Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Haase ({0}) hat am 5. Dezember 1983 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Stockhausen am 6. Dezember 1983 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den Kollegen herzlich im Deutschen Bundestag und wünsche ihm eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
({1})
Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes sind zwei Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU ausgeschieden. Die Fraktion der CDU/CSU benennt als Nachfolger für das bisherige stellvertretende Mitglied Erhard ({2}) den Kollegen Dr. Miltner und für das bisherige stellvertretende Mitglied Haase ({3}) den Kollegen Dr. Unland. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keine Widerspruch. Dann sind die beiden genannten Kollegen wie vorgeschlagen zu stellvertretenden Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses gewählt.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte III a und III b der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 ({4})
- Drucksachen 10/280, 10/534 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
b) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe ({6})
- Drucksachen 10/335, 10/347 - Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({7})
- Drucksachen 10/690, 10/691 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({8}) Hoppe
Wieczorek ({9})
Kleinert ({10})
({11}) Dazu rufe ich auf:
Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
- Drucksachen 10/634, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Hackel
Dr. Riedl ({12})
Verheyen ({13})
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
- Drucksachen 10/635, 10/659 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Hoppe
Würtz
Zu Einzelplan 05 liegen Ihnen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/744 und 10/745 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine verbundene Aussprache über die Einzelpläne 04 und 05 sowie eine Beratungsdauer von sieben Stunden vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir, zu Beginn der heutigen Etatdebatte einen kurzen Bericht zum Athener EG-Gipfel zu geben. Ich habe
natürlich noch Gelegenheit, im Verlaufe der Aussprache zu den anderen Problemen Stellung zu nehmen, halte es jedoch für richtig, zu Beginn der Debatte wenigstens in einigen Sätzen auf diese beiden Tage in Athen einzugehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat hat seine Aufgabe, das sogenannte Stuttgarter Paket in konkrete Beschlüsse umzusetzen, in Athen nicht lösen können. Es hat in einer Reihe von Fragen Annäherungen gegeben, in Kernbereichen jedoch ließen sich die Differenzen jetzt noch nicht überbrücken.
Ich verhehle überhaupt nicht meine Enttäuschung über diese Entwicklung, aber - das füge ich hinzu - ich habe auch keinen Anlaß, an dieser Stelle Schuldzuweisungen gegenüber Kollegen aus anderen Ländern vorzunehmen. Wir werden das in unseren Kräften Stehende tun, damit der nächste Europäische Rat, der vermutlich im Februar/März 1984 tagen wird, seine Aufgabe besser lösen kann und zu einem Erfolg wird. Dazu ist es notwendig, daß wir in den kommenden Monaten in bilateralen Kontakten den Weg weiter ebnen.
Die Haushaltskrise in der Gemeinschaft und der Mißerfolg in Athen werden, wie ich hoffe, den Prozeß des Umdenkens und damit die Notwendigkeit wachsender Kompromißbereitschaft fördern. Dieser Prozeß - das war offenkundig - war in Athen noch nicht weit genug vorangeschritten, jedenfalls nicht weit genug, um einen Abschluß zu ermöglichen.
Wir hatten uns allerdings auch ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt, nämlich die notwendigen Maßnahmen, die wir auf dem Stuttgarter Gipfel definiert hatten, durchzusetzen. Diese Maßnahmen greifen tief in nationale Interessen und auch Besitzstände ein. Vielleicht, meine Damen und Herren, bedarf es einer gewissen Zeit und vielleicht auch krisenhafter Entwicklungen, um zu einem solchen weitgreifenden Schritt die Zustimmung aller Partner zu erhalten. Athen darf deshalb in keiner Weise ein Anlaß zur Resignation sein.
({0})
Es gibt weder für uns noch für irgendeinen unserer europäischen Partner eine vernünftige Alternative zur Europäischen Gemeinschaft. Das gilt in der jetzigen Weltlage mehr denn je, und das gilt, meine Damen und Herren, gerade auch für uns Deutsche, für die Deutschen, die mit der Teilung ihres Vaterlandes leben müssen und für die es kein Zurück in nationalstaatliche Denkkategorien vergangener Zeiten geben kann.
({1})
Das gilt in besonderer Weise auch für die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, deren wirtschaftliche Zukunft entscheidend von der Europäischen Gemeinschaft geprägt wird. Es ist wichtig, auch in dieser Stunde wieder einmal darauf hinzuweisen, daß fast 50 % unserer Exporte in die Länder der Europäischen Gemeinschaft gehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige der Grundgedanken wiederholen, von denen ich mich in Athen habe leiten lassen und die auch Richtschnur unserer zukünftigen Arbeit bleiben werden.
Erstens. Die gegenwärtige Krise der Gemeinschaft kündigte sich seit Jahren an. Jede Lösung, die wir für Probleme der Gemeinschaft finden müssen, muß umfassend und langfristig angelegt sein. Wenn die Europäische Gemeinschaft, das Kernstück des europäischen Einigungswerks, in Zukunft gedeihen soll, muß gewährleistet sein, daß wir nicht schon wieder in einem oder zwei Jahren vor den gleichen Problemen stehen wie heute. Deshalb haben wir gemeinsam in Stuttgart ein Paket geschnürt, das die zukünftige Finanzierung der Gemeinschaft, die Entwicklung der Gemeinschaftspolitiken einschließlich der Überprüfung der Strukturpolitiken, mit der Erweiterung zusammenhängende Fragen und besondere Probleme einiger Mitgliedstaaten im Haushaltsbereich mit der Notwendigkeit einer strengeren Haushaltsdisziplin verbinden.
Zweitens. Für uns ist dieses Stuttgarter Paket eine untrennbare Einheit. Die Bundesregierung steht unverändert zu der politischen Grundentscheidung von Stuttgart, daß über alle diese Einzelfragen gleichzeitig, gleichgewichtig und konkret gesprochen und letztendlich entschieden und beschlossen werden muß.
({2})
Drittens. Nur über eine strengere Haushaltsdisziplin kann die Gemeinschaft den Weg aus der Krise finden. Es ist politisch nicht vertretbar, daß die Mitgliedstaaten ihren Bürgern Opfer zumuten, um die nationalen Haushalte in Ordnung zu bringen, gleichzeitig aber den Gemeinschaftshaushalt ungebremst expandieren lassen. Wir sind in Stuttgart übereingekommen, daß alle Mitgliedstaaten zur Erreichung der notwendigen Einsparungen ihren Beitrag leisten müssen. In Athen haben dies wohl am Ende der Tagung nun auch alle Partner eingesehen.
Viertens. Unverändert treten wir mit Nachdruck für den Beitritt Spaniens und Portugals ein. Bis zum Sommer 1984 sollen nun die Verhandlungen mit den beiden Staaten abgeschlossen sein. Die Gemeinschaft - und damit auch wir - ist hier im Wort, und wir werden zu diesem Wort stehen. Das sind die Europäer Spanien und Portugal vor allem aus grundsätzlichen politischen Überlegungen, aber auch im Hinblick auf die gemeinsame europäische Geschichte und Zukunft schuldig. Ich habe in Athen mit großer Befriedigung festgestellt, daß alle unsere Partner - alle ohne Ausnahme - diese Auffassung teilen.
Fünftens. Die Bundesregierung wird einer Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft, die durch den Beitritt Spaniens und Portugals notwendig wird, zustimmen. Allerdings muß besonders im Agrarbereich die Ausgabendynamik des Gemeinschaftshaushalts abgebremst werden. Es muß eine Obergrenze für untragbare Belastungen gesetzt werden, und es muß in der Zeit bis zur Erhöhung
der Eigenmittel der geltende Finanzrahmen eingehalten werden.
({3})
Wir sind mit dem Willen nach Athen gereist, unseren Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme zu erbringen. Ein solcher Beitrag, meine Damen und Herren, hätte in bestimmten Bereichen auch für unsere Bürger Opfer bedeutet. Unsere Partner wissen dies, und sie würdigen dies. Wir haben allerdings deutlich gemacht, daß auch unsere Partner, und zwar jeder von ihnen, ihren Beitrag zur Gesamtlösung leisten müssen.
So enttäuschend das Ausbleiben eines konkreten Ergebnisses in Athen für uns alle ist, so bin ich doch überzeugt, daß dies eine Chance ist, für die Zukunft neue Ufer zu gewinnen. In einer Reihe von Fragen konnten wir - ungeachtet des Ausgangs in Athen - Fortschritte erzielen, die eine Lösung der Probleme des Gesamtpakets in den kommenden Monaten erleichtern werden. So nähern wir uns einer Lösung des Problems des Grenzausgleichs, das insbesondere in unseren Beziehungen zu Frankreich eine wichtige Rolle spielt.
Die Bundesrepublik Deutschland wird auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Stärke auch in Zukunft den größten Beitrag zum Gemeinschaftshaushalt leisten. Unsere Partner erkennen jedoch an, daß der deutsche Beitrag zum Gemeinschaftshaushalt nicht als einziger Beitrag unlimitiert sein kann.
({4})
Es muß eine obere Belastungsgrenze gefunden werden. Es besteht auch Einigkeit darüber, daß eine Beitragserhöhung am Ende derjenigen Maßnahmen stehen muß, die die zukünftige Entwicklung der Gemeinschaft und nicht zuletzt ihre Ausgaben auf eine gesunde und dauerhafte Grundlage stellen. Wir dürfen dies nicht gering einschätzen.
Wir haben das Stuttgarter Paket nicht aufschnüren lassen und werden dies auch in Zukunft nicht zulassen. Es wird dabei bleiben, daß der Beitritt Spaniens und Portugals zur Gemeinschaft, wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Ausgabendynamik, insbesondere im Agrarbereich, als Teil einer insgesamt effizienteren EG-Haushaltspolitik und die Verhinderung unausgewogener Belastungen einzelner Mitgliedstaaten von uns als Einheit gesehen und behandelt werden.
Die Bundesregierung weiß sich in dieser Politik der Unterstützung durch den ganzen Bundestag sicher. Sie kann es andererseits nicht zulassen, daß ihr in Einzelfragen der Spielraum genommen wird, so daß das Aushandeln von Kompromissen, die bekanntlich im Wege des Gebens und Nehmens zustande kommen, erschwert wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Europa steht an einer kritischen Wendemarke seiner Entwicklung. Es wird in dieser Situation darauf ankommen, die Nerven zu behalten und mit Ruhe und Beharrlichkeit auf die Lösung der anstehenden Probleme hinzuarbeiten.
({5})
- Meine Damen und Herren, wie können Sie hier überhaupt einen Zwischenruf machen! Das Paket, das wir zu bewältigen haben, haben wir doch in der Tat von Ihnen übernommen.
({6})
Alle Daten, die in Athen und in Stuttgart relevant waren, sind in Ihrer Regierungszeit entstanden.
({7})
Gerade weil dies so ist, wiederhole ich es: Es wird in dieser Situation darauf ankommen, die Nerven zu behalten
({8})
und mit Ruhe und Beharrlichkeit auf die Lösung der anstehenden Probleme hinzuarbeiten. Es handelt sich für uns um eine Aufgabe höchster politischer Priorität.
({9})
Besonders will ich davor warnen, im Ringen um die Probleme der Gemeinschaft den großen politischen Rahmen, die Perspektive unserer Europapolitik aus den Augen zu verlieren.
Wir Deutschen sollten die Europäische Gemeinschaft ganz besonders in ihrer historischen und politischen Perspektive sehen und fördern. Wir müssen mehr als andere begreifen, daß ein zersplittertes, sich in erneuten Nationalismen erschöpfendes Europa keinen Einfluß in der Welt ausüben kann, ja zum Spielball fremder Interessen werden muß.
({10})
Wir müssen uns fragen, ob unser Wunsch, die Welt im Sinne unserer politischen und humanitären Vorstellungen mitzugestalten, dann noch Wirklichkeit werden könnte.
Wirtschaftlich ist die Europäische Gemeinschaft für die Bundesrepublik von existentieller Bedeutung. Nur der Zusammenschluß der Europäer bietet uns und unseren europäischen Freunden und Partnern die Gewähr, daß wir im kommenden Jahrhundert mit anderen wirtschaftlichen Großregionen der Welt konkurrieren können. Die Antwort auf zahlreiche wirtschaftliche und soziale Probleme unserer Zeit kann nur in Europa gemeinsam gefunden und erreicht werden.
Wir sollten in Deutschland - ich wiederhole es - nicht vergessen, daß unser Wunsch, Mauer und Stacheldraht und deutsche Spaltung zu überwinden, einen europäischen Rahmen voraussetzt. Die deutsche Frage war immer auch eine europäische Frage, und wir Deutsche brauchen für den Wunsch unseres Volkes nach Selbstbestimmung das Verständnis und die Unterstützung unserer europäischen Partner. Beides wird nur gewährt werden, wenn die Lösung der deutschen Frage in einen europäischen Rahmen eingebettet ist und nicht gegen die Nachbarn, sondern in ihren wohlverstandenen Interessen erfolgt.
({11})
Unsere auf den europäischen Zusammenschluß gerichtete Politik hat deshalb selbstverständlich immer auch eine deutschlandpolitische Dimension.
Meine Damen und Herren, unsere Rolle in der Europäischen Gemeinschaft hat traditionell der Bedeutung, die wir der europäischen Einigung beimessen, Rechnung getragen. Dies wird auch in Zukunft so sein. Die Bundesrepublik Deutschland, die zu den sechs Mitbegründern der Europäischen Gemeinschaft gehört, wird ihre Kraft auch weiterhin dafür einsetzen, daß die gemeinschaftliche Wirtschaftsintegration und der Aufbau des politischen Europas vollendet werden können. Europa muß sich einen, und alle wirtschaftlichen Interessengegensätze, so vernünftig und begründbar sie im einzelnen sind, dürfen diesen politischen Imperativ nicht in den Hintergrund treten lassen.
({12})
Auch wir bringen in die Gemeinschaft Interessen ein, die die Bundesregierung - ebenso wie unsere Partner die ihren - nicht vernachlässigen kann. Die Kunst der europäischen Politik muß darin bestehen, im Wege des Kompromisses denjenigen Kurs zu finden, der wirtschaftlich für alle tragbar ist und der uns in die gewünschte Richtung führt. Alle Partner sind dabei zum Kompromiß aufgerufen. Jeder von uns muß seine Entscheidung unter voller Berücksichtigung der Bedeutung, die dem europäischen Einigungswerk für uns alle, aber auch für die Welt zukommt, treffen. Wir, die Bundesregierung werden uns trotz aller Rückschläge dieser historischen Aufgabe stellen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Einzelplan 04, über den wir jetzt diskutieren, geht es nach bewährter parlamentarischer Übung nicht nur um den Etat des Bundeskanzleramts und der diesem Amt zugeordneten Behörden. Es geht vielmehr um die politische Verantwortung des Bundeskanzlers und der Bundesregierung in ihrer gesamten Breite. Es geht um Ihre Verantwortung für die Vergangenheit, für Ihr bisheriges Tun und Unterlassen, und um Ihre Verantwortung für die Zukunft, für das, was Sie künftig zu tun beabsichtigen.
Haushalte werden an ihren Schwerpunkten, an ihren Zielsetzungen und daran gemessen, ob sie den Grundsätzen von Klarheit und Wahrheit entsprechen. An diesen Kriterien messen wir auch Ihre Politik. Das Ergebnis ist unbefriedigend.
({0})
Das Bild, das Ihre Amtsführung und Ihre Regierung bieten, ist unklar, verschwommen und widersprüchlich.
({1})
Die großen Herausforderungen bleiben ohne Antwort. Ihre Zielsetzungen sind blaß und unpräzise. Ihr Führungswille ist undeutlich. Ihre Führungskraft ist schwach. Der Aufgabe nicht angemessen.
({2})
Ihr Anspruch auf moralisch-geistige Führung oder gar auf Erneuerung unseres Volkes bleibt ohne Substanz. Er überfordert Sie.
({3})
Ich gebe zu, dieses Urteil, Herr Bundeskanzler, schont Sie nicht. Aber es ist ehrlich. Außerdem ist es nicht die Aufgabe der Opposition, den Regierungschef zu schonen. Es ist Aufgabe der Opposition, das auszudrücken, was nicht nur meine Freunde und ich, sondern viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger immer deutlicher empfinden.
({4})
Die einen enttäuscht, weil sie von Ihnen mehr erwartet haben; die anderen ohne Überraschung, weil sie ohne Illusionen waren.
({5})
Aber alle sind besorgt, weil wir, weil unsere Republik, unser Volk gerade in der kritischen Phase, in der wir uns befinden, von der Politik Sensibilität, Diskussionsfähigkeit und Lernbereitschaft, aber auch Perspektiven, Konzepte und Orientierung fordern. Dieser Forderung werden Sie, Herr Bundeskanzler, nicht gerecht.
({6})
Dieses Urteil reicht bis weit in Ihr eigenes Lager hinein. Ich werde es begründen.
Übrigens, Herr Bundeskanzler, das Wort Verantwortung hat eine sinnfällige Bedeutung. Es besagt, daß der, der Verantwortung trägt, sein Tun erläutern und erklären, daß er auf kritische Fragen antworten muß. Wer auf solche Fragen schweigt, verantwortet sich nicht, er verschweigt sich. Es war nicht gut, daß Sie am 21. November 1983 auf die große Rede Helmut Schmidts geschwiegen haben,
({7})
auf eine Rede, an der Sie noch lange gemessen werden.
({8})
Antworten Sie wenigstens heute. Es wäre nicht gut, wenn Sie wieder schwiegen. Es läßt sich nicht alles aussitzen und ausschweigen, was an Problemen auf uns zukommt.
({9})
Ich sagte, Sie und Ihre Regierung bieten ein widersprüchliches Bild. Das ist noch höflich ausgedrückt. In Wahrheit gibt es kaum eine wesentliche Frage, in der nicht FDP und CSU miteinander streiDr. Vogel
ten oder die Union uneins in sich ist oder Herr Strauß Ihnen fortgesetzt Knüppel zwischen die Beine wirft. Das gilt für wichtige außenpolitische Themen, etwa für die Auseinandersetzung über die Haltung Ihrer Regierung in der karibischen Krise oder den Koalitionsstreit über den SprangerSprung nach Grenada.
({10})
Das gilt für die Deutschlandpolitik, in der sich immer wieder ein Mann tummelt, dessen Unzuständigkeit bekannt ist.
({11})
- Meine Damen und Herren, ich freue mich über Ihre lebhafte Anteilnahme. Ich rate Ihnen: Schonen Sie sich. Sie werden noch viele Gelegenheiten haben, deutlich zu machen, ob Sie sich in der Anhörung gegenteiliger Meinungen von denen unterscheiden, die Sie ständig kritisieren, die aber mehr Disziplin zeigen als Sie. Ich darf das bei dieser Gelegenheit sagen.
({12})
Es gilt für die Kontroversen über die Ausländerpolitik, für den Streit zwischen den sozialpolitischen Konzepten der Herren Albrecht und George auf der einen und Ihren Sozialausschüssen auf der anderen Seite. Es gilt für den Streit, ob Steuern überhaupt gesenkt werden sollen, und wenn ja, wann und welche Steuern, die der Arbeitnehmer oder die der Unternehmer. Oder es gilt für den neuesten Streit über die Vorruhestandsregelung.
Das wird auch dadurch nicht besser, daß man zumeist voraussehen kann, wer schließlich die Oberhand behält, nämlich die wirtschaftlich Stärkeren, die Mächtigen, die Einflußreichen.
({13})
So war es bei den Hermes-Gebühren für die Exportversicherung. Deren schon beschlossene Erhöhung machten Sie rückgängig, weil die Wirtschaftsverbände protestierten.
({14})
Aber an der Kürzung des Mutterschaftsurlaubsgeldes halten Sie fest. Da protestieren ja nur die Gewerkschaften und die Familienverbände.
({15})
So war es auch bei der Beschneidung von Auswüchsen des sogenannten Bauherrenmodells, mit dessen Hilfe ein einziger Hochverdienender mehr Steuern in einem Jahr sparen kann, als ein normaler Arbeitsloser in einem ganzen Jahr an Arbeitslosengeld oder gar an Arbeitslosenhilfe erhält.
({16})
Auch hier haben Sie im Ausschuß Ihre eigene Regierungsvorlage korrigiert, aber natürlich nicht zu
Lasten der Hochverdienenden, wie die Arbeitnehmergruppe in der Union es wollte, sondern zugunsten der Hochverdienenden, zu deren Vorteil Sie auf Steuereinnahmen von rund einer halben Milliarde DM sogar gegenüber Ihrer eigenen Vorlage verzichten, weil deren Lobby das verlangt. Das spricht sich allmählich herum, auch in Ihren Reihen.
({17})
Im Organ der Katholischen Arbeitnehmerbewegung - Vorsitzender: Herr Kollege Müller ({18}) - schreibt der Bundesschatzmeister der CDUSozialausschüsse wörtlich:
So ist denn das Gezerre an der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung kein Zufall, sondern Ausdruck der Orientierungslosigkeit, die nicht auf die Meinungsführer radikaler Wendeerwartungen beschränkt ist.
Weiter schreibt er:
Unverzichtbare Ordnungselemente wie Tarifautonomie oder Mitbestimmung werden in Frage gestellt.
Da kann man nur sagen: Sehr wahr. Aber wahrscheinlich ist dieser Abgeordnete Ihrer Partei auch ein Klassenkämpfer oder zumindest ein Miesmacher, wenn er solche Sätze schreibt und ausspricht.
({19})
Ich weiß: Sie sagen, solche Kontroversen in der Koalition und in Ihrer eigenen Fraktion seien selbstverständlich und ein belebendes Element der Demokratie. Aber gilt das auch für die personellen Kontroversen, Herr Bundeskanzler, etwa für den Dauerstreit darüber, ob die Ressorts den Koalitionsparteien oder einzelnen Personen zugeteilt worden sind? Halten Sie diese Streitigkeiten auch für belebend?
({20})
Wenn man Sie beobachtet, gewinnt man den Eindruck, daß Sie diese Art von Belebung Ihres Geschäfts nicht als besonders animierend empfinden, sonst würden Sie nicht mit so säuerlichen Erklärungen an die Münchener Adresse antworten.
({21})
Uns, Herr Bundeskanzler, ist es im Grunde herzlich gleichgültig, ob Herr Strauß in Ihr Kabinett eintritt oder nicht. Freude an ihm werden Sie weder da noch dort haben.
({22})
Gewiß: Ein kluger Beobachter, ein kluger Publizist schrieb neulich, der Münchener Vulkan spucke nur noch Asche. - Aber am Kabinettstisch ist auch Asche hinderlich, insbesondere dann, wenn sie in großen Mengen gespuckt wird.
({23})
Das quantitative Potential ist j a noch immer erheblich.
Es ist Ihre Sache, Herr Bundeskanzler, mit welchen Mitteln Sie Ihren Männerfreund vom Kabinett fernhalten. Mit einer Ausnahme: Dagegen, daß Sie, um Herrn Strauß zu verhindern, Graf Lambsdorff im Amt lassen, wenden wir uns mit aller Einschiedenheit.
({24})
Es ist wahr, in Spendendingen hat sich keine der Parteien, die schon länger dem Bundestag angehören, mit Ruhm bedeckt; ich füge hinzu, auch die meine nicht. Aber - und das ist ein Unterschied, den man nicht beiseite schieben kann -: Gegen Graf Lambsdorff hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bonn Anklage wegen des Verdachts der Bestechlichkeit erhoben. Selbstverständlich streitet auch für ihn die Unschuldsvermutung. An diesem rechtsstaatlichen Grundprinzip lassen wir nicht rütteln.
({25})
Ich sage auch bei dieser Gelegenheit: Natürlich kann das Verfahren auch mit der Nichtzulassung der Anklage oder mit einem Freispruch enden. Aber ein Mann, der sich eines solchen Verdachts zu erwehren hat,
({26})
kann keinen Tag länger Bundesminister in dieser Bundesregierung bleiben.
({27})
Sie wissen es doch selbst, und Sie haben es selber wo Sie in der Verantwortung stehen, Hunderte Male praktiziert: Jeder kleine oder mittlere Beamte würde schon bei einer Anklage wegen weniger bedeutsamer Delikte sofort und noch am gleichen Tage suspendiert. Für einen Bundesminister kann nichts anderes gelten. Das verlangt auch das äußere Ansehen der Bundesrepublik. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, daß die Bundesrepublik künftig bei internationalen Wirtschaftsverhandlungen oder Konferenzen von einem Minister vertreten wird, von dem jedermann sagen darf, er stehe wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit unter Anklage. Dies geht doch nicht.
({28})
Noch ein Wort zu Ihnen, Graf Lambsdorff. Sie lieben es, andere hart und - Sie wissen das - mitunter verletzend zu kritisieren. Zuletzt noch in der Stationierungsdebatte haben Sie eine Kostprobe abgelegt. Ich verzichte bewußt darauf, in dieser Weise zurückzuzahlen.
({29})
Deshalb sage ich Ihnen, Graf Lambsdorff: Es geht
nicht darum, ob Sie die Kraft haben, Ihr Strafverfahren als Bundesminister durchzustehen. Es geht
überhaupt nicht um Sie als Person und darum, was man Ihnen zumuten kann.
({30})
Es geht darum, ob eines der wichtigsten Bundesressorts künftig von einem Mann geleitet wird, der seinen Kopf nicht für die Regierungsgeschäfte frei hat, der ihn gar nicht frei haben kann, weil er seine Rechte in einem komplizierten und vielschichtigen Verfahren wahrnehmen muß und dazu einen großen Teil seiner physischen und psychischen Kraft braucht. Darum geht es.
({31})
Es geht darum, ob man der Bundesrepublik Deutschland zumuten kann, das erste Mal in ihrer Geschichte nach innen und nach außen durch ein Regierungsmitglied repräsentiert zu werden, das wegen eines solchen Verdachts unter Anklage steht. Ich bitte Sie, auch als ehemaliger Kabinettskollege: Machen Sie diesem Zustand ein Ende. Lassen Sie sich nicht als Mittel im Machtkampf zwischen den Herren Kohl und Strauß mißbrauchen. Treten Sie zurück!
({32})
Diese Notwendigkeit, ich sage: diese Staatsnotwendigkeit können Sie auch nicht mit dem Argument entkräften, in Großbritannien wäre in dem Fall gegen Sie wegen der ständigen Vorveröffentlichungen während des Ermittlungsverfahrens keine Anklage mehr möglich; denn in Großbritannien wären Sie nach solchen Veröffentlichungen schon lange nicht mehr im Amt. Und wenn Sie sich an internationalen Maßstäben messen, dann lesen Sie doch, was der „Daily Telegraph", der „Guardian", „Le Monde", die „Berner Zeitung" und viele andere internationale Zeitungen zu dieser Situation sagen.
({33})
Noch untauglicher ist der Versuch, den Sie beständig unternehmen, von der Hauptsache dadurch abzulenken, daß man das pflichtgemäße Handeln der Strafverfolgungsbehörden in Zweifel zieht. Sie warnen doch sonst, meine Damen und Herren, bei jeder Gelegenheit vor der Erschütterung des Rechtsbewußtseins. Sie und wir alle verlangen, daß die Justiz als dritte Gewalt respektiert wird. Aber Sie schweigen - jedenfalls Sie, Herr Bundeskanzler, und andere auch, von denen ich ein Wort erwartet hätte -, wenn sich einer der Sekretäre des Herrn Strauß zu der unglaublichen Äußerung versteigt, „daß hier bewußt oder unbewußt in einem anderen Bereich so gehandelt wird, wie es andere mit der Exekution von Ponto und Schleyer vorgenommen haben". Wie hätten Sie gelärmt, meine Damen und Herren, wenn ein Sprecher einer anderen Partei etwas Derartiges gesagt hätte, wenn ein anDr. Vogel
derer es gewagt hätte, Staatsanwälte und Terroristen auf eine Stufe zu stellen?
({34})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das eher leise: Unsere Rechtsordnung, unsere Verfassungsordnung, ist ein hohes Gut. Sie reden ununterbrochen davon, daß dieses Gut durch die Aktivitäten junger Menschen gefährdet sei, durch Hausbesetzungen, durch Sitzblockaden, durch gemeinsames Tragen von Tüchern in der Bannmeile. Ich billige diese Aktivitäten nicht. Aber spüren Sie denn nicht, daß dies alles, was Sie so beständig tadeln, harmlos ist im Vergleich zu dem Rammstoß, den hier ein maßgebender Repräsentant der zweitstärksten Koalitionspartei gegen eben diese Ordnung geführt hat?
({35})
Wer will denn das alles, meine Damen und Herren, einem jungen Menschen noch erklären? Und Sie sprechen von geistig-politisch-moralischer Erneuerung, Herr Bundeskanzler!
({36})
Graf Lambsdorff, klare Analysen und konsequente Schlußfolgerungen waren einmal Ihre Stärke. In der eigenen Sache, so fürchte ich, sind Ihnen diese Fähigkeiten abhanden gekommen. Graf Lambsdorff, Sie täuschen sich auch in der Standfestigkeit Ihrer Freunde, der wirklichen - das sind nicht so viele - und der vorgeblichen, die auf offenem Markte schon längst über Ihre Nachfolge verhandeln - und die sind zahlreicher.
({37})
Falls Sie die Kraft zur einzig möglichen Schlußfolgerung nicht aufbringen und falls der Herr Bundeskanzler dieser Führungsaufgabe nicht gerecht wird, dann wird der Bundestag noch in dieser Woche auf unsere Initiative hin darüber zu entscheiden haben, ob er wirklich die Mitverantwortung für Ihr weiteres Verbleiben im Ministeramt tragen will.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bild, das Sie, Herr Bundeskanzler, das Ihre Regierung schon knapp neun Monate nach Beginn dieser Wahlperiode bietet, ist bedrückend. Das sind nicht nur Abnutzungserscheinungen, wie sie bei jeder Regierung auftreten und von denen auch unsere Regierungen nicht verschont geblieben sind,
({38})
und das ist auch nicht nur eine Regierungskrise, von der der Vorsitzende der CSU mit erkennbarem Vergnügen bei jeder Gelegenheit spricht; das ist mehr. Im Zustand Ihrer Regierung offenbart sich ein Mangel an Präzision und an Perspektiven.
({39})
Herr Bundeskanzler, Sie lächeln, wenn Ihnen eine Neigung zu unscharfen Allgemeinheiten nachgesagt oder der häufige Ausfall von Kabinettssitzungen vorgehalten wird.
({40})
Sie lächeln auch, wenn Ihr eigenes Amt, Ihre eigene Umgebung, als „Bermuda-Dreieck" charakterisiert wird, in dem zwar nicht Schiffe mit Besatzungen, aber Akten, Informationen und Initiativen spurlos verschwinden.
({41})
Mag sein, Herr Bundeskanzler, daß Ihr Vorgänger im Amt die Liebe zum Detail und zur Präzision sehr weit getrieben hat - mancher in seinem Kabinett hat darüber gestöhnt -, aber es ist besser, Minister stöhnen darüber, daß der Chef zu gut Bescheid weiß, und wenn sie wissen: Die Kabinettssitzungen gehen allem anderen vor, auch im Terminkalender des Bundeskanzlers.
({42})
Noch bedenklicher ist der Mangel an Konzepten, an Perspektiven. Sie hatten in der Opposition viele Jahre Zeit, Konzepte zu erarbeiten.
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Sie haben auch so getan, als ob Ihre Schubladen mit Konzepten ausgefüllt seien, randvoll. Aber - um es wieder mit den Worten eines ganz unbefangenen Publizisten auszudrücken - jetzt zeigt sich immer deutlicher, Herr Bundeskanzler: Ihre Schubladen sind leer; wer sie aufzieht, findet im wesentlichen tote Fliegen, aber keine Konzepte.
({44})
- Ich freue mich, meine Herren, daß Sie schon so wach sind am frühen Morgen. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden noch viel wacher werden.
({45})
Dem Bundeskanzler ist es vorhin nicht gelungen, Sie so aufzuwecken und lebhaft zu machen. Ich freue mich, daß mir das gelingt.
({46})
Dabei ist die Zahl der Herausforderungen, vor denen wir stehen, groß. Wir spüren, daß die herkömmlichen Antworten bei mehr und mehr Herausforderungen nicht mehr weiterhelfen, daß wir uns in Sackgassen zu verfangen drohen, an deren Ende nicht Stoppschilder oder einfache Barrieren stehen, sondern an deren Ende sich Abgründe auftun.
({47})
Einer aus Ihren Reihen, Herr Biedenkopf, hat das mit einem anderen Bild umschrieben. Er hat gesagt: Wir haben uns im Gipfel verstiegen und stehen jetzt am Abgrund. Mit „wir" meint er Sie ebenso wie unser ganzes Volk. Wir müssen umkehren.
({48})
Der Betreffende hat das in bezug auf die nukleare Abschreckung und die Friedenssicherung geäußert, und er hat hinzugefügt, die nukleare Abschreckung sei nicht mehr lange konsensfähig. Übrigens, zu den Damen und Herren von der FDP: Herr Klumpp, Vorsitzender eines FDP-Landesverbandes und Mitglied Ihres Bundesvorstandes, hat erst vor wenigen Tagen mit seinen Worten genau das gleiche gesagt. Das sind Themen, meine Damen und Herren, um die wir vor zwei Wochen viele Stunden lang gerungen haben. Wir sind dafür eingetreten, die Chance eines Kompromisses zu nutzen, bei dem drastische Reduzierungen der Zahl der sowjetischen Systeme die Stationierung auf unserer Seite überflüssig gemacht hätten.
({49})
Wir wollten den Teufelskreis immer rascherer Vor-und Nachrüstungen an einem Punkt durchbrechen. Sie haben das abglehnt.
({50})
Sie haben einer Stationierung zugestimmt, die den nuklearen Rüstungswettlauf beschleunigt und die Spannungen verschärft, statt sie abzubauen.
({51})
Was immer Sie jetzt zur Verharmlosung der neuen sowjetischen Stationierungen sagen - Stationierungen, die wir für ebenso vernunftwidrig halten wie die auf unserer Seite, denen wir deshalb mit dem gleichen Nachdruck widersprechen -:
({52})
Es ist doch nicht wahr, daß sich die Menschen in Deutschland, in Mitteleuropa seit dem 22. oder 23. November sicherer fühlen. Ganz im Gegenteil, die Unsicherheit und die Sorge wachsen seit dem 23. November bei uns und unter den Menschen in der DDR. Uns alle sollte es betroffen machen, wenn die Synode der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen in einer Erklärung in der letzten Woche wörtlich sagt, der Mehrheitsbeschluß des Bundestages erfülle sie mit Erschrecken und Enttäuschung. Das sind doch die, denen Sie, denen wir alle ständig unsere besondere Verbundenheit bekunden. Dazu gehört auch, auf diese Menschen zu hören, wenn sie ihre Stimme erheben.
({53})
Wie soll es jetzt nach Ihrer Vorstellung weitergehen? Wollen Sie jetzt auch hier die weitere Entwicklung einfach abwarten und auf die Selbstheilungskräfte vertrauen? Hoffen Sie etwa wie andere in Ihren Reihen, daß sich die Sowjetunion auf Grund wirtschaftlicher und anderer Zwänge auf die Dauer nicht mehr in der bisherigen Art am Wettrüsten beteiligen könnte? Mit Helmut Schmidt sage ich:
Das wäre ein schwerer Fehler. - Herr Bundeskanzler, Sie dürfen nicht warten, Sie müssen handeln. Fordern Sie einen beiderseitigen Stationierungsstopp, drängen Sie auf neue Verhandlungen, unterstützen Sie die Vorschläge des kanadischen Ministerpräsidenten Trudeau.
({54})
Hören Sie auf, das Bündnis dadurch zu beeinträchtigen, daß Sie uns aus parteitaktischen Gründen als Gegner des Bündnisses diffamieren. Jammern Sie nicht über den angeblich zerbrochenen Konsens in der Stationierungsfrage, den es so, wie Sie ihn behaupten, nie gegeben hat.
({55})
Stärken Sie vielmehr den Konsens, indem Sie so, wie Helmut Schmidt Ihnen das geraten hat, deutsche Interessen initiativ vertreten.
({56})
Mit den Worten Helmut Schmidts, auf den Sie sich doch so gern berufen,
({57})
fordere ich Sie auf: „Nutzen Sie die Sorgen, die vielfältig im deutschen Volk formuliert und vorgebracht werden; nutzen Sie die Sorgen, die Sie in beiden Teilen unseres Volkes, die Sie auch im Parlament spüren. Machen Sie unseren Verbündeten klar, daß Sie es gegenwärtig in der öffentlichen Meinung Deutschlands nicht ganz leicht haben. Machen Sie unseren Freunden klar, warum das so ist und welche Hilfe und welche Zurückhaltung Sie infolgedessen von unseren Freunden und Verbündeten erwarten müssen."
Der Namensartikel, den Sie, Herr Genscher, in der letzten Woche veröffentlicht haben, enthält dazu einige Gedanken, die uns diskussionswürdig erscheinen und die wir gern in der weiteren Aussprache mit Ihnen vertiefen wollen.
Wir jedenfalls setzen dem Rüstungswettlauf, dem sich erneut beschleunigenden Wettrennen zum Abgrund unsere Politik entgegen. Das sind ihre wichtigsten Elemente:
Erstens, die Rückkehr zu einer umfassenden Gesamtstrategie des Westens, die neben, nein, vor den militärischen Aspekten ökonomische, psychologiche und soziale Aspekte umfaßt.
Zweitens, Weiterentwicklung der militärischen Strategie des Bündnisses in eine Richtung, die uns die allmähliche Abkehr von der Doktrin der nuklearen Abschreckung und zunächst die Anhebung der Nuklearschwelle ermöglicht. Das ist nicht nur ein ethisch-moralisches Gebot, worauf die Kirchen hinweisen; es ist ein Gebot der Vernunft, nein, es ist ein zwingendes Gebot der Logik.
({58})
Carl Friedrich von Weizsäcker hat das so formuliert:
Die Kriegsverhütung durch nukleare Abschreckung kann niemals absolut gewiß sein.
Technische Fehler sind möglich. Ein einziges Versagen der Kontrolle im Jahrhundert genügt zur Katastrophe. Fehlkalkulationen über die Eskalation sind noch wesentlich wahrscheinlicher. Es ist gewiß richtig, daß die Größe des erwarteten Schadens etwa umgekehrt proportional zur Bereitschaft sein wird, ihn zu riskieren. Aber wenn die Kriegswahrscheinlichkeit nicht auf Null sinkt, während der erwartete Schaden über alle Grenzen steigt, so ist das Abschreckungssystem nicht auf die Dauer akzeptabel. Es gewährt eine Atempause,
- so Carl Friedrich von Weizsäcker die morgen zu Ende gehen kann.
Diesen Feststellungen ist kein Satz hinzuzufügen.
({59})
Drittens, die Fortsetzung der Entspannungspolitik, insbesondere der Deutschlandpolitik. Diese hat ihre Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Damit meine ich gar nicht in erster Linie die Einfädelung und Gewährung von Milliardenkrediten.
Viertens, Inangriffnahme eines weltweiten Entschuldungs- und Unterstützungsplans für die Dritte Welt, der den Entwicklungsländern hilft, ohne ihre Identität zu zerstören oder sie in neue Abhängigkeiten geraten zu lassen,
({60})
Finanzierung eines solchen Plans aus Einsparungen an den Rüstungsausgaben beider Militärbündnisse.
({61})
Hier muß die Initiative gerade auch von uns ausgehen.
All das kann der Realität ein Stück näher gebracht werden, wenn die Politik endlich wieder die Führung übernimmt, gegenüber den Militärstrategen die Führung übernimmt und gegenüber der Waffentechnik. Politik muß endlich wieder mehr sein als eine Funktion der Waffenentwicklung. Sie muß aus dem Satz, daß die Völker dieser Erde nur gemeinsam überleben können, endlich tatsächliche Konsequenzen ziehen.
({62})
Dazu gehört, daß wir das Gewicht Europas stärken, auch und gerade im Bündnis, aber auch durch die Bewahrung und Konsolidierung der Europäischen Gemeinschaft. Der gestern zu Ende gegangene Athener Gipfel hat das Gegenteil bewirkt; Sie haben das gerade vor mir eingestanden. Die Zukunft der Gemeinschaft erscheint gefährdeter denn je. Alles, was Sie, Herr Bundeskanzler, vor und nach Stuttgart gesagt haben, erweist sich nun als Fehleinschätzung, als Fehleinschätzung einer Krise, die die Gemeinschaft in ihrer Substanz bedroht und die dazu führen kann, daß sich Portugal und Spanien von der Gemeinschaft abwenden.
Was sind nun eigentlich all die Freundschaftsbeteuerungen wert, die Sie von Ihren europäischen Reisen mitgebracht haben? Es wäre besser gewesen, weniger allgemeine Freundschaftsbeteuerungen auszutauschen und dafür konkreter über das Detail der Sache zu reden.
({63})
Jetzt bedarf es eines neuen politischen Ansatzes, einer Initiative, wie sie seinerzeit in einer vergleichbaren Krise der europäischen Einigung 1955 von der Konferenz von Messina ausging. Entwickeln Sie einen solchen Ansatz! Greifen Sie auch unsere Vorschläge auf, die wir in der letzten Woche hier eingebracht haben! Wir sind auf diesem Gebiet zur Kooperation bereit. Wir stimmen überein: Es gibt zur Europäischen Gemeinschaft für uns keine Alternative.
({64})
Noch etwas zur Außenpolitik. Wir haben nichts gegen Ihre Auslandsreisen. Ihre Ergebnisse sind zwar nicht immer sehr konkret. Aber solche Reisen können unseren Interessen dienen und Horizonte erweitern.
({65})
Wir haben sehr viel dagegen, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei solchen Reisen Staaten außerhalb der Allianz die Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen zusagen. Das haben Sie in Saudi-Arabien getan.
({66})
Solche Zusagen bedeuten entweder nichts; dann erwecken sie Illusionen und schlagen auf uns zurück.
({67})
Oder aber sie sind ernst gemeint; dann sind sie geeignet, uns in fremde Konflikte hineinzuziehen,
({68})
etwa in den israelisch-arabischen Konflikt oder in die Konfrontation im Libanon, die von Tag zu Tag in besorgniserregender Weise eskaliert. Das wäre für und geradezu lebensgefährlich. Und - ich füge hinzu - im Hinblick auf Israel auch aus den Gründen unakzeptabel, die allein durch Zeitablauf nicht an Gewicht verlieren.
({69})
Das gilt auch für die Frage der Waffenexporte, die in der vorhergehenden Regierung in einem schwierigen Meinungsbildungsprozeß zu einem negativen Ergebnis gekommen war. Die Warnung vor Waffenexport gilt um so mehr, als Herr Strauß erst dieser Tage gesagt hat, auch er sei zwar grundsätzlich der Meinung, man solle - so drückte er sich aus - „am Export des Todes" nicht verdienen, man müsse die Welt jedoch so nehmen, wie sie sei. Deshalb, so sagte er, sei er für die Forcierung des Rüstungsexports, und zwar auch in Spannungsgebiete. Herr Bundeskanzler, sagen Sie uns hier, ob dies auch Ihre Meinung ist. Die unsere ist es nicht. Wir werden hier entschiedenen Widerstand leisten.
({70})
Über die Wirtschafts- und Finanzpolitik werden wir uns morgen gesondert auseinandersetzen. Auch hier stellt sich die Frage nach Ihrem Konzept. Sie sagen, die Konjunkturdaten seien günstiger, als noch vor einigen Monaten angenommen worden war.
({71})
Sie berufen sich auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrats. Wir beklagen die dort erwähnten Daten nicht; wir begrüßen sie.
({72})
Aber auch in diesem Gutachten wird doch gesagt, es sei ungewiß, ob die Entwicklung zu einem nachhaltigen Aufschwung führe.
({73})
Und von einem fühlbaren Abbau der Arbeitslosigkeit ist in diesem Gutachten schon gar nicht die Rede.
({74})
Im Gegenteil. Die Annahme, daß wir, wenn nichts geschieht, es mindestens bis 1990 mit einer Arbeitslosigkeit in bedrückender Höhe zu tun haben werden, ist noch immer wahrscheinlicher als die günstigeren Annahmen. Ende November hat die Arbeitslosigkeit jedenfalls mit knapp 2,2 Millionen den höchsten Stand erreicht, der seit 1948 jemals in einem November verzeichnet worden ist.
Mit welchem Konzept, Herr Bundeskanzler, wollen Sie diese Arbeitslosigkeit überwinden? Der Vorwurf, der DGB treibe mit Horrorzahlen eine unverantwortliche Panikmache, den Sie in internen Rundschreiben verbreiten und der in auffälligem Gegensatz zu den unverbindlichen Liebenswürdigkeiten steht, mit denen Sie die DGB-Vorsitzenden in Ihren Kaminrunden traktieren, wird wohl kaum ausreichen. Was wollen Sie gegen die Stahl-, Werften- und Kohlekrise tun? Wie wollen Sie den Abbau von 100000 Arbeitsplätzen allein bei der Bundesbahn verhindern oder zumindest sozial erträglich machen? Wie wollen Sie die 740000 jungen Menschen unterbringen, die nächstes Jahr eine Lehrstelle suchen, und die 40 000, die trotz ihres Versprechens in diesem Jahr noch ohne Ausbildungsplatz sind?
Wir stehen übrigens in dieser Frage nicht allein. Die Gewerkschaften, die Wirtschaft, ja Ihre eigenen Freunde stellen sie ebenso dringend und beschweren sich darüber, daß sie auf diese Frage keine Antwort bekommen.
Das sind unsere Antworten.
Erstens: Arbeitszeitverkürzung. Wir stehen an der Seite der Gewerkschaften.
({75})
Wir unterstützen das Ringen der Gewerkschaften,
und zwar nicht nur aus Solidarität, sondern auch
deshalb, weil das, was die Gewerkschaften fordern, in der Zielsetzung vernünftig ist und Unterstützung verdient.
Sie haben eine andere Meinung. Sie halten beispielsweise die Forderungen der IG Metall - um Sie wörtlich zu zitieren - für „absurd", „töricht", „dumm" und „niemals akzeptabel". Mit solchen Äußerungen, Herr Bundeskanzler, haben Sie einen sehr berühmten Vorgänger. Der sagte 1890 etwas höflicher, aber mit der gleichen Tendenz zur damaligen Gewerkschaftsforderung nach dem AchtStunden-Tag wörtlich:
Würde ein Normal-Arbeitstag von acht Stunden ... herbeigeführt werden, so ist in sittlicher Beziehung zu befürchten, daß der erwachsene Arbeiter seine freie Zeit im Wirtshaus zubringt, daß er mehr als bisher an agitatorischen Versammlungen teilnimmt. ... In wirtschaftlicher Beziehung ist zu erwägen, daß durch eine zu weitgehende Arbeiterschutzgesetzgebung eine unverhältnismäßige Belastung der deutschen Industrie gegenüber der ausländischen herbeigeführt und die erstere in dem Wettbewerb im Weltverkehr beeinträchtigt wird.
Das, Herr Bundeskanzler, war Kaiser Wilhelm H., der sich in dieser Weise äußerte.
({76})
Kaiser Wilhelm II. ist durch die Entwicklung widerlegt worden. Ihren törichten Äußerungen, die Sie heute offenbar selbst erheitern, wird es nicht anders ergehen. Sie werden ebenfalls widerlegt werden.
({77})
Zu diesem Punkt noch zwei Bemerkungen. Ihr Versuch - und er ist ja angekündigt -, die Forderungen nach Verkürzung der Lebensarbeitszeit und nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit gegeneinander auszuspielen, ist vordergründig und durchsichtig. Wir fallen auf diesen Versuch nicht herein.
({78})
Außerdem: Wenn Ihnen die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, meine Damen und Herren von der Koalition, so am Herzen liegt, warum haben Sie denn dann bis heute keinen Gesetzentwurf über den Vorruhestand zustande gebracht und in diesem Parlament vorgelegt?
({79})
Warum beraten Sie dann nicht wenigstens unseren Entwurf, der schon seit Monaten im Ausschuß liegt, wenn Sie schon selbst keinen solchen Entwurf auf die Beine bringen?
Zweitens: pfleglicher Umgang mit der Massenkaufkraft. Ihre Wirtschaftspolitik vernachlässigt konstant die Nachfrageseite. Mit den von Ihnen vorgelegten Begleitgesetzen kürzen Sie die Massenkaufkraft der Rentner, Arbeitslosen, Behinderten und Sozialhilfeempfänger
({80})
- ich verstehe, daß Ihnen das sehr unangenehm ist; ich verstehe, daß Sie das nicht gerne hören ({81})
allein im Jahre 1984 um weitere 11,5 Milliarden DM. Diese Kürzungen sind sozial ungerecht. Es ist aber auch ökonomisch unvernünftig. Jede Mark, die Sie hier wegstreichen, fehlt sofort bei der Nachfrage. Warum greifen Sie statt dessen nicht bei denen zu
- etwa mit einer Ergänzungsabgabe, die diesen Namen verdient -, die hohe Beträge der Zinsen wegen im Ausland anlegen, statt sie bei uns zu investieren?
({82})
Drittens: wirksamere Hilfen für Strukturen und Regionen, die unter der Krise besonders leiden, also für den Stahl, die Kohle und die Werften, für das Ruhrgebiet, das Saarland und die Küste. Dabei geht es wieder in erster Linie um Konzepte, nicht nur um Geld. Wir haben unsere Konzepte vorgelegt.
({83})
Sie zaudern und zögern. Wenn Sie uns nicht glauben, dann hören Sie wenigstens, was Ihnen ein Mann der Wirtschaft, was Herr Gödde Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat. Er sagt:
Es muß eine handfeste Initiative geben, und die kann nur Bonn bieten. Dann jedenfalls käme wieder Bewegung in die Stahllandschaft. Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft läßt sich das Desaster nämlich nicht mehr lösen.
({84})
Weiter sagt er:
Eine Bundespolitik für Stahl muß sich auch um Konzepte kümmern. Und die müssen nicht nur erarbeitet, sondern auch mit Druck aus Bonn durchgesetzt werden.
Wollen Sie vielleicht auch den Herrn Gödde als verkappten Klassenkämpfer und Sozialisten abtun?
({85})
Viertens: gezielte Förderung für die kleinen und mittleren Unternehmen, die sich als arbeitsplatzstabiler erwiesen haben als viele große und deren Innovationskraft wir für die Modernisierung der Volkswirtschaft besonders benötigen.
({86})
- Herr Waigel, Sie müssen sich allmählich über eine Bewertungsskala klarwerden, denn dieser Zwischenruf kommt jedesmal. Ihr geistiger Vorrat ist offenbar sehr beschränkt, sonst sollte Ihnen vielleicht einmal etwas anderes einfallen.
({87})
Ich kann mir ja vorstellen, daß Sie bei CSU-Veranstaltungen mit einem einzigen Zwischenruf, den Sie
jedesmal wieder machen, durchkommen, aber bei mir nicht. Bei mir nicht, Herr Waigel!
({88})
- Was sagen Sie? Keinen Humor? Vielen Dank, Herr Waigel, das gibt mir als altem Münchener Gelegenheit, dem Bundeskanzler zur Verleihung des Narhalla-Preises zu gratulieren, der Ihnen, Herr Bundeskanzler, für einen Satz zugesprochen worden ist, der erst noch näher identifiziert werden soll. Vielleicht können wir bei der Suche behilflich sein!
({89})
Zu dieser Förderung gehört eine aktive Industriepolitik - ({90})
- Bei der Verleihung dieses Preises handelt es sich nicht um eine Bosheit von Franz Josef Strauß; das ist ganz selbständig zustande gekommen.
({91})
Dazu gehört also eine aktive Industriepolitik, die unsere Konkurrenzfähigkeit gerade auf den Feldern erhöht, auf denen ein qualitatives Wachstum möglich ist, ein Wachstum, das weder den Landschafts- noch den Energieverbrauch in unvernünftiger Weise steigert.
Fünftens: staatliche Initiativen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf Gebieten, auf denen ein dringender gesellschaftlicher Bedarf vorhanden ist, insbesondere auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Die hessische Landesregierung hat dazu konkrete Vorschläge gemacht
({92}) und mit ihrer Umsetzung begonnen.
({93})
Das alles, meine Damen und Herren von der Koalition, ist auch finanzierbar.
({94})
Verzichten Sie auf die Steuersenkungen, insbesondere auf die Senkung der Vermögensteuer! Machen Sie mit den Steuerersparnissen der Höherverdienenden, die diese bei Abschreibungsgesellschaften erzielen können, Schluß! Führen Sie eine echte Ergänzungsabgabe ein! Ziehen Sie die zusätzlichen Bundesbankgewinne für diese arbeitsplatzschaffenden Maßnahmen heran! Das allein ergibt schon einen Deckungsbetrag von über 7 Milliarden DM.
({95})
Ich frage nach Ihren sonstigen Konzepten. Haben Sie ein sozialpolitisches Konzept oder ein Konzept zur Verbesserung der Gemeindefinanzen? Wie steht es mit der Medienpolitik und mit Ihrer Bildungpolitik? Wie steht es mit der Wahrung der inneren Liberalität?
({96})
Warum, Herr Bundeskanzler, muß sich - um nur das jüngste von vielen Beispielen zu nennen - der Präsident des Goethe-Instituts, Herr von Bismarck, öffentlich gegen Versuche wehren, das Goethe-Institut zu gängeln und einzuschüchtern
({97})
und damit der Gefahr der Selbstzensur auszusetzen?
({98})
Die Debatte hat schon Gelegenheit geboten und wird sie noch bieten, auf diese Fragen einzugehen, Gegensätze und, wo es sie gibt, Übereinstimmungen deutlich zu machen und konzeptionellen Unterschieden nachzugehen. Ich beschränke mich deshalb auf ein Wort zur Sozialpolitik.
Wir wissen, daß starke Kräfte in der Union den Sozialstaat in Frage stellen. Herr Albrecht z. B. wird nicht müde, seine Forderungen nach Einschränkung und Abbau des Jugendarbeitsschutzes, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, des Behindertenschutzes und des Kündigungsschutzes, aber auch nach einer Aushöhlung der Tarifautonomie zu wiederholen.
({99})
Der Widerspruch Ihrer Sozialausschüsse kümmert Herrn Albrecht wenig, und die Ordnungsrufe des Herrn Kollegen Dregger fruchten bei ihm ebensowenig wie bei Herrn George.
Im Gegenteil: Da, wo die Umstände es erlauben, haben Sie schon mit der Verwirklichung dieser Forderungen begonnen, etwa bei der ARBED-Saarstahl, die unter Ihrem Druck aus dem allgemeinen Tarifvertragssystem ausscheiden mußte; ein gefährlicher Schritt.
({100})
Ich kann nur von neuem warnen. Wir werden all diesen Bestrebungen den stärksten Widerstand entgegensetzen. Wir werden damit nicht allein bleiben. Wir warnen Sie, spielen Sie nicht mit dem sozialen Frieden!
Das, was ich da ausgeführt habe, dringt allmählich ins allgemeine Bewußtsein.
({101})
Eine andere Tatsache steht den Menschen hingegen noch nicht hinreichend vor Augen, eine Tatsache, die die soziale Ungerechtigkeit Ihrer Politik geradezu erschreckend beleuchtet, die Tatsache, nämlich, daß Ihre Kürzungen und die neuen Belastungen fast ausschließlich Empfänger von mittleren und niedrigen Einkommen und besonders hart die Empfänger von Sozialleistungen treffen, und die weitere Tatsache, daß Sie dabei die Familien noch
stärker belasten als die Alleinstehenden und von den Alleinstehenden die Frauen wiederum deutlich stärker als die Männer.
({102})
Erleichterungen gewähren Sie nahezu ausschließlich Empfängern von höheren oder hohen Monatseinkommen oder Vermögensteuerpflichtigen. Oder auch die Tatsache, daß die Mieten im Jahresvergleich 1982/83 um 5%, also fast doppelt so stark gestiegen sind wie die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Ist das alles gerecht? Ist das die Gesellschaft mit menschlichem Gesicht, die Sie versprochen haben?
Und sind Sie sich selbst dieser Tatsachen überhaupt bewußt? Wissen Sie, daß ein hoher Richter, der Präsident des Bundessozialgerichts, das Haushaltsbegleitgesetz wegen seiner sozialen Ungerechtigkeit öffentlich als verfassungsrechtlich bedenklich bezeichnet hat,
({103})
daß gerade die Familienverbände, die doch so große Hoffnungen auf Sie gesetzt haben, Ihnen jetzt mit steigender Empörung eine Verschärfung sozialer Ungerechtigkeiten gegenüber den Familien vorwerfen? Verlassen Sie sich darauf, meine Damen und Herren, wir werden dafür sorgen, daß diese Zusammenhänge den Betroffenen klar werden, daß die Betroffenen immer darüber ihr Urteil fällen können, wenn sie zu Wahlen aufgerufen werden,
({104})
so wie sie das in Hessen und Bremen bereits getan haben.
({105})
Ihr Lieblingswort war lange Zeit die geistig-moralische Erneuerung,
({106})
die geistig-politische Führung. In letzter Zeit sind Sie damit etwas zurückhaltender geworden, um so zurückhaltender, je mehr Ihr Versprechen eingefordert wird. Es drängt sich der Eindruck auf, daß Sie auch hier mehr versprochen haben, als Sie zu leisten vermögen. Ich habe dazu schon in meiner Erwiderung auf Ihre Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 konkrete Fragen gestellt.
({107})
Ich habe Sie eingeladen, mit uns um die richtigen Antworten zu ringen, den Bürgern zu erläutern, welches Menschenbild und welches Staats- und Gesellschaftsverständnis Sie Ihrer Politik zugrunde legen, Zustimmung oder Widerspruch zu dem Satz zu äußern, daß wir unsere technische Entwicklung zu einem Grad an Perfektion getrieben haben, der eine ebensolche Vollkommenheit der politischen Einsicht und des moralischen guten Willens verlangt, damit es nicht zu uns bisher nicht vorstellbaren Katastrophen kommt. Ich habe die Perspektiven der Gentechnologie angesprochen und vorgeschlagen, darüber zu diskutieren, ob es inzwischen nicht
mehr nur ein Alptraum, sondern eine reale Möglichkeit sei, daß die Zeugung menschlichen Lebens einer Art technischem Produktionsprozeß überantwortet wird, daß sogar menschliche Individuen in ihrer körperlichen Beschaffenheit und ihren Charaktereigenschaften nach Bestellung angefertigt und geliefert werden. Ich habe empfohlen, der Sorge der Menschen vor drohender Entmündigung durch allzu große Apparate die Wiederbelebung des Genossenschaftsgedanken entgegenzusetzen. Ich riet Ihnen, aus dem Subsidiaritätsprinzip nicht immer nur die eine Folgerung zu ziehen, daß nämlich die kleinere Gesellschaft leisten soll, was sie ebensogut oder besser zu leisten vermag als die größeren Gemeinschaften, sondern auch die umgekehrte, daß die größere Einheit, letzten Endes also der föderal gegliederte Gesamtstaat, eintreten muß, wenn die kleineren Einheiten ihre Aufgabe nicht mehr sozial gerecht bewältigen können.
({108})
All diese Fragen - daran ändert natürlich auch Ihr Geschrei nichts, meine Damen und Herren -,
({109})
Einladungen und Aufforderungen gingen leider ins Leere. Sie sind auf diese Fragen nicht zurückgekommen. Ich wiederhole sie deshalb und füge neue Themen und neue Fragen hinzu,
({110})
über die wir miteinander sprechen, mit denen wir uns auseinandersetzen und bei denen wir uns, wenn es sein kann, sogar einigen sollten. Wenn Sie wirklich geistig-politische Führung leisten wollen, kommen Sie an diesen Themen und Fragen nicht vorbei.
({111})
Ich frage, ob Sie wirklich glauben, daß alles immer weiter wachsen kann und daß es sinnvoll ist, Wachstum überall zu forcieren. Ein Mann, dessen Wort Beachtung verdient, hat dazu eine Alternative gefordert.
({112})
Er hat gesagt, die Politik müsse jetzt von der Expansion zum dynamischen Gleichgewicht führen. Er hat seine Vorstellungen an einem anschaulichen Bild so erläutert: Denken Sie an einen Wald. Er bedeckt eine bestimmte Fläche, er hat eine bestimmte Durchschnittshöhe, ändert also sein Volumen nicht. Trotzdem wächst in diesem Wald alles beständig. So sei das auch in einer Wirtschaft mit dynamischem Gleichgewicht. Dem hat er noch die interessante Bemerkung hinzugefügt, daß die Vorboten einer solchen Entwicklung im Wirtschaftsdenken die GRÜNEN gewesen seien. Sie hätten als erste, so sagt er, der Einsicht politischen Ausdruck verliehen, daß eine Politik, die nur mit Wachstum regieren könne, auf Dauer nicht sinnvoll sei.
Das alles ist so intelligent und so provokativ, daß es ohne weiteres von Erhard Eppler stammen könnte. Was ich zitiert habe, stammt aber gar nicht von ihm. Es stammt von einem Mann, der einmal Ihr Generalsekretär war und der sie 1976 als erster zum Kandidaten für das Amt vorgeschlagen hat, das Sie heute innehaben. Es stammt von Kurt Biedenkopf und ist von ihm erst vor wenigen Wochen formuliert worden.
({113})
Herr Späth sagt inzwischen ähnliches.
Teilen Sie diese Meinungen, Herr Bundeskanzler? Wenn nicht: Warum tragen wir den Streit darüber nicht hier im Bundestag aus? Wir wissen, daß sich die Wachstumsraten der 60er Jahre nicht wiederherstellen lassen, j a, daß sie gar nicht wünschenswert wären. Wir wissen, daß wir neue Antworten brauchen, weil wir sonst mit gesteigertem Tempo in Sackgassen rennten, deren Ende sich schon absehen läßt. Ich fürchte, Sie halten diese Sackgassen noch immer für die offenen Tore zur Zukunft, von denen Sie immer wieder reden.
({114})
Eine andere wichtige Frage ist die nach unserer nationalen Identität. Der engagierte Meinungskampf um den richtigen Weg zur Friedenssicherung, die auch von Ihnen zu Recht konstatierten Gemeinsamkeiten zwischen beiden deutschen Staaten, die gleichzeitige und auch, wenn ich an die Kirchentage in Magdeburg, Wittenberg und Worms denke, gemeinsame Erinnerung an Martin Luther aus Anlaß seines 500. Geburtstages
({115})
und nicht zuletzt der von beiden Staatsführungen beständig wiederholte Satz, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen, haben die Frage stärker als zuvor in unser Bewußtsein gerückt. Auch unsere Nachbarn beginnen, sich mit ihr zu beschäftigen. Wir können und dürfen dieser Frage nicht ausweichen. Manchen in Ihren Reihen genügt leider schon diese Feststellung, um uns Sozialdemokraten, die Sie noch kürzlich wenn schon nicht mehr als vaterlandslose, so doch als geschichtslose Gesellen bezeichnet haben, Linksnationalismus vorzuwerfen. Manchen gerät eben alles zu vordergründig polemischer Gegnerschelte.
({116})
Aber darum geht es nicht. Es geht um die Herstellung von Normalität. Gewiß, die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 ziehen sich wie ein tiefer Graben durch die Kontinuität unserer Geschichte. Der Verlust der Nationalstaatlichkeit durch die Entstehung von zwei Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches macht den Bruch der Kontinuität noch spürbarer. Dem Grundgesetz ist ein Brückenschlag über diesen Graben hinweg, ist die Anknüpfung an positive Überlieferungen unserer Vergangenheit, etwa an das liberale und rechtsstaatliche Gedankengut der bürgerlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, an die sozial-ethischen
Bewegungen und - in Grenzen - auch an die soziale Reformtradition der Arbeiterbewegung, gelungen. Aber ihm, dem Grundgesetz allein, meine Damen und Herren, kann es auf Dauer nicht gelingen, unser Volk wieder zu einer Geschichts-, Gefühls-, Kultur- und Sprachgemeinschaft werden zu lassen, die ihren Gliedern Halt, Selbstbewußtsein und Orientierung gibt und dabei auch diejenigen im Blick behält, die dem anderen deutschen Staat angehören.
Dazu müssen wir uns auf unsere Geschichte besinnen, sie uns mit ihren Licht- und Schattenseiten wieder aneignen, und wir müssen auch den richtig verstandenen Nationbegriff wieder mit Leben erfüllen, nicht im Sinne pathetischer Redenarten, aber im Sinne einer Normalisierung unseres Lebensgefühls, das anderen Völkern völlig selbstverständlich ist und das wir wie die anderen in die Europäische Gemeinschaft und in das Bündnis einbringen müssen, ein Lebensgefühl, das uns gerade auch in kritischen Zeiten einen festeren Stand und mehr Beharrlichkeit geben wird.
({117})
Das alles, Herr Bundeskanzler - so verstehe ich das -, gehört zum Thema der geistig-politischen Führung. Dazu gehören auch abschließend noch drei Bemerkungen.
Erstens. Führung war und ist in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung gefordert. Herr Bundeskanzler, ich fürchte, Sie haben sich dieser Auseinandersetzung entzogen. Sie haben ausgegrenzt, Sie haben Diffamierungen zumindest zugelassen, und Sie verdächtigen sogar die, die an Ihrer Stelle diese inhaltliche Auseinandersetzung auf sich genommen haben, die den Konsens eben nicht zerbrechen lassen wollen. Was Sie auf diesem Gebiet getan haben, war nicht Führung, sondern Verweigerung von Führung.
Fällt Ihnen übrigens auf, daß noch nie so viele Menschen gegen die Politik einer Bundesregierung demonstriert haben wie in der Zeit, in der Sie Verantwortung tragen? Glauben Sie wirklich, das sei alles gesteuert oder Folge von subversiven Machenschaften? Oder könnte das etwas mit Ihrer Politik zu tun haben, vielleicht sogar mit dem Mangel an Führung, über den ich gerade gesprochen habe? Vielleicht wären die Zahlen geringer, wenn es diese große geistige und inhaltliche Auseinandersetzung gäbe.
({118})
Zweitens. Ich spreche Sie sehr persönlich an, Herr Bundeskanzler: Führung ist auch persönliches Beispiel, zeigt sich u. a. auch darin, welche Orte man auf Reisen besucht und welche Orte nicht. Sie waren in Kiew, aber Sie waren nicht in Babij Jar; Sie waren in Tokio und Kyoto, aber Sie waren nicht in Hiroshima. Es wäre besser, sie wären auch dort gewesen, in diesen Orten, die ich nannte.
({119})
Drittens. Führung zeigt sich auch in der Bereitschaft und Fähigkeit, Fehler zu korrigieren. Wir wissen heute: Herr Strauß hat sich bei Herrn Honecker entschuldigt, weil er nach dem Tode des Transitreisenden Burkert den Behörden der DDR Mord vorgeworfen hat. Herr Kollege Benno Erhard - das ist ihm hoch anzurechnen - hat sich von diesem Pult aus bei der Fraktion DIE GRÜNEN entschuldigt, weil er sie im Zorn mit den Nazis in Zusammenhang gebracht hat, ein Vorgang, der uns alle beeindruckt hat.
({120})
Sie lassen die Verleumdung, die SPD sei die fünfte Kolonne Münchens, - die fünfte Kolonne Moskaus - ({121})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Freude gönne ich Ihnen von Herzen. Ich tue das, was ich gerade von anderen verlangt habe: Ich gestehe einen Fehler ein.
({122})
Ich habe mich versprochen. Ich bekenne mich zu diesem Fehler. Und alle Zuhörer werden verstehen, daß hier an diesem Pult nicht Maschinen, sondern Menschen reden, die sich auch versprechen können, die auch einen Fehler machen.
({123})
Ich komme auf den Satz zurück: Sie, Herr Bundeskanzler, lassen die Verleumdung, die SPD sei die fünfte Kolonne Moskaus, ohne Entschuldigung im Raum stehen. Ist das Führung, ist das geistige Führung?
({124})
Es war nicht meine Absicht, Sie, Herr Bundeskanzler, zu kränken. Meine Absicht und meine Pflicht war es, Ihre Amtsführung und Ihre Politik kritisch zu würdigen. Das habe ich engagiert getan. Andere sind da in der Wortwahl schärfer, insbesondere solche, die Ihnen politisch viel näher stehen, die Sie am 6. März 1983 gewählt haben. Drei Beispiele mögen dafür genügen.
Da sagt die konservative „Deutsche Tagespost" vor kurzem wörtlich:
Zank und Streit prägen das äußere Erscheinungsbild des Regierungsbündnisses, Ironie, Spott und Hohn über die Regierenden breiten sich aus, immer weniger Wähler trauen dieser Regierung zu, die Probleme der Gegenwart und Zukunft lösen zu können.
Dieses tief konservative Blatt, das jeder sozialdemokratischen Regung völlig unverdächtig ist, fährt fort:
Der Grund wird zunehmend offen in allen drei Bonner Regierungslagern in einem unverständlichen Verhalten des Kanzlers gesehen, das bissige Kritiker mit Führungsschwäche und mit Zögerlichkeit umschreiben.
Da schreibt Herr Rummel im „Rheinischen Merkur" - weiß Gott auch kein Sozialdemokrat -:
Der Wille zur Wende braucht mehr Kanzlerpräsenz. Sie muß verbalisiert werden, was voraussetzt, daß ein einleuchtendes Langzeitprogramm tatsächlich auch vorhanden ist. Die Zweifel werden größer.
Und er fügt hinzu:
Zu wenig Politik. Viel zuviel Küchenkabinett.
Die „Quick" macht es noch kürzer. Bei ihr lautet die Überschrift:
Helmut Kohl versprach, unsere Probleme tatkräftig anzupacken. Dieses Versprechen blieb er schuldig.
So reden und schreiben Ihre Freunde schon nach einem Jahr.
Wir haben nicht das Vertrauen, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich aufraffen, daß Sie künftig eine Politik entwickeln und durchsetzen, der wir insgesamt zustimmen, die wir mittragen könnten. Deshalb lehnen wir Ihren Haushalt, deshalb lehnen wir den Einzelplan 04 ab.
({125})
Ihre Politik hat nicht unser Vertrauen.
({126})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Oppositionsführer hat seine Rede in der ihm eigenen Ernsthaftigkeit vorgetragen. Aber er hat trotzdem viel Fröhlichkeit ausgelöst. Das lag wohl nicht nur an einem Versprecher. Die Fröhlichkeit war überwiegend ironisch. Der Kontrast zwischen Wirklichkeit und ihrer Beschreibung, Herr Kollege Vogel, war einfach zu groß.
({0})
Sie haben den Rücktritt des Bundesministers für Wirtschaft Graf Lambsdorff gefordert und eine Initiative angekündigt, über die in dieser Woche noch abgestimmt werden soll. Selbstverständlich ist es Ihre Sache, einen solchen Antrag zu stellen. Und es ist unsere Sache, einen solchen Antrag abzulehnen. Das werden wir tun.
({1})
Diese Entscheidung erwächst nicht aus unserem Rollenverständnis. Was sich in den letzten Monaten im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und in begleitenden Pressekampagnen ereignet hat, verlangt tieferes Nachdenken und kann nicht mit einem parlamentarischen Schnellschuß erledigt werden.
({2})
Ich habe nicht die Absicht, heute eine Lambsdorff-Debatte oder eine Justizdebatte zu führen. Wir sollten auch beides klar voneinander trennen, wenn auch das erste Thema dem zweiten Stoff gegeben hat. Aber letztlich geht es dabei gar nicht um den Grafen Lambsdorff, sondern um die Gewährleistung der Bürgerrechte in einem liberalen Rechtsstaat für alle, damit für jeden und damit auch für jeden Politiker.
({3})
Was die Justizdebatte angeht, so möchte ich mich heute darauf beschränken, zwei Stimmen aus der Staatsanwaltschaft selbst zu zitieren. Ich zitiere aus der „Frankfurter Neuen Presse" vom 3. Dezember 1983. Dort heißt es unter der Überschrift „Hessens Juristen kritisieren Bonner Staatsanwaltschaft":
Hessens oberster Ankläger, Generalstaatsanwalt Horst Gauf, erklärte in einem Gespräch mit unserer Zeitung: „Für mich wäre es eine Sache der Fairneß gewesen, daß der Angeschuldigte von der Anklageschrift Kenntnis hat, bevor ich eine Pressekonferenz gebe."
({4})
Meine Damen und Herren, es gibt noch Staatsanwälte in Deutschland, die Fairneß auch dem Angeschuldigten gegenüber zeigen. Das ist gut so, das muß so bleiben, und das sollte allgemein werden.
({5})
Ich zitiere weiter:
Mit kritischem Unterton äußerte sich auch der Chef der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Heinz Haueisen. Er sagte: „In Frankfurt ist es ein ungeschriebenes Gesetz, daß wir bei dem zuständigen Gericht nachfragen, ob die Anklageschrift dem Angeschuldigten zugestellt ist, zwei Tage warten, und erst dann die Öffentlichkeit informierern."
({6})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Herr Abgeordneter Schily, für den Zuruf „Oberheuchler" rufe ich Sie zur Ordnung.
Fahren Sie bitte fort.
Was die von der Opposition geforderte Lambsdorff-Debatte angeht, so meine ich: Zu dem, was die hessische Staatsanwaltschaft Angeschuldigten allgemein zugesteht, scheint die Opposition in diesem Hause einem Kollegen gegenüber nicht bereit zu sein. Graf Lambsdorff ist bis heute die Anklageschrift noch nicht zugestellt - eine erstaunliche Tatsache;
({0})
ich finde: eine atemberaubende Tatsache.
Ich meine, Graf Lambsdorff hat Anspruch darauf - wie jeder andere hier -, erstens die Anklageschrift in Ruhe zu studieren, zweitens seine Schlußfolgerungen daraus zunächst mit seinem Parteivorsitzenden und dann mit dem Bundeskanzler zu erörtern, ehe er selbst Entschlüsse fast. Solange das
nicht der Fall war, halte ich Angriffe gegen ihn hier in diesem Hause für stilwidrig.
({1})
Deshalb werden wir diesen Antrag, Herr Vogel, ablehnen.
({2})
Meine Damen und Herren, unsere Politik für Deutschland ist vor allem eine Politik für den Frieden
({3})
und für die Wiedergesundung unseres Landes.
({4})
Unser Beschluß vom 22. November zur Sicherheitspolitik hat den Frieden in Europa sicherer gemacht. Davon bin ich überzeugt.
({5})
Erstens. Jeder weiß jetzt: Wir sind nicht erpreßbar, weder durch inneren noch durch äußeren Druck. Diese Festigkeit dient dem Frieden.
Zweitens. Wir halten Wort. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien und die anderen Verbündeten können sich ebenso fest auf uns verlassen, wie wir uns auf sie verlassen.
({6})
Diese Verläßlichkeit dient dem Frieden.
({7})
Drittens. Gegenüber der Sowjetunion lassen wir unsere Politik von zwei Maximen leiten: von der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und vom Willen zur Selbstbehauptung.
Übrigens, Herr Kollege Vogel: Sie haben in Ihrer Rede die Frage aufgeworfen, warum denn der Bundeskanzler noch nicht auf die große Rede von Helmut Schmidt in der letzten Sicherheitsdebatte geantwortet habe. Die Frage muß doch an Sie gestellt werden; denn Helmut Schmidt befand sich doch mit uns in Übereinstimmung und nicht mit seiner eigenen Fraktion.
({8})
Diese Ihre Anmahnung war ebenso überraschend wie Ihre Feststellung, es habe nie einen Konsens in der Stationierungsfrage gegeben.
({9})
Meine Damen und Herren, es hat die ganzen Jahre unter sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen hindurch einen Konsens zum NATO-Doppelbeschluß zwischen der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung und der Opposition gegeben.
({10})
Wir haben die Regierung Schmidt immer voll in der Sicherheitspolitik unterstützt. Der Konsens ist zunächst innerhalb der SPD aufgekündigt worden. Sie haben Helmut Schmidt im Stich gelassen, und dann wurde jetzt die letzte Konsequenz in der Sicherheitsdebatte gezogen.
({11})
Auch Sie haben dann wieder das wenig konkretisierte Wort von den neuen Strategien verwendet. Sie haben zunächst gemeint, das sei in erster Linie psychologisch, politisch und ökonomisch zu verstehen, haben dann aber auch zugestanden, daß es eine militärische Komponente gäbe. Sie haben dann davon gesprochen, es komme darauf an, die Nuklearschwelle anzuheben. Das ist völlig richtig. Wenn die Sowjetunion aber nicht bereit ist, ihre konventionelle Übermacht in Europa zu begrenzen - dazu war sie j a bisher nicht bereit -, ist doch das, was Sie und wir wünschen, nur zu erreichen, indem wir die konventionellen Streitkräfte stärker machen, d. h. mehr Mittel für den Militärhaushalt zur Verfügung stellen. Wollen Sie denn das? Wenn Sie das nicht wollen, ist es doch ein Luftgebilde, wenn Sie von neuen Strategien sprechen.
({12})
Noch eine letzte Bemerkung betreffend SaudiArabien. Was Sie dazu gesagt haben, war besonders erstaunlich.
({13})
Bundeskanzler Schmidt hat bei seinem Besuch in Saudi-Arabien in der Tat ganz konkrete Erwartungen im Hinblick auf die Lieferung von Leopard-IIPanzern geweckt. Er hat dann gemerkt, daß er das in seiner eigenen Fraktion nicht durchhalten könne. Er hat dies dann auch gegenüber den Saudis, stolzen Leuten, zugeben müssen. Um das gegenüber Saudi-Arabien wiedergutzumachen, hat er damals auf der Rückfahrt von Dschidda nach Deutschland einige Äußerungen über die Israelis getan, die dann auch noch die deutsch-israelischen Beziehungen belastet haben. Er hat beide verprellt, die Saudi-Arabier und die Israelis. Das war wirklich kein Meisterstück von Außenpolitik.
({14})
Herr Abgeordneter Dr. Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Vogel?
Bitte schön.
Herr Dr. Vogel!
Herr Kollege Dregger, würden Sie bestätigen, daß die Bundesregierung, von der Sie jetzt sprechen, zu keinem Zeitpunkt eine Erklärung abgegeben hat, daß eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung stattfinden soll? Würden Sie bestätigen, Herr Kollege Dregger, daß der Meinungsbildungsprozeß, den Sie richtig schildern, in der sozialliberalen Bundesregierung zu einem Nein hinsichtlich des Waffenexports geführt hat?
({0})
Ich habe nicht davon gesprochen, wohin Ihre Diskussion geführt habe, sondern ich habe von den Erwartungen gesprochen, die Bundeskanzler Schmidt in Saudi-Arabien geweckt habe. Daß solche Erwartungen geweckt wurden, haben auch Sie nicht bestritten.
({0})
Bundeskanzler Kohl ist es gelungen, in SaudiArabien Verständnis dafür zu wecken, daß die Erwartungen, die Helmut Schmidt geweckt hat, nun nicht erfüllt werden können, daß das, was die Saudis am liebsten hätten, nämlich den Leopard II, nicht geliefert werden kann. Er hat, um das möglich zu machen, ohne die deutsch-saudi-arabischen Beziehungen zu verletzen, davon gesprochen, daß es im übrigen eine Zusammenarbeit geben werde, wobei nichts anderes als die Lieferung von Waffen nicht dieser Art und nicht dieses Kalibers gemeint sein kann. Helmut Kohl wird in Kürze Israel besuchen. Wir haben gute Beziehungen zu Saudi-Arabien, und wir haben gute Beziehungen zu Israel. Das möchte ich besonders hervorheben.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
({0})
Herr Kollege Gansel!
Herr Dregger, können Sie bestätigen oder können Sie den Herrn Bundeskanzler bitten, zu bestätigen, daß die saudiarabische Monarchie am 10. Juni 1982 durch den deutschen Botschafter auf offiziellem Wege und in offizieller Weise darüber informiert worden ist, daß es keine Panzerlieferung an Saudi-Arabien geben wird? Sind Sie bereit, zuzugeben, daß erst Sie aus der Union, von Herrn Marx bis zu Herrn Dregger, in den vergangenen Monaten den saudiarabischen Interessenten wieder Appetit auf deutsche Panzer gemacht und eine neue Erwartungshaltung ausgelöst haben, von israelischen Reaktionen ganz zu schweigen?
({0})
Herr Gansel, ich weiß, daß es Ihnen immer ein besonderes Anliegen gewesen ist, daß keine Waffen geliefert werden. Aber davon habe ich nicht gesprochen, sondern ich habe davon gesprochen, welchen Eindruck der frühere Bundeskanzler bei seinem Besuch in Saudi-Arabien erweckt hat. - Ihre zweite Behauptung kann ich nicht bestätigen. Das ist eine Falschinterpretation, die Sie da ausgeführt haben, jedenfalls wenn Sie mich meinen.
({0})
Ich fahre fort. Ich beschäftige mich zur Zeit mit der Sowjetunion und nicht mit Saudi-Arabien. - Wir sind bereit, der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung beizustehen. Das Erdgas-Röhren-Geschäft erschließt der Sowjetunion zur Zeit unter deutscher Mitwirkung eine ständig sprudelnde Devisenquelle, die für sie von höchstem Wert ist. Der von uns der DDR gewährte Milliarden-Kredit erleichtert es ihr, finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden. Wir sind auch in Zukunft zur Zusammenarbeit bereit, zu beiderseitigem Nutzen selbstverständlich. Aber auf Gleichgewicht werden wir nicht verzichten.
({1})
Einer Unterwerfungsstrategie werden wir uns nicht beugen. Das von der Sowjetunion beanspruchte Raketenmonopol im Mittelstreckenbereich war und ist nicht akzeptabel.
({2})
Aber wir wollen keine Konfrontation und auch kein Wettrüsten. Deshalb begnügen wir uns mit einem nur annähernden Gleichgewicht.
Im Hinblick auf Moskauer Kommentare rufe ich in Erinnerung, daß das gesamte Nachrüstungsprogramm des Westens nach der Zahl der Sprengköpfe nur die Hälfte dessen umfaßt, was die Sowjetunion jetzt schon im Mittelstreckenbereich besitzt.
({3})
Die Reichweite der Pershing II und der Marschflugkörper ist nur halb so groß wie die der SS 20. Hinsichtlich ihrer in Asien stationierten Raketen hatte der Westen der Sowjetunion Zugeständnisse angeboten, die ihr im Ergebnis faktische Überlegenheit auch in Europa eingeräumt hätten.
({4})
Meine Damen und Herren, mehr geht nicht. Die Sowjetunion weiß: Wir bleiben verhandlungsbereit. Wir drängen jetzt nicht. Die Sowjetunion braucht Zeit, um sich auf eine Kompromißstrategie umzustellen, die auch in ihrem Interesse liegt. Wir sind mit unseren Verbündeten bereit, jedes Waffensystem zu verschrotten, das abzubauen auch die Sowjetunion bereit ist.
({5})
Wir Deutschen werden alles unterstützen, was einen fairen Ausgleich der Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen von Ost und West ermöglicht.
({6})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, neben der Atlantischen Allianz ist die Europäische Gemeinschaft Grundlage unserer freiheitlichen Exi3026
stenz. Die Wirtschaftskrise, vor allem im Agrar- und Montanbereich, stellt die Gemeinschaft vor immer neue Herausforderungen. Darauf ist sie wenig vorbereitet. Ihre äußere Erweiterung ist schneller vorangegangen als ihre innere Konsolidierung. Es fehlt an Gemeinschaftsbewußtsein. Das zur Integration berufene Europäische Parlament hat zuwenige Kompetenzen. Die nationalen Interessen und die unterschiedlichen politischen Konzepte prallen daher in der Gemeinschaft ungebremst aufeinander.
Eine solche Gemeinschaft, die nur die miteinander verbundene Summe ihrer Glieder ist, aber noch kein neues Ganzes, kann nicht glanzvoll sein. Sie kann nur mit immer neuen Kompromissen und immer neuen Ärgerlichkeiten überleben. Entscheidend ist, daß sie überlebt. Und ich glaube fest daran, denn der Fortbestand der Gemeinschaft liegt im Interesse aller ihrer Mitglieder und derer, die es noch werden wollen. Deswegen sage ich: In Athen ist eine Konferenz gescheitert, in Athen ist aber nicht die Europäische Gemeinschaft gescheitert.
({7})
Diese Gemeinschaft liegt auch in unserem deutschen Interesse. Sie bietet unserer Exportwirtschaft eine sichere Grundlage. Sie gibt uns Rückhalt in unseren Beziehungen zu Osteuropa. Sie hat früher verfeindete Länder in einer Weise zusammengeführt, die vorher nicht denkbar gewesen wäre. All das darf nicht verlorengehen. Notwendig sind jetzt Besonnenheit und Entschlossenheit, keine Aufgeregtheit. Es ist nicht so wichtig, ob die nächste Konferenz bald stattfindet oder sehr bald. Entscheidend ist, daß sie gelingt, und dafür muß sie weiter vorbereitet werden.
Das Konzept von Stuttgart, die verschiedenen Anliegen der Mitgliedsländer miteinander zu verknüpfen, um sie einer Gesamtlösung zuzuführen, war jedenfalls richtig. Denn in einer solchen Gemeinschaft müssen bei einem Abschluß alle Beteiligten einen Erfolg mit nach Hause bringen können, damit eine Gesamtlösung überhaupt möglich ist. Deswegen beglückwünsche ich den Bundeskanzler noch einmal dazu, daß unter seiner Ratspräsidentschaft
({8})
dieses Gesamtkonzept erarbeitet worden ist. Es bleibt gültig, und ich bin überzeugt, daß der neue Ratspräsident, der französische Staatspräsident, vor dem wir großen Respekt empfinden, diese Sache jetzt in die Hand nehmen wird. Die Tatsache, daß dieser französische Staatspräsident ein besonders enges Vertrauensverhältnis zum deutschen Bundeskanzler unterhält, wird es erleichtern, daß diese beiden Kernländer Europas mit aufeinander abgestimmten Konzepten zur Überwindung der gegenwärtigen Krise der EG beitragen.
({9})
Meine Damen und Herren, unsere außenpolitischen Möglichkeiten in Europa und in der Welt sind um so größer, je mehr es uns gelingt, unser eigenes Land in Ordnung zu bringen. Die Wirtschaft, die Staatsfinanzen und die soziale Sicherheit sind zudem Themen, die unseren Mitbürgern auf den Nägeln brennen. Wir werden daher diese Themen in den Mittelpunkt der Haushaltsdebatte stellen.
Als Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 zum Bundeskanzler gewählt wurde, war die Lage bedrohlich. Finanziell befand sich unser Land auf sausender Fahrt in den Abgrund. Steigende Massenarbeitslosigkeit kennzeichnete den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit in Teilbereichen.
({10})
Das Gebäude der Sozialversicherung stand vor dem Einsturz. Mit schnell wirkenden Notmaßnahmen und mit mittelfristigen Konzepten wurde die Umkehr eingeleitet. Schon 14 Monate nach dem Regierungswechsel sind erste erstaunliche Ergebnisse sichtbar.
({11})
Ich werde dazu jetzt zehn Punkte nennen. Das mag manchem als nicht besonders interessant erscheinen, aber es ist sehr interessant, denn es sind zehn Punkte einer Leistungsbilanz, die zu Optimismus Anlaß geben und die den Aufschwung nachweisen.
({12})
Erstens. Das Bruttosozialprodukt, die volkswirtschaftliche Gesamtleistung, steigt wieder: in diesem Jahr um 1%, im nächsten Jahr zwischen 2,5% und 3%.
Zweitens. Die Zahl der Baugenehmigungen ist 1983 um rund 25% höher als im Vorjahr.
Drittens. Die Industrie verbuchte in den letzten drei Monaten gut 6 % mehr Aufträge als vor Jahresfrist.
Viertens. 1981 gingen die Anschaffungen für Maschinen und Ausrüstungen noch um 3,5 % zurück, 1982 sogar um 6,5 %. In diesem Jahr wird es wieder ein Plus zwischen 4 % und 5% geben, meine Damen und Herren.
({13})
Fünftens. Die Preissteigerungsrate wurde in nur 15 Monaten von 5,6 % auf 2,5%, also auf weniger als die Hälfte zurückgeführt - ein großartiger Erfolg für Rentner und Arbeitnehmer.
({14})
Die Preise gewerblicher Erzeugnisse übertrafen den Vorjahreswert im Oktober nur noch um 1 %.
Sechstens. Die Reallöhne der deutschen Arbeitnehmer, die in den beiden vorangegangenen Jahren gesunken waren, steigen wieder. Wegen der drastisch verringerten Geldentwertungsrate wird den Arbeitnehmern in diesem Jahr ein wenn auch nur
bescheidenes Plus bleiben. Das ist ein ungeheurer Fortschritt im Vergleich zu den Jahren zuvor.
({15})
Siebtens. Das Angstsparen ist zu Ende. Auch die Verbraucher fassen wieder Mut, wie die Unternehmer. Die Sparquote fiel binnen Jahresfrist um 1,5 Prozentpunkte auf 13 %. Unsere Kürzungen haben also nicht zu einer Verringerung des Verbrauchs geführt. Wir waren angebots- wie nachfrageorientiert.
({16})
Achtens. Die Leistungsbilanz, die noch 1980 ein Minus von 28,5 Milliarden DM hatte, wird in diesem Jahr wieder mit über 10 Milliarden DM im Plus sein.
({17})
- Sie müssen alles hören. Wenn Sie alles gehört haben, wissen Sie alles.
({18})
Neuntens. Die Zinsen in Deutschland sind gefallen. Niedrige Zinsen sind Ausdruck des wiedererwachenden Vertrauens in den Wert der D-Mark. Das deutsche Zinsniveau liegt heute um gut 3 Prozentpunkte oder um 40 % unter dem amerikanischen. Meine Damen und Herren, das ist ein gemeinsamer großartiger Erfolg unserer Stabilitätspolitik und der klugen Politik der Deutschen Bundesbank, der wir Dank und Anerkennung aussprechen.
({19})
Zehntens. Auch auf dem Arbeitsmarkt, der immer ein Spätindikator war und beiben wird, kündet sich der Aufschwung an. Erstmals seit dreieinhalb Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt zurückgegangen. Während sie im September/Oktober des Vorjahres noch um 150 000 angestiegen war, sank sie in diesem Jahr im gleichen Zeitraum um 30 000. Im November hat sich diese günstige Entwicklung fortgesetzt. Der im November ausschließlich saisonale Zuwachs war der niedrigste seit 1948.
({20})
- Sie scheinen sich für die Arbeitnehmer nicht so sehr zu interessieren. Sonst würden Sie besser zuhören.
({21})
Die Kurzarbeit verringerte sich zwischen November 1982 und November 1983 von 1 033 000 auf 494 000, also um mehr als eine halbe Million. Die Bundesbank rechnet damit, daß das Jahr 1984 seit
vielen Jahren das erste sein wird, in dem die Erwerbslosenzahl im Jahresmittel zurückgeht.
Meine Damen und Herren, das sind Tatsachen. Die Lage ist verändert. Der Aufschwung ist eingeleitet. Für eine Volkswirtschaft mit über 22 Millionen Arbeitnehmern, mit über 2 Millionen Unternehmern und Selbständigen, mit einem Bruttosozialprodukt von 1,6 Billionen DM und, das wollen wir nicht vergessen, mit nach wie vor ungelösten großen Strukturproblemen ist Tempo und Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung erstaunlich.
({22})
Herr Abgeordneter Dr. Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri?
Herr Kollege Dregger, ist Ihnen bekannt und sind Sie mit mir der gleichen Auffassung, daß der entscheidende Indikator für den Erfolg der Wirtschaftspolitik einer Bundesregierung die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl ist, daß genau diese Erwerbstätigenzahl in diesen Wochen dramatisch zurückgeht und daß deshalb die von Ihnen geschilderte Erfolgsbilanz eine drastische Beschönigung ist?
({0})
Herr Spöri, erstens stimmt -das nicht, was Sie sagen. Und zweitens werde ich mich nachher mit den Fragen des Arbeitsplatzdefizits sehr eingehend beschäftigen, und ich denke, daß Sie dann im einzelnen Antworten auf Ihre Fragen erhalten.
({0})
Wir stehen erst am Anfang. Wir dürfen nicht nachlassen. Wir dürfen nicht in schlechte Gewohnheiten zurückfallen. Wir müssen konsequent bleiben.
({1})
Wir dürfen aber auch nicht überziehen. Manchem Kritiker des letzten Jahres gingen Tempo und Ausmaß der Haushaltskonsolidierung und der Investitionsanregungen nicht schnell genug. Ich habe damals zu Geduld gemahnt - gewiß nicht aus Schwäche! Eine noch stärkere Reduzierung der öffentlichen Ausgaben wäre nach meiner Überzeugung falsch gewesen. Sie hätte durch ein noch stärkeres Schrumpfen der Sparquote nicht kompensiert werden können. Sie hätte eine schockartige Verringerung der Nachfrage zur Folge haben können.
Ich bin überzeugt, daß es der Bundesregierung und uns gelungen ist, den schmalen Mittelweg zwischen beiden Extremen zu finden. Und die Erfolge bestätigen diese Einschätzung.
Diese Erfolge waren nicht ohne große Belastungen für große Teile unserer Mitbürger zu haben. 30 Millionen Menschen waren von Kürzungen betroffen. Andere mußten ihren Beitrag in anderer Weise leisten, z. B. durch die Hinnahme heimlicher Steuererhöhungen, durch die Kombination von Geldentwertung und von Steuerprogression. Die Tarifkorrektur bei der Lohn- und Einkommensteuer steht ja noch aus. Unvermeidliche Beitragserhöhungen in der Sozialversicherung haben auch den Unternehmen Lasten aufgebürdet - neben den Arbeitnehmern.
Aber die schon bis heute eingetretenen Verbesserungen rechtfertigen diese Belastungen. Zwei Prozent Zinsen weniger und drei Prozent Geldentwertung weniger: das hat fundamentale Auswirkungen auf alle sozialen Lebensverhältnisse, auf die Einkommensituation der Rentner und Arbeitnehmer und auf die Wirtschaft insgesamt.
({2})
Zwei Prozent Zinsen weniger bringen eine Kostenentlastung von annährend 16 Milliarden DM. Drei Prozent Geldentwertung weniger erhöhen die Kaufkraft der deutschen Verbraucher um 30 Milliarden DM real.
Zwei weitere grundlegende Verbesserungen wollen wir noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Auch sie wären ohne die vorausgegangene Konsolidierung und den dadurch ausgelösten Aufschwung nicht durchführbar.
Erstens. Wir möchten die Arbeitnehmer und die anderen Einkommensbezieher steuerlich durch eine Tarifreform bei der Lohn- und Einkommensteuer entlasten.
Zweitens. Wir möchten eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs durch die Ausdehnung des Mutterschaftsgelds auf alle Mütter und durch Einführung eines Familiensplittings oder verbesserter Kinderfreibeträge herbeiführen.
Wann die Steuerreform in Kraft tritt, darüber wird zur Zeit gestritten - was ich nicht für besonders nützlich halte. In Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzminister und der Bundesbank warne ich vor vorzeitigen Festlegungen. Die Entscheidung darüber wird im nächsten Jahr fallen. Und dabei steht nicht das Ob, sondern nur das Wie zur Diskussion. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Steuerreform muß so gewählt werden, daß die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte dadurch nicht gefährdet wird. Wir müssen hier wie in allem anderen seriös bleiben.
({3})
Ich sagte schon, daß unser Sanierungskurs auf den Protest mancher davon Betroffener, besonders ihrer Verbände, gestoßen ist. Das kann niemanden überraschen. Im Namen der Fraktion kann ich nur um Verständnis bitten. Wir haben es ja nicht aus Mutwillen getan, sondern um ein finanzielles Chaos zu verhindern, vor dem wir in Deutschland standen.
({4}) Wir haben es getan, um der Wirtschaft wieder Vertrauen in dieses Land zu geben und dadurch Vollbeschäftigung in Deutschland möglich zu machen.
Natürlich kann man darüber streiten, ob alle Einzelentscheidungen richtig waren. Aber daß unser Kurs goldrichtig war, daran kann man nicht mehr zweifeln. Das zeigen die Ergebnisse und das bestätigen inzwischen nahezu alle Sachverständigen.
({5})
Von Kaputtsparen, wie diese dumme Vokabel heißt, kann jedenfalls nicht die Rede sein. Der Staat befindet sich immer noch in der Lage eines Mannes, der monatlich 2 000 DM verdient und dazu noch in jedem Jahr zusätzlich 4 000 DM Schulden aufnimmt. Meine Damen und Herren, wer seine Schulden Jahr für Jahr um zwei Monatseinkommen vermehrt, von dem kann man wirklich nicht behaupten, daß er sich kaputtspare. Dieser Mann lebt über seine Verhältnisse. Das hat auch der Staat getan, und auch der Staat kann sich das auf die Dauer nicht leisten.
({6})
Wer den Staat im Ausmaß des letzten Jahrzehnts verschuldet, der handelt unsozial. Er bereichert die Großen und belastet die Kleinen. Nur die Großen haben Geld genug, um dem Staat gegen hohe Zinsen dieses Geld zu leihen. Die Zinslasten müssen wir alle tragen. Das meiste bringen die Kleinen auf über die Lohnsteuer, deren Anteil am Steueraufkommen unter sozialdemokratischen Finanzministern immer größer geworden ist. 5 Millionen Arbeitnehmer arbeiten zur Zeit mit ihrer Lohnsteuer nur für die Zinslast, die sozialdemokratische Finanzminister diesem Lande aufgebürdet haben.
({7})
Nicht wir verteilen um von unten nach oben, meine Damen und Herren der SPD, das haben Sie getan durch Ihre unverantwortliche Schuldenpolitik.
({8})
Ein kurzer Rückblick auf unsere Konsolidierungsanstrengungen. Wir haben nicht die Schulden vermindern können, sondern nur den Schuldenzuwachs. Dieser Schuldenzuwachs, der sich 1983 ankündigte, hatte die astronomische Zahl von 55 Milliarden DM. Durch unsere Sparaktionen konnte er zunächst auf 40,9 Milliarden und im Laufe des Haushaltsvollzuges dieses Jahres auf wahrscheinlich 37 Milliarden DM herabgedrückt werden.
({9})
Für 1984 ist der Schuldenzuwachs auf 33,6 Milliarden DM gedrückt. Genügt das? Nein, meine Damen und Herren, ein jährlicher Schuldenzuwachs von 33 Milliarden DM ist nach wie vor viel zuviel. In den ersten 20 soliden Jahren der Republik unter Führung christlich-demokratischer Finanzminister und freidemokratischer Finanzminister betrug der Schuldenzuwachs pro Jahr weniger als eine einzige Milliarde. Das ist vorläufig nicht mehr zu erreichen. Die Zinslast frißt uns auf. In diesem Jahr zahlen wir
nur an Zinsen für Altschulden 27 Milliarden DM. Im nächsten Jahre werden es nahezu 29 Milliarden DM sein. Solange die Schuldenlast wächst, so lange wächst die Zinslast weiter. Daher müssen wir unseren Konsolidierungskurs im Interesse der Bürger und dieses Landes fortsetzen.
({10})
Herr Abgeordneter Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner? -- Keine weiteren Zwischenfragen.
Meine Damen und Herren, das Erbe, das wir in der Sozialpolitik zu übernehmen hatten, war noch schlimmer als das Erbe in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bei der Arbeitslosenversicherung hatte sich für 1983 ein Finanzierungsloch in Höhe von 13 Milliarden DM aufgetan. Die Rentenversicherung drohte ab August 1983 zahlungsunfähig zu werden.
({0})
- Ich komme auf das, was wir für das kommende Jahr tun. - Die Beitragseinnahmen waren 1982 im Schnitt um 1 %, die Ausgaben aber um durchschnittlich 7 % gestiegen. Das Gebäude der Sozialversicherung stand vor dem Einsturz. Schnell wirkende Notmaßnahmen, Stützen für das krachende Gebälk, waren das Gebot der Stunde. Norbert Blüm hat es geschafft. Das Loch in der Kasse der Bundesanstalt für Arbeit konnte gestopft, die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung konnte erhalten werden.
({1})
Der Kostenschub bei der Krankenversicherung wurde gebremst. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen haben seit Dezember des vergangenen Jahres ihren Beitragssatz durchschnittlich um 0,34 % gesenkt. Das entspricht einer Entlastung der Beitragszahler um rund 1 Milliarde DM für ein Jahr. Die Not- und Sparmaßnahmen in der Sozialpolitik waren schmerzhaft, aber ohne sie wären Konsolidierung und Aufschwung nicht möglich geworden.
Flankierend zu diesen Sparmaßnahmen werden durch gezielte wirtschaftliche Anreize für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital der Wirtschaft neue Akzente gesetzt. Mit dem Vermögensbildungsgesetz beenden wir den 14jährigen Stillstand in der Vermögenspolitik.
({2})
Der Vermögenszuwachs wird nicht vom Staat verteilt; er wird von den Arbeitnehmern erarbeitet und in Tarifverträgen abgesichert. Wir werden weiterhin alles tun, um den Spielraum für eine breitere Eigentumsstreuung in der Wirtschaft beharrlich auszuweiten.
Drei große Probleme in der Sozialpolitik liegen in den kommenden Jahren vor uns: erstens die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht, zweitens die Einbeziehung von Zeiten der Kindererziehung bei der Berücksichtigung der Rentenhöhe und drittens das sich in den 90er Jahren rapide verschlechternde Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern.
Wir können diese Probleme nur mit den Mitteln und den Überzeugungen der sozialen Marktwirtschaft lösen. Zur sozialen Marktwirtschaft gehört notwendigerweise beides: Leistung und soziale Gerechtigkeit, Wettbewerb und Solidarität, Eigenverantwortung und soziale Sicherung. Die in diesem „und" zum Ausdruck kommende Balance zwischen solidarischem Schutz und Eigenverantwortung ist in den 70er Jahren in eine Schieflage geraten. Staatliche Sozialpolitik bestand vor allem darin, den Bürgern immer neue Leistungen anzubieten und sie zu animieren, diese auch bis zum letzten auszunutzen.
({3})
Beharrlich verschwiegen wurde dabei, daß das Geld dafür den Bürgern vorher oder nachher abgenommen werden würde.
({4})
Eine solche Politik konnte nur in der Sackgasse enden, und sie hat j a auch in der Sackgasse geendet.
({5})
Wir aber bekennen uns ohne Wenn und Aber zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft.
({6})
Wir wissen: Die Gesetze des Marktes allein schaffen noch keine soziale Friedensordnung.
({7})
- Hören Sie doch einmal zu, es ist gut für Sie.
({8})
Der Markt honoriert nur das ökonomisch Richtige, aber nicht das Gerechte. Deshalb stellen wir die Wirtschaft in den Dienst des Menschen.
({9})
Aber je mehr die Wirtschaft leistet, um so mehr können wir den Menschen dienen. Deshalb fördern wir die Wirtschaft und strangulieren sie nicht, wie Sie es getan haben!
({10})
Meine Damen und Herren, das Vorgetragene ist die Bilanz der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die wir immer als Einheit begriffen haben, aus nur 14 Monaten der Bundesregierung Helmut Kohl. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion spreche ich dem Bundeskanzler Helmut Kohl, dem Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und der ganzen Bundesregie3030
rung Dank, hohen Respekt und Anerkennung für diese großartige Leistung aus.
({11})
Auf dem Hintergrund dieser Bilanz möchte ich zu einigen aktuellen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen Stellung nehmen. Erste Frage: Kann die Arbeitslosigkeit durch eine Verkürzung der Arbeitszeit vermindert werden und, wenn ja, welche ist die richtige, die beste oder die am wenigsten schlechte Lösung?
Zuerst eine wichtige Feststellung zur Ausgangslage. In der Schaffung neuer Arbeitsplätze ist unser Land im letzten Jahrzehnt hinter allen Industrienationen mit Ausnahme Großbritanniens weit, teilweise sehr weit zurückgefallen. Ich beziehe mich auf das Statistische Taschenbuch 1983 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Daraus ergibt sich: Zwischen 1970 und 1981 wurde die Zahl der Arbeitsplätze bei uns nur um 637 000 vermehrt, in Frankreich um 1,4 Millionen, in Italien um 1,5 Millionen, in Japan um knapp 8 Millionen und in den Vereinigten Staaten von Amerika um 18,5 Millionen netto; alles in diesem Zeitraum.
Ein anderer Vergleich: Über ein Drittel der heute in den USA außerhalb der Landwirtschaft bestehenden Arbeitsplätze ist in den letzten 20 Jahren entstanden, nämlich 36 Millionen von 90 Millionen. Von den Arbeitsplätzen, die es jetzt bei uns gibt, ist im selben Zeitraum nicht ein Drittel, sondern nur ein Achtel entstanden, nämlich 3 Millionen von 23 Millionen. Das zeugt nicht gerade von Vitalität, von Fortschritt, von Dynamik der deutschen Wirtschaft. Das ist aber das, was wir brauchen, meine Damen und Herren. Alles, was dem technischen Fortschritt, was der wirtschaftlichen Dynamik dient, ist notwendig, um wieder zu Vollbeschäftigung für Deutschland zu kommen.
({12})
Dieser Rückstand in der Schaffung neuer Arbeitsplätze, den die beiden sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen zu verantworten haben, ist um so erschreckender, als im gleichen Zeitraum ein nahezu ungebremster Zuzug von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, wir bitten auch die anderen Fraktionen dieses Hauses und die Öffentlichkeit, unserer vernünftigen Ausländerpolitik auch im Interesse der deutschen Arbeitnehmer zuzustimmen.
({13})
- Ja, sagen Sie ruhig aha. Diese Position habe ich immer vertreten und werde sie weiter vertreten.
({14})
Wir wollen den Menschen der Dritten Welt vor allem in ihrer Heimat helfen und nicht dadurch, daß wir einen verschwindenden Bruchteil von ihnen hier in unser Land holen.
({15})
- Sie interessieren sich für alle in der Welt. Ich interessiere mich besonders für die Deutschen, weil ich ein Vertreter des deutschen Volkes bin. Deswegen kann ich doch mal seine Interessen hier im Deutschen Bundestag geltend machen.
({16})
Eine zweite Feststellung - zunächst ebenfalls ohne Wertung - möchte ich der Fragestellung, ob die Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung verringert werden kann, vorwegschicken! Wir Deutschen arbeiten schon jetzt weniger als nahezu alle Industrienationen. Nur die Belgier übertreffen uns in dieser Hinsicht noch geringfügig. Bei den Belgiern sind es 1 756 Stunden, bei uns 1 773 Stunden pro Jahr - normale Arbeitszeit, abzüglich Feiertage und Urlaub.
Eine dritte Feststellung: Bei einem internationalen Vergleich fällt auf, daß die Arbeitslosigkeit nicht in denjenigen Industrienationen am geringsten ist, in denen am kürzesten gearbeitet wird, sondern ausgerechnet in denen, in denen am längsten gearbeitet wird. Am längsten arbeiten die Japaner, nämlich 2 101 Stunden; ihre Arbeitslosigkeit beträgt im Jahresmittel 2,4 %. Die Schweizer, unser europäisches Nachbarvolk, arbeiten 2 044 Stunden, also nicht viel weniger als die Japaner; ihre Arbeitslosigkeit beträgt im Jahresmittel nur 0,4 %. Wir arbeiten, wie gesagt, 1 773 Stunden; unsere Arbeitslosigkeit lag 1982 im Jahresmittel bei 7,5 %.
({17})
- Natürlich, Erklärungen können Sie immer finden. Aber letzten Endes kommt es darauf an, daß die Menschen Arbeit finden. Dazu ist es notwendig, daß die Käufer unsere Produkte auf den Märkten kaufen; alles andere ist Gerede.
({18})
- Ich möchte mich jetzt nicht an Sie, sondern an den Deutschen Gewerkschaftsbund wenden. Ich möchte den Deutschen Gewerkschaftsbund, vor dem ich großen Respekt habe, insbesondere die Industriegewerkschaft Metall, die bereits Kampfmaßnahmen angedroht hat, bitten, an Hand dieser Zahlen darüber nachzudenken, ob die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden in der jetzigen Lage gut für die deutschen Arbeitnehmer ist; das ist doch die Fragestellung.
({19})
Das könnte doch - wenn überhaupt - nur dann der Fall sein, wenn wir die Japaner, die Amerikaner, die Schweizer, die Franzosen, die Briten und alle anderen dazu überreden könnten, mit uns
gleichzuziehen, also ihre Arbeitszeit auch auf 35 Stunden zu verkürzen.
({20})
- Herr Wieczorek, Sie können sich ja einmal bemühen. Machen Sie doch einmal auf diesem Gebiet eine Missionsreise ins Ausland. - Aber die denken gar nicht daran. In der Schweiz haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gerade darauf geeinigt, nicht die 35-Stunden-Woche, sondern die 40-Stunden-Woche einzuführen, und zwar nicht jetzt, sondern 1986 und 1988 - und das nicht bei vollem Lohnausgleich; erstaunlich.
({21})
- Mitterrand hat mit seiner Arbeitszeitverkürzung ja Pech gehabt. So sehr ich seine Außenpolitik schätze, aber die Wirtschafts- und Finanzpolitik kann man - ich äußere mich über einen so geschätzten Mann nur ungern nicht positiv - wirklich nicht als Vorbild für die Welt hinstellen, auch nicht für die Bundesrepublik Deutschland.
({22})
Meine Damen und Herren, hätte die IG Metall mit ihrer Forderung Erfolg, dann stiegen die Arbeitskosten im Schnitt mindestens um 14 %; es gibt Schätzungen, die darüber liegen. Vergleichbar wäre diese bezahlte Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit einem bezahlten Zusatzurlaub von nahezu 6 Wochen im Jahr. Das ist wirklich das Wunderland, das Paradies - oder auch nicht.
Die Folgen eines derartigen Alleingangs - international gesehen wäre es ja ein Alleingang - liegen doch auf der Hand: Der Aufschwung würde gestoppt, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft würde weiter beeinträchtigt, noch mehr deutsche Betriebe gingen in Konkurs, die Arbeitslosigkeit in Deutschland stiege dramatisch. Das sollte niemand wollen, am wenigsten die Interessenvertreter der deutschen Arbeitnehmer.
({23})
Möge jetzt niemand sagen, das sei ein Eingriff in die Tarifautonomie, meine Damen und Herren!. Eine derartig drastische Veränderung der Arbeitszeit ist keine Privatangelegenheit der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Eine solche Veränderung betrifft die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes und damit den Staat, für den wir, die Vertreter des deutschen Volkes, und vor allem die Bundesregierung Verantwortung tragen.
({24})
Genauso wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände das Recht haben, uns zu kritisieren - davon machen sie selbstverständlich auch reichlich Gebrauch -, genauso haben wir das Recht, unsere Bedenken ihnen gegenüber offen und ehrlich anzumelden und Kritik zu üben,
Ich begrüße es, daß es Gewerkschaften gibt, die der 35-Stunden-Woche ähnlich wie wir kritisch gegenüberstehen, wenn sie es auch nicht so deutlich sagen. Sie ziehen jedenfalls die Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor. Auch diese Arbeitszeitverkürzung ist natürlich nicht ohne Probleme; aber die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ist nicht unumkehrbar. Sie ist zunächst auf fünf Geburtsjahrgänge beschränkt; sie läßt sich mit der Tatsache rechtfertigen, daß in Deutschland in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre ein besonders hohes Arbeitsplatzdefizit entstanden ist, das auch die neue Regierung nicht schlagartig beseitigen kann. In den Genuß der Verkürzung der Lebensarbeitszeit kämen die Jahrgänge, die es besonders verdient haben, weil sie dieses Land aus den Trümmern wieder aufgebaut haben. Auf jeden Fall ist dieser Weg der Arbeitszeitverkürzung besser, zumindest weit weniger gefährlich als die drastische Verkürzung der Wochenarbeitszeit.
({25})
Ich begrüße und unterstütze daher die Anstrengungen des Bundesarbeitsministers, zu einer ökonomisch vernünftigen und sozial vertretbaren Regelung zu kommen. Unser besonderes Augenmerk werden wir, wenn erforderlich, je nach Art der Regelung auf Schutzmaßnahmen für kleine Unternehmen mit niedriger Beschäftigtenzahl zu richten haben. Was wir jetzt haben, ist ein Diskussionsentwurf, und Norbert Blüm hat uns alle eingeladen, daran teilzunehmen; er ist offen für Verbesserungen.
Meine Damen und Herren, auch das soll nicht unausgesprochen bleiben: Man kann Menschen, die von Natur aus fleißig sind - solche gibt es doch auch -,
({26})
nicht dazu zwingen, in der Woche nur 35 Stunden zu arbeiten. Hören Sie doch mal zu und rufen Sie nicht soviel dazwischen, Herr Reents! Man kann doch Menschen, die von Natur aus fleißig sind, nicht dazu zwingen, in der Woche nicht mehr als nur 35 Stunden zu arbeiten.
({27})
Man kann doch nicht einen 59jährigen, einen 60jährigen zwingen, aus dem beruflichen Arbeitsleben überhaupt auszuscheiden. Das wäre doch diskriminierend.
({28})
Deswegen ist der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit unverzichtbar,
({29})
und dabei denke ich noch gar nicht an die Folgen für den Schwarzmarkt und die Schattenwirtschaft.
Meine Damen und Herren, aus all diesen Überlegungen ergibt sich meines Erachtens: Arbeitszeitverkürzung kann kein Allheilmittel, sondern nur eine flankierende Maßnahme sein. Nicht die Vertei3032
lung des Mangels und Resignation, sondern Aktion, wissenschaftliche Höchstleistungen, technische Innovationen, Optimismus - das ist das, was wir brauchen.
({30})
- Das ist Ihnen von den GRÜNEN völlig fremd, das ist mir klar; aber Sie repräsentieren nicht die deutsche Nation,
({31})
sondern einen sehr kläglichen Ausschnitt.
Meine Damen und Herren, ich bin jedenfalls nicht bereit, mich damit abzufinden, auch wenn die GRÜNEN noch so laut sind, daß uns Japaner und Amerikaner abgehängt haben, in der Mikroelektronik, in der Kommunikationstechnik, in der Biotechnologie. Die Technikfeinde in Deutschland, die ihre parlamentarische Vertretung jetzt in den GRÜNEN haben, haben Schlimmes angerichtet.
({32})
Wir aber fordern alle staatlichen Stellen, Forschungsstätten und Universitäten auf, ihre Leistungen zu steigern Höchstleistungen in diesen Massengebilden überhaupt wieder möglich zu machen und dafür zu sorgen, daß wir diesen technischen Rückstand in wichtigen Teilbereichen aufholen.
Ein reales Wachstum von 3 % über mehrere Jahre hinweg, das durchaus möglich ist, würde die Lage am Arbeitsmarkt grundlegend verändern.
Herr Abgeordneter Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?
Nein, heute keine mehr.
Das zeigen nicht nur unsere eigenen kurzen Erfahrungen dieses Jahres, sondern das zeigen auch die internationalen Erfahrungen. In den Vereinigten Staaten wurden bei einem realen Wachstum von 2,5 % zwischen 1975 und 1982 14 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen.
({0})
Um Wachstum zu ermöglichen, ist auch Entbürokratisierung notwendig. Die Regierung hat erste wichtige Schritte zurückgelegt. Weitere müssen folgen. Das bürokratische Netz muß - ich will nicht gerade sagen: zerrissen, aber doch - wesentlich aufgeknüpft werden.
({1})
Wenn dieses Netz in dieser Weise schon 1949 in Deutschland bestanden hätte, hätte es nie ein Wirtschaftswunder gegeben.
({2})
Ich fordere jeden Minister auf, in seinem Arbeitsgebiet mehr Vorschriften aufzuheben, als neue zu erlassen.
({3})
Wir werden am Ende der Legislaturperiode den Minister auszeichnen, der den Vorschriftendschungel am meisten aufgelockert hat.
({4})
Zu den Problembereichen Werften, Stahl, Bergbau, in gewisser Weise auch Landwirtschaft möchte ich folgendes sagen. Landwirtschaft und Bergbau müssen wir auf Dauer stützen, weil wir in der menschlichen Ernährung und in der Energieversorgung vom Ausland nicht völlig abhängig werden dürfen. Diese beiden Bereiche können zudem auf Grund der natürlichen Verhältnisse, der geologischen und klimatischen Verhältnisse nicht schutzlos der Konkurrenz der Weltmärkte und anderer, klimatisch begünstigter Regionen ausgesetzt werden.
({5})
Dabei ist klar, daß auch der Schutz für Bergbau und Landwirtschaft Grenzen findet.
({6})
Andere Branchen können nur Übergangshilfen erhalten, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.
({7})
Durch Subventionen kann man den wirtschaftlichen Exitus hinauszögern, aber nicht aufhalten. Gegen den Markt ist letztlich kein Kraut gewachsen, selbst dann nicht, wenn man bestimmte Wirtschaftsbereiche aus der Marktwirtschaft herausnimmt.
Was sich im Bereich der Montan-Industrie die nationalen Regierungen, aber auch die Organe der Gemeinschaft geleistet haben, ist im Grunde ein Skandal. Durch den Subventionswettbewerb wurden unsere technisch hervorragenden deutschen Stahlunternehmen ausgeblutet. Wertvolle Ressourcen der Steuerzahler wurden verschleudert. Die alte Bundesregierung hat das mehr oder weniger widerstandslos hingenommen.
({8})
Sie hat auch einem sogenannten Subventionskodex
zugestimmt, der bis 1985 gelten soll. 1985 muß entsprechend den Regeln der Europäischen GemeinDr. Dregger
schaft mit Subventionen, mit dem Subventionswettbewerb auch tatsächlich Schluß sein.
({9})
Ich fordere die neue Bundesregierung auf, das nun auch innerhalb der EG tatsächlich durchzusetzen. Die notwendigen Kapazitätsschnitte müssen leider stattfinden, auch bei uns. Unsere Unternehmen sind zur Zeit zwischen 50 und 55 % ausgelastet.
({10})
80 bis 85 % wären notwendig, um in nachhaltiger Weise Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Diese Kapazitätsschnitte können nur im Zusammenwirken von Gewerkschaften, Unternehmen, Landesregierungen und der Bundesregierung in sinnvoller und für die Betroffenen erträglicher Weise verwirklicht werden. Im Bergbau ist das gelungen. Die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie hat sich wieder einmal verantwortungsbewußt gezeigt. Sie hat für die Bergleute herausgeholt, was nur möglich war. Aber sie hat sich wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht verschlossen.
Ich fordere die IG Metall auf, gleiches Verantwortungsbewußtsein bei der Stahlindustrie zu zeigen. Ich fordere aber nicht nur die IG Metall, sondern auch die Unternehmensleitungen
({11})
und die betroffenen Landesregierungen auf.
({12})
Die Bundesregierung muß vorangehen. Nur so können wir die schwärenden Wunden am Körper der deutschen Volkswirtschaft heilen.
({13})
Meine Damen und Herren, die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren ist erstmals seit Mai 1980 zurückgegangen, und zwar nennenswert, um 5 %.
({14})
Das ist ein großartiger Erfolg. Wirtschaft und Handwerk haben auf Drängen des Kanzlers auch auf dem Lehrstellenmarkt riesige Anstrengungen unternommen, für die ich ihnen dankbar bin.
({15})
Ich bin all den Handwerksmeistern und Unternehmern dankbar, häufig kleinen Unternehmern, die das für das Gemeinwohl getan haben und nicht für ihren Betrieb. Meine Damen und Herren, das Jahr 1983 ist auf diese Weise zum Jahr des Lehrstellenrekords in Deutschland geworden.
({16})
Ab 1990 werden wir - ich sage: leider - nur noch rund halb soviele Schulabgänger wie in diesem Jahr haben. Dann werden wir jeden Lehrling brauchen und dankbar sein für jeden Lehrling, der in diesem Jahr und in den darauf folgenden Jahren gleichsam auf Vorrat ausgebildet wird. Aber in den unmittelbar vor uns stehenden Jahren wird sich die Zahl der Lehrstellenbewerber nochmals erhöhen. Wirtschaft und Staat müssen daher ihre Leistungen noch einmal steigern.
Vergessen wir nicht: Diese jungen Menschen, die jetzt auf den Arbeits- und Lehrstellenmarkt drängen, sind das wertvollste Gut unseres Volkes.
({17})
Ich appelliere vor allem an die Unternehmen, die ausbilden könnten, aber bisher noch nicht ausgebildet haben.
({18})
Hier ist eine Lehrstellenreserve, die nun in den vor uns liegenden Wochen und Monaten aktiviert werden muß.
({19})
Meine Damen und Herren, Deutschland hatte nach 1945 keine wertvollen Rohstoffe und kein Kapital, aber Deutschland hatte tüchtige und fleißige Menschen. Unser zerstörtes Land wurde nicht von Mundwerkern aufgebaut, sondern von Handwerkern.
({20})
Nicht die Aussteiger bestimmten den Kurs, sondern die Aufsteiger.
({21})
Den Weg aus der Krise hat uns damals die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards gewiesen. Sie ist auch heute noch die einzige Alternative zum Sozialismus, d. h. zur Massenarbeit und zur Einschränkung menschlicher Freiheiten.
({22})
- Entschuldigung, das war ein Versprecher. Ich meinte Massenarmut.
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem schwierigen, aber auf dem richtigen Weg. Wir haben keinen Anlaß, selbstzufrieden zu sein wie die GRÜNEN da. Aber wir haben allen Anlaß, optimistisch zu sein.
({23})
Alles spricht dafür, daß wir Deutschland wieder nach vorn bringen werden.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Dregger, ich wollte eigentlich einen zentralen Gedanken Ihrer Rede aufgreifen, aber ich muß ehrlich gestehen
({0})
- jetzt hören Sie doch erst einmal hin -, es gibt gar keinen. Außer geschönten Zukunftsprognosen, außer Appellen an Fleiß und Leistungsbereitschaft und der Zukunftsprognose, die Sie in Ihrem letzten Satz zusammengefaßt haben, „Wir werden Deutschland wieder nach vorn bringen" - man merke sich dieses Zitat -, habe ich nichts gehört, abgesehen von einem Vokabular, das an Blut-, Schweiß- und Bodenbegrifflichkeiten erinnert.
({1})
Weil ich ansonsten so wenig gehört habe, möchte ich mich gleich an den Herrn Bundeskanzler wenden.
({2})
Herr Bundeskanzler, wir GRÜNEN können uns einem gewissen politischen Mitgefühl nicht entziehen angesichts der Tatsache, daß Sie doch gestern wieder eine Ihrer großen Illusionen auf der Strecke der harten Tagespolitik haben lassen müssen. Die Europäische Gemeinschaft, deren Zukunft Sie noch im Sommer in Stuttgart in so leuchtenden Farben beschworen haben, ist mit ihrem Latein anscheinend am Ende.
({3})
Herr Bundeskanzler, pfälzischer Frohsinn, die europäische Kulturgemeinschaft auf den Lippen und das Herz auf dem rechten Fleck, diese politische Botschaft hat sich offenbar ganz plötzlich nicht als ausreichend erwiesen, um jene Harmonie herbeiführen zu können, an der Ihnen doch sonst immer so viel liegt.
({4})
Die bisher kunstvoll gestützte Fassade der politischen Union Europas ist - so viel ist offensichtlich - erst einmal bis auf ihre ökonomischen Grundmauern niedergebrannt. Die Europäische Gemeinschaft ist in nationale Egoismen mit unterschiedlichen Interessen zerfallen.
({5})
Während sich die agrarisch orientierten Länder hinter dem Projekt einer Fettsteuer und dem Abbau des Grenzausgleichs für die deutsche Landwirtschaft als einem finanziellen Sanierungsmittel verschanzt haben, ist demgegenüber für die Gruppe der Nettozahler das Sparen bei den Agrarsubventionen vorrangig. Das gilt besonders für die Bundesrepublik und Großbritannien. Im Moment scheint die Quadratur des Kreises eher wahrscheinlich als die Konsensfindung dieser EG-Länder.
Ganz entsprechend der in diesen Ländern vorherrschenden Naturwüchsigkeit des Marktprozesses scheint eine Verlustzuweisung, wenn denn überhaupt, allenfalls durch Drohung des Bankrotts möglich. Das scheint der einzige Ausweg zu sein, der hier noch eine Lösung denkbar erscheinen läßt.
Die Zeit scheint gekommen zu sein, in der Ihre großen Worte von der europäischen Völkergemeinschaft durch die Praxis des finanztechnischen Geschiebes auf ihre nüchternen ökonomischen Gehalte reduziert werden. Durch die Geschäftigkeit der pompösen Gipfeltreffen hindurch hat sich in den letzten Tagen eine tiefgreifende Strukturkrise der EG offenbart, über die auch der so gern zur Schau gestellte Berufsoptimismus nicht länger hinwegtäuschen kann. Um das sehr deutlich zu sagen: Für 1984 ist die Zahlungsunfähigkeit der EG angesagt. Für 1984 steht die Zahlungsfähigkeit der EG insgesamt in Frage. Der Agrarmarkt steht vor dem Zusammenbruch. Allenthalben hören wir protektionistische Töne. Fettsteuer und Grenzausgleich, das sind offenbar die profanen Stolpersteine für die großen Ideale der europäischen Völkergemeinschaft.
Angesichts der gegenwärtigen Probleme scheint die EG mehr und mehr zur bloßen Raketengemeinschaft verkommen zu sein, einer Raketengemeinschaft, die ihre internen Probleme dadurch zu verschleiern versucht, daß die Gemeinsamkeit der NATO-Interessen und die Verteidigungsfähigkeit des Westens beschworen werden.
({6})
Dieser Schulterschluß im Rahmen der Raketengemeinschaft ist offensichtlich auch das hauptsächliche Motiv, das hinter dem geplanten Beitritt von Spanien und Portugal steht.
Nach schlechter historischer Tradition scheint zunehmend die Gefahr zu bestehen, daß innenpolitische Konfliktfelder nach außen verlagert werden, daß die Einstimmung gegenüber dem vermeintlichen Gegner im Osten dazu benutzt wird, von inneren Problemen abzulenken. Das gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland. Hier in diesem Haus ist vor zwei Wochen jener Raketenbeschluß gefaßt worden, der die Kriegsgefahr auch in Mitteleuropa dramatisch verschärft hat und der zugleich die Abhängigkeit bundesdeutscher und westeuropäischer Sicherheitsinteressen von den Strategien, die im Weißen Haus und im Pentagon entwickelt werden, zementiert und vertieft hat, eine Abhängigkeit, die nicht nur in der Sicherheitspolitik besteht, sondern die auch im ökonomischen Bereich festgestellt werden muß, eine Abhängigkeit, die eine der Ursachen für die strukturelle Krise der EG und für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in der Bundesrepublik ist, eine Abhängigkeit, die im Zuge Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, ständig zunimmt. Anstatt Vasallentreue zu üben, wäre hier eine Loskoppelung notwendig, eine Loskoppelung im militärischen Bereich, aber auch eine Loskoppelung, die eine wirklich eigenständige europäische Entscheidungsmöglichkeit auch in der Wirtschaftspolitik eröffnen würde. Nicht nur die Abhängigkeit von USMilitärstrategien muß überwunden werden, überwunden werden muß auch die Abhängigkeit von der US-Ökonomie. Hohe Zinsen und Raketen dürKleinert ({7})
fen nicht länger der prägnanteste Importartikel des „American Way of Life" sein.
({8})
Schauen wir einmal genauer ins Innere der Bundesrepublik: Mehr als ein Jahr ist diese Regierung jetzt im Amt. Und Sie, Herr Kohl, haben sich seit dem 6. März häufig über die ökonomische Krise, über wirtschaftliche Zukunftsaussichten, über die Wege, die aus den ökologischen und ökonomischen Problemen herausführen sollen, in der Ihnen eigenen lebensphilosophischen Prägnanz geäußert. Sie haben sich oft und gerne über die Segnungen der Sozialen Marktwirtschaft geäußert, die - und ich zitiere jetzt den Herrn Bundeskanzler - „persönliche Freiheit, sinnerfüllte Arbeit, Gleichheit der Chancen" ebenso garantiere wie - ich zitiere wieder - „Eigentum und Wohlstand".
({9})
Mitunter äußern Sie sich sogar zu Krisenphänomenen der bundesdeutschen Wirtschaft. Dann allerdings, Herr Bundeskanzler, pflegen Sie diese lieber mit den Begrifflichkeiten eines moralisierenden Heilpraktikers zu kennzeichnen. Wenn es um Krisenprobleme geht, dann heißt es nämlich - und ich zitiere wieder -, es gehe darum, der Wirtschaft zu einer robusteren Konstitution zu verhelfen - als ob es darum gehe, einen schwächlichen Patienten durch Handauflegen wieder aufzupäppeln.
({10})
Auch für die Arbeitslosen haben Sie immer wieder trostreiche Worte parat. So heißt es z. B. in Ihrer Regierungserklärung vom Mai 1983 - ich zitiere -: Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist ein „Gebot der Mitmenschlichkeit". Wer diese Worte hört und wer diese Worte mit der Wirklichkeit des Jahres 1983 vergleicht, der muß sich angesichts der Diskrepanz zwischen diesen Sprüchen und der irdischen Realität stark wundern. Von praktizierter Mitmenschlichkeit ist da wenig zu entdecken.
({11})
Seit Herbst letzten Jahres ist die Arbeitslosenzahl auf 2,3 Millionen angewachsen. Sicher ist die Zunahme der registrierten Arbeitslosen in diesem Herbst geringer ausgefallen, als das eine Reihe von Prognosen vorausgesagt haben;
({12})
aber welche Ursachen hat das denn? Während Sie sich hier mit geschönten Zahlen schmücken, steigt doch in Wahrheit die Dunkelziffer bei der Arbeitslosigkeit ständig weiter an, meine Damen und Herren.
({13})
Es steigt die Zahl derjenigen, die als Dauerarbeitslose das Schicksal von Armut und sozialer Verelendung hinnehmen müssen. Schon jetzt ist die Zahl der Arbeitslosen, die kein Arbeitslosengeld bekommen, auf 1,3 Millionen angestiegen. Und diese Zahl wird weiter wachsen. Gleichzeitig ist in diesem
Herbst die Zahl der Kurzarbeiter von 400 000 auf 700 000 gestiegen.
Während die Unternehmererträge im Jahre 1983 drastische Steigerungsraten aufweisen - der Sachverständigenrat spricht von 12 % -, sind die Einkommen aus unselbständiger Arbeit in etwa gleichgeblieben, ja, sie sind vielfach sogar gesunken. Der Anstieg des Einkommens aus unternehmerischer Tätigkeit hat allerdings eines nicht aufhalten können: nämlich daß von 1982 auf 1983 erneut von einem Anstieg der Konkurse ausgegangen werden muß, diesmal von einem Anstieg von 16 000 auf 18 000.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im Mai ausgeführt - ich zitiere -:
Wer mehr wagt, und wer sich mehr plagt, der hat auch Anspruch auf Erfolg und Gewinn.
({14})
Wie sieht es nun um die Einlösung dieses Anspruchs aus?
Der Erfolg und der Gewinn, von dem Sie gesprochen haben, Herr Bundeskanzler, besteht gerade für eine wachsende Zahl von Jugendlichen, von ausländischen Mitbürgern, von Frauen und von älteren Arbeitnehmern in nichts anderem als in Arbeitslosigkeit, und zwar in einer ziemlich dauerhaften Arbeitslosigkeit. Wenn Sie von Erfolg und Gewinn sprechen, dann meinen Sie offensichtlich den Erfolg und den Gewinn anderer Bevölkerungskreise, nicht den, von dem ich soeben gesprochen habe.
Die Gesamtbilanz zeigt: Der strahlende Glanz ihrer bestellten Gutachten steht in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Dunkelziffern der unerfreulichen Wirklichkeit.
({15})
Soweit diese Bundesregierung unter der Überschrift: Abbau der Arbeitslosigkeit überhaupt politische Initiativen unternommen hat, so waren das Initiativen, die stets als Vorsorgemaßnahmen für stabiles Geld, für die Minderung des öffentlichen Kapitalbedarfs und für die Förderung von Eigenkapitalbildung angelegt waren. In Ihren wirtschaftspolitischen Konzepten geht es vornehmlich um die Förderung von Investitionsanreizen, um die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und um steuerliche Erleichterungen für die Unternehmer. Das Steuerentlastungsgesetz, das mit diesem Haushalt verabschieddt werden soll, bietet hierfür das deutlichste Beispiel. Das alles ist ungefähr so, als wenn man sich zur Bekämpfung eines Hausbrandes damit zufrieden geben würde, daß für die folgenden Tage Regen angesagt wird. Denn allein auf der Grundlage der vagen Hoffnungen, eine Förderung der Investitionstätigkeit könnte zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit irgendeinen nennenswerten Beitrag leisten, wollen Sie solche Gesetze beschließen, mit denen auf Milliardeneinnahmen verzichtet wird. Dabei liegt auf der Hand, daß selbst eine beträchtliche Zunahme der Investitionstätigkeit gerade keinen entscheidenden
Kleinert ({16})
Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wird leisten können. Diese Zunahme der Investitionstätigkeit wird eher noch zur Vernichtung weiterer Arbeitsplätze führen.
Dies zeigen die für 1983 vorliegenden Zahlen sehr deutlich. 1983 sind die Anlageinvestitionen um zirka 3,5 % gewachsen, ebenso das Bruttosozialprodukt um zirka 0,7 % bis 1 %. Aber dennoch ist die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen weitergegangen. Etwa die Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen darüber hinaus, daß 85% aller Investitionsmaßnahmen als Rationalisierungsinvestitionen vorgenommen werden, deren Ziel gerade die Vernichtung von Arbeitsplätzen ist.
Daß diese Grundorientierung Ihrer Wirtschaftspolitik gerade kein Mittel sein kann, auch nur die schlimmsten Auswirkungen der wirtschaftlichen und sozialen Krise zu beseitigen, hat schließlich kein geringerer als der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht erst jüngst bestätigt, jener Ministerpräsident, mit dessen Vorstellungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik uns GRÜNE ansonsten nun überhaupt nichts verbindet. Aber in einem hat der Herr Albrecht ganz zweifellos recht, nämlich mit der These, daß die Bundesregierung ohne eine drastische Veränderung ihrer Wirtschaftspolitik bis zum Jahre 1990 mindestens 4 Millionen Arbeitslose mitproduzieren wird.
Dies ist deshalb wahrscheinlich, weil Sie nach wie vor die einzig sinnvolle Alternative, die einer differenzierten Investitionspolitik in den gesellschaftlichen Feldern, in denen ein echter Bedarf besteht, bei gleichzeitiger drastischer Arbeitszeitverkürzung nach wie vor ablehnen. Meine Damen und Herren, wir haben wenig Hoffnung, daß der Nachfolger des jetzigen Wirtschaftsministers in dieser Richtung neue Töne anschlagen wird.
Nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen Strukturprobleme sind es, die sich seit Ihrer Regierungsübernahme noch weiter verschärft haben.
({17})
Verschärft hat sich das Sterben der Wälder. Das Waldsterben hat sich innerhalb der letzten anderthalb Jahre vervierfacht. 35 % des Waldbestandes in der Bundesrepublik sind heute schon davon betroffen. Heute schon liegen die Kosten, die das Waldsterben verursacht, bei mindestens 60 Milliarden DM. Daß hier eine Umweltkatastrophe schlimmsten Ausmaßes auf uns zukommt, das ist inzwischen derart offensichtlich geworden, daß das niemand mehr zu leugnen wagt. Das Waldsterben ist nur eines, wenngleich das schlimmste Beispiel für eine Schädigung von Natur und Umwelt, von Luft und Wasser, die durch Ihre Industriepolitik hervorgerufen wird, durch eine Politik, die am ungebremsten Wachstum festhält und die gesellschaftlichen Folgekosten für künftige Generationen allenfalls am Rande einkalkuliert.
Wir haben nicht das Recht, die Natur rücksichtslos auszubeuten. Dies hatte uns der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Mai von dieser Stelle aus wissen lassen. Er hat damals wirksame Gegenmaßnahmen angekündigt.
Was ist seither geschehen? Wenn wir die Bilanz aufmachen, werden wir feststellen müssen: Geschehen ist so gut wie gar nichts. Während das Waldsterben in einer Geschwindigkeit voranschreitet, die selbst schlimmste Befürchtungen früherer Jahre noch übertrifft, läßt Ihr Herr Innenminister verlauten, daß die Ursachen für das Waldsterben noch nicht genau bekannt seien, daß es zwar Anhaltspunkte dafür gebe, daß es dieses Waldsterben ohne die Luftverschmutzung nicht gebe, aber eben nur Anhaltspunkte; es müsse noch weiter geforscht werden. Dabei findet sich landauf, landab kein Umweltexperte mehr, der bestreiten würde, daß Schwefeldioxid und Stickoxide die Luftschadstoffe sind, die als Hauptverursacher des Waldsterbens gelten müssen.
({18})
Das Schwefeldioxid stammt zu 60 % aus Kohlekraftwerken und Fernheizwerken. Dennoch weigert sich diese Bundesregierung nach wie vor standhaft, wirksame Entschwefelungsprogramme zu beschließen.
({19})
Soweit überhaupt etwas passiert, soll hier das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt werden. Mit der Begründung, die Autos seien der allein entscheidende Schadstoffproduzent bei der Luftverschmutzung, wird auf eine wirksame Bekämpfung der Schadstoffemissionen bei Kraftwerken verzichtet und das umweltpolitische Heil allein von der Einführung bleifreien Benzins erwartet - eine Einführung, die ohnehin noch in den Sternen steht und die bei aller unbestrittenen Notwendigkeit nicht mehr sein kann, wenn sie denn überhaupt kommen sollte, als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Forcierte Industrialisierungspolitik ohne Rücksicht auf die tatsächliche Beschäftigungsentwicklung und bei Geringschätzung der Folgewirkungen dieser Politik für Natur und Umwelt, das sind die Stichworte, mit denen Ihre Politik gekennzeichnet werden muß. Während Sie in der Beschäftigungspolitik alles auf mehr oder weniger utopische Wachstumsraten setzen, während Sie angesichts der tiefgreifenden Strukturkrisen bei Stahl und Werften nicht viel mehr anzubieten haben als Sanierungsauflagen, die eine massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen einkalkulieren, ja, diese massenhafte Vernichtung sogar fordern, ohne daß gleichzeitig das Problem einer Produktionsumstellung angegangen würde, setzen Sie zugleich auf einen massiven Ausbau der Atomenergie.
({20})
Als wollten Sie die Krise im Steinkohlenbergbau Ihrerseits noch anheizen, propagieren Sie jetzt noch stärker den Ausbau der Atomenergie, statt mittelfristig der einheimischen Kohle als Energieträger eindeutig den Vorrang einzuräumen.
({21})
Kleinert ({22})
Nach einem Jahr Rechtsregierung in Bonn, nach einem Jahr Kanzlerschaft Kohl stehen wir - und das ist die Bilanz ({23})
tiefer in der ökologischen und sozialen Krise als jemals zuvor.
({24})Mhler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Diese Rede
ist ein Sammelsurium!)
Es ist dies eine Krise - ({25})
- Jetzt seien Sie doch mal still. An Ihrer Stelle würde ich jetzt mal zuhören. Vielleicht können auch Sie einmal etwas lernen.
({26})
Es ist dies nicht bloß eine Konjunktur- oder Strukturkrise der Wirtschaft. Es ist eine umfassende Krise, die aus grundlegenden Konstruktionsfehlern dieses auf bloßes industrielles Wachstum ausgerichteten Wirtschaftens erwächst. Und Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, hat im Lauf des letzten Jahres erheblich dazu beigetragen, diese Krise noch zu verschärfen.
Ich denke, daß wir GRÜNEN auch deshalb seit dem 6. März in diesem Parlament sitzen, weil wir mit vielen nachdenklichen Bürgern die Auffassung teilen,
({27})
daß es mit der ungehemmten Wachstumsgläubigkeit vergangener Jahre nicht mehr weitergehen kann,
({28})
wenn die Lebens- und Zukunftschancen künftiger Generationen nicht ruiniert werden sollen.
({29})
Auch die eine oder andere Äußerung zumindest in Ihren Sonntagsreden schien darauf hinzudeuten, daß auch bei Ihnen der Zweifel wächst, ob man mit den Konzepten aus der wirtschaftspolitischen Rezeptküche vergangener Jahrzehnte wirklich noch Perspektiven eröffnen kann.
Weil dies so ist, ist es sehr interessant, am Ende dieses Jahres zu bilanzieren, was wir von Ihnen, namentlich von den Regierungsparteien, in diesem Parlament erlebt haben.
Noch im März haben Sie verkündet - ich zitiere hier Ihren Geschäftsführer Schäuble -:
Wir werden für jede neue Anregung dankbar sein.
({30})
Wir werden sorgfältig prüfen, ob sie eine Verbesserung beinhaltet.
({31})
Und der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ausgeführt - ich zitiere wieder -:
Meine Achtung gilt auch denen, die in der Minderheit geblieben sind. Der demokratische Staat braucht beide: Regierung und Opposition.
({32})
Ich zitiere den Herrn Bundeskanzler weiter:
Ich wünsche uns allen einen fairen Stil des Umgangs miteinander. Das dient der Sache und dient der politischen Kultur.
({33})
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, auch hier sieht die Wirklichkeit ganz anders aus.
({34})
Was wir seit dem März hier erlebt haben, das spricht für vieles, aber für eines mit Sicherheit nicht, nämlich für Ihre Fähigkeit, auch nur einen einzigen neuen Gedanken wirklich aufzunehmen.
({35})
Und das gilt nicht nur für uns, die wir hier in diesem Parlament sitzen. Das gilt verstärkt für diejenigen, die außerhalb dieses Parlaments für eine andere Politik eintreten.
({36})
Nur allzu oft haben wir in den vergangenen Monaten erleben müssen, wie diejenigen, die angesichts der ökologischen Krise, angesichts neuer Rüstungsprogramme und angesichts sich zuspitzender sozialer Probleme neue Alternativen vorschlagen, von Ihnen als utopische Schwärmer eher herablassend abgetan, als „sogenannte" Friedensbewegung verleumdet, als „Verfassungsfeinde" verketzert, als „Handlanger Moskaus" verteufelt oder gar in die Nähe der Nazis gerückt worden sind, wie es kürzlich in diesem Hause passiert ist.
({37})
Und das ist passiert, obwohl gerade Sie von der CDU/CSU bei solchen Vergleichen wie dem letzten allen Anlaß hätten, außerordentlich vorsichtig zu sein.
({38})
Ich will hier das Thema diverser Geistesverwandtschaften, die im übrigen viel schlimmer als polternde Zwischenrufe sind, in diesem Zusammenhang gar nicht weiter vertiefen. Ich will auch der Versuchung widerstehen, an dieser Stelle darauf einzugehen, welche Vorstellungen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten anläßlich der Südafrika-Diskussion in der vorigen Woche bei einigen
Kleinert ({39})
Rednern der größeren Regierungsfraktion deutlich geworden sind,
({40})
obwohl dies alles einschließlich der Frage der Geistesverwandtschaften eine ausführlichere Debatte wahrlich verdient hätte. Ich will mich an dieser Stelle mit einem Hinweis begnügen. Nicht nur die geplanten Verschärfungen des Demonstrationsrechts und das Verfahren mit Asylbewerbern, wie es im Fall Altun öffentlich sichtbar geworden ist, nicht nur die unglaublichen Ausfälle gegen die Friedensbewegung, durch die sich namentlich Herr Geißler hervorgetan hat, zeigen, daß es in der Innenpolitik tatsächlich so etwas wie eine Wende gegeben hat. Hier ist dieses Wort offensichtlich tatsächlich einmal zu Recht angebracht. Nicht nur die Töne, die man im Hause von Innenminister Zimmermann vor allem aus dem Munde des Herrn Spranger vernehmen konnte, der j a nicht nur für jenes ungeheuerliche Machwerk in Hunderttausenderauflage verantwortlich zeichnet, das die Friedensbewegung als von Moskau ferngesteuert darstellt und das in seiner Machart an Propagandavorbilder aus den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert, sondern der inzwischen offensichtlich auch der Auffassung ist, zu den vornehmsten Aufgaben eines Staatssekretärs im Bundesinnenministerium gehöre im Rahmen der sogenannten Terrorismusbekämpfung auch der Kampf gegen die Kubaner in Mittelamerika und die Befürwortung der Invasion eines souveränen Staates durch die USTruppen; nicht nur diese Töne machen deutlich, welch bedenkliche Wende sich hier abspielt. Nicht nur dies, auch Ihre Ausfälle hier im Hause, die sich in den letzten Wochen gehäuft haben, zeigen an, daß es mit Ihrer demokratischen Toleranz gegenüber abweichenden Positionen nicht allzu weit her sein kann. Wer die wahnwitzigen Vergleiche gehört hat, die der amtierende Generalsekretär einer in der Koalition vertretenen Partei am letzten Wochenende zwischen der Ermordung von Ponto und Schleyer einerseits und den gegen Minister Lambsdorff und andere ermittelnden Behörden andererseits gezogen hat, dem müssen angesichts des Fortgangs dieser innenpolitischen Wende die schwersten Befürchtungen kommen.
({41})
Vielleicht erleben wir demnächst wieder einmal einen Abgrund von Landesverrat, falls nämlich wieder einmal ein amtierender Bundesminister Gefahr laufen sollte, durch despektierliche Enthüllungen in die Bredouille zu kommen. Der Eindruck, so etwas könnte in den nächsten Jahren bevorstehen, verstärkt sich noch, wenn man daran denkt, daß der betreffende Herr, der das vor mehr als 20 Jahren ins Rollen gebracht hat, schon ante portas zu stehen scheint.
Die Grundlinien Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, sind die festere Anbindung an die US-Militärstrategie und -ökonomie nach außen, eine forcierte Industrialisierungs- und Wachstumspolitik bei eindeutigem Primat einer Angebotsorientierung, soziale Umverteilung von unten nach oben, Vernachlässigung gesellschaftlicher Folgekosten hinsichtlich der Schädigung von Natur und Umwelt nach innen. Diese Politik wird abzusichern versucht durch ein innenpolitisches Wendemanöver, das den Toleranzraum gegenüber Minderheiten in dieser Gesellschaft einschränkt und gleichzeitig eine beträchtliche Aufrüstung des staatlichen Gewaltapparates betreibt. Ich erinnere hier nur an die massive Aufrüstung des Bundesgrenzschutzes, die dieser Haushalt vorsieht.
Die Grundlinien kennzeichnen auch den vorliegenden Haushaltsplan für 1984. Wir diskutieren einen Haushalt der Güterverschwendung, einen Haushalt, dessen Maßnahmen künftigen Generationen hohe Folgekosten auferlegen. Wir diskutieren einen Haushalt der Hochrüstung und einen Haushalt der sozialen Demontage. Dieser Haushalt fordert von Millionen von Bürgern in diesem Lande erhebliche finanzielle Opfer. Diese Opfer werden vor allem eingetrieben bei den Arbeitern und Angestellten, sie werden eingetrieben bei den Arbeitslosen und bei den Kurzarbeitern, und sie werden eingetrieben bei den Rentnern und den Schwerbehinderten.
Ich darf in diesem Zusammenhang ein Zitat aus berufenem Munde zu Gehör bringen:
Es sind die Nichtorganisierten, die kinderreichen Familien, alleinstehende Mütter mit Kindern, alte Menschen, die Nichtarbeitsfähigen, Behinderte, zu deren Lasten Vorteile errungen werden können. Hier stellt sich die Neue Soziale Frage.
Wie wahr, möchte man angesichts auch der Kürzung des Mutterschaftsgeldes, angesichts Ihrer radikalen Eingriffe in das soziale Sicherungssystem sagen. Wie wahr, möchte man sagen angesichts Ihres Eingriffs in die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen. Ganz merkwürdig wird einem freilich zumute, wenn man weiß, wer der Autor dieser Zeilen ist, und wenn man weiß, daß es sich um ein Mitglied der Bundesregierung handelt. Es handelt sich um keinen Geringeren als den Bundesminister Heiner Geißler, der dies 1976 in seinem Buch „Die Neue Soziale Frage" geschrieben hat.
Nun macht es ganz den Eindruck, als hätte die Bundesregierung diese Strategieanweisung ihres Denunziationsexperten nur allzu wörtlich genommen, wörtlich genommen allerdings nicht, um eine Sozialpolitik zugunsten dieser benachteiligten Gruppen zu betreiben. Vielmehr möchte man meinen, die Geißlersche Bemerkung habe umgekehrt als Grundlage für den mit diesem Haushalt verbundenen Einbruch in das soziale Sicherungssystem gedient. Es sieht so aus, als ginge es der Bundesregierung geradewegs darum, die Geißlersche Logik vom Kopf auf die Füße zu stellen und direkt an Geißlers These von diesen sozialen Gruppen als neuer sozialer Klasse anzuknüpfen. Denn wenn Geißler recht hat und diese Gruppen tatsächlich eine neue soziale Klasse sind, dann ist die Politik der Bundesregierung tatsächlich als nichts anderes zu qualifizieren denn als Klassenkampf von oben.
Herr Abgeordneter Kleinert, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die für Sie angemeldete Redezeit zu Ende ist.
Ich komme zum Schluß.
({0})
Auf der Grundlinie Ihrer haushaltspolitischen Vorschläge, die hier in dieser Woche zur Debatte stehen, stellt sich die Alternative: Soll mit einer Politik fortgefahren werden, die weiterhin massiv gesellschaftlichen Reichtum verschwendet, die weiterhin soziale Demontage betreibt, die weiterhin den Ruin von Natur und Umwelt verursacht, oder aber soll endlich Ernst gemacht werden mit einer ökologischen und sozialen Alternative in diesem Land, mit einer Alternative, die endlich Möglichkeiten eröffnen würde, angesichts der grundlegenden Krise in diesem Lande, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben, tatsächlich Antworten zu geben? Das ist die Grundlinie unserer Alternativvorschläge für diesen Bundeshaushalt 1984, und auf dieser Grundlinie wird sich auch unsere weitere Debattenführung bewegen.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst wenn mich die Rede des Kollegen Kleinert hin- und hergerissen hätte, fühlte ich mich daran gehindert, jetzt zu formulieren „Deutschland braucht die Grünen", denn Ihre Kollegin Reetz hat uns ja gestern gerade klargemacht, daß eine solche Meinungsäußerung Ausdruck faschistischer Gesinnung wäre, und einen solchen Vorwurf wollen wir uns ja sicher auf beiden Seiten ersparen.
({0})
Herr Kollege Hoppe, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Aber gern!
So ganz richtig haben Sie mich doch noch nicht verstanden, denn es ist ja immerhin ein Unterschied, ob ich sage -
Stellen Sie bitte eine Frage, Frau Kollegin.
Haben Sie mich verstanden?
({0})
Ich habe gestern den Satz „Deutschland braucht Kernenergie" moniert. Sie sagten eben „Deutschland braucht die Grünen". Die Grünen sind aber eine politische Kraft, die Kernenergie ist eine Ware. Das ist also ein großer Unterschied.
({1})
Nun müßten Sie das Fragezeichen noch anfügen!
Verehrte Frau Kollegin, ich habe verstanden, daß Sie jedenfalls die Voraussetzung für meine Äußerung eigentlich noch einmal bestätigt haben.
({0})
Aber ich will jetzt von diesem Disput, den wir wahrlich nicht gleich wieder so tierisch ernst nehmen sollten, zu der Thematik des Tages kommen. Der gescheiterte europäische Gipfel liefert nicht gerade eine gute Einstimmung für den heutigen Tag der Haushaltsdebatte, aber es wäre fatal, wenn dieser Fehlschlag vermehrt Verdruß an Europa produzieren würde. Meine Damen und Herren, der Zug, der zur politischen Einheit Europas abgefahren und der böse ins Stocken geraten ist, darf nicht auf dem Abstellgleis landen.
({1})
Die Europäische Gemeinschaft hat sich nicht als so entscheidungsstark erwiesen, wie viele das erhofft hatten und wie es auch angesichts des Entscheidungsbedarfs in den Fragen der Agrar- und Finanzpolitik geboten gewesen wäre. Die unterschiedlichen nationalen Standpunkte blieben offensichtlich deshalb unvereinbar, weil die Kompromißfähigkeit unzureichend war. Nun gilt es, den Schaden zu begrenzen; denn die Probleme werden durch Zuwarten nicht geringer, sondern größer.
Die Europäische Gemeinschaft war mit den Ergebnissen von Stuttgart auf einem guten Weg. Wir haben in der Erklärung von Stuttgart jedenfalls nicht eine Deklaration von interpretierbarer Beliebigkeit gesehen, sondern eine von den Staats- und Regierungschefs eingegangene politische Verpflichtung, die es zu erfüllen gilt.
({2})
Denn die Gemeinschaft ist kein Abfallplatz für ungelöste nationale Probleme, auch keine Unternehmung zur Finanzierung von Überschüssen oder zur Erlangung tagespolitischer Vorteile für dieses oder jenes Land. Offensichtlich versteht sich die Europäische Gemeinschaft aber immer noch nicht als Schicksalsgemeinschaft. Jedenfalls hat es an dieser Einsicht und dem politischen Willen in Athen gefehlt. Hier hat die Bundesregierung mit ihren Partnern in Europa in den kommenden Wochen und Monaten eine entscheidende Bewährungsprobe zu bestehen.
Verehrter Herr Kollege Vogel, Ihre Rede hat besorgt gemacht, nicht wegen Ihrer Faszination und auch nicht wegen der toten Fliegen oder der toten Vögel, nein, sondern weil sie eigentlich deutlich zu erkennen gegeben hat, daß mit den Stichworten Ellbogengesellschaft und Umverteilung von unten nach oben weiter kultiviert Politik getrieben werden soll. Konfliktstrategie scheint unter uns zu kommen. Es sieht fast so aus, als sei die SPD auf dem Weg nach Kreuth. Genau das, meine Damen und Herren, ist in unserer augenblicklichen Situa3040
tion anstelle der Lösung der wirklich drängenden Probleme unseres Alltags ausgesprochen unbekömmlich.
Herr Vogel, die Passage über den Wirtschaftsminister war triefend, aber nicht von Fürsorge und Menschlichkeit. Die Unschuldsvermutung preisen und gleichzeitig die politische Verurteilung betreiben, ist entlarvend.
({3})
Die Freien Demokraten werden ihren Wirtschaftsminister nicht verurteilen, und sie verhalten sich so aus Anstand und nicht aus Kumpanei.
({4}) Nun ein Wort zum Rüstungsexport.
({5})
- Ich darf das ja wohl aufnehmen, was in der Debatte angesprochen wurde, verehrter Herr Kollege Kühbacher. Ich möchte nicht an den Diskussionsbeiträgen vorbeireden. Das erleben wir hier ja oft genug; das muß aber nicht sein. Deshalb sage ich: was hier zum Rüstungsexport an Besorgnis ausgedrückt worden ist, scheint mir unbegründet. Nach den Grundsätzen der Bundesregierung für den Rüstungsexport sind Entscheidungen über Rüstungsexporte in Länder außerhalb des NATO-Gebietes an folgende Kriterien gebunden. Sie sind nur zulässig, wenn es um vitale außen- und sicherheitspolitische Interessen unter Berücksichtigung von Bündnisinteressen geht; die innere Lage eines Landes dem nicht entgegensteht; die Lieferungen nicht zur Erhöhung von Spannungen führen, eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen nicht besteht und die zu liefernden Waffen für Verteidigungszwecke bestimmt sind. Nur unter diesen restriktiven Kriterien kann überhaupt in jedem Einzelfall über Rüstungsexport entschieden werden. Dies gilt selbstverständlich auch - oder vielleicht gerade - für mögliche Lieferungen nach Saudi-Arabien - dies besonders wohl auch deshalb, weil wir in dieser Region die Interessen des jüdischen Volkes berücksichtigen müssen und berücksichtigen wollen.
({6})
Wir sehen allerdings auch, daß Stabilität im Nahen Osten von großer Bedeutung für den Frieden in Europa und auch und gerade für die Sicherheit Israels sein kann. Aber, meine Damen und Herren, auch darüber sollte j a wohl Klarheit bestehen: daß Rüstungsexport bisher kein bestimmendes Mittel unserer Politik war und daß er schon gar nicht als Stabilisator für andere Länder und andere Regionen mißverstanden worden ist. Das, so hoffe ich, wird auch in Zukunft so bleiben.
({7})
Es ist aber, meine Damen und Herren, so finde ich, schon bemerkenswert, in welch sonderbarer
Weise wir, die Parteien und die Fraktionen im Deutschen Bundestag, unsere Auseinandersetzungen führen, und zwar auf allen Feldern der Politik: in der Sicherheitspolitik, der Innenpolitik oder beim Thema dieser Tage, nämlich der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mir drängt sich dabei dann immer die Erinnerung an einen Regieeinfall von Helmut Käutner auf, den er im „Hauptmann von Köpenick" wirkungsvoll eingesetzt hat. Als nämlich der Schuster Voigt in der Strafanstalt war und die Gefangenen zum Gottesdienst geführt wurden, erklang der schöne Choral: „Bis hierher hat uns Gott geführt in seiner großen Güte".
({8})
Auf die profane parlamentarische Ebene übertragen, frage ich mich in der Tat: Wer hat uns denn eigentlich hierher geführt, an die Probleme unserer Tage?
({9})
Meine Damen und Herren, in der Sicherheitspolitik war es ja wohl unbestreitbar die Crew Schmidt/Genscher/Apel. Aber wir alle fühlten uns dabei ganz offensichtlich nicht verführt, sondern - in richtiger Einschätzung der Lage - vor eine Entscheidung gestellt, der vom Parlament in großer Geschlossenheit zugestimmt wurde.
Und schließlich war ja wohl auch der NATO-Doppelbeschluß unbestreitbar ein bedeutsamer Wendepunkt in der internationalen Politik. Der politische Wille des Bündnisses, einer dramatischen sowjetischen Aufrüstung mit SS-20-Raketen nicht in trostloser Gesetzmäßigkeit mit Nachrüstung zu begegnen, sondern vielmehr Verhandlungen über Abrüstung anzubieten, war der sensationelle Versuch eines Ausstiegs aus der Rüstungsspirale.
({10})
Meine Damen und Herren, dieses Konzept hat der Westen in einem Augenblick entwickelt, in dem die Sowjetunion die gemeinsame Entspannungspolitik mit ihrer Rüstung diskreditiert hat.
Nun sind wir mit diesem Versuch leider im ersten Anlauf gescheitert. Aber wir würden die Fähigkeit, eine solche Umkehr in der Rüstungspolitik zu bewirken, auf Dauer verlieren, wenn wir jetzt, nach erfolglos geführten Verhandlungen, nicht unter Beweis stellen würden, daß wir zur Nachrüstung und damit überhaupt zum Handeln fähig sind;
({11})
denn wer den Frieden durch Verhandlungen und Abrüstung bewahren will, muß sich auch zum Handeln fähig zeigen. Nur dann wird er als Verhandlungspartner ernst genommen. Wer der Agitation erliegt und einer verständlichen, begreifbaren Friedenssehnsucht allein ohne Verhandlungsergebnis nachgibt, bringt den Rüstungswettlauf nicht aus der Welt, es sei denn durch Unterwerfung. Vor einer solchen Haltung sollte uns der Blick auf die unter
kommunistischer Herrschaft lebenden Menschen bewahren.
({12})
Meine Damen und Herren, es geht doch wohl auch zugleich um das Gebot, seinen Grundsätzen und sich selbst treu zu bleiben. Ernst Wickert spricht in seinem Chinabuch in einem anderen Zusammenhang über den hohen sittlichen Wert der Treue:
In der zweiten Strophe eines heute weithin unbekannten Liedes ist von deutscher Treue die Rede. Deutsche Treue? Bei dem Verfall dieses Begriffs wird man sie in Zukunft nur noch beim deutschen Schäferhund antreffen.
({13})
Wenn wir nun schon eine Korrektur, Herr Kühbacher, in der politischen Position einer Partei erleben, die diesen Weg mitgegangen ist, ihn mitbestimmt hat, dann - nun komme ich zu Ihrem Beitrag, Sie brauchen sich gar nicht durch einen Zwischenruf in Erinnerung zu bringen -, sollte man dies nicht auch noch mit Stimmungsmache begleiten und so tun, als seien der neuen Regierung und den Koalitionsfraktionen Waffen lieb und teuer und als werde der Verteidigungshaushalt aufgestockt und die Sozialleistungen gekürzt.
({14})
Herr Kollege Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren, Herr Präsident.
Ich möchte nämlich an dieser Stelle - dazu haben Sie mir Anlaß geliefert, Herr Kühbacher - rechtzeitig die Bremsen ziehen; denn Besinnung tut bei allen not. Es waren nämlich nicht dieser Bundeskanzler und diese Regierung, die sich international verpflichtet haben, die Verteidigungsausgaben jährlich um real 3% zu steigern, und es war ganz bestimmt nicht diese Regierung, die z. B. am Beschaffungsprogramm AWACS gegen bessere Einsicht der eigenen Streitkräfte festgehalten hat, weil man sich in der vertraglichen Bindung fühlte. Es ist ja auch - Sie dürfen dann sofort an der Stelle einsetzen - kein Märchen, daß der frühere Verteidigungsminister Hans Apel die Schilderung seiner Amtsübernahme mit der entwaffnenden Berner-kung seines Amtsvorgängers aufhellte: Die Waffensysteme sind alle bestellt, du brauchst sie nur noch zu bezahlen.
({0})
Herr Kollege Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Apel?
Bitte.
Herr Kollege Hoppe, können Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die Bundesregierung - das gilt auch für die jetzige Bundesregierung - zu keinem Zeitpunkt in Brüssel gegenüber der NATO die 3% real versprochen, sondern lediglich eine Bemühensklausel abgegeben hat, daß man danach streben wolle? Können Sie mir auch zustimmen, daß auch insofern Kontinuität gewahrt worden ist, als diese Bemühensklausel auch heute nie erfüllt wird?
({0})
Ich will dem zweiten besonders gern zustimmen. Aber wir brauchen doch nicht darüber zu streiten, daß Sie wie Ihre Amtsvorgänger und wie der Verteidigungsminister heute angesichts der Absichtserklärung mit der unerhört politischen Außenwirkung, auch im Bündnis und vor allen Dingen gegenüber den Vereinigten Staaten, bei uns um diese Steigerungsraten geworben haben: im Parlament und im Haushaltsausschuß. Das ist doch wohl die Wahrheit und die Wirklichkeit. Ich wollte nur sagen: Wir alle können uns doch aus diesem Stück eigener Vergangenheit nicht herausstehlen wollen.
({0})
In unserer Rechtsordnung gibt es so etwas wie eine Pflicht zum Handeln nach vorangegangenem Tun. Alle, auch die SPD, sollten das für ihr politisches Verhalten verinnerlichen.
Stellt sich denn die Frage nach der Glaubwürdigkeit, nach der eigenen Identität nicht auch in ähnlicher Weise auf dem Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik? Mit der neuen Koalition haben sich ja keine neuen Welten aufgetan, und Wunder sind ja auch nicht zu vollbringen.
({1})
Die Zielvorstellungen, unter denen diese Regierung und diese Koalition ihre Arbeit leisten, gab es nämlich auch schon bei Schmidt, Matthöfer und Lambsdorff.
Die großartige Haushaltsrede von Hans Matthöfer vom 16. September 1981 bleibt unvergessen. Das war die Wende. Unvergessen bleibt aber auch, daß wir unsere Zielvorgaben in den letzten Jahren weniger und weniger einhalten konnten. Hier allerdings hat es eine radikale Umkehr gegeben. Der Haushaltsvollzug 1983 hat es jedem gezeigt. Bei den Haushaltsansätzen wird nicht mehr optimistisch hasardiert, sondern risikobewußt und realitätsbezogen Vorsorge getroffen.
Die Argumentation des früheren Bundeskanzlers, der Staat dürfe in seiner Vorausschau nicht zu pessimistisch sein, weil pessimistische Grundannahmen die Stimmung in der Wirtschaft negativ beeinflußten, war trügerisch. Der Vertrauensschaden, der entstand, als unzureichend oder überhaupt nicht etatisierte Risiken Wirklichkeit wurden und immer neue Löcher im Haushalt aufrissen, war gewaltig.
Der Vollzug des Haushalts 1983 zeigt, daß wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. Allen Katastrophenmeldungen zum Trotz gibt es in die3042
sem Jahr keinen Nachtragshaushalt mit steigendem Kreditbedarf, sondern die Neuverschuldung wird über ca. 4 Milliarden DM niedriger liegen, als in der Kreditermächtigung ausgewiesen.
({2})
Wirtschaftspolitische Fürsorge und haushaltspolitische Vorsorge greifen also. Auf dieser Basis kann der Haushalt 1984 aufbauen.
Die jetzt vorliegende Fassung des Haushaltsentwurfs schafft durch einschneidende Zugriffe bei den Ausgaben zusammen mit den Verbesserungen auf der Einnahmenseite die Voraussetzungen dafür, daß die Verschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf noch einmal um knapp 4 Milliarden DM abgesenkt werden konnte. Das ist ein beachtliches Ergebnis.
Und doch sollten wir uns vor Selbstbelobigung hüten.
({3})
Es ist nicht die Zeit, sich selbst auf die Schultern klopfend durch die Lande zu laufen. Wir drosseln schließlich nur die Neuverschuldung, und das auf einem sehr hohen Niveau. An Schuldenabbau wagt schon niemand mehr zu denken. Aber es muß doch wohl immer noch daran gedacht werden. Der Weg dahin bleibt dornig, und die Risiken und Gefahren sind unübersehbar. Die Verführer, die uns von diesem Pfad der Konsolidierung weglocken wollen, sitzen mitten unter uns, und sie sitzen nicht nur in der Opposition.
({4})
Meine Damen und Herren, als ich im September 1979 von dem gefährlichen Potential der Staatsverschuldung sprach und es mit einer tickenden Zeitbombe verglich, bezifferte sich die Gesamtverschuldung des Staats auf rund 420 Milliarden DM, und die Schulden des Bundes wurden mit 210 Milliarden DM angegeben. Ende 1983 werden die Schulden des Bundes auf über 340 Milliarden DM und die Gesamtverschuldung auf weit über 650 Milliarden DM angestiegen sein. Bei diesen Zahlen kann wahrlich keine Freude aufkommen.
Dabei haben wir in den letzten Jahren gespart und eingesammelt und Jahr für Jahr zugegriffen. Beginnend mit dem Subventionsabbaugesetz 1981, der Operation '82, durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 und durch die jetzigen Eingriffe mit den Begleitgesetzen 1984 sind insgesamt, grob summiert, 35 Milliarden DM an Entlastung zusammengekommen. Wir haben zu registrieren, daß auf der einen Seite Kritik beim Bürger aufwallt wegen der ihm zugemuteten Belastung und daß auf der anderen Seite die Schulden immer noch anwachsen.
Angesichts dieses Dilemmas kommt man sich als Finanzpolitiker wirklich wie ein Hamster im Laufrad vor. Es ist daher in einer solchen Situation durchaus verständlich, wenn man sich dadurch Lichtblicke verschaffen will, daß man sich anderen, nämlich steuerpolitischen Entscheidungen oder dem Familienlastenausgleich zuwendet; denn dies verheißt letztlich Zustimmung, Zuspruch und Zuversicht.
({5})
Meine Damen und Herren, bei dem wichtigen Steuerthema geht es mir darum - es muß uns eigentlich allen darum gehen -, ein notwendiges, unverzichtbares Steuerentlastungskonzept nicht zu vermurksen, und zwar nicht schon von Anfang an.
({6})
Wir gefährden nämlich ein Gesetzeswerk unnötig, wenn wir uns mit einer Fristsetzung unter Zugzwang begeben.
({7})
Solange nicht endgültig Klarheit über Inhalt, Umfang und Finanzierbarkeit besteht, sollten die Geschenkpakete noch nicht zur Post gebracht werden.
({8})
Das Steuerentlastungspaket 1980, das uns mit seinen Folgen und seiner schadenstiftenden Wirkung allen noch in den Anzügen stecken müßte, mahnt zur Vorsicht. Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitiker aller Fraktionen hielten damals das 16-Milliarden-Projekt für nicht finanzierbar. Sie wollten damals die Entscheidung auf die Tarifkorrektur beschränken. Aber wegen der frühzeitigen Ankündigung und Festlegung der damaligen Koalition und den übertrumpfenden Forderungen der Opposition nahm das Unglück seinen Lauf.
({9})
Die Haushaltspolitiker mußten sich mit Goethe sagen lassen: „Wer in schwankenden Zeiten schwankend gesinnt, mehret das Übel."
Man fühlte sich gegenüber dem Wähler im Wort und wollte Wort halten. Das traurige Ergebnis dieser vermeintlich standhaften Politik sollte für uns alle eine Lehre sein. Hüten wir uns also vor voreiligen Festlegungen!
Wenn sich die Freien Demokraten erneut zur Priorität der Konsolidierung in der Finanzpolitik bekennen,
({10})
dann fühlen wir uns dabei durch die Tatsache ermutigt, daß seit dem Regierungswechsel ein wirtschaftlicher Erholungsprozeß in Gang gekommen ist. Die realistische und konsequente Haushaltspolitik, für die wir dem Finanzminister dankbar sind und für die wir ihm auch weiterhin unsere Unterstützung zusagen, trägt Früchte.
({11})
Selbst am Arbeitsmarkt ist eine Trendwende zum
Positiven festzustellen. Meine Damen und Herren,
ich werde mich aber davor hüten, bereits jetzt von einem Durchbruch zu sprechen.
({12})
Es ist doch zu konstatieren, daß die Politik aus ihrer Orientierungslosigkeit herausgefunden hat und daß die Wirtschaft offensichtlich bereit ist, auf Orientierungshilfen zu reagieren.
({13})
Deshalb gilt es jetzt konsequent zu bleiben. Konsolidierung wird nicht gepredigt, weil Sparen eine Lust an sich ist. Für so töricht sollte uns niemand halten. Wir sind keine Sparneurotiker, aber wir sind sparsam. Nur durch sparsamen Haushaltszuwachs, durch weitere Umschichtungen vom konsumtiven in den investiven Bereich kann die Haushaltspolitik ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen leisten. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bin ich gern ein Preuße. Dem Geld des Steuerzahlers, das wir treuhänderisch verwalten, wird das jedenfalls gut bekommen.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen in dieser Debatte möchte ich ein Wort des Dankes an den Kollegen Vogel für seine Gratulation zur Verleihung des Karl-Valentin-Ordens in München sagen. Ich habe mich über diese Ehrung sehr gefreut, und ich bin erfreut darüber, daß er das ebenso empfunden hat.
({0})
Nach seiner heutigen Rede ist mir allerdings klar, warum der Urmünchener Jochen Vogel den KarlValentin-Orden noch nicht erhalten hat.
({1})
Dieser Orden soll j a, wenn ich es recht verstanden habe, in der großen und bedeutenden Tradition Karl Valentins für Humor und Fröhlichkeit des Herzens verliehen werden.
({2})
Davon war heute in diesem Beitrag wirklich nichts zu spüren.
({3})
Das ist Ihnen in der SPD überhaupt abhanden gekommen. Deswegen sitzen Sie auch auf den Oppositionsbänken; um das einmal klar und deutlich zu sagen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will auf die teilweise wilden Angriffe des Oppositionsführers nicht eingehen. Wenn ich den Text richtig gelesen habe, hat er es ja selbst so empfunden, denn ganz am Ende kam noch eine Bemerkung, die das Ganze etwas abschwächen sollte. Zu zwei Bemerkungen will ich aber doch eine kurze Anmerkung machen.
Herr Kollege Vogel, es mutet mich und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit eigenartig an, daß Sie überhaupt das Wort „Führungskraft" in den Mund nehmen.
({5})
Ich will Ihnen einmal aus dem Erlebnis der letzten Wochen ein Beispiel von Führungskraft nennen. Wir - diese Bundesregierung, diese Koalition, ich selbst als Bundeskanzler - haben das international gegebene Wort meines Amtsvorgängers und seiner Regierung, der seinerzeit auch Sie angehörten, eingelöst. Wir haben es zum versprochenen Zeitpunkt, auf den Tag, eingelöst. Das nenne ich Führungskraft.
({6})
Und jetzt frage ich Sie ganz einfach: Was haben Sie denn in diesen Monaten getan?
({7})
Ihre Haltung in dieser zentralen Frage der deutschen Politik war undurchsichtig. Wir hatten doch - und es lohnt sich, das Protokoll nachzulesen - am Donnerstag vor der Bundestagswahl am 6. März gemeinsam mit dem Kollegen Genscher und dem Kollegen Franz Josef Strauß die übliche Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten. Sie haben in dieser Debatte trotz intensiven Befragens Ihre Position nicht klargelegt. Diejenigen in der SPD und in der SPD-Wählerschaft, die glaubten, daß der Kurs Helmut Schmidts etwas gilt, konnten sich am Abend dieser Debatte mit dem Gefühl zum Schlaf niederlegen, die Partei, der sie in der Vergangenheit ihr Vertrauen gegeben hatten und vielleicht am kommenden Sonntag wieder geben würden, werde zum NATO-Doppelbeschluß stehen. Wenn Sie, der Sie jetzt dauernd von Klarheit, Offenheit und Redlichkeit reden, an diesem Abend dem deutschen Publikum und den Wählern gesagt hätten, am Vorabend der Bundestagswahl, was Sie in diesen Tagen auf Ihrem Parteitag beschließen würden, säßen Sie - dies ist meine Schätzung - mit wenigstens 40 Mandaten weniger in diesem Hause, als Sie das heute tun.
({8})
Herr Abgeordneter Vogel, ich mache diesen Vorwurf in der SPD nicht Herrn Bahr und Herrn Brandt. Deren Position war immer klar. Sie haben eine Position des Opportunismus eingenommen, die Ihnen jede Chance nimmt, über Führungskraft überhaupt nachzudenken.
({9})
Spüren Sie denn nicht selber, wie es auf die Deutschen, wie es auf unsere internationalen Partner, unsere Freunde und Gesprächspartner wirken muß, wenn Sie nach wenigen Monaten der Opposition
mit nur noch 3 % der Delegierten Ihres Parteitages in einer zentralen deutschen politischen Frage, der der Sicherheitspolitik, der des NATO-Doppelbeschlusses, die Position Helmut Schmidts vertreten? Das zeigt doch, wie hier Veränderungen stattgefunden haben. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.
Zum zweiten: Herr Kollege Vogel, machen Sie sich bitte über die Stabilität dieser Bundesregierung gar keine Sorgen!
({10})
An Ihrer Stelle würde ich über die Zukunft der SPD nachdenken.
({11})
Dies hielte ich staatspolitisch und parteipolitisch gleichermaßen für nützlich. Sie haben doch die Chance, fast jede Woche hier in diesem Hause zu probieren, ob diese Regierung, ob die Koalition von FDP, CSU und CDU eine stabile Mehrheit hat. Ich lade Sie dazu ein. Sie probieren es doch auch immer wieder. Das Ergebnis ist Ihnen bekannt.
Wenn Sie nun an den Wähler appellieren: Herr Kollege Vogel, ich habe da keine Probleme. Ich habe weder Probleme mit der Demoskopie noch mit der öffentlichen Meinung noch mit anderem. Verehrter Herr Kollege Vogel, Sie können einen wahren Zitatenschatz hier bringen, und doch ist die Mehrheitssituation in diesem Lande für mich ganz klar. Wir probieren das bei nächster Gelegenheit gemeinsam wieder aus.
({12})
Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Diskussion um den Bundeswirtschaftsminister. Die Staatsanwaltschaft in Bonn hat im Februar 1982 gegen Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff und andere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsannahme im Zusammenhang mit dem sogenannten Flick-Verfahren eingeleitet. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat der Deutsche Bundestag am 2. Dezember, also vor wenigen Tagen, die Immunität des Abgeordneten und Bundesministers Graf Lambsdorff aufgehoben.
Bereits am 29. November hatte die Staatsanwaltschaft, vertreten durch sechs Staatsanwälte, in den Räumen der Bundespressekonferenz eine Pressekonferenz abgehalten, in der sie über Gegenstand und Beweismittel für die Erhebung der öffentlichen Klage berichtete. Der Bericht erstreckte sich auf das Ermittlungsverfahren gegen Graf Lambsdorff, obwohl die Immunität noch nicht aufgehoben und damit die Erhebung einer öffentlichen Klage gar nicht möglich war.
({13})
Keiner der Betroffenen war zu dieser Stunde der Pressekonferenz im Besitz der Anklageschrift.
({14})
Meine Damen und Herren, das muß man hier noch einmal deutlich aussprechen: Der Abgeordnete Graf Lambsdorff hat bis heute, bis zu dieser Stunde noch keine Anklageschrift erhalten.
({15})
Herr Abgeordneter Vogel, empfinden nicht auch Sie die Ungeheuerlichkeit
({16})
dieses Vorganges?
({17})
Da wird monatelang ein unbescholtener Mitbürger, ein um das Land verdienter Mann, der seine Pflicht getan hat, öffentlich heruntergezogen, und er hat nicht die geringste Chance, die Punkte aus dieser Anklage wirklich kennenzulernen.
({18})
Meine Damen und Herren, diese Pressekonferenz stellt ein ungewöhnliches Ereignis in der deutschen Prozeßgeschichte dar.
({19})
- Es ist schon ein erstaunlicher Vorgang, daß ein Professor der Rechte, Herr Professor Ehmke, das, was ich hier soeben gesagt habe - eine reine Darstellung von Tatsachen, die ich als ungewöhnlich und ungeheuerlich bezeichnet habe -, schon als „Justizschelte" qualifiziert. Wo sind wir eigentlich hingekommen, wenn man nicht mehr Tatbestände aussprechen darf?
({20})
Der oberste Ankläger des Bundeslandes Hessen - der Kollege Dregger hat mit Recht schon darauf hingewiesen -, Generalstaatsanwalt Horst Gauf, weist darauf hin, daß es eine Sache der Fairneß gewesen wäre, daß der Angeschuldigte Kenntnis von der Anklageschrift hat, bevor die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz gibt. Ich verstehe wirklich nicht, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, warum wir uns über diesen doch selbstverständlichen Ausdruck von Rechtskultur nicht einigen können. Das hat doch überhaupt nichts mit Personen zu tun.
({21})
Es ist doch ein ganz unerträglicher Vorgang. Die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof unterrichtet die Öffentlichkeit grundsätzlich erst nach Zustellung der Anklageschrift, und zwar in schriftlicher Form. Graf Lambsdorff hat nach seiner ErkläBundeskanzler Dr. Kohl
rung erst im Zusammenhang mit der Pressekonferenz erfahren, daß er wegen eines Tatvorwurfs angeklagt werden soll, der im Ermittlungsverfahren nicht gegen ihn erhoben wurde.
({22})
Meine Damen und Herren, ich muß dies sagen: Diese Pressekonferenz reiht sich in die Vielzahl von Merkwürdigkeiten ein, welche bei diesem Verfahren zu beobachten waren.
({23})
Es gab zahlreiche Indiskretionen, die bis zur wörtlichen Veröffentlichung von Ermittlungsakten reichten.
({24})
Öffentliche Verdächtigungen, Vermutungen, Vorverurteilungen haben ein Klima geschaffen - das muß doch jeder erkennen -, das einen fairen Prozeß erschwert.
Der Untersuchungsausschuß des Landtages von Nordrhein-Westfalen - die Kollegen dort haben sich ja bei diesem Sachverhalt einige Mühe gemacht -, der die Indiskretionen aufklären sollte, hat in seinem Abschlußbericht vom 25. Oktober 1983 hierzu ausgeführt - ich zitiere -:
Die Veröffentlichungen stellen aber auch Eingriffe in vertraulich geführte Ermittlungen dar, die möglicherweise den Gang des Verfahrens selbst gefährden können und geeignet sind, Beschuldigte in der Öffentlichkeit bloßzustellen, obwohl bis zum Abschluß des Verfahrens die Vermutung ihrer Schuldlosigkeit für sie spricht.
Herr Kollege Ehmke, etwas anderes habe ich mit anderen Worten nicht gesagt. Wieso ist es dann eine Schelte der Justiz, was hier der Untersuchungsausschuß feststellt?
({25})
Meine Damen und Herren, es ist eine Errungenschaft der rechtsstaatlichen Strafrechtspflege, daß jemand als unschuldig gilt, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.
({26})
- Wissen Sie, Herr Abgeordneter, Ihr Beifall , an dieser Stelle bedeutet für mich das, was ich bei all Ihren Ausführungen bisher erlebt und gedacht habe.
({27})
Dieser Gedanke hat auch Eingang gefunden in
Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in
Art. 14 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der weltweit gilt.
({28})
- Schon allein, daß Sie Mitbürger mit dem Begriff Sorte belegen, zeigt Ihre Denkweise.
({29})
Es wird oft darauf hingewiesen, daß für eine Person, die herausragende öffentliche Verantwortung trägt, besondere Maßstäbe gelten. Dies kann jedoch nicht heißen, daß fundamentale Prinzipien des Rechts beeinträchtigt werden dürfen. Ein Bundesminister hat nicht mehr Rechte als jeder andere Bürger; er hat aber auch nicht weniger Rechte als jeder andere Bürger.
({30})
Diese Prinzipien enthalten nicht nur Regeln des Rechts, sie sind auch Ausdruck unserer Rechtskultur. In alten Demokratien wie in England haben der Schutz von strafgerichtlichen Verfahren und das Gefühl für einen fairen Prozeß stets eine besondere Rolle gespielt. Ich denke, wir sollten daraus lernen.
({31})
Ich verschweige nicht meine Betroffenheit, daß ich als Bundeskanzler einer Presseerklärung entnehmen muß, daß die Staatsanwaltschaft gegen einen Bundesminister schwere Vorwürfe erhebt. Ich habe erwartet, daß mich der zuständige Justizminister über die Absicht der Klageerhebung und ihre wesentlichen Gründe unterrichtet. Ich bin erstaunt, Herr Abgeordneter Dr. Vogel, daß Sie als früherer Bundesjustizminister, in besonderer Weise mit geltendem Recht und Rechtskultur unseres Landes vertraut, ohne daß Sie die Chance hatten, die Anklageschrift zu kennen, bereits öffentlich den Rücktritt verlangt haben.
({32})
Sie haben mit diesem Verhalten den vielen Verdächtigungen eine weitere schwerwiegende Vorverurteilung hinzugefügt.
({33})
Meine Damen und Herren, auf der gleichen Linie liegt auch Ihre Absicht, die Entlassung des Ministers zu verlangen. Ich sage ganz deutlich: Ich habe keinen Grund, an der Integrität des Bundeswirtschaftsministers zu zweifeln.
({34})
Die Erhebung der öffentlichen Klage ist unter den gegebenen Umständen ein schwerwiegender Vorgang. Ich muß jedoch darauf bestehen und fordern, daß sowohl der Bundeswirtschaftsminister als auch ich selbst die Gelegenheit erhalten, an Hand der Anklageschrift das Ergebnis des Ermittlungs3046
verfahrens zu würdigen. Vom Ergebnis dieser Würdigung werden dann selbstverständlich die weiteren Entscheidungen abhängig sein.
({35})
- Herr Kollege Vogel, wenn Sie sich noch einen Funken von Fairneß bewahrt haben: Das ist ein streng rechtsstaatliches Verhalten und nichts anderes.
({36})
Die Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers gibt dem Hohen Haus Gelegenheit, über die Wegstrecke zu diskutieren, die wir seit meiner Wahl zum Kanzler am 1. Oktober 1982 zurückgelegt haben. Ich stelle fest, daß wir das, was wir damals in meiner ersten Regierungserklärung ankündigten, wahrgemacht haben. Wir sind auf diesem Weg weiter gekommen, als wir selber zu hoffen wagten.
({37})
Wir haben das Vertrauen unserer Bündnispartner in die Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wiederhergestellt.
({38})
Wir haben am 22. November mit dieser Grundentscheidung im Blick auf den NATO-Doppelbeschluß eine wichtige Entscheidung, eine Entscheidung von historischer Tragweite getroffen.
({39})
Gleichzeitig haben wir die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn
({40})
und in besonderem Maß das Geflecht der Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands, zur DDR, ausgebaut und verbessert. Das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ist gewachsen. Sie ist der Aufgabe gerecht geworden, die an der Nahtstelle zwischen Ost und West in der Mitte Europas wahrzunehmen ist.
Ich will heute darauf verzichten, zur Außen- und Sicherheitspolitik erneut Stellung zu nehmen. Denn wir haben seit Mai dieses Jahres immerhin in acht großen Debatten Gelegenheit gehabt - auch ich selbst -, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Ich möchte mich aus diesem Grund vor allem den Fragen der Innen-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik zuwenden.
Die Bundesregierung hat, bestätigt durch das Wählervotum am 6. März, den ersten und entscheidenden Schritt einer politischen Wende vollzogen.
Wir haben in schwierigster Lage die Konsolidierung des Staatshaushalts eingeleitet. Erstmals mit dem Haushalt 1984 wird wieder das Gebot des Art. 115 des Grundgesetzes erfüllt werden. Die staatlichen Investitionen werden wieder höher sein als der Betrag der Neuverschuldung.
({41})
Das ist nicht irgendein finanztechnischer Vorgang. Wenn es richtig ist, daß wir die Verfassung und die Gesetze unseres Landes ernst zu nehmen und daß wir als Mitglieder der Bundesregierung - das gilt insonderheit für den Bundesfinanzminister und den Bundeskanzler - unseren Amtseid auch in bezug auf diesen Artikel unserer Verfassung geschworen haben, dann haben wir unser Versprechen eingelöst. Das, Herr Abgeordneter Vogel, ist ein Beweis für Zuverlässigkeit. Das ist auch ein Beweis dafür, daß wir gegebene Versprechen halten.
({42})
Das Regierungsprogramm der Koalition der Mitte hat in diesen wenigen Monaten die Herausforderung angenommen, die sich für die Bundesrepublik Deutschland für die vor uns liegenden Jahre ergibt. Wir wollen unseren Platz als eine der führenden Industrienationen der Welt behaupten. Wir wollen und müssen den Ausgleich zwischen Anspruch und Leistung und zwischen Gegenwart und Zukunft wiederherstellen. Wir wollen und müssen der jungen Generation unseres Landes eine lebenswerte Zukunft sichern.
Nun, meine Damen und Herren, was haben wir übernommen? Ich kann Ihnen nicht ersparen, auch das in Ihre Erinnerung zu rufen.
({43})
In diesen wenigen Monaten wurde vieles bewegt. Aber als wir vor 13 Monaten ins Amt kamen, befand sich das Land in der schwersten Krise seit der Nachkriegszeit.
({44})
- Der Abgrund ist vermieden worden, weil Sie von dieser Bank verschwunden sind. Das ist die Realität in der Bundesrepublik.
({45})
Weite Teile der Wirtschaft waren gelähmt, die Dynamik war zerstört. Wir liefen Gefahr, den Anschluß an die internationale Entwicklung der Märkte und der Technik zu verpassen.
({46})
Unser Bruttosozialprodukt stagnierte seit Jahren. Die Massenarbeitslosigkeit hatte sich strukturell verfestigt. Sie wuchs allein im Jahre 1982 um über 500 000. Die unerträgliche Steuer- und Abgabenlast hatte die Ertragskraft der Unternehmen geschwächt. Ein hohes Zins- und Inflationsniveau verhinderte notwendige Sachinvestitionen. Die Finanzgrundlagen der sozialen Sicherungssysteme waren zerrüttet, ihre Reserven aufgezehrt.
Meine Damen und Herren, ich will es Ihnen wegen der Kürze der Zeit ersparen, zu wiederholen, was mein Amtsvorgänger in seiner mit Recht berühmt gewordenen Rede vor Ihrer Fraktion vor der Sommerpause des vergangenen Jahres Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, daß der Refrain seiner Ausführungen war: „Das ist aber mit euch nicht zu machen." Mit „euch" war die SPD-Fraktion gemeint, die die Hauptverantwortung für die Lage, die wir vorgefunden haben, zu übernehmen hat.
({47})
Der Staat war drauf und dran, handlungsunfähig zu werden. Und Sie fahren doch fort, Sie haben doch nichts dazugelernt. Sie haben 13 Jahre lang Ansprüche geweckt, Leistungen versprochen, die aus den Erträgen unserer Arbeit nicht zu finanzieren waren, und heute haben wir wiederum das gleiche gehört.
({48})
Das, was wirklich Erblast war, gefährlichste Erblast, kann man am besten mit dem Begriff des Zukunftspessimismus, ja, sogar der Zukunftsangst bezeichnen. Daß weite Teile der jungen Generation zutiefst verunsichert sind, geht doch auf diese Politik zurück, indem Sie den Jungen versprochen haben, was Sie niemals halten konnten.
({49})
In den letzten Wochen haben Sie einmal mehr deutlich gemacht, wohin die Reise mit Ihnen gegangen wäre. Nationalistische und neutralistische Strömungen, ein dumpfer Antiamerikanismus und die sich in der SPD entwickelnde Kritik am NATODoppelbeschluß hatten doch Zweifel überall in der Welt an unserer Bündnistreue und an unserer Bündnisfähigkeit geweckt.
Meine Damen und Herren, es war fünf Minuten vor zwölf, als die Koalition der Mitte vor 13 Monaten die Verantwortung übernahm. Es ging darum, die rasante Talfahrt des Landes aufzuhalten und in den entscheidenden Feldern der Außen-, der Innen-, der Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch Stabilität und politische Vernunft wieder Vertrauen und Zukunftsperspektive zurückzugewinnen.
({50})
- Ich würde als Sozialdemokrat in dieser Debatte das Wort Arbeitslosigkeit wirklich nicht in den Mund nehmen. Denn was haben Sie denn getan in den letzten 13 Jahren in der Strukturpolitik,
({51})
in Bremen,
({52})
in Dortmund und anderswo? Was haben Sie denn getan in Bonn und in diesen Ländern?
({53})
Herr Bundeskanzler, ich muß Sie einen Moment unterbrechen.
Herr Abgeordneter Weisskirchen, ich muß den Zuruf, den Sie eben gemacht haben, „Schwätzer", rügen.
Unser Ziel war und ist, Vertrauen und Zukunftsperspektive zurückzugewinnen. Dieser Aufgabenstellung entsprachen drei politische Neuorientierungspunkte: Erstens. Die Sanierung der Staatsfinanzen mußte eingeleitet werden. Zweitens. Die Wirtschaft mußte wieder belebt werden. Drittens. Die Staatstätigkeit mußte auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden.
Meine Damen und Herren, mir war immer klar - ich habe das auch zu jeder Zeit offen gesagt -, daß dies alles nicht kurzfristig möglich sein würde. Die Bundesregierung hat mit dem Haushalt 1983 sowie dem dazugehörigen Dringlichkeitsprogramm dieser kritischen Lage Rechnung getragen. Dieses Programm enthält umfangreiche Einsparungen, die mehr als 30 Millionen Bürger in unserem Land ganz unmittelbar betroffen haben. Ich habe viel Verständnis dafür, daß viele sich durch diese Opfer auch ganz unmittelbar betroffen fühlen. Ich muß aber allen im Lande sagen und zurufen: Diese Opfer sind notwendig, um Zukunft zu gewinnen, um einen neuen Start möglich zu machen.
({0})
Es gab gleichzeitig neue Anstöße für Investitionen und Innovationen in den Unternehmungen. Wir haben diesen schwierigen Weg beschritten - vor einer Bundestagswahl.
Meine Damen und Herren, zum Bericht über dieses Jahr gehört der 6. März, den Sie bei Ihren Äußerungen j a tunlichst verschweigen.
({1})
Zum Bericht gehört, daß Sie bezweifelt haben, daß wir die Bundestagswahl überhaupt herbeiführen. Ich sehe hier noch den Kollegen Brandt von der „Bringschuld des Helmut Kohl" reden. Ich habe mein Wort nicht gebrochen,
({2}) ich habe es gehalten! Wir haben gewählt!
({3})
Wir haben vor der Wahl unseren Bürgern gesagt, daß das ein schwieriger, ein steiniger Weg ist, daß Opfer gebracht werden müssen. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Vogel, nach Führungskraft und nach geistig-moralischer Herausforderung fragen, wenn Sie fragen, was junge Leute von Politik halten, so antworte ich: Sie halten am meisten von jenen Poli3048
tikern, die ihnen die Wahrheit sagen, auch wenn es eine bittere Wahrheit ist.
({4})
Das wichtigste Ergebnis unserer Politik war und ist, daß das staatliche Handeln wieder glaubwürdig wurde,
({5})
- ich komme noch auf diese Frage, und Sie werden viel Freude daran haben -, daß es wieder verläßlich ist.
Der Sachverständigenrat, den einer der Herren Vorredner eben in einer absolut unqualifizierten Weise herabgesetzt hat - ({6})
- Meine Damen und Herren, der Hauptberater des Herrn Abgeordneten Vogel sitzt doch darin! Jetzt werden Sie doch wenigstens diesem Herrn noch die Ehre belassen. Wo sind wir denn hingekommen!
({7})
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat die Lage nach einem Jahr der Tätigkeit meiner Regierung so beschrieben - ich zitiere -:
Die Konstitution der Volkswirtschaft ist besser geworden. Die wirtschaftliche Lage hat sich merklich gebessert.
Meine Damen und Herren, ich habe j a lange genug auf dem Platz des Oppositionsführers gesessen. Was für ein Beifallsgeschrei hätten Sie durch diesen Saal erschallen lassen, wenn Ihnen vor zwei Jahren ein solcher Bericht vorgelegt worden wäre!
({8})
Aus Ihrem betroffenen Schweigen ersehe ich, daß die Sachverständigen recht haben. Meine Damen und Herren, Sie leben doch draußen in den Wahlkreisen mitten im Land,
({9})
und Sie wissen doch, daß die Schauergeschichten, die hier vorgetragen werden, mit der Wirklichkeit der Bundesrepublik überhaupt nichts zu tun haben.
({10})
Was heißt das, was ich gerade zitiert habe, konkret?
({11})
Das Bruttosozialprodukt wird nach langer Stagnation, ja sogar nach einem Rückgang, erstmals in diesem Jahr wieder real um 1 % zunehmen. Der Preisanstieg hat sich innerhalb eines Jahres halbiert; er betrug zuletzt 2,6 %. Gerade diese Verbesserung hat die Lohnsteigerungen dieses Jahres real höher ausfallen lassen als erwartet.
({12})
Diese Halbierung der Preissteigerungsrate ergibt eine Stärkung der realen Massenkaufkraft von rund 20 Milliarden DM. Ich erinnere an die Diskussion im Frühjahr über Ihre Programme, die Sie vorgelegt hatten, um Massenkaufkraft herbeizuführen. Dies war ein praktisches Programm im Sinne Sozialer Marktwirtschaft!
({13})
Damit ist ein erheblicher Teil der durch die Haushaltsbegleitgesetze für 1983 und 1984 vorgesehenen Einsparungen und Belastungen auch im privaten Haushalt wieder ausgeglichen - nicht alles; es bleiben Opfer.
Deutlich verbessert hat sich auch die Ertragssituation der Unternehmen. Dies hat zu einem spürbaren Anstieg der Unternehmensinvestitionen beigetragen. Auch bei Insolvenzen ist eine günstigere Entwicklung unübersehbar.
({14})
- Nein, Verehrter, ich habe mich nie als Weltökonom bezeichnet, aber ich muß die Trümmer beseitigen, die andere Ökonomen hinterlassen haben!
({15})
Meine Damen und Herren von der SPD, ich bin stolz darauf, daß wir nach 13 Monaten bei allen Schwierigkeiten eine solche Bilanz vorlegen können.
({16})
Diese insgesamt günstige Entwicklung hat auch auf dem Arbeitsmarkt Spuren hinterlassen. Wenn man jahreszeitliche Einflüsse unberücksichtigt läßt, so ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Spätsommer 1983 erstmals seit dreieinhalb Jahren zum Stillstand gekommen. Im Oktober und November war sie sogar rückläufig.
Damit es ganz klar ist: ich stimme völlig dem Kollegen Hoppe in dem zu, was er soeben gesagt hat. Dies ist überhaupt kein Grund zum Jubeln oder zu Fanfarenschall. Wir sind auf diesem Wege noch lange nicht dort, wohin wir gehen müssen. Das, was regional und strukturell an Arbeitslosigkeit gewachsen ist, ist ja nicht in einem Jahr gewachsen; es ist die Entwicklung von vielen Jahren, auch des Versagens in vielen Jahren. Was in Jahren gewachsen ist, braucht auch Zeit, bis es wieder reduziert werden kann. Aber wir sehen wenigstens ein Wegstück vor uns, wo wir sagen können, wir befinden uns auf einem guten Weg. Das, Herr Kollege Hoppe, kann man natürlich in dieser Debatte sagen.
Wir können also eindeutig feststellen, daß die wirtschaftliche Talfahrt gestoppt wurde, und dies nach wenigen Monaten. Was sind schon 13 Monate, wenn Sie noch die Monate abziehen bis zur Bundestagswahl am 6. März! Die Doppelstrategie von Haushaltskonsolidierung und Wiederbelebung der Wirtschaft hat zu dem erhofften konjunkturellen Umschwung geführt. Diese günstige Ausgangslage bietet zugleich eine Grundlage für die Entwicklung des nächsten Jahres und, wie wir hoffen, auch der darauf folgenden Zeit.
Wir gehen für 1984 ebenso wie die Deutsche Bundesbank - und ich hoffe, Sie werden wenigstens deren Sachverstand nicht bezweifeln - von einem realen Wirtschaftswachstum von 2 1/2 % aus. Der Sachverständigenrat hält sogar bis zu 3 % für wahrscheinlich. Bei den Preisen haben wir guten Grund, anzunehmen, daß sich die günstige Entwicklung der letzten Monate fortsetzt. Auf dem Arbeitsmarkt werden erstmals wieder mehr Arbeitnehmer eingestellt als entlassen. Für das Jahresende 1984 sehen die Sachverständigen die Zahl der Arbeitslosen erkennbar unter ihrem Vorjahresstand.
Das ist, wenn ich es recht erkennen kann, wirklich ein Schritt nach vorne. Diese Zeichen sind ermutigend, mehr noch:
({17})
Sie zeigen uns, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Wir können feststellen, daß die Ziele Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht erreicht sind. Meine Damen und Herren, was hätten Sie und die großen Ökonomen in der Regierung vor meiner Amtszeit angesichts einer solchen Feststellung hier alles zitiert!
({18})
Genauso klar sehen wir aber auch, daß das Wirtschaftswachstum - und wir sind da ganz bescheiden in unserer Analyse - noch weiter an Schwungkraft und Dynamik gewinnen muß. Der Abbau der Arbeitslosigkeit bleibt Aufgabe Nummer eins. Für diese Hauptaufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik gibt es - und das sage ich mit aller Nüchternheit - keine schnellwirkenden Patentlösungen. Allerdings, meine Damen und Herrn, gilt auch dies: wenn wir entschlossen sind, dieses Ziel tatsächlich an die erste Stelle zu setzen und alles andere hintanzustellen, dann haben wir, dessen bin ich sicher, eine reelle Chance. Dabei muß jeder seinen Beitrag leisten, nicht nur verbal, sondern mit verantwortlichem Handeln.
Dreh- und Angelpunkt einer solchen offensiven Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind die Investitionen. Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es, alle notwendigen Voraussetzungen für mehr Investitionen, Innovation und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist doch das eigentliche Ziel einer Sozialen Marktwirtschaft für die 80er Jahre. Sie muß darauf abzielen, die verlorengegangene Einsicht in den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft, Arbeitsmarkt, sozialer Sicherung und Staatsfinanzen wieder zu erneuern. Meine Damen und Herren, auch auf die Gefahr hin, daß Sie das wieder als sehr einfach charakterisieren, wir müssen uns daran halten: Wir können nicht mehr konsumieren und verteilen, als wir vorher erarbeitet haben.
({19})
Es ist wichtig, daß sich Arbeit und Leistung lohnen, daß private Initiative in unserer Gesellschaft Ansehen und Geltung zurückgewinnt. Diese Politik hat eine ganz konkrete Ausformung in dem Entwurf des Bundeshaushalts 1984 und der dazu gehörenden mittelfristigen Finanzplanung bis 1987 erhalten. Dieses Zahlenwerk, meine Damen und Herren, spiegelt wider, was ich Notwendigkeiten der Sozialen Marktwirtschaft für die 80er Jahre nenne. Ich nenne jetzt vier grundsätzliche Leitlinien:
Erstens. Der Staat muß die verlorengegangene finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.
Zweitens. Sozialleistungen müssen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen. - Auch das ist beinahe wörtlich ein Zitat aus der vorhin erwähnten Rede des Kollegen Schmidt vor Ihrer Fraktion. - Staatliche Zuwendungen müssen den wirklich Betroffenen zugute kommen.
Drittens. Für die Wirtschaft müssen verläßliche und dauerhafte Rahmenbedingungen gelten.
Viertens. Der notwendige Strukturwandel, die Dynamik unserer Wirtschaft, ohne die der Abbau der Arbeitslosigkeit auf Dauer unmöglich ist, muß angeregt und gefördert werden. Unsere Beschlüsse orientieren sich an diesen Leitlinien.
Die Bundesregierung hat für jedermann deutlich gemacht, daß sie den Kurs der Konsolidierung der Staatsfinanzen konsequent fortsetzen wird. Der Sachverständigenrat, meine Damen und Herren, hat uns gerade bescheinigt, daß dieser Kurs nicht nur haushalts- und finanzpolitisch richtig war, sondern daß er auch ökonomisch und gesamtwirtschaftlich positive Konsequenzen gehabt hat. Das, was angesichts leerer Kassen an staatlicher Nachfrage zurückgenommen werden mußte, ist bei den Bürgern, auch bei den Unternehmungen, durch Vertrauenszuwachs und entsprechendes Ausgabenverhalten mehr als ausgeglichen worden.
Per Saldo ist also festzustellen: Die Konsolidierungspolitik der Bundesregierung hat entscheidende positive Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes gegeben; an dieser Politik werden wir festhalten.
({20})
Bis 1987 wollen wir das Haushaltsdefizit schrittweise auf 23 Milliarden DM senken. Das wird den Kapitalmarkt weiter entlasten und eine Chance für Zinssenkungen bringen.
Wir werden an der Gesundung der Staatsfinanzen - allen Unkenrufen zum Trotz - zäh festhalten. Hier, Herr Kollege Hoppe, möchte ich gerade allen Kollegen der Regierungsfraktionen für dieses zähe Festhalten danken. Das ist für uns - das möchte ich hier noch einmal besonders hervorheben - kein Selbstzweck. Der Gedanke der Sozialen Marktwirtschaft besagt ja, daß eben nicht alles sich selbst überlassen wird, sondern daß staatliche Hilfen durchaus möglich und notwendig sein können, etwa für Unternehmungen in den vom Strukturwandel besonders betroffenen Krisenbranchen. Meine Damen und Herren, ich höre da zwar viele Reden über den Abbau von Subventionen in diesem Bereich, aber wenn ich das Schicksal des ARBEDSaarstahl-Arbeiters vor mir sehe, dann stehe ich eben vor Entscheidungen sehr eigener Art. Und bei solchen Entscheidungen bin ich immer dafür, die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft im Auge zu haben, aber ich muß gleichzeitig erkennen, in3050
wieweit bei der dortigen Struktur die Chance eines Auswegs für die Betroffenen gegeben ist und was wir an Übergangslösungen tun müssen.
Um dies leisten zu können, muß der finanzielle Handlungsspielraum wiederhergestellt werden. Dies, meine Damen und Herren, hat die große Mehrheit unserer Mitbürger im Lande durchaus verstanden. Das neue Vertrauen in staatliches Handeln wollen wir rechtfertigen und weiter festigen. Vertrauen ist der wichtigste Baustein für die wirtschaftliche Zukunft.
Das heißt, wenn ich auf das Gebiet der Sozialpolitik übergehe: Sozialleistungen müssen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen; staatliche Zuwendungen müssen den wirklich Betroffenen zugute kommen. Das ist unser Verständnis von Subsidiarität, Herr Abgeordneter Vogel.
({21})
Im Mittelpunkt steht die Sicherung der sozialen Sicherheit. Ich kenne niemanden, der hier die Notwendigkeit von Einsparungen ernsthaft bezweifeln würde. Die Finanzgrundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme waren zerrüttet. Wir haben weit über unsere Verhältnisse gelebt. - Ich habe, wie Sie feststellen, gesagt: wir. Denn viele Beschlüsse des Hohen Hauses waren ja einstimmig. Ich bin der letzte, der hier ganz pauschal Urteile abgibt. Ich habe gesagt: wir. - Entsprechend umfangreich waren die Korrekturen, die im Zusammenhang mit dem Haushalt 1983 sozusagen fünf Minuten vor zwölf vorgenommen werden mußten, aber die Konsolidierungserfolge sind hier unübersehbar.
Das, was jetzt, meine Damen und Herren, vor uns liegt, ist insbesondere die umfassende Strukturreform der Rentenversicherung. Sie ist - ob uns das paßt oder nicht - auf Grund der demographischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, der Bevölkerungsentwicklung, unumgänglich.
Ich wiederhole das, was Norbert Blüm in der Debatte und ich in der Regierungserklärung gesagt haben: Wir wollen uns um eine einvernehmliche Lösung bemühen. Ich denke, wir haben genug Felder in der deutschen Politik, in denen wir uns streitig auseinandersetzen können. Ich würde es für ein Glück für das Land und die betroffenen älteren Mitbürger halten, wenn es uns möglich wäre, hier zu einem Stück Gemeinsamkeit zu kommen.
({22})
Sie erlauben mir auch ein kurzes Wort zum Thema Familienpolitik. Es ist unsere erklärte Absicht, Familien mit Kindern steuerlich stärker zu entlasten. Das bedeutet, daß diejenigen, die für Unterhalt und Ausbildung von Kindern zu sorgen haben, deutlich weniger Steuern als kinderlose Bezieher gleich hoher Einkommen zu zahlen haben. Dies muß auch für die Alleinerziehenden gelten. Die Bundesregierung wird hierzu im Frühjahr 1984 im Zusammenhang mit der Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs konkrete Vorschläge machen.
Wir haben das angekündigt, und der Zeitpunkt ist jetzt gekommen.
({23})
- Es hat überhaupt niemand etwas anderes gesagt. Lesen Sie nach, was ich dazu gesagt habe, was Stoltenberg und andere dazu gesagt haben, und lesen Sie vor allem, wie wir es formuliert haben! Wir haben die Probleme nie verheimlicht. Ich halte dies für ein dringendes Gebot der Solidarität mit den Familien mit Kindern, die seit Jahren immer weiter ins soziale Abseits gedrängt worden waren. Bereits jetzt besteht Klarheit über die Zahlung des Mutterschaftsurlaubsgeldes an alle Mütter ab 1987.
Meine Damen und Herren, wir haben auch noch Probleme, die wir strittig miteinander diskutieren, etwa die Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung und die damit verbundenen finanziellen Probleme.
Herr Kollege Vogel, auch dazu ein offenes Wort: Es ist doch die natürlichste Sache von der Welt, daß eine Regierungskoalition, eine Regierung, die dieses Erbe von Ihnen mit all den Problemen übernommen hat, nicht im ersten Jahr in allen Punkten bis auf den Tag des Kalenders vorhersagen und angeben kann, wann was geschehen wird. Was ich tun kann, habe ich in der Regierungserklärung gesagt. Es ist eine Leitlinie, an der entlang wir uns entwickeln werden. Ich bin stolz darauf, daß das, was jetzt möglich war, in 12, in 13 Monaten getan wurde.
({24})
Die Wirtschaft muß verläßliche und dauerhafte Rahmenbedingungen kennen. Wichtiges Ziel ist und bleibt die Förderung neuer Investitionen. Wir werden die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen können, wenn wir nicht zu einer Existenzneugründungswelle in der Bundesrepublik Deutschland kommen.
({25})
Erfreulicherweise bestätigen die Daten für das dritte Quartal dieses Jahres, daß bei den Investoren eine deutliche Belebung festzustellen ist - leider nicht in allen Branchen; das muß ich hinzufügen. Die maschinelle Ausstattung in den deutschen Industriebetrieben ist heute im Durchschnitt acht Jahre alt. Ein Drittel der Anlagen, auch in wichtigen Zukunftsbereichen, ist älter als zehn Jahre. Auch unter diesem wichtigen Gesichtspunkt der Konkurrenzfähigkeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten besteht dringender Bedarf für mehr Investitionen.
Meine Damen und Herren, wichtigste staatliche Rahmenbedingung ist zweifelsohne die Steuerpolitik. Wir haben deutliche Akzente gesetzt. Ich erinnere an die, Entlastung bei der Gewerbesteuer,
({26})
an die befristete Rücklage bei der Übernahme existenzbedrohter Betriebe. Wir setzten diesen Kurs fort mit der Verringerung der betrieblichen Vermögensbesteuerung und den Sonderabschreibungen für kleine und mittlere Unternehmen.
Von zentraler Bedeutung ist der nächste Schritt,
der eingehend diskutiert werden muß, wobei man sich auch über die zeitliche Machbarkeit und über das zu besprechen haben wird, was bei einer soliden Politik von der Kasse her möglich ist, Herr Kollege Hoppe: Das ist die Korrektur des Lohn- und Einkommensteuertarifs. Wir werden in den nächsten Monaten darüber unter uns und mit der deutschen Öffentlichkeit, vor allem mit der Fachöffentlichkeit, diskutieren. Das scheint mit der richtige Weg zu sein; das ist keine Geheimwissenschaft. Für dieses Vorhaben ist es nur gut, wenn sich möglichst viele mit ihrem verantwortlichen Sachverstand aufrichtig, fair und redlich gegenüber den Tatsachen an dieser Diskussion beteiligen.
({27})
Es ist doch auch ein ganz natürlicher Vorgang, daß bei einer so zentralen Frage, bei der es an den Geldbeutel von Millionen mit all den Wirkungen geht, ganz unterschiedliche Meinungen ausgedrückt werden. Herr Abgeordneter Vogel, ich finde eigentlich, es ist eigenartig, wenn Sie dann immer dieses Papier gegen jenes Papier zitieren. Das sind alles Arbeitspapiere, Arbeitsgrundlage. Können Sie mir einmal klarmachen, wie Sie in einer modernen Partei, die an die 50 % der Wähler vertritt und - CDU und CSU zusammengerechnet - über 1 Million Mitglieder hat, eine Diskussion führen wollen, wenn Sie nicht bestimmte Gedanken zu Papier bringen und streitig miteinander diskutieren?
({28})
- Was ich Ihnen vorhin vorgehalten habe, ist doch nicht Ihre Diskussion, sondern ich habe Ihnen Ihren Opportunismus vorgehalten. Das ist doch etwas ganz anderes.
({29})
Es ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob Sie im Frühjahr sagen, Sie seien für den NATO-Doppelbeschluß, und dann sechs Monate danach nur noch 3 % der Delegierten Ihres Parteitages für diesen Beschluß stimmen. Das ist Opportunismus und keine streitige Diskussion.
({30})
Bei diesen Steuerreformüberlegungen muß die Leistungsbezogenheit ein stärkeres Gewicht erhalten. Wir werden das bei unseren Vorschlägen berücksichtigen. Ich denke, daß Gerhard Stoltenberg in seinem Debattenbeitrag am morgigen Tag auf dieses Thema noch weiter eingehen wird.
Wichtig sind auch der Abbau von Investitionshindernissen und die Beschränkung der Tätigkeit des Staates auf seine eigentlichen Aufgaben. Wir sind glücklicherweise in der Lage, in den nächsten Wochen die ersten Berichte zu dem Thema Entbürokratisierung vorzulegen. Das Bundeskabinett wird in Kürze die ersten Vorschläge auf dem Gebiet des Baurechts beraten. Darüber hinaus werden Vereinfachungen auf dem Gebiet des Gewerberechts und des Ausbildungsrechts geprüft.
Es ist schon eine eigenartige Sache - lassen Sie mich auch das sagen -, daß Sie den Kollegen Blüm angreifen, weil er etwa im Blick auf bestimmte Ausbildungsregelungen im Bäckergewerbe jetzt die Arbeitszeiten geändert hat. Es ist schon ein hohes Maß an Weltfernheit - man könnte es noch härter ausdrücken -, wenn Sie gleichzeitig verlagen, daß die Regierung das Menschenmögliche tut, um sicherzustellen, daß möglichst viele Lehrlinge eingestellt werden können, aber dann den Bäckerlehrling durch eine Arbeitszeitordnung, die einfach unsinnig ist, daran hindern wollen, das Bäckergewerbe, das Backen von Brötchen zur notwendigen Zeit zu erlernen.
({31})
Wenn dann in diesem Zusammenhang von „Kinderarbeit" gesprochen wird - vorhin ist dieser Zwischenruf aus Ihren Reihen gekommen -, dann kann ich darüber wahrlich nur den Kopf schütteln. Jungen Leuten dient eine solche Polemik überhaupt nicht.
({32})
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Stärkung der Unternehmenssubstanz. Dabei muß es uns um bessere Ausstattung der Betriebe mit Eigenkapital gehen. Unsere Initiative zur Vermögensbildung ist ein wichtiger Beitrag dazu. Herr Abgeordneter Vogel, auch das haben Sie ja einmal angekündigt, aber Sie haben in Sachen Vermögensbildung nichts gemacht. Wir haben in diesen 13 Monaten die notwendigen Schritte eingeleitet.
({33})
- Da haben Sie recht. Wenn Sie das Stichwort Bildungspolitik in die Debatte bringen, kann ich Ihnen nur zustimmen.
({34})
Darüber hinaus muß das Angebot von sogenanntem Risikokapital verbessert werden. Mehr denn je brauchen wir heute Unternehmen und Unternehmer - das gilt vor allem für die mittelständischen Gruppen unseres Landes -, die Innovationen wagen, die auch unter Risiko versuchen, etwas Neues in Gang zu bringen.
({35})
In diesem Zusammenhang sehe ich die verbesserten Hilfen für die Existenzgründung neuer Unternehmen. Ich halte es für eine der wichtigsten - vielleicht sogar für die wichtigste - Aufgaben der Wirtschaftspolitik in diesem Jahrzehnt, eine neue Welle von Existenzgründungen auszulösen. Wir werden mit den Struktur- und Absatzproblemen unserer Krisenbranchen - zumal an jenen Plätzen, an denen sich regionale und strukturelle Probleme bündeln - nicht fertig werden, wenn wir denen, die dort von ihrem Arbeitsplatz freigesetzt werden, nicht die Chance des Unterkommens in neuen Betrieben öffnen. Das ist wirklich die einzige Möglichkeit für einen Abbau von Arbeitslosigkeit.
({36})
3052 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 7. Dezember 1983
Das gelingt nur, wenn es der deutschen Wirtschaft - wenn ich „Wirtschaft" sage, dann meine ich Unternehmer, Betriebsräte, die Mitarbeiter in den Betrieben; alle zusammen - möglich ist, auf den Wachstumsmärkten der technologischen Entwicklung noch stärker Fuß zu fassen.
In den schwierigen 70er Jahren - die Zahlen sind für uns deprimierend - ist es der Wirtschaft der USA gelungen, annähernd 20 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, während die Zahl der Arbeitsplätze bei uns in den letzten 12 Jahren stagniert hat. Selbst wenn Sie die Bevölkerungszahl dazu in Relation setzen, sehen Sie, wie deprimierend diese Entwicklung für uns ist. Was in den USA und in Japan möglich ist, das muß doch auch in der Bundesrepublik Deutschland an Unternehmensgeist, Initiative und Risikobereitschaft wiederbelebt werden können. Ich sehe hier positive Entwicklungen, denn wir haben eine wachsende Bereitschaft zur Selbständigkeit.
Zur Unternehmenssubstanz gehört auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit. In keinem anderen vergleichbar großen Industrieland hängen so-viele Arbeitsplätze davon ab, ob die Produkte draußen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sind oder nicht. Während es bei uns jeder dritte Arbeitsplatz ist, ist es in Japan nur jeder fünfte und in den USA nur jeder zehnte Arbeitsplatz.
Meine Damen und Herren, unter diesem Gesichtspunkt - ich will auf dieses Thema wegen der Kürze der Zeit nicht weiter eingehen - betrachten Sie bitte einmal die Diskussion um Arbeitszeitverkürzungen und sagen Sie hier von diesem Pult aus, wie sich das rechnet und wie Sie es bezahlen wollen: Lebensarbeitszeitverkürzung sowie Wochenarbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Wer dies will, muß doch zugeben, daß dies nicht realisierbar ist und eine Katastrophe in der gegenwärtigen Entwicklung unserer Volkswirtschaft wäre.
({37})
Wir haben, um die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft auf den Weltmärkten zu stärken, Konsequenzen gezogen: Sonderabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, Sonderprogramme für Mikroelektronik und Fertigungstechnik, um nur ganz wenige Bereiche anzusprechen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, das ist nur der eine Teil des Unternehmens.
Wenn wir nicht gleichzeitig das Klima in unserem Land gegenüber Technik und Innovation verändern, werden alle staatlichen Hilfen letztlich nicht greifen.
({38})
Wenn wir es nicht schaffen, diese neuen Technologien offensiv statt defensiv zu betrachten, dann nützt keine Hilfe etwas.
({39})
Es muß wieder selbstverständlich sein - bei aller Kritik an der technischen Entwicklung -, daß auch in unseren Schulen moderne Techniken und Technologien nicht pauschal verteufelt werden, daß junge Leute früh mit einem sicheren Umgang mit neuen Techniken vertraut gemacht werden.
({40})
Das ist auch eine absolut berechtigte Frage an Nutzen und Effektivität unserer Universitäten. Ich riskiere es, dies hier so offen auszusprechen. Die effiziente Kombination von Hochschulen und Unternehmensforschung und ihre Umsetzung in neue Produkte ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Innovation in den 80er Jahren. Aus den kritischen Jahren der Universitätsdiskussion haben wir einen erheblichen Nachholbedarf.
Ich hatte gestern abend gemeinsam mit dem Kollegen Genscher am Rande unseres Gesprächs mit dem amerikanischen Außenminister George Shultz Gelegenheit, mit ihm über ein Projekt zu sprechen, das er in einem anderen Zusammenhang früher sehr gefördert hat, nämlich über die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Universitäten in Silicon Valley. Wir können hier von anderen lernen, und wir sollten bereit sein, das jetzt zu tun, wenn wir ernsthaft die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen.
({41})
Meine Damen und Herren, zu den ökonomischen Faktoren gehört auch ein vernünftiges Verhältnis zu den Notwendigkeiten des Umweltschutzes. Ich bin überzeugt, daß man beide Themen - Ökonomie und Ökologie - nicht isoliert sehen kann, schon gar nicht in einem Gegensatz zwischen Umweltschutz und Wirtschaft. Wichtig ist - auch das hat etwas mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun -, daß jedes Unternehmen frühzeitig weiß, mit welchen Regelungen und Auflagen es mittel- und langfristig zu rechnen hat, damit ihm Zeit gegeben ist, sich auf solche Entwicklungen einzustellen. An dieser Berechenbarkeit hat es ja, wie jeder weiß, bisher gefehlt.
Meine Damen und Herren, wir haben in wenigen Monaten auf den Weg gebracht, wovon man vorher jahrelang nur geredet hatte. Die stärkere Begrenzung der Schwefelabgabe aus Kraftwerken sowie die Schadstoffbegrenzung bei Autos durch die Einführung bleifreien Benzins sind hier zu nennen. Das sind doch wichtige Maßnahmen. Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, dies alles sei noch viel zu wenig - einer der Redner hat das jetzt eben wieder ausgeführt -, und gleichzeitig den sofortigen Abbau der Arbeitslosigkeit verlangen, dann sagen Sie unseren Mitbürgern doch bitte, wie Sie das machen wollen. Es ist doch eine unredliche Diskussion, nach beiden Seiten hin den Leuten das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen.
Uns geht es um einen vernünftigen Ausgleich von Ökonomie und Ökologie. Es gibt wohl keinen hier in diesem Hause, der über das dramatische Waldsterben in der Bundesrepublik nicht beunruhigt ist.
({42})
- Wir haben das Notwendige, was jetzt zu tun ist,
getan. Es kann doch aber keine Politik des Entweder-Oder, sondern nur eine Politik des Sowohl-Als-
) Auch geben. Sie können doch nicht in dem einen Fall Verordnungen verlangen, auf Grund deren der Kohlebergbau total heruntergefahren wird, und gleichzeitig verlangen, daß das Schicksal des Bergarbeiters gesichert sein muß. Das wäre eine unredliche Politik.
({43})
Wir werden auf diesem Weg voranschreiten, und zwar erfolgreich wie bisher. Wir werden aber noch mehr tun müssen. Das kostet wiederum Opfer. Wir können dies auch nicht allein tun. Es hat keinen Sinn, zu glauben, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre ökologischen Probleme wie das Waldsterben ohne das Mittun unserer Nachbarn lösen kann. Ich habe aus diesem Grunde unsere Nachbarn zu einer internationalen Konferenz zum Thema „Umweltschutz" im Sommer nach München eingeladen. Hauptthema soll das Waldsterben sein. Ich finde, es ist hocherfreulich, daß es mitten in einer sehr hart geführten Diskussion um Raketen und Waffen möglich ist - das ist auch eine Aussage, die optimistisch stimmen darf -, daß sich die Länder des Ostens und des Westens in Europa an dieser Konferenz beteiligen wollen. Natürlich ist auch hier noch ein Lernprozeß notwendig. Ich habe in meinen Gesprächen in Europa feststellen können, daß sich die Bereitschaft, etwas gegen das Waldsterben zu tun, sofort einstellt, wenn man im eigenen Lande mit dem Problem zu tun hat. Ich will jetzt kein Land nennen. Noch vor einigen Monaten sagte mir aber ein Regierungschef, das Waldsterben sei für ihn kein Problem. Für ihn war es jetzt in Athen aber sozusagen über Nacht zu einem sehr großen Problem geworden, weil er von jener sehr schlimmen Entwicklung in seinem Lande nun auch ganz unmittelbar betroffen ist.
Um all dies auf den Weg zu bringen, brauchen wir die Mitwirkung unserer Bürger. Wir brauchen vor allem die Mitwirkung der jungen Generation. Nun stehen wir vor dem großen Problem, die zwei geburtenstarken Jahrgänge, die 1984 und 1985 aus der Schule herauskommen und ins Berufs- und Ausbildungsleben eintreten, unterzubringen. Das wirft große Schwierigkeiten auf. Wir können diese aber meistern, wenn wir sie gemeinsam in Angriff nehmen und zusammenarbeiten: alle in der Wirtschaft im weitesten Sinne des Wortes, ob es nun Gewerkschaften, Betriebsräte, Unternehmensführungen, Einzelhändler, Handwerker oder Vertreter der freien Berufe sind.
Ich habe all denen zu danken, die in diesem Jahr geholfen haben.
({44})
Über 700 000 junge Leute - Alfred Dregger hat es mit Recht gesagt: es ist die höchste Zahl in der Geschichte der Bundesrepublik - haben in diesem Jahr die Chance zur beruflichen Vollausbildung eröffnet bekommen. Wir können das nur dankbar vermerken. All jene, die hier an diesem Pult in den letzten Monaten ihre Aufgabe darin sahen, diesen Versuch herunterzuziehen, ihn madig zu machen,
müßten jetzt eigentlich beschämt zur Seite treten, beschämt angesichts jener, die geholfen haben.
({45})
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir, die Bundesregierung, sind angetreten, um die längste und schwierigste Rezession der Nachkriegszeit zu beenden, die Talfahrt zu stoppen und eine neue Grundlage für Wirtschaftswachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit zu legen. Nach einem Jahr können wir feststellen: Die Abwärtsentwicklung ist beendet, es beginnt sich eine Chance für das Eindämmen der Arbeitslosigkeit zu eröffnen, und das Wirtschaftswachstum ist wieder in Gang gekommen. Viele im Lande, nicht nur in der Wirtschaft, blicken wieder mit mehr Optimismus in die Zukunft. Vor uns liegt nun die zweite, keineswegs weniger schwierige Etappe: der Übergang unserer Wirtschaft in ein stetiges Wachstum, die Überwindung der Strukturprobleme und der schrittweise Abbau der Arbeitslosigkeit.
Ich habe dargelegt - und dies entspricht meiner Überzeugung -, daß dies nur mit der Idee der Sozialen Marktwirtschaft, angepaßt an die Verhältnisse der 80er Jahre, erreicht werden kann. Ich verspreche auch an diesem Tag und in dieser Stunde keine neuen Wohltaten. Die habe ich in diesem Amt nie versprochen. Aber ich sehe die reelle Chance, daß wir gemeinsam unser gestecktes Ziel erreichen werden. Und ich darf Sie bitten, auf diesem schwierigen Weg gemeinsam mit uns zu gehen.
Meine Bitte erweitere ich um einen Dank an meine Kollegen und Freunde in den Fraktionen der Koalition, der FDP, der CSU und der CDU, die diesen schwierigen Weg, der für manchen angesichts konkreter Wahlkreisinteressen eine Zumutung bedeutete, mitgetragen haben. Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, weil dies Regierungsfähigkeit und Verantwortungsbewußtsein gleichermaßen zeigt. Und ich danke den vielen Mitbürgern, die bei aller Kritik, die wir draußen im Lande verständlicherweise erfahren, diesen Weg mitgegangen sind und ihn mitgetragen haben.
Das, was wir versprechen, ist: In dieser Weise, unter diesen Überlegungen und mit diesen Prinzipien werden wir auch in Zukunft unsere Pflicht tun.
({46})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an Herrn Dr. Vogel, weitergebe, muß ich auf einen Vorgang während der Debatte zurückkommen. Herr Dr. Ehmke ({0}), Sie haben bei einem Zwischenruf das Wort „Scheinheiligkeit" verwendet. Das ist unparlamentarisch. Dieser Ausdruck muß hier in Zukunft unterbleiben.
Ich gebe das Wort Herrn Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die weitere Debatte wird Gelegenheit geben, Herr Bundeskanzler, sich mit Ihren Ausführungen, die Sie gerade an dieser Stelle gemacht haben, und auch mit Ihren neuen
Ankündigungen und Versprechungen kritisch auseinanderzusetzen. Das, was Sie zum Strafverfahren gegen den Bundesminister Graf Lambsdorff gesagt haben, erfordert jedoch eine sofortige Erwiderung.
Erstens. Sie unternehmen neuerdings den untauglichen Versuch, sich nicht über den eigentlichen Kern der Sache, sondern über einen Nebenkriegsschauplatz auszulassen und zu verbreiten.
({0})
Sie haben abgelenkt, indem Sie Kritik an den Einzelheiten des Verfahrens geäußert haben. Selbstverständlich ist in unserem Rechtsstaat eine kritische Auseinandersetzung auch über solche Fragen in sachlicher Form möglich. Aber es ist ein absolutes Novum, daß ein Bundeskanzler vom Rednerpult dieses Hauses die Strafverfolgungsbehörden, die hier keine Möglichkeit der Erwiderung haben, in dieser Art und Weise kritisiert.
({1})
Zweitens. Sie, Herr Bundeskanzler, haben von Rechtskultur gesprochen und zum Ausdruck gebracht, daß Sie sich über die Rechtskultur Sorgen machten.
({2})
Herr Bundeskanzler, ich stelle fest, daß Sie zu dem empörenden Anschlag auf die Rechtskultur
({3})
nämlich zu den Äußerungen des kommissarischen Generalsekretärs Tandler, nicht ein Wort verloren haben, nicht ein Wort!
({4})
Zum dritten. Sie haben von der politischen Kultur Großbritanniens und alter Demokratien gesprochen. Herr Bundeskanzler, Sie haben kein Recht, sich darauf zu berufen. In Großbritannien und Ländern mit dieser politischen Kultur wäre der Bundesminister, über den wir reden, schon längst nicht mehr im Amt. Das wäre politische Kultur.
({5})
Sie haben uns eine neue Mitteilung gemacht. Sie haben bisher die Auffassung vertreten, daß Sie sich über die Frage eines Rücktritts dann schlüssig werden, wenn die Strafkammer beim Landgericht über die Zulassung der Anklage entschieden hat.
({6})
Heute haben Sie einen Teilrückzug angetreten. ({7})
Heute haben Sie hier mitgeteilt, daß Sie Ihre Entscheidung nach Prüfung und Würdigung der Anklageschrift treffen. - Herr Bundeskanzler, ich nehme diesen Teilrückzug, der dem Grafen sicher zu denken geben wird, zur Kenntnis, aber ich frage Sie: Was soll das?
({8})
Wollen Sie an Stelle des Gerichts die Beweise und die Anklage würdigen und prüfen?
({9})
Dies ist doch eine Vorverurteilung oder ein Vorfreispruch.
({10})
Wir, meine Damen und Herren, wollen das nicht. Unsere Aufgabe ist es nicht - auch die Ihre ist es nicht, Herr Bundeskanzler -, über die Anklage einer Strafverfolgungsbehörde zu befinden.
({11})
- Meine Damen und Herren, die deutsche Öffentlichkeit wird sich über Ihr Verhalten ein eindrucksvolles Bild machen.
({12})
So reagieren die Leute mit dem guten Gewissen!
({13})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir treten nicht in eine Beweiswürdigung ein. Wir haben bei jeder Gelegenheit erklärt: Das Verfahren kann auch mit Freispruch oder auch mit Einstellung enden. Unser Punkt ist nicht die Würdigung der Beweise. Unser Punkt ist die Auffassung, daß ein Minister, der unter Anklage steht, genauso wenig im Amt bleiben kann wie jeder Inspektor oder wie jeder Regierungsrat. Daran werden wir uns orientieren.
({14})
Wenn Sie nicht die Kraft zur Entscheidung haben, und wenn der Graf unter dem Eindruck der neuen Ankündigung nicht von sich aus eine würdige
({15})
und von uns erwartete Entscheidung trifft, dann werden wir durch unseren Antrag Gelegenheit geben, daß sich jeder einzelne zu dieser Frage stellen und bekennen kann.
Ich danke Ihnen für Ihre parlamentarische Aufmerksamkeit.
({16})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Die Sitzung wird um 14.45 Uhr mit der Aussprache über die Einzelpläne 04 und 05 fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung. ({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich möchte vorsorglich darauf hinweisen, daß bei Einhaltung der heute morgen beschlossenen Dauer der Aussprache zu den Einzelplänen 04 und 05 ab 17 Uhr mit namentlichen Abstimmungen gerechnet werden muß.
Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Kleinert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen Antrag nach § 26 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages stellen. Der Antrag lautet:
Der Bundestag möge beschließen, die zweite Lesung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1984 so lange auszusetzen, bis die Etatreife der folgenden Titel hergestellt ist:
({0})
Kap. 04 04 Tit. 541 01, Kap. 06 09 Tit. 541 01, Kap.
36 04 Tit. 541 01 und Kap. 14 01 Tit. 535 05.
Ich möchte diesen Antrag kurz begründen. Über den Inhalt dieser Etatansätze, über den Inhalt dieser Titel hat bisher weder der Deutsche Bundestag noch ein Ausschuß des Deutschen Bundestages noch - wie in früheren Jahren - ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses beraten. Weil dies bisher unterblieben ist, ist eine Etatreife nicht gegeben und kann der Haushalt wegen Unvollständigkeit nicht verabschiedet werden.
Denn ein zu verabschiedender Haushalt bedarf nach Art. 110 des Grundgesetzes der Vollständigkeit und der Einheitlichkeit. Der Grundsatz der Vollständigkeit und Einheitlichkeit würde verletzt, wenn hier über einen Haushalt abgestimmt würde, der Etatansätze enthält, über die nicht beraten werden konnte.
Falls hier nicht noch eine Beratung erfolgt, würden Sie schließlich heute nachmittag über Titelansätze abstimmen - z. B. Tit. 541 01 im Kap. 04 04 -, über die keinerlei parlamentarische Beratung stattgefunden hat.
({1})
Der politische Hintergrund dieses Versuchs, eine Reihe von Einzeltiteln aus der parlamentarischen Beratung des Haushalts 1984 herauszuhalten, ist weitgehend bekannt. Die Regierungsparteien wollen mit allen erdenklichen Mitteln verhindern, daß die GRÜNEN an den Beratungen über die Etatansätze der Geheimdienste beteiligt werden. Deshalb muß eine „Lex GRÜNE" geschaffen werden, deshalb soll ein Verfahren gewählt werden, das offenkundig gegen geltendes Recht verstößt, und deshalb wollen Sie auch eine Reihe von Einzeltiteln aus der parlamentarischen Beratung insgesamt heraushalten. Ich will mir hier eine politische Bewertung dieser Vorgänge ersparen. Es ist eindeutig genug, worum es geht.
({2})
Meine Damen und Herren, wir wollen Sie davor bewahren, gegen geltendes Recht zu verstoßen.
({3})
Deshalb beantragen wir, die Beratungen der zweiten Lesung auszusetzen und unverzüglich mit der parlamentarischen Beratung der im einzelnen angeführten Haushaltstitel zu beginnen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich, diesen Vertagungsantrag abzulehnen.
Sehr verehrte Kollegen von den GRÜNEN, als wir zu Beginn dieser Wahlperiode die Arbeit in diesem Haus aufnahmen, gehörte ich zu denen, die meinten: Die GRÜNEN werden uns noch manche Überraschung bereiten, und sie werden mit Phantasie versuchen, die Arbeit im Haus vielleicht lahmzulegen. Ich muß sagen: Gott sei Dank habe ich mich hier etwas getäuscht. Denn Ihre dauernden Vertagungsanträge zeugen nicht mehr von sehr großer Phantasie, wie Sie die Arbeit dieses Hauses in Ihrem Sinn gestalten wollen.
({0})
Die parlamentarische Beratung dieses Haushalts findet in, wenn Sie so wollen, vier Etappen statt, nämlich in der ersten Lesung, in den Ausschüssen, in der zweiten Lesung und in der dritten Lesung, so daß es absolut absurd ist - ({1})
- Die parlamentarische Beratung findet in diesen Etappen statt. Es heißt aber nicht zwingend, daß zu jedem einzelnen Titel und jedem einzelnen Kapitel an irgendeiner Stelle gesprochen werden muß,
({2})
sondern es heißt nur, daß beraten wird. Eine Beratung kann nach unserer Geschäftsordnung auch ohne Aussprache stattfinden.
({3})
Wir haben dies gestern bei einer Reihe von Titeln so gehandhabt, und wir werden es heute abend und morgen bei einer Reihe von Titeln so handhaben. Insofern ist Ihre Argumentation, daß diese Titel nicht beraten wurden, schlicht und einfach absurd. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Ich bitte, dem Antrag der GRÜNEN nicht stattzugeben.
Danke schön.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über den Antrag der GRÜNEN abstimmen.
Wer dem Antrag der GRÜNEN seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir fahren in der Aussprache über die Einzelpläne 04 und 05 fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, im Vormittagsteil der heutigen Sitzung des Hohen Hauses war von Karl Valentin die Rede. Wir freuen uns alle über die Auszeichnung, die Sie erhalten. Aber Sie haben bei dieser Gelegenheit meinem Fraktionsvorsitzenden einen Mangel an Fröhlichkeit zugesprochen.
({0})
Dazu möchte ich Ihnen folgendes sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Bei über zwei Millionen Arbeitslosen, beim Abbau sozialer Leistungen,
({1})
bei zusätzlichen atomaren Waffen in Ost und West kann einem in der Tat das Lachen vergehen. Und das kann auch hier bei einer Rede zum Ausdruck kommen.
({2})
Das zweite. Herr Bundeskanzler, Sie haben hier Ihre Sorge über meine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, zum Ausdruck gebracht. Ich empfehle Ihnen dringend, diese Sorgen uns zu überlassen. Wenn Sie keine anderen Sorgen hätten als die, dann würde es Ihnen in der Tat außerordentlich gut gehen.
({3})
Die Voraussetzungen waren in den Fragen, um die es ging, von der ersten Stunde an klar und eindeutig:
Die Sozialdemokratische Partei hat zu keiner Zeit gesagt, daß sie in jedem Falle für die Stationierung eintritt. Sie hält sich in dieser Hinsicht an das, was im NATO-Doppelbeschluß steht, nämlich Verhandlungsergebnisse zu prüfen, danach Entscheidungen zu fällen. Wir haben in diesem Hause immer wieder gesagt, daß irgendeine Art von Automatismus für uns überhaupt nicht in Frage kommen kann. Deswegen sollte Sie das Ergebnis nicht so wundern.
Das dritte. Sie, Herr Bundeskanzler, insbesondere aber der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU haben viel über Wirtschaftsdaten gesprochen. Darüber wird es sicher morgen noch eine sehr ausführliche Debatte geben. Sie haben aber eine Zahl, die wir für ganz besonders bedeutsam halten, in keiner Ihrer Zahlenreihen genannt. Sie haben vergessen, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit natürlich überhaupt keine Rede sein kann, sondern daß während Ihrer Amtszeit innerhalb eines Jahres die Zahl der Arbeitslosen nach der Statistik der Bundesanstalt genau um 227 754 zusätzlich angestiegen ist.
({4})
Dies ist die einzige Zahl, die von entscheidender Bedeutung ist. Hier also ist eine entscheidende Verschlechterung eingetreten.
({5})
- Freuen Sie sich nicht zu früh. Seien Sie vorsichtig mit den Zahlen, die Sie nennen, sonst haben Sie sie bald.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Bilanz gezogen wird: Seit dem Amtsantritt des Herrn Bundeskanzlers haben vier wichtige internationale Konferenzen stattgefunden, haben Verhandlungen stattgefunden, die für unser Land, für die Bundesrepublik Deutschland von lebenswichtiger Bedeutung sind. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben dort die Bundesrepublik direkt oder indirekt vertreten; denn ich gebe gerne zu, in Genf ist das selbstverständlich nur indirekt möglich gewesen. Das war erstens der Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg im Mai dieses Jahres. Das war zweitens der Europäische Rat in Stuttgart während der Zeit der deutschen Präsidentschaft, also während der Monate, als diese Bundesregierung für die Europäische Gemeinschaft ganz besondere Verantwortung zu tragen hatte. Das waren drittens die Genfer Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen. Diese Verhandlungen sind mit Sicherheit - das wird niemand hier im Hause bestreiten - für kein Land in der Welt wichtiger als für die Bundesrepublik Deutschland. Die vierte
wichtige internationale Konferenz, der Europäische Rat in Athen von Sonntag bis gestern, fand statt zur Zeit der größten Krise der Gemeinschaft seit ihrem Bestehen.
Lassen Sie mich bitte für diese vier internationalen Konferenzen zusammenhängend meine Bilanz ziehen:
Erstens: Williamsburg. Williamsburg war für Europa und für die Bundesrepublik Deutschland ohne jegliches Ergebnis. Es ging um ökonomische Fragen. Irgendeine Bewegung im Interesse Europas ist nicht erreicht worden.
Zweitens: der Europäische Rat in Stuttgart. Zuerst war er nur ohne Ergebnis. Jetzt, nachdem das von Ihnen geschnürte Paket - Sie haben von diesem geschnürten Paket gesprochen - geplatzt ist, jetzt ist auch der Stuttgarter Gipfel noch nachträglich gescheitert.
Drittens: Die Genfer Verhandlungen sind gescheitert. Es wird mehr atomare Waffen statt weniger in Europa geben.
Viertens: Der Europäische Rat in Athen ist gescheitert. Die Europäische Gemeinschaft befindet sich in der tiefsten Krise - sicher nicht in der einzigen, aber mit Sicherheit in der tiefsten -, die es jemals in der Gemeinschaft gegeben hat.
Herr Bundeskanzler, aus diesem Grunde muß ich eine völlig andere Auffassung vertreten als Sie. Dies alles bedeutet nämlich: Seit dem 1. Oktober 1982 ist der außenpolitische Einfluß der Bundesrepublik Deutschland zurückgegangen.
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Das politische Gewicht unseres Landes hat abgenommen, denn sonst müßte j a der Einfluß im Rahmen dieser vier wichtigen internationalen Konferenzen spürbar gewesen sein.
({7})
Eine Bemerkung zu Athen: Der Bundesregierung kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie schon in Stuttgart die Lage falsch eingeschätzt hat. So, wie die Situation heute ist, wird die Finanzkrise der Gemeinschaft weiter schwelen. Unter diesen Umständen wird das Europäische Parlament den Haushalt 1984 nicht verabschieden, denn das Europäische Parlament muß und wird daran interessiert sein, in dieser Situation ein deutliches Zeichen zu setzen.
In der Frage der Agrarreform ist nichts erfolgt.
({8})
Die Überproduktion geht weiter. Gemeinsame Politiken sind, obwohl es interessante französische Vorschläge gibt, nicht vereinbart worden. So kann in der Tat Europa gegenüber der technologischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten und in Japan nicht bestehen.
({9})
Die Enttäuschung an Europa wächst, so muß man heute sagen, in Spanien und Portugal von Stunde zu Stunde.
({10})
Wir müssen wissen, daß sich diese Enttäuschung auch negativ auf das Bündnis auswirken kann. Die Aussagen dazu sind deutlich genug.
Wir - ich denke, wir alle - haben auf eine demokratische Entwicklung in Spanien und in Portugal gedrängt, und wir haben, soweit wir dazu in der Lage waren, auch helfen können. Die Spanier und die Portugiesen haben die Demokratie erreicht. Dies war eine großartige Leistung, und wir alle haben sie dazu beglückwünscht. Heute wird in erster Linie über Oliven und Tomaten gesprochen. Wer so handelt, hat - das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf an die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit - die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ist schuld an dieser Entwicklung, wer trägt die Verantwortung für die tiefste europäische Krise seit dem Bestehen der Gemeinschaft? Ich bin der Auffassung: Alle Zehn tragen Verantwortung, allerdings die einen mehr, die anderen weniger.
({12}) Die Bundesregierung gehört zu denjenigen,
({13})
die mehr Verantwortung tragen, und zwar aus folgenden vier Gründen:
({14})
Die Bundesrepublik ist das wirtschaftlich stärkste Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft. Unser materieller Beitrag ist größer und muß auch größer sein als der der anderen.
({15})
Wir hatten in diesem Jahr sechs Monate dadurch ganz besondere Verantwortung, daß die Bundesregierung die Präsidentschaft hatte,
({16})
und wir haben wie kein anderes Land der Europäischen Gemeinschaft ein Instrument, um mit Frankreich eine besonders enge Zusammenarbeit zu haben. Aber ich habe erheblichen Zweifel, ob dieses Instrument auch wirklich in dem notwendigen Maße genutzt worden ist. Die besonders enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankeich hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von europäischen Problemen läsen helfen. Ich wäre in der Lage, hier eine Vielzahl von Beispielen zu nennen.
In dieser dramatischen Stunde für Europa - anders kann man das nicht bezeichnen - rufen wir unsere französischen Nachbarn, Partner und
Freunde. Denn sie übernehmen am 1. Januar 1984 die Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Sie übernehmen damit für alle Europäer besondere Verantwortung. Wir bitten sie von ganzem Herzen um eine große französische Leistung zur Überwindung der europäischen Krise.
({17})
Wir schauen in dieser Stunde voller Vertrauen auf den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Dabei wissen wir, daß nur etwas zu erreichen ist, wenn man bereit ist, auch über den eigenen Schatten zu springen. Das gilt selbstverständlich auch für diejenigen, über die ich jetzt eben gesprochen habe.
Mit der üblichen europäischen Routine ist diese Krise nicht zu lösen. Zu glauben, daß man die ganzen unerledigten Angelegenheiten nun wie bisher immer an den Ministerrat überweisen könnte, hat überhaupt keinen Wert; denn vor dem Athener Gipfel hat sich der Ministerrat fleißig mit allen Fragen beschäftigt und ist dabei zu keinem Ergebnis gekommen.
Aber Frankreich sollte daran denken, daß in einer anderen europäischen Krise - sicher nicht von gleichem Ausmaß - Jean Monnet, der Mann, der unser aller Respekt hat, damals durch Gespräche mit den Mitgliedstaaten, mit allen Beteiligten, ohne jegliche Publizität, sich darum bemüht hat, einen für Europa unvergeßlichen Beitrag zu leisten. Ich glaube, in dieser Krise muß die Europäische Gemeinschaft darum bemüht sein, wieder einen vergleichbaren Weg zu gehen, denn die Routine ist der Tod der Europäischen Gemeinschaft.
({18})
In den letzten Jahren hat es zuviel Routine gegeben. Ohne Dynamik kann die Europäische Gemeinschaft nicht bestehen.
Wir haben die Bundesregierung zu kritisieren wegen falscher Einschätzung der Lage in Stuttgart, wegen mangelnder Anstrengungen, insbesondere während der Zeit der deutschen Präsidentschaft. Diese kritische Haltung wird uns nicht davon abhalten, unseren Beitrag für die Überwindung der Krise zu leisten in Zusammenarbeit mit unseren politischen Freunden in den übrigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Europa ist nicht nur ohne Alternative, Europa ist unser aller Schicksal.
Nun möchte ich gern einige Bemerkungen zu Genf machen, ohne daß ich die Debatte, die wir hier gehabt haben, nachvollziehen will. Aber der Herr Bundesaußenminister hat im Bulletin der Bundesregierung gestern einen interessanten Namensartikel, auf den Dr. Jochen Vogel schon hingewiesen hat, veröffentlicht - gestern, nachdem Genf gescheitert war. In diesem Beitrag heißt es u. a.:
Wir müssen alles tun, um in der Bundesrepublik Deutschland den außenpolitischen Konsens soweit wie möglich wiederherzustellen, ..
({19})
Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Erstens. Der von allen Steuerzahlern unseres Landes bezahlte Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, hat von seinen Beleidigungen bis heute nicht ein einziges Wort zurückgenommen, und der Bundeskanzler hat die Angelegenheit nicht in Ordnung gebracht. Auf dieser Basis kann man keinen Konsens erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({20})
Zweitens. Wer unser Verhältnis zum Bündnis in Zweifel zieht, will nicht „deutlich ... machen, was uns eint"; ich übernehme hier wörtlich die Formel aus dem Beitrag des Bundesaußenministers.
Auf dieser Basis, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Konsens nicht möglich. Schaffen Sie diese beiden Probleme aus der Welt! Dann sind wir bereit, über alle Fragen miteinander zu reden, in denen Übereinstimmung möglich ist. Aber, bitte, rufen Sie nicht zuerst nach dem Konsens, sondern bringen Sie die Vergangenheit bitte in Ordnung.
({21})
Nachdem Genf gescheitert ist, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, sprechen Sie jetzt wieder von „konsequenter Fortsetzung der Friedens-und Entspannungspolitik"; so heißt nämlich die Überschrift des Beitrags, den der Herr Bundesaußenminister geschrieben hat und den ich sehr interessant finde.
({22})
Das Wort „Entspannung" war lange nicht zu hören.
({23})
Hier sitzen eine ganze Reihe von Kollegen auf den Regierungsbänken und auf seiten der Koalition, die sich dagegen gewehrt haben, daß dieses Wort gebraucht wurde. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, jetzt wird dieses Wort auf einmal wieder nach oben gezogen.
({24})
Meine verehrten Damen und Herren, Aufsätze und ständige Erklärungen darüber, daß man ganz sicher sei, daß die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zurückkehren werde, helfen nicht. Wir brauchen keinerlei Spekulationen, sondern wir brauchen konkrete Maßnahmen der Entspannung, der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung. Herr Bundesaußenminister, heben Sie die Wiener Verhandlungen auf die Ministerebene! Gehen Sie nach Wien, beenden Sie die ewig lange dauernde Zahlendiskussion in Wien und machen Sie einen konkreten Vorschlag zum begrenzten Abbau der Stationierungsstreitkräfte auf der einen und der nationalen Streitkräfte auf der andeWischnewski
ren Seite - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangsbasis auf beiden Seiten!
Nach der Stationierungsdebatte und der großen Auseinandersetzung in unserem Lande um die atomare Nachrüstung gab es gestern neue Informationen aus Brüssel über mehr konventionelle Waffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr atomare Waffen auf beiden Seiten, neue Beschlüsse über mehr konventionelle Waffen, dieses zerstört die Glaubwürdigkeit unseres Bündnisses.
({25})
Wir sind bald so weit, daß keinem Politiker in unserem Land mehr geglaubt wird, der über Fragen der Abrüstung und der Rüstungsbegrenzung spricht,
({26})
und dieses ist auch für die politische Situation in unserem Lande gefährlich. Wir müssen darum bemüht sein, in dieser Frage Glaubwürdigkeit zu haben.
({27})
Herr Bundesaußenminister, gehen Sie mit weitreichenden Vorschlägen für vertrauensbildende Maßnahmen und für wirkliche Abrüstung nach Stockholm, und verbinden Sie das eine mit dem anderen zum frühestmöglichen Zeitpunkt! Bemühen Sie sich, gerade bei diesen beiden Konferenzen unsere Verbündeten entsprechend zu beeinflussen; denn auch der gestrige Tag hat gezeigt, daß nicht alle Verbündeten über diese wichtige Frage gleich denken! Wenn Sie über Entspannungspolitik reden, dann seien Sie bitte bereit, einen mutigen Schritt nach vorn zu tun und die Sanktionen gegen Polen aufzuheben!
({28})
Gebrauchen Sie bitte keine solchen Formulierungen, das richte sich nicht gegen das polnische Volk, sondern nur gegen die polnische Führung! Wer die Situation kennt,
({29})
weiß, daß man darüber anders denken muß. Seien Sie darum bemüht, das für 25 Jahre abgeschlossene Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ernstlich auszufüllen, nicht nur Aufsätze über Entspannungspolitik und die Notwendigkeit ihrer Fortsetzung zu schreiben, sondern wirklich in der Tat etwas Praktisches zu tun, um die Entwicklung voranbringen zu können.
({30})
Schadensbegrenzung ist ein Wort, das in der Außen- und Sicherheitspolitik eine immer größere Rolle spielt. Schadensbegrenzung reicht nicht aus, sondern wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie Ihren Beitrag leisten, die Ursachen des entstandenen Schadens aus der Welt zu schaffen.
Unser Verhältnis zu den Staaten der Dritten Welt hat sich verschlechtert.
({31})
- Ich werde Ihnen ein paar praktische Beispiele bringen, keine Sorge. Wir haben dort in den letzten Monaten an Ansehen verloren, weil wir eine bewährte Politik in wesentlichen Punkten geändert haben. Wie in der Politik gegenüber dem Osten, kann auch hier von Kontinuität keine Rede sein. Besonders deutlich ist das an dem Beispiel Zentralamerika, aber nicht nur da allein.
Eine Große Anfrage der SPD vom 2. August zu Zentralamerika haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wir waren selbstverständlich damit einverstanden, als Sie uns gesagt haben, Sie wollten erst die Botschafterkonferenz in San José in Costa Rica abwarten. Wir haben das selbstverständlich abgewartet. Seitdem sind wieder zwei Monate vergangen. Die Große Anfrage ist immer noch nicht beantwortet. Warum haben Sie solche Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage? Stimmen das Auswärtige Amt und das BMZ nicht überein, wie immer wieder behauptet wird, oder müssen neuerdings solche Texte vorher in München abgestimmt werden?
({32})
- Leider muß ich noch öfter darauf zurückkommen.
({33})
Mit der Mehrheit der Mitgliedsländer in der Europäischen Gemeinschaft stimmt Ihre veränderte Politik gegenüber Zentralamerika nicht mehr überein.
({34})
Der Innenminister von Nicaragua war auf seiner Europareise auch in Bonn. Vorher war er in Frankreich, in Spanien, in Portugal, in Italien, in Griechenland und in den Niederlanden, alles Länder, die Mitglieder unseres Bündnisses sind. Überall hat es kritische Gespräche gegeben, aber überall hat man diese Gespräche in freundlicher Form geführt. Eine Reihe von Ländern haben dem Minister Zusagen gemacht, was die Hilfe im Zusammenhang mit der Entwicklung des Landes angeht. Aber in Bonn hat der Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, wieder in vollem Umfange zugeschlagen.
({35})
Er hat den Innenminister von Nicaragua beleidigt. Wir haben Thomas Borge getröstet.
({36})
Wir haben ihm gesagt - das fällt uns doch sehr leicht -, daß dieser Minister das gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in unserem Lande so am laufenden Band tut. Daraufhin hat der Innenmini3060
ster gesagt, nun könne er die Situation wesentlich besser verstehen.
({37})
Über die Entwicklungshilfe an Nicaragua ist gestern schon gesprochen worden. Aber eins ist mir unerklärlich. Die verehrte Kollegin der FDP, die dazu gesprochen hat, hat sich dafür bedankt, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Haltung in dieser Frage nun geändert habe. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat dazu gestern jedoch nicht ein einziges Wort gesagt, so daß ich nicht weiß, wieso in diesem Zusammenhang ein Dank ausgesprochen werden konnte.
Die Bundesregierung hat durch ihre Politik gegenüber Nicaragua bisher nichts zur Entwicklung des inneren Pluralismus in Nicaragua beigetragen;
({38})
denn die Entwicklung des inneren Pluralismus hängt auch vom äußeren Pluralismus gegenüber Nicaragua ab. Eine andere Möglichkeit ist nicht gegeben.
({39})
Im übrigen, Herr Bundesminister, habe ich den Eindruck, daß die FDP-Fraktion mit dieser Politik auch nicht einverstanden ist; denn wenn ich eine Reihe von Erklärungen vor allen Dingen von solchen Kollegen lese, die die Chance hatten, sich vor Ort zu informieren, dann sehe ich, daß man auch dort einen anderen Weg wünscht. Vielleicht sollten wir im Deutschen Bundestag einmal darüber abstimmen und sehen, ob es dazu nicht eine andere Mehrheit gibt.
({40})
Ein kurzes Wort zu El Salvador. Sie wollen dorthin wieder einen Botschafter schicken.
({41}) Ich habe keine Einwendungen dagegen.
({42})
Der Abzug eines Botschafters ist keine Bestrafung, und die Entsendung eines Botschafters ist keine Wohltat.
({43})
Aber Sie wollen auch wieder Entwicklungshilfe gewähren. Dazu muß ein sehr ernstes Wort gesagt werden.
Meine Freunde und ich haben Respekt vor den Christdemokraten in El Salvador, die sich redlich darum bemühen, den Weg zur Demokratie, zu mehr Menschenrechten und auch zum Dialog zu finden.
({44})
Ich sage hier ausdrücklich unseren Respekt.
Aber es gibt nicht nur die Christdemokraten, sondern es gibt in diesem Land auch die Todesschwadronen, die nach überzeugender Aussage der katholischen Kirche Hunderte, ja Tausende von Menschen umbringen: Gewerkschafter, politisch Andersdenkende, katholische Geistliche. Das, was hier passiert, ist politischer Mord. Dort, wo der politische Mord herrscht, sollte deutsche Entwicklungshilfe, meine sehr verehrten Damen und Herren, keinen Platz haben.
({45})
In dem Stuttgarter Dokument wird von der Unterstützung der Contadora-Gruppe gesprochen. Ich hoffe, wir sind uns hier im Hause alle einig, daß diese Unterstützung von entscheidender Bedeutung ist. Aber geschehen ist seitdem nicht das geringste, um etwas zu unternehmen.
Ich stimme voll mit dem überein, was vor einigen Tagen der Kollege Schäfer von der FDP dazu als Erklärung veröffentlicht hat: Die Contadora zu unterstützen bedeutet, den Frieden in Zentralamerika zu fördern und einen der gefährlichsten Punkte in der Welt einer Chance für den Frieden näherzubringen.
Heute war schon die Rede davon, daß Sie eine entscheidende Veränderung in bezug auf die Nahostpolitik vornehmen. Da hier nicht alles klar war, habe ich die Aufgabe, noch einige Klarheiten herbeizuführen.
Der Nahe Osten ist zur Zeit für den Frieden in der Welt die gefährlichste Region überhaupt, die es gibt. Die täglichen Explosionen können durchaus zu einer großen Explosion werden; ein Hexenkessel. Wir hatten in der Zeit unserer Regierungsverantwortung und haben auch heute sehr gute Beziehungen zu Saudi-Arabien. Wir sind an der Stabilität und Sicherheit dieses Staates interessiert. Wir haben Respekt vor den großen Anstrengungen des Königreichs Saudi-Arabien für einen Waffenstillstand und den Frieden im Libanon. Aber wir haben zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein gemeinsames Kommunique mit einem Land außerhalb des Bündnisses, in dem von der Zusammenarbeit im militärischen Bereich die Rede ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das Echo auf dieses Kommunique sieht und insbesondere hört, der weiß, daß wir dabei sind, daß die schlimme deutsche Vergangenheit uns wieder einholen kann. Wir sind in diesen Fragen nicht die Vereinigten Staaten, wir sind in diesen Fragen nicht Frankreich, und wir sind in diesen Fragen nicht das Vereinigte Königreich.
Bald, Herr Bundeskanzler, reisen Sie nach Israel. In unser aller Interesse wünschen wir Ihnen für diese Reise viel Erfolg. Aber schon werden in aller Deutlichkeit und in aller Öffentlichkeit aus Israel ähnliche Forderungen an Sie gerichtet. Wollen wir uns denn auf beiden Seiten mit Waffen engagieren?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind dafür, daß wir uns auf beiden Seiten dafür
engagieren, dem Frieden ein Stückchen näherzukommen. Aber wir wollen weder auf einer Seite noch auf beiden Seiten mit Waffen engagiert sein.
({46})
Dieses ist ein gefährlicher Weg. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich vor diesem Wege warnen. Wer diesen Weg geht, sollte daran denken, was unserem Land passiert ist, als es schon einmal Waffenlieferungen in diese Region gegeben hat.
Auch gegenüber Südafrika gibt es eine veränderte Politik. Franz Josef Strauß verlangt weitere Veränderungen.
({47}) - Sehr gut, daß Sie das zugeben.
({48})
Der Außenminister wird sich sehr darüber freuen, daß hier für die notwendigen Veränderungen aus der Sicht der CSU so viel Verständnis gegeben ist. Wir haben hier j a schon neulich bei der kurzen Debatte erlebt, wie diejenigen behandelt werden, die sich dem Rassismus widersetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rassismus ist Unmenschlichkeit. Christentum und Rassismus sind unüberbrückbare Gegensätze. Das sollten sich Christdemokraten in bezug auf die Änderungen merken.
({49})
Die sogenannte Verfassungsreform in der Republik Südafrika schafft mehr Rassismus. Ministerpräsident Botha hat erklärt, daß auch seine Kinder das Wahlrecht der schwarzen Bevölkerung nicht erleben werden. Deshalb war das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen entweder falsch oder feige.
({50})
Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken, daß die Mehrheit der Partner in unserem Bündnis anders gestimmt hat als die Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie auf so hervorragende Zusammenarbeit im Bündnis Wert legen, sollten Sie eigentlich bei der Gelegenheit auch an diese Fragen denken.
({51})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es besteht Anlaß, ein Wort über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres auswärtigen Dienstes zu sagen. Wiederum aus der bayerischen Staatskanzlei hat es einen unverantwortlichen und unverschämten Angriff gegen Botschafter unseres Landes gegeben. Der Bundesaußenminister hat so reagiert, wie er reagieren muß. Obwohl es eigentlich selbstverständlich ist, möchte ich ihm ausdrücklich dafür danken. Eines müssen wir aber hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist unerträglich, daß Koalitionsquerelen zwischen CSU und FDP auf dem Buckel von Beamten ausgetragen werden, die ihre Pflicht und Schuldigkeit für unser Land draußen in der Welt tun.
({52}) Ich möchte deshalb allen Angehörigen unseres auswärtigen Dienstes für ihre Arbeit in nahezu allen Ländern der Welt danken. Viele müssen ihre Aufgaben unter Gefahren und schwierigen Umständen erfüllen. Wer wie ich die Chance hatte, in diesem Jahr in Beirut und in Zentralamerika zu sein, weiß sehr genau, wovon ich rede.
In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Mitarbeiter des Goethe-Instituts in aller Welt und natürlich auch hier im Lande mit einbeziehen.
({53})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort soll die Wende eintreten.
({54})
Dort soll Liberalität abgebaut werden.
({55})
Es sollen mehr Musikveranstaltungen statt Vorträge stattfinden, weil es mit Musik weniger Ärger geben kann.
({56})
Meine sehr verehrten Damen und Herren
({57})
- keine Aufregung -, wahrhafte Darstellung unserer Gesellschaft - das kann natürlich nicht ohne Ärger abgehen. So ist das nun einmal mit der Vielfalt unserer Gesellschaft. Und der „Bayernkurier" kann und darf nicht der Maßstab unserer auswärtigen Kulturpolitik sein.
({58})
Das Goethe-Institut kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn es die ganze Breite unserer Gesellschaft
({59}) in der Kultur darstellen kann.
({60})
- Es kommt nicht darauf an, daß mir alles gefällt, es kommt darauf an, daß die kulturelle Glaubwürdigkeit unserer Goethe-Institute nicht zerstört wird.
({61})
Und nun sage ich Ihnen folgendes: Bei 12 000 Veranstaltungen im Jahr in der Welt kann in der Tat schon mal hie und da eine Panne passieren.
({62})
Wer von uns ist so erhaben, hier zu sagen, daß ihm noch niemals eine Panne passiert sei? Ich gestehe, daß das bei mir des öfteren der Fall ist.
({63})
Aber ich habe den Eindruck, daß man sich bemüht.
Eines bereitet mir allerdings sehr große Sorgen: Mit dem Weggang der Kollegin Dr. Hamm-Brücher aus dem Auswärtigen Amt habe ich Sorge, ob die Liberalität in der auswärtigen Kulturpolitik bei uns so gewährleistet ist, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({64})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ihnen nach der ersten Regierungserklärung gesagt: Überall dort, wo es Kontinuität gibt, haben Sie unsere Unterstützung. Dort, wo es entscheidende Veränderungen gibt, die wir für falsch halten,
({65})
werden wir sie bekämpfen. Dieses Jahr Revue zeigt, daß es in vielen Punkten keine Kontinuität mehr gibt,
({66})
sondern entscheidende Veränderungen.
({67})
Wir werden deshalb dem Haushalt nicht zustimmen.
({68})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache über den Haushalt, insonderheit die Aussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers und, wie sich versteht, auch seines Stellvertreters, ist die Gelegenheit, die Regierung auf den Prüfstand zu bringen. Aber die Opposition, insonderheit der Oppositionsführer, muß dabei immer beachten, daß sie sich dabei selber auf den Prüfstand stellt.
({0})
Was Sie, Herr Kollege Dr. Vogel, heute an Perspektiven und an Führungskraft gefordert haben, fällt als Kritik und Forderung auf Sie selber zurück.
({1})
Sie fordern Perspektiven für die Wirtschaftspolitik, und Sie bieten als Alternative nichts anderes als einen Gefälligkeitskatalog, wo in Wahrheit klare Entscheidungen erforderlich sind.
({2})
Was Sie als Außenpolitik bieten, ist in Wahrheit ein Konzept der Zwiespältigkeit; es ist die Selbstdarstellung einer Partei, die heute in wesentlichen Fragen das verleugnet, was sie noch vor wenig mehr als einem Jahr als sozialdemokratische Friedenspolitik verkauft hat.
({3})
Herr Kollege Dr. Vogel, Sie fordern Führungskraft vom Bundeskanzler. Sie nennen sich selbst Oppositionsführer: Ich kann nicht glauben, daß Sie es sind, der Ihre Partei auf dem Bundesparteitag in Köln weg vom Doppelbeschluß geführt hat, denn Sie selbst haben ihn doch im Kabinett als notwendige Entscheidung mit beschlossen.
. ({4})
Herr Kollege Dr. Vogel, Sie laufen einer inneren Entwicklung Ihrer Partei nach, wo Führungskraft geboten wäre.
({5})
Das gilt genauso in der Wirtschaftspolitik.
({6})
Sie stehen nicht zu einer Politik, wie der frühere Bundeskanzler das im Sommer 1982 in Ihrer Fraktion angemahnt hat, sondern Sie folgen denjenigen in Ihrer Partei, die wie in Hessen auch in der Wirtschaftspolitik die opportunistische Annäherung an die GRÜNEN betreiben. Das ist die Wahrheit.
({7})
- Hören Sie doch einmal zu. Das können Sie mir nicht sagen. Ich weiß, wie schwierig politische Führung ist.
({8})
Ich weiß aber auch - auch wenn Ihnen das nicht paßt -, daß Entschlossenheit dazu führt, daß die gesetzten Ziele erreicht werden. Das ist unser Konzept.
({9})
Das war ein bitterer Weg, es war ein notwendiger Weg, und er ist von den Wählern bestätigt worden.
({10})
Sie liefern den letzten Beweis, daß dieser Weg innen- und außenpolitisch ein dringendes Erfordernis war.
({11})
Herr Dr. Vogel, Sie haben es für notwendig gehalten, zweimal an das Rednerpult zu kommen, um etwas zu meinem Kollegen und Freund Otto Graf
Lambsdorff zu sagen. Sie haben auch dabei Ihre Aufgabe verfehlt.
({12})
Sie haben nicht zu dem Kern der Dinge gesprochen. Sie haben einen Satz in Ihrer Rede, den ich sehr wohl respektiere. Sie sagen: Es ist wahr, in Spendendingen hat sich keine der Parteien, die schon länger dem Bundestag angehören, mit Ruhm bedeckt, auch die meine nicht. - Diese Feststellung ehrt Sie. Ich schließe mich dem für meine Partei an.
({13})
Aber Herr Dr. Vogel, wenn wir schon über Spendenpraxis reden, dann haben wir auch die Verpflichtung, hier vor der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Die Parteien sind vom Grundgesetz aufgerufen, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.
({14})
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz untersagt es aus guten Gründen, daß sich die Parteien ausschließlich auf Staatszuwendungen stützen dürfen. Sie sind auf Beiträge, sie sind auf Spenden angewiesen.
({15})
Spenden an Parteien sind nichts Schädliches, nichts Unredliches an sich. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben doch gerade vor wenigen Tagen mit uns ein Gesetz beschlossen, in dem die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden anerkannt wird. Bitte machen wir daraus keinen Fall zwischen den Parteien, sondern klären wir die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit unserer demokratischen Parteien auf!
({16})
Dann haben Sie zu Recht gesagt, das gegen meinen Kollegen Dr. Lambsdorff eingeleitete Strafverfahren sei etwas ganz anderes.
({17})
- Das ist wohl wahr, Herr Kollege Duve. Dazu sagt der Abgeordnete Dr. Vogel: Selbstverständlich streitet auch für ihn die Unschuldsvermutung. - Herr Kollege Dr. Vogel, stellen Sie das nicht nur fest, sondern handeln Sie auch danach! Verhalten Sie sich ihm gegenüber auch so!
({18})
Haben Sie kein Gespür dafür, was es für einen Mann bedeuten muß - für ihn selbst, für seine Familie -, wenn am Dienstag der letzten Woche die Erhebung einer Anklage gegen ihn wegen Bestechlichkeit öffentlich angekündigt worden ist, und er sich heute - acht Tage später ({19})
noch nicht im Besitz der Anklage befindet, um dazu Stellung nehmen zu können?
({20})
- Ich rüge überhaupt niemanden. Ich rüge im Augenblick denjenigen, der mir hier gegenübersitzt, den Abgeordneten Dr. Vogel, daß er meinem Kollegen Lambsdorff nicht wenigstens solange Fairneß geboten hat, solange dieser nicht in der Lage ist, zu den dort erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.
({21})
- Können Sie es nicht ertragen, wenn eine andere Meinung als die Ihre hier vorgetragen wird?
({22})
Wenn Sie schon nicht der Meinung sind, daß mein Kollege Lambsdorff, bevor Sie ihn angreifen, wenigstens öffentlich nicht rechtliches, aber politisches Gehör haben sollte, dann ertragen Sie doch wenigstens, daß ich an seiner Stelle die Gründe darlege, warum er zu diesem Zeitpunkt zur Anklage nicht Stellung nehmen kann.
({23})
Ein Grundsatz unseres freiheitlichen Rechtsstaates ist auch der Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör ist vor dem Gericht einzuräumen. Hier geht es um das politische Gehör.
({24})
Dieses Recht auf politisches Gehör kann nur derjenige ausüben, der in Kenntnis dessen ist, was als Vorwurf gegen ihn erhoben wird.
({25})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, mich hat sehr beeindruckt, was Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Schmude, gesagt hat:
In diesen konkreten Fällen übrigens - ich beziehe ausdrücklich den Grafen Lambsdorff mit ein - bin ich nach meiner Einschätzung der Dinge überzeugt, daß sich die Unschuld herausstellen wird. Den Grafen Lambsdorff kenne ich recht gut. Ich halte ihn für einen hochanständigen und hochintelligenten Mann. Beides schließt nach meiner Einschätzung aus, daß die Vorwürfe stimmen.
So hat sich Herr Kollege Dr. Schmude am 27. November 1983 in einer Fernsehsendung geäußert.
({26})
- Ich würde gern meinen Gedankengang weiterführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich füge hinzu: Ich persönlich bin von der Unschuld meines Freundes und Kollegen Graf Lambsdorff überzeugt. Das wird mein Verhalten, das wird die Haltung, die ich persönlich ihm gegenüber einnehme, das wird aber auch die Haltung meiner Partei und Fraktion bestimmen.
({27})
Wir werden nichts tun, meine Damen und Herren, was die Unabhängigkeit der Gerichte beeinflußt. Aber wir werden auch nicht zulassen, daß Nichtberufene außerhalb der Justiz zu einer politischen Vorverurteilung eines Mannes kommen, den wir für persönlich unschuldig halten.
({28})
Herr Bundesaußenminister, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich möchte gern ohne Unterbrechung weitersprechen dürfen.
Gilt das generell? - Gut.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus guten Gründen hat der Gesetzgeber eine Bestimmung geschaffen, die die Unbefangenheit der am Verfahren Beteiligten durch Geheimschutz für die Dinge, die für das Strafverfahren erheblich sind, erhalten soll. Ich glaube, wir alle sind dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, daß diese Grundsätze nicht verletzt werden. Denn auch derjenige, gegen den eine Anklage erhoben oder angekündigt ist, hat in der Tat Anspruch auf unbefangene, d. h. nicht befangen gemachte, möglicherweise gegen ihren eigenen Willen befangen gemachte Richter, Berufsrichter und Laienrichter. Hier haben wir alle eine Verantwortung, damit die jetzt erstmalig damit befaßten unabhängigen Richter in voller Unabhängigkeit meinem Kollegen Graf Lambsdorff Gerechtigkeit angedeihen lassen.
({0})
Dann können sie alle Ihr Urteil selbst fällen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute eine Darbietung über die Vorstellungen der sozialdemokratischen Opposition zu den Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik bekommen. Ich hätte Ihnen geraten, Herr Abgeordneter Dr. Vogel, daß Sie sich vor Abfassung Ihrer Rede mit dem vertraut gemacht hätten, was eben das Sachverständigengutachten über die Lage und die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat. Es ist bezeichnend, daß Sie bei den Antworten, die Sie auf die wirtschaftlichen Herausforderungen geben - und die sind groß genug, die sind drückend genug angesichts einer Millionenzahl von Arbeitslosen, wo bei jedem einzelnen die Arbeitslosigkeit ein Einzelschicksal ist -, als erstes „Arbeitszeitverkürzung" sagen und daß Sie sich zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit bekennen.
Herr Kollege Dr. Vogel, wir werden die strukturellen Probleme unserer Wirtschaft, die konjunkturellen Probleme, die Probleme unserer Konkurrenzfähigkeit nur lösen können, wenn wir die Produkte, die in diesem Land hergestellt werden, die exportiert werden müssen, die im eigenen Land mit den Importen aus anderen Ländern konkurrieren müssen, in der Qualität und im Preis konkurrenzfähig halten und dort, wo das verlorengegangen ist, konkurrenzfähig machen. Wer jetzt Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich verlangt, verteuert unsere Produktion, gefährdet Arbeitsplätze. Das sagen wir in aller Offenheit.
({2})
Wir wollen uns nicht in die Tarifhoheit einmischen. Aber wenn das Gegenstand der wirtschaftspolitischen Diskussion ist,
({3})
dann ist es notwendig, daß wir den Bürgern unseres Landes offen sagen: Wer die Lohnstückkosten erhöht, indem er Arbeitszeitverkürzung mit. vollem Lohnausgleich verlangt, der gefährdet vorhandene Arbeitsplätze
({4})
und die sich abzeichnende Erholung unserer Volkswirtschaft.
({5})
Darüber müssen wir unsere Mitbürger informieren.
({6})
Denn politische Führung, die Sie vermissen, Herr Dr. Vogel, heißt auch: die Kraft, das Notwendige zu sagen, auch dort dafür zu werben,
({7})
wo es nicht bei der ersten Darlegung eingesehen und akzeptiert wird. Das ist ein ständiger offener Meinungsbildungsprozeß. Und da stellen wir uns unserer wirtschaftspolitischen Verantwortung.
Sie sprechen von der Notwendigkeit, die Mittel-und Kleinbetriebe zu fördern. Da haben Sie recht, Herr Kollege Dr. Vogel. Nur, gehen Sie mal in die Mittel- und Kleinbetriebe hinein, vor allem in die lohnintensiven Betriebe. Da werden Sie hören, wie dort über Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gedacht wird.
({8})
Sie kritisieren, Herr Kollege, daß wir mit Begleitgesetzen dabei sind, zusätzliche, sicher für manchen belastende Maßnahmen vorzunehmen.
({9})
Wir müssen sie vornehmen, weil es dringend geboten ist, die Lohnstückkosten nicht noch stärker steigen zu lassen, weil wir erkennen müssen, daß neben den Lohnkosten die Lohnnebenkosten eine drückende Last sind, wenn wir darangehen wollen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({10})
Ich empfehle Ihnen, wenn Sie unsere Sparpolitik kritisieren, folgendes. Da sagen Sie in Ihrer zweiten Forderung: Pfleglicher Umgang mit der Massenkaufkraft. „Ihre Wirtschaftspolitik", werfen Sie dem Bundeskanzler vor, „vernachlässigt konstant die Nachfrageseite." Meine verehrten Kollegen von der SPD, lesen Sie einmal, was dazu das Wirtschaftsgutachten sagt.
({11})
Dort heißt es:
In der Bundesrepublik Deutschland hat die Wirtschaft 1983 ein Stück des Weges aus der Talsohle zurückgelegt.
({12})
Die Inflation ist eingedämmt, wenn auch nicht überwunden. Die unerwartet starke Senkung der Inflationsrate hat für die Umkehr zum Besseren eine zentrale Rolle gespielt, und zwar über den günstigen Einfluß auf die Entwicklung der Kaufkraft des Geldes. Eine wichtige Stütze erwuchs der Wirtschaft aus dem veränderten Verhalten der Konsumenten.
Wissen Sie, was das bedeutet, wenn sich Konsumenten wieder zum Verbrauch entschließen, wenn sich Investoren wieder zu Investitionen entschließen? Das heißt, sie bringen der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung Vertrauen entgegen. Das ist das Echo in der Öffentlichkeit.
({13})
Sie haben monatelang die Öffentlichkeit mit der Behauptung verunsichert, wir wollten uns totsparen, kaputtsparen. Gehen Sie einmal hin, erkundigen Sie sich einmal im Einzelhandel, was jetzt im Weihnachtsgeschäft geschieht. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine breite Vertrauenskundgebung der
Bürger dieses Landes für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({14})
- Zur Außenpolitik werden Sie auch noch voll informiert werden.
Das Gutachten der Sachverständigen sagt weiter:
Die hohe Kaufbereitschaft der Verbraucher wird auch im kommenden Jahr eine der Stützen für die konjunkturelle Erholung sein.
An anderer Stelle wird gerühmt, daß die Verbraucher sogar bereit seien, Ersparnisse aufzulösen, um wieder in den Verbrauch zu gehen. Es gibt überhaupt keine bessere Vertrauenskundgebung für eine Wirtschaftspolitik als den Willen des Investors zu investieren, als die Entschlossenheit des Verbrauchers zu verbrauchen. Das haben wir geschafft, weil wir den notwendigen harten Entscheidungen, denen Sie sich in der alten Regierung und in der Opposition versagt haben, nicht ausgewichen sind, sondern weil wir sie getroffen haben. Monat für Monat werden Sie erleben, wie die wirtschaftliche Entwicklung uns und unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik bestätigt.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ja - und da ist es etwas ruhiger geworden - sich in der Vergangenheit sehr kritisch mit der Wirtschaftspolitik in anderen Ländern auseinandergesetzt, z. B. in England, z. B. in den Vereinigten Staaten. Auch wir sind mit der amerikanischen Hochzinspolitik gar nicht einverstanden. Das hat gestern abend noch eine große Rolle gespielt. Ich kann Ihnen aber sagen: eine Reihe von Staaten, die mehr eine Wirtschaftspolitik machen, so wie Sie sie möchten, wären sehr froh, wenn bei ihnen ein solcher Konsumentenaufbruch da wäre wie in den Vereinigten Staaten und hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({15})
Nein, Ihre wirtschaftspolitischen Konzepte enthalten keine Perspektiven. Sie gehen damit in die Vergangenheit zurück. Sie kommen zu alten Konzepten, die längst als überholt anerkannt sind. Wir aber werden einen Kurs solider Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen. Wir werden dabei auch im Sinne der Ausführungen, die der Bundeskanzler heute zur notwendigen technologischen Entwicklung gemacht hat, dafür sorgen, daß wir mit den Möglichkeiten einer freien Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch im technologischen Bereich die Entwicklungen begünstigen, die wir brauchen, damit wir auch von der technologischen Seite her unsere Probleme, die unverkennbar sind, überwinden. Es würde sich für Sie lohnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, sich doch einmal mit dem vertraut zu machen, was Ihnen Sachverständige von allen Seiten sagen, denn auch eine Opposition kann ja die Kraft haben,
anzuerkennen, daß die Regierung auf dem richtigen Wege ist. Ihre Forderungen von heute, Herr Kollege Dr. Vogel, das ist ein Marsch in die Vergangenheit, das ist ein Marsch in die Sackgasse. Unser Weg führt nach oben, und die breite Öffentlichkeit unseres Landes unterstützt uns auf diesem Wege.
({16})
- Ich sehe, meine sehr verehrten Kollegen, daß Ihr Erwartungshorizont hochgespannt ist. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, sondern möchte nun zu den Fragen der europäischen Politik kommen.
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- Ich finde das wirklich nett! Herr Kollege Schily, Ihre Ausführungen und auch Ihre Zwischenrufe sind immer belebend.
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Es wird für uns schwer sein, Sie hier nach Ablauf Ihrer zwei Jahre Rotationszeit vermissen zu müssen.
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Denn ich gehe ja davon aus, Herr Kollege Schily, daß Sie zu Ihren Erklärungen, die Sie Ihren Wählern gegeben haben, stehen, obwohl ich sehe, daß hier bei den GRÜNEN eine innere Entwicklung vorhanden ist.
({20})
So schlecht scheint es im Deutschen Bundestag also doch nicht zu sein.
({21})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute morgen schon über den Europäischen Rat in Athen berichtet, und ich glaube, daß wir alle die jetzt entstandene Lage zum Anlaß nehmen müssen, Bilanz über die Bemühungen der letzten Monate bei der Vorbereitung dieses wichtigen Europäischen Rates zu ziehen.
({22})
Diejenigen, die die Ergebnisse von Stuttgart kritisiert haben, erkennen heute, daß in Stuttgart eine bedeutsame politische Entscheidung gefallen war. Der Herr Kollege Wischnewski hat das heute ungewollt anerkannt, als er den Vorwurf erhoben hat, das Paket von Stuttgart sei aufgelöst worden. Genau das war es, Herr Kollege Wischnewski. In Stuttgart wurde ein Paket geschnürt, in dem die Notwendigkeiten der europäischen Politik in dieser Zeit zusammengefaßt waren. Aber bitte werfen Sie von der sozialdemokratischen Seite uns nicht vor, wir hätten unsere Rolle als wirtschaftlich stärkstes Land der Gemeinschaft stärker wahrnehmen müssen. Waren Sie es nicht, die immer wieder das Wort vom „Zahlmeister Europas" gebraucht haben?
({23})
Waren Sie es nicht, die glaubten, man könne unseren Gewinn aus der Europäischen Gemeinschaft nur nach der Nettozahler-Position bewerten? Dabei wissen wir doch, daß wir Vorteile aus der Europäischen Gemeinschaft haben: durch den Gemeinsamen Markt,
({24})
durch die gemeinsame Agrarpolitik, durch unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit.
Trotzdem hat die Bundesregierung alles getan, um die Einsicht unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft zu fördern, die Einsicht nämlich, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler in der Europäischen Gemeinschaft sein können. Auch wenn in der Gesamtheit kein Ergebnis erzielt wurde, kann ich Ihnen sagen, daß die Einsicht, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler sein können, heute bei allen Mitgliedstaaten vorhanden ist. Deshalb wird es zu einer Regelung kommen, die unkalkulierbare Risiken von unserem Bundeshaushalt abwendet.
Wir haben uns mit klaren Vorstellungen darum bemüht, die Gegensätze auszuräumen, die es im Agrarbereich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gibt. Ich stimme dem Herrn Kollegen Wischnewski zu: Für Fortschritte in der europäischen Einigung, für europäische Reformbestrebungen ist es dringend geboten, daß Deutschland und Frankreich zusammengehen können. Da ist die Frage der Währungsausgleichsbeträge, ein Problem, das zwischen Frankreich und uns steht. Da wird niemand erwarten, daß wir eine Regelung suchen, die um den Preis einer Einigung die Existenzgrundlage unserer bäuerlichen Familienbetriebe gefährdet.
({25})
Wir haben in Athen in Gesprächen mit dem französischen Präsidenten und seinem Außenminister eine so weitgehende Annäherung in dieser Frage erreichen können, daß ich davon ausgehe, daß dieses Problem den Europäischen Rat, der sich das nächste Mal mit dem Gesamtproblem befaßt, nicht mehr entscheidend behindern wird. Ich halte das für einen bedeutsamen Fortschritt. Dazu müssen wir auch Beiträge leisten, aber wir werden sie nicht auf dem Rücken unserer bäuerlichen Familienbetriebe leisten.
({26})
Meine Damen und Herren, da wir eine Einigung wollen, werde auch ich wie der Bundeskanzler der Versuchung widerstehen, mit dem Finger auf diesen und jenen Partner zu zeigen. Aber wir haben uns dafür eingesetzt, daß in der Überproduktion, die weder finanziell tragbar noch gegenüber den Bürgern vertretbar ist, maßgebliche Einschnitte erfolgen. Wir glauben, daß wir auch zunehmendes Verständnis - und hier sind wir von Frankreich besonders unterstützt - dafür bekommen, daß es nicht
Sinn einer gemeinsamen Agrarpolitik sein kann, die Überproduktion von solchen Milchfabriken zu fördern, die nun wirklich mit Landwirtschaft nichts und mit Geldverdienen alles zu tun haben.
({27})
Wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb fördern, aber nicht die industriell betriebene Landwirtschaft.
Meine Damen und Herren, da müssen wir erkennen, es gibt Staaten, für die die Landwirtschaft eine volkswirtschaftlich noch größere Bedeutung hat als für unsere Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Grund, warum wir bereit gewesen wären, bei bestimmten Einschränkungen zum Beispiel eine Ausnahme für Irland zu machen. Was aber nicht gehen kann, ist, daß wir bei der Milcherzeugung und bei der Getreideproduktion Garantieschwellen einrichten, die eine Überproduktion verhindern und abbauen sollen, und daß gleichzeitig die Gefahren von Überproduktion bei anderen Produkten, vor allen Dingen den Mittelmeerprodukten, entstehen. Es wird also notwendig sein, hier auch ein inneres Gleichgewicht zwischen den Süd- und den Nordprodukten zu schaffen. Niemandem ist im Süden geholfen, wenn im Norden bäuerliche Existenzen gefährdet werden. Das zeigt die ganze Breite der Aufgaben, die hier zu lösen sind.
Mit Recht ist schon von verschiedenen Rednern die Frage des Beitritts Spaniens und Portugals erwähnt worden. Als ich am Freitag - vor dem Europäischen Rat - in Spanien war, hat die dortige Regierung u. a. an unserer Haltung anerkannt, daß wir die Erhöhung der Eigenmittel mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft verbunden haben. Das heißt, wir sind realistisch genug, zu sagen, die Erweiterung durch den Beitritt von Spanien und Portugal ist nicht möglich ohne Erhöhung der Eigenmittel; aber wir sind auch fest genug, zu sagen, nur wenn diese beiden Staaten Mitglieder der Gemeinschaft werden, werden wir uns zur Erhöhung der Eigenmittel bereit finden.
({28})
Das ist eine bedeutsame Garantie für diese beiden Länder. Das ist für sie mehr wert als politische Erklärungen, in denen steht: Es ist beabsichtigt, schnellstmöglich Ihren Beitritt herbeizuführen. Sie wissen jetzt, zur gleichen Zeit werden die Eigenmittelerhöhung und der Beitritt in Kraft treten.
Es hat ja manche öffentlichen Erklärungen und Vermutungen gegeben, es könne Frankreich sein, das sich diesem Beitritt entgegenstellt. Es war für uns eine Bestätigung dessen, was wir wußten, daß der französische Staatspräsident erklärt hat, daß er nicht nur das Ziel habe, in seiner Präsidentschaft die Beitrittsverhandlungen zu Ende zu führen, sondern daß er möchte, daß das schon in den ersten Monaten der französischen Präsidentschaft geschieht. Er kann sich dabei auf unsere Unterstützung verlassen, wie wir überhaupt dazu beitragen wollen, daß die französische Präsidentschaft mit der großen Erfahrung dieses Landes und seiner tiefen europäischen Gesinnung das große Werk der Agrar- und Finanzreform der Europäischen Gemeinschaft bewältigen kann, denn das wäre ein französischer Erfolg genauso wie ein europäischer und dàmit auch ein deutscher Erfolg.
Für uns, meine Damen und Herren, ist die europäische Einigung und sind die Anstrengungen dafür ein Eckpfeiler unserer Außenpolitik. Wir wissen dabei, daß diese europäische Einigung ein Gewinn für den ganzen Westen ist. Für uns ist europäische Einigung Interessenwahrnehmung der Europäer und auch Stärkung der Gemeinschaft der westlichen Demokratien. Für uns ist europäische Einigung nicht das Mittel, sich von den Vereinigten Staaten abzusetzen, sondern mit den Vereinigten Staaten zusammen das Gewicht der Demokratien in der Welt zu verstärken für die Ziele, die uns verbinden.
({29})
Wir werden dieses Zusammenwirken brauchen. Wir werden es für die Phase der internationalen Politik brauchen, die vor uns liegt. Der Artikel, Herr Kollege Wischnewski, auf den Sie abgehoben haben, formuliert, mit welchen Erwartungen wir in die Konferenz des westlichen Bündnisses gehen, wie sich unsere Politik darstellt. Diese Politik wird unter Beweis stellen, daß die gefundene Geschlossenheit des westlichen Bündnisses sowie seine Fähigkeit, das in die Tat umzusetzen, was sicherheitspolitisch als notwendig erkannt wird, der Beginn neuer Bemühungen um Zusammenarbeit und Ausgleich sind und daß es nicht eine Politik der Stärke ist, die einen neuen Kalten Krieg einläuten soll.
({30})
Wir werden durch die Art unserer Politik zeigen, daß diese Entscheidung, die wir - gegen Ihren Widerstand - im Deutschen Bundestag bekräftigt haben, richtig war. Entgegen Ihrer Darstellung, Herr Kollege Wischnewski, war im November nicht über die Stationierung zu entscheiden. In der Regierungserklärung vom Dezember 1979 habe ich - unwidersprochen, von Ihnen unterstützt - sinngemäß gesagt: Drei Länder, das Vereinigte Königreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland, haben sich jetzt schon zur Stationierung bereit erklärt; „jetzt", d. h. im Dezember 1979. Wir haben doch lange darüber diskutiert, was dieser Beschluß bedeutet. Wir waren uns einig, daß er unter der auflösenden Bedingung gefaßt worden ist, daß von der Stationierung nur dann abgegangen werden kann, wenn ein Verhandlungsergebnis vorliegt, das es rechtfertigt, von der Stationierung ganz oder teilweise abzugehen.
({31})
Wir haben diese Entscheidung im November dieses Jahres deshalb nicht getroffen, aber wir haben sie bestätigt. Diese Bestätigung der Entscheidung ist eine Bestätigung der Einheit und Geschlossenheit unseres westlichen Bündnisses. Das gibt uns Selbstvertrauen und Gelassenheit, es gibt uns aber auch die Verantwortung, angesichts dieser sicherheitspolitisch gewonnenen Festigkeit im Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Mitgliedern des Warschauer Pakts deutlich zu machen, daß die Offerte zur vertrauensvollen Zusammenarbeit in allen Be3068
reichen - politisch, wirtschaftlich, kulturell - steht, daß wir in dieser Zusammenarbeit bereit sind, daß wir dazu bereit sind, auch in allen Abrüstungsverhandlungen zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Aber, meine Damen und Herren, die Voraussetzung für konkrete Ergebnisse ist die Mitwirkung beider Seiten. Und fest steht auch: Wir wollen keine Überlegenheit über die andere Seite, aber wir werden auch keine Überlegenheit der anderen Seite hinnehmen - im Interesse des Friedens in Europa und nicht aus Rechthaberei.
({32})
Aus vielen Reaktionen ist deutlich erkennbar, wieviel Nachdenklichkeit auch in anderen politischen Lagern und anderen Teilen Europas hinsichtlich der Ziele, die wir vertreten, vorhanden ist. Ich bin der Auffassung, daß es jetzt notwendig ist, die gewonnene und bestätigte Einheit des westlichen Bündnisses als Grundlage für eine entschlossene Politik zu bewahren: entschlossen, das für die Sicherheit Notwendige auch zukünftig zu tun, entschlossen aber auch, alles zu tun, damit Abrüstung, Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit Wirklichkeit werden.
Da hilft es nichts, Herr Kollege Dr. Vogel, wenn Sie - wie neulich in der Debatte und auch bei anderen Gelegenheiten - den Bundeskanzler rügen, er vertrete unsere Interessen gegenüber den Amerikanern nicht; da sind böse Worte gefallen, die Sie sich einmal sehr genau überlegen sollten. Sie sollten vielleicht beachten, daß der kontinuierliche Meinungsaustausch zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten zu einem Maß an Abstimmung führt, das weit über die Verhandlungsposition in Genf hinausgeht. War es nicht so, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bedeutung der europäischen Abrüstungskonferenz in Stockholm unterstrichen haben, und können wir es nicht begrüßen, daß der amerikanische Außenminister eben diese Bedeutung auch unterstreicht, daß er heute vor der Presse gesagt hat: Wenn man sich im westlichen Bündnis darauf verständigt, daß die Eröffnung der Konferenz wegen dieser Bedeutung auf der Ebene der Außenminister stattfindet, dann wird er nicht fehlen, dann wird er auch dort sein. Wenn Herr Gromyko dort sein wird, dann wird er ihn auch treffen. Meine Damen und Herren, sagen Sie doch dazu einmal etwas! Das ist auch ein Ergebnis gemeinsamer Willensbildung.
({33})
Es ist eben nicht so, daß sich die Entwicklung der Verhandlungen gegen unseren Willen vollzogen hat, sondern die Verhandlungen sind von uns maßgeblich beeinflußt worden.
Nun werden wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben, nicht nur im deutsch-deutschen Verhältnis, sondern auch - ich wiederhole es -- im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, zur Sowjetunion, zu ihren Verbündeten darum bemühen, daß nicht nur der Dialog weitergeht, sondern daß immer wieder verständlich gemacht wird: Wir sind es nicht, die vom Verhandlungstisch aufgestanden sind; es ist die Sowjetunion, die an diesen oder einen anderen Verhandlungstisch zurückkommen muß.
Entscheidend ist jetzt, daß wir durch die Klarheit unserer Positionen und durch die genaue Definition unserer politischen Strategie verständlich machen, daß der Westen geschlossen darum bemüht ist, durch Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung die Sorgen von den Menschen in West und Ost, aber auch die Rüstungslasten von ihren Schultern zu nehmen.
Dabei wird nur derjenige langfristig Erfolg haben können, bei dem Berechenbarkeit seiner politischen Ziele, Absichten und Handlungen garantiert ist. Hier liegt der eigentliche Ansatzpunkt, meine Kollegen von der SPD, für Ihr Aussteigen aus dem NATO-Doppelbeschluß. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Kritik. Niemand sollte sich dagegen stemmen, zu besseren Einsichten zu kommen, aber er muß beachten, was es für ein Land von der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland heißt, wenn in einer als zentral erkannten außen- und sicherheitspolitischen Frage eine wichtige Partei eine Kehrtwendung vollzieht.
Nun wird man sehen, ob es bei der Kehrtwendung aus dem Doppelbeschluß bleibt, oder ob das nur eine Zwischenstufe zu mehr ist. Wir können das nicht wünschen; denn wir meinen es aufrichtig mit unserer Feststellung: Es wird notwendig sein, alles zu tun, um den sicherheitspolitischen Konsens wiederherzustellen. Es hat solche Phasen in der deutschen Außenpolitik immer wieder gegeben, wo man in konkreten Fragen unterschiedliche Punkte hatte und sich hinterher doch wieder vereint hat, um gemeinsam die außenpolitischen und damit nationalen Interessen des Landes wahrzunehmen. Sie werden selbst darüber entscheiden müssen, ob Sie denen in Ihrer Partei Gehör schenken, für die der Ausstieg aus dem Doppelbeschluß nur die Stufe zum nächsten Schritt, dem Ausstieg aus dem Bündnis, ist ober ob sich diejenigen durchsetzen, die zum westlichen Bündnis stehen.
({34})
- Verehrter Herr Kollege Ehmke, Sie sagen: Und das mit den 25 % auf Ihrem Parteitag? Ich fand, daß wir nach einer leidenschaftlichen Diskussion eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Außen- und Sicherheitspolitik gefunden haben. Aber keiner derjenigen, die auf unserem Parteitag eine andere Position über Zeitpunkt der Verwirklichung des Doppelbeschlusses oder die Art der Verwirklichung hatte, hat wie ein Landesvorsitzender Ihrer Partei den Ratschlag gegeben, den Austritt aus der NATO zu wagen. Das ist der fundamentale Unterschied.
({35})
Ich kann Ihnen sagen, daß die Freie Demokratische Partei, nachdem die Entscheidungen getroffen sind, die Außen- und Sicherheitspolitik geschlossen tragen wird. Wir werden zusammen mit unserem Koalitionspartner nicht nur diesen Teil der gemeinBundesminister Genscher
Samen Politik verantwortlich tragen, sondern die gesamte Regierungspolitik, weil wir fest davon überzeugt sind, daß die Politik dieser Bundesregierung, die am 6. März 1983 den Auftrag bekommen hat, die Außen- und Innenpolitik unseres Landes zu gestalten, auf dem richtigen Wege ist, daß sie Erfolg haben wird und daß sie auch in Zukunft die Bestätigung durch die Bürger unseres Landes erfahren wird.
Ich danke Ihnen.
({36})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reents.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Ausführungen von Herrn Genscher im ersten Teil seiner Rede zum Weihnachtsgeschäft und zu ähnlichem mehr ein heimlicher Hinweis darauf sein sollten, daß Herr Lambsdorff nun doch geht und er sich hiermit um das Wirtschaftsministerium bewerben wollte, dann konnte man das ja noch einigermaßen ertragen. Wenn aber gleichzeitig in der Debatte um den Haushalt des Auswärtigen Amtes die Punkte vom Bundesaußenminister nicht angesprochen werden, die, wie Herrn Genscher durchaus bekannt ist, nun wirklich umstritten sind - beispielsweise die NATO-Verteidigungshilfe an die Türkei, beispielsweise die Situation im Nahen Osten, die erwähnt worden ist -, dann finde ich das in der Tat schon weniger erträglich.
({0})
Wir haben zwei Änderungsanträge zu diesem Haushalt gestellt. Der eine betrifft die Streichung der NATO-Verteidigungshilfe, insbesondere die Herausnahme der Gelder für die Türkei; denn wir sind der Meinung, daß auch nach den Scheinwahlen vom 6. November 1983 in der tatsächlichen Situation der Türkei - an Unterdrückung und Folter - keine Änderung eingetreten ist.
Der zweite Änderungsantrag, den wir gestellt haben, zielt auf die Streichung der erstmals im Haushalt 1984 veranschlagten 7 Millionen DM für sogenannte friedenssichernde Maßnahmen im Libanon. Das ist im Verhältnis zu den Gesamtausgaben dieses Haushaltsplanes nicht besonders viel. Aber es geht bei diesem Betrag offensichtlich um eine politische Wegöffnung. Weil das so ist und weil ich meine, daß es wichtig ist, an dieser Stelle etwas mehr zur Situation im Libanon und zum Nahen Osten sowie zu den Ansätzen einer neuen deutschen Außenpolitik in diesem Zusammenhang, wie sie von dieser Regierung verkörpert wird, zu sagen, will ich mich darauf konzentrieren.
Der militärische Aufmarsch der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten und ihr direktes militärisches Eingreifen gegen syrische Stellungen im Libanon am vergangenen Wochenende beschwören einen neuen großen Nahostkrieg herauf. Die Parallelen zu der Entwicklung sind unverkennbar, die vor ungefähr 20 Jahren, am Anfang der Intervention und der Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg sowie der dann folgenden Eskalation des Vietnamkrieges durch die USA, stattgefunden hat. Meines Erachtens kann es nicht beruhigen, wenn der amerikanische Präsident Reagan zu den jüngsten Angriffen auf die syrischen Stellungen nachträglich erklärt, er wolle keinen Krieg gegen Syrien führen. Solche Erklärungen - daran werden sich sicher noch alle erinnern - hat es auch vor dem Grenada-Überfall gegeben: Es werde keine militärische Intervention geben. Man hat gesehen, was man davon hat halten müssen.
Ich meine, daß die Entwicklung - damit kommen wir wieder auf die Raketenstationierung zurück; diese Debatte wird Sie auch nach dem 22. November 1983 weiter verfolgen - nicht nur für die Region selbst bedrohlich ist, sondern angesichts dessen, was in der letzten Zeit in den USA an Strategien der horizontalen Eskalation ausgebraten worden ist, auch für uns. Man stelle sich vor, das ganze Kontingent der Pershing II und Cruise missiles wäre bereits jetzt in Mitteleuropa stationiert, die Entwicklung ginge im Nahen Osten so dramatisch und konfliktträchtig weiter und die USA griffen dort in der gleichen Weise, wie sie das jetzt tun, ein. Ich weiß nicht, ob Sie dann wirklich die Versicherung abgeben wollten, daß das nicht auch irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Feuerbereitstellung und einer möglichen Ingangsetzung der hier stationierten Raketen haben könnte und damit eine Übertragung und auch Ausweitung eines Nahostkrieges auf Mitteleuropa möglich wäre.
({1})
Die multinationalen Friedenstruppen, die durch den Bundeshaushalt mit 7 Millionen DM unterstützt werden sollen, haben sich in den letzten Monaten als ein wohletikettiertes Unternehmen erwiesen, das in der Tat nicht Frieden in den Nahen Osten bringt, hinter dem aber mit grandioser Täuschung der Öffentlichkeit ein militärischer Interventionsplan der USA abläuft. Sie konnten heute in der Presse die Information finden, daß das britische Unterhaus gerade wegen der amerikanischen Angriffe auf die syrischen Stellungen den Beschluß gefaßt hat, das britische Kontingent im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe zurückzuziehen. Man konnte weiter lesen, daß auch der italienische Ministerpräsident Craxi darüber nachdenkt, inwieweit sich Italien noch weiter an den multinationalen Friedenstruppen beteiligt. Ich meine, das sollte in bezug auf diesen Punkt in der Haushaltsberatung eine Rolle spielen.
Die Bundesregierung sollte meines Erachtens schleunigst die beabsichtigte Finanzierung des amerikanischen Krieges im Nahen Osten durch den Bundeshaushalt aufgeben und das Geld statt dessen lieber in die humanitäre Hilfe für den Libanon stecken.
({2})
Es gibt ohnehin schon eine ganze Reihe von Staaten - Kanada, Saudi-Arabien, Großbritannien, Japan und sogar die USA -, die, was die Leistung gegenüber der Flüchtlingshilfeorganisation der
Vereinten Nationen betrifft, mit sehr viel positiveren Zahlen dastehen als die Bundesrepublik.
Ein zweiter Punkt, weshalb ich gesagt habe, daß es nicht nur um die 7 Millionen DM geht, sondern auch um eine Wegöffnung, offensichtlich um eine neue Wende in der deutschen Außenpolitik herbeizuführen, ist folgender: Es gibt in der letzten Zeit sehr beunruhigende Äußerungen aus dieser Regierung, auch Äußerungen, die schon weiter zurückliegen, die belegen, daß man hier Schlimmes erwarten muß.
Man muß Hajo Hoffmann von der SPD-Fraktion dankbar sein, daß er kürzlich in einer Presseerklärung ein etwas älteres Zitat des jetzigen Weltinnenministers Zimmermann aus dem „Bayernkurier" vom April 1982 ausgegraben hat, in dem - ich bitte, das ganz aufmerksam anzuhören - Herr Zimmermann folgendes geschrieben hat:
Unsere westlichen Partner USA, Großbritannien und Frankreich sehen dort
- im Nahen Osten lebenswichtige Interessen für uns, stationieren Schiffe und Soldaten in dieser Region, nur die Bundesregierung leistet sich den Luxus, gar nichts zu tun. Hinter einem Schutzzaun pseudodemokratischer Phrasen drückt sich die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung für unsere Zukunftssicherung.
So Herr Zimmermann im „Bayernkurier".
Viele von Ihnen werden aus der Debatte, die es hier im Bundestag im Mai 1981 gegeben hat, wissen, - wir mußten es nachlesen -, daß der jetzige Bundeskanzler Kohl in ähnlicher Weise davon gesprochen hat, daß es auf die Dauer nicht anginge, daß die USA die Hauptlast des militärischen Gegengewichts in der Golfregion trügen. Er hat in diesem Zusammenhang von einer verstärkten Arbeitsteilung gesprochen.
Was steht uns eigentlich ins Haus, wenn man diese Äußerung aus der Vergangenheit kennt und jetzt weiß, daß erstmals in diesem Bundeshaushalt für 1984 die Kriegsfinanzierung für den Nahen Osten mit beschlossen werden soll?
({3})
Ich hätte es als sehr wohltuend empfunden, wenn dazu einmal etwas vom Bundesaußenminister gesagt worden wäre, ob das, was von Herrn Zimmermann und Herrn Kohl programmatisch hierzu geäußert wurde, tatsächlich auch die Zustimmung in der gesamten Regierung findet.
({4})
Ganz kurz ein dritter Punkt. Die Vorbedingung, um im Nahen Osten wirklich zu einem Frieden zurückzukehren, besteht in der Tat in erster Linie im Rückzug der Streitkräfte aller Nicht-Nahoststaaten aus dieser Region. Sie besteht zweitens darin, daß ein Rückzug aller staatsfremden Truppen aus dem Libanon - das betrifft sowohl Israel als auch Syrien - stattfinden muß, um dort eine Situation herbeizuführen, die auf der Grundlage eines Waffenstillstands und auf der Grundlage frei von äußeren Interventionen stattfindender Verhandlungen sowohl über den innerlibanesischen als auch über den innerpalästinensischen Konflikt tatsächlich eine Friedenssituation herbeiführen kann. Es ist bitter, wenn man heute beispielsweise aus den Worten des hiesigen PLO-Vertreters Abdalla Frangi entnehmen muß, daß die israelische Blutspur von Beirut vor Tripoli auch zu einer arabischen geworden ist. Man sollte, glaube ich, in diesem Zusammenhang, wenn man auch diese innerarabischen Auseinandersetzungen jetzt zur Kenntnis nimmt, aber eines nicht vergessen, woran der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kreisky vor ungefähr drei Wochen in einem Artikel in einer österreichischen Zeitschrift erinnert hat, daß es nämlich in erster Linie die Schuld des Westens ist, wenn die Politik Arafats im Nahen Osten gescheitert ist, daß dies nicht in erster Linie die Schuld der Palästinenser und ihrer inneren Auseinandersetzung, sondern die Schuld derjenigen Staaten ist, die die ganze Zeit die Palästinensische Befreiungsorganisation, die PLO, zu einer Annäherung, zu einer Anerkennung in Richtung auf das Existenzrecht Israels gedrängt haben, die sich gleichzeitig stark und schroff an die Seite Israels gestellt haben, aber nichts haben anbieten können, was tatsächlich das Lebensrecht der Palästinenser in dieser Region hat sichern können.
({5})
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß es hier eben nicht nur um Flüchtlingsprobleme geht, sondern letztlich darum geht, ob auch die Bundesregierung - und zwar auch im Konkreten - bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, eine Politik zu betreiben, die in der Tat darauf angelegt sind, auch die nationale Unabhängigkeit und das nationale Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser mit zu sichern. Ich glaube, daß niemand heute mehr ernsthaft annimmt, daß die Utopie, die im palästinensischen Volk bestanden hat und auch noch besteht, nämlich einen säkularen demokratischen Staat von Juden und Palästinensern gemeinsam im Nahen Osten zu haben, eine Angelegenheit ist, die sich relativ kurzfristig wird verwirklichen lassen. Das macht sie aus meiner Sicht nicht falsch. Aber gerade in der PLO hat es in der letzten Zeit eine Entwicklung, eine Diskussion gegeben, die darauf hinauslief, daß die PLO zu einer Bereitschaft hin gefunden hat, einen unabhängigen palästinensischen Staat auf den West Banks und im Gaza-Streifen zu akzeptieren. Gerade dies aber ist durch die Politik der westlichen Staaten, u. a. auch der Bundesrepublik, immer mehr verunmöglicht worden.
Ich muß zum Schluß kommen. Ich meine, daß Sie unter diesem Gesichtspunkt bei der Verabschiedung dieses Haushaltes und auch bei der Beschlußfassung über unsere Änderungsanträge zu entscheiden haben, ob Sie mit der erstmaligen Zustimmung zu einer Finanzierung des Krieges jetzt im Nahen Osten von westdeutscher Seite aus weiter dazu beitragen wollen, daß die Vernichtung des palästinensischen Volkes, daß die Vorenthaltung der nationalen Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes weitergehen, ob Sie weiter daran festReents
halten wollen, auch den israelischen Expansionismus, der unbestreitbar ist, in Räume arabischen Gebietes hinein zu unterstützen, oder ob Sie mit der Herausnahme dieser 7 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt ein gegenläufiges Zeichen zu setzen bereit sind.
({6})
Ich muß zum Schluß kommen. Ich bedanke mich, daß ich dies kurz ausführen konnte.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Anmerkung zu den GRÜNEN: Wir haben nicht vor, in der Methode tibetanischer Gebetsmühlen immer wieder dieselben Probleme abzuhandeln, sondern wir gehen davon aus, daß wir jetzt andere drängende, wichtige innenpolitische Probleme zu besprechen haben.
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Ich möchte mich jetzt, so wie das der Oppositionsführer Vogel getan hat, zunächst auch persönlich an den Herrn Bundeskanzler wenden. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, es war Ihnen anzusehen, daß es Ihnen nach den Strapazen in Athen, wo wahrscheinlich manchmal in der Art von Teppichhändlern über Mengen und Zahlen gesprochen worden ist, Freude gemacht hat, jetzt zur deutschen Innenpolitik und zu den Daten und Zahlen, die hier vorliegen, Stellung zu nehmen.
Ich glaube, Herr Bundeskanzler, nachdem hier so viel des Lobes über Minister und die Bundesregierung insgesamt war, ist der Zeitpunkt gekommen, auch einmal Ihnen ganz persönlich Dank dafür zu sagen, daß es möglich war, diese Leistung zu erreichen.
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Sie hatten damals die Verantwortung dafür übernommen, daß der Wahlkampf im Frühjahr dieses Jahres von der CDU/CSU mit dem Motto geführt worden war: Wir wollen unserem Volk reinen Wein einschenken; wir sprechen von den Opfern, die zu leisten sind, und wir weisen auf den schweren Weg hin, den wir gemeinsam gehen müssen, wenn wir wieder festen Boden unter die Füße bekommen wollen.
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Ich darf aber noch eines zum Kollegen Wischnewski sagen. Das betrifft jetzt die Abteilung Humor. Herr Kollege Wischnewski, wir alle wissen um den Ernst der Lage. Aber auf die Idee kommen, daß es trotz der Situation nicht mehr möglich sein könnte, gelegentlich auch Humor zu zeigen, kann eigentlich nur ein Sauertopf.
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- Herr Kollege Wischnewski, ich gebe Ihnen einen freundschaftlichen Rat: Lesen Sie zum Thema Humor in ernsten Lagen einmal Martin Luther nach! Dort stehen zu diesem Punkt interessante Dinge.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur finanzpolitischen Wende, von der heute mit Recht schon die Rede war, möchte ich nur noch einen Gedanken nachtragen. Wir schließen jetzt das Haushaltsjahr 1983 ab. Wenn man einmal jeweils die Soll- und Ist-Ergebnisse am Jahresende für die Jahre 1981 und 1982 miteinander vergleicht, dann stellt man fest, daß in diesen Jahren am Schluß die Nettokreditaufnahme jeweils um 10 Milliarden DM höher als das war, was vorher veranschlagt worden war.
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Wir können jetzt beim Haushalt 1983 feststellen, daß trotz der katastrophalen Ausgangssituation, in der wir waren, die Nettokreditaufnahme um Milliarden DM niedriger als veranschlagt ist. Wir verzeichnen nach Abschluß der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß, daß auch für das Jahr 1984 die Nettokreditaufnahme um rund 3 Milliarden DM gegenüber dem gesenkt werden konnte, was noch im Haushaltsvoranschlag enthalten war.
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Sie sehen auch, daß in der mittelfristigen Finanzplanung als Ziel eine Senkung der Nettokreditaufnahme bis 1987 auf nicht mehr 25 Milliarden DM, sondern 23 Milliarden DM angegeben worden ist.
Lassen Sie mich noch eine zweite Anmerkung zu dieser erfreulichen finanzpolitischen Wende machen. Der Finanzplanungsrat hat in der letzten Woche festgestellt, daß die Gebietskörperschaften insgesamt, also Bund, Länder und Gemeinden, ihre Nettokreditaufnahme ebenfalls um 11 Milliarden DM, von 73 Milliarden DM auf 62 Milliarden DM, reduzieren konnten. Besonders erfreulich ist die Situation bei den Gemeinden, wo noch 1982 ein Finanzierungsdefizit in Höhe von 7,5 Milliarden DM zu verzeichnen war. Es ist 1983 auf 3 Milliarden DM gesunken. In der Planung für 1984 ist es auf 1,5 Milliarden DM reduziert.
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Das ist die finanzpolitische Wende, die uns wieder auf festen Boden bringt.
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Nun zum Haushalt 1984: Hier ist schon angesprochen worden, daß zum erstenmal nach drei Jahren das Gebot des Art. 115 des Grundgesetzes wieder eingehalten worden ist. Ich darf hier offen gestehen, daß ich zu denjenigen Abgeordneten in meiner Fraktion gehört habe, die damals die Idee, eine Ver3072
fassungsklage in bezug auf Art. 115 des Grundgesetzes einzubringen, besonders forciert haben. Es gab bei uns auch einige, die schon etwas in die Zukunft sahen und sagten: Um Gottes willen, es könnte doch sein, daß wir demnächst an die Regierung kommen. Sollen wir das wirklich tun? ({9})
Ich erinnere mich noch an eine Sitzung der Fraktion, in der ich dem Fraktionsvorstand zu diesen Zweifeln sagte: Auch wenn wir selber die Regierungsverantwortung haben, wäre es nicht schlecht, wenn man uns an den Mast binden würde, so wie Odysseus es wegen der gefährlichen Sirenengesänge tun ließ. Man könnte ja sonst wieder fröhlich Schulden machen. - Ich muß sagen, es war eines meiner erfreulichsten Erlebnisse, daß der jetzige Bundeskanzler und damalige Fraktionsvorsitzende sagte, gerade dieses Argument - daß wir uns selber damit binden - habe ihn besonders überzeugt; deshalb sei auch er für diese Verfassungsklage.
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Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Walther?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Althammer, da Sie sich j a hier so großartig in Selbstbelobigungen ergehen, darf ich Sie fragen, ob es Ihnen bekannt ist, daß der Investitionsanteil im Bundeshaushalt nur deshalb höher geworden ist, weil Sie a) die BAföGZuschüsse in Darlehen umgewandelt und so getan haben, als seien das Investitionen,
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und b) 3,2 Milliarden DM Inanspruchnahme aus Garantien und Gewährleistungen als Investitionsanteil einsetzen, und sind Sie mit mir der Meinung, daß beides keine Investitionen sind?
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Herr Kollege Walther, wir Fahrensleute kennen diese Dinge j a.
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Erstens. Die Frage, was nun investive Ausgaben sind, wird ja das Verfassungsgericht entscheiden. Sie wissen, daß wir hier bestimmte Vorschriften haben, nach denen wir das einsetzen müssen.
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Zum zweiten, Herr Kollege Walther. Ich wollte eigentlich erst in einem späteren Teil meiner Rede auf den Punkt, von dem Sie geredet haben, zu sprechen kommen. - Schauen Sie, heute vormittag war Ihr Fraktionsvorsitzender Vogel hier und hat versucht, hier wieder diese alten Kamellen zu verkaufen, daß wir jetzt ein neues staatliches Beschäftigungsprogramm auflegen müssen. Zur Begründung hat er angeführt, man könne ja einen Teil des Bundesbankgewinnes dafür in Anspruch nehmen. Das ist jetzt der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie wollen mit diesen Geldern dem Steuerzahler neue Lasten aufbürden - was keinen Erfolg bringt -, wie Sie es jahrelang getan haben,
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und wir haben diese Erträge zum Abbau der Nettoverschuldung verwendet. Das ist der Unterschied. Herr Kollege Walther, vielleicht ist das auch mit ein Grund dafür, warum wir in der kurzen Zeit so beachtliche Erfolge bei der Sanierung der Staatsfinanzen erzielt haben, während Sie seit fünf Jahren ergebnislos an diesem Problem herumlaborieren.
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Herr Abgeordneter Dr. Althammer, Sie haben auch Herrn Löffler zu einer Zwischenfrage angeregt.
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, aber meine Redezeit ist wegen der langen Ministerreden reduziert worden. Ich liebe sonst solche Diskussionen, aber ich kann aus Zeitgründen leider keine weitere Zwischenfrage mehr zulassen. Es tut mir leid.
Ich möchte aber noch zu einem anderen Punkt kurz etwas sagen. Es gibt ja wohlwollende Freunde in der Bundesrepublik, die uns immer wieder gefragt haben: Na, was habt ihr denn mit eurer finanzpolitischen Wende in dieser Zeit schon erreicht? Es hat sich doch eigentlich gar nicht viel bewegt. - Denen müßten wir in allem Ernst und in aller Deutlichkeit sagen: In den wenigen Monaten, in denen die neue Koalition im Amt ist, sind rund 35 Milliarden DM eingespart worden; wenn Sie die Sozialversicherungsträger hinzunehmen, dann sind es über 50 Milliarden DM, die eingespart wurden. Wir wissen alle - ich sage das nicht nur mit Genugtuung -, welche ungeheuren Opfer für unsere Bevölkerung hinter diesen Zahlen stecken und was wir unserer Bevölkerung zumuten mußten, damit diese Einsparungen möglich waren. Aber wir können heute, glaube ich, doch mit Befriedigung sagen, daß sich diese Opfer lohnen.
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- Herr Schily, diese Opfer lohnen sich für unser ganzes Volk. Ich werde Ihnen gleich beweisen, wieso unsere Bevölkerung den Vorteil davon hat.
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Nun aber zu der Frage des Wirtschaftswachstums zwei kurze Anmerkungen.
Wir können erfreulicherweise feststellen, daß die Prognosen gerade in den letzten Wochen und Tagen immer positiver geworden sind. Wenn es so sein sollte, daß wir im nächsten Jahr nicht nur ein Wirtschaftswachstum von 2,5 % haben werden, wie es die Bundesregierung ihrer Finanzplanung zuDr. Althammer
grunde gelegt hat, sondern von 3 %, wie das Ifo-Institut jüngst festgestellt hat, oder vielleicht sogar noch mehr, dann besteht die Hoffnung, daß wir die Nettoverschuldung im kommenden Jahr noch einmal reduzieren können.
Für all die Leute, die die alten Thesen von der Bedenklichkeit des Wirtschaftswachstums heute wieder vorgetragen haben, möchte ich nur einen Hinweis geben. Ohne angemessenes, vernünftiges, reales Wirtschaftswachstum gibt es auch keine finanzielle Sicherung unseres sozialen Netzes.
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Wer gegen Wirtschaftswachstum ist, der soll bitte auch die Konsequenz sehen, daß dann dieses soziale Netz nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Ich möchte jetzt zu dem Hauptproblem unserer Innenpolitik kommen, nämlich zu der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Ich wundere mich manchmal über den Mut, mit dem Kollegen von der SPD heute die gegenwärtige schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Situation vieler Arbeitsloser, insbesondere derjenigen, die länger arbeitslos sind, hier in einer Weise beklagen, als ob die neue Regierung an dieser Situation schuld sei.
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In Wirklichkeit ist es doch so, daß diese Situation von der alten Bundesregierung und von der alten Koalition zu verantworten ist. Es war doch in diesen Jahren so, daß man zuerst die Geldwertstabilität verloren, eine Inflationsentwicklung zugelassen, daß man dann das Wirtschaftswachstum zerstört, dadurch die Arbeitslosigkeit verursacht und daß man schließlich wegen der fehlenden finanziellen Einnahmen einen Schuldenberg aufgehäuft hat, an dem noch unsere Kinder zu tragen haben.
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Erst durch die Politik der neuen Regierung ist es gelungen, diesen verhängnisvollen Trend umzukehren. Aber alle Fachleute wissen, daß bei einer wirtschaftlichen Trendwende - wir sagen: leider - der Arbeitsmarkt erst am Schluß der Entwicklung seine Besserungstendenzen zeigt.
Es ist uns in der ersten Phase gelungen, die Inflation zu stoppen und die Inflationsrate in wenigen Monaten zu halbieren, auf jetzt 2,3 %. Das ist international gerechnet absolute Stabilität. Es ist uns dann als zweiter Schritt gelungen, das Wirtschaftswachstum wieder in Gang zu bringen. Es ist uns schließlich als dritter Schritt gelungen, die Staatsfinanzen wieder auf eine stabile Grundlage zu stellen.
Nun sehen wir Gott sei Dank auf Grund der jüngsten Zahlen der Bundesanstalt in Nürnberg, daß sich auch am Horizont der Arbeitsmarktlage ein Silberstreifen abzeichnet. Ich sage das mit aller Vorsicht; es zeichnet sich ein Silberstreifen ab. Man kann aber, glaube ich, doch nicht daran vorbeigehen, daß wir im Jahre 1983 saisonbereinigt die geringste Zunahme der Arbeitslosenzahlen von Oktober auf November seit dem Jahre 1948 haben.
Noch deutlicher wird die Tendenzwende, wenn wir die Zahlen der offenen Stellen betrachten. Gegenüber einem Vergleichsmonat im vorigen Jahr, nämlich dem November 1982, hat sich die Zahl der offenen Stellen um 35,3 % erhöht.
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Die saisonbereinigten Zahlen der Arbeitslosen in den letzten drei Monaten sind kontinuierlich gesunken. Jetzt sage ich Ihnen, verehrter Kollege, auch die absoluten Zahlen: eine Minderung von über 2,5 Millionen im Januar/Februar dieses Jahres, einem Höhepunkt, auf jetzt 2,2 Millionen.
Noch deutlicher wird diese Trendwende, wenn wir die Situation bei der Kurzarbeit betrachten. Jeder Kundige weiß, daß sich eine Änderung auf dem Arbeitsmarkt immer zuerst bei der Kurzarbeit niederschlägt. Es ist so, daß wir im Vergleich zum November 1982 jetzt im November 1983 eine Minderung der Kurzarbeit um 52 %, also um die Hälfte, haben und allein im Vergleich der Monate Oktober/ November 1983 eine Reduzierung der Kurzarbeit um 10 %. Diese Zahlen sprechen für sich. Sie sagen im Klartext: Der Gesundungsprozeß auf dem Arbeitsmarkt hat begonnen. Und dies alles ohne die verfehlten Rezepte der SPD mit einer staatlichen Beschäftigungspolitik!
Allerdings wissen wir, daß es notwendig ist, diese zarte Pflanze nun sorgsam zu behandeln. Es wird sehr darauf ankommen, wie die Tarifverhandlungen des kommenden Jahres laufen. Es wäre verheerend, wenn z. B. die IG Metall wegen der 35-Stunden-Woche einen Arbeitskampf entfesseln würde.
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Maßvolle Tarifabschlüsse helfen also auch denen, die heute noch Arbeitsplätze suchen.
Die CDU/CSU hat sich bemüht, in umfangreichen Existenzgründungsprogrammen diesen Prozeß, vermehrt Arbeitsplätze zu schaffen, zu fördern. Wir haben mit Genugtuung gesehen, daß die Programme finanziell aufgestockt werden mußten und daß gerade in den letzten Monaten die Existenzgründungen gewaltig zugenommen haben. Der Herr Bundeskanzler hat bereits darauf hingewiesen.
Ich weise aber noch darauf hin, daß die Fraktion der CDU/CSU, hier dankenswerterweise vor allem von unserer Mittelstandsgruppe, voran dem Kollegen Hauser, getragen, einen Gesetzentwurf zur Sparförderung für Existenzgründungen erarbeitet hat. Wir werden als Fraktion diesen Gesetzentwurf im nächsten Jahr dem Parlament vorlegen. Wenn er in Kraft tritt, besteht die Chance, daß durch gezielte Sparverträge zur Existenzgründung in den nächsten zehn Jahren vermehrt Arbeitsplätze geschaffen werden können. Es gibt optimistische Berechnungen, die sagen, daß in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren ungefähr eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, wenn alle zusammenstehen und diese Existenzgründungen fördern.
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Herr Kollege, ich darf noch auf ein anderes Modell hinweisen. Es ist heute wiederholt mit Recht davon gesprochen worden, daß wir ähnlich wie die Japaner und die Amerikaner den Umsatz von Erfindungen auf die praktische Anwendung verbessern müssen. Es ist interessant, daß die Stadt Berlin hier ein Modell entwickelt hat. Wirtschaftssenator Pieroth hat dieses Modell der Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um ein Firmengründungszentrum, das in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin aufgebaut worden ist. Dieses Firmengründungszentrum soll es gerade mittleren und kleinen Unternehmen ermöglichen, Erfindungen und sonstige Erkenntnisse auf der Ebene der Universitäten möglichst schnell in die Praxis umzusetzen.
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle, die Erfahrungen mit diesem Modell gründlich zu studieren. Wenn sie positiv sind, sollten die anderen Bundesländer, vielleicht auch der Bund, diese Idee aufnehmen.
Schließlich hat die Bundesregierung zur weiteren Förderung von Beschäftigung Gesetzentwürfe zur Vorruhestandsregelung eingebracht. Ich darf dazu anmerken, daß gerade unsere Fraktion - unser Fraktionsvorsitzender hat heute vormittag schon darauf hingewiesen - sehr darauf sehen wird, daß mittlere und kleine Betriebe bei diesem Gesetz angemessen berücksichtigt werden.
Schließlich liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen vor. Unser Arbeitsminister Blüm hat weitere Vorschläge zur Erleichterung der Arbeitsaufnahme in Arbeit.
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Wir haben schließlich noch Veranlassung, Herr Kollege, unserem Bundeskanzler dafür zu danken, daß er sich für Ausbildungsplätze in dieser persönlichen Weise eingesetzt hat, wie es noch kein Bundeskanzler vor ihm getan hat, seit wir dieses Problem haben.
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35 000 neue Ausbildungsplätze wurden geschaffen, und zwar für Dauer. Darüber hinaus hat die Bundesregierung ein Sonderprogramm durchgeführt, das noch einmal 8 000 neue Ausbildungsplätze schafft.
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Wir finden, daß dies ein positiver Anfang ist, um dieses schwere Problem in den Griff zu bekommen.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen. Die SPD beklagt immer wieder, wie groß die Opfer seien und wie ungerecht sie aus ihrer Sicht verteilt seien.
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Wenn man sich einmal vor Augen hält, welche Nachteile unserer Bevölkerung aus der ungehemmten Inflationsentwicklung der letzten Jahre erwachsen sind, dann stellen wir fest, daß hier Milliardenbeträge gerade den breiten Schichten unseres Volkes verlorengegangen sind
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Wenn wir weiter wissen, daß es diese SPD-geführte Bundesregierung zu verantworten hat, daß Millionen von Arbeitsplätzen verlorengegangen sind, dann stellen wir fest
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- j a, natürlich, das haben Sie zu vertreten, das ist doch ganz klar -, daß auch hier die Masse unserer Bevölkerung Nachteile erlitten hat, die mit den schweren Opfern, die wir jetzt zur Gesundung zumuten, überhaupt nicht vergleichbar sind. Sie sind viel, viel größer. Es ist ein positives Datum, daß nach drei Jahren einer negativen Einkommensentwicklung, in denen unsere Bevölkerung pro Jahr netto immer weniger an privatem Einkommen zur Verfügung hatte, unsere Bevölkerung im kommenden Jahr zum erstenmal wieder einen Einkommenszuwachs, also eine Vermehrung ihres real verfügbaren Einkommens zu verzeichnen hat.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ist wiederholt über das Problem der Steuerreform gesprochen worden. Kollege Hoppe hat mir vorher gesagt, daß er sich jetzt seiner Besuchergruppe widmen muß. Ich möchte ihm trotzdem sagen, daß wir mit den Äußerungen, die er zu dieser Frage für seine Fraktion abgegeben hat, voll einverstanden sind. Ich darf das noch einmal präzisieren: Priorität Nr. 1 ist für uns die Fortführung der Gesundung der Staatsfinanzen, Priorität Nr. 2 der Abbau der Steuer- und Abgabenbelastung unserer Bürger. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie im Frühjahr des kommenden Jahres die Eckdaten vorlegen wird. Ich sage Ihnen ganz offen zu den Diskussionen, die da über Größenordnungen und über Zeitpunkte stattfinden, meine persönliche Meinung ist die, daß es im Augenblick verfrüht ist, jetzt schon endgültige Zahlen zur Höhe der Entlastung und endgültige Daten zum Inkrafttreten zu nennen.
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Warten wir doch bitte erst einmal die Eckdaten der Bundesregierung ab, sehen wir den Fortgang der Entwicklung, die wir positiv und optimistisch einschätzen, und nehmen wir uns dann vor, wenn wir eine Reform machen, daß diese Reform breiten Schichten unserer Bevölkerung eine fühlbare Entlastung zu bringen hat! Sonst hätte sie nämlich keinen Wert. Wir wollen nicht, daß es uns so geht wie dem damaligen Finanzminister Apel, der nach einer ähnlichen Operation den klassischen Ausspruch getan hat, er denke, es trete ihn ein Pferd.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß für die CDU/CSU zu einer solchen Entlastung auch die familienpolitische Komponente gehört. Wir möchten die Steuergerechtigkeit gegenüber den Familien wieder herstellen; denn wir halten das, was die alte Regierung getan hat, nämlich den Familien, die mehrere Kinder erziehen, keine angemessene steuerliche Entlastung zu geben, für falsch. Wir möchten zu einem klaren dualen System zurückkehren, auf der einen Seite Steuerentlastung für die Familie, auf der anderen Seite ein entsprechendes wirklich ausreichendes Kindergeld für diejenigen, die keine Steuern zahlen.
Wegen der Kürze der Zeit kann ich jetzt zwei wichtige Fragen nur noch in Stichworten ansprechen. Wir müssen uns auch bemühen, die Struktur unserer Ausgaben und unserer finanziellen Verpflichtungen in den nächsten Jahren zu verbessern. In meinen Augen gehört dazu, daß wir uns dem Problem der Privatisierung von staatlichen Gewerbeunternehmen verstärkt widmen. Unser Finanzminister hat einen ersten Schritt getan, indem er eine weitere Teilprivatisierung der VEBA durchgesetzt hat, was immerhin für nächstes Jahr rund 700 Millionen DM als Einnahme für die Staatskasse erwarten läßt.
Meine sehr verehrten Anwesenden, hier ist aber ein prinzipieller Unterschied unserer Fraktion und der FDP zu den Sozialisten. Wir sind nicht der Meinung, daß der Staat gewerbliche Unternehmen in Konkurrenz zu privaten Unternehmen betreiben sollte. Diese sogenannte gemischtwirtschaftliche Ordnung ist nicht unser Vorbild
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- Herr Kollege, darum sage ich - jawohl, Sie haben recht -,
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wir müssen sie abbauen, weil sie nicht erfolgreich ist. Jeder Kollege im Haushaltsausschuß weiß, was wir jährlich an Steuergeldern in Staatsunternehmen hineinzupumpen haben, die einfach nicht florieren. Wir alle kennen die Stoßseufzer vieler Fachkundiger, die sagen: Wenn ein Privatunternehmen so wirtschaften würde wie manches staatlich geführte Unternehmen, dann wäre es längst pleite.
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Deshalb sind wir der Meinung, daß wir hier eine Reprivatisierung einleiten müssen. Wir müssen diejenigen staatlichen Gewerbeunternehmen, die in roten Zahlen stecken, zuvor sanieren. Es wäre wünschenswert, wenn wir damit eine Weiterführung unseres Programms zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand verbinden könnten, d. h. Arbeitnehmer sollten bevorzugt Anteile an solchen Unternehmen erwerben können.
Ich möchte kurz einen zweiten Punkt anschneiden; es handelt sich um den Bereich der Entbürokratisierung. Ich habe auf diesem Sektor einige leidvolle Erfahrungen, weil ich in der 8. Wahlperiode vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl beauftragt worden war, eine Entbürokratisierungskommission zu leiten. Wir waren ganz stolz, daß wir nach Vorarbeiten im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Rechtsbereinigung eingebracht haben. Es gehört zu den Enttäuschungen meines Parlamentarierlebens, daß wir in einer Sache, von der ich glaubte, daß eigentlich alle Fraktionen dieses Hauses einer Meinung sein müßten, bei der damaligen Koalition überhaupt keine Gegenliebe für unsere Bemühungen um Entbürokratisierung gefunden haben.
Nun, nachdem die neue Bundesregierung die Verantwortung übernommen hat, ist eine Kommission unter Herrn Staatssekretär Waffenschmidt gebildet worden - auch er war damals übrigens ein Mitstreiter meiner Kommission -, die die Verwaltungs- und Rechtsvereinfachung in Angriff nimmt. Wir freuen uns außerordentlich, daß diese Kommission bereits erste Zielangaben vorgelegt hat, daß sie das Baurecht entrümpeln will, daß sie das Statistikunwesen - so muß man es schon nennen - einmal aufarbeiten will. Auch das Gewerbe- und das Sozialrecht sollen behandelt werden. Ich weise darauf hin, daß viele Bundesländer auf diesem Sektor vorbildlich gewirkt haben. Ich möchte auch die Gemeinden ermutigen, auf diesem Sektor am gleichen Strang zu ziehen.
Ich weiß, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn von Bürokratie die Rede ist, versucht man manchmal, den öffentlich Bediensteten eine Schuld aufzulasten. Ich kann Ihnen aber sagen: Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes leiden unter der Flut von Gesetzen und Verordnungen genauso wie der Bürger. Auch von dort ist die Forderung nach einer Entbürokratisierung mit Recht erhoben worden.
Wir müssen dahin kommen, daß die Personalkosten in der Zukunft dadurch eingedämmt werden, daß wir die Personalvermehrung stoppen. Der öffentliche Dienst hat bei der Sanierungsaktion große Opfer bringen müssen. Wir anerkennen dies. Ich möchte hier für meine Fraktion sagen: Der öffentliche Dienst, besonders das Berufsbeamtentum, wird in der Zukunft am allgemeinen Zuwachs genauso beteiligt werden wie die Arbeitnehmer des privaten Sektors.
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Wir werden uns also bemühen müssen, durch eine Modernisierung und Rationalisierung die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu steigern. Ich bin überzeugt, daß dies möglich ist. Wir müssen auch die Entlastung der Bürger von einer Überfrachtung mit bürokratischen Gesetzen, Verordnungen, Formularen und sonstigen Belastungen in Angriff nehmen. Wir wissen, daß diese Entbürokratisierung ein Dauerproblem ist und daß wir es nie ganz schaffen können, die unnötigen Zöpfe endgültig abzuschneiden. Wir können immer nur versuchen, die schlimmsten Auswüchse zu bereinigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen als Zwischenergebnis dieses Tages der De3076
batte fest, daß die Bundesregierung und die Koalition auf dem richtigen Weg sind.
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Die neue Finanzpolitik hat in der Bevölkerung Vertrauen geschaffen. Es zeigen sich die ersten Erfolge sowohl im Bereich der Konsolidierung der Staatsfinanzen als auch bezüglich des Wachstums. Wir sehen Wachstumsraten, die uns hoffen lassen, daß es in der Wirtschaft wieder aufwärtsgeht. Und wir haben erste Anzeichen dafür, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann. Unsere Bürger wissen das, unsere Bürger haben Vertrauen zur neuen Regierung, zum Bundeskanzler, und unsere Bürger haben erfahren, daß sozialistische Rezepte in dieser Frage nicht weiterführen, sondern daß uns die Soziale Marktwirtschaft diese Erfolge bringt.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst einige Anmerkungen zu der Erfolgsbilanz machen, die der Herr Bundeskanzler und die Herren Dregger und Genscher vorgelegt haben, weil sie sich auf Indikatoren stützt, die unter Umständen zu falschen Schlüssen führen könnten.
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Vielleicht darf ich das an Hand weniger Beispiele erläutern.
Das erste Beispiel: Es ist behauptet worden, daß seit dem Amtsantritt dieser Regierung die Zinsen zurückgegangen seien. Nun, meine Damen und Herren, seit dem 6. März dieses Jahres sind in der Bundesrepublik die Zinsen um einen Prozentpunkt gestiegen. In allen anderen europäischen Ländern dagegen, mit Ausnahme der Niederlande, sind sie zurückgegangen. Diese Behauptung trifft also nicht zu.
Das Zweite - Sie können das im Sachverständigengutachten nachlesen; das ist die gleiche Quelle, die auch der Herr Bundeskanzler benutzt hat -: Es ist behauptet worden, daß wegen der Preisentwicklung die Realeinkommen gestiegen seien. Nun, das Sachverständigengutachten weist für dieses Jahr bei den Realeinkommen der Arbeitnehmer eine Null aus. Ich will gar nicht auf die Einkommen der übrigen Gruppen unserer Bevölkerung zurückkommen. Das heißt, die Arbeitnehmer haben keinen Pfennig mehr in der Tasche als ein Jahr zuvor. Wo sollte es auch herkommen?
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Das Dritte, die Arbeitslosigkeit. Sie ist schon angesprochen worden. Sicherlich zeigen sich Wirkungen auf die Arbeitslosigkeit nicht von heute auf morgen, aber auch Wirkungen einer verstärkten Investitionstätigkeit zeigen sich nicht von heute auf morgen. Das, was Sie sich heute zugute halten, nämlich eine Investitionsgüterkonjunktur, die allenfalls zaghaft beginnt, ist darauf zurückzuführen, daß es bei der Investitionszulage Bestellfristen gegeben hat, die zu Investitionsgüterkäufen, die am Ende dieses Jahres auslaufen, führen mußten. Das ist die Erklärung.
Schließlich der private Verbrauch. Eine Erhöhung des privaten Verbrauchs bei Stagnation der Realeinkommen kommt einer Entsparung gleich. Die Sparquote ist zurückgegangen. Die Veränderungen des privaten Verbrauchs sind überdies auf Sonderfaktoren zurückzuführen. Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß Mitte dieses Jahres etwa 8 Milliarden DM allein aus Vermögensbildungsanlagen freigeworden sind, die auf den Markt kamen. Es ist sehr ungewiß, ob derartige Einflüsse auch im kommenden Jahr wirken werden. Und der Sachverständigenrat geht tatsächlich davon aus, daß weiter entspart wird. Woher diese Prognosekraft kommt, vermag ich nicht festzustellen.
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Noch eine Bemerkung zu dem, was der Herr Außenminister gesagt hat. Er warf der sozialdemokratischen Partei Opportunismus vor und glaubte, dies am Beispiel Hessens festmachen zu können. Aber wenn die Sozialdemokraten dafür eintreten, mit staatlichen Maßnahmen, die im Bereich der Umwelt privat nicht finanzierbar sind, Arbeitsplätze zu schaffen, und wenn es in Hessen ein Programm „Arbeit und Umwelt" mit dem Ziel gibt, Arbeitsplätze zu schaffen, dann ist das kein Opportunismus, dann ist das doch das Gebot der Stunde.
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Lassen Sie mich nun zu einigen außenwirtschaftspolitischen Überlegungen übergehen.
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- Herr Glos, es ist sehr lieb, daß Sie mir einen Rat geben, aber bitte überlassen Sie die Ausführungen mir.
Ich wollte zu Europa sagen, daß das Bild, das hier gezeichnet worden ist, in seiner negativen Kontur sicherlich zutrifft. Es sieht nicht gut aus, wenn man sich die einzelnen Punkte, die Europa heute bietet, anschaut: Industrien sind am absterben, um deren Erhalt dann das eigene Land in einen Subventionswettlauf eintritt. Der gemeinschaftliche Binnenmarkt bröckelt allmählich ab. Die Gemeinschaft beginnt, sich nach außen abzuschotten. Es gibt immer weniger Unternehmen, die international konkurrenzfähig sind. Wir haben in Europa zersplitterte Forschungs- und Investitionsanstrengungen. Das alles gibt in der Tat nicht sehr zu frohem Mut Anlaß.
Man kann zwar sagen, daß Europa heute sicherlich noch eine Insel des Wohlstands ist. Aber ob sie eine Perspektive hat, ob sie eine Zukunft hat, das ist wohl mehr als fragwürdig. Denn hier fehlt es erkennbar am gemeinsamen Willen, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, weil - wie schon dargeDr. Mitzscherling
stellt wurde - offenbar kurzfristige nationale Interessen, die heute die Gemeinschaft bestimmen, überwiegen. Die Zukunft ist also ungewiß.
Das ist - so muß man es wohl sagen - der Befund nach Athen. Das Paket ist nicht aufgeschnürt worden. Es ist mit all den Problemen und auch mit den Möglichkeiten an Präsident Mitterrand weitergereicht worden, die der Herr Außenminister noch im Juni dieses Jahres angesprochen hatte, nämlich neue Politiken, neue Gemeinschaftsaktionen innerhalb Europas zu entwicklen, die auf mehr technologische, auf mehr wissenschaftliche Zusammenarbeit gerichtet sind; alles Maßnahmen, die sicher notwendig sind und auf die Europa dringend angewiesen ist. Alles das ist hinausgeschoben. Wir werden weiter auf die Einlösung warten müssen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein: Solange es diese zersplitterten Forschungsaktivitäten gibt, solange es an einer Kooperation der europäischen Unternehmen mangelt, solange werden uns die Planungsstrategen des japanischen Ministeriums für Technologie und Industrie und die amerikanischen Konzerne das Leben schwermachen. Wir werden ihnen nicht paroli bieten können.
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Sicherlich, es darf nicht - das hat der Herr Bundeskanzler bemerkt - dazu kommen, daß die Zukunftsprodukte in Japan und in den USA hergestellt und bei uns nur noch angewandt werden. Das würde im Zweifel bei uns zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen führen. Herr Dregger hat diesen Aspekt angesprochen.
Wir unterscheiden uns aber in den Schlußfolgerungen für die Anwendung der geeigneten Politik. Wir sind der Auffassung - das mag Ihnen ordnungspolitisch vielleicht auch sehr gegen den Strich gehen -, daß es in Europa eine zukunftsorientierte Industriepolitik geben muß. Unsere überwiegend mittelständisch orientierten Betriebe werden gegen diese Giganten wohl kaum allein bestehen können. Deshalb begrüßen wir auch die Initiative Frankreichs für eine stärkere wissenschaftliche und industrielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Das, was dem Bundeskanzler vorzuwerfen ist und was ihm vorgeworfen worden ist, ist das Fehlen von aktivem Handeln auch eines oder zweier Regierungschefs allein. Als 1978 das europäische Währungssystem geschaffen worden ist, waren es Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing. Ich möchte wissen, ob nicht heute ähnliche Schritte notwendig wären, und ob der Bundeskanzler nicht gut beraten wäre, diese Schritte zu gehen und sie einzuleiten.
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Denn es ist doch dringend erforderlich, daß Europa
schon deshalb zur Geschlossenheit zurückfinden
muß, damit es nach außen mit einer Stimme sprechen kann.
({7})
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien: Mogeln Sie sich doch bitte nicht an den Unwägbarkeiten vorbei, die das Sachverständigengutachten durchaus deutlich anspricht.
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Diese Unwägbarkeiten liegen in den außenwirtschaftlichen Einflüssen. Eins ist doch wohl sicher, Herr Althammer, daß es nämlich nach wie vor die überhöhten Zinsen sind, die für die Entwicklung unserer Wirtschaft die größte Gefahr darstellen. Es ist nun einmal so, daß dies überwiegend auf die amerikanische Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist.
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Wenn sich die amerikanische Regierung, die wirtschaftliche Führungsmacht des Westens, bei einem Leistungsbilanzdefizit, das jetzt auf 100 Milliarden Dollar zugeht, ein Haushaltsdefizit von 200 Milliarden Dollar leistet, dann lebt sie doch eindeutig über ihre Verhältnisse. Sie finanziert dies mit dem Sparkapital - auch aus der Bundesrepublik -, das sie durch ihr hohes Zinsniveau auf sich lenkt. Trotz des von Ihnen apostrophierten großen Vertrauens, das die neue Regierung hat, haben wir Kapitalabflüsse in die Vereinigten Staaten.
Diese amerikanische Politik ist nicht nur uns gegenüber, sie ist vor allem gegenüber den Ländern der Dritten Welt rücksichtslos. Ich werde dies noch erläutern.
({10})
Wir haben den Herrn Bundeskanzler rechtzeitig vor Williamsburg darauf hingewiesen, daß die amerikanische Wirtschaftspolitik geeignet ist, uns in den europäischen Ländern Schaden zuzufügen; denn die hohen Zinsen hemmen die Investitionstätigkeit, und sie verzögern die Modernisierung unserer Volkswirtschaften. Wenn dies stimmt, dann bedeutet die Hinnahme einer derartigen Entwicklung, daß uns die amerikanische Volkswirtschaft noch weiter vorauseilt und daß wir dabei in diesem Wettlauf weiter zurückbleiben, daß sich der Vorsprung Amerikas vergrößert. Das heißt, daß wir letztlich für eine amerikanische Wirtschaftspolitik zahlen, die sich auf die nationalen amerikanischen Interessen konzentriert, und zwar mit einer Verzögerung der Modernisierung unserer eigenen Wirtschaft.
({11})
Wir hatten den Herrn Bundeskanzler gebeten, daß er gemeinsam mit den anderen Regierungschefs auf eine Änderung der amerikanischen Wirtschaftspolitik hinzielt. Er hat bisher nichts erreichen können.
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Was ist die Folge? Jedes Land schlägt sich heute, allein auf sich gestellt, mit den hohen amerikanischen Zinsen und den Auswirkungen auf das jeweils inländische Zinsniveau herum. Gerade hier wären gemeinsame Aktionen dringend erforderlich. Europa - dies ist möglich - kann sich vom amerikanischen Zinsniveau abkoppeln, aber natürlich nur gemeinsam, nicht allein jedes Land für sich. Deshalb ist der Bundeskanzler aufgerufen, eine entsprechende Initiative zu ergreifen.
Die zweite von außen drohende Gefahr ist die internationale Verschuldungskrise. Sie kann noch immer jederzeit in eine internationale Finanzkrise umschlagen; denn niemand weiß heute, wie sich die Zinsen in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln werden, und niemand kann deshalb auch garantieren, daß die Industrieländer das für die Entschuldung notwendige kontinuierliche jährliche Wachstum von 3 % auch tatsächlich erreichen.
({13})
Noch weniger, meine Damen und Herren, ist abzusehen, ob es nicht im Zuge der Umschuldung der Länder der Dritten Welt, vor allem im südamerikanischen Bereich, eines Tages dazu kommen kann, daß die Bevölkerung dieser Länder unter der Last der Konditionen des Internationalen Währungsfonds diese Entwicklung, diesen Druck nicht mehr länger trägt oder daß das passiert, was Bundesbankpräsident Pöhl gesagt hat: das der „Kessel platzt". Es ist ausmalbar, was das für Konsequenzen haben würde.
Die Verschuldungskrise und ihre Verschärfung ist auch eindeutig eine Konsequenz der erhöhten amerikanischen Zinsen; denn Kreditverlängerungen bekommt man heute nur zu höheren Zinsen. Wer Kredite zurückzahlt, muß bei einem Dollar, der im Verhältnis zur D-Mark bei 2,75 DM angelangt ist, tiefer in die Tasche greifen, er muß mehr dafür aufwenden. Dies ist eine besondere Form der Ausbeutung, nämlich durch hohe Zinsen.
({14})
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir auch hier in Europa, in Deutschland die Konsequenzen dieser Verschuldungskrise in zweifacher Hinsicht zu spüren bekommen. Einmal verlangen die Banken, um ihre faulen Kredite, ihre dubiosen Forderungen abschreiben zu können, höhere Zinsmargen, die wir zu bezahlen haben, die die Schuldner hier in ihren Krediten in Deutschland zu bezahlen haben. Höhere Zinsen bremsen das Wirtschaftswachstum und erhöhen die Arbeitslosigkeit.
({15})
Der zweite Punkt ist, meine Damen und Herren, daß wir auch deshalb für die Verschuldungskrise bezahlen, weil die Entwicklungsländer so verschuldet sind -
Herr Abgeordneter, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen.
Ich darf die Damen und Herren, die jetzt schon zur namentlichen Abstimmung in den Saal gekommen sind, bitten, dem Redner die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Es sind noch ein paar Minuten.
Der zweite Grund, weshalb wir auch im Inland für die Verschuldungskrise selbst zu zahlen haben, ist, daß die verschuldeten Entwicklungsländer weniger als zuvor imstande sind zu importieren. Das bedeutet für uns, daß die Exporte in diesen Raum behindert werden.
Deshalb sind wir der Meinung, daß es zu einer umfassenden Entschuldungsoperation für die Entwicklungsländer kommen muß. Dabei kann man die Kosten für die Altschulden zwischen den Banken, den Industriestaaten und den Schuldnerländern teilen. Wir müssen helfen. Dazu verpflichtet uns auch die Solidarität mit diesen Ländern. Europa kann hierbei nicht abseits stehen. Wir könnten durchaus eine Initiative ergreifen. Auch hier ist die Bundesregierung, ist der Herr Bundeskanzler aufgefordert, sich zu bewegen.
Die dritte Gefahr schließlich, die uns von außen droht, ist der zunehmende Protektionismus. Die Folgen sind oft beklagt worden, und diese immer wieder vorgebrachten Klagen sind nach wir vor richtig. Die Folgen sind nicht nur hohe Arbeitslosigkeit, sondern verzerrte Wechselkurse und damit verzerrte Konkurrenzverhältnisse. Wir kannten das auch in Europa. Ich bin sicher, daß der EG-Binnenmarkt längst wieder in seine alten nationalen Segmente zerfallen wäre, wenn wir nicht das Europäische Währungssystem, wenn wir heute nicht halbwegs stabile Wechselkurse in Europa hätten.
Ich garantiere Ihnen: Je länger die Überbewertung des Dollars dauert, um so stärker wird sich der Protektionismus in Amerika ausbreiten. Deshalb sind wir der Auffassung, daß eine Neuordnung des internationalen Währungssystems mit dem Ziel stabilerer Wechselkursentwicklungen dringend notwendig ist. Stabilere Wechselkursbeziehungen und stabilere Wechselkursentwicklungen, die sich nach den volkswirtschaftlichen Grunddaten richten und nicht nach spekulativen Kapitalanlageentscheidungen, sind notwendig. Sie sind Voraussetzung für ein wieder stärker werdendes Wirtschaftswachstum; denn ohne größere Währungsstabilität bleiben die Risiken einfach zu hoch.
Der Exportwirtschaft fehlen doch zunehmend exakte Kalkulationsgrundlagen. Das gleiche gilt für die Importeure oder diejenigen, die mit den Importeuren konkurrieren. Und unkontrollierbare Wechselkursschwankungen bedeuten nun einmal Unsicherheiten für alle, weil man nicht weiß, wie der Wechselkurs morgen aussehen wird. Das führt zu Unsicherheiten, und Unsicherheiten schlagen sich in Risikoabschlägen nieder.
Um es klar zu sagen: Wir fordern keine Rückkehr zu festen Wechselkursen, sondern wir möchten ein Währungssystem haben, das stabiler ist als das jetzige und das flexibler ist als das System von Bretton Woods. Pläne, die zeigen, wie ein solches Währungssystem mit einer stärkeren europäischen Währung unter Einschluß Großbritanniens im EWS aussehen könnte, liegen auf dem Tisch. Diese Vorstellungen und Überlegungen müssen ernsthaft geDr. Mitzscherling
prüft und diskutiert werden. Auch hier ist Europa aufgefordert, Initiativen zu ergreifen und nicht zu warten, bis irgendwo etwas geschieht und sich alles von selbst einrenkt.
({0})
Dem Herrn Bundeskanzler muß gesagt werden, daß heute eine engere Zusammenarbeit in Europa notwendiger als je zuvor ist. Offensichtlich war aber die Bereitschaft hierzu noch nie so gering wie heute.
Als der Herr Bundeskanzler von Williamsburg zurückkam, sprach er davon, man müsse seine Hausaufgaben machen. Doch mit dem Hausaufgaben-Machen ist das so eine Sache. Damit allein lassen sich die internationalen Probleme nicht bewältigen. Es kann passieren, daß diese internationalen Probleme so groß werden, daß sie dem Hausaufgaben-Machen im Wege stehen.
({1})
Herr Abgeordneter, ich darf Sie noch einmal unterbrechen.
Wenn die Mitglieder einer Fraktion, der auch der Redner angehört, bereit sind, besonders ruhig zuzuhören, handelt es sich um eine besondere Aufmerksamkeit.
({0})
- Was ich hinsichtlich der Ruhe gesagt habe, gilt natürlich für das ganze Haus.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es besteht Einigkeit darüber, daß das Gebot der Stunde eine enge Kooperation ist, und zwar zum einen die Kooperation innerhalb der EG, um die wirtschaftliche Zukunft Europas zu sichern, zum anderen die Kooperation der EG nach außen, um die Gefahren, die von dort kommen und drohen, gemeinsam abzuwehren.
Was wir konkret brauchen, und zwar schnell, ist selbstverständlich das, was heute schon als die Bewährungsprobe für die gegenwärtige Regierung skizziert wurde, nämlich die Reform der Agrarmarktordnung und die Neustrukturierung der EGFinanzen sowie eine europäische Strukturpolitik. Weiterhin brauchen wir Initiativen, um Europa vom amerikanischen Zinsniveau abzukoppeln, und Initiativen für eine umfassende Entschuldungsaktion zur Lösung der internationalen Verschuldungskrise. Was wir schließlich brauchen, sind Initiativen für eine Neuordnung des Weltwährungssystems. Hier muß gehandelt werden. Der Herr Bundeskanzler ist dazu aufgefordert.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Einzelpläne.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - auf. Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Wer Einzelplan 04 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmen will, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Nein", und wer sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die weiße Abstimmungskarte in die Urnen zu legen.
Die Abstimmung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich möchte bitten, daß die Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, sich zur Abstimmung begeben. -Ich ermuntere die Mitglieder des Hauses zum letztenmal, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. In zwei Minuten schließe ich die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. - Wir haben anschließend noch zwei weitere Abstimmungen.
Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - auf den Drucksachen 10/634 und 10/659 bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 469 ihre Stimme abgegeben; davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 267 gestimmt, mit Nein haben 202 gestimmt; Enthaltungen keine.
21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben; davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 11 gestimmt, mit Nein haben 10 gestimmt; Enthaltungen keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 469 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 267 und 11 Berliner Abgeordnete
nein: 202 und 10 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer Austermann
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({0}) Berger
Dr. Blank
Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({1})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({2})
Dr. Bugl
Carstens ({3})
Vizepräsident Stücklen
Carstensen ({4})
Clemens
Conrad ({5})
Dr. Czaj a
Dr. Daniels Daweke
Deres
Dörflinger Dr. Dollinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger Erhard
({6}) Eylmann
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer Fischer ({7}) Francke ({8}) Franke
Dr. Friedmann
Ganz ({9})
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({10}) Gerstein
Gerster ({11})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Günther
Dr. Häfele Hanz ({12}) Hartmann Haungs
Hauser ({13}) Hauser ({14}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({15}) Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn
Jäger ({16})
Jagoda
Dr. Jahn ({17})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({18})
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Dr. Klein ({19}) Klein ({20})
Dr. Köhler ({21}) Dr. Köhler ({22}) Dr. Kohl
Kraus
Dr. Kreile Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({23}) Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Link ({24}) Link ({25}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Lohmann ({26}) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Dr. Marx
Dr. Mertes ({27}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({28}) Müller ({29}) Müller ({30})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({31})
Dr. Riesenhuber Rode ({32}) Frau Rönsch Frau Roitzsch
({33}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({34}) Rühe
Ruf
Sauer ({35})
Sauer ({36}) Saurin
Sauter ({37}) Sauter ({38})
Dr. Schäuble Schartz ({39}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({40})
von Schmude Schneider ({41})
Dr. Schneider ({42}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({43})
Schröder ({44}) Schulhoff
Dr. Schulte
({45}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger Dr. Sprung Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({46})
Vogt ({47})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({48})
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({49}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({50}) Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Dr. Hackel Kalisch
Kittelmann Schulze ({51}) Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn Eimer ({52})
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Grünbeck
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert ({53}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({54})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Weng
Wolfgramm ({55}) Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
fraktionslos
Handlos
Voigt ({56})
Nein
SPD
Amling
Antretter Dr. Apel
Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({57}) Bernrath
Berschkeit Bindig
Frau Blunck Brandt
Brosi
Brück
Buckpesch Büchler ({58})
Büchner ({59})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({60})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({61}) Fischer ({62}) Franke ({63})
Frau Fuchs({64})
Frau Fuchs erl) Gansel
Gerstl ({65})
Vizepräsident Stücklen
Glombig Gobrecht Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase ({66})
Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Heyenn
Hiller ({67}) Hoffmann ({68}) Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker Ibrügger Jahn ({69})
Jansen
Jaunich Dr. Jens
Jung ({70}) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({71})
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Lohmann ({72})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({73}) Müller ({74}) Müller ({75})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({76}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Dr. Penner Peter ({77})
Pfuhl
Polkehn Porzner Poß
Purps
Rappe ({78}) Reimann
Frau Renger
Reschke Reuschenbach
Reuter
Rohde ({79})
Roth
Sander
Schäfer ({80}) Schanz
Dr. Scheer Schlatter Schluckebier
Frau Schmedt ({81})
Dr. Schmidt ({82}) Schmidt ({83})
Frau Schmidt
({84})
Schmidt ({85}) Schmitt ({86})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schröder ({87}) Schröer ({88})
Dr. Schwenk ({89}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Stahl ({90})
Dr. Steger Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Urbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang Voigt ({91})
Vosen
Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen ({92}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
Wieczorek ({93}) Wiefel
von der Wiesche Wimmer ({94}) Wischnewski
Dr. de With Wolfram
({95}) Würtz
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({96}) Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg ({97})
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard
Bastian
Frau Beck-Oberdorf Burgmann
Drabiniok
Dr. Ehmke ({98}) Frau Gottwald
Frau Dr. Hickel
Horacek
Hoss
Dr. Jannsen Frau Kelly
Kleinert ({99}) Krizsan
Frau Nickels Frau Potthast Reents
Sauermilch
Schily
Frau Schoppe Schwenninger
Vogt ({100}) Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider ({101})
Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Hierzu liegen Ihnen Abänderungsanträge auf den Drucksachen 10/744 und 10/745 vor.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/744 ab. Ich rufe zunächst Ziffer 1 dieses Änderungsantrages auf. Wer Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nachdem Ziffer 1 abgelehnt worden ist, ist noch über Ziffer 2 des Antrags auf Drucksache 10/744 abzustimmen. Wer Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt, keine Enthaltungen.
Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion der GRÜNEN, Drucksache 10/745, abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt, keine Enthaltungen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 05 zur Abstimmung auf. Wer dem Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan 05 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 14 auf: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 10/644, 10/659 Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. Stavenhagen Haase ({102})
Dr. Riedl ({103}) Frau Traupe
Kleinert ({104})
dazu:
Zweite Beratung des Art. 20 c des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984
- Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690 und 10/691 3082
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe weiterhin Einzelplan 35 auf:
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksache 10/655 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm Rossmanith
Verheyen ({105})
Zum Einzelplan 14 liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/754 und 10/783 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Einzelpläne 14 und 35 sowie für Art. 20c des Haushaltsbegleitgesetzes eine verbundene Aussprache von zwei Stunden vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die aktuelle innenpolitische Steuerentlastungsdebatte veranlaßt mich, mich zuerst an den Bundesfinanzminister zu wenden. Mit ihm freue ich mich darüber, daß die Nettokreditaufnahme schon für 1983 niedriger ausfällt, als wir dies ursprünglich befürchten mußten.
({0})
Für ein sinnvolles Sparen werden Sie deshalb, Herr Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg, auch unsere Unterstützung erhalten. Aber ich möchte Ihnen, ähnlich wie der Kollege Hoppe heute morgen, doch mitteilen, wie sehr es uns Haushälter aller drei Fraktionen die Sprache verschlagen hat, als der damalige steuerpolitische Sprecher der CDU/CSU-Opposition, Herr Dr. Häfele, in der Sommerpause 1979 für eine baldige Steuerentlastung beim Lohn- und Einkommensteuertarif eintrat. Leider sprang damals wie heute der Wirtschaftsminister zu schnell auf den Zug, gegen den Widerstand seiner FDPHaushaltskollegen Gärtner und Hoppe.
Fast ist es nun eine zu spät kommende ausgleichende Gerechtigkeit, wenn der jetzige Parlamentarische Staatssekretär, eben der Dr. Häfele, beim Bundesminister der Finanzen seinen Koalitionspartner FDP darauf hinweist, daß Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer frühestens 1988 vorgenommen werden können.
({1})
Meine Damen und Herren, damit trifft der Kollege Häfele auf meine Zustimmung. Damals hat er sehr unverantwortlich dabei mitgewirkt, daß die Verschuldung von Bund und Ländern steigt.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, mit dem Amt wächst die Einsicht. Ähnliches trifft auch für seinen
baden-württembergischen Landsmann Dr. Wörner zu. Konnte er als Oppositionspolitiker nicht müde werden, seinem Vorgänger als Bundesminister der Verteidigung, nämlich Hans Apel, zuviel Nachgiebigkeit vorzuwerfen,
({3})
weil er für den Verteidigungsetat keine kräftigere Ausgabensteigerung gegenüber dem Parlament und dem Finanzminister durchsetzen konnte, so könnten wir Sozialdemokraten in der Opposition nun mit der Retourkutsche kommen. Wir sozialdemokratischen Haushälter denken gar nicht daran.
({4}) Im Gegenteil.
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Wörner, Ihrem Parlamentarischen Staatssekretär, allen Mitarbeitern, dem Generalinspekteur und den Inspekteuren der Teilstreitkräfte für die sachliche und faire Zusammenarbeit in den letzten zwölf Monaten bedanken.
({5})
Wir haben es als positiv empfunden, daß Sie bei Ihrem gewiß komplizierten Etat immer sehr früh den Haushaltsausschuß informieren.
Dies allerdings hindert mich nicht, für meine Fraktion erhebliche Kritik an dem von Ihnen präsentierten Verteidigungsetat 1984 und den Veränderungen durch die Regierungskoalition vorzubringen und dem Plenum zu empfehlen, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen.
({6})
Vor 200 Jahren wirkte in Rußland ein tüchtiger Soldat und angesehener Staatsmann, Grigorij Alexandrowitsch Potemkin. Er besaß wie Sie, Herr Bundesverteidigungsminister Dr. Wörner, ein starkes Engagement für die staatliche Gemeinschaft, aber leider auch die Neigung zum Bluff.
({7})
Es gefiel den Soldaten und zivilen Bediensteten schon gut, daß Sie ihnen nach Ihrem Amtsantritt immer wieder verkündeten, der Mensch habe nun in der Bundeswehr Vorrang vor der Technik und dem militärischen Gerät. Nichts ist jedoch ein besserer Maßstab für den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen als die nüchternen Haushaltsansätze:
Schon der Regierungsentwurf vom September sah Steigerungen von 6 % bei den verteidigungsinvestiven Ausgaben und nicht einmal 0,7 % bei den Personalausgaben vor. Doch auch diese minimale Steigerungsrate wird nach den Beschlüssen der Haushaltsausschußmehrheit nicht mehr existieren. Zwar werden 520 neue militärische Planstellen - davon 250 zum Abbau des Verwendungs- und Beförderungsstaus genehmigt - denen wir ausdrücklich zustimmen. Aber tatsächlich bedeutet die halbjährige Stellenbesetzungs- und Beförderungssperre für 1984, daß davon auch - jetzt zitiere ich Frau Traupe
„Planstellen von Soldaten ab einschließlich Besoldungsgruppe A 15 aufwärts" betroffen sind.
Welcher Bluff wird hier fabriziert,
({8})
wenn im Haushalt 1984 zwar neue Stellen zur Milderung des Beförderungsstaus geschaffen werden, aber durch die nun auch für Zeit- und Berufssoldaten geltende halbjährige Beförderungssperre nach dem Ausscheiden von Generälen, Obersten und Oberstleutnanten auch Hauptleute und Leutnante auf ihre Beförderung warten müssen. 1984 werden in jedem der Halbjahre etwa 90 Soldaten in den Besoldungsgruppen zwischen A 15 und B 9 ausscheiden. Diese Tatsache hätte normalerweise knapp 600 Beförderungen und Einweisungsmöglichkeiten pro Halbjahr bewirkt. Nun wird dies jedoch für wenigstens 1 000 Betroffene bedeuten, daß sie noch ein halbes Jahr länger auf ihre Beförderung warten müssen. Damit aber hebt sich der Vorteil auf, der mit den 250 neu geschaffenen Stellen zur Bekämpfung des Verwendungsstaus erreicht werden sollte.
({9})
Fast zynisch muß das Postulat „Der Mensch hat Vorrang" in den Ohren der jungen Wehrpflichtigen klingen. 1984 sollen gut 19 Milliarden DM für Personalausgaben aus dem Einzelplan 14 erbracht werden,
({10})
davon aber nur 836,7 Millionen DM, also 4,3 %, für den Wehrsold und Zulagen der Grundwehrdienstpflichtigen. Angesichts der teilweise gewaltigen Steigerungsraten bei Rüstungstiteln kämpfen wir Sozialdemokraten mit noch größerer Entschiedenheit für die Anhebung des Wehrsolds zum 1. Januar 1984 und legen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor.
({11})
Wäre dieses Parlament nicht so festgefahren in seinem Fraktionsdenken, wäre es nicht so festgefahren in seinem formierten Handeln nach Regierungs- und Oppositionsrolle, so würden Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, mit uns für die Anhebung des Wehrsolds und gleichzeitig für maßvolle Einsparungen im Rüstungsetat stimmen.
({12})
Schließlich ist es doch auch Ihr Postulat, Herr Biehle: „Der Mensch hat Vorrang."
Die zivilen Bediensteten der Bundeswehr - im Ministerium selbst, in den Wehrbereichs- und in den Standortverwaltungen oder beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung - haben bereits in den vorangegangenen Jahren Zweifel an der Bonner Politik gehegt. Mehr als 6 440 Arbeitsplätze werden bis zum 31. Dezember 1983 in allen Aufgabenbereichen eingespart sein. Das heißt, 6 440 Beamten-, Angestellten- und Arbeitertitel fallen weg. Allein 1983 werden es 1 712 Stellen sein, 58 im höheren, 163 im gehobenen, 611 im mittleren und 22 im einfachen Dienst.
({13})
858 Arbeiterpositionen können nicht wiederbesetzt werden.
({14})
Nun werden die verbleibenden Bediensteten zusätzlich durch die Null-Runde bei den Gehältern und durch die halbjährige Besetzungssperre voll getroffen.
Ca. 1 800 Beamte, 340 Angestellte und 640 Arbeiter werden 1984 entweder später eingestellt oder später befördert werden.
({15})
Geradezu unverantwortlich wäre die halbjährige Besetzungssperre bei den Bundeswehrhochschulen. Die bereits erfolgten Stelleneinsparungen haben dazu geführt, daß das hochschuldidaktische Zentrum in München aufgelöst wurde und Einschränkungen beim Kleingruppenkonzept vorgenommen wurden, was bei der knappen Studiendauer von drei bis dreieinhalb Jahren besonders schlimm ist. An der Bundeswehrhochschule München haben 1982 4 Professoren und 51 wissenschaftliche Mitarbeiter gewechselt. Bedenkt man, daß 75 % aller wissenschaftlichen Mitarbeiter Zeitverträge besitzen, so könnte dies bedeuten, daß bei Einführung der halbjährigen Wiederbesetzungssperre stets ein Achtel aller wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen nicht besetzt ist.
({16})
Die Bundeswehrhochschule Hamburg befürchtet, daß 1984 mehr als 60 Planstellen jeweils für ein halbes Jahr unbesetzt bleiben. Dies kann gar nicht im Interesse der studierenden Soldaten sein. Müßten sie aus diesem Grunde ihr Studium gar verlängern, sparte der Bund am Ende kein Geld, sondern zahlte noch drauf. Wollten Sie das wirklich, Herr Carstens, Herr Hoppe und Herr Dr. Riedl?
Meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, sie bestrafen den Verteidigungsminister noch zusätzlich. Im gesamten Bundeshaushalt 1984 sollen nach Ihren Vorstellungen 60 Planstellen eingespart werden, allein 50 davon im Einzelplan 14. Es lohnt sich, den Text der Haushaltsausschußdrucksache zum Bundeshaushaltsgesetz vorzulesen: Dem Bundesminister der Verteidigung wird aufgegeben,
beim Haushaltsvollzug 1984 50 Planstellen und Stellen zu erwirtschaften und zum Jahresende in Abgang zu stellen. Die Einsparung kann anteilig auf die Organisationsbereiche des Einzelplans 14 aufgeteilt werden. Das Kapitel 14 21 ist höher zu belasten als die übrigen Bereiche.
Ich füge an: Das Kapitel 14 21 betrifft das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz.
({17})
Leistet man dort keine gute Arbeit?
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Traupe?
Aber j a, ich gestatte sie.
Herr Biehle, bitte.
Sehr verehrte Kollegin Traupe, würden Sie mir nicht zustimmen, wenn ich feststelle, daß der Beförderungs- und Verwendungsstau in der Bundeswehr eine Erbschaft ist, die wir von dem Vorgänger im Ministeramt, der von Ihnen gestellt wurde, übernommen haben, und daß im Gegensatz zu Herrn Apel und anderen Bundesminister Dr. Wörner der erste war, der hier Schritte getan hat, die dazu geführt haben, daß, wenn auch dieser Haushalt verabschiedet sein wird, in der Bundeswehr mehr als 2 000 Beförderungen in zwei Jahren - 1983/84 - möglich werden?
Herr Kollege Biehle, ich stimme Ihnen darin zu, daß der Beförderungs- und Verwendungsstau durch die ungünstige Altersstruktur, die wir bei den Berufssoldaten haben, und durch die Zahl der Berufssoldaten entstanden ist. Dies ist ein Erbe,
({0})
das zunächst Sie, dann die Große Koalition und danach die sozialliberale Koalition verursacht haben.
({1})
Ich muß Ihnen sagen: Zwar haben Sie mich immer als sparsame Haushälterin beschimpft, aber bevor die Regierung wechselte, hatte der beamtete Staatssekretär Dr. Hiehle auf unseren ausdrücklichen Wunsch hin den Auftrag, einmal zu überlegen, was man denn nun wirklich ernsthaft gegen den Beförderungs- und Verwendungsstau machen könne. Deswegen haben wir 1983 und auch jetzt, für 1984, ausdrücklich zugestimmt. Dies ist eine gemeinsame Erblast, die wir tragen.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja, wenn es mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Nein, auf die Zeit wird es angerechnet.
Nun gut. - Bitte, Herr Biehle!
Sehr verehrte Kollegin Traupe, würden Sie mir dann, wenn Sie die Altersstruktur für damals anführen, nicht darin beipflichten, daß dies natürlich auch jetzt die Grundlage der Debatte ist und daß jetzt nicht dem Minister Dr. Wörner und der Regierung der Vorwurf gemacht werden kann, es geschehe nichts?
Ich hätte Ihnen bis zu dem Tage zugestimmt, an dem dieser Haushalt im Verteidigungsausschuß beraten wurde, denn da war nicht von einer halbjährigen Beförderungssperre die Rede. Nun haben wir diese halbjährige Beförderungssperre, und damit wird im Grunde das konterkariert, Herr Biehle, was wir gemeinsam an Beförderungsstellen zu erreichen versucht haben.
({0})
Das war nicht unsere Idee!
({1})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Würzbach, die Situation ist einfach die: Wenn Sie einen A 15-, A 16-oder B 3-Mann nicht befördern können, können Sie auch darunter die Leute nicht nachrücken lassen.
({2})
Dies haben die anderen schon begriffen, keine Bange.
({3})
Der Herr Abgeordnete Dr. Klejdzinski würde gern noch eine Zwischenfrage stellen.
Nein, es tut mir leid, Herr Klejdzinski, die Zeit reicht dafür nicht.
Der Bundesminister Dr. Wörner hat einen Pyrrhussieg erzielt.
({0})
Seinen Kampf um eine weitere B 11-Stelle für einen dritten beamteten Staatssekretär muß er teuer bezahlen.
({1})
Wird ein noch so qualifizierter neuer Mann es rechtfertigen, daß 50 andere Arbeitsplätze nicht mehr besetzt werden können?
Eine effizientere Organisation des öffentlichen Dienstes und damit auch des Bundeswehrbereichs würden wir schon unterstützen, aber Strafaktionen gegen die zivilen Bediensteten im Verteidigungsbereich verantworten Sie ohne die Stimme der Sozialdemokratie.
({2})
Übrigens haben Sie ja einen Bündnispartner, nämlich die GRÜNEN, die ja noch weitergehende EinFrau Traupe
sparungen auf dem Personalsektor vornehmen wollen.
({3})
Herr Bundesminister Dr. Wörner, wie ist das mit Anspruch und Wirklichkeit? Warum haben Sie dann, wenn Sie schon mit Ihrem Etat so massive Einsparungen bei den Personalausgaben erbringen, nicht den Mut, zu hohe Steigerungsraten bei militärischen Beschaffungen sowie bei Forschung und Entwicklung abzulehnen? Sollte der Verteidigungshaushalt 1984 nach den abgestimmten Vorstellungen des Finanzministers und des Verteidigungsministers um 2,8% steigen, so konnten sich die Haushaltsausschußkollegen der Koalition immerhin nicht der Tatsache verschließen, daß bei den Beschaffungsansätzen Kürzungen in Höhe von mehreren hundert Millionen DM möglich gewesen wären. Der Mut reichte freilich, Herr Kollege Dr. Weng, nur zu 181 Millionen DM,
({4})
obwohl das Bundesverteidigungsministerium selbst innerhalb nur weniger Wochen zugeben mußte, daß beim Tornado 385 Millionen DM und bei Alphajet 40 Millionen DM eingespart werden können.
({5})
- Wir wollen uns also, Herr Kollege, nicht über die Szene streiten, die wir zusammen auf der Hardthöhe erlebt haben.
Herr Bundesfinanzminister, warum haben Sie sich nicht noch stärker eines Ihrer Vorgänger erinnert? Ich meine den Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß,
({6})
der in der Großen Koalition mutig für Kürzungen im Verteidigungsetat kämpfte, um die Bundesfinanzen zu sanieren. Dr. Stoltenberg war j a selbst Mitglied dieses Kabinetts und Zeuge der Auseinandersetzungen zwischen dem Verteidigungsminister Schröder und dem Finanzminister Strauß.
({7})
Warum, Herr Dr. Stoltenberg, fiel Ihnen vor allem die Haushaltssanierung im sozialpolitischen Bereich ein? Lag es eventuell an Ihrem jetzigen Koalitionspartner, der auch einmal unserer war? Haben Sie und Ihre Beamten denn nicht gesehen, daß einige Beschaffungstitel von 1983 auf 1984 um 15%, um 20 %, um 30 % oder gar um 50 % steigen sollen, obwohl das Finanzministerium bei der Haushaltsführung 1983 auch im Rüstungsbereich zugegebenermaßen sparsam gewirtschaftet hat? Ich freue mich, daß es nun auch der Hardthöhe gelungen ist, endlich das zu bewahrheiten, was ich seit zwei Jahren gefordert habe. Damals waren freilich Herr Würzbach und auch Herr Dr. Wörner immer noch dagegen gewesen. Wie verantworten Sie es gegenüber der Öffentlichkeit, Herr Bundeskanzler - Dr. Kohl er ist gerade nicht da -, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe zu kürzen, aber z. B. bei der Beschaffung von Fahrzeugen den Ansatz
1984 um mehr als 50 % gegenüber 1983 anzuheben? Meine Kolleginnen und Kollegen, von 480 Millionen DM sollen es 730 Millionen DM werden, also zusätzlich 250 Millionen DM.
({8})
Wir Sozialdemokraten befürworten ebenfalls die Beschaffung der neuen Fahrzeuggeneration sowie von Spezialfahrzeugen, doch wir meinen, eine Anhebung des Ansatzes um 120 Millionen DM oder 25 % auf 600 Millionen DM wäre schon sehr viel, würde außerdem den deutschen Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze garantieren und die Anhebung des Wehrsolds ab dem 1. Januar 1984 ermöglichen.
Meine Damen und Herren, nur die Zeit erlaubt es mir nicht, Ihnen noch mehr von unseren vorgeschlagenen Einsparungen zu erzählen. Sie dürfen uns aber abnehmen, daß wir sozialdemokratischen Haushaltsausschußmitglieder sorgfältig zugesehen haben, wo Einsparungen verantwortbar sind. Da sind wir halt noch mal bei einer Summe von über 600 Millionen DM angekommen. Ihre weitergehenden Vorschläge, Herr Kollege Kleinert, sind zwar originell, aber unrealistisch; sie würden unsere Verteidigungsfähigkeit zur Farce werden lassen. Es mag j a ganz lustig sein, wenn die Soldaten und die zivilen Bediensteten langsam ins Greisenalter kommen, aber das ist dann auch zu teuer.
Auf der anderen Seite wollen wir aber Mehrausgaben bei Titeln vornehmen, die den Menschen in der Bundeswehr zugute kommen.
({9})
Wir wollen erreichen, daß die Wehrsoldanhebung mit 120 Millionen DM bezahlt werden kann. Wir wollen erreichen, daß endlich die langjährige Forderung nach einer zweiten freien Heimfahrt für versetzte Berufs- und Zeitsoldaten erfüllt wird.
({10})
Wir hätten bei den 2,6 Millionen DM noch so viel Geld übrig, daß wir den Betrag für Nachhilfeunterricht für Schüler, die mit ihrem Vater den Wohnort wechseln mußten, anheben könnten.
({11})
Wir wollen erreichen, daß durch die Aufstockung der Bewachungskosten um 5 Millionen DM 1 600 zivile Wachmänner nicht entlassen und andererseits die Soldaten durch zusätzliche Wachzeiten nicht noch mehr belastet werden.
({12})
- Das war der Koalitionspartner. Ich weiß das sehr wohl. Das war ein Hobby von Herrn Dr. Zumpfort. - Wir wollen die Aufstockung der Bauinvestitionen um 100 Millionen DM für 1984, um die erforderlichen Unterbringungsmaßnahmen schneller durchzuführen und den regionalen Bausektor besser auslasten zu können.
Zuletzt möchte ich ein Wort zur Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte und zu dem zur Verfügung stehenden Geld generell sagen. Meine Damen und Herren, nicht allein die ständig wachsenden Mili3086
tärausgaben haben zur Krise der öffentlichen Haushalte in Ost und West geführt, aber sie haben dabei entscheidend mitgeholfen. Die Glaubwürdigkeit der demokratischen Systeme wird auch von unserem nachweisbaren Bemühen um Ausgabenbegrenzung im militärischen Sektor bestimmt. Tatsächlich aber werden 1984 die NATO-Staaten und Frankreich zusammen die Rekordsumme von mehr als 1 Billion DM für diesen Sektor ausgeben. Doch schon hören wir aus Brüssel, das nächste NATOInfrastrukturprogramm müßte eigentlich fünfmal, aber wenigstens dreimal so hoch ausfallen wie das für die Jahre 1980 bis 1984 geltende. Ernsthaft kann die Weltmacht USA doch nicht erwarten, daß die anderen NATO-Partner einen so hohen Anteil am Bruttosozialprodukt für die Verteidigung ausgeben und damit auch ihre Haushaltsdefizite noch mehr in die Höhe treiben. In den Vereinigten Staaten befürchten Wirtschafts- und Finanzfachleute für 1988, wie Sie Ihrer Hauszeitung „Die Welt" entnehmen konnten, eine Bundesschuld in Höhe von 2,6 Billionen Dollar, d. h. mehr als 7 Billionen DM.
({13})
Sie hätte sich dann seit Beginn der Reagan-Präsidentschaft, Herr Kollege Dr. Friedmann, von 1981 bis 1988 verdreifacht.
({14})
Um dies zu verhindern, empfiehlt Herrn Reagans
jetziger Wirtschaftsberater Feldstein die Einfüh) rung einer Notsteuer und massive Haushaltskürzungen auch im Wehretat. Manchmal versuche ich, mich in die Sorgen amerikanischer Haushaltskollegen hineinzudenken. Was alles müssen sie hinnehmen, um 1984 249,5 Milliarden Dollar oder mehr als 670 Milliarden DM für den militärischen Bereich aufzubringen?!
({15})
Die Nordamerikaner wie die Westeuropäer könnten - im Gegenteil - Geld sparen, wenn sie in der militärischen Forschung und Beschaffung zu einer besseren Kooperation gelangten.
({16})
Für den Bedarf aller NATO-Partner, einschließlich Frankreich, haben wir nämlich sowohl in den USA als auch in Westeuropa viel zu große Rüstungskapazitäten. Welchen Sinn macht es eigentlich, daß wir vier verschiedene moderne Kampfpanzer konkurrierend in der NATO bauen und noch an Drittländer - unter Preis - verkaufen?
({17})
Man denke nur an das Beispiel Schweiz. Warum schaffen wir es nicht, uns die Aufgaben im Luftwaffenbereich zu teilen? Wenn wir nun eine neue Hubschraubergeneration und ein neues Kampfflugzeug bauen müssen: Warum kann das nicht partnerschaftlich und geldsparend auch mit den USA geschehen?
({18})
Wer das Bündnis stärken will, muß sich um eine sorgfältige, kostensparende Zusammenarbeit bemühen und darf nicht immer mehr Geld für den militärischen Bereich ausgeben wollen.
({19})
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit hier überhaupt kein falscher Eindruck entsteht: Die Schulden des Bundes wachsen auch unter dieser CDU/CSU/FDP-Regierung. Sie sind am Ende dieses Jahres auf 340 Milliarden DM gestiegen. Sie werden auch 1984 um mehr als 30 Milliarden DM anwachsen. Wachsende Rüstungsausgaben passen da nicht in die Landschaft. Deshalb lehnt die SPD den vorliegenden Verteidigungsetat ab.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stavenhagen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin Traupe hat hier Herrn Potemkin in die Haushaltsberatungen eingeführt. Und in der Tat, an Herrn Potemkin und seine Dörfer fühlte ich mich erinnert, als ich Ihren Antrag las.
({0})
Dieser Antrag tut so, wie wenn Sie 13 Jahre nicht regiert hätten.
({1})
13 Jahre haben Sie nichts für den Abbau des Verwendungsstaus getan, und jetzt motzen Sie hier herum.
({2})
Apropos Potemkin: Schauen Sie doch bitte noch einmal nach, was Sie 1975 und 1981/82 im sozialen Bereich der Soldaten gemacht haben. Jetzt halten Sie hier die Fahne der Wehrsolderhöhung hoch. Dazu will ich Ihnen einmal etwas sagen: Wenn wir jetzt keine Wehrsolderhöhung vornehmen, dann machen wir das doch nicht aus Jux.
({3})
Die notwendigen Einsparungen im Sozialbereich nehmen wir doch nicht aus Jux vor. Das machen wir, weil wir das in Ordnung bringen müssen, was Sie uns hinterlassen haben. Deswegen haben wir jetzt keinen finanzpolitischen Spielraum.
({4})
Sie haben bezweifelt, daß wir den Menschen in den Mittelpunkt des Verteidigungsetats gestellt
hätten. Ich erinnere daran, daß wir - im Gegensatz zu Ihnen - schon 1983 und 1984 wieder etwas für den Abbau des Verwendungsstaus getan haben. Ich erinnere daran, daß wir Soldaten, einschließlich der Besoldungsgruppe A 14 - das ist bis zum Oberstleutnant -, ebenso wie die Zivilbediensteten, die in Verbänden und Dienststellen der Streitkräfte Dienst tun, von der halbjährigen Beförderungs- und Besetzungssperre ausgenommen haben.
Herr Abgeordneter Stavenhagen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Nein. - Wir haben die Anzahl der Plätze für Längerdiener bei konstanter Gesamtzahl der Angehörigen der Bundeswehr um 4 500 erhöht; wir haben die Zahl der Wehrübungsplätze um 1 000 erhöht; wir haben 685 zusätzliche Stellen für Auszubildende in der Bundeswehr bereitgestellt. Dies ist eine ganze Menge. Es gilt nach wie vor - das wird im Haushalt 1984 deutlich -: Der Mensch steht im Mittelpunkt.
Meine Damen und Herren, im Sozialbereich sind im Einzelplan 14 70 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt worden. Dadurch ergeben sich fast 3 Milliarden DM. Es ist überhaupt keine Frage, daß man in dem einen oder anderen Bereich mehr tun könnte, ja, auch mehr tun müßte. Aber wir müssen uns eben immer wieder die Situation vor Augen halten, die wir angetroffen haben.
({0})
Im Gegensatz zu Ihnen hielt sich unser Haushalt 1983 genau im Rahmen der Planung. So etwas haben Sie jahrelang nicht mehr geschafft.
Im Haushalt 1984 haben wir die Voraussetzungen des Art. 115 des Grundgesetzes eingehalten, und von der Vorlage des Haushalts bis heute haben wir die Neuverschuldung um weitere 3 Milliarden DM absenken können. Das schafft Spielraum, um das Notwendige in der Zukunft zu tun. Deswegen müssen wir im öffentlichen Dienst insgesamt, im sozialen Bereich und in dem einen oder anderen Fall auch bei den Soldaten etwas, was wir gern täten, jetzt unterlassen.
({1})
- Herr Kollege, meine Zeit ist knapp. Ich kann jetzt keine Zwischenfragen zulassen.
Ich möchte auf einen dritten Punkt hinweisen. Sie haben beklagt, daß wir nichts für die zweite Familienheimfahrt gemacht hätten. Sie wissen genauso gut wie wir, daß hierfür eine Änderung des Bundesumzugskostengesetzes und eine Änderung der Trennungsgeldverordnung notwendig wären. Dem haben die Bundesländer widersprochen, weil sie Berufungsfälle für die Länder befürchten. Das waren übrigens nicht nur die CDU-regierten, sondern genauso die SPD-regierten Länder.
Wir haben im Haushaltsausschuß eine Entschließung verabschiedet, die die Bundesregierung auffordert, dies so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen. Der Verteidigungsminister hat zugesagt, daß dies, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, innerhalb des Plafonds des Haushalts 1984 möglich ist. Aber die gesetzlichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden. Dies wird hoffentlich bald der Fall sein.
Wenn wir trotz des engen Finanzrahmens den Kampfwert der Bundeswehr erhöhen konnten - wir tun das durch die Prioritätensetzung beim Personal über Betrieb, Forschung und Entwicklung bis zu Peripheriegerät und Infrastruktur -, dann leisten wir einmal einen Beitrag zur Hebung der atomaren Schwelle. Wir leisten aber auch einen wesentlichen Beitrag dazu, die geltende Strategie für unsere Mitbürger konsensfähig zu erhalten.
Der Verteidigungshaushalt 1984 wird um 1,1 Milliarde DM steigen. Das sind 2,4 %. Nach NATO-Kriterien steigen die Verteidigungsausgaben um 3,2 %. Das ist angesichts der rückläufigen Preissteigerungsrate ein realer Zuwachs. Das ist erfreulich. Mehr war angesichts der allgemeinen Finanzlage in diesem Haushalt nicht drin.
Die verteidigungsinvestiven Ausgaben machen 35 % des ganzen Verteidigungsetats aus.
({2})
Das sind knapp 17 Milliarden DM. - Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Kollege. Wir bezahlen im verteidigungsinvestiven Bereich noch immer die Rechnungen, die Sie gemacht haben.
({3})
Wir haben, seit wir regieren, noch keine einzige große Beschaffung der Bundeswehr neu begonnen. Bisher zahlen wir das, was Sie beschlossen haben. Und da jammern Sie, wir stellten zuviel Geld dafür bereit!
({4})
Bei Materialerhaltung und Betrieb hatten wir schon 1983 einen erheblichen Zuwachs. Hier machen sich jetzt Rationalisierungsmaßnahmen bemerkbar, so daß es in diesem Jahr möglich war, mit geringeren Mitteln als 1983 auszukommen.
({5})
- Durch Gebrüll wird das, was Sie 13 Jahre gemacht haben, nicht besser. Dafür kann ich doch nichts, daß Sie 13 Jahre die Bundeswehr haben verkommen lassen. Zum Donnerwetter nochmal!
({6})
Bei Forschung, Entwicklung und Erprobung erreichen wir - ({7})
- Dann gehen Sie doch einmal in die Truppe und fragen Sie die Soldaten, wie sie Ihre Regierungsbemühungen honoriert haben.
({8})
- Ich war Soldat, Herr Kollege. Ich bin zum Reserveoffizier befördert worden, bevor ich dieses Haus betreten habe. Merken Sie sich das!
({9})
Bei Forschung, Entwicklung und Erprobung haben wir einen Aufwuchs von 5,6 %. Damit können nicht nur laufende Vorhaben weitergeführt werden, sondern damit bleibt die Rüstungsindustrie auch in der Zukunft dialogfähig und hält am technischen Forschritt ihren Anteil.
Bei den militärischen Beschaffungen - das ist der Kritikpunkt, den Sie immer bringen - haben wir um 5 % auf 12,4 Milliarden DM zulegen können.
({10})
Damit wird der Generationswechsel bei den großen Waffensystemen, so wie im Zeitplan vorgesehen war, weitergeführt. Dies sind Maßnahmen, die Sie auf den Weg gebracht haben und die wir jetzt zu den Konditionen, die Sie damals vereinbart haben, fortzuführen haben.
Ein wichtiges Thema, das viele in unseren Wahlkreisen im Sommer beschäftigt hat, war das Thema Fluglärm. Hier werden zwei Tiefflugüberwachungssysteme Skyguard beschafft; die werden im nächsten Jahr angeschafft.
({11})
Mit diesen Geräten wird es möglich sein, Tiefflieger zu erfassen, zu verfolgen, zu identifizieren, die Flughöhe zu bestimmen und damit die Tiefflugsünder auch dingfest zu machen. Ich halte dies für einen wichtigen Beitrag, damit auch in unseren Wahlkreisen der Konsens über die Notwendigkeit, über dem heimatlichen Luftraum zu üben, verstärkt wird.
({12})
Die Sozialdemokraten haben Vorschläge vorgelegt, die an die Substanz der Bundeswehrbeschaffung gehen. Wenn diese Vorschläge die Mehrheit fänden, würde damit die Glaubwürdigkeit der Abschreckung mit konventionellen Waffen geschwächt.
Die Kürzungen bei den militärischen Beschaffungen würden real ein Absinken bedeuten, d. h. laufende Beschaffungen müßten gestreckt werden. Davon wird das, wie wir alle wissen, nicht billiger, sondern es wird teurer. Die Mobilität der Bundeswehr würde absinken, die Führungsfähigkeit wäre weiter behindert. Im Bereich des ABC-Schutzes oder der Versorgung mit Arzneimitteln und Sanitätsgerät haben wir eh Mangel aufzuholen. Kürzungen sind hier nicht zu vertreten.
Im Bereich der NATO-Infrastruktur sind die Mittel an verabschiedete Programme gebunden. Ohne Verletzung internationaler Verpflichtungen sind diese Mittel nicht disponibel.
Wir haben - Sie haben das angesprochen - im Bereich der Baumaßnahmen sehr viel getan. Die nationale Infrastruktur, also die großen und die kleinen Baumaßnahmen, betragen 1,35 Milliarden DM. Das bedeutet, daß vor allem die Kasernen- und Arbeitsplatzsanierung beschleunigt fortgeführt werden kann. Von den 585 000 Unterkunftsplätzen sind von 1971 bis 1982 rund 108 000 saniert worden. Mittelfristig müssen noch 49 000 Plätze verbessert werden, davon 10 000 im Jahre 1984. Die Baumaßnahmen für die Heeresstruktur 4 werden fortgesetzt. Dazu kommen Mittel für das bestehende Energiespar- und Hochbauprogramm. Interessanterweise haben die GRÜNEN die Mittel für das Energiesparen abgelehnt, sie wollten diese Mittel nicht bewilligen.
({13})
Größer ist die Steigerung beim NATO-Infrastrukturprogramm. Insgesamt, meine Damen und Herren, stehen im Verteidigungshaushalt 1984 3,47 Milliarden DM zur Verfügung. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 10,8 %. Das ist zugleich ein wichtiger Faktor der Arbeitsplatzsicherung für unsere überwiegend mittelständisch strukturierte Bauwirtschaft. Hier noch mehr draufzupacken, wie das die SPD vorgeschlagen hat, wäre nicht möglich, denn bei den Baumaßnahmen ist nicht nur der Bundesminister der Verteidigung terminführend, sondern eben auch die Hochbauämter in den Ländern. Wir wissen, welche Schwierigkeiten es dort immer wieder gegeben hat.
({14})
Diese 3 Milliarden DM können sinnvoll ausgegeben werden. Mehr ist nicht nötig, und mehr ist auch nicht erforderlich.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Rüstungsindustrie sagen, denn neben motivierten und gut ausgebildeten Soldaten sowie modernem und dem Verteidigungsauftrag entsprechendem Material gehört zur Verteidigungsfähigkeit unseres Landes auch eine leistungsfähige und dialogfähige Rüstungsindustrie. Im Bündnis müssen wir nicht alles, was wir zu unserer Verteidigung brauchen, selbst herstellen. Wir müsen uns aber in Teilbereichen des Beschaffungsspektrums selbst oder in Kooperation mit anderen Bündnispartnern versorgen können. Wer uns liefert, muß im Interesse unserer Arbeitsplätze auch bei uns kaufen. Ich sage dies an die Adresse unserer amerikanischen Freunde. Denn die Zweibahnstraße ist bisher unzureichend.
Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch. den 7. Dezember 1983 3089
Die große Runderneuerung der Bundeswehr geht in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu Ende. Damit werden in unserer Rüstungsindustrie Kapazitätsund Arbeitsplatzprobleme entstehen. Wir haben nicht das Geld, neue Beschaffungsvorhaben im großen Umfang auf den Weg zu bringen. Wir werden hier nur selektiv vorgehen können. Deshalb meine ich, daß die Arbeitsteilung zwischen Bundeswehr und Industrie - bei Materialerhaltung und Instandsetzung - mit dem Ziel überprüft werden muß, die Industrie in weitere Materialerhaltungsstufen einzubeziehen. Das hilft der Industrie, ihre Kapazitätsprobleme zu lösen, es hilft aber auch der Bundeswehr, mit dem Personalmangel, der sich dort für die zweite Hälfte der 80er Jahre abzeichnet, fertig zu werden.
Die Konsolidierung des Bundeshaushalts kommt 1984 ein gutes Stück voran. Der Einzelplan 14 muß seinen Beitrag leisten. Er tut es auch. Die Struktur des Verteidigungshaushaltes, die unseren Schwerpunkten entspricht, und die weiter zurückgehende Preissteigerungsrate machen es sicher, daß wir national und international bestehen können und unseren Auftrag erfüllen werden.
Die Bundeswehr wird die notwendigen Haushaltsmittel auch 1984 erhalten, um ihren Auftrag im Bündnis erfüllen zu können. Die Soldaten wissen, daß wir unsere Zusagen einlösen. Die CDU/CSU wird ihrer Verantwortung, die sie für den Frieden und die Sicherheit unseres Landes übernommen hat, auch 1984 gerecht werden. Wir stimmen dem Verteidigungshaushalt zu. Wir danken den Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr für ihren Friedensdienst.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum mehr als 14 Tage, nachdem in diesem Hause der Raketenbeschluß gefaßt worden ist und nunmehr endgültig feststeht, daß mit der Aufstellung neuer amerikanischer Atomraketen in Mitteleuropa
({0})
- wenn Sie doch einmal stille sein könnten ({1})
der atomare Rüstungswahnsinn eine neue Stufe erreichen soll, kann die Diskussion um den Rüstungshaushalt der Bundesregierung noch mehr als sonst keine in erster Linie finanzpolitische Frage sein.
({2})
In einer Zeit, in der die Gefahr einer lebensbedrohenden Spannungseskalation in Mitteleuropa die Zukunft der Menschheit mehr bedroht als irgendwann sonst in den letzten 20 Jahren, ist mit der Debatte um den Rüstungshaushalt für uns und für zukünftige Generationen eine entscheidende Lebensfrage aufgeworfen.
({3})
- Ich denke, das ist ein Rüstungshaushalt.
({4})
Die Bundesregierung
({5})
- ganz besonders der Bundeskanzler - verkündet immer wieder, daß es ihr darum gehe, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen, wie das so schön heißt. Schon die Logik, die darin liegt, auf der einen Seite zu verkünden, man wolle Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, gleichzeitig aber die Stationierung neuer friedensgefährdender Atomraketen in der Bundesrepublik zu beschließen, ist abenteuerlich genug.
({6})
Wer sich dazu noch ansieht, welche Wachstumsraten in der Rüstungspolitik die Regierungskoalition für 1984 und die folgenden Jahre vorgesehen hat, wird endgültig merken, was von Ihren Abrüstungsbeteuerungen zu halten ist. Frieden schaffen mit immer weniger Waffen heißt für diese Koalition im Klartext nichts anderes, als daß die Ausgaben für den Rüstungsetat - in diesem und in den nachfolgenden Jahren - überproportional ansteigen sollen.
Die Zahlen, die Sie für 1984 und die folgenden Jahre vorgelegt haben, weisen aus, daß die Steigerungsraten für den Rüstungsetat mehr als doppelt so hoch wie die Steigerungen des Gesamthaushalts liegen sollen.
Noch aufschlußreicher wird die praktische Umsetzung Ihres sogenannten Friedenskonzepts, wenn man genauer aufschlüsselt, welche Ausgaben denn dort besonders ansteigen sollen. Besonders hohe Steigerungsraten weisen im Etatentwurf 1984 die Ansätze für militärische Beschaffungsmaßnahmen auf. Für neue Waffensysteme haben Sie eine Steigerungsrate von immerhin 6,5 % vorgesehen. Noch stärker ist der Anstieg bei den militärischen Anlagen, z. B. bei den Kosten für die NATO-Infrastruktur. Hier sehen Sie eine Steigerungsrate von über 8 % vor. Für wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung wollen die Regierungsparteien die Ausgaben sogar um 8,6 % erhöhen. Nach diesem Entwurf würden die Verteidigungsausgaben pro Kopf der Bevölkerung weit überproportional anwachsen. Mit diesem Entwurf würde der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt weiter wachsen. Die Bundesregierung stellt dazu noch voller Stolz fest - ich zitiere -: Gemessen an den Verteidigungsausgaben der anderen Bündnisstaaten liegt die Bundesrepublik auch 1984 in der Spit3090
Kleinert ({7})
zengruppe. - Ich kann nur die Frage stellen: Ist das Ihr Bekenntnis zu weniger Waffen, meine Damen und Herren?
({8})
- Sie sind ja schon wieder dran.
({9})
- Machen Sie sich doch keine Sorgen um den Herrn Bastian.
Meine Damen und Herren, unsere Vorstellungen
- das ist bekannt - gehen in eine genau entgegengesetzte Richtung. Wir haben lange überlegt, ob wir uns überhaupt auf detaillierte Kürzungsvorschläge zu diesem Rüstungsetat einlassen sollen. Wenn wir das tun, heißt das für uns keineswegs, daß wir von unserem politischen Ziel, einen Zustand herzustellen, in dem Waffensysteme und Armeen ganz verschwunden sind, auch nur ein Stück weit abgerückt wären. Wir wollen mit unserem konkreten Kürzungsvorschlag, der Ihnen hier als Drucksache vorliegt, aber einen Beitrag zur Reduzierung von Spannungen und von Kriegsgefahr leisten. Wir verstehen diesen Kürzungsvorschlag, der unmittelbar zu realisieren wäre, ohne daß damit aktuell die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr insgesamt in Frage gestellt wäre
({10})
- Herr Würzbach, Sie haben ihn doch noch nicht einmal aufmerksam zur Kenntnis genommen, wie ich Sie kenne -,
({11})
als wesentlichen Beitrag der Bundesrepublik zu einem System kalkulierter Abrüstungsschritte. Wir meinen, daß es höchste Zeit ist, die Militarisierung der Gesellschaft zurückzudrehen. Wir meinen weiter, daß es allerhöchste Zeit ist, mit einem solchen kalkulierten einseitigen Abrüstungsschritt auch hier und heute endlich zu beginnen.
({12})
Nur so kann die Rüstungsspirale an einem wesentlichen Punkt unterbrochen werden, und nur so kann sich auch die Bundesrepublik aus ihrer Rolle als treuer Vasall der US-Globalstrategie wenigstens ein Stück weit herauslösen. Die Notwendigkeit zur Realisierung eines solchen Kürzungsvorschlags verstärkt sich noch angesichts der Tatsache, daß die Verteidigungsausgaben, soweit man sie nach NATO-Kriterien berechnet, sich nun keineswegs auf die Summe von 48 Milliarden DM, die im Einzelplan 14 ausgewiesen sind, beschränken. Rechnet man nach NATO-Kriterien auch andere versteckte Verteidigungsausgaben, sogenannte Verteidigungsausgaben aus anderen Einzelplänen hinzu, so belaufen sich die Ausgaben, die für die Rüstung in diesem Haushaltsplan insgesamt eingestellt worden sind, immerhin auf die Summe von etwa 60 Milliarden DM. Auch das muß hier einmal gesagt werden.
({13})
Allein bezogen auf den Einzelplan 14 beträgt das Gesamtvolumen unseres Kürzungsvorschlages, den ich jetzt im folgenden kurz vorstellen will, ca. 8,5 Milliarden DM. Dieser Kürzungsvorschlag entspricht einer Kürzungsrate von ca. 17 %. Eine solche Kürzung hätte ein Einfrieren des gegenwärtigen Ausrüstungsbestandes, eine gewisse Reduzierung der militärischen Aktivität der Bundeswehr sowie des Personalbestandes und eine drastische Reduzierung der Ausgaben der Bundeswehr im Rahmen der NATO zur Folge.
({14})
- Nicht einmal das, Herr Würzbach. Wir haben vorgeschlagen, den Ansatz für den Sprit um 20% zu Kürzen. Dann können Sie immer noch mit Sprit für 80 % der Mittel herumfahren.
({15})
Wir verstehen dies als ersten Schritt auf dem Weg hin zu weitergehenden Abrüstungsmaßnahmen. Bei diesen Kürzungsvorschlägen entfallen ca. 3,9 Milliarden DM allein auf den Bereich Erhaltung und Beschaffung. Die Ausgaben in diesem Bereich, die Sie vorsehen, dienen vorwiegend dem Ausbau der offensiven militärischen Schlagkraft der Bundeswehr. Hier geht es um neue Panzer, hier geht es um Raketenabschußanlagen, hier geht es um Fregatten, Schnellboote, Zerstörer, U-Boote und diverse Kampfflugzeuge.
Alles defensive Systeme!)
Weil dies so ist, ist gerade dieser Bereich ein zentraler Schwerpunktbereich, in dem unsere Kürzungsvorschläge ansetzen.
({0})
Wir sind bei unseren Kürzungsvorschlägen davon ausgegangen, daß neu anlaufende Projekte grundsätzlich abzulehnen sind, daß laufende Projekte möglichst zu strecken sind und daß vorvertragliche Bindungen möglichst herunterzufahren sind.
Ein zweiter Schwerpunktbereich ist für uns der Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung. Hier schlagen wir Kürzungen in Höhe von 3,6 Milliarden DM vor. Es ist besonders wichtig, die Einfädelung neuer Waffengenerationen in alle Waffenarten zu verhindern, die durch Forschung, Entwicklung und Erprobung möglich wäre. Dabei sind diese Forschungsvorhaben nicht nur für den laufenden Betrieb der Bundeswehr überflüssig, sondern sie sind auch für eine wirklich am Verteidigungszweck orientierte Armee überflüssig. Warum zum Beispiel - ganz immanent gefragt - muß die Bundeswehr
Kleinert ({1})
die Erforschung von Laser-Waffen fördern? Warum muß die Bundeswehr die Entwicklung von Marschflugkörpern mit großer Transportleistung vorantreiben? Hier sollten Sie einmal erklären, Herr Würzbach, wie dies mit dem angeblich ausschließlich auf Verteidigung gerichteten Zweck der Bundeswehr zusammenpaßt?
({2})
Und schließlich haben wir ca. 600 Millionen DM an Einsparungen im Personalbereich beantragt. Diese Summe ergibt sich, wenn eine der natürlichen Abgangsrate entsprechende Stellenverminderung stattfände und wenn zugleich eine Ablehnung der Umgestaltung der Personalstruktur zugunsten der Berufssoldaten und eine Streichung diverser Sonderzulagen durchgesetzt würde.
Sie werden jetzt sicher kommen und sagen, unser Vorschlag gefährde die Sicherheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und öffne sowjetischen Interessen Tür und Tor.
({3})
- Herr Würzbach, ich habe das gerade aus Ihrem Munde doch so oft gehört, daß mich nicht überrascht, was Sie hier dazwischenrufen. Wir kennen das alles längst. Und wer die Raketendebatte aufmerksam verfolgt hat, der weiß doch auch, zu welch unseligen Schwarzweißgemälden die Vertreter der Regierungsparteien bei Kennzeichnung der angeblichen Gefahren aus dem Osten inzwischen schon wieder greifen.
({4})
Meine Damen und Herren, angesichts des immer dramatischeren Rüstungswettlaufs ist aber doch die Frage zu stellen, wer hier eigentlich die Sicherheit gefährdet. Sind es die, die angesichts eines riesigen Arsenals von Massenvernichtungswaffen für konkretere Abrüstungsschritte eintreten, oder sind es nicht vielmehr die, die eine forcierte Aufrüstungspolitik im atomaren wie im konventionellen Bereich betreiben? - Weil wir zu Abrüstung kommen wollen, bitte ich um Ihre Zustimmung für diesen Kürzungsantrag.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien
Demokraten im Deutschen Bundestag stimmt in der Regierungskoalition der Mitte
({0})
- meine Damen und Herren, ich muß sagen: ein blöderes Lachen als das, was ich im Moment von links höre, habe ich heute noch nicht gehört - dem heute vorgelegten Einzelplan 14 aus voller Überzeugung zu.
({1})
Diese Zustimmung betrifft ebenso den Auftrag wie die Menschen, die im Bereich der Verteidigung ihren verantwortungsvollen Dienst tun und denen wir zu Dank verpflichtet sind.
({2})
Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß in der Sicherheitspolitik nicht allein fiskalische Gesichtspunkte entscheidend sein dürfen, sondern daß im Vordergrund der Überlegungen stehen muß, daß unsere Streitkräfte zur Erfüllung ihrer Aufgabe in der Lage sind. Voraussetzung hierfür, meine Damen und Herren, ist in erster Linie die Motivation der Soldaten.
Eine solche Motivation entsteht erstens aus der Überzeugung, für eine richtige Sache zu stehen. Zu dieser Überzeugung muß man doch in unserem Lande kommen, wenn man sieht, welches Maß an persönlicher Freiheit für uns alle es hier zu verteidigen gilt.
({3})
Ich weiß, daß es politische Kräfte gibt, die etwas weniger Freiheit für tragbar halten, um einen vermeintlich besseren Staat schaffen zu können, aber die besten Staaten, die ich kenne, meine Damen und Herren, sind Bienen-, Ameisen- und Termitenstaaten. In diese Richtung wird für uns Liberale kein einziger Schritt möglich sein.
({4})
Wir wollen unseren freiheitlichen Rechtsstaat uneingeschränkt behalten, und wir wollen unserer Truppe die Überzeugung geben, daß sie hierfür benötigt wird.
({5})
Zum zweiten entsteht Motivation aus möglichst breiter Unterstützung der Streitkräfte durch die politischen Kräfte unseres Landes.
({6})
Wenn solches in der Bundesrepublik zur Zeit nicht einvernehmlich möglich ist, dann wird wenigstens eindeutige Unterstützung durch die politische Führung und die sie tragende Parlamentsmehrheit ge3092
fordert sein. Hierzu leistet die FDP-Fraktion einen eindeutigen Beitrag.
({7})
So akzeptieren wir - meine Damen und Herren, unabhängig von dem Gelächter zur Linken, das nicht intelligenter geworden ist ({8})
einen Rahmen des Verteidigungsetats, dessen Steigerung deutlich über der des Gesamtetats liegt, weil sich natürlich der für die Auftragserfüllung der Bundeswehr notwendige Aufwand an der Bedrohung durch potentielle Agressoren orientieren muß.
({9})
- Frau Kollegin Traupe, ich werde zu dem, was Sie gesagt haben, nachher noch einige Ausführungen machen. Die Behauptung, die Sie in Ihrem Zwischenruf aufgestellt haben, ist absolut unwahr.
Als Haushaltspolitiker habe ich natürlich zwei Seelen in der Brust: die des Haushälters, der sorgfältigsten Umgang mit den Steuern als seine wichtigste Aufgabe ansieht, und die des Verteidigungspolitikers, der entsprechend unserem Wahlkampfslogan von 1980: „Freiheit braucht Mut" auch bereit ist, weniger populäre, aber notwendige Ausgaben im Verteidigungsbereich politisch zu tragen.
({10})
Da im Moment die Notwendigkeit der Konsolidierung der Staatsfinanzen die übergeordnete politische Forderung ist, haben wir uns auch im Verteidigungsbereich zur Sparsamkeit entschließen müssen. - Frau Kollegin Traupe, jeder kennt das Spielchen der Opposition in solchen Fällen. Sie sagt: Ihr habt - a) - an der falschen Stelle gespart und - b) - natürlich zu wenig gespart. Dies ist verhältnismäßig einfach, es ist nur dann nicht mehr in Ordnung, so zu reden, wenn man in einigen Punkten objektive Unwahrheiten verbreitet. Dies gilt zumindest für zwei Punkte.
Sie haben zum einen erklärt, der Leopard II sei unter Wert an die Schweiz verkauft worden. Wer sich vor Augen hält, welcher volkswirtschaftliche Wert durch diesen Verkauf entstanden ist, der sollte solche Äußerungen vor diesem Parlament und vor der Öffentlichkeit nicht tun.
({11})
Frau Kollegin Traupe, Sie haben zum zweiten bezüglich der Mittel für die zweite Familienheimfahrt häufig Versetzter und der zusätzlichen Mittel für den Nachhilfeunterricht hier gesagt, wir hätten nicht alles Mögliche getan. Dies ist falsch. Wir haben in Kenntnis haushaltsrechtlicher Gegebenheiten und haushaltsrechtlicher Gepflogenheiten gesehen, daß es nicht möglich war, den erforderlichen Betrag einzusetzen. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, der die Regierung verpflichtet, im nächsten Jahr schnellstmöglich die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um dies zu ermöglichen.
({12})
- Frau Kollegin Traupe, ich meine, wenn man dies weiß, dann sollte man sich hier nicht in der Weise äußern, wie Sie es getan haben. Ich will auf Ihre Äußerungen deshalb nicht weiter eingehen, weil ich glaube, daß das, was ich hier zu sagen habe, wichtiger ist als eine Replik auf das Ihrige.
Wir haben, meine Damen und Herren, unter dem Aspekt der Konsolidierung der Staatsfinanzen entsprechend dem allgemeinen Beschluß des Haushaltsausschusses die halbjährige Beförderungssperre im Grundsatz auch hier gelten lassen, haben allerdings - dies ist von der Opposition natürlich bewußt vergessen oder zumindest nicht deutlich gemacht worden - in ganz wesentlichen Bereichen Ausnahmen zugelassen, um mit unseren Maßnahmen die ausdrückliche Regierungspolitik gerade nicht zu konterkarieren. Bei der Truppe soll nämlich erklärtermaßen - dies ist auch unser dringender Wunsch - der Beförderungs- und insbesondere der Verwendungsstau nach und nach abgebaut werden können, weshalb hier ausdrücklich für das kommende Jahr 250 neue Stellen geschaffen wurden. Daher sollte der Bereich der Soldaten weitestgehend von der oben genannten Sparmaßnahme verschont bleiben.
Ein Bereich der Sparsamkeit beim Personal, bei dem uns die Entscheidung - dies gebe ich offen zu
- besonders schwer gefallen ist, betrifft die Frage der Wehrsolderhöhung. Auf Antrag unserer Jugendorganisation der Jungen Liberalen, hat unser vergangener Bundesparteitag am 18. November in Karlsruhe beschlossen, eine Wehrsolderhöhung für 1984 zu fordern.
({13})
Zu diesem Zeitpunkt war aber der Beschluß des Haushaltsausschusses schon gefaßt,
({14})
eine solche Erhöhung im Etat 1984 nicht vorzusehen - eine Entscheidung, für die es, auch unter dem Aspekt der Null-Runde im öffentlichen Dienst, gute Gründe und gute Argumente gab, und eine Entscheidung, die uns tatsächlich nicht leicht gefallen ist. Ich habe dies schon ausgeführt. Diesen Beschluß haben wir aus Verfahrensgründen nicht noch einmal neu aufgerollt.
({15})
- Warum warten Sie nicht einfach ab, bis ich den Satz zu Ende gesprochen habe? Vielleicht können Sie dann begeistert zustimmen. Das wäre doch einmal etwas Neues.
({16})
Ich habe Verständnis dafür, daß insbesondere unsere jungen, politisch engagierten Mitbürger solche Verfahrensfragen für nicht stichhaltig halten.
({17})
Ich sage für meine Fraktion, daß wir der schnellstmöglichen Anhebung im weiteren Verlauf nicht nur zustimmen werden, sondern daß von uns dahin gehende Initiativen erwartet werden können.
({18})
- Wenn Sie zugehört hätten, guter Freund, dann wüßten Sie, was ich gesagt habe.
({19})
Einsparungen betrafen auch den Beschaffungsbereich. Wir haben hier auf Grund des kurzfristigen Wegfalls einer Rate für die Beschaffung und Entwicklung des Waffensystems MRCA Tornado den Rotstift angesetzt.
({20})
Allerdings haben wir auch hier eine Ausnahme gegenüber dem gemacht, was wir in anderen Ministerien aus Konsolidierungsgründen getan hätten.
({21})
Meine Damen und Herren, wir hätten in anderen Ministerien in solcher Situation - dies ist in einer Reihe von Haushalten in den Ansätzen geschehen - alles eingespart. Dies haben wir hier nicht getan, sondern haben einen wesentlichen Teil der Summe zur Ausgabe für andere notwendige Maßnahmen - Frau Kollegin Traupe, ich habe von Ihnen keine Kürzungsvorschläge für diese notwendigen Maßnahmen gesehen - im Beschaffungsbereich des Verteidigungshaushalts belassen. Wir halten dies nach wie vor für notwendig.
Wir haben hierbei aber nicht allein an das Militär, sondern auch an die Bevölkerung gedacht. Ich sage dies als ein Abgeordneter, dessen Wahlkreis Neckar-Zaber durch Tieffluglärm besonders in letzter Zeit stark betroffen war. Unsere Bevölkerung nimmt, wenn auch manchmal sicher zähneknirschend, die Notwendigkeit des Fluglärms als gegeben hin.
({22})
Man weiß, daß es wichtig ist, daß die Piloten realistisch üben können. - Von seiten der GRÜNEN habe ich natürlich keine Zustimmung erwartet, weil man hier ganz andere Vorstellungen hat, und zwar ziemlich unsinnige. - Die Belastungen müssen sich aber im Rahmen der Vorschriften bewegen.
({23})
Hier tut insbesondere aus den Erfahrungen der jüngsten Zeit ein größeres Maß an Aufsicht not. Deshalb begrüßen wir ganz ausdrücklich die Beschaffung des Flugüberwachungssystems Skyguard und dessen Unterstellung direkt beim Inspekteur der Luftwaffe. Dies wird unnötige Belastungen von unserer Bevölkerung fernhalten helfen und damit einen Beitrag dazu leisten, daß unsere Bundeswehr nicht tabuisiert oder gar ins Abseits gestellt wird, wie das einige politische Kräfte in diesem Land gern hätten.
Sparsamkeit im Beschaffungsbereich ist eben nicht überall möglich. Hat nicht selbst der „grüne" Ex-General Bastian unter dem Aspekt defensiver Bewaffnung der Konzeption des Panzerabwehrhubschraubers 2 zugestimmt? Verstärkte Ausrüstung im konventionellen Bereich ist eben erforderlich, wenn man die Schwelle des atomaren Einsatzes erhöhen will. Und wir, die wir einen atomaren Einsatz auch im Verteidigungsfall verhindern wollen, stellen uns diesem Erfordernis. Wir Liberale wollen und werden Schwerpunkte bei defensiver Bewaffnung im konventionellen Bereich setzen.
Dies betrifft auch die NATO-Infrastruktur. Hier investieren die NATO-Partner gemeinsam zur Sicherheit des Bündnisses.
Unsere Aufforderung an den Verteidigungsminister geht dahin, im Rahmen der Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung den notwendigen Beitrag der Bundesrepublik und seine Fortschreibung anzukündigen. Bei diesem Mittelansatz allerdings muß es bleiben. Wir müssen haushälterisch achtsam sein. Denn eine sich verselbständigende NATO-Bürokratie kann den Frohsinn eines Parlamentariers ebenso wenig herausfordern wie der nicht haushaltskonforme Zeitablauf der Mittelverwendung, auf den wir ja, wie Sie sicher alle wissen, keinen Einfluß haben.
({24})
Hier muß der politisch verantwortliche Minister, hier müssen Sie persönlich, Herr Wörner, Sorge dafür tragen, daß sich unangenehme finanzielle Überraschungen der Vergangenheit nicht wiederholen, die allerdings zu Zeiten einer anderen Regierung vorgekommen sind.
({25})
- Das ist immer gut, wenn die FDP beteiligt ist. In diesem Fall allerdings war sie nicht in der Verantwortung des Ressorts.
({26})
Ich bin sicher, diese Position wird im Gremium der NATO-Verteidigungsminister nicht leicht zu behaupten sein. Man weiß, daß hier von seiten der Verbündeten höhere Anforderungen im Raum stehen. Ich meine aber, unter Abwägung aller Gegebenheiten, Herr Minister Wörner, sollten Sie da hart bleiben und auch hart bleiben können.
Ich komme zum Schluß.
({27})
- Ich habe an dieser Stelle nichts anderes von Ihnen erwartet. Sie überraschen einen sehr wenig, wenn man hier vorne steht. Das muß ich sagen.
({28})
Der Verteidigungsauftrag unserer Bundeswehr im Rahmen unsers Nato-Bündnisses ist für meine Fraktion schon deshalb ein Wert an sich, weil wir in diesem Bündnis gemeinsam mit den westlichen Demokratien Gegebenheiten verteidigen wollen, die zutiefst menschlich sind:
({29})
die Freiheit des einzelnen Menschen ebenso wie die Freiheit von Meinungen und die Freiheit des Meinungsflusses und - ich sage dies absichtlich heute - auch und gerade die Pressefreiheit. Dies alles sind liberale Anliegen, die den Freien Demokraten besonders am Herzen liegen. Für die Verteidigung dieser Werte auch mit den Mitteln einer konsequenten militärischen Verteidigungsbereitschaft stehen wir zu einem Zeitpunkt, zu dem sich in Teilen der Opposition der irrige Glaube breitmacht, ein Erfordernis militärischer Verteidigung sei nicht mehr gegeben.
Ich danke Ihnen.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Leonhart.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollge Stavenhagen: Die Bundeswehr sei unter der Regierung der SPD und der FDP verkommen, - dies weise ich im Namen unserer Soldaten ganz energisch zurück.
({0})
Ich begreife eines überhaupt nicht, nämlich daß bei solchen Anwürfen auf den verschiedensten Gebieten gegen die frühere sozialliberale Koalition nicht ein Aufschrei seitens der FDP durch dieses Haus geht, denn auch Sie waren doch, wenn ich das recht sehe, an dieser Regierung beteiligt.
({1})
Ein Zweites, was ich sagen möchte: Sie haben von dem Tiefflugüberwachungsgerät gesprochen. Dies war ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Sie haben sich das an Ihren Hut gesteckt. Das wollte ich hier einmal in aller Freundschaft deutlich sagen.
({2})
Die Staatsfinanzen seien in Unordnung gewesen, haben Sie gesagt. Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, auch dies in aller Gelassenheit, in aller Freundschaft, wie das so üblich ist unter gesitteten Menschen: Wenn es nach Ihrer Fraktion gegangen wäre, wäre die Staatsverschuldung um etliche Milliarden höher ausgefallen, als dies zur Zeit der Fall ist.
({3})
Herr Abgeordneter Leonhart, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Wenn das nicht von meiner Zeit abgeht.
Nein, das kann ich nicht machen.
Das kann er nicht machen. - Herr Biehle, gut, weil Sie es sind.
Herr Kollege Leonhart, würden Sie mir nicht beipflichten, wenn ich feststelle, daß zwar der Antrag zu dem Radargerät von Ihnen kam, daß aber vorher das Ministerium ein Erprobungsgerät in Dienst gestellt hatte?
Ich habe nichts anderes gesagt, als daß der Antrag von der SPD kam, daß wir den Antrag aufgenommen haben, und zwar bevor die CDU/CSU diesen Antrag gestellt hatte. Sonst habe ich nichts gesagt.
({0})
Ich möchte noch etwas sagen, und ich hoffe, das wird akzeptiert: Freunde von der CDU/CSU, nach über einem Jahr Regierungszeit - normalerweise werden 100 Tage genehmigt - muß endlich einmal Schluß sein mit der Erblast.
({1})
Damit muß endlich einmal Schluß sein: denn wir haben Sie ja nicht gerufen, sondern Sie haben sich in die Regierung hineingedrängt. Das muß auch einmal deutlich gemacht werden.
({2})
- Aber Herr Kollege!
Ich danke ausdrücklich von dieser Stelle Brigitte Traupe für ihren Beitrag.
({3})
Wer diesen Beitrag mit den früheren Reden vergleicht, stellt fest, daß sie in der Zeit der Regierung genauso gesprochen hat wie heute in der Opposition, nämlich sachlich, ausgewogen und anständig.
({4})
Ich meine, so müßte es auch sein, denn die Demokraten sind keine Feinde untereinander, und sie dürfen es nicht sein. Sie können allemal Gegner sein, Konkurrenten. Ich meine, wir können uns sicher um das Ruder im Boot streiten, aber eines dürfen wir nicht, nämlich um das Boot selbst streiten,
wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß das Boot kentert und wir alle Schaden nehmen.
({5})
Bei Vorbereitung meines Debattenbeitrages habe ich natürlich nachgelesen, was wer zu welchem Thema gesagt hat. So habe ich Herrn Apel nachgelesen, und ich habe Erwin Horn nachgelesen und viele andere Sozialdemokraten. Zum Teil - ich bin seit 1980 hier im Plenum - habe ich sie auch direkt hier im Hause erlebt. Die Reden sind überwiegend in der Regierungszeit gehalten worden, aber sie haben noch heute Gültigkeit. In Verantwortung vor dem Ganzen ist die heutige Opposition doch die mögliche Regierung von morgen und umgekehrt.
({6})
Ich glaube, daran sollten wir uns alle orientieren. Daraus ergeben sich Verpflichtungen für uns.
Auch die damaligen Oppositionsredner der CDU/CSU habe ich hier im Hause zum Teil miterlebt, Herr Kollege Würzbach.
({7})
Lesen Sie einmal die Reden unseres Freundes Werner Marx nach. Das ist der, der damals Vorsitzender des Verteidigungsausschusses gewesen ist. Da war aber auch gar nichts mehr heil in diesem Lande, da war aber auch alles kaputt. Das fing beim Bankrott an und ging bis zu weiß Gott was. Dabei wissen wir alle - denn das haben wir gelernt -, daß Lautstärke - ich sehe den Kollegen Marx leider nicht - noch keine Argumente darstellt.
Oder nehmen wir Herrn Würzbach. Das ist der, der heute Staatssekretär ist,
({8})
ein schneidiger Mann; das wissen wir alle.
({9})
Wenn man ihn so sieht, weiß man, daß er mit jedem Zoll Soldat ist. Sympathisch ist er noch dazu; das füge ich gern an.
Aber lesen wir seine Reden. Er ist ja irgendwann in der Öffentlichkeit sehr rasch bekannt geworden. Die Kollegen aus dem Ausschuß wissen das noch. Denn er hatte die eigene Art, die Presseerklärung bereits fertig zu haben, bevor überhaupt die Sitzung zu Ende gewesen ist.
({10})
Das war immer eine sehr gute Sache.
({11})
Ich sage noch etwas: Ich hatte bei Herrn Würzbach immer das Gefühl, daß er sich nur deshalb eine Suppe kaufte, weil er hoffte, darin ein Haar zu finden. Nicht wahr, Herr Würzbach, so war das immer! Aber auch er - er ist ja ruhiger geworden - hat zwischenzeitlich erfahren müssen, daß zu scharfe Messer nicht schneiden.
({12})
- Aber Herr Kollege, ich bitte Sie wirklich! Wenn Sie aus meiner Rede auch nur eine Gehässigkeit herauslesen,
({13})
wie man es aus vielen Teilen Ihrer Fraktion kennt, gebe ich Ihnen zwanzig Mark. Sie reizen mich auch nicht dazu, daß ich gehässig werde, weil das meiner ganzen Art und Anlage nicht entspricht.
({14})
Schließlich kann man noch die Reden von Herrn Wörner lesen. Das ist der, der heute Verteidigungsminister ist.
({15})
Was hat er gesagt? Bankrott, desolat, heruntergewirtschaftet, das war sein Vokabular bei der Beurteilung der Bundeswehr.
({16})
Kein Benzin sei da, mit dem unsere Flugzeuge fliegen könnten, keine Munition für unsere Kanoniere.
Ich erinnere mich noch daran, daß gerade wir Jungen, die wir neu im Verteidigungsausschuß waren, sehr erschrocken waren, denn was geschieht dann, wenn der böse Feind hier ins Land kommt und unsere Flugzeuge können nicht fliegen, und unsere Kanoniere können nicht schießen? In unserer Not gingen wir damals zum Generalinspekteur, zu Herrn Brandt, und siehe da,
({17})
zu viert - Kolbow, Heistermann, Klejdzinski und ich - hatten wir diesen Gang gemacht, denn der Generalinspekteur mußte ja wissen, wie es mit der deutschen Bundeswehr aussah. Vor dem Ausschuß hat er dann erklärt: Unsere Bundeswehr ist in einem befriedigenden Zustand
({18})
und kann ihren Auftrag voll erfüllen. So der Generalinspekteur!
({19})
Das war vor dem Ausschuß, und Herr Biehle ist ja Mitglied dieses Ausschusses. Das ist der, der heute Vorsitzender des Verteidigungsausschusses ist.
({20})
Dieser Biehle war ein sehr ungläubiger Thomas. Lesen Sie einmal nach, was er in der Debatte am 27. November 1981, also kurz vor der Wende, über den inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften sagte. Das war eine Oppositionsrede, das kann ich Ihnen sagen!
Danach war in dieser Bundeswehr überhaupt nichts mehr in Ordnung. Was da - so Herr Biehle - alles anders, alles besser gemacht werden konnte! Große Worte, gelassen ausgesprochen. „Und der Mensch steht im Mittelpunkt", so hat er formuliert.
({21})
Der Beförderungsstau, der Verwendungsstau wurde angesprochen, die Wehrsolderhöhung und vieles andere mehr wurde gefordert.
({22})
Und heute? Und heute?
({23})
- Ja, vergleichen wir doch einmal Anspruch und Wirklichkeit!
({24})
Da kam eitel Freud über und in die Bundeswehr seit dieser Wende, denn die Eingangsstufen wurden jetzt herabgesetzt von A 9 nach A 8 und von A 13 nach A 12, und die Wehrsolderhöhung wurde zur Freude unserer Soldaten um ein Jahr hinausgeschoben! Was doch so ein Schreibtisch ausmacht,
({25})
ein Meter Holz zwischen dem, was sich vor der Theke und dem, was sich hinter der Theke abspielt.
Ich sage das, meine Damen und Herren, ohne Bitternis. Wissen Sie eigentlich - und das ist mir ein ernsthaftes Anliegen -, welchen Schaden Sie im Meinungsbild unserer Bürgerschaft und im Meinungsbild junger Menschen, und auch dem von Soldaten, angerichtet haben? Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU - ich nehme „Damen" weg, meine nur die Herren -, haben zum Teil sehr bösartige, giftige, gehässige Debattenbeiträge gegeben. Dabei ist die Welt doch nicht schwarz-weiß - das wissen wir doch alle -, sondern die Welt ist changiert, grau in grau.
({26})
- Sehr richtig! Kritik muß doch konstruktiv sein, sie muß aufbauend sein und dem Ganzen verpflichtet. Auch ich könnte mir eine bessere Bundeswehr vorstellen. Ich könnte mir auch eine bessere Welt vorstellen, eine Welt ohne Waffen. Aber die Welt ist nun einmal so, wie sie ist. Wir haben es mit Menschen zu tun mit all ihren unterschiedlichen Interessen und Egoismen. Was nützt uns, meine Damen und Herren, eine perfekte Bundeswehr, wenn wir den Bürger verlören, wenn sich der Bürger der Gesellschaft, unserem Staat entzöge? Sicherheitsorgane sind heute sensible Einrichtungen geworden. Das ist bei der Polizei ebenso wie bei der Bundeswehr. Beide Institute werden besonders kritisch betrachtet. Was man bei der Bahn oder der Post oder sonstigen großen Unternehmungen hingenommen hätte, erfährt bei unserer Bundeswehr besonderes Interesse. Wir haben es mit den 500 000 Soldaten und 180 000 Zivilbediensteten zu tun, also Menschen
wie Sie und ich, mit Fehlern wie wir alle. Die Bundeswehr ist nicht geeignet, im Parteienstreit zerredet zu werden. Ich würde vorschlagen, wir sollten weniger über die Soldaten als vielmehr mit ihnen reden.
({27})
Sie ist unsere Wehr, und wir können stolz auf sie sein. Diese Wehr ist nicht so gut, wie sie einige gerne sähen, aber auch nicht so schlecht, wie sie von vielen hingestellt wird. Nein, meine Damen und Herren, unsere Bundeswehr ist schon in Ordnung. Wörner, unser Verteidigungsminister,
({28})
hat in einer der letzten Ausschußsitzungen gesagt, die Bundeswehr ist eine der besten Wehre innerhalb des NATO-Bündnisses, sie kann ihren Auftrag voll erfüllen. Das ist eine richtige, wenn auch sehr späte Erkenntnis. Ich teile die Beurteilung der Bundeswehr mit dem Minister.
Ich wäre dankbar, wenn am Ende der Ära dieser Regierung unsere Bundeswehr mit dem gleichen Prädikat bedacht werden könnte. Das ist das Ergebnis einer 16jährigen Verantwortlichkeit, verbunden mit den Namen Schmidt, Leber und Apel.
({29})
So wie die Sozialdemokratische Partei - ich darf das voller Stolz sagen - aus Millionen Proletariern Bürger unseres Landes gemacht hat, so verstand sie es in ihrer Regierungszeit, aus Soldaten Bürger in Uniform zu machen. Heißspornen sollte man dieses Instrument nicht überlassen; denn, meine Damen und Herren, es gibt nichts Schnelleres als die Fehlentscheidung des einzelnen. Aber ich halte auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, für lernfähig, was mein Beitrag beweist.
Wir benötigen gerade im wehrpolitischen Bereich Sachlichkeit, damit wir Sicherheit haben, damit unsere Sicherheit zunächst einmal die Sicherheit des anderen ist. Wir brauchen nicht Kraftmeierei, sie führt nicht weiter, sondern eine glaubwürdige, ehrliche Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit.
({30})
Ich sehe hier das Licht schon aufleuchten. Ich würde gern noch ein wenig weiter gesprochen haben, um deutlich zu machen, daß die deutsche Sozialdemokratie immer für eine wehrhafte Demokratie eingetreten ist.
({31})
Sie steht hier in der Kontinuität von August Bebel, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Fritz Erler, Helmut Schmidt, Schorsch Leber, Hans Apel, Jochen Vogel und Willy Brandt; die Parteitagsbeschlüsse der SPD beweisen es ebenfalls.
({32})
Ich möchte zum Schluß kommen, weil dieses Licht hier aufleuchtet.
({33})
Es macht mich nicht nervös, aber ich bin eben ein sehr termintreuer Mensch.
Meine Damen und Herren, wir alle haben eine Bundeswehr; wir stehen zu ihr. Wir wollen, daß diese Menschen ihre Pflicht erfüllen. Wir alle, die wir Verantwortung tragen, wären Scharlatane, würden wir Aufgaben formulieren, die unsere Truppe nicht erfüllen kann. Schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, daß unsere Bundeswehr die ihr gestellten Aufgaben meistern kann.
Lassen Sie mich als Mitglied der SPD-Oppositionsfraktion Generalinspekteur Altenburg und den Soldaten sowie allen Mitarbeitern herzlichen Dank für ihren schweren Dienst sagen, den sie für unser Land, für unser Volk und für uns alle leisten.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Löher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Traupe hat hier mit viel Engagement u. a. die Nichterhöhung des Wehrsoldes und auch die sechsmonatige, auch für Soldaten ab A 15 geltende Beförderungssperre beklagt. Nur, eines verstehe ich nicht, Frau Kollegin Traupe, nämlich warum Sie die Einsparungen im Verteidigungsetat kritisieren.
({0})
Denn wenn es nach Ihnen gegangen wäre, so haben Sie wenigstens zum Ausdruck gebracht, dann hätte der Einzelplan 14 800 Millionen DM - nach dem Willen Ihrer Fraktion jetzt immerhin noch 270 Millionen DM - weniger an Volumen, als er nunmehr durch die Beschlüsse der Koalition in Abänderung des Regierungsentwurfs aufweist. Denn per Saldo machen die in der Drucksache 10/754 von der SPDFraktion beantragten Kürzungen und Erhöhungen insgesamt 451 Millionen DM aus.
({1})
Auch darf ich in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß die Wehrpflichtigen nach der Wehrsolderhöhung 1974 vier Jahre warten mußten, bis 1978 die nächste Wehrsolderhöhung kam, und dann drei Jahre bis zur letzten Wehrsolderhöhung 1981 ({2})
und das bei einer Inflationsrate, die mehr als doppelt so hoch lag wie die jetzige.
({3}) Wir werden Anfang nächsten Jahres überprüfen, ob und für wann es möglich ist, während des Haushaltsjahres 1984 eine Wehrsolderhöhung zu beschließen.
Ein Wort noch zur Beförderungssperre für Soldaten ab A 15, also ab Oberstleutnant de Luxe, wie es so schön heißt: Gemäß § 18 a des im Haushaltsausschuß beschlossenen Haushaltsgesetzes 1984 dürfen Planstellen für Soldaten ab Besoldungsgruppe A 15 und aufwärts, die durch Beendigung des Dienstverhältnisses am 1. Januar 1984 frei sind oder danach frei werden, sechs Monate nach Freiwerden nicht besetzt werden. Jedoch: Für Einstellungen von Soldaten im untersten Dienstgrad der Mannschaften stehen diese Stellen zur Verfügung.
Was heißt das, meine Damen und Herren? Wird eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 und höher durch Beendigung des Dienstverhältnisses frei, so müssen die Nachrücker in Funktion und auf Dienstposten für weitere sechs Monate auf ihrer bisherigen Planstelle geführt werden. Das bedeutet: Beförderungssperre für die Nachrückerkette, da ja die freie Planstelle A 15 und höher für einen untersten Mannschaftsdienstgrad blockiert ist. Wird aber eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 und niedriger durch Beendigung des Dienstverhältnisses frei, können alle Nachrücker in Funktion und auf Dienstposten auf die vom Vorgänger freigemachte Planstelle aufrücken.
(Würzbach [CDU/CSU]: Das ist der Punkt,
den Frau Traupe noch nicht verstanden
hat!
Werden Planstellen für Soldaten aller Besoldungsgruppen aus anderen Gründen frei, z. B. durch ressortinterne Umsetzungen können die Planstellen unterschiedslos nachbesetzt werden.
Was die Beförderungssperre bei Offizieren ab A 15 und aufwärts angeht, so trifft diese zwar für 184 Stellen zu. Berücksichtigt man aber die Kette, die durch diese Sperre unterbrochen wird, dann sind etwa 1 048 Soldaten davon betroffen. Dem stehen aber 1 078 zusätzliche Stellen gegenüber, die 1984 neu eingerichtet werden, um z. B. die Heeresstruktur 4 zu vervollständigen oder um den Verwendungsstau abzubauen. Reiht man diese Zahl wiederum in eine Kette ein, dann profitieren davon mehr als 3 000 Soldaten.
({4})
Frau Kollegin Traupe hat bereits darauf hingewiesen, daß die Personalausgaben gegenüber 1983 so gut wie unverändert bleiben. Sie bringen eine Steigerung von lediglich 0,7 %. Dennoch beinhaltet die Regierungsvorlage einige Verbesserungen, die sich in verschiedenen Bereichen auswirken. So erhöht sich der Anteil an Längerdienenden um 4 500 auf 258 500. Diese Erhöhung soll mit dazu beitragen, den Fehlbestand an Unterführern abzubauen.
Die Wehrübungsplätze werden um weitere 1 000 erhöht, so daß 30 000 Reservisten mehr als bisher zu Wehrübungen einberufen werden können.
520 zusätzliche Planstellen sind für die Durchführung der Heeresstruktur 4 vorgesehen, und zum
Abbau des Verwendungsstaus werden 250 Stellen neu eingerichtet, nachdem für das laufende Haushaltsjahr bereits 350 neue Stellen bewilligt worden waren und für 1985 weitere 250 Stellen geplant sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf die zweite Säule zu sprechen kommen, auf den zivilen Teil, der bei der Bundeswehr immerhin 171 200 Mitarbeiter umfaßt, von denen 26 % der Beamten, 55 % der Angestellten und rund 50 % der Arbeiter in den Truppenbereich eingegliedert sind. Auch die Bundeswehrverwaltung wirkt mit ihren Aufgabenbereichen unmittelbar in die Truppe und sichert deren Funktionsfähigkeit. Aus Einsparungsgründen wurden hier in den letzten Haushaltsjahren insgesamt 7 000 zivile Personalstellen durch pauschale Maßnahmen gekürzt, bei im wesentlichen unveränderter personeller Stärke der Soldaten. Im gleichen Zeitraum fiel aber für diesen Personenkreis eine Reihe neuer Schwerpunktaufgaben an, für deren Erledigung, von Ausnahmen abgesehen, keine neuen Planstellen bewilligt wurden. Es kann nur mit Respekt davon gesprochen werden, daß der dadurch entstandene Personalbedarf durch organisatorische Maßnahmen und auch durch Rationalisierungsmaßnahmen aufgefangen wurde.
Mit diesen Stelleneinsparungen hat die Bundeswehr ihren Beitrag zur Beschränkung der konsumtiven Ausgaben und auch zur Konsolidierung des Bundeshaushalts voll geleistet. Damit ist aber auch die personelle Untergrenze zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr bzw. der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erreicht.
Als eine weitere Einsparungsmaßnahme im Personalbereich ist eine halbjährige Stellenbesetzungssperre für Beamte, Angestellte und Arbeiter vorgesehen. Auch darauf wurde bereits hingewiesen. Zur Vermeidung größerer Härten werden von dieser Stellenbesetzungssperre jedoch ausgenommen: Beamte auf Probe im Eingangsamt sowie Auszubildende, die in derselben Verwaltung in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden, und Schwerbehinderte. Auch gilt diese Besetzungssperre nicht für Behörden- und Dienststellenleiter. Um außergewöhnlich negative Auswirkungen dieser Einsparungsauflage zu vermeiden, ist sie dadurch flexibel gehalten, daß der Dienstherr Ausnahmen zulassen kann. Eine bestimmte Anzahl von Dienstposten, nämlich 10 %, kann unter Nutzung der entsprechenden Haushaltsstellen nachbesetzt werden.
Das militärische Personal bis einschließlich A 14 mußte ebenfalls von den Einsparungsmaßnahmen in dieser Form ausgenommen werden. Die praktische Anwendung dieses Beschlusses habe ich bereits erläutert. Diese Ausnahmeregelung ist vertretbar, weil bei den Berufs- und Zeitsoldaten ein Fehl von rund 14 500 besteht.
Als weiterer Hinweis auf die von uns für geeignet und vertretbar gehaltenen Maßnahmen sei noch gesagt, daß im Haushalt 1984 im Einzelplan 14 im Rahmen der Personalfluktuation 50 Planstellen für Beamte und Angestellte einzusparen sind.
Eine letzte Feststellung: Der Plafond des Regierungsentwurfs für den Verteidigungshaushalt konnte durch die im Haushaltsausschuß beschlossenen Maßnahmen um insgesamt 181 Millionen DM gekürzt werden.
Den Bundesminister der Verteidigung werden wir auch künftig bei der Bewältigung seiner personellen Aufgaben unterstützen und ihm die Mitarbeit für unsere Bundeswehr mit ihrem militärischen und zivilen Teil nicht versagen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich auch ein paar Anmerkungen zum Haushalt 1984 mache.
Ich möchte zunächst einmal auf die Ausgangslage eingehen und nur einen Schwerpunkt herausgreifen. Ich möchte ganz deutlich sagen, daß der Verteidigungsminister mit dem Finanzvolumen, das ihm zur Verfügung stand, sehr wohl die richtigen Schwerpunkte gesetzt hat. Ich glaube auch sagen zu können, daß die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen wird und kann. Aber man muß natürlich hinzufügen: Der Minister kann nur das machen, was angesichts der Finanzmittel möglich ist, die ihm zur Verfügung gestellt werden. Deswegen ist die Adresse meiner Worte nicht der Minister, sondern es sind der Finanzminister und - das sage ich von dieser Stelle aus - der Kanzler.
Man kann nicht zweimal in einer Regierungserklärung von Wehrgerechtigkeit reden und dann nichts tun. Sicher wird hier nicht unbedingt zum Thema Wehrgerechtigkeit das Wort geführt. Aber, ich glaube, zur Wehrgerechtigkeit gehört auch die Frage des Wehrsoldes. Ich meine, zur Umsetzung des Zieles, den Wehrsold zu erhöhen, gehört einfach und allein politischer Wille. Man kann mir erzählen, was man will: Wenn heute jemand für die Wehrsolderhöhung ist, genügt bei dieser Mehrheit in der Tat nur der politische Wille, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.
({0})
Deswegen ist die Adresse meiner Worte nicht der Verteidigungsminister.
Man kann nicht von Verteidigungswillen reden, der bei der Jugend entsprechend ausgeprägt sein soll, man kann nicht fordern, daß über Landesverteidigung in der Schule gesprochen wird, man kann nicht die Wehrgerechtigkeit im Munde führen, wenn Worte und Taten im eklatanten Widerspruch zueinander stehen. Man fordert Motivation von den jungen Leuten und demotiviert sie mit den Taten. Das sage ich ganz deutlich.
({1})
Es geht nicht - das möchte ich als eine weitere Bemerkung sagen - um die finanziellen Dinge, nicht um die 1 DM, um die wir jetzt wirklich wie mit
Voigt ({2})
) einer Krämerseele feilschen. Es geht in der Tat um die Glaubwürdigkeit einer Regierung in der Frage der Wehrgerechtigkeit.
({3})
Deswegen plädiere ich für die Unterstützung des Ministers in dieser Frage, wenn es um Lösungsvorschläge geht.
Man kann nicht sagen, die Mittel seien in den kommenden Haushaltsjahren nicht vorhanden. Man kann nicht einerseits die Rückerstattung von Wahlkampfkosten beschließen, wenn andererseits nicht einmal eine Erhöhung des Wehrsoldes ab 1. Oktober 1984 in einer Größenordnung von 30 Millionen DM möglich sein soll. Das können Sie keinem jungen Mann, keinem Wehrpflichtigen glaubwürdig erläutern.
Deshalb lassen Sie mich zum Schluß an Sie alle appellieren - ich bin zwar fraktionslos, aber nicht mehr parteilos -: Das Parlament ist in dieser Entscheidung souverän. Das Parlament kann bei dieser Frage in der Tat einmal beweisen, daß es in der Lage ist, vom Fraktionszwang um der Sache willen abzuweichen. Das Parlament muß für die jungen Männer, um die es letzten Endes ja geht, eine Entscheidung treffen. CDU, CSU und SPD können die Erhöhung des Wehrsoldes beschließen, wenn sie es wollen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Meine Damen und Herren, mich erreicht eben die traurige Nachricht
({0})
von einem schweren Flugzeugunglück in Madrid mit über 100 Toten. Ich spreche den Angehörigen, überwiegend spanischen Bürgern, aber auch 40 Japanern, ich spreche den Völkern und den Parlamentspräsidenten das Beileid des Deutschen Bundestages aus. - Sie haben sich zu Ehren der Toten erhoben. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst einmal bedanken, und zwar insonderheit bei den Kollegen des Haushaltsausschusses und den Kollegen des Verteidigungsausschusses. Ich muß sagen: Das war mein erster wirklich ausführlicher Umgang mit beiden Ausschüssen bei der Haushaltsberatung in der neuen Funktion. Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, daß ich hohen Respekt vor der Sachkunde und dem Engagement der Kollegen habe - das gilt für alle Fraktionen -, auch wenn ich zugeben muß, daß der Verteidigungsetat da und dort mehr Federn gelassen hat, als ich es gewünscht hätte.
Mit dem Verteidigungshaushalt des Jahres 1984 mußte die Bundesregierung zwei Aufgaben lösen, und zwar zwei Aufgaben, die bis zu einem gewissen Grade im Widerspruch zueinander stehen. Zum einen galt es, die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland angesichts des wachsenden - auch konventionellen - Übergewichts des Warschauer Pakts zu stärken und die Fähigkeit unserer Bundeswehr zu erhalten, ihren Auftrag zu erfüllen. Diese Aufgabe hat Vorrang, auch und gerade in finanziell schwierigen Zeiten. Es gibt nichts Wichtigeres als Freiheit und Frieden für unsere Bürger und Sicherheit für unser Land.
({0})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?
Ich gestatte diese Zwischenfrage gern. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich meine Redezeit um die Hälfte gekürzt habe. Deswegen kann ich nur eine Zwischenfrage zulassen.
Bitte schön.
Herr Wörner, ich werde es auch ganz kurz machen. In Anbetracht Ihres Lobes am Anfang Ihrer Rede: Wären Sie auch bereit, hier zu wiederholen und deutlich zu machen, was Sie bei Ihrer Amtsübernahme Ihrem Vorgänger über den Zustand der Bundeswehr gesagt haben, nämlich daß 13 Jahre sozialdemokratische Verteidigungsminister der Bundeswehr gut getan haben und Sie die Bundeswehr in einem guten Zustand übernommen haben?
Herr Kollege, Sie werden am Ende meiner Rede die Bewertung dessen, was Sie von mir erwarten, erhalten. Ich bitte also um etwas Geduld.
Ich sprach von der einen Aufgabe, die klaren Vorrang hat, nämlich die Verteidigung sicherzustellen. Zum anderen aber hat auch der Verteidigungsetat auch seinen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zu leisten. In einer Zeit, in der wir allen Bürgern Opfer zumuten, kann auch der Verteidigungsetat vom Zwang zur Sparsamkeit nicht ausgenommen werden. Dazu bekenne ich mich, und ich sage aus Überzeugung: Gerade der Verteidigungsminister hat ein überragendes Interesse an soliden Finanzen und einer gesunden Wirtschaft; denn nur geordnete Staatsfinanzen und eine florierende Wirtschaft erlauben es uns auf Dauer, die Verteidigungskraft der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten.
Außerdem: Soziale und wirtschaftliche Sicherheit einerseits und militärische Sicherheit andererseits bilden keinen Gegensatz, sondern bedingen einander. Der Bürger muß überzeugt sein, daß es sich lohnt, unsere wirtschaftliche und soziale Ordnung zu verteidigen.
Der vorliegende Verteidigungsetat 1984 wird beiden Zielen gerecht. Er erhält die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes, und er dient zugleich dem Gebot der Stunde, nämlich dem sparsamen Umgang mit Steuergeldern. Darum sage ich guten Gewissens: Dieser Verteidigungsetat kann sich sehen lassen. Er kann sich zum einen vor dem Hinter3100
grund unserer Verteidigungsnotwendigkeiten und zum anderen auch vor dem Hintergrund unserer Bündnisverpflichtungen sowie vor dem Hintergrund unserer angespannten Finanzlage sehen lassen.
Aber nicht nur das, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition; er kann sich auch an dem messen lassen, was wir zu Zeiten unserer Opposition hier gesagt haben. Ich habe immer wieder erklärt und gefordert: Der Verteidigungsetat muß sich in erster Linie an der Bedrohung orientieren, nicht nur an der Finanzlage.
Dieser Haushalt entspricht dieser Forderung. Er wächst mit 2,4% stärker als der Gesamtetat des Bundes. Daran wird deutlich, welch hohen Rang die Bundesregierung der Sicherheit unserer Bürger beimißt. Natürlich - ich gestehe das gern -: Die Zuwachsrate ist knapp bemessen. Es steht außer Frage, daß ich mir mehr gewünscht hätte. Ich sage auch hier wieder an die Adresse der Kollegen von der SPD: Würden wir Ihren Kürzungsanträgen folgen, wäre ich nicht in der Lage, im Jahre 1984 die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
({0})
Ich habe es mir vortragen lassen und inzwischen nachgeschaut. Ich will Ihnen hier einige der Folgen nennen, die eintreten würden, wenn wir Ihren Anträgen folgten.
Was den Bereich der Beschaffung betrifft, müßten wir Eingriffe in laufende Beschaffungen vornehmen, was entsprechende Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft hätte.
({1})
Überdies bitte ich, zu berücksichtigen, daß wir dann anschließend noch teurere Waffensysteme kaufen müßten. Das gilt für Schiffe, für Fahrzeuge und auch für Panzer. Beispielsweise - um das herauszugreifen - bliebe die Versorgung mit Arzneimitteln und Sanitätsgerät unzureichend. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden sind. Da muß doch dringend etwas verbessert werden.
({2})
Würden wir den Anträgen zu Forschung und Entwicklung folgen, dann würde das bedeuten, daß wir auf jedes neue Entwicklungsvorhaben verzichten müßten. Wir haben im letzten Jahr nicht umsonst eine Trendwende bei Forschung und Entwicklung eingeleitet. Wenn wir das nicht durchhalten, hängt unsere Industrie ab. Wir würden eines Tages sehr viel mehr Geld für Lizenzen ausgeben müssen, als .wir jetzt ausgeben müssen, wenn wir Forschung .und Entwicklung in dem nötigen Umfang betreiben.
({3})
Ganz abgesehen davon möchte ich einmal wissen, wie Sie sich im internationalen Bereich mit einem Verteidigungsetat noch sehen lassen könnten, dessen Zuwachsrate unter die fast aller anderen NATO-Staaten abgesunken wäre.
Daher sage ich: Wir können und werden Ihren Anträgen nicht folgen.
Im übrigen müssen Sie sich entscheiden, was Sie uns vorwerfen: entweder daß wir zuwenig oder daß wir zuviel tun.
({4})
Es geht nicht an, daß Sie uns draußen im Lande vorwerfen, wir handelten nach der Devise „Kanonen statt Butter", und hier bei der Beratung des Etats der Bundeswehr erklären, wir täten zuwenig. Nur eines von beiden kann richtig sein.
({5})
Die pauschale Steigerungsrate des Etats wird im übrigen noch wesentlich aussagekräftiger und eindrucksvoller, wenn man sie im einzelnen analysiert. Dann stellt man fest, daß die verteidigungsinvestiven Ausgaben kräftig wachsen:
({6})
Forschung und Entwicklung um 5,6 %, Beschaffungen um 5 %, militärische Anlagen um 10,2 %.
({7})
Vergleicht man diese Steigerungsraten mit der außergewöhnlich niedrigen Inflationsrate, so stellt man fest, daß wir in all diesen Feldern bei realen Steigerungsraten um oder über 3 % liegen. Wir können also dem Bündnis gegenüber mit Befriedigung verzeichnen, daß wir unsere Verpflichtungen einlösen.
Der Verteidigungsetat des Jahres 1984 erlaubt es mir, die bei meinem Amtsantritt angekündigte Schwerpunktsetzung konsequent fortzusetzen. Ich habe bei meinem Amtsantritt das Schwergewicht auf die Verbesserung der Personallage gelegt. Diese Akzentverlagerung war nötig, um die Einsatzbereitschaft, die Motivation der Soldaten zu stärken, ohne die das beste Material wertlos wäre.
Als weitere Ziele hatte ich mir gesteckt: Einmal sollte der Betrieb der Streitkräfte, vor allem im Bereich Ausbildung und Übung, gewährleistet werden. Ich kann sagen: Der Etat 1984 erlaubt das in vollem Umfang. Zweitens sollten die Ansätze für Forschung und Entwicklung verstärkt werden. Auch dies verwirklicht der Etat 1984. Schließlich war und bleibt es unser Ziel, die Einsatzfähigkeit der neuen Waffensysteme durch Beschaffung notwendigen Peripheriegeräts zu verbessern. Auch dieses Ziel kann ich mit dem Etat 1984 verwirklichen.
({8})
Nun aber zu der Schwerpunktbildung Nummer eins, der Personallage. - Ich greife Ihren Zwischenruf sehr gern auf. - Im Vordergrund stand
und steht für uns die Beseitigung des chronischen Fehls der Bundewehr an längerdienenden Soldaten, vor allem an Unterführern.
({9})
Es beträgt derzeit immer noch 16 000. Dies hat aus zwei Gründen Priorität. Einmal kann man die jungen Wehrpflichtigen nur dann sinnvoll ausbilden, wenn man die Zahl der Unterführer erhöht; denn davon hängt die Ausbildung ganz wesentlich ab. Zum zweiten: Alle Probleme, die wir in den 90er Jahren wegen der geburtenschwachen Jahrgänge haben werden, können nur gelöst werden, wenn wir hinreichend Freiwillige in den Streitkräften haben. Daher haben wir schon im letzten Jahr den Ansatz um 3 000 Stellen erhöht. Wir erhöhen im Jahre 1984 noch einmal um 4 500. Wir haben das Ziel, bis zum Jahre 1987 auf 266 000 zu gelangen.
Ich kann nur sagen: Das heißt man Einlösen seiner Versprechungen. Hier deckt sich Anspruch und Wirklichkeit.
({10})
Ich bin noch nicht einmal so unfreundlich, Herr Kollege Leonhart, Ihnen in Erinnerung zu rufen, daß Sie in einer Zeit, als die Bewerberlage sehr gut war und Sie die Probleme kannten, 8 000 Stellen in diesem Bereich gestrichen haben. Aber lassen wir das. Ich habe überhaupt kein Problem dabei, mich Ihrer Forderung nach Übereinstimmung von Anspruch und Wirklichkeit zu stellen.
Ich möchte noch ein Wort zum Verwendungsstau sagen. Das ist mit Sicherheit das drängendste Problem, vor dem sich die Armee im Augenblick sieht. Ich will Ihnen sagen: Auf die Dauer läßt sich die Einsatzbereitschaft dieser Armee nur halten, wenn wir eine angemessene Altersstruktur bei den Führern, vor allen Dingen auf der unteren Ebene, haben. Ich habe großes Verständnis für Oberfeldwebel und für Hauptleute, die überwiegend noch 56 Stunden Dienst und mehr in der Woche leisten, die nicht verstehen können, daß es nicht gelingen sollte, eine ihren Leistungen und ihrem Können angemessene Verwendung und Laufbahngestaltung sicherzustellen.
Nur, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Trotz aller Diskussion, trotz aller Ankündigungen ist bis zum Regierungswechsel auf diesem Sektor nichts geschehen. Wir haben dafür gesorgt, daß endlich etwas zur Milderung des Verwendungsstaus unternommen wird.
({11})
Nachdem mit 350 Planstellen im diesjährigen Haushalt etwa 1 500 Verwendungen ermöglicht worden sind,
({12})
sind für 1984 250 zusätzliche Planstellen vorgesehen. Das sind wieder tausend Personalbewegungen. Das reicht natürlich nicht aus, das sind zwar erste Schritte, aber diesen Schritten werden andere folgen. Aber wir haben gehandelt, und Sie haben geredet. Das ist der Unterschied.
({13})
Ich bitte doch um mehr Ruhe im Saal.
Über die Reservisten ist hier schon geredet worden. Ich kann es dabei belassen. Ich will nur das eine hinzufügen. Ich habe hohen Respekt vor den Leistungen unserer Reservisten, vor allen Dingen auch vor der Einsatzfreude, die sie zeigen, wenn sie zu den Wehrübungen einberufen sind. Wir werden alles tun, um das auch durch Taten anzuerkennen.
({0})
Lassen Sie mich auch zum Problem des Wehrsoldes ganz offen etwas sagen. Wer von uns würde es den jungen Wehrpflichtigen denn nicht gönnen?
({1})
Wir alle sind der Meinung, daß es die Wehrpflichtigen verdient hätten. Aber wir muten so vielen Gruppen unserer Bevölkerung Opfer zu, und hier hätten wir 120 Millionen DM ausgeben müssen.
({2})
Ich habe die Erwartung und nach all dem, was ich weiß, auch die Zuversicht, daß unsere jungen Wehrpflichtigen sehr wohl dafür Verständnis haben, daß wir sie als einzelne Gruppe nicht von solchen Opfern ausnehmen können. Wir werden alles daransetzen, die Erhöhung so bald wie möglich durchzuführen, spätestens zum 1. Januar 1985.
({3})
Lassen Sie mich angesichts der vorgerückten Zeit und der sich verständlicherweise ausbreitenden Unruhe meine Bemerkungen noch auf zwei Probleme zum Schluß konzentrieren.
Diese Regierung hat versucht, das Verhältnis Bundeswehr und Schule endlich zu verbessern. Schon mein Vorgänger, Kollege Apel, hat das versucht. Auch ich habe versucht, das Meinige zu tun. Das Ergebnis dieser Bemühungen kennen Sie. Das Scheitern dieses erneuten Versuches kann kein Anlaß zur Schadenfreude sein. Ich sage: Die Tatsache, daß sich die Kultusminister nicht haben einigen können, ist eine Niederlage für unseren Staat und nicht für irgendeine Partei.
({4})
Wir haben damit die Möglichkeit verspielt, unseren Schülerinnen und Schülern bundesweit anhand gemeinsamer Richtlinien die Grundlage der Friedenssicherung unseres Landes nahezubringen.
({5})
Ich sage Ihnen: Ohne das Wissen um diese Grundlagen wird es schwieriger, die Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk aufrechtzuerhalten. Ohne diese Verteidigungsbereitschaft werden wir aber unsere Freiheit und unseren Frieden nicht erhalten können.
({6})
Was nun den inneren Zustand unserer Streitkräfte anlangt, so steht für mich Ausbildung und Erziehung des Führer- und Unterführerkorps im Vordergrund. Bei den angestrebten Verbesserungen verfolge ich zwei Ziele. Einmal muß der Praxisbezug auf allen Ebenen in der Ausbildung verstärkt werden.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch nochmals um Ruhe im Saal.
Zum anderen gilt es, der Erziehung und Menschenführung mehr Gewicht beizumessen. Der Offizier und Unteroffizier ist nicht nur militärischer Führer und Ausbilder, er ist auch und gerade Erzieher. Wir müssen ihn mehr als bisher befähigen, diese Aufgabe zu meistern.
({0})
Wichtiger aber - das sage ich, nachdem zu Recht sehr viel über Geld gesprochen wurde - als alles Geld und als alle materiellen Maßnahmen für die Haltung, für die Einstellung und die Dienstfreude unserer Soldaten und der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr ist zum einen das Gefühl, gerade in schwierigen Zeiten von der politischen Führung nicht alleingelassen zu werden, und zum zweiten die Gewißheit, daß ihr Auftrag und ihr Dienst von unserem Volk anerkannt wird. Das sind die beiden Faktoren, die noch viel mehr zählen als Geld.
({1})
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, CDU, CSU und FDP, haben sich von Anfang an klar und entschieden zu dieser Bundeswehr und ihrem Auftrag bekannt. Das Wort von Bundeskanzler Kohl „Dienst in der Bundeswehr ist Ehrendienst" kennzeichnet unsere Einstellung zur Bundeswehr. Wir haben uns vor die Soldaten gestellt, wo immer sie angegriffen wurden. Unsere Soldaten wissen wieder, daß sie auf ihren Ruf und auf ihren Wehrdienst stolz sein können. Ohne die Soldaten und ohne die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr gäbe es weder heute noch morgen Freiheit und Frieden für unser Volk und seine Bürger.
({2})
Darum, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, werden wir die Soldaten nicht in den Kasernen verstecken. Denn wir und sie haben nichts zu verbergen.
({3}) Es sind Bürger aus unserer Mitte.
({4})
Darum wird es unter meiner Verantwortung auch künftig öffentliche Gelöbnisse und Tage der offenen Tür geben. Auch wenn das manchen nicht passen mag: Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung steht hinter uns.
({5})
Darum möchte ich - wie alle meine Vorredner mit einer Ausnahme; aber die vergessen wir besser - den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern der
Bundeswehr unseren Respekt, unsere Anerkennung und unseren herzlichen Dank sagen.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst Art. 20 c des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 in der Ausschußfassung, Drucksache 10/690, zur Abstimmung auf. Wer der vorgesehenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist angenommen.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir haben über zwei Anträge abzustimmen, bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, zur Abstimmung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/754 und 10/783 Änderungsanträge der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/754 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgeleht.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/783 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Zum Einzelplan 14 ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich brauche das Übliche nicht vorzulesen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimme abgegeben?
({1}) - Ich habe Geduld.
Meine Damen und Herren, haben jetzt alle die Möglichkeit gehabt, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Das ist der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Mitteilung über das Ergebnis noch eine nicht namentliche Abstimmung haben.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung durch Auszählung über den Einzelplan 14 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Bundestages haben 459 ihre Stimme abgegeben. Von diesen haben 263 mit Ja gestimmt, 196 mit Nein; Enthaltungen: keine.
21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon haben 11 mit Ja, 10 mit Nein gestimmt; Enthaltungen: keine.
Präsident Dr. Barzel
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 458 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
j a: 262 und 11 Berliner Abgeordnete
nein: 196 und 10 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer Austermann Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({2}) Berger
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Böhm ({3})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({4})
Dr. Bugl
Carstens ({5}) Carstensen
({6}) Clemens
Conrad ({7}) Dr. Czaja
Dr. Daniels Daweke
Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger Erhard
({8}) Eylmann
Dr. Faltlhauser Fellner
Frau Fischer Fischer ({9}) Francke ({10}) Franke
Dr. Friedmann
Ganz ({11}) Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({12}) Gerstein
Gerster ({13})
Glos
Dr. Göhner Günther
Dr. Häfele Hanz ({14}) Hartmann Haungs
Hauser ({15}) Hauser ({16}) Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({17}) Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({18})
Jagoda
Dr. Jahn ({19})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({20})
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Dr. Klein ({21}) Klein ({22})
Dr. Köhler ({23}) Dr. Köhler ({24}) Dr. Kohl
Kraus
Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({25}) Lamers
Dr. Lammert
Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs
Dr. Lenz ({26}) Lenzer
Link ({27})
Link ({28}) Linsmeier Lintner
Lohmann ({29}) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Dr. Marx
Dr. Mertes ({30}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Dr. Müller
Müller ({31}) Müller ({32})
Müller ({33})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({34})
Dr. Riesenhuber Rode ({35}) Frau Rönsch Frau Roitzsch
({36}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({37}) Rühe
Ruf
Sauer ({38})
Sauer ({39}) Saurin
Sauter ({40}) Sauter ({41})
Dr. Schäuble Schartz ({42}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({43})
von Schmude Schneider ({44})
Dr. Schneider ({45}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({46}) Schröder ({47}) Schulhoff
Dr. Schulte
({48}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen
Dr. Stoltenberg Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({49})
Vogt ({50}) Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({51}) Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({52})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({53}) Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Dr. Hackel Kalisch
Kittelmann Schulze ({54})
Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn Eimer ({55})
Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer ({56})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Weng
Wolfgramm ({57}), Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
fraktionslos
Voigt ({58})
Nein
SPD
Amling
Antretter
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({59})
Präsident Dr. Barzel
Bernrath
Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brandt Brosi Brück Buckpesch
Büchler ({60})
Büchner ({61}) Buschfort
Catenhusen
Collet Conradi
Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke ({62})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Esters Ewen Fiebig
Fischer ({63}) Fischer ({64}) Franke ({65})
Frau Fuchs ({66})
Frau Fuchs ({67}) Gansel
Gerstl ({68})
Glombig
Gobrecht
Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Haase ({69})
Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff
Heistermann
Herterich
Hettling
Heyenn
Hiller ({70}) Hoffmann ({71}) Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker
Ibrügger
Jahn ({72})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({73}) Junghans
Kastning
Kiehm
Kirschner
Kisslinger
Klein ({74})
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow
Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Lohmann ({75})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({76}) Müller ({77}) Müller ({78})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({79}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Peter ({80})
Pfuhl
Polkehn Porzner Poß
Purps
Rappe ({81}) Reimann
Frau Renger
Reschke Reuschenbach
Reuter
Rohde ({82})
Roth
Sander
Schäfer ({83}) Schanz
Dr. Scheer Schlatter Schluckebier
Frau Schmedt ({84})
Dr. Schmidt ({85}) Schmidt ({86}) Frau Schmidt
({87})
Schmidt ({88}) Schmitt ({89})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schröder ({90}) Schröer ({91})
Dr. Schwenk ({92}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Stahl ({93})
Dr. Steger Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Vogelsang Vosen
Waltemathe Walther
Weinhofer
Weisskirchen ({94}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Wieczorek ({95}) Wiefel
von der Wiesche Wimmer ({96}) Wischnewski
Dr. de With Wolfram
({97}) Würtz
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({98}) Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg ({99})
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Bastian
Frau Beck-Oberdorf Burgmann
Drabiniok
Frau Gottwald Frau Dr. Hickel Horacek
Hoss
Dr. Jannsen Frau Kelly
Kleinert ({100}) Krizsan
Frau Nickels Frau Potthast Reents
Sauermilch
Schily
Frau Schoppe Schwenninger
Vogt ({101}) Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider ({102})
Meine Damen, meine Herren, damit ist der Einzelplan 14 angenommen.
Es ist abzustimmen über den Einzelplan 35, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. Wer dem Einzelplan 35 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 35 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. Dezember 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.