Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/8/1983

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung der Tagesordnungspunkte III a und III b fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 ({0}) - Drucksachen 10/280, 10/534 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) b) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe ({2}) - Drucksachen 10/335, 10/347 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) - Drucksachen 10/690, 10/691 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({4}) Hoppe Wieczorek ({5}) Kleinert ({6}) ({7}) Ich rufe auf: Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - Drucksachen 10/638, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Wieczorek ({8}) Dr. Hackel Glos Burgmann Einzelplan 32 Bundesschuld Drucksache 10/653 Berichterstatter: Abgeordnete Wieczorek ({9}) Austermann Verheyen ({10}) Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung - Drucksache 10/657 -Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({11}) Austermann Dr. Hackel Borchert Hoppe Wieczorek ({12}) Hoffmann ({13}) Kleinert ({14}) Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksachen 10/647, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Roth ({15}) Verheyen ({16}) dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen ({17}) - Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({18}) - Drucksachen 10/686, 10/716 - Berichterstatter: Abgeordnete Gobrecht Dr. Meyer zu Bentrup Vizepräsident Stücklen b) Bericht des Haushaltsausschusses ({19}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/687 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({20}) Hoppe Wieczorek ({21}) Kleinert ({22}) ({23}) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 - Drucksachen 10/281, 10/535, 10/723 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({25}) Hoppe Wieczorek ({26}) Kleinert ({27}) Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - Drucksachen 10/639, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. Weng Kleinert ({28}) dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie ({29}) - Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({30}) - Drucksache 10/677 - Berichterstatter: Abgeordnete Poß Schulhoff b) Bericht des Haushaltsausschusses ({31}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/696 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({32}) Hoppe Wieczorek ({33}) Kleinert ({34}) ({35}) Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksachen 10/640, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitz ({36}) Verheyen ({37}) Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - Drucksachen 10/641, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann Frau Seiler-Albring Burgmann dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen ({38}) - Drucksachen 10/337, 10/349 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({39}) - Drucksachen 10/724, 10/733 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer b) Bericht des Haushaltsausschusses ({40}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/725 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({41}) Hoppe Wieczorek ({42}) Kleinert ({43}) ({44}) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der unmittelbaren Kostenbeteiligung der Versicherten an der Krankenhaus- und Kurbehandlung ({45}) - Drucksache 10/120 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({46}) - Drucksache 10/675 - Berichterstatter: Abgeordneter Egert b) Bericht des Haushaltsausschusses ({47}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/676 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Friedmann Frau Seiler-Albring ({48}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und SoVizepräsident Stücklen zialordnung ({49}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - Drucksachen 10/189, 10/704 Berichterstatter: Abgeordneter Stutzer Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({50}) zu dem Antrag des Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortmaßnahme: Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung - Drucksachen 10/205, 10/698 Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({51}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Mutterschaftsurlaub - Drucksachen 10/358 Nr. 64, 10/706 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Verhülsdonk Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - Drucksachen 10/645, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Hoffacker Rossmanith Dr. Diederich ({52}) Verheyen ({53}) Haushaltsgesetz 1984 - Drucksachen 10/658, 10/660 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({54}) Hoppe Borchert Wieczorek ({55}) Hoffmann ({56}) Kleinert ({57}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die verbundene Aussprache zwölf Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Bitte sehr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitberichterstatter zum Steuerentlastungsgesetz 1984 möchte ich eine redaktionelle Ergänzung zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/686, Seite 4 ({0}) geben. Hier fehlt - es ist ein Versehen - die Überschrift des Gesetzes, die lautet: „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen ({1})". Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am dritten Tag der Debatte werden jetzt Fragen des Bundeshaushaltes und der Finanzpolitik im Mittelpunkt unserer Erörterungen stehen. Ich halte es auch für richtig, daß wir heute mit diesen Themen beginnen. Natürlich ist der Bundeshaushalt nach der klassischen Parlamentstradition Anlaß zu einer Generaldebatte über alle Bereiche der Politik, aber der Haushalt selbst als in Zahlen geprägter Ausdruck der politischen Willensrichtung und Entscheidungen, auch der Kontroversen, sollte demgegenüber nicht aus dem Blickfeld kommen. Im Rahmen der politischen Aussprache der letzten zwei Tage haben wir bereits viele Anmerkungen zu wichtigen Einzelpositionen gehört, kritische Auseinandersetzungen und positive Würdigungen. Ich will hier mit einer kurzen Gesamtbewertung beginnen. In meinem Verständnis ist der Bundeshaushalt 1984 ein Markstein auf dem Wege zur Gesundung der Bundesfinanzen und ein wichtiger Beitrag zur Lösung der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Aufgaben, die im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. ({0}) Die uns vorliegenden Berichte der Ausschüsse, vor allem des Haushaltsausschusses, zeigen, daß wir, Parlament und Regierung, dabei eine bemerkenswerte Leistung erzielt haben. Das gilt um so mehr, wenn wir das jetzt vorliegende Zahlenwerk in der Entwicklungslinie der vergangenen Jahre sehen und bewerten. Der Haushaltsvollzug 1982 war bestimmt durch das Jahr der Talfahrt, der Rezession, rückläufiger Steuereinnahmen, sprunghaft steigender Ausgaben für die Arbeitslosigkeit. Dies spiegelte sich 1982 in der Notwendigkeit wider, immer erneut in Regierungsentscheidungen die einzelnen Werte nach unten zu korrigieren und immer wieder in Nachtragshaushalten vom Deutschen Bundestag Milliarden zusätzlich an Kreditaufnahme zu verlangen. Der Haushalt 1983, über dessen Zwischenbilanz nach zehn Monaten ich hier noch einiges sagen möchte, ist geprägt durch die beginnende Trendwende nicht nur in den schon gestern erörterten Daten der wirtschaftlichen Entwicklung und ersten Zeichen leichter Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch im Bild der Steuereinnahmen und der Ausgaben des Bundes von Januar bis Okto3110 ber. In Steuereinnahmen und vielen Ausgabetiteln spiegelt sich gleichsam seismographisch die aktuelle wirtschaftliche und soziale Entwicklung deutlicher wider als in manchen Reden, meine Damen und Herren, die wir auch im Deutschen Bundestag gehört haben. ({1}) Das Jahr 1984 ist das Jahr, von dem wir erwarten und mit vielen Bürgern hoffen, daß die Früchte einer Stabilitäts- und Gesundungspolitik geerntet werden können. ({2}) Das gilt nicht nur für den Haushalt selbst, im Soll und im Haben, sondern auch für vieles, was sich für die Wirtschaft abzeichnet, für gewisse, etwas positivere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt, wie wir zuversichtlich erwarten, dann auch für die Erlebnis- und Erfahrungswelt der meisten Bürger der Bundesrepublik Deutschland über die Ansätze des Jahres 1983 hinaus. Ich möchte an dieser Stelle - nicht, weil es traditioneller Brauch ist, sondern weil es begründet ist - den Kollegen des Haushaltsausschusses sehr herzlich für ihre Arbeit danken. Ich beziehe alle anderen Ausschüsse in diesen Dank ein, denn fast alle Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben intensiv und verantwortungsbewußt im Rahmen der umfassenden Begleitgesetze mitgewirkt. ({3}) In monatelanger sorgfältiger Arbeit haben sie einen, wie ich glaube, guten Entwurf der Regierung in wichtigen Positionen noch verbessert. Wenn der Finanzminister von Verbesserungen redet, wenn die Haushaltspolitiker von Verbesserungen reden, dann denken wir in erster Linie an weitere gezielte Einsparungen bei weit über tausend Einzeltiteln. So ist es möglich gewesen, zu einer noch weiteren Senkung der Nettokreditaufnahme zu kommen, obwohl es unvermeidbar war, gerade auch im Hinblick auf außenwirtschaftliche Risiken, beim Bürgschaftstitel oder im Hinblick auf die schwierigen Umstrukturierungsaufgaben bedrängter Wirtschaftszweige und ihrer Mitarbeiter einige Positionen erheblich zu erhöhen. Ich nenne die befristete Stahlhilfe, die Mittel für die Kokskohle, für Anpassungsmaßnahmen im Bergbau. Allein diese eingreifenden Veränderungen, die der Haushaltsausschuß in vollem Einvernehmen mit der Bundesregierung vorgenommen hat, sind eine Antwort auf jene völlig unbegründeten Vorhaltungen in der gestrigen Debatte, daß wir nichts oder nichts Zureichendes täten, um den hart bedrängten Wirtschaftszweigen und ihren Mitarbeitern zu helfen. ({4}) Daß es bei dieser gezielten sektoralen Hilfe für bedrängte Wirtschaftszweige und dem Thema der Subventionen auch grundlegendere Probleme gibt, will ich an einer anderen Stelle meiner Ausführungen kurz berühren. Meine Einschätzung des jetzt zu verabschiedenden Bundeshaushalts 1984 lautet: Die Eckdaten sind günstiger als erwartet. Wenn jetzt auch durch eine gewisse Verbesserung des Bundesbankgewinns, der freilich deutlich unter dem vorigen Ansatz bleibt, wenn jetzt durch die zusätzlichen Einsparungen des Haushaltsausschusses die Nettokreditaufnahme deutlich unter 34 Milliarden DM liegt, dann erinnere ich mich an manche Gespräche im Frühjahr mit sachverständigen Finanzministern der Länder - aus beiden großen Parteien -, mit unabhängigen Experten und Finanzwissenschaftlern, die uns im April dieses Jahres sagten, es wäre bei den Ausgangsdaten eine große Leistung, wenn es gelänge, im Jahre 1984 die Neuverschuldung unter 40 Milliarden DM zurückzulegen. Ein Zweites will ich hier hervorheben: Die Haushaltsstruktur ist deutlich verbessert. Das gilt - wir haben gestern schon einige Anmerkungen dazu gehört, Herr Kollege Walther - auch für die Investitionsausgaben. Ich will das, weil das sicher bei Ihnen eine Rolle spielt, einmal an Hand der Zahlen verdeutlichen. ({5}) - Ich komme darauf. Seien Sie doch geduldig, Herr Hoffmann. Sie dürfen unterstellen, daß ich genau auf diese kritischen Fragen eingehe. Im Finanzplan der alten Regierung waren für das Jahr 1984 investive Ausgaben von 32,6 Milliarden DM vorgesehen. Nach dem Finanzplan der neuen Regierung mit den Ergänzungen des Haushaltsausschusses sind es jetzt 35,3 Milliarden DM, also ein Zuwachs von 2,7 Milliarden DM. Davon entfallen - das ist richtig - 0,9 Milliarden DM durch die Umstellung beim BAföG und 1,3 Milliarden DM durch höhere Bürgschaften. Aber auch unter Berücksichtigung dieser beiden Sonderfaktoren verbleibt gegenüber Ihrem Finanzplan eine Steigerung um eine halbe Milliarde. Nun will ich an dieser Stelle zu dem Thema Bürgschaften sagen: Daß wir Vorsorge für wachsende Risiken in diesem Bereich treffen, wird unter uns nicht bestritten sein, aber ich behaupte auch, daß die Anwendung des Instruments der Bürgschaften und Gewährleistungen unter schwierigeren und risikoreicheren weltwirtschaftlichen Bedingungen eine unmittelbare und wirksame Hilfe für weite Bereiche der deutschen Exportwirtschaft und ihre Arbeitnehmer ist und daß sie die Investitionskraft der Betriebe im eigenen Lande stärkt, nicht nur die Arbeitsmarktsituation. ({6}) Im übrigen bringt es der überkommene Investitionsbegriff unserer Haushaltsordnung mit seinen Grenzen und mit seiner Problematik mit sich, daß die Steigerung wichtiger Mittelansätze für die Wirtschaftsbelebung und den Arbeitsmarkt in dieser Investitionsquote überhaupt nicht erscheint. Ich will das nur an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegenüber dem noch von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, zu vertretenden Haushalt 1982 etwa verdoppelt: von damals rund 850 Millionen auf jetzt knapp 1,7 Milliarden DM. Das ist ein konkreter Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik, den wir in unserer Verantwortung leisten und den ich hier hervorheben möchte. ({7}) Ich würde es auch begrüßen, wenn derartige Entscheidungen der jetzigen Mehrheit für Arbeitnehmer, Arbeitslose und Arbeitsmarktpolitik in manchen Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes aufgeschlossener gewürdigt würden. ({8}) Ich habe den vierseitigen Brief des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Breit, aufmerksam gelesen, in dem er uns auffordert, diesen Haushalt abzulehnen. Das bleibt seiner politischen Würdigung unbenommen. Aber eine Argumentation gerade aus der Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird erst überzeugend, wenn man auch solche Entscheidungen im Interesse der Arbeitnehmer und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angemessener und objektiv würdigt, ({9}) und die Würdigung beginnt damit, daß man sie jedenfalls erwähnt, wenn man an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages schreibt. Ein dritter Punkt, der zur Bewertung dieses Haushaltes gehört, ist eine umfassendere Vorsorge für Risiken. Ich will das einmal, Herr Kollege Apel, weil das Gegenstand einiger sehr kritischer Anmerkungen - ich will den Ausdruck „Polemik" jetzt in der Würdigung vermeiden - Ihrer Partei war, am Beispiel der Vorsorge für den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosigkeit verdeutlichen. Wir haben im Haushalt dieses Jahres 1983 Vorsorge für eine mögliche Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 2,35 Millionen getroffen. Wir können davon ausgehen - die Zahl wurde gestern schon genannt -, daß die tatsächliche durchschnittliche Arbeitslosigkeit in diesem Jahr mindestens 80 000, vielleicht 100 000 niedriger liegen wird, als wir Ende Dezember letzten Jahres in einer Schätzung, die bewußt ungünstige mögliche Entwicklungen einbezog, unterstellten. Wir haben aus Gründen der Vorsorge in die Haushaltsansätze für 1984 zunächst eine Arbeitslosigkeit von bis zu 2,49 Millionen einbezogen. Durch das günstigere Prognosebild der letzten Wochen war es möglich, diese Vorsorge jetzt auf knapp 2,4 Millionen, auf 2,38 Millionen, zu begrenzen. Aber wenn wir, immer noch von einer denkbaren ungünstigen Entwicklung ausgehend, dies in der Haushaltsplanung tun, bedeutet das nicht, meine Damen und Herren, daß dies unsere Prognosezahl oder gar unsere Zielvorstellung wäre. ({10}) Es ist die Konsequenz aus bitteren Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Ich halte es für richtig, sich gerade in diesen zentralen Punkten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens mit großen Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen bei der Haushaltsgestaltung auf einen ungünstigen Trend einzustellen und in der politischen Arbeit alles zu tun, damit wir auch 1984 ein wesentlich besseres Ergebnis erzielen, wie es 1983 im Ansatz schon erreicht wurde. ({11}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsvollzug 1983 begründet Zuversicht. Nach zehn Monaten können wir davon ausgehen, daß wir in der Gesamtbilanz für 1983 Mehreinnahmen von etwa 1,5 bis 2 Milliarden DM erreichen werden - das ist Ausdruck der beginnenden wirtschaftlichen Belebung - und daß wir weniger Ausgaben in der Größenordnung von rund 2,5 Milliarden DM - vielleicht bis zu 3 Milliarden haben werden. Das heißt - und ich sage das mit großer Befriedigung -, wir machen in diesem Jahr 4 bis 5 Milliarden DM weniger Schulden, als wir im Dezember 1982 eingeplant haben. Meine Damen und Herren, das ist nun auch eine eindeutige Widerlegung der düsteren Prophezeiungen der sozialdemokratischen Kollegen vom Ende vergangenen Jahres und vom Beginn des Jahres 1983. Sie werden verstehen, daß ich Ihnen einige Zitate noch einmal in Erinnerung rufen möchte. Der Herr Kollege Helmut Esters hat am 27. Dezember 1982 erklärt: Der Bundeshaushalt 1983 wird wie die Rentenversicherung ins Rutschen kommen. Die Neuverschuldung wird auf 46 bis 47 Milliarden steigen. ({12}) Wir werden nach heutiger Einschätzung eher bei 36 als bei 47 Milliarden ankommen! Der Herr Kollege Rudi Walther, Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sagte im Wahlkampf am 10. Februar 1983: ({13}) Die Bundesregierung hat ihr Ziel verfehlt, einen soliden Haushalt einzubringen. Das Haushaltsrisiko beträgt 5 Milliarden DM. Der damalige und heutige finanzpolitische Sprecher der sozialdemokratischen Opposition, der Herr Kollege Hans Apel, hat am 7. April 1983 dem Ganzen die Krone aufgesetzt, als er sagte: Der Haushalt 1983 ist in weiten Teilen nur noch Makulatur. ({14}) Wegen der Haushaltslücke von mindestens 5 Milliarden DM muß die Bundesregierung unverzüglich einen Nachtragshaushalt vorlegen. ({15}) Herr Kollege Apel, als ich das las, hatten wir schon die ersten Monatsergebnisse dieses Jahres. Ich habe damals nicht gedacht, daß mich ein Pferd tritt, aber ich habe gedacht, daß Sie sich in den Finger geschnitten haben, und diese Beurteilung kann ich heute nur nachdrücklich unterstreichen. ({16}) Nein, meine Damen und Herren, diese Fehlprognosen - über den erlaubten Irrtum in finanzpolitischen Prognosen hinaus waren das schon krasse Fehlurteile - beruhen auf einem falschen Denkansatz, den ich auch gestern in einigen Ihrer Reden erneut empfunden habe. Das konjunkturpolitische Konzept der sozialdemokratischen Opposition läßt sich so zusammenfassen: noch mehr kreditfinanzierte Nachfragestützung, noch höhere Schulden und - auch das wird offen gesagt - noch höhere Abgaben für die sogenannten Besserverdienenden. Wenn man Ihre Konzepte genauer untersucht, stellt man aber fest, daß die Besserverdienenden bereits mit dem qualifizierten Facharbeiter beginnen. ({17}) Das, meine Damen und Herren, ist die Wiederbelebung eines Konzepts, das in unser aller Erfahrungswirklichkeit spätestens seit 1980 im Grunde gescheitert ist, ({18}) für jedermann erkennbar. Das ist eine Politik, die in den ersten Haushaltsentwurf für 1983 - noch der alten Bundesregierung - einmündete, in dem die Mittel für die Zinsen und die Bundesschulden insgesamt stärker steigen sollten als die Gesamtausgaben des Staates. Dieses Konzept hat unser Land in eine Sackgasse geführt. Diese Politik ist einer der entscheidenden Gründe für das Scheitern der alten Koalition gewesen. Das, was wir tun, das, was wir mit diesen Haushaltsbegleitgesetzen - teilweise auch durch empfindliche Einschränkungen - Bürgern unseres Landes zumuten, ist ja eine Politik, die uns überhaupt erst wieder den Handlungsspielraum für eine vorausschauende, dem Gemeinwohl, der wirtschaftlichen Gesundung, der sozialen Sicherung und der Beschäftigung dienende neue Politik gewährleisten und schaffen wird. ({19}) Nach diesen Erfahrungen und auch nach den Reden des gestrigen Tages frage ich mich, meine Damen und Herren von der SPD, wirklich, wann Sie aus diesen Erfahrungen die Folgerungen ziehen wollen. Die Sozialdemokratische Partei braucht ein finanz- und wirtschaftspolitisches Godesberg. ({20}) Aber bis jetzt ist im Kreis Ihrer Sprecher noch niemand erkennbar, der etwa die Rolle eines Fritz Erler aus dem Jahre 1960 übernehmen könnte. Meine Damen und Herren, wenn wir über die Wirkungen dieser Finanzpolitik sprechen, dann kann man folgendes sagen: Die mündigen Bürger haben die ersten Entscheidungen, die Signale einer neuen Politik verstanden ({21}) und zunehmend angenommen. ({22}) - Ich rede jetzt nicht von Einzelwahlen, wobei zu Hessen ja auch die Erfahrung gehört, daß die Sozialdemokratische Partei des Ministerpräsidenten Holger Börner noch vor zweieinhalb Monaten große Wahlanzeigen schaltete, in denen behauptet wurde, daß wir Weihnachten eine Arbeitslosenzahl von 3 Millionen haben würden, ({23}) eine der schlimmsten Irreführungen, eines der schlimmsten Beispiele für Angstpropaganda und Täuschung, die wir in den letzten Monaten in der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben. ({24}) Nein, der private Verbrauch steigt trotz des von Ihnen in düsteren Farben gemalten angeblichen Nachfrageentzuges von mehr als 14 Milliarden DM durch unsere Finanzpolitik. ({25}) Die Investitionen, meine Damen und Herren, nehmen deutlich zu; ich sage das auch zu manchen anderen Bewertungen des gestrigen Tages. Die Ausrüstungsinvestitionen haben, saisonbereinigt, von Ende 1982 bis Mitte 1983 um 7,5 %, ({26}) die Bruttoinvestitionen vom dritten Quartal 1982 bis zum dritten Quartal 1983 um 7,7 % zugenommen. Auch hier ist wieder, ermutigt durch bessere Bedingungen unserer staatlichen Förderprogramme und durch die von Ihnen kritisierten Steuersenkungen, unserer Mittelstand der Schrittmacher dieser Entwicklung. Die Anträge auf Eigenkapitalhilfe im Rahmen staatlicher Förderprogramme haben im Jahresvergleich um 165 % zugenommen. Die Handwerker, die Einzelhändler, die Selbständigen, die qualifizierten Arbeitnehmer haben den Sinn dieser Steuersenkungen und der neuen Förderprogramme besser verstanden als die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause. ({27}) Die Zahl der Existenzgründungen steigt deutlich an. Die Kurve der Konkurse weist im Jahresverlauf spürbar nach unten. Es ist nicht zulässig, wie es gestern geschehen ist, hier uns pauschal ein NeunMonats-Ergebnis vorzuhalten und zu verschweigen, daß wir im dritten Quartal dieses Jahres die Trendwende erreicht haben, daß im dritten Quartal dieses Jahres die Zahl der Konkurse erstmals seit vielen Jahren deutlich das Vorjahresergebnis unterschreitet. Dieser Trend ist ermutigend. Erstmals seit vier Jahren haben wir seit September einen Rückgang der saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen. Die Trendwende im Export ist erreicht. Die Reden der Sozialdemokraten und auch erstaunliche Anträge, die Sie, Herr Kollege Vogel, mit Ihrer Unterschrift hier einbringen, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Es gibt viele Anträge in diesem Hause. Sie fordern in einem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD den Deutschen Bundestag auf, zu beschließen: Es ist zu befürchten, daß die leichte Konjunkturerholung nicht von Dauer sein wird ... und die deutsche Volkswirtschaft 1985 ... in eine erneute Rezession abgleitet, an deren Ende noch weit mehr Arbeitslose stehen. Über solche pessimistischen Annahmen kann man diskutieren. Aber das in den Rang einer amtlichen Feststellung des Deutschen Bundestags zu erheben entbehrt doch nicht einer gewißen Komik, um das mal in aller Freundlichkeit zu sagen. ({28}) Ihr Vorgänger Herbert Wehner pflegte uns immer zu sagen - seit 1969; ich erinnere mich noch -: Sie müssen in der Opposition noch viel dazulernen. Das Wort kommt mir heute auch in den Sinn. ({29}) Ich sage noch einmal: Mit diesem Thema ist eine ernste Frage verbunden, auf die ich eingehe: Was ist notwendig'? Was können wir tun? Was müssen wir noch leisten, um den beginnenden Aufschwung dauerhaft zu gestalten? Das ist ein Thema legitimer Debatte. Aber das in der pessimistischsten Prognose im Widerspruch auch zu den letzten Erklärungen der Bundesbank und vieler Institute sozusagen in den Rang eines Beschlusses des Deutschen Bundestages zu erheben, das finde ich nun nicht gerade sehr sinnvoll und sehr nützlich. ({30}) Ernster zu nehmen, Herr Kollege Vogel, ist natürlich die anhaltende Diskussion über die sozialen Wirkungen der neuen Politik. Sie haben gestern in dem bewährten, allerdings nicht erfolgreichen, jedoch nicht aufgegebenen Vokabular Ihrer Bundestagswahlkampfreden erneut gesagt, das Kennzeichen dieser Politik sei die Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden. ({31}) - Ich fange gerade an. Die vernünftige Methode einer ernsthaften Diskussion ist, zunächst zu zitieren und sich dann damit auseinanderzusetzen. ({32}) Genau das beabsichtige ich jetzt zu tun. - Ich möchte einmal diesen fundamentalen Einwand an Hand einiger Tatsachen und einiger Trends kritisch beurteilen. Wir sind der Überzeugung, daß es eine soziale Politik ist, mit dem Kurs der ständig steigenden Schulden zu Lasten der kommenden Generation Schluß zu machen. ({33}) Wir glauben, daß eine Politik in den Wirkungen sozial ist, die die Investitions- und Wirtschaftskraft der privaten Unternehmen nachhaltig stärkt, auch wenn das in den Augen mancher nicht als mechanistische mathematische Verteilungsgerechtigkeit in der aktuellen Situation erscheint. ({34}) Wir sind überzeugt, daß eine Finanzpolitik sozial ist, die zu einem drastischen Rückgang der Inflationsrate geführt hat. Darüber ist gestern schon eingehend gesprochen worden. ({35}) Wir halten eine Politik auch für sozial, die mit bestimmten Härten - das ist nicht zu bestreiten - durch Eingriffe und Kürzungen die sozialen Sicherungssysteme wieder langfristig verläßlich macht. Und nun will ich etwas über einige Einzelpunkte sprechen. Wenn Sie jetzt konkret über die Belastungswirkung für verschiedene soziologische Gruppen sprechen, dann dürfen Sie doch nicht übersehen, daß die leider unvermeidbare Beitragserhöhung in der Sozialversicherung vor allem durch die Einbeziehung der Sonderzahlungen mit einer Mehrbelastung von 4,5 Milliarden DM zur Hälfte die Unternehmen trifft und auf der Seite der Arbeitnehmer in erster Linie jene, die ein höheres Einkommen haben, die zu den Mittelschichten oder den Besserverdienenden gehören. ({36}) Sie dürfen, bevor Sie, meine Damen und Herren, Ihre Anklagereden wiederholen, nicht übersehen und sollten nicht vergessen, daß Sie im Jahr 1982 das Kindergeld für alle gekürzt haben, für die alleinstehende Frau mit einem Monatseinkommen von 800 oder 1 000 DM genauso wie für den vielzitierten Gutverdienenden mit 80- oder 100 000 DM Jahreseinkommen, während wir bei der leider unvermeidbaren Kürzung des Kindergeldes die Bezieher der kleinen und der unteren mittleren Einkommen durch eine Einkommensgrenze völlig freigestellt haben. ({37}) Wir halbieren den steuerlichen Ausbildungsfreibetrag mit Wirkung vom 1. Januar 1984. ({38}) - Ich würde gern im Zusammenhang sprechen, Herr Kollege Westphal. - Natürlich trifft dies auf Grund der Progressionswirkung der Einkommensteuer in erster Linie die höherverdienenden Alleinstehenden oder Familien. Schließlich erinnere ich Sie daran, daß die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen durch die Progressionswirkung der Einkommen- und Lohnsteuer einen maßgebenden Beitrag zur Konsolidierung leisten. ({39}) Hier kommen Steuerprogression, Geldentwertungsraten, Erhöhung von Sozialversicherungsbei3114 trägen und Kürzungen bei den Einkommensübertragungen zusammen. ({40}) - Aber, Herr Apel, nehmen Sie das alles doch einmal zur Kenntnis! Wir haben eine Situation, in der von einem Einkommenszuwachs von 100 DM bei einem Bruttoeinkommen von 2 000 DM 53 DM verbleiben; bei einem Bruttoeinkommen von 4 000 DM sind es 31 DM, bei einem Bruttoeinkommen von 6 000 DM nur noch 15 DM. Natürlich haben wir mit dieser starken Progressionswirkung unseres Einkommensteuerrechts eine soziale Korrektur, die man auch in aktuellen Umverteilungsdiskussionen nicht einfach unterschlagen darf. ({41}) - Herr Kollege Apel, es geht nicht darum, daß Ihnen die Tränen kommen sollen, sondern darum, daß Sie bestimmte Tatbestände zur Kenntnis nehmen. Die Tränen sollten Ihnen eher kommen, wenn Sie an Ihre falschen Zitate aus der Zeit von April 1983 zurückdenken. ({42}) Im übrigen muß man auch über positive soziale Wirkungen sprechen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ja natürlich, Herr Kollege Apel, nachdem wir so intensiv debattiert haben.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Stoltenberg, wie erklären Sie sich denn eigentlich die massiven Proteste der Familienverbände, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, selbst der Sozialausschüsse der CDU, wenn es so wäre, wie Sie dargestellt haben? Ist es nicht so, daß eindeutig aus Ihrem Lager festgestellt wird - von uns ganz zu schweigen -, daß Sie in der Tat Umverteilung von unten nach oben betreiben und gar nichts anderes? ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Kollege Apel, die von Ihnen zitierten Verbände und Organisationen, deren Mitglieder uns in großer Zahl politisch eng verbunden sind, ({0}) - lassen Sie mich doch jetzt die Frage beantworten! -, kritisieren bestimmte Kürzungs- und Sparentscheidungen. Aber sie übernehmen, wie ich aus vielen Diskussionen mit ihnen weiß, nicht die pauschalen Schlag- und Kampfworte, die Sie in diese Diskussion einführen. Da liegt ein erheblicher Unterschied. ({1}) Ich werde auf das Thema Familienpolitik im Rahmen der Steuerdebatte und der Perspektive unserer Politik der nächsten Jahre noch zurückkommen. Übrigens sind meine Erfahrungen in den Diskussionen mit den Mitgliedern dieser Verbände etwas positiver, als Sie das eben unterstellt haben. ({2}) - Ich darf das ja sagen. Ich darf doch aus eigenen Erfahrungen berichten. Die schwierige Entscheidung, das Mutterschaftsgeld zu kürzen - und dies zu begründen -, wird dann möglich, wenn klar ist, daß wir politisch entschieden haben, in dieser Wahlperiode endlich die Gleichstellung aller Frauen beim Mutterschaftsgeld einzuführen. ({3}) Die krasse Diskriminierung der Hälfte der Frauen, die ein Kind bekommen, in Ihrer Gesetzgebung seit 1979 ist gerade von den genannten Verbänden über Jahre hinweg viel härter kritisiert worden als alles, wozu wir heute kritische Anmerkungen von Ihnen hören. ({4}) Nur, Herr Kollege Apel, Frau Kollegin Fuchs, solange Sie in der Regierung waren, waren Ihre Ohren taub gegenüber denjenigen, die Sie jetzt als Kronzeugen gegen uns bringen möchten; das ist der Unterschied. ({5}) Aber lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu meinem Gedankengang und zu meinen Ausführungen im Kontext der Überlegungen und Probleme zurückkommen. Ich möchte hier als Letztes noch etwas zum Thema der sozialen Wirkungen sagen. Zu der Bilanz, die j a gestern schon erläutert wurde, gehört auch die Tatsache, daß wir im November 1983 rund 500 000 Kurzarbeiter weniger haben als im November 1982, einen Rückgang von knapp 1 Million auf knapp 500 000. Das sind 500 000 Arbeitnehmer und ihre Familien. Ich habe einmal in einer Modellrechnung hier darlegen lassen - ich möchte es Ihnen kurz vortragen -, was das konkret für berufstätige Menschen unseres Landes und ihre Familien bedeutet. Das Kurzarbeitergeld wird ja für die Ausfallstunden gewährt. Es beträgt 68 des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts. Unterstellt wird hier, daß 50 % der normalen Arbeitszeit ausfallen. Ein verheirateter Arbeiter im Bergbau, der vor einem Jahr Kurzarbeit leisten mußte und jetzt nicht mehr, hat dadurch ein Mehreinkommen, d. h. die Wiederherstellung seines normalen Einkommens, von 332 DM. Ein verheirateter Angestellter in der Verbrauchsgüterindustrie mit einem Durchschnittseinkommen hat, wenn er nicht mehr Kurzarbeitet, sondern wieder regulär arbeiten kann, ein Mehreinkommen von 284 DM monatlich. Das bedeutet bei einem mittleren Mehrverdienst von 300 DM beim Rückgang der Kurzarbeit in der genannten Größenordnung ein Mehreinkommen der betroffenen Arbeitnehmer von 150 Millionen im Monat und, wenn sich dies, wie wir hoffen, im Jahresverlauf bestätigt, von 1,8 Milliarden DM jährlich. Auch das ist eine Wirkung unserer Politik auf Arbeitnehmer, auf Familieneinkommen und Verbrauchernachfrage. Sie sollten das, Herr Kollege Apel, nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch in weiteren Würdigungen und Diskussionen über die sozialen Wirkungen der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik dieser Regierung endlich beachten und anerkennen. ({6}) - Ich bitte um Entschuldigung, ich schaue ein bißchen auf die Uhr und möchte im Interesse der weiteren Redner fortfahren. Zum künftigen finanzpolitischen Kurs der Bundesregierung will ich hier folgendes hervorheben. Stetigkeit und Verläßlichkeit sind oberstes Gebot. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, daß auch in den nächsten Jahren der konsequent eingeleitete Kurs der Gesundung der Staatsfinanzen, der Verringerung der Neuverschuldung und der Umschichtung zur Gesundung der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durchgehalten wird. ({7}) Der Etat 1984 ist ein gutes Zwischenergebnis, aber noch ist die Aufgabe der Gesundung nicht gemeistert. Wir brauchen eine Politik des langen Atems. ({8}) Ein bekannter Journalist hat unsere Haushaltsentscheidungen für 1983 vor zwölf Monaten mit dem Bild einer Notoperation in der Unfallstation verglichen. „Notoperation in der Unfallstation!" Der Patient war vorher sozusagen unter die Räder gekommen. Die damaligen Entscheidungen reichten aus, um die aktuelle Zahlungsfähigkeit des Staates und der Sozialversicherung wieder zu gewährleisten. Es war eine Rettungsaktion, wir können sagen: unter dramatischen Umständen. ({9}) - Ja, Herr Gobrecht, erlauben Sie, im Anschluß an einen stark beachteten Kommentar dieses Bild einmal zu verdeutlichen. Es ist manchmal etwas anschaulicher als der Fachjargon unserer steuer- und finanzpolitischen Spezialdiskussionen. Ich glaube, deswegen ist es ganz nützlich. - Wenn man dieses Bild aufnimmt, kann man sagen: Der Bundeshaushalt befindet sich heute in der Situation des Rekonvaleszenten, des wieder Genesenden. ({10}) Er ist aus der Intensivstation, Herr Kollege Vogel, herausgekommen, er ist nicht mehr in akuter Lebensgefahr, sein Befinden verbessert sich, er kann bereits Spaziergänge machen, aber er ist noch in der Situation des Rekonvaleszenten. Wer ihn wie Sie durch Ihre Anträge und haltlosen Versprechungen erneut überlasten will oder ihn zu Höchstleistungen antreiben will, der gefährdet den Genesungsprozeß und bedroht damit die Gesundung unserer Finanzen und unserer sozialen Zukunft. ({11}) Dies ist natürlich ein Appell an alle Kollegen in diesem Haus, an alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte: Man darf auch bei einem großartigen Zwischenergebnis nicht erlahmen und nicht nachlassen. ({12}) - Ja, Herr Kollege Apel, Sie gehören doch zu den Seglern und den Bergsteigern, wenn ich das richtig verstanden habe. Wer einen Berg ersteigen will, darf nach einem schwungvollen Beginn nicht bereits an der letzten Hütte aufhalten und mit den Siegesfeiern beginnen. Auch das wäre ein falsches Verhalten. ({13}) Der wird das Ziel niemals erreichen. Auch wenn wir, nach Ihren bisherigen Einlassungen, für die noch vor uns liegende Strecke nun nicht gerade mit der aktivsten Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei rechnen können, werden wir uns auf den Weg machen, und wir werden auch die letzten Etappen schaffen, bis wir dem deutschen Volk sagen können, daß die Finanzen wirklich gesund sind, daß die Wirtschaft wieder in Orndung ist, daß die Arbeitsmarktperspektiven wieder dauerhaft positiv sind. Und spätestens wenn wir angekommen sein werden, positiv sind. Und spätestens wenn wir angekommen sein werden, werden Sie Ihr nächstes „Godesberg" an einem anderen schönen Ort der Bundesrepublik Deutschland veranstalten, meine Damen und Herren von der SPD. ({14}) Das heißt: Vorrang hat für die nächsten Jahre die Gesundung, mit dem Doppelziel, daß Finanzpolitik ein dauerhaftes, inflationsfreies Wirtschaftswachstum fördert. Das heißt für die Jahre ab 1985, wie in der Regierungserklärung und in der Koalitionsvereinbarung eindeutig festgelegt: Ab 1985 wird ein Ausgabenzuwachs von 3 % die Obergrenze sein. Und es ist wünschenswert, sie zu unterschreiten. So wollen wir die Nettokreditaufnahme bis 1987 auf rund 22 Milliarden DM zurückführen. Ich will keinen Hehl aus meiner Einschätzung machen: Wenn wir das erreichen, ist das eine große Leistung; im Grunde ist dieser Betrag aber immer noch zu hoch. ({15}) Ich sage das auch zu Ihnen, Herr Kollege Vogel, weil wir hier wirklich einen zentralen Punkt berühren. Sie hatten gestern gesagt, die Wachstumsraten der 60er Jahre seien nicht erreichbar und auch nicht wünschenswert. Vor allem über den zweiten Teil Ihres Satzes kann man kritisch und nachdenklich diskutieren. Aber ich nehme ihn einmal so, wie Sie ihn gesagt haben. Dann ist doch die logische Folge, der Sie sich nicht länger entziehen können: Je skeptischer man im Hinblick auf künftiges Wirtschaftswachstum ist, desto vordringlicher ist die Aufgabe der Konsolidierung, des Abbaus einer immer noch überhöhten Neuverschuldung, auch über den genannten Wert hinaus. ({16}) Gerade bei extrem niedrigen Wachstumserwartungen oder Zielvorstellungen darf man nicht mehr in der Art, wie Sie es in den 70er Jahren getan haben, Wechsel ziehen, die von einer künftigen Generation unter vermutlich ungünstigen oder jedenfalls nicht guten wirtschaftlichen Bedingungen eines Tages eingelöst werden müssen. Dieser Widerspruch zwischen Ihrer Einschätzung des erreichbaren oder wünschenswerten Wachstums und Ihrer Politik, die weiter auf kurzfristige Konjunkturbelebung durch höhere Neuverschuldung gekennzeichnet ist, ist einer der zentralen Widersprüche der Sozialdemokratischen Partei über diesen Tag hinaus. ({17}) Mich überzeugt ein betonter Wachstumspessimismus nicht. Andererseits machen wir auch keine Wachstumsratenpolitik. Das war die Welt von 1970. Natürlich haben wir alle seitdem zugelernt. ({18}) Wir verstehen Wachstum als Ergebnis der Risikobereitschaft, des Fleißes und der Tüchtigkeit unserer Arbeitnehmer und Unternehmer. Und dafür die Rahmenbedingungen zu verbessern, ist das Ziel unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nur, meine Damen und Herren - ich möchte dies als vorletzten Gedanken hier sagen -, durch eine Politik der konsequenten Begrenzung der Ausgaben über das Jahr 1984 hinaus gewinnen wir auch den Spielraum für dauerhafte Steuerentlastungen, auf die insbesondere die berufstätigen Menschen unseres Landes einen Anspruch haben. ({19}) - Man muß die Themen immer trennen. Die Frage der steuerlichen Belastung für berufstätige Menschen, insbesondere auch Arbeitnehmer, ist ein brennendes Thema, wie die eben erwähnten Grenzbelastungen bei Monatseinkommen von 2 000 oder 4 000 DM auch Ihnen deutlich gemacht haben sollten. Ich will zu den Diskussionen der letzten Wochen über steuerpolitische Fragen nur kurz einiges sagen. Wir stehen im ersten Halbjahr 1984 vor wichtigen Grundsatzdiskussionen und Entscheidungen. Ich bekräftige das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat. Vorrang hat ein Konzept zur Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer mit dem besonderen Ziel, auch die Familien nachhaltig zu entlasten. Insofern, Herr Kollege Vogel, können Sie über Papiere einiger Parteifreunde gerne weiterdiskutieren. Aber diese Entscheidung ist getroffen. ({20}) - Das weiß die FDP ganz genau. Die Entscheidung ist getroffen, daß das die vorrangige Aufgabe ist. In Verbindung damit muß die Frage einer teilweisen Kompensation erörtert und entschieden werden, wenn wir zu einer wirklich anspruchsvollen Gestaltung eines neuen, besseren Tarifs kommen wollen. Es geht also darum, Vorschläge für den Abbau von Steuervergünstigungen zu machen und auch zu prüfen, ob andere Steuern erhöht werden müssen. ({21}) - Ich sage: um das zu prüfen. Ich bin wirklich für geordnete Arbeit. Sie können uns eine ganze Menge vorwerfen, aber daß wir seit dem April auch in den Fragen der Finanzpolitik und Haushaltspolitik nicht bis an den Rand unserer Kräfte gearbeitet und die Dinge auf diesem Gebiet gestaltet haben, kann mir zum Jahresende keiner in diesem Hohen Hause vorwerfen, Herr Kollege Apel. ({22}) Wenn wir dann im Januar alle miteinander - hoffentlich gut erholt - wieder an die Arbeit gehen, möchte ich in der Tat in den ersten Monaten des nächsten Jahres intensiv an der Beantwortung der beschriebenen Fragen arbeiten, um dann im Frühjahr dem Kabinett, der Koalition, den Ländern und natürlich der Öffentlichkeit bestimmte Vorstellungen und Vorschläge für die dann fälligen Grundentscheidungen entwickeln zu können. Aber insofern kann ich nicht alle Fragen beantworten. Wir können eine ganze Menge, aber wir sind auch keine Supermänner, und man soll uns auch nicht überfordern. ({23}) - Ich bedanke mich, daß Sie das mit einer menschlichen Reaktion auch ausdrücklich anerkennen. Es ist nicht so, daß wir auf Zwischenfragen im Abrufverfahren sämtliche Probleme der Finanz- und Haushaltspolitik ({24}) der kommenden vier Jahre wie ein Automat beantworten können. Nachdenken, analysieren, diskutieren in einer angemessenen Zeit ist notwendig, um Vorschläge zu machen. ({25}) - Das ist das Wichtigste. Ich hoffe, daß Sie uns dabei helfen. Wir werden aber bereits für 1985 eine konkrete Initiative zur Entlastung der Alleinerziehenden im Steuerrecht einbringen. Wir müssen andere wichtige Fragen in der Steuerpolitik entscheiden: die neuen Rahmenbedingungen für Wohnungsbau und Wohnungswesen; die Fragen, die sich in Verbindung mit der Grundsatzentscheidung für bleifreies Benzin ergeben werden - sei es eine Differenzierung bei der Kraftfahrzeugsteuer, sei es vielleicht auch eine bei der Mineralölsteuer -; bestimmte Vorstellung, die auf bessere steuerliche Rahmenbedingungen für die Bildung von Risikokapital hinwirken; vielleicht auch eine steuerpolitische Komponente von wirksamerer Förderung von Existenzgründungen. Das ist gleichsam der Themenkatalog der Diskussion der ersten sechs Monate im nächsten Jahr. Ich gehe davon aus, daß wir bis zum Sommer 1984 politisch zu Grundsatzentscheidungen in fast allen diesen Fragen kommen - zunächst in der Diskussion innerhalb der Regierung, dann in einer öffentlichen Debatte, an der Sie sich sicher kritisch und anregend beteiligen werden, dann in der Umsetzung von Gesetzesvorlagen. Ich bin heute nicht in der Lage, zu dem Termin eines Inkraftsetzens dieser Vorlagen über den einen Punkt hinaus Stellung zu beziehen. Ich bin der Meinung, daß man zunächst Klarheit über das Konzept haben muß. Aus der Klarheit über das Konzept wird sich dann die Diskussion über den richtigen Termin ergeben. ({26}) Ich empfehle ein Vorgehen in dieser Reihenfolge, meine Damen und Herren. ({27}) Wir müssen - darauf haben gestern mehrere Sprecher eindringlich hingewiesen, vor allem auch Herr Kollege Hoppe - diese steuerpolitischen Zielsetzungen in Übereinstimmung bringen mit der vorrangigen Aufgabe, den Konsolidierungsprozeß, den Gesundungsprozeß unserer Haushalte weiterzuführen. ({28}) - Wir sind ja eine Koalition, die in ihrem Grundverständnis freiheitlich und klassisch liberal ist. Dazu gehört auch eine offene Debatte im Vorfeld der Meinungsbildung und der Entscheidung, meine Damen und Herren. ({29}) - Ich weiß, daß das vollkommen Ihr Bild von dieser Koaltion trübt, Herr Kollege Vogel, aber das werden Sie im Laufe der Zeit ohnehin noch korrigieren müssen. Ich kann das nach Ihrer gestrigen Rede nur sagen. ({30}) Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß noch etwas über Risiken und Aufgaben sagen. Die Trendwende ist erreicht. Wir können in wenigen Wochen das Jahr 1984 mit Zuversicht beginnen. Aber wir übersehen Risiken und Herausforderungen in gar keiner Weise. Vieles bleibt zu tun, um nach unseren Kräften die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Finanzen dauerhaft gesunden zu lassen. Natürlich gibt es hier manche Gefährdungen. Sie liegen in der internationalen Verschuldungssituation, über die ich jetzt mit dem Blick auf die Uhr keine weiteren Ausführungen machen will. Ich will aber folgendes sagen: Die Bundesregierung hat sich in den letzten zwölf Monaten mit großem Nachdruck in internationalen Organisationen und auch in informellen Institutionen für eine Bewältigung dieser gewaltigen Probleme insbesondere vieler Länder der Dritten Welt eingesetzt. Das gilt für unsere Beteiligung an den Entscheidungen des Internationalen Währungsfonds, das gilt für unsere Mitwirkung im Pariser Club, das gilt für viele bilaterale Verhandlungen und auch Lösungen, die dabei gefunden wurden. Wir wissen sehr wohl, daß diese internationale Verschuldungskrise nicht nur ein Problem für unsere Wirtschaft sein kann, für unsere Kreditinstitute, für den Staatshaushalt. Wir sehen hier auch die Wirkungen im Bundeshaushalt; ich habe darüber gesprochen. Wenn es nicht gelingt, diese internationale Verschuldungskrise schrittweise zu lösen durch eine Strategie, die eine Reihe von Elementen umfassen muß, wäre die Zukunft der Länder der Dritten Welt allerdings nur noch in düstersten Farben, fast ohne Hoffnung zu sehen. ({31}) - Natürlich, Herr Kollege Apel, das ist absolut richtig: mit unmittelbaren härtesten Wirkungen auch für uns. Insofern ist es nicht nur eine weltweite Verantwortung, sondern auch eine vernünftige Definition unserer Eigeninteressen, wenn wir hier vorangehen. ({32}) Ich habe auch nicht den Eindruck, daß wir mit dieser Politik - wenn ich etwa an den Internationalen Währungsfonds, den Pariser Club und unsere Anstrengungen hier denke - eine grundlegende Veränderung gegenüber der Politik meiner sozialdemokratischen Vorgänger vornehmen. Ich sage das nur, weil vorgestern zu später Stunde einige entwicklungspolitische Sprecher der Sozialdemokratie den Internationalen Währungsfonds in einer Weise kritisert haben, die mich überrascht hat, ({33}) wenn ich etwa an die Positionen denke, die Herr Matthöfer und Herr Lahnstein in den vergangenen Jahren eingenommen haben. Das nur als eine Anregung für eine innerparteiliche Diskussion in Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der SPD. ({34}) - Ja, sicher. Es ist doch gut, solche Widersprüche einmal in einer Debatte zu klären. Ich habe Ihnen, Herr Fraktionsvorsitzender, das ganz freundlich nahegebracht. Anregungen, Lebenshilfe - das alles gehört ja auch zu einer vernünftigen parlamentarischen Debatte, meine Damen und Herren. ({35}) Ich will hier überhaupt nicht verkennen, daß auch die schwierige Lage der Europäischen Gemeinschaft für uns in den nächsten Jahren finan3118 zielle Probleme mit sich bringen kann. Der Bundeskanzler hat gestern hier über den Stand der Verhandlungen berichtet. Wir alle haben ein gemeinsames Interesse, daß diese Krise überwunden wird. Aber natürlich stellen sich hier Fragen, die auch unsere Finanzpolitik und unsere Finanzplanung sehr stark mit berühren können. ({36}) Und schließlich wissen wir, daß unsere wirtschaftliche Zukunft, die Meisterung der großen Aufgaben, vor denen wir stehen, mitbeeinflußt wird von der Entwicklung der Weltpolitik, vor allem von der Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses. Es ist nicht ein rosarotes Bild, das wir hier malen, meine Damen und Herren, aber wenn wir an die Zeit vor 12 Monaten zurückdenken, haben wir Grund, doch mit Befriedigung - ohne Arroganz - auf das Geleistete zu blicken und unsere Kräfte zu sammeln, damit wir die Zukunftsaufgaben meistern zum Wohle unseres ganzen Volkes. Schönen Dank. ({37})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wieczorek.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, Herr Dr. Stoltenberg, gleich zu Beginn ein paar Worte an Sie richten. Ich bin sehr froh darüber, daß Sie selbst gesagt haben, daß Sie kein Supermann sind. Das ist, wie ich glaube, eine richtige Einschätzung. ({0}) Es ist auch unbestritten, daß Sie in der Regierung ungeheuer gearbeitet haben. Ich glaube, das können alle beurteilen, die mit Ihnen zusammenarbeiten. Aber, meine Damen und Herren, irgend jemand in dieser Regierung muß ja auch arbeiten, ({1}) sonst kommen wir wohl nicht weiter. Ich möchte mit einigen anderen von Ihnen angesprochenen Dingen beginnen, bevor ich meine eigenen Ausführungen mache, Herr Dr. Stoltenberg. Ich bewundere Sie immer, mit welcher Freundlichkeit Sie Unverschämtheiten sagen können. ({2}) Ich will mich auch bemühen, vor allen Dingen nach dem Appell des Herrn Bundespräsidenten gestern abend beim Abendessen, in Freundlichkeit fortzufahren, obwohl mir das, ehrlich gesagt, etwas schwerfällt, zumal Sie es hervorragend verstehen, mit einem seriösen Habitus Halbwahrheiten zu sagen. ({3}) Mir wäre es in der Haushaltsdebatte, in der Debatte um Zahlen und Fakten, lieber, wir würden uns exakt an die gebotene intellektuelle Redlichkeit halten und unsere Argumente austauschen. Wenn ich nämlich sehe, wie geschickt Sie in der Vergangenheit in einem Pilgerschrittverfahren, Herr Stoltenberg, dem deutschen Volk große Belastungen auferlegt haben und das dann als Erfolg haben feiern lassen, so ist das schon eine große Leistung, zu der Sozialdemokraten Ihnen nur höchste Bewunderung aussprechen können. Wir bringen so etwas nicht fertig. ({4}) Ihr Verfahren ist sehr klar und deutlich zu erkennen. Im Pilgerschrittverfahren heißt ja: zwei Schritte vor, einer zurück! Bei Ihnen gehen zwei Schritte in die falsche Richtung; Sie nehmen dann einen wieder zurück, und das ist Erfolg. ({5}) Das sind so Probleme, die wir immer und überall haben. Ich möchte das ganz gern nur an einer Zahl deutlich machen. Als die sozialliberale Koalition auseinanderging, geschah das, weil die Nettokreditaufnahme von 30 Milliarden DM, die zwischen den Koalitionspartnern vereinbart war, nicht eingehalten werden konnte. Die höchste Nettokreditaufnahme der sozialliberalen Koalition lag bei 33,8 Milliarden DM. ({6}) Als Sie die Regierung übernahmen, haben Sie diese Nettokreditaufnahme künstlich auf mehr als 40 Milliarden DM hochgerechnet und haben die 37 Milliarden DM, die dann herauskamen, als Erfolg gefeiert. ({7}) Herr Stoltenberg, dazu muß man Ihnen große Bewunderung aussprechen. ({8}) Das gleiche gilt für Ihre Ausführungen zum Haushalt 1983. Sie sprechen hier zum deutschen Volk, aber denken Sie daran: Sie haben hier auch Insider vor sich, die das Zahlenwerk sehr genau kennen. Wir haben damals prognostiziert: Sie werden einen Nachtragshaushalt brauchen. Er ist nicht gekommen; Sie haben das sehr geschickt gemacht. Ich möchte nur fragen, ob es auch noch so günstig ist, wenn wir Anfang oder Ende Januar 1984 die Abrechnung über das Jahr 1983 wirklich vor uns haben, oder ob sich dann nicht Ihre still ausgesprochene Haushaltssperre in den einzelnen Häusern auswirkt. Die Häuser können bei weitem nicht mehr die Ansätze ausgeben, und sie werden im Bodensatz noch einiges haben, was sie dann als Überkipper mitnehmen. Ich wollte das nur sagen, damit hier nicht ein falscher Eindruck entsteht. Herr Dr. Stoltenberg, wenn man eine Analyse und Bewertung der Haushaltspolitik dieser Regierung vornimmt, dann kann das natürlich nur an Hand des Zahlenwerkes des vorliegenden Haushaltes vorgenommen werden; aber man muß auch über Wieczorek ({9}) den vorliegenden Haushalt hinausschauen. Es wäre eine Verengung der Betrachtung auf die notwendigen ökonomischen Ausrichtungen der Haushaltsund Finanzpolitik, wenn wir dem nicht gerecht würden. Die Verfassung sowie das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz schreiben ausdrücklich vor, daß die Finanz- und Haushaltspolitik an gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu orientieren ist. Es ist in allen Fraktionen dieses Hauses unbestritten, daß das am stärksten beeinträchtigte Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegenwärtig das Beschäftigungsziel ist. Also ist der Bundestag als Organ des Bundes durch Verfassung und Gesetz geradezu gezwungen, den Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung besonders unter dem Beschäftigungsaspekt zu prüfen, zu beraten und zu beschließen. Der Bundesfinanzminister wiederholt dagegen immer nur, daß er die Haushaltspolitik ausschließlich unter das Oberziel der Konsolidierung gestellt hat. Wenn Konsolidierung, Herr Dr. Stoltenberg, aber schon das oberste Ziel ist, dem Sie alles andere unterordnen, werde ich mich zunächst einmal mit diesem Ziel beschäftigen. Wenn man sich mit dieser Politik beschäftigt, kann ein Blick in die Geschichtsbücher durchaus sinnvoll sein. Man stößt dann aber unweigerlich auf den Namen Brüning. Brüning hat den Wettlauf mit dem Defizit aufgenommen, indem er Steuern und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehrfach erhöht, die Beamtengehälter laufend herabgesetzt und die Sozialleistungen gekürzt hat. Die Zeiten damals waren sicherlich anders als heute, aber sicherlich ist Brüning auch daran gescheitert, daß er die Wirkungen seiner Deflationspolitik auf die Einkommen der breiten Massen und auf den Arbeitsmarkt ökonomisch falsch eingeschätzt hat, ({10}) dies 'auch vor dem Hintergrund, daß antizyklische Finanzpolitik damals noch eine unbekannte Größe war. Ich will nicht behaupten, Herr Dr. Stoltenberg, daß Sie auf dem Wege sind, Brüningsche Politik nachzuvollziehen. Sie haben schließlich im öffentlichen Dienst auch noch keine generelle absolute Senkung der Gehälter vorgenommen, ({11}) und Sie haben auch bisher noch nicht die neue 4Pfennig-Münze in Auftrag gegeben, um die Ausgaben um 20 % zu senken. All das ist nicht der Fall. ({12}) Aber, Herr Dr. Stoltenberg, ich befürchte, daß Sie Konsolidierung als Selbstzweck sehen und daß dieser Selbstzweck in den Mittelpunkt gerückt wird. ({13}) Eine gesamtstaatliche Konsolidierung - auch dafür trägt der Bundesfinanzminister eine erhebliche Mitverantwortung - kann nur bei einer Betrachtung aller Gebietskörperschaften beurteilt werden. Daß von allen diesen Haushalten erhebliche ökonomische Impulse auf die Gesamtwirtschaft und die Beschäftigungslage ausgehen, ist genauso unbestritten wie die Tatsache, daß eine Stagnation und eine Senkung der realen Ausgaben in diesen Haushalten eine Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit, der Nachfrage und der Beschäftigungslage zur Folge hat. Diese Restriktionswirkungen durch den Bundeshaushalt und die Haushaltsbegleitgesetze 1984 auf die gesamtwirtschaftliche Belebung wurde von allen wissenschaftlichen Gutachtern bestätigt. Wir haben dazu bei der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses einiges gehört. Den Dämpfungseffekt der Konsolidierungspolitik stellen das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut, das Münchener Ifo-Institut, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und das WSI heraus. Auch die Bundesbank umschrieb sehr vorsichtig, daß Konsolidierungsmaßnahmen den Anstieg des Sozialprodukts in der Größenordnung von 2,5 % nicht gefährden. Als der Kollege Carstens ({14}) im Hearing die Frage aufwarf, ob der Aufschwung des Jahres 1983 sich 1984 fortsetzen werde, beeilten sich die Institute, von solcher Euphorie abzulenken. Man könne höchstens von einer vorübergehenden Belebung sprechen, aber nicht von einem Aufschwung. Ich möchte an dieser Stelle gern Herrn Dr. Schlesinger zitieren. Er führte aus: Ich würde in diesem Zusammenhang von einem weiteren Anstieg der Produktion sprechen; das Wort Aufschwung verwende ich nicht. Eine Ursache für den unzureichenden Aufschwung ist Ihre eigene Haushaltspolitik. ({15}) Denn Sie, Herr Dr. Stoltenberg, produzieren mit Ihrer Politik eine neue, eine hausgemachte Arbeitslosigkeit. ({16}) Sie haben eben gesagt, Sie wollten die Früchte Ihrer Konsolidierungspolitik ernten. Sie ernten sie. Sie bekommen Arbeitslose in Größenordnungen, die Sie nicht wollen, die Sie aber in Kauf nehmen. Das halten wir für verhängnisvoll. ({17}) Meine Damen und Herren, eine Ursache für den unzureichenden Aufschwung ist diese - das wiederhole ich - hausgemachte Arbeitslosigkeit durch Ihre Haushaltspolitik. Sie tun nichts, Herr Dr. Stoltenberg, um die schwierigen Strukturprobleme bei Kohle, Stahl und Werften zu lösen. ({18}) Zur Bewältigung dieser Strukturkrisen wird den Selbstheilungskräften der Wirtschaft eine zentrale Rolle zugewiesen. Dies ist Ihre Auffassung von sozialer Marktwirtschaft. Aber dies ist keine Marktwirtschaft; denn sie räumen den Wettbewerbern in Branchen, in denen wir am Markt gute Aussichten Wieczorek ({19}) haben, nicht die entsprechenden Marktchancen ein. ({20}) Sie schaffen einem Wettbewerber nicht die Möglichkeiten, daß er am Markt frei operieren kann. Das ist auch keine soziale Politik; denn Sie setzen an die Stelle einer sozialen Abfederung von Krisenbewegung den Versuch, auf Arbeitnehmer und Gewerkschaften Druck auszuüben. ({21})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will gerne im Zusammenhang vortragen. Die Argumente des Kollegen Glos haben wir im Ausschuß ausreichend erörtert. Deutlich wird dies an der Behandlung der Stahlprobleme in den Ausschüssen. Sie sind zwar nun nach langem Hin und Her endlich bereit, auf die hälftige Finanzbeteiligung von Bund und Ländern an den Umstrukturierungshilfen zu verzichten und für den Bund auf zwei Drittel zu gehen. Dafür danken Ihnen die Stahlarbeiter sehr. Nach wie vor weigern Sie sich aber, die Gewährung der Investitionszulage an die Betriebsstätte zu koppeln. Meine Fraktion wird dazu heute noch einen Antrag einbringen. Nach wie vor, Herr Dr. Stoltenberg, haben sie kein umfassendes Strukturanpassungsprogramm vorgelegt. Sicherlich ist der Bundeswirtschaftsminister im Moment dazu nicht in der Lage. Wir möchten von Ihnen wissen, welchen Stellenwert Sie der deutschen Eisen- und Stahlindustrie einräumen. ({0}) Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie und ihre Beschäftigten haben einen Anspruch darauf, von der Regierung zu erfahren, in welcher Größenordnung sie eine Stahlindustrie für erforderlich hält. Die Umstrukturierungs- und Anpassungsmaßnahmen können sich nur auf eine Vorgabe der Regierung stützen und sich danach ausrichten. Sie sind am Zuge. ({1}) Herr Dr. Stoltenberg, besonders zu kritisieren ist, daß Sie auch unsere Vorschläge zur sozialen Flankierung von Anpassungsprogrammen aus Mitteln des EGKS-Programms nicht verfolgt haben. Das ist für die Menschen an Rhein und Ruhr ein Skandal. Ich würde Sie gern bitten, einmal die von Ihnen zitierten kleinen Handwerker und die Einzelhändler in Rheinhausen oder in Dortmund zu fragen, wie sich denn ihre Umsätze nach der Wende entwickeln. Sie werden Ihnen etwas anderes erzählen, als Sie hier dem deutschen Volk deutlich machen wollen. ({2}) Herr Dr. Stoltenberg, Sie nutzen nicht die Möglichkeiten, die dem Bund zur Steigerung der öffentlichen Investitionen in diesem Jahre zur Verfügung gestanden hätten. Ich sage nur das Stichwort Deutsche Bundesbahn, ich sage nur das Stichwort unterlassene, aufgeschobene Investitionen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs, in vielen Bereichen. Ich spreche nicht von einem zusätzlichen Investitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramm, ich spreche von einem Programm, das in den Häusern, z. B. beim Bundesverkehrsminister, vorliegt, das er gerne verwirklichen möchte, für das Sie ihm aber nicht die Mittel zur Verfügung stellen. Sie nehmen es sogar hin, daß der Anteil der Investitionsausgaben am Bundeshaushalt nach 1984 weiter zurückgeht. Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal verdeutlichen. Sie können gerne noch einmal darauf eingehen. Die Investitionen werden von jetzt 13,7% im Jahre 1985 auf 13,2%, 1986 auf 12,9% und 1987 sogar auf 12,5% sinken und damit einen neuen historischen Tiefstand erreichen. Diese Entwicklung der Investitionsquote des Bundes paßt nicht in die Landschaft, Herr Dr. Stoltenberg. Dazu kommt noch, obwohl haushaltstechnisch unangreifbar, daß zu den Investitionen auch Mittel für Gewährleistungen und die Darlehensmittel nach dem Berufsbildungsförderungsgesetz zählen. Sie haben eben Ihre Meinung dazu gesagt, die ich rein sachlich teile. Nur, wenn wir von Investitionen reden, meine wir Investitionen, die sich auch in festen Investitionen draußen widerspiegeln, die im Lande Arbeit schaffen. ({3}) Ich würde mich hier gerne noch einmal mit dem Investitionsbegriff, wie ihn die CDU/CSU noch 1981 selbst definiert hat, auseinandersetzen und daran einmal messen, wie hoch Ihre Investitionsquote heute wirklich ist. Die CDU hat damals gefordert: „Finanzierungshilfen für Auslandsinvestitionen und Darlehen für konsumtive Zwecke dürfen nicht zu den Investitionsausgaben gezählt werden." Aber auch dieses gehört wahrscheinlich zu dem umfangreichen Katalog von Forderungen, die Sie als Oppositionsparteien gestellt haben, inzwischen aber total verdrängt haben. Folgt man Ihrem eigenen Vorschlag, müßten allein für Entschädigungen, Bürgschaften, Garantien, wenn man alles zusammenzählt, auch was in anderen Haushalten ist, mindestens 4,5 Milliarden DM von der jetzigen Investitionsquote abgesetzt werden. Wir kämen dann auf das, was wirklich draußen am Baumarkt, am Markt überhaupt, wirksam wird, und das ist nicht mehr 13,7%, sondern nur noch 11,9%. Genau das ist die hausgemachte Arbeitslosigkeit, die wir immer wieder betonen müssen. ({4}) Herr Dr. Stoltenberg, hausgemachte Arbeitslosigkeit erzeugen Sie auch durch Ihre steuerlichen Maßnahmen, deren Beschäftigungseffekt bei den Unternehmen mehr als zweifelhaft ist, von denen aber sicher ist, daß sie die Gemeinden erheblich Wieczorek ({5}) ) belasten werden. Entgegen Ihren Beteuerungen und auch entgegen Ihren Versprechungen in der Koalitionsvereinbarung stellen Sie die Kommunen schlechter. Die kommunalen Spitzenverbände haben bei der Anhörung dem Haushaltsausschuß dargelegt, daß sie nach dem völlig unzureichenden Ausgleich 1984 immer noch mit 380 Millionen DM Mindereinnahmen rechnen, 1985 sogar 760 Millionen DM Mindereinnahmen haben. Noch prekärer für die Gemeinden wird die Situation in den Folgejahren, denn für 1985 und 1986 gehen Sie mit Ihrer mittelfristigen Finanzplanung davon aus, daß die zur Entlastung der Gemeinden beschlossene Änderung der Umsatzsteuerverteilung wieder rückgängig gemacht wird. Die Einnahmen der Gemeinden werden also erneut sinken. Den Kommunen bleibt bei dieser Politik nichts anders übrig, als wiederum ihre Investitionen zu reduzieren. ({6}) Die Kommunen sind mit ihren Investitionen der größte Auftraggeber der Bauindustrie. Weitere Arbeitslosigkeit ist damit vorprogrammiert. ({7}) Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat uns in der Anhörung vorgerechnet, daß allein die Reduzierung der kommunalen Bauinvestitionen im laufenden Jahr 30 000 bis 50 000 Arbeitsplätze vernichtet hat. Für die kommenden Jahre wird ein weiterer Rückgang der Investitionen um 7 % hingenommen. Herr Bundesfinanzminister, durch Ihre Maßnahmen werden diese Männer arbeitslos, und daran ändert auch die Rechnung nichts, die vorgestern Ihr Kollege, der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, aufgemacht hat. Auch ihn würde ich bitten, hier intellektuell redlich zu arbeiten. Er vergleicht Zahlen vom Dezember 1982 mit Zahlen vom September 1983 und rechnet dann eine Steigerung der Beschäftigtenquote vor. Aber es ist natürlich nicht so, daß ich den Tiefstand, der durch witterungsbedingte Einflüsse in der Bauindustrie verursacht wird, mit dem Höchststand, der wiederum witterungsbedingt ist, vergleichen kann. Wir sollten uns hier im Deutschen Bundestag doch darauf verständigen, daß wir redlich miteinander umgehen und daß die Zahlen ganz klar und sauber stimmen. ({8}) - Nein, danke schön. ({9}) - Ich komme gleich noch darauf zurück, Herr Kollege. Wir haben keine Probleme, denn wir haben heute morgen ja Zeit. Wir hätten lieber über Sozialpolitik debattiert, aber mir ist auch die Finanzpolitik sehr recht. Meine Damen und Herren, auf dem Umweg über Null-Runden im öffentlichen Dienst versucht der Bundesfinanzminister, das Wachstum von Löhnen und Gehältern insgesamt spürbar zurückzudrehen. ({10}) - Herr Kollege, ob das Erfolg hat, wird sich erst noch herausstellen, denn ich würde Ihnen raten, dazu eine gesamtökonomische Rechnung anzustellen. Ein paar Zahlen dazu will ich Ihnen gleich nennen. Die ersten „Erfolge" haben Sie bereits, denn noch nie hat eine Regierung innerhalb von drei Monaten die Steuerschätzung um so viele Prozente zurücknehmen müssen wie die Ihre. Von der Schätzung der Bruttolohn- und -einkommensteuer haben Sie von Juni bis November dieses Jahres 12 Milliarden DM zurücknehmen müssen, und auch Ihre Lohnsteuererwartung haben Sie um 1 Milliarde DM reduzieren müssen. Wir haben diese Zahlen ja gemeinsam herausgekitzelt, Herr Austermann; Sie können sie ja wohl nur bestätigen. ({11}) Herr Dr. Stoltenberg, damit rufen Sie zugleich einen erheblichen zusätzlichen Nachfrageausfall hervor, der mit Sicherheit auch zu weiterer Arbeitslosigkeit führen wird. Im Sozialbereich erhöhen Sie die Beitragsbelastung für Bezieher mittlerer Einkommen, Sie kürzen die Leistungen für Rentner, Kriegsopfer und Hinterbliebene, für diejenigen, die Ansprüche auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente erworben haben, für Behinderte und für junge Mütter. Daß Sie bei dieser Politik jegliches Augenmaß für eine soziale Ausgewogenheit verloren haben, ist eine Sache; eine andere ist, daß diese Maßnahmen einen zusätzlichen Ausfall an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage nach sich ziehen. Kein Widerspruch erhob sich in der öffentlichen Anhörung gegen die Quantifizierung des Entzugseffekts. Genannt wurde uns eine Größenordnung von 10 bis 12 Milliarden DM, die sich jetzt in der Schätzung der direkten Steuern schon widerspiegelt. Das schlägt sich zwangsläufig beim privaten Verbrauch nieder. Der Bundeshaushalt ist kein Wachstums- und kein Beschäftigungshaushalt. Die Beschneidung der Masseneinkommen wird - so die Wissenschaftler - zu einem Abbau von Beschäftigungsverhältnissen führen, der - wiederum von den Wissenschaftlern - auf rund 200 000 geschätzt wird. Ist das langfristige Konsolidierung, ({12}) oder geht es hierbei um das Prinzip „Sparen, egal, was es kostet"? ({13}) Herr Bundesfinanzminister, wir Sozialdemokraten bestreiten nicht, daß konsolidiert werden muß. Auch wir Sozialdemokraten halten einen Abbau struktureller Defizite für erforderlich. Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat in diesem Bereich erhebliche Vorleistungen erbracht. Die unter unserer Verantwortung durchgeführten Kür3122 Wieczorek ({14}) zungen entlasten heute den Bundeshaushalt um rund 20 Milliarden DM. Sie können nicht alles, was positiv ist, für sich als Erfolg verbuchen und alles Negative der alten Regierung anlasten. ({15}) Nur, das, was wir gekürzt haben, war sozial ausgewogen. Das waren Kürzungen, die sich nicht zu Lasten des sozial Schwächsten in diesem Lande ausgewirkt haben. ({16}) Die Notwendigkeit, Herr Kollege, des Abbaus weiterer struktureller Defizite sehen wir auch weiterhin. Wir sind allerdings über Ausmaß, Form und Tempo der Konsolidierung völlig anderer Auffassung. Der Bundesfinanzminister hat seine Auffassung von Konsolidierung zu einer zentralen Aufgabe in der Politik dieses Staates gemacht, ohne zu sagen, welche Größenordnung die Konsolidierung denn erreichen soll und wann und mit welchen Maßnahmen er sie erreichen will. Deshalb fragen wir Sie, Herr Bundesfinanzminister, noch einmal: Wie lange, in welchem Ausmaß, in welchem Tempo und wie soll diese Sparaktion, diese Konsolidierung fortgesetzt werden? ({17}) Sie haben auch heute - hier vor dem Parlament und der Öffentlichkeit - nichts dazu gesagt, wie Sie denn die Konsolidierung sehen. Auch zu den Fragen des strukturellen Defizits ist von Ihnen nichts gesagt worden. Ebenfalls ist zu den Fragen der Verschuldung, die damit zusammenhängt, nichts gesagt worden. ({18}) Herr Dr. Stoltenberg, ich möchte Sie nicht belehren - das steht mir nicht zu -, aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit doch auf die Zusammenfassung des Gutachtens des Sachverständigenrates lenken, der festgestellt hat: Erstens. Der Konsolidierungsbedarf, der sich bis 1981 auf 38 Milliarden DM aufgestaut hatte, ist im Jahre 1982 um 10 Milliarden DM und im Jahre 1983 um 11 Milliarden DM zurückgeschraubt worden. Zweitens. Im Jahre 1984 wird er sich voraussichtlich auf 9 Milliarden DM belaufen. Drittens. Von dem strukturellen Defizit wären dann drei Viertel konsolidiert; bei gleichem Tempo wäre die Aufgabe 1985 gelöst. Ich finde, daß dieses Parlament angesichts dieser wichtigen Frage einen Anspruch hat, von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, jetzt - nicht erst irgendwann im Frühjahr im Jahreswirtschaftsbericht - zu hören, ob das auch Ihre Auffassung ist oder welche anderen quantitativen Konsolidierungsvorstellungen Sie verfolgen. Herr Dr. Stoltenberg, Ihr Haus hat in einer Antwort auf die Frage meines Kollegen Kübler vor wenigen Wochen bestätigt, daß das gesamte Finanzierungsdefizit aller Gebietskörperschaften im Jahre 1987 nach den Berechnungen im Finanzplanungsrat noch 15,5 Milliarden DM betragen würde. Sie sind aber der Antwort ausgewichen, ob Sie einen Abbau um 55 Milliarden DM in vier Jahren auf 0,75 % des Bruttosozialprodukts gesamtwirtschaftlich, insbesondere wegen der sich abzeichnenden Beschäftigungslage, für vertretbar halten. Der Vertreter der Bundesbank - das ist ja eine Autorität in diesem Staat -, Herr Vizepräsident Dr. Schlesinger, hat im Hearing gegenüber diesen - ich zitiere - „ehrgeizigen Zahlen Bedenken" geäußert. Herr Bundesfinanzminister, berufen Sie sich bitte nicht auf den Modellcharakter Ihrer eigenen Rechnungen, und klären Sie dieses Haus über Ihre Einschätzung hinsichtlich der angestrebten zahlenmäßigen Schuldenentwicklung auf den einzelnen Ebenen dieses Staates für die Finanzplanungsperiode auf! Herr Bundesfinanzminister, das sind Fragen nach Zahlen und Jahren, das sind nicht Fragen nach markigen Worten. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie rufen „Konsolidierung!" ({19}) und wollen dahinter vergessen machen und verstecken, was Sie den Wählern alles versprochen haben. Das ist ein Alibi. Gerade auf dem Gebiet der Finanzpolitik - aber nicht nur hier - zeigt sich, daß Ihre Vorbereitung auf eine Regierungstätigkeit in 13 Jahren Opposition mehr als dürftig war. Jetzt führen Sie selbst vor, daß alles nur tönende, falsche Ankündigungen waren, die Sie hier und draußen jahrelang ununterbrochen vorgetragen haben. Jetzt benutzen Sie die ständige Ausrede, es sei alles nur aufgeschoben auf die Zeit danach. Ja, worauf denn, auf welche Zeit? Worauf lenken Sie denn die Hoffnung der Menschen? ({20}) Das gilt für die von Herrn Kohl wiederholt aufgekündigte Hausfrauenrente, das gilt insbesondere aber auch für die von Ihnen angekündigte lineare Subventionskürzung um 5 %. Und wie ist das eigentlich mit den früher von Herrn Häfele permanent und lautstark vorgetragenen notwendigen ständigen Entlastungen der Lohn- und Einkommensteuerzahler, denen - ich zitiere wörtlich - „nur das immer wieder gegeben werden muß, was ihnen zusteht"? Dieser Fachmann für heimliche Steuererhöhungen ({21}) sitzt jetzt im Bundesfinanzministerium und schreibt lange Artikel und begründet, daß das alles nicht mehr stimme, ({22}) Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3123 Wieczorek ({23}) was er hier als Sprecher von Herrn Dr. Kohl im Plenum ausgeführt hat. ({24}) Merken Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, denn nicht, daß der Erwartungshorizont, den Sie in Ihrer Oppositionszeit durch Ihre Versprechungen geschaffen haben, jetzt die große Enttäuschung zur Folge hat? ({25}) Ihre eigenen Versprechungen in der Vergangenheit haben zu dem Vertrauensschwund geführt, den Sie jetzt feststellen müssen. ({26}) Sie wollen doch nicht die Aussage Ihres Parteifreundes Albrecht bestreiten, Herr Kollege, der festgestellt hat, daß sich der durch den Regierungswechsel und den Wahlsieg der Union in der Wirtschaft ausgelöste psychologische Aufschwung erschöpft hat. Nach meinem Eindruck besteht Ihre Haushaltspolitik im kommnden Jahr aus zwei Prinzipien, nämlich Sparen und Warten. Sie können das auch deutlicher ausdrücken: Streichung der Ausgaben für die Armen, bei den anderen ein Klima durch Steuersenkungen schaffen, und im übrigen Glaube, Hoffnung und Beschwörung. Wir Sozialdemokraten befürchten, daß Sie in Ihrem Konsolidierungseifer eine Strategie verfolgen, bei der die Konsolidierung zum Selbstzweck wird ({27}) und absolut keine Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge genommen wird. Vor allem auf die Lage am Arbeitsmarkt - Sie selbst gehen davon aus, daß die Zahl der Arbeitslosen 1987 noch weit über zwei Millionen liegt - nehmen Sie keine Rücksicht. In dieses Bild paßt auch, daß Sie bei Ihren Bestrebungen nach kurzfristiger Konsolidierung nicht vor der Verschleuderung von Bundeseigentum zurückschrecken. Um über die Klippe des Art. 115 des Grundgesetztes hinwegzukommen, ({28}) verkaufen Sie in einer Nacht- und Nebelaktion Vermögen, das lange angesammelt wurde. ({29}) Sie entlasten den Bundeshaushalt um 700 Millionen DM und belasten Ihre Kinder mit einem Einnahmeausfall, den Sie durch Steuern ausgleichen müssen. ({30}) Ich komme zum Schluß. ({31}) Sie verfahren, Herr Dr. Stoltenberg, nach dem Prinzip: Konsolidierung und warten. Es müßte doch von entscheidender Bedeutung für Sie sein, Stetigkeit und Vertrauen bei den Bürgern aufzubauen. Das Bild dieser Bundesregierung ist katastrophal. Sie haben das Vertrauen der Bürger und der Wirtschaft nicht in einem Jahr verloren. Sie haben es in wenigen Monaten verwirtschaftet. ({32}) Statt Vertrauen und Stetigkeit nur Widersprüche und Verunsicherung und Führungslosigkeit! ({33}) - Amüsiert es Sie?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wieczorek!

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich habe Ihre mahnenden Worte verstanden. Ich würde gern mit den letzten Worten, die ich gerade hier gesprochen habe, schließen: Statt Vertrauen und Stetigkeit nur Widersprüche, Verunsicherung und Führungslosigkeit! Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Carstens ({0}).

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Wieczorek und ich haben gestern beim Herrn Bundespräsidenten vereinbart, heute fair zu debattieren. Er hat sich im großen und ganzen daran gehalten - bis auf die letzten Passagen. Helmut Wieczorek, mein Kompliment und herzlichen Dank! ({0}) Meine verehrten Damen und Herren, die Beratungen über den Haushalt 1984 und die Begleitgesetze werden heute in der zweiten Lesung und morgen in der dritten Lesung abgeschlossen. Ich verrate Ihnen sicher kein Geheimnis, wenn ich Ihnen schon jetzt sage, daß wir Haushaltspolitiker unter Berücksichtigung der Ausgangslage mit dem Ergebnis der Haushaltsberatungen sehr zufrieden sind. ({1}) Denn ich habe es persönlich noch im September 1983, bei Beginn der Beratungen im Haushaltsausschuß, nicht für möglich gehalten, daß wir im Soll mit einer Neuverschuldung in Höhe von 33,6 Milliarden DM abschließen könnten. ({2}) Damit will ich gern und gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß in den nächsten Jahren noch viel zu tun bleibt. ({3}) Carstens ({4}) Die Arbeit der Konsolidierung ist in der Tat noch nicht beendet. Die Fraktionen wie die Bundesregierung können sich darauf verlassen, daß die Haushaltspolitiker der Koalition wie schon in diesem Jahr bei der Beratung des Haushalts 1984 weiter ihren Dienst tun. ({5}) Ich kann als Sprecher unserer Fraktion für den Haushaltsbereich mit Fug und Recht behaupten, daß die Bundesfinanzen endlich wieder fest unter Kontrolle sind. ({6}) Schon im Jahr 1984 wird erstmals seit 1980 die durch Art. 115 des Grundgesetzes gesetzte Kreditgrenze um mehr als 1,5 Milliarden DM unterschritten. ({7}) Sehr erfreulich ist, daß die Konsolidierung mit einer wirtschaftlichen Belebung einhergeht. Herr Kollege Wieczorek, ich verwende die Worte „wirtschaftliche Belebung". Diese ist nicht zuletzt durch unsere Konsolidierungspolitik initiiert. Das ist in diesem Zusammenhang das Bedeutende und Besondere. Aus Pessimismus im Lande ist Optimismus geworden. Dieser Optimismus der Bevölkerung ist durch und mit Fakten begründet. Die Regierung Kohl/Genscher besteht doch erst ein gutes Jahr. Aber bereits heute sind erstaunliche Erfolge zu verzeichnen. ({8}) Wir von der Union und der FDP verlangen einiges von der Bevölkerung. ({9}) Aber die Opfer der Bevölkerung sind nicht umsonst gewesen; die Erfolge stellen sich ein. Für diese Politik der Konsolidierung und der Erfolge steht der Name Gerhard Stoltenberg, und dem gebührt höchstes Lob. ({10}) Lob gebührt ebenfalls den Beamten seines Hauses und allen, die uns zugearbeitet haben. Herr Minister, reichen Sie also bitte einen Teil dieses Dankes Ihren Beamten weiter. ({11}) Um so mehr freut es uns, daß wir den schon guten Haushaltsentwurf der Bundesregierung im Haushaltsausschuß noch erheblich verbessern konnten. Da bedanke ich mich vor allem bei den Kollegen der FDP. Wir haben einen Koalitionspartner - Herr Kollege Weng, vielleicht darf ich es Ihnen sagen -, von dem man sagen kann, daß dieses nicht leichte Finanzpaket von ihm bis auf Punkt und Komma mitgetragen worden ist. Dafür einen ganz herzlichen Dank! ({12}) Dieser Dank geht auch an unsere Fraktion; das darf ich hinzufügen. Es ist in der Tat nicht leicht, derartige Beschlüsse durchzuziehen, die finanzpolitische Linie durchzuhalten und einzuhalten. Wir haben es geschafft. Wir haben uns darum bemüht, und die Fraktion hat wie ein Mann gestanden -({13}) mit allen Frauen in der Fraktion, meine verehrten Damen und Herren. ({14}) Wenn ich mir ansehe, was die Kollegen von der SPD noch vor kurzem prognostiziert haben, dann muß ich schon sagen, daß sie sich wohl noch ganz in der Gewohnheit ihrer Regierungstätigkeit bewegten, wo es mit den Staatsfinanzen immer weiter bergab ging. ({15}) Der Finanzminister hat soeben schon einiges zitiert, bezogen auf den Haushalt 1984. Herr Dr. Stoltenberg, man kann noch andere Zitate bezüglich der Erwartungshaltung der Genossen für die Jahre nach 1984 hinzufügen. ({16}) Hier kann ich berichten, daß die Kollegen Walther und Wieczorek noch am 9. Februar unter Angabe ihres Namens zum Ausdruck gebracht haben - ich zitiere -: „Die Nettokreditaufnahme in den Jahren 1984 bis 1986 wird sich jeweils deutlich über 40 Milliarden DM bewegen." ({17}) Das ist dann - so steht es hier - von Haushaltsfachleuten der SPD noch einmal am 3. Mai wiederholt worden; aber da hat man sicherheitshalber die Namen weggelassen; man war sich wohl nicht mehr so ganz sicher. ({18}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie werden sich wohl daran gewöhnen müssen, daß es in unserem Lande wieder eine seriöse, verläßliche und solide Haushaltspolitik gibt. ({19}) Da mutet es einen schon komisch an, wenn hier von Verschleuderung des Bundesvermögens im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung von Veba gesprochen wird. Lieber Helmut Wieczorek, ich darf Ihnen sagen, daß wir die 700 Millionen DM - um die geht es ja in etwa - eingestellt haben zur Zurückführung der Neuverschuldung. Das haben wir genauso mit den Bundesbankgewinnen gemacht. Sicherlich nicht zuletzt haben die uns geholfen, unter die von Art. 115 festgelegte Grenze herunterzukommen. Aber wir geben dieses Geld, das neu kommt, in die Haushaltsführung 1984 hinein. Wir geben es nicht neu aus, sondern wir halten unser Wort und sagen, die Bundesbankgewinne dienen einzig und allein zur Zurückführung der Neuverschuldung. ({20}) Carstens ({21}) Bevor ich jetzt auf weitere Fragen eingehe, möchte ich aus innerer Überzeugung und ganz ehrlich und aufrichtig den Kollegen der SPD, überhaupt der Opposition, für die Art und Weise danken, wie sie mit uns bei den Beratungen im Haushaltsausschuß umgegangen sind, wie sie die vereinbarten Termine eingehalten haben, wie wir uns darauf verlassen konnten genauso, wie sich in der Vergangenheit die SPD auf unsere Zusagen verlassen konnte. Es ist sehr angenehm, dies auch in die Zukunft hinein weiterführen zu können. Der Vorsitzende Rudi Walther, den ich gerade ansehe, wird gern bestätigen, daß das Arbeiten im Haushaltsausschuß kaum zu ertragen wäre, wenn wir uns nicht menschlich so gut verständen, wie wir uns verstehen. Deswegen einen herzlichen Dank namens der Haushaltsgruppe an die Kollegen der Opposition. ({22}) Aber, Herr Kollege Wieczorek, ich muß noch auf einen Punkt zurückkommen, den Sie insonderheit angesprochen haben, nämlich darauf, daß Sie vermerkten, die Koalition sei zu einem Zeitpunkt auseinandergegangen, als sie sich über die Neuverschuldung in Höhe von rund 30 Milliarden DM nicht mehr habe verständigen können. Das kann j a wohl nicht ganz stimmen. Insofern hörte die Fairneß zumindest in einem Teilbereich der Rede auf. Es ist unbestritten, darüber gibt es gar keinen Zweifel, daß wir Ende 1982, wenn wir nicht die Gesetze beschlossen und durchgesetzt hätten, die wir durchgesetzt und beschlossen haben, eine Finanzlücke in Höhe von 55 Milliarden DM gehabt hätten, wobei der Bundesbankgewinn in Höhe von 11 Milliarden DM noch gar nicht berücksichtigt ist. Das gesamte Volumen, das zur Finanzierung anstand, betrug also 66 Milliarden DM. Das haben wir nun heruntergedrückt und sind dabei, es noch weiter auf 33,6 Milliarden DM herunterzudrücken, wobei der Bundesbankgewinn in dieser Berechnung nur noch 9 Milliarden DM ausmacht. Wir haben die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung erheblich verbessern können, in diesem Haushalt um 4 bis 5 Milliarden DM - der Herr Finanzminister hat es eben gesagt -, und für den Etat 1984 wird es wieder so irgendwo bei 4 Milliarden DM liegen, wenn man die Zahlen mit denen vergleicht, die wir in der mittelfristigen Finanzplanung erst vor einigen Monaten angenommen haben. Ich sage das mit einer gewissen inneren Freude. Man merkt es mir auch sicherlich an. Da darf man auch die Frage aufwerfen: Wie wäre es denn weitergegangen, wenn die politische Wende nicht gekommen wäre? ({23}) - Herr Kollege Hoffmann, wir hätten weiterhin mit D-Mark und nicht mit Rubel bezahlt - wenn ich Ihren Zwischenruf richtig verstanden habe -, aber die D-Mark wäre immer weniger wert gewesen. Wir hätten eine rasante Neuverschuldung erlebt. ({24}) Die Zinssätze wären sicherlich wieder auf 12 oder 13 % gestiegen. Und was das für die Konjunktur, für die Wirtschaft bedeutet hätte, kann jeder, der hier sitzt, selber erkennen. Das hätte bedeutet, daß die Arbeitslosigkeit weiter in Richtung auf 3 Millionen, 4 Millionen angestiegen wäre, so, wie es noch vor ein, zwei Jahren prognostiziert worden war. Das stimmt jetzt nicht mehr, weil die richtige Politik gemacht wird und wir schon im Laufe des Jahres 1984 etwas von der hohen Arbeitslosigkeit herunterkommen werden. ({25})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann ({0})?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Hans Joachim Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000937, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Carstens, wenn das so ist, wie Sie es sagen: Warum steht dann in der mittelfristigen Finanzplanung, daß Sie bis 1987 mit einer Zementierung der Massenarbeitslosigkeit auf einem Niveau von über 2 Millionen Menschen rechnen?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst, Herr Kollege Hoffmann: Es ist so, wie ich sage. Das brauchen Sie gar nicht in Zweifel zu ziehen. Wenn Sie nun auf die Zahlen in der mittelfristigen Finanzplanung abheben, kann ich nur vermuten, daß Sie bei den Ausführungen des Bundesfinanzministers nicht im Saal gewesen sind; denn der hat schon deutlich gemacht, daß es erhebliche Unterschiede zwischen dem gibt, was man haushaltspolitisch in der Finanzierung sicherstellt, und dem, was man wirtschaftspolitisch erwartet. ({0}) Herr Kollege Hoffmann, ich glaube, daß damit die Frage abschließend beantwortet worden ist. Meine verehrten Damen und Herren, wir haben es uns bei den Beratungen im Haushaltsausschuß in der Tat nicht leicht gemacht. Nachdem wir unsere Klausurtagung in Berlin abgeschlossen hatten, haben wir die Parole ausgegeben: Es geht nun mit Rasierklinge und Lupe an die Haushaltsansätze. ({1}) Und es war für uns Ehrensache, nicht in sozial brisante Bereiche einzugreifen. Wir haben die einzelnen Ressorts durchforstet. Das hat jeder Minister zu spüren bekommen. ({2}) Wir hatten uns vorgenommen, noch zusätzlich 1 Milliarde DM hereinzuholen. Und dieses Ziel ist überschritten worden. Wir haben mehr gekürzt, wir haben mehr gespart - aber da, wo es vertretbar, ja, ich sage, in der jetzigen Situation notwendig war. Carstens ({3}) Dort haben wir mit Hilfe des Bundesfinanzministers weiter gespart. ({4}) Ja, wir waren sogar in der Lage, noch die erkennbaren zusätzlichen Risiken aufzufangen, mit in den Haushalt einzustellen, so daß ich hier die Vorhersage wage - als Haushaltspolitiker soll man vorsichtig sein mit Vorhersagen -: Genau wie 1983 werden wir mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch 1984 keinen Nachtragshaushalt benötigen, es sei denn, was niemand vorhersehen kann, es käme zu ganz ungewöhnlichen Ereignissen, die einen Nachtragshaushalt erforderlich machten. Bei einem normalen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung, so, wie er prognostiziert wird, wird sich das deutsche Volk für 1984 auf diese Haushaltszahlen einstellen können. Sie werden nicht verändert werden, und wenn, dann im Laufe des Jahres zugunsten der Bundesregierung und nicht zu ihrem Nachteil. ({5}) Wir haben auch noch Möglichkeiten gesehen, einige Zeichen zu setzen. Zum Beispiel haben die Fraktionen durchgesetzt, daß die vorgesehene Schlechtwettergeld-Regelung durch eine andere, wie ich meine, bessere Regelung ersetzt worden ist. Beim Mutterschaftsgeld haben wir eine andere Variante beschlossen. Wir haben aber zum Beispiel auch bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur 20 Millionen DM zur Bekämpfung neuartiger Waldschäden zur Verfügung gestellt. Dafür haben wir das Geld zur Verfügung gestellt, weil wir solche Maßnahmen für nötig halten. Besonders erfreut bin ich darüber, daß wir eine Gelegenheit gefunden haben, das so wichtige Existenzgründungsprogramm noch einmal nicht unerheblich aufzustocken; denn es ist ungeheuer wichtig, daß jetzt vor allen Dingen junge Menschen den Mut haben, sich selbständig zu machen. ({6}) Zum Stahl- und Werftenbereich brauche ich jetzt nichts hinzuzufügen, weil das sicherlich noch im Laufe der Debatte neu aufgegriffen werden wird. Ich will aber noch einen Punkt ansprechen, der mir persönlich sehr zusetzt. Ich hoffe, daß Sie Verständnis dafür haben, wenn ich dieses Thema mit allem gebotenen Ernst anspreche. Wir haben, und zwar einvernehmlich mit der FDP, 25 Millionen DM für eine neue Bundesstiftung „Mutter und Kind" zum Schutz des ungeborenen Lebens eingestellt. Für die Folgejahre ist vorgesehen, sogar 50 Millionen DM bereitzuhalten. Das hierfür erforderliche Gesetz muß Anfang 1984 noch debattiert und beschlossen werden. Wir wollten gerade in dieser so sensiblen Frage einen ersten Schritt tun. Ich freue mich, daß wir ihn einvernehmlich mit der FDP tun konnten. ({7}) Mit diesem ersten Schritt wollten wir deutlich machen, daß wir in der Frage Schutz des ungeborenen Lebens nicht zu neuen Straftatbeständen, nicht zu neuen Androhungen greifen wollen. Vielmehr wollen wir den in Bedrängnis geratenen Frauen, die schwanger sind und sich mit dem Gedanken tragen, abzutreiben, mit Hilfsprogrammen der Bundesregierung beistehen. ({8}) Wir möchten alles tun, damit diese Frauen in die Lage versetzt werden, in Liebe und Zuneigung ihr Kind zur Welt zu bringen und es nicht abzutreiben, es nicht abzutöten. Es ist schlimm, daß es in unserem Land noch so viele Abtreibungen gibt, die mit sozialer Indikation begründet werden. ({9}) Ich habe darum gebeten, dieses Thema mit dem gebotenen Ernst zu behandeln. Ich weiß nicht, ob alle Kollegen wissen, was denn heute, am 8. Dezember, für ein Tag ist. Einige der Kollegen sehen mich fragend an. Heute ist ein hoher Marienfeiertag der Kirche. Ich freue mich, daß gerade an diesem Tag dieses Thema in dieser Weise angesprochen werden kann. Ich bin sicher, daß viele Menschen in Deutschland, die diese Debatte im Radio und im Fernsehen verfolgen, Sorgen und Nöte im Zusammenhang mit dieser Frage, mit dieser Problematik haben. Ich sage als harter Haushälter: Wenn Sie uns unterstützen wollen, auch in den nächsten Jahren weitere Schritte in dieser Frage zu tun, empfehle ich Ihnen aufrichtigen Herzens, in dieser Sache einmal zu beten. Vielleicht überrascht es Sie, daß ein harter Haushaltspolitiker so weich werden kann. ({10}) Aber in dieser Frage ist es mir ehrlich darum zu tun, in dem erwähnten Sinne voranzukommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit gerade bei diesem Thema, meine verehrten Damen und Herren. ({11}) Es ist viel davon die Rede gewesen - man hat nicht unrecht, wenn man das sagt -, daß wir der Bevölkerung einiges an Belastungen zugemutet haben. Das Jahr 1983 ist für viele in unserem Lande durchaus schwierig gewesen. Aber wir haben uns bemüht, möglichst viele in die Sparmaßnahmen einzubeziehen, möglichst viele daran zu beteiligen, weil es dann für die einzelnen leichter ist. Es ist schon gesagt worden, daß z. B. beim Kindergeld die normal verdienenden Familien von den Kürzungen nicht betroffen sind. Vielmehr haben wir Einkommensgrenzen eingeführt. Wir haben z. B. dafür gesorgt, daß die Renten und die Sozialhilfe nicht gekürzt werden, sondern daß nur der Zuwachs gemindert wird. Wir wollten möglichst gerecht und ausgewogen handeln. So wird es auch 1984 weitergehen. Das, was wir in diesen Tagen beschließen, wird ja erst noch auf die Bevölkerung zukommen. Ich bitte deshalb jetzt schon um Verständnis dafür, daß auch diese Runde noch erforderlich gewesen ist. Aber auch jetzt sind Carstens ({12}) wir wieder darum bemüht gewesen, sozial und ausgewogen zu handeln. Das gilt z. B. für die Senkung des Arbeitslosengeldes, von der nur die Ledigen und nicht die Familienväter betroffen sind. Das ist auch wieder ein Akt sozialer Gerechtigkeit und Ausgewogenheit. Diese Maßnahmen sind nun einmal nötig, um unser Land endlich wieder nach vorne zu bringen, heraus aus dem Sumpf von Arbeitslosigkeit, Schulden und Pessimismus. Das wird mit diesen Maßnahmen erreicht. Schon jetzt geht es wieder aufwärts in unserem Land. Es kann mit Recht behauptet werden, daß es schon Bände spricht, was der Sachverständigenrat zum Ausdruck gebracht hat. Aus Pessimismus ist Optimismus geworden. ({13}) Dieser Optimismus wird in unserer Bevölkerung weiter um sich greifen, wenn das, was die Sachverständigen für das Jahr 1984 voraussagen, im Laufe des Jahres 1984 so eintrifft, so daß die Zustimmung zu unseren Konsolidierungsmaßnahmen noch zunehmen wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte jetzt lieber darauf verzichten, weil ich nicht mehr soviel Zeit zur Verfügung habe. Aber ein anderes Ereignis imponiert mir noch mehr als alles, was die Weisen vorhersagen. Die Situation hat mich umgekehrt 1974 genauso geärgert. Bis 1974 waren alle Futurologen, alle Prognostiker, alle Schriftsteller, die meisten Journalisten optimistisch und zuversichtlich bei der Beurteilung der Zukunftsperspektive unseres Landes. Dann gab es den ersten Ölschock, und die Atmosphäre veränderte sich. Das Klima veränderte sich. Das hat fast zehn Jahre angehalten. Das war schlimm für unser Land. Jetzt erleben wir - wir sind mitten drin -, wie sich das Klima wieder verbessert, wie die Leute wieder zuversichtlicher werden, wie es wieder Prognosen gibt, die Zukunft für die nächsten Jahre und das nächste Jahrzehnt verheißen. Dieser Optimismus muß sich in unser Volk hinein weiter verbreiten. Meine Damen und Herren, ich habe bei der letzten Haushaltsberatung hier im Deutschen Bundestag gesagt: Es wäre doch gelacht, wenn es das deutsche Volk bei richtiger Politik nicht schaffte. - Wir schaffen es, meine verehrten Damen und Herren, und zwar um so besser und um so schneller, wenn Sie alle mitmachen. ({0}) Ich möchte meinen Debattenbeitrag mit folgenden Gedanken beenden. Es liegen noch Aufgaben vor uns. Die Konsolidierung ist noch nicht zum Abschluß gekommen. Trotzdem kann die deutsche Bevölkerung davon ausgehen, daß 1985 und 1986 Sparpakete in der Größenordnung von 1983 und 1984 nicht erforderlich sein werden. Wir werden aber weiter sparsam mit dem Geld des Steuerzahlers umgehen. Wir werden die Konsolidierung nicht aus dem Auge verlieren. Die Zahlen, die der Finanzminister bei der mittelfristigen Finanzplanung bezüglich der Ausgabensteigerung angesetzt hat, werden eingehalten. Sie können also mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß die für 1987 vorgesehene Höhe der Nettoneuverschuldung nicht überschritten, sondern, wenn schon eine Veränderung eintritt, unterschritten wird. Das ist unser Ziel, dazu stehen wir, damit sich die Zuversicht und das Vertrauen, die sich eingestellt haben, weiter aufrechterhalten werden. ({1}) Dies ist die Voraussetzung dafür, daß es in unserem Lande mit der wirtschaftlichen Belebung weiter aufwärts gehen kann. ({2}) Ich gehe davon aus, daß in einem vorsichtigen Umfang auch gewisse Bewilligungen für das Jahr 1985 erfolgen können. Ich denke zum Beispiel an den Wehrsold. Ich bin auch sicher, daß wir den Beamten nicht noch einmal für das Jahr 1985 eine Nullrunde zumuten müssen. Es können also alle Bevölkerungskreise davon ausgehen und damit rechnen, daß sie an der wirtschaftlichen Entwicklung, die in den nächsten Jahren besser werden wird, angemessen beteiligt werden. Unser Ziel ist es doch nicht, das Wohlergehen der Bevölkerung an der Höhe des Sozialetats zu messen. Er weist doch bestenfalls aus, wieviel Bedürftige wir haben oder wieviel wir von Staats wegen für bedürftig halten. ({3}) Wenn wir die Zahl der Arbeitslosen abbauen und die für derartige Ausgaben erforderlichen Summen herabsetzen können, sinkt der Sozialetat. Wir sollten doch froh sein, wenn der Sozialetat nicht steigt, sondern nach und nach abgesenkt werden kann. ({4}) Wir möchten, daß die Unternehmer zu tun haben, daß sie Geld verdienen und davon Steuern in die Staatskasse zahlen müssen, daß sie nicht Subventionen zur Existenzerhaltung verlangen, sondern daß sie Gewinne erzielen und Steuern zahlen, woraus wir die Staatsaufgaben finanzieren können. ({5}) Wir möchten, daß die Arbeitnehmer in Arbeit kommen, daß sie gutes Geld verdienen, möglichst wenig Steuern und Abgaben bezahlen, um aus ihrem eigenen Leistungsvermögen ihre Familien zu ernähren. Das hat auch etwas mit dem aufrechten Gang unserer Menschen zu tun. ({6}) Ich möchte allen, die jetzt vielleicht noch etwas kritisch eingestellt sind, die noch nicht so recht wis3128 Carstens ({7}) sen, ob unsere Politik wohl richtig ist, sagen: Stehen Sie zu dieser Politik, meine Damen und Herren in deutschen Landen! Schon bald werden Sie erkennen, schon in Kürze, daß Sie auf der richtigen Seite der Politik gestanden haben, und Sie können dann stolz darauf sein, in einer schwierigen Situation der Union beigestanden zu haben. Wir wollen noch bürokratische Hemmnisse abbauen, ({8}) unnötige Vorschriften, beim Subventionsabbau weitermachen, bei der Privatisierung. Im Bereich der EG, Herr Finanzminister, haben Sie unsere Unterstützung; darauf können Sie sich verlassen, ebenso bei der Bundesbahn. Ich möchte noch einmal das Wort unseres Fraktionsvorsitzenden aufgreifen, der gestern sagte, wir sollten alle Minister anregen, in ihren Etats nachzuforschen, wo bürokratische Hemmnisse, unnötige Vorschriften abgebaut werden könnten. ({9}) Ich schlage vor - vielleicht kommen wir in der Haushaltsgruppe noch einmal darauf zurück -, daß wir dem Minister, der die meisten Vorlagen auf diesem Gebiet gemacht hat, den ersten Preis der Haushaltsgruppen überreichen. Aber das wollen wir uns im Laufe des Jahres noch einmal überlegen. Meine Damen und Herren, alle unsere Maßnahmen sind darauf abgestellt, Erfolg zu bringen für die wirtschaftliche Belebung. Bürokratische und ideologische Hemmnisse, die unsere Volkswirtschaft behindern, müssen abgebaut werden. Wir brauchen vor allem neuen unternehmerischen Schwung, Mut und Elan. Wir sollten alles tun, um eine anhaltende Existenzgründungswelle zu bewirken mit Spitzenleistungen bei Forschung und Innovation und auf dem Gebiet der Zukunftstechnologien. In diesem Sinne - darauf können sich alle hier im Hause und außerhalb einstellen - werden wir auch im nächsten Jahr weiterhin tätig sein. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Bundesfinanzminister hat sich soeben in seiner Haushaltsrede in der Pose des erfolgreichen Arztes bei einer Unfallstation dargestellt. Herr Stoltenberg, wenn Sie die angeblichen sozialpolitischen Segnungen Ihrer Haushaltskonsolidierung darstellen, fällt mir dazu ein, was hier in der Aktuellen Stunde zu Grenada gesagt worden ist: Ihre Haushaltskonsolidierung gleicht dem brüderlichen Überfall auf Grenada. Sie ist vergleichbar einem brüderlichen Überfall auf diejenigen, die unter Ihrer Sozial- und Konsolidierungspolitik zu leiden haben. ({0}) Herr Stoltenberg, ich war etwas enttäuscht sowohl über das politische wie auch das intellektuelle Niveau Ihrer Rede, ({1}) weil ich mich darauf eingestellt hatte, daß Sie an Ihre Haushaltsrede in der ersten Lesung anknüpfen, in der Sie ja den Anspruch erhoben haben, daß Ihre Konsolidierungspolitik die Voraussetzungen schafft für einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung und für eine nachhaltige Investitionsbelebung, um damit Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Entwicklung der Wirtschaft, die Entwicklung des Arbeitsmarktes und auch - das füge ich hinzu - die Entwicklung der Umweltsituation werden damit zum Maßstab der Beurteilung Ihrer Haushaltspolitik. ({2}) Die konjunkturelle Entwicklung im Jahre 1983 und die Prognosen für 1984 sind nun keineswegs der vielbeschworene Aufschwung, sondern gleichen eher einem kurzlebigen Strohfeuer. ({3}) Die strukturellen Probleme unserer Wirtschaft, unserer Wirtschaftsweise und unserer Umweltsituation werden durch Ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik nicht etwa angefaßt und einer Lösung zugeführt, sondern das Gegenteil ist der Fall: Diese strukturellen Probleme verschärfen sich gerade infolge Ihrer Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Ich möchte das im einzelnen nachweisen. ({4}) Zunächst zur Kritik am Aufschwungmythos: Tatsächlich haben wir es im Jahre 1983 - das ist nicht zu bestreiten - mit einem sich beschleunigenden Wirtschaftswachstum zu tun, das im Jahresdurchschnitt ca. 1 % beträgt, ({5}) dem allerdings, Herr Kollege - das müssen Sie berücksichtigen -, eine Steigerung der Arbeitslosigkeit im Jahre 1983 um ca. 460 000 Arbeitslose gegenübersteht. In der registrierten Arbeitslosenzahl taucht die stille Reserve gar nicht auf, die sich nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der Größenordnung zwischen 800 000 und 1 Million bewegt und insbesondere Frauen, Jugendliche und Ausländer umfaßt. Dies taucht nicht auf, und wenn wir diese stille Reserve zu den Arbeitslosenzahlen hinzuzählen, kommen wir auf eine Arbeitslosenzahl von über 3 Millionen. ({6}) Die Prognosen Ihrer Regierung und auch des Sachverständigenrates für das Jahr 1984 sind im bürgerlichen Lager selbst - ich beziehe mich auf die vorletzte Ausgabe der „Wirtschaftswoche" - eiStratmann ner grundlegenden Kritik unterzogen worden und eher als Ausdruck von politischen Vorgaben und von politischer Psychologie als als seriöse wirtschaftswissenschaftliche Prognosen dargestellt worden. Die „Wirtschaftswoche" selbst gibt an und analysiert, daß die positiven Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung für das Jahr 1983 Sonderentwicklungen zu verdanken sind. Erste Sonderentwicklung: Die Investitionszulage von 1982 bis 1983 läuft Ende des Jahres aus. Bei den Investitionen hat es viele Vorzieheffekte gegeben. Dieser Sondereffekt fällt für 1984 fort. ({7}) Zweitens. Das Wirtschaftswachstum ist entgegen Ihrer angebotsorientierten Politik, so zumindest Ihre verbalen Äußerungen, ganz wesentlich auf eine Steigerung der Nachfrage zurückzuführen, und diese Konsumnachfrage hängt damit zusammen, daß es infolge der Ausschüttung nach dem Vermögensbildungsgesetz eine Zunahme des Verbrauchs gegeben hat, die sich im Jahre 1984 ebenfalls nicht wiederholen wird. ({8}) Drittens. Die Nachfragesteigerung im privaten Wohnungsbau ist ebenfalls zeitlich begrenzt. Ein Viertel der Aufträge im Hochbau kommt von den Gemeinden, den Kommunen, und diese werden im nächsten Jahr ebenfalls im Rahmen ihrer Konsolidierungspolitik - das ist auch eine Folge der Bundesfinanzpolitik, der Verteilung der Lasten von oben nach unten - ihre Ausgaben streichen müssen, und dies wird negativ auf den privaten Wohnungsbau zurückschlagen. ({9}) Viertens. Daß wir es bei dem Wirtschaftsaufschwung nur mit einem kurzfristigen Strohfeuer und keineswegs mit einer anhaltenden Wirtschaftsbelebung zu tun haben, sieht man, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Aufschwung von 1976 bis 1979 vergleicht. ({10}) Wir haben in diesen Jahren durchschnittlich sehr hohe Wachstumsraten um 4 % gehabt. Diese mehrjährigen Wachstumsraten haben aber nicht verhindern können, daß der Sockel der Massenarbeitslosigkeit nicht wesentlich unter 1 Million Arbeitslose gedrückt werden konnte. Er ist zurückgegangen, aber er konnte nicht wesentlich unter 900 000 Arbeitslose gedrückt werden. Genauso werden wir es jetzt erleben. Selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum im Jahre 1984 steigern sollte - ich bezweifle nicht, daß eine Steigerung um 2 oder 21/2 % möglich ist -, dann wird sich dadurch an dem Sokkel von 2 bis 21/2 Millionen Arbeitslosen nichts ändern. Das hängt damit zusammen, daß der Großteil der Investitionen - nämlich 53% - nach der IfoBefragung Rationalisierungsinvestitionen sein werden, um die Produktivität weiter zu steigern. ({11}) Ich bedaure, daß Herr Lambsdorff nicht da ist. Herr Lambsdorff hat in der ersten Lesung des Haushalts gesagt, daß der Denkansatz falsch sei, Produktivitätszuwachs führe zu Rationalisierung und Arbeitsplatzvernichtung. Herr Lambsdorff sagte - das war ein neuer Ton in seiner Argumentation -, dieser Denkansatz müsse dann nicht falsch sein, wenn Produktivitätszuwachs in Form von Arbeitszeitverkürzung weitergegeben werde. Gucken wir uns die Pläne der Bundesregierung zur Arbeitszeitverkürzung mit der Reduzierung der Arbeitszeitverkürzung auf die Vorruhestandsregelung an, so müssen wir sagen: Die Beiträge der Bundesregierung zur Arbeitszeitverkürzung sind denkbar gering; sie blockt im wesentlichen ab. Sie blockt insbesondere die Bemühungen der Einzelgewerkschaften zur 35-Stunden-Woche ab. ({12}) Unsere Position ist: Die Produktivitätsgewinne müssen in Form von Arbeitszeitverkürzung, im kommenden Frühjahr insbesondere in Form der 35Stunden-Woche, weitergegeben werden, damit es nicht zu einer weiteren Erhöhung der Arbeitslosigkeit kommt. ({13}) Ich werde im weiteren Verlauf meiner Rede darauf eingehen, welche flankierenden Maßnahmen notwendig sind, damit die Arbeitszeitverkürzung, insbesondere die 35-Stunden-Woche, tatsächlich zu dem gewünschten Arbeitsplatzeffekt führt. Ich fasse diesen Teil zusammen. Selbst wenn wir es mit einer Belebung der Wirtschaft und der Investitionstätigkeit zu tun haben, werden wir keine nachhaltige Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt erleben. ({14}) Beispiel: 1976 bis 1979. Das Aufschwunggerede ist nichts anderes als ein Aufschwungmythos. ({15}) Wenn das so ist, dann fragt man sich: Wie sind die theoretischen Grundlagen der Bundesregierung, des Sachverständigenrats zu beurteilen, die konzeptionell hinter der Haushaltspolitik und hinter der Wirtschaftspolitik stehen? Herr Stoltenberg, hier beziehe ich mich auf Ihre Haushaltsrede in der ersten Lesung, in der Sie einen ganz anderen Anspruch formuliert haben, als Sie heute eingelöst haben. Sie haben damals mit mehreren grundsätzlichen Überlegungen formuliert, daß die Haushaltskonsolidierung notwendig sei, um den Unternehmen, den privaten Investoren zusätzliche Spielräume für Investitionen zu eröffnen, damit Wachstum zu ermöglichen und damit neue Arbeitsplätze zu ermöglichen. Ich möchte mich im einzelnen auf Ihre Argumentation einlassen, weil ich meine, daß gezeigt werden kann, daß sich Ihre eigene Politik schon von der Konzeption Ihrer Investitionstheorie her in Wider3130 Sprüchen verfängt und damit in sich zusammenbricht und zusammenbrechen muß. ({16}) Sie behaupten erstens: Schuld an der Investitionsschwäche in der Bundesrepublik sei eine zu hohe Steuerquote. Fakt ist, daß in der Bundesrepublik die unternehmensspezifische Steuerbelastung - sowohl für sich selbst betrachtet als auch im internationalen Vergleich - in den letzten Jahren nicht gestiegen ist, sondern im Gegenteil eher gefallen ist. ({17}) Zweitens. Sie behaupten, die Lohnkostenbelastung, insbesondere die Lohnnebenkostenbelastung der Unternehmen sei in der langfristigen Entwicklung zu hoch und beeinträchtige damit die Investitionsmöglichkeiten der privaten Unternehmen. Ich beziehe mich auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1982/1983, also auf eine für Sie höchst unverdächtige Quelle. Der Sachverständigenrat kommt in diesem Gutachten, in dem er sich Gedanken zu der Reallohnentwicklung und zu der Verteilungsentwicklung in der Bundesrepublik macht und diese Gedanken statistisch absichert, genau zu der gegenteiligen Einschätzung. ({18}) - Sie argumentieren doch immer mit langfristigen Entwicklungen. Dann können Sie nicht sagen: Ein Jahr später ist das alles schon überholt. Oder Sie machen sich selbst lächerlich. ({19}) Der Sachverständigenrat kommt im langfristigen Vergleich der letzten 20 Jahre zu dem Ergebnis, daß alle Faktoren zusammengerechnet, die die Lohnkostenbelastung der Unternehmen betreffen - Bruttolöhne und Bruttogehälter, Lohnnebenkostenwirkungen, verrechnet damit die Produktivitätseffekte, das Verhältnis von Ausfuhr- zu Einfuhrpreisen, Kapitalkosteneffekte -, ergeben, daß sich die Lohnkostenbelastung in den letzten 20 Jahren nicht verändert hat, daß die Verteilung der Einkommen zwischen abhängig Beschäftigten einerseits und Unternehmen andererseits im wesentlichen gleichgeblieben ist, vorübergehend mit einem Ausschlagen zu der einen bzw. zugunsten der anderen Seite. Auch diese These von Ihnen entbehrt also jeder empirischen Grundlage. Quelle: Sachverständigengutachten 1982/1983. ({20}) Das hauptstrategische Argument von Ihnen ist, die Eigenkapitalquote in der Bundesrepublik sei zu gering, ebenfalls wieder im langfristigen Trend. Eben war noch Herr Molitor da. ({21}) Herr Molitor hat eine der letzten Sitzungen des Wirtschaftsausschusses miterlebt und dort feststellen können, daß die Verunsicherung über diese Investitionsideologie, über diese Ideologie von der sinkenden Eigenkapitalquote als Ursache der Investitionsschwäche bis in Ihre eigenen Reihen hinein Platz gegriffen hat. Fragen Sie Herrn Lammert, fragen Sie Herrn Molitor, ({22}) und lesen Sie den einschlägigen Artikel in der „Wirtschaftswoche" - Sie kennen ihn sicherlich - vom Mai 1983 nach. Dort wird nachgewiesen - ({23}) - Ich denke doch, daß die „Wirtschaftswoche" gerade für Sie ein Blatt mit sehr bedenkenswertem Inhalt sein muß. Für mich ist es das jedenfalls. Dort ist nachzulesen, daß die Eigenkapitalquote in der Bundesrepublik gerade dann am stärksten gesunken ist, und zwar in den Jahren 1967 bis 1970, als sowohl die Unternehmenserträge als auch die Investitionen überdurchschnittlich angestiegen sind. Das ist ein empirischer Beleg, der Ihrer These von der sinkenden Eigenkapitalquote geradewegs ins Gesicht schlägt. ({24}) Ein zweiter empirischer Beleg: In der Zeit von 1977 bis 1979, ebenfalls charakterisiert durch Wirtschaftsaufschwung, durch eine relative Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt trotz eines hohen Sokkels an Arbeitslosigkeit, ist die Eigenkapitalquote gesunken, trotz steigender Unternehmenserträge und trotz steigender Investitionen. Wir können also sehen, die empirischen Belege für Ihre Ideologie der sinkenden Eigenkapitalquote sind nicht gegeben. Quelle: „Wirtschaftswoche".

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Stratmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter von Wartenberg.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stratmann, unter Bezug auf die von Ihnen zitierten Artikel in der „Wirtschaftswoche" frage ich Sie: Stimmen Sie dann auch den Analysen zu, daß das Eigenkapital in den deutschen Unternehmen stärker besteuert wird als das Fremdkapital?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werde auf das Fremdkapital gleich noch im Zusammenhang mit der vom Herrn Bundesfinanzminister behaupteten Verschränkung von Staatsverschuldung und Zinshöhen eingehen. ({0}) - Hören Sie doch einmal zu, Herr Kollege Hinsken. Ein vierter Zusammenhang, der für die Haushaltskonsolidierung ganz entscheidend ist: Herr Stoltenberg hat in der ersten Lesung behauptet, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen hoher Staatsverschuldung und der Zinshöhe und damit der übermäßigen Belastung der Unternehmensinvestitionen. ({1}) Dieser Zusammenhang ist empirisch falsch. Ich argumentiere nur mit empirischen Belegen, und die sind für Sie genauso zugänglich wie für mich. Wie erklären Sie sich, wenn das so sein sollte, daß im Jahre 1982 in der Bundesrepublik bei stark steigendem Haushaltsdefizit die Zinsen gesunken sind? Wie erklären Sie sich, daß im Jahre 1983 bei sinkendem Staatsdefizit - ein Ergebnis Ihrer Haushaltskonsolidierung - die Zinsen nicht gesunken, sondern konstant geblieben sind? ({2}) Wie erklären Sie sich, daß wir in den USA die gleiche Entwicklung zu verzeichnen haben, daß dort im Jahre 1982 bei einer rapiden Zunahme des Budgetdefizits die Zinsen gesunken sind und daß im Jahre 1983 bei einer weiteren Verschärfung des Budgetdefizits die Zinsen konstant geblieben sind? Es ist überall das gleiche Bild: Die empirischen Belege für Ihre Investitionsideologie - von Theorie kann man gar nicht mehr sprechen - sind falsch. Belege: bürgerliche wirtschaftswissenschaftliche Institute und wirtschaftswissenschaftliche Zeitschriften. ({3}) Es bleibt das Fazit zu ziehen: Wie ist es zu erklären, daß die Bundesregierung erstens konzeptionell eine rein ideologische Position - in sich widersprüchlich - vertritt und zweitens einem Aufschwungmythos huldigt, der zwar für die Jahre 1983 und 1984 unbestritten positive Indikatoren aufzeigen kann, der aber keineswegs zu einer nachhaltigen Verbesserung in der Wirtschaft und keineswegs zu einer nachhaltigen Verbesserung bei der Arbeitslosigkeit führen kann? Unsere Einschätzung ist diese: Hinter dieser Politik und hinter diesen Konzeptionen steht ein kapitalorientiertes Gesellschaftsmodell. ({4}) Alle Einzelpolitiken - Originalton Lambsdorff, Haushaltsdebatte erste Lesung - sollen dem Investitionsinteresse des Kapitals untergeordnet werden. Die Bundesregierung erweist sich damit als geschäftsführender Ausschuß des Kapitals. ({5}) ARBED-Saarstahl wurde deutlich, was das praktisch auch für die betroffenen Kollegen heißt. ({6}) Herr Lambsdorff weiß ein Lied davon zu singen - und nicht nur er: auf der einen Seite Offenhandpolitik gegenüber dem Kapital, ({7}) auf der anderen Seite Brachialpolitik gegenüber den betroffenen Kollegen. Die marktwirtschaftlichen Grundsätze der Tarifautonomie wurden bei ARBED-Saarstahl ausgehebelt, die Gewerkschaft wurde erpreßt, auf Kosten der 50jährigen und älteren Kollegen wurden Massenentlassungen durchgesetzt, und dies alles unter dem Firmenschild „Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft". ({8}) Herr Lambsdorff und Herr Stoltenberg, diese kapitalfixierte Haushalts- und Wirtschaftspolitik lehnen wir GRÜNEN ab, dieses kapitalfixierte Gesellschaftsmodell lehnen wir ab, und sowieso lehnen wir diese sozialdarwinistische, diese asoziale Marktwirtschaft ab. ({9}) Unsere Alternative heißt - ({10}) - Ach, hören Sie doch einmal zu! Bevor Sie überhaupt nur einen Deut von Stamokap verstanden haben, sollten Sie mir einen solchen Unsinn nicht vorwerfen. ({11}) Unsere Wirtschafts- und Haushaltspolitik orientiert sich an folgenden Leitgrößen - in der Folge will ich mich insbesondere mit der SPD auseinandersetzen -: ökologisches Gleichgewicht, sinnvolle Arbeit für alle und soziale Sicherheit. ({12}) Wir wollen dies auf drei Wegen erreichen: Erstens. Was wir brauchen, ist eine wachstumsunabhängige Wirtschaftspolitik. Zweitens bedarf es einer Umkehrung der Exportorientierung der Wirtschaft zu einer stärkeren binnenwirtschaftlichen Orientierung. ({13}) Drittens. Eine Politik für eine ökologische und soziale Produktion ist der beste Ansatzpunkt zur Haushaltskonsolidierung. ({14}) Ich werde alle diese drei Punkte im folgenden erläutern. ({15}) Zur wachstumsunabhängigen Politik: Wir haben es, wie in früheren Beiträgen ausgeführt worden ist und wie ich eben auch in meiner Kritik am Aufschwungmythos deutlich zu machen versucht habe, mit einer Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung zu tun. Über Wachstumspolitik bekommen wir die Probleme der Arbeitslosigkeit nicht in den Griff. Aus Kreisen der SPD hört man jetzt zunehmend - Herr Vogel hat es gestern wieder vorexerziert -: Was wir brauchen, ist qualitatives Wachstum. - Ich bedaure, daß Herr Vogel nicht da ist, möchte aber trotzdem einige Worte an ihn richten. Herr Vogel hat sich wachstumskritisch geäußert und hat gesagt, wir brauchten qualitatives Wachstum. Er hat sich dazu in positiver Bezugnahme auf Herrn Biedenkopf ein sehr schönes Beispiel einfallen lassen, das ich noch einmal zitieren möchte. Er hat ausgeführt: Wir müssen unsere Volkswirtschaft mit einem Wald vergleichen, der sich bei gegebener Grundfläche und bei gegebener Höhe umfangmäßig nicht ausdehnt, aber dennoch wächst. - Unbezweifelbar! Das ist ein sehr gutes Beispiel von Herrn Biedenkopf; es könnte fast von uns GRÜNEN stammen. ({16}) Die wirtschaftspolitische Konsequenz daraus muß aber doch heißen: Wenn der Wald bei einem waldbaulichen Optimum, also gegebener Dichte, gegebener Höhe und gegebenem Umfang, trotzdem wächst, wächst nicht sein Umfang, wächst also, bezogen auf die Wirtschaft, nicht das Bruttosozialprodukt. ({17}) Hier liegt die Falle für die SPD. Die SPD versucht, sich mit ökologischen Tönen zu schmücken, indem sie mit verbalen Äußerungen vom quantitativen Wachstum wegkommt ({18}) und sich am qualitativen Wachstum orientiert. Sie meint aber nichts anderes als quantitatives Wachstum, Wachstum des Bruttosozialprodukts, mit ein paar ökologischen Einfärbungen. ({19}) Das will ich Ihnen belegen. Herr Vogel hat als positives Beispiel für diese „qualitative Wachstumspolitik" Hessen - Landesregierung Börner - genannt. ({20}) Ich habe das Vergnügen gehabt, vor ca. vier Wochen mit dem hessischen Umweltminister Schneider zu sprechen, der mit dem hessischen Programm „Arbeit und Umwelt" durch die Gegend läuft und wer weiß wie ökologische Töne spuckt. Schneider hat sich auf dem Umweltforum '83 im nordrhein-westfälischen Landtag an die eigene Brust geklopft und hat gesagt: Wir Politiker haben in den letzten zehn Jahren den Fehler gemacht, jährlich soundso viele Hektar zuzubetonieren und damit zig Arten von Tieren und Pflanzen dem Aussterben preiszugeben. - Ich war tief gerührt und beeindruckt und habe ihn dann gefragt: Herr Schneider, wie verträgt es sich denn mit dieser Ihrer Selbstkritik, daß Sie zur gleichen Zeit, zu der Sie das ökologische Programm „Arbeit und Umwelt" herausgeben, gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung unter Zuhilfenahme von massiven Polizeieinsätzen mit der Startbahn West die Landschaft zubetonieren? ({21}) Darauf die bezeichnende Antwort von Herrn Schneider: Herr Stratmann, sagte er, im Gegensatz zu den GRÜNEN sind wir eben für Wachstum. Hier zeigt sich eindeutig, welche Qualität dieses qualitative Wachstum der SPD hat. ({22}) Diese Formel bei der SPD gleicht der alten Dame, die ihr Altern mit Lifting, Öko-Schminke und Minirock zu kaschieren versucht. ({23}) Ein weiteres Beispiel: aktuelle Auseinandersetzungen in der hessischen Landesregierung. Da läuft doch der Börner herum und nimmt zum erstenmal das Wort „Kohlekraftwerke mit Wirbelschichtfeuerung" in den Mund - ich bin tief gerührt ({24}) und spricht von dezentraler Energieversorgung. Da ist eine Einigung mit den GRÜNEN natürlich leicht möglich, auch in Hessen. Auf der einen Seite sagt Börner, wir brauchten dezentrale Energieversorgung, ({25}) auf der anderen Seite aber sagt er, wir brauchten Biblis A und B - energiemonströse Unternehmungen. ({26}) Zur Begründung für diese Energiemonstren fällt ihm nichts anderes ein als die SPD-Parteiprogramme von 1977 bis 1981. Hier zeigt sich die vollkommene ökologische Konzeptionslosigkeit und Widersprüchlichkeit der SPD. ({27}) Ich möchte dies gern noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen. - Ich habe noch eine Minute; kann ich noch zwei Minuten bekommen, damit ich das tun kann? ({28}) Die SPD in Nordrhein-Westfalen hat sich auf ihre Fahnen geschrieben, das Waldsterben und das Zechensterben gleichzeitig zu bekämpfen. ({29}) Das, was die SPD in Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht in den Griff kriegt, auch überhaupt nicht angehen und verstehen will, dies gilt für Herrn Wolfram und den SPD-Abgeordneten Adolf Schmidt, den Vorsitzenden der IG Bergbau und Atomenergie -, ist, daß der Ausbau der Atomenergie und der weitere Betrieb der bestehenden Atomkraftwerke der zukünftige Tod der Zechen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Saarland sind, ({30}) spätestens 1995, wenn der Jahrhundertvertrag ausläuft. ({31}) Der forcierte Ausbau der Atomenergie hindert die EVUs daran, die sofort notwendige Entschwefelung bei Kohlekraftwerken vorzunehmen. ({32}) Dieser innere Widerspruch kennzeichnet die nordrhein-westfälische SPD, kennzeichnet die SPD-Abgeordneten im Wirtschaftsausschuß, ihre absolut widersprüchliche Position, ({33}) 3) und zwar sowohl hinsichtlich der Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau, Herr Wolfram, auch wenn Sie lachen, als auch hinsichtlich der Umstellung auf eine dezentrale Energieversorgung. Ich bin mir dessen bewußt, daß der Streit innerhalb der SPD-Reihen begonnen hat, daß Herr Duve einen Vorstoß in Ihren eigenen Reihen vorgenommen hat; ich begrüße das. ({34}) Ich hoffe, daß der Umschwung bei der nordrhein-westfälischen SPD spätestens bis 1985, zur Landtagswahl, so weit gediehen ist, Herr Wolfram, daß auch wir dann einmal in ein wirklich ökologisches Gespräch eintreten können. Danke schön. ({35})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten befürwortet weiterhin die konsequente Haushaltspolitik des Bundesfinanzministers Stoltenberg, dem wir - ich sage dies insbesondere für die Haushaltsabgeordneten unserer Fraktion - für seine Standhaftigkeit bei den jetzt abgeschlossenen Beratungen im Haushaltsausschuß dankbar sind. ({0}) Ich will hier für meine Fraktion ebenfalls festhalten, daß sich - allen Unkenrufen zum Trotz - die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nach dem Regierungswechsel auf der neuen finanzpolitischen Grundlage entscheidend verbessert hat. Der wirtschaftliche Aufschwung auf breiter Front stellt unserem liberalen Wirtschaftsminister, Otto Graf Lambsdorff, ein mehr als gutes Zeugnis aus. ({1}) Meine Damen und Herren, wer sich den Jahresbericht der Bundesschuldenverwaltung von 1982 ansieht und sich die Grafik über die Entwicklung der Finanzschulden des Bundes verdeutlicht, der stellt noch nachträglich mit Erschrecken fest, welchen Weg die Haushaltsführung der früheren Bundesregierungen - spätestens vom Jahre 1974 an - genommen hatte. Von der Öffentlichkeit zunächst weitgehend unbemerkt, wurde Jahr für Jahr - mit steigender Tendenz - wesentlich mehr Geld ausgegeben, als auf der Einnahmeseite zu verzeichnen war. ({2}) Eine stolze Gesamtverschuldung des Bundes von über 310 Milliarden DM Ende 1982 ist das traurige Ergebnis dieser Politik. Aber wer erinnert sich schon noch an die Euphorie derer, die Anfang der 70er Jahre glaubten, durch globale staatliche Steuerung die Wirtschaftsentwicklung berechenbar machen zu können? ({3}) Ökonomie schien beherrschbar geworden zu sein, die Politik ihr nicht länger unterworfen. Und dies war falsch. ({4}) Tatsache ist - hierzu benötigt man nur den Sachverstand des nüchtern rechnenden Kaufmanns -, daß niemand auf Dauer mehr Geld ausgeben kann, als er einnimmt, ohne hierdurch seine Ersparnisse aufzubrauchen. ({5}) Wenn der Staat keine Ersparnisse hat - was ja der Fall ist -, dann braucht er durch inflationäre Tendenzen die Ersparnisse seiner Bürger auf, besonders die Ersparnisse des vielzitierten kleinen Mannes, der sich einer solchen Entwicklung am allerwenigsten entziehen kann. ({6}) So muß ein liberaler Politiker am heutigen Tag mit Stolz feststellen, daß der Kraftakt der politischen Wende, der unter Aspekten der Haushaltsund Wirtschaftspolitik notwendig wurde, ({7}) Dr. Weng erfolgreich war. ({8}) Im Jahr 1983 wie im Jahr 1984 ist durch solide Politik der Mehrheit des Haushaltsausschusses mit unserer Unterstützung jeweils eine Minderverschuldung von ca. vier Milliarden DM erreicht worden, was allein eine Einsparung von über 700 Millionen DM jährlich beim Zinsdienst ausmachen wird. Erstmals sind die Haushalte in geringerem Umfang als die Einnahmen gewachsen, was konsequente Konsolidierung bedeutet. Es gibt bei mittelfristiger Finanzplanung ja zwei Möglichkeiten. Wir haben uns für die zweite entschieden. Man kann sagen: Im nächsten Jahr brauchen wir eine höhere, im übernächsten Jahr brauchen wir dann eine noch höhere Verschuldung; aber dann werden wir radikal an den Schuldenabbau gehen. Man kann aber auch - und dies haben wir getan - sagen: Wir fangen sofort an, Zug um Zug jedes Jahr diese Verschuldung zu senken. Dies ist solide Haushaltspolitik. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß der heute in zweiter Lesung zu verabschiedende Haushalt 1984 nur ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist. Wir sind natürlich stolz darauf, daß die unabhängigen wirtschaftswissenschaftlichen Institute ebenso wie die Deutsche Bundesbank - und dies betone ich ganz besonders - den Kurs für richtig halten und seine konsequente Fortführung empfehlen. ({9}) Der Tarifabschluß des öffentlichen Dienstes von 1974 war mit 11 % ein erster, aber entscheidender Schritt in die falsche Richtung. ({10}) Wer sich das Gesamtvolumen des Haushalts und die großen Ausgabenblöcke verdeutlicht, der muß einsehen, daß der Personalkostenbereich einen bestimmten Umfang nicht übersteigen darf. ({11}) Das bedeutet natürlich auch, daß die öffentliche Hand nicht grenzen- und schrankenlos Aufgaben an sich ziehen darf, für die sie nicht aus hoheitlichen Gründen zuständig ist. ({12}) Denn - und darin geben mir hoffentlich auch die Kollegen von der SPD recht - im Normalfall arbeitet die private Wirtschaft effizienter als der öffentliche Dienst. Wir werden deshalb in unserer Forderung nach Privatisierung sowohl staatlicher Kapitalanteile in der Wirtschaft als auch privatisierbarer Dienstleistungen nicht nachlassen. Ich danke dem Finanzminister für den mit der Veräußerung von VEBA-Anteilen gemachten ersten Schritt. Wer hier von Verschleuderung von Bundesvermögen spricht, soll einmal sagen, wo er mehr Geld für diese Anteile hätte erzielen können, als der Bundesfinanzminister erreicht hat. ({13}) Ich verbinde diesen Dank allerdings mit der Aufforderung, dem Parlament im nächsten Frühjahr ein geschlossenes Konzept weiterer Privatisierungsvorhaben vorzulegen. ({14}) Konsequentes Fortfahren in der Sparsamkeit darf allerdings keinen Verzicht auf Politik bedeuten. Das ist auch der Grund dafür, warum wir Freien Demokraten überzeugt sind, daß die Reform des Einkommensteuertarifs zur Abflachung der Progressionszone, die wir wünschen, ebenso möglich sein wird wie die gestern vom Kanzler angekündigte Reform hin zu kinderfreundlicheren Tarifen. Die mittelfristige Finanzplanung, die bis 1987 eine Obergrenze der Nettoneuverschuldung von zirka 22 Milliarden DM beinhaltet, bleibt für uns allerdings verbindlich. ({15}) Aber aus der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einerseits und aus weiterem konsequentem Subventionsabbau andererseits werden die Mittel für diese Reform zum gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Zum Stichwort Subventionsabbau: Unser Wirtschaftsminister hat sich bestmöglich bemüht, die Subventionen in Grenzen zu halten. Ich appelliere ausdrücklich an Sie, Graf Lambsdorff, in diesem Bemühen nicht nachzulassen. ({16}) Kein Mensch kann Ihnen zum Vorwurf machen, daß sich Probleme aus dem EG-Bereich, bei denen wir keine direkten Einflußmöglichkeiten haben - ich meine hier insbesondere die Bereiche Kohle und Stahl -, bei uns so schwerwiegend auswirken. Deshalb war der Haushaltsausschuß hier auch zur Unterstützung Ihrer - richtigerweise allerdings restriktiven - Subventionspolitik bereit. Herr Kollege Wieczorek hat hier von Skandalen gesprochen. Der eigentliche Skandal, Herr Kollege Wieczorek, ist der, daß Sie dem Bürger nicht klargemacht haben, daß in dem von Ihnen genannten Bereich die höchsten Subventionen überhaupt aus diesem Haushalt gezahlt wurden, und zwar aus den Gründen, die Sie selber ja angeführt haben. ({17}) Meine Damen und Herren, eine völlig andere Situation sehe ich aber z. B. im Bereich der Werften. Während es einer größeren Zahl kleiner und mittlerer Werften, die sich frühzeitig spezialisiert und am Markt orientiert haben, ordentlich bis teilweise sogar sehr gut geht, haben in mitbestimmten Großwerften Kapitaleigner und Arbeitnehmervertreter in gemeinsamer Verantwortung die Entwicklung auf den Weltmärkten zu spät erkannt und fordern nun, unterstützt von der SPD, Hilfe aus Steuermitteln. Meine Damen und Herren, natürlich muß der Staat bei seinem Handeln und seinen Fördermaßnahmen auch regionale Gesichtspunkte berücksichDr. Weng tigen. Natürlich kann man Strukturhilfen als Überbrückungsmaßnahmen für bestimmte Industrien gewähren, bei denen berechtigte Hoffnung auf Gesundung besteht und bestehen muß. Dies darf aber in keinem Fall dazu führen, daß z. B. die betreffenden Großwerften nachher mit Dumpingpreisen die kleinen und mittleren Werften ruinieren. Deshalb sind wir gemeinsam mit den Kollegen der CDU/CSU den Weg gegangen, neben bestehender Werfthilfe und Neubauzuschüssen Finanzbeiträge zur Förderung der Seeschiffahrt derart einzuführen, daß 80 Millionen DM zur Unterstützung der Investitionstätigkeit der Schiffahrtsunternehmen gewährt werden sollen. ({18}) Wir sind davon überzeugt, meine Damen und Herren, daß diese Mittel in Form zinsloser, nur bedingt rückzahlbarer Darlehen nahezu ausschließlich den deutschen Werften zugute kommen werden, ohne daß dadurch allzusehr in das Wettbewerbsgefüge eingegriffen wird. Ich will einen Appell an den Bundesverkehrsminister, Herrn Dollinger, anfügen: Sparsamkeit der Mittelverwendung, Herr Verkehrsminister, muß auch bedeuten, daß sinnvolle Ausgaben getätigt werden und daß an Änderungen in der Auffassung unserer Bevölkerung nicht vorbeigegangen wird. Ich habe zwar durchaus Verständnis dafür, Herr Kollege Glos, wenn sich Regionen unseres Landes zu Wort melden, die bisher bei der Verkehrsanbindung zu kurz gekommen zu sein glauben; ich meine aber, die Devise „Ausbau vor Neubau und möglichst keine Kahlschläge mehr durch die Landschaft" muß auch hier gelten, ohne daß ich eine Reduzierung der Finanzmittel für den Straßenbau verlangen wollte. Denn auch im Bereich des Erforderlichen gibt es viel zu tun. ({19}) - Herr Kollege Walther, von Wasserstraßen habe ich hier noch nicht gesprochen. Ich sprach vom Straßenbau. Ich komme aber auf einige andere Verkehrsgegebenheiten zurück. Die Straßenplaner haben sich nach meiner Überzeugung noch nicht auf die politischen Veränderungen eingestellt. Sowohl lassen die wirtschaftlichen Wachstumsraten eine massive Ausweitung der Finanzmittel für den Straßenbau nicht mehr zu, als auch muß im Bereich Landverbrauch der berechtigte Umschwung der öffentlichen Meinung nachvollzogen werden. Hier muß das Primat der Politik gelten. Ich will ein Beispiel aus meinem Erfahrungsbereich anführen, das nach meiner Überzeugung exemplarisch im Sinne negativer Entwicklung ist. Im Bereich meiner Heimatstadt Gerlingen wird die Autobahntrasse verlegt und wesentlich verbreitert. Dies ist notwendig und muß akzeptiert werden. Etwas fragwürdiger ist, daß man mit der Ausweisung eines nach Auffassung der Autobahnplaner unbedingt erforderlichen Parkplatzes so lange gewartet hat, bis das letzte Teilstück des Ausbaus in Angriff genommen wurde und ein solcher Parkplatz nirgends anders mehr unterzubringen ist. Den Gedanken, einen solchen Parkplatz in einen in nächster Nähe liegenden großzügigen Ein- und Ausfahrtsbereich zu integrieren, was erheblichen Erhalt hochwertiger landwirtschaftlicher Nutzfläche bedeuten würde, lehnen die Planer mit der Begründung ab, so etwas gehe nicht. Meine Damen und Herren, ich sage: Manches geht, wenn man nur will. ({20}) Ich habe als Kommunalpolitiker einen Flächennutzungsplan akzeptiert, der unter dem Aspekt „Keine totale Zersiedlung der Landschaft" die Erschließung von Wohngebieten drastisch reduziert. Dies sorgt dafür, daß sich die Baulandpreise bei ca. 800 bis 1 000 DM je Quadratmeter einpendeln und die Bürger daher normalerweise nicht mehr bauen können. Ein kleines Stück weiter aber gehen die Autobahnplaner mit der Fläche um, als sei die Zeit vor zehn Jahren stehengeblieben. Wenn die Dinge in so eklatanter Weise nicht in Relation zueinander stehen, wird es dem Politiker doch unmöglich gemacht, beim Bürger für solche Entscheidungen Verständnis zu finden. Deshalb, Herr Minister Dollinger, fordere ich Sie auf, die Planer zum Umdenken und zu mehr Beweglichkeit zu bringen. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans hier insbesondere den Straßenbedarfsplan weiter deutlich dadurch reduzieren, daß der tatsächlich zu erwartende Bedarf ebenso zugrunde gelegt wird wie die neuen politischen Rahmenvorstellungen. Sinnvoller Einsatz der Mittel ist auch, daß die Zukunftsinvestitionen wie der Bau von Neu- und Ausbaustrecken bei der Bahn zügig verwirklicht werden. ({21}) Einfache Kostenrechnung ist hier nicht am Platz, wenn es um ein Gesamtschienenwegkonzept geht, in dem es keine eklatanten Schwachstellen geben darf. Meine Damen und Herren, die neue Regierung hat ihre Ankündigung, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und die Wirtschaft in Ordnung zu bringen, bisher wahrgemacht. Durch die Verbesserung wichtiger Rahmenbedingungen wurden positive Trends möglich. Ich will nur einige aufzählen. Der Preisanstieg hat ganz erheblich nachgelassen; er betrug nur noch 2,6 % im letzten Monat. Die Zinsen liegen deutlich unter dem im Sommer 1981 erreichten Zinsgipfel. Die Zinsen sind offensichtlich verhältnismäßig stabil geworden. Die Bundesbank unterstützt uns ja hier mit ihren Maßnahmen. ({22}) Die Bürger zum weiteren haben mehr Vertrauen und Mut in den Staat gefaßt; denn das Konsum3136 klima ist deutlich verbessert. Ich verstehe hier nicht, weswegen immer behauptet wird, durch die Einsparungsmaßnahmen werde der Konsum zurückgeführt, wenn die Entwicklung ersichtlich deutlich macht, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Sehen Sie sich die Ergebnisse des Einzelhandels an den verkaufsoffenen Samstagen jetzt vor Weihnachten an! ({23}) Die Ertragssituation der Unternehmen hat sich in vielen Bereichen wesentlich verbessert. Die deutsche Wirtschaft befindet sich außerdem wieder im außenwirtschaftlichen Gleichgewicht. So gibt es seit längerer Zeit erstmals wieder positive Seiten im langfristigen Kapitalverkehr mit dem Ausland. Auch auf den internationalen Finanzmärkten hat sich also das Vertrauen in eine wieder bessere Konstitution der deutschen Wirtschaft durchgesetzt. Die positiven Wechselkurserwartungen in die Deutsche Mark dürften sich jetzt mehr und mehr durchsetzen und die Kursentwicklung auf den Devisenmärkten beeinflussen. ({24}) Wir können festhalten, daß die Nettokreditaufnahme für das laufende Jahr erheblich geringer ausfallen wird als ursprünglich angenommen. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich nochmals an die Weissagungen der Opposition, die Eckdaten des Haushalts 1983 seien geschönt und unrealistisch, die neue Bundesregierung werde schon nach einigen Monaten einen Nachtragshaushalt in einer Größenordnung von mehr als 5 Milliarden DM, finanziert durch zusätzliche Verschuldung, vorlegen müssen, und die Neuverschuldung erreiche dann 45 Milliarden DM. Herr Kollege Wieczorek, ich kann mich gut erinnern, daß die erste Äußerung im Haushaltsausschuß, die mir von Ihnen noch ein Begriff ist, die war, daß ein solcher Nachtragshaushalt kommen werde. Ich meinte damals schon, daß mit dieser Erwähnung ein an sich lächerlicher Nebenschauplatz aufgemacht würde; denn natürlich muß eine Regierung einen Nachtragshaushalt vorlegen, wenn dieser erforderlich wird, und es ist müßig, zu Beginn eines Jahres darüber zu streiten, ob das wohl gegen Ende des Jahres eintreffen werde oder nicht. Aber ich habe mit großem Interesse festgestellt, daß Sie, der Sie damals diesen Nebenschauplatz aufgemacht haben, heute hier keinen Ton mehr darüber verloren haben. ({25}) Denn, meine Damen und Herren, heute wissen wir, daß rund 4 Milliarden DM weniger als nach der ursprünglichen Annahme auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden müssen. - Ich habe, Herr Kollege Wieczorek, sehr gut zugehört, gerade bei Ihnen, weil ich auf diese Dinge besonders achten wollte. Die Risiken, die Sie vorausgesagt hatten, sind nicht eingetreten. Ich weiß natürlich, daß das für Sie, für die Opposition, nach den jahrelangen eigenen Erfahrungen, die Sie mit öffentlichen Finanzen gemacht haben, unverständlich ist. ({26}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten. ({27}) - An der Stelle der Sozialdemokraten würde ich hier besonders aufmerksam zuhören. Ich werde nämlich nachher sagen, wen ich zitiert habe. - Ich zitiere also: Es durfte keine Ausgabeninflation der öffentlichen Hand erkennbar werden, weil sonst der neu gewonnene Handlungsspielraum verlorengehen würde und bedacht werden mußte, daß die autonomen Gruppen im volkswirtschaftlichen Gesamtprozeß höchstens so stabilitätsbewußt handeln, wie es die öffentliche Hand vormacht. So entstand bei mir die Erkenntnis, ich selbst könne helfen, aber nur mit meinem Rücktritt. Mit diesen Sätzen, meine Damen und Herren, hat der frühere Finanzminister der SPD, Alex Möller, am 13. Mai 1971 seinen Rücktritt wegen der Haushaltslage erklärt. ({28}) Mit konsequenter Fortführung unserer Politik, mit konsequenter Fortführung Ihrer Politik, Herr Minister Stoltenberg, die wir voll und ganz unterstützen, werden Sie einen solchen Schritt zu keinem Zeitpunkt nötig haben. Ich danke Ihnen. ({29})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Oppositionsführer hat gestern gemeint, ich liebte es - er kann leider im Augenblick nicht hier sein, aber ich will die paar Sätze dazu doch sagen -, hart und mitunter verletzend zu kritisieren. Ich habe diese Bewertung bedauert. Hart kritisieren, j a. Verletzend? - Ich bemühe mich darum, dies nicht zu tun. Der Kollege Vogel hat gemeint, ich hätte eine Kostprobe davon in meinem Beitrag zur Stationierungsdebatte vor 14 Tagen gegeben. Ich habe mir daraufhin diese Rede noch einmal durchgelesen. Ich kann nichts Verletzendes darin sehen. Dann müßten wir die Empfindlichkeitsschwelle schon sehr weit herunterziehen. Ich glaube, ich habe klar und deutlich gesprochen, aber ich habe niemanden, auch nicht den Kollegen Vogel, in dieser Rede verletzt, ganz gewiß nicht verletzen wollen. ({0}) - Klar. Es gibt keine Eile. Das ist auch keine Kritik. Ich weiß, wie das ist. Ich will hier jetzt nicht die einzelnen Punkte wiederholen, die ich damals vorgetragen habe - das wäre auch nur Nachkarten -, aber ich möchte deutlich machen: Es liegt mir daran, sehr klar Positionen zu vertreten, wie ich sie sehe, sie aber nicht so zu vertreten, daß sich andere persönlich verletzt oder gar herabgesetzt fühlen. Heute geht es um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik, eben auch um den Einzelplan 09 des Bundeswirtschaftsministeriums, von dem ich schon an dieser Stelle sagen möchte: Ich sehe mit ganz geringem Vergnügen die Zuwachsraten in diesem Haushalt. Es sind im wesentlichen Subventionsnotwendigkeiten. Sie laufen dem Ziel, das wir uns vorgenommen haben und an dem wir festhalten werden - Subventionen, insonderheit Erhaltungssubventionen zurückzuführen -, entgegen. Es ist, glaube ich, mit vollem Recht gesagt worden - das ist ja auch die Übung -, daß bei einer solchen Debatte die grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Positionen, wie sie sich zwischen Koalition und Opposition ergeben, diskutiert werden müssen und sollen. Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, werfen der Bundesregierung vor, hier und draußen, sie habe kein wirtschaftspolitisches Konzept. Ich habe mir die Vorschläge angesehen, die uns in den Entschließungsanträgen vorgelegt worden sind, und ich habe mir die wirtschaftspolitischen Ausführungen des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Kollegen Vogel, angehört. Ich möchte nicht versäumen, das wirtschaftspolitische Konzept Ihrer Fraktion und Ihrer Partei, wie ich es aus diesen Äußerungen entnehmen kann - also auf der Basis dieser Beiträge -, einmal vorzuführen. Die SPD will die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken und fordert die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Umweltabgaben und die Erhaltung von Industriestandorten. Die SPD will die Zinsen senken und fordert riesige staatliche Beschäftigungsprogramme, die über Staatsschulden finanziert werden sollen. Die SPD will Investitionen und Innovationen anregen, den Mittelstand stärken und die Gründung von selbständigen Existenzen fördern und fordert gleichzeitig die Ergänzungsabgabe, die Rücknahme der Vermögensteuersenkung, mehr Staat und mehr Schulden. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Mit Ökonomie hat das alles nicht sehr viel zu tun. ({1}) Die Widersprüche werden entweder verschwiegen, oder sie werden nicht erkannt. Es gibt bei Ihnen kein der Situation angepaßtes wirtschaftspolitisches Konzept. Der Wähler hat das früh erkannt. Ihr Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, Mitglied dieses Hauses, hat ja nach dem 6. März 1983 selber festgestellt und erklärt: Aus den Wahlanalysen läßt sich ablesen, daß der Wähler der Sozialdemokratischen Partei die Kompetenz zur Bewältigung der wirtschaftspolitischen Probleme abgesprochen hat. ({2}) - Natürlich habe ich das gelesen, aber selbstverständlich! Ich bin doch auf den Zwischenruf gewappnet, Herr Wolfram. Sie wissen doch, daß ich morgens früh aufstehe und die Zeitungen lese. Meine Güte! ({3}) - Wir beide müssen uns doch nicht darüber streiten, wer früher aufsteht. Herr Kollege Wolfram ist ein fleißiger Mann. Das weiß ich. Hätte der Wähler übrigens gewußt, wohin sich Ihre sicherheitspolitische Talfahrt entwickeln würde, so hätten Sie auch das noch im Wahlergebnis zu spüren bekommen. ({4}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, weigern sich, davon Kenntnis zu nehmen, daß sich die in den 70er Jahren bei uns weltweit angewandten Rezepte mehr und mehr nicht nur als wirkungslos, sondern schließlich auch als schädlich erwiesen haben. Sie versuchen immer noch, auf strukturelle Verwerfungen mit konjunkturellen Maßnahmen zu reagieren. Ich finde, es ist schon eine merkwürdige Debatte: Wenn die Koalition der Mitte sagt, wir brauchen mehr Marktwirtschaft, mehr Leistungsbereitschaft, mehr Risikobereitschaft, dann werfen Sie uns vor, wir wollten mit den Mitteln der 50er und 60er Jahre die Probleme der 80er Jahre lösen. Aber eines steht doch fest: In den 50er und 60er Jahren hat die deutsche Wirtschaft die ihr gestellten Aufgaben gemeistert, und in den 70er Jahren ist uns das nur noch eingeschränkt gelungen. ({5}) Warum führen wir eigentlich keine Diskussion über die Frage, welche Grundauffassung von Wirtschaftspolitik für die 80er Jahre notwendig ist und welche Folgen für den Instrumentenkasten dieser Wirtschaftspolitik sich dann aus den konkreten Problemen der 80er Jahre ergeben? Die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage ist klar: Ohne Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte, ohne Rückbesinnung auf bewährte ordnungspolitische Prinzipien werden wir unsere Probleme nicht lösen. Wenn Sie mit uns bereit sind, diesen Grundmaßstab gemeinsam anzulegen, dann können wir über Einzelmaßnahmen, über Instrumente immer, wie ich glaube, vernünftig miteinander reden. ({6}) Wenn Sie sich aber weiter von dem abwenden, wofür Männer wie Heinrich Deist, Klaus Dieter Arndt und Karl Schiller in Ihrer Partei standen und stehen, dann werden wir in der wirtschaftspolitischen Diskussion weiter aneinander vorbeireden. Ich will versuchen, die unterschiedlichen Denk- und Lösungsansätze - übrigens so, wie ich es damals mit einem Einzelthema, Herr Stratmann hat das ja erwähnt, nämlich mit Rationalisierung, Produktivität und ihrer Auswirkung auf die Beschäftigung, bei der ersten Lesung getan habe - an einem, wie ich glaube, wichtigen Einzelthema deutlich zu machen. Es ist ein Einzelthema, das ich kürzlich mit dem Kollegen Roth in einer Fernsehsendung nur andiskutieren konnte. Wir werden im Jahr 1983 knapp 30 Milliarden DM für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ausgeben. Es gibt - allerdings nicht unproblematische - Rechnungen, die die Kosten der Arbeitslosigkeit noch wesentlich höher ansetzen. Von seiten der Sozialdemokraten und speziell vom Kollegen Roth ist gefordert worden, diese Gelder - wie Sie sagen - sinnvoller einzusetzen. Die Faszination, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, Beschäftigungsprogramme aufzulegen und damit zum Beispiel Umwelt- und Energieeinsparungsinvestitionen durchzuführen, ist in der Tat mehr als verführerisch. ({7}) Aber ich warne davor, diesen Weg zu beschreiten. Hier werden Illusionen gezüchtet, die sich in der Wirklichkeit nicht umsetzen lassen. Der Ansatz verkennt die Ursachen der Arbeitslosigkeit, und er übersieht die negativen Rückwirkungen solcher Vorschläge auf Zinsen, Wechselkurse, Preise und Investitionen und damit auf die bestehenden Arbeitsplätze. ({8}) An einer extremen Rechnung wird deutlich, daß mit diesem vermeintlichen Patentrezept nichts anderes als eine Wirtschaftspolitik à la Münchhausen versucht würde. ({9}) Nimmt man zwei Millionen Arbeitslose mit einem durchschnittlichen Arbeitslosengeld von z. B. 20 000 DM pro Jahr und würde der Staat zum Lohnausgleich weitere 5 000 DM je Arbeitslosen drauflegen, so könnten - das wird behauptet - mit 50 Milliarden DM 2 Millionen Arbeitslose von der Straße geholt werden. Dies, meine Damen und Herren, ist eine Milchmädchenrechnung. Erstens. Tatsache ist zunächst, daß die 2 Millionen Arbeitslosen so schnell überhaupt keine Arbeit finden, weil die Arbeitsplätze erst durch entsprechende Investitionen geschaffen werden müssen, und auch die kosten Geld. ({10}) Zweitens. Die Finanzierungs- und Subventionsproblematik wird völlig außer acht gelassen, wenn aus dem Arbeitslosengeld z. B. Investitionen im Umweltschutz bei den Gemeinden mitfinanziert würden. Werden nämlich erst einmal subventionierte Arbeitsplätze in großer Zahl geschaffen, dann ist es für die Unternehmen, aber auch für die Stadtkämmerer, wie wir gesehen haben, interessanter, teure Arbeitsplätze, die sich bisher selbst bezahlen mußten, durch staatlich subventionierte Arbeitsplätze zu ersetzen. ({11}) Die Arbeitslosigkeit wäre nicht beseitigt. Sie würde an anderer Stelle in verstärkter Form wieder auftreten. Der Ruf nach weiteren Subventionen würde dann um so lauter erschallen. Das ist eine Kette ohne Ende. ({12}) Die Subventionierung von Beschäftigten hat im Prinzip die gleiche Wirkung wie die Subventionierung von Unternehmen: Arbeitskräfte werden in unproduktiven Verwendungen festgehalten, Initiativen werden gelähmt. Subventionierte Arbeitskräfte verschlechtern die Chancen derjenigen, die ihre Einkommen am Markt verdienen müssen. Wachstumschancen und damit die Schaffung produktiver dauerhafter Arbeitsplätze werden so verschenkt. Gerade die Erfahrung mit solchen Beschäftigungsprogrammen sollte gelehrt haben, daß über Subventionierung von Arbeitsplätzen keine vollwertigen, sich selbst tragenden Arbeitsplätze geschaffen werden können. Natürlich, solange der Staat die Subventionen zahlt, können solche Arbeitsplätze aufrechterhalten werden. Doch diese Subventionen werden im Laufe der Zeit immer teurer, so daß der Staat sehr schnell an die Grenzen seiner Finanzierungsmöglichkeiten stößt. Wie schädlich dies ist, haben wir gerade erlebt. Wir konsolidieren doch heute, weil diese Grenzen erreicht wurden, weil das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen erschüttert wurde. Herr Kollege Wieczorek, wir konsolidieren nicht aus Selbstzweck. Wenn Sie sagen, auch Sie seien für das Konsolidieren, sich dann aber gleichzeitig einmal ansehen, was Sie alles vorschlagen, dann wirken Sie doch etwa wie der Direktor der Schnapsfabrik, der gegen den Alkoholkonsum auftritt. ({13}) Solche Überlegungen verkennen auch völlig die Rückwirkungen auf den Kapitalmarktzins, wenn sich der Staat in der jetzigen Phase weiter zusätzlich verschulden würde. Das Ifo-Institut schätzt, daß eine dauerhafte Erhöhung des langfristigen Zinssatzes um einen Prozentpunkt nach Ablauf aller Anpassungsprozesse zu einem Rückgang der Anlageinvestitionen der Unternehmen von fast 20% führen würde. Werden statt dessen Steuern erhöht, würden Unternehmen in die Pleite getrieben, die bisher gerade noch rentabel waren, oder die Belastung der Arbeitnehmer, die für zusätzliche verdiente Einkommen schon jetzt im Durchschnitt bei 50% liegt, würde weiter steigen. Zudem müßten die Folgekosten künstlich geschaffener staatlicher Arbeitsplätze bei den GeBundesminister Dr. Graf Lambsdorff meindehaushalten gesehen werden. Die Fehler, die mit Bettenbergen in Krankenhäusern, zu aufwendigen Rathäusern und Schwimmopern begangen wurden, ({14}) sollten doch wahrlich nicht wiederholt werden. ({15}) - Herr Oberbürgermeister, es muß sich nicht jeder angesprochen fühlen. Ich weiß ja nicht, ob das für Sie gilt. Aber es sieht so aus, nach Ihrer Reaktion zu urteilen. ({16}) Eine weitere zusätzliche Verschuldung des Staates hätte schließlich negative Auswirkungen auf den Wechselkurs und damit auf die mit viel Mühe erreichte Stabilisierung der Preise. Neue Inflationsschübe würden mit Sicherheit zu mehr und nicht zu weniger Arbeitslosigkeit führen. Nicht zu vergessen: Die Entwicklung des Wechselkurses bestimmt wesentlich mit, inwieweit es uns gelingt, uns vom Zins in den Vereinigten Staaten abzukoppeln. ({17}) Das Beispiel Frankreichs und der rapide Kursverfall des französischen Franc sollten eine eindrucksvolle Warnung sein. Diesen schmerzhaften und teuren Lernprozeß sollten wir nicht nachmachen. - Der Kurs ist in der Tat nicht gut. Ich komme nachher noch auf die Bemerkung zurück, Herr Kollege Spöri. Fazit: Wie man es auch wendet, es hilft nichts, über staatliche Programme hohe Beschäftigungseffekte auszurechnen, aber die Arbeitsplätze zu ignorieren, die durch diese Politik über den Preis-, Zins-, Steuer- und Wechselkursmechanismus verdrängt bzw. vernichtet werden. Mit planwirtschaftlichen Methoden oder mit großangelegter Staatsbürokratie werden wir unsere Probleme nicht lösen können. ({18}) Hier liegt der grundlegend andere Ansatz, den die Bundesregierung wählt. - Herr Spöri, das Stichwort „Münchener Parteitag" haben Sie aufgebracht. ({19}) Ich hatte das gar nicht in meinem Manuskript. Wir wollen eben nicht, um Stefan Heym zu zitieren, Vollbeschäftigung im Leerlauf der Bürokratie haben. Das wollen wir getrost den Wirtschaften des Ostblocks überlassen. ({20}) Ich weiß - und wir alle wissen das -, daß man Arbeit nicht nur unter dem Aspekt des Geldverdienens sehen darf. Aber daß wir das Problem mit Leerlaufarbeit abfangen, das wage ich sehr zu bezweifeln. Entscheidender ist: Am Ende dieses Prozesses werden noch mehr Leute stempeln gehen. Ich finde, man muß den Mut haben, das zu sagen. Unser Konzept setzt deshalb auf die Kraft des einzelnen, auf die Leistungsfähigkeit unserer privaten Unternehmen, auf die Stärke der Marktwirtschaft, die den planwirtschaftlichen Methoden überlegen war, überlegen ist und es auch bleiben wird. Bei Betrachtung dieser Vorschläge, der ganzen Liste, die heute in Ihren Beschlußanträgen enthalten ist, fällt mir wahrlich Bertold Brecht ein: ({21}) „Mach' nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach' dann noch 'nen zweiten Plan, geh'n tun sie beide nicht!" ({22}) Meine Damen und Herren, sicherlich ist es bedauerlich - darüber besteht gar keine Meinungsverschiedenheit -, daß heute so viel Geld für Arbeitslosigkeit aufgewendet werden muß. Doch die Hoffnung, diese Gelder statt dessen für staatlich subventionierte Arbeitsplätze einzusetzen, hieße letztlich, sie zweimal ausgeben zu wollen, nämlich erstens für subventionierte Arbeitsplätze und zweitens für die dann an anderer Stelle neu entstehende Arbeitslosigkeit. Der Schaden wäre verdoppelt, und dies ist ein wirtschaftspolitisch falsches Konzept. Es ist vielmehr erforderlich, die Voraussetzungen für mehr Investitionen und für sich selbst tragende rentable Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist und bleibt unsere Aufgabe Nr. 1 und die erste innenpolitische Verpflichtung, der sich diese Regierung stellt. ({23}) Nur so, nur auf diesem Wege wird die Verantwortung, die der Staat für die Beschäftigung hat, richtig wahrgenommen. Herr Stratmann, hier spielt nun in der Tat die Eigenkapitalsituation der Unternehmen, die Ertragserwartung der Unternehmen eine ganz entscheidende, eine ganz wichtige Rolle. ({24}) Wir erwarten von einem Unternehmer, daß er investiert, wir erwarten damit von ihm, daß er ein Risiko eingeht, daß er sein eigenes Geld riskiert. ({25}) Er wird ein Risiko nur eingehen können, wenn seine Reserven, seine Eigenkapitalposition groß genug ist, um auch einen Fehlschlag hinnehmen zu können, und nicht so klein ist, daß er mit einer fehlgegangenen Investition seinen ganzen Laden umwirft. Dann können Sie keine Investitionen erwarten, und dann werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen. ({26}) 3140 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 8. Dezember 1983

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Ja, bitte sehr.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lambsdorff, können Sie mir erklären, was in der letzten „Wirtschaftswoche" zur Einschätzung der Prognosen des interministeriellen Arbeitskreises für 1984 zu lesen war? Ich verstehe das nicht, und deswegen möchte ich Sie gern um Aufklärung bitten. Dort war zu lesen, daß Sie für 1984 auch eine Nachfrageerhöhung um ca. 1,4 % als wirtschaftsbelebende Stütze erwarten und daß wesentlicher nachfragefördernder Faktor die Gewinnentnahme bei den Unternehmen sein wird, weil die Lohnerhöhungen infolge der von Ihnen erwarteten Lohnpolitik zu gering sind. Wie erklären Sie es jetzt unter dem Gesichtspunkt der Eigenkapitalquote, daß Sie die Gewinnentnahme bei den Unternehmen zur Nachfragestützung brauchen, während gleichzeitig die Gewinnentnahme nicht möglich sein dürfte, um die Eigenkapitalquote der Unternehmen zu erhöhen? Das ist in sich widersprüchlich. Können Sie mir diesen Widerspruch erklären? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Meine Damen und Herren, Herr Stratmann, ich will mich nicht damit aufhalten, ob das eine Frage oder ein Debattenbeitrag gewesen ist. Die Binnennachfrage in der Bundesrepublik hat die Konjunktur in diesem Jahr wider alle Voraussagen und Erwartungen erheblich getragen. ({0}) - Es ist entspart worden, Frau Kollegin. Was bedeutet das denn? Das bedeutet, daß die Leute bei sinkenden Realeinkommen das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft haben, so daß sie auf Ihre Spareinlagen zurückgreifen. ({1}) Es bedeutet natürlich in gewissen Fällen auch - ich sage: auch -, daß sie, was ich gar nicht verschweigen will, darauf angewiesen sein können, auf ihre Ersparnisse zurückzugreifen. Es kommt natürlich hinzu, daß es in diesem Jahr durch freiwerdende Prämiensparverträge - Herr Mitzscherling hat gestern mit vollem Recht darauf hingewiesen - eine Sonderbewegung gegeben hat. ({2}) - Ich bin gerade bei diesem Thema. Dann hätten Sie, Herr Mitzscherling, natürlich auch sagen müssen - ich glaube, Sie haben es sogar gesagt -, daß der Sachverständigenrat vorhergesagt hat, daß sich diese Entwicklung und Bewegung auch im nächsten Jahr fortsetzen wird, zumal sich dieser Entsparprozeß aufs Kontensparen beschränkt. Er findet natürlich nicht bei Bausparverträgen, bei Lebensversicherungsverträgen, bei all den laufenden Sparverträgen und Sparanlagen statt. Es besteht überhaupt kein Grund zur Aufregung, das etwa negativ zu würdigen. Im Gegenteil: Dies hat uns ganz erheblich geholfen. Aus der Frage des Kollegen Stratmann entnehme ich aber den alten Irrtum und den alten Fehlschluß, daß Nachfrage immer nur Konsumnachfrage sein muß. Nachfrage ist natürlich auch Nachfrage nach Investitionsgütern. Und die zieht glücklicherweise wieder an. ({3}) Wenn wir aus den heutigen Zeitungsüberschriften entnehmen, daß auch im Export der Motor anspringt - ({4}) - Ich habe doch der Investitionszulage seinerzeit zugestimmt. Warum soll ich sie für schlecht halten? Natürlich hat sie uns geholfen. Aber der Sinn einer Investitionszulage - deswegen bin ich so eisern dafür, die Fristen einzuhalten - besteht doch darin, den Motor anzuwerfen und dann darauf zu setzen, daß er weiterläuft, daß er durchdreht - im positiven Sinn. ({5}) Dies meine Damen und Herren, ist jetzt auch auf der Exportseite zu sehen. Daß die deutsche Wirtschaft, daß wir unsere Probleme nicht lösen können, wenn bei einer stark exportabhängigen Wirtschaft der Exportmotor nicht anspringt und nicht läuft, das weiß doch jeder. Darauf haben wir gewartet. Wir waren vorsichtig, die ersten vier Monate dieses Jahres zu hoch zu bewerten. Aber es zeigt sich, daß auch hier eine Zuversicht rechtfertigende - ich will nicht sagen: robuste - Entwicklung einsetzt. ({6}) - Auch mit neuen Arbeitsplätzen. Das sei einmal gesagt: Die Erwartungen der Bundesregierung und der Institute für das Jahr 1983 werden von der aktuellen Entwicklung am Arbeitsmarkt unterschritten. Die ist miserabel, ist schlecht, ist besorgniserregend und bedrückend. Ich habe vor dem 6. März in unzähligen Wahlversammlungen gesagt: Wenn wir es fertigbringen, im Jahre 1983 die stetig weiter steigende Arbeitslosigkeit zum Stillstand zu bringen, dann haben wir sehr viel erreicht. Niemals habe ich etwas anderes vorhergesagt. Und dies haben wir erreicht. Für 1984 werden wir diese Entwicklung fortsetzen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri? - Bitte.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, da Sie eben gesagt haben, Sie hätten die Arbeitsmarktentwicklung im Griff, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in diesem Jahr die Zahl der Erwerbstätigen stetig absinkt und daß deshalb Ihre Behauptung nicht zutreffen kann. Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3141

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Daß die Zahl der Erwerbstätigen absinkt, ist richtig. Im übrigen habe ich nicht gesagt, wir hätten die Arbeitsmarktentwicklung im Griff. ({0}) - Es ist ein entscheidender Indikator; es ist ein Spätindikator, wie jeder weiß, in der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung - leider -, und er gibt die ersten Anzeichen einer etwas trostreicher aussehenden Perspektive. Es gibt noch überhaupt keine Anzeichen, daß wir das Problem gelöst hätten, daß wir es voll im Griff hätten. Deswegen sage ich hier und habe es immer gesagt: Wir können es ohne Wachstum nicht schaffen. Wachstum allein wird aber nicht ausreichen. Wir brauchen das bekannte Bündel von Maßnahmen. ({1}) - Gut. Vielen Dank, daß Sie mir mit der Zwischenfrage dazu Gelegenheit gegeben haben. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin versucht darzulegen, daß ich hier ein Konzept der sozialdemokratischen Opposition nicht sehen kann. Aber es fehlt auch, so glaube ich, an der Fähigkeit zur ökonomischen Analyse. Wenn die Analyse nicht stimmt, kann auch das Konzept nicht stimmen. Herr Kollege Vogel, Sie haben gestern gesagt, es sei ungewiß - - Auf Wiedersehen. ({2}) - Wir haben ja gestern gehört, wie sehr Sie an München hängen. Das ist völlig in Ordnung. ({3}) Herr Kollege Vogel, Sie haben gestern gesagt, es sei ungewiß, ob der Aufschwung kommt. Sie haben dafür auch noch den Sachverständigenrat zitiert. Bitte lesen Sie das Gutachten einmal genau. Dort steht nicht nur, daß sich die wirtschaftliche Lage merklich gebessert hat. Dort steht auch, daß die Aufwärtsentwicklung weiter anhalten wird. Nach Meinung des Sachverständigenrates ist die Gefahr eines konjunkturellen Rückschlags gering. Der Rat ist sogar der Meinung - nachzulesen in Ziffer 273 -, daß „durchaus positive Überraschungen möglich" sind. ({4}) Eines ist ganz sicher; das ist gestern schon gesagt worden. Wenn wir noch in der alten Koalition ein solches Gutachten erlebt hätten, wären wir - jedenfalls ich - jubelnd durch die Lande gezogen: Das muß doch wohl zugegeben werden. ({5}) Ich glaube, Sie müssen sich mit den Argumenten des Sachverständigenrates etwas sorgfältiger auseinandersetzen. Ich neige in der Tat nicht zu Pessimismus, sondern bin für Zuversicht in allen Lebenslagen. ({6}) In die Kategorie „ungenaue Analyse" gehört auch Ihre Aussage, die Konsolidierung bremse den Aufschwung. Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie können das Monat für Monat nachvollziehen. Auch hier empfehle ich die Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten. Aus der Sicht des Sachverständigenrates stehen auch für die Zukunft der Konsolidierungsstrategie konjunkturpolitische Rücksichten nicht entgegen. Nun ist sicherlich eines richtig, und diese Erfahrung machen wir auch diesmal: Immer ist es so, daß in einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung die Stimmung den tatsächlichen Fakten, den Zahlen, mit einem zeitlichen Abstand folgt. Beim Abschwung ist es übrigens ganz genauso. Da bleibt die Stimmung länger zuversichtlich, während die Fakten und Daten schon nach unten weisen. ({7}) Dies ist auch dieses Mal der Fall. Aber wenn Ihnen die Arbeitsplätze so sehr am Herzen liegen, was ich j a überhaupt nicht bestreite - das muß ich auch Herrn Stratmann sagen -, dann kann es doch nicht unsere Aufgabe sein, Pessimismus zu verbreiten und diese Entwicklung einer sachgerechten Stimmung auch noch zu verhindern. ({8}) Dazu kommt, meine Damen und Herren - das sei ganz unbestritten -, daß die Krisenbranchen die Stimmung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt, ganz besonders in bestimmten Regionen, überschatten. Ich glaube nicht, daß wir heute hier über Stahl reden sollten, denn wir haben in der vorigen Woche eine Stahldebatte gehabt. Natürlich spielt aber auch der Posten „Subventionen für die Stahlindustrie" im Haushalt meines Ministeriums eine ganz unerfreulich große Rolle. Unerfreulich, sage ich, weil ich nicht so schrecklich gerne der Obersubventionsverwalter der Bundesrepublik bin, weil ich andererseits aber auch sehen muß, daß es ohne das nicht geht. Herr Kollege Vogel, gestern hat es eine interessante Korrektur in Ihren Ausführungen gegeben. Sie haben den Vorstandsvorsitzenden einer der stahlerzeugenden Gesellschaften zitiert, der gesagt hat - ich will nur den einen Satz wiederholen -: „Es muß eine handfeste Initiative geben, und die kann nur Bonn bieten." Das geht dann noch ein bißchen weiter. Diese handfeste Initiative, die da gemeint ist, kenne ich: Bar Kasse in größeren Beträgen! ({9}) - Aber natürlich, Sie kennen das sehr gut. Ich verhandle in den letzten Monaten in dieser Frage sehr viel. Sie haben dann zum Schluß gefragt, Herr Vogel: „Wollen Sie das auch als verkappten Klassenkampf abtun?" Das will sicher keiner, ich jedenfalls nicht. In Ihrem Manuskript hat gestanden: „Wollen Sie das auch als verkappten Sozialismus abtun?" Da wäre ich schon eher bereit, darüber nachzudenken; aber das haben Sie dann gestern korrigiert. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vogel? - Bitte schön!

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie, Herr Graf, durch Einsichtnahme in das Stenographische Protokoll zur Kenntnis nehmen, daß ich selbstverständlich auch diesen Teil hier vorgetragen und ausgesprochen habe, und ist die Erklärung vielleicht die, daß Sie durch anderweitige Inanspruchnahme in dem Augenblick abgelenkt waren und mir nicht zuhören konnten?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Vogel, wenn Sie in der Tat auch die Frage gestellt haben, ob ich das für verkappten Sozialismus halten könnte, will ich die Gelegenheit noch lieber benutzen, Ihnen zu sagen: Ich neige dazu, die Frage mit Ja zu beantworten. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Würden Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vogel gestatten?

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie daraus den Schluß ziehen, daß Sie über verkappten Sozialismus insbesondere Vorstandsmitglieder großer Unternehmen, Manager und Vertreter der deutschen Wirtschaft aufzuklären haben? Ist das der Sinn Ihrer Äußerung?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Vogel, ich kann das in eine Antwort kleiden, die ich bei vielen Gelegenheiten benutzt habe: Wenn die deutsche Wirtschaft nur in der Form von Großunternehmen betrieben würde, ({0}) könnten wir sie auch gleich verstaatlichen; der Unterschied wäre nur noch marginal. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, wie ist es mit einer Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Ja.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, können Sie nach dieser Zwischenfragenrunde des Herrn Kollegen Vogel jetzt verstehen, warum er noch nie für den Karl-Valentin-Preis vorgeschlagen worden ist? ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, Sie müssen diese Frage nicht beantworten. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Der Herr Präsident hat mich von der Antwort dispensiert. Dafür bin ich ihm dankbar, weil ich die Preisverleihungsregeln nicht genau beherrsche. Das will ich nun wirklich gerne den Bayern unter sich überlassen. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist ganz gewiß richtig, daß die Arbeit - nachdem das, was wir bisher geleistet haben, die ersten Früchte trägt, was zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind - noch längst nicht getan ist. Es liegt noch eine Wegstrecke harter Arbeit und schwerer Entscheidungen vor uns. ({1}) - Wie bitte? ({2}) - Ja, ich will die Frage gern beantworten. Genau dieselbe Situation, die wir zwischen Wirtschafts- und Haushaltspolitikern in der alten Koalition gehabt haben - der Herr Kollege Hoppe hat gestern auf diesen Widerspruch hingewiesen -, haben wir in der neuen. Konjunkturpolitisch, wirtschaftspolitisch, tarifpolitisch wäre mir eine Tarifreform zum 1. Januar 1986 sehr willkommen, aber ich habe immer - vor allem in einer Rede vor zehn Tagen - hinzugefügt - was nachzulesen ist -: ({3}) unter der Voraussetzung, daß die Konsolidierungsaufgabe gelöst ist. Nach dem Gutachten des Sachverständigenrates und nach dessen Berechnungen zur Rückführung des strukturellen Defizits per Ende 1985 bin ich sehr zuversichtlich, daß wir eine solche Plattform finden können. In dieser Zuversicht mag ich mich von dem einen oder dem anderen unterscheiden. Nach meiner alten Erfahrung unterscheide ich mich in dieser Zuversicht immer - und das verstehe ich völlig; das ist gewissermaßen ressortgebunden - von dem zurückhaltenderen Bundesfinanzminister. Das muß und wird auch diesmal der Fall sein. ({4}) - Das ist kein beeindruckender Rückzug, sondern es wird dabei bleiben, daß ich meine Position vertrete, wenn die volkswirtschaftlichen, finanzpolitiBundesminister Dr. Graf Lambsdorff schen und haushaltspolitischen Voraussetzungen und Bedingungen zu diesem Zeitpunkt gegeben sind. Wenn nicht, ist das nicht zu verantworten. Die Konsolidierungsaufgabe ist nach all dem, mit dem wir hier angetreten sind, die Aufgabe Nummer eins. ({5}) Meine Damen und Herren, ich denke, wir haben uns mit großer Intensität dem Stichwort zu nähern, das man modernerweise „Deregulierung" nennt, und wir haben nicht nur die mit diesem Stichwort beschriebene Aufgabe zu sehen, sondern sie auch zu lösen. Ich bin - das wissen Sie - nie ein Anhänger und Vertreter von „Reaganomics" gewesen. ({6}) - Doch, doch, Herr Roth! Ich weiß ja nicht, ob dieser fröhliche Urlaut das jetzt bestätigen oder bezweifeln sollte. Ich bin nie ein Anhänger von „Reaganomics" gewesen, aber in diesem einen Punkt des Abbaus von Regulierungen und hinderlichen Vorschriften sehe ich eine wesentliche Grundlage dafür, daß die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten zurückgegangen ist. Eine solche Grundlage ist nicht die Defizitpolitik und nicht die Laffer-Kurve, wohl aber der Abbau von Regulierung oder Überregulierung. Hier ist einiges zu tun, und hier müssen wir, meine Damen und Herren, auch den Mut haben, uns die Schutzgesetze anzusehen, die wir in Zeiten der Vollbeschäftigung für richtig, für sinnvoll, für nützlich gehalten haben, die übrigens wir alle miteinander befürwortet haben, bei denen man sich aber heute fragen muß, ob sie in Zeiten geänderter Verhältnisse am Arbeitsmarkt nicht nur noch denjenigen schützen, der Arbeit hat, und sich zu Lasten dessen auswirken, der Arbeit sucht. Das kann nicht sein! ({7}) Alles in allem komme ich zu dem Ergebnis, daß die Politik der Bundesregierung richtig ist. ({8}) - Es freut micht, daß Sie das überrascht. Manchmal glaubt man gar nicht, mit welch einfachen, aber deutlichen Feststellungen man Überraschung auslösen und Freude machen kann, meine Damen und Herren. ({9}) Mit großem Interesse habe ich zu einem bestimmten Punkt eine kritische Anmerkung meines verehrten Amtsvorgängers Karl Schiller gelesen. Es ist vielleicht richtig, daß wir von dem Augenblick an, als wir hier an die Arbeit gegangen sind, das eigene Haus in Ordnung zu bringen - so habe ich das schon früher formuliert, und ich bin mit dieser Bemerkung bei hohen und höchsten Stellen nicht immer auf Wohlgefallen gestoßen -, unsere Aufmerksamkeit sehr, sehr wesentlich auf das Innere, auf unsere bundesdeutsche Wirtschaft, konzentriert haben. Und Karl Schiller meint: Ihr müßt ein bißchen auch an die Außenwirtschaft, nach außen denken. Dieses Land kann es allein nicht schaffen, so eingebunden wie wir sind. ({10}) - Ja, früher haben wir den inneren Bereich vielleicht zu sehr übersehen und zuviel nach außen gesehen, manchmal auch mit dem Hintergedanken, jedenfalls der Gefahr, daß man sich mit den berühmten exogenen Umständen, mit denen, die von außen kamen, entschuldigte. ({11}) Deswegen meine ich, daß wir uns im außenwirtschaftlichen Bereich - bei GATT, in der Europäischen Gemeinschaft, auf den Weltwirtschaftskonferenzen und was es an derlei Veranstaltungen sonst noch gibt - in der Tat sehr darauf konzentrieren, daß wir sehr intensiv darum kämpfen müssen, daß die Freiheit internationaler Wirtschaftsbeziehungen nicht weiter eingeengt wird, sondern erhalten bleibt und - wo immer es geht - ausgebaut wird. Das berühmte Rollback des Protektionismus. Über die Verschuldungsproblematik ist heute gesprochen worden. Protektionismus im allgemeinen ist noch nicht erwähnt worden, jedenfalls habe ich es nicht gehört. Hier gibt es bedrohliche Entwicklungen, und zwar sowohl innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch bei unseren amerikanischen Partnern. Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist aufgerufen, sich dem entgegenzustellen. Ich bin im Prinzip auch sehr damit einverstanden, Herr Kollege Mitzscherling, daß Sie gestern gesagt haben, die Währungsprobleme müßten angesprochen werden. Aber ich befürchte: Unter den gegenwärtigen politischen Umständen sind die Vorschläge, die Sie uns gemacht haben, nicht von - ich will nicht unfreundlich sein und sagen: nicht von großem Realitätssinn - einer großen Erfolgschance getragen. Glauben Sie, meine Damen und Herren, auf dem Hintergrund von Athen denn im Ernst, daß zur Zeit die Möglichkeit besteht, Großbritannien dem Europäischen Währungssystem beitreten zu lassen? ({12}) Ich sehe das nicht. Glauben Sie in der Tat, meine Damen und Herren, daß wir eine Chance haben - an die ich ohnehin nicht glaube -, irgend etwas zu tun, um ein dem System von Bretton Woods angenähertes Weltwährungssystem wieder zu institutionalisieren? Wenn wir keine Konvergenz der Wirtschaftspolitiken erreichen - weltweit und vor allem in Europa -, dann kann es nicht funktionieren. Wenn wir sie aber erreichen, dann brauchen wir keine währungspolitischen Institutionen. Sie sind dann zwar eine Erleichterung, vielleicht eine Verbesserung, vielleicht ein Zusammenhalt, eine Leitplanke, aber sie sind nicht die eigentliche Voraussetzung. Man fängt nicht mit den Mechanismen an, sondern man muß mit der zugrunde liegenden Politik anfangen, und die läuft doch nach wie vor - wir wissen es - auseinander. Eines muß ich hier klarstellen. Unser Kollege Helmut Schmidt hat nach einer heutigen Meldung der „Financial Times" in Washington verkündet, daß die Vereinigten Staaten etwa in zwei Jahren mit Kapitalverkehrskontrollen europäischer Länder, auch durch die Bundesrepublik, rechnen müßten. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: Das kommt für unsere Entscheidungen für unsere Politik nicht in Frage, nicht in Betracht. Wir werden nicht zu Kapitalverkehrskontrollen übergehen. ({13}) Ich habe vorhin die Frage gestellt, ob wir die Rezepte der 60er Jahre anwenden. Ich bin der Meinung: nein. Wir werden nicht in allen Fällen die damals bewährten, erfolgreichen Rezepte anwenden. In der Grundhaltung allerdings, meine Damen und Herren, sage ich ein deutliches Ja zu den Prinzipien, die die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland leistungs- und wettbewerbsfähig gemacht haben - aber nicht nur aus Gründen der Effizienz. Die Soziale Marktwirtschaft, zu der sich diese Regierung, die Koalition der Mitte bekennt, ist für uns nicht nur ein System zur Verbesserung der Zahlen - auch und vor allem der Arbeitsplätze -, zur Erhöhung der Umsätze, für eine vernünftige Leistungsbilanz und was es sonst noch alles an Kenndaten gibt, sondern sie ist für uns auch das Wirtschaftssystem, in dem sich die Leistungsfähigkeit des einzelnen - hervorgerufen und hervorgelockt durch Wettbewerb, der im übrigen immer noch die genialste Kontrolle wirtschaftlicher Macht ist, die je erfunden worden ist - am besten entfalten kann. Diese Leistungsfähigkeit, auf die wir setzen, kann nur in diesem System - frei von Bevormundungen, frei von Beschränkungen - zum Zuge kommen; auf sie bauen wir. Mit der Hilfe unserer Bürger wird es uns dann auch möglich sein, die immer noch vor uns liegenden Probleme zu bewältigen. Danke für Ihr Zuhören. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis. ({0})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, daß dem wirtschaftspolitischen Sprecher der CSU angesichts der Ausführungen des Wirtschaftsministers nichts anderes einfällt, als sich Sorge darüber zu machen, ob der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU den Valentin-Preis verdient hat oder nicht. ({0}) Wenn das alles ist, was euch bewegt, dann wundere ich mich über die schlechte Wirtschaftspolitik der Rechts-Mitte-Koalition weiß Gott nicht mehr. ({1}) - Weiß ich, weiß ich. Aber nun zu dem, was uns eigentlich bewegen sollte: nicht der Karl-Valentin-Preis, sondern die Wirtschaftspolitik dieser Regierung. ({2}) Nahezu sintflutartig bricht seit einiger Zeit über das erstaunte Publikum eine Fülle skeptischer, halbguter, warnender bis euphorischer oder sogar sehr guter Prognosen über die Entwicklung der deutschen Wirtschaft herein, witzigerweise meist auf der Seite des Wirtschaftsteils in dem direkt nebenan steht, was die einzelnen Wirtschaftsverbände über ihren Bereich auszusagen haben, beispielsweise der Tiefbau, der uns mit Entlassungszahlen überrascht, der deutsche Reedereiverband, der die schlechteste wirtschaftliche Lage seines Verbandes seit Jahren beklagt, der Maschinenbau usw. usw. Das mag natürlich nur die verwirren, die beide Seiten der Zeitung lesen. Die anderen, die nur den einen Teil, wo das Positive steht, lesen, sind zu sehr an dem neuen Gesellschaftsspiel der Medizinmänner der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft beteiligt, nämlich: Kommt der wirtschaftliche Aufschwung? Und so spielen wir nun seit längerem: Er kommt. Er kommt vielleicht. Er kommt vielleicht ein bißchen. Er kommt, wenn wir besonders brav sind. Er kommt; aber er geht sofort wieder. Er kommt; aber ganz schwachbrüstig. ({3}) Und letztlich: Auch wenn wir ganz brav sind und er im nächsten Jahr nicht kommt, haben wir festgestellt, daß wenigstens bei Art und Zahl der wirtschaftlichen Prognosen ein Aufschwung stattgefunden hat. ({4}) Außerdem: Die Medizinmänner der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft bleiben im Gespräch. Sie verdienen an ihren Konjunkturvoraussagen, ob sie sich nun gegenseitig widersprechen, ob sie nachgebessert werden, ob sie korrigiert werden müssen. Das Parlament hört zum Teil gar nicht mehr zu bei diesen Prognosen. Auch die Bevölkerung läßt das meiste an sich vorbeirauschen. Zu den einzigen, die es zur Kenntnis nehmen, gehört beispielsweise die „Wirtschaftswoche", die am 25. November 1983 lakonisch feststellt: Merkwürdige Berechnungen!, und die uns den seltsamen Weg der Entstehung dieser Prognosen erklärt. Sie kommt zu dem Ergebnis, es sei wohl die Fernsehfreudigkeit des Kieler Wirtschaftsprofessors Norbert Walter gewesen, dem wir diesen Aufschwung zu verdanken haben, denn er habe mal wieder in die Zeitungen oder ins Fernsehen gewollt. ({5}) Natürlich macht die Bundesregierung in dieser Situation das einzige Vernünftige, was auch wir gemacht hätten: Sie sucht sich das Angenehmste heraus ({6}) 1 und macht darüber hinaus dieses einmütige Jubilieren auch noch zu einer Tugend zwischen den Koalitionspartnern. Normalerweise fliegen zwischen den Koalitionspartnern die Fetzen. ({7}) Wenn man sich beispielsweise mal anguckt, was der bayerische Landesvater von der Wirtschaftspolitik des im Moment amtierenden Wirtschaftsministers hält, so kann das, was Minister Stoltenberg heute morgen gesagt hat, doch nicht im Ernst angenommen werden. Sie sind sich doch in keinem einzigen Punkt einig, weder zwischen den Koalitionspartnern noch innerhalb ihrer eigenen Partei, wohin die Reise überhaupt gehen soll. ({8}) Woher überhaupt alle Beteiligten außer aus tiefem Glauben an die eigene Überzeugung, daß man sich nie irren kann, den Mut nehmen, auf Prognosezüge aufzuspringen, bleibt mir ein Rätsel. ({9}) 1978 waren von 29 projizierten Daten 28 schlichtweg ein Flopp. Das ist eine Trefferquote, die, wenn Sie sie auf die Dauer im Lotto anwenden würden, Sie zu einem armen Mann machen würde. ({10}) 1980 sagten vier der fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute ein reales Wachstum von 2,5 % voraus, eine Inflationsrate von unter 4 % und eine Abnahme der Arbeitslosenzahl. Einen Monat später ging der Sachverständigenrat diesen Voraussagen noch mit einem weiten Schritt voraus. Er sagte eine Wachstumsrate von 2,5 % bis 3 % und eine Verringerung der Arbeitslosenzahl um 50 000 voraus. Das kommt mir so bekannt vor. Ich habe das Gefühl, die Wirtschaftsinstitute kupfern bei sich selber ungeniert ab, kassieren bei uns und wundern sich nicht einmal, daß ihre Prognosen nicht eintreten. ({11}) Insoweit, Kollege Dregger, habe ich natürlich gestern auch Ihren Mut bewundert, uns diese Zahlen hier vorzubeten. Warten wir erstmal ein Jahr in Ruhe ab, ob das alles so eintritt. Ich halte es mit Churchill: Ich glaube an keine Statistik, die ich nicht selber zusammengelogen habe. ({12}) Das dürfte, denke ich, in diesem Fall mehr als sonst stimmen. ({13}) Nun geht es hier nicht darum, daß wir am Ende recht gehabt haben wollen. Denn kein Mensch kann Schadenfreude darüber haben, wenn Arbeitslosigkeit und schleppende Wirtschaftsaktivitäten sich fortsetzen. ({14}) Aber ich kann nur sagen: Ihr Wort in Gottes Ohr! Denn wenn ich daran denke, was heute morgen in der Zeitung zu lesen ist, daß der Präsident des Sparkassenverbandes, Geiger, gesagt hat, wir müßten damit rechnen, daß die Sparquote abnehme und in vielen Bereichen die Investitionstätigkeit nicht in Gang komme, dann fehlt mir einfach die Zuversicht, die Sie ausstrahlen. Erst recht fehlen uns von der SPD die Zuversicht und der Optimismus, die Sie ausstrahlen, wenn in der Bundesrepublik über 2 Millionen Menschen langsam, aber sicher in eine Dauerarbeitslosigkeit hineinwachsen und in dieser Dauerarbeitslosigkeit 30 % der registrierten Arbeitslosen nicht einen Pfennig an Unterstützung bekommen. ({15}) Ich gehe jetzt einmal von der These aus, daß davon besonders Frauen betroffen sind. Innerhalb der EG sind über 12 Millionen Menschen ohne Arbeit. ({16}) Im Bereich der OECD sind es noch mehr. Was Sie hier betreiben, ist eine Meisterleistung an Verdrängung. Ich bedaure, daß darauf alle möglichen Leute hereinfallen. ({17}) Statt weinerlich zu sein, wie Sie mir zurufen, wäre es vernünftiger, von dem blinden Optimismus Abstand zu nehmen, der durch wenig gerechtfertigt ist, und Ihren Glauben an die uralte Tante Marktwirtschaft durch vernünftige Tatsachenanalysen zu ersetzen. ({18}) Man muß sich einmal allein den vorgelegten Einzelplan 09 anschauen. Da liegen die Unwägbarkeiten wie Fußangeln nur so herum. Dabei müßte dem Finanzminister eigentlich schlechtwerden. ({19}) Ich kann nur hoffen, daß sich bei dem Einzelplan des Wirtschaftsministers nicht dieselben Prognosetreffer herausstellen, wie es sich beispielsweise bei dem verhält, was in Athen passiert ist. Wie ist denn die Truppe der Aufrechten nach Athen losgereist? Kosten senken - strukturelle Verbesserung - keine müde Mark mehr! Wie ist die Truppe wiedergekommen? Stück für Stück mit blassem und langem Gesicht - 4 Milliarden dazu - keine Strukturverbesserung - außer Spesen nichts gewesen! ({20}) Wenn das, was Sie uns als erfolgreiche internationale und nationale Wirtschaftspolitik hier vorgeführt haben, allein bei Einzelplan 09 nur bruchstückweise eintrifft, dann kann ich nur sagen: Dann gute Nacht! Dann wird es wirklich schwierig. Dann müssen wir uns alle zusammen warm anziehen. ({21}) Der Präsident der Arbeitgeberverbände, Otto Esser, hat uns auch gleich einen Ausweg gewiesen. Offensichtlich haben in der Zwischenzeit nicht nur die Regierungen das Sagen, sondern die Präsiden3146 ten von Arbeitgeberverbänden oder Industrieverbänden bestimmen die Richtlinien der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Otto Esser rechnet vor, daß bei einem Wachstum des realen Bruttosozialprodukts von etwa 3 % und einer Produktivitätsrate von 2 bis zirka 2,5 % die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten fünf Jahren um 1 Million erhöht werden würde. Das bedeutet im Klartext: Wir müssen zwölf Jahre warten, um den jetzigen Bestand der Arbeitslosen abzubauen. Das ist wirklich schon eine abenteuerliche Zugrundelegung von Zahlen. Nicht einmal die ansonsten durch nichts getrübten Wachstumsprognosen der fünf Weisen gehen von einem Zeitraum von zwölf Jahren aus, in dem sie eine Wachstumsrate von real 3% jährlich voraussagen. Außerdem ist in höchstem Grade fraglich, ob wir bei der zunehmenden Rationalisierung zwölf Jahre lang annehmen dürfen, daß der Produktivitätsfortschritt jeweils immer unter der Wachstumsrate liegt. Im übrigen steht in dieser ganzen Berechnung nicht ein einziges Wort darüber, daß allein 1984 die Zahl derjenigen, die zusätzlich in Arbeitsplätze untergebracht werden müssen, rund 100 000 beträgt. Dort steht auch kein Wort darüber, wie man das Wachstum erreichen soll, außer daß das natürlich auf dem Wege der sozialen Marktwirtschaft gehen soll. ({22}) Gestern hat Herr Genscher - übrigens heute unterstützt von Herrn Lambsdorff - gesagt, daß die Entsparung, die als Folge der rücksichtslosen Kaufkraftbeschneidung allein dazu führe, daß der Konsum aufrecht erhalten werde, etwas ganz Tolles sei. Es sei nämlich der Beweis dafür, daß die Bevölkerung Mut in die Zukunft und in die Wirtschaftspolitik dieser Regierung habe. ({23}) - Halt, halt! Mein Kollege Claus Grobecker, der jetzt leider nicht mehr da ist, hätte nun gesagt: Grundkurs I bei den Gewerkschaften: wenn man investieren will, muß man wohl irgendwo sparen. Das habe ich so gelernt, als ich an der Uni war. Wenn man nicht spart und gleichzeitig investieren will - Sie sagen ja, daß das passieren wird - und den Konsum steigern will, dann muß sich das entweder in der Inflationsrate niederschlagen oder es wird nicht investiert oder es passiert irgend etwas anderes, was in Ihrer Berechnung nicht berücksichtigt ist. ({24}) Nach dem, was sich im Moment darstellt, scheint mir dies richtig zu sein: Erstens wird der Konsum aufrechterhalten, und zwar nicht weil die Leute gern entsparen, sondern weil sie ihren Konsum nicht mehr herunterfahren können. ({25}) Zweitens fehlen uns damit die Mittel zu Investitionen, und folgerichtig wird im Moment in der Bundesrepublik auch nicht investiert. Das wird übrigens auch von Herrn Geiger so gesehen. Wenn Sie sich mal allein angucken - nur ganz kurz und so nebenbei ist das vorhin gesagt worden -, was wir an Sektoren und Branchen und Regionen haben, in denen im nächsten Jahr Entlassungen von mehreren tausend anstehen, dann frage ich mich in der Tat wiederum: Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? Von Berlin bis Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen über das Saarland, ein Gürtel von Bremen bis herunter in den Süden - ich höre mal bei Baden-Württemberg auf -, wo wir jeden Tag die neuesten Tartarenmeldungen bekommen, daß wieder Tausende von Arbeitnehmern entlassen werden sollen. Vom - ich nenne jetzt nicht die Firmen - Maschinenbau bis zu den Werften, vom Bereich der Ausstattungsgüter bis zu vielen anderen Bereichen, wird mit Entlassungen gedroht, und zwar nicht immer nur mit einer, sondern gleich mit Tausenden. Wenn diese Arbeitslosen wieder vor den Türen der Bundesanstalt stehen, kann Ihre Berechnung mit der Überweisung an die Bundesanstalt nicht stimmen, es sei denn, Sie planen insgeheim wieder, die Arbeitslosenhilfesätze zu senken. Folgerichtig geht bei diesen Voraussagen die Steuervorausschätzung, an der ja die Bundesregierung beteiligt ist, davon aus, daß wir für 1984 bei den Lohneinkommen mit 12 bis 13 Milliarden DM weniger an Kaufkraft rechnen müssen. 12 bis 13 Milliarden DM sind dann also weniger in den Taschen der Arbeitnehmer. Dadurch verringert sich im übrigen auch die Einnahmenseite beim Bund. Für die angebotsfixierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist dies womöglich sogar noch ein Erfolg. Wenn man jedoch die ganzen übrigen Kahlschlagsanierungen im Sozialbereich zuzieht, über die andere Kollegen besser und mit sehr viel Wissen reden können, dann gehört entweder Naivität, schlichter Glaube oder Zweckoptimismus dazu, von einem dauerhaften Aufschwung zu reden. ({26}) Ich glaube, daß man wirtschaftliche Tatbestände unterschiedlich bewerten darf. Das muß in einem Parlament mit so unterschiedlichen Mitgliedern möglich sein. ({27}) Es ist auch durchaus legitim, wenn Angehörige dergleichen Denkschule einmal auf der wirtschaftswissenschaftlichen Seite, dann wieder auf der Regierungsseite sich ihre Argumente zum Beweis der Richtigkeit ihrer eigenen Thesen gegenseitig zuspielen. Ich glaube aber auch, daß es intellektuelle Fairneß gebietet, die Existenz krisengeschüttelter Branchen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen ({28}) und nicht so zu tun, als ob es das alles nur in den Alpträumen von wahlkreisinteressierten Abgeordneten gäbe. Es ist doch nicht das Problem von Herrn Wolfram alleine, daß wir in der Kohle Probleme haben. Und es ist doch nicht das Problem der norddeutschen Abgeordneten, daß es in den Werften kriselt. Keineswegs sind auch nur NordrheinWestfalen oder das Saarland daran interessiert, die Stahlfrage hochzuschaukeln. Das sind reelle, existierende Probleme der deutschen Wirtschaft. ({29}) Was tut der Wirtschaftsminister in diesen Branchen? ({30}) Bei den Werften spielt er Schiffeversenken. Ich weiß nicht, ob Sie dieses alte Schülerspiel kennen. Da macht man so ein Blatt in die Mitte und sagt blindlings irgendeine Zahl in einem vorgezeichneten Kästchen auf der anderen Seite, und der andere schreibt auf: Getroffen. ({31}) So machen Sie Wirtschaftspolitik. Da gibt es kein Konzept, da gibt es nichts, woran man überhaupt erkennen könnte, was Sie sich bei der Schiffahrt auch nur ungefähr vorstellen, ({32}) sondern Sie hauen blindlings zu in der Hoffnung, daß irgendwo am Ende - ({33}) 3) - Na, gucken Sie sich mal an, was in Norddeutschland, allein in Bremen, bei den Großfusionen der Werften vorgegangen ist. ({34}) Sie hauen blindlings zu in der Hoffnung, der Stärkere wird am Ende übrig bleiben. Dieses Totschlageargument der selbstheilenden Kräfte des Marktes bewirkt bei uns in Norddeutschland, aber nicht nur dort, bewirkt in Bremen, bewirkt in Berlin, bewirkt in Nordrhein-Westfalen, bewirkt im Saarland Arbeitslosigkeit, und zwar erschreckend zunehmende Arbeitslosigkeit und offenbart zweitens auch Ihren Mangel an Erkenntnisfähigkeit. Es sind doch nicht die Löhne, nicht einmal die Lohnnebenkosten, es ist auch nicht das Verhalten der Arbeitnehmer, die beispielsweise dem Stahloder dem Schiffbau zu schaffen machen, sondern es ist die geradezu unverfrorene Subventionspolitik unserer europäischen Partner in diesen Bereichen, die, wenn wir mithalten wollen und nicht ganze Branchen vor die Hunde gehen lassen wollen, auch uns - ich gebe Ihnen das j a gerne zu - in der Subventionspolitik zum Teil zu unvernünftigem Handeln zwingen. Aber entweder, Herr Bundeswirtschaftsminister - - Nun ist er weg. ({35}) Entweder hat ihn der Kummer oder die Interessenlosigkeit hinausgetrieben, beides ist gleichermaßen - -({36})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, der Wirtschaftsminister kommt gerade wieder; es hat wohl andere Gründe gehabt. ({0})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte ihn nämlich mal fragen, ob er tatsächlich der Wirtschaftsminister eines Entwicklungslandes sein möchte. Anders kann ich mir nicht erklären, warum er ausgerechnet immer das Lohnniveau von Entwicklungsländern anführt, wenn er von seiner Wirtschaftspolitik redet. ({0}) Außerdem wolte ich ihn fragen, ob er denn in der Tat das Wort von der mangelnden Leistungsfähigkeit deutscher Arbeitnehmer ernst meint. Statt Ursachenanalyse zu betreiben, vergleichen Sie unsere Löhne mit dem Lohnniveau von Entwicklungsländern und stellen die mangelnde Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer fest, um daran das ganze Elend der deutschen Wirtschaftspolitik auszumachen. Eines der Probleme, die uns Schwierigkeiten bereiten, sind ganz bestimmt die wechselnden Signale aus Bonn, gekoppelt mit Ihrer neuen wirtschaftspolitischen Linie: Abwarten, Durchatmen, mindestens bis tausend zählen, Augen zu und durch, egal was übrigbleibt und welche Schleifspuren dabei herauskommen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Simonis, eine Frage zu den angeblich unverfrorenen Subventionen im Stahlbereich in den EG-Partnerländern: Wie würden Sie das aus der Sicht eines Stahlarbeiters in Lothringen, in Frankreich, in Belgien oder in Großbritannien sehen, der mit dem gleichen Argument wie unsere saarländischen Kollegen in der Stahlindustrie staatliche Hilfestellung für die Arbeitsplatzsicherung einerseits und die Modernisierung andererseits fordert? Ist es nicht Ausdruck einer ziemlich starken chauvinistischen Position, von der unverfrorenen Subventionspolitik in den EG-Partnerländern zu sprechen?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will nicht bestreiten, daß in den Augen eines lothringischen Stahlarbeiters auch die Subventionspolitik der Bundesregierung unverfroren sein muß. Aber im Grunde genommen ist das ein Zeichen dafür, daß diese Bundesregie3148 rung als Vertreterin eines der wirtschaftlich stärksten Staaten nicht in der Lage ist, innerhalb der EG ein vernünftiges Konzept durchzusetzen. ({0}) - Das ist nicht einmal eine Erkenntnis, die ich habe, sondern die Branche trägt dem Minister ständig vor, daß er endlich einmal in Brüssel etwas machen solle. Und es bleibt natürlich die Tatsache bestehen, daß man in der Tat durch unverfrorene Subventionspolitik, d. h. immer vorbei an den OECD-Regelungen, versucht, sich halbwegs durchzumogeln. ({1}) Wir hatten also gerade festgestellt, daß die neue wirtschaftspolitische Linie des Ministers lautet: Abwarten, Durchatmen, mindestens bis tausend zählen, Augen zu und durch, aber ansonsten nichts zu machen. Wenn die Manager in unseren Krisenbranchen so opferbereit, anpassungsfähig, leistungsbewußt und zukunftsorientiert handelten, wie sie es vom deutschen Arbeitnehmer dauernd verlangen, wäre schon manches in diesen Krisenbranchen geheilt. ({2}) Nur ein Bruchteil dieser geforderten Fähigkeiten würde, von Ihnen eingesetzt, den Eindruck der Konzeptionslosigkeit bei der Bundesregierung ein bißchen zerstreuen helfen können. Wie sehen denn beispielsweise die Stetigkeit und die Ausdauer in der Wirtschaftspolitik aus? Da haben wir laufend wechselnde Signale, beispielsweise in den Fragen: Großfusion der Werften in Bremen, ja oder nein - das sieht vor einer Wahl immer ganz anders aus als hinterher -, übergreifendes Stahlsanierungskonzept, j a oder nein - nachdem die Regierung erst dafür war, ist sie jetzt dagegen -, Fortsetzung bzw. Ausbau eines modernen Luft- und Raumfahrtkonzeptes, ja oder nein, ({3}) Vorrang der heimischen Kohle, j a oder nein? Man weiß es nicht immer ganz genau. Heute wird etwas anderes gesagt als morgen. Und ich frage mich, ob der Wirtschaftsminister und mit ihm der Finanzminister morgen noch wissen, was heute zu tun sie sich gestern vorgenommen haben. Das Gefühl, daß sie das wissen, habe ich leider nicht mehr. ({4}) Wie ein Hamster in seinem Laufrad rennen sie den Beweisen nach, daß Milton Friedman nicht irren kann - weil er nicht irren darf - und daß Keynes ein geschichtlicher Irrtum der Ökonomie gewesen ist, anstatt Keynes zu modernisieren und Friedman zu vergessen. ({5}) Dessen Politiksurrogat hat Chile zum Kollaps geführt, bewirkt, daß in Amerika nahezu 38 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und in England jeder Dritte. Das ist das Ergebnis einer Politik, in der dem Staat lediglich die Rolle eines Nachtwächters zugewiesen wird. Was, um Gottes willen, brauchen Sie denn noch an Beweisen, um endlich zu begreifen, daß Sie sich auf dem Holzwege befinden, und zu handeln? Denn heute schon zahlen Arbeitnehmer, zahlen aber auch Unternehmer in Krisenbranchen schwer für die Nachtmützen-Politik der Bundesregierung. ({6}) Es ist keineswegs ein Lob für die Beteiligten, wohl aber ein Lob für den Finanzminister, wenn man feststellt: Durchgesetzt hat sich in diesem Haushalt auch bei der Wirtschaftspolitik der Finanzminister, nota bene ein Mann, der selten zukunftsweisende Visionen hat, dessen Mut zum Risiko sich im Zurückfahren von Haushaltsansätzen erschöpft und dessen Waterloo jede ausgegebene Mark ist. Der bestimmt die Richtlinien der Wirtschaftspolitik. Und so sieht die dann auch aus. ({7}) Es wäre Aufgabe des Wirtschaftsministers gewesen, jene Mittel freizubekommen, die er braucht, um die Modernisierungsprozesse in der Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze zu sichern und zu vermehren und soziale Sicherheit zu garantieren. Hat der Wirtschaftsminister gekämpft? O ja, er hat. Sein Kampf in Sachen ARBED-Saarstahl bestand darin, Massenentlassungen zu fordern. Sie sind weiß Gott der erste Wirtschaftsminister, den ich kennengelernt habe, der Massenentlassungen auf seinem Programm hat. Ich kenne sonst nur Wirtschaftsminister, die für Beschäftigung kämpfen. ({8}) Das ist wirklich ein Novum. Gleichzeitig mit der Massenentlassung haben Sie allerdings etwas anderes vorgehabt, als nur die Arbeitslosenzahl nach oben zu treiben. Sie wollten im Saarland zwischen die Gewerkschaften einen Keil treiben. Sie wollten, daß Tarifverträge aufgelöst werden können und daß die Existenzgrundlage von Tausenden von Arbeitnehmern nahezu an eine Grenze heruntergefahren wird, von der ich behaupten möchte, daß sie ein menschenwürdiges Leben auf Dauer nicht garantieren kann. ({9}) Wie sah sein Kampf in der Kohlepolitik aus? Hat der Wirtschaftsminister irgend etwas getan, um sicherzustellen, daß Kohle bei uns verstärkt eingesetzt wird? Nein, kann man nur sagen. Das einzige, was ihm eingefallen ist, sind Freischichten und Kapazitätsanpassung auf Kosten der Bergleute. Wenn in diesem Zusammenhang im übrigen immer wieder von Ökonomie und Ökologie gesprochen und die für mich verblüffende These aufgestellt wird, Kohle laufe den Zielen der Ökologie zuwider, deswegen brauche man Kernenergie, dann muß ich sagen: Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie selbst Großfeuerungsanlagen-Verordnungen herausgegeben haben, die bei konsequenter und schneller Befolgung durchaus den wirtschaftlichen und umweltschonenden Einsatz von Kohle erlauben würden. ({10}) - Wissen Sie, lieber Herr Stratmann, ich würde an Ihrer Stelle nicht so herumspektakeln; denn der Sexismus, der vorhin bei Ihrem Vergleich mit der alten Frau, die sich liften läßt, durchgeschlagen ist, hätte in Ihrer Fraktion eigentlich zum Aufschrei führen müssen. ({11}) Ich kenne Männer, die zu sehr viel - sagen wir einmal - unerfreulicheren Mitteln greifen, um ihre mangelnde Schönheit aufzupolieren. Richtig ist, daß es in der Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit - da schließe ich die SPD nicht aus - durchaus Irrungen und Wirrungen gegeben hat. ({12}) Daß Sie von Geburt an alles besser wissen, ehrt Sie, freut mich für Sie, freut mich für Ihre Eltern. Aber daß es so ist, halte ich für unwahrscheinlich. ({13}) - Nein, es spricht nur für die gute Familie, aber nicht für die Wirtschaftspolitik, die Sie vorgetragen haben. ({14}) Der Minister, dem von Amts wegen eigentlich zuzutrauen wäre, daß er in gesamtwirtschaftlichen Kategorien denkt, befleißigt sich - das kam auch vorhin in seiner Rede wieder zum Ausdruck - im wesentlichen einzelwirtschaftlicher Überlegungen. Das wird dann auch noch wirtschaftswissenschaftlich abgefedert durch das Institut für Weltwirtschaft, das sich zur Verdeutlichung seiner Sparpolitik nicht entblödet hat, uns im Haushaltsausschuß das Modell einer geschlossenen Wirtschaft vorzuführen. Auf die Frage, warum er das tue, hat er geantwortet, das sei für uns didaktisch und pädagogisch vernünftiger. In solchen Modellen - das will ich j a gerne zugeben - gibt es natürlich, so didaktisch und pädagogisch vernünftig sie sind, keine sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit. Darin gibt es auch keine sozialen Kosten für aussterbende Regionen und Branchen. Darin gibt es lediglich Kosten und Gewinne. Die letzteren gilt es zu maximieren, die ersteren gilt es zu minimieren. Das Ganze um nahezu jeden Preis, vor allen Dingen um den Preis, daß die sozial Schwächsten es zu bezahlen haben. ({15}) Natürlich glaubt im Ernst niemand an eine geschlossene Wirtschaft. Im Gegenteil: Der Jubel bricht über jeden Prozentpunkt oder Viertelprozentpunkt aus, um den der Export gesteigert wird. Das Ganze wird dann als ein Erfolg der Regierung dargestellt. Dieser Erfolg hat lediglich damit etwas zu tun, daß sich der Dollar in geradezu atemberaubende Höhen hinaufgeschraubt hat. Dann noch zu behaupten, daß wir eine feste Währung hätten, erfordert auch wieder Mut; denn wenn der Dollar, gemessen an der Mark, auf 2,78 DM gestiegen ist, kann man nur sagen, daß zwischen diesen beiden Währungen irgend etwas nicht in Ordnung ist. Als Folge davon steigen natürlich unsere Exporte. Das ist wie bei einem aufgeblasenen Luftballon, der jederzeit sofort in sich zusammensinkt, wenn man mit der Nadel hineinpiekt, sprich: wenn der Dollar sinkt. Darauf würde ich keine längerfristige Wirtschaftspolitik aufbauen. Sie haben den Mut dazu. Ich kann nur sagen: à la bonne heure! Im übrigen verlieren Sie, wenn Sie Ihre Exporte bejubeln, auch kein Wort über zunehmende Auslandsabhängigkeit. Und die steigenden Importe, die sich bei Ihrer mittelfristen Finanzplanung in steigenden Importsteuereinnahmen niederschlagen, finden bei Ihnen auch kaum eine Erwähnung. Es ist ungefähr so, als gingen Sie davon aus: Alle unsere Handelspartner sind hoch befriedigt, im Handel mit der Bundesrepublik Zahlungsbilanzdefizite zu bekommen, und werden es auch noch zehn Jahre lang so fortsetzen. ({16}) Von Protektionismus ist keine Rede. Das scheinen Sie nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Aber genau dort setzt der Widerstand unserer Handelspartner ein, indem man gegenüber deutschen Produkten protektionistisch handelt. Das richtet sich im übrigen ausgerechnet gegen jene Produkte, bei denen wir es sowieso schon schwer haben, zum Beispiel beim Stahl. Außerdem wird kein Wort darüber verloren, daß wir in der Zwischenzeit selbst nach Protektionismus schreien, im übrigen mit Hilfe der Regierung. Das Ganze heißt aber nicht „Protektionismus", sondern wird vornehm umschrieben als „Selbstbescheidung der Exporte aus Japan". Damit gestehen Sie der deutschen Wirtschaft einen Freiraum zu, in dem sie sich nicht mehr bewegen muß, in dem sie nicht mehr innovativ werden muß, sondern in dem sie sich darauf verlassen kann, daß die nach außen gerichteten Schutzzölle, Schutzzäune und Schutzbarrieren so hochgesetzt werden, daß man sich geruhsam hinsetzen und warten kann, ob ihr nicht eines Tages, wenn es doch schiefgegangen ist, mit einer Subvention ein bißchen über die Runden geholfen wird. Bei Ihnen findet keinerlei Nachdenken darüber statt, welche alternativen zukunftssichernden Produktionen alte Strukturen ersetzen können. Hier wird so munter von strukturellen Defiziten, von strukturellen Schwierigkeiten gesprochen. ({17}) Ist jemand von Ihnen überhaupt in der Lage, zu definieren, was eine Struktur ist? Ich fürchte, Sie können es nicht einmal buchstabieren, geschweige denn können Sie eine Politik dagegen einleiten. ({18}) Es gibt keine vorausschauende Strukturpolitik, ganz zu schweigen von einer Industrie- und Technologiepolitik. Sie sind nicht einmal in der Lage, im Haushaltsausschuß eine Antwort darauf zu geben, ob Sie beim Airbus, einem der wenigen Produkte, das Sie zu Recht mit Stolz vorführen können, die Zelle - sprich: den Körper des Flugzeugs -, die Ausrüstung - sprich: die Leitwerke - und die Motoren, die Turbinen, in gleichem Maße fördern wollen oder nicht. Sie halten vielleicht die Zelle für wichtiger als die Turbinen, aber das kann man auch genau anders sehen. Man erhält jedesmal Leerantworten, wenn man Sie danach fragt. Mit anderen Worten: Sie haben nicht die geringste Ahnung, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Statt aktiver Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gibt es bei Ihnen nur Nichtstun. Die Folge dieses Nichtstuns ist, wie wir Ihnen vorausgesagt haben, daß - dem Gesetz der Schwerkraft folgend - der materielle Wohlstand immer dorthin wandert, wo schon eine ganze Menge ist. Es gibt dafür ein deutsches Sprichwort, das ich hier jetzt nicht zitieren möchte, weil ich mir sonst unter Umständen eine Rüge einhandeln würde. Dies wird auf der rechten Seite des Hauses wohlwollend zur Kenntnis genommen und sogar noch dadurch gefördert, daß man im Sozialbereich kürzt, sich andererseits aber mit Ankündigungen von Steuergeschenken nur so überschlägt. Sie haben aber den Mut, in demselben Moment ein „Anspruchsdenken" in der Bevölkerung zu beklagen und zu fordern, daß zur Gesundung der deutschen Wirtschaft dieses „Anspruchsdenken" nach unten gefahren werden muß. Kennt man bei Ihnen eigentlich Schmerzgrenzen? Tut Ihnen irgendwann auch einmal etwas weh, wenn Sie solche Sachen sagen? ({19}) Bei uns in Schleswig-Holstein verdient ein Schiffsfacharbeiter 1400 DM netto im Monat. Das bringt er mit nach Hause und hat davon eine Frau und unter Umständen zwei Kinder zu ernähren. Im Saarland verdient ein Stahlfacharbeiter fast denselben Nettobetrag. Dieses als „übertriebenes Anspruchsdenken" zu bezeichnen ist der blanke Zynismus; ({20}) erst recht dann, wenn man noch die Tatsache im Hinterkopf hat, daß sich der saarländische Wirtschaftsminister zu seinem, wie er es betrachtet, „schwachbrüstigen Salär" in Höhe von 160 000 DM im Jahr von seinem ehemaligen Arbeitgeber 100 000 DM im Jahr dazugeben läßt. Ich kann das verstehen: Wenn ich mir die saarländische Wirtschaft angucke, kommen mir auch die Tränen. Vielleicht war das der Grund, warum ihm 160 000 DM zu wenig waren. In demselben Moment, da Sie 1400 DM netto im Monat als „übertriebenes Anspruchsdenken" zurückweisen, sehen Sie interessiert zu, wie an den normalen Grundsätzen der Anständigkeit im Beamtentum und an der Regierung vorbei sich ein Wirtschaftsminister gerade im ärmsten Land der Bundesrepublik sein persönliches Gehalt aufbessern läßt. Sie erspüren offensichtlich überhaupt nichts, und Sie wollen auch nichts begreifen. Dies ist das Kennzeichen Ihrer Wirtschaftspolitik. ({21}) In Ihrer Unbeweglichkeit ähneln Sie trotz Ihrer Wendigkeit in bestimmten Dingen den Dinosauriern. Im Gegensatz zu den Dinosauriern allerdings, die an ihrer eigenen Unbeweglichkeit zugrunde gingen, können Sie für sich nicht in Anspruch nehmen, Sie seien nicht vor den Folgen Ihres Nichtstuns, Ihrer Unbeweglichkeit gewarnt worden. ({22}) Im Gegensatz zu den Dinosauriern zahlen nicht Sie die Zeche Ihrer Untätigkeit, sondern die arbeitslosen Frauen, die Behinderten, die Jugendlichen ohne Ausbildung und Arbeitsplatz, die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, die „freigesetzt" werden, oder wie sonst die schönen neudeutschen Worte dafür lauten. Wir sind daher nicht in der Lage, Ihrem Haushalt zuzustimmen. Das einzige, wozu wir uns aufraffen können, ist, zu sagen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben noch einmal, und kommen Sie 1985 mit einem besseren Vorschlag! Vielen Dank. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Aussprache wird um 14 Uhr fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({0}) ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das ist eine Absprache innerhalb des Präsidiums, um das nicht so offiziell wie beim Beginn einer Sitzung zu machen, da es sich um die Fortführung einer unterbrochenen Sitzung handelt, die ich damit eröffnet habe. ({0}) Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Frau Kollegin Simonis sehr dankbar, die vorhin in ihrer unDeutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3151 nachahmlich charmanten Art zur Wirtschaft Stellung genommen hat, daß sie vor allen Dingen einmal das Verhältnis der GRÜNEN zum Sexismus klargestellt hat. In dieser Frage, Frau Kollegin Simonis, haben Sie mehr Klarheit geschaffen als beim wirtschaftpolitischen Kurs der SPD; denn was wir seit der Bundestagswahl oder seit der Wende gehört haben, waren nur alte Formeln aus der wirtschaftspolitischen Alchemistenküche der SPD. Sie haben vorher nichts getaugt, und sie taugen heute nichts mehr. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die dringend notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen bei den öffentlichen Haushalten sowie die dringend notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft werden nach wie vor hier im Bundestag und vor allen Dingen von Ihren Hilfstruppen draußen nur als Umverteilung von unten nach oben oder gar als unsozial beschimpft. Solche Beschimpfungen sind ebenso töricht, wie wenn man bei einem Großbrand die Feuerwehr beschimpft, weil sie beim Löschen etwas Wasserschaden anrichtet, statt endlich die Brandstifter dingfest zu machen. ({1}) Es ist doch unbestritten richtig, daß diese Koalition in verhältnismäßig kurzer Zeit trotz der drükkenden Erblast einen Stimmungsumschwung bei Investoren und Verbrauchern bewirkt hat. Wir sind drauf und dran, durch diese gute Politik mit einem Befreiungsschlag der Sklaverei des Schuldenstaates endlich wieder zu entrinnen. Die deutlich abgesenkte Nettokreditaufnahme entlastet den Kapitalmarkt, sie treibt die Zinsen nicht weiter in die Höhe, sondern das Gegenteil ist der Fall. Wer allerdings geglaubt hat - das sage ich auch an die Adresse vieler eigener Freunde und Anhänger -, daß wir die tiefgreifenden Strukturprobleme unserer Wirtschaft mit einem Federstrich lösen und den Arbeitsmarkt mit einem Schlag in Ordnung bringen können, der sieht sich natürlich mit Recht getäuscht. Wir haben das nie versprochen, wir haben das nie so gesagt. Ich würde eher Professor Giersch zustimmen, der zu dieser Frage sagt: „Es wird 20 bis 30 Jahre dauern, bis die tiefgreifenden Fehlentwicklungen der 70er Jahre wieder beseitigt sind." ({2}) Trotz der gestrigen Polemik von Herrn Vogel zu dieser Frage will ich in dem Zusammenhang nachdrücklich begrüßen, daß gerade in den letzten Monaten die Diskussion über die Vielzahl von arbeitsplatzgefährdenden oder arbeitsplatzverhindernden Vorschriften wieder in Gang gekommen ist. Wir sind alle gut beraten, wenn wir unkonventionelle Denkanstöße, z. B. das Albrecht- oder das GeorgePapier in der nächsten Zeit ganz unvoreingenommen und nüchtern diskutieren. Ich bin der Meinung: Wenn es gilt, das Unrecht der Arbeitslosigkeit gerade der jüngeren Generation zu beseitigen, dann dürfen auch heilige Kühe nicht geschont werden. ({3}) Es gibt heute viele Gründe, warum die Wende noch nicht voll auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen ist. Es gibt viele Gründe, warum die Unternehmen zögern, Neueinstellungen vorzunehmen. Die Schutzvorschriften des Arbeitsrechts, die hohen Kosten des Sozialrechtes, die mangelnde Flexibilität im Tarifbereich sind einige davon. ({4}) - Wir müssen schon einmal die Frage stellen dürfen, Herr Zwischenrufer, ob nicht nivellierende Bundeseinheitstarife ohne Rücksicht auf die Besonderheiten einzelner Regionen oder Branchen ein gerüttelt Maß an Schuld für die Misere am Arbeitsmarkt tragen. ({5}) Wir haben es sehr oft mit einem - ich möchte es einmal so nennen - Tarifkartell zu tun, das seine Vereinbarungen oft zu Lasten Dritter trifft, nämlich zu Lasten der Beitragszahler und auch oft zu Lasten der Steuerzahler, die dies alles dann wieder mit Zuschüssen wettmachen müssen. Wir schaffen damit ein Zwei-Klassen-System auf dem Arbeitsmarkt, nämlich die einen, die Arbeit - zu komfortablen Bedingungen nach geltenden Tarifen, nach geltenden Konditionen - haben, und die anderen, die draußen stehen. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir dies beseitigen können, dann wäre es eigentlich im Interesse der Arbeitnehmer, wenn wir auch von der Seite der Opposition dazu Unterstützung erhalten würden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Glos, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann zuzulassen?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja!

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr, Herr Hoffmann.

Hans Joachim Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000937, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Glos, war das soeben die Ankündigung der Auflösung der Tarifautonomie? Denn was Sie hier sagen, bedeutet, daß für einzelne Branchen, Regionen oder Unternehmen die Tarifautonomie aufgekündigt wird. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Hoffmann, es war genauso, wie ich es gesagt habe: Es war die Aufforderung zum Nachdenken, wie wir einen Zustand, den wir alle als unbefriedigend empfinden, für die Zukunft im Interesse der Arbeitnehmer wieder verbessern können. ({0}) Trotz aller Schwierigkeiten - die sowohl hausgemacht sind, die aber auch durch die weltweite Konjunktur- und Finanzkrise entstanden sind, die unseren Export hart trifft - können wir uns nach 14 Monaten mit unseren Erfolgen sehen lassen. Vieles ist schneller gekommen als erwartet. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zum Stillstand gekommen; der Sachverständigenrat erwartet sogar, daß der Umfang der Arbeitslosigkeit am Ende des nächsten Jahres deutlich unter dem jetzigen Niveau liegt. Hinzu kommt ein kräftiger Rückgang der Kurzarbeit, der sich nächstes Jahr fortsetzen wird. Die wirtschaftliche Erholung ist kräftiger, als zunächst von allen erwartet. Nach zwei Jahren sinkender Produktion und sinkender Investitionen ist ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen, der vor allen Dingen in den Verlaufszahlen deutlich erkennbar ist. Dieser Aufschwung ist um so bemerkenswerter, als er vom üblichen Schema abweicht. Diesmal war es nicht der Export - wie sonst -, der den Anstoß gab, sondern die inländische Nachfrage. Die gestiegene inländische Nachfrage ist auf das größere Vertrauen sowohl der Investoren als auch der Verbraucher zurückzuführen. Wir haben am letzten Samstag einen nie gekannten Ansturm im Weihnachtsgeschäft auf die Läden erlebt. Dies alles zeigt, daß man wieder bereit ist, sein Geld vom Sparbuch zu nehmen, daß man wieder Mut hat, daß man keine Angst hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Ich glaube, dies alles sind gute Zeichen. Es ist auch ganz besonders bemerkenswert, daß der Aufschwung diesmal nicht von kreditfinanzierten, künstlichen Ankurbelungsmaßnahmen des Staates getragen worden ist, sondern daß er, wie gesagt, von den privaten Investoren und Verbrauchern gekommen ist. ({1}) - Ich bin der Überzeugung: Wenn Sie mithelfen, daß es vorwärts geht, und wenn Sie nicht jede gute wirtschaftspolitische Nachricht, die zu hören ist, als beklagenswert bezeichnen, weil sie nicht in Ihr parteipolitisches Kalkül paßt, wenn Sie mithelfen, den fälligen Optimismus zu verkünden, statt Pessimismus herbeizureden, dann wird der Aufschwung sehr lange dauern. ({2}) - Es klappt auf jeden Fall, Herr Kollege Friedmann. Vielen Dank. - Es wird beklagt, daß wir heute nicht schnell genug das erreichen, wozu die SPD in 13 Jahren nicht fähig war. ({3}) - Herr Kollege Hoffmann, da Sie dazwischen rufen: Wir müssen Sie fragen, wohin wir getrieben wären, wenn Sie die Regierungsverantwortung behalten hätten. ({4}) Wieviel Arbeitslose hätten wir denn jetzt im Dezember 1983 in unserem Land? ({5}) Sie haben es angekündigt, denn auf den Wahlplakaten in Hessen stand ja: 3 Millionen Arbeitslose im Dezember. - Wieviel Lehrstellen wären dann zur Verfügung gestellt worden? Wieviel Firmenzusammenbrüche mehr hätten wir in dieser Zeit erlebt? ({6}) Sehr erfreulich ist auch die Preisentwicklung. Wir haben die Inflationsrate halbieren können, dies trotz der Mehrwertsteuererhöhung. Auch hier sind die Verlaufszahlen noch günstiger als die Durchschnittszahlen. Gegen Ende des nächsten Jahres rechnet der Sachverständigenrat mit einer Preissteigerungsrate von nur noch 2 % gegenüber dem vierten Quartal dieses Jahres. Das inzwischen erreichte hohe Maß an Preisstabilität ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung. Preisstabilität stärkt die private Kaufkraft und wirkt mäßigend auf die Zinsentwicklung. Monatelang haben die SPD und ihr nahestehende Gruppen die von uns vorgenommenen Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Investitionen auf das allerheftigste kritisiert und vor allen Dingen die Nutzlosigkeit eines solchen Vorgehens prophezeit. Wir würden Steuergelder verschwenden, hat man uns gesagt, wir würden eine Ellenbogengesellschaft wieder einführen wollen, wir würden Umverteilung von unten nach oben betreiben. ({7}) Das waren doch Ihre gängigen Formulierungen, und wir bekommen das heute noch ständig hingehalten. ({8}) - Es ist aber falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. Der Sachverständigenrat bescheinigt uns jetzt, daß der eigentliche Antrieb für die wirtschaftliche Erholung aus dem geänderten Verhalten der Investoren und Konsumenten gekommen ist und - ich zitiere wörtlich -, „daß die Lähmung der Investitionsneigung im Verlauf des Jahres 1982 im Jahr 1983/84 einer deutlich gestiegenen Investitionsbereitschaft gewichen ist". Treibende Kraft war dabei vor allen Dingen der Wohnungsbau, wofür ich dem Wohnungsbauminister Schneider meinen ganz besonderen Dank aussprechen will. ({9}) Seit Mitte des Jahres haben sich auch die Exporte wieder deutlich verbessert. Neben dem privaten Verbrauch werden die inländischen Investitionen und der Export zunehmend zum Schrittmacher der Konjunktur. ({10}) Die wirtschaftliche Erholung hat also an Kraft gewonnen. Es geht wieder aufwärts. Die Zuversicht wächst. Jetzt müssen wir dafür sorgen, daß die wirtschaftliche Erholung in einen dauerhaften Aufschwung einmündet. An einer anderen Front - und ich beklage das - haben wir leider weniger Erfolge errungen. Das ist die Subventionsfront. Allerdings wird die DiskusDeutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 8. Dezember 1983 3153 sion um die staatlichen Subventionen teilweise nicht redlich geführt. ({11}) Die meisten, die sich zu dem Thema melden, verfahren nach dem Prinzip des Heiligen Sankt Florian: Verschon' mein Haus, zünd' andere an. - Wir sind leider in der wenig erfreulichen Situation, daß nur staatliche Finanzhilfen heute Zigtausende von Arbeitsplätzen, Zigtausende von Familieneinkommen, die wirtschaftliche Existenz ganzer Regionen und Branchen sichern. Ein undifferenzierter, globaler und massiver Abbau solcher Finanzhilfen beispielsweise für Kohle und Stahl oder für die Landwirtschaft hieße, auf einen Schlag Tausende von Arbeitsplätzen zu vernichten und ganze Regionen verarmen zu lassen. Bei über 2 Millionen Arbeitslosen fällt es schwer, diese Subventionen zu streichen und Arbeitsplätze in diesen strukturschwachen Räumen zu vernichten. Wer das will und anderen mangelnden Mut vorwirft, der soll sich den betroffenen Arbeitnehmern an Ruhr, Saar oder an der Küste stellen und nicht vor Unbetroffenen das Subventionsunwesen bitter beklagen. ({12}) Dazu hat die SPD am allerwenigsten Grund, die in der Regierungsverantwortung in Bonn und auf Länderebene gerade diesen Mangel an Mut bewiesen hat, die Dinge hat treiben lassen, als die notwendigen Strukturänderungen mit einem wesentlich geringeren finanziellen Aufwand hätten durchgeführt werden können. ({13}) - Weil Sie zwischenrufen, verehrter Herr Oberbürgermeister von Recklinghausen: Bezeichnend ist doch, daß die Probleme in sozialdemokratisch regierten Bundesländern am allerschlimmsten sind. ({14}) - Sie kennen genau die besonderen Verhältnisse des Saarlandes. ({15}) Ich muß Ihnen keine Nachhilfe in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geben. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Glos, ich möchte an Sie als CSU-Abgeordneter eine Frage richten. Gestern abend hat Herr Ministerpräsident Strauß sehr kritische Worte gegenüber dem derzeitigen Wirtschaftsminister gefunden, was eine Verweigerung der Industriepolitik bei Kohle, Stahl und Werften angeht. Da wir ja darin einig sind, daß Subventionen dort unvermeidbar sind, ist meine Frage an Sie: Halten Sie es jetzt mit der industriepolitischen Position von Franz Josef Strauß oder mit der Verweigerung jeder Industriepolitik durch Graf Lambsdorff? ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, daß da überhaupt kein Widerspruch besteht. ({0}) Der Widerspruch, den Sie hier aufbauen, ist künstlich. ({1}) Wir haben einvernehmlich - im Haushaltsausschuß mit CDU wie CSU als auch FDP - dabei geholfen, die Situation dieser Regionen zu verbessern. Wir haben zusätzliche Mittel für die Kohle bereitgestellt. Die Zahl ist genannt worden: 840 Millionen. Wir haben zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen für den Stahlbereich, Verpflichtungsermächtigungen über den Regierungsentwurf hinaus, bereitgestellt: 360 Millionen. Wir haben zusätzliche Mittel für die Luftfahrtindustrie bereitgestellt: 1,2 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen. Der Airbus wird j a hauptsächlich im Norden unseres Vaterlandes gebaut, so daß diese Mittel weniger dem Freistaat Bayern als Arbeitnehmern im Norden unseres Vaterlandes zugute kommen. ({2}) Lassen Sie mich des weiteren sagen: In Bremen ist die Unterstützung des Bundes, ist eine Bundeshilfe nicht allein am Freistaat Bayern - oder gar an der CSU - gescheitert. Soviel ich weiß, war es die Freie und Hansestadt Hamburg, und Herr von Dohnanyi war führend, als es darum ging, den Bremer Genossen eine Hilfe zu verweigern. ({3}) - Das ist Ihre Bewertung der Dinge.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, wir wollen uns in diesem Streit doch so verhalten, wie es jeder auch für sich selbst gern hätte. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bekenne mich immer zu unserem Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß. Da gibt es, wenn Sie das wissen wollen, überhaupt keine Probleme! ({0}) Wir lassen hier keine künstlichen Keile zwischen uns treiben, und wir lassen nicht Differenzen aufbauen, wo im Grunde überhaupt keine vorhanden sind. ({1}) Trotz all dieser beklagenswerten Subventionen, die wir gewähren müssen, haben wir die Aufgabe, die Situation in Zukunft zu verbessern und Dauersubventionen zu streichen, noch lange nicht aufgegeben. Das wurde teilweise in der Presse nicht ganz richtig interpretiert. ({2}) Wir werden dieses Bemühen weiterführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen auch ganz genau, daß diese hohen Subventionen gerade für solche Großunternehmen eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Mittelstand sind, der die Erträge erwirtschaften muß ({3}) und der die Steuern in die Töpfe zahlt, aus denen dann die Subventionen finanziert werden. ({4}) Wir haben auch, um der deutschen Stahlindustrie zu helfen, die Verpflichtung des Bundes, bei Strukturmaßnahmen 50 : 50 zu finanzieren, eine Verpflichtung, die wir im Haushaltsausschuß beschlossen hatten, wieder über den Haufen geworfen. Wir haben zähneknirschend der Lösung „zwei Drittel zu ein Drittel" zugestimmt, wohl wissend, daß das die Bundeskasse mehr Geld kostet. Wir haben aber gleichzeitig an die Bundesregierung die Forderung gestellt - und wir bitten darum, diese Forderung zu beachten -, daß wir künftig keine Bundesbürgschaften in diesem Bereich übernehmen wollen. Ein Fall ARBED-Saarstahl genügt uns! ({5}) Ich möchte dem Bundesfinanzminister nochmals sehr herzlich dafür danken, daß er die dringend notwendige Privatisierung durch die Teilprivatisierung des VEBA-Paketes eingeleitet hat. Ich bin der Meinung, dies kann nur ein erster Schritt sein. Weitere Schritte müssen folgen. ({6}) Auch wenn der Bundesernährungsminister meiner Partei angehört, ist es für mich z. B. nicht einsehbar, daß er Eigentümer einer Bank sein muß, die nicht der Erfüllung staatlicher Aufgaben dient, sondern sich frei am Markt bewegt. Die staatliche Beteiligungs- und Industriepolitik bei uns, aber noch ausgeprägter in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Österreich, veranschaulicht, daß der Staat ein schlechter Unternehmer ist. So hat der Bund beispielsweise in den Jahren von 1969 bis 1979 4,6 Milliarden DM in die Bundesunternehmungen hineingesteckt, aber nur 1,6 Milliarden DM an Haushaltseinnahmen erzielt. Im übrigen entsprechen rein wirtschaftliche Beteiligungen auch nicht den Grundsätzen unseres Haushaltsrechts. In § 65 der Bundeshaushaltsordnung heißt es zu diesem Thema eindeutig: Der Bund soll sich ... nur beteiligen, wenn ... ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen läßt, .. . Wir jedenfalls werden den Bundesfinanzminister auf diesem Wege nicht nur unterstützen, sondern, wenn's nötig ist, ihn noch zusätzlich drängen, damit es hier schnell weitergeht. ({7}) Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung sind ausgewogen und verdienen Vertrauen. Die Opposition und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund wären gut beraten, im Interesse unserer Bürger mit uns an einem Strick zu ziehen, um den Karren wieder flottzumachen. Hier habe ich die herzliche Bitte, weil ich weiß, wie das draußen auf die Unternehmungen wirkt: Bitte, lassen Sie doch solch wirtschaftlich unsinnige und gefährliche Ankündigungen wie etwa die, die 35-Stunden-Woche durch Streik durchsetzen zu wollen. Die 35-Stunden-Woche wäre doch nur Valium für den Arbeitsmarkt und gleichzeitig eine tödliche Droge für den Aufschwung. ({8}) Sie zerstören damit das Vertrauen in den von uns allen ersehnten Aufschwung und bauen neue psychologische Investitionshemmnisse auf. Der Bundeswirtschaftsminister hat seinen Beitrag zum Aufschwung geleistet. Wir stimmen seinem Haushalt daher zu und bitten Sie, dies ebenfalls zu tun. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind eine Einheit. Deshalb wollen wir sie heute auch im Zusammenhang diskutieren. Wir sind nicht für eine Arbeitsteilung, bei der die Sozialpolitik sozusagen den Rest dessen erledigt, was Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht geschafft haben. Alle Politikfelder, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, müssen an einem Strang ziehen und, wenn der Karren aus dem Dreck soll, in die gleiche Richtung. Meine Damen und Herren, die Amtszeit, Arbeitszeit dieser Regierung - der Arbeitsminister sagt: Arbeitszeit - beträgt jetzt rund ein Jahr. ({0}) - Es wird Ihnen gar nicht genug sein können, uns noch äußerst lange regieren zu sehen, ({1}) damit hier eine gute Politik betrieben werden kann. - Das ist zwar keine ausreichend lange Zeit für ein abschließendes Urteil, aber nach den Gepflogenheiten des Arbeitslebens, Herr Kollege, hatten wir ja auch unsere Probezeit. Die Probezeit ist mit einer Wahl zu Ende gegangen, und die Wähler haben uns noch einmal bestätigt; ({2}) am 6. März war das Ende unserer Probezeit. Meine Damen und Herren, Haushaltsberatungen sind so etwas wie Zwischenzeugnisse. ({3}) Ich stehe hier nicht mit Selbstzufriedenheit; denn Selbstzufriedenheit ist in der Politik wie im Arbeitsleben eine gefährliche Sache. Sie ist die kleine Schwester des Hochmuts. Nur, wir bekämpfen den Hochmut nicht durch Kleinmut. Wir brauchen unsere Leistungen nicht zu verstecken. Ich stehe hier mit dem Selbstbewußtsein - ohne Überheblichkeit -, daß wir etwas geleistet haben, ohne daß schon Feierabend wäre; wir müssen uns noch anstrengen. ({4}) Ja, meine Damen und Herren, eine konkrete Politik - ich gestehe es - hat es etwas schwerer als eine ideologische Politik. Die konkrete Politik ist immer die Politik der kleinen Schritte; die ideologische Politik ist immer die Politik der großen Sprüche. Wir setzen kleine Schritte gegen große Sprüche; das ist die Alternative. ({5}) Was ist erreicht? Für Arbeitnehmer sind das Wichtigste Arbeit und Lohn. Das sind die zwei Meßlatten, an denen sie ihre Lebenslage messen. Arbeit und Lohn - ja, meine Damen und Herren, wir stehen hier heute und können zu Recht behaupten: Wir haben den Auftriebstrend der Arbeitslosigkeit gebrochen, wir haben der Arbeitslosigkeit den Dampf genommen. ({6}) - Saisonbereinigt sinkt die Arbeitslosigkeit seit drei Monaten. ({7}) Im letzten Monat um 30 000! Um 30 000 sinkt sie. Das ist für 30 000 Mitbürger, für 30 000 Arbeitnehmer wieder Arbeit und Brot. Das ist ein Erfolg unserer Politik. ({8}) - Lassen Sie mich doch die Erfolgsbilanz zusammenfassend vortragen. Sie werden staunen, was ich noch alles hier vorzutragen habe. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, ich darf aus Ihrer Bemerkung erkennen, daß Sie zur Zeit keine Zwischenfragen wünschen. Sie geben mir zu wissen, wenn Sie bereit sind, Zwischenfragen entgegenzunehmen.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Gerne, Herr Präsident. - Die offenen Stellen haben gegenüber dem Vorjahresmonat, dem November 1982, um 35,3 % zugenommen. Die Kurzarbeit - Kurzarbeit ist ja auch eine Form von Arbeitslosigkeit; sie ist eine Teilarbeitslosigkeit - hat um 539 000 Arbeitnehmer abgenommen. Eine halbe Million Arbeitnehmer weniger in Kurzarbeit! 52% weniger in Kurzarbeit! Das ist ein Erfolg unserer Politik. Der vierte Erfolg, den ich mit großer Genugtuung vortrage: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt wieder unter der Gesamtquote der Arbeitslosen. ({0}) Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 4 482 Arbeitnehmer, also nicht nur relativ, sondern auch absolut zurückgegangen. Im letzten November stieg die Jugendarbeitslosigkeit noch um 8 594. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was wäre eigentlich passiert, wenn Sie vier solcher Erfolgsmeldungen in Ihrer Regierungszeit vorgetragen hätten? Sie hätten Erntedankfeste gefeiert. ({1}) Der „Vorwärts" hätte eine Sondernummer gedruckt. Der DGB hätte Glückwunschadressen, jeden Tag eine, an Ihre Fraktion geschickt. ({2}) Es ist auch das Desaster der sozialdemokratischen Schwarzmalerei. ({3}) - Ja; Sie haben doch ganz anderes angekündigt für diesen Monat. ({4}) - Also lassen Sie mich doch Ihnen einmal Ihre eigenen Ankündigungen entgegenhalten! Man wird doch noch Sozialdemokraten zitieren dürfen, ohne daß man von Sozialdemokraten gestört wird. ({5}) Der Kollege Roth hat am 1. März 1983 im SPD-Fraktionspressedienst - ich habe alles Beweismaterial hier dabei - verkündet: Im Januar 1984 mehr als drei Millionen Arbeitslose! Und der Kollege Jens hat im Mai noch eines draufgelegt - ich zitiere wieder -: ({6}) Im Dezember oder in den Anfangsmonaten des Jahres 1984 werden wir eine saisonale plus konjunkturelle Arbeitslosigkeit von über 3,5 Millionen DM aufweisen. ({7}) - 3,5 Millionen Arbeitslose! Ja, man kommt da bei sozialdemokratischen Pressediensten immer etwas durcheinander. ({8}) Dreieinhalb Millionen Arbeitslose haben Sie uns angekündigt. Uns sind zwei Millionen immer noch zuviel. Aber Sie haben sich als Kassandra betätigt. Die alte Fortschrittspartei SPD als Kassandra! Das sind in der Tat Wandlungen. Die alte Sozialdemokratie: fortschrittsgläubig. Die neue Sozialdemokratie: untergangssehnsüchtig. Um als chicer Sozialdemokrat zu gelten, darf man nicht mehr wie noch die Großväter mit glühenden Augen die Morgenröte des Fortschritts erwarten. Man gilt als chic nur, wenn man den Untergang verkündet. ({9}) Man kann es auch anders formulieren: Die SPD auf der Flucht ins Grüne. ({10}) Die alte fortschrittsgläubige Arbeiterpartei fusioniert mit den Anhängern einer spätbürgerlichen Zivilisationskritik. Ich betrachte die Alternativen als eine spätbürgerliche romantische Bewegung. Und mit denen konfusionieren Sie jetzt. Das ist die eigentliche Wende. ({11}) - Regen Sie sich doch nun wirklich nicht auf! Das ist keine Philosophie. Ich kann es Ihnen etwas praktischer sagen. Selbst der Dachlatten-Börner mendelt jetzt zum Petersilien-Guru. ({12}) - Nein, ich trage das gar nicht mit Schadenfreude vor. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, einen Augenblick bitte. Meine Damen und Herren! Hier mit Schwerpunkt die Herren von der linken Seite des Hauses angesprochen: Sie sind als nächste mit der Rede dran. ({0}) - Einen Augenblick! Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung. Fahren Sie mit Ihrer Rede bitte fort! ({1})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich wundere mich immer, warum der Blutkreislauf der Sozialdemokraten immer merklich steigt, wenn ich hier rede. Ich habe das noch nie verstanden. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich habe doch zur Sache geredet, wenn ich vom Dachlatten-Börner gesprochen habe; das ist doch eine handfeste Sache! ({1}) Die Erfindung der Dachlatte stammt doch nicht von mir. Meine Damen und Herren, ich trage das hier gar nicht mit Schadenfreude vor, sondern eher mit großem Respekt vor der großen Tradition der Arbeiterbewegung und mit Trauer darüber, daß die SPD in Gefahr steht, aus dieser Tradition auszusteigen und möglicherweise auch noch die Gewerkschaften anzustecken. ({2}) - Ja, ich lese in Gewerkschaftszeitungen. Ich lese in meiner Gewerkschaftszeitung, in der Zeitung der IG Metall: ({3}) Die Schmidt-Zeit ist zu Ende, die SPD kann wieder nach vorn blicken. - Wenn das keine Ansteckungsgefahr für die Gewerkschaften ist! Meine Damen und Herren, dabei glaube ich - und ich appelliere an alle meine Kolleginnen und Kollegen, auch an meine sozialdemokratischen Kollegen -: Gewerkschafter können nicht einer Aussteigerphilosophie verpflichtet sein. ({4}) Nein, ich glaube, die Ausbeutung verfällt immer wieder auf neue Varianten. Das Aussteigertum ist eine neue Variante der Ausbeutung. ({5}) Der neue Trick des Klassenkampfes heißt Spaltung zwischen einer schicken, alternativen Schickeria und den treuen Malochern; die einen bezahlen das Sozialsystem, und die anderen leben davon. Auch das ist eine Klassengesellschaft. ({6}) Meine Damen und Herren, wir plädieren für Realismus. Wir plädieren für Wachstum. Wie könnten Arbeitnehmer auf Wachstum verzichten! Das würde j a bedeuten, daß all unsere Wünsche erfüllt wären. Eine solche Philosophie kann nur aus dem Bewußtsein sehr saturierter Mitbürger oder ihrer Söhne und Töchter entspringen. ({7}) „Null und nichts" war nie ein Ziel der Arbeiterbewegung. ({8}) - Wissen Sie, wenn Sie das Null-Wachstum als erstrebenswert ansehen, ({9}) dann denke ich an jenen Autobesitzer, dessen Automotor defekt ist und der strahlend verkündet, das Auto sei nun sehr energiesparend und umweltfreundlich. Es fährt dann eben aber nicht mehr. ({10}) So ähnlich ist das mit dem Null-Wachstum. Wir brauchen Wachstum auch, um Arbeitsplätze zu schaffen. Woher sollen denn Arbeitsplätze kommen, ohne daß neue Bedürfnisse da sind und befriedigt werden! ({11}) Dabei geschieht das Wachstum nicht durch Reden, auch nicht durch meine Rede. Die Arbeitnehmer haben immer ein feines Gespür dafür gehabt, wo gehandelt und wo nur geredet wird. Reden ist Silber, Handeln ist Gold; das ist ein altes Motto der Arbeiterbewegung. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ewen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein. Der praktischen Vernunft gehört die Zukunft. Die Handelnden - nicht nur die Regierung - haben das Blatt gewendet. Der Lehrstellenrekord ist nicht das Ergebnis von vielem Reden, sondern das Ergebnis von Engagement der Handwerker, der Unternehmer und der Gewerkschafter, die mitgemacht haben. ({0}) Das Handwerk stellt 16% der Arbeitnehmer und damit der Arbeitsplätze. ({1}) - Hören Sie doch zu! - Laut Statistik stellt es 16% der Arbeitsplätze. Aber es stellt auch 40% der Lehrstellen. Dem Handwerk steht geradezu eine Auszeichnung für sozialstaatliche Verantwortung zu. ({2}) Ich rede auch von der IG Chemie. Die IG Chemie hat auf die Erhöhung von Ausbildungsvergütungen in Tarifverhandlungen verzichtet und sich als Gegenleistung dafür eingehandelt - ({3}) - Ja, genau das ist mein Rezept. Denn deshalb haben 16 % mehr Lehrlinge in der Chemie Platz gefunden. Genau das ist mein Rezept. ({4}) - Wenn Sie sich so sehr erregen, muß ich Ihren Fraktionskollegen Rappe gegen Ihre Aufregung in Schutz nehmen. ({5}) - Das ist doch ganz wichtig, daß sich die Gewerkschafter, die Arbeitnehmer, auch entscheiden können: Wo liegt der Erfolg, bei den ideologischen Sprücheklopfern ({6}) oder bei den Pragmatikern? Welche Gewerkschafter haben mehr Erfolg? Ich entscheide mich für die Pragmatiker. ({7}) Ich komme auch zum zweiten Teil, wenn Sie mir gestatten, den im Zusammenhang noch vorzutragen. ({8}) Ich sagte, Arbeit und Lohn sind die zwei Kriterien für die Arbeitnehmer, nicht Bücher, nicht Ideologien, sondern Arbeit und Lohn. ({9}) Deshalb auch zum zweiten Teil: Für die Arbeitnehmer ist nicht nur entscheidend, wieviel Lohn sie erhalten, sondern für die Arbeitnehmer ist mindestens ebenso wichtig, was sie mit dem Lohn kaufen können. Die Preisstabilität ist mindestens so wichtig wie Lohnerhöhung. Die Dämpfung der Preissteigerung ist so viel wert wie Lohnsteigerung. Wenn wir die Preissteigerung halbiert haben, dann ist das für die Arbeitnehmer so viel Wert gewesen, als wären die Löhne um weitere 3 % gestiegen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein. - Ich will es noch in Zahlen ausdrücken. Sie verlangen ja immer handfeste Fakten. Wäre die Preissteigerungsrate alten Übungen entsprechend 3% höher gewesen, dann hätten an Net3158 tolohn 15 Milliarden DM weniger Kaufkraft zur Verfügung gestanden. Wäre die Preissteigerung nicht halbiert worden, hätten im Sozialleistungsbereich 10 Milliarden weniger an Kaufkraft zur Verfügung gestanden. 15 Milliarden und 10 Milliarden sind schon 35 Milliarden. ({0}) - 25 Milliarden! Meine Damen und Herren, ich weiß, daß ich Ihnen eine Freude bereite. ({1}) - Ja, Sie wirken so ansteckend auf mich, Sie wirken durch Ihr Geschrei ungeheuer ansteckend. Ich lese also noch einmal ganz langsam vor: Bei den Arbeitnehmern, bei den Lohnempfängern 15 Milliarden Kaufkraft mehr und 10 Milliarden DM mehr Kaufkraft bei den Sozialleistungsempfängern. Ich danke Ihnen, daß ich diese Erfolgsmeldung noch einmal wiederholen konnte, damit sie nun auch jeder begreift. ({2}) Die Sparguthaben wären um 16 Milliarden DM in ihrem Wert gemindert gewesen. Jetzt können Sie zusammenzählen, und ich nenne Ihnen die Vergleichszahl bei Ihrer Ergänzungsabgabe, mit der Sie durch die Lande reisen und sich feiern lassen. 1 % bringt 600 Millionen DM. Selbst wenn Sie 5% zustande brächten, würden Sie damit nur 3 Milliarden DM den Besserverdienenden abnehmen und dann bestenfalls 3 Milliarden DM den weniger Verdienenden zur Verfügung stellen. Unsere Preispolitik, unsere Politik der Preisdämpfung hat den weniger Verdienenden mehr Geld gebracht, als Sie ihnen durch alle Umverteilungsspiele sozialistischer Natur geben können. ({3}) Sie hat den Arbeitnehmern mehr gebracht als alles Geld, das Sie mit Ergänzungsabgaben umverteilen wollen. Meine Damen und Herren, ich nenne auch die Krankenversicherung. Wir haben die Beiträge gesenkt. ({4}) Damit ist 1 Milliarde mehr Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugute gekommen. Durch diese Beitragssenkung sind 500 Millionen DM mehr im Portemonnaie der Arbeitnehmer. Ich sage jetzt auch hier noch einen Satz: ({5}) Beitragssenkung ist nicht weniger sozial als Leistungssteigerung. Die soziale Gerechtigkeit beginnt nicht erst auf der Ausgabenseite, sie fängt schon auf der Einnahmenseite an. ({6}) Es geht in der Sozialpolitik nicht nur um Bedürftigkeit auf der einen Seite, sondern auch um die Zahlungsfähigkeit auf der anderen Seite; denn auch auf der anderen Seite stehen Arbeitnehmer. Es ist nämlich so ein alter sozialistischer Wunderglaube, das Sozialsystem würde aus irgendwelchen anonymen Quellen gespeist. ({7}) Es wird gespeist von den Beitragszahlern, und das sind die Arbeitnehmer. Deshalb müssen wir mit ihren Groschen haushalten. Wir machen Arbeitnehmerpolitik, wenn wir die Beiträge senken, die Beiträge in Schach und in Proportionen halten. ({8}) - Sie haben wohl noch gar nicht gemerkt, daß die Zahler und die Empfänger in unserem Sozialsystem dieselben Leute sind, daß zwischen Lebensphasen umverteilt wird, aber nicht zwischen Klassen. Das gehört ins 19. Jahrhundert, das ist längst überlebt. ({9}) - Meine Damen und Herren, ich trage hier als Sozialpolitik eine Politik vor, von der ich sage: Sie ist eine Politik für die kleinen Leute. Und Sie können noch so viel schreien: Es ist eine Politik für die kleinen Leute, die wir betrieben haben. ({10}) Ich weiß, Sie tun immer so, als hätten Sie den Dauerparkplatz bei den Armen. ({11}) Das ist ein Irrtum, muß ich sagen. Das entspricht Ihrer Überheblichkeit, aber nicht der Realität. ({12}) Meine Damen und Herren, wenn wir Schulden abbauen - ich habe es schon einmal gesagt, ich will es noch einmal wiederholen -, machen wir eine soziale Politik. Schulden sind immer auf dem Buckel der kleinen Leute bezahlt worden. ({13}) Die Zinsen der staatlichen Schuldenpolitik bekommen nicht die Rentenempfänger, die Sozialhilfeempfänger, sondern diejenigen, die dem Staat Geld leihen konnten. Das sind nicht die armen Leute, das sind die Ölscheichs, die Banken und die Besserverdienenden. Schulden abbauen ist soziale Politik. ({14}) Dafür brauche ich gar keine volkswirtschaftlichen Theorien. Das entspricht auch dem Lebensgefühl der Arbeiterfamilie. Die Arbeiterfamilie hat nie auf Pump gelebt. Sie hat immer gewußt: Man kann nicht mehr essen, als auf dem Tisch steht; und ein Staat kann nicht mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Das entspricht dem Lebensgefühl der Arbeitnehmer. ({15}) Meine Damen und Herren, wir sparen auch, um das Sozialsystem zu stabilisieren. Das Sozialsystem Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3159 zu stabilisieren, ist eine konservative Aufgabe im besten Sinne des Wortes - nämlich Erreichtes zu erhalten. Erreichtes zu gefährden, kann nicht sozial fortschrittlich sein. ({16}) Eine Politik mit Hochstapelei, mit mehr Versprechen als Halten ist eine Politik gegen Rentner, gegen kinderreiche Familien und gegen Sozialhilfeempfänger. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht gehandelt hätten, hätten der Bundesanstalt für Arbeit 14 Milliarden DM gefehlt - 14 Milliarden DM! Das ist mehr, als die gesamte Kriegsopferversorgung kostet. Hätten wir nicht gehandelt, wäre die Rentenversicherung schon im Sommer dieses Jahres zahlungsunfähig gewesen.- Und ich frage Sie nach Ihren Sanierungskonzepten. ({17}) Die scheinen Sie streng vertraulich zu halten. ({18}) - Wenn Sie das meinen: Was Sie da vorgeschlagen haben, ist nicht Sanierung. Die SPD schlägt vor, daß die Bundesanstalt für Arbeit mehr Beiträge an die Rentenversicherung zahlt. Dann muß der Staat halt der Bundesanstalt für Arbeit mehr Geld geben. Dann fehlte eben das Geld, das der Staat der Rentenversicherung geben müßte. Man kann es drehen und wenden: Es gibt nicht mehr soziale Sicherheit ohne mehr Arbeit; denn nur aus mehr Arbeit fließen mehr Beiträge. Alles andere sind nur Taschenspielertricks. ({19}) - Ich weiß, Sie sind natürlich auch auf den alten sozialdemokratischen Einfall gekommen - sehr originell ist er nicht -, einfach die Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit zu erhöhen, ({20}) um über 5 Milliarden DM. ({21}) - Hören Sie doch einen Augenblick zu! Ich will Ihnen gerade erklären, wo der Unterschied liegt, verehrte Frau Kollegin. ({22}) - Es langt mir schon, wenn Herr Roth ruhig zuhört, er braucht gar nicht zu reden. Sehr verehrte Frau Kollegin Fuchs, ich will Ihnen gern den Unterschied zwischen Beitragserhöhung und verstärkter Einbeziehung der Sonderzahlungen in die Beitragspflicht erklären. ({23}) - Das ist gar nicht spannend. Ich wußte nicht, daß Sie darauf nicht selber gekommen sind. Beitragserhöhungen treffen alle, die Hochverdienenden wie die Wenigverdienenden. Durch Einbeziehung der Sonderzahlungen ändert sich für die Niedrigverdienenden überhaupt nichts. Die zahlen jetzt schon von ihrem Weihnachtsgeld Beitrag, und die zahlen auch in Zukunft. Die Einbeziehung der Sonderzahlungen schont die Niedrigverdienenden. Die Ganzhochverdienenden müssen zwar auch keine Beiträge bezahlen, ({24}) die bekommen allerdings auch keine Leistungen. - Sie haben zu früh gelacht. So ist das System. ({25}) Ich fasse zusammen: Beitragsanhebungen, auch wenn es sich nur um ein paar Zehntel Prozentpunkte handelt, treffen das Portemonnaie gerade jener Arbeitnehmer, die wenig verdienen. Deshalb ist unsere Lösung gerechter, zumal sie Klarheit schafft. Wer Weihnachtsgeld bekommt, soll sich nicht durch Zahlungstricks den Beitragspflichten entziehen können. ({26}) Mehr Beiträge, mehr Steuern, mehr Schulden -({27}) das ist die sozialdemokratische Dreieinigkeit der Sanierung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte schön.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesarbeitsminister, da Sie fortwährend von Sprücheklopfern reden, darf ich Sie doch einmal fragen: Wann sind auf Grund Ihrer Gesetzesmaßnahmen, die zur Entscheidung stehen, Beitragssatzsteigerungen für diejenigen zu erwarten, die freiwillig versichert sind und durchweg zu jenen mit höheren Einkommen zählen, was eben zur Folge hat, daß sie nicht zu den Versicherungspflichtigen gehören?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Sehr verehrter Herr Kollege Glombig, Sie werden sich etwas gedulden müssen. Ich komme auch noch zu den Maßnahmen, mit denen wir die Höherverdienenden in das Sanierungskonzept einbezogen haben. Ich bleibe zunächst einmal im Bereich der Sozialversicherung. Da frage ich noch einmal: Herr Kollege Glombig, finden Sie es richtig, daß diejenigen, die ihre Sonderzuwendungen - Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Kirmesgeld - über das ganze Jahr verteilt bekommen, mit diesen Leistungen immer unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen, während diejenigen, die alles auf einmal, die möglicherweise nicht nur ein dreizehntes, sondern sogar ein vierzehntes Monatsgehalt ausgezahlt bekommen, mit der Mehrheit der Leistungen über der Beitragspflicht liegen? Es kann doch nicht der Sinn von privaten Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sein, zu entscheiden, ob man einer öffentlichen Leistungspflicht unterliegt oder nicht. Das ist doch gegen die Solidarität, Herr Glombig, die Sie sonst immer so hoch preisen. ({0}) Eins muß ich doch feststellen, nicht zuletzt weil der Kollege Glombig gerade die Frage der sozial Schwächeren angesprochen hat. Trotz Sparmaßnahmen: Das Unterhaltsgeld und das Übergangsgeld für Behinderte, für berufliche Rehabilitanten, liegt der Höhe nach immer noch über dem Arbeitslosengeld. Entgegen anderslautenden Meldungen liegt auch das Arbeitslosengeld der Höhe nach immer noch über der Sozialhilfe. Lassen Sie sich nicht verwirren! Dies ist eine Tatsache: Ein Alleinstehender muß weniger als 1 300 DM verdient haben, um mit dem Arbeitslosengeld in die Sozialhilfe zu geraten. Selbst die niedrigste Lohngruppe bei den Textilarbeitern liegt 16 %, liegt über 200 DM über dieser Mindestgrenze. Es kann nicht sein, was Sozialdemokraten behaupten: daß diese Sparmaßnahmen nichts anderes seien als ein Abschieben zur Sozialhilfe. ({1}) Ich will das Thema soziale Balance anschneiden. Natürlich ist das ein Thema, die soziale Balance. Natürlich sind wir nicht am Ende dieser Aufgabenstellung. Wir haben Subventionen und Steuerprivilegien zu überprüfen. Nur, wer weniger als wir gemacht hat, eignet sich wenig dazu, uns Vorwürfe zu machen. Wenn einer überholt wird, kann er zum Überholer nicht sagen, er fahre zu langsam. Man kann sagen, wir hätten zu wenig getan. Aber die Sozialdemokraten, die in dieser Sache nichts getan haben, haben nun gar keinen Grund, uns Vorwürfe zu machen. ({2}) Ich nenne ein paar Beispiele. Wenn Sie Zeit haben, können wir das Thema etwas ausführlicher behandeln. Investitionshilfe: Ich hätte mir gewünscht, sie wird nicht zurückgezahlt. Aber selbst wenn sie zurückgezahlt wird, ist der Zinsverlust so hoch, wie Ihre ganze Ergänzungsabgabe es dem Betrag nach gewesen wäre, nämlich 2,5 Milliarden DM. Es ist ein Stück sozialdemokratischer politischer Schizophrenie, wenn Sie einerseits beklagen, daß wir von den Besserverdienenden keine höheren Abgaben verlangen, und wenn Sie andererseits von Nord nach Süd durchs Land ziehen und Ratschläge geben, wie man sich dieser Zahlungspflicht durch Einsprüche bei den Finanzämtern entziehen kann. Das ist politische Schizophrenie. ({3}) Auch dadurch, daß wir beim Kindergeld Einkommensgrenzen eingeführt haben, entziehen wir den Höherverdienenden ein Finanzvolumen von 1 Milliarde DM. Wir haben die Vorsorgepauschale für Besserverdienende begrenzt. Das bringt 1,1 Milliarden DM. Wir haben erreicht, daß Verluste, die im Ausland durch Erwerb von Häusern oder durch Beteiligung an Touristikvorhaben gem acht werden, hierzulande nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden können. Ich nenne ein Beispiel: Ein Selbständiger mit 1/2 Million DM Einkommen, der beispielsweise 200 000 DM Verlust bei einem Touristikvorhaben in Südamerika beim Finanzamt geltend machen kann, drückt seine Steuerlast um 112 000 DM. Das war bisher unter sozialdemokratischen Finanzministern möglich, unter christdemokratischen ist es nicht mehr möglich. Das ist der Unterschied. Das haben wir zugemacht. ({4}) Sie sagen - damit haben Sie sogar Wahlkämpfe geführt -, wir hätten das Arbeitsmarktinstrumentarium demoliert. Richtig ist, daß wir im Haushalt 1984 für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 544 Millionen DM mehr haben als 1983. Sie haben sich im Oktober 1982 mit 27 610 ABM-Teilnehmern aus der Regierung verabschiedet. Wir haben derzeit 59 925. Man muß keine Mengenlehre können, sondern nur das einfache Einmaleins, um zu erkennen, daß dies die doppelte Zahl ist. Wer das Doppelte macht, kann sich verbitten, daß diejenigen, die bisher nur die Hälfte zustandegebracht haben, ihn beschimpfen. ({5}) Auch bei der beruflichen Bildung haben wir 71 Millionen DM mehr als 1983. Unser Sofortprogramm übertrifft bei weitem die Geldmittel, die Sie eingesetzt haben. Ich verstehe angesichts dieser Tatsachen nicht - man kann sich über vieles streiten -, wenn die IG Metall diese unsere Politik als Vandalismus, als Katastrophenkurs bezeichnet. Die IG Metall ist eine Einheitsgewerkschaft. Ich sage ihr hier von diesem Pult aus: Eine Einheitsgewerkschaft kann sich nicht leisten, was sich eine sozialistische Kadergewerkschaft leisten kann. Diesen Unterschied müssen wir einmal klarmachen. ({6}) Man soll uns nicht für einfältig halten und glauben, daß christdemokratische Gewerkschafter noch jubeln, wenn ein solcher politischer Amoklauf über Metall-Zeitungen verkündet wird. Wir sind doch nicht im politischen Kannibalismus, wir sind doch nicht unter Menschenfressern, daß wir Politik so attackieren können, wie es die IG Metall macht. ({7}) - Nein. Wir haben allein für Kohle und Stahl 6 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. ({8}) Man kann uns nicht vorwerfen, wir täten nichts für die Beschäftigung. Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur gespart, zurückgenommen und das Sozialsystem an 1 die Finanzierungsmöglichkeiten angepaßt. Wir haben in der Tat auch gestaltet. Sie verwechseln etwas, wenn Sie sagen, wir seien die Tu-nix-Regierung. Wir sind die Tu-wat-Regierung, und Sie sind die Red-viel-Opposition. Das ist der Unterschied. ({9}) - Soll ich es wiederholen? Sie waren die Red-vielRegierung, und wir sind die Tu-wat-Koalition. ({10}) Ich will das an drei Beispielen deutlich machen. ({11}) - Mein Gott, hier muß man wirklich Gehörschutz beantragen, wenn man in Ruhe reden will. Ich will drei Punkte nennen: die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, die Rückkehrförderung und die Vorruhestandsregelung, die wir jetzt auf die Werft setzen. Ich komme zunächst zur Vermögensbildung. Das Kontrastprogramm ist ganz einfach formuliert. Ihr Abschiedsgeschenk war, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand um 900 Millionen DM zu kürzen. Unser Einstand ist, daß wir für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand innerhalb von vier Jahren 1,4 Milliarden DM mehr staatliche Förderung zur Verfügung stellen. Konnte bisher ein Arbeitnehmer maximal 206 DM staatliche Förderung in Anspruch nehmen, so wird er mit Hilfe unseres Gesetzes, das wir, so hoffe ich, hier in diesem Bundestag neben der Haushaltsberatung verabschieden, nicht maximal 206 DM wie bei Ihnen, sondern maximal 459,65 DM bekommen. In zehn Jahren kann sich ein Arbeitnehmer auf diese Weise ein Vermögen von 21 460 DM ansparen. Seine eigene Aufwendung dabei wird sich auf 8 699 DM belaufen. Was das Wichtigste ist: Der Pfiff jener Vermögensbildung, wie wir sie wollen, ist ja nicht eine allgemeine Sparförderung - die sei jedem gegönnt -, sondern wir wollen ordnungspolitisch, daß aus betroffenen Arbeitnehmern beteiligte Arbeitnehmer werden. ({12}) Für uns ist Eigentumspolitik nicht nur eine materielle Politik, sondern es ist die Politik, daß jeder „mein" und „dein" sagen soll, daß jeder auch ein Stück zusätzlicher sozialer Sicherheit im Kreuz haben soll, daß er ein Stück Eigentum hat, auf das er in Notfällen zurückgreifen kann. Das ist auch ein Stück sozialer Sicherheit, das ist auch der Unterbau für Freiheit und eigene Entscheidung. ({13}) Wir wollen kein Staatseigentum. Die Geschichte zeigt: Staatseigentum war immer Bonzeneigentum. Wir wollen das Bürgereigentum. Arbeitnehmer sind Bürger. ({14}) - Ich finde es traurig, daß Sozialdemokraten lachen, wenn man das Ziel aufstellt: Arbeitnehmer als Bürger. Das entspricht der alten Tradition der Emanzipationsbewegung, wie sie in der Arbeiterschaft gepredigt wurde, daß Bürger und Arbeitnehmer gleichberechtigt sind. Das muß sich auch im Zugang zum Eigentum an Produktionsmitteln zeigen. ({15}) Rückkehrförderung, ein zweites großes Thema. Auch hier sind Sie der Maxime „Red viel" treu geblieben. Sie haben die Rückkehrförderung für ausländische Arbeitnehmer mehrfach angekündigt und in Prüfung gegeben. Was Sie damit erreicht haben, ist nur eine Abwartehaltung bei den ausländischen Arbeitnehmern. Viele saßen auf gepackten Koffern. Wir haben diesen Schwebezustand beendet. Ein Schwebezustand ist kein Dauerzustand. Wir haben Klarheit geschaffen durch eine Rückkehrförderung. Ich glaube, diese Rückkehrförderung verbindet mehreres miteinander: Hilfe für den zurückkehrenden ausländischen Arbeitnehmer und auch ein Stück Entwicklungshilfe für seine Heimat. Ich halte mehr davon, die Entwicklungshilfe an Menschen zu binden als an anonyme Institutionen. ({16}) Um auch das aus der Abstraktion herunterzuholen: Wenn ein türkischer Mitbürger mit 30 000 DM in die Heimat zurückkehrt - das kann mit Rückkehrförderung, Kindergeld, betrieblicher Vermögensbildung, Rentenanwartschaften zusammenkommen; das ist kein Ausnahmefall -, ({17}) so sind diese 30 000 DM in der Türkei der Durchschnittsverdienst von fünf Jahren. Das ist mehr, als 30 000 DM hier sind. ({18}) Deswegen glaube ich, daß wir hier mehreres miteinander verbinden: Entwicklung für die Heimat und Hilfe für denjenigen, der nach Hause zurückkehren will. ({19}) Der letzte Punkt: Vorruhestandsregelung. Wir wollen sie jetzt nach gründlicher Beratung in den Koalitionsfraktionen in die parlamentarische Beratung einbringen. An Hand der Vorruhestandsregelung - und nur deshalb erwähne ich sie hier - will ich einige Prinzipien unserer Sozialpolitik deutlich machen. Ich glaube nämlich, daß diese Vorruhestandsregelung mehr als nur eine Arbeitszeitverkürzung darstellt. Am Exempel der Vorruhestandsregelung kann auch eine Vorstellung von Sozialpolitik verdeutlicht werden. Das ist eine Vorfahrtsregel: Erstens. Freiwilligkeit geht bei uns immer vor Befehl. ({20}) Zweitens. Vereinbarung geht vor gesetzlichem Zwang. Drittens. Kompromiß geht vor Konflikt. Viertens. Miteinander geht vor gegeneinander. Fünftens. Generationensolidarität geht vor Generationenkonkurrenz. Und sechstens. Flexible Lösungen gehen vor starren Regelungen. ({21}) Lassen Sie sich durch manche Meldungen auch der letzten Tage gar nicht beirren: Es bleibt dabei, daß wir uns für Freiwilligkeit entscheiden, weil wir immer solche Arbeitszeitverkürzungen vorziehen, bei denen der einzelne selber entscheidet, ob er sie in Anspruch nimmt. Wer länger arbeiten will, soll länger arbeiten. Wer kürzer arbeiten will, soll kürzer arbeiten. Die Arbeitnehmer brauchen keinen Vormund. Sie leben nicht im Kindergarten. Deshalb überlaßt ihnen die Entscheidung, wann sie ihre Lebensarbeitszeit beenden! ({22}) Es ist auch ein großer Unterschied, ob die Altersgrenze selbst gesetzt ist - ({23}) - Das ist das Echo auf den Geräuschpegel von links. Wenn wir uns auf mehr Ruhe einigen können, bleibe ich auch etwas ruhiger.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, ich habe Sie vorhin zur Ordnung gerufen, weil ich hier nicht verstehen konnte. Aber ich bitte doch, Ruhe und Ordnung zu halten. Das war meine Mahnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich habe mich so sehr an den Geräuschpegel von Ihnen gewöhnt, daß ich direkt etwas vermisse, wenn Sie mal etwas ruhiger werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie sollten nicht noch provozieren, Herr Bundesminister! ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich danke Ihnen für den Hinweis, Herr Präsident. Ich finde, die härteste Disziplinierung, die die Industriegesellschaft in das Arbeitsleben gebracht hat, ist das Korsett starrer Arbeitszeiten. Das war in früheren Zeiten ganz unbekannt. Früher, in agrarischen Zeiten, hatte man sehr viel mehr Gelegenheit, Leben und Arbeit miteinander zu versöhnen. ({0}) Wir sind doch aber in einem Stadium des technologischen Fortschritts, wo der Individualisierung wieder mehr Spielräume gegönnt werden, wo wir Arbeit und Leben wieder miteinander versöhnen können. Ich bin auch ganz sicher, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer die selbstbestimmte Altersgrenze einer 35-Stunden-Woche, die als Befehl gegeben wird, vorzieht. ({1}) Das ist nach dem Marschmuster: im Gleichschritt marsch! Wir bevorzugen die zivile Gangart und die eigene Entscheidung des Arbeitnehmers. ({2}) Wo Freiheit sich mit Freiheit stößt, muß man sich freilich vereinbaren. Die Freiheit hat größere Spielräume, wenn wir die Vereinbarungen den Partnern und den Tarifvertragsparteien überlassen und die Entscheidungen nicht durch Gesetz treffen. ({3}) Damit komme ich auch zu dem dritten Vorteil. Solcher Ausgleich wird nur im Kompromiß möglich sein. Im Unterschied zu den Liebhabereien der Klassenkämpfer halte ich den Kompromiß für die größte Erfindung der Sozialgeschichte. Er zwingt uns, mit dem Kopf des anderen zu denken, er zwingt uns zur Rücksichtnahme, er zwingt uns zu Vereinbarungen, die man gegenüber der eigenen Anhängerschaft auch vertreten muß, er zwingt uns in dieser Frage auch zu einem Ausgleich zwischen Lohn-, Einkommen- und Arbeitszeitinteressen. Auch das gehört zur Vernichtung einer Lebenslüge. Man könnte neue Arbeitszeitverkürzungen und alte Lohnerhöhungen haben - das ist eine Lebenslüge; man kann den Kuchen nicht zweimal essen. Was von der Produktivität für Lohn weggenommen wurde, das steht nicht mehr für Arbeitszeit zur Verfügung. Hier müssen Kompromisse und Ausgleich gefunden werden. Der vierte Vorteil: Dieses Vorruhestandsangebot funktioniert im Sinne eines Beschäftigungspaketes. Drei müssen mitspielen: Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Wenn nur einer nicht mitspielt, kommt nichts zustande. ({4}) - Ich habe Gewerkschaften mit Arbeitnehmern identifiziert. Mein Gott, ist das für einen Sozialdemokraten ungewöhnlich? Wenn einer nicht mitspielt, kommt die ganze Regelung nicht zustande. Ich bin davon überzeugt: Wir werden aus der Arbeitslosigkeit nur herauskommen, indem Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammenarbeiten. Wenn einer glaubt, er schafft es allein, überschätzt er seine Kräfte. ({5}) Ein Drittes wiederum abseits jeder Theorie: Wer sind denn die Jahrgänge, die die Vorruhestandsregelung beanspruchen können? Das sind die Jahrgänge 1929 und älter. Fragen wir doch einmal, wer diese Mitbürger sind. Es sind die Mitbürger, die in Zeiten geboren wurden, in denen Inflation und Massenarbeitslosigkeit herrschten. Es sind die MitbürBundesminister Dr. Blüm ger, die ihre Jugendzeit in Schützengräben, bei Bombennächten zugebracht haben. Es sind die jungen Frauen und Männer, die nach dem Krieg den Schutt weggeräumt haben, wie man in meiner Heimat sagt, für „nen Appel und en Ei", und das zustande gebracht haben, was andere dann das Wirtschaftswunder genannt haben, und zwar für die Gegenleistung eines Henkelmanns mit dünner Suppe, die Sie nicht als Zahnwasser benutzen würden. ({6}) Dafür haben sie Schutt weggeräumt. Ich finde, daß diese Generation, die auf dem Wohlstand der eben genannten Generation aufbaut, auch in den Pflichten einer Wiedergutmachung steht. Insofern ist die Vorruhestandsregelung auch eine Anerkennung der Generation, die die schlimmsten Opfer und größten Leistungen in diesem Jahrhundert erbracht hat. ({7}) Wir machen damit gleichzeitig Arbeitsplätze für die Jungen frei. Sie sehen, wir machen eine Politik für jung und alt, im Geben und Nehmen. Das ist genau die Zeit, in denen die geburtenstarken Jahrgänge vor der Tür stehen. Ich will Sie noch darauf hinweisen, daß diese Arbeitszeitregelung die einzige ist, in die ein Wiedereinstellungsmechanismus eingebaut ist. Wir machen sie flexibel, wir begrenzen sie zeitlich. Wir halten nichts von einer dogmatischen Sozialpolitik, die immer alles besser weiß und mit Jahrhundertwerken glänzen will. Was als Jahrhundertwerk angeboten wurde, waren in der Mehrzahl der Fälle nur Tagesfliegen. Wir wollen das zeitlich begrenzen. Wir glauben, daß wir es schaffen, in unserem Land wieder Vollbeschäftigung herzustellen. Deshalb finden wir uns mit dem Mangel nicht ab. Wir wollen über diese schwere Zeit geburtenstarker Jahrgänge und arbeitsmarktpolitischer Anspannung hinwegkommen. Diese Vorruhestandsregelung ist mit einem Rahmenprogramm verbunden. Wir machen Politik im Zusammenhang. Wir hopsen nicht von einer Maßnahme zur anderen. Deshalb bin ich dafür, daß wir die 59er-Regelung, so wie sie jetzt ist, nämlich daß man mit 59 Jahren in die Arbeitslosigkeit gehen kann, um dann mit 60 Jahren drei Jahre früher in Rente zu sein, zumachen. Denn bei Licht betrachtet, meine Damen und Herren, war das in vielen Fällen ein abgekartetes Spiel zwischen Betriebsräten und Geschäftsleitung. ({8}) Großbetriebe haben auf diese Weise ihre Personalprobleme gelöst; bezahlt haben es der Mittelstand und die Arbeitnehmer im Mittelstand. ({9}) Das hat die Rentenversicherung 1,7 Milliarden DM gekostet, 700 Millionen DM die Bundesanstalt für Arbeit. Jeder zweite Großbetrieb hat davon Gebrauch gemacht, aber nur jeder 14. Kleinbetrieb. Dabei habe ich die Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten noch nicht einmal mitgezählt. Das ist eine Sozialpolitik mit eingebauten Privilegien. Eine solche Sozialpolitik machen wir nicht. Wir machen nicht die Sozialpolitik für die Cleveren, wir machen die Sozialpolitik für Herr und Frau Jedermann, nicht für die Cleveren. ({10}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Ausblick auf die vor uns liegende Sozialpolitik schließen. Ich glaube, daß man für eine verläßliche Sozialpolitik Orientierungen braucht, daß man nicht im Versicherungsgestrüpp hängenbleiben darf. Die erste Orientierung für mich ist: Leistung muß sich lohnen. Deshalb müssen leistungsbezogene Ansprüche, durch Beitragszahlung erworbene Ansprüche immer Vorfahrt haben. Auch in der Sozialpolitik hat Leistung ihren Platz. Die selbsterworbene Rente ist immer tabu gegenüber allen Zumutungen durch Verteilungspolitiker. Wer etwas durch Beitrag erworben hat, empfängt seine Sozialleistungen mit einem anderen Selbstbewußtsein; er empfindet sie nicht als Zuteilung der Obrigkeit, wie immer sie aussieht. ({11}) - Meine Damen und Herren, ich kann auch darauf noch antworten. Ich habe gesagt: Leistung hat einen Platz in der Sozialpolitik; ich habe nicht gesagt, daß die Sozialpolitik nur aus Leistung bestehen wird. - Ich füge allerdings zweitens hinzu, daß Sozialleistungen auch einen Abstand zu dem Lohn haben müssen, von dem sie abhängen. ({12}) Lohnersatz kann nicht so hoch sein wie der Lohn, den er ersetzt, sonst würde dieser Begriff Lügen gestraft. Auch das ist ein Grund dafür, warum wir das Krankengeld beitragspflichtig gemacht haben; es war ja in der Mehrzahl der Fälle mit dem Nettolohn identisch. Ich nenne den dritten Grundsatz: Solidarität muß durch Subsidiarität gegliedert werden. Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nicht durch das Bekenntnis zur Solidarität. Ich kann mir keine Gesellschaft ohne Solidarität vorstellen. Keiner kommt ohne den anderen aus. Der Unterschied liegt nicht im Ob der Solidarität; der Unterschied liegt darin, wie die Solidarität aussieht. Die sozialistische Solidarität ist die nivellierte Gleichheitssolidarität, die kollektivistische Solidarität. ({13}) Unsere Solidarität ist gegliedert. Der Sozialismus wird durch eine tiefe Angst vor den Unterschieden getrieben. ({14}) - Ich bin ja kein Tiefenpsychologe. ({15}) Ich fürchte, es ist die Angst vor dem anderen. Deshalb muß der andere immer der gleiche sein. Wir sehen Vielfalt als Bereicherung. ({16}) Meine Damen und Herren, deshalb halten wir auch mehr von einer Sozialpolitik, die nicht alles dem Staat zuschanzt. Entstaatlichen heißt für uns nicht entsolidarisieren, sondern es heißt der Differenzierung Raum geben. Nicht in jedem Unterschied liegt eine Unterdrückung. Ich sehe darin auch die Chance, den kleinen Gemeinschaften Raum zu geben, der ambulanten Versorgung. Es gibt die Diskussion über eine Pflegeversicherung. Ich fürchte, eine solche Pflegeversicherung ist ein Angebot, das nur neue Nachfrage schafft. Niemand redet davon, daß 80 % der Pflegefälle in den Familien, in der Nachbarschaft versorgt werden. Wir müssen Sozialpolitik nicht nur für die Apparate machen; wir müssen Sozialpolitik auch für diejenigen machen, die ihre Probleme in eigener Zuständigkeit zu lösen versuchen. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein. ({0}) - Sie brauchen j a nicht damit einverstanden zu sein. Sie können j a eine ganz andere Politik vorschlagen. Dann treten wir vor die Wähler, und dann werden wir sehen, was die Bürger bevorzugen. Ein letzter Punkt: Ich glaube, daß es im Arbeitsrecht nicht darum geht, uns vor Kündigung zu schützen; dieser Schutz muß erhalten bleiben. Aber - es ist heute morgen schon davon gesprochen worden - der Arbeitsmarkt hat zwei Seiten: die Wiedereinstellungschance ist so wichtig wie der Kündigungsschutz. Wir müssen vor Entlassungen geschützt werden. Wer aber nur auf diesen Schutz achtet, baut möglicherweise diesen Schutz zur Sperre für diejenigen auf, die wieder eingegliedert werden wollen. In Zeiten der Vollbeschäftigung steht der Schutz vor Entlassungen im Vordergrund, in Zeiten angespannten Arbeitsmarktes geht es nicht nur um den Schutz für diejenigen, die Arbeit haben, sondern auch um die Chance, wieder Arbeit zu finden für diejenigen, die draußen sind. ({1}) Deshalb wollen wir auch dem befristeten Arbeitsvertrag andere Spielräume für eine Übergangszeit geben. Die Arbeitsgerichte haben diesem befristeten Arbeitsvertrag heute schon Spielraum gegeben. Der Gesetzgeber war nämlich zu feige, dieses heiße Eisen anzupacken. Er hat die Arbeitsgerichte alleingelassen. Wir wollen Ordnung und Klarheit in die Verhältnisse bringen und nicht alles den Arbeitsgerichten allein überlassen. ({2}) Es gibt keine befristeten Arbeitsverträge als Kettenverträge, und wir werden mit den befristeten Arbeitsverträgen nicht den Kündigungsschutz unterlaufen. Aber, meine Damen und Herren, auch wieder aus der Praxis: Was macht ein Betriebsrat, wenn ihn der Arbeitgeber fragt, ob er einen neuen Auftrag, von dem er nicht weiß, ob er von Dauer ist ader ob es nur ein Strohfeuer ist, in Sonderschichten oder durch Neueinstellungen bewältigen soll, die möglicherweise in einem halben Jahr wieder zur Kündigung führen? Ich sage Ihnen, 99 von 100 Betriebsräten antworten darauf: Sonderschichten und Überstunden. Damit sie von dieser Versuchung befreit werden, muß es gerade in diesen Zeiten die Möglichkeit geben, Arbeitslose einzustellen, auch wenn man noch nicht weiß, ob der konjunkturelle Durchbruch von Dauer oder nur vorübergehend ist. ({3}) Für eine solche Sozialpolitik brauche ich keine Lehrbücher. Da brauche ich den Karl Marx nicht und auch nicht seine Jünger. Da langen die Erfahrungen aus dem Arbeitsleben, um eine lebensnahe Sozialpolitik zu machen. ({4}) Ich frage mich auch, ob der Mutterschutz, wenn er dem Betrieb zugeordnet ist, nicht möglicherweise die Vermittlungschancen für junge Frauen behindert. ({5}) Müssen wir nicht den Mutterschutz, statt ihn dem Betrieb zuzuordnen, überbetrieblich organisieren, damit die Einstellungschancen für junge Frauen erhöht werden? Wir machen Politik für die Arbeitnehmer, und zwar für die Arbeitnehmer, die draußen sind, und nicht nur für die Arbeitnehmer, die drinnen sind. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich den durch Ihren Wellengang etwas hektischen Rundkurs hier beenden. Wir machen Sozialpolitik ohne Scheuklappen, eine Sozialpolitik, die sich fragen läßt: Was bringt unsere Politik den Menschen? Wir machen eine Sozialpolitik, die nicht im eigenen Saft schmort. Wir sind immer nur Mittel zum Zweck. Die Aufgabe wird sein, diese Sozialpolitik erstens finanzierungsfähig zu halten - von einer nicht finanzierbaren Sozialpolitik hat niemand etwas -und sie zweitens menschlich zu machen und zu erhalten, wobei Geld und Menschlichkeit nicht unbedingt identisch sind. Ich glaube, daß nicht nur das Denken in Umverteilungskategorien sozialpolitischen Fortschritt bringt, sondern daß wir für eine neue Sozialpolitik auch mehr Phantasie brauchen, und die hängt nicht vom Mangel an Geld ab. PhanBundesminister Dr. Blüm tasie und Mut, das ist die Zukunft unserer Sozialpolitik. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Rednerin hat noch gar nicht begonnen. Eine Zwischenfrage? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich lasse zunächst einmal keine Zwischenfrage zu.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Faltlhauser, ich bitte, noch ein bißchen zu warten. - Bitte!

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, Sie waren vor allen Dingen laut, aber Sie waren, wenn ich Ihnen ein Zwischenzeugnis ausstellen soll, „mangelhaft" und haben das Thema verfehlt. ({0}) Denn, Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben das, was Sie eigentlich tun sollten, nicht getan. Sie hätten zu Ihrem Haushalt sprechen sollen, zu dem Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, und Sie hätten schon ein bißchen mit Bedacht den Menschen draußen erklären sollen, welche katastrophalen Kürzungen Sie in Ihrem Ressort zu verantworten haben. ({1}) Wir werfen Ihnen vor, daß Sie voll auf die Linie von Graf Lambsdorff, Herrn George und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht eingeschwenkt sind. ({2}) Sie versuchen nämlich, zutiefst unsoziale Entscheidungen mit rhetorischen Kunststücken zu verpakken, ({3}) der Öffentlichkeit zu verkaufen und dabei über die wahre Bedeutung hinwegzutäuschen. ({4}) Mit Ihren schönen Reden, Herr Bundesarbeitsminister, liefern Sie den bunten Zuckerguß für die Giftpillen von Graf Lambsdorff, George und Albrecht. ({5}) Sie haben einmal gesagt: Sozialpolitik ist nichts für Feuerwerker, für die bekanntlich nur der Augenblick zählt. Inzwischen sind Sie, Herr Bundesarbeitsminister, selber zum Feuerwerker geworden. Wenn Ihre rhetorischen Knallfrösche verpufft sind, wenn es ans Handeln und ans Durchsetzen geht, sind Sie der Unglücksrabe des Kabinetts. ({6}) In jedem Koalitionsgespräch werden Sie von Ihren Kollegen Lambsdorff und Stoltenberg untergebuttert ({7}) und müssen wichtige Interessen Ihres Ressorts preisgeben. ({8}) Die Ihnen kraft Amtes anvertrauten Interessen der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Rentner, aller sozial schwachen Bevölkerungsgruppen haben Sie nicht angemessen wahrgenommen, ({9}) und Ihre laute Art hat daran nichts geändert. ({10}) Dann haben Sie hier ein beachtliches Bild Ihrer Erfolge dargestellt. Ich frage mich, was eigentlich die Bürger draußen denken sollen, denen hier schon den ganzen Tag eine Erfolgsmeldung nach der anderen dargetan wird. ({11}) Dabei suchen die Menschen in unserem Lande Arbeitsplätze, dabei sind die Familien betroffen, weil ihre Kinder keinen Ausbildungsplatz finden, ({12}) und dabei sind die Familien in Sorge, welche Verschlechterung ihres Lebensstandards am 1. Januar 1984 auf sie zukommt. ({13}) Tatsache ist doch, daß, seit Sie an der Regierung sind, ({14}) die Arbeitslosenzahl um 227 000 gestiegen ist. Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht so tun, als ob Sie die Arbeitslosigkeit abgebaut hätten. ({15}) Wissen Sie eigentlich, was auf die Familien zukommt? Wissen Sie von jenem Familienvater mit Frau Fuchs ({16}) einem Bruttoeinkommen von 3000 DM, der erst einmal 250 DM mehr Sozialversicherungsbeiträge auf sein Weihnachtsgeld zahlen muß? Diesem Familienvater haben Sie schon das BAföG-Geld für seine Tochter gestrichen, Sie haben ihm wahrscheinlich sogar eine Mieterhöhung beschert, und wenn die Tochter arbeitslos wird, bekommt sie ein Arbeitslosengeld, das von Ihnen um 40 % gekürzt worden ist. Dies, Herr Bundesarbeitsminister, ist die Politik, die Sie zu vertreten haben. ({17}) Unzumutbares wird Familien mit behinderten Kindern abverlangt. ({18}) Die Eltern behinderter Kinder dürfen ab 1. Januar nicht mehr die Einrichtung auswählen, die für ihr Kind am besten ist. ({19}) Diese Familien werden darüber hinaus unerträglich belastet, denn das Sozialamt kann die Zahlungen um monatlich 200 bis 300 DM kürzen, wenn die Wohnung der Eltern angeblich zu teuer ist. Das ist die Sozialpolitik, die Sie, Herr Bundesarbeitsminister, in diesem Kabinett mit zu vertreten haben. ({20}) Wir haben einen Arbeitsminister, der das alles zuläßt und der sich gegen diese Entwicklung nicht wehrt. ({21}) Meine Damen und Herren, es war ja den ganzen Vormittag sehr interessant: Hier wird so getan, als ob die Wende geschafft wäre, als ob man Erfolgsmeldungen kundtun könnte, als ob alles wieder in Fahrt gekommen wäre. ({22}) Die Realität sieht ganz anders aus. Ich frage Sie, Herr Bundesarbeitsminister, welcher Begriff von Sozialpolitik gilt eigentlich: der, den der Herr Bundesfinanzminister hier heute dargestellt hat - mir sind die Tränen gekommen, ({23}) als er sagte, wie enorm die Besserverdienenden in diesem Staat angeblich belastet sind -, ({24}) oder der Ihre? Der Herr Bundesfinanzminister hat sich noch gefreut, daß es ihm gelungen ist, weitere Einsparungen durchzusetzen; ({25}) diese betreffen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Herr Bundesarbeitsminister. Sie mußten bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die in Ihrem Entwurf vorgesehen waren, noch einmal 200 Millionen DM wegnehmen. ({26}) Sie haben einmal gesagt, Herr Bundesarbeitsminister, ({27}) es sei populär, über die ausufernde Sozialpolitik zu reden; die heiligen Kühe aber, so haben Sie gemeint, grasen woanders. Sie haben dieses gesagt, als Sie Oppositionspolitiker waren. ({28}) Jetzt müssen Sie in der Öffentlichkeit zugeben, daß im Jahre 1983 von den 12 Milliarden DM Einsparungen 10,2 Milliarden DM zu Lasten des Sozialbereichs gegangen sind; ({29}) das sind 85%. Im nächsten Jahr werden von den 6,6 Milliarden DM 4,1 Milliarden DM auf die Sozialpolitik entfallen, und die heiligen Kühe, meine Damen und Herren, grasen weiter; das ist Ihre Politik. ({30}) Sie haben auch einmal gesagt, Herr Bundesarbeitsminister, man könne einer Oma mit einer Rente von 500 DM keine Opfer zumuten, solange andere ungeschoren bleiben. Jetzt muten Sie der alten Frau viele Opfer zu; denn ihre Rente wird nur unwesentlich erhöht. ({31}) Soweit sie Sozialhilfeempfängerin ist, kann sie damit rechnen, daß ihre Sozialhilfeleistungen noch weiter gekürzt werden. ({32}) Sie haben in Ihrer kurzen Amtszeit Rentenänderungen von 8 % gegenüber dem Rechtszustand vor dem 21. Rentenanpassungsgesetz verordnet. Dies geschah linear, ohne jegliche Sozialkomponente und ohne Rücksicht auf die von Ihnen angeführte Oma mit einer Rente von 500 DM. ({33}) Die reichen Leute blieben ungeschoren; sie kriegen wiederum Steuergeschenke. ({34}) Wir Sozialdemokraten lehnen Ihre unausgewogenen Spargesetze ab. Sie verschieben Lasten, ohne die sozialen Sicherungssysteme nachhaltig zu konsolidieren, und Sie belasten in besonderer Weise die Schwächsten in der Gesellschaft. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, meine Damen und Herren: Frau Fuchs ({35}) Die Beschäftigungssituation wird sich mittel- und langfristig weiter verschärfen. ({36}) Sie haben doch mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 die Erfahrung machen müssen, daß durch Sozialabbau kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen wird. Experten rechnen aus, daß Sie jetzt wiederum einige hunderttausend Arbeitsplätze durch die Sparpolitik vernichten, die Sie betreiben. ({37}) Und dann sagen Sie, die Zahl der Arbeitslosen hätte sich verbessert. ({38}) Ich finde es beachtlich, daß Sie dabei nicht daran denken, wieviele Arbeitnehmer in die stille Reserve gehen. All Ihre Zahlen können doch gar nicht stimmen, wenn Sie bedenken, daß allein 8 Milliarden DM Zuschuß gezahlt werden müssen, weil so viele Menschen in die Arbeitslosenhilfe hineingedrängt werden. ({39}) Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren. ({40}) Ganz besonders zynisch finde ich die Art, wie Sie mit Jugendarbeitslosigkeit umgehen. Die SPD-Fraktion hat bereits vor Monaten ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes vorgelegt. ({41}) Insgesamt 1,6 Milliarden DM sollten für 150 000 zusätzliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Leute zur Verfügung gestellt werden. ({42}) Sie haben dieses Programm mit dem Argument abgelehnt, daß bereits genug getan worden sei und im nächsten Jahr alles gar nicht so schlimm werde. Sie wollen wohl nicht zur Kenntnis nehmen, daß mehr als 50 000 Jugendliche in diesem Jahr nicht in einen Ausbildungsplatz vermittelt werden konnten? ({43}) Sie wollen nicht wahrhaben, daß der Ausbildungsmarkt im kommenden Jahr noch stärker als in diesem Jahr belastet sein wird. Wir werden Sie fragen, wie Sie zu diesen Dingen stehen, und werden beantragen, daß über unser Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit heute abend namentlich abgestimmt wird. ({44}) Wir lehnen die Spargesetze auch deshalb ab, weil sie ungeeignet sind, die sozialen Sicherungssysteme zu konsolidieren. Wie die Ausschußanhörungen gezeigt haben, lösen sie weder die Finanzprobleme der Rentenversicherung noch die der Bundesanstalt für Arbeit. Alles, was Sie mit den Maßnahmen erreichen, ist eine Verschiebung von Finanzlasten zwischen dem Bund, der Sozialversicherung und den Kommunen. Zukünftige Finanzierungsprobleme an anderer Stelle werden damit vorprogrammiert. Der Verschiebebahnhof, den Sie, Herr Minister Blüm, stillegen wollten, feiert fröhliche Urstände. Ihre Sparbeschlüsse sind auf scharfe Kritik gestoßen. Nicht nur die öffentlichen Anhörungen vor den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, sondern auch zahlreiche andere Stellungnahmen haben das wahre Gesicht dieser sozialen Demontage deutlich gemacht. ({45}) In den eigenen Reihen der größeren Koalitionspartei rührt sich der Widerstand. Kein geringerer als der verehrte Kollege Alfons Müller hat kürzlich auf der Tagung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Berlin festgestellt, daß die Hauptlast der Sanierung auf dem Rücken der Arbeitnehmer, Familien und Rentner liegt. ({46}) Sind Sie eigentlich betroffen, wenn Sie darüber nachdenken, was Sie den Eltern antun, die ihre Kinder in Beschützenden Werkstätten untergebracht haben? ({47}) Wir haben dafür gesorgt, daß den Eltern eine große Sorge genommen wurde, ({48}) indem wir eine Rente für diesen Personenkreis eingeführt haben. ({49}) Sie kürzen diese Renten um 22 %. Sie nehmen den Eltern damit die Sorge nicht. Die Eltern werden unter das Sozialhilfeniveau zurückgestoßen. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. ({50}) Das Mutterschaftsurlaubsgeld wird gekürzt. Sie haben nicht einmal unseren Antrag im Ausschuß mitgetragen, wenigstens Übergangsvorschriften vorzusehen, damit die Frauen, die schon schwanger sind und sich auf das Mutterschaftsgeld eingestellt Frau Fuchs ({51}) haben, in ihrem Vertrauen gestärkt werden. Sie sagen nunmehr: Ab 1987 soll dieses Geld allen zugute kommen. Es wird also gekürzt. Herauskommen wird eine Taschengeldregelung. Unser Ansatz, einen Schritt zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun, wird damit vollends zunichte gemacht. Das ist Ihre Politik. ({52}) Sie haben entscheidende Änderungen für den Bereich der Rentenversicherung vorgesehen. Wir lehnen diese Änderungen ab, weil sie keinen Beitrag zu einer notwendigen Strukturreform leisten, auch wenn Sie diese Maßnahmen gern als einen ersten Schritt einer Strukturreform ausgeben wollen. Tatsache ist: Hier werden nicht mittel- oder langfristig die Weichen für eine Stabilisierung gestellt. Hier werden lediglich Leistungen gekürzt. Schon jetzt ist absehbar, daß Sie weitere Leistungen kürzen müssen, um die Rentenfinanzen langfristig zu konsolidieren. ({53}) Ich fordere Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister, die Karten auf den Tisch zu legen. Ich finde es unerträglich, daß die Renten im nächsten Jahr zum erstenmal als Renten auf Pump ausgezahlt werden müssen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kolb.

Elmar Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, ist Ihnen bekannt, daß wir 1974/75 neun Monatsrücklagen in der Rentenversicherung hatten und daß man damals gesagt hat, diese Rücklagen könne man aufbrauchen, weil es ja bessere Zeiten gebe? Wenn diese Rücklagen vorhanden wären, wäre diese Situation nicht eingetreten. Ist Ihnen das bekannt?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Durch Ihre Maßnahmen, Herr Kollege, werden wir im Jahr 1984 erstmals so weit sein, daß die Rentenversicherung auf den Kreditmarkt gehen muß, um überhaupt in diesen Monaten Renten auszahlen zu können. ({0}) Sie zahlen die Renten auf Pump. Wir Sozialdemokraten wissen auch, daß die soziale Sicherung in ihrer heutigen Struktur Veränderungen ausgesetzt ist. Wir haben unser Konzept dafür vorgelegt und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Anträge eingebracht, die diesem Konzept entsprechen. Bei allen Maßnahmen zur mittel- und langfristigen Konsolidierung der sozialen Sicherung lassen wir uns von folgenden Grundpositionen leiten. Erstens. Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Nicht der Sozialstaat, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. ({1}) Wir zahlen bereits heute zur Einkommenssicherung der Arbeitslosen 32 Milliarden DM jährlich. ({2}) Nimmt man die Steuer- und die Beitragsausfälle hinzu, sind es 55 Milliarden DM. Wenn wir Ihre Politik fortsetzen, Herr Kollege, wird sich dieser Betrag noch erhöhen. Wenn Sie nichts zum Abbau der Arbeitslosigkeit tun, wird das Problem ihrer Finanzierung Ihnen noch besondere Kopfschmerzen bereiten. ({3}) Zweitens. Der Sozialstaat ist Verfassungsauftrag und steht nicht zur Disposition der Regierenden. Damit sind für uns unvereinbar die Rückkehr zur Armenpflege alter Prägung, der Abbau klarer Rechtspositionen zugunsten von Ermessensentscheidungen, die Aufhebung der staatlichen Verantwortung durch eine falsch verstandene Subsidiarität und die Aufgabe des Prinzips der Solidargemeinschaft. Drittens. Soziale Gerechtigkeit ist bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise unerläßlich. Das bedeutet vor allem bessere Lebenschancen für die Benachteiligten, besondere Heranziehung der Privilegierten zur Finanzierung der gesellschaftlichen Lasten und das solidarische Einstehen aller für die Bewältigung der Wirtschaftskrise und zur Sicherung des Sozialstaats. Was heißt das für die aktuellen Beratungen? Eine Strukturreform in der gesetzlichen Rentenversicherung kann nicht nur darin bestehen, daß wir - Sie haben es zu Recht gesagt, Herr Bundesarbeitsminister - dafür sorgen wollen, daß die Bundesanstalt wieder angemessene Beiträge für die Rentenversicherung zahlt. Das ist keine Töpfchenwirtschaft, sondern ein Strukturelement, mit dem das Risiko der Arbeitslosigkeit dort bekämpft und finanziert wird, wo es hingehört. ({4}) Dabei geht es wohl darum, ob wir uns ein finanzielles Konzept vorstellen können, mit dem die Finanzierung von Arbeitslosigkeit gerechter gestaltet wird. ({5}) Ich kann mir auf Dauer nicht vorstellen, daß nur die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit herangezogen werden und alle anderen Bevölkerungsgruppen von dieser schweren Last ausgenommen bleiben. Daran müssen wir arbeiten. ({6}) Was wir wollen, ist ein Finanzierungssystem, das eine ausgewogene Verteilung der finanziellen Belastungen auf Grund der absehbaren demographiFrau Fuchs ({7}) sehen Entwicklung auf Beitragszahler, Rentner und Staat gleichermaßen gewährleistet. Eine Strukturreform muß sich auch der Frage stellen: Wie halten wir es denn mit der Finanzierung der Rentenversicherung, der sozialen Sicherungssysteme, wenn immer mehr Maschinen und immer weniger Menschen eingesetzt werden? ({8}) Es darf doch nicht so sein, daß sich Unternehmer durch Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen der Verpflichtung zur Finanzierung der sozialen Sicherung entziehen können. ({9}) Deswegen fordere ich Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister, gehen Sie mit uns den praktikablen Weg, die Wertschöpfung als mögliche Beitragsbemessung für die Arbeitgeberbeiträge zu diskutieren. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich würde gern wissen, ob Sie es für angemessen halten, daß bei dieser wichtigen Frage weder der Wirtschafts- noch der Finanzminister da ist und der Arbeitsminister gelegentlich geschwätzt hat und Ihnen daher nicht folgen konnte. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Herr Bundesarbeitsminister mußte sich von seiner Rede erholen, Herr Kollege. Das tut er durch etwas Schwatzen. Ich gehe davon aus, daß die beiden anderen Herren Minister so viel zu tun haben, daß sie die soziale Sicherung der Bürger in dieser Debatte nicht so wahnsinnig interessiert. ({0}) Ich komme zum letzten Thema, das bei der Frage der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung von Bedeutung ist. Wir haben das im Ausschuß alles eingebracht. Das wissen Sie doch. Wir haben Anträge gestellt. Es war ein Paket von Anträgen. Wir haben die Anträge dort erläutert. Aber Sie haben all diese Anträge abgelehnt, weil Sie nicht in der Lage sind, mit uns den Weg einer vernünftigen Strukturreform zu gehen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Moment nicht, Herr Präsident. ({0}) Ein letztes Element hierbei ist: Zu einer Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung muß nach unserer Auffassung die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme hinzukommen. Aber das ist j a interessant, Herr Bundesarbeitsminister: Wir haben eine Kommission, die die Aufgabe hat, die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme zu durchleuchten. Diese Kommission wird in der nächsten Woche ihren Bericht vorlegen. Nun haben wir eigentlich gedacht, diese Kommission sei so wichtig, daß der Herr Bundeskanzler persönlich diesen Bericht entgegennähme; ({1}) er ist weder da, noch nimmt er den Bericht entgegen. Der Bundesarbeitsminister bleibt mit dieser schwierigen Aufgabe allein. ({2}) Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie den Kommissionsbericht entgegennehmen und zügig und schnell mit einem vernünftigen Konzept zur Harmonisierung der Alterssicherungssysteme kommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte sehr.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben eben bemängelt, daß der Bundeskanzler bzw. der Wirtschaftsminister nicht hier seien. Darf ich Sie fragen, wo der Parteivorsitzende der SPD, der ehemalige Bundeskanzler Schmidt und der jetzt amtierende Fraktionsvorsitzende der SPD Herr Vogel sind? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter, lieber Herr Franke, einige sind da, andere sind nicht da. Ich habe mich mit der Regierung auseinanderzusetzen. ({0}) Im übrigen wissen meine politischen Freunde natürlich, was ich zu sagen habe; deswegen ist es - ({1}) Deswegen ist es mir eigentlich wichtiger, daß diejenigen zuhören, von denen ich mir eine Chance erhofft habe, daß vielleicht das eine oder andere Argument bei ihnen hängen bleibt. Das könnte ja auch passieren in einer sozialpolitischen Auseinandersetzung. ({2}) Wir wissen nicht so recht, wie der Kurs dieser Bundesregierung in der Sozialpolitik aussieht, welchen Stellenwert sie ihr beimißt. Wir werden darauf achten, Herr Minister Blüm, wie Sie weiter verfahren wollen und ob Sie weiter dem Drehbuch Ihrer Kollegen George und Albrecht folgen wollen. Wer Frau Fuchs ({3}) wie Herr Bundesarbeitsminister Blüm die Mitbestimmung als die größte Erfindung des sozialen Friedens bezeichnet, der muß deutlich sagen, wie er z. B. zur Sicherung der Montanmitbestimmung steht. ({4}) Wer wie Sie sagt, daß wir starke Gewerkschaften brauchen, wird daran gemessen werden, wie er es mit der Tarifautonomie hält. ({5}) Ich habe nicht gehört, Herr Bundesarbeitsminister Blüm, daß Sie sich gegen die Beschlüsse der Bundesregierung in Sachen ARBED-Saarstahl verwahrt haben. ({6}) Sie haben zugelassen, daß nicht nur die Arbeitnehmer erneut einen Beitrag leisten müssen, Sie haben auch dafür gesorgt, daß ARBED-Saarstahl als Voraussetzung für den Abschluß eines Haustarifs den Austritt aus dem Arbeitgeberverband erklärt hat. ({7}) Dies haben Sie nicht verhindert, Herr Bundesarbeitsminister. Sie haben dazu beigetragen, Gewerkschaftsrechte und Tarifautonomie einzuschränken. ({8}) Ich verstehe das ja sogar. Der Herr Bundesarbeitsminister muß sich darauf einstellen, daß er den Weg von Herrn George geht, den Weg von Herrn Lambsdorff geht, den Weg von Herrn Albrecht geht; denn die Wahlen zum Bundestag sind lange vorbei, ({9}) die Bundestagung der Sozialausschüsse auch. ({10}) Jetzt kehrt die CDU zur Realität zurück und das heißt auch für Herrn Blüm: auf den Kurs von Lambsdorff, George und Albrecht. Das ist Ihre Politik, Herr Bundesarbeitsminister. ({11}) Und dann komme ich zum Vorruhestandsgeld. Warum machen Sie das eigentlich jetzt? Sie machen es doch, weil Sie mit Herrn George und mit Herrn Albrecht diese Vorruhestandsrechtsregelung als Druckmittel benutzen wollen, um die Gewerkschaften in ihrem Kampf um die 35-Stunden-Woche zu behindern; ({12}) sonst würden Sie doch wie wir Sozialdemokraten deutlich machen, daß alle Formen der Arbeitszeitverkürzung gleichberechtigt nebeneinanderstehen. ({13}) Eine solche Erklärung hat der Deutsche Gewerkschaftsbund von Ihnen noch nicht zu hören bekommen. Ich erinnere mich an eine Debatte hier im Bundestag, in der Sie gesagt haben, die Politik der 35-Stunden-Woche sei die Politik der Dampfwalze. Sie wollen diese Vorruhestandsregelung deshalb, um ein Druckmittel gegen die Gewerkschaften zu haben, die sich für die 35-Stunden-Woche als Ziel entschieden haben. ({14}) Sie werden von uns nicht erwarten, daß wir diese Mißgeburt als einen ernsthaften Versuch werten, den Tarifvertragsparteien eine vernünftige Vorruhestandsregelung anzubieten. Mit 65% ist das Versorgungsniveau zu gering. Auch der staatliche Finanzierungsanteil ist zu gering. Durch den Ausschluß der 58jährigen wird die arbeitsmarktpolitische Wirkung verfehlt. ({15}) Rentenversicherungsbeiträge, meine Damen und Herren, werden in geringerer Höhe weitergezahlt, so daß die späteren Rentenansprüche erheblich gemindert sind. Wir können eine solche Regelung nicht akzeptieren. ({16}) Und dann wollen Sie den Arbeitsschutz abbauen. Es ist sehr interessant für mich, wie Sie jetzt versuchen, an das Arbeitszeitrecht, an Arbeitsschutzrechte heranzugehen, wie sie sich im Grunde auch hier auf den Weg begeben, Arbeitnehmerrechte abzubauen. Graf Lambsdorff hat heute morgen gesagt, die Schutzwürdigkeit der arbeitenden Menschen an ihrem Arbeitsplatz dürfe nicht so groß sein, daß damit Einstellungen verhindert würden. Ich finde das eine eigenartige Philosophie. Wieso wird es, wenn einem arbeitenden Menschen, der einen Arbeitsplatz hat, der Kündigungsschutz genommen wird, für einen Arbeitslosen leichter, einen Arbeitsplatz zu finden? Ich habe das nie begriffen. Für mich ist das Ziel klar, das Sie damit verfolgen: Sie wollen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nutzen, um mühsam erreichte Arbeitnehmerrechte abzubauen. Das ist Ihre Politik. ({17}) Sie wollen es ausgerechnet mit der Arbeitszeitordnung erreichen. Sie wollen nicht nur hier Regelungen abbauen, sondern Sie wollen auch noch, daß der Gesundheitsschutz nicht mehr als staatliche Aufgabe begriffen, sondern den Tarifvertragsparteien aufgelastet wird. Das würde die Verabschiedung des Staates aus der Gesundheitspolitik bedeuten. Das irreführende Stichwort heißt dann „Selbstveranwortung der Tarifvertragsparteien". Was sich dahinter versteckt, ist sehr durchsichtig. Sie wollen den Staat aus der gesetzlichen Verantwortung herauslösen, und Sie wollen dafür sorgen, daß Arbeitnehmer Frau Fuchs ({18}) unterschiedlichen Regelungen ausgeliefert sind. Das ist Ihre Politik, Herr Bundesarbeitsminister. ({19})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff ({0}) und dann des Abgeordneten Kolb?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, darf ich versuchen, Ihnen die Philosophie, die Sie als eigentümlich bezeichnet haben, zu erklären und dazu folgende Frage zu stellen? - Halten Sie es für vernünftig, daß ein Unternehmen, das einen begrenzten Auftragsbestand hat, das nicht weiß, ob es Anschlußaufträge zur rechten Zeit bekommen wird, keinen arbeitslosen Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt einstellen kann, weil es denselben nach absehbarer Zeit nicht loswerden kann, weil es gültige Zeitarbeitsverträge nicht abschließen kann, ({0}) und daß deswegen meist mit Zustimmung der Betriebsräte an Stelle der Einstellung eines neuen Arbeitnehmers Überstunden gefahren werden? Halten Sie eine solche Regelung und ihre Folgen für vernünftig?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich will Ihnen gern Nachhilfestunden in der rechtlichen Beurteilung geben. ({0}) Es ist doch nicht so, daß in der Rechtsordnung keine befristeten Arbeitsverträge vorgesehen wären. In jenem Beispiel, das Sie hier vorgetragen haben, wäre es möglich, einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen. Sie brauchten dieses Thema also nicht so zu dramatisieren. ({1}) Sie wollen doch befristete Arbeitsverträge. Ich kenne Ihre Papiere dazu. Sie wissen, daß wir da unterschiedliche Auffassungen haben. Sie wollen diese verschiedenen Kündigungsschutzrechte abbauen, weil Sie meinen, wir hätten insgesamt zu viele Arbeitnehmerrechte eingeführt. Sie wissen, daß wir entschiedenen Widerstand leisten werden, wenn das mit den Referentenentwürfen so weitergeht, die wir von diesem Bundesarbeitsminister inzwischen kennen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie nun noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Keine weiteren Zwischenfragen, weil ich jetzt zum Schluß kommen möchte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zwischenfragen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme also zum Schluß. Ich finde es auch interessant, daß der Bundesarbeitsminister sagt, wir brauchten befristete Arbeitsverträge, wir sollten die Leiharbeit ausdehnen. ({0}) Ich finde, der Bundesarbeitsminister sollte seine ganze Kraft darauf verwenden, zu helfen, daß es Dauerarbeitsplätze gibt, und nicht immer Nebenkriegsschauplätze eröffnen. ({1}) Wer in Krisenzeiten Arbeitnehmerrechte beschneidet, zerstört die Idee der sozialen Partnerschaft, beschädigt die Grundlage sozialer Marktwirtschaft und bereitet den Klassenkampf vor. ({2}) - Dieses Zitat stammt nicht von mir, dieses Zitat stammt von dem Pressesprecher der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Ihrem Parteifreund Hermann-Josef Ahrentz. Ich stimme ihm allerdings zu. ({3}) Dieses Zitat sollte Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, zu denken geben. Bevor Sie unsere gemeinsame Gewerkschaft von diesem Rednerpult aus meinen erziehen zu sollen, überlegen Sie sich doch einmal, welche Position Sie den Gewerkschaften gegenüber inzwischen eingenommen haben! Ich finde es sehr bedauerlich, wenn Sie sich mit Nachdruck in die Reihe der Lambsdorffs, Georges und Albrechts eingliedern. Ich finde, Sie sollten nachdenken. Sie sollten nicht die Gewerkschaften beschimpfen, sondern eine arbeitnehmerfreundliche Politik betreiben. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden über den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Dieser Haushalt liegt bei knapp 60 Milliarden DM, beträgt also nicht ganz ein Viertel des Bundeshaushalts. Aber dieser Einzelhaushalt ist mit einer Reihe anderer öffentlicher Haushalte verzahnt, die gar nicht im Bundeshaushalt stehen. Das gilt z. B. für die Zuschüsse an die Rentenversicherung oder für die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Das bedeutet: wenn man diesen Einzelplan zum Ausgangspunkt der Diskussion nimmt, kann man sehr wohl über viele Probleme sprechen, die z. B. in der Rentenversicherung, z. B. bei den Arbeitslosen anstehen, weil das alles zusammengehört. Aber, verehrte Frau Fuchs, es ist schon ein starkes Stück, wenn man uns über 300 Milliarden DM Schulden überlassen hat - wie Sie es getan haben -, die wir verzinsen und tilgen müssen, und sich dann hierhin stellt und so tut, als gehe einen das alles nichts an. ({0}) - Herr Ehrenberg, ich hatte mit Ihnen einmal eine Auseinandersetzung. Die brauchen wir jetzt nicht fortzusetzen. Sie wissen, was ich von Ihren Rechenkunststücken gehalten habe. ({1}) Es liegt auf der Hand, daß an einem so grollen Haushalt Sparmaßnahmen nicht vorbeigehen können. Das ist nun einmal so. Wir sparen nicht aus Jux und Dollerei. Aber ich muß nochmals fragen: Haben Sie schon einmal bedacht, daß wir für Ihre Schulden, die Sie uns überlassen haben, jetzt 29 Milliarden DM an Zinsen zahlen müssen? ({2}) Herr Ehrenberg, das ist doppelt soviel, wie wir an Kindergeld zahlen. Das ist ungefähr fünfmal soviel, wie wir an Entwicklungshilfe zahlen. ({3}) Das ist ungefähr fünfmal soviel, wie der Bundesminister für den Wohnungsbau ausgeben darf. A fonds perdu, weg sind diese Zinsen. Und Sie stellen sich hin und haben noch ein großes Mundwerk, als sei das alles unsere Schuld und nicht Ihre! ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, gestatten Sie im Laufe Ihrer Ausführungen Zwischenfragen?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, meine Zeit ist knapp. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte dann aber die Kolleginnen und Kollegen, daß sie die nicht zugelassenen Zwischenfragen dann nicht in permanenten Zwischenrufen unterbringen, damit wir zu einem geordneten Abschluß dieses Bereiches kommen. ({0}) - Das gilt für alle Seiten, selbstverständlich, für Herrn Kolb und für alle.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sparmaßnahmen, meine Damen und Herren, sind also eine Folge der uns überlassenen Schulden. Man kann ja manches Mal die Welt und Ihre Logik nicht mehr verstehen. ({0}) Wenn man in der Familie in eine schwierige Lage kommt, dann ist es doch der Normalfall, daß man entweder härter zupackt und mehr arbeitet oder daß man spart. ({1}) Genau dies tun wir doch hier auch beim Staat. ({2}) Ich bin von meinem Elternhaus gewohnt - in meiner Familie ist es nicht anders -: Wenn einmal eine schwierige Zeit kommt, packen wir eben zu, dann wird gearbeitet, und dann wird gespart. ({3}) - Herr Ehrenberg, Sie waren doch selber einmal Regierungsmitglied. Ich könnte doch von Ihnen ein bißchen mehr Disziplin als von jedem anderen erwarten. ({4}) Unsere Sparmaßnahmen treffen - leider - Bevölkerungskreise, die diese Lebenserfahrung gemacht haben. Unsere älteren Mitbürger haben zweimal am eigenen Leib zu spüren bekommen, wohin es führt, wenn der Staat mit seinen Schulden nicht mehr fertig wird. Zweimal ist in diesem Jahrhundert unser Staat in Bankrott gegangen. Zweimal mußten die Bürger ihn wieder herausziehen. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich Sie unterbreche. Diese Häufigkeit der Zwischenrufe, die auf einmal gegenüber dem Redner vorgetragen werden, kann nur als Störung empfunden werden. ({0}) - Das gilt für alle Seiten. Das gilt auch für Herrn Abgeordneten Glos. Es ist das primäre Recht des Abgeordneten, hier seine Ausführungen ungestört machen zu können. Es ist nichts gegen einzelne Zwischenrufe zu sagen. Aber in dieser Häufigkeit werden sie zum einen nicht verstanden, und zum anderen wirken sie nur störend. Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, fahren Sie bitte mit aller Ruhe und Gelassenheit fort.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aus Ihrem lauten Aufschreien kann ich nur schließen, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben. ({0}) Zweimal haben unsere älteren Mitbürger diesen Staat wieder in Ordnung bringen müssen, und sie haben dies getan durch mehr Fleiß und Arbeit. Nun kommen Sie und sagen: Das ist ja richtig, wir haben viele Probleme, aber wir haben jetzt die Lösung; wir Sozialdemokraten, die Opposition, haben diese Lösung, und zwar indem wir künftig einfach weniger arbeiten. ({1}) Was ist denn das für ein Rezept, angesichts von Schwierigkeiten zu sagen: „Wir arbeiten weniger, dann ist diese Welt wieder in Ordnung!?" Ich muß hier einmal an die Adresse der Opposition insgesamt folgendes sagen: Auch ich war ja jahrelang in der Opposition. Aber wenn Sie hier eine Welt an die Wand malen, die nur aus Schmutz und Dreck und Fusel besteht, dann verzerren Sie die Dinge einfach ins Unerträgliche hinein! ({2}) Kritik muß immer so angelegt sein, daß sie sinnvoll und vor allen Dingen auch konstruktiv ist. ({3}) Ich möchte hier auch ein Wort an die Adresse der GRÜNEN sagen. Hier von diesem Podium aus haben die GRÜNEN vor zwei Sitzungswochen erklärt, sie fordern die Mitbürger auf, ihre Guthaben bei Banken abzuheben, um auf diese Art einen Zusammenbruch des Geldkreislaufs herbeizuführen. ({4}) Wer so argumentiert, wer dies zum Ziel macht, will den Zusammenbruch dieses Staats, will das Chaos. ({5}) Sie haben nach Schluß der Nachrüstungsdebatte hier an dieser Stelle erklärt, sie wollten den Bürger jetzt zum zivilen Ungehorsam auffordern, auch dazu, keine Steuern mehr zu zahlen. Wer dies will, will den Zusammenbruch des Staates. ({6}) Haben Sie schon einmal bedacht, was bei Befolgung Ihres Aufrufs die Konsequenz wäre? Sie verwehren dem Staat seine Einnahmen, d. h. dieser Staat könnte dann nicht einmal mehr das Geld an die Ärmsten der Armen bezahlen. ({7}) Sie nehmen also das Fiasko, das Chaos in Kauf. Wenn Ihr Herr Schily hier hinsteht und sagt, er wolle die Verfassung schützen, er wolle dieses Land verfassungsgemäß durchbringen, dann ist das vor diesem Hintergrund einfach nicht glaubhaft. ({8}) Meine Damen und meine Herren, es wird von Ihnen immer wieder gesagt, diese Sparmaßnahmen hätten zur Folge, daß Kaufkraft fehle; wer weniger auf die Hand bekomme, könne weniger ausgeben, und damit trudele die Wirtschaft nach unten ab. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die positiven Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen, nämlich der Effekt einer gedämpften Inflation und die mäßigende Wirkung auf die Zinsen, kompensieren den negativen Effekt der Sparmaßnahmen um mehr als das Doppelte. Sicher ist es negativ zu bewerten, wenn Einkommen wegfällt, aber die Auswirkung dessen, was damit insgesamt positiv verbunden ist, ist mehr als doppelt so hoch zu bewerten. Das ist der eigentliche Grund dafür, warum gerade wegen unserer Sparmaßnahmen vieles jetzt wieder so nach oben geht. ({9}) - Das ist kein Zweckoptimismus, Herr Kollege Sieler, das sind nüchterne Zahlen, die sich bereits in den Büchern unserer Unternehmen niederschlagen. ({10}) Nun sind in diesem Haushalt auch die Zuschüsse für Nürnberg etatisiert. Wir haben die Zuschüsse für die Bundesanstalt in Nürnberg auf 1,7 Milliarden DM begrenzt. Dabei sind 2,38 Millionen Arbeitslose unterstellt. Alle Prognosen, die wir heute haben, sind günstiger; sie liegen teilweise bei 2,25 Millionen. Wir haben das Risiko bewußt hoch eingeschätzt, sind also mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes vorgegangen. Wir gehen davon aus, daß von 100 Arbeitslosen 43,5 Arbeitslosengeld beziehen und weitere 22 % Arbeitslosenhilfe beanspruchen werden. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren - darüber hatten wir die Auseinandersetzung - haben wir die Risiken des Arbeitsmarktes in diesem Haushalt reichlich abgesichert. Negative Überraschungen wie in den vergangenen Jahren sind im nächsten Jahr nicht zu erwarten; es können nur Wenden zum Besseren eintreten. In diesem Zusammenhang hat Frau Fuchs zur Rentenversicherung vorhin wieder den alten Vorschlag gebracht, man solle doch die Wertschöpfung als Grundlage für Sozialbeiträge einführen. Frau Fuchs, Sie kennen sicherlich das, was dagegen spricht. Wenn man dies täte, wäre die logische Folge, daß wir unsere Unternehmen daran hindern, zu rationalisieren. Die Folge wäre ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das heißt zu deutsch: Unser Land, das weitgehend vom Export lebt, würde auf dem Weltmarkt zurückfallen. Dies spricht schlechterdings gegen Ihren Vorschlag. ({11}) Wir haben diesem Haushalt zugrunde gelegt, daß die Löhne und Einkommen im nächsten Jahr um 3,4 % steigen werden. Das war zunächst nicht ganz unstrittig. Denn wir müssen ja sehen, daß es im öffentlichen Dienst zwar Zuwächse geben wird, aber doch unter diesem Durchschnitt. Darüber hinaus wird in Verbindung mit der 35-Stunden-Woche manches in Richtung Arbeitszeitverkürzung gehen und eben nicht in Richtung Lohnerhöhungen. Trotzdem, die 3,4% sind als Durchschnitt sorgfältig überlegt. Sie haben Einfluß auch auf die Beitragseinnahmen der Bundesanstalt und der Sozialversicherung. Daher sind die Einnahmen dieser Einrichtungen sorgfältig kalkuliert und etatisiert. Nun kommt immer wieder der Vorschlag, vor allem aus Ihren Reihen, man solle doch um Gottes willen im öffentlichen Bereich, beim Staat, keine Leute freisetzen, sondern dort möglichst viele Menschen beschäftigen. Sie kritisieren unsere Absicht, z. B. bei der Bundesbahn Personal abzubauen. Sie hätten gern, daß wir noch mehr Menschen über ABM beschäftigen. Es werden ohnehin 65 000 sein. Ich bin der Meinung, das wäre genau der falscheste Weg, den wir gehen können. Zuviel öffentlicher Dienst bindet zuviel Geld des Staates an Lohn- und Gehaltszahlungen und hindert den Staat daran, sinnvolle Investitionen vorzunehmen. Es ist viel wichtiger und richtig, daß der Staat nicht mehr Menschen beschäftigt, als er unbedingt benötigt, damit er Spielraum für Investitionen hat und so die Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft entstehen, wohin sie auch gehören. Alles andere ist ein Irrweg und würde uns auf Dauer in eine völlig falsche Richtung leiten. Sie von der Opposition kritisieren immer wieder, wir hätten alle Probleme gelöst, wir könnten uns alle Sparmaßnahmen sparen, wenn wir auf den Verteidigungshaushalt verzichten würden. Vor allem bei Ihnen von den GRÜNEN ist es gang und gäbe zu sagen: Laßt doch die Ausgaben für Verteidigung sein - Sie nennen es sogar Rüstung -; dann sind wir aus allen Problemen im sozialen Bereich heraus. Das ist ein Trugschluß. Der Verteidigungshaushalt liegt bei 48 Milliarden DM. Wir haben auf allen Ebenen des Staates, nicht nur beim Bund, auch bei den Sozialversicherungen, auch bei den Ländern, auch bei den Kreisen, auch bei den Gemeinden Sozialausgaben, und so gibt die öffentliche Hand das 15fache des Verteidigungshaushalts für Sozialausgaben aus. ({12}) Das heißt: Selbst wenn wir den ganzen Verteidigungshaushalt streichen würden, um uns Probleme an anderer Stelle zu ersparen, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich stehe auf dem Standpunkt: Ein Volk, das etwas auf sich hält, das sich seiner bewußt ist, ist auch bereit, sich im Ernstfall zu verteidigen. Ich muß ein Wort wiederholen, auch wenn Sie es nicht gern hören: Was nutzt uns der schönste Sozialstaat, wenn die Kosaken kommen? ({13}) - „Starker Tobak". Auf diese Reaktion, Herr Apel, habe ich gewartet; denn das Zitat stammt von einem Sozialdemokraten. Ich habe es wörtlich von ihm übernommen. Frau Fuchs hat soeben die Frage aufgeworfen, die Kritik angebracht, daß die Renten möglicherweise nicht solide finanziert sein könnten. Frau Fuchs, vor Jahren hatten wir in der Sozialversicherung 9, 10 Monatszahlungen als Rücklage; ({14}) aber durch Ihre Gesetzgebung, die Sie durchgedrückt haben, sind diese Rücklagen auf ein Minimum gesunken. ({15}) Wir haben sorgfältig gerechnet. Es wird im nächsten Jahr knapp zugehen - das ist zuzugeben -, und es wird eine Phase in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres geben, bei der es kritisch wird. Aber wir kommen über die Runden. In einer sehr kritischen Aussprache mit den betroffenen Ministern haben wir alle Fälle durchgerechnet, und ich kann Ihnen sagen: Der Finanzminister ist bereit, die Zuschüsse des Bundes, die sowieso anstehen, so vorzuziehen, daß keine Liquiditätsengpässe entstehen können. Voraussichtlich nur im November wird die Rentenversicherung an den Geldmarkt herantreten müssen. ({16}) - Das ist ein vorübergehender Zustand, den wir uns nicht eingebrockt, sondern den wir von Ihnen übernommen haben. ({17}) Im übrigen ist dieses Jahr das kritischste Jahr; denn die beschlossenen Maßnahmen führen zu einer besseren Einnahmesituation im übernächsten Jahr. Eines möchte ich klarstellen: Wenn wir uns anschicken, da und dort so manches in der Rentenversicherung zu verbessern, wenn wir bereit sind, jeder Mutter, die ein Kind großgezogen hat, ein Beitragsjahr in der Rentenversicherung anzurechnen, wenn wir die Hinterbliebenenversorgung neu regeln - dies alles wird ja geschehen -, so ist dies nur dann machbar, wenn die Gesamtsumme der Neuregelungen zu keiner zusätzlichen Ausgabenbelastung für die Rentenversicherung führt. Es muß tatsächlich knapp gerechnet werden. Ich möchte zum Schluß folgendes feststellen. Unser Arbeitsminister hat ein schweres Paket an unbeliebten Maßnahmen durchzuziehen. Dies erfordert ein Konzept und Durchhaltevermögen. Ich bewundere ihn immer wieder, wie er auf einem so unliebsamen Gebiet seinen Mann steht. Er macht dies vorzüglich. Verehrter Herr Minister Blüm, auch wenn wir zeitweise in der Sache verschiedener Meinung waren, muß ich Ihnen bestätigen: Sie sind ein Prachtstück in unserer Regierung. ({18}) Deshalb stimmen wir auch gern Ihrem Einzelplan 11 zu. Schönen Dank. ({19})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Potthast. ({0})

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: Ein Programm, das die sozialen Fragen ausschließlich über Wirtschaftswachstum lösen wollte, wäre das Programm eines blanken Materialismus, deshalb ein unmenschliches, unsoziales Programm. Der Mensch muß wachsen, und das Bruttosozialprodukt ist dazu kein hinlänglicher Maßstab. ({0}) Diese Sätze stammen einmal nicht aus den Reihen der GRÜNEN, sondern von dem „Prachtstück" unserer Regierung, dem Bundesarbeitsminister höchstpersönlich. ({1}) Wenn wir uns allerdings die Realitäten ansehen, dann spricht aus diesen soeben zitierten Sätzen blanker Hohn, denn wie heißt es doch so schön in der Bibel: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! ({2}) Diese Taten umfassen auf der einen Seite Steuerentlastungsgesetze für die Unternehmer und auf der anderen Seite Sozialabbaumaßnahmen zu Lasten all derjenigen, denen eine entsprechende Lobby im Parlament fehlt und die ohnehin schon zu den sozial schwach Gestellten in diesem Staate gehören. Denn die durch Ihre Steuerentlastungsgesetze verminderten Steuereinnahmen in Milliardenhöhe, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, werden durch eine Art Sozialabbauextremismus, der seinesgleichen sucht, wieder hereingeholt. ({3}) Und das alles wegen der vagen Hoffnung, daß die Unternehmer das gesparte Kapital wieder in die Betriebe investieren, um so angeblich notwendige Rationalisierungsmaßnahmen finanzieren zu können, die die BRD ({4}) auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig halten sollen. Diese Hoffnung entbehrt jeglicher Grundlage, wie mein Kollege Stratmann heute morgen schon überzeugend dargestellt hat. Als Kerze vor Weihnachten bieten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU/FDPKoalition, den Arbeitnehmern das Vermögensbildungsgesetz an. Holde Worte klingen aus dem Mund des „Prachtstücks" der Regierung: Bürgereigentum höre ich da. Herr Blüm, warum verschweigen Sie, daß diese Vermögensbeteiligung nicht an mehr Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte geknüpft ist? Warum, verschweigen Sie, daß der groteske Fall eintreten kann, daß ein Arbeitnehmer dem Unternehmer billiges Geld zur Verfügung stellt, das dieser für Rationalisierungsmaßnahmen verwenden kann, ohne daß der Arbeitnehmer auch nur ein Vetorecht hätte? ({5}) Das heißt: Ein Arbeitnehmer kann unter Umständen in die Vernichtung seines eigenen Arbeitsplatzes investieren - ein völlig absurder Zustand. ({6}) Absurd und unerträglich ist es auch, wenn über 1 Million Frauen Renten unter dem Sozialhilfesatz beziehen. Dabei handelt es sich um Frauen, die ihr Leben lang unbezahlte oder unterbezahlte Schwerstarbeit geleistet haben, die in diesem Staate die schlechtesten Ausbildungsplätze, die niedrigsten Löhne und die niedrigsten Renten erhalten. Ich frage mich manchmal, was für einen Arbeitsbegriff Sie haben - Sie, Herr Blüm, und Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU. Denn wenn ich so höre, was über die Rente gesagt wird - ich zitiere wieder einmal dieses „Prachtstück" der Regierung: „Rente ist ein Verdienst für Lebensarbeit und keine staatliche Zuteilung" -, ({7}) dann kann ich mich nur fragen, wie Sie die Lebensarbeit von Frauen bewerten, die nicht erwerbstätig sind, dafür aber zu viel an Arbeit haben. ({8}) Zuviel an unbezahlter Arbeit, ohne die dieses System überhaupt nicht funktionieren würde. Es ist unseres Erachtens weiterhin ein unerträglicher Skandal, wenn die Zahl derjenigen Frauen, die in die soziale Armut gedrängt werden, durch die Haushaltspläne der Regierung, z. B. durch die Einschränkungen bei der Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrente, noch zu steigen droht, wenn Rentenbezieher mit Kindern durch die Streichung des Kinderzuschusses in die Sozialhilfe gezwungen werden und wenn überhaupt die Sozialhilfe schon längst nicht mehr ihrem gesetzlich fixierten Auftrag, nämlich ein menschenwürdiges Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern, nachkommen kann, weil die Regelsätze nach Auffassung eines Großteils der Experten schon über 30 % unter den tatsächlichen Aufwendungen liegen, oder wenn die Bundesregierung die Rentenversicherung auch weiterhin nur als Manövriermasse zur Liquiditätssicherung für den Bundeshaushalt mißbraucht und sich weigert, dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag auf Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 19 Milliarden DM zuzustimmen. Dabei handelt es sich hierbei um Gelder, die den Rentnerinnen und Rentnern zustehen. ({9}) Wenn Sie schon Staatsschulden abbauen wollen, warum fangen Sie dann nicht z. B. mit Maßnahmen an, die die finanziell besser Gestellten in diesem Lande treffen, warum fangen Sie nicht mit der Streichung des Bauherrenmodells an oder des Ehegattensplitting? ({10}) Warum führen Sie nicht ein Quellenabzugsverfahren ein, um die Zinsgewinne zu besteuern? Ich möchte zum Schluß ({11}) nur noch ein paar Worte von den für die rigiden Sozialkürzungen verantwortlichen Politikern zitieren. Da heißt es nämlich: „Wir alle haben über unsere Verhältnisse gelebt." - „Wir müssen den ungeschminkten Realitäten ins Auge sehen." - „Wir müssen umdenken." - „Wir müssen von den liebgewonnenen Ansprüchen, Standards und Besitzständen Abschied nehmen." - „Wir müssen den Mut zu schweren und bitteren Entscheidungen haben." Dieses „wir" kommt ausgerechnet aus den Reihen derjenigen, die von all diesen finanziellen Kürzungsmaßnahmen überhaupt nicht betroffen sind. ({12}) Dieser Widerspruch wird noch an folgendem Beispiel deutlich: Wenn die zur Zeit vorgesehene Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge für Behinderte in Werkstätten von 90 auf 70% des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts schon vor 20 Jahren wirksam geworden wäre, ergäbe sich heute daraus ein Rentenanspruch, der in etwa bei 214 DM läge. Das wäre nach 20 Jahren Beitragszahlung - mit Verlaub - weniger als die Hälfte des Geldes, das die Diätenerhöhung für einen einzigen Abgeordneten monatlich ausmacht, eine Diätenerhöhung, die leider nur von uns GRÜNEN abgelehnt wurde. ({13})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beginnen möchte ich mit einem Wort aus dem sozialdemokratischen Schatzkästlein, vielleicht sollte ich heute besser sagen, aus dem sozialdemokratischen Giftschränklein: Einige haben bemängelt, - so wurde eines Tages im Jahre 1982 gesagt daß in diesem Pakt nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen: Dieses ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen wurde. Von den beiden Möglichkeiten scheiterte die eine, es nämlich durch höhere Kreditaufnahme zu finanzieren, an mir. Ich kann das nicht verantworten. Die zweite scheiterte an Euch. Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als Ihr in die Sozialleistungen reinschneiden. Ich nehme an, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, Sie wissen zumindest noch, wer das gesagt hat. In dieser Kontinuität wollen wir unsere Sozialpolitik weiter fortführen. ({0}) Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kann nur Hand in Hand gehen mit der gleichzeitigen Sanierung der sozialen Sicherungssysteme. Dies bedeutet, daß die soziale Sicherung nicht zu Lasten des Steuerzahlers finanziert werden kann. Der richtige Weg ist vielmehr, bei gleichmäßiger Verteilung der Sanierungslasten auf alle Beteiligten die Gesundung der Sondervermögen aus eigener Kraft vorzunehmen. Ich halte eine Stabilisierung der Sicherungssysteme für eine unerläßliche Voraussetzung für eine dauerhafte Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und für die Wiederherstellung des Vertrauens der Rentner und der Versicherten in die Systeme ihrer Alterssicherung. Sanierung bedeutet Konzentration auf die eigentlichen Aufgabenbereiche, bedeutet die Abkehr vom Umverteilungsdenken und verlangt eine Stärkung des Gedankens der Eigenverantwortlichkeit. ({1}) In Zeiten der Finanznot der öffentlichen Hände ist Umverteilung in der Sozialpolitik Vergangenheit. Meine Damen und Herren, was heute gefordert ist, ist eine Umverteilung im volkswirtschaftlichen Sinn: in der Struktur des Sozialprodukts, zugunsten von Arbeitsplätzen und die sie sichernden Investitionen. Unsere sozialen Sicherungssysteme können nur dann leistungsfähig sein, wenn auch . unsere Volkswirtschaft insgesamt leistungsfähig ist. ({2}) Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Konsolidierung der Staatsfinanzen, Finanzierbarkeit der Sozialleistungen - mit diesen Stichworten sind die Probleme bezeichnet, die besonders im Haushalt des Arbeitsministers, im Einzelplan 11, ihren Niederschlag finden. Es ist ein altes Spiel, fast schon eine ehrwürdige Tradition in diesem Hause, daß Sparpläne und notwendige Konsolidierungsmaßnahmen von der jeweiligen Opposition als unsozial und nicht beschäftigungswirksam bezeichnet werden. In dieser Kontinuität befinden wir uns offensichtlich auch heute. ({3}) Zugegeben, der Bundeshaushalt sieht auch in diesem Teilbereich zahlreiche Maßnahmen vor, die sich für den Bürger schmerzlich auswirken werden. Aber, meine Damen und Herren, diese Abstriche an Leistungen entspringen doch nicht purer Lust am Sparen, sondern sind notwendig, um den eingeschlagenen Weg der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen. ({4}) Nur so kann der verhängnisvolle Kreislauf durchbrochen werden: steigende Steuern, steigende Soziallasten, Staatsverschuldung, Gefährdung und Vernichtung von Arbeitsplätzen; die daraus resultierenden Beschäftigungsprobleme wiederum stellen ihrerseits die Finanzierung der Systeme unserer sozialen Sicherheit in Frage. Daß sich die Koalition auf dem richtigen Weg aus diesem Kreislauf befindet, bestätigt eindrucksvoll das Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Daß der Opposition dies nicht gefällt, ist verständlich, weil offenbar nicht sein kann, was nicht sein darf, daß nämlich die angeblichen Kaputtsparer dabei sind, ein solides Fundament zu legen, auf dem sich getrost aufbauen läßt. ({5}) Wir müssen sicherstellen, daß wir das Netz der sozialen Sicherung nicht überbelasten, mit anderen Worten, daß wir das System der sozialen Sicherheit den geänderten wirtschaftlichen, finanziellen und auch demographischen Gegebenheiten anpassen. Zu Recht hat der Kollege Lutz Anfang 1982 auf die Problematik hingewiesen. Er sagte: Wirtschaftliche Probleme strahlen auch auf den Sozialstaat aus und bringen seine verschiedenen Sicherungskreise in Bedrängnis. Sie zwingen zur Zurücknahme von Zusagen und zum gezielteren Einsatz von Leistungen. Das ist so. Wer will das bestreiten'? Meine Damen und Herren von der Opposition, an diese Worte sollten Sie sich heute erinnern, denn das, was wir heute machen, ist doch genau das, was der Kollege Lutz ({6}) seinerzeit als notwendig bezeichnet hat. Von den noch eindeutigeren Äußerungen Ihres ehemaligen Kanzlers will ich jetzt schweigen; damit würde ich Sie wahrscheinlich tatsächlich überfordern. ({7}) Meine Damen und Herren, der Einzelplan 11 - Arbeit und Soziales - ist mit rund 60 Milliarden DM in diesem Jahr wiederum der größte Einzelplan des Bundes. Sicherlich ist Quantität nicht unbedingt ein Ausweis von Qualität. Wir alle wären doch viel froher, wenn dieser Einzelplan kleiner sein könnte; dann wären nämlich auch die Probleme im Bereich der Beschäftigungspolitik geringer. Einige Worte zu den im Haushaltsbegleitgesetz beschlossenen Maßnahmen im Bereich der Arbeitsförderung: Schwerpunkt der Oppositionsforderung ist hier das Verlangen nach energischen Beschäftigungsanstrengungen des Staates. Aber wir haben doch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht,daß dies die Finanzkrisen der öffentlichen Haushalte mit heraufbeschworen hat. Die jetzt vorgeschlagenen Beitragserhöhungen auf insgesamt 5,4 % bei der Bundesanstalt für Arbeit und die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze um 20% sind die Vorstellungen der Sozialdemokraten zur Finanzierung. Diese Vorschläge würden unserer Ansicht nach letztlich zu zusätzlichen Belastungen für Arbeitnehmer und Wirtschaft führen und würden zusätzliche Arbeitsplätze, auf die wir angewiesen sind, nicht sichern, sondern im Gegenteil gefährden. Wir halten es dagegen für viel sinnvoller, dort, wo notwendig, Einsparungen in den Sozialhaushalten vorzunehmen. Ohne entsprechende gesetzliche Maßnahmen würden das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitslosenhilfe den Bundeshaushalt 1984 mit mehr als 14 Milliarden DM gegenüber heute belasten. Eine differenzierte Senkung beim Arbeitslosengeld, beim Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeld ebenso wie bei der Arbeitslosenhilfe mit 5 % trägt den Notwendigkeiten ausgewogener Einsparungen Rechnung. Damit werden die Leistungsbezieher auch nicht auf Sozialhilfeniveau hinabgedrückt, wie von der Opposition immer wieder fälschlich behauptet. ({8}) Denn, meine Damen und Herren, das Niveau bei Leistungsbeziehern mit Kindern bleibt beispielsweise als Familienkomponente unverändert bei 68 % Die jetzt einsetzende wirtschaftliche Belebung wirkt sich - wenn auch langsam - auf die Beschäftigungssituation positiv aus. Als ganz erfreuliche Entwicklung hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit die Entwicklung im Bereich der jugendlichen Beschäftigten vor wenigen Tagen charakterisiert. Die Zahl arbeitsloser Jugendlicher liegt erstmals seit Mai 1980 deutlich unter dem Niveau des Vorjahres, und zwar um 5 %. Ebenso lag die Arbeitslosenquote in dieser Altersgruppe wieder unter der Gesamtquote. Dies kann für uns zwar noch kein Anlaß zum Frohlocken sein, und für meine Fraktion kann ich festhalten, daß jeder arbeitslose Jugendliche ein Arbeitsloser zuviel ist. Wir müssen zukünftig noch mehr für Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche zur Verfügung stellen. Ein so unverdächtiger Zeuge wie der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen, der, wenn ich mich nicht täusche, Ihrer Partei angehört, meine Damen und Herren von der SPD, hat nicht nur ausdrücklich die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft lobend hervorgehoben, sondern auch auf den besonderen Einsatz des Bundeskanzlers in diesem Bereich hingewiesen. ({9}) Wir müssen für die Zukunft auch festhalten, daß private und öffentliche Unternehmen im eigenen Interesse ausbilden. Nur sie können Praxisnähe und Qualifikation ihres Fachkräftenachwuchses am besten und kostengünstigsten sicherstellen. ({10}) Ausbildungsleistungen - das sollten wir nicht vergessen - sind unerläßliche Investitionen in unsere Zukunft. Ausbildung auf Vorrat, meine Damen und Herren, sichert die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Hinblick auf die geburtenschwachen Jahrgänge Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre und schafft für Handel und Industrie, die dies erkennen, erst die Voraussetzung dafür, auch zukünftig auf einen qualifizierten Facharbeiterstamm zurückgreifen zu können.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das kann ich, Herr Zander, aus Kollegialität gegenüber meinen Kollegen, die hier noch reden wollen, leider nicht. ({0}) Wir können uns aber gern noch darüber unterhalten. Daß ich keine Angst vor Ihren Fragen habe, wissen Sie. ({1}) Ich halte nichts davon, meine Damen und Herren, jetzt schon, wie zum Beispiel der DGB, mit Horrorzahlen über die Ausbildungsplatzsituation 1984 Eltern und Jugendliche zu verunsichern; ich halte das für unverantwortlich. ({2}) Wir haben erlebt, daß durch den Verzicht auf die Erhöhung der Ausbildungsvergütung im Chemiebereich 16 % mehr Ausbildungsplätze geschaffen worden sind ({3}) und auch zahlreiche Unternehmen, die bisher nicht ausgebildet hatten, nun dazu übergehen. Auch die öffentliche Hand muß im nächsten Jahr mit gutem Beispiel vorangehen und über die Ausbildungsanstrengungen in diesem Jahr - und die waren nicht gering - ebenfalls hinausgehen. Das, was wir nicht wollen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind zusätzliche - neben den schon bestehenden Programmen - kostenträchtige Sonderprogramme: keine zusätzliche Umlage, keine Subventionierung von Ausbildungsplätzen. Sie müssen doch zugeben, daß das eine Bestrafung derjenigen wäre, die bereits in der Vergangenheit bis heute über ihren Bedarf hinaus ausgebildet haben. ({4}) Darüber hinaus würde das zu Attentismus führen, den wir doch alle zusammen nicht verantworten können. Wir fordern den Bundesarbeitsminister auf, in allernächster Zukunft noch weitere ausbildungs- bzw. beschäftigungshemmende Vorschriften abzubauen. Darin sehen wir eine weitere Möglichkeit, bei den Unternehmen zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. ({5}) In der Geschichte dieses Parlaments hat es für Haushälter sicher angenehmere Zeiten gegeben. Es war mit Sicherheit viel befriedigender, sich zu überlegen, wem man wieviel wann geben könnte. Diese Zeiten sind vorbei. Wir werden in der Koalition den eingeschlagenen Weg weiterverfolgen, und wir sind sicher, daß uns ein Ziel winkt, mit dem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie dann ehrlich sind, ebenfalls hochzufrieden sein werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Wir fahren in der wirtschaftspolitischen Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Wir haben eine wirtschaftspolitische Debatte. Wir haben seit Neubildung der Bundesregierung zwei Parlamentarische Staatssekretäre zusätzlich zum Minister. Nun ist überhaupt kein Vertreter des Wirtschaftsministeriums auf der Regierungsbank. Ich frage mich eigentlich, ob man da die Haushaltsdebatte fortsetzen kann. ({0}) - Ich halte es in der Tat für mehr als einen Lapsus, und ich halte es für einen Beleg unserer Kritik von dieser Woche, wo wir sagten, daß es nicht denkbar ist, daß Graf Lambsdorff im Rahmen dieser Bundesregierung sein Amt als Bundeswirtschaftsminister weiterführen kann in einer Situation, in der er offensichtlich durch andere Geschäfte, nämlich durch die Verteidigung seiner Person gegen eine Anklage, mehr beschäftigt ist als durch sein Amt selbst. ({1}) - Das ist nicht schäbig, sondern das ist jetzt auch dokumentiert durch das Verhalten des Bundeswirtschaftsministers. ({2})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Faltlhauser?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, würden Sie fairerweise zur Kenntnis nehmen, daß hier zwischen den Geschäftsführern eine Vereinbarung getroffen ist, die es selbst einem aufmerksam folgenden Abgeordneten hier im Plenum nicht erlaubt, auf dem laufenden zu sein, wann welcher Themenbereich tatsächlich drankommt? Und könnten Sie sich vorstellen, daß es für ein RegierungsDr. Faltlhauser mitglied relativ schwierig ist, den Anfang eines neuen Themenbereichs zu erkennen? Und würden Sie angesichts dieser Tatsache bitte auch anerkennen, daß die Bereitschaft, zuzuhören, auch kritischen Beiträgen zuzuhören, beim Wirtschaftsminister sehr lang vorhanden war? Er hat nämlich sehr lang hier an diesem Podium gesessen.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter, ich hätte nicht kritisiert, wenn der Bundeswirtschaftsminister, der zwei politisch verantwortliche Parlamentarische Staatssekretäre hat, hier für eine Vertretung im Parlament gesorgt hätte. Ich muß sagen: Wir haben zu Beginn dieser Regierungszeit kritisiert, daß im Wirtschaftsministerium und in einem anderen Ministerium zusätzliche Parlamentarische Staatssekretäre ernannt wurden, die deshalb auch im Haushaltsplan enthalten sind. Und jetzt ist es nicht einmal möglich, daß das Bundeswirtschaftsministerium während der Debatte über seinen Haushalt im Plenum vertreten ist? Das ist ein politischer Skandal, der auch finanzpolitische Bedeutung hat. ({0}) Ich bin auch deshalb über diesen Sachverhalt empört, weil ein Wort vom Sprecher der Opposition in der Wirtschaftspolitik zu der Lage im Wirtschaftsministerium notwendig ist. Graf Lambsdorff weiß, und wenn er hier wäre, würde er es nicht leugnen, daß ich nicht zu denen gehört habe und gehöre, die sich in den letzten Wochen und Monaten an Vorverurteilungen seiner Person beteiligt haben. Sie werden von mir aus den letzten Monaten kein Wort finden, das sich so deuten läßt. Aber ich habe auch aus Gesprächen mit Leuten, die im Ausland wirtschaftliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertreten, den Eindruck gewonnen, daß Graf Lambsdorff der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Wirtschaft einen Dienst erweisen würde, wenn er die Konsequenzen aus der jetzigen Situation ziehen und zurücktreten würde. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich den Gedanken beenden. Dann sofort. Er würde nicht nur der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland einen Dienst erweisen, sondern auch seiner Person selber mehr Respekt sichern. Denn ein Wirtschaftsministerium zu leiten, während wir in einer tiefen Wirtschaftskrise stecken - Stahlkrise, Werftenkrise, alle die Probleme der Kohle -, ({0}) braucht einen ganzen Mann und braucht diesen Mann völlig. Aber ein Minister, der praktisch die Hälfte seiner Zeit oder mehr braucht, um sich zu verteidigen - und das ist sein gutes Recht, und dieses Recht müssen wir ihm durch faire Behandlung sichern -, der also insoweit anders gebunden ist, ist meines Erachtens von der Sache her untragbar. Ich fordere ihn noch einmal aus der Sache heraus auf, jetzt diesen Platz frei zu machen. Ich appelliere auch an die Kollegen der FDP, Sorge zu tragen, daß diese Verantwortung im Interesse der Bundesrepublik und durch die Person umfassend wahrgenommen wird.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Erlauben Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, können Sie mir, da Herr Bundesminister Graf Lambsdorff nicht hier ist, zumindest bestätigen, daß Sie heute mit ihm zu Mittag gegessen haben und dabei Gelegenheit hatten, ihm zu sagen - vielleicht haben Sie es getan -, daß Sie noch große Ausführungen zu seinem Haushalt machen würden? Und haben Sie, falls Sie das gesagt haben, eine Erklärung dafür, daß er nicht hier ist? ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Antwort des Abgeordneten Roth abzuwarten.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Glos, die Tatsache, daß man sich, nachdem man jahrelang kollegial und vernünftig zusammengearbeitet hat, auch mit dem Menschen Graf Lambsdorff unterhält, sollte Sie nicht zu ironischen und dümmlichen Zwischenbemerkungen veranlassen. ({0}) Ich habe im übrigen - das ist im Anschluß an dieses Gespräch kein Vertrauensbruch - Graf Lambsdorff bei diesem Mittagessen gesagt, daß ich an dieser Stelle diese Aufforderung an ihn richten werde. Auch das, meine Damen und Herren, finde ich vernünftig und fair im Umgang zwischen der Opposition und der Bundesregierung, daß man das miteinander bespricht, bevor es in der Öffentlichkeit bekannt wird. Meine Damen und Herren, nun zur Sache. ({1}) In dieser Debatte schwelgen die Redner der Koalition von Reden über den Wirtschaftsaufschwung. ({2}) Ich bin als einer, der die Wirtschaftspolitik seit Mitte der 70er Jahre hier im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages mitverfolgt hat, zutiefst beunruhigt über das Ausmaß von Selbstbetrug und Selbstgefälligkeit, das in den Reden der Koalition hier stattfindet, und zwar einfach deshalb, weil ich mich an gewisse Fehler - ich sage das ganz offen - aus unserer eigenen Regierungszeit erinnere. ({3}) Als im Jahre 1976 nach der Rezession 1974/75 die Zuwachsrate des Sozialprodukts nach der Schrumpfung im Vorjahr real 5,3 % - nicht 1 % - betrug und im nächsten Jahr, 1977, 2,8 % betrug, dann 3 %, dann 4 %, also über vier Jahre hinweg solche Zuwachsraten zu verzeichnen waren, haben ich und Freunde meiner Partei und teilweise damals noch der Koalition insgesamt daran erinnert, daß all diese Zuwachsraten des Sozialprodukts, all diese positiven Veränderungen des Volkseinkommens an der Situation der Massenarbeitslosigkeit nichts ändern würden. Ende der 70er Jahre hatten wir einen Sockel von 850 000 Arbeitslosen. Dann kam die Rezession 1979/80, Ölpreiskrise und die starke Verwerfung in der Volkswirtschaft. Und - das rechne ich Ihnen jetzt nicht zu - im Verlaufe dieser Wirtschaftskrise hat sich der Sockel an Massenarbeitslosigkeit von 850 000 auf jetzt weit über zwei Millionen Menschen erhöht. Jetzt kommt das Entscheidende. Alle Voraussagen, meine Damen und Herren von der Koalition, alle Prognosen, egal, ob Sie Sachverständigenrat oder das Wirtschaftsministerium, die Bundesbank oder die fünf Institute nehmen, die uns jährlich im Herbst und im Frühjahr beraten, gehen dahin: wenn das, was wir jetzt Wirtschaftsaufschwung oder -belebung nennen - das ist ja unterschiedlich im Begriff; manche reden nur von der Wirtschaftsbelebung, und dem würde ich mich anschließen -, einige Jahre stattgefunden hat, dann wird die nächste Rezession bei einer Arbeitslosigkeit von zwei Millionen Menschen beginnen. Das heißt aber nichts anderes, als daß wir noch in den 80er Jahren beträchtlich über drei Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik bekommen werden. ({4}) Von diesem Sachverhalt, meine Damen und Herren, reden Sie nicht, redet auch der Wirtschaftsminister nicht. Dieser Sachverhalt wird Sie in den 80er Jahren einholen, und zwar schneller, als Sie glauben. Wir wissen, daß ein Konjunkturzyklus etwa fünf Jahre beträgt. Das heißt, die Aufschwungphase beträgt zwei, zweieinhalb Jahre. Wir haben ein Jahr hinter uns. Sie können ziemlich exakt absehen, wann der obere Wendepunkt der Konjunktur erreicht sein wird. Sie können ziemlich exakt absehen, wann Sie bei einem Sockel von zwei Millionen Arbeitslosen in eine Rezession kommen. Das ist das Problem der 80er Jahre. Das ist kein parteipolitisches Problem, sondern ein Problem, das Staat und beide soziale Gruppen, Unternehmer und Gewerkschaften, gemeinsam angeht. ({5}) Über dieses Problem müßte man hier reden. Man müßte, meine Damen und Herren, zu den Grundfragen der Wirtschaftspolitik mehr reden, als es heute geschieht, zu den kurzfristigen Prognosen, die dann in die Zukunft verlängert werden und erst recht Enttäuschung verursachen. Grundfrage 1: Entkoppelung des Wirtschaftswachstums von der Beschäftigungsentwicklung. Das läßt sich mit einem ganz kleinen Sachverhalt für dieses Jahr belegen. Wir hatten im ersten Halbjahr 1983 ein Wirtschaftswachstum von 0,7 %, also unter 1 %. Wir hatten einen Produktivitätsfortschritt, also Leistungssteigerung pro Arbeitsstunde in der Volkswirtschaft, von durchschnittlich 2,5 %. Das heißt, die Kluft zwischen Produktivität und Nachfragewachstum und Produktionswachtsum ist weiter aufgegangen. Das bedeutet, trotz allen Wirtschaftswachstums wird sich am Arbeitsmarkt keine Wende ergeben. Das ist der Sachverhalt, über den Sie nicht reden. ({6}) Meine Damen und Herren, diesen Sachverhalt nimmt man im betrieblichen Geschehen, im Gespräch der Arbeitnehmer untereinander dauernd wahr, man spricht miteinander. Die Arbeitnehmer beobachten eine Debatte wie die heutige im Bundestag und entdecken, daß das Rationalisierungstempo in unserer Volkswirtschaft viel schneller geworden ist als das Wachstumstempo und daß dies in diesem Hause nicht zur Debatte steht, jedenfalls nicht von Ihnen. Deshalb kommen Sie auch zu derart widersprüchlichen Aussagen zur Arbeitszeitverkürzung. Herr Kohl hat in einem - wo sonst? - ,,Bild"-Interview gesagt, die Forderung nach der 35-StundenWoche sei absurd, töricht und dumm. Nun stellen Sie sich einen Arbeitnehmer in der Automobilindustrie vor, zumal in einem Unternehmen, das gar nicht so schlecht geht, bei dem er am Ende eines jeden Jahres sieht, daß trotz des Wachstums in diesem Sektor etwa 5 bis 10 % der Arbeitsplätze abgebaut werden, wie der denkt, wenn er hört, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeitszeitverkürzung nur beizutragen hat: dumm, töricht und falsch. Meine Damen und Herren, hier werden Sie von den Forderungen der Arbeitnehmer eingeholt werden. ({7}) Und nun spielen Sie die Wochenarbeitszeitverkürzung gegen eine Vorruhestandsregelung aus. Das Groteske dabei ist, daß Sie schon, bevor wir hier im Bundestag darüber abstimmen, die Vorruhestandsregelung, die wir vorgeschlagen haben, demontiert und wirtschaftlich faktisch unwirksam gemacht haben. Das ist die Realität. ({8}) Sie denunzieren die Wochenarbeitszeitverkürzung als wirtschaftspolitisch falsch und demontieren gleichzeitig die Vorruhestandsregelung, d. h. die Verbesserung der Möglichkeit, aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, wenn man dies wünscht. Zur Grundfrage 1, Abkoppelung des Wirtschaftswachstums von der Produktivitätsentwicklung, gibt es keine Antwort von Ihrer Seite. Grundfrage 2, die Wachstumsfrage schlechthin: Wir wissen, daß es von Wirtschaftszyklus zu Wirtschaftszyklus seit Anfang der 70er Jahre ein Absinken des Wachstumstempos gab. In den 50er Jahren lag die reale Wachstumsrate bei etwa 10 %, in den 60er Jahren bei 6 bis 8 %, in den 70er Jahren bei 4 bis 6 %. Und wenn wir jetzt Glück haben, wird in der ersten Hälfte der 80er Jahre ein Wirtschaftswachstum von etwa 2 oder 1 % herauskommen. Aber die Produktivität wird stärker steigen. Nun schlagen Sie zur Erreichung von Wirtschaftswachstum Abschreibungserleichterungen und alle möglichen Steuererleichterungen für Unternehmer vor. Sie schlagen ferner vor, auf der anderen Seite die Löhne zu kürzen und die übrigen Kosten der Wirtschaft zu senken. Hier laufen Sie in eine wirtschaftspolitische Sackgasse, die meines Erachtens von Ihrer Seite nicht einmal erörtert wird. Wie soll eigentlich eine Wirtschaft wachsen, bei der die Hauptnachfragekomponente, die Endnachfrage der Konsumenten, auf Grund sinkender Einkommen wegen niedrigerer Lohnabschlüsse und auf Grund von Streichungen von Leistungen im sozialen Bereich sinkt? Das ist eine tarifpolitische auf der einen und eine gesellschaftspolitische Frage auf der anderen Seite. ({9}) Dieser Widerspruch, meine Damen und Herren, wächst sich allmählich zu einem argumentativen Skandal auf Ihrer Seite aus. Sie rechnen jetzt, ganz im Kontrast zu früheren Zeiten, nur noch mit einer Senkung der Sparquote, um das Wachstumstempo erreichen zu können, daß Sie eigentlich vorgesehen haben. Wenn ich heute früh den Bundeswirtschaftsminister richtig gehört habe, dann war doch sein Argument: Bei uns ist es in diesem Jahr weitergegangen, weil die Arbeitnehmer endlich ihre Sparkonten aufgelöst haben. Das war die eigentliche Quelle der Nachfrage, die es im Konsumgüterbereich gegeben hat. Angesichts dessen frage ich mich wirklich: Wie argumentieren Konservative, wenn sie feststellen, daß Arbeitnehmer auf Grund sinkender verfügbarer Masseneinkommen gezwungen sind, ihre Sparguthaben aufzulösen, um die Nachfrage aufrechtzuerhalten, die mit dem aktuellen Einkommen nicht mehr stabilisiert werden kann? Hier ist doch der Widerspruch. ({10}) Nun können Sie zwar damit rechnen, daß auch noch in den nächsten Monaten Sparguthaben geplündert werden, aber darauf können Sie doch keine mittelfristige Wachstumsstrategie aufbauen. ({11}) Das können Sie auf diesem Gebiet nicht erreichen. Grundfrage 3: In der Industriepolitik der Bundesrepublik Deutschland gibt es zwei Problemstellungen, über die heute von Ihrer Seite, zumal vom Grafen Lambsdorff, nicht geredet wurde. Über Glos will ich in Fragen der Wirtschaftspolitik schon gar nicht reden. - Erste Frage: Was machen wir mit den in die Krise geratenen Industriesektoren Stahl, Kohle, Schiffbau ({12}) und denen, die zusätzlich in die Krise kommen werden? Da mache ich eine Fußnote. Wir haben zur Zeit eine steigende Nachfrage nach Automobilen. Sind Sie so sicher, daß das, was manche Automobilboom nennen, in den nächsten zwei Jahren anhält? Sind Sie so sicher, daß zur Zeit im Investitionsbereich der Automobilindustrie nicht die Überkapazitäten der zweiten Hälfte der 80er Jahre vorprogrammiert werden? Sind Sie so sicher, daß wir uns nicht in zwei Jahren hier treffen, um über die Frage zu diskutieren, was wir in bezug auf die krisenhafte Entwicklung der Automobilindustrie tun können? Fragen Sie sich das selber. Ich habe miterlebt, als im Jahr 1977/78 alle Fraktionen dieses Hauses über den Stahlboom beglückt gesagt haben: Endlich geht es beim Stahl aufwärts. Anschließend waren die Überkapazitäten da. Meine Frage ist: Was machen wir in den krisenhaft sich entwickelnden Industriesektoren? Wo ist eine industriepolitische Antwort, wie sie beispielsweise Japan durch ein Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft tatsächlich gibt? Die vorschnellen Zwischenrufer von der CDU/CSU möchte ich daran erinnern - ich weiß nicht, wer das gesehen hat; ich habe es mir jedenfalls angeguckt -, daß Franz Josef Strauß gestern abend in der ,,Bilanz"-Sendung exakt diese Fragestellung aufgeworfen hat, übrigens verbunden mit einer handfesten Kritik an Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff. Er entwikkele keine Antworten, bezogen auf die krisenhaft sich entwickelnden Sektoren Stahl, Werften usw. Das ist auch unsere Kritik. ({13}) - Ich möchte diesen Gedanken ausführen, selbst angesichts einer Zwischenfrage eines CSU-Kollegen. Die Tatsache, daß die bayerische Staatsregierung in bezug auf die Maxhütte gesagt hat, wir werden mit den Stahlnachfragern in Bayern sprechen, damit die Kapazität der Maxhütte ausgelastet ist - ich könnte auch die Firmen nennen, mit denen die bayerische Staatsregierung gesprochen hat -, begrüße ich. Wenn sich die bayerische Staatsregierung auf der anderen Seite bereit erklärt hat, diesen Teil des Klöcknerkonzerns aufzufangen - kapazitätsmäßig anzupassen, aber auch zu sichern -, dann halte ich das für eine industriepolitische Maßnahme, der ich nur zustimmen kann. ({14}) Ich bin froh, daß es wenigstens in Bayern auf Grund der finanzpolitischen Möglichkeiten, die dieses Land hat, eine gewisse Sicherheit in diesem Fall für die Arbeitnehmer in der Maxhütte gibt. Ich finde, das ist richtig. Nur frage ich: Wo ist Ihr Selbstverständnis als CSU-Abgeordnete und CDU-Abgeordnete, wenn Sie sehen, daß diese Koalition die schleichende Selbstzerstörung der Stahlindustrie im gesamten übrigen Bundesgebiet zuläßt? Das ist meine Frage. ({15})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will das zu Ende führen. Seit zwölf Monaten haben wir diese Frage eigentlich alle zwei, drei Wochen im Bundestag gestellt. Auch heute ist auf diese Frage keine Antwort gekommen. ({0}) Graf Lambsdorff hat eine Rede gehalten, die mehr einem Oppositionsabgeordneten entsprochen hätte, der die von der SPD gestellte Bundesregierung kritisiert. Für den Stahlbereich - Saarstahl und die übrigen Standorte: Bremen, Ruhrgebiet, Siegerland, Niedersachsen - hat er nicht eine Antwort gehabt. Vergleichbares, wenn nicht Schlimmeres ist aus dem Werftenbereich zu berichten. Für den Werftensektor hat die Bundesregierung, hat der Bundeskanzler in Bremen vor einiger Zeit eine Garantie gegeben, bei der Fusion der Bremer Werften Unterstützung zu leisten. Und nun? Vor etwa zehn Tagen hat die Bundesregierung diese Garantie zurückgenommen. ({1}) Sie läßt jetzt die Bremer Landesregierung in ihrer Entscheidung allein. Auch hier wächst sich die Verweigerung der Industriepolitik ({2}) durch die Bundesregierung zu einer Krise, nein, zu einem wirklichen Chaos aus. Ich darf hier zitieren, was gestern Betriebsräte der Bremer Werften an Herrn Kohl geschrieben haben. Sie können daran feststellen, welche Enttäuschung bei den Arbeitnehmern in den Betrieben herrscht. Sie schreiben: Am 4. März in Bremen und am 18. Juli in Bonn hat der Bundeskanzler uns persönlich, den Betriebsräten der betroffenen Werften und Vertretern der IG Metall, konkrete Hilfe für die Werften zugesagt. Voraussetzung sei, so sagte der Bundeskanzler, daß Werftvorstände ein von der Treuarbeit befürwortetes Konzept vorlegten. Diese Vorbedingung ist von Eigentümern und Werftvorständen inzwischen erfüllt worden. Der Bundeskanzler hat am 18. Juli 1983 erklärt, seine Autorität im Bundeskabinett einzusetzen, um die unterschiedlichen Interessen der Fachminister Lambsdorff und Stoltenberg für eine Lösung der bremischen Werftprobleme zu gewinnen. Ich kann nur sagen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, hier hat sich Lambsdorff mit seinem Nein für eine zukunftsorientierte Industriepolitik für den Standort Bremen durchgesetzt, und die Leute in den Bremer Werften stehen jetzt nach Monaten erneut vor dem Nichts. Das ist die Tatsache. ({3}) - Herr Koschnick hat gesagt, und zwar vor dem Wahltag in Bremen, daß er weiß, daß eine Kapazitätsanpassung in Bremen notwendig ist. ({4}) Koschnick hat gesagt: Ich bin bereit, das mitzutragen, wenn durch eine Fusion und entsprechende Rationalisierungsmaßnahmen im Werftenbereich von Bremen eine der Absatzlage entsprechende Anpassung stattfindet. Er hat allerdings auch gesagt, daß die Finanzen des Landes Bremen nicht ausreichen, um diesen Anpassungsprozeß zu finanzieren. Er hat sich damals auf entsprechende Zusagen der Bundesregierung verlassen. Nach dem Gespräch in der vorletzten Woche hat die Bundesregierung diese Zusage zurückgezogen. ({5}) Meine Damen und Herren, hier ist ein Stück Industriepolitik zugunsten einer dogmatischen, ideologisierten Ablehnung jeder Industriepolitik in der Bundesrepublik Deutschland geopfert worden. ({6}) Die vierte Grundfrage lautet - auch dazu gibt es von Ihrer Seite nach meiner Überzeugung keine ausreichende Antwort -: Wie erhalten wir in diesem Land bei einer Verschärfung der Arbeitsmarktprobleme und der sozialen Konflikte den sozialen Frieden, den sozialen Konsens? Ich habe schon erwähnt, wie Bundeskanzler Kohl auf die Forderung - auf eine tarifpolitische Forderung, muß ich hinzufügen - der IG Metall reagiert hat. Es war in der ,,Bild"-Zeitung. Er hat gesagt, die 35-Stunden-Woche sei absurd, töricht und dumm. Das hat er zu Beginn einer tarifpolitischen Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gesagt. Ich kenne keinen Eingriff in dieser Schärfe - da schließe ich Herrn Erhard und Herrn Adenauer ausdrücklich mit ein - in eine konkrete Tarifauseinandersetzung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. ({7}) Unabhängig davon, wie Sie zur 35-Stunden-Woche stehen - da gibt es unterschiedliche Meinungen bei Ihnen und in allen Teilen der Bevölkerung, im Arbeitnehmerlager und auch im Bereich der Arbeitgeber -, frage ich Sie: Wie will eine Regierung in einer derartigen Situation, da sich der Tarifkonflikt zuspitzen wird, Mittler sein, grüner Tisch sein, Organisator des grünen Tisches, eine Institution, die die Leute zusammenbringt, die dann, wenn sich der Konflikt zuspitzt, auch zum Kompromiß hinführen kann, wenn am Anfang eines Tarifkonflikts der staatliche Teil, der noch gar nicht gefordert ist, einseitig, allein und ausschließlich auf seiten der Arbeitgeber sein Interesse gesichert sieht? ({8}) - Rufen Sie doch nicht empört hier dazwischen, sondern gehen Sie in die nächste Fraktionssitzung der CDU/CSU und machen Sie Ihrem Bundeskanzler klar, daß der Eingriff des Staates in dieser Phase einer Tarifauseinandersetzung nur zu einer Verschärfung des sozialen Klimas und nicht zu einer Lösung der sozialen Konflikte führen kann. ({9})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin am Ende; Sie wissen das. ({0}) Meine Damen und Herren, ich meine, ohne daß Sie das zu dem Zeitpunkt selbst gemerkt haben, haben Sie als Koalition, als stiller Dulder einer dummen Entscheidung eines einzelnen ein bisher von allen Bundeskanzlern der Bundesrepublik Deutschland gewahrtes Prinzip in bezug auf die Tarifpolitik aufgegeben. Sie haben sich zur Unzeit eingemischt, und Sie sind dann nicht mehr in der Lage, ({1}) das Stück an sozialem Konsens zu organisieren, den nach der Tradition aller Bundesregierungen der Bundesrepublik Deutschland die Bundesregierungen stets organisiert haben. Das heißt, Sie sind in einer Phase, in der eigentlich die sozialen Kräfte zusammengeführt werden müssen, ({2}) als Spalter zwischen den sozialen Kräften aufgetreten. Und da komme ich nun zurück auf die Feststellung, die ich am Anfang getroffen habe, daß nämlich Graf Lambsdorff in dieser Bundesrepublik als Wirtschaftsminister untragbar geworden ist.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haussmann?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will das beenden. - Graf Lambsdorff wird in dieser Woche auf Grund anderer Vorgänge als Wirtschaftsminister zur Diskussion gestellt. Ich hätte ihn, wenn das andere nicht im Raum gewesen wäre, gern als Bundeswirtschaftsminister in Frage gestellt, weil er nur noch mit einer der beiden sozialen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich nur noch mit den Unternehmern gesprächsfähig ist. Seine gesamte Wirtschaftspolitik ist abgestellt auf eine Vertretung der Interessen des Unternehmerlagers in diesem Haus. Das ist nach meiner Überzeugung auch ein Bruch mit der Idee der Sozialen Marktwirtschaft, die in der Wurzel bei der CDU/CSU nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Deshalb ist er untragbar als Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe versucht, dem Kollegen Roth aufmerksam zuzuhören, um vielleicht die Chance zu haben, erstmals ein Konzept der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur Wirtschaftspolitik zu hören. Ich muß sagen, ich bin erneut enttäuscht worden, lieber Kollege Roth. Keine neue Idee, kein Konzept, nur Kritik! Ich glaube, Sie brauchen noch lange Zeit auf den Oppositionsbänken, um über ein überzeugendes Wirtschaftskonzept der Sozialdemokratie nachzudenken. ({0}) Lassen Sie mich an drei Punkten zeigen, wie fragwürdig Ihre Argumentation ist. Punkt eins: Sie sprachen von Bremen und beschuldigten uns des Wortbruchs. Sie haben dabei verschwiegen, daß eine Investitionszulage von 8,7 für neue Arbeitsplätze in Bremen von uns bewußt getragen und unterstützt wird. Sie haben verschwiegen, daß 80 Millionen DM Haushaltsmittel des Bundes zur Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur gerade in Bremen in den nächsten Jahren gezielt eingesetzt werden. Und Sie haben verschwiegen, daß zu einer Fusionshilfe das SPD-regierte Land Hamburg ausdrücklich gesagt hat, sie solle nicht kommen. ({1}) Geben Sie die Schuld nicht der Regierung, sondern denken Sie mal über die Frage nach, ob es in der Sozialdemokratie noch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gibt, bevor Sie hier Kritik üben. ({2}) 3184 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 Ein Zweites. Sie haben zur 35-Stunden-Woche, zur Arbeitszeitverkürzung gesprochen und haben dem Bundeskanzler vorgeworfen, er mische sich ein. Herr Kollege Roth, was ist eigentlich der Unterschied hinsichtlich des Wortes Einmischung, wenn Sie aus Ihren Gründen engagiert für die 35-Stunden-Woche plädieren und auf der anderen Seite der Bundeskanzler aus seinen Gründen dazu Stellung nimmt? Tarifautonomie heißt doch nicht Denk- und Redeverbot. Der Bundeskanzler hat die Verantwortung, aus seiner Kenntnis zu volkswirtschaftlichen Fragen Stellung zu nehmen. Wir können ihn hier nur unterstützen. Denn wir wissen, daß die Verkürzung der Wochenarbeitszeit in Frankreich nicht die Wirkung gehabt hat, die sich die französische Regierung erhofft hat, sondern im Mittelstand die gegenteiligen Wirkungen ausgelöst hat. Wir sollten - wie wir finden - aus den Fehlern anderer lernen. ({3}) Eine kleine Seitenbemerkung: Wir waren ja vor kurzem bei der Industriegruppenkonferenz der IG Chemie zusammen. Herr Kollege Roth, wenn ich mir ansehe, was dort zum Thema Lebensarbeitszeitverkürzung einerseits und Wochenarbeitszeitverkürzung andererseits gedacht wird, dann frage ich mich: Warum muß eigentlich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion den harten Wortführern auf der Gewerkschaftsseite Unterstützung geben, statt sich den gemäßigteren unter den Gewerkschaftern - auch den sozialdemokratischen Gewerkschaftern - anzuschließen, wenn es um solche Grundfragen zukünftiger Wirtschafts- und Strukturpolitik geht? ({4}) Drittens. Vor ein paar Wochen noch haben sozialdemokratische Redner bei jeder Gelegenheit erklärt, eine wirkliche Belebung sei nicht in Sicht, ein Aufschwung werde nicht erreicht. Inzwischen ändert sich die Rhetorik, weil sich die Tatsachen geändert haben: Im Jahre 1982 1% Rückgang des realen Bruttosozialproduktes, im Jahre 1983 1 % Zuwachs des realen Bruttosozialproduktes. Wir haben heute nicht mehr nur eine Entwicklung der Konjunktur, die sich über die Konsumgüternachfrage speist - was sicher der erste Grund für das Anspringen des Motores war -, sondern inzwischen auch eine steigende Auslandsnachfrage. Das Bestellvolumen lag - was das Ausland angeht - im September/Oktober 1983 um 9,5% höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es - selbst wenn sich dort noch keine grundlegende Veränderung abgezeichnet hat und wir weiter daran arbeiten werden, daß sich die Lage bessert - bereits deutliche Signale für eine Verbesserung: Die Zahl der Betriebe, die kurzarbeitet, hat um 30 % abgenommen, die Zahl der Kurzarbeiter hat sich gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel auf 548 000 verringert. ({5}) Wir sollten doch alle einmal - trotz aller Parteiunterschiede - über den Gedanken des Sachverständigenrates in eine intensivere Diskussion eintreten. Er sagt: Wenn es uns gelingt, über einen mittelfristigen Zeitraum bei einer Produktivitätssteigerung von 2 bis 2,5% ein jährliches Wachstum von 3 bis 3,5 % des Bruttosozialproduktes zu erreichen, dann könnten über das wirtschaftliche Wachstum im Schnitt pro Jahr 200 000 bis 250 000 Arbeitslose weniger da sein. Deswegen sagen wir als CDU/CSU: Ohne Wachstum werden wir die grundlegende Wende am Arbeitsmarkt niemals bewirken. Deswegen müssen wir darauf schauen, daß auch in Zukunft die investitionspolitischen Voraussetzungen für solches Wachstum gesichert werden. ({6}) Nachdem die Aufräumungsarbeiten über weiteste Strecken erledigt sind, nachdem der notwendige Impuls für die konjunkturelle Entwicklung gegeben worden ist, ist es jetzt die Aufgabe, die zweite Stufe der wirtschafts- und finanzpolitischen Konzeption der Koalition der Mitte mutig in Angriff zu nehmen. ({7}) Ich will in einigen wenigen Leitsätzen die Ziele nennen, die uns dabei gemeinsam mit der Bundesregierung vorrangig erscheinen. Erstens. Der weitere Abbau von Investitionshemmnissen und die weitere Entbürokratisierung bleiben ein vorrangiger Punkt auf der Tagesordnung dieser Regierung. Mit ersten Schritten zur Mietrechtsliberalisierung und der Zustimmung der Bundesregierung zum zügigeren zweistufigen Genehmigungsverfahren für technische Großprojekte sind bereits entsprechende Entbürokratisierungsschritte eingeleitet worden. Mit einer Vereinfachung des Gewerberechts und einer zügigen Reform des Baugenehmigungsrechts werden weitere Schritte folgen. Wenn aus einer Untersuchung in Schleswig-Holstein hervorgeht, daß dort beispielsweise für eine Baugenehmigung 74 Bundesgesetze, Verordnungen und Richtlinien und 90 Landesgesetze, Verordnungen und Richtlinien zu beachten sind, dann sagen wir: Auch hier steckt ein Investitionshindernis beispielsweise für das Kleinunternehmen, das über eine neue Ansiedlung nachdenkt. In Schottland ist es möglich, daß in einem Monat alle notwendigen Entscheidungen getroffen sind, während es in Deutschland oft monatelang dauert, bis schwierige bürokratische Mechanismen bewältigt sind. Das muß verändert werden, wenn wir ein entsprechendes Klima für arbeitsplatzschaffende Investitionen schaffen wollen. ({8}) Ein zweiter Punkt. Wir begrüßen ausdrücklich den ersten Schritt zu einer Teilprivatisierung der VEBA, den die Bundesregierung eingeleitet hat. Wir meinen, daß diesem weitere Schritte folgen müssen, um die Grenzen des Staates neu abzustecken. Das muß nicht nur im Bund geschehen, sondern auch in den Ländern und Gemeinden soll eine breite Privatisierungsstrategie vollzogen werden. Denn der Staat darf nicht alles wie eine Krake an sich ziehen, sondern muß privater Initiative und privatem Kapital wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten geben. ({9}) Wir denken dabei nicht nur an weitere Teile des industriellen Bundesvermögens. Wir denken auch an den öffentlichen Wohn- und Grundbesitz, wir denken an Wartungsdienstleistungen z. B. im Bereich der Bundeswehr. Wir denken an Naßbaggerei oder Müllabfuhr, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit sollen auf Dauer wieder mehr private Initiativen möglich gemacht werden. Von den Geldern, die aus der Privatisierung für die öffentlichen Haushalte frei werden, soll ein Teil dazu verwendet werden, notleidenden Bundesunternehmen und anderen staatlichen Unternehmen zu helfen. Nicht Rosinenpickerei bei der Privatisierung, wie Ihr Vorwurf lautet, ist unser Ziel, sondern mehr private Initiative bei gleichzeitiger Sanierung notleidender staatlicher Unternehmen. Diesem Ziel werden wir auch in Zukunft Vorrang geben. ({10}) Ein dritter Punkt, ein zugegebenermaßen kritischer Punkt, ist unsere Zielsetzung eines Abbaus von Subventionen mit all ihren Schwierigkeiten. In einer Zeit wirtschaftlicher Krisen in einzelnen Branchen, z. B. bei Kohle und Stahl, ist ein spürbarer Abbau des Gesamtniveaus staatlicher Subventionen nur schwer erreichbar. Im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs aber könnten wieder Spielräume für sinnvolle Subventionskürzungen geöffnet werden. Der Sachverständigenrat sagt mit Recht: Subventionen sind meistens Kinder der Not. - Das allein muß noch kein Grund für Kritik sein. Das Problem besteht darin, daß häufig aus Kindern der Not Dauerversorgte werden. Am Ende wird nicht mehr die Frage einer Überprüfung der Subventionen gestellt, sondern aus Subventionen, die für eine Übergangszeit gelten sollten, werden Dauerbesitzstände, die den Strukturwandel behindern, die kleine und Mittelbetriebe benachteiligen und die Innovation unserer Volkswirtschaft gefährden. Deshalb bleibt dies ein wichtiges Thema christdemokratischer Wirtschaftspolitik. Deswegen begrüßen wir es auch, daß die Bundesregierung unterstützt vom Lande Hamburg es in diesem Fall abgelehnt hat, eine Fusionshilfe für Großwerften zu geben, weil wir der Meinung sind, daß dies kleine und mittlere Betriebe in verantwortungsloser Weise gefährdet hätte. Wir kündigen hier schon an, daß wir ähnliche ordnungspolitische Konsequenz auch in Zukunft werden walten lassen und aus den schlechten von Ihnen gesetzten Beispielen in der Vergangenheit die entsprechenden Lehren in den kommenden Jahren ziehen werden. Lassen Sie mich einen vierten Punkt nennen. Wir wollen die Politik fortsetzen, die mit der Aufstokkung des Eigenkapitalhilfeprogramms der Bundesregierung unterstrichen worden ist, d. h. Existenzgründungen kleiner und mittlerer Betriebe zu fördern. Wir werden im kommenden Jahr mit der Verwirklichung der Idee eines Existenzgründungssparens einen weiteren großen Schritt machen, um jungen Leuten Mut zu machen, das Risiko der Selbständigkeit auf sich zu nehmen. Meine Damen und Herren, jeder junge Mann und jede junge Frau, die bereit sind, dieses Risiko auf sich zu nehmen, und dabei erfolgreich sind, schaffen neue Arbeitsplätze. Wenn es uns gelingt, eine Existenzgründungswelle in Gang zu setzen, schaffen wir Hunderttausende neuer Arbeitsplätze. Da, finde ich, sollten wir alle zusammenwirken, welche unterschiedlichen parteipolitischen Standpunkte wir auch immer haben. ({11}) Damit hängt der fünfte Punkt eng zusammen. Wir wollen die Risikokapitalausstattung der deutschen Wirtschaft verbessern. Es ist eine entscheidende Aufgabe der Zukunft, die Rahmenbedingungen gerade auch für die Investitionen in neue Produkte, in neue oder verbesserte Verfahren zu verbessern und jungen, schnell wachsenden Unternehmen im Bereich der neuen Technologien den nötigen Aufbau ihrer Produktion und die Markteinführung besser als bisher möglich zu machen. In den USA wird das bisherige Risikokapitalaufkommen bereits auf über 7 Milliarden US-Dollar beziffert. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es bisher kaum entsprechende Möglichkeiten. Ein zweiter Aktienmarkt beispielsweise ist ein solcher Weg, um dazu beizutragen, daß mancher fragwürdige Kapitalfluß umgelenkt wird auf riskante, interessante, technologieorientierte Zukunftsgründungen. Wenn gegenwärtig 200 deutsche Patente in Japan angemeldet sind, aber 7 000 japanische Patente in Deutschland, dann sollten wir nicht wie manche Sozialdemokraten sagen: Wir müssen dem mit einer Abschottungsstrategie begegnen! - Wir müssen dem vielmehr mit einer Annahme der Herausforderung begegnen. Nur so können wir uns als Industrienationen stärker als bisher auf dem Weltmarkt bei jungen wachsenden Industrien behaupten. ({12})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Wissmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme an das Ende meiner Redezeit. Da der Kollege Roth vorhin ebenfalls keine Zwischenfrage zugelassen hat, werde ich um sein Verständnis bitten, daß ich jetzt in der letzten Minute meine Ausführungen zu Ende bringe. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte einen sechsten Punkt ansprechen. Lieber Herr Stratmann, wenn ich Ihr Wirtschaftsprogramm höre, dann kann ich nur sagen: Es erinnert mich sehr stark an Chlorophyll-Marxismus. Ich glaube nicht, daß Sie ein sehr überzeugendes Konzept zur Lösung der Arbeitsplatzprobleme angeboten haben. Wir bieten - das ist mein letzter Punkt - auch ein Konzept zu einer marktwirtschaftlichen Gestaltung der Umweltpolitik an. Wir meinen, daß marktwirtschaftliche Impulse auch in der Umweltpolitik stärker als bisher gelten sollten und daß wir schrittweise versuchen sollten, auch hierbei aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen, wo mit weniger Bürokratie und mehr marktwirtschaftlichen Impulsen bessere Werte im Umweltschutz erreicht worden sind. Ich fasse zusammen. Was wir hier brauchen, Herr Kollege Roth und meine Damen und Herren, ist nicht allein Kritik, sondern was wir brauchen, sind die Grundlagen für die Fortsetzung des Weges, den die Bundesregierung in vorbildlicher Weise eingeleitet hat und bei dem sie auch weiterhin auf die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion rechnen kann. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Wirtschaftspolitik - wie auch die Wirtschaftsdebatte - darunter leidet, daß sie zu wenig perspektivisch gesehen wird, daß sie zu sehr aus konjunktureller Sicht betrachtet wird, daß man sich sozusagen von Ast zu Ast hangelt und nach Lösungen sucht, die uns weiterbringen. Man sucht nach dem Aufschwung, aber der Frage: Welcher Aufschwung soll das sein?, geht man zu wenig nach. Zum weiteren glaube ich, daß der Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik/Gesellschaftspolitik hier zu wenig gesehen wird und daß es notwendig ist, diesen Zusammenhang etwas mehr herauszuarbeiten. Perspektivisch gesehen steht die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die ja im Zusammenhang zu sehen ist, in den letzten vier, fünf Jahren schon in beiden Koalitionen - sowohl der SPD/FDP-Koalition wie auch der CDU/CSU/FDP-Koalition - im Zeichen des Abbaus sozialer Leistungen zur Stützung möglicher neuer Konjunktur, eines neuen Aufschwungs. Bei der ersten Koalition, der der SPD/ FDP, war das etwas vorsichtiger, bei der zweiten - CDU/CSU und FDP - ist es rigoroser. Viele halten sich an der Hoffnung fest, daß der Sozialabbau, der vorgenommen wird, eine vorübergehende Erscheinung sei, daß es sozusagen notwendig sei, einmal Opfer zu bringen, um einen neuen Aufschwung einzuleiten, und daß man dann wieder in eine Phase komme, in der man denen, die Opfer gebracht haben, wieder etwas zugute kommen lassen könne. ({0}) Ich möchte folgender Frage nachgehen, die den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftspolitik und den Opfern dieser Politik betrifft. Was bringt die Wirtschaftspolitik für die Menschen, für die sie, wie wir annehmen sollten, eigentlich gemacht sein soll? Wie sieht es für die Menschen aus? Längerfristig können wir nicht umhin, uns zu vergegenwärtigen, welche Opfer die bisherige Wirtschaftspolitik schon produziert hat. Ich bitte Sie, vielleicht einmal für einen kurzen Moment einzuhalten und über folgende Zahlen nachzudenken. Ich rede nicht von den 2,3 Millionen Arbeitslosen und nicht von den 2 Millionen Sozialhilfeempfängern, die ja schon zur Genüge in die Debatte eingeführt worden sind. Es gibt einige andere Indikatoren für den Zustand unserer Gesellschaft und für Tendenzen in ihr, Indikatoren, die uns - jeden von uns hier - nachdenklicher stimmen sollten. Wir haben es in der Bundesrepublik z. B. mit 1,8 Millionen Alkoholkranken zu tun. Wir haben es mit 2 Millionen Menschen, die medikamentenabhängig sind, zu tun. ({1}) Wir hatten es im vergangenen Jahr mit 8 Millionen Arztbesuchen wegen psychisch bedingter Krankheiten zu tun, wobei 1 Million Menschen einer therapeutischen oder psychiatrischen Behandlung bedürfen. 4 Millionen Menschen in unserer Gesellschaft, in unserer Wohlstandsgesellschaft, sind innerhalb eines Jahres in Straftaten verwickelt worden. Wir haben 1 Million Obdachlose. Ich denke, daß diese Opfer einer Wirtschaftspolitik, die sich mitten unter uns befinden, Ausdruck dafür sind, daß in unserer Bevölkerung eine tiefe Unsicherheit vorhanden ist. Das hat sehr wohl etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun; ich komme darauf nachher noch zu sprechen. Die Leute beginnen, ihren Optimismus zu verlieren und daran zu zweifeln, daß die zukünftige Wirtschaftspolitik an diesen längerfristigen Indikatoren und Tendenzen etwas ändert. Ist das ein mit dem Sozialabbau verbundener vorübergehender Zustand, oder gibt es tiefergehende Ursachen, die dahin führen'? Was steckt dahinter? Es wird sicher gut sein, perspektivisch einmal davon auszugehen, daß wir in unserer Gesellschaft ein grandioses Industriesystem geschaffen haben, ein sehr exportabhängiges Industriesystem, das in zunehmendem Maße auf enorme Schwierigkeiten mit entsprechenden Folgen stößt. Daß wir diesen Stand eines grandiosen Industriesystems erreicht haben, daß wir einen ungeheuren Massenausstoß von Industriegütern haben, macht uns zugleich auch zu Gefangenen dieses Systems, denn dann, wenn dieser Industrieausstoß von Massengütern nicht abgesetzt werden kann, schlägt das - mit allen sozialen Folgen - auf unsere eigene Gesellschaft zurück. Dieses Industriesystem konnten wir nach unserer Meinung, nach Meinung der GRÜNEN, nur deshalb schaffen - und das ist Industriepolitik -, weil wir auf den Schultern anderer stehen, sozusagen wie jemand, der sich über Wasser hält, weil ein anderer unter ihm steht und dessen Schultern einen guten Platz bieten, damit er den Kopf über Wasser hält. ({2}) Wir stehen nämlich auf den Schultern der armen Länder der Dritten Welt, und es gibt keine AnzeiHoss Chen dafür, daß der industrielle Reichtum und Wohlstand, der in den Industrieländern geschaffen worden ist und geschaffen wird, dazu dienen soll, den Zwiespalt, die Schere zwischen armen und reichen Ländern aufzuheben, d. h. die Teilung der Welt zu beseitigen. ({3}) Das Mißverhältnis zwischen den hohen Preisen der Massengüter der Industriewelt und den niedrigen Preisen für die Rohstoffe, die wir den Ländern in der Dritten Welt zahlen, zeigt, daß hier ein Mechanismus in Gang gesetzt ist, dem Sie sich nicht stellen. Vielmehr fahren Sie fort, die Wirtschaft in der alten Weise zu organisieren, ohne diesem grundlegenden Widerspruch in der Welt zwischen hochentwickelten Industrienationen und immer ärmer werdenden Ländern der Dritten Welt nachzugehen. ({4}) Was geschieht? Es geschieht folgendes - ich will kurz skizzieren, wie die Hilfe aussieht -: Wir haben einen Industrieapparat mit Massenausstoß von Gütern, und wir setzen das ab. Solange diese Länder über Möglichkeiten verfügen, diese Industrieprodukte zu kaufen, ist es gut. Wenn das nicht mehr geht, drängen unsere Waren dorthin, und wir geben diesen Ländern Kredite. Mit diesen Krediten, die wir ihnen geben, kaufen sie unsere Waren. Der nächste Schritt ist die totale Verschuldung dieser Länder; es kommt zum Kollaps, zur Zahlungsunfähigkeit. Der nächste Schritt ist, daß Umschuldungsverhandlungen aufgenommen, daß wieder neue Möglichkeiten der Lieferung von Waren in diese Länder geschaffen werden. Aber wer bezahlt denn die Verluste, die bei diesem Geschäft entstehen? Die schlagen zurück in unsere Gesellschaft und erscheinen hier als Sozialabbau. ({5}) - Das sind keine Märchen. Sie brauchen bloß in die Dritte Welt zu fahren, sich anzusehen, wie die Leute dort leben, einen Vergleich zwischen dem vorigen Jahrhundert und heute anzustellen und zu sehen, wie die Lebenszusammenhänge vieler Millionen Menschen in Lateinamerika, in Afrika und Asien zerstört werden, ({6}) dann wissen Sie, daß das keine Märchen sind. Wenn vom Bundestag schon Reisen ins Ausland gemacht werden, dann würde ich Ihnen raten, sich dorthin zu begeben, wo die wirklichen Auswirkungen der Industriepolitik sichtbar werden. ({7}) Aber ich will wieder ruhiger werden. Denn es geht ja darum, wirklich einige Zusammenhänge aufzuzeigen, damit wir daraus vielleicht entsprechende Konsequenzen ziehen. Im übrigen: Wenn Sie das jetzt noch für ein Märchen halten, so sollen Sie das ja nicht gleich annehmen. Es würde ja genügen, wenn wir darüber gemeinsam nachdenken und dann im Verlauf der nächsten Jahre doch zu einigen Ergebnissen kommen. Also, diese Exportpolitik unseres Industriesystems schlägt nun zurück, weil in der Welt eben gewisse Schwierigkeiten aufgetreten sind, die sich darin äußern, daß es in unserer Wirtschaft zu Stokkungen kommt. Die Teilung, die unser Industriesystem zwischen armen und reichen Ländern in der Welt vorgenommen hat, schlägt jetzt in unsere Gesellschaft hinein. Diese Teilung sieht so aus, daß das „Arm" und das „Reich" zu einem Zustand werden wird, der nicht nur von kurzer Dauer ist, sondern der von längerer Dauer sein wird, solange Sie Ihre Politik machen können. Der vorgelegte Wirtschaftshaushalt und auch der Gesamthaushalt sind ein Ausdruck dafür, daß Sie - genauso wie Sie in der Welt die Schwierigkeiten in den Griff zu kriegen suchen - hier im Gebiet der Bundesrepublik die Schwierigkeiten auf den Schultern der armen Leute austragen. Sie versuchen hier mit einem Haushalt zu einem Ausgleich zu kommen, der durch Sozialabbau gekennzeichnet ist. ({8}) Ich kenne j a nun durch die Ausschußarbeit, durch die Arbeit im Bereich Arbeit und Soziales, einige von Ihnen. Ich habe in der Zeit, in der ich hier bin, auch viele von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, CSU und FDP, kennengelernt und weiß, daß es falsch wäre, zu sagen, daß Sie den Sozialabbau einfach so schlechthin beschließen. Ich weiß sehr wohl, daß Sie sich als einzelne da nicht leicht tun und daß es Ihnen - auf Grund Ihrer christlichen Tradition, z. B. vom Kolping-Gedanken geprägt - persönlich nicht so leicht fällt, diese Beschlüsse zu fassen. Aber Sie haben sich entschieden. Sie entscheiden sich für die Fortführung Ihrer Industriepolitik, weil Sie keinen anderen Ausweg sehen. Das läuft darauf hinaus, mit Rigorosität die Schwächsten zu treffen in der Hoffnung, daß das vorübergehend sein wird und daß man diesen Schwachen nachher wieder etwas geben kann. Das ist eine Entscheidung - darüber müssen Sie sich völlig im klaren sein -, die für Sie doch in gewisser Weise bezeichnend ist. Das erklärt mir auch, warum Sie imstande und bereit sind, z. B. Behinderten, die in geschützten Werkstätten tätig sind und die bisher einen Rentenbeitrag, einen Zuschuß von 90 % erhalten, damit sie dann, wenn sie älter sind, eine vernünftige Rente in Höhe von 90% der Rente eines Gesunden erhalten, diesen Zuschuß des Bundes von 90 % auf 70 % zu kürzen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Hoss, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lamers?

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Ich bin jetzt gerade so im Fluß. Ich bin sehr diskussionsfreudig. Aber ich brauche die Zeit einfach. - Es geht darum, daß man sich überlegt - sehen Sie, jetzt bin ich schon gestört; ich möchte gern, daß Sie mich da bitte ausreden lassen -, daß Sie bereit sind, von 90 % auf 70% zu senken. Ich habe Briefe von Eltern behinderter Kinder erhalten, die in solchen Werkstätten arbeiten. Darin heißt es z. B.: „Wir wollen für unser behindertes Kind gern sorgen; aber wenn wir alt und krank sind, können wir es nicht mehr; und dann wollen wir die Sicherheit haben, daß unser Kind aufgehoben und versorgt ist." Und genau an diesem Punkt treffen Sie die Eltern dieser behinderten Kinder. Sie scheuen sich nicht, durch eine solche Maßnahme 85 Millionen DM im Haushalt durch Sozialabbau einzusparen. Ich vergleiche damit - diesen Vergleich muß ich bringen -, daß Sie durch die Änderung der Parteienfinanzierung in der vergangenen Woche sich in kurzer Frist 200 Millionen selber zuschusterten ({0}) und daß Sie eine Diätenerhöhung beschlossen haben, die Sie bestimmt nicht so nötig haben wie die Eltern von Behinderten oder die Behinderten selber oder andere sozial Schwache, ({1}) für die es mehr ausmacht, ob sie fünf Prozent oder zehn Prozent abgezogen bekommen, als wenn Sie jetzt fünf Prozent mehr kriegen. Ich glaube, daß das hier jetzt einmal deutlich gesagt werden muß. ({2}) Oder: In der Erkennntnis, von der Sie glauben, daß sie richtig ist, daß Ihre Wirtschafts- und Industriepolitik zu einem guten Ergebnis führt, lassen Sie sich nicht hindern, Gehörlosen und Taubstummen die Fahrgelder zu kürzen, die diese mehr als jeder andere in unserer Gesellschaft brauchen, ({3}) weil sie nämlich in andere Orte und andere Städte fahren müssen, um Gleichgesinnte und gleich Benachteiligte zu treffen, um Kommunikation zu betreiben, die sie also ausgeben, um das Notwendige zu tun, was zu den zwischenmenschlichen Beziehungen gehört. All das schlagen Sie in den Wind, weil Sie die von Ihnen vorgesehene Wirtschafts- und Industriepolitik für richtiger halten, als daß Sie dafür sorgen, daß eine soziale Ausgeglichenheit in unserer Gesellschaft herrscht. Sie verschärfen auch - ich will das nicht näher ausführen; Sie wissen es sicher - die Voraussetzungen, daß Frauen Erwerbsunfähigkeitsrente bekommen können, und Sie - auch schon die SPD-Koalition hat es zugelassen -, haben auf dem Gebiet der Sozialhilfe den Warenkorb, der seit 1970 existiert, laut dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge um 30 % zurückfallen lassen. ({4}) Viele machen die Augen zu - sie sind nicht betroffen - oder haben gar Vorteile, weil sie auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft sitzen. Wir werben für einen anderen Weg der Industrie, für einen anderen Weg der Wirtschaftspolitik. Es gibt - das hat sich herumgesprochen, seit die GRÜNEN auf der politischen Bildfläche der Bundesrepublik erschienen sind - einen harten Weg und einen weichen Weg der Haushaltspolitik und auch der Wirtschaftspolitik. Der harte Weg heißt, daß sich im Haushalt Momente der Teilung unserer Gesellschaft wiederfinden. Das ist ein Weg, der dahin führt, die sozialen Konflikte schärfer zu betonen. Und Sie gehen den Weg einer zugespitzten Klassengesellschaft. Nicht wir sind es, die die Klassengesellschaft betonen, sondern durch den Haushalt, den Sie jetzt machen, betonen Sie eine zugespitzte Klassengesellschaft. ({5}) Wir sind für einen weichen Weg. Wir sind für eine Wirtschaftspolitik, die der aggressiven Industriestrategie den Boden entzieht und die Natur und Gesellschaft schont. Herr Kohl hat ja in seiner Rede zu den GRÜNEN gesagt: Sagen Sie doch mal, wie Sie das machen wollen, wie Sie eine andere Politik machen wollen. Es gibt immer zwei Wege. Es gibt den harten, es gibt den weichen. Man muß sich nur entscheiden. In der Energiepolitik heißt das, daß man den Weg der großtechnologischen zentralistischen Energiegewinnung gehen kann. Das sind Atomkraftwerke, das sind Wiederaufbereitungsanlagen mit den Folgen auch für die demokratische Gesellschaft. Das sind ungeschützte Kohlegroßkraftwerke. Das ist im Grund auch der Weg der harten Arbeitsplatzvernichtung. Für diesen Weg kann man sich entscheiden. Die Regierungskoalition hat sich dafür entschieden. Der weiche Weg der Wirtschafts- und Industriepolitik ist der, daß man den Weg des Energiesparens geht, daß man schon allein dadurch, daß man die Wärmedämmung unserer Gebäude in der Bundesrepublik auf den Stand von Schweden und Norwegen bringt, im Bereich der Häuser 50 % der heute verbrauchten Wärme einsparen kann, daß man sich auf andere Energiequellen besinnt - Biogas, Wind, Sonne - und andere, dezentrale Produktionsmethoden der Energiegewinnung herausstellt, Wirbelschichtverfahren usw. Wenn man eine solche Wirtschaftspolitik will, dann muß man sich aber mit den Großenergieerzeugern auseinandersetzen. ({6}) Das heißt, daß dann die Führungskraft des Bundeskanzlers und der anderen Kabinettsmitglieder gefordert ist, sich mit diesen Leuten der Energiewirtschaft auseinanderzusetzen. Ich bezweifle, daß diejenigen, die jetzt in der Regierung sind, in der Lage sind, diese Auseinandersetzung im Sinne eines weichen Weges in der Wirtschaftspolitik zu führen. Genauso geht es in der Verkehrspolitik. Da kann man sich entscheiden, wie es im Bundeskabinett und im Haushalt entschieden wird: für den Abbau von Strecken im öffentlichen Nah- und FernverHoss kehr, man legt den Leuten nahe, sich, wenn die Strecken stillgelegt sind, Autos zu kaufen, man baut weitere Straßen und belastet die Umwelt. Der weichere Weg besteht darin - er müßte sich im Haushalt wiederfinden -, daß man Schritt für Schritt den öffentlichen Nah- und Fernverkehr ausbaut, ihn attraktiver macht, Ballungsgebiete, Industriegebiete entzerrt, die Wege verkürzt und dem Auseinanderdriften der Plätze, wo wir wohnen, wo wir bauen, wo wir leben, wo wir kommunizieren, wo wir lernen, entgegenwirkt, indem man die entstandenen Entfernungen verkürzt. ({7}) In der Dritte-Welt-Politik würde das bedeuten, daß man keine Exportpolitik betreibt, die aggressiv ist, daß man nicht versucht, das, was wir hier produzieren, auf jeden Fall in den anderen Ländern abzusetzen. Ich denke z. B. an den Export von Atomkraftwerken nach Brasilien, wo man diese nicht braucht, weil man über Wasserkraftreserven verfügt, die noch gar nicht ausgenutzt sind. Ich denke an die Belieferung anderer Länder mit Chemieprodukten, mit denen die Menschen auf den Plantagen vergiftet werden. ({8}) - Wenn Sie demnächst eine Reise nach Lateinamerika oder in das ferne Asien machen, dann besuchen Sie dort einmal die Plantagen! Dann werden Sie sehen, wie dort von Flugzeugen aus Produkte unserer chemischen Industrie gesprüht werden, während die Leute unten arbeiten. ({9}) Man konnte lange Berichte über die Verhältnisse auf den Philippinen lesen. Wir haben also eine aggressive Industriepolitik, die keine Rücksicht auf die Natur und den Menschen nimmt. Wir sind dafür, daß man bei uns angepaßte mittlere Technologien entwickelt und mit diesen versucht, den Ländern in der Dritten Welt zu helfen. Das Know-how unserer hervorragenden Konstrukteure und Techniker sollte zur Entwicklung von Produkten genutzt werden, die die Konkurrenz der anderen auf dem Weltmarkt unterlaufen können, die den anderen Konkurrenz machen dadurch, daß unsere Produkte langlebiger sind, eine echte Hilfe darstellen und die Umwelt schonen. Wenn man eine solche Politik betreiben will, eine Exportpolitik, die darauf hinausläuft, solche Produkte in die Welt zu bringen, die den anderen helfen, sich selber auf die Beine zu stellen, die ihnen helfen, ihr Leben selber zu gestalten, dann muß man sich allerdings auch darüber im klaren sein, daß in unserer Gesellschaft einige Veränderungen notwendig sind. Wir müssen dann von denen abrükken, die Industriepolitik auf unsere und auf Kosten der Dritten Welt machen. ({10}) Das heißt wiederum, daß die Leute in der Regierung die nötige Führungskraft aufbringen müssen, sich mit den Herren der großen Industrie auseinanderzusetzen, die heute in den Vorstandsetagen der Konzerne ihre Politik bestimmen. ({11}) Zum Abschluß darf ich dies sagen, weil es gesagt werden muß: Wenn ich dann daran denke, daß Herr Kohl als Kanzler sich verschämt von der Industrie Kuverts in die Tasche, in die Seitentasche seines Jacketts drücken läßt, ({12}) in denen Zigtausende von Mark sind - lesen Sie es doch nach -, dann muß ich allerdings erhebliche Zweifel anmelden -

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege!

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ob die Regierungsriege, mit der wir es zu tun haben, in der Lage ist, sich mit dem Industriesystem auseinanderzusetzen. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bitte doch zuzuhören und andere Unterhaltungen vielleicht außerhalb des Saales zu führen.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf Herrn Roth eingehen. Herr Roth, Sie und die Fraktion der SPD - Herr Vogel hat das ja angekündigt - werden morgen nochmals zu der Rücktrittsforderung an den Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff eine Erklärung abgeben. Das ist Ihr gutes Recht. Allerdings, es ist schon die dritte Rücktrittsforderung in dieser Woche, sie verbraucht sich etwas. Nur, spätestens beim Haushalt dieses Wirtschaftsministers müßten die Sozialdemokraten eigentlich ihre eigenen Konzepte vorzeigen. Rücktrittsforderungen sind kein Ersatz für Wirtschaftspolitik. Graf Lambsdorff hätte es in der Tat verdient, daß sich auch die Sozialdemokraten mit dem Inhalt seiner Wirtschaftspolitik und mit dem wirtschaftspolitischen Stil auseinandersetzen, ({0}) mit dem Stil eines Mannes, der in der letzten Woche in der „Herald Tribune" als der profilierteste Vertreter westlicher Industriegesellschaften, als profiliertester Marktwirtschaftler gewürdigt wurde. Typisch für Lambsdorff ist auch, daß ihm einer der führenden Wirtschaftsdienste in dieser Woche atte3190 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Dr. Haussmann stierte, daß er sich große Verdienste dadurch erworben hat, daß er maßlose finanzielle Ansprüche, Herr Roth, der Stahlindustrie, der Werften und der Seeschiffahrt eisern abgelehnt hat. Ich werde nachher zu Ihrem Vorwurf der fehlenden Industriepolitik noch einiges sagen. Der Gipfel aber ist - und das nehme ich Ihnen auch persönlich nicht ab, Herr Roth -, in welcher Weise Sie behaupten, man würde der internationalen und der deutschen Wirtschaft einen Dienst tun, wenn man Ihrer Forderung genügen würde. Ich glaube, der deutschen Wirtschaft wäre ein größerer Dienst getan, wenn die Sozialdemokratie endlich eine vernünftige marktwirtschaftliche Politik à la Arndt, à la Matthöfer und à la Helmut Schmidt fortsetzen würde. Meine Damen und Herren, wer glaubt, daß Lambsdorff in den letzten Wochen und Monaten seinen internationalen Aufgaben nicht nachgekommen sei, der sollte sich auch als führender Wirtschaftssprecher der Sozialdemokratie darüber informieren, was Graf Lambsdorff bei Wirtschaftskonferenzen, bei Regierungsgesprächen in der Volksrepublik China, in Japan, in Washington, in Brüssel, bei einer bevorstehenden Reise nach Indien, bei Gesprächen in Australien mit den ASEAN-Staaten für die Exportwirtschaft und für die exportabhängige deutsche Industrie getan und erreicht hat bzw. erreicht. ({1}) Es ist billig, in dieser Weise über ihn herzuziehen, als wäre er nicht einer der wichtigsten internationalen Freihändler, die die Europäische Gemeinschaft noch auf diesem Gebiet hat. ({2}) - Es tut mir furchtbar leid, ich muß mich leider an die noch kürzere Redezeit halten. Ich kann im Ausschuß gerne wieder mit Ihnen diskutieren. Die Sozialdemokratie möchte jetzt einen Mann kaltstellen - das ist doch der tiefere Grund -, der sie an eigene bessere marktwirtschaftliche Zeiten erinnert. Von Altbundeskanzler Schmidt weiß man ja, daß Lambsdorff wie wenige im Kabinett von Schmidt angehört wurde. ({3}) - Herr Roth, vielleicht ist es Ihnen vorhin bei Ihrer Schelte entgangen, daß kurz nach Redeantritt nicht weniger als drei Staatssekretäre des Wirtschaftsministeriums Ihnen gebannt gelauscht haben, was nun die Vorstellungen der Sozialdemokraten sind. Inzwischen ist der Minister auch noch da. Sie können sich also nicht beklagen. Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff bleibt für die FDP, bleibt für die Bundesregierung der konsequente Freihändler, der marktwirtschaftliche Mahner und ist damit auch für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik unverzichtbar. Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten reagieren auch deshalb so persönlich verletzend und so aggressiv, weil die Lambsdorffsche Politik, nämlich die Wende zu mehr Marktwirtschaft, zu solideren Staatsfinanzen, gegen die SPD durchgesetzt werden mußte ({4}) und nun Früchte trägt.

Not found (Kanzler:in)

Wie hätten sich Sozialdemokraten feiern lassen, wenn ihrer Politik von den Fachleuten als Resultat inzwischen ein 3 %iges Wachstum und kein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit attestiert worden wäre? ({0}) Denn es ist in der Tat, meine Damen und Herren, die wichtigste Botschaft in den letzten Wochen gewesen, ({1}) daß es nun endlich eine begründbare Hoffnung gibt - daß es nicht mehr konjunkturelle Sonderfaktoren sind, sondern daß es eine begründbare Hoffnung gibt -, daß der Trend zu immer mehr Arbeitslosigkeit endgültig gebrochen ist, daß die wirtschaftliche Stagnation endlich überwunden ist und daß damit für viele Jugendliche in der Bundesrepublik mittelfristig zumindest wieder eine Arbeitsplatzperspektive durch die Politik der neuen Regierung aufscheint. Wenn Sozialdemokraten und ihnen nahestehende Wirtschaftsjournalisten immer davon reden, im Wirtschaftsministerium fehle es an einer sogenannten Industriepolitik aus einem Guß - man hört das auch von einzelnen Ministerpräsidenten -, so kann man als Marktwirtschaftler den Ehrgeiz dieser „Industriepolitiker" eigentlich nur mit einigen Fragezeichen versehen. Wer soll denn in Krisenbranchen die Marktnischen finden? Wer soll sich denn an eine gesunkene Nachfrage anpassen? Dies ist und bleibt doch in erster Linie Sache der Unternehmen selber und kann nicht Sache der Beamten in irgendeinem Ministerium sein. Was der Staat tut und woran die neue Regierung intensiv arbeitet, ist, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, mehr Risikokapital bereitstellen zu helfen - Herr Wissmann hat schon darauf hingewiesen -, Forschungshilfen zu geben, für weniger Bürokratie und mehr Flexibilität zu sorgen. Dies ist marktwirtschaftliche Industriestrukturpolitik, aber nicht Einzellenkung. Wir dürfen den gefährlichen Pfad zu mehr Einzeleingriffen wie Staatshilfen, Bestandsgarantien, Fusionshilfen nicht beschreiten. Es ist doch nicht so, meine Damen und Herren, daß Größe in der Werft- oder Stahlindustrie mit Wettbewerbsfähigkeit gleichzusetzen wären. Was passiert denn bei Großfusionen mit den kleinen und mittleren Betrieben? ({2}) - In der Tat haben wir es - Herr Stratmann, Sie waren doch im Wirtschaftsausschuß - abgelehnt - ({3}) - Nein, wir haben das doch im Wirtschaftsausschuß abgelehnt. Und Sie haben die Auskünfte bekommen, daß auch wegen der kleinen und mittleren Werften eine staatliche Hilfe für eine Größtwerft nicht in Frage kommt. Das war doch der tiefere Grund. ({4}) Wir haben deshalb gesagt, wir geben in Bremen 80 Millionen DM für die Schaffung alternativer Arbeitsplätze aus. Wer uns für Bremen kritisiert, der sollte dem Wirtschaftsminister und dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten dankbar sein, daß es gelungen ist, die Bereitschaft der Firma Daimler-Benz zu erreichen, den Standort Bremen vorzuziehen. Das ist Industriepolitik, meine Damen und Herren, aber nicht Fusionen, mehr Konzentration und Bestandsgarantien. Nein, meine Damen und Herren, der Staat kann nicht zur Intensivstation für nicht mehr lebensfähige Industriestrukturen werden. ({5}) Er muß Geburtshelfer für Neues, für Zukunftsträchtiges sein. Noch ein Wort, Herr Roth: Wenn eine große Partei ihren Hauptbeitrag in dieser Woche in einer Rücktrittsforderung sieht, dann versagt sie sich dem wichtigsten innenpolitischen Thema, dem Abbau der Arbeitslosigkeit. ({6}) Ihr Hauptpunkt war doch die erneute Forderung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wenn Sie hier dem Bundeskanzler vorwerfen, er mische sich in die Tarifautonomie ein, muß ich schon sagen, daß dies äußerst pharisäerhaft ist. Beim letzten Arbeitnehmerkongreß der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg haben der SPD-Landesvorsitzende Lang und der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Vogel, erklärt, daß die Sozialdemokratische Partei ihre politische Bedeutung mit der Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei Lohnausgleich verknüpfe. Das ist ihr gutes Recht, wenn Sie glauben, daß die Einführung der 35-Stunden-Woche der entscheidende Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit sei. Das gute Recht und die Pflicht des Bundeskanzlers ist es, auf Grund seiner Richtlinienkompetenz aus seiner Sicht auf die Gefahren einer solchen Forderung für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Arbeitsplätze der deutschen Wirtschaft aufmerksam zu machen. ({7}) Das ist kein Eingriff in die Tarifautonomie, sondern eine zentrale gesamtpolitische Aufgabe.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Abgeordneter Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. Es tut mir leid. Ich habe nur noch drei Minuten. Das eigentliche Unsoziale an der Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist aus meiner Sicht, daß auf Grund der Kostenerhöhung, auf Grund des Rationalisierungsdruckes, die diese Forderung auslöst, genau die Arbeitnehmer zuerst ihre Arbeitsplätze verlieren, für die Sie sich aus anderen Gründen zu Recht einsetzen. Das sind die Frauen in der Textilindustrie, das sind die Jugendlichen ohne gute Ausbildung, das sind Ausländer und das sind ältere Angestellte. Dies - nicht der Meister, nicht der Ingenieur in den großen Firmen, bei Siemens - sind die wirklich gefährdeten Arbeitnehmergruppen und würden als erste ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb sagt die FDP in dieser zentralen Frage: Wir halten das für den falschen Weg. Wir werden politisch alles tun, damit die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die zu mehr Schwarzarbeit, zu einem großen Verlust an exportabhängigen Arbeitsplätzen führen würde, nicht eingeführt wird. ({0}) Ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Wir glauben nach wie vor - auf Grund der ersten Erfolge der neuen Regierung sind wir davon sogar überzeugt -, daß auf einer streng marktwirtschaftlichen Basis, bei einer leistungsorientierten Steuerreform, bei mehr Wettbewerb, durch Privatisierung, durch eine neue Sozialpolitik, bei Freisetzung unternehmerischer Aktivitäten, durch eine verbesserte Forschungsförderung der Weg frei ist für mehr wirtschaftliche Aktivitäten, für mehr Arbeitsplätze, damit auch für mehr wirtschaftliches Wachstum und damit letztlich für eine Perspektive für die jüngere Generation. Das muß unsere Aufgabe bleiben. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat Herr Abgeordneter Sieler.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß die Diskussion über die Sozialpolitik und den dazugehörenden Bundeshaushalt, Einzelplan 11, in diesem Parlament mehr Raum eingenommen hätte; denn das ist ja nicht bloß der größte Einzelhaushalt im Bundeshaushalt, sondern im Zusammenhang mit diesem Haushalt kann auch für jedermann sichtbar dargestellt werden, wo und in welcher Größenordnung die Bundesregierung die Geldscheine einsammelt, nämlich bei den kleinen Leuten. Verehrter Herr Bundesminister Blüm, dazu habe ich von Ihnen als dem zuständigen Ressortminister in Ihrer heutigen Rede sehr wenig gehört. Herr Blüm ist nicht da; ich hoffe, er wird im Laufe der Debatte noch kommen. Das ermöglicht es schließlich dem Bundesfinanzminister, freudig zu verkünden, daß man das Klassenziel, die Nettokreditaufnahme deutlich unter 35 Milliarden DM zu senken, erreicht habe. Für welchen Preis, muß man allerdings hinzufügen. ({0}) In den nächsten Monaten - das ist das Ergebnis der Politik, wie sie Herr Blüm dargestellt hat; sie trifft vor allen Dingen die kleinen Leute - werden Millionen von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Rentnern, Frauen und jungen Menschen spüren, was diese Politik für sie bedeutet. Doch davon haben wir in der heutigen Rede von Herrn Blüm auch nichts gehört. Im November 1983 hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein Jahresgutachten vorgelegt, und die Bundesregierung hat ihre Eckwerte vom Beginn des Jahres für den Bundeshaushalt 1984 korrigiert. Die „Wirtschaftswoche" kommentierte diese merkwürdige Rechnung als „höchst zweckoptimistisch". Zwei große Ausgabenblöcke im Einzelplan 11, mit dem ich mich nun, meine Damen und Herren, in der Folge etwas näher beschäftigen möchte, werden davon mittelbar oder unmittelbar berührt. Im ersten Ausgabenblock sind die Zuschüsse zur Sozialversicherung einschließlich der Krankenhausfinanzierung von 34,9 Milliarden DM enthalten, davon allein 24,2 Milliarden DM für die Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte. In den Jahren der sozialliberalen Regierungskoalition kritisierte der Herr Bundesarbeitsminister in der ihm eigenen blümigen Sprache den „Verschiebebahnhof Sozialversicherung" zum Ausgleich des jeweiligen Bundeshaushalts. Ich frage deshalb: Was haben Sie, meine Damen und Herren, denn im Jahre 1982 für den Haushalt 1983 getan, und was tun Sie jetzt zum Haushalt 1984? Ich meine, mit Recht hat der Vorsitzende des Vorstands des VDR, Herr Dr. Werner Doetsch, wieder mehr Raum für Kontinuität in der Rentenversicherung gefordert. ({1}) Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten, weil mir dies besonders wichtig erscheint: Zur Entlastung des Bundeshaushalts 1983 wurden die Beiträge für arbeitslose Leistungsempfänger der Bundesansalt für Arbeit im Volumen um 5,1 Milliarden DM vermindert und der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung um 0,9 Milliarden DM gekürzt. Zum Ausgleich der fehlenden Einnahmen der Rentenversicherung ist die Anpassung der laufenden Renten jeweils auf den 1. Juli verschoben worden, was 3,3 Milliarden DM einbrachte. Dann wurde die Eigenbeteiligung der Rentner mit Einsparungen von rund 2 Milliarden DM eingeführt, wurden die Zahlungen an die gesetzlichen Krankenkassen für die Krankenversicherung der Rentner um 1,2 Milliarden DM vermindert und der Beitragssatz vier Monate früher angehoben, um hier nur die finanzwirksamsten Maßnahmen in Erinnerung zu rufen. Den Ausgabensenkungen standen Einnahmenkürzungen zugunsten des Bundeshaushalts in fast gleicher Höhe gegenüber. Mit dieser Politik nach dem Vorbild eines Rangiermeisters sollte es ein Ende haben. Nichts anderes, meine Damen und Herren, gilt 1984 zum Beispiel bei der knappschaftlichen Rentenversicherung. Durch die verminderte Rentenanpassung gegenüber der bis 1982 gültigen Rentenanpassungsformel, Beitragssatzerhöhungen und die Einbeziehung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner in den allgemeinen Belastungsausgleich wird der Zuschuß zur Knappschaft zugunsten des Bundeshaushalts um 982 Millionen DM gekürzt. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Haushaltsrisiko hinweisen, das zwar heute schon ein paarmal angesprochen und so dargestellt wurde, als gäbe es dies nicht, das aber in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht hat. Insbesondere Präsident Hoffmann von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und Herr Kolb vom VDR machten darauf aufmerksam, daß trotz veränderter Eckdaten bei den Entgeltsteigerungen und bei der Arbeitslosenzahl, die nunmehr bei den Rentenversicherungsträgern ebenfalls in deren Haushalte eingearbeitet wurden, beachtliche Liquiditätsengpässe für 1984 in Milliardenhöhe nicht ausgeschlossen werden. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn man so - hier muß ich die Bundesregierung ansprechen - an der Liquiditätsgrenze entlangfährt und, wie hier bereits angekündigt, auch mit Kassenverstärkungskrediten rechnen muß, dann müßte es eigentlich bei der Bundesregierung Alarm geben. Herr Bundesarbeitsminister, bei dieser Gelegenheit möchte ich doch in Erinnerung rufen, daß Sie, als Sie noch in der Opposition waren, keine Gelegenheit ausgelassen hätten, um die Finanzentwicklung der Rentenversicherung in einem solchen Fall in den düstersten Farben zu schildern. ({3}) Sie werden natürlich sagen: Damit keine Zahlungsschwierigkeiten entstehen, haben wir j a die Einnahmen der Rentenversicherungsträger verbessert. Natürlich sammeln Sie die dafür erforderlichen Pfennige oder Markstücke beim Weihnachtsgeld, bei den Jahresabschlußvergütungen und beim Urlaubsgeld, ja sogar beim Krankengeld für Arbeiter in Form von Beiträgen wieder ein. Für Sie gilt zukünftig - ich hätte dies eigentlich nicht gesagt, aber nachdem Sie heute meinen Freund Börner als „Dachlatten-Börner" zitiert haben, muß ich es doch tun - das Prädikat Sozialeinsammlungsminister. ({4}) Herr Dr. Doetsch vom VDR sagte am 23. November 1983 - ich darf erneut zitieren -: Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestschwankungsreserve von einer Monatsausgabe wird 1984 also nach derzeitigem Erkenntnisstand gerade noch überschritten. Sie reicht jedoch - nach seiner Meinung zum Ausgleich der konjunkturellen und saisonalen Schwankungen nicht aus, insbesondere dann nicht, wenn man, wie bereits geschehen, die Beiträge für arbeitslose Leistungsempfänger der Bundesanstalt für Arbeit auf weniger als die Hälfte reduziert und damit das Arbeitsmarktrisiko der Rentenversicherung deutlich erhöht und wenn man beabsichtigt, die Sonderzahlungen, also hauptsächlich die Weihnachtsgelder, stärker in die Beitragspflicht einzubeziehen, und somit die saisonalen Unterschiede bei der Beitragseinnahmeentwicklung verstärkt. Herr Bundesarbeitsminister, Sie sind - das ist heute von meiner Kollegin Fuchs schon einmal gesagt worden - der erste Arbeitsminister in dessen Amtszeit die Rente auf Pump Wirklichkeit wird. Wir sind gespannt auf Ihre angekündigte Strukturreform. Das von Ihnen vorgeschlagene Vorruhestandsgeld ist in der Tat ein großes Geklingele um kleine Münze, wie die „Frankfurter Rundschau" vom 19. November 1983 geschrieben hat. Es wird Zeit, Herr Bundesminister, daß Sie klar sagen, was Sie wollen. Es bleibt bei uns die Besorgnis, ob die von Ihnen geforderte Weltmeisterschaft neuer Ideen zur Stabilisierung der Staatsfinanzen nicht doch von Herrn George gewonnen wird, denn viel Spielraum haben Sie zwischen Herrn Stoltenberg und Herrn Albrecht sowieso nicht bekommen. Übrigens, Ihre Rückkehrförderung für ausländische Arbeitnehmer kostet die Rentenversicherungsträger zusätzlich 1983 rund 100 Millionen DM und 1984 rund 580 Millionen DM - immer vorausgesetzt, meine Damen und Herren, daß nicht mehr als 20 000 davon Gebrauch machen. Denn sonst kostet es noch viel mehr. ({5}) Weil wir gerade bei den Renten sind: Wir bedauern es zutiefst, Herr Minister Blüm, daß Sie die Kürzung der persönlichen Beitragsbemessungsgrenze für Behinderte in beschützenden Werkstätten von 90 auf 70 % nicht verhindern konnten. Wie Sie es mit Ihrem sozialen Verständnis in Einklang bringen, den Schwächsten in dieser Gesellschaft, die hier über keine wirksame Lobby verfügen, die Renten zu kürzen, bleibt Ihr Geheimnis. Egal, welche Ausrede Sie auch immer dazu finden, wir sind der Meinung, daß dies zutiefst unsozial ist. Noch ein weiteres Beispiel möchte ich in diesem Zusammenhang bringen. Die von Ihnen vorgesehenen Verschlechterungen bei der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente für neu eintretende Versicherungsfälle werden dazu führen, daß mehr als die Hälfte aller Frauen künftig bei der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente große Schwierigkeiten bekommen, es sei denn, sie zahlen den Mindestbeitrag von derzeit 84 DM monatlich freiwillig weiter. Dreimal darf man raten, wer von den Arbeitnehmerhaushalten sich das überhaupt noch leisten kann. Wo schlägt denn da das immer wieder erklärte familien- und frauenfreundliche Gewissen der Union? Lassen Sie mich noch einen weiteren Schwerpunkt im Haushalt des Arbeitsministers hier deutlich machen. Im Kap. 11 12 wird zunächst die Arbeitslosenhilfe mit nunmehr 8,8 Milliarden DM dargestellt. In diesem Betrag ist eine Erhöhung gegenüber dem Haushaltsansatz um 1,301 Milliarden DM enthalten. Bereits für das Haushaltsjahr 1983 mußte dieser Titel mit überplanmäßigen Ausgaben von 1,8 Milliarden DM belegt werden. Nun die Frage: Was steckt dahinter? Zunächst steckt dahinter für 1983 eine nicht erwartete -jedenfalls nicht in dieser Größenordnung - hohe Zahl von rund 90 000 zusätzlichen Arbeitslosenhilfeempfängern mit höheren Leistungsansprüchen. Und für 1984 muß die Quote der Leistungsempfänger von Arbeitslosenhilfe auf Grund der Entwicklung, von 20 auf 24 v. H., nämlich von 498 000 auf 571 200 heraufgesetzt werden. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß immer mehr auch qualifizierte Arbeitnehmer arbeitslos werden und in kürzester Zeit auf dieses fürchterliche Transportband der Arbeitslosenhilfe herunterfallen, das sie immer weiter von einer möglichen Beschäftigung hinwegträgt, daß sie für lange Zeit arbeitslos geworden sind. ({6}) Daran ändert auch die geschwächte Zunahme der allgemeinen Arbeitslosigkeit nichts, die hier schon als ein großer sozialpolitischer Fortschritt gefeiert worden ist. Wir wären froh, wenn sich die Anzeichen auf dem Arbeitsmarkt mittelfristig bestätigen würden. Doch ich sage Ihnen: Wir sind angesichts der Politik dieser Bundesregierung mehr als skeptisch. ({7}) Zur Frage, welche Beschäftigungswirkungen, welche Impulse überhaupt von diesem Haushalt ausgehen, hat mein Kollege Wieczorek bereits das Notwendige gesagt. ({8}) Die Sachverständigen in der Bundesregierung korrigierten die Arbeitslosenzahl für 1984 von 2,49 auf 2,38 Millionen im Jahresdurchschnitt, und die Korrektur der Arbeitslosenleistung-Empfängerquote um 0,5 % hat die Koalition beflügelt, die Liquiditätshilfe weiter um 180 Millionen DM zu kürzen. Nicht weniger zimperlich sind Sie auch mit dem Votum der Selbstverwaltung umgegangen, die 200 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den Haushalt der Bundesanstalt einzustellen. Ich habe es sehr bedauert, Herr Minister, daß Sie um diese 200 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht gekämpft haben ({9}) obwohl Präsident Stingl deutlich gemacht hat, daß diese Kürzung dazu führt, daß es 8 000 weniger ABM-Beschäftigte gibt - 1984 sollten es sonst 70 000 sein -, so daß es 8 000 schwer vermittelbare Arbeitnehmer, Jugendliche usw. mehr geben wird, die Arbeitslosengeld und Arbeitshilfe beziehen werden, statt sinnvoll beschäftigt zu werden. Das ist die Konsequenz daraus. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Vorausschätzungen für die neuen Arbeitslosenzahlen nur stimmen, wenn der Mittelansatz für die zentralen Bereiche der aktiven Arbeitsmarktpolitik 1984 erstmals gesteigert wird, d. h. im Bereich ABM auch im Haushalt die Mittel für die Beschäftigung von 70 000 Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt zur Verfügung stehen. Genau dies, Herr Minister Blüm, findet nicht statt. Mit Ihrer ursprünglichen Absicht, das Schlechtwettergeld neu zu regeln, sind Sie voll gegen die Mauer der Bauwirtschaft gelaufen. Auch die Bundesanstalt für Arbeit mußte Ihnen wie die Industriegewerkschaft Bau - Steine - Erden erst bestätigen, daß hier nichts gespart wird, sondern mehr arbeitslose Bauarbeiter beim Arbeitsamt landen werden. Herr Präsident, ich nehme an, daß meine Fraktion mir noch die notwendigen Minuten genehmigen wird, um bis zum Ende kommen zu können. Ich glaube, es waren noch keine 20 Minuten.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Auch wenn Ihre Fraktion das tut, möchte ich Sie aus anderen Gründen bitten, einen Augenblick zu unterbrechen, weil wir hier im Präsidium wechseln müssen. Am Schluß der Rede des Abgeordneten Hoss entstand Unruhe. Es war hier oben nicht zu hören, was der Abgeordnete Hoss gesagt hat. Uns liegt jetzt das vorläufige Protokoll vor. Danach hat er eine unzulässige Anschuldigung gegenüber dem Herrn Bundeskanzler erhoben. Ich rufe den Abgeordneten Hoss zur Ordnung. ({0}) Ich bitte Sie, Herr Kollege, wenn Ihre Fraktion Ihre Redezeit verlängert, fortzufahren.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, noch meine letzten Bemerkungen hier anzufügen. Wie die Faust aufs Auge paßt hier die weitere Verschlechterung im Leistungsrecht für Arbeitslose. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlichmachen. Ein Arbeitsloser ohne Kinder mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 1 500 DM erhält derzeit 1 020 DM monatliches Arbeitslosengeld. Nach der vorgesehenen Kürzung werden es nur noch 945 DM sein, d. h. also monatlich 75 DM weniger. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit, wenn er Sozialhilfe beanspruchen muß, werden es statt 870 nur noch 840 DM sein. Der DGB befürchtet deshalb zu Recht, daß durch diese Neuregelung zukünftig viele Männer, aber noch mehr Frauen in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Das durchschnittlich gezahlte Arbeitslosengeld betrug im Oktober 1983 966,24 DM; bei der Arbeitslosenhilfe waren es 803,79 DM. Allein schon an diesen Zahlen sieht man, daß es sehr viele Arbeitnehmer gibt, deren Bezüge erheblich unter dem liegen, was ich als Beispiel für die Berechnung dieser Kürzungen hier vorgetragen habe. ({0}) Die Bundesanstalt für Arbeit hat nach dem Gesetz nicht nur die Geldleistungen zu erbringen; ebenso wichtig sind im Rahmen ihrer Aufgabenstellung auch die Vermittlung und Beratung. Just zu diesem Zeitpunkt, als die Selbstverwaltung nach langer Diskussion eine notwendige Personalmehrung von 750 Stellen beschloß, damit Berufs- und Arbeitsberatung, damit Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenbetreuung überhaupt noch möglich sind, beschloß die Koalition, zwar 200 Stellen zu bewilligen, aber die Bundesanstalt in die allgemeine halbjährige Wiederbesetzungs- und Beförderungssperre für freiwerdende Dienstposten einzubeziehen. Nach der Feststellung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit heißt dies für die Bundesanstalt 1984 1 000 Tageskräfte in den Ämtern weniger - und das alles bei einer saisonal bedingten Zunahme der Arbeitslosigkeit. ({1}) - Herr Kollege Friedmann, ich habe mir das noch einmal bestätigen lassen: Grotesk wird die Auswirkung, wenn - wie dies vielfach der Fall ist - bei Arbeitsamtsnebenstellen z. B. mit zwei Vermittlern, zwei Vermittler aus Altersgründen ausscheiden; dann findet dort keine Arbeitsvermittlung mehr statt. ({2}) Mit elf konkreten Kürzungen im Arbeitsförderungsgesetz sammeln Sie allein rund 2 Milliarden DM von Arbeitslosen, Arbeitslosenhilfeempfängern, ausgebildeten Jugendlichen, von bildungswilligen beruflichen Rehabilitanten, ja sogar von Krankengeldbeziehern ein. „Nie wurden die Arbeitnehmer in der Geschichte dieser Republik mehr zur staatlichen Kasse gebeten als von dieser Bundesregierung." Diesen Satz, Herr Minister, sprachen Sie von dieser Stelle aus am 11. Dezember 1979. Ich füge heute hinzu: Zählt man noch einige Maßnahmen hinzu, dann sind es über 11 Milliarden DM, die der Finanzminister zu Lasten der kleinen Leute eingesammelt hat. Allein im Einzelplan 11 sind es über 4 Milliarden DM. Wenn man noch einige Maßnahmen hinzufügt, dann sind es 4,8 Milliarden DM. Nun will ich Ihnen - neben aller Kritik - durchaus zugute halten, daß Sie sich im Kabinett redlich Mühe gegeben haben, bestimmte Positionen zu verteidigen, daß Sie sich gewehrt haben, nicht ganz ausgezogen zu werden. Um so mehr muß sich der Bundeskanzler, der doch die Richtlinienkompetenz hat, fragen lassen, was er gegen diese soziale Einseitigkeit des Sparprogramms unternommen hat. Deshalb frage ich den Herrn Bundeskanzler: Was sagen Sie den arbeitslosen Jugendlichen, denen Sie Ausbildung versprochen und nun die Kürzung des Arbeitslosengeldes verordnet haben? Was sagen Sie den BehinderDeutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3195 ten, denen Sie die Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr nehmen oder einschränken? In diesem unserem Lande, meine Damen und Herren, ist alles möglich und vieles unerträglich - letzteres für die, die unter Ihrer Verantwortung vor dem 6. März eingeseift worden sind und nun mit der Rasierklinge, von der Herr Carstens heute vormittag sprach, rasiert werden. Unter diesen Voraussetzungen wird es uns unmöglich gemacht, dem Einzelplan 11 unsere Zustimmung zu geben. Soziale Ungerechtigkeit ist kein sozialdemokratischer Programmpunkt. Wir lehnen daher den Haushalt des Arbeitsministers ab und bitten Sie, unserer Entschließung Ihre Zustimmung zu geben. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jagoda.

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Redebeiträge der Sozialdemokraten in der ersten und zweiten Lesung verfolgt, dann stellt man fest, daß sie die Mitglieder der Koalition absichtlich verletzen wollen. Ihre Kritik ist weit überzogen und an Unsachlichkeit nicht zu überbieten, meine Damen und Herren. ({0}) In Form und Ton ähneln Ihre Redebeiträge nicht einem Debattenbeitrag, sondern mehr der Anklagerede eines Staatsanwalts. Ich frage Sie nach Ihrem Rollenverständnis: Haben Sie noch nicht begriffen, daß Sie nicht auf dem Stuhl des Chefanklägers sitzen, sondern eigentlich auf der Bank des Angeklagten? Denn wir bereinigen, was Sie mit Ihrer Politik in 13 Jahren hier hinterlassen haben. ({1}) Wir klagen Sie an, die Belastbarkeit der Wirtschaft übererprobt zu haben. Wir klagen Sie an, die Chancen des technischen Fortschritts und der technologischen Entwicklung verschlafen und verbaut zu haben. Die Zukunftsarbeitsplätze sind leider nicht in dem notwendigen Maße bei uns, sondern in Amerika, in Japan und anderen Ländern entstanden. ({2}) Drittens klagen wir Sie an, die Finanzen des Staates durch eine Hochverschuldung ruiniert und die Sozialkassen zerrüttelt zu haben. Meine Damen und Herren, bei den Diskussionen in der zweiten Runde zum Haushalt 1984 muß man die Frage stellen, wie das Gesicht der Bundesrepublik Deutschland innen- und außenpolitisch aussähe, wenn nicht die Mehrheit des Deutschen Bundestages am 1. Oktober 1982 Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt hätte ({3}) und wenn nicht die Bürger am 6. März dieses Jahres in freier und geheimer Wahl diese Entscheidung des Bundestages bestätigt hätten? ({4}) - Von Ihrer Lautstärke kann sich draußen keiner ein Stück Brot kaufen. Bessere Politik brauchen die Bürger draußen im Lande. ({5}) Ich werfe Ihnen weiter vor, meine Damen und Herren, daß Sie es leider mit der Wahrheit nicht so sehr ernst meinen. Da gibt es eine Vielzahl von Beweisen. Ich will nur einige nennen. Da gibt es das Flugblatt von dem Herrn Kollegen Jahn, der prophezeit hat, daß die Leute ihre Wohnungen verlieren werden. Meine Damen und Herren, wo sind die Schlangen der Wohnungssuchenden? Unser Sonderprogramm hat dazu geführt, daß im Jahre 1983 25 % mehr Baugenehmigungen erteilt wurden und damit mehr als 200 000 Arbeitsplätze erhalten worden sind. Zweites Beispiel: Die „Frankfurter Rundschau" brachte am 3. September 1983 Fragen an die CDU: „Was ist denn mit dem Rentenalter, Herr Kohl? - Die Frauen sollen noch länger arbeiten, bis sie 63 Jahre alt sind." Die Regierung Schmidt hat gegenüber dem Verfassungsgericht bestätigt, wenn das Verfassungsgericht entscheidet, daß § 25 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes verfassungsrechtlich nicht haltbar sei, werde diese Regierung vorschlagen, diese Vorschrift zu streichen. Das hätte bedeutet, daß die Frauen bis zum 63. Lebensjahr hätten arbeiten müssen. Die jetzige Regierung hat aber deutlich gemacht, daß es bei ihr eine derartige Benachteiligung der Frauen nicht geben werde. ({6}) Nächster Punkt: Im Hessen-Wahlkampf haben Sie verkündet: „Weihnachten haben wir 3 Millionen Arbeitslose." Das sei CDU-Politik. ({7}) - Keine Zwischenfragen. ({8}) - Wissen Sie, Ihre Arroganz sollten Sie nicht so ins Feld führen. Kommen Sie hier vorne hin und machen Sie gute Vorschläge ({9}) für eine bessere Politik in Deutschland. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Heyenn, ich rufe Sie zur Ordnung. ({0})

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß diese Anzeige, die auch heute noch bei Ihnen Reaktion zeigt, eigentlich der Gipfel der Unverschämtheit gewesen ist. Sie haben mit der Not der Leute Schindluder getrieben. Wir stehen kurz vor Weihnachten, und wir bedauern, daß es zu Weihnachten in Deutschland 2,2 Millionen Familien gibt, die Arbeitslosigkeit in ihrer Hütte haben. Sie können aber nicht hergehen und mit der Angst der Leute noch Wahlreklame machen. So kann man keine Politik in Deutschland machen, die den sozialen Frieden sichert. ({0}) Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf Versuchen Sie doch endlich, zur kritischen Sachlichkeit zurückzufinden. Entwickeln Sie brauchbare Alternativen. Wir bieten Ihnen das kritische Miteinander an. Aber das, was Sie zum Haushalt 1984 vorgelegt haben, war nicht brauchbar, ganz unabhängig davon, daß ich Ihnen hier einmal, wenn die Redezeit reichen würde, eine Liste von Streichungen durch die alte Regierung vorlesen könnte, die dieses Jahr zum Zuge kommen, die Sie also zu verantworten haben, die uns aber angelastet werden. ({1}) - Sie waren nicht im Ausschuß für Arbeit und Soziales. Vielleicht sollten Sie sich da einmal bewerben. ({2}) Ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Anträge, die Sie zum Haushalt 1984 gestellt haben, im Bundeshaushalt zu einer Deckungslücke von 4,2 Milliarden DM geführt hätten und bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Defizit von 3 Milliarden erzeugt hätten. Sie wollten uns verleiten, auch gegen Art. 115 Grundgesetz zu verstoßen. Das wird Ihnen aber nicht gelingen Wir sind der Auffassung, daß wir auf dem richtiger Wege sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneter Lutz?

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur wenige Minuten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Darf ich fragen: Ge statten Sie generell keine Zwischenfrage?

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Keine!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke schön. Meine Damen und Herren, generell keine Zwischenfrage. ({0})

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Sie können vor Arroganz schon bald nicht mehr laufen. Sie sollten lieber sachlich mitwirken. ({0}) Wir verschweigen heute in der Debatte zur zweiten Lesung nicht, daß wir unseren Bürgern schmerzhafte Opfer zumuten mußten. Wir haben dies den Leuten aber vor der Wahl am 6. März gesagt. Wer das Wunder vollbringen kann, bei einem Haushalt von 257 Milliarden DM, bei dem fast jede dritte Mark allein in die Haushaltspläne des Bundesministers für Arbeit und des Bundesministers für Familie und Jugend fließt, eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen - ohne die angesprochenen Haushaltspläne anzutasten - herbeizuführen, der sollte das auch beweisen. Ihr Vorschlag war: mehr Verschuldung, d. h. Chancenverminderung für die junge Generation. ({1}) Wir haben aber nicht einfach - wie das früher der Fall war - mit dem Klingelbeutel gesammelt, bis das Geld zusammen war, sondern wir haben mit Perspektiven und nach Grundsätzen unsere Politik gemacht. Alle Details unserer Sozialpolitik sind Bestandteil eines Konzeptes. Es geht nicht nur um Zurücknahme, ({2}) sondern dahinter steht eine Vorstellung, wie die Sozialpolitik gestaltet werden soll. ({3}) - Ich nehme das gleich auf. Sie führen so oft das Wort „Solidarität" im Munde. Ich sage Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei: Solidarität können Sie nicht in der Armut praktizieren, sondern nur, wenn Sie Wohlstand für alle erzeugen. Auf diesem Wege sind wir wieder. Wenn Sie weitergemacht hätten, wäre Solidarität ein Fremdwort gewesen. ({4}) Lassen Sie mich noch zu einigen wenigen Punkten kommen. ({5}) - Aber meine Damen und Herren, wir leben doch in einem Staat, in dem der, der hier spricht, seine Themen selber aussuchen kann. Sie können mir noch zusätzliche Redezeit besorgen; dann sage ich Ihnen auch dazu noch etwas. ({6}) Nehmen Sie doch nicht immer an, daß wir nicht so klug und bewandert sind wie Sie selber. Wo kommen wir denn eigentlich hin? Was ist denn das für ein Stil hier im Parlament? ({7}) Lassen Sie mich einen Begriff aufnehmen, den Frau Kollegin Fuchs ausgesprochen hat: Wir würden Rente auf Pump nehmen. ({8}) Wahr ist: Wenn wir die Regierung nicht übernommen hätten und wenn die Rentner ein halbes Jahr später nicht ihre Rentenerhöhung bekommen hätten, hätte die Rentenversicherung im August 1983 die Renten nicht mehr bezahlen können. Das haben nicht wir, sondern Sie zu vertreten. ({9}) Ich will Ihnen dazu einen zweiten Punkt sagen: Diese Liquiditätsschwierigkeit im Monat November kommt daher, daß die Rücklagen von 7 Milliarden DM bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nicht ohne Verluste flüssiggemacht werden können. ({10}) Der nächste Punkt ist, daß der Bundesfinanzminister die Bundeszuschüsse so rechtzeitig geben wird, daß mit dem Zinsgewinn, der auf dem Geldmarkt und nicht auf dem Kapitalmarkt, wie Sie das immer darstellen, entsteht, ein Ausgleich erfolgen kann. ({11}) Ein wesentlicher Punkt in der Rentenpolitik aber ist, daß es geschafft worden ist - loben wir einmal unseren Minister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm -, das, was in der Koalitionsvereinbarung stand - man müsse die Rentenerhöhung um ein halbes Jahr verschieben -, zu verhindern. Die Rentner in Deutschland werden am 1. Juli wieder eine Rentenerhöhung bekommen. Das haben sie dieser Koalition zu verdanken und nicht der beißenden und überzogenen Kritik der Opposition. ({12}) Ich will Ihnen nur sagen, daß wir auf diesem Gebiet alles unternommen haben, um das herbeizuführen. Wir werden über die Aktualisierung und die Einmalzahlung versuchen, die Renten zu stabilisieren. Lassen Sie mich zur Einmalzahlung etwas sagen. ({13}) Wir sind der Auffassung, daß dies sozial ertragbarer ist als Ihre Erhöhung der Beiträge, mit der Sie alle getroffen hätten, auch diejenigen mit einem kleineren Einkommen. Wir nehmen diejenigen, die sonst über der Beitragsbemessungsgrenze liegen würden, mit herein. Sie waren doch zum Wettbewerb aufgefordert, ein noch besseres Konzept zu erarbeiten als das, was wir vorgelegt haben. Da war aber bei Ihnen Schweigen im Walde. Deswegen haben Sie das Recht zur Kritik verloren. ({14}) Lassen Sie mich zu einem sehr ernsten Problem kommen. Ich will gerne in aller Deutlichkeit sagen, daß das für uns ein ganz schwerer Punkt gewesen ist: Es geht um die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge für die Behinderten in Werkstätten. ({15}) Vielleicht ermessen Sie die Dramatik, die hier von der Finanzpolitik ausgeht, an dem, was wir vorgefunden haben. Ich will in aller Deutlichkeit sagen, daß uns das, was beispielsweise von Herrn Kollegen Hoss mit dem Brief von Eltern in die Debatte eingeführt worden ist, bekannt ist. Da brauchen wir keine Briefe; das wissen wir. ({16}) Allerdings ist es auch in diesem Bereich nicht zulässig, das wirkliche Bild unter Weglassung einiger Tatbestände zu zeichnen. Wenn dieses Gesetz angenommen wird, dann bedeutet das für einen behinderten Mitbürger, der mit 16 Jahren in eine Werkstatt für Behinderte eintritt und mit 36 Jahren seine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommt, daß er nicht etwas mehr als 200 DM, sondern nach heutigem Stand über 880 DM bekommt. Das bedeutet, daß weder die alte noch die neue Rente ausgereicht hätte, um eine Heimunterbringung zu ermöglichen. Er wäre immer auf die Sozialhilfe- angewiesen gewesen. Ich will noch einen Punkt erwähnen. Machen Sie es bitte nicht so, daß unsere Mitbürger, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind - Hilfe zum Lebensunterhalt ist ein Rechtsanspruch und nicht mehr ein Almosen -, Menschen zweiter Klasse sind. ({17}) - Weil 880 DM Rente - wenn Sie mich so herausfordern - eine Leistung der Versichertengemeinschaft in Deutschland sind. Es gibt bei uns Menschen, z. B. Witwen oder diejenigen, die wenig verdient haben oder die vom Schicksal gebeutelt worden sind, die weniger als 880 DM haben. Auch das will ich Ihnen einmal sagen. ({18}) Tun Sie nicht immer so, als würden wir hier sonst etwas tun. ({19}) - Herr Kollege, ich kann keine Ausnahmen machen, sonst bin ich unglaubwürdig.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es gibt keine Zwischenfragen. Der Redner hat das abgelehnt.

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich in den letzten fünf Minuten noch folgendes ausführen. Es ist auch die unentgeltliche Beförderung der Schwerbehinderten angesprochen worden. Auch dies ist nicht bezahlbar. Da können Sie einmal sehen, wohin Ihre Schuldenpolitik geführt hat. Diese Einschnitte, die wir machen müssen, machen wir doch nicht, weil wir perverse Menschen sind und Lust am Schmerz haben, sondern weil es anders nicht zu finanzieren ist. ({0}) Wir müßten im nächsten Jahr für diese Vergünstigungen 230 Millionen DM zahlen, und wir schränken diese Vergünstigungen - übrigens genauso, wie es in Ihrem alten Gesetz gestanden hat; Sie müssen das nur einmal genau lesen ({1}) auf diejenigen Mitbürger ein, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 % haben und die gehbehindert sind. Das stand bereits im alten Gesetz. Wir machen auch die Ausnahmen, daß Blinde, hilflose Schwerbehinderte und Schwerbehinderte mit einem geringen Einkommen die Wertmarke kostenlos bekommen. Diejenigen, die schon 1979 auf Grund ihrer Kriegsbeschädigung einen Anspruch auf kostenlose Beförderung hatten, behalten die gleichen Vergünstigungen wie 1979. Bei diesem Punkt gab es das Problem, wie es mit den drei Privateisenbahnen in Hamburg ist. Hier gab es einen Antrag von unseren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei. Wir haben ihn im Ausschuß nicht angenommen, weil wir glauben, daß § 59 Abs. 1 Nr. 3 des Schwerbehindertengesetzes es hergibt, diese drei Bahnen als S-Bahnen anzusehen; somit kann das Problem gelöst werden. Wenn sich erweisen sollte, daß es nicht so ist, werden wir bei der nächsten Gesetzesrunde dazu noch etwas sagen. Auch den Antrag der SPD zum § 205 Abs. 2 RVO müssen wir ablehnen. Das haben wir schon im Ausschuß gemacht. Dieses Problem kennen wir. Wir können es jetzt nicht lösen. Es ergäbe sich, wie sie selbst angeben, eine Mehrbelastung von 90 Millionen DM für die Krankenkassen. Das geht auf keinen Fall. Wir wollen abwarten, wie sich die Finanzen der Krankenkassen entwickeln. Die Schlechtwetterregelung haben wir aufgehoben. Hier können Sie nicht von einem Streit zwischen Minister und Fraktion ausgehen. Hier haben wir vielmehr eine andere Finanzierung gefunden und vorgelegt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verlangen den Bürgern Opfer ab. Wir wissen sehr wohl, wie weh es tut, wenn der eine oder andere Mitbürger auf einiges verzichten muß. Ich glaube jedoch, daß es in dieser Stunde auch dazugehört, darauf hinzuweisen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Die Schulden gehen zurück. Die Investitionen gehen nach oben. Wirtschaftswachstum ist real da - ein Prozent; im nächsten Jahr werden wir mehr haben. Die Zinsen sind gefallen. ({2}) Der Arbeitsmarkt zeigt Aufwärtstendenz. ({3}) Die Arbeitslosenzahl geht saisonbereinigt zurück. Die Jugendarbeitslosigkeit ist im November um 2,4 % gesunken. Die Zahl der offenen Stellen ist im Jahr 1983 um 9,9 % gestiegen, die Zahl der Vermittlungen um 10 %. Meine Damen und Herren, weil Sie immer so nach Modellen suchen: Zu Ihrer Regierungszeit erfaßten die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 26 000 Menschen, jetzt sind es 60 000. Das sind mehr als doppelt so viel. ({4}) Die Inflation ist gesenkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich im Schluß allen in unserem Lande danken, die in den letzten Monaten dazu beigetragen haben, ({5}) daß der tiefe Sturz in die Ausweglosigkeit überwunden ist. ({6}) Ich denke hier an Handwerk, Mittelstand, Gewerkschaften und Industrie, an alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Rentner und Freiberufler. Meine Damen und Herren, wir sind auf dem richtigen Wege. Ich glaube, daß es sich lohnt, hier einmal zu zeigen, daß diese Regierung und diese Koalition der Mitte die Kraft und den Mut gehabt haben, dies zu tun. ({7}) Ich will mit dem Wort einer klugen Frau schließen. Maria von Ebner-Eschenbach hat einmal geschrieben: Für das Können gibt es nur einen Beweis, nämlich das Tun. ({8}) Meine Damen und Herren, wir haben etwas getan, damit der Weg wieder aufwärts führt, damit die Chancen für uns und unsere Jugend erhalten bleiben und damit der soziale Friede in Deutschland gesichert bleibt. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat heute zumindest eine der Aufgaben erfüllt, die man von ihr erwartet. Sie hat Angstmacherei betrieben, und sie hat die Situation in der Bundesrepublik Deutschland schwarz in schwarz oder schwarz in grau, wie auch immer, gezeichnet. ({0}) Damit steht sie in der Tradition dessen, was die Oppositionen in allen Parlamenten eigentlich immer tun. Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3199 Eine andere Aufgabe aber hat sie heute nicht erfüllt. Das stimmt mich etwas traurig, denn in dieser Hinsicht hatte ich eigentlich von der jetzigen Opposition mehr erwartet. Sie hat keine Alternativen gegen das gesetzt, was die Regierung hier als ihr Konzept vorgetragen hat und was wir als Koalitionsfraktionen auf Vorschlag der Regierung in den Ausschüssen mit getragen haben. ({1}) - Herr Kollege, Zuhören ist eine Tugend von Parlamentariern. ({2}) Bei der SPD ist diese Tugend schon seit langer Zeit sehr stark unterentwickelt. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich bitte nicht um Höflichkeit gegenüber der Rednerin, sondern ich bitte ganz allgemein um etwas mehr Zurückhaltung gegenüber demjenigen, der hier redet.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns an dieser Stelle schon oft darüber unterhalten, daß in Zeiten, in denen das wirtschaftliche Wachstum zu wünschen übrig läßt, in denen es der Wirtschaft nicht so gut geht, wie wir es uns alle wünschen, auch die Sozialpolitik nicht unangefochten bleiben kann. Wer sich dann hier hinstellt und sagt, man könne weitermachen wie in der Vergangenheit - so haben Sie das heute von der SPD getan -, nimmt allerdings in Kauf, daß wir Sozialpolitik auf Pump betreiben. Eine solche Politik ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch zynisch; denn sie verspielt die Grundlagen der Zukunft und damit die Grundlagen der nächsten Generation. ({0}) Daß bei Ihnen durchaus auch andere Erkenntnisse vorhanden sind, die Sie heute aber leider nicht vorgetragen haben, möchte ich Ihnen an einem Zitat des Kollegen Glombig deutlich machen. Er hat nämlich hier einmal gesagt: Wir Sozialdemokraten leugnen nicht, daß die soziale Sicherheit den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Verschiebungen im Altersaufbau angepaßt werden muß. ({1}) Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, daß Sie heute ein bißchen mehr dazu sagen, wie Sie sich das eigentlich vorstellen. Was Eugen Glombig gesagt hat, entspricht exakt dem, was wir jetzt mit dem Gesetz zur Rententhematik vorlegen und zur Abstimmung stellen. Mit dem gleichgewichtigen Anstieg von Renteneinkommen und Einkommen der aktiven Arbeitnehmer, wie wir Freien Demokraten es schon lange gefordert haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung getan. Mit der Aktualisierung der Rentenanpassung, wie sie jetzt vorgenommen und beschlossen werden wird, ist ein zweiter Schritt getan. Der Einbau einer demographischen Komponente in die Rentenformel muß und wird in der Zukunft allerdings noch kommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Abgeordneter Glombig, mir tut es schrecklich leid. Wir können darüber gern anschließend weiter diskutieren. Ich habe sehr wenig Redezeit, und wir haben heute noch etliche Redner, denen ich die Redezeit nicht wegnehmen möchte. ({0}) Sogar der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung hat diese Politik zur Sanierung der Rentenfinanzen mit einem positiven Votum belegt. Er konstatiert, daß diese Politik verhindert, daß Arbeitnehmer über steigende Abgabenlast nicht nur eine steigende Alterslast, sondern auch eine überproportionale Verbesserung des Lebensstandards der Altersrentner finanzieren würden, daß also diese Politik dazu beiträgt, daß genau dies nicht passiert. Meine Damen und Herren, wir wollen doch verhindern, daß in einigen Jahren Opa das Studium des Enkels finanziert, weil Vater die Rente von Opa finanziert. Eine solche Gesellschaft würde man zu Recht als eine Taschengeldgesellschaft bezeichnen. Das allerdings wollen wir nicht. Wir wollen auch weiterhin die Leistungsgesellschaft. Dem gleichen Ziel der langfristigen Sicherung der Rentenfinanzen trägt auch die veränderte Anspruchsvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Invalidenrenten Rechnung. Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrenten hatten sich zu einer Art vorgezogenem Altersruhegeld entwickelt. Dem galt es Einhalt zu gebieten. Denn dies wäre nicht systemgerecht. Wir wollen, daß die Rentenversicherung wieder systemgerecht wird und auch in der Zukunft systemgerecht ausgestaltet bleibt. Wir sind sehr froh, daß es in den Ausschußberatungen noch gelungen ist, mit einer Verbesserung der Übergangsregelung dafür zu sorgen, daß hier keine verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriffe in Besitzstände vorgenommen werden, sondern daß es möglich sein wird, mit einem monatlichen Beitrag von 83 DM die Anspruchsvoraussetzungen aufrechtzuerhalten. Dies allerdings entspricht unseren Vorstellungen von einer Absicherung der Alterseinkommen auf eigenverantwortlicher Basis auch für die Selbständigen in unserer Gesellschaft. Meine Damen und Herren, es ist viel darüber diskutiert worden, ob die Eingriffe in das Behindertenrecht vertretbar sind oder nicht. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen: die kostenlose Beförde3200 rung Behinderter im Personennahverkehr. Ich glaube, daß wir auch in der Bevölkerung sehr viel Verständnis dafür gefunden haben und finden werden, daß eine Kumulation von Vergünstigungen, die sehr danach aussieht, daß hier mit der Gießkanne ausgeteilt wird, abgeschafft wird. ({1}) Ich möchte allerdings auch noch auf eines hinweisen. Wir haben uns im Ausschuß sehr viel Mühe damit gegeben, mögliche Härten zu vermeiden. Deshalb haben wir noch einige Regelungen - z. B. bezüglich der Region Köln/Bonn - zusätzlich in das Gesetz eingefügt. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß wir davon ausgehen, daß die drei Privatbahnen in der Nähe von Hamburg, um die es noch in den Ausschußberatungen ging, die Möglichkeit erhalten, zu S-Bahnen aufgestuft zu werden, damit diejenigen, die diese Privatbahnen benutzen müssen, auch in den Genuß der Vergünstigungen des Behindertenrechts, so wie es jetzt gestaltet wird, kommen. ({2}) Wir haben mit dieser Formulierung die Gewährung von Vergünstigungen für die Personen durchgesetzt, die unsere Hilfe und unsere Solidarität wirklich brauchen. Daß eine Konzentration dieser Sozialleistungen notwendig war, wird ja auch von bestimmten Sozialdemokraten nicht bestritten. Ich möchte nur einmal daran erinnern, daß es der sozialdemokratische Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen gewesen ist, der gesagt hat, daß es nicht möglich ist, eine Vergünstigung der kostenlosen Beförderung so weiter fortzuführen, wie es in der Vergangenheit getan worden ist. ({3}) Meine Damen und Herren, eine realistische Beschäftigungspolitik als Bestandteil der Sozialpolitik muß dem wirtschaftlichen Strukturwandel Rechnung tragen. Es ist ja heute auch wieder viel davon die Rede gewesen, was alles an negativen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels an die Wand gemalt werden kann. Ich möchte aber nicht verhehlen, daß wir uns alle Mühe geben müssen und unser Augenmerk vor allen Dingen darauf richten müssen, daß wir auch die Chancen der neuen Technologien für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nutzen müssen. Das Heil kann nicht allein in Arbeitszeitverkürzung gefunden werden. Ich kann ja verstehen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie mit großem Glück nun wieder Arm in Arm mit den Gewerkschaften in Richtung auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich marschieren. ({4}) Dieses Gefühl kann ich ja gut verstehen. Aber fragen Sie doch einmal in Betrieben nach, und zwar bei den Arbeitnehmern, nicht bei den Gewerkschaftsfunktionären, was sie davon halten, wenn die 35-Stunden-Woche eingeführt werden soll. ({5}) Die werden Ihnen nämlich sehr genau sagen, ({6}) daß sie nicht daran glauben, daß so etwas bei vollem Lohnausgleich durchgesetzt werden kann, weil sie nämlich ganz genau wissen, daß das auf die Rentabilität ihrer Betriebe geht, und sie wollen ihren Arbeitsplatz auch in der Zukunft sichern. ({7}) - Ja, darüber können wir uns ja unterhalten, wer von uns häufiger mit Arbeitnehmern redet. ({8}) Arbeitnehmer wissen, daß die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich zumindest ein Risiko für ihre Arbeitsplätze darstellt. Und dann fragen Sie einmal nach, wie viele Arbeitnehmer bereit sind, eine 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich zu haben. Da nämlich werden sie Ihnen sagen, daß die 200 bis 300 DM, die sie im Monat weniger hätten, wenn Sie das durchsetzen würden, nicht gerne verkraften wollen. Und warum, so frage ich Sie, sind denn nicht eigentlich die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen Vorreiter in dem gesamten Bereich der Wochenarbeitszeitverkürzung, ({9}) Coop hat sich geweigert. Andere gemeinwirtschaftliche Unternehmen tun es auch nicht. Ja, warum tun die es denn nicht? Bei all den Fehlern, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, in diesem Punkt können sie heute auch wieder rechnen. Wir setzen eher auf eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Eine Vorruhestandsregelung ist ein Angebot an die Tarifpartner und muß es auch sein. ({10}) Die absolut notwendige Voraussetzung einer solchen Vorruhestandsregelung ist allerdings, daß sie auf freiwilliger Basis erfolgt, ({11}) denn nur so kann den unterschiedlichen Anforderungen in der Struktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben Rechnung getragen werden. Mit allem, meine Damen und Herren, was wir hier beschließen, wollen wir ja nicht, daß zusätzliche Arbeitsplätze gefährdet werden, sondern wir wollen die Regelungen so gestalten, daß sie von denjenigen, die einen Vorteil davon haben wollen, auch angenommen werden. Da gibt es eben ganz klare Aussagen, daß eine solche Vorruhestandsregelung zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit nicht überall in der gleichen Weise unproblematisch angewandt werden kann. Den Entwurf der Bundesregierung werden wir sehr sorgfältig prüfen. Ich bin ganz sicher, daß wir nach einer ausgiebigen Diskussion im Ausschuß hier eine vernünftige Regelung, die ein wirkliches Angebot an die Tarifvertragsparteien darstellt, verabschieden werden. Die SPD will auch in der Zukunft nicht davon ablassen, Beschäftigungsprogramme, Arbeitszeitgesetze, Vorruhestandsregelungen mit viel Bürokratie, 35-Stunden-Woche, alles Regelungen, die den Wettbewerb einschränken, durchzusetzen. Alles das, meine Damen und Herren, knebelt die Betriebe. Deshalb lassen Sie mich mit einem Zitat von Lincoln schließen, daß auf diese Situation sehr gut paßt: Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt, ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen, indem ihr die ruiniert, die sie bezahlen. Das, meine Damen und Herren, wird das Prinzip unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik auch in der Zukunft sein. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wie ich höre, haben wir jetzt einen neuen Komplex. Der Kollege Gobrecht hat das Wort. ({0}) - Daran leiden eigentlich alle nicht, habe ich den Eindruck.

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Verlaub, Frau Kollegin Adam-Schwaetzer: Bei Ihrer Darstellung der Regierungspolitik hatte ich doch ein wenig den Eindruck, als ob wir uns in einem Kosmetiksalon mit angeschlossener Schönheitsreparatur befänden. ({0}) So geschönt ist hier die Regierungspolitik im Bereich des Sozialen dargestellt worden. Die Frau Präsidentin hatte natürlich recht, als sie sagte, daß ich zu einem anderen Themenbereich sprechen wolle. ({1}) - Selbstverständlich, Herr Kollege Spöri, ohne Komplex, wie sich das in der Finanzpolitik und wie sich das erst recht für Sozialdemokraten gehört. Meine Damen und Herren, die Steuerpolitik der Kohl-Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP gleicht einem schlingernden Schiff in einem Meer voller Untiefen bei ziemlichem Sturm. An Backbord hat die Zwangsanleihe bereits an drei Stellen verfassungsrechtliche Lecks geschlagen, obwohl der Fels Karlsruhe noch nicht passiert ist. Gleichwohl wird die sichere Reparatur durch eine Ergänzungsabgabe abgelehnt. An Steuerbord ist das Gewicht von verschenkten Vermögensteuer-Milliarden so rechts gestaut worden, daß das Schiff zu kentern droht. Auf der Brücke streiten sich der Erste und der Zweite Offizier handgreiflich darum, wann endlich die heimlich an Bord gebrachte Ladung in Gestalt der heimlichen Steuererhöhungen zur Leichterung des Schiffes zurückgegeben werden soll. Der Kapitän des Schiffes ist auf der Brücke lange nicht gesehen worden, und wenn er sich bei schwerem Wetter überhaupt auf die Brücke traute, würde das dem Schiff im Sturm auch nichts helfen, weil er schwere Probleme gern vor sich herschiebt und Entscheidungen nicht liebt, sondern sie lieber aussitzt. Meine Damen und Herren, das steuerpolitische Durcheinander, das steuerpolitische Tohuwabohu der Regierungskoalition könnte man auch unfreundlicher beschreiben; denn es hat erhebliche Ähnlichkeit mit dem Durcheinander in der Europäischen Gemeinschaft. Da sind in der Opposition der Union vollmundige Forderungen nach der Rückgabe der heimlichen Steuererhöhungen in unablässiger Folge aufgestellt worden, während gleichzeitig die schwarze Mehrheit im Bundesrat nach der Sonthofener Strategie staatliche Ausgaben weit über Bundestagsbeschlüsse hinaus erhöht hat - und dies u. a. deshalb, um dem parteipolitischen Gegner um so leichter in Sachen Finanzen am Zeuge flicken zu können. Kaum in der Regierung, sind diese flotten Sprüche vergessen. Die Arbeitnehmer, die kleinen Handwerker, die kleinen Kaufleute, die kleinen Freiberufler, die sich im unteren Teil der einkommensteuerlichen Progressionszone befinden, sollen ruhig auf Jahre hinaus weiter steigende Lohn- und Einkommensteuer bezahlen. Die wirklich Großen, die Einkommensmillionäre, betrifft das ja nicht; denn für die ist der Spitzensteuersatz seit Jahren unverändert. ({2}) Immerhin, meine Damen und Herren - und das hat heute morgen schon eine gewisse Rolle gespielt -, hat der kleinere Koalitionspartner, die FDP, dieses Thema nun, offensichtlich zur Ablenkung von aktuellen anderen Schwierigkeiten, entdeckt. Der Wirtschaftsminister Lambsdorff und der Abgeordnete Haussmann fordern alsbald eine Entscheidung über eine Einkommensteuersenkung und noch einen Termin dafür in dieser Wahlperiode. Doch Steuer-Staatssekretär Häfele, einst der Erfinder der heimlichen Steuererhöhungen, sagte in einem Interview auf den Hinweis, daß es wohl Streit über den Steuersenkungstermin gebe - wörtliches Zitat -: Nein, wir haben überhaupt keinen Streit. Vor allem die sachkundigen Kollegen beider Fraktionen sind sich völlig einig, daß die Sanierung vorrangig ist. Womit die Herren Lambsdorff und Haussmann nun nicht nur dabei erwischt worden sind, daß sie eine offensichtlich inopportune Forderung aufgestellt haben, sondern auch noch als nicht sachkundig bezeichnet worden sind. Wahrscheinlich sind diese Umgangsformen Ausdruck der bisher vermißten geistig-moralischen Erneuerung in der Politik. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Gobrecht, würden Sie mir bestätigen, daß der Bundeswirtschaftsminister heute morgen im Plenum unter dem Beifall des Bundesfinanzministers erklärt hat, daß ungeachtet seiner Planungen und Hoffnungen, auf Grund der Wirtschaftsdaten zu einem früheren Termin für diese Tarifreform zu kommen, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nach wie vor in der gesamten Koalition Vorrang hat?

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Gattermann, ich bestätige Ihnen das gerne. Ich war heute morgen hier. Ich habe das gehört. Ich bewundere Ihren Zickzackkurs und die Schnelligkeit, mit der sowohl Graf Lambsdorff als auch Sie jetzt auf das Schiff aufgesprungen sind, dessen Kurs der Kollege Stoltenberg vorher angegeben hat. ({0}) Ich kann das nur als Zickzackkurs bezeichnen; denn noch vor wenigen Tagen haben Lambsdorff wie Haussmann klipp und klar gesagt, 1986 müsse es sein, und Häfele hat gesagt, 1988 werde es frühestens sein. Nun wollen wir endlich klare Entscheidungen; denn ein solcher Zickzackkurs in diesem sensiblen Bereich ist nun wirklich nicht gut für die Rahmenbedingungen, nicht gut für die Wirtschaft, nicht gut für die Bürger.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1984 hat die Bundesregierung in der schwierigen wirtschaftlichen Lage mit außerordentlich hoher Arbeitslosigkeit und nach wie vor - trotz aller Kohl-Garantien - vielen fehlenden Ausbildungsplätzen für die junge Generation gesellschaftspolitisch wie wirtschaftspolitisch einen grundfalschen Ansatz gewählt. Steuerpolitik muß in einer solchen Zeit im Rahmen eines Gesamtkonzepts eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik flankieren, die bestehende Arbeitsplätze sichert, neue Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft, gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert und fördert und arbeitsplatzschaffende Investitionen auslöst. Mit winzigen Ausnahmen tut das die Regierungskoalition mit dem Steuerentlastungsgesetz 1984 nicht. Im Gegenteil: Es werden Steuermilliarden verplempert. Eine Beschäftigungswirkung vermuten bei diesem Gesetz selbst Ihnen sehr wohlgesonnene Journalisten nicht mehr, und Investitionen werden nur insoweit angesprochen, als vergangene Investitionen nachträglich begünstigt werden. Schauen wir uns einige Bereiche etwas genauer an, und beginnen wir mit der eben genannten Senkung der Vermögensteuer! Wir Sozialdemokraten halten dieses milliardenschwere Steuergeschenk an die Großwirtschaft aus vielen verschiedenen Gründen für total verfehlt. Daß dieses Milliardengeschenk auch noch aus der Mehrwertsteuererhöhung, die die Verbraucher tragen müssen, bezahlt wird, ist für uns besonders empörend. Aber diese Art der Umverteilung der Mehrwertsteuergroschen der vielen in das Vermögen der wenigen ist j a geradezu ein klassisches Beispiel für Ihre Umverteilungspolitik. ({0}) - Das ist so, Herr Kollege. Doch abgesehen von dieser sozialen Schlagseite des Vermögensteuergeschenks und abgesehen davon, daß diese Milliarden weder Erweiterungsinvestitionen auslösen noch die wirtschaftliche Nachfrage beleben werden, wirkt dieser Steuerverzicht selbst im Bereich der Wirtschaft, auf den Sie ja zielen, ungerecht und kontraproduktiv. ({1}) Der nordrhein-westfälische Finanzminister Posser hat auf Grund einer Untersuchung in seinem Bundesland schon nachgewiesen, daß die Vermögensteuersenkung überwiegend betrieblichem Großvermögen zugute kommt. ({2}) Nach dieser Fallermittlung - ganz konkret - erhalten vermögensteuerpflichtige Großunternehmen mit einem Vermögen von über 50 Millionen DM, die nur 0,7 % dieser Gruppe der Vermögensteuerpflichtigen ausmachen, etwa 60 % der Vermögensteuersenkung, die Sie vorgesehen haben. ({3}) Da Prozentsätze aber immer so allgemein wirken, wird dieser Hinweis viel plastischer, wenn man die Riesensummen aus dieser Vermögensteuersenkung für die Großwirtschaft - und hier vornehmlich für die kapitalstarken Unternehmen; nicht etwa für kapitalschwache Unternehmen oder gar für solche in Problembereichen - einmal in konkreten Zahlen ausdrückt. So macht die jährliche Steuerersparnis für einen Betrieb mit 250 000 DM Betriebsvermögen nur 785 DM aus. Bei einem Betrieb mit 10 Millionen DM Betriebsvermögen schlägt die Entlastung mit 12 970 DM und bei einem Betrieb mit 100 Millionen DM Betriebsvermögen mit 125 470 DM zu Buche. Sie sehen also ganz genau die Kopflastigkeit zu Lasten der kleinen Betriebe. ({4}) - Sie haben das unter dem Stichwort getan, Sie wollten die Wirtschaft entlasten, Sie wollten vor allem eine Mittelstandspolitik betreiben. Wenn das überhaupt sinnvoll sein soll, wenn überhaupt etwas in Erweiterungsinvestitionen gehen soll, muß es in solche Bereiche gehen, in denen es in der Theorie wirklich Investitionen auslösen könnte. Das ist hier überhaupt nicht der Fall. ({5}) Hier werden frühere Investitionen entlastet. Den Großen, die langfristige Investitionspläne haben, die auch bei einer Entlastung aus der Vermögensteuer um 125 000 DM überhaupt nichts Neues investieren, die keinen Ausbildungsplatz und keinen Arbeitsplatz schaffen werden, werden Millionenbeträge hinterhergeschmissen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Wartenberg?

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege von Wartenberg, ich sehe, daß ich wieder etwas mehr Zeit bekommen habe. Bitte schön.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gobrecht, ist Ihnen bekannt, daß durch die vorgesehene Vermögensteuerentlastung rund ein Drittel der gesamten mittelständischen Betriebe überhaupt keine Vermögensteuer mehr zu zahlen haben? Sehen Sie darin nicht auch eine starke Entlastung der Bürokratie und auch eine Entlastung innerhalb der gewerblichen Wirtschaft? ({0})

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege von Wartenberg, dieses werden dann Entlastungen sein, die Beträge von unter 1 000 DM ausmachen werden. Der große Teil der wirklich kleinen und mittleren Betriebe zahlt längst sowieso keine Vermögensteuer mehr. Die Ausdehnung ist also nicht gewaltig. ({0}) Meine Damen und Herren, kommen wir zu einem anderen Bereich der Einschränkung von Steuervergünstigungen, zu den berüchtigten Bauherrenmodellen und ähnlichen Konstruktionen der Vermögensbildung durch Steuerentzug, um den Terminus technicus „Steuerhinterziehung" zu vermeiden, weil es bisher ja leider eine legale Steuervermeidung ist. Da hatte sich nun die Bundesregierung bei der Bekämpfung von Abschreibungshaien in einem konkreten Punkt in der Kontinuität jahrelanger sozialliberaler Politik bewegt und in ihrem Gesetzentwurf eine konkrete Einschränkung bei den Bauherren- und Erwerbermodellen vorgesehen. Der Gesetzentwurf sah vor, die bei Steuersparmodellen zusammengeballt anfallenden Geldbeschaffungskosten - also Damnum, Disagio, Abgeld usw. - nicht mehr in einem Jahr, sondern auf fünf Jahre verteilt zum steuerlichen Abzug zuzulassen. Damit wäre ein wichtiges Element, wenn auch nur eines, für die Attraktivität von Bauherren- und Erwerbermodellen entfallen. Doch unter dem Druck der Interessenverbände, insbesondere natürlich der Abschreibungslobby, aber auch der Bundesratsmehrheit hat die Koalition die von ihrer eigenen Bundesregierung vorgesehene Einschränkung aufgegeben und hier - für uns natürlich nicht überraschend - tatsächlich eine Wende vollzogen. ({1}) Der Umfall der Koalition bei der Einschränkung dieser Steuersparmodelle, die nichts mit Steuergerechtigkeit zu tun haben, die vielfach Kapital in völlig falsche Richtungen lenken, ja die sogar bei den eben angesprochenen Mittelständlern, wie man z. B. an konkreten Fällen in dieser Woche dem „Spiegel" entnehmen kann, zum Ruin führten, und zwar durch Leichtfertigkeit in diesem Bereich, zeigt, daß die Koalition weder Kraft noch Mut hat, wirklich die Abschreibungsbranche zu bekämpfen. ({2}) Die Mehrheit der CDU/CSU hat sich im Finanzausschuß nicht einmal geschämt, ihre eigene Regierung in diesem Punkt niederzustimmen. Wir haben eine ganze Menge gemacht. Das hätten Sie gemerkt, wenn Sie ein bißchen aufgepaßt hätten. Wir hatten jemanden im Bremserhäuschen, der möglicherweise auch bei dieser Sache gebremst hat. Ich hatte allerdings den Eindruck, daß der kleine Koalitionspartner in diesem Punkt beim großen Koalitionspartner weit offene Türen einrannte. Der nun vorgelegte Ersatzbeschluß der Koalition, allein das Vorauszahlungsverfahren bei Verlusten aus Vermietung und Verpachtung einzuschränken, hat wohnungspolitisch negative Folgen. Die Abschreibungsbranche wird insgesamt nur geringfügig betroffen, die Bauherrenmodelle aber mehr als die Erwerbermodelle. Der schon heute zu beobachtende Trend, statt neuen Wohnraums zu errichten, bestehende Wohnungen über Erwerbermodelle zu kaufen und dann zu modernisieren und damit den Einkommensschwächeren mietpreisgünstigen Wohnraum zu entziehen, wird verstärkt. Daß dies, nebenbei gesagt, auch für die Baukonjunktur negativ ist, liegt auf der Hand. Jedenfalls kann man diesen kleinen, der Finanzverwaltung verdientermaßen die Arbeit erleichternden Schritt nicht zu einem großen Sieg bei der Bekämpfung der Abschreibungsbranche hochstilisieren. Das sollten Sie sich abschminken. ({3}) Wenn die Regierungskoalition es wirklich ernst damit gemeint hätte, den Abschreibungshaien das Wasser abzugraben, hätte sie unserem Alternativkonzept zustimmen müssen. Mit einem Bündel aus drei sich wechselseitig ergänzenden und verstärkenden Maßnahmen hätte ein ernsthafter weiterer Schritt getan werden können. Wir haben im Ausschuß - und wir werden das ja auch hier heute noch tun - zur Abstimmung gestellt, die Verteilung der Geldbeschaffungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf fünf Jahre vorzusehen, wie es auch der urspüngliche Regierungsentwurf beinhaltete, die Verlängerung der Spekulationsfrist nach § 23 des Einkommensteuergesetzes für Grundstücke auf 15 Jahre mit im Zeitablauf abnehmbarer Besteuerung vorzusehen, wobei alle eigengenutzten Einfa3204 milienhäuser, Eigentumswohnungen und Zweifamilienhäuser ausgenommen werden sollen, und schließlich den Ausschluß der Verluste aus Vermietung und Verpachtung im Einkommensteuervorauszahlungsverfahren, was im Zusammenhang mit der Verteilung der Geldbeschaffungskosten erst richtig Sinn macht, den die alleinige Regelung des Vorauszahlungsverfahrens nicht mit sich bringt. Ich habe das dargestellt. Bis auf den letzten Punkt haben Sie das alles abgelehnt - ganz offensichtlich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, damit die Abschreibungshaie weiterhin ihr Steuerfutter, das Hunderte von Millionen, wenn nicht sogar über 1 Milliarde DM beträgt, zu Lasten der Masse der Bürger, zu Lasten der Einnahmen von Gemeinden, Städten, Ländern und Bund verzehren können. ({4}) Die Regierungskoalition hat ihr Zurückweichen vor der Abschreibungslobby natürlich zu kaschieren versucht, in diesem Fall durch eine Entschließung, in der die Bundesregierung eine recht zahme Prüfungsbitte erhält. Aber die Regierungskoalition konnte sich nicht einmal entschließen, konkrete Fragen an die Bundesregierung, die wir Sozialdemokraten formuliert hatten, in diese Entschließung aufzunehmen. Auch damit machen Sie deutlich, daß Sie Verlustzuweisungsgesellschaften nicht wirklich bekämpfen wollen. ({5}) - Verehrter Kollege Kühbacher, da will ich mich mal ganz zurückhalten, aber die Vermutung ist wahrscheinlich nicht ganz falsch. Sie haben in die Fragen, die die Bundesregierung prüfen soll, nicht einmal den Vorschlag der Mindeststeuer aufgenommen, den die Sozialausschüsse sogar zu einem Gesetzentwurf ausgearbeitet haben. Nicht einmal den aufzunehmen, haben Sie sich getraut. Ich wundere mich schon sehr, wie Sie mit den Mitgliedern der Sozialausschüsse innerhalb Ihrer Partei umgehen. ({6}) Ich gehe zu einem weiteren Punkt über. ({7}) - Ich will gern etwas dazu sagen. Wir haben das konkret in Frageform formuliert. Eine Frage ist das allemal wert. Es wäre auch einer Prüfung durch die Bundesregierung wert. Ich frage mich, warum Sie das abgelehnt haben. Das hätten Sie ja aus Ihren eigenen Reihen nun wenigstens aufnehmen können. Sie müssen dafür doch einen Grund gehabt haben. ({8}) - Es ist in den Fragen nicht drin, verehrter Herr Kollege Gattermann. Lesen Sie mal nach! Ich gehe aber zu einem weiteren Punkt über. Wir haben nun das Haushaltsbegleitgesetz, das ja schon sehr lang ist. Da gibt es einen Art. 26. Wenn die Zeit es erlaubte, würde ich gern einmal das vorlesen, was dort zur Investitionshilfeabgabe - besser und klarer: Zwangsanleihe - gesagt ist. Da ist nun dieser schwierige Koalitionskompromiß, den Sie da im Frühjahr gefunden haben, im Gesetzestext untergebracht. Ich muß schon sagen, ich finde das einen ziemlichen Mangel an Sensibilität gegenüber den verfassungsrechtlichen Einwendungen, die sehr, sehr stark und kaum widersprochen schon seinerzeit bei der geplanten Verabschiedung der Zwangsanleihe von den Verfassungsrechtlern vorgebracht worden sind. Ich finde es erst recht ganz erstaunlich, daß Sie das zu einem Zeitpunkt machen, wo über diese Kritik der Verfassungsrechtler an der Zwangsanleihe hinaus inzwischen eine Reihe von Vorlagebeschlüssen der Finanzgerichte vorliegen, die sagen: Diese Mißgeburt ist eindeutig verfassungswidrig. ({9}) Ich verstehe nicht, daß Sie gleichwohl daran festhalten, daß Sie das in einem ungemein komplizierten Gesetzgebungsverfahren noch einmal aufgreifen und den Urteilen der Finanzgerichte überhaupt nicht Rechnung tragen. Ich weiß nicht, warum Sie das machen. Wahrscheinlich wollen Sie diesen Kelch bis zur bitteren Neige leeren; denn mit ziemlicher Sicherheit wird Ihnen das Verfassungsgericht schon im Frühjahr die Verfassungswidrigkeit der Zwangsanleihe bescheinigen. Der Bundesfinanzminister sollte in Zusammenarbeit mit den Finanzministern der Länder wenigstens sicherstellen, daß bei der anschwellenden Prozeßlawine in diesem Bereich die Aussetzung der Vollziehung, d. h. die Nichtzahlung der streitigen Zwangsanleihe, den einzelnen Steuerbürgern ermöglicht wird. Ich bin damit bei einem weiteren Bereich, in dem die Unionsparteien das Gegenteil von dem tun, was sie in ihrer Oppositionszeit vollmundig gefordert haben. Nicht nur die Gesetzgebung zur Zwangsanleihe spricht jeder Steuervereinfachung hohn, nein, dies gilt für die gesamte Steuerpolitik der KohlKoalition und auch für die jetzt vorgelegten gesetzlichen Vorschriften. Sie komplizieren das Steuerrecht mit der Zwangsanleihe erheblich weiter, wie soeben dargestellt, Sie haben dies mit der bürokratisch außerordentlich aufwendigen Insolvenzrücklage, mit Ihrem Bescheinigungsverfahren getan, Sie tun dies bei der Vermögensteuer mit Sonderregelungen für das Betriebsvermögen, wie ich es dargestellt habe, und Sie tun es mit der Ausdehnung des Verlustrücktrages von 5 auf 10 Millionen DM. Auch dies ist eine weitere Komplizierung des Steuerrechts, ganz abgesehen davon, daß man auch hier wieder, selbst in einem scheinbar kleinen Punkt, bei diesen Beträgen deutlich machen kann, daß es Ihnen nicht um die wirklich kleinen und mittleren Betriebe geht. Bei 10 Millionen DM Verlust, die vor- oder zurückgetragen werden sollen, geht es Ihnen natürlich um die großen Betriebe. Wo sind nun eigentlich die Taten hinsichtlich der Steuervereinfachung, die Sie immer gefordert haben, wo sind wenigstens Vorschläge zur konkreten Steuervereinfachung, die Sie aus Ihrer Oppositionszeit eigentlich in den Schubladen gehabt haben müßten? Was in den Schubladen war, hat mein Fraktionsvorsitzender j a schon in anderem Zusammenhang gesagt. ({10}) - Das muß dann wohl richtig sein. Zum Schluß: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat im Finanzausschuß einzelnen Vorschriften im Steuerentlastungsgesetz zugestimmt. Dies betrifft z. B. die Sonderabschreibungen für Klein- und Mittelbetriebe wie die Sonderabschreibungen für Energieersparnis und für Forschung und Entwicklung. Es betrifft ebenso eine Korrektur des Körperschaftsteuergesetzes bei bestimmten Ausschüttungen. Insgesamt jedoch wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion das Steuerentlastungsgesetz 1984 ablehnen; denn dieses Gesetz hat eine schwere verteilungspolitische Schlagseite. Mit seinem milliardenschweren Vermögensteuergeschenk wird nur die Wirtschaft und hier überwiegend die Großwirtschaft begünstigt. Dieses Gesetz bringt mit seiner Begünstigung früherer Investitionen nichts für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und neuer Ausbildungsplätze, dieses Gesetz tut nichts Durchschlagendes gegen die Abschreibungsbranche, sondern beläßt es bei kosmetischen Eingriffen in Sachen Bauherrenmodell. Dieses Gesetz bedeutet eine weitere starke Komplizierung des Steuerrechts, nämlich mehr Bürokratie für die Bürger. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hauptziele des Steuerentlastungsgesetzes 1984 sind mehr Eigenkapitalbildung und größere Wettbewerbschancen durch weniger ertragsunabhängige Steuern, mehr Investitionskapital durch Abschreibungserleichterungen und die Einschränkung steuerlicher Vorteile aus der Beteiligung an sogenannten Bauherrenmodellen. Wir wollen damit die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern für eine breite Investitions- und Innovationstätigkeit der Wirtschaft, für eine erleichterte Anpassung an den technischen Fortschritt und eine stärkere Stellung im internationalen Wettbewerb mit unseren Konkurrenzländern. ({0}) Wir unterstützen mit diesem Gesetzentwurf den Aufwärtstrend unserer Wirtschaft nach Jahren des Niedergangs, nach Jahren einer Steuerpolitik, die die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollte. Das fatale Ergebnis kennen wir: ein hoher Verlust an Arbeitsplätzen, ein hoher Verlust an selbständigen Existenzen, eine Auszehrung der Betriebe und die steigenden Abgabelasten für die arbeitenden Menschen. Der Kollege Gobrecht hat vom falschen gesellschafts- und steuerpolitischen Ansatz gesprochen. Dazu sage ich Ihnen: Das Kardinalproblem unserer wirtschaftlichen Misere ist die Ertragsschwäche und die Kapitalschwäche. Wer heute morgen der Wirtschafts- und Finanzdebatte zugehört hat, der weiß, daß diese beiden Punkte auch von dem Kollegen Wieczorek unterstrichen wurden. Unsere Steuerpolitik setzt hier an, diese Fundamente wieder in Ordnung zu bringen. ({1}) Aber wir haben nur begrenzte Möglichkeiten im Rahmen unserer Steuerpolitik, die wirtschaftlichen Kräfte zu revitalisieren und damit die Arbeitslosigkeit erfolgreich abzubauen. Denn wir haben über 300 Milliarden DM an Schulden in der Bundeskasse vorgefunden - in allen öffentlichen Haushalten sind es über 700 Milliarden DM -, die unseren finanzpolitischen Handlungsspielraum einengen. Denn wir wollen an der erfolgversprechenden und Erfolg zeigenden Haushaltskonsolidierung festhalten. ({2}) Der Kollege Gobrecht sprach von unseren Grundsätzen in der Opposition, ({3}) z. B. dem Abbau heimlicher Steuervergünstigungen. - Der frühere finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und heutige Staatssekretär, Dr. Häfele, hat in seiner Rede zum Bundeshaushalt 1983, den Lahnstein hier eingebracht hat, gesagt - Sie können es im Plenarprotokoll vom 15. September 1982, Seite 6917 nachlesen -: Wir müßten eigentlich den Abbau dieser heimlichen Steuererhöhungen fordern. ({4}) Jetzt kommt seine Bemerkung - noch in der Opposition -: Aber weil die Staatskasse nichts mehr hergibt, fehlt jede Handlungsfähigkeit in dieser Richtung. ({5}) Wir haben also schon damals angekündigt, daß es nur begrenzte Möglichkeiten gibt. Heute morgen haben wir gesagt: Die Haushaltskonsolidierung ist auch ein wichtiger Maßstab für die anstehende Tarifreform. Die Haushaltskonsolidierung ist existenzwichtig für die Wirtschaft. Wir müssen sie fest im Auge behalten. So sind 3,5 Milliarden DM an Steuererleichterungen, die diese Regierung, die die Koalition der Mitte gibt, ein Angebot für die gewerbliche Wirtschaft. Vorhin ist die Richtigkeit der Zahlen bezweifelt worden. Dazu muß ich sagen: Natürlich ist es uns schwergefallen, zum jetzigen Zeitpunkt diese steu3206 erlichen Erleichterungen überhaupt zu finanzieren. Aber um überhaupt etwas zu machen, haben wir diese Mittel aus der Mehrwertsteuererhöhung bereitgestellt. Es handelt sich also sozusagen um eine Umschichtungsmasse. Wir stellen in den Bundeshaushalt 1984 28,7 Milliarden DM für den Zinsendienst ein. Welch einen Gestaltungsspielraum in der Steuerpolitik könnten wir durch diese 28,7 Milliarden DM gewinnen, wenn wir die Zinsen nicht für die Folgen Ihrer Politik ausgeben müßten. Dies muß man sehen. ({6}) Daher sind unsere finanziellen Möglichkeiten begrenzt, um etwa Wunder zu erwarten. Steuerpolitik ist eine Vertrauensfrage. Das wichtigste Kapital, das wir einbringen, das Vertrauenskapital, ist diese Bundesregierung, ist dieser Bundesfinanzminister ({7}) und die Koalition der Mitte. Vertrauenskapital ist die wichtigste Voraussetzung, um hier wieder handlungsfähig zu werden. ({8}) - Herr Kollege Gobrecht, Sie sagen „Schlingerkurs": Schon nach 12 Monaten Regierungszeit dieser Koalition der Mitte sind so viele positive Ansätze zu erkennen. Sie können es in einem Harvard-Lehrbuch nachlesen: Die klassische Aufwärtsentwicklung beginnt zunächst an der Börse - die haben wir gehabt -, dann bei den Investitionen - die haben wir ermutigt -, und jetzt die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Dies ist eine klassische Aufwärtsentwicklung! Auf Grund der von uns vorgeschlagenen Steuererleichterungen werden die kleinen und mittleren Betriebe entlastet und ihre Investitionsbedingungen verbessert. Bei der ertragsunabhängigen Vermögenssteuer, die in schwierigen Zeiten zum Substanzverzehr und zum Existenzverlust führen kann, wird das Betriebsvermögen entlastet. Der neu eingeführte Freibetrag von 125 000 DM entlastet die mittelständischen Unternehmen. Das ist die Konstruktion des Freibetrages. Von den 300 000 natürlichen Personen mit Betriebsvermögen werden 60 000 Personen, von den 140 000 Körperschaften werden künftig 80 000 von der Vermögensteuer völlig freigestellt. Das den Freibetrag übersteigende Betriebsvermögen wird nur noch zu 75 % seines Wertes angesetzt. Bei einem Unternehmen mit einem Betriebsvermögen von 250 000 DM sind das 63 % an Entlastung, bei einem Unternehmen mit 10 Millionen DM Betriebsvermögen sind das aber nur 26 % an Entlastung. Das ist ein Entlastungseffekt, der strukturpolitisch auf die kleineren und mittleren Betriebe gerichtet ist. ({9}) Die Unternehmen mit einem Betriebsvermögen über 50 Millionen DM zahlen insgesamt 70 % der auf nichtnatürliche Personen entfallenden Vermögensteuer. Deswegen sind die 60 % der Entlastungssumme zieladäquat eingesetzt. Wir räumen in dem Bündel von Maßnahmen neue Sonderabschreibungen in Höhe von 10 % für kleinere Betriebe ein, deren Einheitswert 120 000 DM bzw. deren Gewerbekapital 500 000 DM nicht übersteigt. Die begünstigten Betriebe können somit im ersten Jahr bis zu 40 % über Investition abschreiben. Zu Ihrer Sorge, Herr Kollege Gobrecht, wir würden nicht genug machen, um die Investitionsbedingungen zu verbessern: Dies ist eine Maßnahme, die wir viel großzügiger ausstatten würden, wenn wir mehr Geld in der Kasse von Ihnen hätten übernehmen können. ({10}) Für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden Sonderabschreibungen ermöglicht, und zwar 40 % für bewegliche Anlagegüter und bis zu 15 % für unbewegliche Anlagegüter, wenn sie zu mehr als zwei Dritteln der Forschung oder Entwicklung dienen. Diese Abschreibungen verbessern die Liquidität der Betriebe kurz- und mittelfristig. Diese Steuerentlastungen sind keine Steuergeschenke, sie sind das Gebot der wirtschaftlichen Vernunft! Herr Kollege Gobrecht, mit emotionalen Parolen können Sie den dramatischen Rückgang des Eigenkapitals und der Rentabilität der deutschen Betriebe nicht bremsen und umkehren! ({11}) Ich entnehme dem Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1982, daß der Anteil der Eigenmittel an der Bilanzsumme von 30 v. H. im Jahre 1965 auf 19 v. H. im Jahre 1981 zurückgegangen ist. Der Eigenkapitalverlust beträgt in diesen Jahren 165 Milliarden DM. Ich könnte auch sagen, weil wir heute morgen das Bild schon einmal gebraucht haben: ein enormer Blutverlust für die Wirtschaft, ({12}) und das heißt Investitionsverlust, das heißt Investitionslücke. Deshalb haben wir heute diese fatale Lage auf dem Arbeitsmarkt, die wir alle beklagen und ändern wollen. ({13}) Diese Entwicklung hat der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Helmut Schlesinger - er ist heute vom Kollegen Wieczorek als uribestrittene Autorität in unserem Lande dargestellt worden -, auf dem Deutschen Betriebswirtschaftlertag in Berlin am 17. Oktober 1983 zutreffend mit den Worten charakterisiert: Unser Problem ist nicht so sehr die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren als vielmehr die Umsetzung neuer Ideen in marktreife Produkte. Dies fällt unserer Industrie schwerer als den Konkurrenten, weil die ausreichende Kapitalbasis fehlt, um neue Investitionsrisiken eingehen zu können. Die Verbesserung liegt in einer schrittweisen Verringerung der Unternehmenbesteuerung. Soweit Schlesinger. Mit kleinen Schritten gehen wir in diese Richtung, aber die Richtung stimmt. Die so beschriebene Strukturkrise läßt sich nicht mit staatlich finanzierten Ausgabenprogrammen bewältigen. Wer heute mehr Schulden, mehr Staat und weniger Arbeit fordert, wird die Krise nicht meistern! Wir benötigen die wirtschaftliche Dynamik und Leistungskraft der Unternehmen, die man nicht mit Programmen, wie sie eben beschrieben wurden, verbessern kann. Die Ursachen liegen in der Verknappung des Realkapitals. Deswegen ist unsere Antwort auf die Krise, die wirtschaftliche Dynamik und Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Unternehmens, einzelnen für sich und durch alle gemeinsam in ihrer Vielfalt wieder zu erneuern und zu stärken. Die Schlüsselworte dazu - das sage ich so ausdrücklich, weil Sie, Herr Kollege Gobrecht, gefragt haben, wie der Kurs ist - lauten: Investition und Innovation, denn die schaffen neue Arbeitsplätze und neue Existenzen. ({14}) Wir haben Ihre bei der Einbringung des Gesetzentwurfes geäußerte Kritik in der Frage der Steuervereinfachung ernstgenommen. Wir haben uns der Kritik des Bundesrates und der Sachverständigen in der Anhörung gestellt. Wir haben uns den Forderungen auch gestellt. Der Bundesrat hat der verwaltungsmäßigen Abwicklung naturgemäß besondere Aufmerksamkeit geschenkt und hat entsprechende Änderungen vorgeschlagen. Wir sind den Anregungen in entscheidenden Vereinfachungsfragen gefolgt. Dies ist ein gutes Beispiel für eine parlamentarische Beratungskultur der gegenseitigen Respektierung. ({15}) - Herr Kollege Gobrecht, das betrifft zum einen die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene zusätzliche Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1984, die zur Veranlagung der Vermögensteuer vorgesehen war. Hier ist eine Regelung gefunden worden, die eine zusätzliche Hauptveranlagung und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand vermeidet. Zum anderen wird die Einschränkung von steuerlichen Vorteilen aus der Beteiligung an Bauherrengemeinschaften mit einer beachtlichen Entlastung der Steuerverwaltung erreicht. Wir verlassen damit nicht die Zielsetzung des Gesetzentwurfes, wie sie in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 niedergelegt ist. Hier heißt es: Wir wollen eine gerechtere Besteuerung. Deshalb werden wir z. B. die Möglichkeiten für Steuerersparnisse einschränken, die sich für Bezieher höherer Einkommen aus der Beteiligung an sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften ergeben. ({16}) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, künftig den vollen Abzug der Geldbeschaffungskosten nicht mehr zuzulassen. Die hohen Finanzierungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sollten steuerlich auf die Darlehenszeit, längstens auf fünf Jahre, verteilt werden. Gegen diesen Vorschlag wurden vom Bundesrat, aber auch in der Anhörung von den Sachverständigen erhebliche Bedenken geäußert, verwaltungstechnische, steuerrechtliche und steuersystematische Bedenken, aber auch Bedenken, daß eine nicht erwünschte Schlechterstellung für private Bauvorhaben eintreten könnte. Auf der Grundlage des Bundesratsvorschlages ist nun eine überzeugende Lösung gefunden worden, die steuerlichen Vergünstigungen beim Bauherrenmodell einzuschränken: Im Rahmen der Einkunftsart aus Vermietung und Verpachtung können Verluste bei den Einkommensteuervorauszahlungen erst im Jahr nach der Fertigstellung berücksichtigt werden. Das heißt im Klartext: Die hohen Werbungskosten können nicht mehr sofort bei der Zeichnung eines Bauherrenmodells steuerlich geltend gemacht werden, sondern erst nach Fertigstellung der Wohnung. Gleichzeitig mit dieser Regelung, wird der später vermietende Bauherr dem Eigennutzer gleichgestellt, der ebenfalls erst nach der Fertigstellung in den Genuß der steuerlichen Vorteile gelangt. Für diesen Vorschlag, den wir dem Parlament jetzt empfehlen, spricht auch eine wesentliche Vereinfachung für die Steuerverwaltung, ({17}) die Sie, Herr Kollege Gobrecht, soeben kritisiert haben; aber Sie haben keine Schlüsse aus Ihrer Kritik gezogen. Vorgeschaltete und sehr aufwendige Prüfungen entfallen, weil für die Festsetzung der Vorauszahlungen erst nach Abschluß der Investition die tatsächlich entstandenen Verluste geltend gemacht werden können. Mit diesem Vorschlag werden die steuerlichen Vergünstigungen beim Bauherrenmodell weiter erheblich eingeschränkt, nachdem in den Jahren zuvor bereits der Bauherrenerlaß, die Neuregelung der Grunderwerbsteuer und das Auslaufen der Mehrwertsteueroption zum 31. Dezember 1984, in die gleiche Richtung zielten. Somit bleibt abzuwarten, welche Entwicklung die Bauherrenmodelle nach dieser gesetzlichen Verschärfung nehmen werden. Die Beratungen im Finanzausschuß haben gezeigt, welche Schwierigkeiten sich ergeben, Verlustzuweisungsgesellschaften einwandfrei abzugrenzen und damit Verlustzuweisungen einzuschränken. Das gilt besonders in bezug auf neugegründete Unternehmen, bei denen in der Aufbauphase Verluste entstehen können. Vor dem Hintergrund der geringen Eigenkapitalausstattung bleibt unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, wie vorhandenes Sparkapital in produktivere Bereiche und volkswirtschaftlich erwünschte Innovationen gelenkt werden kann. Diese Zielsetzung ist leicht zu formulieren, die praktische Ausgestaltung der Gesetze aber nicht ohne Hindernisse. Aus diesem Grunde wird in einer gemeinsamen Entschließung des Finanzausschusses die Bundesregierung aufgefordert, dem Deutschen Bundestag über die Auswirkungen der heute zu treffenden Entscheidungen bis zum 1. Juli 1984 zu berichten und darüber hinaus weitere Maßnahmen zu prüfen, die die Verlustzuweisungsmodelle eindämmen, um dadurch sicherzustellen, daß sich niemand mehr durch Beteiligung an volkswirtschaftlich nicht erwünschten Verlustzuweisungsmodellen seiner Steuerpflicht ganz oder überwiegend entziehen kann. ({18}) Das ist die Zielsetzung des gemeinsamen Entschließungsantrages, der mit zur Abstimmung gestellt wird und um dessen Annahme ich Sie bitten möchte. ({19}) Deswegen müssen wir, Herr Kollege Gobrecht, Ihre Änderungsanträge und Ihren Entschließungsantrag ablehnen. Wir meinen, daß wir auf das Thema zurückkommen, sobald die Bundesregierung uns den Bericht vorgelegt hat. Wir stimmen dem Steuerentlastungsgesetz 1984 zu. Vielen Dank. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie andere Mitglieder des Ernährungsausschusses habe ich in den letzten Tagen gleichlautende Resolutionen des Deutschen Bauernverbandes und der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften bekommen, die die Streichung von 24 Millionen DM im Agrarhaushalt gegenüber den im Regierungsentwurf veranschlagten Beträgen kritisieren. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, daß es angesichts einer CDU-Regierung und einer sehr starken Präsenz führender Verbandsvertreter in diesem Parlament wahrscheinlich nur die Vertreter der Opposition sein werden, die den Agrarhaushalt daraufhin ablehnen werden. Der Bauernverband hätte wohl doch noch mehr seiner Spitzenvertreter oder vielleicht seinen Präsidenten selbst in den Haushaltsausschuß schicken sollen, ({0}) um dort das zu verteidigen, was das Ministerium im Kabinett offensichtlich hat durchsetzen können. Für mich ist dies nur die nochmalige Bestätigung dessen, was ich schon einmal gesagt habe, daß nämlich die Interessen der Bauern bei dieser CDU-Regierung doch nur sehr unvollkommen aufgenommen werden können, ({1}) da sie sich ganz anderen Interessen, nämlich den Interessen der Industrie, vorrangig verpflichtet weiß. ({2}) Aus der Fülle unserer vielen konkreten Kritikpunkte an dem Agrarhaushalt möchte ich jetzt exemplarisch zwei Beispiele herausnehmen, an denen Ihnen Grundzüge unserer Haushaltskritik deutlich werden sollen. Dabei ist für uns wichtig, daß gerade im Bereich der Landwirtschaft das, was sozialpolitisch problematisch ist, uns auch ökologisch sehr problematisch erscheint. Als ersten Punkt nehme ich die Gasöl-Beihilfe. Für die Rechtfertigung der Gasöl-Beihilfe werden in der Regel zwei Gründe angeführt: Zum einen die Notwendigkeit der Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn, ({3}) zum zweiten die Tatsache, daß die landwirtschaftlichen Fahrzeuge ja nicht die Straßen benutzen ({4}) und daher nicht für die Kosten des Straßennetzes aufzukommen hätten. ({5}) Nehmen wir zunächst den zweiten Punkt. Es ist ganz deutlich, daß er seit langem nicht mehr der Realität entspricht. ({6}) Es sind nämlich gerade die größeren Betriebe, die auch einen erheblichen Dieselverbrauch haben, die zunehmend das öffentliche Straßennetz in Anspruch nehmen. Ihnen dürfte bekannt sein, daß bei der harten Konkurrenz auf dem landwirtschaftlichen Pachtmarkt diese Wachstumsbetriebe teilweise über erhebliche Entfernungen hinweg Flächen hinzupachten, was ihnen durch die Dieselbeihilfe gerade erleichtert wird. ({7}) Dem anderen Argument, der europäischen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, könnte man j a zustimmen. Das bedeutet aber doch nicht, daß diese Wettbewerbsfähigkeit nur über die Subvention des Dieselverbrauchs zu laufen hätte, ({8}) zumal da diese Methode der Subventionierung zwar grob nach außen die Wettbewerbsfähigkeit garantiert, im Innern aber zu ganz erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt, indem nämlich der energieintensiv arbeitende Wachstumsbetrieb sehr viel davon bekommt und der energiesparende Kleinbetrieb sehr, sehr wenig. Die Dieselöl-Beihilfe verFrau Dr. Vollmer schärft also die innerlandwirtschaftlichen Einkommensdisparitäten. ({9}) Der Einsatz von immer mehr Dieselöl in der Landwirtschaft ist für uns sowohl aus sozialpolitischen als auch aus ökologischen Gründen sehr problematisch. ({10}) - Nun hören Sie mal zu, Herr Eigen! - Sozialpolitisch, weil er den Wachstumsbetrieben gestattet, über Dörfer und Grenzen hinweg Flächen hinzuzupachten, und damit die Kleinbetriebe, die diese Flächen dringend brauchen, verdrängt. Er trägt also zu einem Strukturwandel zuungunsten der Kleinen bei. ({11}) Ökologisch, weil er in der Tendenz zu einer Übermechanisierung in den Betrieben und zu einer Begünstigung des Schleppereinsatzes der 100-PSKlasse führt. ({12}) Dieser so begünstigte Einsatz der Großmaschinen hat wiederum Auswirkungen auf die Flurbereinigungsverfahren. Er schafft einen künstlichen Bedarf an großen Flächen und an Ausrottung wertvoller Landschaftsteile. ({13}) Bezogen auf den Boden und das Bodenleben führen diese Maschinen zu Bodenverdichtungen und schweren Belastungen der Ökosphäre Boden. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe leider nur zehn Minuten. Wir GRÜNEN sind gegen eine solche Gießkannenpolitik zugunsten einer immer weniger ökologischen Landwirtschaft. Wir haben Ihnen genaue Berechnungen vorgelegt, wie es anders zu machen wäre. Dafür käme z. B. ein Gesetz für die Staffelung einer Energiesubvention in Frage, die gerade den energiesparenden Kleinbetrieb bevorzugt und Betriebe über 50 Hektar ganz aus der Förderung herausnimmt. Betriebe über 50 Hektar brauchen nicht subventioniert zu werden, außer es handelt sich um ganz schlechte Sandböden. Und großer Energieverbrauch gehört unserer Meinung nach in der Landwirtschaft - wie in der Industrie - nicht belohnt, sondern bestraft. ({0}) Die beste und wirksamste Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft wäre allerdings die Erhaltung einer stabilen landwirtschaftlichen Struktur mit Hilfe einer guten Sozialpolitik und vor allen Dingen gestaffelter Erzeugerpreise, die die eigenen Bauern leben ließe. ({1}) Ich komme zum zweiten Punkt, zum Forschungsprogramm für Gewinnung von Treibstoff - gleich Bioäthanol - auf der Basis von pflanzlichen Rohstoffen. Zu diesem Programm habe ich dem Ministerium vor einiger Zeit eine ganze Menge präziser Fragen gestellt, die offensichtlich so den Kern getroffen haben, daß es um sechs Wochen Verlängerung für die Antwort gebeten hat. ({2}) Um so wichtiger ist für uns die grundsätzliche Kritik an diesem Programm. Es ist uns auch wichtig, daß Sie begreifen, worum es uns dabei geht. Dieses ganze Programm atmet den Geist, daß man die Energie- und Umweltprobleme nicht etwa durch Drosselung des Verbrauchs oder durch Suchen nach sanften, umweltfreundlichen Energiealternativen anzupacken versucht, ({3}) sondern nur durch das Auftun einer ganz neuen Profitmöglichkeit mit Hilfe einer noch umfassenderen, noch skrupelloseren Ausbeutung der Natur. ({4}) Für uns GRÜNE ist es schlichtweg ein Unding, landwirtschaftliche Flächen nicht für die Ernährung der Menschen zur Verfügung zu stellen, sondern für die Gewinnung eines Biotreibstoffes. Wir würden ja unsere landwirtschaftlichen Flächen sehr wohl gebrauchen, wenn wir nicht durch die Importe von Futtermitteln aus den USA und aus der Dritten Welt unsere Ernährung praktisch auf der Basis der Produkte der Flächen fremder Länder aufbauen würden. ({5}) Diese Futtermittelimporte aufrechtzuerhalten, um gleichzeitig die eigenen Flächen für gewinnträchtige Rohstoffgewinnung zu beschlagnahmen, ist für uns schlichtweg eine Verachtung der Grundgesetze der Natur und der Grundlagen unseres Lebens. ({6}) Ich möchte Sie einmal herzlich bitten, sich als Menschen, die j a mit Vorstellungskraft begabt sind, die Konsequenzen eines solchen Programmes, wenn es Wirklichkeit werden sollte, vorzustellen. Unsere besten Böden würden wegen der damit verbundenen Gewinnchancen und hohen Deckungsbeiträge für diese gewinnträchtige Rohstoffproduktion in Anspruch genommen werden. Unser Bedarf an Importfuttermitteln würde daher also nicht etwa abgebaut, sondern geradezu noch erhöht, was uns sicherlich den Beifall der USA bringen würde. ({7}) Zur Bearbeitung dieser Böden für die großflächige Rohstoffproduktion würden wir zunehmend Monokulturen rund um die Standorte dieser Raffinerien haben. Sozialpolitisch - das ist mir besonders wichtig - würde dies zu einem Ausweiten der nichtbäuerlichen Vertragslandwirtschaft führen. Das sähe dann so aus - wir haben solche erschrekkenden Beispiele aus Frankreich -, daß sich der Bio-Äthanol-Konzern faktisch den Bauern kauft, indem er Verträge mit ihm macht und ihn rundum gängelt: Er liefert das Saatgut, er liefert das dazugehörige Paket von Pestiziden, und er knebelt den Bauern mit dem Abnahmemonopol. Das Ungeheuerliche an diesem Haushaltstitel ist, daß die dafür ausgegebenen Forschungsmittel von Steuergeldern bezahlt werden, während sie in ihrer Auswirkung eindeutig der petrochemischen Industrie zugute kommen. ({8}) Eine weitere schlimme Folge ist noch folgendes: Es wird nämlich allgemein gesagt, wir könnten ja für diese Produktion die Böden nehmen, die sowieso schon geschädigt sind. Wissenschaftler sprechen von bis zu 7 % der landwirtschaftlichen Flächen, die bereits geschädigt sind. ({9}) Statt also die Wiederaufarbeitung dieser Flächen in Angriff zu nehmen und sie wieder der menschlichen Ernährung zuzuführen, was Jahre dauern würde und unheimlich viel zähe Bauernarbeit in Anspruch nehmen würde, werden diese Flächen gründlich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte mit Schadstoffen belastet, ({10}) weil man da ja keine Rücksicht mehr nehmen muß, da es sich ja nicht mehr um Nahrungsmittelproduktion handelt. Aus landwirtschaftlichen Gegenden werden somit rund um die Standorte der Raffinerien ganz sicher agrar-chemische industrielle Komplexe. ({11}) Ich komme zum Schluß: Es gibt Gründe genug, jedem Nachdenklichen den Wahnwitz dieser Programme nahezubringen. Nach unserer Meinung haben sie in einem Haushalt eines Ministeriums das sich der Ernährung, der Landwirtschaft und den Forsten verpflichtet weiß, nichts zu suchen. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Faltlhauser.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich einen Beitrag zur Orientierung leisten kann, wenn ich sage, daß ich nicht zur Landwirtschaft spreche, sondern darüber, daß die Vermögenspolitik zwischen Ackerbau und Viehzucht und nachfolgend Stahl hineingezwängt ist, wenn ich das richtig erkannt habe. ({0}) Ich hoffe, daß diese Art der „verbundenen Debatte" nicht ein Zeichen dafür ist, ({1}) daß dieses Parlament nicht mehr dialogfähig ist. Gestern hat der Oppositionsführer mit gekünstelter Theatralik uns erzählt, daß der Bundeskanzler nicht handlungs- und führungsfähig sei. Den Beweis hat er nicht angetreten. Wir haben umgekehrt heute und gestern gehört, daß diese Bundesregierung natürlich sehr handlungsfähig ist. Es gibt aber kaum ein Thema, bei dem sich einerseits die politische Handlungsunfähigkeit der alten Regierungen so deutlich nachvollziehen und sich andererseits die Handlungsfähigkeit der neuen Bundesregierung so deutlich nachweisen läßt wie bei der Vermögensbildung. ({2}) Die Vermögenspolitik ist ein Musterbeispiel dafür, wie sehr bei den SPD-geführten Regierungen Ankündigung und Tat, Versprechen und Einlösung auseinanderklafften. Allein die Staffette der vermögenspolitischen Ankündigungen in den Regierungserklärungen der SPD-Kanzler sind Dokumente mangelnder Glaubwürdigkeit. Brandt 1969, Brandt 1973, Schmidt 1974, Schmidt 1976: Immer wurde diesem Parlament und dem deutschen Volk versprochen, daß die Vermögensbildung jetzt endlich vorankomme. Zum Beispiel Brandt in der Regierungserklärung 1969 - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin: Zu den Schwerpunkten - Ich unterstreiche: Schwerpunkten der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung gehört das Bemühen um eine gezielte Vermögenspolitik. Die Vermögensbildung in breiten Schichten - vor allem in Arbeitnehmerhand - ist völlig unzureichend; sie muß kräftig verstärkt werden. ({3}) Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle „Beifall bei den Regierungsparteien". Wie sehr müssen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, heute enttäuscht sein, daß 13 Jahre nach dieser Ankündigung in der Vermögensbildung überhaupt nichts passiert ist. ({4}) Gerade in dieser Zeit - darauf hat Bundesminister Blüm heute schon hingewiesen - ist die Vermögensverteilung in diesem Lande mit Sicherheit nicht gleichmäßiger geworden. Wo der Staat so ungeheuer viel Schulden aufhäuft, da verdient nicht der kleine Mann, sondern der, der Geld und Kapital übrig hat. Nun das Kontrastprogramm: Die Union hat vor den Wahlen am 6. März 1983 den Wählern versprochen, schnell etwas für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu tun. Nur vier Monate nach den Wahlen verabschiedet das Kabinett Kohl bereits das Vermögensbeteiligungsgesetz, das heute hier verabschiedet werden soll. Die Regierung Kohl hat also in neun Monaten zustandegebracht, was die SPD-geführten Regierungen 13 Jahre lang nicht zustandegebracht, sondern nur immer versprochen haben. Und da will der Herr Vogel, da will der Oppositionsführer von Handlungsunfähigkeit und Führungsschwäche sprechen! Wie sollen wir denn dann das, was in den letzten 13 Jahren bei Ihnen passiert ist, unsererseits benennen? Wie sollen wir diesen vermögenspolitischen Dauerschlaf bezeichnen? Da reicht der deutsche Wortschatz wohl kaum aus. ({5}) Wir sehen dieses Vermögensbeteiligungsgesetz als konsequente Fortsetzung der Vermögenspolitik der CDU/CSU in der Nachkriegszeit. Die Union hat zunächst das Bausparen gefördert, dann das Geldsparen. Nun wird konsequenterweise die dritte Säule, das Produktivkapital gezielt gefördert. Durch das Gesetz wird auch die Kapitalbasis vor allem der mittelständischen Unternehmen gestärkt werden. Wer mehr Kapital hat, der kann auch wieder mehr riskieren, kann wieder mehr wagen. Und genau das ist es, was wir jetzt brauchen. Wir haben in unserem Land keine Probleme mit der Sparquote, die immer noch dreimal so hoch ist wie die in den USA. Aber wir haben Probleme, weil zu wenig Risikokapital in den Betrieben gebildet wird. Mit diesem Gesetz sollen und können die Arbeitnehmer mithelfen, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Daneben werden wir mit diesem Gesetz auch ein zusätzliches Instrument der Tarifpolitik schaffen Das Gesetz folgt den Forderungen, die der Sachverständigenrat über viele Jahre niedergelegt hat Nicht zuletzt aber, meine Damen und Herren, kann dieses Gesetz zur Minderung des Verteilungskampfes beitragen. Gerade in Zeiten geringerer Spielräume der Lohnpolitik rückt das Vermögensbeteiligungsgesetz Unternehmensinteresse und Arbeitnehmerinteresse wieder näher zusammen. Übet diesem Gesetz steht die Überzeugung, daß das bewegende Element der sozialen Marktwirtschaft eben nicht der Klassenkampf, sondern die Partnerschaft ist. ({6}) Meine Damen und Herren, Sie kennen die wesentlichen Elemente dieses Vermögensbeteiligungsgesetzes: den höheren Förderungsrahmen -936 DM -, die Erweiterung des Anlagenkataloges und schließlich die besondere Förderung des Produktivkapitals; 23% Arbeitnehmersparzulage und zusätzlich noch die Förderung nach dem Einkommensteuergesetz. Das heißt, das Gesetz bevorzugt die Produktivkapitalanlagen durch einen höheren Förderungsrahmen und durch eine höhere Arbeitnehmersparzulage doppelt. Jetzt hat die SPD diesem Plenum neben einer Reihe von Anträgen auch einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dazu will ich einige Anmerkungen machen. In dem Entschließungsantrag heißt es entrüstet: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist auch mittelstandsfeindlich, da die Beteiligung an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und an Kommanditgesellschaften nicht vorgesehen ist. Dazu wäre zu sagen: Das Gesetz bietet viel beweglichere Anlagen an für die mittelständischen Unternehmen als gerade GmbH- und KG-Anlagen. Noch ein Zweites dazu. Am 13. Mai 1980 wurde das letzte der vielen Gesetze debattiert, das die CDU/CSU-Opposition zur Vermögensbildung vergeblich - leider vergeblich - in diesem Haus vorgelegt hatte. Der Kollege Rapp ({7}) ({8}) begründet seine Ablehnung des Unionsgesetzes u. a. wie folgt: Diese Gesetzentwürfe sehen auch Zuwendungen von GmbH- und Kommanditanteilen vor. Da solche Zuwendungen Arbeitslohn sind, müssen die Anteile wegen der enthaltenen stillen Reserven einkommensteuerlich bewertet werden ... Aber die Antwort auf die naheliegende Frage, wie die Bewertung in einem Massenverfahren technisch machbar sein soll, sind Sie schuldig geblieben ... Für unlösbar halten wir auch das Problem, das sich daraus ergibt, daß jeder Kommanditist .. . aus seinen Gesamteinkünften Gewerbesteuer zahlen muß. Das war der Herr Kollege Rapp als Sprecher der damaligen Regierungsfraktion. Damals hielt die SPD etwas für unmöglich, was sie heute in dem hoffnungsgrünen Papier des Entschlußantrags für dringend notwendig hält. Diese wieselflinke Wendigkeit ist erstaunlich. Ich stelle fest, daß es die SPD sogar bei steuertechnischen Detailfragen fertig bringt, opportunistisch von der einen Seite zur anderen zu springen. ({9}) Eine weitere Anmerkung. Sie stellen in Ihrem Entschließungsantrag fest, daß die Anträge zur Förderung überbetrieblicher Anlageformen in den Ausschüssen abgelehnt wurden. Das ist richtig. Wir haben aber gute Gründe dafür. Diese Gründe stehen im Vorblatt des Gesetzes. Ich muß das hier nicht vorlesen. In Ihrer Regierungszeit haben Sie bei den Vermögensbildungsdebatten - ich darf Sie daran erinnern - immer wieder als Grund, warum Sie Ihr eigenes Gesetz nicht eingebracht haben, vor allem die technischen Schwierigkeiten mit den außerbetrieblichen Anlagesammelstellen begründet. Damals war Ihnen sehr wohl bewußt, wie eingehend diese Fragen zu prüfen sind. Heute meinen Sie, daß das mit einer fünfzeiligen Gesetzesänderung getan sei. Das ist auch, Herr Kollege Huonker, ein Beitrag zum Thema Glaubwürdigkeit ... ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben keinen eigenen Minister oder einen Staatssekretär gebraucht, nur um die Vermögensbildung voranzubringen, wie Sie, und hinterher hat es nichts gebracht als Kosten für den Steuerzahler. ({11}) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein Angebot des Gesetzgebers auf drei Ebenen: zum einen für den einzelnen Arbeitnehmer, zum zweiten für Betriebsräte und Arbeitgeber für Betriebsvereinbarungen und schließlich für Tarifvertragsparteien. Die SPD schreibt in ihrem Entschließungsantrag: „Tarifverträge werden auf der Grundlage dieses Gesetzes nicht abgeschlossen werden!" Großartig! Hier maßt sich die SPD-Fraktion bereits an, für die Tarifpartner zu sprechen. Ich sage Ihnen: Überlassen Sie das einmal den Tarifpartnern selbst. Im Jahre 1961 hat die SPD-Fraktion auch immer darauf hingewiesen, daß die Gewerkschaften das Angebot des 312-DM-Gesetzes nicht annehmen würden. Dann waren es die besonnenen und vernünftigen Gewerkschaften, die diesem Gesetz zum Durchbruch verholfen haben. ({12}) Georg Leber war einer dieser zukunftsorientierten Gewerkschaftsführer. Ich hoffe, daß mit Georg Leber nicht der letzte Arbeitnehmerführer aus dieser SPD-Fraktion ausgezogen ist, der sich die Vermögensbildung auf seine Fahne geschrieben hat. ({13}) Das Gesetz ist natürlich auch ein Appell an die Arbeitgeber, daß sie wieder an die Tradition von Martin Schleyer anknüpfen. Auch das muß ich sagen. Meine Damen und Herren, wir haben den Arbeitnehmern vor den Wahlen einen schnellen Fortschritt in der Vermögensbildung versprochen. Helmut Kohl und seine Regierung haben Wort gehalten. Jetzt sind die Tarifparteien an der Reihe. Die Arbeitnehmer in diesem Lande warten darauf. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Herbstgutachten der Sachverständigen hat eindeutig ausgewiesen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land, wenn auch behutsam, aufwärts geht. Wir müssen uns daher der Herausforderung stellen, die darin liegt, uns im nationalen und vor allem im internationalen Bereich anzupassen. Es geht nicht darum, dieses Vermögensbildungsgesetz nur unter materiellem Gesichtspunkt zu betrachten, sondern es geht darum, die Leistungsfähigkeit aller an der wirtschaftlichen Weiterentwicklung unseres Landes Beteiligten zu fördern, und zwar nicht nur durch materielle, sondern auch durch immaterielle Anreize. Das Eigenkapital der deutschen Unternehmen - das wurde in dieser Haushaltsdebatte wiederholt bestätigt - hat sich nicht positiv entwickelt. Wer stabile Arbeitsplätze fordert, braucht stabile Unternehmen; denn labile Unternehmen bieten keine stabilen Arbeitsplätze. ({0}) Die FDP begrüßt dieses vierte Vermögensbildungsgesetz. Wir danken Ihnen, Herr Bundesminister Blüm, und den Beamten Ihres Hauses, aber auch den anderen beteiligten Ressorts dafür, daß dieses Gesetz schnell und sachlich fundiert vorgelegt worden ist und daß es mit uns wirklich konstruktiv weiterentwickelt wurde. Wir begrüßen den schnellen Abschluß der ersten Stufe. Wir hoffen, daß wir im Rahmen der zweiten Stufe noch wesentliche Vorteile für den Arbeitnehmer in dem Gesetz unterbringen können. Das wird allerdings davon abhängen - insoweit beugen wir uns dem Finanzminister -, daß die Überschrift auch dieses Gesetzes lautet: Vorfahrt hat die Konsolidierung des Haushaltes. Wir sind sehr froh darüber, daß wir im Zusammenhang mit diesem Gesetz die Freiwilligkeit nahezu festgeschrieben haben. Wir Liberalen suchen die Freiwilligkeit insbesondere in der Verantwortung. Wir wollen nicht die Zwänge kollektiver Kräfte. Wir wollen die Mitverantwortung, die Mitbestimmung und die Ertragsbeteiligung des Arbeitnehmers. ({1}) Wenn ich ein Wort zur Mitbestimmung sagen darf, dann sage ich Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrung ganz klar, daß die Mitbestimmung von uns dort begrüßt wird, wo die Arbeitnehmer in ihrem Unternehmen selber mitbestimmen können. ({2}) Die Welt ist durch die Fremdbestimmung verdorben worden. Die Ideologen haben die Qualität der unternehmerischen Entscheidungen nicht verbessert, sondern nur beeinträchtigt und in vielen Fällen das Betriebsklima verschlechtert. ({3}) - Nein. Wir werden darüber miteinander reden. Ich bin dafür, daß die Hemmschwellen in diesem Bereich abgebaut werden, daß wir mit den Gewerkschaften darüber reden - bei ihnen gibt es ja eine ganze Menge vernünftiger Leute, die ein hohes Maß an Verantwortung haben -, wie bei gemeinsamer Verantwortung Lösungen gefunden werden können. Ich glaube, der Kollege Faltlhauser hat recht, wenn er sagt, daß es nichts nütze, über die klassenkämpferischen Töne der letzten Wochen zu reden. Die konservativ-liberale Regierung hat die klassenkämpferischen Parolen durch eine alternative Partnerschaft ersetzt. Es hat doch keinen Sinn, ein Gegeneinander aufzubauen. Wir müssen das Miteinander schaffen, sonst werden wir der Herausforderung der nächsten Jahrzehnte nicht gerecht und werden alle miteinander keine wirtschaftliche Weiterentwicklung zustande bringen. ({4}) Ich darf noch eines sagen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute nachmittag erklärt, daß einer allein es nicht schaffe; wir brauchten die Partnerschaft zwischen dem Staat, den Gewerkschaften und den Unternehmen. ({5}) Wenn wir das nicht erreichen, können wir doch die Veranstaltung mit dem Titel wirtschaftliche und soziale Weiterentwicklung in unserem Lande beenden. ({6}) Im Zusammenhang mit diesem Gesetz möchte ich auch noch einen anderen Gesichtspunkt hinzufügen. Die Stabilität der Unternehmen hängt im wesentlichen davon ab - auch das müssen wir sehen -, daß wir die Nachfolgeregelungen finden. Das Instrument der Vermögensbildung eröffnet dann, wenn z. B. keine Nachfolger für die Unternehmer vorhanden sind und auch nicht gefunden werden, die Möglichkeit, über die Beteiligung der Mitarbeiter diese Nachfolgeregelung in den Unternehmen in Angriff zu nehmen; denn nur dann, wenn Sie die Unternehmen, die fortentwickelt wurden, auch durch die Nachfolgeregelung stabilisieren, werden Sie überhaupt eine mittelfristige und langfristige Unternehmenspolitik betreiben können. Wir haben doch in der Bundesrepublik praktizierte Beispiele dafür, daß im Rahmen der Sozialpläne das soziale Abfindungspotential in soziales Beteiligungskapital umgewandelt wurde. Diese Modelle haben doch funktioniert. Sie müssen wissen, was es heißt, in einer strukturschwachen Region ein Unternehmen mit 500 Arbeitsplätzen dadurch zu erhalten, daß man die Sozialabfindung in Gesellschaftskapital umwandelte und damit die Kapitalstruktur des Unternehmens wesentlich verbesserte. Dadurch wurden 500 Arbeitsplätze gerettet, die sonst verlorengegangen wären. Deshalb frage ich, warum heute noch in der SPD Widerstände gegen die Gewerkschaft Textil vorhanden sind, die diesem Modell ja zugestimmt und eine hervorragende Mitarbeit geleistet hat. Das möchte ich einmal in aller Öffentlichkeit anerkennen. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Wir haben in den letzten Wochen um den militärischen und den politischen Frieden in diesem Land gestritten und uns damit auseinandergesetzt. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel darüber geredet, daß wir den Frieden mit unserer Umwelt brauchen. Wir brauchen in diesem Land auch den sozialen Frieden, weil er ein wichtiger Ausgangspunkt für die wirtschaftliche und soziale Weiterentwicklung unseres Landes ist. Dieses Gesetz ist ein Anfang dazu. Wir fordern alle auf, an der Weiterentwicklung dieses Gesetzes in der zweiten Stufe mitzuarbeiten. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es spricht für die Flexibilität dieses Parlaments und seiner Geschäftsführung, daß wir von Redner zu Redner das Thema wechseln und trotzdem das Ganze, nämlich den Haushalt 1984, im Auge behalten. Herr Kollege Grünbeck, ich nehme Ihnen ab, daß Sie meinen, was Sie sagen. Wenn Sie mir als einen mitbestimmungserfahrenen Mann dieses Hauses gestatten, eine Bemerkung zur Mitbestimmung zu machen, dann will ich Ihnen sagen: So leichtfertig und oberflächlich sollten Sie vor allem die qualifizierte Mitbestimmung bei Kohle und Stahl in einer solchen Zeit nicht abtun. Sie hat in vielen Krisenzeiten ihre Bewährungsprobe längst bestanden. ({0}) Wie stünde es um viele Regionen, um Kohle und Stahl, hätten wir nicht das Verantwortungsbewußtsein der dortigen Arbeitnehmer, ihrer Betriebsräte und der Gewerkschaften!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, würden Sie mir zugestehen, daß in einer vorgeschriebenen Redezeit von fünf Minuten eine umfassende Abhandlung zur Mitbestimmung im Rahmen des Vermögensbildungsgesetzes nicht möglich war?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das gestehe ich Ihnen gern zu. Aber dann hätten Sie dazu besser geschwiegen. Frau Präsident, meine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür, daß sich die Regierungskoalition an jeden Strohhalm, an jeden konjunkturellen Sonnenstrahl klammert. Heute allerdings haben wir von der CDU/CSU und auch von der FDP viel Selbstbeweihräucherung und zuviel Schönfärberei erlebt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU und der FDP, ich frage Sie: Wo leben Sie eigentlich? ({0}) - Wenn Sie diese Dunstglocke meinen, mag es vielleicht für Ihren Horizont zutreffen. Wolfram ({1}) Wo leben Sie eigentlich? Haben Sie nicht in Ihren Wahlkreisen, wie wir alle, Ihre Probleme und Ihre Sorgen? Kommen nicht Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Handwerker, Industrie- und Handelskammern zu Ihnen und schildern Ihnen die Probleme und Sorgen der Betriebe, deren Beschäftigung und der Sicherung der Arbeitsplätze? ({2}) Lesen Sie nicht täglich die Hiobsbotschaften mit Entlassungsankündigungen? ({3}) Wissen Sie nicht, wie es an der Küste, im Saarland, im Zonenrandgebiet, im Ruhrgebiet, aber auch in Speyer und an anderen Orten ausschaut? Meine Damen und Herren, es ist doch verantwortungslos, es ist eine Verharmlosung, eine Verniedlichung der Beschäftigungsprobleme in vielen Betrieben und Branchen, wenn Sie sich hier hinstellen und so tun: Sie mußten nur die Regierung übernehmen, und schon wendet sich alles zum Besseren. ({4}) Sie werden noch viel tun müssen, um den Nachweis zu erbringen, daß Sie willens und fähig sind, diese Probleme überhaupt zu erkennen, geschweige denn, sie zu lösen. ({5}) Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister weiß, daß ich ihn persönlich schätze. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, es hat mir heute oft wehgetan, mit welcher Oberflächlichkeit Sie an die ernsten Probleme des Arbeitsmarktes und ihre Lösung herangegangen sind. ({6}) Das war weit unter Ihrem Niveau, und Sie haben es eigentlich gar nicht nötig, sich Beifall von der falschen Seite zu holen. Seien Sie der Interessenvertreter der arbeitenden Menschen in diesem Lande, dann erfüllen Sie Ihre Pflicht in dieser Regierung. ({7}) Meine Damen und Herren, ich will eindeutig klarstellen: Bei uns frohlockt keiner nach Sonthofener Theorie, wenn es immer schlimmer und schlimmer wird. ({8}) Wir wünschten Ihnen, daß es mit dem Aufschwung klappt. Aber es wird mit Ihren Mitteln und Methoden nicht klappen. Im Gegenteil, Sie sind unfähig, die ernsten Strukturprobleme zu erkennen und mit konstruktiven Mitteln gemeinsam mit Unternehmern und Gewerkschaften, mit den kommunalpolitisch und regionalpolitisch Verantwortlichen an die Lösung zu gehen. ({9}) - Bleiben Sie noch einen Moment sitzen; Sie bekommen noch mehr zu hören. Ich gebe Ihnen gleich noch Gelegenheit zu einer Frage, verehrter Herr Kollege Schmitz. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich, daß Sie mir um diese Stunde noch zuhören und mir Gelegenheit geben, noch Ausführungen zu machen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich noch einmal einen wichtigen Komplex aus dem Bereich der Wirtschaft aufgreife, der nach meinem Dafürhalten von Ihrer Seite überhaupt nicht angesprochen worden ist. Der Wirtschaftsminister hat ihn in einem Nebensatz erwähnt. Ein gutes Jahrzehnt wurde unter der Verantwortung sozialdemokratischer Bundeskanzler eine ausgewogene, verantwortungsbewußte und zukunftsorientierte Energiepolitik in unserer Republik betrieben. Ein halbes Jahr vor der ersten Ölkrise im Jahr 1973 hat es auf sozialdemokratische Initiative das erste Energieprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben, und dreimal haben wir es in den 70er Jahren fortgeschrieben. Wir haben auf diesem Sektor eine erfolgreiche Politik gemacht. ({10}) Es wurde wie nie zuvor Energie eingespart. Öl wurde in einem beachtlichem Maße substituiert. Der Kohlebergbau, seine Kapazität und Beschäftigung, wurde stabilisiert, auch im Aachener Revier, Herr Kollege Schmitz. Die nichtnukleare Energieforschung wurde forciert, und Umweltschutz- und Energiepolitik wurden in zunehmendem Maße koordiniert. Alles in allem eine erfolgreiche Energiepolitik. Meine Damen und Herren, ein Jahr sind Sie in der Regierungsverantwortung, und heute ist vieles anders, vieles schlechter geworden. ({11}) In gut einem Jahr hat diese rechtskonservative Bundesregierung - von mir aus nach dem Wort meines Vorredners: die konservativ-liberale Koalition und Bundesregierung - die gemeinsame Plattform unserer Energiepolitik verlassen und eine Wende zurück in die Fehler der 50er und 60er Jahre unternommen. ({12}) Ich halte dieser Bundesregierung vor, daß sie aus den Erkenntnissen von zwei Ölkrisen nichts gelernt hat, daß sie den Erhardschen Fehler mit der Hoffnung auf die Kräfte des Marktes wiederholt, daß sie die Kohlevorrangpolitik aufgegeben hat, ({13}) Wolfram ({14}) daß sie Zehntausende bergmännische Ausbildungs- und Arbeitsplätze vernichtet und daß sie tatenlos zusieht, wie die Bergbauzulieferindustrie und deren Beschäftigung in den Krisenstrudel gezogen werden. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wo Sie leben - der Kollege Schmitz und die Kollegin Hürland sollten einmal zuhören -: In meinem Wahlkreis wird es am Ende dieses Jahres mit einem Schlag die Vernichtung von rund 4 000 Ausbildungs- und Arbeitsplätzen geben. ({15}) Ich würde mir wünschen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesarbeitsminister hier sagt, wo denn die tüchtigen und investitionsfreudigen Unternehmer sind, die bereit sind, auf diesen erstklassigen, mit bester Infrastruktur ausgestatteten Standorten neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({16}) Wir machen in unseren Regionen jeden zum Ehrenbürger, der uns neue Arbeitsplätze bringt. Strengen Sie sich doch einmal an! Schwätzen Sie nicht, sondern handeln Sie! ({17}) - Wissen Sie, Sie sind ein Youngster in diesem Parlament; wenn Sie Interesse daran haben, sachlich mit mir zu reden, lade ich Sie in die schöne Bergbaustadt Recklinghausen ein. Dann will ich Ihnen mal vor Ort zeigen, was wir seit der ersten Stillegung einer Großschachtanlage im Jahre 1963/65 mit dem Verlust von 6 500 Arbeitsplätzen alles gemacht haben. Wenn wir heute 100 neue Arbeitsplätze an der einen Stelle schaffen, gehen 150 an anderer Stelle verloren, und zwar nicht wegen der Fehler in der Politik, sondern aus ganz anderen Gründen, ({18}) auch aus der Verantwortung von Unternehmern, die nicht fähig sind, ihrer Verantwortung Rechnung zu tragen. ({19}) - Bitte, verehrte Kollegin! ({20}) Entschuldigen Sie bitte. Darf ich noch ein Wort sagen. Sehen Sie, das ist eben Ihre Art: Wenn man ganz nüchtern, ganz realistisch Fakten aufzeigt, wenn man Tatsachen schildert, dann wollen Sie diese nicht wahrhaben. Legen Sie doch Ihren Verdrängungskomplex ab, und befassen Sie sich mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit! ({21}) ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hürland?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Agnes Hürland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000976, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, da ich bereit bin, mich mit der Realität zu beschäftigen, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir, da Sie energiepolitischer Experte Ihrer Fraktion sind, wie in der heimischen Presse öfter zu lesen ist, ({0}) sagen können, wie viele Zechen zu Ihrer Regierungszeit geschlossen worden sind.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Hürland, wenn Sie davon ausgehen, daß wir früher einmal 169 oder 170 Schachtanlagen hatten und daß wir nach der Neuordnung des Ruhrbergbaus - ({0}) - Wenn Sie mich fragen, dann hören Sie mir doch freundlicherweise auch zu! ({1}) Sie wissen doch, wir sind gute Nachbarn, und ich will Sie aufklären, soweit Sie es noch nötig haben. Verehrte Frau Kollegin, natürlich gab es in der Statistik mal 169 Zechen, und heute gibt es noch 35. Warum ist das so? Das wissen Sie doch: In Marl und Dorsten, wo Sie zu Hause sind, und in Recklinghausen, wo ich zu Hause bin, hat es früher 10 Zechen gegeben, und heute haben wir die Förderung auf eine konzentriert. Diese Zahlen sind überhaupt nicht vergleichbar. Wichtig ist - ich werde das gleich noch nachweisen -, daß Sie von unserer erfolgreichen Kohlevorrangpolitik abgekehrt sind. Sie, verehrte Frau Kollegin Hürland wie auch der Kollege Schmitz und andere wären gut beraten, sich an unsere Seite zu stellen und mit uns gegen den Grafen Lambsdorff zu ziehen ({2}) und nicht etwas zu verteidigen, was Sie vor Ort gar nicht verantworten können. Uns könnte das nur trösten: Sie werden deshalb auch nie Mehrheiten bei uns bekommen, weil die Menschen zu unserer und nicht zu Ihrer Politik Vertrauen haben. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie und diese Regierung überlassen die Bergbauregionen und -städte ihrem Schicksal. Diese Bundesregierung schickt sich an, die Kernenergie zu Lasten der Kohle besonders zu fördern und zu favorisieren. Diese Bundesregierung war nicht willens, der Werftindustrie zu helfen. Diese Bundesregierung ist unfähig, Ihren Beitrag zur Lösung der Stahlkrise zu leisten. Wir stehen nicht an, mit Genugtuung festzustellen, daß es in der Diskussion um das Stahlinvesti3216 Wolfram ({4}) tionszulagengesetz keine gravierenden Meinungsverschiedenheiten mehr gibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern, aber ich möchte erst diesen Punkt zu Ende führen. Wir hoffen allerdings auch, daß unsere Vorschläge akzeptiert und die Absprachen zwischen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der Bundesregierung eingehalten werden. Was heute beschlossen wird, ist nicht die Lösung der Stahlkrise. Die Notwendigkeit einer Gesamtlösung besteht nach wie vor. ({0}) Die Bundesregierung - noch nicht einmal der Bundesarbeitsminister ist da - Herr Wirtschaftsminister, ich begrüße Sie zu dieser späten Stunde. Vorhin mußten Sie drei Staatssekretäre schicken, jetzt kommen Sie selbst. Ich nehme das mit Freude zur Kenntnis. Sie sind noch da, wobei die Betonung auf „noch" liegt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, nachdem Sie gerade auf die Frage der Kollegin Hürland mit der Zahl der Zechen argumentiert und richtigerweise auf die Zusammenlegung der Zechen hingewiesen haben, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind zuzugeben, daß in der Zeit der erfolgreichen Kohlepolitik der SPD, nämlich von 1969 bis 1979, die Kohleförderung in der Bundesrepublik Deutschland an Steinkohle von etwa 112 Millionen Tonnen auf etwa 85 Millionen Tonnen zurückgegangen ist. Können Sie das bestätigen? ({0})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Spies von Büllesheim, ich hatte immer gehofft, wir zwei und, sofern Sie in Ihrer Fraktion ein bißchen Einfluß haben, Ihre Anhänger hätten uns längst auf die Formeln 90 : 90 verständigt. Kehren Sie zu dieser Formel zurück, dann können wir weiter miteinander reden und handeln! Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung amputiert, sie skelettiert, sie vernichtet Arbeitsplätze, ohne daß sie Alternativen aufzeigt, ohne daß sie neue Arbeitsplätze schafft. Verehrte Frau Kollegin Hürland, Sie müßten eigentlich an meiner Seite stehen, ein bißchen rechts von mir, aber an meiner Seite. Wissen Sie, das, was jetzt passiert, ist die Vernichtung von 20 000 Arbeitsplätzen im Bergbau; dazu kommen 20 000 Arbeitsplätze in der Bergbauzulieferindustrie. ({0}) Diese Bundesregierung - auch Sie, Herr Staatsminister - merkt nicht, daß sie dabei auch noch der Stahlindustrie zusätzlichen Schaden zufügt, denn der Bergbau ({1}) ist der Hauptauftraggeber und Hauptabnehmer der Stahlindustrie. ({2}) Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung läßt zu, daß die Ministerpräsidenten Strauß, Albrecht und vor allem Herr Späth die Axt an den Kohleverstromungsvertrag legen. Herr Späth braucht Wyhl nicht zu bauen; er braucht keinen französischen Kernenergiestrom. In der Bundesrepublik gibt es genug Strom. Herr Späth kann sich an die heimischen Stromerzeuger wenden. Er könnte Strom genug bekommen. ({3}) - Zu einem für uns alle tragbaren und die zukünftige Stromversorgung sichernden Energiepreis! Herr Späth kauft doch zu Lasten anderer subventionierten französischen Kernenergiestrom ein. Das ist die Politik, die Sie unterstützen. Wir warnen vor solchen Experimenten. Wir werden nicht zulassen, daß Kernenergiestrom Kohiestrom verdrängt und daß damit zusätzliche Risiken für den Absatz der heimischen Steinkohle entstehen. Meine Damen und Herren, Ihr energiepolitischer Sprecher, der Kollege Gerstein, sollte nicht gegen die SPD polemisieren, wir wollten den unterbrochenen Kampf gegen die Nutzung der Kernenergie wiederaufnehmen. Als Ruhrgebietsabgeordneter sollte er sich vielmehr eindeutig zum Vorrang - aus Ihrer Sicht - der Kohleverstromung bekennen und sich für die volle und uneingeschränkte Erfüllung des Kohleverstromungsvertrages einsetzen, statt Schlachten für mehr Kernenergie zu schlagen. ({4}) - Ach, verehrter Herr Staatsminister, Sie sind ein lieber Westfale, aber von Energiepolitik verstehen Sie bei Gott nichts. ({5}) Das Amt bringt doch nicht immer den Verstand, den man da braucht. Meine Damen und Herren, natürlich haben wir zur Kenntnis genommen, daß sich die Wirtschaftsminister der Länder kürzlich erneut zum Jahrhundertvertrag bekannt haben. Aber bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, bekennen Sie sich hier ohne Wenn und Aber zu diesem Vertragswerk. Wir sagen: Wehret den Anfängen, wenn Herr Späth und Wolfram ({6}) andere versuchen, die Axt an ein erfolgreiches Jahrhundertwerk zu legen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vertraut der deutschen Elektrizitätswirtschaft und ihrem Verband, daß sie ohne Wenn und Aber zu dem gültigen Vertrag stehen. Diese Bundesregierung hat die Kohlevorrangpolitik aufgegeben, auch wenn Sie heute das Gegenteil behaupten. Sie haben den Steinkohlenbergbau im Saarland, im Aachener Revier und an der Ruhr auf eine schiefe Ebene gebracht. ({7}) Bei gutem Willen dieser Bundesregierung - Sie ausschließlich tragen die Verantwortung, meine Damen und Herren - wäre es möglich gewesen, den an die Stahlindustrie ausfallenden Absatz ganz oder teilweise anderweitig zu ersetzen. Unserer Fraktionsvorsitzender Dr. Vogel hat dazu mit Schreiben vom 11. Juli 1983 an Herrn Bundeskanzler Dr. Kohl einen Maßnahmenkatalog vorgeschlagen und ihm ein Angebot zu konstruktiver Zusammenarbeit unterbreitet. ({8}) Herr Bundeswirtschaftsminister, ich frage Sie: Warum haben Sie dieses Angebot nicht aufgenommen? Sie haben sich heute mittag in einer für mich beachtlichen Art und Weise mit unseren Alternativen zur Schaffung von Beschäftigung, mit der Frage, wie man Arbeitslose in Arbeit bringen kann, auseinandergesetzt. Sie sind nicht zu den Ergebnissen gekommen, die wir für richtig halten. Aber hätten Sie sich doch auch mit uns über unsere energiepolitischen Vorschläge auseinandergesetzt. Sie haben noch heute oder morgen die Gelegenheit, unseren Anträgen für eine stärkere Förderung der Fernwärme, der umweltfreundlichsten Energie auf der Basis der heimischen Steinkohle, zuzustimmen. Sie haben heute noch die Gelegenheit, unserem Antrag auf Gewährung finanzieller Beihilfen zur Einführung der Kohle im Wärmemarkt zuzustimmen. Reden Sie doch nicht davon, handeln Sie! ({9}) Sie haben heute noch die Gelegenheit, unserem Antrag auf Aufstockung der Investitionshilfen für den Bergbau zuzustimmen. Jede 100 Millionen DM mehr wären postwendend ein Stück mehr Beschäftigung für die Bergbauzulieferindustrie und für die Stahlindustrie. ({10}) - Lieber Herr Staatsminister, wie konnte der Herr Bundeskanzler Sie ins Kabinett holen, wenn Sie so schwache Zwischenrufe machen? Spüren Sie nicht den Ernst, der aus meinen Worten für eine Region und für deren Zukunft spricht? ({11}) Ich denke, Sie sind der CDU-Vorsitzende für das westliche Ruhrgebiet. Denken Sie doch einmal daran, in wessen Auftrag Sie handeln. ({12}) Meine Damen und Herren, ich bitte die Koalition, noch einmal zu überlegen, ob sie unseren maßvollen, zumutbaren und verantwortungsbewußten Anträgen nicht doch noch zustimmt oder ob sie nicht zumindest zusagt, daß wir bei nächster Gelegenheit erneut darüber reden. Wenn sich die finanzielle Lage so verbessert, wie Sie erwarten, wenn Sie Investitionshilfen gewähren wollen, wenn Sie Arbeit schaffen wollen: dann müssen Sie unseren Anträgen zustimmen; denn das sind die besten und schnellstens wirksamen Arbeitsbeschaffungsprogramme! ({13}) Ich bin gespannt, ob wenigstens die Kolleginnen und Kollegen der Koalition aus dem Saarland, dem Aachener Raum und dem Ruhrgebiet mit uns stimmen. Ich bin vor allem gespannt, ob der Bundesarbeitsminister für die Erhaltung von Arbeit und Beschäftigung oder dagegen stimmt. Sehr geehrter Herr Bundesarbeitsminister, der Sie im Moment von mir nicht gesichtet werden: Für das Ruhrgebiet genügt es nicht, daß Sie in Dortmund das Werksorchester der zur Stillegung anstehenden Zeche Gneisenau dirigieren oder beim Sechs-Tage-Rennen in der Westfalenhalle eine Ehrenrunde drehen, für das Ruhrgebiet und die anderen Gebiete ist Handeln und nicht Politshow gefordert. ({14}) Ich frage den Bundeskanzler, wie er es mit der Energiepolitik hält. Wird auf niedrigerem Niveau stabilisiert, oder handeln Sie wie in den letzten zwölf Monaten nach der Salamitaktik? Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihr Staatssekretär Grund hat mir vorige Woche auf meine Fragen geantwortet, daß Sie nicht in der Lage sind, zu garantieren, das neue Niveau sei eine neue Stabilisierung. Er hat angekündigt, daß die nächsten 5 bis 6 Millionen Tonnen Förderung gefährdet sind - was die Stillegung weiterer zwei bis drei Schachtanlagen bedeuten würde - wenn der Finanzminister die Lieferung von Kokskohle in die Länder der EG finanziell nicht mehr fördert. Bekennen Sie sich doch, Herr Bundeskanzler, morgen, wenn Sie sprechen, wie Helmut Schmidt zum heimischen Bergbau und zur Energiepolitik. Ich frage Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister - hören Sie freundlicherweise einmal genau zu, Sie können lesen ich weiß nicht, was Sie lesen, das, was Wolfram ({15}) ich annehme, ist es nicht, denn das muß dicker sein -, ob es stimmt, daß die EG-Kommission 800 Millionen DM Sonderkreditmittel zur Verfügung hat, um Ersatzarbeitsplätze in den Montanregionen zu schaffen und den Einsatz der Kohle im Wärmemarkt zur Substitution von Öl zu fördern, und ob es stimmt, daß der Vertreter Ihres Hauses es in den letzten Tagen in Brüssel abgelehnt hat, diese Mittel für die Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen. Wenn das stimmt, wenn meine Informationen aus Brüssel richtig sind, daß der Vertreter Ihres Hauses noch nicht einmal diese Brüsseler Mittel in die Bundesrepublik hineinlassen will, dann wäre das ein Skandal erster Ordnung. Ich hoffe sehr, daß Sie mich berichtigen können. Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage ({0}) des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ja, selbstverständlich. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Er ist Abgeordneter dieses Hauses!

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Solange ich noch Gelegenheit habe, Ihnen Fragen zu gestatten.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr vielen Dank, Herr Kollege, für das Maß an Selektivität, das Sie mir angedeihen lassen. Darf ich Sie zunächst einmal daran erinnern, da Sie vorhin von dem Nochwirtschaftsminister sprachen, wie viele Abschiedsreden an meine Person vor dem 6. März aus Ihrer Fraktion gehalten wurden, die alle nicht in Erfüllung gegangen sind, und wollen Sie bitte, was Ihre jetzt gestellte Frage angeht, Herr Kollege Wolfram, zur Kenntnis nehmen, daß ein solches Kreditprogramm bisher nicht vom Ministerrat beschlossen worden ist, daß die Finanzmittel dafür nicht zur Verfügung stehen, daß die Kommission dafür die Einführung einer Energiesteuer vorgeschlagen hat, was wir abgelehnt haben, mit anderen Worten, daß meine Antwort auf Ihre Frage nein lautet? ({0})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bedanke mich. Es war ein hoher Beamter, der mir das gesagt hat. ({0}) Ich bedanke mich und nehme das zur Kenntnis. Wenn ich andere Informationen bekomme, komme ich darauf zurück. Sie kennen mich, daß ich eine Sache nicht auf sich beruhen lasse, nur weil ein Minister hier eine Antwort gegeben hat. Ich gehe aber davon aus, daß Sie mich und uns richtig informiert haben. ({1}) - Na ja, das wird man in Brüssel auch lesen. Ich habe aus Brüssel die Information, daß man die negative Haltung der Bundesregierung auch in dieser Frage nicht verstanden hat. Wir werden ja sehen, was dabei herauskommt. Meine Damen und Herren, ich darf abschließend feststellen, daß wir kein Vertrauen zu Ihrer Energiepolitik haben. Das Schlimme ist, Sie vernichten ein Problembewußtsein, Sie schläfern ein Problembewußtsein ein, das wir brauchen, um weiter Energie einzusparen, um den langfristigen Atem zu haben, um nicht kurzfristig auf einen Energieüberfluß mit falschen Mitteln und Methoden zu reagieren. Ich halte Ihnen noch einmal vor, daß Sie die Kernenergie ohne Wenn und Aber favorisieren und nicht mehr zum Kohlevorrang in der Verstromung stehen. ({2}) Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen, daß viele - auch aus Ihren Reihen - von Kohle reden und in Wirklichkeit Importkohle meinen. Lassen Sie mich noch ein Wort zum Mineralölmarkt sagen, der in Unordnung ist. Die Bundesregierung redet viel von Selbständigen und vom Mittelstand. In der Praxis läßt sie zu, daß die Multis die Kleineren und Mittleren einem rücksichtslosen Verdrängungswettbewerb ausliefern. Diese Bundesregierung hat auch kein Raffinieriekonzept. Sie sieht zu, wie planlos zurückgefahren wird und wie wir demnächst nicht nur vom Rohöl-, sondern auch von Produkten importabhängig werden. Meine Damen und Herren, in der heutigen Haushaltsdebatte kam es uns darauf an, noch einmal unsere energiepolitischen Auffassungen darzulegen. Diesem Ziel dienen unsere Anträge. Ich bitte Sie noch einmal, diesen Anträgen zuzustimmen. Sie würden auch Ihnen gut zu Gesicht stehen. Wir werden Ihre Energiepolitik dort unterstützen, wo wir sie - wie bei der Kokskohlenbeihilfe und in anderen Bereichen - für richtig halten. Wir werden sie bekämpfen, wenn sie in die falsche Richtung läuft. Für uns Sozialdemokraten ist Energie- und Umweltschutzpolitik ein Stück Daseins- und Zukunftsvorsorge. Zu unserer Energie- und Umweltschutzpolitik gibt es keine Alternative. Ich bedanke mich. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulhoff.

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der Energie muß ich jetzt wieder zum Stahl zurückkommen, speziell zum Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz, das Ihnen vorliegt. Aber auch auf Sie, Herr Wolfram, werde ich noch eingehen, wenn ich mich mit dem Revier beschäftigen werde. Die Erhöhung der Stahlinvestitionszulage von 10 auf 20%, die es hier zu beschließen gilt, ist ein Teil der von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen für die Stahlindustrie und muß deshalb auch im Zusammenhang mit den anderen Förderungsmaßnahmen betrachtet werden. Insgesamt werden - wir haben es hier schon mehrfach gehört - Mittel in Höhe von 3 Milliarden DM bereitgestellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle wissen ja - das ist heute mehrfach betont worden -, daß es hier um eine erhebliche Erhöhung des Subventionsbedarfs geht. Trotzdem begrüßt die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich das hier vorliegende Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz, denn es wird mit dazu beitragen, den notwendigen Anpassungsprozeß der deutschen Stahlindustrie zu erleichtern. ({0}) Modernisierung sowie Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit sind dabei ebenso notwendig und unvermeidbar wie der Abbau überhöhter Kapazitäten. Darüber müssen wir alle uns klar sein. Die erhöhte Investitionszulage trägt - wie auch die Strukturverbesserungshilfen - dazu bei, die Investitions- und Modernisierungsfähigkeit der Stahlindustrie zu verbessern. Es ist billige Polemik, die Strukturverbesserungshilfen als „Stillegungsprämien" oder einfach als „Abwrackungsprämien" zu betrachten, wie Herr Professor Jochimsen immer wieder zu betonen nicht müde wird, nur weil diese Hilfen in ihrer Bemessungsgrundlage an bestimmte betriebswirtschaftliche Belastungen anknüpfen. ({1}) Herr Jochimsen sollte sich lieber einmal intensiver mit den Problemen des Ruhrgebiets beschäftigen. ({2}) Da gibt es, meine sehr verehrten Damen und Herren, viel, sehr viel zu tun - und nicht erst seit heute, Herr Wolfram. ({3}) 1966 war es doch Ihre Partei, die antrat, von den Monostrukturen einmal wegzukommen und neue, zukunftsträchtige Industriezweige anzusiedeln. Was ist geschehen? Es ist überhaupt nichts geschehen! ({4}) Jetzt erst greift man den Gedanken wieder auf. - Ich komm' noch auf Sie zurück, warten Sie. - Sie haben meinen Kollegen Theo Blank soeben als Youngster angesprochen. Auch ich bin ein Youngster in diesem Hause hier. ({5}) Aber es war und ist doch, wenn ich mich richtig erinnere, Ihre Partei, die das Ruhrgebiet politisch beherrscht. ({6}) Seit 30 Jahren regieren Sie in den Kommunen, in den meisten Kommunen des Reviers. ({7}) Seit 20 Jahren stellen Sie die Landesregierung, und bis vor einem Jahr haben Sie die Bundesregierung gestellt. Was ist denn in dieser Zeit passiert? ({8}) Gerade Sie aus dem Ruhrgebiet haben gar kein Recht, hier darüber zu reden. ({9}) Welche Anpassungsprozesse, welche notwendigen Anpassungsprozesse ({10}) haben Sie durchgeführt? Sie haben gar nichts getan. Die derzeitige wirtschaftliche Situation des Ruhrgebiets ist das Paradebeispiel Ihrer wirtschaftspolitischen Inkompetenz. ({11}) Die Ausführungen des Herrn Wieczorek - ich glaube, er ist noch hier - haben heute morgen deutlich gezeigt, daß er nichts dazugelernt hat. Aber er kann beruhigt sein, damit steht er in seiner Fraktion nicht allein. ({12}) Meine Damen und Herren der GRÜNEN, ich bin heute auch Ihren Vorstellungen über Wirtschaftspolitik sehr aufmerksam gefolgt. ({13}) Ich dachte mir, man kann j a etwas dazulernen. Nur, wenn ich das, was Sie gesagt haben, bewerte und vergleiche, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß der Morgenthauplan für mich noch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist. ({14}) Die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen können sich aber nur dann erfolgreich auswirken, meine Damen und Herren, wenn gewährleistet ist, daß die Unternehmen nun rasch und zügig das ihnen gebotene Förderungsinstrument nutzen, Die Erarbeitung und Durchführung der Konzepte liegt in ihrer unternehmerischen Verantwortung. Es gilt, eine Situation herbeizuführen, in der sich die deutschen Stahlerzeuger wieder selbst am Markt behaupten können; dieses Ziel ist meiner Ansicht nach erreichbar. Es geht aber nicht - das möchte ich den Unternehmen sagen -, daß Verluste immer sozialisiert und Gewinne privatisiert werden. ({15}) Jeder muß seinen Beitrag leisten. Dazu ist auch erforderlich, der Konkurrenz hochsubventionierter Einfuhren aus EG-Mitgliedsländern und Billigeinfuhren aus Drittländern endlich ein Ende zu machen. Der prozentuale Anteil der deutschen Stahlerzeugung an der europäischen Gesamtproduktion darf nicht vermindert werden, Der europäische Subventionskodex, der das Auslaufen aller stahlspezifischen Subventionen Ende 1985 ) vorsieht, ist meiner Ansicht nach ein Schritt auf dem richtigen Weg. Die Bundesregierung ist aber auch auf dem richtigen Weg, wenn sie in Brüssel unmißverständlich klarmacht, daß ohne die angemessene Berücksichtigung der deutschen Interessen auf dem Stahlsektor eine entgegenkommende Haltung in anderen Fragen, auch in Finanzierungsfragen, nicht in Aussicht gestellt werden kann. Der Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat seinen Beitrag geleistet, indem er die Beratung der Gesetzesnovelle in seinen Ausschüssen rasch durchgeführt hat. Diese Eile ist geboten, damit die Konzepte der einzelnen Unternehmen fristgerecht, Ende Januar, in Brüssel vorliegen und die erforderlichen Beihilfen genehmigt werden können. Nicht zuletzt aus dem Grunde wurden einzelne Änderungsvorschläge nicht ausdiskutiert und der Bundesminister der Finanzen um weitere Prüfung gebeten. Zum einen geht es um einen Änderungsvorschlag, nach dem die Gewährung der Zulage nicht durch das Finanzamt des Firmensitzes, sondern durch das Finanzamt der Betriebsstätte erfolgen soll, in der das Investitionsvorhaben durchgeführt wird. Wegen der möglichen Rückwirkung auf andere Investitionszulagen ist hier zunächst eine nähere Prüfung ({16}) - Herr Kollege, Sie wissen das doch genau - erforderlich, zumal der Bundesrat einem entsprechenden Gesetzesvorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen nicht zugestimmt hat. Wenn Sie heute wiederum einen Änderungsantrag vorlegen, dann können wir dem nicht zustimmen, um das Gesetz nicht zu gefährden. Denn die Termine sind Ihnen bekannt. Wer für die Stahlindustrie etwas tun will, muß jetzt und heute dem Gesetz zustimmen. ({17}) Zum anderen geht es um einen Änderungsvorschlag, der aus deutschlandpolitischen Gründen die Nichtanrechnung der Zonenrandförderung und der Berlinförderung auf die Förderungshöchstgrenze von 30 % des Stahlinvestitionszulagengesetzes vorsieht. Dies halten wir vom Ziel her für gerechtfertigt. Aber auch hier erscheint hinsichtlich des Zusammenwirkens von regionaler und sektoraler Förderung zunächst eine höhere Prüfung durch den Bundesminister der Finanzen vonnöten. Jedoch wurde der vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderung der Antragsfristen zugestimmt. Das ist eine sehr wichtige Maßnahme gewesen. Auch dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Denn hierdurch werden allein im Saarland Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden DM mit dem höheren Satz bezuschußt. ({18}) Das kommt gerade Ihrem Land, Herr Kollege Müller, zugute. Die unterstützenden Bemühungen der Bundesregierung um Haushaltskonsolidierung und Subventionsabbau sind von uns deutlich im Auge zu behalten. Wir wissen aber auch, daß die soeben von mir vorgeschlagene und vorgetragene Maßnahme sehr wichtig ist. Wenn die Bundesregierung sich nunmehr bereit erklärt hat, auf die Länder zuzugehen, und in der Finanzierungsfrage sogar bereit ist, von der vorgesehenen Lösung 50 : 50 bei den stahlspezifischen Maßnahmen abzugehen und sogar zwei Drittel zu übernehmen, ist das meiner Ansicht nach ein Beitrag bundesstaatlicher Solidarität im Interesse der notleidenden deutschen Stahlindustrie. Ich danke Ihnen. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir eröffnen eine neue Runde. Der erste Redner ist der Herr Abgeordnete Schmitz ({0}). ({1}) - Dies ist eine Entscheidung des Präsidenten unter dem Gesichtspunkt, daß wir nicht drei Redner der gleichen Meinungsrichtung nacheinander haben wollen. Insofern ist es, glaube ich, sinnvoll, wenn Sie beginnen, Herr Schmitz ({2}).

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich hätte natürlich gern der Frau Kollegin Zutt den Vortritt gelassen, was Sie verstehen können. Ich hoffe, daß wir das bei der nächsten Gelegenheit wiedergutmachen, Frau Kollegin. Das schafft mir allerdings auch Gelegenheit, sofort auf einige Ausführungen der Frau Kollegin Frau Vollmer einzugehen. Ich habe das mit einiger Verwunderung hier gehört, wie Sie so modellhaft Schmitz ({0}) einige Dinge aufgezeigt haben. Ich muß Ihnen allerdings sagen: Dabei ist mir der Gedanke gekommen, was Sie eigentlich praktisch mit diesen Dingen verwirklichen wollen. Ich muß Ihnen sagen: Wenn Ihre Politik Wirklichkeit wird, Frau Kollegin Vollmer, dann ist es die Mischung aus Idylle und Ideologie. Und das hat noch keinen Menschen sattgemacht, muß ich Ihnen sagen. ({1}) Zu dem, was Sie aus Ihrer Politikschau da so sehen, muß ich sagen: Das wird dazu führen, daß die Nahrungsmittel, die dann durch Ihre Form von Landwirtschaft produziert werden, für uns alle nicht mehr bezahlbar werden. ({2}) - Ach, Herr Kollege Burgmann, wissen Sie: Es ist ja schön und nett, wenn Sie hier immer sagen, wir seien nicht lernfähig. Aber eines habe ich erfahren: daß die Leute, die hier mit einem Absolutheitsanspruch auftreten, als seien sie die Besserwisser der Nation, eigentlich in der Praxis immer versagt haben. Und das ist Ihr Dilemma, in dem Sie stehen. Und da sollten Sie eigentlich einmal korrigieren. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über den Agraretat des kommenden Jahres diskutieren - ({4}) - Aber gerne, Frau Kollegin.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Schmitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer? - Bitte schön, Frau Kollegin.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß das, was im Augenblick Praxis in der Agrarpolitik ist und was ja das Ergebnis Ihrer Politik über die Jahrzehnte ist, genau die gegenwärtig nicht mehr zu bewältigenden finanziellen und auch politischen Probleme in der Europäischen Gemeinschaft geschaffen hat, und würden Sie, wenn Sie sagen, daß das, was wir vertreten, eine Mischung aus - wie sagten Sie? - Idylle und Ideologie ist, nicht auch sagen, daß das, was Sie vertreten, doch eine Mischung von ({0}) Geschäft und äußerst schwierigen politischen europäischen Problemen ist?

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehen Sie, Frau Kollegin: Das ist genau der Grundirrtum. ({0}) Ich bestreite ja nicht, daß Sie in der Zustandsanalyse in einigen Punkten sogar recht haben mögen. Aber in den Konsequenzen daraus sind wir meilenweit auseinander. Ihre Konsequenzen führen garantiert in die Irre. Es bleibt bei dem, was ich eben gesagt habe: Idylle und Ideologie haben noch niemanden sattgemacht. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn wir den Agraretat des Jahres 1984 debattieren, können wir natürlich nicht daraus entlassen werden, daß wir hier auch über die Fragen der europäischen Agrarpolitik sprechen und gleichermaßen etwas über Athen sagen. Ich möchte nur soviel feststellen, daß nicht alles, was wir an Erwartungen in den Athener Gipfel gesetzt hatten, erreicht worden ist. Im Grunde genommen war es auch für uns eine Enttäuschung; das müssen wir sagen. Wir sagen auch dies, meine Damen und Herren: Die deutschen Landwirte müssen zunächst einmal weiterhin mit der EG-Agrarpolitik in der jetzigen Form leben. Die Kritik an der deutschen Landwirtschaft ist anscheinend vorprogrammiert. Wenn man diese Dinge einseitig betrachtet, könnte man zu einem solchen Ergebnis kommen. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu diesem Thema auch einmal etwas Grundsätzliches sagen. Die Landwirtschaft ist seit nunmehr 15 Jahren voll in die europäische Agrarpolitik eingebunden, in eine Politik, die bisher die Lasten des Zusammenschlusses, seien sie materiell oder psychologisch, tragen mußte, weil andere gemeinsame Politiken so gut wie nicht entwickelt waren. ({2}) Diese Politik, so sagen die Skeptiker, hat mehr schlecht als recht als Mittel des Finanzausgleichs der Gemeinschaft gedient. Sie ist aber andererseits die Voraussetzung der Zollunion - das wird meistens übersehen -, die gerade der deutschen Volkswirtschaft im laufenden Jahr wieder zu einem Außenhandelsüberschuß in Höhe von 25 Milliarden DM verholfen hat. ({3}) Dies sollten wir der deutschen Öffentlichkeit auch einmal sagen; es wird nach meiner Auffassung zuwenig beachtet. ({4}) Die EG-Agrarpolitik ist in ihrer Anlage und im Kern für meine Begriffe durchaus akzeptabel. Sie kann aber zum Sprengsatz werden, wenn sie weiter isoliert betrieben wird. Die Probleme sind, wie wir alle wissen, die wachsende Produktion und deren Finanzierung. Aber zur Europäischen Gemeinschaft gibt es für uns - hier stimme ich Bundeskanzler Helmut Kohl zu - keine Alternative, weder politisch noch ökonomisch. Wenn das so ist, müssen wir sie weiterentwickeln. Bei den Lösungsvorschlägen muß sich allerdings auch zeigen, ob die Lippenbekenntnisse zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft ernst gemeint sind. Sicherlich ist die Haushaltskonsolidierung eine vordringliche Notwendigkeit, jedoch ist die Si3222 Schmitz ({5}) cherung der bäuerlichen Existenzen ebenso wichtig. ({6}) Ich will nicht weiter auf die einzelnen Lösungsvorschläge eingehen, aber eines möchte ich sagen. Die von Herrn Minister Kiechle in der jüngsten Vergangenheit wirklich eingehend vorgetragenen Vorstellungen zielen in die richtige Richtung. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß uns die besten Lösungen nichts nützen, wenn nationale Egoismen weiterhin diese Politik regieren. Die Kritiker der Landwirtschaft sollten auf jeden Fall sehen, daß weder die deutsche Landwirtschaft noch die Bundesregierung die Ursache für diese Probleme ist, die im gemeinsamen Agrarmarkt existieren, sondern daß die Ursache in erheblichen Versäumnissen auch der Vergangenheit liegt. Dies muß hier kritisiert werden. Ich sage das hier so deutlich, weil es nach meiner Meinung nicht länger hingenommen werden kann, daß man die Landwirte für Dinge verantwortlich macht, deren Wurzeln in Wirklichkeit in der schwierigen Konstruktion der Gemeinschaft liegen. Vor den Problemen zu kapitulieren und die Hände in den Schoß zu legen, ist nicht unser Ziel. Das wollen wir nicht. Wir erwarten auch, daß in Paris die Dinge demnächst wieder auf einem Gipfel nach einer guten Vorbereitung vernünftig und zu unserer Zufriedenheit behandelt werden. Denn zu Europa gibt es für uns keine Alternative. ({7}) Lassen Sie mich zum Entwurf des Agraretats 1984 kommen. Im kommenden Jahr wird der Agraretat etwa 6 105 Millionen DM umfassen. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber dem letzten Jahr um 2,6%. Sie liegt - das sollten wir festhalten - über der Durchschnittssteigerung des Haushalts insgesamt. ({8}) Dazu muß man aber wissen, daß das seit 1973 erstmals wieder der Fall ist. In den vergangenen zehn Jahren betrugen die durchschnittlichen Zuwachsraten des Gesamthaushaltes 7,1 %, im Agrarbereich dagegen 1,1 %. Ich finde, das ist ein Fortschritt. Vor allem die Sparaktionen seit 1980 haben der Landwirtschaft besonders hohe Opfer abverlangt. Dies schlägt sich auch im Anteil der Landwirtschaft an den nationalen Subventionen nieder. Da möchte ich auch einmal mit einer Mär aufräumen: 1970 betrug der Subventionsanteil der Landwirtschaft noch 31,8%. Im laufenden Jahr und im kommenden Jahr wird dies auf 9,6% zurückgeführt. Diese Entwicklung, meine ich, ist dazu angetan, einmal mit dem Märchen aufzuräumen, daß die Landwirtschaft Subventionsempfänger erster Klasse sei. ({9}) Unter den Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes mußte in der Vergangenheit besonders auch die Agrarsozialpolitik leiden. Auch wir haben nicht daran vorbei gekonnt, Einschnitte vorzunehmen. Aber eines ist sicher: das Fundament der Agrarsozialpolitik ist erhalten geblieben. Dies können wir nicht hoch genug einschätzen. Es ist unangetastet geblieben. Hier, Frau Kollegin Vollmer, komme ich auf die Frage der Unfallversicherung zu sprechen. Wir haben sicherlich nicht alle unsere Erwartungen erfüllen können, denn ich habe ja auch diese Resolution bekommen. Aber eines ist sicher: Wir haben erreicht, daß der ursprüngliche Plan der sozialdemokratisch geführten Regierung, diese Zuschüsse zur Unfallversicherung in der laufenden Legislaturperiode bis 1984 auf Null abzusenken, aufgehoben ist. Wir haben sogar eine Möglichkeit geschaffen, über den Betrag von 279 Millionen DM für das Jahr 1984 hinausgehen zu können. Ich sage hier auch sehr deutlich in Richtung Bundesregierung, daß hier ein Handlungsbedarf besteht. Ich darf auf das zurückkommen, was Bundeskanzler Dr. Kohl anläßlich des Deutschen Bauerntages im Sommer gesagt hat, die Alte Last mit Bundesmitteln auszugleichen. Wenn hier das Ifo-Institut in einem Gutachten sagt, daß diese Alte Last etwa 380 Millionen DM umfaßt, dann ist es durchaus berechtigt, zu sagen, daß hier Handlungsbedarf besteht. ({10}) Ich bin ziemlich sicher, daß wir uns im kommenden Jahr und im Jahre 1985 dieser Frage zuwenden und sie lösen werden. ({11}) Seien Sie ganz beruhigt, Frau Vollmer, dies werden wir machen. ({12}) - Sie sagen „Bauernverband". Auch die Bauern und der Bauernverband wissen, daß wir angesichts der Hinterlassenschaft, des Riesenschuldenberges, nicht alle unsere Träume verwirklichen konnten. Das wissen wir. Aber wir gehen Schritt für Schritt daran, die Finanzen zu konsolidieren. Dann unterhalten wir uns im Jahre 1985 darüber, was wir gemacht haben und nicht gemacht haben, Frau Kollegin. Dann machen wir das. ({13}) - Wir machen das schon, Sie brauchen keine Sorge darum zu haben. An dieser Stelle bin ich ganz sicher. Sie können uns dann ja stellen, und dann haben Sie Gelegenheit, hier heraufzukommen und den Gegenbeweis anzutreten. Wir werden es, wenn es nicht geschehen ist, eingestehen. ({14}) - Herr Kollege Wolfram, Sie haben gerade gesagt „Nehmen Sie den Mund nicht so voll". Wenn ich Ihre Rede mal Revue passieren lasse und das mal auf die Ernsthaftigkeit überprüfe, kann ich nur sagen: wer den Mund zu voll genommen hat, das könDeutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3223 Schmitz ({15}) nen Sie an Hand des Protokolls spätestens morgen nachlesen; einigen wir uns darauf. ({16}) Ich pflege als Haushälter niemanden in dieser Form zu beschimpfen, aber ich möchte Sie bitten, den Stil des Hauses doch so zu wahren, daß Sie als Oberbürgermeister demnächst dort noch leben können. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein Wort zur Agrarstrukturpolitik sagen. Hier haben wir einiges auf den Weg gebracht. In der Agrarstrukturpolitik haben wir ein Agrarkreditprogramm geschaffen, das in der Höhe zwischen 50 und 70 Millionen anläuft. Wir hoffen, daß dies im Rahmen der Diskussion auch mit den Ländern angenommen wird. So wie es konstruiert ist, ist es möglich, daß hieraus auch Investitionen gefördert werden, die zur Erleichterung der Arbeit der Landwirtschaft, auch der mittleren und kleinen Betriebe, führen. Das ist ein Fortschritt gegenüber dem alten Programm. ({18}) Wir haben gleichermaßen in der Gemeinschaftsaufgabe den alten Zustand wiederhergestellt, weil wir wußten, daß hier Investitionen getätigt werden können, die den ländlichen Raum stärken, daß dort Investitionen gerade in den Bereichen getätigt werden, in denen die Arbeitslosigkeit oft recht hoch ist und die Alternativen gegen Null sind. Lassen Sie mich ein Weiteres sagen: Ich habe mich eigentlich gewundert, Frau Vollmer, daß Ihr Kollege im Haushaltsausschuß, als wir die 20 Millionen DM zur Verbesserung der Bekämpfung der Schäden im Wald eingesetzt haben, vor Staunen ganz blaß geworden ist - der Herr Kleinert wußte gar nicht, was er machen sollte - und nachher sogar dagegen gestimmt hat. Das muß man sich einmal vorstellen: Ein Grüner stimmt dagegen, daß wir waldbauliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Waldsterbens ergreifen! ({19}) Meine Damen und Herren, auf die Frage der Gasölverbilligung will ich hier nicht eingehen. Ich meine, daß wir das bei anderer Gelegenheit noch einmal werden besprechen können. Aber, Frau Kollegin Vollmer, grundsätzlich ist es doch so, daß wir, würden wir das abschaffen, zu einer schlimmen Wettbewerbsverzerrung kämen. ({20}) Das ist der einzige Grund, der dies aufrechtzuerhalten rechtfertigt. Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen: Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Bundesregierung unter Minister Ignaz Kiechle ({21}) in der Lage ist, eine Politik zu betreiben, die den Bauern dient, die das Ziel hat, in Europa wieder realistische Bezüge herzustellen und dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft wieder eine Zukunftsperspektive zu geben. Und darauf kommt es uns an. Vielen Dank. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Zutt.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten zum erstenmal den eigenen Haushalt einer konservativen Regierung für das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. ({0}) - Bei diesem Ministerium ist es das erstemal ein Haushalt von einer konservativen Regierung. ({1}) - Mein Gott, ich rede vom Einzelplan 10! Wir sind doch jetzt bei der Landwirtschaft! Im letzten Jahr stammte der ganze Haushalt doch noch von der sozialliberalen Regierung. Nur das Deckblatt und ein paar Ansätze waren gewechselt worden. ({2}) - Lassen Sie mich lieber weiterreden. ({3}) Daher steht mit diesem Haushalt auch zum erstenmal die Landwirtschaftspolitik dieser Regierung zur Debatte, und man wird festzustellen haben, ob sich diese Landwirtschaftspolitik innerhalb eines Jahres geändert hat oder nicht. Nun weiß man, daß sie sich innerhalb eines Jahres nicht grundlegend wenden kann. Darum muß man auf die kleinen Kurven besonders achten. Als erstes fällt auf, daß trotz vieler Reden zum Umweltschutz im Agrarbereich, die wir sonntags neuerdings hören, einige für eine Landwirtschaft in einer Industriegesellschaft als notwendig erachtete Instrumente werktags in aller Stille weggeschafft worden sind. ({4}) Weder hört man noch etwas von der Änderung der Landwirtschaftsklausel ({5}) noch wird die Einführung der Verbandsklage für anerkannte Naturschutzverbände erwogen. Die hatte vor zwei Jahren Herr Staatssekretär Gallus hier noch als etwas Positives für die Landwirtschaft hingestellt. Und von einer Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ist auch nicht mehr die Rede. Aber schlimmer, meine Damen und Herren, ist, daß man dort, wo Gesetze existieren, durch personelle Ausdünnung dazu beiträgt, daß sie nicht angemessen durchgeführt werden können. Ein Beispiel: Die Biologische Bundesanstalt braucht zur Durchführung des Chemikaliengesetzes neue Mitarbeiter und neue Planstellen. Die neuen Planstellen gibt es nicht. Und ich habe leider auch gar nichts von eifrigen Bemühungen des Herrn Ministers darum gehört. Anderen Häusern ist es trotz der allgemeinen Losung „keine neuen Stellen" durchaus gelungen, dort, wo es nötig ist, personelle Verstärkung zu erhalten, z. B. um, wie beim Bundesfinanzhof, aufgelaufene Rückstände von Verfahren abzubauen. Chemische Rückstände in Lebensmitteln wiegen offenbar leichter als Rückstände bei juristischen Verfahren. ({6}) - Herr Kollege Schmitz, Sie wissen, daß ich mit Ihnen und anderen sehr gerne diskutiere, heute aber - bei dieser herabgesetzten Redezeit - bitte nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Zutt, gilt das auch für den Herrn Abgeordneten Gallus, der Sie fragen wollte?

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gallus, tut mir leid. ({0}) - Das liegt an der Vereinbarung mit Ihrer Fraktion. Tut mir auch leid. Ich wollte noch von den Personalverstärkungen sprechen. Die allgemeine Losung „keine neuen Stellen" wird im Hause sonst gar nicht so streng eingehalten. Mit dem zweiten neuen Parlamentarischen Staatssekretär waren Sie doch schnell zur Hand. Das war auch eine neue Stelle. Im Finanzplan 1983 bis 1987 steht zu lesen, daß die Bundesregierung „die Erhaltung einer unternehmerisch ausgerichteten Landwirtschaft und funktionsfähige Agrarmärkte anstrebt". Daraus ist zunächst einmal zu entnehmen, daß diese Bundesregierung nach 13 Jahren sozialliberaler Regierung eine unternehmerisch ausgerichtete Landwirtschaft vorfindet, die sie erhalten will. Das klingt sehr gut. Es klingt nur ganz anders als die früheren lautstarken Lamenti der damaligen Opposition, die sozialliberale Regierung habe gegen die Bauern regiert - was Sie allerdings nicht daran hindert, eine den Strukturwandel positiv beeinflussende Maßnahme, nämlich die Landabgaberente, schnell abzuschaffen. ({1}) - Ich rede immer noch zum Finanzplan. Eine Antwort der Regierung, mit welchem Instrumentarium funktionsfähige Agrarmärkte erhalten werden sollen, steht allerdings noch aus. ({2}) Nun wäre es allerdings unfair, Ihnen, Herr Minister Kiechle, die ganze EG-Agrarproblematik an den Hals zu hängen. Denn sie bestand auch schon vor Ihrer Amtszeit. Daß die Überschüsse gerade bei Milch in diesem Jahr besonders rasant angestiegen sind, kann man Ihnen auch nicht - zumindest nicht allein - ankreiden. Doch Sie haben so getan, als ob die Überschußproduktion bei Milch lösbar sei, wenn man nur Ihrem Quotenmodell, das Sie lieber mit Garantiemengenmodell bezeichnen, zustimmen würde. Für diese Erwartungshaltung, die Sie gezüchtet haben, tragen Sie allein die Verantwortung. Nicht nur wir von der SPD-Fraktion haben Bedenken, auch der Wissenschaftliche Beirat in Ihrem Haus hat Bedenken gegen die Kontingentierung geäußert. Selbst Ihre Kollegen in den Ländern haben wohl ihre Zweifel nur hinter falsch verstandener Solidarität zurückgestellt. Nach dem Scheitern in Athen bleibt noch eine Galgenfrist, Ihren Lösungsansatz zu überdenken, wenn Ihnen der deutsche Agrarmarkt und die deutsche Landwirtschaft gleichermaßen am Herzen liegen. Nur mit mehr Markt werden wir allmählich den Agrarüberschüssen in Europa beikommen können. Daß ich Ihnen das als Sozialdemokratin sagen muß, Ihnen, die Sie glauben, das Credo der Marktwirtschaft erfunden zu haben! ({3}) Was Sie allerdings vorschlagen, Abschaffen des Marktes und mehr Bürokratie, muß zum Scheitern führen. ({4}) - Zu Europa lohnte es sich einiges zu sagen, doch fürchte ich, zu lang zu werden. ({5}) - Gut, Sie sollen Ihren Willen haben. Sie, Herr Minister, haben sich mit dem Quotenmodell bereits so identifiziert, daß wir - sollten Sie in dem überbürokratisierten Europa Erfolg haben, sprich: die anderen Regierungen vielleicht auch noch dazu kriegen - diesen Erfolg, so fürchte ich - wie manch anderer auch -, insgesamt teuer bezahlen werden müssen. ({6}) Denn im europäischen Poker wird man dann einen Preis verlangen. Ich fürchte, daß das entweder der Wegfall des Währungsausgleichs ist oder daß - das fürchte ich allerdings noch mehr - keine Regelung zur wirklichen Eindämmung der Überschüsse gefunden wird und dann der letzte Hebel, nämlich die Einhaltung der 1 %-Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage, aus der Hand gegeben wird, man den Deckel öffnet und sich auf 1,4 % Mehrwertsteuer einigt. Dann hätten alle Rückenstärkungen, die wir vom Haushaltsausschuß dem Finanzminister gegeben haben, überhaupt nichts genutzt. ({7}) Zum nationalen Agrarbudget hat Herr Schmitz einige Ausführungen gemacht. Der größte Posten entfällt hier auf die Agrarsozialpolitik. Trotz des gekürzten Zuschusses zur Altershilfe für Landwirte bleibt dies der wichtigste Teil. Die Verringerung der Bundeszuschüsse, die die sozialliberale Regierung begonnen hatte, bringt logischerweise höhere Beiträge für die einzelnen Landwirte. Hat er dieses Jahr noch monatlich 105 DM zu zahlen, zahlt er nächstes Jahr 129 DM. ({8}) - Ich muß daran erinnern, daß wir, als wir damals mit dieser Rückführung der Bundeszuschüsse begannen, zur gleichen Zeit ein Gesetz vorgelegt haben, das eine soziale Staffelung dieser Beiträge vorsah. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wissen sehr genau, daß dieses Gesetz damals mit Ihrer Hilfe im Bundesrat zu Fall gebracht wurde. Sie, Herr Minister Kiechle, haben sich nicht gescheut, als damaliger Sprecher der Opposition diesen Gesetzentwurf als sozialistisches Teufelswerk zu bezeichnen. ({9}) Darum wundert es mich nicht, daß, obwohl ein Gesetz aus dem Arbeits- und Sozialministerium jetzt schon im Landwirtschaftsministerium vorliegt, das eine sozial gerechtere Verteilung der Zuschüsse vorsieht, es von Ihnen einfach nicht auf den Tisch gelegt wird. Mit diesem Nichtstun liegen Sie allerdings völlig auf Regierungslinie. Denn Ihre Weigerung, bei der Verteilung öffentlicher Mittel soziale Maßstäbe anzulegen, belastet nur die kleinen Bauern und entspricht den tiefen Einschnitten bei den sonstigen Sozialgesetzen. ({10}) Schnell und unbürokratisch wollen Sie statt dessen mit einem Agrarkreditprogramm helfen. Das ist sicher keine schlechte Sache. Nur: Wenn Sie allen kleinen und mittleren Bauern helfen wollen - das sind rund drei Viertel der bäuerlichen Familienbetriebe -, dann wird es Zeit, den Gesetzentwurf vorzulegen. Die verschiedenen Kürzungen und Umschichtungen im Landwirtschaftshaushalt lassen nichts von dem erkennen, was Sie hier als Zielsetzung vorgeben. Vom Sparen und Umschichten von konsumtiven zu investiven Ausgaben ist nichts zu merken. Die Gemeinschaftsaufgabe bleibt im nächsten Jahr mit dem gleichen Ansatz erhalten. Von sozialer Marktwirtschaft als ordnungspolitischem Credo der jetzigen Regierung und gleichzeitigem Subventionsabbau ist ebenfalls, nichts zu merken. Die Gasölbetriebsbeihilfe ist dafür ein gutes Beispiel.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Zutt, ich muß Sie leider unterbrechen. Die für Sie angemeldete Redezeit ist abgelaufen.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich noch zwei Minuten sprechen? Ich bin gleich fertig.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bringen Sie bitte Ihren Gedanken mit einigen Sätzen zum Schluß.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Art zu sparen ist wie folgt: Sie setzen erst zu hohe Ansätze ein, wie bei der Gasölbetriebsbeihilfe, die um 40 Millionen DM zu hoch mit 700 Millionen angesetzt war. Von der Kürzung wurden 20 Millionen DM zur Bekämpfung des Waldsterbens umgeschichtet. ({0}) - Es tut mir leid; wenn es so weitergeht, kann ich nicht reden. ({1}) Ich habe gedacht, diese Koalition sei etwas disziplinierter. Ich hätte gern noch etwas zu der Art und Weise gesagt, wie unseriös Kürzungen und Umschichtungen vorgenommen werden. ({2}) 24 Millionen DM der Einsparungen vom Agraretat wurden zur allgemeinen Konsolidierung verwendet. Kaum haben die Unfallversicherungen das gehört, haben sie laut geschrien, und ganz schnell haben dann die Agrarier sehr gewitzt durch Herrn Schmitz einen Haushaltsvermerk angebracht, daß man 10 Millionen DM von der Krankenversicherung, die eventuell eingespart werden, der freiwilligen Unfallversicherung zusteht. Herr Schmitz weiß sehr wohl, daß dies nicht seriös ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Zutt, ich muß Sie bitten, den letzten Satz zu sprechen.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es tut mir leid, daß ich das nicht weiter ausführen kann. Zum Schluß einen Satz. Aus den Ausführungen ist - auch wenn ich nicht fertig geworden bin - deutlich geworden, daß wir dem Haushalt in der vorgelegten Fassung nicht zustimmen können, weil wir ihn nicht für ein geeignetes Mittel halten zur Bewältigung der anstehenden Probleme im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. ({0}) Wir sind aber bereit und durchaus gut gelaunt, weiter mit Ihnen zu streiten. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der nächste Redner ist der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß Sie bei mir auch so großzügig sind. Verehrte Frau Zutt, zu Ihnen zunächst ein ganz kurzes Wort. Sie haben so sehr beklagt, die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes finde nicht statt. Ich kann nur sagen: Daran wird diese Koalition 1984 gehen. Sie haben auch beklagt, daß die Verbandsklage nicht komme. In all den Jahren mit Ihnen zusammen haben wir sie nicht durchsetzen können. Ich sage auch ganz deutlich, daß das in dieser Koalition - darüber sind wir uns einig - in dieser Legislaturperiode nicht angefaßt wird. ({0}) Unsere Position kennen Sie aber alle. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, ich muß Ihnen wirklich sagen: Agrarpolitik findet bei Ihnen doch nicht mehr statt, nachdem Sie nicht mehr in der Regierung sind. Ihr Oppositionsvorsitzender Herr Vogel spricht nur noch vom „Ärgernis der europäischen Agrarpolitik", und Ihr neuer agrarpolitischer Sprecher, der Herr Hauff, glänzt hier immer durch besonders inkompetente Beiträge. ({1}) Der Einzelplan 10 wird 1984 auf 6,104 Milliarden DM und damit um 2,6 % ansteigen. Nachdem wir in den vorhergegangenen Jahren hier immer Einsparungen vornehmen mußten, liegt der Agrarhaushalt damit erstmals über dem Zuwachs des Gesamthaushalts. Das sollte man doch auch einmal positiv herausstellen. ({2}) Angesichts der schwierigen Einkommenssituation und der Einkommensrückgänge der landwirtschaftlichen Betriebe im Wirtschaftsjahr 1983/84 ist dieser Agrarhaushalt konjunkturgerecht und wird von uns unterstützt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigen Sie, ich bin mit der Zeit so knapp. Tut mir leid, Herr Kollege, ich hätte es sonst gerne gemacht. Unsere Agrarsozialpolitik ist zu einem agrarsozialen Sicherungsinstrument ausgebaut worden, um das uns viele Berufskollegen in anderen Ländern beneiden. 3,5 Milliarden DM werden für die landwirtschaftliche Sozialpolitik bereitgestellt. Das sind fast 60 % des Agrarhaushalts. Bei der Altershilfe wurde der Bundeszuschuß von 79,5 % auf 75 % für die gesamte Legislaturperiode festgeschrieben. Trotz der dadurch notwendigen Beitragserhöhung um rund 8 % kann man nicht von einem Sonderopfer für die Landwirtschaft sprechen. Man muß diese Einsparungen im Gesamtzusammenhang mit den notwendigen Einsparungen sehen, die wir auch anderen Bevölkerungsgruppen zumuten. Die von der FDP geforderte gerechtere Verteilung der Bundesmittel nach der betrieblichen Leistungsfähigkeit muß nun im nächsten Jahr verwirklicht werden. Ein erster Referentenentwurf liegt uns jetzt vor. Wir begrüßen es, daß entgegen der Mittelfristigen Finanzplanung der Zuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit 279 Millionen DM in voller Höhe erhalten bleibt. Unser Dank gilt hier insbesondere Herrn Bundesminister Kiechle für seinen außerordentlich energischen Einsatz. ({0}) Trotzdem wird es bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zunehmend zu Beitragserhöhungen kommen, da eine Alte Last von fast 400 Millionen DM jährlich verkraftet werden muß. ({1}) Der Bundeskanzler ist hier im Wort, indem er uns auf dem Bauerntag in Freiburg erklärt hat, daß die Abdeckung der Alten Last ein berechtigtes Anliegen sei. Insgesamt möchte ich für den Agrarsozialbereich feststellen: Trotz einer geringfügigen, aber notwendigen Kürzung der Mittel ist es für das Jahr 1984 gelungen, untragbare Belastungen und Veränderungen für die Beitragszahler und die Leistungsempfänger in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu vermeiden. Im investiven Bereich des Haushaltes der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz stehen uns wiederum 1,155 Milliarden DM zur Verfügung. Der Haushaltsausschuß hat den Ansatz noch einmal um 20 Millionen DM erhöht, die für forstliche Maßnahmen - das wurde vorhin schon angesprochen - auf Grund neuartiger Waldschäden und damit zur Wiederherstellung und Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer Wälder verwandt werden sollen. Die in der Gemeinschaftsaufgabe eingesetzten Mittel haben in Verbindung mit den entsprechenden Komplementärmitteln der Länder und dem erheblichen Eigenanteil der Investoren eine hohe Beschäftigungswirkung im ländlichen Raum. Auf Grund der wirtschaftlichen und agrarpolitischen Entwicklung und nach intensiven Diskussionen auch im Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages kommt es bei der Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe im Jahre 1984 allerdings zu wichtigen und notwendigen Änderungen. Die Mittel für die einzelbetriebliche Förderung werden deutlich zugunsten der überbetrieblichen Maßnahmen - wie Wasserwirtschaft, Flurbereinigung usw. - eingeschränkt. Der Bundesminister hat die volle Unterstützung der FDP, angesichts der Überschußsituation auf den Märkten die Investitionsförderung zur Kapazitätsausweitung im Bereich der Milch- und Schweineproduktion auszusetzen. ({2}) Dies ist aber für die gesamte EG notwendig. Die deutsche Landwirtschaft kann hier nicht einseitig Vorleistungen erbringen. ({3}) Das neu eingeführte Agrarkreditprogramm wird von uns unterstützt. Hierdurch hat eine größere Anzahl klein- und mittelbäuerlicher Betriebe die Chance, gefördert zu werden, auch wenn teilweise vielleicht Hoffnungen erweckt werden, die die Agrarpolitik nicht einlösen kann. Die FDP-Forderung, daß dieses Agrarkreditprogramm nicht zur Produktionsausweitung in Überschußbereichen verwandt werden darf, wurde erfüllt. Wir wollen ab 1984 wieder Dorferneuerungsmaßnahmen fördern, die die Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft verbessern, die die Lebensverhältnisse in unseren Dörfern verbessern und somit zur Erhaltung bäuerlicher Landwirtschaft und eines funktionierenden ländlichen Raumes beitragen. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir stehen in der Agrarpolitik vor einer sehr schwierigen Wegstrecke. Nachdem im Wirtschaftsjahr 1982/83, sozusagen dem letzten Amtsjahr unseres so erfolgreichen Landwirtschaftsministers Josef Ertl, ({4}) die Einkommen der Landwirte deutlich anstiegen, haben die Landwirte im laufenden Wirtschaftsjahr einen Einkommensrückgang zu verkraften. Die Vorschläge der EG-Kommission zum Abbau des Währungsausgleichs könnten natürlich zu einer weiteren Preissenkung nur für die deutschen Landwirte führen. Die EG-Gipfelkonferenz in Athen ist bezüglich der notwendigen Entscheidungen zur Agrar- und Finanzreform gescheitert. Dies erfüllt uns mit Sorge; denn mit der gegenwärtigen Ungewißheit können unsere Landwirte nicht leben. Sie müssen wissen, wohin die Reise geht. Deshalb bin ich Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sehr dankbar, daß er gestern in seiner Rede noch einmal deutlich gemacht hat, daß es keine Einigung auf Kosten und auf dem Rücken der bäuerlichen Familienbetriebe geben wird. ({5}) Unsere Landwirte können sich hier auf die FDP verlassen. Hans-Dietrich Genscher hat noch einmal deutlich gemacht, daß es nicht das Ziel unserer Politik sein kann, Milchfabriken in der EG mit dem Geld unserer Steuerzahler zu lukrativen Einkommen zu verhelfen. Deshalb ist auch der Vorschlag der EG-Kommission so abwegig, der durch eine Quotenzuteilung diesen Milchfabriken die hohen Einkommen auf Kosten des Steuerzahlers für die nächsten 10 Jahre garantieren will, während unseren bäuerlichen Betrieben jede Entwicklungschance genommen wird und sie damit über kurz oder lang aufgeben müssen. Hier muß alles getan werden, um zu der notwendigen Kompromißlösung beizutragen. Nachdem in den letzten 35 Jahren über die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe aufgeben mußte und die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen um 70 % abnahm, stehen wir in den nächsten Jahren vor der Entscheidung, ob bäuerliche Landwirtschaft noch eine Zukunft hat. Wenn in meiner Oldenburger Heimat z. B. jetzt ein Agrarindustrieller einen Antrag auf Errichtung eines Sauenstalles für 4 100 Tiere stellt ({6}) und damit 100 bäuerlichen Betrieben, die mit 40 Sauen eine Existenz haben, die Existenz bzw. den Markt wegnimmt, so müssen wir uns fragen, ob die Möglichkeiten unserer Steuergesetzgebung oder die Auflagen, die unsere Umweltgesetzgebung uns ermöglicht, ausreichen, um solchen Fehlentwicklungen zu begegnen, oder ob nicht doch als letzte Möglichkeit Höchstbestandsgrenzen eingeführt werden müssen. ({7}) Meine Damen und Herren, der heute zu verabschiedende Agraretat, in dem es, wie ich ausgeführt habe, einige neue Schwerpunkte gibt, läßt der bäuerlichen Landwirtschaft alle Chancen. Daher möchte ich mich beim Landwirtschaftsminister, dem Finanzminister, den Kollegen des Ernährungsausschusses, des Haushaltsausschusses und auch den Beamten herzlich bedanken. Die FDP wird dem Einzelplan 10 ihre Zustimmung geben. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich als erstes ebenfalls sehr herzlich bei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sowie bei allen Mitarbeitern bedanken, die sich viel Mühe mit dem Einzelplan 10 gegeben haben, um ihn im Rahmen der Beratungen so zu gestalten, daß wir die Agrarpolitik im kommenden Jahr nunmehr in einer Form durchführen können, wie wir sie für richtig halten. Vor uns liegt ein agrarpolitisch schwieriges Jahr. Wir werden nicht nur mit Geld, sondern auch mit geduldigem Bemühen und vielleicht auch mit der einen oder anderen neuen Idee versuchen müssen, den jetzigen neuen Gegebenheiten, denen sich die Agrarpolitik stellen muß, Rechnung zu tragen. Wir werden uns dieser Mühe durchaus unterziehen. Ich bitte auch das Parlament um Mitarbeit dabei. Wir haben nun einmal geänderte Fakten. Bisher war die Agrarpolitik auf Intensivierung, auf Produktivitätssteigerung, auf Wachsen ausgerichtet. Dabei wurde in Kauf genommen, daß Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft in andere Bereiche abwandern konnten; dies hat sich grundlegend geändert. Wir haben jetzt volle Märkte, und zwar bei Lebensmitteln in Europa ganz besonders volle. Das ist im übrigen kein fundamentaler Fehler. Wenn wir nach Osten blicken, dann finden wir im gleichen Europa noch Länder, in denen die Hausfrauen 40 Jahre nach dem Krieg noch Schlange vor den Läden stehen. ({0}) Mir ist es schon lieber, wenn wir in unserem freien Westen das Problem der zu vollen Läden als das der zu leeren Läden haben. ({1}) Es ist aber immerhin ein Problem; das kann man nicht bestreiten. Wir haben zweitens keine Arbeitsplätze mehr, die wir noch etwa qua Politik nach dem Motto „Geh' doch da weg und dort hin" anbieten könnten. Wir haben in Europa leider über 12 Millionen Arbeitslose - selbst in der Bundesrepublik Deutschland über 2 Millionen - und wir werden sie wegen des nicht stattgefundenen und versäumten Strukturwandels der letzten zehn Jahre auch noch eine ganze Reihe von Jahren haben. Wir können die Frage nach möglichst hoher Intensität beispielsweise auch in der Landwirtschaft nicht mehr nach alten Schemas beantworten. ({2}) Themen der Ökologie stellen sich uns mit ganz eindeutiger Klarheit. Der Wald hat uns ein Signal gegeben, was passiert, wenn die Natur überlastet wird. Wir können uns auf anderen Gebieten - sei es nun beim Boden oder wo auch immer - den Test, wie weit wir mit der Intensität gehen dürfen, nicht leisten. Wir müssen vorher Untersuchungen durchführen und rechtzeitig dafür sorgen, daß solche Entwicklungen - etwa im Bereich der Belastung von Pflanzen, des Bodens und ähnlichem - nicht passieren, wie sie beim Wald schon passiert sind. ({3}) Bei der Weichenstellung in der Agrarpolitik bedarf es daher künftig noch erheblich größerer Behutsamkeit, als man in der Vergangenheit glaubte. Ich mache damit keine Schuldzuweisung. Auch wir selbst haben in den letzten 15 Jahren nicht immer vorher geahnt und ahnen können, wie die Entwicklung laufen wird. Meine Damen und Herren, es wird auch ein Teil der Agrarpolitik der nächsten Jahre dieser Bundesregierung sein, sehr behutsam mit den Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft umzugehen. ({4}) Auch sie sind volkswirtschaftlich wichtig und wertvoll, und es ist besser, sie, wo das möglich ist, rechtzeitig abzusichern, bevor sie verlorengehen. Das gilt dann besonders, wenn man nachher keine Alternative für diese Arbeitsplätze hat. Ich meine, mit einer solchen, in wenigen Gedankenstrichen zusammengefaßten Zielrichtung dessen, was wir Agrarpolitik nennen wollen, ist auch ausgesagt, in welche Richtung die Politik gehen soll. Das Wort von Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung, daß wir eine Agrarpolitik machen wollen und machen werden, die dem bäuerlichen Familienbetrieb dient, wird auch in praktische Politik umgesetzt. Die Kollegen hier haben es ja zum Teil schon gesagt: Wir setzen diese Politik bei der Agrarstrukturpolitik, also bei der Förderpolitik, um. Wir werden in der Sozialpolitik, wo es sich ermöglichen läßt, und in Beratungen mit dem Berufsstand und allen in Frage kommenden Betroffenen dem Aspekt einer möglichst großen sozialen Gerechtigkeit mehr Gewicht verleihen. Wir werden besonders die jungen Landwirte berücksichtigen, und wir werden auch Gesetzgebung auf den Weg bringen, um mehr Bodenmobilität zu erreichen, aber nicht über Druck, sondern durch Erleichterungen. Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem einen oder anderen hier Gesagten machen. Frau Zutt, mich dürfen Sie ruhig konservativ nennen. Das ist für mich nicht im geringsten eine Beleidigung oder etwas Ähnliches. ({5}) Ich bin ein Konservativer. Konservativ sein: Das heißt conservare, d. h. bewahren. Ich sage Ihnen voraus, die junge Generation wird uns in zehn, 15 Jahren fragen, was wir an Gutem auch im Umgang mit der Natur bewahrt haben, und nicht, was wir durch unsere Neuerungssucht dauernd aufs Spiel gesetzt haben. Insofern finde ich das ganz ausgezeichnet. ({6}) Wir sind selbst liberal genug, um nicht einseitig zu sein. In der Koalition sind sogar Liberale, Konservative und Christliche zusammen. Da kann mit dieser Bezeichnung gar nichts passieren. Frau Zutt, Sie waren ein bißchen aufgeregt; das hat mir leidgetan, weil Sie so eine charmante Kollegin sind. ({7}) Die Agrarier beißen doch im allgemeinen gar nicht. Sie haben hier einige Gedanken vorgetragen; ich will jedoch wegen der Kürze der Zeit nur zu einem Punkte Stellung nehmen. Der beliebte Milchmarkt, der ein Beispiel für die Überdehnung einer Marktordnung darstellt und deswegen bestimmter Korrekturen bedarf, hat es Ihnen besonders angetan. Leider haben Sie nicht hinzugefügt, was Sie mit der allgemeinen Bemerkung, nur durch mehr Markt sei dieser Milchmarkt in Ordnung zu bringen, denn meinen. Ich muß also auf das zurückgreifen, was Ihr Kollege Müller, der Obmann im Ernährungsausschuß ist, hier an diesem Pult gesagt hat. Er hat gesagt: Preise senken, das sei das Rezept, das unter „mehr Markt" zu verstehen sei, und zwar längerfristig, über längere Zeit. Wenn das allerdings gemeint ist - und offensichtlich ist es das -, so kann ich dem aus sozialen Gründen nicht zustimmen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr, Vollmer?

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Weil Sie so freundlich lächeln, bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich hatte mir das schon lange vorgenommen und möchte Sie nun bei dieser Gelegenheit öffentlich fragen, wie es denn mit Ihren Plänen steht, die ich sehr begrüßt habe, die Futtermittelimporte zu stoppen, denn das wäre meines Erachtens die beste Regelung, um die Milchmarktprobleme zu lösen. Wie weit sind Sie damit in der Praxis vorangekommen?

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Ich gebe Ihnen gleich darauf im Rahmen meiner Ausführungen eine Antwort. Sie dürfen sich also gerne hinsetzen. Es kommt gleich. Frau Zutt, Preise senken heißt soviel wie Löhne senken, denn was Sie hier senken, wie auch immer ist das, was die Bauern nach Produktionskosten übrigbehalten. Es ist sozusagen netto verfügbares Einkommen. Wenn Sie insgesamt Preise senken, nehmen Sie oben weg. Ich kann das nicht verantworten. Im übrigen ist das nicht mengensteuernd. Für die Mitverantwortungsabgabe gilt dasselbe, wenn auch mit einer, wie ich zugebe, Einschränkung: Bei ihr käme wenigstens Geld in die Brüsseler Kasse was bei einer Preissenkung noch nicht einmal der Fall wäre. Ich habe mich aber entschieden - und hier haben Sie sich geirrt, gnädige Frau -, den Kommissionsvorschlag zu unterstützen. Es ist nicht unbedingt meine Erfindung; es ist der Kommissionsvorschlag, der aus vielerlei Gründen mit einigen Abwandlungen unterstützt wird. Ich weiß, daß auch dies noch ein problematisches Instrument ist, halte es aber für das einzig Wirksame, und ich halte es auch für das Instrument, das der Landwirtschaft bei der Korrektur des Milchmarktes am wenigsten Opfer abverlangt. Deswegen trete ich dafür ein. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Herr Kollege Oostergetelo Sie hatten doch durch Ihren Fraktionssprecher Gelegenheit. Seien Sie mir nicht böse, alle Kollegen warten darauf, daß ich fertig werde. ({0}) Nun hat die Frau Kollegin Vollmer eine Frage wegen der Substitute und wegen des Abblockens gestellt. Gnädige Frau, wir sind nicht in der Lage, das Welthandelsabkommen zu kündigen. Wenn wir es kündigen wollten, müßten wir eine Dekonsolidierung in Kauf nehmen, oder wir müßten für durch staatliche Maßnahmen herbeigeführte Beschränkungen Ersatz leisten, was im Konkreten möglicherweise hieße: Ersatz bei unseren Exporten industriellgewerblicher Güter. Wir sind ehrlich und offen genug, zu sagen: Auf ein solches Unterfangen wollen wir uns auch im Sinne von Arbeitsplätzen, die außerhalb der Landwirtschaft liegen, nicht leichtfertig einlassen. ({1}) Aber, Frau Vollmer, die Garantiemengenregelung würde beinhalten, daß im Bereich der Produkte, bei denen die Garantiemengen verringert werden, zwangsläufig auch weniger Substitute verwendet würden und sich vor allem von diesem Tage an keine neuen Produzenten von Substituten mehr etablieren könnten. Dies ist vielleicht der wirksamste - und im übrigen völlig GATT-konforme - Weg. ({2}) Insofern ist auch auf diesem Umweg etwas zugunsten der mittleren und der kleineren Bauern zu erreichen. Sie, Frau Kollegin Vollmer, haben in Ihrem Beitrag etwas gesagt, was ich hier so nicht stehenlassen möchte. Sie haben gesagt, 7 % der Bodennutzfläche seien heute bereits sehr stark belastet. Sie greifen da auf eine zehn Jahre alte Untersuchung von Herrn Professor Kloke zurück, der damals festgestellt hat, 7 % der Nutzfläche seien mit Immissionsbelastung versehen. Der Korrektheit halber möchte ich hier sagen, daß er in seinen Aussagen festgestellt hat: Mit Ausnahme ganz geringer Flächen sind überall noch gesundheitlich unbedenkliche Nahrungsmittelproduktionen auf diesen Böden, die allerdings schon belastet sind, möglich. Das gilt also - und zwar nach den Richtwerten des Bundesgesundheitsamtes - mit Ausnahme ganz geringer Flächen. Dies ist etwas anderes, als wenn hier etwa stehenbliebe, 7 % unserer Nutzfläche seien bereits durch Immissionen so geschädigt, daß man darauf nur noch industriell verwertbare Früchte produzieren könnte. Sie haben sich besonders stark gegen Äthanol als ein Zukunftsprodukt gewandt, und die entsprechende Forschung wollen Sie im Haushalt auch ablehnen. Ich möchte Sie bitten, doch auch einmal über folgendes nachzudenken. Wenn es gelänge, Äthanol als einen Zusatzstoff für Kraftstoffe zu verwenden, ({3}) würden wir ein biologisch hergestelltes, einwandfreies Produkt statt sonst wahrscheinlich nötiger chemischer Produkte für die Klopffestigkeit des Treibstoffes verwenden, und dies wäre ein sehr umweltfreundlicher Verbrennungsvorgang. ({4}) Man muß alle Aspekte bedenken, bevor man mit Absolutheit gegen irgendeinen neuen Gedanken vorgeht. Ich würde gern noch ein Wort zu Athen sagen. Ich schließe mich dem an, was der Herr Kollege Bredehorn hier gesagt hat. Ich kann nur bestätigen: Nicht nur Herr Außenminister Genscher, sondern auch der Herr Bundeskanzler - im übrigen in Übereinstimmung mit ihm auch der Herr Finanzminister und der Herr Wirtschaftsminister - sind sich mit dem Landwirtschaftsminister darin einig, daß es Lösungen, die etwa auf dem Rücken der Bauern gefunden oder ausgetragen werden müßten, nur weil andere Mitgliedstaaten dies fordern, nicht geben wird. ({5}) Dabei sind wir uns trotzdem darüber im klaren, daß selbstverständlich beim Finden von Kompromissen auch die Beweglichkeit der eigenen Positionen - allerdings nicht der absoluten Grundsatzpositionen - gefragt ist. Es gibt eine Pressemeldung von heute, in der mitgeteilt wird, der französische Außenminister habe im französischen Parlament erklärt, die Deutschen und die Franzosen hätten bereits hinsichtlich des Währungsausgleichs und der entsprechenden Beträge eine Regelung gefunden, die mit Terminen und Daten, also mit einem Terminkalender und genauen Zahlenangaben, verbunden sei. Ich kann darauf nur antworten, ohne diese Aussage des französischen Außenministers näher zu kennen: Es gibt keine Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, auch keine Vereinbarung über Termine und Zahlen; dies wollte ich noch anfügen. Meine Damen und Herren, ich darf mich noch einmal bei allen Ausschußmitgliedern bedanken. Trotz Sparzwangs und sicher sparsam ausgestatteten Agrarhaushalts hoffe ich, daß wir die Agrarpolitik im Jahre 1984 vernünftig, gut und mit der von mir skizzierten Zielrichtung durchführen können. Ich möchte Sie alle herzlich bitten, dem Haushalt, der ja nun wirklich in jeder Beziehung ein, wie ich meine, sehr unproblematischer Haushalt ist, zuzustimmen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen nun zu einer familienpolitisch bestimmten Runde, zum Bereich Jugend und Gesundheit. Als erster hat der Abgeordnete Hauck das Wort.

Rudolf Hauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach so viel Aufschwungs-euphorie der Koalition muß ich noch einmal zur bitteren Wahrheit dieser Weihnachtszeit zurückführen. Erinnern Sie sich noch an jenen rheinland-pfälzischen Sozialminister - er ist jetzt Generalsekretär und Bundesminister -, der in den 70er Jahren für die CDU die neue soziale Frage entdeckte? All jene sollten besonders in die Obhut genommen werden, denen große Interessenverbände keinen oder nicht ausreichenden Beistand gewährten. Wie sieht das nun heute aus? Aus der neue sozialen Frage ist die neue Armut geworden, ({0}) die sich im alten Gewand in unserer Republik breitmacht ({1}) und besonders jene erfaßt, die keine starke Lobby haben: ({2}) Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, alte, kranke und behinderte Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, berühren die Briefe, Gespräche, Eingaben und Hilferufe der Hunderttausende von Behinderten, deren Eltern und Sozialhilfeempfängern Sie eigentlich überhaupt nicht, die die Welt nicht mehr begreifen und nicht verstehen, warum die Sparpolitik sie am härtesten trifft, gerade sie, die neben materiellen Engpässen, zum Teil beengten Wohnverhältnissen, vor allem auch physisch und psychisch schwersten Belastungen ausgesetzt sind? ({3}) Sie greifen im Rahmen Ihrer Haushaltskonsolidierung voll in den untersten Bereich hinein und stellen die Substanz der Sozialhilfe, die für mich das kulturelle und humanitäre Fundament unserer sozialen Ordnung ist, in Frage. Wir waren uns doch schon einmal - 1982 - fraktionsübergreifend einig, daß wir in der Sozialhilfe keine kurzatmigen Veränderungen vornehmen wollen. Erinnern Sie sich daran, daß wir 1982 die vom Vermittlungsausschuß vorgenommenen Änderungen - ich denke an das Taschengeld für Heimbewohner und an die Kostenbeteiligung der Eltern behinderter Kinder - hier gemeinsam zurückgenommen haben? Dies war nicht Schwäche oder Zurückweichen vor dem Druck der Straße, wie einige verächtlich meinten. Nein, dies war vielmehr ein Schritt, der von der Erkenntnis getragen war, daß man einen so sensiblen Bereich in seiner innergesetzlichen Ausgewogenheit nicht durch unsystematische Eingriffe weiterhin gefährden darf. ({4}) Dieser Grundsatz gilt für meine Fraktion heute noch genauso wie damals. Wir bedauern nur, daß die CDU/CSU, nun in der Regierungsverantwortung, diesen Grundsatz, der fast ein Konsens war, verlassen hat und mit Art. 21 des Haushaltsbegleitgesetzes im BSHG entscheidende Änderungen vornimmt, ({5}) die in dieser isolierten Form unausgereift sind und jeglicher sozialen Gerechtigkeit entbehren. ({6}) Wenn Sie uns diese Feststellung nicht glauben, dann verweise ich auf das Ergebnis der Sachverständigenanhörung am 12. Oktober 1983, ({7}) in der fast alle Sachverständigen einhellig der Meinung waren, daß die punktuellen Eingriffe, die die Bundesregierung in einer überhasteten Art und Weise vornimmt, ausschließlich unter fiskalischen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Besonders stark hat mich die Aussage des für den Caritasverband anwesenden Nestors der katholischen Soziallehre, Prof. Dr. Oswald von Nell-Breuning, berührt. Er brachte seine große Sorge zum Ausdruck, daß durch eine Vielzahl von in sich sehr geringfügigen Maßnahmen, die sich zum Ziel setzen, hier und dort eine Ersparnis zu erreichen, der Grundgedanke, ja sogar die ordnungspolitische Entscheidung, die in den 50er Jahren mit dem BSHG getroffen worden ist, getrübt, ja sogar grundlegend verfälscht wird. ({8}) So ist es. Denn die Erfüllung des sozialstaatlichen Auftrags, jedem die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, hängt entscheidend von der Möglichkeit individueller Leistungsbemessung ab. ({9}) Im Gegensatz dazu stehen die vorgeschlagenen Veränderungen, insbesondere die unzureichenden Regelsätze für Empfänger laufender Hilfen, die Nichtanrechnung der Mieten in ihrer tatsächlichen Höhe, die Nichtanrechnung von Mehrkosten bei besonderen Bedürfnissen. Ich könnte hier noch andere Beispiele bringen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir uns im klaren sein müssen, daß diese Beispiele Einzelschicksale kennzeichnen, die fast wie Hilferufe klingen. ({10}) Besonders erschütternd sind nicht nur diese Einzelschicksale, sondern besonders erschütternd ist auch die Tatsache, daß es bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes Behörden und Ämter gibt, die diese Verschlechterungen ohne individuelle Rücksichtnahme rigoros durchsetzen und damit praktisch schon Unruhe draußen verbreiten. Lassen Sie mich noch zwei Punkte nennen, die mich innerlich empören und beunruhigen, weil ich sie fast als zynisch empfinde. Erstens nenne ich das meines Erachtens völlige Fehlverständnis bzw. die Fehlinterpretation des für die Sozialhilfe maßgebende Subsidiaritätsprinzips. Der Hinweis auf notwendige Verlagerung von Positionen vom „großen Netz" auf „kleine Netze", sprich: Angehörige, Selbsthilfegruppen und örtliche Einrichtungen, hilft nicht weiter, wenn die „kleinen Netze" finanziell nicht in die Lage versetzt werden, die ihnen zugedachten Aufgaben zu erfüllen. ({11}) Der Sozialstaat darf sich doch nicht mit dem Hinweis auf die Subsidarität aus der Verantwortung stehlen. Eine Sozialpolitik, die auf das Prinzip „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott" setzt, ist, wie ich schon sagte, zynisch und nicht vertretbar. ({12}) Genauso empörend finde ich zweitens die so oft versuchte Inanspruchnahme des Sozialhilfeempfängers, der Behinderten oder sagen wir einfach: der sozial Schwachen als Alibipersonen für die Begründung von Kürzungen und Verschlechterungen in anderen Bereichen. Es ist geschmacklos, wenn man die Floskel hört, da ja vom Sozialhilfeempfänger Opfer gefordert würden, müsse man auch im Jugend- und Familienbereich sparen, müsse man für eine Besoldungspause im öffentlichen Dienst Verständnis haben, müsse man bei Tarifverhandlungen Zurückhaltung üben usw. usw. Was soll dies alles? Wo kommen wir hin, wenn wir das schwächste Glied im sozialen Sicherungssystem als Eckposition darstellen, statt zu überlegen, wie man jenen hilft, die fast schon unterhalb des Existenzminimums liegen? Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den Kommunalfinanzen, die hier auch eine Rolle spielen. Ohne Zweifel resultiert die Finanzknappheit der Städte, Gemeinden und Kreise auch aus den enormen Belastungen, denen die Sozialhilfeetats ausgesetzt sind. Die enorme Kostensteigerung ist in den letzten Jahren durch mehrere Faktoren beeinflußt worden, nicht zuletzt durch die mittelbaren Auswirkungen der Haushaltsgesetze des Bundes, durch Kürzungen bei der Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung, dem Wohngeld, dem Kindergeld und der Ausbildungsförderung, ({13}) durch das starke Anwachsen des Anteils alter und pflegebedürftiger Menschen und in neuerer Zeit durch die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere die steigende Zahl von Dauerarbeitslosen. Hier haben wir noch viel zu tun. Besonders die Bundesregierung ist dazu aufgefordert. Rückblickend auf den letzten Freitag sei mir in diesem Zusammenhang die Bemerkung erlaubt, daß wir den Kommunen mit der Annahme unseres Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Gemeindefinanzen zusätzliche Steuereinnahmen von insgesamt 4,5 Milliarden DM hätten zukommen lassen können. Sie haben sich verweigert. Das ist indirekt auch ein Druck auf die Sozialhilfekosten. ({14}) Aus diesem Grund stellt meine Fraktion den Antrag, Art. 21 des Haushaltsbegleitgesetzes zu streichen. ({15}) Wir folgen damit den Erkenntnissen der Mehrheit der Sachverständigen aus der Anhörung vom 12. Oktober 1983. Diese Sachverständigen und fast alle Verbände waren sich darüber einig, daß eine sinnvolle Weiterentwicklung des BSHG durch die jetzt vorgeschlagenen Änderungen erschwert, ja zum Teil unmöglich gemacht wird. Wir aber wollen eine angemessene Novellierung und haben dies der Koalition in der Anhörung und im Ausschuß auch vorgeschlagen. Vor allem geht es uns darum, die Sozialhilfe unter den veränderten Rahmenbedingungen strukturell so anzupassen, daß sozial ausgewogene Regelungen zustande kommen. ({16}) Vorrangig ist die Notwendigkeit einer Differenzierung, damit nicht spezielle Personengruppen wie z. B. Behinderte durch pauschale Regelungen hart getroffen und benachteiligt werden. ({17}) Wir sind für ein solch differenziertes Vorgehen und fordern Sie daher auf, unserem Antrag auf Streichung von Art. 21 zuzustimmen. ({18}) Das gleiche gilt für Nr. 2 des Art. 7 des Haushaltsbegleitgesetzes, wonach in dem Gesetz für die Sozialversicherung Behinderter die Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Rentenversicherung von 90 auf 70 gesenkt wird. Diese Regelung führt zu einer Senkung der persönlichen Bemessungsgrundlage von derzeit 83,6 % auf 65 %. Für einen Behinderten würde dies nach 20jähriger Tätigkeit in einer geschützten Einrichtung einen Rentenbetrag ergeben, der noch unterhalb des Sozialhilferegelsatzes läge. 22 % beträgt die Senkung der Rente. Wenn ich mir vor Augen führe, daß die Regierung sagt, man müsse auch bei Behinderten sparen, damit Schwerstbehinderten geholfen werden könne, dann ist das eine Ironie auf diese Aussage. ({19}) Die mit der Einführung dieses Gesetzes gewollte Einbeziehung der Schwerstbehinderten in geschützten Einrichtungen in das System der gesetzlichen Altersversorgung wird damit weitgehend wieder aufgehoben. Das können wir nicht zulassen. Deshalb fordern wir Sie auf, ebenfalls unserem Antrag Drucksache 10/757 zuzustimmen. ({20}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten wissen, daß die Systeme der sozialen Sicherung den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepaßt werden müssen. Im Unterschied zur Bundesregierung gilt für uns jedoch der Grundsatz, daß dies nicht durch pauschalen Leistungsabbau geschehen kann, sondern nur durch Strukturreformen, die dem Gebot der sozialen Ausgewogenheit entsprechen und der langfristigen Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme dienen. ({21}) Dabei muß die Substanz insbesondere, die der Sozialhilfe, erhalten bleiben. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hoffacker.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD und die GRÜNEN haben den Einzelplan in den wichtigsten Passagen abgelehnt. ({0}) Sie sind demnach nicht bereit, eine Familienpolitik mitzutragen, welche die Lebens- und Erziehungsfähigkeit der Familie umfassend sichert. ({1}) Im Gegenteil - wir haben es gerade von Herrn Hauck hier gehört -, die SPD und die GRÜNEN haben den Gedanken immer noch nicht aufgegeben, Geldleistungen an die Familie durch neue Schulden zu finanzieren. Das ist unsozial und familienfeindlich. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Hoffacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe nur so wenig Zeit. Ich möchte gern reden können. Meine Damen und Herren, Sie handeln familienfeindlich. Herr Kollege Hauck hat in seinem Nekrolog auf die Familienpolitik der SPD - ich glaube, das hat er gar nicht gemerkt, aber ich darf mich dafür sehr bedanken - deutlich gemacht, was die SPD-geführte Bundesregierung hier in der Vergangenheit angestellt hat. Sie hat das große und das kleine soziale Netz zerstört und beklagt sich jetzt über die Scherben, die sie verursacht hat. ({0}) Damit sind wir nicht einverstanden. ({1}) - Herr Diederich, ich weiß j a, daß die SPD hier den ganzen Tag gekniffen hat und daß sie kneift. Sie kneift und keift und tut das selbst in diesen Abendstunden. Lassen Sie uns doch ein bißchen in Frieden darüber reden! Das ist viel vernünftiger, und damit kommen wir auch weiter. Herr Hauck, Sie sind nicht ganz auf dem laufenden. ({2}) Der Caritas-Verband hat im Gegensatz zur SPD-Fraktion Lehre angenommen. Nach dem Hearing hat dieser Verband mit uns verhandelt und sich bedankt, daß wir die Vorschläge angenommen haben. Das ist etwas ganz Neues. Hier wäre ein neues Lebensgefühl für die SPD. Ich würde Sie beglückwünschen, wenn auch Sie hier Lehre annähmen. ({3}) Meine Damen und Herren, Herr Hauck hat davon gesprochen, daß wir langfristige Reformen brauchen. Ich kann das sehr unterstützen. Ich würde Sie bitten und einladen, sich hier anzuschließen und vielleicht, so meine ich, mit dem Geld nicht so umzugehen, wie Sie das in der Vergangenheit getan haben. ({4}) Die SPD schielt immer noch sehnsüchtig nach dem nicht selbst verdienten Geld, um damit Löcher zu stopfen, wie sie meint, um damit eine Strukturpolitik zu machen. ({5}) Sie wendet sich ab von der Wirklichkeit. Sie scheut sich vor der Haftung aus vorangegangenem Tun und auch vor der Haftung aus dem Unterlassen. Sie ist nicht bereit, ein Stück positiven Weges weiterzugehen, sondern steht an der Klagemauer dieser Gegenwart und kann für die Zukunft abgemeldet werden. ({6}) Wenn Sie das genau wissen wollen, Herr Diederich und Herr Hauck, dann darf ich Ihnen - -({7}) - Mein Gott, was sind das für Schreihälse, das ist ja schrecklich, mein Gott! ({8}) Da kann man gar nicht normal reden. Ich wollte Ihnen jetzt mal Ihren eigenen Antrag vorhalten. Sie haben da so einen Antrag eingebracht, der das Bundeskindergeld mit einbezieht, der also eine ganze Menge von ganz wichtigen, wie Sie meinen, Vorstellungen einbezieht. Dabei haben aber die Herren, die das formuliert haben, vergessen, daß sie selbst vor zwei Jahren - 1982 - diese Regelung, die sie jetzt wiederherstellen wollen, abgeschafft haben gegen die Stimmen der CDU/CSU. Dies muß man mal deutlich sagen. ({9}) Meine Damen und Herren, wenn Sie ein so kurzes Gedächtnis haben, dann können Sie das natürlich bei sich abbuchen. ({10}) Wir haben das nachgeprüft, und ich glaube, das ist nicht so gut. Damit ich mal ein wenig das Feld ändere, wende ich mich den GRÜNEN zu. Da können Sie sich ein bißchen erholen in der Krakeelerei, damit das also auch etwas deutlich wird. ({11}) Die GRÜNEN - Frau Schoppe, Sie sind so ganz allein; ach doch, da hinten sitzen noch ein paar - sind im Umgang mit dem Geld besonders skrupellos. Ihr Spiel mit -zig Millionen im Ausschuß hat also schon sehr großen Eindruck auf uns gemacht, nur läßt das jeden Ernst in der Sache vermissen. Wenn man die GRÜNEN im Ausschuß so hört, dann meint man, sie verwechseln den Haushaltsausschuß mit dem Sandkasten. ({12}) Das kann man natürlich machen, nur darf man dann nicht verlangen, daß man ernstgenommen wird. Auch dafür ein schönes, ein sehr gutes Beispiel. ({13}) - Lassen Sie mich das doch mal bringen. Das ist Ihnen doch allen vorgelegt worden. Schauen Sie mal hier: Sachgebiet 63. Da soll also ein „Initiativenfonds" mit 165 Millionen DM eingerichtet werden. Wenn Sie das jetzt in der Begründung lesen, würde ich sagen, ist das sehr erhellend für die Einstellung, die die GRÜNEN zu dieser Bundesrepublik haben. Da meint man ja in der Tat, wir bestünden lediglich aus psycho-somatischen und psycho-sozialen Kranken, die ganze Bundesrepublik sei ein Krankenhaus, ({14}) und die geschlagenen und vergewaltigten Frauen stünden in Reihen an, um in Frauenhäusern untergebracht zu werden. ({15}) Meine Damen und Herren, es ist richtig schade, daß Sie so gar nichts vom Lebensglück verstehen. ({16}) Ich würde also meinen, so ein Fonds - ({17}) Da steht noch viel mehr drin. Da steht drin: Entwicklung neuer Lebensformen. Das haben wir doch schon hier im Bundestag erlebt. Also, meine Damen und Herren, ich bin mehr davon angetan, daß sich unsere Bürger waschen, rasieren können, sich mitteleuropäisch kleiden und daß sie sich einigermaßen in der Menschheit wohlfühlen. ({18}) - Herr Diederich, das müssen Sie mir zugeben, das ist doch ein kleiner Wunsch, mehr nicht. Das Lebensglück ist selbst in diesen kleinen Dingen enthalten. ({19}) - Mein Gott, was seid ihr wieder laut. Also, ich möchte noch einmal zu dem Fonds zurückkommen. Es besteht kein Bedarf für diesen Fonds. Jetzt habe ich mir aufgeschrieben: Die Idee dazu ist ein verkümmerter Sproß eines pubertären Wachstumsprozesses. Dazu stehe ich auch jetzt noch. Ich meine, das wäre auch so. Das ist die Idee einer Fraktion, die also alle ihre Befindlichkeit, ihre Probleme, ihre persönlichen Nöte auf die Gesellschaft übertragen will, nur hat sie da falsch gelegen. Diese Gesellschaft, in der wir sind, mag ja nach Ihrer Vorstellung einige Ausfallserscheinungen haben, aber für uns ist sie positiv zu bewerten. Sie ist gesund. Einen solchen Fonds brauchen wir nicht. ({20}) Die Regierungskoalition hat Beschlüsse gefaßt, die der Familie helfen - im Gegensatz zu Ihnen und im Gegensatz zu Ihnen. ({21}) - Und jetzt muß ich wieder mal auf die SPD schauen. Sie versuchen j a hier die ganzen Tage, immer so den Eindruck zu erwecken, so mit der Leichenbittermiene - es steht Ihnen übrigens gut, ich gehe lieber aufrecht -, ({22}) wir hätten Kürzungen gemacht, wir hätten überall das Kindergeld gekürzt und was weiß ich sonst alles getan. Meine Damen und Herren, damit das mal klar ist: Wir haben das Kindergeld nicht gekürzt - wenn Sie das noch nicht gemerkt haben sollten -, sondern wir haben eine Regelung eingeführt, die die Subsidiarität und die Solidarität - wo ist Herr Hauck, er hat doch von der Subsidiarität gesprochen? - deutlich macht. Diejenigen, die mehr Geld haben, müssen Opfer bringen, und diejenigen, die weniger haben, die sollen davon profitieren. Ich meine, das sei ein Solidargedanke, den die Union gemeinsam mit der FDP vertritt, und darüber freuen wir uns sehr. ({23}) Entgangen ist Ihnen offenbar auch im Haushaltsausschuß, meine Damen und Herren, daß wir gerade für diejenigen, die sich schlechter stehen, etwas mehr tun. Wir haben nämlich die Vorschußkasse für die Unterhaltssicherung aufgestockt. Ich bin sehr dankbar, daß Sie da mitgestimmt haben. ({24}) Aber wir mußten natürlich auch einige kritische Bemerkungen anbringen. Wir haben den Modellmaßnahmenetat und den Forschungsetat, ein wenig an die Zügel genommen; denn hinter diesen Modellmaßnahmen haben wir noch einen ganzen Teil überholter Ideologie der SPD-geführten Bundesregierung feststellen können. ({25}) Das steckte noch so etwas von dem verhängnisvollen zweiten familienpolitischen Bericht Ihrer Regierung drin. Davon wollen wir eigentlich gar nicht mehr gerne hören. ({26}) - Sie erinnern sich doch. Sie haben doch den politischen Teil geprägt, in dem steht, daß die Kindererziehung eine gesellschaftliche Aufgabe sei. Sie haben geleugnet, daß es originäre Kindererziehung gebe. Wissen Sie, ich habe fünf liebe Kinderlein und bin sehr froh, daß ich die Erziehung machen kann und nicht einer von Ihnen geprägten Gesellschaft übertragen muß. ({27}) Meine Damen und Herren, wir sind auch dagegen, daß Sie diese Irrlehre von der Emanzipation der Frau um jeden Preis durchsetzen wollen. Sie haben offenbar überhaupt keine Kavaliersgefühle mehr. Sie müssen sich mal mit einer jungen Frau sehen lassen. Sie sollten mal sehen, wie gut sich das macht. ({28}) Im übrigen sind wir auch dagegen, daß Sie die Frau wieder an den Herd stellen lassen wollen. Das tun wir nicht. Unsere Frauen können kochen, und die Männer sehen gut aus. Sehen Sie, das ist wichtig. ({29}) Wir wollen also nicht, daß die Steuerzahler diese Modellmaßnahmen, die eigentlich nur das Unglück über uns hereinbringen, länger finanzieren. Wir folgen dem Bundesrechnungshof. Der Bundesrechnungshof hat uns gemahnt, wir sollten das einmal deutlich studieren und nachgucken. Wir werden das streichen, wenn es notwendig ist. ({30}) Ich muß ein wenig schneller machen, ich habe nur noch vier Minuten Zeit. ({31})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich möchte herzlich darum bitten, daß die Lebhaftigkeit wenigstens einmal Unterbrechungen erfährt. ({0})

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich wäre dankbar, wenn wir zu einer ruhigen Debatte zurückkehren könnten.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist wohl etwas, was Sie nicht verstehen könDr. Hoffacker nen, wenn sich hier einer eigentlich frei und glücklich fühlt und ihnen auch noch Mut machen will. Das tun wir auch. ({0}) Wir fordern die jungen Menschen, wir fördern sie. Wir fördern diejenigen, die leistungsbereit sind. Wir fördern nicht diejenigen, die darauf spekulieren, sofort nach Schulentlassung in das soziale Netz zu gelangen. Wir sind für diejenigen, die Leistungsbereitschaft zeigen und nicht so laut schreien wie Sie. ({1}) Meine Damen und Herren, wir begleiten auch diejenigen, die es schwer haben, die die Schule nicht mit Prädikat abschließen. Wir sind dafür, daß sie deutlich und klar im Auge behalten werden, weil sie es nötig haben. ({2}) Meine Damen und Herren, hier muß man doch mal ernst werden: Sie kennen die Wirklichkeit gar nicht. ({3}) Sie haben offenbar keine Kinder, die die Schule nur mit „ausreichend" abschließen. Sie wissen nicht, wie schwer es die haben. Ich habe so welche. ({4}) - Aber selbstverständlich. Sie neiden uns doch nur die Erfolge. Sie vermiesen doch das ganze Klima und glauben, daß Sie uns damit schaden könnten. Sie schaden nicht uns, Sie schaden der Jugend. Das ist viel schlimmer. ({5}) Meine Freunde, wir bemühen uns auch um diejenigen, die aussteigen möchten. ({6}) Sie haben sich hier nun den ganzen Tag mit der Miene des großen Fürsorgers gezeigt: Was tun Sie denn? Kümmern Sie sich um diese Leute? Nein, Sie fordern Geld und glauben, wenn Sie das Geld, möglichst Geld, daß Sie nicht selber verdient haben, abgeliefert haben, sei diesen armen Menschen geholfen. - Nein. Wir sind bei denjenigen, die aussteigen wollen, die den Sinn ihres Lebens nicht mehr zu finden vermögen. Deshalb haben wir hier Hilfen für gesellschaftliche Randgruppen eingesetzt. Denn wir wissen, daß diejenigen, die isoliert werden, ausgeschlossen sind. ({7}) Meine Damen und Herren, helfen Sie uns bitte bei dieser Arbeit, die Verweigerungsmentalität abzubauen, die Leistungsverteufelung abzubauen. Hetzen Sie in Ihren vielen Blättern nicht so viel gegen das, was wir tun. ({8}) Unser Sozialsystem ist unter dieser Bundesregierung sicher und stark - damit das ganz deutlich ist. ({9}) Wir wollen eine Gesellschaft mit einer gesunden Familie. Wir wollen nicht eine Gesellschaft, die zum Packesel gemacht wird, wie Sie das ja immer tun. Bei Ihnen ist der Wert der Frau doch nur abhängig von der Arbeit, die außerhäuslich erwerbstätig geleistet wird. Bei Ihnen wird der Vater doch nur nach dem Gehalt, das er nach Hause bringt, eingeschätzt. Das ist Ihre Wertschätzung der Familie. Wir sind dafür, daß die Eltern im ganzen Leben im vollen Umfang ernstgenommen werden. Wir lassen uns nicht in Funktionsträger und andere auseinanderdividieren, damit das ganz klar ist. ({10}) Meine Freunde - ({11}) - Ich würde Sie auch gerne zu Freunden machen. Aber Sie sehen ja, es läßt sich leider nicht so schnell verwirklichen. ({12}) Meine Damen und Herren, Sie sollten uns helfen, die destruktiven Vorstellungen von der Familie in der Gesellschaft wieder zurückzudrängen. ({13}) Es ist doch unbestritten, daß die Aufklärungsschriften, die seinerzeit unter Ihren Ministern auf feinem Hochglanzpapier veröffentlicht worden sind, der Jugend nicht geholfen haben. Deshalb wollen wir das nicht fortführen. ({14}) Ich muß leider zum Schluß kommen. ({15}) Ich möchte noch ein sehr ernstes Thema anschneiden. Wenn Sie sich vielleicht die Mühe machen, mir noch die eine Minute zuzuhören, die ich noch zur Verfügung habe. ({16}) - Das Schreien geht so aufs Gehör. Sie sind doch alle für den Umweltschutz. Lärm ist eine ungeheure Belästigung. ({17}) Ich möchte auf die Stiftung zu sprechen kommen. Vielleicht lassen Sie sich doch ein wenig beruhigen. Von Herrn Hauck ist soeben gesagt worden, daß den schwächsten Gliedern in der Kette unserer Gesellschaft geholfen werden solle. Das sind die Menschen, die nicht geboren sind. Das sind die Schwächsten. Für sie setzen wir uns ein. Dafür wird eine Stiftung gegründet. Das Grundanliegen dieser Stiftung wurde, so hatte ich den Eindruck, im Haus3236 haltsausschuß von allen Parteien unterstützt. Leider steigen die GRÜNEN mit dem Antrag, den sie gestellt haben, aus dieser Gemeinsamkeit aus. Sie verstehen nicht das Leid und die Not, in die Mütter und Familien geraten können, wenn sie Sorgen haben. ({18}) - Herr Diederich, ich kann jetzt keine Zwischenfrage zulassen. - Ich möchte Sie in allem Ernst bitten, dieses Anliegen mit uns zusammen zu unterstützen. ({19}) Die Mittel sind gesperrt, bis das Gesetz verabschiedet ist. Sie alle wissen, daß dieses Gesetz in Vorbereitung ist. Sie sollten uns bei dem Vorhaben helfen, den ungeborenen Menschen eine Bresche zu schlagen. Die Stiftung und der Stiftungszweck sind klar. Das ist ein Schritt nach vorne. Das ist ein Schritt zu mehr Menschenwürde und auch zu mehr Achtung. Der Einzelplan 15 ist ausgewogen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz so lustig wie bei dem Herrn Vorredner wird es jetzt wohl nicht werden. Leider fehlt mir auch die Zeit, ({0}) um auf die von ihm angesprochenen Punkte einzugehen. Ich will mich zunächst einmal auf den Haushalt beschränken. ({1}) 95% der Haushaltsmittel im Einzelplan 15 machen das Kindergeld aus. Wir können feststellen, daß in diesem Bereich keine Kürzungen vorgenommen worden sind. ({2}) Ich glaube, das ist ein guter Erfolg. Der Haushaltsansatz geht nur deswegen zurück, weil wir auch einen Rückgang an Kinderzahlen zu vermerken haben. Ich wiederhole: Der Haushaltsansatz geht nicht wegen Kürzungen zurück. Auch hinsichtlich der anderen Ansätze können wir mit Zufriedenheit feststellen, daß Familien mit Kindern von Kürzungen weitgehend ausgenommen worden sind. Die Änderungen im Bundessozialhilfegesetz verändern nicht die Ansätze dieses Haushalts, aber entlasten die Haushalte der Kommunen. Wir alle wissen, daß das notwendig ist. Die ursprünglichen Vorschläge, die uns unterbreitet wurden, haben wir in einer öffentlichen Anhörung der Kritik der Betroffenen und der Kritik von Experten unterzogen. Diese Anhörung zeigte uns, daß ein Teil dieser Maßnahmen unzweckmäßig, bürokratisch und sozialpolitisch nicht wünschenswert war. Wir sind dieser Meinung der Experten nachgekommen und haben deshalb einem Teil der vorgeschlagenen Änderungen nicht zugestimmt. So haben wir dafür Sorge getragen, daß die im Bereich der beruflichen Rehabilitation ursprünglich vorgesehenen Selbstbeteiligungen an den Verpflegungskosten entfallen. Wir haben auch sichergestellt, daß erhebliche Absenkungen bei all den Rehabilitanden unterblieben, die sich schon länger in der Ausbildung befinden. Damit wird dem Vertrauensschutz bei diesem Personenkreis Rechnung getragen. Weiterhin haben wir erreicht, daß die ursprünglich vorgesehene Einschränkung des Rückgriffs auf die Sozialhilfe in § 26 BSHG gestrichen wurde. Ich glaube, dies sind nicht nur minimale Verbesserungen; wir brauchen hier nur die Betroffenen zu fragen. Auch bei den vorgeschlagenen Änderungen des § 93 Abs. 2 BSHG haben wir erreicht, daß private Träger weiterhin an der Versorgung teilnehmen können. Als Erfolg unserer Bemühungen können wir auch verbuchen, daß die ursprünglich vorgesehene Haftung der dritten Generation für die Sozialhilfe abgeschafft wurde. Wir sind zwar der Meinung, daß eine Hilfe zwischen den Generationen notwendig ist, aber wir glauben nicht, daß es zweckmäßig ist, daß der Staat dies im BSHG vorschreibt. Sicher werden einige Maßnahmen als schmerzlich empfunden. Sicher ist auch, daß die Sozialpolitiker und die Familienpolitiker der Koalition genauso gern verteilen wie die der SPD, jedenfalls lieber als kürzen. Aber wir wissen auch, daß man nur das verteilen kann, was man hat. Wohltaten auf Pump können wir nicht verantworten. Keiner ist bisher wohlhabend geworden oder geblieben, der mehr ausgibt, als er einnimmt. Auch und gerade als Sozialpolitiker bin ich auf das angewiesen, was Wirtschaft und Arbeitnehmer durch ihrer Hände Arbeit verdienen. ({3}) Wenn unser soziales Netz nicht nur zum Anschauen da sein soll, sondern belastbar sein soll, muß es fest verankert sein. Die Verankerung des sozialen Netzes ist aber die Wirtschaft. Wenn die Verankerung morsch wird, dann nutzt das schönste soziale Netz nichts. Dementsprechend haben wir uns verhalten. Herr Kollege Hauck, ich bin wie Sie der Meinung, daß wir das Bundessozialhilfegesetz verändern müssen. Ich bin wie Sie und wie die Experten der Meinung, daß das nicht im Hauruckverfahren passieren kann. Ich glaube, hier haben wir in der vor uns liegenden Legislaturperiode noch viel Arbeit zu Eimer ({4}) leisten. Wir werden diese Arbeit auch in Angriff nehmen müssen. Heute geht es aber um den Einzelplan 15 des Haushalts. Hier müssen wir abstimmen, und diesem Plan werden wir Freien Demokraten zustimmen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht meine Aufgabe, hier die GRÜNEN zu verteidigen. Aber wenn Sie, Herr Kollege Hoffacker, gemeint haben, sagen zu müssen, daß sie gelegentlich Ausschußberatungen mit dem Sandkasten verwechseln, dann müssen Sie sich entgegenhalten lassen, daß Sie das Plenum des Deutschen Bundestags mit einem billigen Schmierentheater verwechselt haben. ({0}) Der Bundesfinanzminister hat am heutigen Morgen gesagt, der Haushalt 1984 sei das in Zahlen gegossene Bild des politischen Willens der Mehrheit. Schauen wir uns an, wie der politische Wille dieser Mehrheit aussieht, und zwar am Beispiel des Einzelplans des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit! Dieser Einzelplan wird um 3,8 % geringer ausfallen als der des Vorjahres. Dies ist nicht darauf zurückzuführen, daß etwa das Ministergehalt auf die Hälfte gekürzt worden wäre, wie es einem Teilzeitminister angemessen wäre; ({1}) nein, das ist darauf zurückzuführen, daß die Ansätze beim Kindergeld um 875 Millionen DM zurückgefahren werden. ({2}) Der Finanzminister ist froh darüber, daß er diese Finanzierungsreserve hat, um die Senkung der Vermögensteuer zu finanzieren. Aber ich weiß mich doch zu erinnern, wie es all die Jahre war, als Sozialdemokraten hier die Verantwortung trugen. ({3}) Da haben die Unionspolitiker gesagt, Einsparungen beim Kindergeld müßten wieder den Familien zugeführt werden. Meine Damen und Herren von der jetzigen Regierungsmehrheit, Sie haben heute die Gelegenheit dazu, denn wir legen Ihnen hier entsprechende Anträge vor. Es ist überhaupt nicht zu bemängeln, daß wir damit in zwei Punkten wieder Zustände herbeiführen wollen, wie es sie schon einmal gegeben hat. Herr Hoffacker, dann muß es Ihnen doch furchtbar leicht sein, diesen unseren Anträgen zuzustimmen. Aber ich habe das Gegenteil von Ihnen gehört.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Jaunich, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer zulassen?

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann das leider nicht bei den acht Minuten, die mir zur Verfügung stehen. ({0}) - Das lassen Sie mal meine Sache sein, wie schnell ich rede. Sie sollen das auch verstehen können. Ich weiß, daß das bei Ihnen ein bißchen schwierig ist, daß Sie das nicht so gerne begreifen, vor allen Dingen nicht gern hören wollen. ({1}) Dies ist ein ausgesprochener Wendehaushalt - das können wir feststellen -, und zwar nicht nur, weil mit ihm eine andere Richtung anvisiert ist. Nein, diese Wende manifestiert sich in besonderer Weise in der Abkehr von all dem, was Sie in der Vergangenheit gefordert, hier im Deutschen Bundestag postuliert haben. ({2}) Noch im Jahr 1980 haben Sie in Ihr Wahlprogramm hineingeschrieben: „Eine Politik, die jetzt an der Familie spart, wird uns alle teuer zu stehen kommen." Nun, meine Damen und Herren, was tun Sie? Sie führen die Einsparungen herbei auf dem Rükken, auf dem Buckel der Familien. ({3}) - Na, Sie waren doch immer dabei. Sie haben doch auf dem Familiensektor immer noch weitergehende Forderungen gestellt. Das haben Sie wohl vergessen? Das können Sie doch nicht alles verdrängen, Herr Kollege. Der verehrte Kollege Kroll-Schlüter schreibt am 6. Dezember dieses Jahres im Deutschland-UnionDienst: „Die Union ist eine Partei der Familie. Das wird gerade in dieser Legislaturperiode deutlich." ({4}) Meine Damen und Herren, wir merken, was hier deutlich wird. Was hier deutlich wird, ist Zynismus ({5}) angesichts der von mir beschriebenen Situation beim Kindergeld, ({6}) angesichts der Kürzungen beim Mutterschaftsurlaub. Da lassen Sie sich von allen Wohlmeinenden nicht anraten, Ihren Kurs zu ändern. Da lassen Sie sich nicht beeindrucken von dem Wort der katholischen Bischöfe. Da lassen Sie sich nicht beeindrukken von Ihren Ihnen doch sicherlich freundschaftlich zugetanen Kollegen der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, die Ihnen doch klipp und klar ins Stammbuch geschrieben hat: „Die Absichtserklärung des Bundeskabinetts, ab 1. Januar 1987 dieses Mutterschaftsurlaubsgeld auf alle Mütter auszudehnen, wird von uns als Ablenkungsmasche empfunden, weil dies keine Verbindlichkeit hat." ({7}) Genau zutreffend beschrieben! Müssen wir uns dann noch vor Augen halten, in welche Zeit das Jahr 1987 fällt, wenn man einmal in Legislaturperioden denkt? Sie schreiben alle Warnungen in den Wind. Sie werden auch unsere Anträge hier abbügeln; davon gehen wir aus. ({8}) Aber wie muß Ihnen denn eigentlich zumute sein angesichts all Ihrer vollmundigen Ankündigungen auf dem familienpolitischen Gebiet in den hinter uns liegenden Jahren, wenn jetzt, im November dieses Jahres, alle Familienverbände dieser Bundesrepublik ein Notprogramm beschlossen haben, das sich als Forderung an uns richtet? Meine Damen, meine Herren, auch dies beeindruckt Sie in keiner Weise. ({9}) - Na, sehen Sie, dann stimmen Sie doch gleich, wenn die Anträge aufgerufen werden, in diesem Sinne! Dann zeigen Sie, daß Sie lernfähig sind. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß das von Ihnen zu erwarten wäre. Meine Damen und Herren, Sie werden Gelegenheit haben, durch Ihr Abstimmungsverhalten zu beweisen, ob Sie denn wenigstens bereit sind, einen Schritt zu gehen. Wir übernehmen nicht alle Forderungen der Familienverbände, weil wir sie derzeit nicht finanzieren könnten, aber die von uns vorgelegten Änderungsanträge sind finanzierbar. Ich habe die Möglichkeiten hierzu soeben aufgezeigt. ({10}) Dies ist ein erster Schritt, um der besonderen Situation der Familien in der heutigen schwierigen Zeit entgegenzukommen. Wir handeln hier. Sie aber lassen Hochglanzbroschüren drucken mit dem Motto „Reden ist Silber, Handeln ist Gold". Meine Damen und Herren von der Union, wo sind denn Ihre Handlungen? Nichts davon! Der Bundesfinanzminister lacht; das muß ihm also höllischen Spaß bereiten, worüber wir hier verhandeln. ({11}) Herr Kollege Hoffacker hat uns hier soeben etwas von einer Stiftung gesagt, die in diesem Haushalt mit 25 Millionen DM ausgestattet wird. Diese Mittel nimmt man sich ebenfalls beim Kindergeldansatz weg. Herr Kollege Hoffacker tut dann so, als sei damit die Not der Familien gelindert. Herr Kollege Hoffacker, dies ist angesichts dessen, um was es geht, eine Beleidigung, wenn man hier diesen Eindruck zu erwecken versucht. ({12}) Im übrigen: Noch kennen wir nicht die Grundzüge dieser Stiftung. Da gibt es eine vage Absichtserklärung. Aber dieser Bundesminister ergeht sich j a pausenlos in Ankündigungen. Handlungen von ihm haben wir bisher nicht feststellen können. ({13}) Aber er hat ja den „Wanderpreis" an Herrn Tandler abgeben müssen. Der Widerspruch zwischen Reden und Handeln wird doch permanent deutlich. „Die Bundesregierung hat zum 1. Januar 1983 die Kindergeldregelung gerechter gestaltet und Einkommensgrenzen eingeführt. Die besser Verdienenden erhalten weniger Kindergeld. Alle einkommensschwächeren Familien erhalten es in voller Höhe." So tönt Herr Geißler in einer Kundmachung an seine Landes- und Kreisverbände der Union. Erinnern wir uns doch, was der Herr Kollege Kroll-Schlüter im August 1981 zu demselben Thema gesagt hat: „Eine Verständigung von SPD und FDP auf Einkommensgrenzen beim Kindergeld wäre die Totalkapitulation der FDP vor den Kräften in der SPD, die eine Nivellierung der Einkommen der Familien wünschen." ({14}) Die Kollegin Geiger hat am 30. August 1979 dazu ausgeführt: „CDU und CSU werden die Vorschläge aus der SPD, die auf ein einkommenabhängiges degressives Kindergeldsystem hinauslaufen, auf das Entschiedenste bekämpfen. Die Kehrseite eines nivellierenden Familienlastenausgleichssystems nach den Vorstellungen der SPD würde für die Ernährer und Familien die Teilhabe an der Leistungsgesellschaft uninteressant machen und außerdem die Bereitschaft zum Kind in den leistungsorientierten Bevölkerungsgruppen lähmen." ({15}) In jenen Zeiten haben Sie also so darüber gedacht. Nachdem Sie in gleicher Weise vorgegangen sind, stellen Sie dies als eine Verbesserung des Kinderlastenausgleiches dar. Es ist doch unübersehbar, in welcher Glaubwürdigkeitskrise Sie sich hier befinden. ({16}) Ich könnte Ihnen auf dem familienpolitischen Sektor noch eine Fehlleistung nach der anderen vorhalten. Die Zeit reicht allerdings nicht dafür. Ich möchte daher wenigstens noch wenige Sätze zu dem Kapitel Jugend - bei diesem Minister ganz besonders schlecht aufgehoben - sagen. ({17}) Mit großer Sorge müssen wir die Entwicklung betrachten, daß Bemerkungen des Bundesrechnungshofes von dem Bundesminister begierig aufgenommen und im Haushaltsausschuß Äußerungen gemacht werden, die darauf hindeuten, daß man künftig nur noch jene Jugendverbände finanziell förJaunich dern will, die sich wohl und regierungskonform verhalten. ({18}) Das ist das Ende einer vernünftigen Jugendförderung. Denn Jugendförderung ist immer auch emanzipatorisch angelegt. ({19}) Dieser Bundesjugendminister läßt keinerlei Initiativen erblicken. Er muß die Fraktionen vorschikken, wenn es um die Novellierung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit geht. Zur gleichen Zeit stellt er sich aber irgendwohin und läßt sich einen Bierorden um den Hals hängen, weil er ja auch für das Reinheitsgebot des Bieres ist. Dafür bin ich auch. ({20}) Es ist aber eine peinliche Fehlleistung und eine Geschmacklosigkeit, wenn der für Jugendfragen zuständige Minister sich ausgerechnet einen Bierorden umhängen läßt. ({21}) Zum Thema Gesundheit müßten diesem Minister und diesem Ministerium gegenüber auch noch ein paar Bemerkungen gemacht werden. Am gestrigen Tage hat die Vollversammlung des Ortskrankenkassentages 1983 gesagt, daß man bei dieser Bundesregierung ein schlüssiges Konzept der Gesundheitspolitik vermisse. Ich kann mich dieser Bewertung nur voll und ganz anschließen. ({22}) Das einzige, was auf diesem Felde stattgefunden hat, ist, daß man vor wenigen Tagen Aufklärungsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Betrage von über einer Million DM eingestampft hat. ({23}) Dies, obwohl sich sogar eine wissenschaftliche Vereinigung angeboten hat, diese Materialien zu übernehmen, weil sie sie für gut und gelungen hält. Dieser Regierung aber paßten sie nicht. Da wird eine Million Mark in den Sand gesetzt, wohl wissend, was man damit alles machen kann. Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Diese Gesellschaft schreibt, dies sei in einer Nacht- und Nebelaktion passiert. Ich kann mich dem nur anschließen. Ich muß hinzufügen: Nacht und Nebel sind über all den Feldern zu finden, für die dieser Herr Bundesminister Geißler zuständig ist. ({24})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es nun nicht gerade für ein Zeichen von Demokratie, wenn die Sozialdemokratische Partei über den Bundesminister und seine Arbeit diskutiert, ihn gleichzeitig kritisiert, aber offenbar nicht in der Lage ist, mit ihm selber über die Arbeit zu diskutieren und zu sprechen. Ich möchte, weil es zum Protokoll im Deutschen Bundestag gehört und weil ich ja weiß, was Sie bewegt, am Anfang dieser Diskussion folgendes festhalten. ({0}) - Herr Porzner, ich will dazu etwas sagen. Ich habe in meiner damaligen Rede gesagt, die Sozialdemokratische Partei werde durch die einseitige Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika und die fast nahtlose Verwendung sowjetischer Argumente gegen die Nachrüstung, ob sie es wolle oder nicht, in der geistigen Auseinandersetzung um die Frage des NATO-Doppelbeschlusses zu einer Fünften Kolonne der anderen Seite. Ich habe, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen Brief des Bundeskanzlers außer Diensten Helmut Schmidt, den mir Bundeskanzler Helmut Kohl übergeben hat, an ihn folgendes geschrieben: Ich habe von der geistigen Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluß ({1}) und nicht von der Gesamtpolitik der SPD gesprochen. Mein Vorwurf ist nicht eine grundsätzliche Charakterisierung der Sozialdemokratischen Partei, sondern bezieht sich auf die Argumentation einer wachsenden Mehrheit der SPD in einer konkreten politischen Position, die allerdings eine historische Dimension hat. Dies alles weiß die Sozialdemokratische Partei, aber sie redet immer etwas anderes. Was ich zur Begründung gesagt habe, kann ja wohl nicht bestritten werden. Hinzu kommt der Antiamerikanismus, die Beteiligung führender Sozialdemokraten an der Blockade der amerikanischen Kasernen, die Verharmlosung des totalitären Charakters der Sowjetunion und vieles andere mehr, was j a auch von Helmut Schmidt bestätigt wird. Man muß keine Gespenster sehen, um zu erkennen, daß hier ein geistiger Erosionsprozeß stattfindet. ({2}) Denjenigen, die eine langfristige grundsätzliche Änderung der deutschen Politik einleiten wollen, muß deutlich und für jeden verständlich entgegengetre3240 ten werden, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Das habe ich Helmut Schmidt geschrieben, und ich habe dazu gefügt: Die geschichtliche Leistung der Sozialdemokratischen Partei für unsere Demokratie ist von mir nie in Frage gestellt worden, und ich halte auch in Zukunft die Übereinstimmung in den politischen Grundfragen zwischen unseren Parteien für geboten. Jetzt möchte ich Ihnen zu diesem Thema noch etwas anderes sagen. Gestern hat Herr Wischnewski hier einen Diskussionsbeitrag geleistet und mich in einer nach meiner Auffassung verunglimpfenden Form wieder angegriffen. ({3}) Warum? Der Innenminister von Nicaragua hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Besuch gemacht. - Wischnewski hat behauptet, ich hätte diesen Innenminister beleidigt. - Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß in Nicaragua unsere Freunde, die Christlichen Demokraten, verfolgt werden. Ich habe ihn auf das Schicksal der Herrenhuter Gemeinde der Moravos und der Misquitos hingewiesen. Ich habe ihn gefragt, ob 1985 die zugesagten Wahlen stattfinden. Ich habe ihn auf die Pressezensur in Nicaragua hingewiesen, auf das neugeschaffene Blockwartsystem - den Comites de defensa Sandinista - und auf das neue Parteiengesetz. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß Hunderte von Christlichen Demokraten in den Gefängnissen von Nicaragua sitzen, darunter Gefangene, die von Amnesty International als Gefangene des Jahres deklariert worden sind. Dies alles habe ich Herrn Borge gesagt, dies und nichts anderes. Ich halte es für einen Skandal - ich darf es so sagen -, daß er und mit ihm wohl die Führung der Sozialdemokratischen Partei den Dialog mit mir, einem demokratisch gewählten Minister, offenbar verweigert, sich aber mit einem Polizeiminister solidarisiert, der sich schwerster Verletzungen der Menschenrechte schuldig gemacht hat. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Haushalt. Herr Jaunich, zu dem, was von Ihnen zum Schluß dazu ausgeführt worden ist, kann ich nur sagen - ({5}) - Er hat hier angebliche Tatsachen wiedergegeben, die einer ernsthaften Überprüfung überhaupt nicht standhalten. Ich habe in der Tat mit anderen in der Christlich Demokratischen Union über die Neue Soziale Frage gesprochen und geschrieben. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir auch in der Bundesrepublik Deutschland Armut haben. ({6}) Aber der Indikator ist die Sozialhilfe - Herr Glombig, auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger. Jetzt will ich Ihnen zum wiederholten Male eine Zahl nennen. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist von 1970 bis zum Jahre 1982, also in der Zeit, in der Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung hatten, von 1,5 Millionen auf 2,1 Millionen gestiegen. In derselben Zeit, also unter Ihrer Verantwortung, ist der Sozialhilfeaufwand von 3,3 Milliarden DM auf jetzt 16,3 Milliarden DM gestiegen. Sie können doch nicht von neuer Armut sprechen, nachdem wir ein Jahr die Regierungsverantwortung übernommen haben, während die eigentliche neue Armut in der Zeit entstanden ist, in der Sie die sozialpolitische Verantwortung hatten. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich? - Bitte.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, da Sie Armutsschwelle mit Sozialhilfeschwelle gleichsetzen: Erkennen Sie nicht, daß dann in jeder Senkung der Sozialhilferegelsätze eine Senkung der Armutsschwelle sitzt? Beseitigen Sie so die Armut? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Herr Jaunich, das wollen wir gerade nicht. Jetzt komme ich zu einigen Behauptungen von Ihnen, was diesen Etat anbelangt. Ich nehme einiges vorweg, was ich hinterher sagen wollte. Im Jahre 1981 ff. ist in der Sozialhilfe etwas gemacht worden, auch von meiner eigenen Partei, der Union, das nach meiner Auffassung mit den Prinzipien der Sozialhilfe nur schwer zu vereinbaren war, nämlich die Deckelung der Sozialhilferegelsätze. Die Behauptung, die Sie heute aufgestellt haben, daß im Bundessozialhilfegesetz für den Haushalt 1984 Behinderte, sozial Schwache zusätzlich beeinträchtigt worden seien, ist einfach nicht wahr. ({0}) Es gibt eine einzige Bestimmung, die die Sozialhilfeempfänger unmittelbar negativ berühren kann: Bei der Berechnung der Einkommensgrenzen für Hilfen in besonderen Lebenslagen werden in der Zukunft die Kosten einer angemessenen Unterkunft und nicht mehr allgemein die Kosten jeder Unterkunft berechnet. Dies ist die einzige Entscheidung, die sich für einen Sozialhilfeempfänger negativ auswirken kann. ({1}) Das eigentliche, was in der Sozialhilfe geschehen ist - in heftigen Auseinandersetzungen, auch in der Regierung waren zunächst nicht alle damit einverstanden -, ist die Tatsache, daß ab 1. Juli 1984, also ab Mitte nächsten Jahres, die Deckelung der Sozialhilfesätze aufgehoben wird und in Zukunft die Anhebung der Sozialhilfesätze wieder nach dem Bedarfsdeckungsprinzip, also nach der Steigerung der Lebenshaltungskosten, vorgenommen werden kann. Ich möchte Sie dringend bitten, daß Sie, wenn Sie hier über die Sozialhilfe sprechen, das wiedergeben, was in diesem Haushalt tatsächlich passiert ist, und nicht das, was Sie aus Gründen der Propaganda der Bevölkerung weismachen wollen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun haben Sie sich auf den Nestor der deutschen Sozialpolitik, auf Professor Nell-Breuning, berufen. Professor Nell-Breuning hat bei dem Hearing zum BSHG, zu den Haushaltsbegleitgesetzen kritische Worte gefunden. Ich finde es ausgezeichnet, daß sich auf Grund dieses Hearings die Koalitionsparteien, der Minister und die anderen Beteiligten noch einmal Fomulierungen des BSHG überlegt haben, auch was die Frage der Wahlfreiheit anlangt. Wir haben auf Grund dieses Hearings Änderungen vorgenommen. Ja, was für einen Sinn soll denn ein Hearing sonst haben? ({3}) Wir halten ja die Hearings nicht ab, damit wir uns etwas anhören und dann gerade das machen, was wir vorher beschlossen haben. Wir haben vielmehr das, was im Hearing gesagt worden ist, ernst genommen und haben einige Bestimmungen, gerade was die Wahlfreiheit anlangt, geändert. ({4}) Aber offenbar ist diese Zeit spurlos an Ihnen vorübergegangen, denn Sie haben lauter Zitate von Herrn Nell-Breuning aus dem Hearing vorgelesen. Ich habe inzwischen von Herrn Professor NellBreuning, den ich vielleicht länger kenne als der eine oder der aridere, der ihn jetzt zitiert, einen Brief bekommen. Er hat geschrieben: Sehr verehrter Herr Bundesminister Geißler! In Ihrem vorbezeichneten Schreiben gaben Sie mir freundlicherweise eine ermutigende Zusicherung. Ich hatte ihm nämlich mitgeteilt, was wir in dem Gesetz geändert haben. Dazu schreibt er: Zu meiner Freude erfahre ich soeben, daß auch die neue Gefährdung der freien Wohlfahrtspflege durch Bedarfssteuerungs- und Bedarfslenkungsmaßnahmen als abgewandt und die Wahlfreiheit der Hilfsbedürftigen als weiter gesichert angesehen werden dürfen. Das begrüße ich lebhaft und danke Ihnen für Ihr Bemühen darum. Ihr sehr ergebener Nell-Breuning ({5}) Ich könnte Ihnen auch noch andere Zitate bringen, z. B. von der deutschen Caritas, die das alles ausdrücklich begrüßt hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt etwas über ein Jahr an der Regierung, und deswegen möchte ich in aller Kürze - ich will nur die Fakten nennen - einmal darstellen, was eigentlich in diesem wichtigen und großen Bereich „Jugend, Familie und Gesundheit" in diesem Jahr gemacht worden ist, damit dies auch im Protokoll des Deutschen Bundestages enthalten ist. Erster Punkt: Wir haben innerhalb weniger Wochen die seit Jahren überfällige Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts und des Zivildienstes verabschiedet. Die Prüfung vor dem Prüfungsausschuß wurde für ungediente Wehrpflichtige beseitigt. Der Antragsteller muß künftig die Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung durch seine Bereitschaft, einen längeren Zivildienst zu leisten, unter Beweis stellen. Das ist eine Entscheidung, zu der Sie lange Jahre hindurch nicht gekommen sind. Zweitens. Wir haben - das sage ich, weil Sie es angesprochen haben, meine Damen und Herren - durch die Mithilfe des Ministeriums eine längst überfällige Reform, nämlich die des Jugendschutzes, und einen Entwurf mit entsprechenden strafrechtlichen Vorschriften erarbeitet und dem Parlament zugeleitet, einen Entwurf, der exzessive Gewaltdarstellungen auf Videokassetten, Bildplatten und vergleichbaren Tonbildträgern eingeschränkt bzw. deren Herstellung, Import und Verbreitung verbietet. Ich halte das für eines der wichtigsten Gesetze, ({6}) die wir in dieser Legislaturperiode verabschieden, weil ich der Auffassung bin, daß wir es nicht zulassen dürfen, daß auf dem Rücken unserer Jugend Geschäftemacher ihr leichtes Geld verdienen können. Dies ist eine wichtige gesetzgeberische Entscheidung! ({7}) Wir haben ferner zwei Gesetze zur Ausbildung zum Krankenpfleger und zur Hebamme verabschiedet. Wir haben die Approbationsordnung, eine neue Ausbildungsordnung für Ärzte, mit dem Ziel auf den Weg gebracht, die mündliche Prüfung zu verbessern sowie dafür zu sorgen, daß die angehenden Ärzte auch eine praktische Ausbildung bekommen, d. h. nach dem sechsjährigen Medizinstudium noch zwei Jahre praktische Ausbildung in den Krankenhäusern und in den Praxen niedergelassener Ärzte erfahren, damit sie dann als voll approbierte Ärzte tatsächlich über die praktische Ausbildung verfügen, die sie brauchen, um tätig sein zu können. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen weiteren Punkt erwähne ich jetzt, glaube ich, zum vierten Male von diesem Pult aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, was Sie hier über das Kindergeld erzählen, ({9}) schlägt einfach dem Faß den Boden aus. Ich wiederhole es noch einmal, weil es der Wahrheit entspricht: Wir haben nicht das gemacht, was Sie in Ihrer Regierungsverantwortung getan haben. Wir haben nicht das Kindergeld für alle gekürzt, unabhängig davon, welches Einkommen sie haben, gekürzt für den Generaldirektor genauso wie für den Hilfsarbeiter und die alleinstehende Mutter. Dies haben wir eben aus voller Überzeugung nicht getan, weil ich einer alleinstehenden Mutter nicht noch das Kindergeld kürzen kann; die muß die Mark in der Hand umdrehen, wenn sie sie ausgeben will. Aber wir waren der Auffassung, daß jemandem, der zwei Kinder hat und mehr als 62 000 DM brutto im Jahr verdient, zugemutet werden kann, daß er auf 30 DM Kindergeld verzichtet; das war unsere Auffassung. Dies ist das einzige, was beim Kindergeld geschehen ist. Das Kindergeld ist nicht für die große Masse der Kindergeldempfänger, sondern nur für die Bezieher hoher Einkommen gekürzt worden - ein Vorschlag, den Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Sozialdemokratischen Partei j a selber nie durchsetzen konnten. ({10}) Wir haben - ich darf das jetzt im Zusammenhang stichwortartig kurz darstellen - die ersten Weichen für eine zukunftweisende Familienpolitik gestellt. Niemand hat behauptet, daß wir die Familienpolitik in diesem Haushaltsjahr 1984 so werden realisieren können, wie wir das in der Regierungserklärung angekündigt haben. Niemand von uns hat das behauptet! Unser familienpolitisches Programm ist ein Programm für die gesamte Legislaturperiode. Es hat vier Elemente: Erstens. Wir wollen erreichen, daß Eltern, die Kinder haben, in der Zukunft weniger Steuern bezahlen als Leute, die keine Kinder haben. ({11}) Dies steht in der Koalitionsvereinbarung, und dies muß auch in dieser Legislaturperiode realisiert werden. Wir wollen das in der Kombination mit dem Kindergeld; das ist sozusagen die erste Stufe. Zweitens. Wir werden - ebenfalls bereits eine Entscheidung, die in diesem Jahr gefällt worden ist - mit diesem Zweiklassenrecht der Sozialdemokraten aufhören: Die Sozialdemokraten haben das Mutterschaftsgeld nur den Frauen gegeben, die sich im Produktionsprozeß befinden. Ich stelle die Frage: Warum eigentlich soll eine Winzerin, eine Bäuerin oder die Arbeiterin, die vor einem Jahr ein Kind bekommen hat, beim Kind geblieben ist und jetzt wieder ein Kind bekommt, das Mutterschaftsgeld nicht bekommen? ({12}) Wir sind der Auffassung, daß wir dieses Zweiklassenrecht für Frauen, das die Sozialdemokraten geschaffen haben, abschaffen sollten. Deswegen haben wir beschlossen, daß die Zahlung des Mutterschaftsgeldes in dieser Legislaturperiode auf alle Frauen ausgedehnt wird. Wenn die finanzielle Situation es zuläßt, werden wir auch entweder den Kinderzuschlag oder das Erziehungsgeld einführen; das ist die Aussage der Regierungserklärung. Drittens. Wir wollen in der Sozialversicherung die Wahlfreiheit verstärken. Das bedeutet, daß wir die Arbeit der Frauen in der Familie auch in der Sozialversicherung anerkennen. Das bedeutet, daß die Frauen dann, wenn sie selber es wollen, wenn sie zur Aufgabe in der Familie und zur Kindererziehung freiwillig ja sagen, von der bisher vorhandenen Diskriminierung in der Sozialversicherung z. B. befreit werden; das ist unsere Konzeption. ({13}) Deswegen treten wir für die Anerkennung von Erziehungsjahren ein; wir haben jetzt schon die Weichen in diese Richtung gestellt. Diese Regierung hat beschlossen, und der Bundestag wird es morgen - auch heute abend -, so hoffe ich, endgültig verabschieden. Wir haben die Wartezeit beim Altersruhegeld von 15 Jahren auf 5 Jahre reduziert. Das bedeutet, daß in der Zukunft Millionen von jungen Frauen mit einem eigenen Rentenanspruch in die Ehe und in die Familie gehen können. Wir haben ferner - das ist ein Novum in der Geschichte der Rentenversicherung - bei der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente zum ersten Mal Erziehungsjahre, d. h. Erziehungszeiten für Kinder, anerkannt - ebenfalls eine richtige Weichenstellung für die Zukunft. Jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der vierte Punkt, der vor uns steht: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Zeit läßt es nicht zu, dies hier nun auszuführen. Aber doch so viel: Dies bedeutet, daß wir uns für mehr Teilzeitarbeitsplätze und auch für andere moderne Formen der Arbeitsplatzteilung einsetzen. Denn wir sind der Auffassung, daß wir - das ist das wichtigste Ziel auch unserer Frauenpolitik - die Wahlfreiheit herstellen müssen. Das bedeutet einerseits, daß wir die Frauen, die zu Familie und Beruf ja sagen, von den damit verbundenen Benachteiligungen befreien müssen. Das bedeutet andererseits aber auch, daß wir - denn Millionen von Frauen haben genauso einen Beruf erlernt wie wir Männer und finden in ihrem Beruf für sich selber genauso eine Erfüllung wie Millionen von Männern - die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Frauen, die zu dem Beruf, den sie erlernt haben, j a sagen wollen, auch in einer arbeitsmarktpolitisch schwierigen Zeit genau dieselben Chancen haben wie die Männer. ({14}) Dies ist ebenfalls ein wichtiger Punkt in der Konzeption der Bundesregierung. Wir treten für die Wahlfreiheit der Frauen ein. Die Frauen sollen selber entscheiden können, was sie wollen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Ich tue es an sich ungern, weil die Zeit wegläuft. Aber, Frau Schoppe, bitte schön.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben so viel von dem berichtet, was Sie alles gemacht haben. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich mit dem letzten Jugendbericht gemacht, dem sogenannten Mädchenbericht, ({0}) der j a, wie Sie uns im Ausschuß sagten, schon Ende der Sommerpause herauskommen sollte?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Dieser Jugendbericht befindet sich jetzt in der Abstimmung innerhalb der Regierung. Sie wissen genau, daß der Jugendbericht nicht von meinem Ministerium allein dem Bundestag zugeleitet werden kann, sondern daß er mit anderen Ministerien abgestimmt werden muß. Die Bundesregierung wird, so hoffe ich, in Bälde diesen Bericht dem Bundestag zuleiten. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil es von Herrn Jaunich ebenfalls angesprochen worden ist, lassen Sie mich noch etwas zu dem wichtigen Thema „Schutz des ungeborenen Lebens" sagen. Es sind in den vergangenen Wochen über dieses Thema unterschiedliche Auffassungen geäußert worden. Aber ich möchte hier feststellen: Das ungeborene Leben steht genauso unter dem Schutz der Verfassung wie das Leben, das bereits geboren ist. ({1}) Dies ist die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Dies ist auch unsere Auffassung. Und diese Auffassung hat etwas mit Frieden zu tun, Frieden gegenüber dem menschlichen Leben, das am wehrlosesten ist. Ich habe zu diesem Punkt in den letzten Monaten ein ungutes Gefühl gehabt. Ich halte es unter moralischen Gesichtspunkten für in hohem Maß unglaubwürdig, z. B. für das Verbot der Gewaltanwendung zwischen den Staaten einzutreten, ({2}) aber gleichzeitig die Gewaltanwendung gegen die schwächste Form des menschlichen Lebens zu rechtfertigen. Dies halte ich für unglaubwürdig. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Nein. Frau Schoppe, die Zeit schreitet fort. Vielen Dank. Ich würde es sonst gern tun.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gut.

Dr. Heiner Geißler (Minister:in)

Politiker ID: 11000655

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich habe nichts gegen diejenigen, die aus ihrer religiösen Überzeugung und von der Bergpredigt her zu einer bestimmten politischen Auffassung kommen. Ich habe Respekt und Achtung. Und jeder bemüht sich darum. Aber die Bergpredigt ist nicht zur Begründung jeder politischen Aussage da. Jedoch große Skepsis ist gegenüber dem hohlen Pathos derer angebracht, die sich zur Begründung ihrer Verteidigungspolitik auf die Bergpredigt und das Evangelium berufen, aber sonst in ihrem persönlichen oder politischen Leben mit der Bergpredigt so gut wie nichts zu tun haben wollen. ({0}) Das Evangelium und die Bergpredigt sind kein Steinbruch, aus dem man die Argumente nach Belieben herausholen kann, um sie nach politischer Opportunität zu verwenden. Wir wollen das ungeborene Leben schützen. Deswegen hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag, dem Haushaltsausschuß die Gründung einer Bundesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens vorgeschlagen. Die Mittel dieser Bundesstiftung sollen 1984 25 Millionen, ab 1985 50 Millionen betragen. Die Stiftung soll am 1. Juli in Kraft treten. Die Mittel sollen unbürokratisch und schnell über die Beratungsstellen den Frauen zugute kommen, die sich auf Grund einer Schwangerschaft in einer Konfliktsituation befinden, weil wir der Auffassung sind, daß wir in der Lage sein sollten, die sozialen Ursachen zu beseitigen, die für eine Frau, wenn sie schwanger geworden ist, ein Grund sein könnte, einem Schwangerschaftsabbruch näherzutreten. Dies ist ein effizienter Schutz des ungeborenen Lebens, den wir vorschlagen. Ich bitte auch die Fraktion der GRÜNEN, diesen Vorschlag nicht abzulehnen, sondern ihm zuzustimmen, weil er den Frauen hilft. Das wissen wir aus vielen, vielen Gesprächen mit den Beratungsstellen. Mit solchen Mitteln können die Beratungssstellen effektiv, schnell und unbürokratisch helfen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Diese ganze Haushaltsdebatte - was ich jetzt sage, hat etwas mit der Familien- und der Jugendpolitik zu tun - hat bewiesen, daß die Sozialdemokraten ein wichtiges Problem unserer Zeit nicht verstanden haben. Wir haben, davon bin ich fest überzeugt, auch in der Gegenwart die Aufgabe, die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen. Das berührt das Thema der Staatsverschuldung. Eine Staatsverschuldung von über 300 Milliarden DM, die uns j a die Sozialdemokraten hinterlassen haben, die nicht wir geschaffen haben, bedeutet eine Ausbeutung der Menschen, die nach uns kommen. Wir haben auch die Aufgabe, in der Gegenwart Opfer für die Zukunft zu bringen. Unser Menschenbild ist nicht der Homo oeconomicus, der keine Fragen nach den Werten jenseits von Angebot und Nachfrage stellt. Dies ist ein materialistisches, ein gegenwartsbezogenes Menschenbild. Unser Menschen- und Weltbild reicht hingegen über die Gegenwart und auch über eine Generation hinaus. Der Abbau von Schulden ist eine moralische Tat. Das möchte ich hier sagen. ({2}) Für uns ist das Gemeinwesen kein Selbstbedienungsladen für diejenigen, die in der Gegenwart leben, und ist keine Gegenwartsgesellschaft mit beschränkter Haftung für die Zukunft. Mit diesem Bundeshaushalt 1984 sagen wir unseren Mitbürgern: Wir als Bürger haben nicht nur Rechte in der Gegenwart, sondern auch Pflichten für die Zukunft. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert. ({0})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es reizt mich ja ungemein, meine Damen und Herren, auf die Rede des Herrn Geißler einzugehen. Denn die Art der politischen Auseinandersetzung, die Sie, Herr Geißler, seit Monaten in diesem Land pflegen - gegenüber der Friedensbewegung, uns gegenüber und auch gegenüber der SPD -, hat sehr viel mit geistigem Bürgerkrieg zu tun. ({0}) Aber ich habe nicht viel Zeit und will daher jetzt zum Haushaltsgesetz sprechen. ({1}) Wer sich das Haushaltsgesetz 1984 durchsieht, wird an einer Stelle eine Überraschung erleben. Er wird nämlich sehen, daß der Vorschlag der Bundesregierung zur Regelung des § 4 Abs. 9 erheblich von der Beschlußempfehlung abweicht, die der Haushaltsausschuß mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen verabschiedet hat. Ganz gegen die von den Regierungsfraktionen im Ausschuß ansonsten geübte Praxis, dem Regierungsentwurf im wesentlichen - mitunter sogar mit verbunden Augen - Zustimmung zu erteilen, soll hier eine Regelung beschlossen werden, die um etliches von dem abweicht, was die Bundesregierung im September vorgeschlagen hat. Des Rätsels Lösung findet sich freilich rasch, wenn man weiß, worum es geht. Es geht um die parlamentarische Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste und damit um ein Thema, das - ich werde das nachfolgend nachzeichnen - der Regierung schon seit Monaten Kopfzerbrechen zu bereiten scheint. ({2}) Seit Jahren ist diese Kontrolle von einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses vorgenommen worden, einem Unterausschuß, in dem gemäß der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages alle Parteien vertreten waren. Diese Praxis hätte folgerichtig auch unsere Fraktion an diesen Beratungen beteiligen müssen. Nun meinte aber die Bundesregierung schon unmittelbar nach dem 6. März, sie müsse einen Weg finden, uns aus dieser Kontrolle heraushalten zu können. Offensichtlich gibt es hier einiges unter Verschluß zu halten, jedenfalls einiges, was nach Ihrer Auffassung das Ohr eines grünen Parlamentariers auf keinen Fall erreichen darf. ({3}) Deshalb haben sich die Herren im Kanzleramt, die Herren aus dem Verteidigungsministerium, aus dem Innenministerium, aus dem Ministerium der Justiz und dem Finanzministerium unter tatkräftiger Mitwirkung des Herrn Jenninger schon kurz nach dem 6. März zusammengesetzt, um auszutüfteln, wie wohl die GRÜNEN durch Verfahrenstricks hier ausgesperrt bleiben könnten. Was bei diesem Bemühen bis zum Herbst - genauer gesagt, bis zum September - herausgekommen ist, das zeigt der Regierungsentwurf, der Ihnen immer noch vorliegt. Herausgekommen war damals ein Entwurf, der mit einer geradezu dümmlichen Irreführung der Öffentlichkeit eine Rechtsbeugung vertuschen wollte, die in dieser Form auch wir der Bundesregierung nicht zugetraut hätten. Allen Ernstes wollten Sie auf der Grundlage eines Gesetzes, das es noch gar nicht gab und auch noch nicht geben konnte, nämlich auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes, über das wir jetzt beraten, eine Neuregelung des Verfahrens unter dem Vorwand durchsetzen, es gehe um die Regelung des Wegfalls von Essenszuschüssen. Unter diesem Vorwand wollten Sie die Ausschaltung der GRÜNEN durchsetzen. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben damals verhindert, daß dies umgesetzt werden konnte, indem wir diesen ungheuerlichen Vorgang öffentlich gemacht haben. Die hergestellte Öffentlichkeit hat dann bei Ihnen zumindest einen bescheidenen Erkenntnisprozeß ausgelöst, den Erkenntnisprozeß nämlich, daß der Weg, den Sie hier vorgeschlagen hatten, offensichtlich ein derart illegaler Weg gewesen wäre, daß Sie ihn in dieser Form nun denn doch nicht wagen konnten. Für Sie stand damals fest: Wir müssen einen geschickteren Dreh finden, um das gleiche Ziel zu erreichen, nämlich Heraushaltung der GRÜNEN um jeden Preis. Und wieder kamen sie zusammen, die Herren aus den Ministerien, um im Dunkel der Kulissen eine neue Variation dieses grünen Sondergesetzes auszubrüten. Bis Anfang November waren sie dann fündig geworden. Die Ausschußdrucksache 273 des Haushaltsausschusses lag vor. Nun sollte nach Auffassung der Regierungsparteien überhaupt keine Kontrolle der Etatansätze der Geheimdienste in diesem Jahr mehr stattfinden. Diese Kontrolle sollte nun von einer im neuen Jahr, also nachträglich, nach Verabschiedung des Haushaltes mit den Stimmen der Mehrheit des Deutschen Bundestages zu wählenden Fünferkommission geleistet werden. Damit hatten Sie jetzt eine rechtliche Klippe umschifft, nämlich die, daß Sie ursprünglich auf der Basis eines Gesetzes verfahren wollten, das es noch gar nicht gab. Kleinert ({5}) Mit dem Umschiffen dieser Klippe allerdings waren Sie gleichzeitig auf ein neues Riff aufgelaufen. Wenn vor Verabschiedung des Haushalts über diese Titel gar nicht mehr beraten werden sollte, dann mußten Sie ja auf die vorläufige Haushaltsführung zurückgreifen, um überhaupt Ausgaben aus diesen Titeln tätigen zu können. Das ist aber laut Grundgesetz nur dann möglich, wenn der Haushalt insgesamt nicht beraten und nicht verabschiedet werden kann. Das kann er ja, denn Sie haben ja hier eine fast überall gefolgstreue Mehrheit in diesem Parlament. Wir werden j a sehen, daß Sie diesen Haushalt verabschieden können. Nun war freilich auch mit dieser ebenso rechtswidrigen Lösung das Kapitel Geheimdienstfinanzen noch längst nicht abgeschlossen. Nur 14 Tage nach diesem zweiten Vorschlag überraschten Sie uns mit einem dritten, nämlich mit der Ausschußdrucksache 293, die dann wiederum die Zahl fünf aus dem Kontrollgremium herausnahm. Offensichtlich hatten Sie inzwischen Angst davor bekommen, daß wir vielleicht eine einstweilige Anordnung beantragen könnten im Blick darauf, daß die Zahl fünf ganz offensichtlich auf eine „Lex GRÜNE" hinzielte. Um das nun auch noch ausschalten zu können, kam ein dritter und schlußendlich sogar ein vierter Entwurf. Meine Damen und Herren, das Ganze zielte letztlich dahin, Ihre Tricksereien, die Sie hier seit dem März unternehmen, um uns da herauszuhalten, und zwar mit allen Mitteln, auch mit dem Mittel der offensichtlichen Rechtsbeugung, herauszuhalten, noch weiter zu perfektionieren. ({6}) Was sich im Zuge dieser verschiedenen Versuche offenbart hat, will ich einmal so bezeichnen: Bei Ihren sogenannten Rechtsgelehrten kann man einen gewissen Anstieg der intellektuellen Kompetenz nicht übersehen. Was damit allerdings nicht verbunden war, ist ein Anstieg des Rechtsempfindens. ({7}) Vor uns liegen jetzt die erste und die vierte Fassung des Versuchs, uns auszuschließen. Diese Fassung, die jetzt beschlossen werden soll, läuft aber nicht nur darauf hinaus, uns aus der Beratung der Etatansätze der Geheimdienste herauszuhalten, sie läuft nicht nur darauf hinaus, unter Umständen die Opposition insgesamt aus dieser Beratung herauszuhalten, sie läuft sogar darauf hinaus, daß Parlament insgesamt aus der verfassungsrechtlich zwingend vorgeschriebenen Beratung über die Haushaltstitel, zunächst jedenfalls, völlig herauszuhalten. ({8}) Wir sollen hier heute, morgen über etwas abstimmen, meine Damen und Herren, dessen Inhalt eigentlich niemand aus der Mitte des Parlaments überhaupt kennen kann; denn über diese Titel ist parlamentarisch bis zur Stunde nicht beraten worden, weder hier noch im Ausschuß noch in irgendeinem Unterausschuß. ({9}) Deshalb ist es auch offenkundig, daß diese Titel keine Etatreife besitzen und daß damit der Haushalt insgesamt nicht verabschiedet werden kann. Deshalb habe ich auch gestern hier beantragt, ({10}) die Vertagung der Debatte zu beschließen, so lange, bis diese Titel beraten sind. Und weil dies nicht geschehen ist, haben wir und auch ich als einzelner Bundestagsabgeordneter entsprechende Anträge auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt. ({11}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich habe am 30. September an dieser Stelle - Sie können das nachlesen - ausgeführt, daß Sie diese verfassungsrechtlichen Manipulationen deshalb versuchen, weil Sie uns für ein Sicherheitsrisiko halten. ({12}) - Herr Friedmann, Ihre Zustimmung gibt mir erneut recht. Ich habe damals gefragt, wer denn wohl angesichts dieser Vorgänge das eigentliche Sicherheitsrisiko sei. ({13}) Ich habe gefragt: Sind denn die das Sicherheitsrisiko, die über die Art und Weise aufklären wollen, wie die Geheimdienste mit Steuergeldern umgehen, oder sind es nicht vielmehr die, die im Dunkel der Kulissen an grundlegenden Prinzipien der Verfassung und des Haushaltsrechts herummanipulieren? Meine Damen und Herren, die Regierungsparteien selber sind es gewesen, die die endgültige Antwort auf diese Frage in den vergangenen Wochen gegeben haben. Ich bedanke mich. ({14})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}).

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kleinert, Sie hätten sich Ihre schaurige Geschichte sparen können, die Sie hier zum wiederholten Male aufgetischt haben, um eine Story zusammenzubrauen, so, als seien hier Dunkelmänner am Werke, die nichts anderes im Sinn hätten, als die Verfassung zu verbiegen und Parlamentsrechte zu verkürzen. ({0}) Roth ({1}) Ich muß Ihnen allerdings eines sagen - wenn ich das ganz persönlich zum Ausdruck bringen darf -: Wir reden hier über die Kontrolle geheimhaltungsbedürftiger Wirtschaftspläne unserer Nachrichtendienste. Ich muß schon sagen, wenn ich mir Sie anschaue: Sie zum Kontrolleur unserer Verfassungsschutzdienste zu machen, das würde von mir verlangen, den Bock zum Gärtner zu machen. ({2}) - Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Kollege Diederich, wenn Sie hier das Wort „Demokratieverständnis" in die Diskussion einbringen: ({3}) Diese Fraktion, die hier einen wiederholten Anlauf unternimmt, die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1984 zu verhindern, ({4}) hat bis jetzt noch nicht bewiesen, daß sie mit ihrer eigenen Rolle, mit ihrem eigenen Selbstverständnis, mit ihren parlamentarischen Pflichten und mit der Ordnung dieses Hauses ins reine gekommen ist. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, keine Zwischenfragen. ({0}) Deshalb fordere ich Sie auf: Werden Sie zunächst einmal mit sich selber fertig. ({1}) Hören Sie auf, dieses Parlament als ein Spielbein zu betrachten und das Standbein Ihrer politischen Existenz draußen in den außerparlamentarischen Bewegungen zu sehen. Ersparen Sie uns, sich als Gralshüter parlamentarischer Rechte in diesem Haus aufzuspielen. ({2}) Worum geht es nun bei diesem § 4 Abs. 9? ({3}) Wir stehen in einem rechtlichen Spannungsverhältnis ({4}) von parlamentarischen Kontrollrechten einerseits und den Belangen unserer Staatssicherheit andererseits. ({5}) Bei aller Betonung unserer parlamentarischen Rechte haben wir die Geheimhaltung bestimmter Wirtschaftspläne der Dienste sicherzustellen. Das ist auch von keiner Fraktion dieses Hauses ernsthaft in Abrede gestellt worden. ({6}) Das, Herr Schily, ist das Problem. Tun Sie doch bitte nicht so, meine Damen und Herren, als wäre das neu. ({7}) Wir haben beim G-10-Gesetz und bei der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste diese Dinge in anderem Zusammenhang vernünftig geregelt. Wir haben beste Erfahrungen damit gesammelt. Diese Lösungen haben sich bewährt. Bei der Verabschiedung des PKK-Gesetzes im Jahre 1978 bestand Einigkeit darüber, daß ein so sensibler Bereich ... ({8})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! - Ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. - Bitte, Herr Abgeordneter. ({0})

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... nicht ohne Mitwirkung des ganzen Hauses behandelt werden sollte. ({0}) Ich verstehe die Kritik der GRÜNEN nicht, wenn wir jetzt auch die haushaltspoltische Kontrolle der Dienste aus der Unzulänglichkeit von interfraktionellen Absprachen herausnehmen und zu einer klaren gesetzlichen Regelung kommen. ({1}) Ein einwandfreieres und ein praktikableres Instrument als eine gesetzliche Regelung für diese Fragen gibt es überhaupt nicht. ({2}) § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes ist den Regelungen des G-10-Gesetzes und des PKK-Gesetzes nachgebildet. Das ist eine praktikable und, wie Sie sehr wohl wissen, auch verfassungsrechtlich völlig einwandfreie Lösung. ({3}) Roth ({4}) I In entsprechender Anwendung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit sollen die Mitglieder dieses Gremiums durch den Deutschen Bundestag gewählt werden. ({5}) Sie sollen Mitglieder des Haushaltsausschusses sein. Ihnen obliegt die Genehmigung der geheimzuhaltenden Wirtschaftspläne. Der Rechnungshof hat dann wie seither die Jahresrechnung zu prüfen und dieses neue Gremium über die Ergebnisse der Jahresprüfung zu unterrichten. Ich empfinde es deshalb als völlig unangebracht, wenn Sie uns unterstellen, wir wollten unsere Mehrheit gegen die Rechte der Minderheit einsetzen. ({6}) Sie können sich darauf verlassen, daß wir die G-10-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang respektieren werden. Einen Mißbrauch der Rechte der Mehrheit des Hauses oder der Koalition gegen die Minderheit wird es nicht geben. ({7}) Wir sind aber auch nicht bereit - das füge ich hinzu -, uns in diesem Hause dem ständigen Druck einer parlamentarischen Minderheit auf die Entscheidungsfreiheit des ganzen Hauses auszusetzen. ({8}): Sie

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie tun uns j a richtig leid!) Im übrigen verstehe ich Ihre Aufregung nur zum Teil. Wir machen nämlich gleichzeitig Ernst damit, die Rechte des Parlaments zu stärken. Wir schaffen neue, zusätzliche Kontrollrechte. ({0}) Wir nehmen nämlich aus den seither acht geheimgehaltenen Titeln vier heraus und legen sie offen. ({1}) Das ist eine echte Verbesserung der parlamentarischen Kontrollrechte. Meine Damen und Herren, Sie können sich akustisch noch so sehr zur Wehr setzen in diesem Hause, ich bleibe dabei: § 4 Abs. 9 ist geeignet, den von mir beschriebenen Zielkonflikt zu lösen, und zwar in einer sauberen Weise. ({2}) Wir werden diese Regelung unterstützen. Meine Damen und Herren, das Gremium kann dann bereits in der zweiten Januar-Hälfte gewählt werden. Es kann die Beratungen unverzüglich aufnehmen. ({3}) Es ist Bestandteil des Haushaltsgesetzentwurfs, daß die Haushaltsansätze bis zu diesem Zeitpunkt zu 75 % gesperrt sind und daß im übrigen - damit auch da keine Unklarheiten aufkommen - die Regelungen der vorläufigen Haushaltsführung entsprechend Art. 111 des Grundgesetzes gelten. ({4}) Ich wollte in aller Kürze noch einen zweiten Punkt zum Haushaltsgesetz vortragen, der in der Debatte der letzten drei Tage eine Rolle gespielt hat. Das ist die Frage der Stellenwiederbesetzungssperre. Herr Kollege Kühbacher hat hier zu sehr drastischen Bemerkungen gegriffen, als er von der größten Massenentlassung gesprochen hat, von Arbeitsplatzvernichtung auf Zeit, vom Skandal eines politischen Arbeitslosenprogramms. Starke Worte, Herr Kühbacher, aber leider ohne Substanz. ({5}) Mit § 18a dieses Haushaltsgesetzes haben wir nämlich der Regierung in bewußter Abkehr von der von Ihnen früher praktizierten einprozentigen globalen und pauschalen Stellenstreichung ein wesentlich flexibleres Instrument in die Hand gegeben, mit dem es möglich sein soll, etwa 90 bis 100 Millionen DM im Haushalt 1984 im Personalkostenbereich einzusparen. ({6}) Planstellen von Beamten und Stellen von Angestellten sollen für die Zeit von sechs Monaten nicht wiederbesetzt werden. Man soll sich in den Dienststellen darauf verlassen können, daß aus den großen vorhandenen Personalkörpern heraus die Arbeit mit übernommen wird. Meine Damen und Herren, dies ist ein gewollter Effekt. Das ist ein wesentlich praktischerer und elastischer handhabbarer Effekt. Damit stellen wir sicher, daß diese Personalreduzierung auch wirklich stattfinden kann. Wir haben vor allen Dingen wesentliche Ausnahmen in dieses Gesetz geschrieben, die insbesondere zum einen den jungen Menschen, zum anderen den Behinderten zugute kommen. Wir wollen, daß der Nachwuchs im öffentlichen Dienst nach Absolvierung der Ausbildungsphase in die freien Stellen übernommen werden kann und zwar als Beamte auf Probe oder in ein Arbeitsverhältnis. Wir wollen darüber hinaus, daß die Schwerbehinderten eine echte Zusatzchance bekommen. Kein Dienststellenleiter muß eine freiwerdende Stelle unbesetzt lassen, wenn er dafür einen geeigneten und anerkannten Schwerbeschädigten findet, den er auf diese Stelle setzen kann. Roth ({7}) Ich glaube, daß diese Politik im besten Sinne des Wortes sozial ist, daß wir hier etwas für eine Gruppe tun, die es in der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation besonders schwer hat. Wir reden nicht nur von der sozialen Beschäftigungspolitik, wir handeln auch danach. Meine Damen und Herren, ich komme damit zum Schluß. ({8}) Die Debatte der letzten drei Tage hat bewiesen, daß die Opposition weder in personeller noch in sachlicher Hinsicht eine wirkliche Alternative zur Politik dieser neuen Bundesregierung aufzuzeigen hatte. ({9}) In den Jahren Ihres eigenen Versagens, Herr Kollege Diederich, haben Sie mit der ganzen Häme Ihrer Kritik immer nach der Alternative der Union gerufen. Diese Alternative hat längst Gestalt angenommen. Wir haben ein Programm nicht nur versprochen, sondern wir haben es mit großem und wachsendem Erfolg durchgesetzt. Jetzt sind Sie es, die ein Defizit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder beseitigen müssen. Sie sind es, die Kommissionen bilden müssen, um aus diesem Defizit herauszukommen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wünschen Ihnen im Interesse des Landes Erfolg. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Bundesregierung Helmut Kohl, die wir auch beim Haushaltsgesetz unterstützen. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das hat Frau SeilerAlbring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich Ihnen, Herr Kleinert, meine Aufmerksamkeit zuwende, möchte ich ein paar Worte zum Haushaltsgesetz verlieren. Die Eckdaten des hier zu beratenden Haushaltsgesetzes 1984 zeigen, daß die Koalition gute Arbeit geleistet hat. § 1 können Sie entnehmen, daß es uns trotz unabweisbaren Mehrbedarfs gelungen ist, durch gezielte Einsparungen die Ausgaben noch einmal um 600 Millionen DM gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu verbessern. Damit steigt, wie Ihnen bekannt ist, der Bundeshaushalt nicht, wie ursprünglich geplant, um 1,8%, sondern nur um 1,6%. Dieses hat zur Folge, daß wir die Kreditaufnahme, ({0}) die in § 2 geregelt ist, um fast 4 Milliarden DM senken konnten. Mit einer um ebenfalls mehr als 4 Milliarden DM niedrigeren Kreditaufnahme im laufenden Haushalt ist eine meines Erachtens erhebliche Entlastung der Kreditmärkte möglich. Dies hat zur Folge, daß der Markt entlastet wird und ein Klima für eine weitere Konsolidierung der Zinsentwicklung gegeben ist. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir die vorgenannten Eckwerte im Gegensatz zu der Praxis der letzten Jahre, als die SPD den Finanzminister stellte, tatsächlich einhalten können. Ich bin überzeugt, daß alle erkennbaren Risiken realistisch im Etat veranschlagt sind. Mich wundert natürlich nicht, daß die Damen und Herren der Opposition auch im Haushalt 1984 diese Grundaussage in Frage stellen. ({1}) Ihnen geht es meines Erachtens um Verunsicherung und Panikmache. So haben Sie ja bereits in der Aussprache zum Haushalt 1983 vorhergesagt, daß die im damaligen Haushaltsgesetz veranschlagten Werte unrealistisch seien und erheblich überschritten würden. Dem Protokoll der 9. Legislaturperiode habe ich entnommen, daß Ihre Experten uns eine tatsächliche Kreditaufnahme für 1983 von mehr als 45 Milliarden DM vorausgesagt haben. Tatsächlich werden wir gegenüber Ihrer Panikschätzung in diesem Jahr um 10 Milliarden DM besser liegen. ({2}) Herr Kleinert, Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß es Ihnen in dieser Aussprache hauptsächlich darum geht, den Fuß in der Tür der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste zu haben. § 4 Abs. 9 in der vorliegenden Fassung stellt die parlamentarische Kontrolle in diesem Bereich unseres Erachtens sicher. Damit ist gewährleistet, daß Mitglieder des Deutschen Bundestages, die dem Haushaltsausschuß angehören und vom Deutschen Bundestag gewählt werden, diese Kontrolle auch wahrnehmen können. Nach meiner Meinung stellt dieses Verfahren im Gegensatz zum Haushaltsverfahren der vergangenen Jahre ausdrücklich auf die Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle ab. Die Kollegen werden jetzt vom Plenum des Deutschen Bundestages gewählt, wogegen sie in der Vergangenheit lediglich vom Ausschuß selbst bestimmt worden sind. Weil das Haushaltsgesetz erst zum 1. Januar 1984 in Kraft tritt, haben wir sichergestellt, daß zunächst die Haushaltsansätze in den Wirtschaftsplänen bis zur Höhe von 75 % gesperrt sind. Ich bin sicher, daß die Wahl der Mitglieder der parlamentarischen Kontrolle alsbald in den ersten Wochen des neuen Jahres erfolgt. Nur, Herr Kleinert, ich habe das Gefühl, daß es Ihnen hier um etwas ganz anderes geht, daß es Ihnen im Grunde gar nicht darum geht - ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Einen Augenblick, Frau Abgeordnete! - Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Platz zu nehmen und die Redner in den letzten zehn Minuten noch in Ruhe anzuhören. Wir haben den ganzen Tag über die Debatte in Ruhe Vizepräsident Wurbs abgewickelt. Es ist unmöglich, die Redner zu verstehen. ({0}) Bitte fahren Sie fort.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie Sie genau wissen, Herr Kleinert, haben wir in der letzten Woche im Haushaltsausschuß einen Tagesordnungspunkt beraten, der die NATO-Infrastruktur zum Inhalt hatte. Nun war das endlich einmal ein Tagesordnungspunkt mit der Stufe Geheim, und die Beratung dieses Tagesordnungspunktes erfolgte unter Absenz der Fraktion der GRÜNEN. ({0}) Somit dürfte meines Erachtens ziemlich klar sein, daß mein Verdacht, daß es sich hier wie üblich um eine öffentlichkeitswirksame Turnübung handelt, gerechtfertigt ist. - Bitte, Herr Schily, was meinten Sie so recht? ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen, daß dieses Haushaltsgesetz unserer Ansicht, unseren Konsolidierungsbemühungen Rechnung trägt. Wir dürfen in unserem Bemühen nicht nachlassen, wenn wir es mit der dauerhaften Sanierung der Staatsfinanzen ernst meinen, damit der Bürger das Vertrauen in unsere Regierung zurückgewinnt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walther.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Frau Kollegin Seiler-Albring nicht auseinandersetzen; das werden wir morgen noch tun. Nur, Frau Kollegin Seiler-Albring, auf Ihren letzten Satz möchte ich gern zurückkommen. Sie hatten darum gebeten, daß die Wähler das Vertrauen zu dieser Regierung zurückgewinnen. Das impliziert doch nach Ihrer Meinung daß diese Regierung das Vertrauen der Wähler bisher nicht hatte. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte gern noch einmal auf den Beitrag des Kollegen Dr. Hoffacker von vorhin zurückkommen, der mir, was ich verstehe, eine Zwischenfrage abgelehnt hat. Ich hatte mich gemeldet, als er behauptet hat, wir Sozialdemokraten würden Familienpolitik ablehnen. Ich wollte ihm bei dieser Gelegenheit sagen und gebe das hier zu Protokoll, daß wir den Einzelplan 15 deshalb ablehnen, weil wir den Stil des ständig den inneren Frieden störenden Generalsekretärs des Herrn Dr. Kohl ablehnen, ({1}) der seinen Job, für den er bezahlt wird, übrigens nur im Nebenamt ausübt. Herr Kollege Roth, ich möchte mich in allem Ernst an Sie wenden. Ich bin nicht sicher, ob ein Teil Ihrer Ausführungen, die Sie soeben an diesem Pult gemacht haben, für die Entscheidung sehr hilfreich war, die das Bundesverfassungsgericht am kommenden Dienstag treffen muß; ({2}) denn Sie haben in einer Offenheit die Beweggründe, die hinter der neuen Regelung stehen, dargestellt, die bei mir zumindest den Verdacht wecken könnten, daß das Verfassungsgericht genau diese Beweggründe als für nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen ansehen könnte. ({3}) Ich habe ein gewisses Verständnis und sage das auch kritisch in die Richtung unserer Kollegen von der GRÜNEN-Fraktion. Sie haben zu Beginn der Legislaturperiode - ich habe das hier zettelweise vor mir liegen - Äußerungen des Inhalts gemacht - ich verkürze das alles -, auch Sie, Herr Schily, daß Sie entscheiden würden, was geheim zu bleiben habe, daß Sie die Demokratie öffentlich machen wollten. Solche Äußerungen waren nicht hilfreich für die Position, Herr Schily, die ich hier vertreten will.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich bitte um Verständnis, Herr Präsident. Wir wollen zur Abstimmung kommen. ({0}) - Herr Schily, ich habe alle Ihre Äußerungen hier schriftlich liegen. Sie können sie nachher bekommen. Zweitens war es auch nicht hilfreich, daß Sie die von Ihnen angekündigte Klage in Karlsruhe gegen die Regelungen nach dem PKK-Gesetz bisher nicht eingereicht haben. Hätten Sie das getan, wäre heute möglicherweise eine neue Geschäftsgrundlage da. Ich muß Ihnen das, Herr Schily, persönlich zum Vorwurf machen. Wir Sozialdemokraten lehnen die vorgesehene Regelung aber auch deshalb ab, weil wir aus unserer eigenen Geschichte leidvoll wissen, wohin es führen kann, wenn politische Minderheiten ausgegrenzt werden, ({1}) und wir wehren uns dagegen, wer immer es auch sein mag, daß politische Minderheiten von der Mehrheit ausgegrenzt werden. Dies kann der erste Schritt auf dem Wege zu weniger Demokratie sein, und deshalb wehren wir uns dagegen. Letzte Bemerkung. Auch wir Sozialdemokraten sind an einer schnellen Regelung interessiert, weil zumindest bei einem Dienst nach unseren Erkenntnissen manches geschehen ist, was bisher haushaltsrechtlich nicht abgesichert ist. Ich sage es noch anders: Bei mir ist der Eindruck entstanden, daß in dem schon zitierten berühmten Bermuda-Dreieck des Kanzleramtes auch die Koordination der Geheimdienste untergegangen ist. ({2}) Auch von daher lehnen wir diese Regelung ab und hoffen sehr, daß wir sehr schnell zu einer verfassungsrechtlich gesicherten Grundlage zurückkehren können. Vielen Dank. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Es ist vereinbart worden, die namentlichen Abstimmungen über den Einzelplan 11 erst nach der Abstimmung über Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - durchzuführen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Ich erteile dem Abgeordneten Kleinert das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag. ({0})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie werden sich das schon noch anhören müssen. Ich beantrage namens der Fraktion der GRÜNEN die gesonderte Abstimmung zu § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes. Ich beantrage zu § 4 Abs. 9 namentliche Abstimmung. Ich beantrage dies, weil mit § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes grundsätzliche Probleme aufgeworfen sind, die die Befugnisse des Parlaments insgesamt und insbesondere die Kontrollmöglichkeiten der Opposition im Parlament berühren und die darüber hinaus auch die Kontrollrechte des Parlaments und des einzelnen Abgeordneten tangieren. Deshalb der Antrag auf namentliche Abstimmung zu § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Ich darf noch erwähnen, daß der Abgeordnete Heyenn eine schriftliche Erklärung abgegeben hat*). *) Anlage 2 Wir kommen zu den Abstimmungen in zweiter Beratung. Ich rufe den Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - und die damit in Zusammenhang stehenden Art. 23 a, 26, 27 und 28 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 zur Abstimmung auf. Wir stimmen zuerst über die Art. 23 a, 26, 27 und 28 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung - Drucksache 10/690 - ab. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 08 ab. Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 32 - Bundesschuld. Wer dem Einzelplan 32 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung. Wer dem Einzelplan 60 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe nunmehr Einzelplan 20, den Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1984 und den Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 zur Abstimmung auf. Wir stimmen zunächst über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - ab. Wer dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Einzelplan 20 ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1984 in der Ausschußfassung auf Drucksache 10/686 mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Ergänzung. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/769, 10/770 und 10/771 Änderungsanträge vor. Ich rufe Art. 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Ich rufe Art. 5 auf. Ich lasse über die zu Art. 5 vorliegenden Änderungsanträge der Fraktion der SPD in der Reihenfolge der Drucksachennummern abstimmen. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/769 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/770 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Vizepräsident Wurbs Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/771 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer Art. 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 6 bis 12, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1984 abgeschlossen. Wir kommen nunmehr zu der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 - Drucksachen 10/281 und 10/535. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/723 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Ich rufe jetzt den Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - und den Entwurf eines Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetzes - Drucksachen 10/338, 10/346 und 10/350 - zur Abstimmung auf. Ich lasse zuerst über den Entwurf eines Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetzes in der Ausschußfassung auf Drucksache 10/677 abstimmen. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/761 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Die zweite Beratung dieses Gesetzentwurfs ist damit abgeschlossen. Wir stimmen nunmehr ab über den Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/751, 10/777, 10/788 und 10/789 Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN vor. Ich lasse in der Reihenfolge der Drucksachennummern abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/751 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/777 zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/788 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/789 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Einzelplan 09 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist angenommen. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/778 vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Einzelplan 10 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist angenommen. ({1}) Wir stimmen nunmehr über die Vorlagen zu Tagesordnungspunkt III a. 26 und die damit in Zusammenhang stehenden Art. 1 bis 20b des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 ab. Ich lasse zuerst über die Art. 1 bis 20b des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung - Drucksache 10/690 - abstimmen. Zu diesen Artikeln liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/755, 10/756, 10/757, 10/758 und Drucksache 10/795 unter den Ziffern 1 bis 4 vor. Ich rufe den Art. 1 auf. Hierzu liegen auf Drucksache l0/755 und auf Drucksache 10/756 unter Ziffer 1 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag auf Drucksache 10/755 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe jetzt den Änderungsantrag auf Drucksache 10/756 unter Ziffer 1 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um Vizepräsident Wurbs das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 2 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Ich rufe Art. 7 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 10/757 und auf Drucksache 10/795 unter Ziffer 1 gleichlautende Anträge der Fraktion der SPD sowie des Abgeordneten Hoss und der Fraktion der GRÜNEN auf Streichung des Art. 7 vor. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Wer Art. 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 8 bis 11 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Ich rufe Art. 12 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/756 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 13 bis 15 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Ich rufe Art. 16 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/756 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/756 unter Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 16 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Auf Drucksache 10/758 beantragt die Fraktion der SPD die Einfügung eines Art. 16a. Wer diesem Änderungswunsch zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe die Art. 17 bis 19 auf. Hierzu wird von dem Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/795 unter den Ziffern 2 bis 4 Streichung beantragt. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer den Art. 17 bis 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die Art. 20 bis 20 b in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf eines Vermögensbeteiligungsgesetzes - Drucksachen 10/337 und 10/349 - in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/724. Zu diesem Gesetz liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/762, 10/763, 10/764, 10/765, 10/766 und 10/767 vor. Ich rufe den Art. 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/762, 10/763 unter Ziffer 1 und 10/764 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 10/762 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/763 unter Ziffer 1 ab. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 10/764 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/763 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vizepräsident Wurbs Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 10/763 unter Ziffer 3 und auf Drucksache 10/765 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/763 unter Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/765 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Art. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen. Die Fraktion der SPD beantragt auf den Drucksachen 10/766 und 10/767, nach Art. 4 einen Art. 4 a und einen Art. 4 b einzufügen. Wer diesen beiden Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Ich rufe die Art. 5 und 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Vermögensbeteiligungsgesetzes abgeschlossen. ({2}) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der unmittelbaren Kostenbeteiligung der Versicherten an der Krankenhaus- und Kurbehandlung - SelbstbeteilungsAufhebungsgesetz -, Drucksache 10/120, ({3}) dazu Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - Drucksache 10/675, Berichterstatter: Abgeordneter Egert, und Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung, Drucksache 10/676, Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Friedmann, Frau SeilerAlbring und Sieler. Ich rufe die Art. 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 der Geschäftsordnung jede weitere Beratung. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Antrag der Fraktion der SPD ab: Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Drucksache 10/189 und 10/704. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/704 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag des Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortmaßnahmen, Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung, Drucksachen 10/205 und 10/698. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/698 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Meine Damen und Herren, es ist noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht über den Mutterschaftsurlaub -, Drucksachen 10/358 Nr. 64 und 10/706, abzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/706 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Ich rufe Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - und die damit im Zusammenhang stehenden Art. 21, 21 a und 21 b des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung auf Drucksache 10/690 zur Abstimmung auf. Wir stimmen zuerst über die Artikel des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 ab. Ich rufe Art. 21 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/759 und 10/795 unter Ziffer 5 Bleichlautende Anträge der Fraktion der SPD sowie des Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Streichung des Art. 21 vor. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Wer Art. 21 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Art. 21 a und 21 b sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Vizepräsident Wurbs Die zweite Beratung des Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes ist damit abgeschlossen. Ich lasse jetzt über Einzelplan 15 abstimmen. Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/791 und 10/792 ({4}) vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/791 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/792 ({5}) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Einzelplan 15 ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Hoss, Frau Potthast und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/790 vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/790 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über Einzelplan 11 in der Ausschußfassung ab. Hierzu ist von der Fraktion DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß noch mit einer weiteren namentlichen Abstimmung zu rechnen ist. Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob noch ein Mitglied die Karte nicht abgegeben hat. ({6}) Meine Damen und Herren, darf ich nochmals fragen, ob noch ein Mitglied seine Karte nicht abgegeben hat. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und darf die Schriftführer bitten, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 453 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 264 gestimmt, mit Nein haben 189 gestimmt. 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 11 gestimmt, mit Nein haben 10 gestimmt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 452 und 21 Berliner Abgeordnete; davon ja: 263 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 189 und 10 Berliner Abgeordnete Ja CDU/CSU Dr. Abelein Dr. Althammer Austermann Dr. Barzel Bayha Dr. Becker ({7}) Berger Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({8}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({9}) Dr. Bugl Carstens ({10}) Carstensen ({11}) Clemens Conrad ({12}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Deres Dörflinger Doss Dr. Dregger Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard ({13}) Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Frau Fischer Fischer ({14}) Francke ({15}) Franke Ganz ({16}) Frau Geiger Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({17}) Gerstein Gerster ({18}) Dr. Göhner Dr. Götz Günther Dr. Häfele Hanz ({19}) Hartmann Haungs Hauser ({20}) Hauser ({21}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Frau Hoffmann ({22}) Dr. Hornhues Hornung Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({23}) Dr. Jahn ({24}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({25}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Dr. Klein ({26}) Klein ({27}) Dr. Köhler ({28}) Dr. Köhler ({29}) Dr. Kohl Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({30}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Dr. Lenz ({31}) Lenzer Link ({32}) Link ({33}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({34}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({35}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({36}) Müller ({37}) Müller ({38}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Vizepräsident Wurbs Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({39}) Dr. Riesenhuber Rode ({40}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({41}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({42}) Rühe Ruf Sauer ({43}) Sauer ({44}) Saurin Sauter ({45}) Sauter ({46}) Dr. Schäuble Schartz ({47}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({48}) Schneider ({49}) Dr. Schneider ({50}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({51}) Schröder ({52}) Schulhoff Dr. Schulte ({53}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({54}) Vogt ({55}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({56}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Frau Berger ({57}) Boroffka Buschbom Dolata Feilcke Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Schulze ({58}) Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer ({59}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({60}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({61}) Dr. Solms Dr. Weng Wolfgramm ({62}) Wurbs Berliner Abgeordneter Hoppe Nein SPD Amling Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({63}) Berschkeit Bindig Frau Blunck Brandt Brosi Brück Buckpesch Büchler ({64}) Büchner ({65}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dreßler Dr. Ehmke ({66}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Fischer ({67}) Fischer ({68}) Franke ({69}) Frau Fuchs ({70}) Frau Fuchs ({71}) Gansel Gerstl ({72}) Glombig Gobrecht Grunenberg Dr. Haack Haar Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Dr. Hauff Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({73}) Hoffmann ({74}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Ibrügger Jahn ({75}) Jaunich Dr. Jens Jung ({76}) Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({77}) Dr. Klejdzinski Klose Kolbow Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke Lohmann ({78}) Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({79}) Müller ({80}) Müller ({81}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({82}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Dr. Penner Peter ({83}) Polkehn Porzner Poß Purps Rappe ({84}) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Reuter Rohde ({85}) Schäfer ({86}) Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier Dr. Schmidt ({87}) Schmidt ({88}) Frau Schmidt ({89}) Schmidt ({90}) Schmitt ({91}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schröder ({92}) Schulte ({93}) Dr. Schwenk ({94}) Sielaff Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Dr. Steger Steiner Frau Steinhauer Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Verheugen Vogelsang Vosen Waltemathe Walther Weinhofer Weisskirchen ({95}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Wieczorek ({96}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({97}) Dr. de With Wolfram ({98}) Würtz Zander Zeitler Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({99}) Egert Vizepräsident Wurbs Heimann Löffler Frau Luuk Dr. Mitzscherling Stobbe Dr. Vogel Wartenberg ({100}) DIE GRÜNEN Frau Dr. Bard Bastian Frau Beck-Oberdorf Burgmann Drabiniok Dr. Ehmke ({101}) Frau Gottwald Frau Dr. Hickel Horacek Dr. Jannsen Frau Kelly Kleinert ({102}) Krizsan Frau Nickels Frau Potthast Reents Frau Reetz Schily Frau Schoppe Schwenninger Stratmann Vogt ({103}) Berliner Abgeordneter Schneider ({104}) Damit ist der Einzelplan 11 angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in zweiter Beratung über den Entwurf eines Haushaltsgesetzes 1984, Drucksachen 10/280 und 10/534 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/658. Ich rufe die §§ 1 bis 4 Abs. 8 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. - Ich darf bitten, noch einen Augenblick Platz zu nehmen. Sonst ist es von hier oben unmöglich, das Stimmverhalten der einzelnen Kollegen festzustellen. Ich rufe § 4 Abs. 9 in der Ausschußfassung auf. Hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß noch eine normale Abstimmung zu erfolgen hat. Ich bitte also, das Plenum noch nicht zu verlassen. Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob jemand seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal fragen: Ist jemand im Saal, der seine Karte noch nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich frage: Sind Sie damit einverstanden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren und die nächste Abstimmung durchführen? ({105}) - Meine Damen und Herren, ich bitte, sich dann zu setzen. Sonst kann ich die Mehrheitsverhältnisse nicht erkennen. Sie erleichtern es uns und sich selbst. Außerdem geht es schneller. Ich rufe § 4 Abs. 10, §§ 5 bis 32 einschließlich des Gesamtplans, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns noch etwas gedulden, bis das Ergebnis vorliegt. Eine Abstimmung erfolgt nicht mehr. ({106}) Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 453 ihre Stimme abgegeben. Keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 264, mit Nein 188 gestimmt; eine Enthaltung. 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme wie folgt abgegeben: Keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 11, mit Nein 10 gestimmt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 453 und 21 Berliner Abgeordnete; davon ja: 264 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 188 und 10 Berliner Abgeordnete enthalten: 1 Abgeordneter Ja CDU/CSU Dr. Abelein Dr. Althammer Austermann Dr. Barzel Bayha Dr. Becker ({107}) Berger Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({108}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({109}) Dr. Bugl Carstens ({110}) Carstensen ({111}) Clemens Conrad ({112}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Deres Dörflinger Doss Dr. Dregger Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard ({113}) Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Frau Fischer Fischer ({114}) Francke ({115}) Dr. Friedmann Ganz ({116}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({117}) Gerstein Gerster ({118}) Dr. Göhner Dr. Götz Günther Dr. Häfele Hanz ({119}) Hartmann Haungs Hauser ({120}) Hauser ({121}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Frau Hoffmann ({122}) Dr. Hornhues Hornung Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({123}) Dr. Jahn ({124}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({125}) Vizepräsident Wurbs Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Dr. Klein ({126}) Klein ({127}) Dr. Köhler ({128}) Dr. Köhler ({129}) Dr. Kohl Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({130}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Dr. Lenz ({131}) Lenzer Link ({132}) Link ({133}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({134}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({135}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({136}) Müller ({137}) Müller ({138}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({139}) Dr. Riesenhuber Rode ({140}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({141}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({142}) Rühe Ruf Sauer ({143}) Sauer ({144}) Saurin Sauter ({145}) Sauter ({146}) Dr. Schäuble Schartz ({147}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({148}) Schneider ({149}) Dr. Schneider ({150}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({151}) Schröder ({152}) Schulhoff Dr. Schulte ({153}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({154}) Vogt ({155}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({156}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Frau Berger ({157}) Boroffka Buschbom Dolata Feilcke Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Schulze ({158}) Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer ({159}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({160}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({161}) Dr. Solms Dr. Weng Wolfgramm ({162}) Wurbs Berliner Abgeordneter Hoppe Nein SPD Amling Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({163}) Berschkeit Bindig Frau Blunck Brandt Brosi Brück Buckpesch Büchler ({164}) Büchner ({165}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dreßler Dr. Ehmke ({166}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Fischer ({167}) Fischer ({168}) Franke ({169}) Frau Fuchs ({170}) Frau Fuchs ({171}) Gansel Gerstl ({172}) Glombig Gobrecht Grunenberg Dr. Haack Haar Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Dr. Hauff Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({173}) Hoffmann ({174}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Ibrügger Jahn ({175}) Jaunich Dr. Jens Jung ({176}) Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({177}) Dr. Klejdzinski Klose Kolbow Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke Lohmann ({178}) Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({179}) Müller ({180}) Müller ({181}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({182}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Dr. Penner Peter ({183}) Polkehn Porzner Poß Purps Rappe ({184}) Reimann Reschke Reuschenbach Reuter Rohde ({185}) Schäfer ({186}) Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier Dr. Schmidt ({187}) Schmidt ({188}) Vizepräsident Wurbs Frau Schmidt ({189}) Schmidt ({190}) Schmitt ({191}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schröder ({192}) Schulte ({193}) Dr. Schwenk ({194}) Sielaff Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Dr. Steger Steiner Frau Steinhauer Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Verheugen Vogelsang Vosen Waltemathe Walther Weinhofer Weisskirchen ({195}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Wieczorek ({196}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({197}) Dr. de With Wolfram ({198}) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({199}) Egert Heimann Löffler Frau Luuk Dr. Mitzscherling Stobbe Dr. Vogel Wartenberg ({200}) DIE GRÜNEN Frau Dr. Bard Bastian Frau Beck-Oberdorf Burgmann Drabiniok Dr. Ehmke ({201}) Frau Gottwald Frau Dr. Hickel Horacek Dr. Jannsen Frau Kelly Kleinert ({202}) Krizsan Frau Nickels Frau Potthast Reents Frau Reetz Schily Frau Schoppe Schwenninger Vogt ({203}) Frau Dr. Vollmer Berliner Abgeordneter Schneider ({204}) Enthalten SPD Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 - Haushaltsgesetz 1984 - abgeschlossen. Meine Damen und Herren, ich erteile den Abgeordneten Dr. Soell und Egert einen Ordnungsruf wegen Verwendung nichtparlamentarischer Ausdrücke. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Dezember 1983, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.