haben, haben Sie versprochen, daß es ein besseres Projektmanagement bei den einzelnen Forschungsvorhaben geben sollte. Sind diese Bemühungen bei diesem Projekt schon zum Tragen gekommen, oder war das noch der ursprüngliche Lauf der Dinge?
Bei diesem Projekt selbstverständlich. Ich bitte jedoch zu berücksichtigen, daß wir an die 7 000 Projekte vorfanden und es einem Minister und seinem Staatssekretär in einem Jahr nicht möglich ist, alle diese Projekte durchzuackern.
({0})
Die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Kübler wird auf dessen Wunsch hin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 56 des Abgeordneten Lutz:
Wie läßt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Aussage von Bundesforschungsminister Dr. Riesenhuber vom 10. November 1983 vor dem Deutschen Bundestag, nach der in den zurückliegenden zehn Jahren trotz der Einführung der neuen Techniken in der Druckindustrie nunmehr statt ursprünglich 170 000 200 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich vorhanden seien, vereinbaren mit einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes, nach der im Jahre 1972 224 169 Arbeitnehmer und im Jahre 1982 nur noch 173 860 Arbeitnehmer in der Druckindustrie beschäftigt waren, und ist die Bundesregierung bereit, ihre falschen Angaben vom November 1983 entsprechend zu korrigieren?
Herr Kollege Lutz, die genannten Angaben zur Beschäftigungsentwicklung im Druckerei- und Vervielfältigungsgewerbe bezogen sich auf den Zeitraum 1976 bis 1980 und nicht, wie auf Grund eines Druckfehlers versehentlich angegeben, auf die letzten zehn Jahre. In diesem Zeitraum war trotz der gleichzeitig erfolgten Umstellung von Blei- auf Fotosatz ein Beschäftigungszuwachs im genannten Wirtschaftszweig zu verzeichnen.
Die vom Bundesminister für Forschung und Technologie genannten Zahlen waren Schätzwerte für alle Beschäftigten in diesem Zweig. Die Daten des Statistischen Bundesamtes, die übrigens die gleiche Tendenz einer Beschäftigungszunahme ausweisen, beruhen hingegen nur auf den Erhebungen bei Betrieben mit 20 oder mehr Beschäftigten.
In den Jahren nach 1980 ist nach Angabe des Statistischen Bundesamtes eine Abnahme der Beschäftigung im Druckerei- und Vervielfältigungsgewerbe - Betriebe mit 20 oder mehr Beschäftigten - festzustellen. Die Gründe hierfür sind im einzelnen noch nicht bekannt, dürften jedoch in erster Linie in der konjunkturellen Entwicklung liegen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Darf ich Sie so verstehen, Herr Staatssekretär, daß eine Abnahme der Beschäftigung von 224 000 auf 173 000 Arbeitnehmer in Ihrer Sicht und in der Sicht Ihres Ministers als Zuwachs an Arbeitspotential begriffen werden kann?
So dürfen Sie mich nicht verstehen, Herr Kollege.
Wenn ich mir eine weitere Zusatzfrage erlauben darf: Herr Staatssekretär, würden Sie die Zahlen des Statistischen Bundesamts anzweifeln? Würden Sie gelegentlich die Betriebsgrößen so wählen, damit Ihr Minister wieder einigermaßen über die Runden kommt`?
Herr Kollege Lutz, die Zahlen des Statistischen Bundesamts werden nicht angezweifelt. Allerdings sind die Erhebungen auf Betriebe mit über 20 Beschäftigten beschränkt. Dadurch ist ein Bereich nicht erfaßt. Es wäre leichtsinnig von einem Bundesminister, einen Bereich nicht zu erfassen, wenn er ihn erfassen kann. Es ist natürlich von größter Bedeutung, um eine Prognose zu geben, die Erhebungen zu vervollständigen.
({0})
Herr Lutz, Sie haben keine weitere Zusatzfrage. Sie haben zu dieser Frage nur zwei Zusatzfragen. - Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben das Wort „leichtsinnig" gebraucht. Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß Ihr Minister leichtsinnig auf Grund von ungesicherten statistischen Daten weitreichende technologiepolitische Schlußfolgerungen gezogen hat? Kann dies nicht die Glaubwürdigkeit der Aussagen Ihres Hauses beeinträchtigen?
Ich glaube nicht, daß sich mein Minister leichtsinnig verhalten hat.
({0}) - Das war die Frage.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, werden Sie denn die auch von Ihnen für notwendig gehaltenen Korrekturen zum Anlaß nehmen, dieses Beispiel der Arbeitsplatzfreundlichkeit der neuen Technologien in Zukunft aus dem Argumentationsschatz auch Ihrer Parteioberen zu streichen?
Ich konnte die Frage nicht verstehen.
Würden Sie die auch von Ihnen angebrachte Korrektur an den vom Bundesforschungsminister vorgetragenen Statistiken über die Entwicklung der Arbeitsplätze in der Druckindustrie ebenfalls für die Publikationen Ihrer Partei und für Vorträge Ihrer Parteioberen übernehmen, die dazu dienen sollen, die Arbeitsplatzfreundlichkeit neuer Technologien zu unterstützen'?
Ich habe die Zahlen meines Ministers nicht korrigiert, sondern präzisiert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß wir, um genaue Zahlen zu erhalten, warten müssen, bis das Volkszählungsgesetz in Kraft getreten ist und durchgeführt wird?
Ich kenne nicht den vollen Umfang dessen, was in den Bereich der Volkszählung geht. Aber mit Sicherheit sind gute Statistiken die Voraussetzung für politisch vernünftiges Arbeiten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir erklären, auf Grund welcher Erhebungen Ihr Minister, von dem Sie ausdrücklich gesagt haben, er sei nicht leichtsinnig, zu seinen Zahlen gekommen ist?
Herr Kollege, in diese Zeit fiel eine erhebliche Anzahl von Neugründungen. Ich habe die Zahl jetzt nicht genau im Kopf, aber sie dürfte bei 500 liegen. Die neuen Medien haben gerade für Kleinbetriebe neue Möglichkeiten geschaffen. Man kann die Beschäftigten in diesen Betrieben nicht außer Ansatz lassen. So wurde mit einem Schätzwert der durchschnittlichen Zahl dieser Betriebe auf diese 500 hochgerechnet, was wohl korrekterweise geschehen mußte.
Wir kommen zur Frage 57 des Abgeordneten Lutz:
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, daß sie künftig sowohl in ihren Verlautbarungen gegenüber der Öffentlichkeit wie auch in ihren internen Überlegungen von einem realistischeren Bild der Auswirkungen der Einführung neuer Technologien auf die Arbeitsplatzzahlen in der Druckindustrie und in anderen Bereichen ausgehen wird?
Herr Kollege Lutz, bezüglich Daten über Entwicklungen in der Vergangenheit wird sich die Bundesregierung auch weiterhin an die Angaben des Statistischen Bundesamts halten, sofern solche vorliegen. Für den Bereich der zukünftigen Entwicklung und der daraus für die Politik der Bundesregierung abzuleitenden Schlußfolgerungen hingegen muß sich die Bundesregierung auf Ergebnisse qualifizierter Hochrechnungen stützen.
Bisher vorliegende Studien müssen ergänzt werden. Hierzu präzisiert die Bundesregierung gegenwärtig in Zusammenarbeit mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen ihre thematischen Anforderungen an die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Nach Ihrer erstaunlichen Antwort darf ich wohl schlußfolgern, daß Ihr Minister immer solche Betriebe zählen wird, die das Statistische Bundesamt nicht erfaßt. Er hat offenbar Zeit dafür, Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten zu zählen.
Sie müssen zur Fragestellung kommen.
Die Frage lautet: Wieviel Zeit wird der Minister aufwenden, um immer die Betriebe zu finden, die es nicht gibt, damit seine Berechnungen wieder stimmen?
({0})
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen die Zahl der Stunden und Minuten anzugeben, die der Minister hierauf verwendet hat. Ich bin jedoch mit meinem Minister der Meinung, daß es eine wichtige Pflicht eines Ministeriums wie des Forschungsministeriums ist, so präzise Zahlen wie nur möglich zu errechnen und zu erstellen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Ich möchte Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob der Minister nicht eigentlich verpflichtet ist, das Parlament an Hand des Materials des Statistischen Bundesamtes sachkundig zu machen und von diesem Material ausgehend Schlußfolgerungen zu ziehen; denn das scheint mir eine verläßlichere Größe zu sein als die privaten Zählungen des Herrn Ministers.
Es mag sein, Herr Kollege, daß Sie die Zahlen des Ministers anzweifeln. Die Statistiken werden fortgeschrieben, und eine Statistik ist nie perfekt und vollkommen, auch beim Statistischen Bundesamt nicht. Das liegt in der Dynamik von Zahlenentwicklungen. Ein verantwortlicher Minister muß aus diesem Grunde die relevanten, verfügbaren Zahlen mit hinzunehmen. Hier drehte es sich um Zahlen über Neugründungen von Betrieben, die unterhalb der vom Statistischen Bundesamt angegebenen Betriebsgröße hinParl. Staatssekretär Dr. Probst
sichtlich der Beschäftigtenzahlen liegen. Man kann diese Zahlen doch nicht vernachlässigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus bereit, dem Fragesteller mit nachprüfbaren Quellenangaben die Berechnungsgrundlagen zu liefern, auf Grund deren der Minister die Aussage gemacht hat, und Auskunft darüber zu geben, nach welchem statistischen Verfahren die Hochrechnung erfolgt ist?
Warum sollte das nicht der Fall sein'? Selbstverständlich.
({0})
Meine Damen und Herren, das war die letzte Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich danke Herrn Staatssekretär Dr. Probst.
Wir haben noch zwei Minuten für Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Vielleicht können wir noch zwei Fragen behandeln. Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche Konsequenzen will die Bundesregierung aus der Ankündigung von Bundesminister Genscher vom 13. Dezember 1983 in einem Vortrag vor der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ziehen, die Förderung privater Universitäten und privater Schulen sei ein „Gebot der Stunde"?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter Kuhlwein, die Bundesregierung wird alle Maßnahmen unterstützen, die Wettbewerb und Leistung im deutschen Hochschulsystem fördern. Private Hochschulen können bereichernde Impulse für neue Formen des Lehrens und Lernens und für einen größeren wissenschaftlichen Wettbewerb zwischen den staatlichen Hochschulen geben. Insbesondere können private Hochschulen wertvolle Anregungen für Maßnahmen geben, die auch die Leistungsfähigkeit des staatlichen Systems erhöhen. Entsprechendes gilt für private Schulen.
Private Hochschulen und Schulen setzen selbstverständlich immer private Initiativen voraus. Erster Adressat solcher Initiativen sind im Falle der Schulen die Kommunen und Länder, im Falle der Hochschulen allein die Länder, welche die Errichtung privater Hochschulen auf der Grundlage geltenden Bundes- und Landesrechts zu genehmigen haben.
Das Hochschulrahmengesetz läßt bekanntlich private Hochschulen ausdrücklich zu. Die Bundesregierung wird mit den ihr zur Verfügung stehenden politischen Mitteln private Initiativen fördern und die Übertragung dabei gewonnener positiver Erfahrungen auf das staatliche Hochschulsystem unterstützen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte die Antwort, die Bundesregierung wolle private Initiativen insbesondere im Hochschulbereich fördern, insoweit konkretisieren, als Sie auch die Frage beantworten, ob daran gedacht ist, solchen Einrichtungen auch Mittel nach dem Hochschulbauförderungsgesetz zukommen zu lassen?
Der Bundesregierung liegen bisher keinerlei Anträge dieser Art vor. Im übrigen wissen Sie, daß dies in einem besonderen Verfahren von den Ländern beantragt werden müßte. Solche Anträge sind mir im Augenblick nicht bekannt.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, soll ich diese Antwort so interpretieren, daß die Bundesregierung entsprechenden Länderanträgen dann, wenn sie vorlägen, auch entsprechen würde?
Nein, Herr Kollege Kuhlwein. Sie können das nur so interpretieren, daß wir diese Frage im einzelnen dann erörtern werden, wenn entsprechende Anträge vorliegen.
Ich mache den Versuch, auch noch die Frage 59 unterzubringen. Wenn es viele Zusatzfragen geben sollte, muß ich unterbrechen. Ich bitte um Verständnis.
Ich rufe also nunmehr die Frage 59 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Bundesminister Genscher, daß wir zu Spitzenleistungen in der Forschung „nur wieder im ausreichenden Maße gelangen, wenn wir Elite-Universitäten schaffen", und was meint Bundesminister Genscher mit diesem Begriff?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Spitzenleistungen in der Forschung die besondere Förderung der wissenschaftlichen Leistungselite erfordern. Wissenschaft lebt in besonderer Weise aus der Kombination von herausragender Leistung und vorbildlicher Verantwortlichkeit. Ohne eine so geprägte Elite und ohne die Bereitschaft, diese zu fördern, gibt es keinen Fortschritt: weder in der Wissenschaft noch im Handwerk, weder in der Kultur noch in der Industrie oder in unserer politischen Entwicklung. Eliteförderung und Breitenförderung sind in gleicher Weise notwendig.
Die Aufgabe, wissenschaftliche Begabungen, wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und damit auch wissenschaftliche Elite zu fördern, obliegt unserem gesamten Hochschulsystem, den staatlichen, aber auch den privaten Einrichtungen, die das Hochschulrechtsrahmengesetz ausdrücklich ermöglicht.
Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Möglichkeit Spitzenforschung fördern und sich insbesondere um die Förderung des wissenschaftlich besonders begabten Nachwuchses bemühen. Sie er3390
wartet gerade hierbei besondere Impulse von privaten Hochschulen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministers des Auswärtigen, die Expansion im Hochschulbereich habe zu einer durchgängigen Mittelmäßigkeit geführt, die sich auf begabte Forscher lähmend auswirke, und wie will die Bundesregierung dies, wenn sie zu dieser Erkenntnis kommt, den Forschern in der Bundesrepublik vermitteln, die immer noch der Meinung sind, sie hätten hohes internationales Niveau?
Herr Kollege, es ist kein Zweifel, daß es in den deutschen Hochschulen auch heute Spitzenforschung gibt. Aber es ist auch kein Zweifel daran, daß es in der Forschung an den deutschen Hochschulen Defizite und auch Mittelmäßigkeit gibt. Ich meine, daß es vor diesem Hintergrund dringend notwendig ist, daß wir neue Impulse zur Förderung der Spitzenforschung geben. Wenn private Einrichtungen dazu etwas beitragen können, dann ist das sehr erwünscht.
Keine weitere Zusatzfrage? - Danke schön, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs und auch am Ende der Fragestunde, deren Zeit abgelaufen ist. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Pfeifer.
Ich rufe nun den Punkt 6 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit
- Drucksache 10/722 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs verlangt? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Sauer ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das bestehende Jugendschutzgesetz, das aus dem Jahre 1951 bzw. 1957 stammt, ist dringend reformbedürftig. Die Situation der jungen Generation hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Die Lebensverhältnisse und die Lebensgewohnheiten haben sich, nicht zuletzt auch durch die rasante technische Entwicklung, stark verändert. Es sind damit natürlich auch neue Gefährdungen aufgetreten, die einen wirksamen Schutz für die Jugend notwendig machen. Der Jugendschutz hat sich heute mit Gefährdungen zu beschäftigen, die die Lebens- und Entwicklungschancen junger Menschen beeinträchtigen, die Lebensperspektiven zerstören, zur Flucht in Scheinlösungen sowie zu krankhaften Abhängigkeiten führen.
Viele Vorschriften des bestehenden Jugendschutzgesetzes sind durch Zeitablauf entbehrlich geworden; sie sind überholt oder bedürfen einer Korrektur und Weiterentwicklung. Neue Entwicklungen, wie z. B. im Bereich der schrecklichen, menschenverachtenden Videofilme wie auch der elektronischen Spielautomaten und der Videospielautomaten, fordern wirksame Maßnahmen zum Schutz der Jugend.
Leider war die letzte Bundesregierung nicht in der Lage, dieser schrecklichen Entwicklung rechtzeitig Rechnung zu tragen. Man war aus vielerlei Gründen - auf die Gründe möchte ich jetzt nicht mehr eingehen, weil es mir darum geht, bei diesem Gesetz vernünftig zusammenzuarbeiten - nicht fähig, diesem Hause einen mehrheitsfähigen Entwurf vorzulegen. Die Fraktionen der neuen Regierung haben nun nach gut einem Jahr diesen Entwurf zur Neuregelung des Jugendschutzgesetzes vorgelegt. Es gilt nun, ein zeitgerechtes, überschaubares und praktikables Gesetz zu schaffen. Die Jugendämter, die Behörden und die Polizei müssen wieder ein wirksames Instrumentarium zum Schutze der Jugend erhalten. Dieses muß durchführbar und es muß auch durchsetzbar sein.
({0})
Übersehen Sie bitte nicht die Resignation vieler Mitarbeiter im sozialpädagogischen Bereich, bei den Lehrern und Erziehern wegen des heutigen, unbefriedigenden Jugendschutzes.
Der Jugendschutz hat selbstverständlich seine Grenzen. Die allgemeine Gefährdung, in der der junge Mensch von heute lebt, wird auch durch ein neues Gesetz nicht aus der Welt geschafft.
({1})
Wir müssen aber versuchen, die Gefährdungen zurückzudrängen, zu mildern, und wir müssen vor allem auch präventiv tätig werden. Wir müssen neben dem gesetzlichen Jugendschutz viel stärker noch zu einem erzieherischen Jugendschutz kommen.
({2})
Erzieherischer Jugendschutz soll die junge Generation resistent machen gegen die negativen Einflüsse, er soll die Kritikfähigkeit fördern, und er soll gleichzeitig zu einem kreativen Freizeitverhalten der jungen Generation hinführen.
({3})
- Dies ist eine Querschnittsaufgabe, sie betrifft viele Bereiche, Herr Kollege Jaunich. - Jugendschutzgesetze sind nur ein Hilfsmittel für die Gesellschaft, sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der
Sauer ({4})
Unterstützung, der Akzeptanz und der Bejahung der gesamten Bevölkerung und hier besonders derjenigen, die es in der Öffentlichkeit mit der Jugend zu tun haben.
({5})
Jugendschutz fordert eine sozialethische und sozialpädagogische Verantwortung für die Jugend, vor allem zu Hause, in der Familie und - dies ist sehr wichtig - im Elternhaus, im Betrieb, in der Schule, bei der Jugendarbeit sowie in der Öffentlichkeit.
Die Adressaten des Jugendschutzgesetzes sind nicht die Jugendlichen selbst, sondern diejenigen, die zum größten Teil aus kommerziellen Gründen die Unerfahrenheit junger Menschen zu Geschäften benutzen und dadurch die erzieherischen Bemühungen der Eltern und Erzieher sträflich durchkreuzen. Wir wenden uns mit diesem Entwurf zum Jugendschutz nicht restriktiv an die Jugendlichen, sondern wir sehen die Verantwortung der Erwachsenen, der Gewerbetreibenden, der Veranstalter und Händler. Besonders im Bereich der schrecklichen menschenverachtenden Videofilme müssen wir nun endlich skrupellosen Geschäftemachern das Handwerk legen.
({6})
Als Folge eines ausgeprägten Wohlstandsdenkens in unserer Gesellschaft stehen leider bei vielen Genuß und wirtschaftliches Wohlergehen vor einer optimalen Entwicklung junger Menschen. So wird leider aus einem gewissenlosen Gewinnstreben heraus nur sehr wenig Rücksicht auf die heranwachsende Generation genommen. Dadurch entstehen viele vermeidbare Gefährdungen und auch psychische Schädigungen.
Lassen Sie mich nun einige Schwerpunkte unseres Gesetzentwurfs skizzieren. 45% der Videokassetten kommen aus dem Bereich Horror, Krieg, Action. Wenn man den erotischen Film mit zum Teil harter Pornographie hinzunimmt, dann sind nahezu zwei Drittel der Videotitel stark jugendgefährdend. Zur Zeit gibt es auf dem deutschen Markt 5000 Videotitel. Pro Jahr entstehen weitere 1000 dieser Filme. Der Großteil dieser Videofilme beinhaltet extreme Gewalttätigkeiten gegen Menschen, brutalste Grausamkeiten, menschenverachtende Tötungshandlungen, widerlichste kannibalistische Szenen, harte Pornographie. Filme wie „Maneater" und „Lebendig gefressen" sind die Renner. Ersparen Sie es mir bitte, Ihnen hier, an diesem Nachmittag Szenen aus diesen Filmen zu schildern. Ich möchte Ihnen den Nachmittag und den Abend nicht verderben. Ich würde Ihnen aber empfehlen: Wenn Sie in diesem Bereich sachkundig sein oder werden wollen, dann schauen Sie sich diese schrecklichen Videofilme an. Dann wissen Sie auch, was Sie und was wir als Gesetzgeber zu tun haben.
Dies stellt für die junge Generation eine schwere Gefährdung der seelischen und sittlichen Entwicklung dar.
({7})
Gewaltabstumpfung, Aggressionen und Nachahmungen, wie sie zum Teil schon vorgekommen sind - besonders bei jüngeren Betrachtern -, sind die schlimmsten Erscheinungen dieser Brutalo-Videos. Der Videomarkt, der im übrigen im Bereich der Kinder- und Jugendfilme, der Kulturfilm, der Musik- und der guten Spielfilme durchaus auch positive Seiten hat, wächst in den nächsten Jahren explosionsartig. Bis in drei Jahren wird jeder zweite bis dritte deutsche Haushalt im Besitz eines Videorecorders sein.
Mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen - im Strafgesetzbuch § 131 und § 184 sowie im Gesetz gegen jugendgefährdende Schriften - sind die Gefahren, die durch diese menschenverachtenden Filme für die Kinder und Jugendlichen entstehen, nicht wirksam und schnell zu beseitigen. Die Bundesprüfstelle in Godesberg kommt bei ihren Indizierungsanträgen nicht mehr nach, obwohl sie personell verstärkt wurde. Von den über 900 Indizierungsanträgen sind zur Zeit ca. 350 entschieden. Die übrigen Videofilme sind frei auf dem Markt und werden von verantwortungslosen Händlern sogar an Kinder ausgeliehen.
Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, daß es natürlich auch positive Seiten gibt. Es gibt in verschiedenen Städten freiwillige Selbstkontrollen von Videothekaren. Ich denke an das Beispiel der Stadt Neuss. Aber wir müssen sehen, daß sich heute schon Schüler nachmittags treffen zu dem Spiel „Mutprobe per Video": Derjenige ist Sieger, der es am längsten vor dem Videorecorder aushält, ohne sich übergeben zu müssen.
Es ist nun allerhöchste Zeit, dieser schweren Gefährdung der seelischen und sittlichen Entwicklung junger Menschen wirksam entgegenzutreten. Nach unserem Gesetzentwurf sollen bespielte Videokassetten nur noch an Kinder und Jugendliche abgegeben oder ihnen zugänglich gemacht werden, wenn die Kassetten für ihre Altersgruppen freigegeben und entsprechend mit einer amtlichen, fälschungssicheren Plakette gekennzeichnet sind. Wie bei der Kinofilm-Altersfreigabe durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft soll auch die Videokassettenfreigabe den obersten Landesjugendbehörden zustehen, die sich dabei der Gremien der FSK, die durch die Videoindustrie angereichert wird, bedienen.
Darüber hinaus soll der strafrechtliche Schutz gegen extreme Gewaltdarstellungen durch eine Verschärfung von § 131 Strafgesetzbuch verbessert werden. Die dort enthaltenen einschränkenden Merkmale der Gewaltverherrlichung und der Gewaltverharmlosung waren in der Vergangenheit leicht zu umgehen. Wir wollen durch die Streichung dieser beiden Begriffe ein Verbot der Herstellung, des Vertriebs und der Einfuhr der exzessivsten, grausamsten und brutalsten Videofilme erreichen. Ich möchte hier nun in diesem Bereich nicht weiter fortfahren, weil Kollege Sauter diesen Punkt nachher noch speziell erläutern wird.
Zusammenfassend zu den Videofilmen nur folgendes: Die psychische und die sittliche Entwick3392
Sauer ({8})
lung junger Menschen darf nicht länger durch diesen Schrott gefährdet werden.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verbesserung des Schutzes der Jugend vor Alkoholmißbrauch. Das Suchtverhalten hat bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren erschreckend zugenommen. 10 % der Alkoholiker kommen aus der jungen Generation, und 6 % der jungen Generation sind stark alkoholgefährdet. Hier spielen u. a. die Betreiber der schulnahen Kneipen, aber auch der Sportstadien - ich sage das als ein Mann des Sports - eine denkbar schlechte Rolle. Wir sollten an dieser Stelle wieder einmal an Veranstalter und Wirte appellieren, ein alkoholfreies Getränk preisgünstiger als Bier anzubieten. Das gilt auch für Bayern.
({9})
Wegen dieser betrüblichen Entwicklungen müssen wir einen wirksameren Jugendschutz erreichen, wenn unsere Jugend nicht weiter zur Flucht in Scheinlösungen abgleiten soll. In Zukunft dürfen nicht nur harte alkoholische Getränke, sondern auch weiche alkoholische Getränke, also Wein und Bier, an unter 16jährige in der Öffentlichkeit weder zum eigenen noch zum angeblichen Verzehr durch Erwachsene abgegeben werden. Salopp ausgedrückt heißt das: Das Bierholen für den Vater ist nicht mehr erlaubt, weil das in der Vergangenheit eben doch eine starke Zugriffsmöglichkeit darstellte.
Darüber hinaus soll der Automatenvertrieb auch für weiche alkoholische Getränke, also für Bier und Wein, verboten werden. Auch dies verleitete viele Jugendliche zum Alkoholgenuß.
In diesem Bereich des Jugendalkoholismus sind wir ganz besonders auf die Unterstützung der Eltern, der Erziehungsberechtigten, der Veranstalter sowie der Mitarbeiter in der Jugendarbeit angewiesen. Hier gilt ganz nachhaltig der Satz: Vorbild wirkt Wunder.
({10})
Nun zum dritten Schwerpunkt. Wie die Pilze sind die elektronischen Spielautomaten und die Videospielautomaten aus dem Boden geschossen. Diese Automaten erzielen durch ihre Faszination Spielleidenschaften, die sehr leicht zu einer Beschaffungskriminalität führen. Die offiziellen Vertreter der Spielautomatenindustrie versuchen jetzt natürlich diese Gefahren herunterzuspielen. Festzuhalten bleibt aber: Die Jugendämter und besonders unsere Kommunalpolitiker haben die größten Probleme mit den überall in den Städten und Gemeinden unbeaufsichtigt aufgestellten Spielautomaten.
Schädigende Einflüsse auf die Entwicklung der Jugendlichen, besonders auch bei aggressiven Spielen, sind nicht von der Hand zu weisen. 15 Selbsthilfegruppen für Automatenspieler allein in Nordrhein-Westfalen sollten für uns ein schrilles Signal sein. Wir sind daher auch hier gezwungen, einen wirksameren Jugendschutz durchzuführen.
So sollen diese Spielautomaten nicht mehr auf Kindern und Jugendlichen zugänglichen öffentlichen Verkehrsflächen aufgestellt werden, sondern nur noch in gewerblich genutzten Räumen. Ebenso dürfen Video-Unterhaltungsspielgeräte mit kriegsverherrlichenden und gewaltorientierten Darstellungen nicht mehr in der Öffentlichkeit an Kindern und Jugendlichen zugänglichen Orten aufgestellt werden. 70 % der Spielautomaten befinden sich in den Nebenzimmern von Gaststätten. Hier entsteht natürlich im Zusammenhang mit einer gewissen Lockerung des Gaststättenbesuchs für die junge Generation, was wir ja beabsichtigen, ein Problem. Darum schlagen wir vor: Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren dürfen ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten nicht an diesen elektronischen Geräten spielen.
Die Zeit- und Altersgrenzen für den Besuch von Gaststätten, für den Besuch von öffenitichen Tanzveranstaltungen und Filmveranstaltungen werden den heutigen Bedürfnissen angepaßt. Sie werden auch harmonisiert. Eine zu weitgehende Liberalisierung der Normen des Jugendschutzes bei den Zeit- und Altersgrenzen, wie sie im Entwurf der alten Bundesregierung vorgesehen war, zöge Gefahren nach sich, die pädagogisch nicht zu vertreten wären. Sie würde aber auch die Orientierungs- und Signalfunktion für die Erziehung durch die Eltern wesentlich beeinträchtigen. Es ist eben nicht zu verantworten, wenn ein gerade 14jähriger junger Mensch sich noch um 24 Uhr in schummrigen, lärmerfüllten elektronischen Musikdiscoschuppen herumtreiben kann, wie es im Entwurf der alten Regierung vorgesehen war.
Für die Veranstalter, Gewerbetreibende und sonstige Erwachsene, die das Jugendschutzgesetz nicht befolgen, wird der Bußgeldrahmen bei Ordnungswidrigkeiten wesentlich erhöht. Diejenigen, die vielfach aus einem gewissenlosen Gewinnstreben keine Rücksicht auf die heranwachsende Generation nehmen, müssen entsprechend bestraft werden - bis zu 10 000 DM und nicht nur mit wenigen hundert Mark, wie es bisher der Fall war.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Der Jugendschutz bleibt Stückwerk, wenn es uns nicht gelingt, die Eltern und die Erzieher zu sensibilisieren und gemeinsam den Gefährdungen entgegenzutreten.
({11})
Wir müssen ein Problembewußtsein für die vielen Gefährdungen, denen die Jugend in der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, nachhaltig wecken. Wir wollen den Eltern wieder mehr Frei- und Spielraum für die verantwortliche Entscheidung bei der Erziehung geben. Darum soll das Verhalten von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit, wenn sie sich in Begleitung von Erziehungsberechtigten befinden, nach Möglichkeit von Einschränkungen freigehalten werden. Dies ist praktizierte Elternverantwortung, und gleichzeitig betont dies den allgemeinen Grundsatz des Rechts junger Menschen auf Erziehung.
Wir wollen das Gesetz schnell und zügig beraten. Wir müssen besonders im Bereich der schrecklichen, menschenverachtenden Videofilme, wo es ja fünf Minuten vor zwölf ist, bald zu einem wirksamen Schutz für unsere junge Generation kommen.
Sauer ({12})
Ich bedanke mich.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gilges.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mit persönlichen Erfahrungen beginnen, weil ich glaube, daß das wichtig ist, wenn man zum Jugendschutz spricht. Ich habe vor einigen Jahren das Schicksal und das Elend eines jungen Alkoholikers in unmittelbarer Nähe miterlebt. Ich kenne seine Biographie sehr gut, und ich konnte mithelfen, daß es sich teilweise zum Guten wendet.
Ich habe mir die Filme angesehen, die es bei der Bundesprüfstelle hier in Godesberg gibt. Ich habe brutale Videofilme gesehen, Auszüge aus „Muttertag", ein sinniger Titel. Und ich habe mir in den letzten Wochen Spielhöllen mit diesen Kriegsspielautomaten angesehen. Ich glaube, wenn man sich das alles einmal sehr persönlich vor Augen führt, dann weiß man, worüber wir hier reden. Dann ist man sich dessen bewußt, daß in diesem Bereich unmittelbar, ernsthaft und zügig etwas getan werden muß.
Herr Sauer, ich werde am Schluß noch etwas zu Ihrer Bemerkung über die Geschwindigkeit der Beratung sagen. Die Geschwindigkeit der Beratung darf nicht auf Kosten der Qualität dieses Gesetzes gehen.
({0})
Sie haben gesagt, wir Sozialdemokraten hätten 13 Jahre an diesem Gesetz herumlaboriert. Dazu sage ich Ihnen: Das stimmt so nicht. Wir haben unsere Grundsätze. In diesen unterscheiden wir uns von Ihnen. Schon in den 50er Jahren - bei der Beratung des 51er Gesetzes - war dieses Thema Gegenstand einer Debatte in diesem Hause. Der Abgeordnete Brandt hat damals ausgeführt: Wir Sozialdemokraten wollen erst ein Gesetz formulieren, das wir nach wie vor für notwendig halten, nämlich das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922, und erst dann das, was noch notwendig ist, in ein Jugendschutzgesetz hineinbringen,
({1})
Herr Schlottmann, weil wir für die Vorbeugung und im Gegensatz zu Ihnen gegen Verbotsgesetze sind. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Ihrer und unserer Strategie im Bereich der Jugendhilfe. Wir wollen vorbeugen, wir wollen verhindern, daß so etwas auftritt.
({2})
Die Jugendhilferechtsreform, die an Ihnen und an dem Bundesrat gescheitert ist, wäre ein Instrument gewesen, hätte Möglichkeiten gegeben, viele Probleme, die wir im Bereich des Jugendschutzes heute haben und mit diesem Gesetz beantworten wollen,
zu verhindern und gar nicht erst entstehen zu lassen.
({3})
Weil Sie eine Verhinderungsstrategie betrieben haben, tragen Sie mit Verantwortung dafür, daß heute viele Probleme da sind.
({4})
- Wir haben keine Verzögerungsstrategie betrieben, Herr Dolata. Unser Gebot heißt nach wie vor: Wir wollen die positive Hilfe für die Familie, für die Schule und für die Freizeit und dann erst das Verbot. Das ist unser pädagogischer und erzieherischer Grundsatz.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer ({0})?
Ja.
Kollege Gilges, ich habe vorher angedeutet, daß ich mich bemühen möchte, hier nicht polemisch zu sein. Da Sie nun schon so reden, möchte ich Sie fragen: Gab es nicht einmal eine Ministerin, die mit einem Entwurf ins Kabinett ging und über diesen Entwurf leider nicht Bescheid wußte, der Bundeskanzler sie dann zurückpfiff und dieser Gesetzentwurf unter den Tisch fiel?
({0})
Zum ersten, Herr Sauer: Alle sozialdemokratischen Jugendminister, von Käte Strobel bis Anke Fuchs, haben sich ernsthaft bemüht, die Jugendhilferechtsrefom umzusetzen. Sie ist immer wieder an Ihnen und insbesondere auch an dem Ministerpräsidenten des Landes Bayern gescheitert.
({0})
Die Erklärung - Sie können das schon in der ersten sozialliberalen Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt nachlesen, Herr Dolata - ist: Was noch übrig bleibt, wenn die Jugendhilferechtsreform verabschiedet ist und zum Tragen kommt, soll in anderen notwendigen gesetzlichen Regelungen aufgenommen werden. Dazu gehörte nicht nur der Jugendschutz, sondern auch die Diskussion über Jugendstrafrecht usw. Ich sage Ihnen noch einmal: Diese Strategie, dieser Ansatz war richtig. Sie sagten etwas, was angeblich im Bundeskabinett gesagt worden sei. Herr Sauer, manchmal glauben Sie der Zeitung nicht, die das damals berichtet hatte. Ich würde mir wünschen, daß Sie dieser Zeitung immer und insbesondere jetzt glauben, wenn dort
mit Zitaten aus dem Bundeskabinett berichtet wird.
({1})
Zum Zweiten will ich einiges zu sozialdemokratischen Grundsätzen sagen, die nach unserer Meinung für dieses Gesetz, das wir heute zu beraten beginnen, notwendig sind. Wir werden darauf achten, daß in diesem Gesetz und auch in der Diskussion keine überkommenen Moralvorstellungen wieder zum Tragen kommen, wie das 1951 der Fall war. Wir werden sehr darauf achten, daß hier gegenüber den Eltern und gegenüber den Kindern nicht mit dem Zeigefinger operiert wird.
({2})
- Wenn Sie dem zustimmen, haben wir keinen Dissens.
Weiter werden wir darauf achten, daß das Verursacherprinzip durchgängig gilt. Beim jetzigen Entwurf zweifle ich daran. In § 1 ist eine Formulierung auf Antrag des Bundesrates hineingekommen, und ich meine, Herr Sauer, wir müssen hierüber noch einmal reden. Wir sind davon ausgegangen, daß die Meldungen an das Jugendamt bei Vorkommnissen nicht mehr stattfinden, sondern daß nur derjenige, der die Gefahr herstellt, der Kneipier, der Kinobesitzer usw. und nicht der Jugendliche mit Sanktionen belegt wird. Ich glaube, daß es nicht richtig und ein Bruch des Verursacherprinzips ist, wenn trotz alledem, auch wenn es nur in schweren Fällen ist, Meldungen an das Jugendamt gegeben werden. Ich glaube, wir sollten diesem Wunsch des Bundesrates gemeinsam widersprechen.
Ich meine, es ist wichtig, in der Debatte auch einmal darauf hinzuweisen - Sie haben das auch getan; ich will es sehr kurz anfügen -, daß wir offensiv gegen die Geschäftemacher vorgehen müssen. Dies scheint mir auch ein Grundsatz zu sein. Dies kann man nur, wenn die Sanktionen des Gesetzes ernstgenommen werden und wenn das Gesetz durchsetzbar ist. Es muß also der Bundesregierung verdeutlicht und auch hier in der Debatte klarwerden, daß mit der Verabschiedung dieses Jugendschutzgesetzes die Probleme noch nicht gelöst werden. Die Lösung der Probleme fängt vielmehr an dem Punkt an, wo die Bundesregierung, die Jugendämter, die Landesjugendämter dieses Gesetz umsetzen. Erst dann, wenn die ernsthafte Umsetzung gewährleistet ist, können wir massiv gegen die Geschäftemacher vorgehen.
({3})
Es werden in diesem Bereich drei Schwerpunkte gesetzt. Ich werde auf sie nachher im einzelnen eingehen. Vorher möchte ich aber noch einige Gefährdungsbereiche nennen, von denen ich meine, daß man überlegen müßte, ob nicht bei der Gesetzesberatung Lösungen für sie gefunden werden können.
Ich meine z. B. das Problem der Werbung mit Kindern und für Kinder. Wir können gerade in der Vorweihnachtszeit immer wieder feststellen, daß das Kind als Werbeträger eingesetzt wird. Sie kennen jenes sehr schlimme Beispiel mit den Frühstücksschnitten, das uns vorgeführt wird: Das Kind wirft seine Schnitten in den Papierkorb und packt eine sogenannte Frühstücksschnitte als bessere oder vernünftigere Alternative aus. Ich glaube, daß es verheerend ist, was dadurch bewirkt wird. Von den gesundheitlichen Schäden, die dadurch entstehen, will ich gar nicht reden. Ich meine, auch vom Pädagogischen her ist das eine unvertretbare Werbung. Deswegen bitte ich Sie, mit uns gemeinsam zu überlegen, ob wir nicht eine Möglichkeit finden, die Werbung mit Kindern und für Kinder in das Gesetz hineinzubringen und damit unmöglich zu machen.
Das gilt auch für den Bereich, wo Kinder als Druckmittel gegen ihre Eltern mißbraucht werden. Konflikte entstehen im Elternhaus, weil Kinder über Medien beim Kauf von Waren gegen die Eltern eingesetzt werden. Das heißt, Kinder werden für die Marktstrategie der Unternehmer eingesetzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt auch ein wenig für den Bereich von Ladendiebstählen. Ich glaube, daß man unehrlich ist, wenn man gegen Ladendiebstähle von Kindern ankämpft und trotzdem zuläßt, daß Kinder in der Werbung eingesetzt werden.
Ich will ein zweites Beispiel nennen, das mir wichtig erscheint. Es ist die Frage des Verbots von Produktion und Einführung von Kriegsspielzeugen.
({4})
Alle Parteien hier in diesem Hause diskutieren seit Jahren darüber, wie man etwas dagegen tun kann. Der Caritasverband, die Junge Union, die Sozialistische Jugend Deutschlands „Die Falken", die Gewerkschaftsjugend führen vor Weihnachten Aktionen durch, um zu verhindern, daß Eltern ihren Kindern Kriegsspielzeug kaufen. Ich meine, wir sollten Überlegungen anstellen - das ist eine Bitte an die CDU/CSU-Fraktion und an die FDP-Fraktion -, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, in diesem Gesetz eine Formulierung zu finden, die sicherstellt, daß diese Unanständigkeit, die Einführung und die Produktion von Kriegsspielzeugen, unterbunden wird. Wir können nicht auf der einen Seite Friedenserziehung fordern und auf der anderen Seite - zumindest dort, wo wir Möglichkeiten dazu haben - nichts gegen die Produktion und Einfuhr von Kriegsspielzeugen unternehmen. Ich bitte, das zu überlegen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mit uns gemeinsam eine Lösung finden würden.
Ich will auf weitere Problembereiche aufmerksam machen, von denen ich persönlich und die SPD-Fraktion der Meinung sind, daß es schwierig ist, sie gesetzlich zu fixieren. Sie müssen aber genannt werden. Sie müssen genannt werden, weil wir die Forderung an die Bundesregierung haben, sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, weil sie in den Bereich des Kinderschutzes und des Jugendschutzes fallen.
Ich will zu Beginn ein unpopuläres Beispiel nennen: Kinder im Leistungssport. Wer die Debatte in
einer Zeitung in den letzten Wochen mitverfolgt hat, weiß, welche Schwierigkeiten dort drinstecken. Im Turnbereich, im Schwimmbereich kommt es durch das Training zu Gesundheitsschäden, die von so großer Bedeutung sind, daß sich eines Tages zumindest auch die Krankenkassen damit werden beschäftigen müssen. Ich will das hier nur nennen, damit die Bundesregierung vielleicht einmal überlegt, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese Frage offensiv anzugehen. Das, was der Deutsche Sportbund bis jetzt dazu getan hat - ich habe mich in den letzten Wochen damit beschäftigt -, scheint mir zuwenig zu sein. Hier wäre eine Aktivierung der Bundesregierung notwendig.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen, das ist der Bereich Kinder und Umweltschäden. Mittlerweile scheint es erwiesen zu sein, daß der saure Regen nicht nur unsere Wälder schädigt, sondern auch unsere Kleinkinder. Wir werden im Zusammenhang mit einer anderen Diskussion im Ausschuß dieser Frage nachgehen. Es ist bekannt - und ich weiß das selber aus meinem Wahlkreis im Kölner Norden -, daß Erkrankungen der Atmungsorgane bei Kindern insbesondere in den Bereichen häufiger vorkommen, wo Kinder in unmittelbarer Nähe von Chemiewerken leben, wo Kinder ihre Schulen und Kindergärten neben Chemiewerken haben. Es ist wirklich zu überlegen, ob es nicht auch hier Aktivitäten des Parlaments und der Regierung geben müßte, um diese Schäden zu beheben bzw. etwas gegen die Ursachen zu unternehmen.
({5})
Ich will ein drittes Beispiel nennen: Kinder und Arzneimittelmißbrauch. Der Präsident des Kinderschutzbundes hat - vor zwei Wochen war es, glaube ich - eine aufsehenerregende Mitteilung dazu gemacht. Das ist eine Angelegenheit, die uns nicht gleichgültig lassen darf. Hier sind vielmehr Regierung und Parlament gefordert, Überlegungen anzustellen, Problembewußtsein zu schaffen, damit die Schäden, die dort entstehen, eingedämmt werden können.
({6})
- Ich habe das alles deswegen angemerkt, Herr Schlottmann, ohne Polemik, wie ich glaube, weil ich will, daß nicht hier in diesem Hause und in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, daß mit der Verabschiedung des Jugendschutzgesetzes alle Probleme des Kinder- und Jugendschutzes beseitigt wären.
({7})
Ich will zum vierten einige Bemerkungen zu den Schwerpunkten machen. Ich will beim Problem des Alkoholismus beginnen und zunächst einige Daten und Fakten vortragen. Eine Untersuchung der Bundesregierung, die uns in den letzten Wochen zugegangen ist, sagt aus, daß 50 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren gelegentlich oder regelmäßig Alkohol konsumieren. 3 % der 12- bis 14jährigen sind regelmäßige Alkoholkonsumenten. 18 % sind es bei den 15- bis 17jährigen. Und, was sehr wichtig ist, 25 % der 12- bis 14jährigen besorgen sich ihren Alkohol in Kneipen, im Einzelhandel, an Kiosken usw.
({8})
- Neben der Schule - Herr Sauer hat darauf hingewiesen -, auch in Kneipen. Es gibt schon Geschäftsleute, die das planmäßig machen
({9})
- mit Sonderpreisen -, die Kindern den Flachmann verkaufen.
Die Gesundheitsschäden und die ökonomischen Schäden sind so gewaltig, daß nach unserer Meinung das, was Sie im Gesetzentwurf vorschlagen, Herr Sauer, nicht ausreicht. Wir sind davon überzeugt, daß es noch mehr Möglichkeiten gibt.
({10})
- Ich hoffe, daß wir sie gemeinsam erarbeiten können. Ich meine, daß es noch mehr Möglichkeiten, noch mehr Vorschläge gibt - um Ihr Wort aufzugreifen -, etwas zu unternehmen, insbesondere auch, weil die menschlichen Probleme sehr gravierend sind. Alkohol ist ja eine langsam wirkende Droge. Die Wirkung tritt ja nicht mit 13 oder 14 Jahren ein, sondern in der Regel erst mit 18, 19, 20 Jahren und später. Das Alkoholproblem geht weit über alle anderen Drogenprobleme hinaus; die anderen Drogenprobleme haben im Vergleich zu dem Alkoholdrogenproblem eine minimale Größenordnung. Deswegen reicht uns auch der Sanktionsrahmen nicht aus. Es wäre zu überlegen, ob der Sanktionsrahmen, den Sie vorschlagen - 10 000 DM, ein Jahr Gefängnis -, nicht verdoppelt werden kann.
({11})
Wir müssen auch überlegen, Herr Sauer, ob es nicht Möglichkeiten gibt, auf die Preisgestaltung z. B. in Diskotheken einzuwirken. Es ist ein Unding, daß eine Coca-Cola teurer ist als ein Bier. Eine Untersuchung weist nach, daß der überwiegende Teil der Jugendlichen, die diese Diskotheken besuchen, aussagten, sie würden lieber Coca-Cola als Bier trinken, aber das Bier sei ja billiger als Coca-Cola. Es wäre überlegenswert, ob es nicht auch in diesem Bereich Möglichkeiten gibt, etwas zu unternehmen.
Es gibt eine andere Sanktionsmöglichkeit, die von vielen vorgeschlagen worden ist, auch - um einen Bereich von Ihnen zu nehmen - von der Jungen Union. Es wäre nämlich zu prüfen, ob nach dreimaligem Verstoß eines Kneipiers nicht der Entzug der Konzession sinnvoll wäre. Auch diese Sanktionsmöglichkeit scheint mir überlegenswert zu sein.
({12})
- Die Gewerbeordnung gibt das her, aber es wäre auch zu prüfen, ob das nicht in den Sanktionskatalog dieses Gesetzes aufgenommen werden kann.
Zu dem Bereich der Videokassetten möchte ich hier keine Ausführungen machen, weil das mein Kollege Michael Müller tun wird. Ich bitte Sie um Verständnis dafür. Ich will nur eine Anmerkung machen. Ich habe bei der Vorbereitung auf diese Diskussion einen Zeitungsartikel über das Problem in Schweden gelesen. Darin heißt es, eine Untersuchung habe ergeben, daß 40 % der Kinder von sechs bis zehn Jahren glauben, man könne nur durch Mord und Totschlag sterben. Es ist heute, scheint mir, in der Bundesrepublik noch nicht so weit. Lassen wir es nicht so weit kommen! Unternehmen wir etwas, daß unsere Kinder noch glauben, daß man auch eines natürlichen Todes sterben kann!
Ich will zum dritten Schwerpunktbereich kommen, zu den Spielautomaten. Diese Diskussion hat ja vor zwei Jahren angefangen, als an den Bahnhöfen, im Kinovorbereich, in Ladenstraßen
({13})
Kriegsspielautomaten aufgestellt wurden. Ich meine, daß die Diskussion, die damals hier insbesondere in der Fragestunde geführt wurde, für die Schärfung des Problembewußtseins sehr wichtig war. Diese Automaten sind nicht nur Taschengeldfresser, sondern töten auch Kreativität. Deswegen reicht das nicht aus, was Sie formuliert haben. Wir fordern ein Totalverbot dieser Kriegsspielautomaten, auch für Erwachsene. Wir sehen dafür keine Notwendigkeit und betrachten es auch nicht als Liberalität, Herr Eimer.
({14})
- Ich spreche vom Totalverbot, vom grundsätzlichen Verbot dieser Kriegsspielautomaten,
({15}) nicht von einem begrenzten Zugang.
Ich will noch eine Bemerkung zu sonstigen gesetzlichen Regelungen machen und werde dann zum Schluß kommen. Die von Ihnen vorgeschlagene Regelung, daß in Zukunft - ich nehme dieses Beispiel heraus - Kinder unter sechs Jahren ein Kino besuchen dürfen, scheint mir doch sehr umstritten zu sein. Ich bitte Sie, da wirklich mit uns noch einmal in eine Diskussion einzutreten. Es gibt in der Fachöffentlichkeit, bei den Wohlfahrtsverbänden, bei den Jugendverbänden unterschiedliche Positionen dazu. Mir scheint, daß wir dies noch einmal mit Fachleuten erörtern müssen. Es gibt einiges, was dafür spricht, und es gibt einiges, was dagegen spricht.
Wir wollen an diesem Gesetz mitwirken. Aber wir haben Bedingungen. Ich bin nach Lesen des letzten Satzes im zweiten Absatz der Begründung „Allgemeines" unruhig geworden. Dort heißt es, dieses Gesetz solle „möglichst kurzfristig zum Abschluß gebracht werden". Wenn das heißt, daß das so ablaufen soll wie die Neufassung des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes, dann werden wir uns wehren.
Wir werden uns nicht wieder gefallen lassen, was Sie da schon einmal mit uns gemacht haben.
({16})
Wenn Sie eine ernsthafte Diskussion mit uns wollen, werden wir sie führen, aber nicht unter Zeitdruck, nicht unter dem Motto: Herr Geißler will seinen Erfolg.
({17})
Wir wollen nicht den Erfolg des Herrn Geißler, wir wollen einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gilges hat in seinem Beitrag eine Reihe von Punkten angesprochen, die in diesem Gesetz nicht geregelt sind und wahrscheinlich auch nicht geregelt werden können. Ich halte sie dennoch für außerordentlich wichtig. Ich will mich aber in meinem Beitrag auf das beschränken, was wir hier lösen wollen und auch lösen können.
Der vorgelegte Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen kommt einem dringenden Bedürfnis nach. Dieses Gesetz wurde mehrmals angekündigt; aber erst jetzt in dieser Legislaturperiode und von dieser Koalition wird es vorgelegt. Wir müssen das alte Jugendschutzgesetz nicht nur an heutige Normen anpassen, d. h. in einigen Bereichen verschärfen, in anderen Bereichen unzeitgemäße Verbote beseitigen, wir müssen auch für den Schutz vor Gefahren sorgen, die neu gekommen sind. Die technische und soziale Umwelt hat sich verändert. Das alte Jugendschutzgesetz wird der heutigen Situation nicht mehr gerecht.
Für die FDP-Fraktion will ich zu diesem Gesetz einige liberale Grundsätze aufzeigen, die die Motivation beleuchten sollen, mit der wir das vorliegende Gesetz gestalten wollen.
An der Spitze unserer Überlegungen steht das Elternrecht, die Freiheit der Eltern, unbeeinflußt vom Staat und von gesellschaftlichen Gruppen die Normen für die Kindererziehung zu setzen. Nicht der Staat setzt Normen, sondern der Staat muß den Eltern die entsprechende Hilfe geben, damit sie nach ihren eigenen Normen Kinder erziehen können.
Das klingt zunächst vielleicht sehr abstrakt. Ich will es jedoch an einem Beispiel konkret machen. Verbote beim Besuch von Gastwirtschaften bei Tanzveranstaltungen beziehen sich in diesem Entwurf nicht auf die Kinder, die in Begleitung ihrer Eltern sind. Wir müssen aber Normen setzen, die dann gelten, wenn sich Kinder ohne Begleitung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten in der Öffentlichkeit aufhalten, und die so gestaltet sind, daß man annehmen kann, sie entsprechen dem Willen der überwiegenden Zahl der Eltern. Gefahren, die nach allgemeiner Erkenntnis für die Entwicklung
Eimer ({0})
der Kinder und Jugendlichen bestehen, müssen von ihnen, soweit es irgendwie möglich ist, ferngehalten werden.
Jugendschutz fordert aber auch das Fernhalten von jugendgefährdenden Erzeugnissen von Kindern und Jugendlichen, wie z. B. die ekelerregenden Gewaltdarstellungen auf einigen Videokassetten, die von meinen beiden Vorrednern angesprochen worden sind. Ich glaube, hier gibt es keine Differenzen zwischen allen Fraktionen.
Aber damit kommem wir nahe an verfassungsmäßig schwierige Probleme der Vorkontrolle oder einer Zensur. Es geht hier darum, Jugendschutz und Elternrecht bei schwierigen verfassungsrechtlichen Verhältnissen zu einem wirksamen und vor allem zu einem praktikablen Gesetz zu vereinen. Daß die Koalitionsparteien diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, bedeutet nicht, daß wir glauben, ein fertiges, ein optimales Gesetz vorzulegen. So vermessen sind wir nicht. Jedes Gesetz verläßt den Bundestag anders, als es hereinkommt. So wird es auch hier sein. Es ist gerade die Aufgabe dieses Hauses, an solchen Entwürfen zu feilen und sie so zu gestalten, daß sie optimal werden. Gerade weil die Probleme des Jugendschutzes sehr komplex sind, weil eine Reihe von Verfassungsproblemen angesprochen werden muß, ist eine breite und sehr ausführliche Diskussion nötig. Wir Liberalen haben so viel Selbstkritik, aber auch Selbstbewußtsein, daß wir selbst darauf hinweisen werden, wo unserer Meinung nach eine besondere Sorgfalt in der Beratung nötig ist. Wir werden nicht an den Formulierungen unseres eigenen eingebrachten Entwurfs kleben bleiben, wenn bessere Lösungen angeboten werden. Wir wollen darüber hinaus nach besseren Regelungen suchen und sie übernehmen, ganz gleich, wer sie vorschlägt, wo immer sie herkommen. Eine breite und konstruktive Diskussion ist also nicht nur erwünscht, sondern sie ist nötig, damit ein gutes Gesetz verabschiedet werden kann.
Einen detaillierten Überblick über das neue Jugendschutzgesetz kann ich mir ersparen, weil bereits meine Vorredner darauf eingegangen sind. So kann ich mich auf einige wenige Kommentare beschränken.
Gegenüber früheren Entwürfen ist das Gesetz übersichtlicher und lesbarer geworden. § i enthält die Grundaussagen zum Jugendschutz, § 2 die Definitionen dieses Gesetzes. Die Altersgruppen von Kindern und Jugendlichen und die Zeiten, bis zu denen sie sich in Gaststätten bei Tanzveranstaltungen und Filmveranstaltungen aufhalten dürfen, wurden aufeinander abgestimmt, so daß Eltern und Erzieher nicht mit einer Vielzahl von Daten belastet werden müssen. Dies macht das Gesetz, wie ich meine, praktikabler.
§ 3 regelt den Aufenthalt in Gaststätten. Gegenüber dem geltenden Recht tritt hier eine Lockerung ein. Das scheint mir auch geboten; denn es ist nicht einzusehen, warum ein Kind oder ein Jugendlicher nicht in eine Eisdiele darf, die ja auch unter den Begriff „Gaststätte" fällt. Auf der anderen Seite war der alte § 2 unlogisch. Er verbot Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren im ersten Absatz den
Aufenthalt in den Gaststätten, öffnete aber im zweiten Absatz dieses Verbot wieder völlig, wenn man eine Mahlzeit oder ein Getränk einnahm.
In den vorgesehenen § 4 - das wurde schon angesprochen - wird die Abgabe von Branntwein und anderen alkoholischen Getränken wesentlich verschärft. Der Automatenvertrieb wird verboten.
§ 5 regelt die Anwesenheit bei öffentlichen Tanzveranstaltungen. Hier kamen wir den berechtigten Anliegen von Vereinen, vor allem denen, die das Brauchtum pflegen, entgegen, die in ihrer jugendfördernden Arbeit durch die Formulierungen des alten Gesetzes beeinträchtigt waren.
Unzeitgemäß war, wie Kollege Gilges es schon angesprochen hat, das Verbot, Kindern unter 6 Jahren Filme zu zeigen. Dies bewirkte, daß Kinderfilme in Deutschland praktisch nicht mehr hergestellt wurden. Der Markt war abgeschnitten. Kinderfilme, die heute im Fernsehen kommen, stammen meist aus dem Ausland. Dies wird durch die Neufassung des § 6 geändert. Kinder unter 6 Jahren dürfen in Zukunft in Begleitung ihrer Eltern in die Kinos.
§ 9 betrifft das Rauchen in der Öffentlichkeit. Da ändert sich im Grunde genommen nichts. Aber ich muß hier anmerken, daß mir eine strengere Fassung lieber wäre, eventuell in Anlehnung an die Formulierungen beim Alkoholverbot. Mir ist natürlich klar, daß die Vielzahl der Zigarettenautomaten, die es gibt, diese Neuformulierung außerordentlich schwierig machen. Ich weiß noch nicht, ob uns da eine vernünftige Lösung einfällt.
({1})
Wir sollten es aber auf alle Fälle versuchen.
§ 7 und § 8 habe ich bei dieser Aufzählung übersprungen. Sie behandeln die neuen Medien: Videokassetten, Bildplatten und elektronische Unterhaltungsspielgeräte. Lassen Sie mich zu den Videokassetten eine Vorbemerkung machen.
Der Jugendschutz für Filme war bisher im Jugendschutzgesetz geregelt, der Jugendschutz in den Druckmedien im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Dieses neue Medium Videokassette ist ein Zwitter. Vom Medium her ist es wie ein Film zu behandeln und gehört daher in das Jugendschutzgesetz. Vom Vertrieb her ist es eher einem Druckwerk gleichzusetzen und paßt deswegen auch genausogut in das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften.
Wir sollten deshalb im Laufe der Beratungen überprüfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, wenn wir beide Gesetze zusammenführten. Die Gefahr, daß vergleichbare Darstellungen in Film, Video oder Zeitschriften unterschiedlich behandelt werden, ist ohne Zweifel gegeben. Ich denke da z. B. an die Einteilung für verschiedene Altersgruppen bei Film und Video, wie sie ja bei Druckerzeugnissen nicht vorgenommen wird, und die möglicherweise unterschiedliche Behandlung bei der Indizierung und die damit bestehenden Ungleichheiten beim Verkauf.
Wir werden hier genau aufpassen müssen, daß bei einer Neuregelung keine Verfassungsprobleme auftauchen.
Eimer ({2})
Da bei Videokassetten der gleiche Inhalt wie beim Film, nur mit anderer Technik gespeichert wird, ist es logisch, daß Kassetten wie Filme eingestuft und gekennzeichnet werden für die Altersgruppen, für die sie freigegeben sind.
Ich bin aber nicht sicher, ob es zweckmäßig ist, daß diese Kennzeichnung bei Film und bei Video durch eine oberste Landesbehörde vorgenommen wird, auch wenn hier eine Art freiwillige Kontrolle eingeschaltet wird. Vor allem die Kennzeichnung durch ein amtliches Siegel - bei mir liegt die Betonung auf dem Wort „amtlich" - sollte von uns kritisch geprüft werden. Ich weiß nicht, ob es zweckmäßig ist, durch dieses amtliche Siegel den Herstellern von Filmen die Verantwortung für deren Filme abzunehmen.
({3})
Vielleicht wäre es im Sinne des Jugendschutzes zweckmäßiger, diese Verantwortung beim Hersteller zu lassen und auf der anderen Seite bei falschen Einstufungen mit einer strengen Indizierung zu drohen. Ich kann mir vorstellen, daß Privatfirmen aus Angst vor dieser Indizierung strenger in der Beurteilung und damit in der Einstufung sind als eine wechselnde Gruppe von Personen, die die Verantwortung gegenseitig abwälzen können und eher in der Sorge sind, daß sie als Spießer abqualifiziert werden könnten. Privatfirmen wollen ihre Produkte verkaufen. Bekommen sie Schwierigkeiten wegen einer falschen Einstufung, so stört dies das Geschäft. Der Jugendschutz wäre, so meine ich j eden-falls, strenger, und wir würden weniger Verfassungsprobleme bekommen.
Gleichermaßen streng geprüft werden muß in diesem Zusammenhang die Änderung des § 131 des Strafgesetzbuches in Art. 3.
({4})
Durch diese Änderung soll sichergestellt werden, daß grausame und unmenschliche Darstellungen nicht zum Zwecke der Unterhaltung gezeigt werden. Daß hier Änderungen notwendig sind, darüber gibt es in diesem Hause wohl Einvernehmen. Aber wie die endgültige Formulierung aussehen soll, kann ich noch nicht genau sagen. Ich glaube, hier müssen wir vor allem die Verfassungsjuristen sehr intensiv befragen.
Alle diese Kennzeichnungen und Verbote dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dennoch möglich sein wird, daß Kinder und Jugendliche in den Besitz von Kassetten kommen werden, die nicht für ihre Hände bestimmt sind.
Es genügt in diesem Zusammenhang aber nicht der Hinweis auf die Verantwortung der Eltern. Die Eltern werden nicht in allen Fällen in der Lage sein, hundertprozentig zu kontrollieren, welche Kassetten ihre Kinder nach Hause bringen. Ich will hier einen Vorschlag unterbreiten.
Es ist möglich, Kassetten mechanisch oder elektronisch so zu kennzeichnen, daß sie auf den Geräten nur noch dann abgespielt werden können, wenn diese Sperre durch ein Schloß aufgehoben ist. Diese Sperre sollte von den Eltern auf einfache Weise vorgenommen werden können, so daß es in der Hand der Eltern liegt, zu selektieren, welche Kassetten sie ihren Kindern vorenthalten wollen oder nicht. Kassetten, die nicht als jugendfrei eingestuft werden, sollten von vornherein mit einer derartigen Sperre ausgerüstet werden. Am Videorecorder müßte dann ein Schloß mit den Schaltstufen „Gesperrt für alle Vorführungen", „Gesperrt für markierte Kassetten" und „Frei für alle Kassetten" angebracht sein. Etwas ähnliches hat man schon einmal bei Fernsehgeräten angeboten; Sie erinnern sich vielleicht daran.
({5})
- Ich halte diese Regelung keineswegs für kompliziert. Diese Regelung ist vor allem im Sinne des Elternrechts zweckmäßig. Ist ein Recorder für markierte Kassetten gesperrt, dann können die Eltern sicher sein, daß nicht jugendfreie Kassetten zu Hause nicht abgespielt werden können. Diese Maßnahmen wären nicht nur wirkungsvoll im Sinne des Jugendschutzes, sondern würden vor allem auch den Eltern die Möglichkeit erleichtern, im Sinne des Elternrechts zu bestimmen, was ihre Kinder sehen können oder nicht. So können sie nach ihren Vorstellungen diese Normen entschärfen oder verschärfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Reetz?
Bitte schön.
Ich habe die Frage: Wollen Sie damit ausdrücken, daß die Eltern die Brutalitäten verkraften können, die sie ihren Kindern vorenthalten?
Nein, diese Frage habe ich überhaupt nicht angesprochen,
({0})
sondern ich habe damit nur ausdrücken wollen, daß Eltern diejenigen Streifen, die sie ihren Kindern vorenthalten wollen, auch sicher sperren können. Es gibt eine ganze Reihe von Filmen, die Prädikate haben, aber dennoch für Jugendliche nicht geeignet sind. Die Eltern haben unterschiedlich strenge Vorstellungen. Warum wollen Sie hier in das Elternrecht eingreifen? Ich kann mir vorstellen, daß es Eltern gibt, die sehr strenge Vorstellungen haben, und solche, die weniger strenge Vorstellungen haben. Die Maßnahme, die ich vorgeschlagen habe, soll nichts anderes bewirken. Ich kenne Eltern, die sich nur deswegen keinen Videorecorder zulegen, weil sie die Sorge haben, daß sie den Konsum ihrer Kinder an solchen Filmen nicht mehr kontrollieren könnten.
Tonbildträger, die für Jugendliche nicht freigegeben worden sind, sollen nach dem Gesetzentwurf nicht im Versandhandel angeboten werden dürfen. Dies deckt sich mit einer analogen Regelung bei den jugendgefährdenden Schriften, die indiziert worden ist. Dort ist gegen das Verbot auch nichts
Eimer ({1})
einzuwenden. Bei Tonbildträgern ist dies allerdings noch einmal zu überlegen. Im Versandhandel kann ich noch Monate nach dem Verkauf überprüfen, ob dem Jugendschutz Genüge getan worden ist oder nicht. Im Einzelhandel ist nach dem Verkauf eine Überprüfung nicht mehr möglich. Natürlich muß verhindert werden, daß Jugendliche unkontrolliert jugendgefährdende Kassetten bestellen können. Hier sind ähnliche Sicherungen möglich wie beim Waffenkauf im Versandhandel, z. B. durch die Einsendung des Personalausweises. Im Versandhandel wäre eine Kontrolle also leichter möglich. Aber es gibt noch eine andere Überlegung, die hier zu bedenken ist: Es gibt eine Reihe von hervorragenden Filmen mit dem Prädikat „Besonders wertvoll", die für Jugendliche dennoch nicht geeignet sind. Diese Filme würden praktisch vom Markt verschwinden; denn das sind Filme, die in den Videotheken meist nicht besonders gut gehen.
In § 8 unseres Entwurfs werden Unterhaltungsspielgeräte mit und ohne Gewinnmöglichkeiten angesprochen und die Benutzung und Aufstellung geregelt. Diese Spielgeräte sind, wie ich meine, durch zwei Tatsachen zu Recht ins Gerede gekommen: zum einen durch die Darstellung von Krieg und Schießereien auf den Bildschirmen, zum zweiten - allerdings nicht ganz so häufig - durch die Beschaffungskriminalität, die begangen wurde, um die Spielleidenschaft zu befriedigen. Eine Regelung ist deshalb dringend notwendig; meine beiden Vorredner haben darauf hingewiesen.
Für unbestritten und auch unproblematisch halte ich das Verbot der Teilnahme an Spielen mit Gewinnmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche und das Verbot der Darstellung von Gewalttätigkeit gegen Menschen oder der Verherrlichung oder Verharmlosung des Krieges auf Spielgeräten. Ich kann mir da durchaus auch eine Verschärfung vorstellen, wie Kollege Gilges dies angeprochen hat. Aber dann beginnen meiner Meinung nach bereits die Probleme.
Der Begriff „elektronische Unterhaltungsspielgeräte" muß wahrscheinlich geändert werden. Es kann doch nicht sein, daß ein Flipper, der eine elektronische Anzeige hat, verboten ist, aber ein Flipper, der sonst genauso ausschaut, jedoch elektromagnetisch funktioniert, erlaubt ist. Auch ein Tischbillard und ein Kicker, der einen elektronischen Münzprüfer hat, können doch nicht ohne weiteres unter dieses Verbot fallen.
Auch der Begriff „Videospielautomaten" erscheint mir bedenklich. Denn man sollte nicht bestimmte Techniken ohne Rücksicht auf den Inhalt diskriminieren. Tischfußball als Kicker wäre z. B. erlaubt, am Bildschirm aber verboten. Der Krieg im Weltall, auf einem Bildschirm dargestellt, ist aber im Sinne des Jugendschutzes sicher anders zu bewerten als z. B. - ich nehme hier als Beispiel ein Videogerät - die Darstellung eines Affen, der Fässer rollt. Vielleicht kommen wir hier auch nicht umhin, diese Geräte nach Altersklassen einzustufen. Ich weiß es noch nicht; wir müssen hier beraten. Wenn wir diese Geräte einstufen, könnten wir damit gleichzeitig erreichen, daß den Geräten, die für das heimische Fernsehgerät verkauft werden, auch eine Information für die Eltern beiliegt, wenn sie derartige Geräte für ihre Kinder kaufen.
({2})
- Das wäre z. B. eine Warnung für Eltern, sicher. Ich glaube, daß das die Eltern etwas unterstützen könnte.
Lassen Sie mich aber noch ein paar Worte zu dem Problem der Beschaffungskriminalität verlieren. Der Großteil des Geldes beim Spielen mit Videoautomaten geht für den Spieler dann verloren, wenn neue Geräte aufgestellt werden. Denn die neuen Programme werden von Kindern und Jugendlichen noch nicht beherrscht, so daß in der Lernphase außerordentlich viel Geld verloren wird. Aber auch hier wird von den Herstellern Gott sei Dank umgedacht. Es deuten sich neue Entwicklungen an, die bei der Beratung des Gesetzes berücksichtigt werden können. So wurde mir berichtet, daß neue Automaten eine Mindestspielzeit einprogrammiert bekommen haben. Bei diesen Geräten wird also in der Lernphase nicht - wie bisher - so außerordentlich viel Geld verloren werden. Das ist natürlich nur ein kleiner Beitrag, das Problem zu verringern, so daß wir hier noch sehr genau prüfen müssen.
Lassen Sie mich nun noch ein Problem ansprechen, das im vorliegenden Gesetzentwurf zwar nicht geregelt wird, aber eigentlich in das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und damit in Art. 2 gehört. Heute ist dort geregelt, daß Zeitschriftenhändler, die jugendgefährdende Schriften in die Hände Jugendlicher geben, oder Pressegrossisten, die z. B. solche Zeitschriften an Kioske ausliefern, dafür verantwortlich gemacht werden. Auf der anderen Seite aber wird der Hersteller oder Verleger nicht verpflichtet, dem Händler Mitteilung über jugendgefährdende Inhalte seiner Produkte zu machen. Da die Großhändler ein Gebietsmonopol haben, können sie vom Hersteller gezwungen werden, die Produkte überall zu verteilen. Bei der Verteilung aber wird der Staatsanwalt dann den Pressegrossisten strafrechtlich belangen. Das Risiko liegt also bei demjenigen, der am wenigsten Einfluß und vor allem die geringsten Möglichkeiten der Kontrolle hat.
Mir scheint, Kompetenz und Verantwortung müssen in diesem Zusammenhang klar und besser verteilt werden, und zwar so: Der Hersteller trägt das Risiko für den Inhalt seiner Produkte und übernimmt die Mitteilung an den Händler. Der Händler erhält die Verpflichtung, die Schriften danach zu verteilen. Nach der heutigen Regelung sind die Händler total überfordert, wenn sie bei der Vielzahl der Titel, die wöchentlich erscheinen, immer kontrollieren sollen, ob eine Schrift jugendgefährdend ist oder nicht. Nach meinen Vorstellungen wird der Importeur belangt, wenn seine Information falsch ist, der Händler, wenn er sich nicht entsprechend verhält. Dies wäre auch ein Beitrag, den Jugendschutz auf dem Gebiet der jugendgefährdenden Schriften sicherer und zuverlässiger zu machen.
Eimer ({3})
Aus der Vielzahl der angesprochenen Probleme ist erkennbar, wie wichtig und wie notwendig die Regelung des Jugendschutzes ist. Es wird aber auch deutlich, daß trotz aller Dringlichkeit der Vorlage die Probleme größer sind, als dies ursprünglich angenommen wurde. Ich fürchte, daß die Beratungen nicht so schnell abgeschlossen sein können, wie wir das uns alle eigentlich gewünscht haben. Wir werden sehr sorgfältig beraten müssen. Wir werden die Mithilfe aller verantwortlichen Verbände und Interessenten und die tatkräftige Hilfe in den Ministerien brauchen.
Wir Liberalen hoffen auf eine kritische und auf eine konstruktive Begleitung bei unseren Beratungen über dieses Gesetz. Wir sind nicht nur offen für Anregungen, die notwendig sind, sondern wir bitten auch darum. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, daß das Gesetz im Ausschuß im Klima einer guten Zusammenarbeit beraten wird und daß am Ende ein Gesetz steht, das nicht nur für den Jugendschutz optimal ist, sondern auch allen verfassungsrechtlichen Prüfungen standhält.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen! Liebe Freunde! Wir zerbrechen uns hier den Kopf über Jugendschutz und Gewalt, wir wissen aber, daß wir alle mehr oder weniger intensiv daran beteiligt gewesen sind, eine Gesellschaft aufzubauen, die in sich gewalttätig ist. Das zeigt auch die beschränkten Möglichkeiten, die so ein Gesetz hat.
({0})
Das soll nicht heißen, daß wir uns nicht den Kopf über so einen Gesetzentwurf zerbrechen müssen.
Der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit soll der Lebenswirklichkeit der heutigen Zeit angepaßt werden und „die aktuellen Schutzbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ... adäquat und zeitgerecht sichern helfen", heißt es dort. Die Zahl der aufgeführten Gefährdungsquellen nimmt sich allerdings recht bescheiden aus. Es geht vor allem ums Rauchen, Trinken und um den visuellen Genuß von Videokassetten. Das sind drei Dinge, denen die Erwachsenen in einer solchen Art und Weise frönen, daß wir bei ihnen von einer Volkssucht sprechen können.
({1})
Erwachsene, die sehen, wie weit es mit ihnen gekommen ist, wollen die Kinder vor Schaden bewahren; das ist ein guter Zug an ihnen.
({2})
Nur frage ich mich, wie ein Gesetz etwas ändern soll, wenn je Verbraucher etwa 2 500 Zigaretten, 1481 Bier pro Jahr verbraucht werden, wenn der Videomarkt floriert wie nie zuvor, wenn wir Erwachsenen mit schlechtem Beispiel vorangehen, weil bei vielen das Leben leer ist, weil wir uns durch
Kriege bedroht fühlen, weil Lebenspläne jäh ihre Gültigkeit verlieren können.
({3})
- Warten Sie einmal ab.
Ich finde, Genußsucht - da stehe ich im Gegensatz zu meinen Kollegen - ist eigentlich etwas sehr Schönes. Sich vor Freude mit köstlichem Wein vollaufen zu lassen, ist ein bewußter Vorgang; aber heute saufen die Menschen aus Verzweiflung.
({4})
Diese Verzweiflung teilt sich den Kindern und Jugendlichen mit,
({5})
ehe sie diese Verzweiflung selbst erfahren, spätestens dann, wenn sie ohne Ausbildung und Arbeit, materiell abhängig von den Eltern, nicht wissen, was sie tun sollen; eine Jugend, die nicht zu Aussteigern werden kann, weil sie nie in der Gesellschaft drin war: Aufnahme verweigert.
({6})
Nehmen wir das Gesetz einmal als das, was es ist: der brave Versuch, von den Ursachen abzulenken und trotzdem Schlimmstes zu verhindern, ein Appell an die Erwachsenen, gesellschaftliche Verhältnisse so zu verändern, damit Verzweiflung nur zeitweise individueller Zustand zu sein braucht und nicht eine historische Befindlichkeit einer ganzen Generation.
Da fallen doch innerhalb des Entwurfs einige Ungereimtheiten auf. Kindern soll der Aufenthalt in Gaststätten ohne Begleitung Erwachsener bis 20 Uhr erlaubt sein. Ich frage Sie allen Ernstes: Was haben Kinder ohne Begleitung in Gaststätten zu suchen?
({7})
Wollten Sie sich die Möglichkeit offenhalten, Kinder einmal zum Bierholen schicken zu können, die dann bei der Gelegenheit gleich ein Spielchen an dem Spielautomaten wagen?
({8})
Die Formulierung: „Alkohol darf nicht in der Öffentlichkeit in Automaten verkauft werden" ist einfach zu schwammig. Welche Definition von Öffentlichkeit haben Sie dabei? Wenn Alkoholverkauf kontrolliert werden soll, darf Alkohol überhaupt nicht in Automaten verkauft werden.
Wenn Sie nicht dafür Sorge tragen, daß Mittel bereitstehen, um Jugendhäuser zu bauen und selbstverwaltete Jugendzentren zu schaffen,
({9})
warum wollen Sie dann Fünfzehnjährigen verbieten, in eine Diskothek zu gehen? Warum trauen Sie
sich nicht zu, dann auch wirklich zu verlangen - nicht nur, hier zu sagen, sondern zu verlangen und gesetzlich zu verankern -, daß ein Getränk angeboten werden muß, das billiger ist als Alkohol?
({10})
Die oberen Landesbehörden regeln die Zulassung der Filme für bestimmte Altersgruppen. Wenn wir uns ansehen, welcher Schund und wieviel dümmliche Machwerke auch Kindern zugemutet werden, stellen wir fest: Es schlägt nicht nur Kulturminister Zimmermann zu; nein, auch in den Landesbehörden sitzen offensichtlich Kulturbanausen.
({11})
Das Problem der Videokassetten beschäftigt uns zu Recht. Ein Großteil der Videokassetten ist mit Filmen bespielt, die von einer Rohheit sind, die erschauern läßt. Aber wir wissen, auch unter den restlichen sind noch viele, die subtile Gewalt und Menschenverachtung zeigen. Wir wollen gemeinsam überlegen, ob es nicht möglich ist, die Herstellung und den Vertrieb der scheußlichen Werke ganz zu verbieten. Wenn verfassungsrechtliche Bedenken geäußert werden, bleibt doch immerhin noch die Frage, wer uns mehr am Herzen liegt, die Kinder oder der Profit der Hersteller.
({12})
Das muß ausgiebig diskutiert werden; denn ich sehe natürlich eine Gefahr, die diese Forderung auch beinhaltet. Die „Wende" schlägt j a überall durch, und es könnte sein, daß eine Verfilmung, sagen wir einmal, von Anaïs Nin ihr zum Opfer fällt. Dagegen hätte ich dann sehr viel. Von Anaïs Nin können wir lernen, wie Erotik aus weiblicher Sicht aussieht. Sie beruht nicht auf Herrschaft und Unterwerfung, wie sie uns durch männliche Pornographie aufoktroyiert wird. Es gibt ja sehr schöne Pornographie, und ich denke, es gibt einen sicheren Indikator dafür, wann sie schön ist. Wenn wir sie zusammen mit unseren Kindern betrachten können und alle ihre Freude daran haben, dann ist ein Film gelungen, und solche gibt es schließlich auch.
({13})
- Herr Kollege, ich habe davon eine ganz andere Vorstellung als Sie. Ich denke, ein Schloß an einem Gerät nützt uns nichts. Ich meine, die Erwachsenen sollten einmal ihre Videotheken durchforsten und all das, was sie sich gemeinsam mit ihren Kindern nicht anzusehen trauen, wegschmeißen, denn das ist Schmutz und Schund.
({14})
Jugendliche unter 16 Jahren sollen nicht rauchen. Besser wäre ein Abgabeverbot an solche Jugendliche. Das bedeutet in der Konsequenz, daß keine Zigarettenautomaten aufgestellt werden. Das fordere ich hiermit.
({15})
Im § 13 des Jugendschutzgesetzes, der die Ordnungswidrigkeiten behandelt, sollte in Nummer 14 der § 11 aufgenommen werden, damit Gewerbetreibende auch tatsächlich die geltenden Vorschriften aushängen.
Ich komme nun zur Änderung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Dazu heißt es im Entwurf: „Schriften, die zu Unterhaltungszwecken Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern ..." Ich gehe einmal davon aus: Die Menschen, die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben, wissen, wovon sie hier schreiben. Warum benennen sie dann nicht das, was sie gesehen haben? Es handelt sich bei den Gewalttätigkeiten besonders um Gewalttätigkeiten gegen Frauen. Gefährdet eine Gewalttätigkeit erst dann, wenn sie „grausam" und „unmenschlich" ist? Grausamkeit und Unmenschlichkeit ist doch die Wirkung von Gewalttätigkeiten. Haben die Gesetzesschreiber unter Schockwirkung gestanden nach Anschauen einer Videokassette oder gibt es einfache Gewalttätigkeiten, die nicht gefährden? Wenn eine Frau vergewaltigt wird, ist das eine einfache Gewalttätigkeit? Und die grausame und unmenschliche Gewalttätigkeit setzt erst dann ein, wenn sie zusätzlich zerstückelt wird? Ist nicht eine diskriminierende und die Würde des Menschen verletzende Handlungsweise Anlaß genug, uns empören zu müssen?
({16})
Ich denke, die alltägliche Gewalt gerade gegen Frauen hat die Schwelle der Empfindsamkeit schon viel zu weit nach oben gedrängt. Es gibt keinen Grund, zwischen Gewalt und Gewalt zu entscheiden. Die Worte „grausam" und „unmenschlich" sind deshalb zu streichen.
Unterhaltungsspielgeräte, über die wir auch schon gesprochen haben und die Gewalttätigkeiten gegen Menschen darstellen, sollen nicht an Kindern zugänglichen Orten aufgestellt werden oder sogar, wie Herr Eimer es gesagt hat, nach dem Alter der Kinder klassifiziert werden. Ich denke, wir produzieren Waren, die überflüssig sind. Wir produzieren Waren, die gefährlich sind. Wir sollten die Konsequenzen ziehen und generell das Aufstellen solcher Unterhaltungsspielgeräte verbieten.
({17})
Übrigens hat ein Jugendlicher, nach seinem Video-Konsum gefragt, einmal gesagt: Die Realität ist eigentlich viel grausamer als das, was in den Filmen gezeigt wird. Das sollte uns zu denken geben.
Nach § 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften sollen Schriften indiziert werden, die Jugendliche schwer gefährden. Das Wort „schwer", denke ich, muß gestrichen werden; denn eine Gefährdung an sich muß schon strafbar sein. Der Ausdruck „schwere Gefährdung" würde eine Bremse einbauen, die eine Indizierung unnötig erschwert.
Völlig mißlungen scheint mir § 12 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit zu sein, der besagt, daß, falls Gefährdung bei Jugendlichen festgestellt wird, das Jugendamt prüft, ob An3402
gebote oder Maßnahmen der Jugendhilfe erforderlich sind. Maßnahmen der Jugendhilfe sollten doch eine Gefährdung verhindern, d. h. möglichst vorher wirksam sein. Hier muß eine Verpflichtung in das Gesetz, Jugendhilfemaßnahmen dermaßen zu organisieren, daß Förderung von Jugendlichen und Kindern auch tatsächlich Jugendschutz bedeutet.
Recht funktioniert nach dem Verursacherprinzip. Die Erwachsenen sind die Verursacher von VideoBrutalität, von Alkoholmißbrauch und Zigarettenkonsum. Die Erwachsenen sind die Verursacher von Kindernöten. Die Erwachsenen sind die Feinde der Kinder. Es genügt nicht, die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen nur bei Alkohol, Rauchen und Video zu sehen. In dieses Gesetz müßte eine Generalklausel aufgenommen werden, in der alle die Probleme benannt werden, die Herr Gilges auch schon erwähnt hat und die Kinder und Jugendliche noch bedrohen. Die Verursacher müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Dazu gehört der Schutz von Kindern vor Mißhandlungen. Dazu gehört Schutz vor Umweltbelastungen. Dazu gehört ein Verbot der Herstellung von Kriegsspielzeug. Dazu gehört, daß sich Werbung nicht an Kinder richten darf und daß Kinder auch nicht Werbeträger sein dürfen.
In der Bundesrepublik gibt es Gegenden, die dermaßen verseucht sind, daß Menschen dort nicht wohnen können. Kinder sind besonders gefährdet. Technisierte Umwelt verdrängt Menschen und vor allem Kinder, verweist sie in Kinderzimmer, die klein sind, in denen sie eigentlich nur schlafen können und in denen nur diszipliniertes Spiel möglich ist. Verordnete stille Spielzeit für die Kleinsten, die doch gerne ausgelassen und lautstark toben möchten.
Architektur geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Es muß verhindert werden, daß Razzien in Jugendzentren stattfinden und die Kinder und Jugendlichen dabei polizeilich registriert werden.
({18})
Für alle diese Zustände gibt es Verursacher, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Es reicht nicht, Katastrophen zu produzieren und sie hinterher zu beklagen. Sie müssen verhindert werden.
In diesem Sinne ist vorrangig das Problem Jugendarbeitslosigkeit zu benennen. Ich verweise auf die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg, die vor kurzem herausgekommen ist. Diese Studie beschreibt einen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Krankheit. Jedes Segment von Politik enthält gleichzeitig ein kritisches psychisches und physisches Gesundheitselement. Wenn das nicht endlich klar wird, kann auch ein differenziert ausformuliertes Jugendschutzgesetz nicht davon ablenken, daß wir dabei sind, die Jugendlichen zu einer Risikogruppe zu machen.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Vorlage eines Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit besteht die begründete Aussicht und die berechtigte Hoffnung, daß das 13jährige Trauerspiel, das die SPD in dieser Zeit und in dieser Sache während ihrer Regierungsverantwortung abgegeben hat, nunmehr doch noch zu einem glücklichen Ende geführt wird. Wieder einmal zeigt es sich, daß mit dem neuen Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Geißler, Probleme kraftvoll angepackt und in angemessener Frist zeitgemäß gelöst werden.
({0})
Dies war schon bei der Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts der Fall; ebenso wird es bei der überfälligen Neuregelung des Jugendschutzes sein.
Kurz vor Toresschluß brachte die alte Bundesregierung am 21. September 1982 noch einen Gesetzentwurf ein, nachdem auf diesem Gebeit jahrelang nichts, aber auch gar nichts Sinnvolles auf den Tisch gekommen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?
Immer, Herr Präsident.
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie in der Lage, den Widerspruch aufzuklären, wenn wir hier über einen Gesetzentwurf beraten, den die Koalitionsfraktionen einbringen, und Sie andererseits reklamieren, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit dieses Problem so kraftvoll angepackt hätte?
({0})
Wenn Sie so nett sind, die Frage zu wiederholen, dann verstehe ich sie vielleicht beim zweitenmal.
Ich will darauf verzichten, der Frage nachzugehen, an wem es liegt, daß Sie die Frage nicht verstehen, obwohl sie so einfach ist. Die Frage ist: Warum reden wir hier über einen Entwurf der Koalitionsfraktionen und nicht über einen Entwurf der Bundesregierung, wenn es zuträfe, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit dieses Problem so zügig und kraftvoll angepackt hat?
Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten: Dieser Bundesminister gehört den Koalitionsfraktionen an.
({0})
- Wunderbar.
Sauter ({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf darauf zurückkommen, daß von seiten der SPD nichts, aber auch gar nichts auf diesem Gebiet geleistet worden ist. - Herr Gilges, da Sie vorhin davon geredet haben, daß die Geschwindigkeit der Beratung nicht auf Kosten der Qualität gehen darf, stelle ich an Sie die Frage, wieviel Jahre Sie eigentlich noch gebraucht hätten, um qualitativ etwas Sinnvolles auf den Tisch zu bringen, wenn Ihnen 13 Jahre dafür nicht gereicht haben. Und wenn Sie meinen, hier erwähnen zu müssen, daß die ganze Sache erst dann hätte gelöst werden sollen, wenn das neue Jugendhilferecht hier durchgegangen wäre, und die Schuld dafür bei anderen suchen, dann darf ich Ihnen in aller Bescheidenheit sagen, daß Sie von vornherein gewußt haben, daß es sich hier um ein Gesetz handelt, für das Sie die Zustimmung des Bundesrates gebraucht haben. Wenn Sie in der Lage gewesen wären, einen Gesetzentwurf vorzulegen, hinsichtlich dessen die Zustimmung des Bundesrates sicher gewesen wäre, dann hätten Sie bewiesen, daß Sie politisch handlungsfähig und regierungsfähig waren. Weil Ihnen das aber nicht gelungen ist, hatten Sie in den letzten 13 Jahren auch auf diesem Gebiet nichts anzubieten.
Man muß doch noch in aller Bescheidenheit erwähnen dürfen, daß Frau Focke im Jahre 1976 mit einem Gesetzentwurf zum Jugendschutz ins Kabinett marschiert ist und dort, nachdem sie auf Befragen keine befriedigenden Auskünfte erteilen konnte, vom Herrn Bundeskanzler abgebürstet wurde. Daraufhin verschwand das Gesetz in der Schublade und ward seitdem nie mehr gesehen. Tatsächlich ist doch nichts Sinnvolles auf den Tisch gekommen. Damals war Versagen auf allen Linien und in allen Bereichen an der Tagesordnung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, daß die Gesetzesvorlage, die in der letzten Legislaturperiode noch kam, lediglich als Feigenblatt dienen sollte, weil zu der Zeit, als diese Vorlage gemacht wurde, jeder schon wußte, daß die damalige Regierung mit Riesenschritten auf ihr Ende zumarschierte. In den Jahren davor wurde zweifelsohne viel diskutiert, viel gezetert - Bekannterweise waren Sie damals im Sprücheklopfen Weltmeister -, aber echt substantielle Vorstellungen - ({2})
- Herr Gilges, wenn Sie mich darum bitten, daß ich zur Sache rede und ich mich an dem orientiere, was Sie vorher gesagt haben, dann komme ich in meiner ganzen Redezeit nicht zur Sache. Das ist das Problem.
Im Sprücheklopfen ist damals wie heute - Herr Gilges, das darf ich Ihnen auch bestätigen auf Ihrer Seite - alles unternommen worden, um sich nach vorn schieben zu können. Den tatsächlichen Jugendschutz in seinem echten Kern hat man wirklich schleifen lassen. Man hat sich nicht darum gekümmert, und man hat damit der Jugend auch in diesem Bereich mehr geschadet, als man ihr hat Schutz zukommen lassen. Dies war in der Tat unverantwortlich, und deshalb mußte nun schnellstens etwas geschehen.
Herr Kollege Sauer ist vorher auf das Gesetz in der Gesamtheit eingegangen. Ich darf auf diese zusammenfassende Darstellung verzichten. Ich möchte auf ein Problem eingehen, das bei dem alten Entwurf aus dem Jahre 1982, der noch von der alten Regierung vorgelegt worden ist, offensichtlich noch gar nicht erkannt worden war. Es hat sich in diesem Entwurf nicht gefunden, es ist dort nicht verankert worden. Ich meine die massive Bekämpfung der unglaublichen Auswüchse und ekelerregenden Darstellungen bei der Herstellung und dem Vertrieb von Videokassetten und von Bildplatten.
Herr Gilges, Sie haben vorher einige Beispiele gebracht, über die man heute reden sollte, nämlich Kriegsspielzeug, Werbung, Leistungssport, Kinder-und Umweltschutzschädigung und Arzneimittelmißbrauch. Ich darf Ihnen bestätigen, daß man über diese Themen zu reden hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie Sie diese im Jugendschutzgesetz systematisch unterbringen wollen. Als alter Jugendpolitiker müßten Sie wissen, daß das hier nicht hineinpaßt.
Ihnen, Frau Schoppe, wäre ich dankbar, wenn Sie darüber nachdenken würden, nachdem Sie vorher die Werbung mit Kindern abgelehnt haben, wie Sie wohl eine solche Werbung beurteilen, wenn diese Werbung den zuschauenden Eltern und Kindern gefällt. Dann müßte eine solche Werbung nach Ihren eigenen Worten wohl zulässig sein und dürfte nicht ausgeschlossen werden, wie Sie es am Schluß Ihrer Rede noch erwähnt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich bei dem, was sich im Videobereich tut, um eine geistige Umweltverschmutzung größten Ausmaßes, eine beängstigende Entwicklung, die besorgniserregend vorangeht und insbesondere bei Kindern, aber nicht nur bei Kindern, größten Schaden anrichtet. Es ist nicht genau bekannt, wie groß der Anteil der Filme heute ist, die Gewalt- und Pornographiedarstellungen enthalten; aber ich glaube, nicht falsch zu liegen, wenn ich behaupte, daß es sich um einen sehr großen Teil des Programmangebots handelt. Sie wissen selber, was dort alles abgespielt wird, wenn Sie sich einmal solche Filme angesehen haben. So zeigen insbesondere die sogenannten Menschenfresserfilme in oftmals unablässiger Szenenfolge brutalste Quälereien, besonders grausame Tötungshandlungen; Menschenfresser schmatzen genüßlich an Eingeweiden, gespenstische Halbtote überfallen Liebespaare, Blut fließt kübelweise, brutale Gewalt, sadistische Quälerei, von Todesröcheln und Angstschreien untermalt - all das wird angeboten und leider auch zuhauf angeschaut. Nach Pressemeldungen soll für einen derartigen Film mit folgender Werbung geworben worden sein - ich zitiere -: „Dieser Film enthält extrem nervenbelastende Szenen, die bei sensiblen Zuschauern zu gesundheitlichen Störungen führen können".
Gott sei Dank sind wir uns zumindest innerhalb der neuen Koalition darüber einig, daß dieser besorgniserregenden Entwicklung schnellstens ein Rie3404
Sauter ({3})
gel vorgeschoben werden muß. Dabei ist es nach meiner Einschätzung zunächst ein Fortschritt, daß im Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vorgesehen ist, daß Videokassetten künftig einer Vorprüfung unterzogen und einer Kennzeichnungspflicht unterliegen werden, aus der ersichtlich ist, für welche Altersgruppen der jeweilige Film freigegeben worden ist.
Herr Kollege Eimer, ich kann mich Ihren Gedanken nicht ganz anschließen, und zwar aus zwei Gründen.
({4})
- Im Unterschied zur alten Koalition wird in der neuen Koalition echt diskutiert.
({5})
Herr Eimer, erstens bin ich in Sorge darüber, ob eine private Kontrolle oder eine gesetzliche Sanktionierung so greifen kann, wie wir es uns wünschen. Sie wissen, daß wir uns aus bestimmten rechtssystematischen Gründen außerordentlich schwertun, im Bereich der Ordnungsschwierigkeiten den Strafrahmen über den Betrag von 10 000 DM hinaus zu erhöhen. Mir selber wäre es lieber, wenn wir hier höhergehen könnten. Zum zweiten bin ich im Zweifel, ob Verstöße dagegen im Regelfall - wenn ich sie mit anderen Sanktionsmaßnahmen unseres Strafgesetzbuches vergleiche - von sich aus und sofort dazu führen könnten, daß es zu einer Freiheitsstrafe kommt.
Aus diesen Gründen glaube ich, daß die Abwägung zwischen Strafrisiko auf der einen Seite und Geld- oder Profitmacherei bzw. zumindest der Möglichkeit des Profitmachens auf der anderen Seite manchen doch dazu veranlassen könnte, lieber schnell dieses Geld zu verdienen und dann möglicherweise diese Strafsanktionen in Kauf zu nehmen, als anders zu handeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, außerdem glaube ich. daß die geplante Änderung des § 131 StGB, bei der ich im übrigen nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken habe, wie sie von Ihnen dargestellt worden sind, Herr Kollege Eimer, von einer besonders richtungsweisenden Bedeutung ist, nachdem sich herausgestellt hat, daß der bisherige § 131 StGB sich zwar gegen exzessive Formen der Gewaltdarstellung wendet, daß aber die einschränkenden Tatbestandsmerkmale dazu geführt haben, daß er praktisch nie zur Anwendung gekommen ist. Ein Verstoß gegen § 131 StGB wird künftig schon dann vorliegen, wenn Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise dargestellt werden, ohne daß eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten zum Ausdruck kommen muß. Frau Schoppe, das beinhaltet - lesen Sie sich das Gesetz einmal durch, und nehmen sie sich insbesondere § 131 StGB einmal her -, daß dabei die Herstellung inbegriffen ist und der von Ihnen vorher vorgetragenen Sorge damit entsprochen ist. Im übrigen, Frau Schoppe, sind die von Ihnen angesprochenen Fragen der Pornographie in Verbindung mit Gewaltanwendung gesetzlich auch schon geregelt. Insofern hätte es Ihrer Erwähnung vorhin nicht mehr bedurft.
Ich möchte in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Streichung einer Passage aus dem bisherigen § 131 StGB nicht unerwähnt lassen, daß die vorgesehene Regelung natürlich nicht für alle jene Fälle gilt, in denen es um die Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte geht. Der eigentliche Zweck wird aber nach meiner Überzeugung mit der Neufassung des § 131 StGB erreicht werden: nämlich die unerträglichen Gewaltdarstellungen in Videofilmen besser in den Griff zu bekommen und damit einen besseren Schutz der Jugend zu erreichen, der mittelbar auch manchen Erwachsenen zugute kommen dürfte, die sich völlig unverständlicherweise an derartigen Darstellungen ergötzen, belustigen und befriedigen.
Über die Heraufsetzung des Strafrahmens im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts von 1000 DM auf 10 000 DM habe ich schon gesprochen. In diesem Zusammenhang muß der Grundsatz gelten: Wer nicht hören will, muß fühlen. Ich hoffe, daß all jene, die um des schnellen Geldes und des bestmöglichen Profits willen unverantwortlich und jugendschädlich handeln, dann auch mit empfindlichen Geldbußen bestraft werden, soweit eine Ordnungswidrigkeit in diesem Bereich vorliegt.
Ich teile die, ich glaube, von Ihnen, Herr Gilges, vorgetragene Meinung, daß man sich natürlich darüber Gedanken machen muß, inwiefern eine daraus zu konstruierende Unzuverlässigkeit des jeweiligen Konzessionsinhabers auch dazu führen muß, daß ihm die Konzession entzogen wird. Ich bin allerdings der Ansicht, daß es hierzu nicht einer Änderung der Gewerbeordnung bedarf oder einer Mitaufnahme in das Jugendschutzgesetz, sondern ich glaube, wir sollten zumindest in der Begründung zu diesem Gesetz deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir in der Tat der Ansicht sind, daß für Wiederholungsfälle auch die Zuverlässigkeit des jeweiligen Konzessionsinhabers überprüft werden und hier schärfer vorgegangen werden muß, als dies bisher der Fall gewesen ist.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu einem allerdings zentralen Problem, nämlich den Schwierigkeiten praktischer Art. Das Problem wird sowohl bei Video als auch beim Alkoholmißbrauch als auch bei Automatenspielgeräten sein, daß unter Umständen nicht das notwendige Personal zur Verfügung steht, um all das zu überprüfen, was wir in unserem Gesetzentwurf jetzt vorsehen. Hier muß dafür Sorge getragen werden, daß tatsächlich etwas getan wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß auch dafür Sorge getragen werden, daß die Eltern, auf die eine neue und gewichtige Verantwortung zukommt, von uns entsprechend betreut werden, betreut im Wissen darum, daß es, mit welcher Freigaberegelung auch immer die Kassetten versehen sein mögen, letztlich doch auf die Eltern ankommt, welcher Streifen zu Hause vorgeführt oder zugänglich gemacht wird. Herr Kollege Eimer, ich glaube, wir brauchen nicht zwei Schlösser, eines an der
Sauter ({6})
Kassette und eines am Fernsehgerät. Ein Schloß für einen Schrank reicht.
({7})
- Dann kommen sie auch anderweitig an den Fernseher dran. Das dürfte dann nicht mehr das Problem sein. Ich glaube, daß wir das Problem mit Schlüsseln nicht werden lösen können. Außerdem brauchten wir dann Millionen verschiedener Schlüssel, nämlich einen für jeden Fernseher. Und dann stimmte die ganze Gaudi sowieso nicht mehr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem, vor dem wir stehen, ist außerordentlich ernst. Deshalb ist es erfreulich, daß nunmehr etwas geschieht. Der neue Bundesminister verdient unsere volle Unterstützung. Alle Maßnahmen auf diesem Gebiet sind auch ein Stück geistiger Wende, die wir mit Nachdruck anpacken müssen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionskollege Konrad Gilges hat schon deutlich gemacht, daß wir uns sehr konstruktiv an dieser Diskussion über die Novellierung des Jugendschutzes beteiligen wollen. Und ich finde, daß auch Sie, Herr Sauer - lassen Sie mich das ausdrücklich sagen -, und auch Sie, Herr Kollege Eimer, in einer sehr konstruktiven Form die Diskussion begonnen haben. Frau Schoppe, Sie haben die Diskussion erweitert. Ich finde, auch diese Aspekte gehören dazu; denn es wäre gefährlich, diese Diskussion letztlich auf den Jugendschutz allein zu verengen. Sie muß in den gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt werden.
Wir werden versuchen, im Laufe der Beratungen eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen zu bringen; denn wir sind der Auffassung, daß dieser Entwurf nicht ausreicht. Wir sind uns aber sicherlich alle einig, daß es hier darum geht, sehr schnell zu beraten, um die schlimmsten Auswirkungen sobald es geht zu beseitigen.
Es ist, wie Sie wissen, auch für uns kein neues Thema. Auch wir als Fraktion haben in diesem Bereich schon einige Initiativen ergriffen, die wir in diesen Beratungen weiter verfolgen werden. Wichtig für uns ist, daß in diesem Zusammenhang gesehen werden muß, daß es bei dieser Problematik ein verfassungsrechtlich bedeutsames Spannungsverhältnis zwischen Jugendschutz und Pressefreiheit gibt. Ich nehme an, wir werden in Hearings auch diese verfassungsrechtliche Problematik sehr sauber erörtern, um einen tragfähigen Jugendmedienschutz zu bekommen. In diesem Sinne können Sie mit unserer engagierten und konstruktiven Mitarbeit rechnen.
Wir müssen aber auch warnen: Wer glaubt, diese Diskussion dazu benutzen zu können, über den Jugendschutz eine unvertretbare Einschränkung der
Kommunikationsfreiheit vornehmen zu können, wird auf unseren Widerstand treffen.
({0})
Dasselbe, meine Damen und Herren, gilt auch noch für einen anderen Punkt. Wir werden nicht akzeptieren, daß in dem Zusammenhang die längst überfällige und von der sozialliberalen Bundesregierung durchgeführte Entrümpelung des Strafgesetzbuches wieder rückgängig gemacht wird.
({1})
Auch das werden wir keinesfalls hinnehmen.
({2})
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht wie alle hier im Hause mit großer Sorge die Entwicklung auf dem Videomarkt.
({3})
- Herr Sauter, nehmen Sie es mir nicht übel: ich fand Ihre Beiträge nicht so besonders hilfreich. Deshalb werde ich auf Sie nicht eingehen.
({4})
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht mit großer Sorge, daß vor allem Gewaltdarstellungen einen zunehmend höheren Umsatzanteil auf dem Videosektor haben. Dieses „Geschäft mit der Gewalt" hat leider einen wachsenden Markt, wobei wir den tatsächlichen Umfang aus den verschiedensten Gründen noch gar nicht richtig erfassen können. Es ist nämlich schwierig, bei den verschiedenen Videosystemen, bei den oft sehr ungenauen Angaben über das Programmangebot und vor allem bei dem unübersichtlichen Verkaufs- und Verleihgeschäft präzise Angaben zu machen. Bekannt ist allerdings - das wissen wir -, daß Video in einem Übergangsmarkt - darauf komme ich gleich noch einmal zurück - einen ungeheuren Zulauf gewonnen hat. 50% der Haushalte sollen nach Schätzungen 1990 einen Videorecorder haben. Die Zahl wird sehr wahrscheinlich noch höher sein; denn diese Vorausschätzung erging zu einem Zeitpunkt, als man noch annahm, daß wir erst 1985 den Anteil von Videorecordern hätten, den wir schon 1982 erreicht hatten.
Bei dieser Diskussion geht es nicht um eine Verteufelung des Videorecorders, sondern um die Gefahren der Nutzung. Diese ergeben sich in der Tat, wenn man sieht, daß von den rund 5 300 Videoprodukten nach allen uns bekannten Untersuchungen rund 1 700 zumindest als sehr problematisch anzusehen sind. Dabei ist es noch nicht einmal so, daß bei der Herstellung Horror- und brutale Actionfilme einen großen Anteil haben; man spricht von etwa 12 %. Viel schlimmer ist - und das wirft, finde ich, ein bezeichnendes Licht auf das gesellschaftliche Bewußtsein -, daß im Verleih auf diese 12 % der Filme fast 50 % des Umsatzes entfallen. Das ist meiner Ansicht nach das gesellschaftlich Problematische.
({5})
Dies gilt besonders für Jugendliche. Nach einer uns vorliegenden Untersuchung gilt es vor allem für
Müller ({6})
die Jugendlichen von 14 bis 19 Jahren. Diese Altersgruppe hat über Video ihren täglichen Fernsehkonsum von bisher 90 Minuten auf rund 140 Minuten gesteigert. Wir müssen nach anderen Erhebungen feststellen, daß in verschiedenen Bereichen etwa 23 % als Zwölfjährige bereits gewaltverherrlichende, sadistische Produkte sehen. Bei den Sechzehnjährigen betrug dieser Anteil bereits 58 %. In diesen Filmen ist die Brutalität, ist die Gewalt, ist die Untermenschenideologie Selbstzweck. Es ist sozusagen das geschäftsfördernde Angebot. Es werden in einer unerträglichen Art Extremsituationen sadistischer Mord- und Folterszenen aneinandergereiht. Filme sind auf das systematische Ausmalen von brutalen Tötungsmethoden angelegt. Besonders schlimm ist, daß vor allem die Rolle der Frau in übelster Form dargestellt wird und nur in menschenverachtender Form vorkommt: sie werden geschlachtet, häufig brutal vergewaltigt. Oft wird auch Ausländerhaß und Rassismus gefördert.
Die gewaltige Nachfrage nach der Gewaltdarstellung beim Videoangebot läßt trotz aller Lücken - und das ist auch ein Problem, vor dem wir stehen, daß wir bei den Untersuchungen über die Wirkungen enorme Lücken haben - eine erhebliche Beeinflussung und Veränderungen bei jüngeren Leuten befürchten. Es kommen heute, vor allem aus den Vereinigten Staaten, eindringliche Warnungen. Dort verbringen junge Leute mehr als die doppelte Zeit als bei uns vor dem Fernsehvideo. Die Folgen sind: die kindliche Phantasie verkümmert, die seeliche und intellektuelle Entwicklung nimmt Schaden, Gewaltdarstellungen führen zu einem gefährlichen Aggressionsstau. Die Förderung dieses rein passiven Konsum- und Freizeitverhaltens führt sicherlich zur Oberflächlichkeit, zur Destabilisierung und, was besonders schlimm ist, zum Verlust von solidarischem Gemeinsinn. Die Fähigkeit zur Eigeninitiative wird in erheblichem Umfang beeinträchtigt.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit mehrfach kritisiert - ich glaube, das sollte man an dieser Stelle wiederholen -, daß es auch beim Fernsehen Tendenzen gibt, beispielsweise Kriminalfilme ins Vorabendprogramm zu bringen. Wir halten auch das für unvertretbar.
({7})
Dennoch muß man sehen, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten in ihren Schutzbestimmungen und in ihren Schutzmöglichkeiten überhaupt nicht mit dem vergleichbar sind, was mit der Videoproblematik auf uns zugekommen ist. Schlimmes Freund-Feind-Denken wird gefördert, die Fähigkeit zur rationalen Problemlösung abgebaut, Gewalt als Mittel zur Konfliktaustragung wird gesellschaftlich akzeptabel.
Meine Damen und Herren, wir behandeln heute den Schutz der Jugend vor Video. Ich glaube aber, daß das in der Diskussion nicht ausreicht. Denn es stellt sich meines Erachtens zunehmend die Frage nach dem Interesse und der starken Nachfrage nach Gewaltvideos in unserer Gesellschaft insgesamt. Ich finde es beunruhigend, daß nicht nur auf dem Videomarkt, sondern auf den meisten Märkten eine Zunahme der sogenannten Reizwaren zu beobachten ist. Der Boom an fragwürdigen Horror- und Katastrophenfilmen und die zum Teil beängstigende Werbung für diese Machwerke dürfen nicht allein als ein Jugendproblem abgetan werden.
({8})
Ich will in diesem Zusammenhang zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Ich halte es für intellektuell unredlich, einerseits völlig zu Recht diese gefährliche Videoentwicklung zu beklagen, aber andererseits mit allem Nachdruck faktisch die Privatisierung des Mediums Fernsehen durch einen massiven und unkritischen Ausbau der Verkabelung zu fördern.
({9})
Ich halte es für zu kurz, und ich halte es für leichtfertig, gerade die neuen Medien, wie das bei uns meistens geschieht, nur unter technologischen und wirtschaftlichen Aspekten zu sehen. Wir müssen sie viel stärker in den Zusammenhang mit den kulturellen Auswirkungen und der sozialen Problematik sehen.
Eine zweite Bemerkung. Wenn besonders in der Arbeitswelt Qualifikation, Kreativität und eigenständige Verantwortung für die Beschäftigten abgebaut werden, wenn zunehmend menschliche Fähigkeiten zur Restgröße werden, wenn die Zukunftsperspektiven für Jugendliche insgesamt schlechter werden und wenn solidarische und soziale Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft abgebaut werden, wie beispielsweise durch die sehr einseitige Verteilung des Sparens im Bundeshaushalt, insbesondere durch den Sozialabbau, für schwächere Bevölkerungsgruppen, dann wird meines Erachtens dieses passive und gefährliche Fluchtverhalten durch Videokonsum objektiv zunehmen.
({10})
Dieses Problem, meine Damen und Herren, können Sie nicht durch Verrechtlichung lösen, sondern dies ist eine Frage, wie Politik insgesamt gesellschaftliche Probleme löst. Deshalb müssen wir im Gegenteil kreative Fähigkeiten für Menschen, Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte ausbauen, nicht, wie das heute leider geschieht, einschränken. Denn dies ist meiner Meinung nach gesellschaftlich gesehen der entscheidende Schutz gegen den Mißbrauch von Videos überhaupt.
Solange aber die kaufkräftige Nachfrage nach solchen Medienprodukten vorhanden ist, dürfen wir die Diskussion nicht auf die Schutz- und Abwehrfunktion für Kinder und Jugendliche beschränken. Wir müssen die Ursachen für die gewachsenen Bedürfnisse nach Horror und Gewalt miteinbeziehen.
Deshalb hält es die SPD für wichtig, vor allem das Medienbewußtsein zu fördern. Video als Massenkommunikationsmittel muß im Zusammenhang mit unserer kulturpolitischen Verantwortung und auch im Sinne der Sicherung der sozialen Umwelt gesehen werden. Dazu hat die Medienpädagogik einen viel stärkeren Platz einzunehmen, als das bislang der Fall ist.
Müller ({11})
Meine Damen und Herren, ich möchte zu den Beratungen hier sagen, welche Vorschläge, welche Änderungen die SPD im einzelnen hat bzw. wo sie mit dem Gesetzentwurf übereinstimmt.
Erstens. In unserer Verfassung kommt der Meinungs- und Pressefreiheit, dem Schutz der Kunst und dem strikten Verbot jeglicher Zensur ein hoher Rang zu. Wir werden deshalb darauf achten, daß nicht wichtige Verfassungsgrundsätze über das berechtigte Anliegen Jugendschutz eingeengt werden.
Zweitens. Nach unserer Auffassung bieten § 131 - Verbot der Verherrlichung von Gewalt - und § 184 - Verbot der Pornographie - im Strafgesetzbuch den notwendigen strafrechtlichen Schutz gegen die schlimmsten Auswirkungen im Videobereich. Es besteht allerdings - darüber müssen wir sehr viel stärker nachdenken; es ist übrigens nicht nur ein Problem des Bundestags - im Vollzug des Gesetzes eine erhebliche Lücke. Wir werden aber bei Vorschlägen zur Verschärfung dieser Strafnormen sehr vorsichtig und sehr zurückhaltend sein, weil eine Erweiterung der Tatbestandsvoraussetzungen auch die Gefahr erheblicher Willkürrisiken beinhalten kann. Auch dazu ist unseres Erachtens die vorgeschlagene Anhörung notwendig.
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Wir haben bisher bei unseren Anhörungen insbesondere auch von kirchlichen Gruppen gehört, daß sie diese Problematik sehr wohl sehen und daß von ihnen die Meinung geteilt wird, daß man in diesem Bereich sehr vorsichtig vorgehen muß.
Drittens. Wir sind für eine Novellierung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Dies geschieht unbeschadet unserer gesetzlichen Forderung nach einem einheitlichen Jugendschutzgesetz. Dazu gehören unserer Auffassung nach folgende Punkte: erstens die Klarstellung, daß Videokassetten nach diesem Gesetz den „Schriften" gleichgestellt sind. Dadurch wird eindeutig sichergestellt, daß das Gesetz, insbesondere aber das Indizierungsverfahren durch die Bundesprüfstelle voll gegen jugendgefährdende Kassetten angewandt werden kann. Wir sind auch der Meinung, daß man in diesem Zusammenhang über Erleichterungen und eine Beschleunigung im Indizierungsverfahren nachdenken muß.
({13})
Zweitens sind Videotheken wie gewerbliche Leihbüchereien zu behandeln. Dies hat eine tiefgreifende Auswirkung für den Jugendschutz bei Videos zur Folge, weil dadurch jugendgefährdende Kassetten nicht mehr in Videotheken vertrieben, verliehen oder vorrätig gehalten werden dürfen.
Wir sind drittens dafür, daß auch die sogenannte gegenstandsneutrale Werbung für indizierte Kassetten verboten wird.
Wir sind viertens dafür, daß die Umgehung der Indizierung, beispielsweise durch veränderte Titel oder durch leichte, aber im Prinzip unwesentliche
Veränderungen, nicht mehr möglich sein darf, sondern daß dafür eine Ausweitung des Strafkatalogs notwendig ist.
Viertens. Wir sind dafür, daß in der Gewerbeordnung stärkere Sanktionsmöglichkeiten gegen Gewerbetreibende geschaffen werden. Das bezieht sich auf Gewerbetreibende, die wiederholt gegen den Jugendschutz verstoßen. Dazu gehören härtere Ordnungsstrafen und natürlich auch direkte Verbote. Wir sind uns diesbezüglich mit unseren Vorrednern einig, wiewohl wir allerdings sehen, daß dieses Schwert nicht allzu scharf ist.
Fünftens. Jugendgefährdende Schriften sind vom ermäßigten Steuersatz für Filme nach der Umsatzsteuer generell auszuschließen.
Sechstens. Auch die Angebote von Videos für ausländische Jugendliche müssen befriedigend geschützt werden.
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Sie wissen vielleicht, daß in den letzten Monaten gerade in den großen Städten diesbezüglich ein ungeheurer Markt entstanden ist.
Meine Damen und Herren, die SPD unterstützt notwendige gesetzliche Maßnahmen für einen wirksamen Schutz der Jugend vor Videos. Wir brauchen aber auch ein höheres Bewußtsein für die Ursachen und für die Gefahren der Gewaltdarstellung in allen Medien. Hier sind alle gesellschaftlichen Gruppen zur Mitwirkung aufgerufen.
In diesem Zusammenhang kann unserer Auffassung nach auch die Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle Video einen Beitrag leisten. Wir werden das abwarten. Von der Darstellung her, wie es vorgeschlagen wird, kann das ein sinnvoller Ansatz sein.
Wir sind der Auffassung, daß Kassettenaufkleber auch in dem Vorspann von Videofilmen wiedergegeben werden müssen.
Letztlich sind wir auch der Auffassung, daß man sich technische Möglichkeiten bezüglich der Nutzung von Videos überlegen sollte, damit nicht Jugendliche unbeaufsichtigt und in problematischer Form die Videos benutzen können.
Meine Damen und Herren, wir versprechen eine zügige Beratung der Vorschläge, um zu einem verbesserten Jugendschutz zu kommen. Die Vorbereitungen sind bei uns angelaufen. Wir haben dazu, wie Sie wissen, ein Hearing durchgeführt. Unser Kollege Gilges hat dazu vor einiger Zeit eine Anfrage initiiert. Für uns ist klar, in welche Richtung wir gehen wollen.
Wir sind bereit, schnell zu konstruktiven Vereinbarungen zu kommen. Wir sind allerdings nicht bereit, den Jugendschutz sozusagen zum Vehikel für das Zurückdrehen gesellschaftlicher Emanzipationsrechte werden zu lassen.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich den Entwurf der Koalitionsfraktionen. Die Bundesregierung hat sich gleich zu Beginn der Aufnahme ihrer Regierungstätigkeit diesem Problem des Jugendschutzes gewidmet. Die Bundesregierung hat sich an der Ausarbeitung dieses Entwurfs beteiligt, wobei wir uns auf Entwürfe der früheren Bundesregierung abstützen konnten - das ist richtig -, allerdings auf Entwürfe, die z. B. den wichtigen Teil der Einbeziehung von Videofilmen in den Jugendschutz nicht enthalten haben. Es ist aber zu bedauern - das möchte ich hinzufügen -, daß es nicht früher gelungen ist, auf diesem Gebiet des Jugendschutzes zu gesetzgeberischen Entscheidungen zu kommen. Es hat in meinem Ministerium in den vergangenen 12 oder 13 Jahren ungefähr vier vergebliche Anläufe gegeben, eine Jugendschutznovellierung durchzuführen. Diese Anläufe sind leider im Verfahren innerhalb der Bundesregierung steckengeblieben, aus welchen Gründen auch immer.
Daß wir diesen Entwurf - ich spreche jetzt auch als Mitglied meiner Fraktion - als Koalitionsentwurf einbringen, hat keinen anderen Grund als den, daß wir den Wunsch haben, daß dieses Gesetz so rasch wie möglich verabschiedet wird. Das ist doch eine sinnvolle Entscheidung gewesen. Es ist auch von der SPD in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung so gehandhabt worden, daß bei bestimmten Gesetzgebungsvorhaben, wenn sie besonders eilbedürftig waren, ein solcher Entwurf von den Koalitionsfraktionen übernommen worden ist. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die diesen Entwurf erarbeitet haben, ausdrücklich für die Arbeit bedanken, die hier geleistet worden ist.
Der Abgeordnete Gilges hat gemeint, man müsse die Gefahr vermeiden, daß man mit diesem Gesetzentwurf wie mit einem erhobenen Zeigefinger herumläuft und die Eltern und Kinder ermahnt, nicht Mißbrauch zu treiben. Ich glaube, das ist ein totales Mißverständnis dieses Gesetzes, aber auch des Jugendschutzes als solchem. Dieses Gesetz - das ist meine feste Überzeugung - schützt die Würde des Menschen, so wie es uns das Grundgesetz aufträgt. Dieses Jugendschutzgesetz in seiner neuen Fassung ist ein Gesetz für junge Menschen und nicht gegen junge Menschen.
({0})
Kinder sind in einer besonderen Weise schutzbedürftig, weil sie die Schwächeren sind. Es ist Aufgabe des Staates, auch mit den Mitteln des Jugendschutzes solche Gefährdungen in der Öffentlichkeit zurückzudrängen, die die Menschenwürde und die körperliche und geistig-seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen. Das Jugendschutzgesetz - das war von Anfang an so - will also nicht junge Menschen bei der Gestaltung ihrer Freizeit gängeln, sondern Erwachsene daran hindern, Kinder und Jugendliche zum Schaden für ihre Gesundheit oder psychische Entwicklung zu mißbrauchen.
({1})
Das ist der Sinn des Jugendschutzgesetzes.
Das ist nicht immer so selbstverständlich gewesen. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Jugendminister in Rheinland-Pfalz gewesen bin. Frau Schoppe hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es bei der Einbeziehung z. B. der Videofilme in den Jugendschutz eine außerordentliche Rolle spielt, daß die brutalen, menschenverachtenden Darstellungen vor allem Darstellungen von Gewalt gegen Frauen sind. Gewaltdarstellungen in Verbindung mit Sexualität, Sexismus plus Brutalität, das Kennzeichen dieser Filme, hat es schon früher gegeben. Ich habe damals als Jugendminister versucht, mit Hilfe der Jugendämter und des Landesjugendamtes einen Teil der Gewaltpornographie, sowohl dieser Filme als auch entsprechender Schriften, aus dem Verkehr zu ziehen. Das ist vor 15 oder 18 Jahren nicht ganz einfach gewesen. Da wurde in ganz bestimmten politischen Szenen die Behauptung aufgestellt, man wolle mit Moralin-Philosophie Zensur ausüben; das hat sich Gott sei Dank geändert. Es ist ganz sicher ein Verdienst der Kirchen, es ist aber auch ein Verdienst der Frauenbewegung - das möchte ich ausdrücklich sagen -, daß hier eine Veränderung des Bewußtseins in der Öffentlichkeit stattgefunden hat, daß man nicht mehr als moralinsaurer Apostel hingestellt wird, wenn man der Auffassung ist, daß der Staat die Aufgabe hat, Jugendliche davor zu bewahren, was ihnen durch Schriften oder durch Filme beigebracht wird, daß z. B. Frauen verfügbare Sexualobjekte der Männer sein können, ohne daß darüber überhaupt ein Wort verloren werden dürfe. Daß sich dieses Bewußtsein geändert hat, halte ich für eine richtige Entwicklung.
Frau Schoppe, ich glaube, Sie sind einem kleinen Irrtum erlegen: Gewaltdarstellung, verbunden mit Pornographie, ist harte Pornographie und nach § 184 StGB auch bereits von der Herstellung her verboten. Das wollte ich zur Korrektur Ihrer Ausführungen noch sagen. Wir haben ja nicht nur das Verbot der Gewaltdarstellung in § 131 StGB, sondern auch in § 184 StGB das Verbot der harten Pornographie, also die Verbindung von sexuellen Darstellungen mit Gewaltanwendung oder z. B. die sexuelle Darstellung in Verbindung mit Kindern. Das ist sowohl hinsichtlich der Herstellung als auch der Verbreitung schon heute verboten.
Ich möchte auf einen anderen Gesichtspunkt aufmerksam machen, und zwar auf die Zielsetzung des Jugendschutzgesetzes, daß Erwachsene keine Geschäfte auf Kosten junger Menschen machen sollten, daß dies verhindert werden muß. Denn an jungen Menschen läßt sich heute viel Geld verdienen; das ist von einer ganzen Reihe von Kollegen heute schon gesagt worden. Ich möchte Ihnen hier einmal einige Zahlen nennen, die ganz interessant sind. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage verfügen Dreizehn- bis Vierzehnjährige heute über eine monatliche Gesamtkaufkraft von 73 Millionen DM, Fünfzehn- bis Sechszehnjährige über 237 MilBundesminister Dr. Geißler
lionen DM und Siebzehn- bis Achtzehnjährige über 647 Millionen DM. Der Anreiz, diese Kaufkraft ohne Rücksicht auf eventuell negative Folgen für junge Menschen auszubeuten, ist groß. Dies muß mit den Mitteln des Jugendschutzes verhindert werden. Dies gilt natürlich ganz besonders für die üble Form des Geschäftemachens auf Kosten von Kindern und Jugendlichen bei der Vermarktung von Videokassetten mit brutalen Machwerken, die die Menschenwürde eklatant verletzen. Das ist der gesamte Bereich, der jetzt von § 131 StGB umfaßt werden soll.
Herr Kollege Sauter hat auf die Bedeutung dieser strafrechtlichen Novellierung aufmerksam gemacht. Hinsichtlich dessen, was Sie, Herr Müller, zu diesem Thema gesagt haben, liegt, glaube ich, ebenfalls ein kleines Mißverständnis vor: Die jetzige Fassung des § 131 StGB ist nicht praktikabel, und zwar deswegen, weil Voraussetzung für die Anwendung dieses Paragraphen ist, daß die Darstellung von Gewalt gegen Menschen in grausamer und unmenschlicher Weise eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalt ausdrückt. Genau diese zwei zusätzlichen Merkmale haben es den Herstellern, den Produzenten und Verbreitern ermöglicht, sich der strafrechtlichen Sanktion zu entziehen, weil sie j a sagen konnten: Der Film ist so fürchterlich, so grausam und so schrecklich, das kann keine Verharmlosung sein, das kann auch nicht als Verherrlichung mißverstanden werden. Deswegen war diese Änderung des § 131 StGB, so wie die Koalitionsfraktionen sie jetzt vorschlagen, notwendig, damit § 131 StGB nun auch wirklich greifen kann. Es ist nach Auffassung der Bundesregierung daher nur konsequent und zu begrüßen, daß der Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auch die Verschärfung des Gewaltdarstellungsverbots in § 131 vorsieht. Ich glaube, aber auch etwas hinzufügen zu müssen, was heute schon gesagt worden ist: daß wir allein mit dieser sicher scharfen Waffe des Strafrechts, ergänzt durch die Bestimmungen des Jugendschutzes das Problem natürlich nicht bewältigen können.
Die Novelle zum Jugendschutzgesetz hat einen wichtigen tragenden Gedanken, nämlich daß dieses Jugendschutzgesetz ein Gesetz auch für Eltern und Familien ist und daß dieser Gesetzentwurf in besonderer Weise den verfassungsrechtlichen Vorrang der Elternverantwortung berücksichtigt, und zwar völlig zu Recht. Nach unserer Verfassung ist es in erster Linie Recht und Pflicht der Eltern, die Kinder zu erziehen. Aber Elternrecht bedeutet auch Elternverantwortung.
Ich möchte aus diesem Grund von dieser Stelle aus noch einmal an alle Eltern appellieren, dafür zu sorgen, daß extreme Gewalt- und Pornofilme Jugendlichen nicht zugänglich sind. Ich möchte das, was Sie, Frau Schoppe, gesagt haben, durchaus unterstreichen. Filme, die Eltern nach ihrer Auffassung nicht zusammen mit ihren Kindern ansehen können, sollten nach Möglichkeit zu Hause auch nicht aufbewahrt oder überhaupt zugänglich gemacht werden und nach Möglichkeit auch nicht angesehen werden; es sei denn aus pädagogischen
Gründen: es kann durchaus einmal sein, daß Eltern der Auffassung sind, daß sie an Hand eines solchen Films ihre Kinder informieren können, aufklären können und vielleicht gegenüber solchen Darstellungen auch immun machen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang etwas zu dem Thema Kriegsspielzeug sagen, das hier ja eine Rolle gespielt hat. Die Frage, ob Kriegsspielzeug verboten werden soll, hat ja die Parlamente schon des öfteren beschäftigt. Darüber ist schon viel diskutiert worden. Auch das Europäische Parlament hat es nicht geschafft, einen entsprechenden Gesetzentwurf über die Bühne zu bringen, einfach weil die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht überwunden werden konnten. Es gibt auch in Schweden keine gesetzliche Regelung dieser Frage. Was wir machen können - und das hat die Bundesregierung, auch die frühere Bundesregierung, immer getan -, ist, daß wir z. B. vor Weihnachten intensiv an die Eltern appellieren, zu Weihnachten kein Kriegsspielzeug zu schenken. Ich möchte diesen Appell hier ausdrücklich wiederholen.
Wir können feststellen, daß der Absatz an Kriegsspielzeug zurückgegangen ist, und zwar merklich zurückgegangen ist, so daß dieser Appell nicht ohne Ergebnis geblieben ist.
Der Gesetzentwurf erleichtert im übrigen den Eltern die Aufgabe, eigenverantwortlich auch mit den neuen Medien umzugehen, und zwar durch die entsprechende Kennzeichung.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf ein anderes Problem aufmerksam machen. Der Abgeordnete Müller hat behauptet, daß die Action-Filme, die Horror-Filme, die Brutalo-Filme fast 50 % des Umsatzes im Video-Bereich ausmachen. Dies ist nicht richtig.
({2})
- Der Ausleihe! Also gut. Des Umsatzes der Ausleihe. Dies ist nicht richtig. Es ist wesentlich mehr. Es sind nicht 50 %, sondern es sind nach den neuesten Ergebnissen 60 und mehr Prozent.
Was will ich damit sagen? Wir haben auf dem Video-Markt, diesem Gebiet der neuen Medien, eine Entwicklung, die uns nachdenklich machen muß. Das führt uns auch etwas in die Medien-Politik hinein. Diese Entwicklung auf dem Video-Markt stellt natürlich auch einige Fragen an die Medienpolitik der Sozialdemokratischen Partei. Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Glotz, hat in einem Streitgespräch mit Bundespostminister Schwarz-Schilling Ende 1983 sinngemäß erklärt: Wir haben ganz bewußt auf das Medium Video gesetzt nach dem Motto „Jeder sein eigener Programmdirektor". Ich finde, daß eine Art Alternativradikalismus, der sich in der Medienpolitik in den letzten Jahren abzeichnete, daß nämlich die einen geschrien haben „hie Video" und die anderen „hie Fernsehen", unter diesen Gesichtspunkten, die wir hier diskutieren, eigentlich unsinnig ist.
Ich bin der Auffassung, daß es notwendig ist - deswegen unterstütze ich noch einmal nachdrücklich den Entwurf der Koalitionsparteien -, daß wir
diesen Videomarkt unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes eingrenzen. Die Möglichkeiten, die hier durch den Gesetzentwurf gegeben werden, sind stark. Es sind Vorschriften, die greifen. Das kann jedermann nachprüfen.
Ich bin aber auch der Meinung, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß diese Zielsetzung und der Inhalt dieser Gesetze auch Maßstäbe und Grenzen sowohl für das öffentlich-rechtliche Fernsehen als auch für das private Fernsehen markieren. Die Bundesregierung will im Fernsehbereich mit Sicherheit keine italienischen Verhältnisse. Nur: Die Mediengesetze, die erlassen worden sind oder die noch erlassen werden, sehen ausdrücklich vor, daß diese Jugendschutzbestimmungen, wie wir sie hier diskutieren, dem Inhalt nach selbstverständlich auch für das Fernsehen gelten. Ich werde als Jugendminister auch darauf hinwirken - hier greife ich das auf, was der Abgeordnete Müller gesagt hat -, daß bei der Programmzusammenstellung vor allem im Vorabendprogramm, dem viele Schulkinder zuschauen, die Sendungen mit Gewaltszenen unterbleiben. Die Sendung von Filmen mit Gewaltdarstellung in dem Bereich muß unterbleiben. Das gilt im übrigen auch für Comics. Was den Videoherstellern verboten ist, darf dem Fernsehen nicht erlaubt sein. Auch hier müssen wir unserer Verantwortung für junge Menschen gerecht werden.
Ich glaube, daß wir in diesem Sinne sagen können, daß das Jugendschutzgesetz auch den medienpolitischen Fortschritt, auch die Technik in den Dienst des Menschen stellen kann. Die Videotechnik gibt dem Menschen neue Möglichkeiten für seine Freizeit, aber selbstverständlich - wie alles im Leben - kann dies auch mißbraucht werden. Niemand will hier die technologischen Möglichkeiten verteufeln. Auch hier ist in der Politik der Bundesregierung das Gegenteil beabsichtigt. Wir müssen aber den Mißbrauch gegen den Menschen und seine Würde verhindern.
Die Meinungs- und Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes, die hier angesprochen worden ist, ist ein ganz wichtiges Grundrecht. Aber dieses Grundrecht ist nach unserer Verfassung nicht schrankenlos. Nicht alles, was dem Menschen möglich ist, ist auch dem Menschen gemäß und sittlich erlaubt. Die Leitnorm der Bundesregierung ist nicht die schrankenlose, sondern ist die verantwortete Freiheit. So ist dieses Gesetz auch eine Antwort auf die Frage nach dem rechten Gebrauch der Freiheit angesichts neuer technischer Möglichkeiten.
Ich bin fest davon überzeugt, daß das Jugendschutzgesetz vom ganzen Parlament in seiner Bedeutung gewürdigt werden wird, und ich fühle mich in dieser Erwartung bestärkt angesichts der durchaus auch positiven Beiträge, die von der Opposition in der letzten Zeit zu diesem Thema erbracht worden sind. Ich denke hier insbesondere an die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom Dezember 1982 und an die öffentliche Sachverständigenanhörung. Diese Aufgabe, die jetzt dem Parlament obliegt und die nachher in der Verwirklichung auch der Bundesregierung obliegen wird, muß eine gemeinsame Aufgabe des Parlaments sein, wobei ich davon überzeugt bin, daß wir in einigen Fragen auch zu kontroversen Ergebnissen kommen werden, ja vielleicht sogar kommen müssen.
Ich erhoffe mir eine sachliche und zügige Beratung in den Ausschüssen auf der Grundlage einer vom federführenden Ausschuß beabsichtigten Expertenanhörung. Ich nehme an, daß sie durchgeführt wird, und verbinde damit auch die Hoffnung der Bundesregierung, daß das neue Jugendschutzgesetz im Interesse der Kinder und der Jugendlichen und ihrer Eltern nach Möglichkeit schon Mitte dieses Jahres im Parlament verabschiedet und in Kraft treten kann.
Ich darf mich herzlich bedanken.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/722 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen
- Drucksache 10/229 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 10/718 Berichterstatter: Abgeordnete Bohl Klein ({1})
({2})
Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in der zweiten Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher
- Drucksache 10/60 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 10/859 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Lambinus
({4})
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 27. Dezember 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Sozialistischen Republik Birmanische Union
- Drucksache 10/573 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({5})
- Drucksache 10/727 Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger
({6})
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten. kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Zusatzprotokollen vom 1. April 1982 zum Kooperationsabkommen vom 2. April 1980 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sowie zum Abkommen vom 2. April 1980 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien andererseits im Anschluß an den Beitritt der Republik Griechenland zu den Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 10/56 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({7})
- Drucksache 10/797 Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram ({8})
({9})
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({10}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD
Transitwege von und nach Berlin
- Drucksachen 10/117, 10/737 Berichterstatter:
Abgeordneter Schulze ({11})
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Aussprache einen Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion zu vereinbaren. Dies trifft auf Ihre Zustimmung? - Danke schön.
Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster der Abgeordnete Löffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß ich als erster das Wort ergreife, dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, daß ich der einzige bin, der zu diesem Thema sprechen wird oder sprechen will. Vielleicht kommen aber noch einige Herren während der Aussprache dazu.
Im vorigen Jahr hat sich ein tragischer Vorfall auf dem Boden der DDR an der innerdeutschen Grenze ereignet. Dieser Vorfall beleuchtete schlaglichtartig die deutsche Wirklichkeit. Was war geschehen? Ein Reisender aus der Bundesrepublik Deutschlands erlitt in einer Vernehmungsbaracke der DDR-Grenzbehörden einen Herzanfall und starb. Wir alle waren betroffen und empört. Dennoch: Dieser Vorgang durfte nicht zu zusätzlichem
Schaden in den innerdeutschen Beziehungen führen. Dieser Schaden mußte begrenzt werden. Er hätte niemandem geholfen; aber er hätte viel von dem zerstört, was mühsam an Möglichkeiten der Beziehungen zu den Deutschen im anderen Staat aufgebaut worden ist.
Dieser tragische Vorgang wurde in der Politik der Bundesrepublik Deutschland mit einem schweren Verbrechen in Verbindung gebracht, mit dem schwersten Verbrechen, das ein Mensch dem andern antun kann: mit Mord. Viele Menschen fragten sich erschreckt, ob dieser überzogene Vorwurf des Mordes der Beginn einer neuen Eiszeit zwischen den beiden deutschen Staaten sein wird.
Aber dann geschah etwas, was in der deutschen Geschichte verhältnismäßig selten war; es kam nämlich zu einer gesamtdeutschen Gemeinsamkeit in der Vernunft. Die DDR bemühte sich, die Fakten, die sich um diesen Vorgang rankten, auf den Tisch zu legen. Sie war um eine lückenlose Aufklärung bemüht. Die Bundesrepublik reagierte und kommentierte den Vorgang maßvoll und ausgewogen. Aus Bonn waren andere Töne zu hören als aus München. Mit der Zeit konnte man feststellen, daß die Verantwortung für die innerdeutsche Politik tatsächlich nicht an der Isar, sondern am Rhein liegt. Schließlich erreichte die deutsch-deutsche Vernunft - wenn auch mit einiger Verzögerung - die bayerische Hauptstadt.
Damit waren die Voraussetzungen für eine gemeinsame Haltung im Innerdeutschen Ausschuß bei der Beratung des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion auf Drucksache 10/117 geschaffen. Der Kompromiß, den wir im Ausschuß gefunden haben, liegt Ihnen jetzt auf der Drucksache 10/737 vor. Er macht deutlich: Die sozialdemokratische Fraktion hatte auch schon damals nicht die Absicht gehabt, mit ihrem Antrag Polemik zu verstreuen, sondern den Schaden möglichst zu begrenzen. Das ist - ich betone ausdrücklich: durch die Haltung der Bundesregierung - gelungen. Auch sie hat dazu - ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion - beigetragen.
Das veranlaßt mich, doch einige grundsätzliche Bemerkungen zur innerdeutschen Politik zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu machen. In der innerdeutschen Politik ist die Wende offensichtlich ausgeblieben. Dafür ist ein Wandel im Bewußtsein eingetreten, und zwar im Bewußtsein von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion. Als sich diese Fraktion noch in der Opposition befand, hat sie die innerdeutsche Politik unter den Kanzlern Brandt und Schmidt mit allen nur möglichen Mitteln bekämpft und verdächtigt. Offensichtlich hatte sie die innerdeutsche Politik als ein bevorzugtes Feld ihrer parteipolitischen Profilierung angesehen.
Das ist heute anders. Sie sind jetzt ja auch an der Regierung; dabei stellt sich immer einiges anders dar. Wir begrüßen diesen Sinneswandel. Wir bedauern lediglich, daß er nicht früher eingetreten ist. Denn wäre er früher eingetreten, wären wir vielleicht heute ein Stückchen weiter auf dem schwierigen Pfad der Verständigung mit dem anderen deutschen Staat, auf dem schwierigen Pfad des Zusammenwachsens der Menschen hier und drüben, die widerrechtlich und widernatürlich auseinandergerissen worden sind.
In der konkreten Deutschlandpolitik ist in vielen Punkten eine Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition nachweisbar. Die letzten tausend Jahre der deutschen Geschichte waren nicht gerade voll von Übereinstimmung in Fragen, die alle Deutschen angingen. Eigennutz und Partikularismus waren immer stärker als das deutsche Gesamtwohl. Ob diese von mir angesprochene und ausdrücklich als positiv zu bewertende Übereinstimmung im praktischen Teil der innerdeutschen Politik auch im Grundsätzlichen vorhanden ist, muß erst abgewartet werden. Einige Reden von Unionspolitikern, die zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend gehalten werden, vermitteln schon den Eindruck, als seien sie vor etwa 25 Jahren aufgeschrieben worden.
Jedenfalls werden wir Sozialdemokraten nicht auf jeden Fall den Streit in der innerdeutschen Politik suchen, sondern wir werden uns mit der Regierung auf anderen Gebieten und nicht auf diesem Gebiet auseinandersetzen, da wir hier der Meinung sind, daß wir so viel Übereinstimmung wie möglich herstellen sollen.
({0})
Überall dort, wo Übereinstimmung möglich ist, kann Streit unnötig sein. Allerdings lehnen wir Überheblichkeit und revanchistische Anwandlungen und Töne nach wie vor entschieden ab.
Wer aber die deutsche Teilung für die Menschen hüben und drüben erträglicher machen will, wer dafür sorgt, daß sich die Deutschen in beiden deutschen Staaten weiterhin als Angehörige eines Volkes empfinden können, weil wir ihnen durch unsere Politik die Gelegenheit dazu geben, der findet unsere Unterstützung, mit dem arbeiten wir zusammen.
Auf der Drucksache 10/737, die Beschlußempfehlung des innerdeutschen Ausschusses, die Ihnen heute zur Beschlußfassung vorliegt, erkennen die beiden Unionen teilweise die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition an. Wir finden das gut. Auch hier möchte ich sagen: Besser wäre es gewesen, Sie hätten es schon vorher getan.
({1})
Sie sind z. B. mit uns der Meinung, daß sich der Transitverkehr verbessert hat und daß er von jedwedem Schaden frei sein muß. Dieser Transitverkehr ist - das möchte ich hier noch einmal ganz ausdrücklich in Erinnerung rufen - ein Fundament der Lebensfähigkeit Berlins.
({2})
An solchen Fundamenten kratzt man nicht, man festigt sie besser. Unser aller Aufgabe ist es, dieses Fundament durch unsere Politik, möglichst durch unsere gemeinsame Politik, zu befestigen. Deshalb wird die Bundesregierung durch den Entschließungsantrag aufgefordert, durch Gespräche und Verhandlungen mit der DDR weitere Erleichterungen im Transitverkehr zu erreichen. Das kann sich
insbesondere auf das Abfertigungs- und Kontrollverfahren beziehen. Hier sind Vereinfachungen möglich, ohne daß die Interessen der DDR davon berührt werden. Bei diesen Verhandlungen mit der DDR sollte der Grundsatz gelten, daß die beiden deutschen Staaten das regeln, was sie selbst regeln können. Wir wollen die schwierige internationale Lage nicht noch mit unseren Problemen belasten, zumal das auch gewisse staatsrechtliche Probleme aufwerfen würde. Ich sage das ganz ausdrücklich, weil Herr Staatsminister Mertes vor einigen Tagen eine Erklärung abgegeben hat, die Veranlassung dazu gibt, etwas gründlicher darüber nachzudenken.
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion hoffen, daß diese Beschlußempfehlung ein Auftakt zur von unserer Seite kritischen Zusammenarbeit zwischen Koalition und Opposition ist. Das Maß an Zerrissenheit und geistiger Spaltung in der deutschen Geschichte ist gestrichen voll. Lassen Sie uns zumindest in der Bundesrepublik Deutschland und, soweit es geht, auch mit den Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik dafür sorgen, daß ein anderes Maß gefüllt wird, das Maß des vernüftigen und einheitlichen Handelns.
Schönen Dank für die große Aufmerksamkeit des Hauses bei diesem nicht ganz unwichtigen Thema.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich mit den schon vorher signalisierten, etwas polemischen Bemerkungen meines Kollegen Löffler hier nun nicht näher auseinandersetzen. Wir waren im Innerdeutschen Ausschuß eigentlich sehr froh darüber, daß wir in dieser Frage Einmütigkeit, Einstimmigkeit erzielt haben. Das sollte auch für andere deutschlandpolitische Entscheidungen beispielhaft sein, die in diesem Hause in Kürze anstehen.
Was die Deutschlandpolitik anbelangt, so haben Sie hier angeführt, daß wir voll im Fahrwasser der Deutschlandpolitik der SPD schwimmen. So klang das jedenfalls in etwa. Dazu muß man doch wohl sagen, daß sich unsere Deutschlandpolitik, die Deutschlandpolitik der Bundesregierung und der CDU/CSU, nachhaltig davon unterscheidet. Die jetzige Deutschlandpolitik ist klarer und berechenbarer, auch für die andere Seite. Das muß man einfach sehen.
({0})
Das sollte bei dieser Gelegenheit auch gesagt werden.
Zunächst einmal möchte ich meiner Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß es durch das politisch verantwortungsvolle Verhalten sowie durch Verständigungsbereitschaft aller Fraktionen gelungen ist, im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Einstimmigkeit über die Vorlage betreffend Transitwege von und nach Berlin zu erzielen. Mein Dank gilt hierbei insbesondere auch der SPD-Fraktion, weil sie sich dazu durchringen konnte, ihren ursprünglichen Antrag zu ändern.
Meine Fraktion kann nur hoffen - ich habe das gerade schon ausgeführt -, daß die hier erzielte Einmütigkeit auch beispielhaft für andere deutschlandpolitische Entscheidungen in diesem Hause wirkt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist j eden-falls im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands und nicht zuletzt auch zum Wohle Berlins bereit, überall dort, wo dies machbar erscheint, mit den anderen Fraktionen im Hause Gemeinsamkeiten herzustellen.
({1})
Was den Transitverkehr von und nach Berlin anbelangt, so müssen wir im Interesse der Lage und der Entwicklung Berlins allergrößten Wert darauf legen, daß der Personen- und Güterverkehr auf den Transitwegen von und nach Berlin auch tatsächlich sicher und reibungslos velaufen kann. Das heißt, daß wir auch von der Regierung der DDR erwarten müssen, daß die in der Beschlußempfehlung erwähnten Abkommen, nämlich das Viermächteabkommen und das Transitabkommen, von der DDR nicht nur beachtet und eingehalten, sondern auch reisefreundlicher gestaltet werden.
Wir haben eine Kurzdebatte vereinbart und uns damit selbst ganz bewußt für unsere Debattenbeiträge eine zeitliche Begrenzung gesetzt. Deshalb will ich auch nur ganz kurz auf einige Probleme im Transitverkehr eingehen. Ich hatte als Berichterstatter ja darauf verzichtet, hier über unsere Beratungen im Innerdeutschen Ausschuß zu sprechen.
Ich nenne zum einen die von mir öffentlich wiederholt beanstandete immer noch zu hohe Zahl der Verdachtskontrollen. Wenn diese Zahl nach Auskunft der Bundesregierung - dank ihrer Initiativen insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 1983 - auch stark rückläufig war - von Dezember bis Januar waren erfreulicherweise nur elf Fälle zu registrieren -, so sollte von seiten der Bundesregierung in Gesprächen mit der DDR doch weiterhin darauf hingewiesen werden, daß die Verdachtskontrollen tatsächlich nur dann durchgeführt werden, wenn die DDR-Behörden im konkreten Fall den hinreichenden Verdacht eines Mißbrauchs der Transitwege nachweisen können.
Die DDR ist gegenüber der Bundesrepublik nicht verpflichtet, Verdachtskontrollen mitzuteilen. Diese können auf Grund der Berichte von Reisenden erfaßt werden. Dadurch ist, wie ich noch hinzufügen möchte, eine höhere Dunkelziffer bei den Kontrollen nicht auszuschließen. Aus überwiegend psychologischen Gründen machen nämlich offenbar nicht alle Kontrollierten von ihrem Recht Gebrauch, von den Organen der DDR eine schriftliche Bestätigung über die Tatsache ihrer Kontrolle zu erhalten.
Es zeugt sicher von einem gewachsenen Vertrauen der Berlin-Reisenden in die Sicherheit der Transitwege, wenn im Jahre 1983 gegenüber dem Jahre 1982 die Zahl der Reisenden auf den Transitwegen erneut um 3,1 % angestiegen ist. Dazu trägt sicher auch die seit dem November 1982 geöffnete,
Schulze ({2})
von der Bundesregierung wesentlich mitfinanzierte Autobahn von Berlin nach Hamburg bei.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang die Anmerkung machen, daß wir die Bestrebungen des Berliner Senats im Zusammenwirken mit der Bundesregierung zur Offenhaltung des Übergangs Staaken auch für den Transitverkehr ins Bundesgebiet nachhaltig unterstützen sollten, auch deshalb, weil die innerstädtische Anbindung der Nordautobahn an den Übergang Heiligensee aus den bekannten Umständen voraussichtlich nicht termingerecht fertiggestellt werden kann.
Weil wir wissen, daß die Bundesregierung eine Transitpauschale von jährlich über 500 Millionen DM an die DDR zahlt, stellen die Transitreisenden nicht zu Unrecht auch entsprechende Ansprüche sowohl an die Abwicklung des Transitverkehrs wie auch an den Zustand der Transitwege. Hier ist zwar vieles besser geworden, aber auf einzelnen Strekken noch ein erheblicher Nachholbedarf vorhanden. Wir sollten also die DDR, wie es wohl auch in der Transitkommission geschieht, immer wieder an die Unterhaltungspflicht für die Transitwege erinnern. Wir denken dabei insbesondere an den desolaten Abschnitt der Transitverbindung von Berlin nach Süden vor Hirschberg.
({3})
Meine Damen und Herren, was den Transitverkehr ferner belastet, ist die immer noch zu hohe Zahl von Zurückweisungen an den Abfertigungsstellen, verbunden mit einer unzulänglichen Mitteilungspraxis der DDR über die Identität der Betroffenen und die Gründe sowie der teilweise unverhältnismäßig lange Ausschluß einzelner Reisender vom Transitverkehr. Auch die Zahl der Festnahmen auf den Transitwegen ist gegenüber 1982 erheblich zurückgegangen, aber dennoch beunruhigend.
Die DDR verweist nach unserer Kenntnis in den Gesprächen in der Transitkommission auf eine häufige mißbräuchliche Nutzung der Transitwege. Daß es auch abkommenswidrige Verhaltensweisen von Transitreisenden gibt, ist sicher nicht zu bestreiten. Das darf aber andererseits nicht dazu führen, daß die DDR ihren Kontrollmechanismus intensiviert und Transitreisende möglicherweise schikaniert.
({4})
Belastungen dieser Art und andere Behinderungen beeinträchtigen nicht unwesentlich die rechtliche und politische Substanz insbesondere des Transitabkommens. Unser Ziel muß es sein, solche und ähnliche Belastungen für die Berlin-Reisenden in weiteren Gesprächen mit der DDR abzubauen und keine zusätzlichen Verunsicherungen zu schaffen, um das Vertrauen in die Benutzbarkeit der Transitwege nicht zu untergraben, sondern eher zu stärken.
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin vor einigen Tagen vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte, daß sich der Berlin-Verkehr an den Abfertigungsstellen freundlicher und reibungsloser gestalte, so ist diese
Entwicklung nur zu begrüßen, schließt aber nach unserer Auffassung nicht aus, daß an den Abfertigungsstellen noch bürokratische Hemmnisse und damit psychologische Barrieren für die Transitreisenden abgebaut werden könnten.
Der Ausschuß für Verkehr hat in seiner Sitzung am 26. Oktober die Empfehlung ausgesprochen, sicherzustellen, daß die mit dem Pkw Reisenden verstärkt über die Verkehrsvorschriften und über die Besonderheiten der DDR-Gerichte bei der Ahndung von Verkehrsverstößen aufgeklärt werden. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang sehr nachdrücklich an die Medien appellieren, noch mehr als bisher Aufklärung über die Straßenverkehrsordnung der DDR zu betreiben und auch sonst von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Verkehrsmitteilungen und Hinweise auf den Straßenzustand der Transitwege zu geben.
({5})
Wir jedenfalls sind der Meinung, daß es der Weiterentwicklung eines reibungslosen Transitverkehrs als einer Lebensader für Berlin dienlich wäre, wenn durch eine Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit der Informationsstand über Rechte und Pflichten im Transitverkehr verbessert und damit beruhigend auf die Öffentlichkeit eingewirkt würde.
Der Bundesregierung ist dafür zu danken, daß sie nach dem Berliner Modell zum 1. September 1983 im Gesamtdeutschen Institut eine Beratungsstelle für den innerdeutschen Reiseverkehr eingerichtet hat, unter anderem auch mit dem Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, daß sich der Transitverkehr von und nach Berlin in positivem Sinne weiterentwickeln kann.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verträge, die Anfang der 70er Jahre geschlossen wurden, haben sich als ausgesprochen nützlich erwiesen. Sie stellen eine deutliche Verbesserung gegenüber den Verhältnissen dar, die auf den Transitwegen vor diesen Vereinbarungen herrschten. Die Vorteile stehen nicht nur auf irgendwelchem Papier, sondern haben für die Lebenswirklichkeit der Deutschen in der Bundesrepublik und insbesondere für die Berliner eine sehr reale Bedeutung, die es tatsächlich wert ist, einmal durch einen Entschließungsantrag bekräftigt zu werden.
In diesem Sinne begrüßen wir die Initiative der SPD, aber auch die Vernunft, die die Vertreter der CDU an den Tag legten, als sie ihre Änderungswünsche am Text anbrachten, ohne den Inhalt entscheidend zu schmälern.
Ein Stück Normalität und Rechtssicherheit also angesichts einer deutschen Wirklichkeit, die viele Wünsche übrigläßt? Es scheint so. Und doch offenbart die Entstehungsgeschichte dieses Antrags, daß auch andere Interpretationen der VertragsergebSchneider
nisse denkbar sind und mit großen politischen und praktischen Folgen vorgebracht wurden. An den Fall des Transitreisenden Burkert sei hier erinnert, der im Frühjahr 1983 für Furore sorgte und zu einer empfindlichen Verschlechterung des Klimas zwischen den beiden deutschen Staaten und zur Absage des Besuches von Herrn Honecker geführt hat.
Damals wurde auch vordringlich durch Zeitungen des Springer-Konzerns im Nachzug nach Äußerungen von CSU-Politikern eine regelrechte Hetzkampagne gegenüber der DDR geführt, die unter anderem zur Folge hatte, daß Bundesbürger auf DDR-Zuschauer eines Eishockeyspiels in München einschlugen. Damals hat die CSU alte Feindbilder geschürt und einen Ausflug in die Auseinandersetzungsformen des Kalten Krieges gestartet, um auszutesten, inwieweit die Öffentlichkeit für die lauten Töne der Konfrontation mobilisierbar ist.
({0})
Die Kampagne um den Fall Burkert wurde nicht zur bestimmenden Linie der Regierung, weil eine solche Politik zuviel Porzellan im deutsch-deutschen Verhältnis zerschlagen hätte mit schweren Folgen für die Menschen, insbesondere in Berlin. Es ist bezeichnend, daß damals alle vier Parteien im Abgeordnetenhaus von Berlin die mutwillige Verhärtung der Fronten durch die Attacken der CSU - auch der CDU - verurteilten,
({1})
weil die Berliner natürlich nur zu gut wissen, welche Folgen es haben kann, wenn der mühsam ausgehandelte Modus vivendi massiv in Frage gestellt wird.
Für viele mögen der Tod des Transitreisenden und der Wirbel, den Strauß durch seinen Mordvorwurf an die Adresse der DDR auslöste, eine Episode sein, die man vergessen sollte und die mit den gemeinsamen Formulierungen des vorliegenden Antrags gewissermaßen feierlich zu Grabe getragen werden soll. Wir bleiben da skeptisch; denn das Papier ist ein Kompromiß, der eher versucht, das Erreichte festzuschreiben, als daß er seine Perspektive für die Zukunft erkennen läßt. Das Papier ist weder ein Dokument, das die Entspannungspolitik der 70er Jahre wiederbeleben soll, noch schließen seine Aussagen aus, daß nicht wieder einmal zu einer Neuauflage von Kalte-Krieg-Tönen ins Horn geblasen wird. Wie anders soll man z. B. die Art und Weise verstehen, wie der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Lintner, die Zurückweisung eines Wohnmobils an der Grenze kommentiert hat, als er davon sprach, daß die Behörden der DDR mit Schikanen und eindeutigen Vertragsverletzungen operierten, und als er der DDR vorgeworfen hat, sie weigere sich, in Mitteleuropa zu vertrauensbildenden Maßnahmen beizutragen.
Ich erinnere an die Versuche von Herrn Jäger, den Verlauf der Elbegrenze in einem bestimmten
Abschnitt so festzuschreiben, daß ein Konflikt mit der DDR unumgänglich geworden wäre.
({2})
Auch das zeugt meiner Ansicht nach wenig von nachbarschaftlichem Geist.
({3})
Beunruhigen muß auch die Absicht des sogenannten Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen,
({4})
eine offizielle Deutschlandkarte vorzulegen, die den Effekt haben kann, den Alleinvertretungsanspruch der BRD zu bekräftigen und möglicherweise die Zweifel in die Beständigkeit der Grenzen und ihre rechtliche Bedeutung zu wecken.
Wenn die Fraktion der GRÜNEN heute der Beschlußempfehlung ihre Zustimmung gibt, so heißt das also nicht, daß wir uns beruhigt zurücklehnen und die Gefahr für gebannt halten, daß nicht wieder einmal unverbesserliche Ostlandsritter die Politik gegenüber der DDR und den osteuropäischen Staaten zu bestimmen versuchen.
({5})
Der angstfreie und gesicherte Zugang von und nach Berlin ist nicht ausschließlich mit einem Bündel von Paragraphen und Verträgen aus mehr oder weniger guten vertraglichen Abmachungen zu garantieren, sondern es gehört auch ein politischer Wille dazu, der die schönen Worte von den gutnachbarschaftlichen Beziehungen, wie sie im Grundlagenvertrag gebraucht werden, oder der Verantwortungsgemeinschaft aller Deutschen, wie sich Herr Kohl ausdrückt, in praktische Realität umsetzen muß.
Angesichts des atomaren Pulverfasses, auf dem wir alle sitzen, und angesichts der Zündwirkung, die eine konfrontative Verschärfung haben könnte, sind wir zur Verständigung geradezu verurteilt, und das auch mit Regimen, die die Mehrheit der Deutschen aus vielen Gründen ablehnen und verurteilen.
Wir fordern also die Regierungsparteien, aber auch viele Mitglieder der SPD auf, sich von dem noch immer bestehenden ideologischen Schrott, von Alleinvertretung und gesamtdeutscher Anmaßung, zu verabschieden. Es gibt keine Alternative zu einer realistischen staatlichen Politik des Dialogs und des Ausgleichs mit den östlichen Staaten.
Schließlich - auch das vergißt so mancher schnell - möchte ich hier daran erinnern, daß man, wenn man mit der Bahn oder dem Auto nach Berlin will, das Territorium der DDR durchqueren muß und sich keinesfalls auf einem exterritorialen Korridor bewegt, über den man frei verfügen kann.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entschließungsantrag scheint mir ein Ausdruck einer gemeinsamen Haltung in der Frage der Deutschlandpolitik in diesem Hause zu sein, die ich mit großen Hoffnungen und Erwartungen, jedenfalls auch in Ihren ersten Sätzen, Herr Kollege Schneider, wiederfinden konnte. Daß es im weiteren Verlauf Ihrer Ausführungen dazu geführt hat, daß nicht alle diese Hoffnungen in Erfüllung gingen, will ich hier nur am Rande anmerken. Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur das eine sagen: Wir, die wir in diesem Hause seit langen Jahren Deutschlandpolitik betreiben, sind nicht nur zur Zusammenarbeit oder Verständigungsbereitschaft „verurteilt", wir wollen diese Zusammenarbeit. Wir wollen sie nicht etwa nur um der Menschen in Berlin oder in der „BRD" willen - um Ihre Bezeichnung aufzugreifen.
Ich muß Sie nun allerdings auf eines hinweisen: Wenn es eine Erschwernis im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander gäbe, dann wären nicht etwa nur die Menschen im westlichen Teil Berlins oder in der Bundesrepublik davon betroffen, sondern - seien Sie sich darüber im klaren - gerade auch die Menschen in der DDR würden dies zu spüren bekommen.
({0})
Das ist der Grund für unsere Verständigungsbereitschaft.
So bin ich, Herr Kollege Löffler, auch gerne bereit, aus Ihren Ausführungen vor allen Dingen das herauszuhören, was an Gemeinsamkeit zum Ausdruck kam. Ich hoffe, wir werden die Tätigkeit, die Arbeit auf diesem Gebiet auch weiterhin in diesem Sinne betreiben können; denn es ist ja bei den Beratungen nun erfreulicherweise gelungen, das Wesentliche des ursprünglichen Antrags als gemeinsam getragene Politik zu formulieren.
Ich darf etwas abweichend vom unmittelbaren Thema sagen: Herr Kollege Heimann, ich bin sehr froh, daß Ihre Mitwirkung als Berichterstatter bei einem anderen Vorhaben auch zu einer vergleichbaren Gemeinsamkeit und zu einem übereinstimmenden Ergebnis geführt hat.
Nach dem, was der Kollege Löffler gesagt hat, seien mir nur einige ganz wenige kritische Bemerkungen zur ursprünglichen Fassung des Antrags gestattet. Wenn in dem Antrag formuliert wurde - ich zitiere -: „Wer aber einzelne Fälle und strittige Fragen der Vertragsanwendung zur persönlichen oder parteipolitischen Profilierung mißbraucht, schadet in unverantwortlicher Weise Berlin und den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten", dann, meine Kollegen von der SPD-Fraktion, wäre es gut, wenn sich auch die Verfasser eines solchen Papiers redlich davor hüten würden, das eben von Ihnen kritisierte Verhalten, nämlich das der parteipolitischen Profilierung, etwa selbst zu betreiben.
Bei aller berechtigten Kritik an der voreiligen öffentlichen Verurteilung in dem bedauerlichen Todesfall von Rudolf Burkert gehörte nun wirklich die darauf bezogene Kritik nicht in einen solchen Text. Ich freue mich, daß ersichtlich die Antragsteller bei den Beratungen selber zu der Einsicht gekommen sind, auf diesen Punkt zu verzichten.
Unmittelbar zum Inhalt dieses Entschließungsantrags sei folgendes gesagt. Die im Durchschnitt positive Entwicklung des Transitverkehrs in den Jahren nach Vertragsschluß ist ja bereits mehrfach angesprochen worden. Der Durchschnitt aber gibt keine Auskunft über kurzfristige Entwicklungen und aktuelle Ereignisse.
Hier ist bei näherem Hinsehen eben doch festzustellen, daß sich nach der drastischen Erhöhung der Mindestumtauschsätze im Oktober 1980, die die DDR offenbar aus Gründen verstärkter Abschirmung wegen der innerpolnischen Entwicklungen vorgenommen hat, der Transitverkehr ebenso wie die Zahl der DDR-Besucher reduzierte. Da viele Bundesbürger mit dem Pkw über West-Berlin nach Ost-Berlin und in die DDR reisten, den jetzt erhöhten Mindestumtauschbeitrag aber nicht zahlen wollten oder konnten, nahm auch der Transitverkehr ab, für den die Bundesrepublik eine langfristig vereinbarte Pauschale zahlt, die sich allerdings an weit höheren Verkehrserwartungen orientiert hatte.
Ich erwähne diesen Zusammenhang, weil es eben doch auch zum Thema der Transitwege gehört. Auch dieser Zusammenhang begründet unsere nach wie vor erhobene Forderung nach Senkung dieses Mindestumtauschsatzes. Hier handelt es sich nicht, wie von der DDR immer vorgegeben, um eine innere Angelegenheit, sondern um eine Angelegenheit unter Vertragspartnern. Das muß untereinander besprochen, verhandelt und abgemacht werden. Die Aussichten für solche Regelungen sind heute ja glücklicherweise besser, als sie manchmal in der Vergangenheit waren.
In der jüngsten Vergangenheit ist deutlich geworden, daß die vertraglichen Grundlagen zwischen beiden deutschen Staaten stabil sind, auch wenn nicht alle Hoffnungen, die wir in den Grundlagenvertrag gesetzt haben, bereits erfüllt sind. Ich brauche das hier nur als ein Faktum festzustellen, ohne vor diesem kleinen Zuhörerkreis das im einzelnen zu nennen.
Aber es ist Verlaß auf die bestehenden Verträge; dies auch dann, wenn es hin und wieder strittige Fragen gibt, die nicht vorhersehbar waren und deshalb nicht vertraglich erfaßt werden konnten.
Es gibt natürlich auch Punkte, die Ausfluß von grundsätzlichen Unterschieden in Rechtspositionen sind. Ich verweise z. B. auf die Frage des Bundesumweltamts in Berlin. Aber auch diese haben sich bei beiderseitigem guten Willen regeln lassen.
Die deutsch-deutschen Beziehungen, meine Damen und Herren, haben von den verschärften OstWest- Spannungen freigehalten werden können. Das ist - ich sage das hier ausdrücklich - ein Verdienst beider deutscher Staaten, das nicht hoch genug einzuschätzen ist angesichts des bekannten Argwohns der Sowjetunion gegenüber allem, was
eine Perspektive deutsch-deutscher politischer Gemeinsamkeit eröffnen könnte, und auch angesichts bestehender Vorbehalte - das soll hier nicht verschwiegen werden - bei unseren Bündnispartnern auf unserer Seite, die sich im wesentlichen auf befürchtete Neutralisierungstendenzen in der Bundesrepublik beziehen. Hier wird auch künftig auf beiden Seiten ein Aufgabenfeld zu bestellen sein, auch von uns bei unseren Partnern.
Der Antrag enthält die wichtige Aufforderung an die Bundesregierung, die Informationen über die Besonderheiten des Transitverkehrs zu verbessern. Bessere Informationen können dazu beitragen, bedrückende psychische Situationen, wie sie in einigen bedauerlichen Fällen entstanden sind, zu vermeiden. Dafür muß die bestehende Realität vermittelt werden. Das fängt damit an, daß man DDR - auch dies sei mir in aller Offenheit zu sagen gestattet - nicht wie in einigen Presseerzeugnissen mit großer Auflage in Anführungszeichen setzt, und das hört mit der konkreten Information darüber auf, daß sich die Transitwege - hier stimme ich mit Ihnen überein, Herr Kollege Schneider - auf dem Territorium eines anderen deutschen Staates, eines anderen Staates befinden, auch wenn wir zu ihm nach unserer Auffassung ein besonderes Verhältnis haben, ein anderes Verhältnis als zu anderen Staaten. Aber eben auch die Regelung des Straßenverkehrs ist den Gesetzen dieses Staates unterworfen. Wenn gelegentlich der Vorwurf erhoben wird, die DDR-Behörden ahndeten Verkehrsvergehen übermäßig hart, dann läßt dies oftmals auch - bestreiten wir es nicht - auf mangelnde Information über die unterschiedliche Rechtspraxis in der DDR schließen. Eine Aufklärung über diese Rechtslage und darüber, daß man sich den auch häufig nicht zu Unrecht als schikanös empfundenen Kontrollen und Maßnahmen weitgehend durch sorgfältige Beachtung der Bestimmungen entziehen kann, ist daher nötig.
Der Antrag enthält weiterhin die Aufforderung, den Transitverkehr zu erleichtern. Das ist, wie ich meine, eine Aufforderung an beide Seiten. Auch wir werden hier noch manches initiieren und selbst tun können, was diesem Ziel dienen kann.
Ich will der zeitlichen Abfolge wegen nicht mehr auf Einzelheiten eingehen und abschließend, Frau Präsidentin, nur noch wenige Worte sagen. Die Bilanz der Transitwege von und nach Berlin als Ergebnis der Vertragspolitik der 70er Jahre, aber auch einer vernünftigen und maßvollen Weiterführung dieser Politik im Interesse der deutschen Menschen und des Verhältnisses der beiden deutschen Staaten zueinander ist positiv. Sie kann und muß dennoch weiter verbessert werden. Die Gemeinsamkeit aller Fraktionen in diesem Hause ist dafür eine große Hilfe.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich begrüße im Namen der Bundesregierung ausdrücklich die Initiative des Deutschen Bundestags zur Erhaltung und weiteren Stärkung des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der Transitwege von und nach Berlin. Ich begrüße, daß es zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist.
Die Bundesregierung legt Wert darauf und wird das ihr Mögliche tun, wenigstens in diesem Feld die Gemeinsamkeit zu erhalten und zu stärken. Herr Kollege Löffler, deswegen verzichte ich darauf, auf die kritischen und polemischen Schlenker näher einzugehen, auch wenn mich das reizen würde. Ich halte es im übrigen für ganz normal und selbstverständlich, daß es aus der Position der Opposition heraus, in der wir auch unsere Erfahrungen sammeln konnten, unterschiedliche Bewertungen geben wird und - das füge ich hinzu - auch geben muß, die für eine Bundesregierung durchaus hilfreich sein können.
({0})
Die überragende Bedeutung eines ungehinderten Transitverkehrs für das Land Berlin und für die Menschen im geteilten Deutschland ist - das hat diese Debatte noch einmal gezeigt - uns allen durchaus bewußt. Die Entwicklung des Transitverkehrs zwischen Berlin und dem Bundesgebiet im vergangenen Jahr läßt durchaus erkennen, daß mit Umsicht und mit Verantwortungsgefühl Belastungen vermieden oder Belastungen überwunden werden können und Verkehrsabläufe zu erleichtern sind.
So kann ich heute mit Genugtuung feststellen, daß der Transitverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet im großen und ganzen zügig, reibungslos und entsprechend dem Transitabkommen verläuft. Im vergangenen Jahr haben über 20 Millionen Transitreisen, genau 20 130 830 Transitreisen auf dem Landwege von und nach Berlin ({1}) stattgefunden. Das bedeutet, wie Herr Kollege Schulze schon festgestellt hat, eine Zunahme um noch einmal 3,1 %. Seit Mai 1983 ist die Zahl der Verdachtskontrollen im Transitverkehr, die uns so sehr belastet und die im Jahr 1982 in beunruhigender Weise zugenommen hatten, anhaltend und deutlich zurückgegangen. Damit hat die DDR unseren wiederholten nachdrücklichen Forderungen Rechnung getragen.
Ebenso ist die Zahl der Festnahmen im Transitverkehr 1983 erheblich geringer gewesen als in dem vorausgegangenen Jahr. Schließlich war auch im Transitverkehr wie im Reiseverkehr mit der DDR seit der Jahresmitte 1983 ein höflicheres und entgegenkommenderes Verhalten des DDR- Personals bei der Abfertigung zu beobachten. Dadurch haben sich die praktischen und psychologischen Bedingungen für die Reisenden verbessert. Die Zahl der Beschwerden von Reisenden über die Umstände bei der Grenzabfertigung ist dementsprechend stark zurückgegangen. Wir hoffen zuversichtlich, daß diese Entwicklung anhält.
Bei allen positiven Aspekten gibt es allerdings nach wie vor auch noch Probleme. Nach dem Transitabkommen hat die DDR das unbestrittene Recht, bei hinreichendem Verdacht eines Transitmißbrauchs einzelne Reisende, ihr Gepäck und ihr Fahrzeug zu kontrollieren - bei hinreichendem Verdacht!
Wir halten es aber für notwendig, daß sich diese Kontrollvorgänge auf das geringstmögliche Maß an Belästigung und Beunruhigung für den Reisenden beschränken. Die Reisenden sollten auch nicht im unklaren darüber gelassen werden, worin der Verdacht besteht, der zu dieser Kontrollmaßnahme Anlaß gegeben hat.
Ebenfalls unzulänglich ist auch die Mitteilungspraxis der DDR, wenn sie einzelne Reisende vom Transitverkehr ausschließt. Nach wie vor teilt die DDR nur die Zahl und den Zeitpunkt der Zurückweisungsfälle mit, nicht aber die Identität der Zurückgewiesenen und auch nicht die näheren Umstände der Zurückweisung. Auch hier sollte die DDR zu einem offeneren Verhalten finden, damit Transitreisende vor Fehleinschätzungen bewahrt werden können.
Die Bundesregierung ist über diese und andere praktische Fragen des Transitverkehrs mit der Regierung der DDR im Gespräch. In diesem Zusammenhang möchte ich gern die Arbeit der gemeinsamen Transitkommission würdigen, die seit dem Abschluß des Transitabkommens einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, daß die praktische Durchführung dieses Abkommens heute im großen und ganzen positiv zu bewerten ist.
Allerdings bedarf es dafür auch eines verständnisvollen und angemessenen Verhaltens der Reisenden selber. Wer am Transitverkehr von und nach Berlin teilnimmt, muß eben wissen, daß er damit den Bestimmungen des Transitabkommens unterworfen ist und daß er damit auch die einschlägigen Rechtsvorschriften der DDR beachten muß. Ich füge hinzu: Unsere Erfahrung ist es, daß derjenige, der sich an die geltenden Bestimmungen hält, in der Regel keine Schwierigkeiten auf den Durchgangswegen haben wird.
Um die Transitreisenden dazu in den Stand zu versetzen, unterrichten der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und das ihm nachgeordnete Gesamtdeutsche Insitut die Öffentlichkeit laufend über die rechtlichen und die tatsächlichen Bedingungen des Transitverkehrs. Durch die Errichtung der Beratungsstelle der Bundesregierung für den innerdeutschen Reiseverkehr im Gesamtdeutschen Institut, die am 1. November 1983 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, wurde die Auskunftserteilung und Beratung auch zu Fragen des Transitverkehrs nicht nur intensiviert, sondern auch rationalisiert. Der sehr starke Zuspruch der Öffentlichkeit, den diese Stelle seit ihrer Einrichtung gefunden hat, beweist uns, daß die Beratungsstelle nicht nur notwendig, sondern auch sehr zweckdienlich ist.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf ein etwas sensibles Problem eingehen. Hin und wieder kommt es in unseren Medien zu überzogenen und sachlich nicht immer ganz zutreffenden Berichten über Vorfälle im Transitverkehr. Solche Darstellungen können - das ist unsere Sorge - das Vertrauen der Reisenden und der Öffentlichkeit in die Sicherheit der Transitwege beeinträchtigen,
({2})
und sie können, wie unsere Erfahrung zeigt, Reisende davon abhalten, bestehende Reisemöglichkeiten zu nutzen.
({3})
Aber sie können auch das politische Klima zwischen den beiden Staaten unnötig belasten. Journalistische Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit möchte man sich selbstverständlich stets wünschen, besonders bei der sensiblen Berichterstattung über Vorfälle im Transitverkehr.
({4})
- Davon können Sie bei der Bundesregierung, Herr Kollege, immer ausgehen.
({5})
- Herr Kollege, ja, selbstverständlich. Es steht Ihnen frei, Ihre Wünsche an jedermann zu richten. Ich tue das ebenfalls.
({6})
Ich darf mich noch einmal für die hilfreiche gemeinsame Entschließung bedanken. Die Bundesregierung wird sie sich zu eigen machen.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/737 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 19 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/794 Zur Ergänzung der schriftlichen Berichterstattung hat die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Frau Abgeordnete Berger, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß hat mich durch Beschluß in seiner 18. Sitzung am 19. Januar 1983 beauftragt, zur laufenden Nr. 3 der Sammelübersicht 19 die folgende Erkärung abzugeben:
Es handelt sich hier um eine Petition, die an ein dunkles Kapitel unserer Geschichte erinnert und
die sich insoweit von der Vielzahl aktueller Eingaben abhebt.
Bei der Eingabe für Erich Rosenthal geht es darum, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen, für das Gesetzgebung und Rechtsprechung keine überzeugende Antwort gefunden haben.
Erich Rosenthal ist ein ehemaliger jüdischer Mitbürger, der seit seiner Emigration in London lebt. Er kämpft seit Jahren für die Rehabilitierung seines Vaters, Arnold Rosenthal, eines Bankiers aus Aschaffenburg, der 1939 wegen Devisenvergehen zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war. Er hatte Verwandten und Mitbürgern jüdischen Glaubens mit unerlaubten Devisentransaktionen die Flucht vor nationalsozialistischer Verfolgung ermöglicht. 1943 starb er in der Haftanstalt Zwickau.
Erich Rosenthal geht es nicht um materielle Entschädigungsleistungem. Er möchte vielmehr das Andenken seines Vaters von dem Makel der Zuchthausstrafe bereinigt wissen. Es geht ihm also um eine gesellschaftliche Wiedergutmachung. Dabei wird er von Bürgern aus Aschaffenburg, der Heimatstadt seines Vaters, von der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission und von Mitgliedern des Bayerischen Landtages unterstützt.
Bereits kurz nach Kriegsende hatten Erich Rosenthal und andere Hinterbliebene - leider erfolglos - versucht, beim Landgericht Aschaffenburg die Aufhebung des Strafurteils zu erwirken. Das Gericht stützte seine ablehnende Entscheidung darauf, daß die Strafverfolgung nicht allein auf rassischen Motiven beruht habe und ein Nicht-Jude wegen gleichartiger Vergehen ebenfalls bestraft worden wäre. Diese Entscheidung vernachlässigt gänzlich die schlimme Zwangslage der jüdischen Mitbürger in jener Zeit.
({0})
Im Verlauf des Petitionsverfahrens hat der Ausschuß daher intensiv geprüft, ob nicht eine förmliche Korrektur des Strafurteils vorgenommen werden kann. Diese Prüfung führte leider nicht zum Erfolg.
Der Bundesminister der Justiz, Hans A. Engelhard, verneinte ebenso wie seine Amtsvorgänger Dr. Hans-Jochen Vogel und Dr. Jürgen Schmude und der damalige Bayerische Staatsminister der Justiz, Dr. Karl Hillermeier, nach sorgfältiger Prüfung die Möglichkeit einer justizförmlichen Rehabilitierung. Sie betonen aber alle nachdrücklich, daß die Ehre Arnold Rosenthals durch das unter dem NS-Regime ergangenen Strafurteil nicht berührt werde.
Der damalige Bayerische Staatsminister der Justiz, Dr. Hillermeier, erklärte in einem Schreiben vom 6. August 1980:
Wie sich aus den Gründen des Urteils vom 31. Oktober 1939 ergibt, ist Herr Arnold Rosenthal in der ihm seinerzeit angelasteten Weise tätig geworden, um seinen Angehörigen und anderen Glaubensgenossen die Flucht vor nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen zu ermöglichen. Ein solches Handeln ist - wie auch das Oberste Rückerstattungsgericht betont hat - moralisch gerechtfertigt ...
Der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Vogel, der sich dieser Erklärung anschließt, schreibt in einem Brief vom 24. Juni 1980 an eine Aschaffenburger Bürgerin:
Ich möchte Sie bitten, Herrn Erich Rosenthal in London wissen zu lassen, daß er nach meiner Überzeugung, ganz unabhängig von der Bewertung dieser Sache, keinen Grund hat, sich als Sohn eines „Zuchthäuslers" zu fühlen oder zu bezeichnen ... Niemand unter Ihnen, der sich Arnold Rosenthals noch erinnert, wird ihn auch nur in seinen entferntesten Gedanken mit einer Bezeichnung belegt haben, welche ihn herabsetzen und sogar noch unter seinen Schicksalsgefährten diskriminieren würde.
Zu den Erklärungen seiner Amtsvorgänger und des Bayerischen Staatsministers der Justiz stellt Bundesjustizminister Engelhard in seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 1983 fest:
Ich mache mir diese Ehrenerklärungen aus- und nachdrücklich zu eigen. Arnold Rosenthal ist ein Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gewesen. Aus dem vor mehr als 40 Jahren abgeschlossenen Strafverfahren fällt auf ihn nicht der Schatten einer Diskriminierung. Niemand kann ihm einen moralischen Vorwurf machen.
Die Mitglieder des Petitionsausschusses unterstützen uneingeschränkt das Anliegen Erich Rosenthals, der das Andenken seines Vaters mit dem Makel der Zuchthausstrafe belastet sieht.
Der Ausschuß stellt daher fest:
Herr Arnold Rosenthal hat in den Jahren 1933 bis 1936 für seine Kinder und für jüdische Mitbürger Geldvermögen aus dem Deutschen Reich ins Ausland verbracht. Er ist deshalb verfolgt und wegen Verstößen gegen Devisengesetze zu fünf Jahren Zuchthaus und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Das Verhalten des Arnold Rosenthal war ehrenhaft. Es zeugt überdies von Mut und selbstloser Hilfsbereitschaft. Denn unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden, beginnend schon im Jahre 1933, die jüdischen Mitbürger nach und nach aller bürgerlichen Rechte und Freiheiten, schließlich sogar des Rechts auf Leben beraubt. Auch hatten sie keine legale Möglichkeit, mit ihrem Hab und Gut das Land zu verlassen. Wer ihnen in dieser bedrängten Lage helfen und ihnen wenigstens einen Teil ihres Vermögens retten wollte, war gezwungen, gegen die damalige Devisengesetzgebung zu verstoßen und sich damit der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen. Das hat Arnold Rosenthal getan. Sein Verhalten und das Opfer seiner Haft, in der er verstarb, verdienen Respekt. Arnold Rosenthal war ein Ehrenmann.
Im Namen des Petitionsausschusses bitte ich den Deutschen Bundestag, mit seiner Zustimmung zu der vorliegenden Sammelübersicht 19 auch dieser Ehrenerklärung ausdrücklich beizutreten.
Ich danke Ihnen.
({1})
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 19 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht - wobei die Ehrenerklärung darin enthalten ist -, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 13 bis 17 und 19 auf:
13. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
- Drucksache 10/864 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 27. Januar 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Einkünfte aus dem Betrieb internationaler Luftverkehrsdienste
- Drucksache 10/834 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
15. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
- Drucksache 10/773 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß ({1})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäßt § 96 GO
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gestzes zur dem Zweiten Protokoll vom 21. Juni 1983 zur Änderung des Vertrags vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel
- Drucksache 10/736 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Ausschuß für Verkehr
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Saatgutverkehrsgesetzes
- Drucksache 10/700 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 23. Oktober 1978 unterzeichneten Fassung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen
- Drucksache 10/817 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Das Wort wird nicht begehrt? - Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/864, 10/834, 10/773, 10/736, 10/700 und 10/817 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge können Sie aus der Tagesordnung ersehen. Erhebt sich gegen diese Vorschläge Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sortenschutzgesetzes
- Drucksache 10/816 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Interfraktionell ist für diese Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Hiergegen erhebt sich kein Widerspruch? - Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann nicht Aufgabe der heutigen Sitzung sein, die komplizierte Materie des Sortenschutzes in allen Einzelheiten zu erörtern. Das ist Sache der Ausschüsse; das wissen wir. Aber ein paar Stichworte dürften angebracht sein, nachdem zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Kurzdebatte gewünscht worden ist.
Sie wissen, der vor uns liegende Entwurf eines Sortenschutzgesetzes soll das alte Gesetz aus dem Jahre 1968 ablösen, und er soll das Gesetz über die Erhebung von Kosten beim Bundessortenamt aufheben mit der Folge, daß die von dem Gesetz geregelte Materie zukünftig durch eine Rechtsverordnung geregelt wird. Insgesamt verfolgt der vor uns
liegende Entwurf ja das Ziel, die Arbeit im Sortenschutz zu verbessern und das internationale Recht - ich meine hier das internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen - in nationales Recht umzusetzen.
Wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß das neue Gesetz kürzer sein wird als das alte und daß es sprachlich klarer und verständlicher werden soll. Die Schaffung einheitlicher Begriffsbestimmungen im neuen Gesetz vereinfacht auch die Handhabung.
Nun zu den einzelnen Punkten, die nicht vollzählig sein können. Wie bereits gesagt, soll das Kostengesetz aufgehoben werden. Dafür soll der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister die Kosten im Wege einer Rechtsverordnung künftig festsetzen. Diese Absicht ist nicht neu. Von den Betroffenen - darüber gibt es keinen Zweifel - wird das nicht gern gesehen, weil sie befürchten, daß nunmehr schneller als bisher Kostenänderungen nach oben erfolgen können. Das Bundessortenamt wird argumentieren, daß eine Kostendeckung - wobei ja ohnehin einige Gebühren nicht kostendeckend erhoben werden - jetzt zeitnäher möglich ist als früher. Darüber werden wir im Ausschuß noch zu reden haben, wobei nicht übersehen werden sollte, daß durch den im Gesetz vorgesehenen Gebührenrahmen eine Obergrenze für die Erhebung von Gebühren ohnehin vorgesehen ist.
Die Absicht allerdings, in besonderen Fällen die Prüfungsgebühr des Bundessortenamtes auf das Zehnfache seines Verwaltungsaufwandes festzusetzen - bisher war hier ja der fünffache Gebührensatz möglich -, dürfte wohl auch eine starke Kritik bei den Betroffenen hervorrufen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Einführung einer einjährigen Neuheitsschonfrist, weil sie ja den Züchtern die Möglichkeit gibt, ihre Neuzüchtungen einem längeren Test zu unterwerfen. damit wird der Gefahr vorgebeugt, daß neue Züchtungen durch das Verstreichen einer relativ kurzen Zeit den Neuheitscharakter verlieren. Das neue Gesetz verzichtet aber auf die Schaffung einheitlicher Kriterien für die Bezeichnung von neuen Sorten. Hierfür werden internationale Gründe genannt. Ich will das nicht bewerten.
Wir Sozialdemokraten möchten aber ausdrücklich bemerken, daß der jetzige Verzicht nicht dazu führen darf, daß die Bemühungen auf internationaler Ebene zur Schaffung einheitlicher Sortenbezeichnungen nunmehr deutscherseits auf die lange Bank geschoben werden.
({1})
- Ich bedanke mich für den Beifall. - Der Sortenschutz muß ein einheitliches internationales Recht sein. Aus diesem Grunde begrüßen wir die Absicht, daß den Angehörigen der anderen EG-Staaten in Zukunft der Sortenschutz genauso zugänglich sein
soll wie der gemeinsame Saatgutmarkt. Das ist, meinen wir, ein Schritt in die richtige Richtung.
({2})
Noch eine Bemerkung zur Stellungnahme des Bundesrates zu § 33 Abs. 5 des Gesetzentwurfes. Ich meine doch, daß im Ausschuß die von der Bundesregierung gewollte Versagung des Anspruchs auf Kostenerstattung auch bei einem erfolgreichen Widerspruch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten noch einmal geprüft werden muß.
Damit bin ich bereits beim Schluß. Das Sortenschutzrecht soll im Interesse unserer Volkswirtschaft zur Schaffung und Züchtung neuer leistungsfähiger Sorten anregen. Es ist ein notwendiges Schutzrecht für die Züchter im In- und Ausland. Es hat sich in der Vergangenheit trotz gewisser Mängel bewährt. Wir erhoffen uns auch von dem neuen Gesetz eine wirksame Förderung und Unterstützung künftiger Arbeit im Bereich der Pflanzenzüchtung.
Meine Fraktion stimmt daher der Überweisung des Gesetzentwurfes an die Ausschüsse zu. - Das waren fünf Minuten.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Hornung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Sortenschutzgesetzes liegt vor. Die Thematik selbst ist so kompliziert und von solch großer Bedeutung, daß nicht Eingeweihte oftmals an dieser Bedeutung vorbeigehen und nicht erfassen, was dieses Gesetz eigentlich beinhaltet.
Der Bundesrat hat diesem Entwurf inzwischen zugestimmt; die CDU/CSU-Fraktion stimmt der Überweisung an die Ausschüsse zu. Ich würde es begrüßen, wenn die im Zusammenhang mit der Beratung anfallende Arbeit im Ausschuß geleistet würde. Ich muß allerdings feststellen, daß diejenigen, die sonst so gern in der Öffentlichkeit stehen, im Ausschuß - wie man in der gestrigen Sitzung sehen konnte - nicht so präsent sind.
Mit diesem Gesetz ist auch Emotionales und Spektakuläres verbunden. Insbesondere diejenigen Mitbürger, die die Thematik nicht erkannt haben, meinen, daß Multis, wie etwa Ciba-Geigy, Shell, Pioneer und andere die Zukunftsentwicklung auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes in ihre Hände nehmen. Es gibt eine „Studie" von Pat Moony aus den USA. Wenn man dem nachgeht, was da steht, dann muß man sagen, daß Emotionales im Vordergrund steht. 31 % der Textstellen sind falsch, 36 % sind unkorrekt zitiert; nur ungefähr ein Drittel beruht auf realer Basis.
In der Bundesrepublik Deutschland können wir davon nicht sprechen. Im Gegenteil, die Vielfalt der Züchtung ist durch eine große Anzahl von mittelständischen Betrieben, die die Zucht in unserem Land vornehmen, gewährleistet. Ich bitte darum,
daß viele Mitglieder auch dieses Hauses etwas mehr Vertrauen aufbringen und Verantwortung zeigen und nicht nur mit der Angst operieren.
Was für die Technik Forschung und Entwicklung bedeuten, ist für die Pflanze die Züchtung. Hier stehen gewaltige Aufgaben an. Denken wir hier - zwar vordergründig - an die Überschüsse in Europa, so wissen wir, daß der Hunger in der Welt viel, viel größere Probleme mit sich bringt. Vor allen Dingen die notwendige Anpassung an die jeweilige Situation erfordert Beweglichkeit. Das hat die Nachkriegszeit gezeigt. Mittlerweile ist es gelungen, Zuwachsraten - sprich: Leistungssteigerungen - von über 100 % z. B. bei Getreide - zu erreichen.
Denken wir auch noch daran, daß sich die Ernährungsgewohnheiten ändern und sich die Züchtung hier entsprechend anpassen muß.
Werfen wir einen Blick in die Geschichte! Mit Beginn des industriellen Zeitalters Mitte des vergangenen Jahrhunderts haben wir gemerkt, daß die Bauern sagten: wir wissen nicht, was in diesem Saatkorn steckt. - Somit ist schon im Jahre 1869 die erste Samenprüfstelle errichtet worden. Die DLG hat sich dieser Aufgabe angenommen und bereits 1885 das Saatgutanerkenntnissystem aufgebaut. Ab 1920 kam die Sortenprüfung in unserem ganzen Land, und 1934 wurden die Grundregelungen für die heutigen Zulassungen und Neuzüchtungen gelegt. Nach der Kriegszeit, 1945, wurde das Sortenamt für Nutzpflanzen und 1953 das Bundessortenamt für Sorten und Saatgutordnung mit dem Saatgutgesetz installiert. Dies ist die Grundlage dieser unserer heutigen gesetzlichen Regelungen.
Das „Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen" wurde nun 1977 überarbeitet, und daher ist eine Anpassung des Sortenschutzgesetzes erforderlich. Außerdem soll dieses Gesetz an das geltende Verwaltungsverfahren recht angeglichen und das Saatgutverkehrsrecht abgetrennt werden, da dies im Saatgutgesetz bereits geregelt ist. Damit erreichen wir einerseits eine Verbesserung und Vereinfachung des Sortenschutzgesetzes, das sich mit seinen Aufgaben in der Vergangenheit bewährt hat und dies auch in der Zukunft tun wird.
Heute sind bereits etwa 160 Gattungen und Arten in diesem Gesetz enthalten. Mehr als 4 500 Sorten wurden bislang geschützt. Zur Zeit sind noch mehr als 1 500 geschützt. Wenn in der Diskussion behauptet wird, daß durch eine Vereinfachung eine Verminderung der Sorten eintreten würde, so stimmt das nicht, weil nämlich im Vergleich dazu 1960 bei uns nur etwa 1 000 Sorten geschützt waren.
Bedenken wir andererseits, daß für die Züchtung einer Sorte zehn bis fünfzehn Jahre notwendig sind und daß von zehn angemeldeten Sorten praktisch nur eine zur Anmeldung kommt und damit Schutz erlangt, dann können wir auch verstehen, daß die Pflanzenschützer insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland auf einen längeren Schutz drängen und daß wir dieses Anliegen im Ausschuß zu beraten haben.
Betrachten wir die Voraussetzungen, die im Sortenschutzgesetz niedergelegt sind, dann erkennen wir, daß die Pflanzensorten, die im Artenverzeichnis aufgeführt sind, mehrere Bedingungen erfüllen müssen. So muß eine Pflanzensorte erstens von jeder anderen Sorte unterscheidbar sein. Sie muß zweitens in der Ausprägung und in den Merkmalen homogen sein. Sie muß ausgeglichen sein. Sie muß drittens beständig sein, d. h. nach jeder Vermehrung, auch nach Jahren, eine gleichbleibende Qualität aufweisen. Viertens muß sie neu sein, d. h. sie darf nicht vor der Anmeldung gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht bzw. ein Jahr vor der Antragstellung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder innerhalb der EG und außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes verbreitet werden. Hier besteht die Möglichkeit, diesen Zeitraum per Verordnung auf sechs Jahre zu erweitern, was wir auch begrüßen. Fünftens muß die Sorte eintragbar sein.
Betrachten wir das, was in diesem Gesetzentwurf vorliegt, so sehen wir, daß durch dieses Sortenschutzgesetz sowohl Rechte für die Züchter als auch insbesondere Pflichten in bezug auf die Vielfalt und Erhaltung des Erbgutes auf Dauer - und damit auch die Anlage der Genbanken - für die Zukunft gesichert sind. Wir meinen, dieses Gesetz trägt den wichtigen Anliegen Rechnung. Wir stimmen der Überweisung in den Ausschuß zu.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein bißchen Geschichtsunterricht vorweg: Anthropologen gehen davon aus, daß sich die Menschheit einmal - gleichmäßig über die Erde verteilt - von 3 000 bis 5 000 Arten von Wild- und Kulturpflanzen ernährt hat. Vielleicht beunruhigt es Sie noch nicht besonders, wenn Sie demgegenüber zur Kenntnis nehmen müssen, daß heute die Ernten von vier Pflanzenarten bereits über die Hälfte der Welternährung gewährleisten und daß es nur zehn Arten sind, die bereits drei Viertel des Erntevolumens dieser Erde ausmachen.
Einige mögen in dieser Entwicklung eine Tendenz zur rationelleren Nahrungsherstellung und dahinter möglicherweise sogar die Ideallösung für die Welthungerprobleme entdecken. Eine solche Anschauung ist nicht weiter verwunderlich, wenn man doch gerade Entwicklungen in dieser Richtung in vielen Entwicklungsländern als „grüne Revolution" bezeichnet hat. Sind doch eben diese zehn meistverbreiteten Arten von Kulturpflanzen in der Regel höchst ertragreiche Getreidearten, also wirkliche Spitzenprodukte züchterischen Erfindungsgeistes.
({0})
Vielleicht beunruhigt es Sie dann schon ein bißchen mehr, wenn ich daran erinnere, daß 1970 in den USA nicht weniger als ein Fünftel der gesamten Maisernte durch Maisbrand verlorenging, nachdem sich der Schädling, ein Pilz, einer weitverbreiteten
Hybridsorte angepaßt hatte. Ein anderer Pilz vernichtete in den Jahren 1953 und 1954 sage und schreibe 65 bis 75% des Hartweizens und immerhin ein Viertel der Brotweizenernte.
Genau vor diesen flächendeckenden Mißernten durch einen Erreger waren in früheren Zeiten die sogenannten Landrassen geschützt. Die Vielfalt der Getreidearten war immer auch ein Garant dafür, daß Mißernten, die auf Schädlinge, Viren und Pilze zurückzuführen waren, zwar in einzelnen Gegenden verheerende Schäden anrichten konnten, jedoch im Ganzen begrenzt blieben und Ernteausfälle ganzer Regionen und Landstriche ausschlossen. Genetisch setzten sich diese sogenannten Landrassen aus einer Vielzahl unterschiedlichster Pflanzentypen zusammen. Sie waren in sich das Ergebnis einer fortwährenden Auseinandersetzung der Pflanze und der sie beobachtenden Züchter mit den Kräften der Natur. Das Klima, der Wind, periodisch auftretende Hitze-, Dürre- und Frostperioden, Bodenbeschaffenheit, Tageslängen und auch regelmäßiger Schädlingsbefall schlugen sich ebenfalls in der genetischen Struktur dieser Nutzpflanzen nieder wie die Arbeit der Bauern, ihre Auswahl, ihre züchterische Vorliebe, die Art und die Methoden der Bewässerung, die Fruchtfolge und die Mischkulturen verschiedener Art.
Die moderne Pflanzenzucht verspricht in der Regel und insbesondere in der Werbung die Summe dieser genetischen Eigenschaften in höchster Vollkommenheit. Sieht man sich aber die Hybridzüchtungen an, so haben sie alle ein Hauptkriterium, mit dem sie alle anderen Sorten aus dem Felde schlagen: die äußerst hohe Ertragsfähigkeit. In der Sprache unseres Gesetzes ist dieses der „landeskulturelle Wert". Wenn Sie die verschiedenen Bewertungskriterien einer solchen Hybridpflanze betrachten, stellen Sie in der Regel fest, daß Dinge wie z. B. ihre ökologische Vorteilhaftigkeit, ihre Resistenz gegen Schädlinge, ihre Entwicklungsfähigkeit auch bei geringer Nährstoffzufuhr dagegen unterentwickelt sind. Diese Sache hat Methode. Gerade diese Mischung von hoher Ertragsfähigkeit und niedriger Resistenz einer Hybridzüchtung macht den Fall aus, der Saatgut- und Chemiekonzerne lachen macht. Gerade diese für den Bauern höchst kritische Schwäche des hochwertigen Saatgutes zwingt ihn, entsprechende Betriebsmittel wie Düngemittel, Pestizide, Maschinen zu kaufen. Wenn man also in der Lage ist, den Bauern dieses Saatgut und gleichzeitig die entsprechenden notwendigen Betriebsmittel als gemeinsames Paket zu verkaufen, geht die Rechnung auf, nach der Methode: Zwei und zwei macht fünf.
Die Saatgutindustrie ist eine äußerst profitable Branche. 1979 berichtete „Business Week" von Gewinnen von bis zu 19% auf den Umsatz. Wer macht nun diese Gewinne? Nennen wir nur die größten Saatgutherren dieser Erde.
({1})
- Ich komme darauf.
Schon Anfang der 70er Jahre kontrollierte der Konzern Royal Dutch/Shell mindestens 60 Saatgutfirmen in Europa, Nordamerika, Lateinamerika und Afrika. Dicht darauf folgt der Konzern ITT, der übrigens auch der Adressat unseres Verbotsantrages gegen das Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Paraquat ist, dicht gefolgt von den Schweizer Chemiekonzernen Ciba-Geigy und Sandoz. Ebenfalls gut im Rennen liegt der weltweit bekannte Weizengigant Cargill, der aus dem Film „Septemberweizen" berühmt geworden ist.
Gegenüber diesen Saatgutriesen, die große Teile Europas und insbesondere Teile der Dritten Welt mit Saatgut beliefern und damit vollkommen abhängig machen, ist die Bundesrepublik in ihrer Saatzuchtorganisation teilweise merkwürdig anachronistisch. Wir haben immerhin noch - Sie haben es gesagt - 90 Saatgutzüchter, und der größte davon hat noch einen menschlichen Namen. Er heißt: „Kleinwanzlebener Saatzucht". Wie im landwirtschaftlich-bäuerlichen Bereich gilt es also auch für unseren züchterischen Bereich: Es wäre noch etwas zu retten, insbesondere von einer Regierung, die sich in Worten allzu gerne den kleinen Leuten und dem Mittelstand verpflichtet weiß.
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Aber Sie müssen sich beeilen. Es gibt ein sehr warnendes Beispiel, das der Entwicklung des Saatzuchtbereichs in England nach dem Beitritt zu diesem Gesetz.
Eine Methode, die kleinen Züchter aus dem Geschäft herauszuwerfen, sind die jetzt verschärften Prüfungsverfahren. Die Entwicklung und Züchtung einer neuen Sorte ist mit einem hohen Risiko verbunden und dauert mindestens 15 Jahre. Man rechnet bei Getreidesorten mit etwa 1 Million DM Züchtungskosten und bei Mais sogar mit 5 Millionen DM Züchtungskosten. Unsere kleinen mittelständischen Saatgutunternehmen wären ja, was für Ökologen interessant sein könnte, hervorragend geeignet, Spezialsorten, regional angepaßte Sorten, zu entwickeln. Gerade die Prüfungsverfahren bei diesen Spezialsorten aber werden durch die vorliegende Gesetzesgebung verteuert und erschwert. Der große Konzern hingegen profitiert von diesem Sortenschutzgesetz, es garantiert ihm sozusagen ohne Werbungskosten das Gütesiegel für den weltweiten Markt.
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Es hilft ihm damit, die lästige Konkurrenz der gerade bei uns noch übrigen kleinen regionalen Züchter aus dem Markt herauszuschmeißen, und eröffnet zusätzlich die Möglichkeit, die Artenressourcen fremder Länder zu stehlen, auszubeuten und wieder in diese Länder einzuführen und damit dann geschützt teuer auf den Markt zu bringen.
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Meine Damen und Herren, im Kern dieser Gesetze geht es um die Frage, ob wir es erlauben können, daß lebenswichtige natürliche Ressourcen, die Kulturpflanzen, in die volle Verfügungsgewalt und
das Monopol weniger großer weltweiter Konzerne geraten. Bei dem Thema, das hinter diesen harmlosen Gesetzen steht, handelt es sich also um eine Materie, die brisant und gefährlich wie die Atomraketen und die Atomenergie ist.
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Ich bitte Sie, das bei der Beratung dieser Gesetze im Ausschuß nicht zu vergessen. Wir werden der Überweisung zustimmen. Was wir machen wollen, werden wir dann gemeinsam im Ausschuß besprechen. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte gnädige Frau Vollmer, wenn ich nicht meinen Staatssekretär schon federnd auf dem Stuhl sitzen sähe, dann müßte ich Ihnen sehr viel sagen; denn Sie haben in kurzer Zeit, auf niederbayerisch ausgedrückt vielleicht, sehr viel Gescheites gesagt. Aber ich glaube, es ist besser, wir befassen uns mit dem, was hier zur Diskussion steht.
Wenn es heißt, daß durch die von der diplomatischen Konferenz in Genf am 23. Oktober 1978 beschlossene Revision des Internationalen Übereinkommens zum Schutze von Pflanzenzüchtungen eine Anpassung des Sortenschutzgesetzes notwendig ist, daß außerdem das Gesetz an das geltende Verwaltungsverfahrensrecht angeglichen und die verfahrensrechtlichen Sondervorschriften aufgehoben werden sollen, begrüße ich es im Namen der FDP-Fraktion, daß die Bundesregierung heute einen Entwurf zum Sortenschutzgesetz vorlegt.
Es ist sicherlich eine gute parlamentarische Gepflogenheit und auch das Recht einer Fraktion, einen Gesetzentwurf bei der ersten Lesung im Parlament diskutieren zu lassen. Das wertet, meine ich, einen Gesetzentwurf nur auf. Aber ich finde, die Wichtigkeit dieses Gesetzes verlangt es, sich damit ganz eingehend und ausführlich im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auseinanderzusetzen. Dort muß darüber gesprochen werden, wie das bereits 1974 geänderte Sortenschutzgesetz von 1968 durch eine Neufassung abgelöst wird und unter Berücksichtigung des revidierten Übereinkommens eine Erweiterung des Schutzgegenstandes und der Vorschriften zur Beurteilung neuer Sorten sowie die Ausgestaltung der Sortenbezeichnung herbeigeführt wird.
Im Interesse der Land- und Forstwirtschaft und des Gartenbaues ist es für uns als FDP gerade ein Bedürfnis, ein Sortenschutzrecht anzustreben, das mit einem gewerblichen Schutzrecht der Züchter ausgestattet und in der Lage ist, die Schaffung neuer leistungsfähiger Sorten anzuregen. Wer etwas von Pflanzenzüchtung versteht, kann sich vorstellen, wie schwierig das sein wird. Zugleich muß aber die Bedeutung der Schaffung neuer und leistungsfähiger Sorten für die Land- und Forstwirtschaft sowie für den Gartenbau als gerade lebensnotwendig herausgestellt werden.
Wir wären gerade als Landwirte, Forstwirte und als Gärtner mehr als arm, wären wir nicht in der Lage, mit neuen Sorten den immer gehobeneren Ansprüchen der Verbraucher gerecht zu werden. Besonders im Forstbereich kann es in der vor uns liegenden Zeit von großer Wichtigkeit sein, Forstpflanzen zu bekommen, die widerstandsfähiger gegen unsere Umweltverschmutzung sind.
Ganz besonders aber möchte ich an dieser Stelle auf die Herausforderung der Pflanzenzucht bezüglich der Welternährung und der Bevölkerungsexplosion aufmerksam machen. Es ist höchst gefährlich - Frau Vollmer, das möchte ich auch Ihnen sagen -, die Bevölkerungsexplosion als Legende darzustellen. Der Zuwachs ist rasant, das Problem fast unvorstellbar. Heute beträgt die Bevölkerung rund 5 Milliarden. Nach Berechnung der Nord-SüdKommission vom Februar 1980 werden es im Jahr 2000 etwa 6,5 Milliarden Menschen sein, im nächsten Jahrhundert schon zwischen 8 und 15 Milliarden.
Bessere Pflanzen zu bekommen ist, wie ich meine, nur mit einem guten Sortenschutzgesetz möglich. Zu einem guten Sortenschutzgesetz gehört aber die Streichung entbehrlich gewordener Verfahrensvorschriften. Andere Bestimmungen, die dem Inhalt nach noch nicht als entbehrlich angesehen werden können, müssen stärker an die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes angeglichen werden. Man muß redaktionell überarbeiten, muß straffen, übersichtlicher gestalten und gliedern; dann kann die Zahl der Paragraphen um ein Viertel vermindert werden. Wissen Sie, daß wäre für mich ein besonders großer Erfolg.
Es ist über die Gesetzgebungskompetenz, über die Voraussetzung und den Inhalt des Sortenschutzes, über die Begriffsbestimmungen, über die Unterscheidbarkeit, über die Homogenität, über die Beständigkeit und Neuheit, über die Sortenbezeichnung, über das Recht auf Sortenschutz, über eine Liste nicht berechtigter Antragsteller, über die Wirkung des Sortenschutzes, über die Rechtsnachfolge der Nutzungsrechte, über die Dauer des Sortenschutzes, über die Verwendung der Sortenbezeichnung und über den persönlichen Anwendungsbereich im Ausschuß zu sprechen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bietet dazu eine gute Grundlage. Das Sortenschutzrecht ist die Basis für die erfolgreiche Arbeit der Pflanzenschutzbetriebe und nützt nicht nur dem Züchter, sondern auch dem Vermehrer und den Landwirten und Gärtnern gleichermaßen. Gerade für die mittelständisch strukturierte deutsche Pflanzenzüchtung ist der Sortenschutz die Grundlage im Wettbewerb, um auch neben größeren Unternehmen bestehen zu können. Unsere Pflanzenzüchter haben ein Anrecht auf ein gutes Sortenschutzgesetz. Sie leisten mit ihrem persönlichen Einsatz und viel Kapital Revolutionäres für unsere Gesellschaft, ja, ich sage: Sie sind Pioniere unserer Berufsstände der Land- und Forstwirtschaft und der Gärtner. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis und eine besondere Ehre, ihnen
von dieser Stelle aus herzlich zu danken für ihre großen Leistungen, die sie auf Grund der großen Herausforderungen unserer Zeit erbringen.
Ich meine, daß auch die Pflanzenzüchtung bezüglich Erträgen, Umweltschutz, Waldsterben, Leistungssteigerung und Bevölkerungsexplosion in der Welt eine ganz große Bedeutung hat. Eine zügige Beratung im zuständigen Ausschuß und eine baldige Verabschiedung in der zweiten und dritten Lesung im Bundestag wäre für uns erstrebenswert. Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf an die Ausschüsse zu überweisen.
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Herr Staatssekretär, ich sehe, daß Sie sich noch zu Wort gemeldet haben. Ich hatte allerdings gefragt, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird, das haben Sie leider nicht wahrgenommen. Sie haben jetzt das Wort.
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- Ich muß es Ihnen j a geben. Sonst hätte ich angenommen, daß Sie den Gesetzentwurf begründet hätten.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zu dem sagen, was Frau Vollmer hier in den Raum gestellt hat; denn das ist keineswegs die Absicht dieses Gesetzes.
Ich glaube, hier wird eine Mischung von Horror an die Wand gemalt, die alles andere als gerechtfertigt ist. Was soll ein Gesetz, das in Wirklichkeit nichts anderes als das Patentrecht für die Züchter auf diesem Sektor darstellt, mit Atomraketen und anderen Dingen zu tun haben? Unsere Züchter warten schon lange darauf, daß sie ihr geistiges Potential, das diese Züchtungen darstellen, in die Welt hinausgeben können und daß es geschützt ist. Deshalb ist diese Übereinkunft international gemacht worden. Deshalb wird jetzt dieses Gesetz geändert.
Ich erinnere mich noch sehr gut: Als wir dieses Gesetz 1974, vor zehn Jahren, geändert haben, haben wir uns groß um die Frage Züchtung und Entdecken bei Mutationen, insbesondere bei Rosen, und all diese Dinge gestritten. Frau Kollegin, Sie haben hier den Vorwurf in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland erhoben und geschildert, was nun in anderen Ländern los ist - so ein Mischmasch in bezug auf die Tatsachen, was dort in den Händen der großen Konzerne ist. Sie haben teilweise zugegeben, daß das bei uns nicht so sei. Wir hätten noch die Chance, hier etwas zu tun. Ich muß Ihnen heute von dieser Stelle aus sagen, bevor wir in die Beratungen im Ausschuß gehen, daß die Bundesregierung schon seit langen Zeiten etwas getan hat. Wir haben eine mittelständische Situation in der Bundesrepublik Deutschland wie vielleicht in gar keinem anderen Land der Erde. Wir haben insgesamt vierhundert Züchter. Es ist nicht so, daß diesen Züchtern nicht geholfen wird. Ganz im Gegenteil: Wir haben die GFP, die Gemeinschaft zur Förderung der privaten deutschen landwirtschaftlichen Pflanzenzüchter, für die wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie und dem Bundesministerium für Wirtschaft ungefähr 2,6 Millionen DM im Jahr aufwenden. Wir haben allein aus unserem Haus - wir unterhalten ja bei der Forschungsanstalt in Braunschweig die Gen-Bank - 1980 zusammen mit den Holländern 60 000 DM aufgewendet - 30 000 DM davon entfielen auf uns -, um wilde Kartoffelsorten in Bolivien zu finden und sie in unsere Gen-Bank einzubauen.
Sie dürfen versichert sein, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung tut alles, um der deutschen Pflanzenzüchtung weiterhin die Grundlage zu gewähren, damit sie auch in der Zukunft in der Lage sein wird, mit den größten Konzernen zu konkurrieren. Eines steht in der Pflanzenzüchtung fest: Die handwerkliche Arbeit kann niemals ersetzt werden. Wir in Deutschland arbeiten unseren deutschen Züchtern mit unseren Einrichtungen sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung auf allen Gebieten zu. Wir können feststellen, Frau Kollegin Vollmer, daß die großen Sorten nicht von grollen Züchtern in der Welt geschaffen wurden, sondern von kleinen Züchtern. Dabei wurden erhebliche Erfolge erzielt. Wir brauchen die Pflanzenzüchtung.
Sie haben alles zusammengemixt. Sie haben gesagt, es würden nur solche Pflanzen gezüchtet, an denen die Kunstdüngerindustrie und im Hinblick auf den Absatz von Pflanzenschutzmitteln auch die chemische Industrie ein Interesse habe. Ich muß Ihnen sagen: Wenn nicht entsprechend vorgegangen worden wäre, hätten wir in den letzten 20 Jahren in der Welt nicht eine Steigerung der Maiserträge um 150 % und der Getreideerträge um 92 % zu verzeichnen gehabt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vollmer?
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß ich sowohl gesagt habe, daß wir hier bei uns eine andere Situation haben, als auch die hohen Erträge erwähnt habe. Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie nicht auch zugestehen, daß im Vergleich zur bisherigen Gesetzgebung die Prüfverfahren gerade für die kleinen und mittelständischen Züchter erschwert worden sind, wodurch das Problem entsteht, wie sie die hohen Kosten bis zur Ausbildung einer Sorte tragen können. Das ist auch mit den von Ihnen genannten Unterstützungsgeldern nicht zu leisten, wenn man 1 Million DM für die Entwicklung einer Getreidesorte und 5 Millionen DM für die Entwicklung einer Maissorte ausgeben muß. Wer von den kleinen Züchtern kann das leisten?
Frau
Kollegin, die Züchter sind in dauerndem Kontakt mit dem Bundessortenamt und auch mit uns. Man darf nicht vergessen, daß jemand durch das Sortenschutzgesetz und die Tatsache, daß er über eine entsprechende Zeit eine Sorte als geistiges Eigentum für sich besitzt, Geld verdienen kann.
Wenn Sie sich einmal mit den Züchtern unterhalten, werden Sie hören, daß unser System gerade darauf aufgebaut ist, daß der Staat zwar mithilft, aber keineswegs in irgendeiner Form eingreift, wenn jemand tatsächlich eine Sorte hat, mit der er auch entsprechend Geld verdienen kann. Ich weiß keinen Fall, in dem ein Züchter tatsächlich eine gute Sorte hatte und durch die Prüfungskosten nicht in der Lage war, sie in den Markt zu bringen. Wenn Sie einen solchen Züchter kennen, dann müssen Sie uns das sagen.
Wir haben in Deutschland ein System, bei dem die Landwirte durch die Tatsache, daß wir Vermehrungsbetriebe bis hin zum landwirtschaftlichen Betrieb auch für Saatgut haben, wesentlich höhere Preise zu zahlen haben als den normalen Preis z. B. für Getreide.
({0})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein.
Ich möchte die Diskussion nicht länger fortführen, sondern nur meine Auffassung deutlich machen, daß man sich, Frau Kollegin Vollmer, einmal auf breiter Basis mit diesen Dingen beschäftigen muß. Man sollte nicht ohne weiteres den Überlegungen in dem Buch von Pat Moony nachgeben. Ich habe dieses Buch auch gelesen. Man kann natürlich bei allem, was man auf dieser Welt tut, den Teufel an die Wand malen und alles durcheinanderrühren, damit eine schöne graue Brühe zustande kommt.
Ich sage Ihnen: Die grüne Revolution und die Pflanzenzüchtung in der Welt haben dafür gesorgt - ob von großen Organisationen oder kleinen privaten Pflanzenzüchtern durchgeführt -, daß wir heute in der Lage sind, der wachsenden Menschheit die notwendigen Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, daß es noch Hunger in der Welt gibt, liegt nicht darin begründet, daß nicht genügend produziert werden kann, wenn wir nicht entsprechende Sorten haben, sondern es ist eine Frage der Verteilung und des Geldes.
Danke schön.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates liegen Ihnen auf der Tagesordnung vor. Stimmen Sie der Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführender Ausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Innenausschuß und den Rechtsausschuß zur Mitberatung zu? - Danke schön. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 bis 24 auf:
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Bericht und Vorschläge über die Mittel zur Stärkung der Effizienz der Strukturfonds der Gemeinschaft
- Drucksachen 10/514, 10/802 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine zwölfte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Ausschluß des Vorsteuerabzugsrechts bei bestimmten Ausgaben
- Drucksachen 10/358 Nr. 46, 10/717 ({2}) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine siebente Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 69/169/ EWG zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzüberschreitenden Reiseverkehr
- Drucksachen 10/92 Nr. 72, 10/840 Berichterstatter: Abgeordneter Schlatter
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({5}) des Rates über eine Abgabe auf bestimmte Fette
- Drucksachen 10/550, 10/715 Berichterstatter:
Abgeordneter Rapp ({6})
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über eine finanzielle Unterstützung im Rahmen eines mehrjährigen Verkehrsinfrastrukturprogramms
- Drucksachen 10/433 Nr. 11, 10/726 Berichterstatter: Abgeordneter Hoffie
Vizepräsident Frau Renger
Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen, die in den genannten Ausschüssen einstimmig beschlossen wurden. Das sind die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 20, 23 und 24, Drucksachen 10/802, 10/715 und 10/726. Wer diesen Beschlußempfehlungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen nun über die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 21 ab. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses, Drucksache 10/717 ({8}) - zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 22, Beschlußempfehlung des Finanzausschusses, Drucksache 10/840. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Achtundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 10/446, 10/709 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({10}) zu der Unterrichtung durch die Deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Januar 1983 in Straßburg
- Drucksachen 9/2422, 10/711 Berichterstatter:
Abgeordnete Reddemann Voigt ({11})
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wir stimmen über diese Beschlußempfehlung ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft, Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1982 Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1981
- Drucksache 10/858 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates Haushaltsausschuß ({12})
Ausschuß für Wirtschaft
Dazu wird das Wort nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundeswirtschaftsministers, Drucksache 10/858, dem Haushaltsausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 20. Januar 1984, 8.30 Uhr ein. Wir beginnen mit der Aktuellen Stunde.
Die Sitzung ist geschlossen.